Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 560 Eine einsame Sonne
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Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 560 Eine einsame Sonne
Eine einsame Sonne von Hubert Haensel Die Roxharen kehren zurück Mehr als 200 Jahre lang war die SOL, das Fernraumschiff von Terra, auf seiner ziellosen Reise durch die Tiefen des Alls isoliert gewesen, bis Atlan in Kontakt mit dem Schiff kommt. Die Kosmokraten haben den Arkoniden entlassen, damit er sich um die SOL kümmert und sie einer neuen Bestimmung zuführt. Jetzt schreibt man an Bord des Schiffes den Juni des Jahres 3792, und der Arkonide hat trotz seines relativ kurzen Wirkens auf der SOL bereits den Anstoß zu entscheidenden positiven Veränderungen im Leben der Solaner gegeben – ganz davon abgesehen, daß er gleich nach seinem Erscheinen die SOL vor der Vernichtung rettete. Inzwischen hat das Generationenschiff viele Lichtjahre zurückgelegt, und die Solaner haben in dieser Zeit viele Konflikte mit Gegnern von innen und außen mehr oder weniger unbeschadet überstanden. Unter Breckcrown Hayes, dem neuen High Sideryt, bahnt sich nun eine weitere Stabilisierung und Normalisierung an Bord an. Allerdings sorgen unerwartete Ereignisse immer wieder für Unruhe. So geschieht es auch auf dem Weg zur Kugelgalaxis Ploohnei. Mitten im Leerraum stößt man auf etwas, das es gar nicht geben dürfte. Dieses Etwas ist EINE EINSAME SONNE …
Die Hauptpersonen des Romans: Bora St. Felix - Sprecherin der Buhrlos. Jason McPhillis - Ein Buhrlo fliegt in die Irre. Atlan - Der Arkonide auf Roxha. Breckcrown Hayes - Der High Sideryt steuert die SOL in die »tote Zone«. Wylt'Rong - Der Roxhare kehrt heim.
1. Die winzigen Lichtpunkte inmitten samtener Schwärze waren Galaxien; Millionen Lichtjahre trennten sie voneinander – Bruchstücke einer unbegreiflichen Schöpfung. Nur wer in kosmischen Maßstäben zu denken vermochte, konnte die Bewegung der fernen Milchstraßen erahnen und ermessen, welcher Vielfalt von Leben sie Heimat waren. Der Anblick faszinierte … Bora St. Felix fühlte die Ewigkeit. Sie erschauderte, löste den Blick aber dennoch nicht von den leuchtenden Nebeln, den Spiralen, Balken und Kugeln, in denen sich Hunderttausende von Sternen ballten. All das war wie eine stumme Verheißung. Würde die Menschheit eines Tages auch von jenen Welten Besitz ergreifen, die heute noch unerreichbar schienen? Neue Begegnungen und Erfahrungen mochten sich daraus ergeben. Düstere Schatten in Boras Überlegungen ließen sich nicht vertreiben, riefen Unruhe hervor und nagende Zweifel. Irritiert fuhr die Buhrlo-Frau sich mit der Hand übers Gesicht. Die Menschheit, dachte sie bitter. Gehören wir, die man »Weltraumgeborene« nennt, überhaupt dazu? Eigentlich war alles besser geworden. Die Buhrlos hatten nicht mehr das Gefühl, nur geduldet zu sein, an Bord der SOL wurden sie inzwischen geachtet, von manchem sogar beneidet. Immerhin
konnten sie sich schutzlos außerhalb des Schiffes bewegen, ihr Metabolismus paßte sich dem Vakuum an. Und gerade deshalb empfand Bora St. Felix mitunter Angst vor der Zukunft. War sie tatsächlich die Vertreterin einer neuen Menschheit, deren Lebensraum nicht mehr nur auf Planeten, sondern auch im All lag? Oder hatte sie ihre Existenz ausschließlich einer Laune der Evolution zu verdanken? Dann würde eines Tages alles vorüber sein. Das Gefühl, in einen bodenlosen Abgrund zu stürzen, wurde übermächtig. Doch Bora hatte sich schnell wieder in der Gewalt. Was zählte, war das Jetzt, war die ungezwungene Freiheit, die sich nur in der Schwerelosigkeit des Alls bot. Die wenigen Stunden des Aufenthalts galt es zu nutzen. Breckcrown Hayes, der neue High Sideryt, hatte auf halber Strecke zwischen All-Mohandot und der Kugelgalaxis Ploohnei, nach etwa 1.100.000 Lichtjahren, haltgemacht. Zum einen, um Maschinen und Antriebssysteme routinemäßig überprüfen zu lassen, zum anderen, um den Buhrlos einen obligatorischen Weltraumspaziergang zu ermöglichen. Mit Hilfe des umgeschnallten Rückstoßaggregats drehte Bora St. Felix sich einmal um sich selbst. Langsam geriet erst die SZ-2 in ihr Blickfeld, dann das zylinderförmige Mittelstück des Schiffes. Sie war weit entfernt. Aber auch ohne die SOL zu sehen, hatte Bora stets gewußt, in welcher Richtung das mächtige Gebilde aus Ynkelonium-Terkonit-Verbundstahl zu suchen war. Sie spürte dessen Anwesenheit, fühlte die schwachen Gravitationskräfte, die davon ausgingen. Die SOL verschmolz fast mit der sie umgebenden Schwärze. Nur schwach brach sich der Widerschein der fernen Galaxien auf ihrer Hülle. Und wäre da nicht der scharf abgegrenzte Lichtschein aus einigen geöffneten Schleusen gewesen, man hätte sie durchaus übersehen können. Abermals aktivierte Bora ihr Tornisteraggregat. Mit mäßiger
Geschwindigkeit entfernte sie sich weiter vom Schiff, während sie gleichzeitig ein rhythmisches Blinken voraus bemerkte. Das mußte eine der Gruppen sein, die mit mehreren Plattformen aufgebrochen waren, um rasch eine möglichst große Distanz zurückzulegen. Starke Scheinwerfer erfaßten die Frau. Sie winkte erst, dann hob sie zwei Finger der linken Hand. Alles in Ordnung! symbolisierte dieses Zeichen. Schwer zu schätzen, wie weit die Plattform noch entfernt war. Einen Kilometer, vielleicht auch zwei. Bora beschleunigte schneller. Nur flüchtig dachte sie daran, was geschehen würde, wenn das Aggregat versagte. Kometengleich zogen vier Leuchtpunkte ihre Bahn, strebten fort von der SOL. Bora St. Felix verspürte ein eigenartiges Prickeln unter der Kopfhaut. War es E-kick, jene geheimnisvolle Energieform, die dieses Gefühl hervorrief? Sie wußte es nicht, denn seit einiger Zeit kümmerte sich keiner mehr darum. Vor Monaten hatte die alte Schiffsführung die Buhrlos benutzt, um E-kick zu gewinnen, das sich während längerer Weltraumaufenthalte in ihren Körpern ansammelte. Inzwischen sprach niemand mehr davon. Es gab anderes, Wichtigeres. Bora hatte eine der Plattformen nahezu erreicht. Es waren einfache Fahrzeuge ohne Aufbauten, und die Impulstriebwerke beanspruchten einen nicht unbeträchtlichen Teil des zur Verfügung stehenden Raumes. Jemand hob die linke Faust. Komm! bedeutete das. Bora zählte zehn Buhrlos. Zwei von ihnen mochten erst vor kurzem dem Kindesalter entwachsen sein; sie hatten sichtlich Spaß an der Schwerelosigkeit und schwebten kopfunter an ihr vorbei. Unverkennbar der Ausdruck von Glückseligkeit in ihren Augen. Selbst hier war die grenzenlose Einsamkeit des intergalaktischen Raumes zu spüren. Flüchtig dachte Bora an die Solaner. Keiner von ihnen würde jemals dieses Gefühl in seiner ganzen Tragweite
ermessen können.
* Viel zu schnell floß die Zeit dahin … Von irgendwoher erklangen gedämpfte Geräusche. Schritte, die vorüberhasteten und von Geschäftigkeit zeugten, Stimmen … Mit geschlossenen Augen lauschte Atlan den Lauten, die das monotone Summen der auf Vollast laufenden Klimaanlage übertönten. Er hatte nur kurzen Schlaf gefunden, fühlte sich dank der belebenden Impulse seines Zellaktivators aber frisch und ausgeruht. Viel war in den letzten Tagen und Wochen auf ihn eingestürzt, über manches mußte er sich erst noch klarwerden. War es die Ungewißheit, die ihn beunruhigte? Müßig, sich um die Zukunft zu sorgen. Die Vergangenheit lehrte, daß zumeist alles anders kam. Du fürchtest Hidden-X? Zögernd die Bemerkung des Extrahirns, als wolle es sich ebenfalls nur behutsam an die Wahrheit herantasten. Weshalb schweigst du? Es gibt nichts dazu zu sagen, erwiderte Atlan in Gedanken. Jedenfalls nicht im Augenblick. Aber dich bedrückt weit mehr, als du zuzugeben bereit bist. Zweifelst du an deiner Aufgabe? Mitunter entwickelte das Extrahirn geradezu pedantische Züge. In solchen Situationen empfand der Arkonide seinen heimlichen Gesprächspartner häufig als lästig. So auch jetzt. Seufzend schlug Atlan die Augen auf und starrte zur Decke empor. Er wußte um sein Ziel, kannte dessen Koordinaten, dennoch schien es nicht einfach, Varnhagher-Ghynnst zu erreichen. Unbekannte Gefahren säumten den Weg dorthin. »Zweifel?« murmelte Atlan schließlich, auf die letzte Bemerkung
eingehend. »Nein, das ist es ganz sicher nicht.« Was war hinter den Materiequellen geschehen, von dem er nichts mehr in seiner Erinnerung fand? Lange genug hatte er bei den Kosmokraten gelebt, vielleicht zu lange … Du versuchst Unmögliches, behauptete der Logiksektor, und weißt es auch. Weshalb wartest du nicht, bis die Zeit reif ist für Erklärungen? »Warten?« brauste Atlan auf. »Mein ganzes Leben bestand aus Warten.« Das Extrahirn lachte. Gestehe endlich ein, was dich wirklich bewegt. Ist es denn eine Schande, dem falschen Herrn zu dienen? Atlan war wie elektrisiert. Mit einem einzigen Satz kam er auf die Beine. Weißt du mehr als ich? riefen seine Gedanken fast flehentlich. Ich kenne nur deine geheimsten Befürchtungen. Treffen sie zu? Bin ich schon zum Agenten der negativen Mächte geworden, ohne etwas dagegen tun zu können? Keiner von uns kennt die Antwort darauf. Du denkst jetzt an Chail, weil dir dort zum erstenmal Bedenken kamen. Widme dich lieber der Gegenwart, und denke an deine Erfolge. Ja, nickte der Arkonide. Du hast recht, wie immer. In AllMohandot legten wir den Grundstock für eine Friedenszelle; weitere Zerstörungen wird es dort nicht mehr geben. Zweifellos sind Pluuh und Ysteronen in der Lage, für alle segensreiche Beziehungen aufzubauen. Irgendwann wird unser Gegenspieler deshalb erneut versuchen, uns auszuschalten. Je schneller wir uns VarnhagherGhynnst nähern, desto eher könnte das der Fall sein. Atlan verließ SOL-City zur Zentrale hin, wo er Breckcrown Hayes vorzufinden hoffte. Er fühlte, daß die nahe Zukunft noch einige Überraschungen bereithielt. Der Aufenthalt im Leerraum, obwohl Atlan bisher nur sehr wenig davon mitbekommen hatte, machte ihn kribbelig. Es interessierte ihn, wie weit die Wartungs- und Kontrollarbeiten inzwischen
gediehen waren, denn je eher man den Flug fortsetzte, desto besser.
* Mit bloßem Auge war die SOL nicht mehr auszumachen. Aber Bora St. Felix spürte die Gravitation des mächtigen Raumschiffs, die so etwas wie Geborgenheit vermittelte. Und gerade deshalb verstand sie die allmählich aufkommende Unruhe nicht, die von vielen Besitz ergriff. Aneinandergekoppelt trieben die vier Plattformen dahin. Man war allein und hatte die anderen Buhrlos längst weit hinter sich gelassen. Gedankenverloren starrte Bora den verwaschenen hellen Fleck an, der All-Mohandot sein mußte. Nach einer Weile wurde sie von stärker werdenden Vibrationen aufgeschreckt. Jemand war im Begriff, das Triebwerk hochzufahren. Im Nu kam die Buhrlo-Frau auf die Beine. Sie sah, daß auch andere erschraken. Alles in Ordnung! wurde ihr bedeutet. Aber Bora schüttelte den Kopf und schwebte hinüber zu dem Mann, der die Kontrollen bediente. Die Leistung des Impulstriebwerks wurde rasch gesteigert. Was soll das? wollte sie wissen. Sie hatte Jason McPhillis anrempeln müssen, um ihn auf sich aufmerksam zu machen. Er faltete die Hände zur Antwort: Zurück in die SOL! Abermals schüttelte Bora den Kopf. Sie deutete hinter sich. Von dort kamen wir … Ihr Gegenüber bedachte sie mit einem mitleidigen Blick. Dann lehnte er entschieden ab und begann erneut zu schalten, als sie sich zwischen ihn und die Kontrollen zwängte. Wir fliegen in die falsche Richtung! besagte ihre Geste. McPhillis antwortete mit einem schroffen Nein!, versuchte, sie von sich zu
stoßen, doch Bora klammerte sich an ihn und zwang ihn so, vom Instrumentenpult abzulassen. Einige Buhrlos kamen näher. In ihren Gesichtern drückte sich teils Unverständnis, teils Widerwille aus. Bevor jemand sie daran hindern konnte, hatte Bora St. Felix mit blitzschnellen Griffen das Triebwerk wieder gedrosselt. McPhillis vollführte eine wütende Bewegung. Bora wehrte entschieden ab. Sieben Stunden weilten sie inzwischen außerhalb der SOL – es wurde Zeit, an Bord zurückzukehren. Unter den wenig günstigen Bedingungen im Leerraum vermochten die Chloroplasten in den unteren Zellschichten der Haut nicht einmal mehr genug Sauerstoff zu erzeugen, um sich selbst am Leben zu erhalten. Sie mußten also ebenfalls von den Vorräten zehren, wodurch dem betroffenen Buhrlo nur wenige Stunden für seinen Weltraumspaziergang blieben. Bora machte ihre Meinung unmißverständlich deutlich. Auch, daß sie nichts davon hielt, jetzt noch weiter zu fliegen. Es gab nichts hier draußen, was ein solches Handeln gerechtfertigt hätte. Warum behinderst du mich dann? wollte ihr Gegenüber wissen. Sie deutete in die Richtung, in der die SOL stehen mußte. Zu ihrer Überraschung stieß sie bei fast allen auf Unglauben. Hätte man Massetaster mitgeführt, die Frage wäre schnell zu klären gewesen, so jedoch verhärteten sich die Standpunkte innerhalb weniger Minuten. Bora verstand nicht, wie man die schwach wahrzunehmende Massenanziehung des Raumschiffs einfach ignorieren konnte. Zum Glück stand sie mit ihrer Meinung nicht völlig allein da. Von den anderen Plattformen schwebten Buhrlos heran, und vereinzelt erhielt sie Zustimmung aus der größer werdenden Menge, die sich um sie herum bildete. Abermals deutete Bora St. Felix auf den verwaschenen Fleck von All-Mohandot. Dort ist die SOL …
Sie ließ die Arme sinken, als ein Schatten die Sternenballung innerhalb eines einzigen Augenblicks verdunkelte. Konnte es einen besseren Beweis geben? Jason McPhillis zuckte nur mit den Achseln. Das besagt noch lange nichts, meinte er. Es ist die SOL. Sicher, nickte McPhillis. Ist es auch die richtige? Bora zuckte zusammen, hatte sich aber sofort wieder in der Gewalt. Wie meinst du das? wollte sie wissen. Er legte die Handkanten aneinander und blickte kurz in die geöffneten, leicht gekrümmten Hände – das Zeichen für Spiegel. Nein! Bora reagierte ungehalten. Das ist Unsinn. Inzwischen war der Schatten weitergezogen und gab den Blick auf die immerhin 1,1 Millionen Lichtjahre entfernte Galaxis wieder frei. Jeder von euch hat sie gesehen. Was ist los, daß ihr es nicht wahrhaben wollt? McPhillis, beinahe um einen Kopf größer als Bora, packte sie an den Schultern und zwang sie herum. Weshalb sollte das, was wir eben gesehen haben, nicht die Spiegel-SOL sein? Weil ich auf ihre Ausstrahlung achte. Wir spüren das Schiff auch, Bora. Allerdings in entgegengesetzter Richtung. Dann irrt ihr euch, wollte sie antworten, kam jedoch nicht dazu, weil zwei jüngere Buhrlos sie sanft, aber bestimmt zur Seite schoben. McPhillis nutzte die sich bietende Gelegenheit, um wieder an das Schaltpult zu gelangen. Es kam zu einem kurzen Handgemenge, das jene verloren, die Boras Ansicht vertraten. Widerwillig mußten sie sich fügen. Da war etwas, was sie aufwühlte, was in ihnen nagte und sie zweifeln ließ, je länger sie über das Vorgefallene nachdachten. Selbst Bora blieb davon nicht verschont. Allerdings bestärkte das nur ihre Vermutungen, daß Dinge im Gange waren, die weit jenseits ihres
Wahrnehmungsvermögens lagen. McPhillis beschleunigte erneut. Aber noch gab die Frau sich nicht geschlagen. Wo ist nun die SOL? wollte sie wissen. Irgendwo vor uns, wurde ihr bedeutet.
* Kurz bevor Atlan in der Zentrale eintraf, hatte der High Sideryt diese nach einem anstrengenden vierzehnstündigen Arbeitstag verlassen, um sich ein wenig Ruhe zu gönnen. Es war eine Stunde nach Mitternacht Bordzeit, entsprechend gedrosselt schlug der Puls des Schiffes. Der Arkonide verharrte flüchtig und ließ seinen Blick schweifen, dann hatte er Bjo Breiskoll entdeckt, der scheinbar gedankenverloren vor dem großen Panoramabildschirm stand und die Projektion anstarrte. Doch kaum setzte Atlan sich wieder in Bewegung, als der Katzer sich geschmeidig zu ihm umwandte. Ein verlegenes Lächeln huschte über seine Züge. Gallatan Herts, Ex-Magnide und nunmehr Stabsspezialist, dem die Leitung der Hauptzentrale oblag, schwang mit seinem Sessel herum und nickte Atlan schweigend zu. Außer Herts taten noch Vorlan Brick, Curie van Herling und ein halbes Dutzend Männer und Frauen des technischen Personals Dienst. Atlan wechselte einige belanglose Worte mit Gallatan Herts, wobei er erfuhr, daß Hayes sich erst vor wenigen Minuten zurückgezogen hatte. Er winkte Curie van Herling grüßend zu, die jetzt Chefin des Funk- und Ortungspersonals war, und wandte sich an Breiskoll: »Bjo?« Unverkennbar der fragende Ton in seiner Stimme. Der Katzer wirkte angespannt. Er deutete auf den Bildschirm.
»Mutet es nicht wie ein Wunder an, Atlan, was wir zu sehen bekommen? Wie winzig sind die Menschen doch im Vergleich mit den ungeheuren Weiten, die wir in einem Staubkorn zurücklegen. Und trotzdem fressen die Sorgen uns schier auf, die wir uns in unserer kleinen künstlichen Welt selbst schaffen. Jeder Anlaß dafür erscheint mir bei einigem Nachdenken nichtig.« Atlan hatte zwar eine Erwiderung auf den Lippen, schwieg aber. Selten hatte er den Freund so erlebt. »Hunderttausend Sonnen«, fuhr der Katzer fort, »sind hier draußen nur ein verwaschener Lichtfleck. Und ihr Schein, den wir sehen, führt uns über eine Million Jahre in die Vergangenheit.« »Du findest ebenfalls keine Ruhe?« Breiskoll zog die Brauen hoch. »Ich weiß nicht, warum«, erklärte er nach einer Weile des Schweigens. »Vorahnungen vielleicht …« »Spürst du eine Gefahr?« Da war es wieder, dieses verlegene Lächeln, das irgendwie entrückt schien. »Die meisten Buhrlos sind noch draußen«, sagte der Katzer anstelle einer Antwort. »Aber du bist unruhig.« Bjo Breiskoll seufzte leise. »Es ist in mir und läßt mich keinen Schlaf finden – irgend etwas wird geschehen, das fühle ich.« »Um auch nur Alarmbereitschaft anzuordnen, bedarf es mehr als einiger Ahnungen.« »Mag sein, daß lediglich die Ereignisse der letzten Monate mich unbewußt noch immer beschäftigen. Schließlich haben sich die Verhältnisse an Bord seit Deccons Opfergang einschneidend geändert. Über einen Mangel an Aufregungen brauchen wir uns weiß Gott nicht zu beklagen. Das Erscheinen der Geister-SOL allein gibt genügend Rätsel auf; dann die Sache mit Oggars HORT und
Sternfeuer, die mich womöglich mehr mitgenommen hat, als ich mir selbst jetzt eingestehen will. Und dann die Geschehnisse im und um das Glutauge-System. Atlan, ich frage dich, wer ist unser unbekannter Gegner wirklich, und was kann er? Manchmal erscheint es mir, als würden wir, wohin wir auch kommen, in ein Wespennest stoßen …« Bjo Breiskoll vollführte eine umfassende Handbewegung. »Wo wird Hidden-X auf uns warten?«
2. In jäher Verzweiflung schüttelte Bora St. Felix den Kopf. Ein Blick in die Runde genügte, sie erkennen zu lassen, wie es um die meisten Buhrlos stand. Sie wollten nicht begreifen, daß sie sich irrten. Die SOL verharrte nach wie vor in relativem Stillstand. In der entgegengesetzten Richtung vermochte Bora indes nicht das geringste festzustellen. Es wird Zeit! Besinnt euch … Kaum jemand achtete noch auf die Frau, die an Bord als Sprecherin der Buhrlos auftrat und von allen akzeptiert wurde. Eine seltsame Erregung schien von den Gläsernen Besitz ergriffen zu haben. Sie machte auch vor Bora nicht halt. Eine Welle der Aggressivität schlug ihr entgegen. Zweifellos würde es zur Auseinandersetzung kommen, wenn keiner nachgab. Sollte ich mich wirklich irren? fragte Bora sich in Gedanken. Immerhin ist die Mehrzahl gegenteiliger Meinung. Ein winziges Licht flammte in der Dunkelheit auf. Zum Greifen nahe schien es und war doch weit entfernt. Langsam zeichnete es die Rundung einer Schiffszelle nach. Anscheinend bezogen die Solaner auch die Ringwülste in die Wartungsarbeiten ein. Kaum einer, der nicht darauf aufmerksam wurde. Und jene, die den Schein nicht sofort wahrnahmen, folgten interessiert den Blicken der anderen.
Bora St. Felix triumphierte. Zurück in die SOL! signalisierte sie mit gefalteten Händen. Doch Jason McPhillis umfaßte ihren Arm mit eisernem Griff und zog sie zu sich herum. Er hob zwei Finger der rechten Hand, was Gefahr! bedeutete. Bist du blind? In dieser Richtung erwartet uns das Verderben. Alles ist nur Schein. Ein stechender Schmerz durchpulste ihren Arm, als die verhärteten Hautschichten zusammengepreßt wurden. Wollte Jason sie umbringen? Schon eine ansonsten harmlose Wunde konnte genügen, die äußeren Zellverbände zusammenbrechen zu lassen. Im Vakuum eine tödliche Bedrohung. Übelkeit stieg in Bora hoch, und ein jähes Schwindelgefühl erfaßte sie. Für einen flüchtigen Augenblick verlor sie die Orientierung. Bora fühlte, daß McPhillis sie abschätzend musterte. Er schien ebenfalls unsicher geworden zu sein. Hatte er ihre vorübergehende Schwäche bemerkt? Abermals drohte die Umgebung vor ihren Augen zu verschwimmen. Sie blinzelte, fuhr sich mit der freien Hand über die Augen, aber es war wie ein feiner Schleier, der ihre Sicht behinderte. Als der Druck um ihren Arm plötzlich schwand, taumelte sie. Seht sie euch an! triumphierte McPhillis. Bora ist krank. In diesem Zustand weiß sie nicht, was sie sagt. Es kostete sie einige Mühe, seine rasch aufeinanderfolgenden Gesten in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen. Irgend etwas lähmte ihr Denken. Hatte der Buhrlo am Ende doch recht? War sie es, die sich irrte, die alle ins Verderben führen würde? Denn in den nächsten Stunden mußte jeder an Bord zurückkehren, wollte er nicht Gefahr laufen, qualvoll zu ersticken. Bora St. Felix unternahm eine letzte Anstrengung, um der beginnenden Lethargie zu entfliehen. Sie kämpfte dabei nicht mit sich selbst, vielmehr galt es, gegen eine unsichtbare Kraft zu
bestehen, die von außen her auf sie eindrang, das erkannte sie in diesen Sekunden mit erschreckender Deutlichkeit. Wie ein böser Spuk fiel es von ihr ab, nichts als den Schauder unangenehmer Erinnerung zurücklassend. McPhillis hatte sich nicht dagegen wehren können und Joke Endres, Slei Leighton, Mira Goldsteen und eine ganze Reihe anderer, und das Schlimme daran war, sie glaubten richtig zu handeln, besaßen nicht die Möglichkeit, ihren Fehler zu erkennen. Aus ihren Blicken sprach Überzeugung. Schon kam es zu Handgreiflichkeiten. Zehn Buhrlos, Männer, Frauen und ein Kind, zogen sich langsam zurück. Bora St. Felix sah es und ahnte, was sie vorhatten; sie war jedoch nicht in der Lage, sie daran zu hindern. Eine Plattform scherte aus dem Viererverbund aus und beschleunigte, schwang in einer weitgezogenen Kurve herum. Zuerst sah es danach aus, als würde sie sich der SOL nähern, dann aber wurde ihr Kurs abrupt geändert. Sie raste tiefer hinein in den Leerraum, nahezu im rechten Winkel fort von der gedachten Verbindungslinie zwischen All-Mohandot und Ploohnei. Für alle sichtbar, hob Jason McPhillis den linken Zeigefinger. Aufpassen, ich will etwas mitteilen! Er wartete, bis die Erregung der Umstehenden sich so weit gelegt hatte, daß ihre Aufmerksamkeit sich ihm zuwandte. Warum sollen wir uns entzweien? bedeutete er dann. Jeder muß selbst wissen, was gut für ihn ist. Fragende Blicke, gelegentlich von zustimmendem Nicken begleitet. Jason zeigte auf Bora. Wer mit ihr gehen will, soll es tun. Ich hindere keinen daran, in sein Unheil zu laufen. Jeder Solaner hätte über die Art von Zeichensprache, wie McPhillis sie praktizierte, amüsiert gelächelt; die Buhrlos aber verstanden ihn. Zufrieden, Bora? Resignierend ließ sie die Arme sinken und bildete mit Daumen
und Zeigefinger der linken Hand einen Kreis – das Symbol für Zuneigung und Zustimmung. Sie wußte, daß sie nicht mehr erreichen konnte. Immerhin mußte sie schon froh sein, daß man sie überhaupt ihren eigenen Weg gehen ließ. Von den ungefähr fünfunddreißig Buhrlos, die McPhillis und sie umringten, waren lediglich acht mit ihr einer Meinung. Die anderen schienen geradezu von einer fixen Idee besessen zu sein; für sie war die SOL das Geisterschiff. Was als auslösender Faktor in Betracht kam, darüber konnte Bora nur Vermutungen anstellen. Je länger sie nachdachte, desto mehr war Bora bereit, auch ihre eigene Übelkeit dem Umstand zuzuschreiben, daß kaum ein Buhrlo in den letzten Wochen und Monaten mehr einen derart langen Weltraumaufenthalt genossen hatte. Das Problem mochte also rein psychischer Natur sein. Nehmt euch eine Plattform! forderte McPhillis sie auf. Minuten später jagte Bora St. Felix mit höchsten Beschleunigungswerten der SOL entgegen. Wenn sie sich umwandte, sah sie die leuchtenden Triebwerksspuren der anderen Fahrzeuge in der Unendlichkeit verschwinden. Man war sehr weit draußen gewesen. Langsam schälte sich die hantelförmige Gestalt des mächtigen Raumschiffs aus der Dunkelheit. Immer mehr geöffnete Luken und Schleusen wurden erkennbar, aus denen Licht fiel. Bora steuerte das Mittelstück an. Überall waren Arbeiter damit beschäftigt, die Außenhülle zu inspizieren. Sekundenlang ließ sie sich von dem Geschehen ablenken. Inzwischen war sie der Rundung der SZ-2 bis auf wenige hundert Meter nahe und hielt es noch immer nicht für erforderlich, die Geschwindigkeit der Plattform auf ein vernünftiges Maß zu reduzieren. Zeit war kostbar, denn mit jeder Minute, die verstrich, entfernten die anderen unter Führung von McPhillis sich weiter. Bis sie erkannt hatten, daß sie einem Phantom nachjagten, würde es für sie zu spät sein zur Umkehr.
Ein harter Stoß in die Seite ließ Bora taumeln. Bevor sie sich abfangen konnte, hatte einer ihrer Begleiter den Platz hinter den Kontrollen eingenommen. Fast im gleichen Augenblick kippte die SOL seitlich weg – die Plattform überschlug sich.
* Unvermittelt zuckte der Katzer zusammen, sein Blick ging ins Leere. Bjos Körper versteifte sich, als lausche er in die Ferne. Was immer er aufgefangen hatte, es mußte von Wichtigkeit sein. Ein Zwischenfall, an Bord? richtete Atlan die lautlose Frage an seinen Extrasinn. Er erhielt keine Antwort. Der Katzer stöhnte leise, während seine Augenlider zu flattern begannen. Fast gleichzeitig schrie Vorlan Brick auf: »Sind die verrückt geworden?« Hastig bellte er eine Reihe von Befehlen in ein Mikrophon. Atlan verstand nur soviel, daß sich irgendwo ein Unfall ereignet hatte. Wahrscheinlich außerhalb der SOL, denn der Chefpilot überwachte einen Teil der Arbeiten an der Schiffshülle. Breiskoll schien Atlans Gedanken zu erraten. »Es ist nichts passiert«, rief er aus. »Bora hat Glück gehabt.« »Die Buhrlo-Sprecherin?« »Irgend etwas Unvorhersehbares muß sich ereignet haben, denn in ihrer Aufregung rammte Bora einen Materialtransport.« »Und jetzt?« »Sie ist zu verwirrt. Einige Buhrlos scheinen in Lebensgefahr zu schweben.« »Wo ist Bora?« »Sie und ihre Begleiter werden soeben mit Zugstrahl in einen Hangar mittschiffs geholt«, sagte Gallatan Herts. Er hatte den hastigen Wortwechsel zwischen Atlan und Breiskoll mitbekommen.
»Was immer geschehen ist, wir erfahren es in den nächsten Minuten. Ich habe Befehl gegeben, Bora St. Felix und die anderen auf dem schnellsten Weg hierherzubringen.« Atlan vollführte eine Geste, die den gesamten Bereich des Panoramaschirms umfaßte. »Ist da draußen Besonderes vorgefallen?« Gallatan Herts schüttelte den Kopf. »Nicht daß ich wüßte. Seit wir das Glutauge-System verlassen haben, bleibt alles ruhig.« Wieder spürte Atlan jenes sanfte Pochen unter der Schädeldecke, das sich bis in die Schläfen hinzog. Aber er ignorierte den lästigen Schmerz. »Curie«, rief Gallatan Herts die Ex-Magnidin an, »was sagen die Ortungen?« Sie winkte nur ab. Sekunden später öffnete sich das Schott. Es war bezeichnend, daß Bora St. Felix spontan auf Atlan zueilte, kaum daß sie seiner ansichtig geworden war. Ihr Gesicht trug deutliche Spuren von Erschöpfung. Hinter ihr kamen acht weitere Buhrlos, von Robotern flankiert. Bora ließ Atlan gar nicht erst die Zeit, das Wort an sie zu richten; flüchtig streifte ihr Blick den Katzer. »Konntest du erfahren, was geschehen ist?« »Nein«, machte Atlan. »Ich …« »Du mußt uns helfen. Es geht um Leben und Tod – wie viele sind inzwischen an Bord zurückgekehrt?« »Wenn du die Gläsernen meinst«, warf Gallatan Herts ein, »dann jedenfalls die meisten. Vielleicht fünfzig sind noch draußen, soweit ich das überblicken kann.« »Hm« Boras dunkle Stimme stand im krassen Gegensatz zu ihrer schlanken, beinahe dürr wirkenden Figur. »Wir müssen sie zurückholen, sofort.« Kein Wort über den Unfall, den sie verursacht hatte.
»Sobald es an der Zeit war, kam noch jeder Buhrlo von selbst wieder an Bord«, bemerkte Herts. »Sage uns lieber, was geschehen ist.« »Ich weiß es nicht …« Boras Eingeständnis kam überraschend. Allerdings war es nicht ihre Art, Dinge zu zerreden, die sich mit wenigen Worten unmißverständlich klarstellen ließen. »Ich glaube, es war zuviel für sie. Wie anders soll ich es mir erklären, daß sie die SOL einfach ignorierten und mit drei Plattformen in genau die entgegengesetzte Richtung aufbrachen. Wenn sie nicht inzwischen zur Vernunft gekommen sind …« Bjo Breiskoll preßte die Lippen aufeinander. Der Reihe nach musterte er die Buhrlos. »Sie haben es auch gespürt«, bemerkte Bora. »Was gespürt?« wollte Atlan wissen. »Diese … diese Verwirrung; ich habe kein anderes Wort dafür. Manche waren wie umgewandelt, mit Argumenten ließen sie sich schon gar nicht überzeugen. Sie sahen die SOL und behaupteten, das Geisterschiff vor sich zu haben, aber dort, wo nichts war, suchten sie.« »Haben wir die Plattformen in der Ortung?« fragte Gallatan Herts. Es dauerte eine Weile, bis Curie van Herlings Antwort kam. »Die Reflexe sind schwach, eine Störzone scheint sich aufzubauen. Sieht nach hypergravitationellen Überlagerungen aus.« »Es muß etwas anderes sein«, behauptete Bora St. Felix unvermittelt. »Etwas, für das wir noch keine Erklärung haben. Holt Jason McPhillis und die anderen da heraus, bevor es zu spät ist.« »Was befürchtest du?« Bora hob die Schultern. Keineswegs entging ihr Atlans fragender Blick, mit dem dieser den Katzer bedachte. Breiskoll schürzte nur die Lippen. »Wenn du mir nicht glaubst …«, fuhr sie auf. Atlan winkte besänftigend ab. »Eher das Gegenteil ist der Fall. Dein Verdacht bestätigt meine
geheimsten Befürchtungen.« »Was schlägst du also vor?« wandte Herts sich an den Arkoniden. »Schnellstens zwei Korvetten ausschleusen, um die Buhrlos aufzufischen. Danach werden wir weitersehen. In erster Linie geht es darum, Menschenleben zu retten.« »Das ist auch meine Meinung«, nickte Herts. »Ich werde den High Sideryt verständigen und Startbefehl geben.« Bora St. Felix blickte ihm sinnend hinterher, als er an den Interkom trat und eine Verbindung zu Breckcrowns Klause herstellte. »Selbstverständlich bin ich mit von der Partie«, sagte sie.
3. Im Nu war eine halbe Stunde vergangen, dann eine ganze, ohne daß man dem Ziel näher gekommen wäre. Jason McPhillis beschleunigte mit Höchstwerten. Hin und wieder wurden die Triebwerksemissionen der ersten Plattform sichtbar, die Distanz zu ihr verringerte sich aber nur unmerklich. Längst hätte man die SOL erreichen müssen. Daß dem nicht so war, erfüllte die Buhrlos mit Unruhe. Das Raumschiff mochte aus irgendwelchen Gründen gezwungen gewesen sein, den Standort zu wechseln. Solange seine Nähe jedoch zu spüren war, war echte Besorgnis fehl am Platz. Wie lange noch? wurde Jason gefragt. Er zuckte mit den Achseln. Ein Kind streckte ihm die gespreizte linke Hand entgegen – das Zeichen für Hunger und Durst. Was konnte er tun? Schlagartig wurde ihm bewußt, daß er es selbst nicht wußte. Gereizt wandte er sich um, starrte hinaus in die ewige Schwärze, in der ferne Lichtpunkte eingebettet lagen wie in dunklem Samt. Es fiel schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Die Unruhe wurde stärker …
Hatte er die Richtung verloren? Aber das Schiff war da, es war nur nicht sichtbar. Deutlich spürte Jason die Schwerkraft, die davon ausging. Wo sind wir? stellte Mira Goldsteen die lautlose Frage, und ihr Blick brannte sich in dem seinen fest. Stechend der Ausdruck ihrer Augen, so völlig anders als gewohnt. Jason erschrak, als er die Veränderung erkannte, die mit der Frau vor sich ging. Ihre Güte und Ausgeglichenheit hatte sie verloren, sie schien jetzt eher gereizt und aggressiv. Was sollte er erwidern? Ihr und den anderen, die ihn ebenfalls anstarrten? Dort, er streckte die Rechte in Flugrichtung aus, ist die SOL. Wir sind ihr schon nahe. Die meisten gaben sich damit zufrieden, einige jedoch, unter ihnen Mira Goldsteen, bedrängten ihn. Glaubt mir …. begann er, wurde aber sofort unterbrochen. Mira umklammerte seine Handgelenke. Ehe er recht begriff, was geschah, stand ein anderer hinter den Kontrollen und begann wahllos zu schalten. Die unverhofft einsetzende künstliche Schwerkraft machte es Jason unmöglich, sich der Angreifer zu erwehren. Zu überraschend kam alles für ihn. Und niemand traf Anstalten, ihm beizustehen. Daran, daß Ploohnei wieder in sein Blickfeld geriet, erkannte er, daß die Plattform nahezu im rechten Winkel aus dem bisherigen Kurs ausscherte. Jason McPhillis fröstelte. Und diese Empfindung blieb, als hätte ihn soeben etwas Unsichtbares gestreift. Verwirrt blickte er um sich. Auch die anderen schienen es gespürt zu haben. Jedenfalls hielten sie inne. Was war das? Ich weiß nicht … Aber – es ist noch da. Joke Endres vollführte eine umfassende Geste. Als er dann seine Hände ansah, zitterte er leicht.
McPhillis hätte schreien können. In seinem Schädel tobte es wie mit glühenden Nadeln, vorübergehend drohten ihm die Sinne zu schwinden. Doch er nahm alle Kraft zusammen und schüttelte zwei der Angreifer von sich ab. Im nächsten Moment erstarrte er. Die SOL war verschwunden – er fühlte ihre Gegenwart nicht mehr. Auch die fernen Galaxien verschwammen vor seinen Augen, schienen sich hinter wehenden Nebelschleiern zu verbergen, wenn es etwas wie Nebel hier gab. In diesen Minuten begann der Buhrlo zu bedauern, daß man keine Ortungsgeräte mitführte. Innerhalb kürzester Zeit verlor er jegliche Orientierung und begann, wutentbrannt auf die Instrumente einzuschlagen. Erst nach einer ganzen Weile hielt er inne, sich selbst nicht mehr verstehend. Was hatte er getan? Waren dies Anzeichen eines beginnenden Raumkollers? Eine seltsame Schwäche durchpulste ihn. Fast schien es, als greife etwas völlig Fremdes, Undefinierbares nach ihm. In Jasons Gedanken explodierte ein greller Blitz. Verzweifelt wollte er noch die Hand ausstrecken, um mehrere Schaltungen vorzunehmen, aber er schaffte es nicht. Langsam sank er in die Knie.
* »Sie können nicht weit sein.« Atlan selbst bediente die Ortungen der SK-12, einer der beiden Korvetten, die Hayes ausgeschleust hatte. Bjo Breiskoll stand hinter ihm und nickte zustimmend, während Bora St. Felix den Kopf schüttelte. »Ich weiß nicht«, gab sie zu bedenken. »Wenn dieser McPhillis mit Höchstwerten beschleunigt …«
»Du machst dir unnötig Sorgen«, erwiderte Breiskoll. »Selbst Distanzen von einigen Lichtwochen sind für unsere Hyperortung unbedeutend. Wir finden sie, falls sie sich nicht in Luft aufgelöst haben.« Er zögerte, grinste dann. »Nicht gerade treffend der Vergleich …« Noch stand die SOL gleich einer übergroßen Hantel auf den Schirmen – ein Meisterwerk menschlichen Erfindungsgeists, doch nicht viel mehr als ein winziges Staubkorn inmitten der kosmischen Unendlichkeit. Aber dieses Staubkorn war gleichzeitig die Heimat von nahezu einhunderttausend Menschen, bot ihnen Schutz und Lebensraum und war für sie ein Symbol, das an die Vergangenheit erinnerte und zugleich von der Zukunft träumen ließ. Innerhalb weniger Minuten waren die Koordinaten erreicht, die Bora St. Felix genannt hatte. Schon zuvor hatte Atlan zwei Reflexe auf den Ortungsschirmen, die mit hohen Beschleunigungswerten von ihnen wegstrebten. »Das müssen sie sein«, rief die Buhrlo-Frau erleichtert aus. »Kein Zweifel, sie entfernen sich in die entgegengesetzte Richtung.« »Sprachst du nicht von drei Plattformen?« wollte Atlan wissen. Bora nickte. »Kann sein, daß eine den Kurs gewechselt hat.« »Möglich«, meinte Atlan nur, bevor er Verbindung zur SK-13 aufnahm. In aufeinander abgestimmten Manövern leiteten sie den Zielanflug ein. Gebannt hingen Bora St. Felix' Augen an den Bildschirmen, auf denen ein winziger Punkt rasch größer wurde. »Jedenfalls kommen wir noch rechtzeitig«, stellte sie erleichtert fest. »Deine Freunde scheinen trotzdem nicht davon erbaut zu sein«, bemerkte Breiskoll. »Sie versuchen zu fliehen.« Die Plattform, der sie sich mittlerweile bis auf wenige hundert Meter genähert hatten, zog in einer weiten Kurve herum. Bora war verblüfft.
»Das verstehe ich nicht. Inzwischen sollten sie ihren Irrtum eingesehen haben.« »Vielleicht halten sie uns für Abgesandte der Spiegel-SOL.« Atlans Tonfall war nicht zu entnehmen, ob er es ernst meinte. »Alles, was ich erfassen kann, sind verworrene Gedankenfetzen«, sagte Breiskoll. »Die Buhrlos müssen mit den Nerven am Ende sein …« »Holt sie endlich an Bord!« verlangte Bora. Zum Greifen nahe schien die Plattform. Für die leistungsstarken Optiken war es kein Problem, selbst die Gesichter der Gläsernen abzubilden. »Da«, machte der Katzer aufgeregt. »Seht sie euch an. Wie Puppen wirken sie, ohne eigenen Willen. Genauso sind ihre Gedanken.« »Wir holen sie mit dem Zugstrahl an Bord«, entschied Atlan. Im gleichen Moment gellte die Stimme des Kommandanten durch die Zentrale: »Sie versuchen, uns zu rammen.« Abermals schwang die Plattform herum. Diesmal jedoch raste sie mit flammenden Triebwerksdüsen direkt auf die Korvette zu. »Nein!« schrie Bora auf. »Sind die übergeschnappt?« Für einige bedrückende Sekunden sah es so aus, als wäre der Zusammenprall unvermeidlich, dann verschwand die Plattform von den Schirmen. »Wir haben sie in der unteren Polschleuse. Ich gebe Anweisung, die Buhrlos sofort heraufzubringen.« Atlan nickte zustimmend. »Erfolgsmeldung an die SK-13«, verlangte er. »Wir machen uns auf die Suche nach der dritten Gruppe.« Noch blieben die Ortungen stumm. Dem Arkoniden stand indes nicht viel Zeit zur Verfügung, denn schon kurz darauf erschienen die Buhrlos in Begleitung mehrerer Besatzungsmitglieder und Arbeitsroboter. Die Gläsernen machten einen verwirrten Eindruck. Als sie Bora
bemerkten, straffte sich ihre Haltung unwillkürlich, war nicht mehr gleichgültig zu nennen, sondern beinahe schon feindselig. »Was habe ich euch getan?« fauchte die Frau. »Sagt schon! Ihr solltet mir dankbar sein.« »Dir? Weshalb?« Bora kannte den Sprecher, einen Buhrlo mittleren Alters. »Colm«, sagte sie, »ich dachte, du würdest lieber auf die SZ-1 zurückkehren, als an Sauerstoffmangel und Unterkühlung zu sterben.« »Zurückkehren, ja, aber keiner von uns will auf das Geisterschiff.« Breiskoll warf Atlan einen bedeutungsvollen Blick zu. Der Arkonide verstand, daß die Buhrlos offensichtlich noch immer davon überzeugt waren, es mit der falschen SOL zu tun zu haben. »Sie sind völlig durcheinander«, bemerkte Bjo schließlich so leise, daß niemand sonst es hören konnte. »Irgend etwas muß geschehen sein, was wie ein Schock auf sie wirkte.« »Kannst du Näheres herausfinden?« »Ich fürchte, nein, Atlan. Die Buhrlos bedürfen medizinischer Betreuung, dann erst können wir weitersehen.« »Wenn sie wirklich unter Schockeinwirkung stehen, wodurch wurde dieser ausgelöst?« Bjo Breiskoll zuckte mit den Achseln. »Dazu, fürchte ich, fehlen uns die genauen Kenntnisse der buhrloschen Psyche. Mag sein, daß viele von ihnen ganz einfach überfordert waren.« Atlan wollte zu einer Erwiderung ansetzen, wurde aber vom Kommandanten unterbrochen. Male Lidwojans Erregung war unverkennbar. »Die Funkverbindung zur SK-13 ist soeben abgerissen. In dem Moment, als sie ihre Buhrlos einschleusten.« An einen bloßen Zufall mochte Atlan nicht glauben – nicht nachdem seine Vorahnungen im Lauf der letzten Stunden immer bedrückender geworden waren. Zudem war die Entfernung der
beiden Korvetten zueinander geradezu lächerlich gering, und sowohl Energie als auch Massetaster zeigten den Standort der SK-13 unverändert. »Nichts«, schimpfte Lidwojan. »Sie reagieren in keiner Weise auf unsere Anrufe.« »Versuch's trotzdem weiter«, empfahl Atlan. »Auf irgendeiner Frequenz müssen sie uns hören.« Bjo Breiskoll stöhnte verhalten auf. Der Arkonide sprang gerade noch rechtzeitig hinzu, um ihn vor einem Sturz zu bewahren. Bleich war plötzlich das Gesicht des Katzers und von kaltem Schweiß bedeckt; Breiskoll zitterte, über seine Lippen drang Unverständliches. »Atlan«, rief Lidwojan dazwischen. »Die SK-13 – sie verschwindet …« Wie versteinert wirkten die Buhrlos, unfähig, sich zu bewegen. Auch Atlan verspürte eine seltsame Lähmung, die aber nicht länger anhielt als wenige Sekunden. Zurück blieb ein Gefühl der Leere. Alarm gellte durch das Schiff. Die Vibrationen brachten den Arkoniden vollends wieder zu sich. Entgeistert starrte er die leeren Schirme der Ortungen an. »Was ist geschehen?« Bora St. Felix' Blick wanderte unstet von einem Buhrlo zum anderen. »Ich weiß es nicht«, erwiderte Atlan zögernd. »Es sieht vielmehr so aus, als seien wir in ein Strahlungsfeld hineingeraten.« Der Alarm verstummte jäh, weil Lidwojan die entsprechenden Schaltungen vornahm. »Gefechtsbereitschaft bleibt bestehen«, hallte seine Stimme durch die Zentrale. »Noch haben wir keine Ahnung, was vorgefallen ist.« »Hätte man uns nicht von der SOL aus warnen müssen?« wollte Bora wissen. »Sicher«, nickte Breiskoll, und in seinen Augen blitzte es kurz auf. »Und weshalb hat man es nicht?« drang die Frau weiter in ihn. Atlan vollführte eine unwillige Handbewegung, er ließ sich in
seinem Sessel vor den Kontrollen herumschwingen und musterte sie eindringlich. »Ganz einfach deshalb«, sagte er, »weil die SOL ebenfalls verschwunden ist.« Bora schien nicht sofort zu begreifen, wohingegen der Katzer zustimmend nickte und Male Lidwojan die Arme ausbreitete, als wolle er sich für etwas entschuldigen. »Aber … aber wir haben uns kaum von der SOL entfernt«, stammelte die Buhrlo-Frau. »Und weder Breckcrown Hayes noch die Stabsspezialisten haben einen ausreichenden Grund dafür, uns einfach auszusetzen.« »Nein, Bora«, erwiderte Atlan. »Die SOL hat nicht beschleunigt. Mit einiger Wahrscheinlichkeit befindet sie sich nach wie vor dort, wo wir sie verlassen haben; unsere Geräte zeigen lediglich nichts mehr an.« Bjo Breiskoll schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, mit dieser Erklärung machst du es dir zu einfach. Demnach müßte ich die Anwesenheit von zigtausend denkenden Lebewesen noch wahrnehmen können. Aber da ist nichts, Atlan, verstehst du, ich kann telepathisch nicht das geringste feststellen. Lediglich die Besatzung unserer Korvette spüre ich.« »Und wenn etwas von außerhalb des Schiffes sämtliche Wahrnehmungsfähigkeiten lahmlegt?« »Um das festzustellen, müssen wir den Schlamassel erst einmal hinter uns haben.« Angespannt hatte der Kommandant die kurze Unterhaltung verfolgt, jetzt führte er rasch hintereinander etliche Schaltungen durch, in deren Folge leichte Vibrationen die Schiffszelle durchliefen. »Er beschleunigt«, rief Bora St. Felix aus. »Ist das nicht gefährlich?« »Was sollen wir sonst tun?« erwiderte Lidwojan. »Praktisch blind und taub abwarten, was geschieht? Das kann Tage dauern. Ich jedenfalls müßte verrückt sein, mich darauf einzulassen.«
Man konnte es der Buhrlo-Frau ansehen, daß seine Worte kaum zu ihrer Beruhigung beitrugen. Mit nur wenig mehr als einem Tausendstel der Lichtgeschwindigkeit kroch die Korvette dahin. Eine Orientierung war unmöglich, da selbst die Hyperortung versagte. Auch der Funkempfang blieb still, nicht einmal das für diese Region des Weltraums charakteristische Hintergrundrauschen war zu vernehmen. Die SOL meldete sich nicht, obwohl pausenlos Funksprüche die Antennen verließen. Das Gefühl, sich in einer Welt des Irrealen zu verirren, wurde schier bedrückend. Die Schwärze auf den Bildschirmen war vollkommen – ein absolutes, gähnendes Nichts, das Schiff und Mannschaft zu verschlingen drohte. Selbst die Zeit schien stillzustehen. Träge tropften die Minuten dahin, schwollen in endloser Reihe an, während die Korvette fast im freien Fall dahintrieb. Niemand sprach noch. Auch hatte man es aufgegeben, nach der Ursache zu forschen; die Beiboote der SOL waren dafür nicht ausgerüstet. »Ich werde es tun«, brach Bora St. Felix irgendwann das bedrückende Schweigen. »Was?« wollte Lidwojan Wissen. »Was wirst du tun?« Bora musterte ihn erstaunt, dann erst schien sie sich zu besinnen. »Ich gehe hinaus. Vielleicht kann ich so Feststellungen treffen, die uns anders verwehrt bleiben.« Lidwojan blickte kurz auf, aber nur, um sein Gesicht anschließend wieder in den Handflächen zu vergraben. »Vergiß dein Vorhaben«, kam es dumpf von ihm. »Es ist unnötig.« »Weshalb soll ich es nicht wenigstens versuchen?« brauste Bora auf. »Ich habe es satt, tatenlos herumzusitzen.« Atlan fiel ihr in den Arm, bevor sie einen herumliegenden Gegenstand nach dem Kommandanten schleudern konnte. Die Buhrlo-Frau funkelte ihn wütend an.
»Laß mich!« brüllte sie. »Ich will nicht immer nur von allen herumgestoßen werden.« Als sie einsehen mußte, daß ihr Aufbäumen vergebens war und sie dem Griff des Arkoniden nicht entkommen konnte, schlug sie unverhofft ihre Zähne in seinen Handrücken. Jäh stieß Atlan sie von sich. Bora taumelte, suchte noch im Fallen nach einem Halt, bekam auch tatsächlich einen Sessel zu fassen und zog sich daran in die Höhe. Und sie hätte sich wieder auf den Arkoniden gestürzt, hätten nicht zwei Männer der Zentralebesatzung sie zurückgehalten. Bora St. Felix machte ihrem aufgestauten Zorn in einer Flut von Flüchen Luft. »So habe ich sie bisher nie erlebt«, wandte Atlan sich an Bjo Breiskoll. »Was hat sie?« »Schwer zu sagen.« Der Katzer zuckte mit den Achseln. »Ihre Gedanken sind ein wirres, unverständliches Durcheinander. Nach und nach wird es uns allen so ergehen; ich fürchte, da dringt etwas von draußen auf uns ein, gegen das selbst Terkonitstahl keinen Schutz bildet.« Nur mit halbem Ohr hatte Atlan zugehört. Er wurde sich dessen bewußt, als ein plötzlicher Schmerz ihn durchzuckte und er den süßen Geschmack warmen Blutes auf der Zunge spürte. Warum beißt du dir auf die Unterlippe? fragte der Extrasinn zynisch. Warum? Atlan explodierte förmlich. Es gibt Dinge, die du niemals verstehen wirst. Ein leises Gelächter antwortete ihm. Du bist gereizt … In deinem Alter sollte man beherrschter sein und ruhiger. Atlan antwortete mit einer Verwünschung. Ergeht es mir schon wie Bora? dachte er entsetzt. Verdammt, ein paar Stunden ohne jeglichen Kontakt zur Umwelt sollten mich eigentlich vollkommen unberührt lassen. Hatte Bjo am Ende gar nicht so unrecht mit seiner Vermutung? Was lauerte außerhalb des Schiffes?
Blicklos starrte Bora vor sich hin. Sie schien jetzt apathisch und wirkte kaum anders als die Buhrlos, die man vor Stunden an Bord genommen hatte. Die Korvette beschleunigte weiter. Inzwischen hatte sie nahezu die Geschwindigkeit erreicht, die für einen Übertritt in den Linearraum erforderlich war. Male Lidwojan überließ es dem Bordrechner, sämtliche Vorgänge einzuleiten. Von starken Störgeräuschen überlagert, tönte unverhofft eine Stimme durch die Zentrale: »… rufe die SK … dringend um Ant … sonsten Suchkommando …« Als der Empfang kreischend wieder abbrach, hätte man eine Nadel fallen hören können. Was gewesen war, schüttelte jeder ab wie einen bösen Traum und vergaß das Zögern, das eben noch in seinen Gliedern steckte. Kommandos wurden gegeben und prompt ausgeführt. Hektik erfüllte die Zentrale. »… haben sie aus … Ortungen verloren …« »Das ist die SOL«, rief Lidwojan. »Sie können nicht allzuweit entfernt sein.« Hastig zog er sein Mikrophon zu sich heran und begann zu sprechen: »SK-12 ruft die SOL – SOL, bitte melden!« Nichts … Lidwojan wiederholte den Satz. Ein heiseres, unverständliches Krächzen antwortete ihm. »Erbitte Positionsdaten, falls ihr uns einpeilen könnt.« »… nicht möglich. Entfernungsangaben, beruhend auf …« »Wieso haben wir plötzlich wieder Funkempfang?« fragte Bora St. Felix erstaunt. Breiskoll versuchte, es ihr zu erklären. »Falls ein energetisches Feld uns einhüllt, läßt womöglich dessen Intensität allmählich nach; falls wir aber in eine Instabilität des Raum-Zeit-Gefüges eingeflogen sind, nähern wir uns vielleicht deren Grenze.« »Darunter kann ich mir nichts vorstellen«, gestand die Frau. »Ich
…« »Es ist die SK-13, nicht die SOL«, berichtigte Lidwojan. »Der Funkpeilung nach befindet sie sich in allernächster Nähe. Was sagen die Ortungen, Atlan?« Der Arkonide schüttelte den Kopf. »Entfernung?« »Ungenau. Zwei Lichtsekunden, kaum mehr.« Atlan pfiff leise durch die Zähne. Unter den gegebenen Umständen und bei der augenblicklichen Geschwindigkeit mußte diese Distanz als durchaus kritisch angesehen werden. »Immer noch nichts?« »Nein.« Erregt fuhr Lidwojan sich mit der Rechten durch sein schütteres Haar. »Verdammt, wo mögen sie stecken?« Niemand wußte es. Knisternd flammte eine Reihe von Anzeigen auf. Sekundenbruchteile nur währte das Aufblitzen auf den Schirmen. »Ortung?« schrie der Kommandant heiser. »Wo?« »Der Reflex war viel zu kurz …« »Dann müssen sie näher sein als befürchtet.« Male Lidwojan gab erneut Alarm, die einzelnen Sektionen des Schiffes wurden hermetisch abgeriegelt. Im Fall eines plötzlichen Druckverlusts, infolge einer Kollision zum Beispiel, boten sich so die größtmöglichen Überlebenschancen. Zudem hatte jedes Besatzungsmitglied schon vor einiger Zeit seinen Raumanzug angelegt. Jetzt wurden auch die Helme geschlossen. Pling … Da war es wieder – länger anhaltend diesmal. Die Massetaster zeigten vollkommen irrsinnige Werte an, die SK-13 schien trotzdem knapp zweitausend Kilometer schräg voraus zu stehen. Ihre Geschwindigkeit mochte geringer sein.
»Ausweichmanöver!« Die Hälfte aller Ringwulsttriebwerke zündete, riß die Korvette in einer engen Kurve herum. Wieder sprach der Funkempfang an: »… haben euch auf den Schirmen … beschleunigen parallel zu …« Die überlagernden Störungen wurden merklich weniger. Zwei Minuten später war alles wieder normal. Atlan benötigte lediglich einige Augenblicke, um die SOL mittels Hyperortung aufzufinden. Das Schiff hatte seinen Standort nicht verändert. Dafür standen die Korvetten etwa eineinhalb Lichtstunden entfernt. Gemeinsam wurde der Rücksturz eingeleitet, der beide Beiboote in einer weiten Parabel um die vermeintliche Störzone herumführen sollte. Nicht nur Atlan nutzte die Dauer des Fluges für intensive Messungen. Das Ergebnis war gleich Null. »Haben wir geträumt?« fragte Bjo Breiskoll leise. »Da muß doch etwas sein.« Die dritte Gruppe der Weltraumgeborenen war und blieb spurlos verschwunden. »Worauf wollen wir warten?« drängte Bora St. Felix. »Die Zeit, die uns zu ihrer Rettung bleibt, ist ohnehin viel zu knapp bemessen.« »Wo willst du suchen?« fragte Breckcrown Hayes hart. »Wir haben kaum eine Möglichkeit, sie rechtzeitig zu finden.« »Breck hat recht«, pflichtete Breiskoll bei und unterband damit die überaus heftige Reaktion, die Bora schon auf der Zunge hatte. Verzweifelt blickte die Buhrlo-Frau von einem zum anderen. Schließlich wandte sie sich an Atlan: »Was ist dort draußen? Haben wir eine Chance, dieses … dieses Nichts zu durchdringen? McPhillis glaubte jedenfalls, in jener Richtung die SOL zu finden.« »Es tut mir leid, Bora«, erwiderte der Arkonide, »ich kann dir im Augenblick nicht mehr sagen, als jeder von uns ohnehin schon weiß.« Soeben betraten auch die beiden Korvetten-Kommandanten die
Zentrale im Mittelteil der SOL. Sie hatten rund fünf Minuten länger gebraucht als Atlan, Breiskoll und Bora St. Felix, um Hayes' Bitte zu einer kurzen Lagebesprechung nachzukommen. »Sämtliche Speicherdaten der Bordpositroniken, die den Flug betreffen, wurden an SENECA überspielt«, eröffnete Male Lidwojan. »Gut«, nickte der High Sideryt und wies beiden mit einer flüchtigen Handbewegung Sitzplätze zu. »Nichts anderes habe ich erwartet. Inzwischen waren wir auch nicht ganz untätig – seit wir euch aus den Ortungen verloren haben, versuchen Spezialisten und Wissenschaftler, eine plausible Erklärung für dieses Phänomen zu finden.« »Und«, machte Bora, »herausgekommen ist nichts dabei?« »Wie man es nimmt. Die Vermutungen gehen dahin, daß wir es mit einer intergalaktischen oder hyperphysikalischen Erscheinung zu tun haben. Noch wissen wir leider nichts über die Ausdehnung des davon betroffenen Gebiets und vor allem, welche Auswirkungen bei einem längeren Aufenthalt in dessen Nähe zu erwarten sind.« »Das heißt mit anderen Worten, daß die Schiffsführung zumindest mit dem Gedanken an einen Rückzug spielt.« Hayes zuckte merklich zusammen. Boras bissig hingeworfene Bemerkung hatte ihn tief getroffen. Trotzdem unternahm er den Versuch einer Rechtfertigung. »Gerade weil unsere Ortungen versagen, müssen wir mit unbekannten Gefahren rechnen. Und wir dürfen die Relation nicht aus den Augen verlieren …« »Ja«, keuchte Bora, »ein Menschenleben gegen das von zehntausend. Wie konnte ich nur so vermessen sein und annehmen, die Verhältnisse an Bord hätten sich geändert! Alles ist, wie es immer war. Wen bekümmert das Schicksal der Buhrlos, nun, da nicht einmal mehr E-kick benötigt wird!« Bjo Breiskoll versuchte, sie zu beruhigen. »Du tust Breckcrown
unrecht.« »Ach was …« »Vielleicht läßt du mich auch etwas sagen«, bemerkte der High Sideryt sarkastisch. »Ich verstehe, daß du aufgeregt bist und durcheinander, aber niemand hat behauptet, daß ich die Suche aufgeben will. Im Gegenteil, die verschwundenen Buhrlos müssen gefunden werden. Allerdings dürfte es sinnlos sein, Beiboote auszuschleusen, weil wir dann tatsächlich mit einer hohen Verlustquote zu rechnen hätten. Einzig der Einsatz der SOL verspricht gewisse Erfolgsaussichten.«
* Jason McPhillis konnte nichts sehen. Um ihn her war Schwärze, undurchdringliche Finsternis, die jeden Lichtschimmer vermissen ließ. Der Buhrlo versuchte sich zu bewegen. Es fiel schwer, auch nur einen Arm zu heben, um sich an der Konsole abzustützen. Zeitlupenhaft langsam kam er auf die Beine, und es verging scheinbar eine Ewigkeit, bis er endlich einen sicheren Stand fand. Da war etwas … weit voraus. Er spürte, daß es näher kam. Die SOL? Gleichzeitig überlagerte eine fremdartige Ausstrahlung McPhillis' Empfindungen. Er schauderte. Joke Endres machte ihm Zeichen. Zweimal mußte er hinsehen, um zu erkennen, daß der Buhrlo zwei Finger der rechten Hand erhoben hatte. Gefahr!
4.
Eine vage Spur existierte, ein Anhaltspunkt lediglich, der auf Boras Angaben beruhte. Wenn McPhillis den einmal eingeschlagenen Kurs nicht zu einem späteren Zeitpunkt nennenswert geändert hatte, würde man der Plattform über kurz oder lang nahe kommen. Die von den Korvetten geretteten Buhrlos zu befragen war so gut wie sinnlos. Selbst jetzt noch waren sie überzeugt davon, der »richtigen SOL« gefolgt zu sein. Nur zögernd erkannten sie die Tatsachen an. Zwischen Atlan und Breckcrown Hayes bestand durchaus Einigkeit, was die Fortsetzung des Fluges anbetraf. Man würde nicht aufgeben, bevor man Gewißheit über das Schicksal der verschwundenen Buhrlos erlangt hatte. Jeder wußte, es würde ein Wettlauf mit der Zeit werden, den zu gewinnen nahezu unmöglich war. Trotzdem beschleunigte die SOL nur mit Minimalwerten. Die Ortungen zeigten nichts an; auch optisch war in dem von den Korvetten durchquerten Gebiet nichts auszumachen. »Wenn da etwas ist«, stellte der High Sideryt fest, »kann es sich nur um eine uns unbekannte Strahlungsart handeln.« »… oder um jemanden, der es perfekt versteht, sich zu verbergen. SENECA hat diese Möglichkeit keineswegs ausgeschlossen.« »Weil die zur Verfügung stehenden Daten viel zu dürftig sind. Keine noch so leistungsstarke Positronik kann daraus Tatsachen ableiten, Freund Atlan.« Zweifellos waren die Worte als Spitze gemeint. Der Arkonide ging jedoch mit keiner Silbe darauf ein, sondern nickte nur flüchtig. Breckcrown Hayes hatte die geretteten Buhrlos zur Beobachtung in mehrere Medostationen eingewiesen. »Haben die Untersuchungen inzwischen zu einem greifbaren Ergebnis geführt?« wollte Bora St. Felix wissen. Der High Sideryt winkte ab. »Körperlich sind sie völlig in Ordnung, der ausgedehnt lange Vakuumaufenthalt scheint ihnen nicht geschadet zu haben.
Außerdem ist es schwer für unsere Ärzte und Roboter, in aller Kürze zu einem Befund zu gelangen – keiner weiß, wonach er zu suchen hat.« »Möglich, daß sie bald erste Feststellungen treffen können«, sagte Bora leichthin, doch der gespannte Klang ihrer Stimme strafte diese Lässigkeit Lügen. Hayes starrte sie aus zusammengekniffenen Augen an. »Was weißt du?« »Nichts«, erwiderte Bora. Fast schien es, als bereue sie schon, überhaupt etwas gesagt zu haben. Die Züge des High Sideryt verhärteten sich. Gerade jetzt verstand er die Buhrlo-Frau nicht. Wenn jemand ein besonderes Interesse an einer raschen Aufklärung haben mußte, dann vor allen anderen sie. »Du fühlst es wieder?« fragte Bjo Breiskoll überraschend. »Es ist stärker als beim erstenmal?« Bora St. Felix nickte. Zwischen ihr und dem Katzer schien ein stummes Einverständnis zu bestehen. Atlan schwieg dazu. Er wußte, daß Bjo eine Erklärung abgeben würde, sobald dieser es für angebracht hielt. Kalter Schweiß stand auf Boras Stirn, ihre Mundwinkel zuckten nervös. Fahrig wischte sie sich mit dem Handrücken übers Gesicht. »Wir haben die Koordinaten erreicht, an denen die Korvetten verschwanden«, erklang SENECAS wohltönende Stimme. Nichts geschah … Unbewußt harrte wohl jeder der in der Zentrale Anwesenden eines besonderen Ereignisses. Vorlan und Uster Brick tuschelten miteinander; das von den SOL-Würmern entstellte Antlitz Breckcrown Hayes' starrte unbewegt auf die Bildschirme. Bora stöhnte leise. Sie taumelte, mußte sich festhalten, um nicht zu stürzen. Hilfreich griff Breiskoll ihr unter die Arme, redete beschwörend auf sie ein und half ihr in einen der leerstehenden Sessel. Die ersten fernen Sternensysteme verschwanden, ihr Licht fand
den Weg nicht mehr zur SOL. In Flugrichtung gähnte ein finsteres Loch, das sich rasch zu den Seiten hin ausdehnte. Innerhalb weniger Sekunden stand nur noch All-Mohandot auf den Bildschirmen, und dann verschwand auch diese Galaxis. »Wir sind mittendrin«, sagte Hayes, »und praktisch blind und taub. SENECA, ist eine halbwegs zuverlässige Navigation möglich?« »Ja«, antwortete die Hyperinpotronik sofort. »Noch sind nicht sämtliche Radioquellen im Umkreis mehrerer Galaxien ausgeschaltet. Ihre Impulse sind zwar schwach, jedoch als Funkfeuer ausreichend.« »Ist eine rechnerische Bestimmung der uns umgebenden Störzone möglich?« »Aufgrund der von den Korvetten übermittelten Daten, der kontinuierlichen Abschwächung des Lichteinfalls und weiterer Faktoren ergibt sich als Schlußfolgerung ein unregelmäßiges Gebilde von mehreren Lichtwochen Durchmesser.« »Und die Richtung, in der die vermißten Buhrlos verschwunden sind?« »Unser Kurs deckt sich mit den Angaben von Bora.« »Danke«, nickte der High Sideryt. Um seine Mundwinkel hatten sich tiefe Furchen eingegraben. Immer wieder wanderte sein Blick zu den Chronometern, deren Anzeigen sich viel zu schnell veränderten. Die Zeit verrann ihnen zwischen den Fingern. Die Buhrlos können nicht mehr leben, flüsterte Atlans Extrasinn. Der Arkonide schwitzte ebenfalls. In winzigen Perlen rann ihm der Schweiß übers Gesicht, schmeckte bitter und salzig auf den Lippen und brannte wie Feuer in den Augenwinkeln. Die Folge war ein deutliches Unbehagen, das sich in zunehmender Aggressionsbereitschaft äußerte. Hie und da fielen bereits laute Worte, begannen Männer und Frauen sich aus nichtigen Anlässen heraus anzuschreien. »Ruhe!« verlangte der High Sideryt. »Benehmt euch gefälligst wie
normale Solaner.« Es ist eine innere Hitze, gegen die schwer anzukämpfen ist, stellte der Logiksektor fest. Die belebenden Impulse des Zellaktivators ließen die beginnende Schwäche von Atlan abfallen. Bora St. Felix war in sich zusammengesunken. Es sah aus, als wolle ihr Körper sich auf Vakuumbedingungen umstellen, ein Vorgang, der willentlich keinesfalls zu beeinflussen war. Ein beginnender Tumult zwang Atlan jedoch, von ihr abzulassen. Ein Mann war zusammengebrochen, wälzte sich schreiend und um sich schlagend am Boden, während andere ihn erfolglos zu besänftigen versuchten. »Nicht.« Breiskoll hielt den Arkoniden zurück. Auch er zitterte leicht. »Es ist Lidwojan …« »Und wieso …?« »Ihn und einige der anderen, die mit uns an Bord der SK-12 waren, hat es am schlimmsten getroffen.« Atlan zuckte zusammen. »Hoffentlich ist es nicht schon zu spät.« Breiskoll reagierte auf den versteckten Vorwurf mit einer abwehrenden Bewegung. »Was hätte ich tun sollen?« Atlan hastete zum Hauptschaltpult hinüber, das der High Sideryt verlassen hatte, um Lidwojan zu helfen. Mit fliegenden Fingern aktivierte er sämtliche Defensivschirme. »Was soll das?« brüllte Hayes und warf sich herum. Er wollte Atlan in die Arme fallen, aber der Arkonide verstand es, ihn auf Distanz zu halten. »So«, sagte er schließlich, »jetzt können wir uns in aller Ruhe unterhalten.« »Da gibt es nichts zu reden«, erwiderte Hayes unbeherrscht. »Niemand hat befohlen, den Paratronschirm zuzuschalten.« »Willst du, daß deine gesamte Besatzung durchdreht?« entgegnete Atlan leise. »Ich …« Der High Sideryt hob den Arm zum Schlag, verhielt für
einen kurzen Augenblick unschlüssig und ließ dann die Faust sinken. Gleichzeitig trat ein Ausdruck der Verblüffung in seine Augen. »Meine Güte«, ächzte er, während Atlan ihm bereits Platz machte, und ließ sich schwer in seinen Sessel fallen. »Was geht hier vor?« »Es muß eine uns unbekannte Strahlung sein, die Auswirkungen auf die menschliche Psyche zeigt«, stellte Bjo Breiskoll fest. »Ich nehme an, daß die Buhrlos besonders empfindsam darauf reagieren. Auch wir bleiben nicht verschont. Vor allem trifft es jene, die ihr schon einmal ausgesetzt waren.« »Ich verstehe«, nickte Hayes zögernd. »Deshalb also der Paratronschirm. Mir scheint, die Situation hat sich schlagartig geändert.« »Nur leicht gebessert«, widersprach der Katzer. »Aber ohne Pessimismus predigen zu wollen – im Grunde ist nichts anders geworden.« Wie recht er damit hatte, bestätigte sich schon wenig später. Brooklyn, die Kommandantin der SZ-2, meldete sich über Interkom. »Was ist eigentlich los?« rief sie, kaum daß die Verbindung stand. »Soeben haben drei Piloten versucht, mit Space-Jets zu starten. Wenn nicht die Sicherheitsvorkehrungen angesprochen hätten, wäre es zu einer Katastrophe gekommen.« Ein schlagartiger Druckabfall als Folge hätte unweigerlich Verluste an Menschenleben bedeutet. Breckcrown Hayes' Stimme klang besorgt, als er sich danach erkundigte. »Nur Materialschäden«, fauchte Brooklyn. »Eine Jet rammte das Außenschott. Den Piloten konnten wir verletzt bergen – er wird es überstehen.« »Ich fürchte, daß es bald noch schlimmer werden könnte«, warf der Katzer ein. »Viele Solaner empfinden Angst.« »Patsch-uuh!« rief Insider. »Wir sollten von hier verschwinden!« Jeder, der seine lautstark vorgetragene Forderung vernommen hatte, verstummte.
»Ja«, stimmte jemand ein. »Der Extra hat es erfaßt. Wir können keinem einzigen Buhrlo mehr helfen. Laßt uns den Kurs ändern, bevor es zu spät ist.« »Berka«, entgegnete Hayes scharf, »das ist Meuterei! Ein Wort noch, und ich lasse dich abführen.« »Willst du uns zwingen, diesen Wahnsinn länger mitzumachen?« Wild gestikulierte der Mann mit den Händen. Der High Sideryt stemmte die Fäuste in die Hüften. »Was du als Wahnsinn bezeichnest«, sagte er, »nenne ich eine zwingende Notwendigkeit. Jeder, für den es eine Überlebenschance gibt, und sei diese verschwindend gering, darf auf uns hoffen.« »Auch wenn dabei das Leben hunderttausend anderer aufs Spiel gesetzt wird?« »Auch dann«, nickte Breckcrown Hayes. »Sehr richtig«, stimmte Vorlan Brick zu. »Jeder, der vernünftig denken kann, wird mit dir einer Meinung sein.« »Das ist doch ausgemachter Irrsinn«, protestierte Berka. »Ich sehe bei dem allen keinerlei Relation, und ich verlange, daß die Besatzung abstimmt. Wir haben Angst, ja verdammt, ich schäme mich nicht, es zuzugeben, und wir wollen zurück.« »Solange ich High Sideryt bin«, donnerte Hayes, »läßt niemand mehr einen anderen im Stich. Merkt euch das.« Plötzlich hielt er einen Schocker in der Rechten und fuhr in drohendem Tonfall fort: »Ich werde nicht zögern, jeden Aufrührer zu paralysieren.« »Hayes«, zischte Berka, »du führst uns alle ins Verderben!« Zögernd wich er zurück. »Das ist deine Meinung. Meine ist, daß ich mich nicht von Verrückten wie dir beeinflussen lasse.« Allmählich löste sich die Gruppe auf, die sich um Berka gebildet hatte. Nur wenige schienen weiterhin seine Meinung zu teilen. »Die überwiegende Mehrheit stimmt dir zu«, flüsterte Breiskoll, an den High Sideryt gewandt. »Sie scheinen immun gegen die Strahlungseinflüsse oder bringen zumindest den Willen dazu auf,
damit fertig zu werden.« Die SOL drang tiefer in die »tote Zone« ein. Es war, als fliege man durch die ewige Nacht der Verdammnis. Mancher Extra, der einem Volk entstammte, in dessen Seele der Aberglaube tief verwurzelt war, rollte sich wimmernd in einer Ecke seiner Kabine zusammen, um von den Vorgängen weder etwas zu sehen noch zu hören. Die letzte wahrnehmbare Radiostrahlung erlosch. Damit war man scheinbar vollkommen vom normalen Universum abgeriegelt – ohne die Ursache zu kennen. Während der vergangenen halben Stunde war es wiederholt zu Unruhen gekommen. Die Beweggründe der Rädelsführer waren meist Furcht und Panik. Das Personal der Medostationen nahm sich ihrer an. Gegenwärtig herrschte relative Ruhe an Bord. Doch jederzeit konnte diese ins Gegenteil umschlagen. Breckcrown Hayes hatte einen kurzen Linearflug gewagt, in dessen Verlauf aber nichts anders geworden war. Die insgesamt zurückgelegte Strecke betrug nun etwas mehr als vier Lichtstunden. »Viel weiter können die Buhrlos mit ihrer Plattform nicht gekommen sein«, bemerkte Curie van Herling. »Ich frage mich, wie wir sie aufspüren sollen. Es ist, als würde man mit einem Prismenglas versuchen, von All-Mohandot nach Ploohnei zu blicken.« Ein Interkomschirm flammte auf und zeigte das bärtige Gesicht eines alten, gebeugt gehenden Mannes. Er trug den weißen, sterilen Kittel des OP-Personals. »Dr. Sanders«, stellte er sich kurz vor. »Station 2, Mittelschiff. Ich muß sofort mit Hayes sprechen.« »Ja?« Breckcrown schwang mitsamt seinem Sessel herum und aktivierte die Optik. »Doktor?« »Wir haben Schwierigkeiten mit einigen Patienten. Nachdem es anfangs so aussah, als würden sie sich beruhigen, ist es nunmehr zu schweren Rückfällen gekommen.« Ein lautes Klirren, von heiseren Schreien begleitet, veranlaßte den Arzt, sich umzuwenden. Zu sehen
war nichts, weil er dabei das Aufnahmeobjektiv fast völlig verdeckte. »Dr. Sanders«, rief Hayes. »Was ist los bei euch?« Das Gesicht des Arztes wirkte verkniffen, als er wieder auf dem Bildschirm erschien. »Zwei Buhrlos haben versucht, sich den Weg freizuschlagen. Selbst die Roboter hatten Schwierigkeiten mit ihnen.« Der High Sideryt wollte etwas erwidern, doch Bjo Breiskoll fiel ihm ins Wort. »Seit wann kommt es zu diesen – äh – Ausschreitungen?« »Seit etwa zehn Minuten, denke ich.« »Sag schon«, drängte Bora St. Felix. »Worauf willst du hinaus?« »Das muß der Zeitpunkt gewesen sein, an dem die letzte Radiostrahlung erlosch.« »Du meinst, es besteht ein Zusammenhang …« »Die Strahlungsintensität könnte zugenommen haben.« »Vielleicht«, warf Dr. Sanders ein, der dem Gespräch mit wachsendem Interesse gefolgt war, »sind unsere Patienten gar nicht so verrückt, wie es den Anschein hat. Sie behaupten, wir seien das Geisterschiff.« Breckcrown Hayes lachte hell auf. »Fühlst du dich wie ein Geist?« »Das nicht«, wehrte der Arzt ab. »Aber gibt es nicht auch durchaus materielle Erscheinungen?« »Ich lege Wert darauf, mich als real zu bezeichnen und nicht lediglich als Erscheinung. Sonst noch was?« »Wissen wir, wo wir uns befinden?« »Auf halbem Weg zwischen All-Mohandot und Ploohnei, das ist allgemein bekannt.« »Das wollte ich nicht hören. – Sind wir noch ein Körper des Einstein-Universums?« Hayes nickte spontan, aber mitten in der Bewegung verhielt er. Ein Zug von Nachdenklichkeit umspielte seine Mundwinkel.
»Genausogut können wir uns inzwischen in einer übergeordneten Dimension aufhalten, in einem Paralleluniversum, einer anderen Zeit oder … Ich drücke es kraß aus, um wirklich deutlich zu machen, daß wir mit unseren Überlegungen die eingefahrenen Gleise verlassen sollten.« »Du meinst«, sagte Atlan, »die Geister-SOL existiert, womöglich sind wir uns selbst begegnet, ohne es bisher auch nur im entferntesten zu ahnen …«
* Wie ein eisernes Band legte sich die Angst um seinen Brustkorb. Krampfhaft versuchte der Buhrlo, etwas zu erkennen, aber die ihn umgebende Schwärze, bar jeglichen Lichtschimmers, gab ihr Geheimnis nicht preis. Da war etwas – möglicherweise zum Greifen nahe … Jason McPhillis fühlte eine nie gekannte Schwäche in sich aufsteigen. Er wußte, was geschah, doch er konnte nichts dagegen unternehmen. Der Tod war näher denn je zuvor, zu lange schon dauerte der Aufenthalt im All. Die obersten Zellschichten seiner Haut wurden spröde, eine Folge der zur Neige gehenden gespeicherten Sauerstoffvorräte und der fehlenden Sonneneinstrahlung. Schon erfaßte der Druckverlust die nächsttieferen Schichten. Gib es auf! signalisierte Mira Goldsteen zögernd. Wir haben verloren. Niemals! In jäh aufwallendem Zorn ballte McPhillis die Hände. Irgendwo voraus … Wild pochte das Blut in seinen Schläfen, vor seinen Augen tanzten bunte Schlieren einen wilden Reigen – Folge der übermäßigen Anspannung und des drohenden körperlichen Verfalls. Leise Stimmen flüsterten zu ihm, sagten, daß alles gut werden würde. War es schon so weit, daß der Sauerstoffmangel Halluzinationen
hervorrief? Alles in ihm sträubte sich dagegen. Er wollte nicht sterben, wollte dieses Leben nicht verlassen, an dem er so hing. McPhillis schreckte auf, weil ihm jemand ins Gesicht schlug. Es war Joke. Wenn du dich aufgibst, bedeutete er, ist es geschehen. Laß mich! Ruckartig wandte McPhillis sich um, starrte erneut hinaus in die Unendlichkeit, wohl wissend, daß er verloren hatte. Er wollte niemanden mehr sehen, am wenigsten diese vorwurfsvollen Gesichter, die eine einzige stumme Anklage waren. Wo stand die SOL? So nahe mußte sie sein, wenn er seinen Gefühlen glauben durfte. Langsam sank der Buhrlo in die Hocke, stützte die Ellbogen auf den Knien auf und barg sein Gesicht in den Händen. Niemals hätte er geglaubt, daß die Einsamkeit so bedrückend sein konnte. Doch da, war da nichts? Ein Schatten, wo es kein Licht gab, eine Bewegung inmitten der Unendlichkeit? Der Buhrlo schreckte auf. Keiner der anderen hatte etwas bemerkt. Jetzt schien eine neue Sonne aufzuflammen, tauchte die Plattform in einen grellen Schein und zeichnete harte, scharf abgegrenzte Schatten. Sie haben uns gefunden … Eine unüberschaubare Wand aus Metall schob sich heran, nur unterbrochen vom hell erleuchteten Viereck einer geöffneten Hangarschleuse. Vielleicht noch dreihundert Meter … Im nächsten Moment nur mehr zweihundert … Aber – Jason McPhillis schrak heftig zusammen – das war nicht die SOL. Überdeutlich spürte er die fremde Ausstrahlung. Dieses Schiff war länglich, gleichwohl von kaum geringeren Ausmaßen. Schon schwebte die Plattform in den Hangar ein, eingeholt von Fesselfeldern, die sie sanft absetzten. Bevor die Buhrlos ihre Verblüffung überwinden und ihre Augen sich dem fast weißen Licht anpassen konnten, glitt das Schott zu.
Der Raum war groß, quadratisch, maß mindestens fünfzig Meter Seitenlänge und zehn Meter in der Höhe. Nichts gab es, was Rückschlüsse auf die Erbauer dieses Raumschiffs zugelassen hätte – nur die blendende Helligkeit, die von überall her, selbst aus dem Boden, zu kommen schien. Die merkliche Besserung seines körperlichen Befindens führte McPhillis auf einen Druckanstieg zurück. Luft strömte ein. Ob die Atmosphäre atembar ist? wollte Slei Leighton wissen. Sie würden es schnell feststellen, denn obwohl ihr Metabolismus ein zeitlich begrenztes Überleben im Vakuum ermöglichte, konnten Giftgase für sie ebenso tödlich sein wie für jeden Solaner. Es war ein Sauerstoff-Stickstoff-Gemisch, vielleicht nicht im gewohnten Verhältnis, aber doch atembar. Unter der plötzlichen Atmosphäreneinwirkung und der Wärme zerbrach jener Teil der äußeren Hautschichten, der sich zuletzt geschlossen hatte, und die spröde, abgestorbene Haut blätterte ab. »Wer immer uns gerettet hat«, stellte Mira Goldsteen nach einer Weile der Ruhe fest, »es war praktisch in letzter Minute.« McPhillis vollführte eine umfassende Geste, die den gesamten Hangar einbezog. »Ich verstehe nicht«, sagte er, »weshalb sich niemand blicken läßt. Und vor allem, was ist mit der SOL geschehen?« Sie wußten keine Antwort darauf, und sie wollten sich nicht damit abfinden, in ihrer Bewegungsfreiheit behindert zu sein. Zwei Schotte führten ins Schiffsinnere, aber beide ließen sich nicht öffnen. »Wenn sie logisch denken, muß der Mechanismus in unmittelbarer Nähe angebracht sein«, meinte Joke Endres. »Und wer sagt uns, daß ihre Art von Logik dieselbe ist wie unsere«, konterte McPhillis. Alle Mühe war vergeblich, und irgendwann gaben sie es auf. »Was nun?« fragte Mira Goldsteen. »Abwarten.« »Mit der Zeit verspüre ich Hunger und Durst.«
McPhillis zuckte die Achseln. »Wenn du mir verrätst, wo wir Nahrungsmittel für zehn Personen hernehmen sollen …« »Ach!« Ärgerlich blickte die Frau zur Decke empor. Aber sie entdeckte nichts, was das Vorhandensein einer Überwachungsanlage angedeutet hätte. »Wer immer ihr seid«, rief sie, »wir sind euch zu Dank verpflichtet. Allerdings würden wir gerne eure Hände schütteln und nicht als Gefangene herumsitzen. Gebt euch wenigstens zu erkennen.« »Vielleicht haben sie keine Hände«, spottete Slei Leighton.
* Eine bedrückende Unruhe hielt in der Hauptzentrale Einzug. Atlan, Hayes und alle anderen bekamen sie zu spüren – sie war allgegenwärtig und wurde stärker, je mehr Zeit verstrich, ohne daß man sichtbar weiterkam. Selbst SENECA schien nicht zu wissen, welchem Einfluß das Schiff unterlag. Gestehe endlich, daß du hilflos bist, wisperte Atlans Extrasinn. Ich befand mich schon in weitaus gefährlicheren Situationen, bemerkte der Arkonide. Aber niemals hattest du es mit einem derartigen Phänomen zu tun wie diesmal. Das war zumindest bedingt richtig. Atlan erwiderte nichts darauf; er wandte sich wieder Bjo Breiskoll zu, der vor wenigen Minuten erstmals behauptet hatte, etwas wahrzunehmen, was sich außerhalb des Schiffes befand. Möglicherweise hatte er mit seinen telepathischen Sinnen die verschollenen Buhrlos aufgespürt. Bjo wirkte unbeweglich, als lausche er angestrengt in sich hinein. Und so ähnlich war es wohl auch. Endlich hob er den Kopf und blickte Atlan an.
»Es gibt keinen Zweifel«, sagte er. »Da draußen sind denkende, intelligente Wesen.« »Das müssen sie sein.« Freudig erregt sprang Bora St. Felix auf. »Dann leben sie noch. Wo sind sie?« »Ich bin mir nicht sicher …« »Aber sie denken; also ist ihnen nichts zugestoßen.« »… nicht sicher, ob es sich wirklich um die Buhrlos handelt. Was ich wahrnehmen konnte, war mehr ein ungeordneter, unverständlicher Gedankenschwarm, wie ihn nur eine Vielzahl von Individuen erzeugen kann.« »Das werden ihre Gedanken sein.« Fast krampfhaft klammerte Bora sich an die jäh wiedererwachte Hoffnung. »Wir stehen im Leerraum, Bjo, wer anders als die Buhrlos sollte sich in unserer Nähe befinden?« »Ja«, machte Breckcrown Hayes nachdenklich. »Wer sonst?« »Ein solcher Schwall von Gedanken«, sagte Breiskoll bitter, »kann nur von Tausenden von Lebewesen stammen.«
5. Sie wurden allein gelassen. Keiner kam, um nach ihnen zu sehen, sich nach ihrem Befinden zu erkundigen oder zumindest Wasser und etwas Eßbares zu bringen. Ein gleichmäßiges Summen war alles, was die Gläsernen zu hören bekamen. Und die Wände leiteten Vibrationen, die wohl von laufenden Triebwerken erzeugt wurden. »Möglicherweise hat dieses Schiff keine Besatzung«, vermutete Mira Goldsteen. »Das würde erklären, weshalb sich niemand um uns kümmert.« »Dann hoffe ich, daß der Flug nicht zu lange dauert«, nickte Slei Leighton. »Es wäre jammerschade, wenn unsere unbekannten Retter nur noch Verhungerte vorfänden.«
»Hört ihr?« »Was?« »Das Summen, es hat sich verändert.« Auch die Erschütterungen wurden stärker, pflanzten sich sogar über den Boden fort. »Haben wir unser Ziel erreicht?« »Mag sein. Aber wie lange waren wir unterwegs?« »Schwer zu sagen. Sieben oder acht Stunden, vielleicht auch länger.« »Das ist immer noch zuwenig. In einem knappen halben Tag können wir niemals eine der umliegenden Galaxien erreicht haben.« »Und wenn das Ziel der Fremden irgendwo dazwischen liegt. Eine Raumstation …« Von jenseits des großen Außenschotts ertönte ein sich langsam steigerndes, durchdringendes Brausen, das nach einer Weile in ein schrilles Pfeifen überging. Fragend sahen die Buhrlos einander an. »Wir landen«, stellte Jason McPhillis fest. »Und ihr könnt mich für verrückt halten, ich bin überzeugt davon, auf einem Planeten. Was wir zu hören bekommen, ist das Geräusch verdrängter Luftmassen. Das Schiff muß mit wahnwitziger Geschwindigkeit in die Atmosphäre eingedrungen sein.« Joke Endres schüttelte den Kopf. Was er dachte, war ihm nur zu deutlich anzusehen. Doch niemand widersprach McPhillis. Sekundenlang übertönte das Donnern auf Vollast laufender Triebwerke jedes gesprochene Wort. Dann: ein heftiger Ruck, fast stark genug, um die Buhrlos von den Beinen zu reißen, gefolgt von einer geradezu unheimlichen Stille. Sie hatten ihr Ziel erreicht. Würden sie nun endlich den Fremden gegenüberstehen? Insgeheim bereitete jeder sich auf den kommenden Augenblick vor. Aber nur das Schott glitt auf, gab den Blick frei auf eine ausgedehnte hügelige Landschaft, die bestanden war von einzelnen Waldflächen, dazwischen im sanften Wind wogende Felder
mannshoher, ausgereifter Blütenstände. Ein strahlend blauer Himmel spannte sich von Horizont zu Horizont – vereinzelte Wolkenfetzen trieben in großer Höhe rasch dahin. McPhillis trat an den Rand des Hangars und gab sich ganz dem Eindruck dieser Welt hin. In jenem Moment fragte er nicht, wie es möglich war, er atmete eine würzige, reine Luft, von vielfältigen Düften und Feuchtigkeit durchsetzt, wie es sie an Bord eines Raumschiffs niemals geben konnte. Die Entscheidung, was zu tun sei, wurde ihm abgenommen. Energetische Fesselfelder setzten die Buhrlos mehrere hundert Meter vom Schiff entfernt sanft ab. Hoch über ihnen brannte eine große, weiße Sonne. Ihre Strahlen wärmten und vertrieben die Furcht, die sich neuerlich bemerkbar machte. Als McPhillis sich wieder dem Raumschiff zuwandte, schloß sich soeben der Hangar. Auch wenn seine Erinnerung nur schemenhaft war, schien ihm, was er sah, doch wesentlich kleiner, aber noch immer gut und gerne einen Kilometer lang. Möglich, daß es sich nur um einen Teil des Schiffes handelte, der zu Planetenlandungen befähigt war. »Sie wollen starten!« schrie jemand gellend auf. »Das müssen wir verhindern.« Aber McPhillis hielt den Mann mit eisernem Griff zurück, als dieser an ihm vorbeistürmen wollte. »Wir können nichts tun …« Lautlos, nur von Antigravtriebwerken getragen, hob das Raumschiff ab und stieg rasch empor, wo es als blitzender Punkt verschwand. Niedergeschlagen ließ Mira Goldsteen sich in das kniehohe Gras sinken. »Das darf nicht sein, sagt mir, daß es nicht wahr ist.« Auf einem Planeten konnten sie nicht überleben, dazu waren sie nicht geschaffen. Jeder wußte das, und nicht nur Mira war nahe daran, aufzugeben. »Vorwärts!« befahl McPhillis. »Worauf warten wir? Wo Felder bestellt sind, muß es auch Menschen geben. Sie beherrschen die
Raumfahrt, also werden sie verstehen, daß wir wieder hinaus müssen.«
* »Diese Wesen sind durchaus überzeugt von der Wichtigkeit dessen, was sie tun. Obwohl man eine deutliche Tendenz zur Lustlosigkeit spürt.« »… die psychologischen Tests haben nahezu zweifelsfrei bewiesen, daß die Roxharen eine Hemmschwelle zu überwinden haben, um sich selbst zu verwirklichen«, fuhr »Blödel« fort, Hage Nockemanns positronischer Gesprächspartner innerhalb seines Labors, das längst nach SOL-City verlagert worden war. »Und sie fühlen sich an Bord der SOL nicht so wohl, wie es ihrer Gesundheit zuträglich wäre.« »Du bedienst dich heute wieder einer außerordentlich gewählten Ausdrucksweise«, bemerkte der Wissenschaftler spitz. »Ich frage mich, wer dir solchen Unfug beibringt.« »Mein Herr und Meister, ein Genie namens Nockemann, der Wert darauf legt, solcherart Gegensätze zu seiner recht saloppen Kleidung und seinem nicht minder auffälligen Auftreten zu schaffen.« »Ha«, machte der Galakto-Genetiker. »Ich sollte dich abschalten.« »Um allein über deinen wissenschaftlichen Betrachtungen langsam, aber sicher zu versauern.« Nockemann winkte ab und zwirbelte danach nachdenklich seinen Schnauzbart. »Was verstehst du schon davon?« »Nicht mehr und nicht weniger, als daß deine menschliche Psyche …« »Laß es gut sein, Blödel. Ich vergaß, wessen Daten in deine Programmierung …«
»Du solltest öffnen!« unterbrach die Positronik Nockemanns beginnenden Redeschwall. »Was?« »Das Schott. Draußen stehen Wylt'Rong und einige seiner Roxharen. Hast du die Verabredung mit ihnen vergessen?« Stumm schüttelte der Wissenschaftler den Kopf. Erst jetzt fiel ihm auf, daß jemand den Melder betätigt hatte. Wo hatte er nur seine Gedanken? Seit die SOL in jenen Bereich eingeflogen war, für den es keine plausible Erklärung gab, fühlte er sich zerstreut. Hage Nockemann begrüßte die Roxharen mit Handschlag. »Wir waren schon der Meinung, du hättest uns vergessen«, sagte Wylt'Rong, hob die Hände und verdrehte gleichzeitig die Ohren, was eine gewisse Ratlosigkeit ausdrückte. »Ich?« machte der Wissenschaftler betroffen. »Bestimmt nicht.« »Dann sollten wir anfangen.« Wenn Nockemann vom Eifer des Roxharen überrascht war, ließ er sich zumindest nichts anmerken. Bisher hatten sie nur zögernd seinen Untersuchungen zugestimmt, heute schien das zum erstenmal anders zu sein. »Was steht auf dem Programm, Doktor?« Wylt'Rong lachte. »Anatomie, glaube ich, sagt ihr dazu.« »Ja, richtig.« Nockemann war keineswegs glücklich darüber, daß ihm das Heft auf solche Weise aus der Hand genommen wurde. Immer öfter warf er seiner Positronik flehende Blicke zu in der Hoffnung, sie möge ihm beistehen. Doch Blödel hielt es offenbar nicht für angebracht, sich einzumischen. Inzwischen sahen die Roxharen sich ausgiebig im Labor um, was ihnen bisher in keiner Weise in den Sinn gekommen war. Irgendwie wirkten sie anders – selbstbewußter war vielleicht das richtige Wort dafür. Schon wieder zwirbelte Nockemann an seinem Schnauzbart. »Ich hoffe, es geht euch gut«, sprach er den nächstbesten Roxharen an.
»O ja!« Ein Paar kleiner, schwarzer Augen schien sich über ihn lustig zu machen. »Wir fühlen uns rundum wohl.« Der Galakto-Genetiker wußte nicht, was er antworten sollte. Er stand dem Ganzen hilflos gegenüber, war er doch gewohnt, in Ruhe arbeiten zu können. Wylt'Rong schickte sich an, eine Reihe hochempfindlicher Sensoren einer näheren Betrachtung zu unterziehen. »Bitte«, ächzte Nockemann, »laß die Finger davon. Sie dienen dazu, die Wärmeausstrahlung einzelner Körperzellen zu messen und in einem Computertomogramm zu vereinen.« »Wie du meinst«, sagte der Roxhare und strich sanft über sein Fell. »Du kannst mit mir den Anfang machen. Allerdings …« »Ja?« »… ich würde auch gerne mehr über euch Solaner wissen. Immerhin besteht eine gewisse Ähnlichkeit zwischen uns.« Auf den ersten Blick erinnerten die Roxharen an riesige Mäuse oder Ratten – sie mit Menschen zu vergleichen war nicht einmal so abwegig. Nockemann nahm sich fest vor, sich nur auf die Untersuchung zu konzentrieren, aber er schaffte es nicht. Immer wieder schweiften seine Überlegungen ab. Blödel bestätigte ihm schließlich, daß die Roxharen sich verändert hatten. Sie waren selbstbewußter geworden und befanden sich zudem in einer besseren körperlichen Verfassung als noch vor vierundzwanzig Stunden. Was mag der Anlaß dazu sein? fragte Nockemann sich in Gedanken. Was ist heute anders …? Die »tote Zone«! Die Roxharen konnten durchaus gegenteilig darauf reagieren. Wie beiläufig erkundigte er sich bei Wylt'Rong. Die Antwort fiel orakelhaft aus. »Gestern, das ist Vergangenheit.« Nockemann nickte flüchtig und begann, gezieltere Fragen zu stellen. Hin und wieder gab Blödel einige Bemerkungen von sich, die ihm bewiesen, daß zumindest die Positronik verstand, worauf er
abzielte. Die Roxharen indes stellten sich entweder dumm, oder sie hatten wirklich nichts bemerkt. Das erhärtete den Verdacht des Wissenschaftlers, die Verhältnisse außerhalb der SOL könnten eine nicht unbedeutende Rolle spielen. Gerade als er Wylt'Rong auffordern wollte, ihn in die Hauptzentrale zu begleiten, heulte der Alarm auf. Eine Reihe heftiger Erschütterungen folgte. Den Roxharen schien das nicht viel auszumachen, Hage Nockemann aber fühlte, wie das Blut aus seinem Gesicht wich. Die SOL wurde angegriffen!
* Das leise Säuseln des Windes und das Summen von Insekten begleiteten die Buhrlos, die mißmutig einen Feldrain entlang stapften. Felder, wenn auch nicht in dieser flächenmäßigen Ausdehnung, kannten sie von Bord der SOL, aus einer Zeit, da die wirklichen Hydrokulturen sträflich vernachlässigt worden waren. Alles andere aber war ihnen fremd und wirkte eher abstoßend auf sie. Keiner konnte sich ein planetengebundenes Dasein vorstellen. Am Horizont, auf der Kuppe einer langgezogenen Anhöhe, hatten sie etwas entdeckt, was nicht in diese Landschaft passen wollte. Viereckige Kästen verschiedener Größe waren es, die aussahen, als hätte man Kabinen von Bord der SOL wahllos nebeneinandergestellt. Die Korridore zwischen ihnen verliefen ohne jede erkennbare Systematik. »Wenn dort Menschen leben«, stellte Jason McPhillis zögernd fest, »mag ihnen der Sinn für viele Annehmlichkeiten fehlen.« Die Schatten wurden länger. Gleichzeitig begann der Himmel sich mit Gold zu überziehen, das, von Osten kommend, der Nacht voraneilte. Zur Linken erstreckte sich eines der kleinen Wäldchen, überwiegend niedere, verkrüppelte Laubgewächse, wie man sie
auch auf der SOL finden konnte. Nur mit dem Unterschied, daß diese hier keine Früchte trugen. Rechts lagen Felder, die deutlich Spuren einer Kultivierung zeigten. Plötzlich stieß Mira Goldsteen einen erstickten Schrei aus. Über die wogenden Ähren hinweg hatte sie eine Bewegung wahrgenommen. Bevor die Buhrlos Zeit fanden, ihre Überraschung zu überwinden, waren die Fremden schon heran. Ihre massigen Gestalten durchpflügten die Halme, und sie bewegten sich schneller, als ein Mensch es je vermocht hätte. »Extras«,hauchte McPhillis. Angsterfüllt starrte er die gut dreieinhalb Meter großen Wesen an. Das erste, was auffiel, waren ihre überaus muskulösen Beine, die weit ausgreifende Schritte erlaubten, und der kräftige Stützschwanz. Ohne erkennbaren Übergang wuchs aus den gedrungenen Körpern ein langer, biegsamer Hals. Im Vergleich dazu war der kugelförmige Kopf winzig. Die spitz zulaufenden Schnäbel wirkten gefährlich. Gerade wollte McPhillis eine Geste der Freundschaft und des Friedens machen, als er die Wesen bemerkte, die wie kleine Wollkugeln auf den Rücken der Vogelähnlichen hockten. Sechs waren es, jeweils drei auf einem korbähnlichen Traggestell beieinander, und sie ließen jetzt ein schrilles Schnattern vernehmen. Die Buhrlos begriffen schnell, daß diese dichtbehaarten Geschöpfe die eigentlich intelligenten waren. Sie bedienten sich der anderen nur zum Zweck der Fortbewegung. Eine seltsame Methode, aber wohl die einzige Möglichkeit auf einem Planeten, der nicht von Laufbändern und Antigravschächten in Sektionen unterteilt wurde. Waren es die Fremden, die Raumschiffe zu bauen verstanden? McPhillis' Zweifel wurden größer, je länger er sie anstarrte. Eines dieser Wesen, die keine Furcht zu kennen schienen, sprang vor ihm auf den Boden – es reichte ihm bis knapp zur Hüfte. McPhillis verstand nicht, was der Pelzige von ihm wollte, erwiderte aber einige belanglose Worte, um Mira und die anderen zu beruhigen. Sein Gegenüber hob zwei seiner vier dürren
Ärmchen, dann zeigte er von Horizont zu Horizont und sagte etwas in seiner schnatternden Sprache, was sich anhörte wie »Gabba-gag«. Der Buhrlo wiederholte die Lautfolge, schlug sich mit der flachen Hand auf die Brust, nannte seinen Namen und blickte zum Zenit hinauf. Was er fast nicht für möglich gehalten hatte, der Pelzige schien ihn zu verstehen. Jedenfalls ahmte er das Geräusch eines landenden Raumschiffs nach und erwiderte: »Gaggon«, was wohl soviel wie »Jason« heißen sollte. Er selbst bezeichnete sich mit »Grä«. Dennoch stand man sich mehr oder weniger hilflos gegenüber. McPhillis bedauerte es, keinen Translator zu besitzen. Dann wäre vieles einfacher gewesen. »Grä«, sagte Mira Goldsteen, »wir haben Hunger und Durst, verstehst du?« Dabei machte sie Kaubewegungen und preßte die Hände an den Leib. Grä zeigte zu den Kabinen hinüber, wo sich dünne Rauchfäden in den Abendhimmel kräuselten. Er griff nach den Nackenfedern des Vogelähnlichen, schwang sich wieder auf das Traggestell und blickte von oben auf die Buhrlos herab. Seine Gesten waren unmißverständlich: Er wollte, daß sie ihm folgten. Den Gläsernen blieb kaum eine andere Wahl.
* Selbst SENECAS Warnung kam zu spät. Buchstäblich aus dem Nichts heraus erfolgte der Angriff auf die SOL. Keine Ortung war dem vorausgegangen, keine Strukturerschütterung. Sechs riesige Kastenschiffe standen plötzlich auf geringer Distanz und eröffneten ohne jede Vorwarnung das Feuer. Als Sekundenbruchteile zu spät der Alarm aufheulte, brachen sich bereits flammende Kaskaden in den aktivierten Schutzschirmen. Weder Masse- noch Energieortung zeichnete. Die Angreifer waren lediglich optisch auszumachen.
Schiffe dieses Typs hatte niemand zuvor zu Gesicht bekommen, und die Raumgeister mochten wissen, woher sie so überraschend kamen. Ihre Geschwindigkeit war der der SOL angepaßt, und das Fernraumschiff saß zwischen ihnen in der Falle. »Wieso?« war alles, was Breckcrown Hayes zu sagen hatte. Während der ersten Minuten des Angriffs verschmolz er förmlich mit der SOL, stellte Hochrechnungen an und Analysen, rief Speicherdaten ab, schaltete Rundsprechverbindungen zu den verschiedensten Abteilungen und behielt trotzdem stets die Belastungskontrollen sämtlicher Defensivvorrichtungen im Auge. Dann endlich wandte er sich Atlan und dessen Begleitern zu. Ein zynisches Lächeln umspielte seine Mundwinkel. »Sie können uns nichts anhaben«, sagte er. »Die Kapazität der SOL ist groß genug, um in Ruhe abzuwarten.« Inzwischen lagen auch die ersten Meßdaten hinsichtlich der Angreifer vor. Jeder der Raumer mit einer Gesamtlänge von 2.800 Meter bestand in der Grundbauweise aus drei kastenförmigen Elementen von 1.050 Meter Höhe, wobei der Bug angeschrägt war und das Heck zu den verbreiterten Triebwerksöffnungen hin trichterförmig auslief. Beiderseits des Mittelschiffs waren zwei weitere Zellen in der Art von Auslegern angekoppelt. »Du nimmst es zu leicht«, warnte Atlan den High Sideryt. »Die SOL verfügt über ausreichende Reserven.« »Sicher. Doch sollte man nie einen Gegner unterschätzen, insbesondere wenn er es versteht, unsere sämtlichen Ortungssysteme lahmzulegen.« »Zumindest scheint es für sie keine Orientierungsprobleme zu geben.« »Zeigen wir ihnen doch, was wir von diesem Überfall halten«, forderte Gallatan Herts lautstark. »Die Hälfte wird kampfunfähig sein, ehe sie begreifen.« Breckcrown Hayes schüttelte den Kopf. »Nein, Gallatan. Die Zeiten, in denen wir eine solche Lösung
vorgezogen hätten, sind endgültig vorbei. Solange wir nicht wissen, aus welchem Grund der Angriff erfolgte, verhalten wir uns abwartend.« »Hoffentlich gibt es kein böses Erwachen.« Hayes verbiß sich eine heftige Erwiderung, erhob sich und ging zu Curie van Herling hinüber, die nur flüchtig von ihren Funkgeräten aufsah. »Und?« »Nichts. Entweder können sie uns nicht hören, oder sie wollen es nicht.« »Letzteres, Curie, ist wahrscheinlicher. Mach trotzdem weiter.« Er warf Bjo Breiskoll einen fragenden Blick zu. Aber der Katzer winkte nur ab, er konnte keinen telepathischen Kontakt herstellen. Eine heftige Erschütterung riß den High Sideryt fast von den Beinen. Selbst die automatischen Filter vermochten die blendende Helligkeit kaum zu dämpfen, die von den Bildschirmen herabsprang, als sei unmittelbar neben der SOL eine winzige Sonne entstanden, die sich rasend schnell aufblähte, um aber schon Sekundenbruchteile später erlöschend wieder in sich zusammenzufallen. Breckcrown Hayes pfiff anerkennend durch die Zähne. »Sie verfügen über Hyperbomben mit Gravo-Neutralisation.« »… und Antimateriewerfer«, rief Gallatan Herts aufgebracht. »Worauf willst du noch warten? Da!« Was ihn in helle Aufregung versetzte, war die Tatsache, daß die seitlichen Zellen von ihren Mutterschiffen abkoppelten und mit wesentlich höherer Geschwindigkeit der SOL entgegenrasten. Das alles wirkte wie ein minuziös durchgeführter taktischer Plan. »Feuerfreigabe?« »Ja«, nickte Hayes. »Versucht, ihre Triebwerke zu zerstören. Der Einsatz von Transformkanonen hat jedoch zu unterbleiben.« Wieder wurden beide SOL-Zellen schwer getroffen, erbebte der gesamte Verbund. Die Feuerkraft der Angreifer hatte sich
schlagartig vervielfacht. Es kam zu einzelnen Strukturrissen in den Abwehrfeldern, die zum Glück schnell ausgeglichen werden konnten. Aber auch die Waffenleitstände der SOL erzielten nur einen einzigen Erfolg. Der manövrierunfähig gewordene Koppelträger – ein Begriff, der schnell geprägt worden war – raste wenige hundert Meter an der SZ-2 vorbei. »Es hat keinen Sinn«, stöhnte Curie van Herling. »Sämtliche Kontaktversuche bleiben unbeachtet. Die Fremden scheinen darauf aus zu sein, uns zu vernichten.« »Haben wir ihnen einen Anlaß dafür gegeben?« »Mitunter dient schon die bloße Existenz des einen dem anderen als Grund zur Aggression. Glaubt mir, ich spreche aus Erfahrung.« »Du redest, als hätte sich in den zwölftausend Jahren deines Lebens nichts verändert.« »In dieser Hinsicht nicht sehr viel«, schränkte Atlan ein. Auf den Bildschirmen war in mehreren Ausschnitten zu erkennen, daß die Angreifer sich pulkweise sammelten. Zweifellos wollten sie dazu übergehen, einzelne Schirmsektoren im Punktbeschuß durch Überlastung zu zerstören. »Laß uns endlich so zurückschlagen, wie sie es verdienen«, forderten nun auch andere der in der Zentrale Anwesenden. Noch zögerte Hayes. Aber der nächste massierte Feuerschlag, der die Belastungsanzeigen bis weit in den Warnbereich hineinschnellen ließ, versetzte seiner Zuversicht einen starken Dämpfer. Den Geschützen der SOL gelang es zumindest, einen der mächtigen Kastenraumer so weit zu beschädigen, daß er sich vom Kampfgeschehen zurückziehen mußte. Trotzdem war die Übermacht zu groß. »Entscheide dich endlich«, verlangten auch die beiden Chefpiloten, Vorlan und Uster Brick. »Wir sollten alles einsetzen, was wir haben. Raus mit den Leichten Kreuzern und Korvetten, dann können wir sie in die Zange nehmen.« »Wir fliegen Ausweichmanöver«, beharrte der High Sideryt.
»Wenn die Fremden in Pulks angreifen, geben sie uns damit den Weg frei.« Die letzten Worte mußte er schreien, um die aufbrandende Geräuschkulisse eines neuerlichen Angriffs zu übertönen.
* Im Osten zog bereits die Dämmerung herauf, als die Buhrlos jene Ansammlung einzelnstehender Kabinen erreichten, die sie schon von fern gesehen hatten. Das letzte Stück Wegs, hügelan über ausgedehnte Geröllhalden, die noch die Wärme des sinkenden Tages verströmten, hatte ihnen viel abgefordert. Am Ende ihrer Kräfte angelangt, erschöpft und ausgelaugt, stolperten sie durch die Korridore, kaum noch bewußt wahrnehmend, daß die Kabinen samt und sonders aus wertvollsten Rohstoffen errichtet worden waren, aus Holz und anderen zellulosehaltigen Gewächsen. Grä und die beiden ihn begleitenden Pelzigen kletterten aus dem Traggestell und führten die Buhrlos zu einer unscheinbaren Kabine im Bereich zweier sich kreuzender Gänge. Ihre Gesten forderten unmißverständlich zum Eintreten auf. Flüchtig sah Jason McPhillis sich um. Aus Aufbauten auf den schrägen Decken einiger Kabinen quoll dicker, schwarzer Rauch. Die Korridore lagen wie ausgestorben da, nur hinter einem Luk war für die Dauer mehrerer Sekunden ein Schatten auszumachen. Der Buhrlo betrat den Raum tief gebückt durch das viel zu niedrige Schott. Anstelle der üblichen indirekten Beleuchtung verbreiteten mehrere Fackeln einen flackernden Lichtschein. Die Kabine war leer, besaß weder Tisch noch Bett, noch eine Gelegenheit zur Verrichtung sanitärer Bedürfnisse. Unmittelbar vor der gegenüberliegenden Wand führte ein kreisrunder Schacht in die Tiefe. Auf den ersten Blick glaubte McPhillis, einen Antigravlift vor sich zu haben, und atmete erleichtert auf, dann entdeckte er die
Stufen aus festgestampftem Erdreich, die in engen Windungen in der Dunkelheit verschwanden. Grä ging voraus. Die Treppe endete tief unter der Erde in einer mächtigen Halle, die größer war als mancher Hangar der SOL. Mira Goldsteen ließ einen Ausruf hören. »Das – das sieht aus wie die Zentrale eines Raumschiffs.« Mit primitivsten Mitteln war versucht worden, technische Gerätschaften nachzubauen. Aus Holz und Steinen waren so lehmverschmierte Computerbänke entstanden, die sich an den Wänden hinzogen, eine gut zehn Meter durchmessende erhöhte Kommandostelle und darum herum angeordnete kleinere Leitstände. Selbst eine zu drei Vierteln umlaufende Galerie fehlte nicht. Sie endete zu beiden Seiten der großen Bildschirmwand. »Was soll das?« fragte Slei Leighton erstaunt. McPhillis zuckte mit den Achseln. »Ich denke, wir werden es erfahren.« »Seht doch!« Auf einem Podest in der Mitte des Raumes stand ein kleines, metallenes Kästchen, das in dieser Umgebung beinahe schon wie ein Heiligtum wirkte. Mira hatte es als erste bemerkt, und sie lief darauf zu, ohne daß die Pelzigen sie daran hinderten. Gräs Haltung drückte sogar Zustimmung aus. Er schnatterte munter drauflos und schien die Buhrlos aufzufordern, dasselbe zu tun. »Auf die Gefahr hin, daß ihr mich für verrückt haltet«, platzte Joke Endres heraus, »ich denke, das Ding ist ein Translator.« »Du meinst … Ja, das könnte stimmen. Deshalb hat Grä uns hierhergeführt.« »Aber ein Translator in dieser Umgebung …« »… die zweifellos einer Kommandozentrale nachempfunden ist.« Plötzlich war da eine Stimme. Sie sprach Interkosmo, akzentuiert und mit seltsamem Klang, jedoch verständlich. »Seid uns als Freunde willkommen auf Gabba-gag.« »Wer seid ihr?« fragte McPhillis unwillkürlich. »Fremde auf dieser Welt, wie ihr«, erwiderte Grä, und seine Worte
wurden ohne Zeitverlust übersetzt. »Unsere Vorfahren bauten diesen Raum, um die Erinnerung an unsere Herkunft stets wachzuhalten. Keiner aus dem Volk der Gmu soll jemals vergessen.« »Ist All-Mohandot eure Heimat?« »Den Namen, den du aussprichst, Jason, kenne ich nicht. Aber den Erzählungen nach muß es ein schöner und friedlicher Planet gewesen sein, anders als Gabba-gag.« »Das Raumschiff, das uns absetzte, von wo stammt es?« »Nicht von dieser Welt jedenfalls. Hin und wieder landet eines von ihnen und bringt Raumfahrer wie euch. Nicht alle sind friedlich; manche von ihnen suchen Streit. Das wird sich wohl nie ändern.« »Es gibt keine Rückkehr?« »Jeder von uns wäre froh, die Heimat der Väter sehen zu dürfen. Statt dessen müssen wir in ständiger Furcht leben. In Furcht vor manchen Völkern, die plündernd durch das Land ziehen, und vor den Fremden in den riesigen Raumschiffen. Keiner entkommt ihnen und ihren vernichtenden Waffen. Gabba-gag – diese Welt hat viele Namen – ist ein Sammelpunkt von Überlebenden aus etlichen Raumschlachten.« McPhillis nickte bedrückt – eine Geste, von der er nicht sicher sein konnte, ob Grä sie verstand. »Wir müssen zurück«, sagte er. »Ein Leben ohne den Weltraum würde unseren Tod bedeuten.« »Das dachten unsere Väter auch. Aber niemand hat sie je danach gefragt.« Hätte der Buhrlo versuchen sollen, die Besonderheiten seines Organismus zu erklären? Er tat es nicht. Fürs erste war es gut, Freunde gefunden zu haben. Und noch gab es keinen Grund, wirklich die Hoffnung sinken zu lassen. Nur eines schmerzte McPhillis, aber darüber schwieg er sich aus. Existierte die SOL noch, oder war sie bereits den Fremden zum
Opfer gefallen wie viele andere Raumschiffe zuvor? Die Widersprüche waren nicht zu übersehen. Gabba-gag schien Teil einer perfekten Falle zu sein – doch welchen Sinn konnte eine Falle im Leerraum zwischen den Galaxien haben? Reichlich Beute war kaum zu erwarten. Lag der Planet aber zumindest in den Randzonen eines Sternensystems, befand sich die SOL Hunderttausende von Lichtjahren entfernt. Dann mochte es Zufall gewesen sein, daß die Buhrlos einem Raumschiff der Fremden begegnet waren. Grä sorgte für Nahrungsmittel, die die Gläsernen heißhungrig verzehrten. Man tauschte Erfahrungen aus, erzählte von sich und hörte den anderen interessiert zu. Nach einiger Zeit forderten Müdigkeit und Erschöpfung ihr Recht. Die Buhrlos machten es sich auf provisorischen Lagern aus Stroh bequem. Es wurde ein traumloser Schlaf. Irgendwann schreckte McPhillis jedoch auf, weil er laute Stimmen zu hören glaubte. Benommen kam er hoch und starrte auf die Kämpfenden, ehe er begriff.
6. Die SOL beschleunigte, schob sich auf eine der Lücken zu, die in der Phalanx der Angreifer entstanden war. Schon jetzt wurde offensichtlich, daß die großen Kampfschiffe nicht mitzuhalten vermochten. Träge und langsam waren sie – lediglich die wendigen Koppelträger setzten der SOL nach wie vor hartnäckig zu. »Wir brechen durch«, triumphierte der High Sideryt. Seine Absicht war es, exakt in Flugrichtung mehrere Salven aus den Transformgeschützen zu zünden. Weit genug entfernt, um nicht selbst in die Glutbälle der Explosionen hineinzurasen. »Das gefällt mir nicht«, warnte Atlan. »Dazu gehört mehr Fingerspitzengefühl, als wir es ohne funktionierende Ortungen aufbringen können.«
»Hast du einen besseren Vorschlag zu machen? Uns bleibt nur die Flucht in den Linearraum.« »Die Transformsalven sollen mögliche weitere Angreifer abschrecken«, führte Curie van Herling den Gedankengang zu Ende. »Deshalb hast du diese Waffe noch nicht zum Einsatz gebracht.« »Und weil ich nicht unnötig Leben vernichten wollte.« Inzwischen schienen die Fremden erkannt zu haben, daß die SOL ihr Heil in der Flucht suchte. Während es den Kastenraumern schon unmöglich war, aufzuholen, lösten sich die Pulks der Koppelträger auf, und die Schiffe, jedes von ihnen gut tausend Meter lang, versuchten, einen Sperriegel in Flugrichtung zu bilden. »Transformkanonen, Feuer frei!« befahl Hayes. Scheinbar aus dem Nichts heraus erfolgten die Explosionen, deren Sprengkraft ausgereicht hätte, einen kleineren Planeten zu zerreißen. Und noch bevor die Glutschleier verweht waren, entstanden neue Detonationen, hintereinander, in mehreren Kilometern Abstand, aufgereiht wie Perlen auf einer Schnur. Die Reihe der Angreifer geriet ins Stocken. Vorübergehend fehlte ihnen die Koordination, und ihre Strahlsalven verpufften wirkungslos in den gestaffelten Schutzschirmen der SOL, die mit höchsten Beschleunigungswerten zwischen ihnen hindurchjagte. Keine weiteren Schlachtschiffe zeigten sich. In der Tat schienen die sechs alles gewesen zu sein, was der unbekannte Gegner aufzubieten hatte. Dann glitt die SOL in den Linearraum hinüber, den sie schon nach wenigen Sekunden wieder verließ. Die zurückgelegte Entfernung war zu gering, als daß man die tote Zone verlassen hätte. Trotzdem blieben die Verfolger verschwunden. »Entweder haben sie unsere Spur verloren«, sinnierte Breckcrown Hayes, »oder sie sind viel zu langsam. Mir ist beides gleich recht.« Bora St. Felix schien mit seinem Handeln nicht einverstanden zu sein. Bedrückt schüttelte sie den Kopf. Feucht schimmerten ihre
Augen, und als sie stockend zu sprechen begann, wurde ihre Verzweiflung offenbar. »Wir sind kein Stück weitergekommen. Damit müssen wir die Buhrlos endgültig aufgeben. Oder glaubt einer von euch tatsächlich, wir könnten sie noch jemals wiederfinden?« Bora brauchte sich nur umzuschauen, um zu erfahren, woran sie war. Bjo Breiskoll vermied es, sie anzusehen; das Gesicht des High Sideryt war hart und verschlossen und ließ keine Regung erkennen; Atlan hatte die Lippen aufeinandergepreßt. Bora wollte schreien, wollte aufspringen und verlangen, daß man die Suche trotz aller Gefahren fortsetzte – aber sie brachte nur ein trockenes Schluchzen hervor. Mitten in diese angespannte Situation hinein platzte Wylt'Rong und ihm voran Hage Nockemann. Schnellen Schrittes hastete der Wissenschaftler auf Atlan zu, ohne sich um das übrige Geschehen zu kümmern. »Ich habe eine Entdeckung gemacht, die …« Atlan winkte ab. »Nicht jetzt. Du kannst später berichten.« »Es ist von großer Wichtigkeit.« »Bestimmt nicht größer als unsere Probleme. Die SOL wird angegriffen …« »Ich weiß.« Nockemann ließ nicht locker. »Dennoch solltest du wissen, daß die tote Zone sich belebend auf die Roxharen auswirkt.« Atlan faßte den Wissenschaftler an der Schulter und schob ihn sanft vor sich her. »Später, Hage, später kannst du mir alles in Ruhe erzählen.« Nockemann gab sich keine Mühe, seine Enttäuschung zu verbergen. »Und ich dachte, du würdest die Bedeutung dieser Entdeckung sofort erkennen.« Ein Ausruf der Überraschung hallte durch die Zentrale. Wylt'Rong hatte ihn ausgestoßen beim Anblick eines der Monitoren, die Aufzeichnungen der Raumschlacht zeigten. Auf dem Schirm war eines der großen kastenförmigen
Kampfschiffe zu sehen. Wylt'Rong schien zu keiner Bewegung mehr fähig.
* Die Buhrlos fanden kaum Zeit, um in die Auseinandersetzung einzugreifen. Ehe sie es sich versahen, wurden sie von kräftigen Fäusten gepackt und hochgezerrt. Man band ihnen die Arme auf den Rücken und stieß sie die Treppe hoch. Im erlöschenden Fackelschein sah McPhillis Grä und einige andere der kleinen Pelzwesen besinnungslos am Boden liegen. Blut war bei diesem Überfall nicht geflossen, dazu war alles viel zu schnell gegangen. Während sie die Kabine verließen, hatte der Anführer der Buhrlos Gelegenheit, sich umzusehen. Man befand sich in der Gefangenschaft echsenähnlicher Geschöpfe, die mindestens einen Kopf größer waren als die Buhrlos. Ihre nach vorne spitz zulaufenden Schädel und die Körper wurden von handflächengroßen Schuppen bedeckt, die eine Bekleidung überflüssig machten. Jede der Echsen trug lediglich zwei geflochtene Gürtel, einen um die Schultern, den anderen um die kaum erkennbare Hüfte. Waffen steckten in diesen Gürteln – plump aus Metall geformte Messer; Schnüre, an deren Enden scharfkantige Steine befestigt waren; dünne, mit Eisenspitzen versehene Stäbe und jeweils ein gebogenes Holz, zwischen dessen beiden Enden eine Sehne gespannt war. Draußen herrschte dunkelste Nacht, obwohl der Himmel klar war und wolkenlos. Nur zwei winzige Sterne funkelten in dieser Finsternis. Befand man sich doch noch zwischen den Galaxien? McPhillis wurde jäh in seinen Überlegungen unterbrochen. Man band ihn und die anderen Buhrlos auf jene Reittiere, die sie bereits kannten. Während hinter ihnen erste schlaftrunkene Stimmen laut wurden und in manchen Kabinen Licht aufflammte, ging es schnell
bergab. Schon nach kurzer Zeit fühlte McPhillis sich elend und zerschunden. Die Lage, in der er sich befand, war alles andere als bequem, und die schnelle Gangart der Tiere bewirkte ein stetes, wiegendes Auf und Ab, das Übelkeit hervorrief. Nach allem, was Grä von dieser Welt erzählt hatte, war man in die Gewalt nomadisierender Räuber geraten. Endlich kündeten die ersten Sonnenstrahlen den heraufziehenden Morgen an. Die Landschaft hatte sich erschreckend verändert. McPhillis mußte erkennen, daß sie die fruchtbaren Gebiete längst hinter sich gelassen hatten. Nichts als Sand war um sie her, öde, trostlose Wüste, die tagsüber in der Hitze darbte und nachts in eisige Starre verfiel. Noch spürte man den Hauch der Kälte, der den Atem Nebelschleiern gleich davontreiben ließ. Aber es wurde wärmer. Die Sonne stieg über den Horizont empor. Sand, Geröll und einige verkrüppelte, dornige Pflanzen, so weit das Auge reichte – kein ermutigender Anblick. Es mochte etwa zwei Stunden später sein, als die Nomaden im Schatten mächtiger Felsblöcke zum erstenmal Rast machten. Hier, zwischen spärlichem Gras und Moosen, plätscherte eine kleine Quelle, deren Wasser schon nach wenigen Metern wieder versickerte. Die Buhrlos wurden von den Tieren herabgehoben, blieben ansonsten aber unbeachtet. »Jason!« zischte Mira Goldsteen, zog die Beine an und wälzte sich herum, um in seine unmittelbare Nähe zu gelangen. »Hast du gesehen? Einer von ihnen schleppt den Translator mit sich.« »Ich glaube nicht, daß sie damit etwas anzufangen wissen.« »Man sollte es auf jeden Fall versuchen. So wie jetzt kann es nicht weiter … Bleib!« Aber ihr heiserer Ausruf kam zu spät. Einem der Buhrlos war es gelungen, sich seiner Fesseln zu entledigen. Anstatt die anderen ebenfalls zu befreien, hatte er es zuerst auf die Waffen der Echsen abgesehen, die zum Teil noch an den Traggestellen befestigt waren. Er kam nicht weit. Eine der mehrteiligen Schnüre,
mit Wucht geschleudert, wickelte sich um seine Beine und brachte ihn zu Fall. Für die Nomaden schien der Zwischenfall Grund genug, um aufzubrechen. Weiter ging es in östlicher Richtung. Die Sonne stand hoch im Zenit, über dem Sand flimmerte die Luft. Man glaubte, die leicht bewegte Oberfläche eines ausgedehnten Sees vor sich zu sehen. Und noch etwas war da – ein metallener Kegel, aus dessen Oberfläche bizarre Gebilde herausragten: Antennen! Doch als McPhillis kurz die Augen schloß und gleich darauf wieder öffnete, war der Spuk verschwunden. Er wußte nicht zu sagen, was Wirklichkeit war oder Wunschtraum.
* Nur ein leises Stöhnen drang über Wylt'Rongs Lippen. Er war wie erstarrt, konnte den Blick nicht von dem kleinen Bildschirm lösen. Hage Nockemann war als erster neben ihm. »Was ist geschehen?« fragte er. »Die Erinnerung …«, stammelte der Roxhare. »Alles, was in mir ausgelöscht war, erwacht zu neuem Leben.« »Du kennst diese Raumschiffe?« »Sie kommen von – Roxha. Ich … ich weiß so viel, aber ich kann es nicht greifen. Und doch ist es wichtig … ich fühle das. Mein Leben, meine Vergangenheit – alles kann ich hier wiederfinden. Helft mir, bitte …« »Bjo!« Mehr sagte Atlan nicht. Der Katzer nickte nur, dann tastete er vorsichtig nach Wylt'Rongs Gedankengängen. Es war nicht einfach, da zuviel in dem Roxharen aufbrach und der plötzliche Ansturm über Jahre hinweg verschütteter Erinnerungen ihn verwirrte. Eines jedoch stand unumstößlich fest:
»Wylt'Rong ist selbst einmal Kommandant eines solchen Kampfschiffs gewesen. Noch sperrt sich sein Unterbewußtsein, und er ahnt die Tatsachen mehr, als er sie wirklich begreifen kann.« »Wenn das der Fall ist«, behauptete Nockemann zur Überraschung aller, »sind wir auf das Heimatsystem der Roxharen gestoßen.« »Das setzt voraus«, lachte Gallatan Herts und zeigte damit unverblümt, was er von der Spekulation des Wissenschaftlers hielt, »daß hier irgendwo eine Sonne steht und einer oder mehrere Planeten. Über eine Million Lichtjahre tief im Leerraum. Hage, das ist unmöglich, ein solches System könnte uns niemals verborgen bleiben.« Vorübergehend sah es danach aus, als wolle Nockemann wutentbrannt die Zentrale verlassen. Dann jedoch besann er sich eines Besseren und zeigte auf Wylt'Rong. »Frage ihn oder zeige das Bild des Kampfraumers den anderen Roxharen, sie werden meine Vermutung bestätigen.« »Du würdest es sogar fertigbringen, uns einzureden, daß die Lineartriebwerke rosten«, sagte Herts aufgebracht. »Und das mit einer Miene, deren Ernst nicht mehr zu übertreffen wäre.« »Hört auf damit.« Breckcrown Hayes legte dem Roxharen eine Hand auf die Schulter und zwang ihn so, ihm in die Augen zu sehen. »Wylt'Rong«, verlangte er, »du wirst uns jetzt sagen, wo Roxha liegt. Ich weiß, daß du es kannst.« Fast unmerklich nickte er Breiskoll zu. »Roxha …« Die ruckhaften Bewegungen der Ohren bedeuteten Unentschlossenheit. »Er versucht es wirklich«, flüsterte der Katzer. »Aber ich kann sein Unterbewußtsein kaum erfassen; nur das, was es freigibt. Wylt'Rong denkt an den geistigen Faktor.« »Meine Heimatwelt liegt in der Galaxis, die ihr Solaner Ploohnei nennt. Aber ihr wirklicher Name ist Pers-Mohandot.« Besser konnte eine Verbindung zwischen den beiden Milchstraßen
kaum verdeutlicht werden. All-Mohandot und Pers-Mohandot … Wieder begann Wylt'Rong zu reden. »Gestern«, behauptete er, »hat der geistige Faktor damit begonnen, die Sonne Vormalt und ihre Planeten, auch Roxha, in Bewegung zu setzen, um das gesamte System an einen Ort zu bringen, wo niemand es finden kann. Auch ihr solltet ihn loben, denn seine Macht ist umfassend. Es gibt keinen Feind, den er nicht besiegen könnte; wir gehören ihm, wir dienen ihm mit unserem Leben, und ihr solltet ihm ebenfalls dienen …« »Gestern?« machte Hayes verwundert. Bjo Breiskoll winkte ab. »Wylt'Rong ist verwirrt und denkt zeitlich völlig falsch. Allein deshalb ist er plötzlich wieder ein glühender Verehrer des geistigen Faktors.« »Kannst du mehr erfahren?« »Vorerst kaum. Im Moment denkt Wylt'Rong nur daran, daß das Vormalt-System selbst dann nicht gefunden werden kann, wenn man direkt darauf stößt.« Hage Nockemann zeigte ein triumphierendes Grinsen. »So unwahrscheinlich es klingen mag«, meinte Atlan, »wir haben mitten zwischen zwei Galaxien tatsächlich die Heimatwelt der Roxharen gefunden. Natürlich wehren diese sich mit all ihrer Technik gegen die SOL.« »Du meinst, sie haben die tote Zone geschaffen, um eine Entdeckung zu verhindern? Ob Hidden-X dahintersteckt?« »Ich weiß es nicht, obwohl das durchaus möglich wäre. Auf jeden Fall ist nun klar, daß unsere Suche nach einem Naturphänomen falsch war. Wir haben es mit etwas ganz anderem zu tun.«
* Irgendwann begann der wiegende Gang des Tieres einschläfernd zu wirken. Vielleicht war es auch die Hitze, die ihren Tribut forderte,
oder der feinkörnige Sand, der bei jeder Bewegung aufwirbelte und unangenehm auf der Haut brannte. Die Dämmerung brach schon herein, als McPhillis die Augen wieder aufschlug. Ausgedehnte Moosflächen zeigten an, daß man die Wüste hinter sich gelassen hatte. Die Nomaden machten bald Rast. Diesmal überprüften sie die Fesseln der Buhrlos. Jason McPhillis war nun hellwach; er spürte, daß die Echsenabkömmlinge auf etwas warteten, denn hin und wieder erhob sich einer von ihnen, um nach den Tieren zu sehen und gleichzeitig angestrengt in die Nacht hinauszuspähen. Am Horizont zeichnete sich der fahle Schein von Feuern ab. Ein leises Rascheln ließ den Buhrlo herumfahren. Im ersten Moment glaubte er, Grä zu sehen, doch erkannte er schnell seinen Irrtum. Das Wesen war kleiner als Grä, und es bewegte sich mit einer Sorglosigkeit, als hätte es absolut nichts zu befürchten. Tatsächlich zeugte die Art, wie die Nomaden dem späten Besucher gegenübertraten, von einer gewissen Achtung. Der flackernde Lichtschein des Lagerfeuers ließ erkennen, daß das Interesse des Gmu ausschließlich dem Translator galt. McPhillis hätte viel dafür gegeben, zu erfahren, worüber gesprochen wurde. Der Gedanke, daß es offenbar zwei voneinander unabhängige Gruppen der freundlichen kleinen Pelzwesen gab, beschäftigte ihn bis zum Morgen. Grä hatte nichts davon erwähnt. Die Nomaden brachen sehr früh auf. Als sie im Lauf des Vormittags eine Ansammlung verschieden großer Kabinen erreichten, war der Gmu nicht mehr bei ihnen. In den Korridoren herrschte reges Treiben. Die Buhrlos waren überrascht, hier eine solche Vielzahl Angehöriger verschiedener Völker anzutreffen. Sie erkannten, daß der Schein der nächtlichen Feuer von deren Lagerstellen herrührte. Die vorhandenen Unterkünfte reichten bei weitem nicht aus, um alle aufzunehmen, die zum Teil wohl einen langen Weg hinter sich hatten. Manch abschätzender Blick traf die Buhrlos. Ansonsten nahm man
kaum Notiz von ihnen. Ein Gmu stellte sich den Echsenähnlichen in den Weg. McPhillis erkannte ihn sofort, obwohl dieser sich den Anschein gab, als begegne er den Nomaden zum erstenmal. Man gestikulierte auf beiden Seiten, bis scheinbar eine Einigung erzielt war. Wenn der Buhrlo richtig verstanden hatte, ging es dabei um den Lagerplatz. Der Korridor, dessen Verlauf man dann folgte, führte über die höchste Erhebung inmitten der Ansiedlung. Von hier aus war ein weiter Rundblick möglich. Etliche Kilometer entfernt brach sich das Sonnenlicht in grellen Reflexen. Jason McPhillis zuckte unwillkürlich zusammen, als er erkannte, worum es sich handelte.
7. Nun, da man wußte, daß die Suche nach einem Naturphänomen niemals zu den erhofften Ergebnissen führen würde, zeichneten sich rasch erste Fortschritte ab. Innerhalb kürzester Zeit fand man energetische Hyperstrahlungen, die zwar noch nicht identifiziert werden konnten, aber zumindest wurde klar, daß da etwas war, was sich messen ließ und sich demzufolge auch über kurz oder lang würde einordnen lassen. Und keineswegs hatte man die vermißten Buhrlos aufgegeben. Wenngleich kaum mehr Hoffnung bestand, wollte man zumindest Gewißheit über ihr Schicksal erhalten. Die SOL selbst blieb von weiteren Zusammentreffen verschont. Vorerst wenigstens, denn auszuschließen war nicht, daß Pulks von Koppelträgern nur wenige hunderttausend Kilometer entfernt auf eine günstige Gelegenheit lauerten. Entsprechend angespannt war die Atmosphäre an Bord. Noch immer versagten die Ortungen der SOL. Sobald man die wahre Natur der Hyperstrahlung erkannt hatte, mußte es Möglichkeiten geben, diese zu kompensieren.
Die Hektik der letzten Stunde war an Atlan mehr oder weniger unbemerkt vorübergegangen. Er, Wylt'Rong und die übrigen Roxharen, Bjo Breiskoll und Lyta Kunduran hatten sich in Breckcrowns Klause zurückgezogen, wo sie zusammen mit SENECA einen kühnen Plan ausarbeiteten. Die Fakten standen fest. Das eine oder andere war Wylt'Rongs Gedächtnis noch zu entlocken gewesen, manches hatten auch seine Begleiter beisteuern können. Demnach handelte es sich bei den Angreifern wirklich um Roxharen. Die Bewaffnung ihrer Kampfschiffe, die Einsatzmöglichkeiten der nicht minder schlagkräftigen Koppelträger, all das war bekannt. Spekulationen wurden lediglich darüber angestellt, ob man tatsächlich auf das Vormalt-System gestoßen war. Dann hätte Roxha, von der Sonne aus gesehen, der dritte Planet sein müssen. Eigentlich war Wylt'Rong derjenige von allen, der sich am skeptischsten gab. Zum Teil mochte das daran liegen, daß der Schock noch immer nicht gänzlich wieder abgeklungen war, den der Anblick eines roxharischen Kampfschiffs ausgelöst hatte – zum anderen Teil hatte zweifellos die früher bestandene tiefe Bindung zum geistigen Faktor schuld daran. Auch wenn Wylt'Rong anderer Meinung war, völlig mochte er sich bisher nicht davon gelöst haben. Und den übrigen Roxharen erging es mehr oder weniger ähnlich. »Du weißt nicht, worauf wir uns in Wirklichkeit einlassen«, warnte Wylt'Rong mit Nachdruck. »Sehr schnell wird feststehen, daß wir uns dem Einfluß des geistigen Faktors entzogen haben. Wie das möglich war, werden sie fragen und werden versuchen, uns wieder auf den richtigen Weg zurückzuführen.« Er hat recht, flüsterte Atlans Logiksektor. Das ist einer der wunden Punkte. »Die Besatzung des Schiffes, das uns aufnimmt, darf eben keine Zeit finden, dich und deine Leute als Verräter einzustufen«, erwiderte der Arkonide betont langsam. »Entweder überrumpeln wir die Roxharen, oder wir überzeugen sie, eine andere Wahl bleibt
uns nicht.« Wylt'Rong drehte seine Ohren nach hinten, was Ablehnung signalisierte, möglicherweise auch eine Gefahr, von der sein Gesprächspartner nichts ahnte. »Es wird schwer werden, bei jemandem Gehör zu finden, der unter dem Einfluß des geistigen Faktors steht. Der Angriff auf die SOL dürfte bewiesen haben, was uns erwartet. Aber ich will nach Roxha zurückkehren, und dafür würde ich alles tun, selbst wenn es von vornherein aussichtslos erscheint. Was glaubst du, was uns seit den Vorfällen im Ysterioon wirklich bewegt?« »Atlan!« rief Lyta Kunduran und unterbrach den Arkoniden in seiner Antwort. »Sanny will dich sprechen.« Vor wenigen Minuten erst hatte er die Molaatin um eine Auswertung des Problems gebeten. Daß sie sich so schnell schon melden würde, hatte er nicht erwartet. Sanny lächelte, als er in den Erfassungsbereich der Bildübertragung trat. »Alles o.k.«, bediente sie sich einer Ausdrucksweise, die sie irgendwo aufgeschnappt hatte. »Unter Berücksichtigung der vorliegenden Daten, Fakten und Spekulationen ist eine Erfolgsquote von 95 Prozent anzunehmen. Vorausgesetzt, daß sich keine überraschenden neuen Erkenntnisse ergeben.« Atlan nickte. »Uns ist klar, welches Risiko wir eingehen. Danke jedenfalls, Sanny.« Er schürzte die Lippen – eine Geste, die von der Molaatin sofort mit einem Augenzwinkern erwidert wurde. »Übrigens«, sagte sie, »was meint SENECA dazu?« »Die Hyperinpotronik beziffert die Erfolgsaussichten nur mit 89,74 Prozent.« Sanny ließ ein leises, melodisches Lachen vernehmen. »SENECA ist vorsichtig. Aber vielleicht gehört auch ein bißchen Intuition mit dazu. Atlan, ich möchte euch begleiten.« Ihr Ansinnen kam keineswegs unverhofft. Der Arkonide hatte
sogar darauf gewartet. Deshalb fiel es ihm leicht, sie mit Argumenten zu überzeugen, daß ihre Anwesenheit an Bord der SOL wichtiger war. Inzwischen wurde in einigen Fabriken schon auf Hochtouren gearbeitet. Roboter transportierten die ersten Stahlplatten in einen der unteren Ringwulsthangars, wo sie zu ihrer endgültigen Form zusammengefügt wurden. Im Verlauf weniger Stunden verwandelte eine Space-Jet ihr Aussehen. Was schließlich entstand, maß nicht mehr 55 Meter im Durchmesser, sondern entlang der Längsachse knapp das Doppelte und war von ovaler Form. Wylt'Rong, der als erster den Hangar betrat, blieb erstaunt stehen. In seinem Blick lag etwas Sehnsuchtsvolles, als er sich zu Atlan und den anderen umwandte. »Wieso hast du uns die Existenz einer roxharischen Zelle verschwiegen? Nach allem, was ich bisher erfahren habe, kann sie nur von Chail stammen.« Atlan war zufrieden. »Deine Reaktion beweist, daß wir die Roxharen täuschen können. Das Schiff wurde anhand gespeicherter Aufnahmen und Meßdaten konstruiert, außerdem verfügt es über die exakten Massewerte einer Zelle. Die Energieabstrahlung sowie jene flackernde Aura, die normalerweise jede Zelle umgibt, können vernachlässigt werden.« »Die angeblich zurückgelegte Entfernung entschuldigt kleinere Abweichungen«, stimmte Wylt'Rong zu. Er hatte es eilig, an Bord zu kommen. Um so größer war dann seine Enttäuschung, als er feststellen mußte, daß im Innern der Space-Jet kaum etwas verändert worden war. »Bei Bildkontakt sollten wir vorsichtig sein.« »Ich kann es nicht ändern«, sagte Atlan. »Notfalls müssen wir improvisieren.« Brooklyn und Lyta Kunduran, denen die Schiffsführung oblag, nahmen hinter den Kontrollen Platz. Alles war so weit vorbereitet,
daß die umgebaute Jet innerhalb weniger Minuten starten konnte. Von da an würde man jedoch völlig auf sich allein gestellt sein, denn Breckcrown Hayes sollte gleichzeitig versuchen, die SOL in einer oder mehreren Linearetappen aus der toten Zone zu fliegen. »Wir brauchen einen Namen für unser Schiff«, meinte Lyta Kunduran. »Däumling!« schlug Brooklyn spontan vor. »Das paßt sowohl von der Größe als auch vom Aussehen her.« Man blieb dabei. Kurze Zeit später verließ die DÄUMLING, nur von Antigravfeldern getragen, den Hangar. Die Flugrichtung war von Sanny und SENECA gemeinsam berechnet worden; die zurückzulegende Entfernung ergab sich aus den Werten, die während der Flucht der SOL vor den Kampfschiffen gespeichert worden waren.
* Sie mußten damit rechnen, nach ihrem Auftauchen aus dem Linearraum angegriffen zu werden. Aber nichts geschah. Die Ortungen schwiegen, und auf den Bildschirmen war die Lichtlosigkeit dieses Raumsektors vorherrschend. »Ich kann wieder jenen ungeordneten Gedankenschwall wahrnehmen«, sagte Bjo Breiskoll. »Die Impulse kommen am deutlichsten aus unserer Flugrichtung.« »Wahrscheinlich spürst du die mentale Ausstrahlung der Bewohner von Roxha«, gab Brooklyn zu bedenken. »Wenn wir uns danach richten …« Atlan winkte ab. »In Planetennähe würden wir zuviel Aufmerksamkeit erregen. Ich …« »Seht!«
Auf den Bildschirmen zeichnete sich ein winziger verwaschener Fleck ab, der rasch größer wurde. Unverkennbar Triebwerksemissionen. Im nächsten Moment entstand vor der DÄUMLING ein sich ausdehnender Glutball, dessen Ausläufer das kleine Schiff heftig erschütterten. Brooklyn drosselte die restliche Geschwindigkeit der Jet, während der Roxhare näher kam. Zweifellos handelte es sich um eines der mächtigen Kampf schiffe. »Ein einziger Feuerschlag vermag uns in Atome aufzulösen.« »Niemand schießt gezielt auf seine eigenen Leute«, behauptete Wylt'Rong. Er verstand Lyta Kundurans Besorgnis wegen der fehlenden Schutzschirme, aber eine Aktivierung des HÜ- oder Paratronschirms hätte alle Bemühungen schlagartig zunichte gemacht. »Sie sind überaus mißtrauisch«, erklärte Breiskoll. In dieser Situation kam es darauf an, die Nerven zu behalten. Atlan rechnete nicht damit, daß die Roxharen die Zelle einschleusen würden, ohne sich zuvor davon überzeugt zu haben, wen sie an Bord nahmen. Wuchtig und drohend wuchs das Kampfschiff vor der Space-Jet auf. »Funkkontakt!« gellte Brooklyns Stimme durch die Zentrale. Täuschte sie sich, oder war die Luft wirklich zum Schneiden? Es mochte ihre eigene innere Anspannung sein, die sie so empfinden ließ. Wylt'Rong zögerte, gab sich dann aber einen merklichen Ruck. Flüchtig nickte er Atlan zu, wie um nochmals zu bestätigen, daß er seinen Teil des Vorhabens erfüllen würde. »Sanny hat sich also nicht getäuscht«, stellte Breiskoll fest. »Ab einer gewissen Distanz ist Funkkontakt selbst innerhalb der toten Zone möglich.« Wylt'Rong zog ein Mikrophon zu sich heran und nannte seinen Namen.
»… als Kommandant dieser Zelle verlange ich, daß jede feindselige Handlung augenblicklich eingestellt wird. Wir haben eine lange Reise hinter uns. Sollten die Roxharen inzwischen verlernt haben, Heimkehrende mit der ihnen gebührenden Ehre zu empfangen?« Für eine Weile war Stille. Erst nach beinahe zwei Minuten kam die Antwort: »Du wirst dich damit abfinden müssen, Wylt'Rong. Oder hast du in der Zeit deiner Abwesenheit von Roxha alles vergessen, was unserer Sicherheit dient?« Die Unschlüssigkeit, die sich in Wylt'Rongs Haltung ausdrückte, war unübersehbar. »Er hat wirklich keine Ahnung«, flüsterte Breiskoll dem Arkoniden zu. »Weshalb zeigst du dich nicht?« kam es von Bord des Kampf schiff s. »Was hast du zu verbergen?« »Ein Teil unserer technischen Anlagen ist ausgefallen. Immerhin war der Flug von All-Mohandot bis ins Vormalt-System mit etlichen Schwierigkeiten verbunden.« »Betrifft das auch den Energiehaushalt der Zelle?« »Wir waren zu Reparaturen gezwungen«, erwiderte Wylt'Rong sofort, »und müssen uns mit gedrosselter Leistung zufriedengeben.« »Du wirst verstehen, daß wir das nachprüfen werden. Schließlich kommt es selten vor, daß eine Zelle Roxha direkt anfliegt. Und nun möchte ich dich auf meinem Schirm sehen, Wylt'Rong. Es ist zwar lange her, daß du unsere Heimat verlassen hast, dennoch wurde mir dein Bild überspielt.« »Es tut mir leid …« Der Kommandant des Kampfschiffs reagierte ungehalten. Deutlich war zu sehen, daß sein bläuliches Fell sich sträubte, während er die zierlichen Hände zu Fäusten ballte. »Du behauptest, aus All-Mohandot zu kommen. Dort muß vor kurzem etwas geschehen sein, was den Einfluß des geistigen Faktors
schwächte.« »Ich weiß nichts davon.« »Du ergehst dich in Ausflüchten. Ich hätte das Recht, deine Zelle zu zerstören, Wylt'Rong, doch ich werde es nicht tun – noch nicht. Das hängt davon ab, was du mir zu berichten hast.« Übergangslos wurde der Bildschirm dunkel. »Es tut mir leid«, begann der Roxhare, aber Atlan winkte ab. »Du hast getan, was du konntest. Vorwürfe sind fehl am Platz.« »Wir beschleunigen«, rief Brooklyn dazwischen. »Das Kampfschiff holt uns mit einem schwachen Zugstrahl zu sich.« »Gut«, nickte Atlan. »Macht euch bereit, daß wir die Jet sofort verlassen können.« Sie näherten sich dem Bugteil des Kastenschiffs. Etwa in der Mitte hatte sich eine Schleuse geöffnet, aus der gedämpftes Licht fiel. »Der Hangar liegt unterhalb der Konvertersysteme«, erklärte Wylt'Rong, dessen Erinnerungen deutlicher wurden, je mehr Zeit verstrich. »Von dort aus ist es nicht allzuweit bis zur Hauptleitzentrale unmittelbar im Bug.« Sanft setzte die DÄUMLING neben zwei roxharischen Beibooten auf. Noch ehe das Außenschott sich wieder geschlossen hatte, verließen Atlan und die Solaner in ihren Raumanzügen die Jet. Die Schleuse eines der Beiboote stand offen, eine schmale Rampe führte hinauf. Mit ausgestrecktem Arm deutete der Arkonide nach oben, von wo sich ein guter Überblick bieten mußte. Es dauerte länger als erwartet, bis im Hangar wieder ein normaler Luftdruck herrschte. Endlich konnte man die Helme zurückklappen und sich leise unterhalten. »Roboter!« flüsterte Brooklyn plötzlich. Die kugelförmigen Maschinen nahmen Aufstellung rings um die DÄUMLING. Ihnen folgten mehrere Roxharen. »Hoffentlich macht Wylt'Rong jetzt keinen Fehler.«
* Unterwegs hatte es kaum Gelegenheit gegeben, sich miteinander zu verständigen. Nach dem ersten Fluchtversuch eines Buhrlos hatten die Nomaden selbst während der Rasten dafür gesorgt, daß ihre Gefangenen voneinander getrennt waren. Jetzt, nachdem sie ihr Ziel erreicht hatten, war das anders. »Was mögen sie vorhaben?« fragte Mira Goldsteen leise. McPhillis zuckte die Achseln. »Wir alle haben den metallenen Kegel gesehen. Dabei könnte es sich um eine Überwachungsstation handeln.« »Du meinst«, erwiderte Joke Endres, »jene Fremden, die uns auf dieser Welt abgesetzt haben, sind auch die Erbauer des Gebäudes?« »Wer sonst? Sieh dir die Völker an, die hier versammelt sind. Obwohl ihre Vorfahren die überlichtschnelle Raumfahrt beherrschten, sind sie in den Zustand der Primitivität zurückgefallen.« Slei Leighton lachte heiser. »Es sieht ganz so aus, als bereiteten sie sich auf eine kämpferische Auseinandersetzung vor. Hast du bemerkt, wie manche hin und wieder stehenbleiben und zu dem Kegel hinüberstarren?« »Sie haben ihre Freiheit ebenso verloren wie wir. Im Grunde genommen sind wir alle Verbündete.« »Du meinst … Nein.« Ungläubig schüttelte Joke Endres den Kopf. »Das kann niemals gutgehen.« »Ich bin überzeugt davon, daß ein Angriff auf die Station bevorsteht.« »… ohne Energiewaffen ein aussichtsloses Unterfangen. Man sollte ihnen das klarmachen.« »Und wie? Ich höre mindestens zehn verschiedene Sprachen. Noch dazu können wir uns nicht einmal mit den Nomaden verständigen.« »Du vergißt den Translator.«
»Schlage dir das aus dem Kopf, Mira.« Die Frau murmelte etwas Unverständliches und wälzte sich herum. Es war kurz vor Mittag. Als die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hatte, versammelten sich Vertreter jeden Stammes zwischen den Kabinen, auf einem weiten Platz, der von allen Seiten her eingesehen werden konnte. »Sie scheinen ihre Kräfte messen zu wollen«, sagte Slei Leighton. »Die Waffen, die sie tragen, nennt man Pfeil und Bogen. Ich habe Ähnliches vor langer Zeit einmal auf einem Videoband gesehen.« Einzeln traten die Schützen vor, von lautstarken Zurufen angefeuert. Es galt, eine hochgeschleuderte Scheibe im Flug zu treffen. Drei Versuche hatte jeder, und wer nicht mindestens zweimal traf, schied unter dem Hohngelächter der anderen aus. Zum Schluß standen sich einer der Nomaden und ein vierarmiges Wesen gegenüber. Die Distanz wurde um zehn Meter vergrößert, doch beide schienen hervorragende Schützen zu sein, keiner von ihnen verfehlte das Ziel. »Das sieht leicht aus«, meinte Joke Endres. »Ehrlich gesagt, würde ich es auch gerne versuchen.« »Frage dich lieber, was sie mit uns vorhaben.« »Mag sein, daß wir als Trophäe für den Sieger vorgesehen sind …« Miras unbedachte Bemerkung veranlaßte die anderen zu schweigen. Ein hölzernes Gestell wurde auf den Platz geschoben. Gut drei Meter betrug seine Höhe, und als die stützenden Balken und Bretter entfernt wurden, kam ein kugelförmiges Gebilde zum Vorschein, aus dem ein Dutzend verschieden langer Stangen herausragte, jede davon an ihrem freien Ende mit kleinen Ringen versehen. Die Kugel durchmaß etwa eineinhalb Meter, und genauso hoch war sie über dem Boden angebracht. Ungeduldig krächzten die vogelähnlichen Reittiere, als sie zum gegenüberliegenden Ende des Platzes geführt wurden. »Was soll das?« wunderte sich eine Buhrlo-Frau. »Vermutlich werden die Teilnehmer versuchen, mit langen
Stangen nach den Ringen zu stechen«, erwiderte Slei Leighton. »Nein.« Die Frau schüttelte den Kopf. »Ich meinte die Kugel. Was stellt sie dar, wozu der Aufwand?« »Ich glaube nicht, daß dieses Zusammentreffen verschiedener Völker nur des Wettkampfes wegen erfolgt«, ließ Joke Endres vernehmen. »Da steckt mehr dahinter. Und dann der Translator. Mir scheint, daß viele sich ohne Hilfsmittel miteinander verständigen können, und sei es nur mittels Zeichensprache.« Jason McPhillis meldete sich zu Wort: »Findet ihr nicht auch, daß diese Kugel an einen schwebenden Roboter erinnert? Die seitlich angebrachten Stangen könnten Tentakelarme darstellen.« »Und die Ringe?« »Waffen möglicherweise …« »Vielleicht ist das alles wirklich kein Spiel – sondern Vorbereitung auf eine kommende Auseinandersetzung.« »Mit Robotern?« machte Mira erstaunt. »Wir haben viel zu sehen bekommen, seit wir auf diese Welt verschleppt wurden. Aber ich kann mir nur einen einzigen Ort vorstellen, an dem sich Roboter aufhalten könnten.« »Der Kegel«, nickte McPhillis zustimmend. »Dummerweise wurden wir in den Strudel der Ereignisse hineingezogen.« »Etwas Besseres konnte kaum geschehen«, widersprach Slei Leighton. »Nur jemand, der das nötige technische Wissen besitzt, wird in den Kegel eindringen können. Die meisten der hier Versammelten scheinen dieses Wissen jedoch innerhalb einer oder mehrerer Generationen verloren zu haben.« »Dann biete ihnen unsere Hilfe an.« »Dazu müßte man erst an den Translator herankommen.« Leighton wälzte sich herum und stemmte sich auf den Knien hoch. Dann hielt er McPhillis die auf den Rücken gebundenen Hände entgegen. »Bleib!« zischte Mira aufgebracht. »Du machst nur unnötig auf uns
aufmerksam.« »Na und?« »Du sollst dich wieder hinlegen. Sonst kann ich dich nicht losbinden.« Mira Goldsteen hatte es tatsächlich geschafft, mit Hilfe eines scharfkantigen Steines ihre Fesseln aufzufransen, bis diese endlich zerrissen. Niemand achtete in diesen Minuten auf die Buhrlos. Aller Augen hingen wie gebannt an den Reitern, von denen es nur wenigen auf Anhieb gelang, einen oder mehrere Ringe zu stechen. »Wenn sie so gegen Roboter angehen, sind sie tot oder gelähmt, ehe sie auch nur in deren Nähe kommen«, stellte McPhillis fest. »Eigentlich sollte der Translator inzwischen Elemente sämtlicher Sprachen gespeichert haben …« »Du weißt nicht, ob das Gerät dazu überhaupt in der Lage ist«, warnte Endres. »Und dann ist die Frage, ob es aktiviert wurde.« Jetzt lächelte McPhillis. »In der vergangenen Nacht hat der Gmu einige Schaltungen ausgeführt. Deshalb bin ich mir sicher.« Ehe ihn jemand zurückhalten konnte, hastete er in gebückter Haltung davon. Nur noch drei Reiter trieben ihre Tiere über den Platz, die anderen hatten sich inzwischen geschlagen geben müssen. Der Translator stand nicht allzuweit von ihnen entfernt. McPhillis nutzte den Schatten einer der Kabinen aus, um unbemerkt heranzukommen. Plötzlich gellte ein Schrei auf. Bevor der Buhrlo es sich versah, preschte einer der Reiter auf ihn zu. Eng preßte er sich an die hölzerne Wand, sein Ziel greifbar nahe vor Augen. Mit Wucht geworfen, fuhr unmittelbar vor ihm eine Stange in den Boden. McPhillis wurde überwältigt, ehe er sie als Waffe nutzen konnte. Sechs oder sieben der verschiedensten Wesen zerrten ihn mit sich. Er mußte es geschehen lassen, daß sie ihm einen Knüppel in die Hand drückten und auf den Kampfplatz schoben. Alle schienen es als eine Art besonderer Belustigung aufzufassen.
Dann stand der Buhrlo einem Gegner gegenüber, der ihn um gut einen halben Meter überragte. Er war durchaus menschenähnlich, besaß jedoch viel zu lange Arme und einen kahlen Schädel, dessen hervorstechendes Merkmal nur ein einziges, auf der Stirn befindliches Auge war. Einem mehr spielerisch geführten Schlag wich der Buhrlo blitzschnell aus. Heiseres Gelächter beantwortete seine Aktion. McPhillis wußte, daß er verlieren würde. Er war das Kämpfen nicht gewohnt, schon gar nicht auf solch altertümliche Art. Wieder sauste die Keule seines Gegners herab. Er parierte und hatte dabei das Gefühl, sich die Arme zu verstauchen. Der starke Zusammenprall ließ ihn taumeln. McPhillis hetzte zur Seite. Er mußte in Bewegung bleiben, durfte sich nicht stellen, sonst gewann der andere die Oberhand. Zweimal wurde er schmerzhaft an der linken Schulter getroffen. Er biß die Zähne zusammen, um nicht laut aufzuschreien. War dies sein Schicksal und das seiner Begleiter? Jason McPhillis stolperte, kämpfte sekundenlang um sein Gleichgewicht. Ein Fußtritt des Gegners warf ihn endgültig zu Boden, aber er ahnte den nachfolgenden Angriff und rollte sich zur Seite, krallte seine Finger in das Erdreich und schleuderte mit einer letzten verzweifelten Anstrengung dem Einäugigen Dreck, Sand und Steine entgegen. Wütendes Gebrüll bewies ihm, daß er getroffen hatte. Abermals wollte er aufspringen, doch eine Hand umklammerte seinen Knöchel und zerrte ihn zurück. Instinktiv stieß der Buhrlo seine Keule hoch, sie wurde zur Seite geschlagen. In jäh aufwallender Furcht schloß er die Augen. Der folgende Hieb würde sein Bewußtsein auslöschen.
*
Die Roxharen trafen sofort Anstalten, sich gewaltsam Zugang zu der vermeintlichen Zelle zu schaffen. Sekunden später öffnete sich das Außenschott, und die Roboter hoben ihre Waffenarme. Zwei Roxharen erschienen in der Schleuse der umgebauten SpaceJet. »Ich bin Wylt'Rong«, rief einer von ihnen. »Wieso empfängt man uns mit Strahlern im Anschlag?« »Wie groß ist die Besatzung?« wurde er gefragt, ohne daß jemand auf seine Worte einging. »Achtundzwanzig.« »Gut. Gib den Befehl, daß alle herauskommen.« Wylt'Rong und seinem Begleiter blieb keine Wahl. Kaum hatten alle Roxharen den Boden des Hangars betreten, als man sie auch schon nach Waffen durchsuchte. »Das ist doch lächerlich«, begehrte Wylt'Rong auf. »Glaubt man auf Roxha wirklich, der geistige Faktor würde einem Flug von AllMohandot aus zustimmen, nur damit wir dann eine Auseinandersetzung provozieren?« Sein Gegenüber zeigte sich unbeeindruckt. »Das zu entscheiden«, sagte er, »ist nicht unsere Sache.« Die offenstehende Schleuse wirkte geradezu wie eine Einladung. Wenn auch nur einer der Roxharen auf die Idee kam, nachzusehen, ob sich noch jemand an Bord aufhielt, war das Unternehmen gescheitert. »Kannst du erkennen, was sie vorhaben, Bjo?« fragte der Arkonide. Breiskoll schüttelte den Kopf. »Sie sind aufgeregt, weil irgend etwas nicht so zu sein scheint, wie sie es erwartet haben. Aber ihre Gedanken sind verschwommen. Ähnlich war es bei Wylt'Rong, als er das roxharische Kampfschiff erstmals sah.« Erleichtert atmete Atlan auf, als die Gruppe sich endlich in Bewegung setzte. Wylt'Rong und seine Leute wurden von den
Robotern flankiert. Angesichts der aktivierten Abstrahlfelder ihrer Waffen erschien es ratsam, keinen Widerstand zu leisten. Unvermittelt scherte eine der Maschinen aus. »Bleibt stehen!« dröhnte es durch den Hangar. »Ihr seid Verräter am geistigen Faktor.« Wylt'Rong schien zu erstarren. »Wer behauptet das?« »Jetzt kommt es darauf an«, flüsterte Bjo Breiskoll im Versteck. »Sollen wir eingreifen?« »Nein«, sagte Atlan. »Noch nicht.« Der Anführer der Roxharen war an Wylt'Rong herangetreten. »Die Roboter haben festgestellt, daß euch das Treuesiegel fehlt.« »Wylt'Rong ist entsetzt«, sagte Bjo Breiskoll wenige Sekunden später. »Mit einer solchen Wendung hat er nicht gerechnet.« »Was ist das ›Treuesiegel‹?« wollte Atlan wissen. »Keine Ahnurig. Allem Anschein nach ist es unüblich, daß eine solche Überprüfung vorgenommen wird.« »Wir folgen ihnen«, entschied der Arkonide spontan. Sie warteten, bis das Innenschott sich wieder geschlossen hatte, dann verließen sie mit der nötigen Vorsicht ihr Versteck. Bjo Breiskoll konzentrierte sich ganz auf Wylt'Rong. »Er denkt unablässig daran, wo er sich gerade befindet.« Die Maschinenräume mit den Andruckneutralisatoren und Anlagen zur Gravo-Stabilisation umgingen sie. Der weitere Weg führte über unbedeutende Zwischendecks, die wie ausgestorben wirkten. »Unmittelbar über uns liegen jetzt die Lebenserhaltungssysteme und die Twi-Positronik«, stellte Breiskoll fest. »Wylt'Rong ist inzwischen überzeugt davon, daß man ihn und die anderen zur Zentrale bringt.« »Gut«, nickte Atlan. »Wir sollten uns den Weg genau einprägen. Im Notfall kann es entscheidend sein, wenn wir die Zugänge zum
Lebensnerv dieses Kampfschiffs kennen.« Der Katzer beschrieb den Weg mit wenigen Sätzen. Es war nicht mehr weit. »Ich denke, ich kann wieder mehr auf die Gegenseite achten«, schloß er. »Vielleicht ist doch noch einiges in Erfahrung zu bringen.« Gleich darauf stöhnte er unterdrückt auf. »Wir müssen etwas unternehmen.« Er rang sichtlich um Fassung. Brooklyn, die neben ihm stand, schüttelte ihn an den Schultern. »Was ist geschehen?« »Sie haben vor der Zentrale angehalten. Wylt'Rong und seine Leute sind aufgefordert, dem geistigen Faktor ewige Treue zu schwören – auch wenn dieser nicht mehr vorhanden ist. Versteht ihr? Die Bewohner von Roxha scheinen zu wissen, was im Ysterioon vorgefallen ist.« »Na und?« machte Lyta Kunduran. »Wylt'Rong ist bestimmt nicht auf den Kopf gefallen, und die drohenden Waffenmündungen lassen ihm praktisch keine andere Wahl. Er wird die Treue schwören, und seine Begleiter werden es ebenfalls tun.« Atlan hörte kaum hin, was die Frau sagte. Der Roxhare hat keine Möglichkeit, zu durchschauen, was wirklich vorgeht, wisperte sein Extrasinn. Er wird alles zunichte machen. Sinngemäß das gleiche, nur mit anderen Worten, drückte Bjo Breiskoll aus: »Es handelt sich um einen Test. In Wirklichkeit sind die Roxharen heilfroh, daß der geistige Faktor verschwunden ist. Endlich können sie frei leben. Und sie wissen jedem zu begegnen, der die alten Zustände wieder herbeisehnt.« Atlan hastete bereits den Gang entlang. Zwei Minuten brauchte er, um die Roxharen einzuholen, und er kam gerade noch zurecht, um Wylt'Rong am Ablegen des Schwures zu hindern. »Tu's nicht!« rief er, während die Roboter ihn bereits überwältigten und ihre Tentakel sich eng um seinen Körper
schlangen. »Du mußt ihnen die Wahrheit sagen! Alles, hörst du!«
8. Der entscheidende Schlag blieb aus. Statt dessen vernahm McPhillis laute, einschneidende Worte. Erst nach und nach begriff er, daß die Stimme nicht nur Interkosmo redete, sondern mindestens ein halbes Dutzend fremder Sprachen gleichzeitig. Mit einer Bewegung des Abscheus schleuderte er die Keule von sich, die er noch immer fest umklammert in der Rechten hielt. Dann erhob er sich. Seine Schulter schmerzte, ihm wurde schwarz vor Augen, aber einige tiefe Atemzüge vertrieben die Schwäche. Unbeweglich stand sein Gegner – auch andere starrten den Buhrlo stumm an. In ihren Gesichtern stand Überraschung geschrieben. Sie lauschten dem Klang der Stimme, die zu jedem von ihnen sprach. Was ließ sie innehalten? Furcht vor dem unbekannten Zauber oder die längst verschüttete Erinnerung an eine Technik, die es erlaubte, von Stern zu Stern zu fliegen? »Komm endlich, Jason. Worauf wartest du?« Zwei Buhrlos winkten ihm zu. Sie hatten Pfeil und Bogen erbeutet und hielten die Waffen schußbereit in den Händen. »Mira kann die Menge bestimmt nicht mehr lange hinhalten.« Das alles war wie ein Traum. McPhillis sah die Frau neben dem Translator stehen. Sie lächelte. Also waren die Vermutungen richtig gewesen. Das Gerät besaß eine enorme Leistungsfähigkeit. Trotzdem gab es Fragen, auf die sich keine befriedigenden Antworten finden ließen. McPhillis glaubte zu spüren, daß jemand nicht mit offenen Karten spielte; er glaubte auch zu wissen, wer dieser Jemand war. Und deshalb versuchte er nicht zu fliehen. Niemand hinderte ihn daran, daß er auf den Translator zuschritt. »Noch haben wir eine Chance«, redete Mira auf ihn ein. »Wir haben keine, wenn wir davonlaufen«, erwiderte er barsch.
»Laß mich.« Er schob sie zur Seite. »Freunde«, begann McPhillis. »Ja, ich sage Freunde, weil wir alle dasselbe Ziel haben. Wir wollen die Station der Fremden erobern, die unsere Raumschiffe zerstört und unsere Vorfahren und uns zum Leben auf dieser öden Welt verurteilt haben. Aber wir werden nichts erreichen, wenn wir gegeneinander kämpfen.« Er machte eine Pause, um die Wirkung seiner Worte abzuwarten, und blickte herausfordernd in die Runde. Der Gmu trat auf ihn zu. »Wer bist du, Fremder, und was willst du?« McPhillis wollte auf die vergangene Nacht hinweisen, besann sich aber eines Besseren. Wenn der Pelzige mit den Nomaden gemeinsame Sache machte, wie es unzweifelhaft den Anschein hatte, und sie zusammen die anderen Stämme zu hintergehen suchten, würde er nur böses Blut schaffen. »Eine Antwort ist schnell gegeben«, sagte er deshalb. »Wir weilen erst wenige Tage auf dieser Welt, aber wir würden sie gerne wieder verlassen. Unsere Heimat sind die Sterne.« »Dann wißt ihr, wie die Fremden zu besiegen sind?« rief der Einäugige, gegen den McPhillis gekämpft hatte. »Ja«, nickte der Buhrlo. »Wir kennen ihre Technik, und wir werden es schaffen, ihre Station zu erobern. Helft uns dabei.« Zustimmende Rufe wurden laut. Kaum einer, der dem Buhrlo nicht Glauben schenkte. Im Grunde genommen hatten sie alle nur darauf gewartet, daß ihnen jemand die Last der Entscheidung abnahm. »Wann brechen wir auf? Sofort?« »Nein«, sagte McPhillis. »Morgen oder übermorgen. Es gibt vieles zu besprechen.« Tatsächlich stellte sich heraus, daß einige Völker wiederholt versucht hatten, die Station anzugreifen. Sie waren zurückgeschlagen worden, hatten dabei aber Erkenntnisse über die vorhandenen Abwehranlagen gewinnen können, unter anderem
über kugelförmige Roboter, die sich auf Antigravfeldern fortbewegten. Sie zu überwinden würde schwer, wenn nicht gar unmöglich sein. Ohne daß es auffiel, suchte McPhillis immer mehr die Nähe des Gmu; er diskutierte auch dann noch mit dem kleinen pelzigen Wesen, als die Feuer längst niedergebrannt waren und die reichlich genossenen berauschenden Getränke ihre Wirkung zeigten. Lediglich Mira Goldsteen schien ebenfalls keine Müdigkeit zu verspüren. Sie wich nicht von seiner Seite. McPhillis' Haltung veränderte sich schlagartig, als niemand mehr auf sie achtete. »Ich denke«, sagte er übergangslos, »wir können jetzt das bloße Gerede vergessen. Ich will wissen, was wirklich gespielt wird. Wozu der Translator, und was hatten die Nomaden mit uns vor?« Wenn der Gmu vom plötzlichen Stimmungsumschwung seines Gesprächspartners überrascht war, so zeigte er es jedenfalls nicht. »Es geht uns um die Station. Um mehr nicht.« »… dir und den Nomaden. Und alle anderen sollen für euch die Köpfe hinhalten.« Abwehrend hob der Gmu seine Arme, aber McPhillis ließ sich nicht ablenken. »Ich lag in der vergangenen Nacht wach, als du den Translator aktiviert hast. Also heraus mit der Sprache, oder wir werden uns zurückziehen.« »Wir könnten euch zwingen.« McPhillis lachte. »Versuch's …« Das Eingeständnis seiner eigenen Schwäche fiel dem Gmu sichtlich schwer. »Wir brauchen euch.« »Na also«, ließ Mira Goldsteen vernehmen. »Weshalb nicht gleich so?« »Der Reihe nach«, forderte McPhillis den Pelzigen auf. »Der Übersetzer gehört deinem Volk, oder?« »Ja«, sagte der Gmu. »Aber die Maschine wurde nicht dazu
geschaffen, unter der Erde zu vermodern. Grä und die anderen haben mich verstoßen, weil ich in vielem nicht ihrer Meinung war. Etliche Jahre ist das inzwischen her. Die Nomaden nahmen mich auf, und in ihrer Begleitung stieß ich erstmals auf die Station der Fremden. Viele versuchten schon, sich die Heimkehr zu erkämpfen, alle scheiterten. Der Translator sollte uns endlich eine Verständigung mit den Metallwesen ermöglichen.« »Und ganz nebenbei wurden auch wir benötigt«, meinte Mira ironisch. »Eure Ankunft gab überhaupt erst den Ausschlag. Wir brauchen Raumfahrer, die mit der Technik vertraut sind. Den anderen sagten wir, daß wir euch vorschicken wollten, um die Roboter abzulenken. Und den Translator hielten sie für eine Waffe, deshalb waren sie damit einverstanden, daß wir ihn neben den Häusern aufstellten. Jetzt kennst du die Wahrheit. Was werdet ihr tun?« »Nichts«, erwiderte McPhillis achselzuckend. Der Gmu wollte aufbegehren, aber er unterbrach ihn mit einer schroffen Handbewegung. »Nichts anderes als geplant«, fuhr er fort. »Morgen sehen wir uns den Kegel aus der Nähe an und legen unser Vorgehen fest. Übermorgen, denke ich, wird es soweit sein.«
* Wylt'Rong zögerte. Aber dann sah er die erwartungsvollen Blicke der Roxharen auf sich gerichtet, sah Atlan in der Gewalt der Roboter, und wie ein Wasserfall brach es aus ihm hervor. Er wußte, daß der Arkonide nichts verlangte, ohne triftige Gründe dafür zu haben. »Ich war nahe daran, mich selbst zu verleugnen. Doch ihr sollt wissen, was mich bewegt, sollt erfahren, daß der geistige Faktor keine Macht mehr über uns besitzt. Sicher kann keiner von euch verstehen, wie das ist, wirklich frei zu sein. Ich würde mein Leben
dafür geben …« »Wir kennen deine Gefühle, Wylt'Rong. Auch wir leben inzwischen ohne Zwang. Und wir heißen jeden willkommen, der sich ebenfalls dazu bekennt.« Niemand achtete mehr auf die Roboter. Die Roxharen umarmten einander, nur Atlan wurde noch immer von Tentakeln festgehalten. Erst Minuten später kam der Befehl, den Arkoniden freizulassen. »Unser Kommandant wird sich über die Nachricht freuen«, sagte der Anführer der Roxharen. »Du kennst ihn, Wylt'Rong, früher war er dir unmittelbar unterstellt.« Er wandte sich an Atlan. »Sicher bist du nicht allein gekommen. Wo sind deine Freunde?« »Sie treffen jeden Moment hier ein.« In Gedanken hatte der Arkonide Breiskoll bereits unterrichtet. Tatsächlich stießen die Solaner kurz darauf zu ihnen. Sie wurden freundlich aufgenommen. Während sie dann den Weg zur Zentrale fortsetzten, wandte Breiskoll sich an Atlan. »Wylt'Rong verfluchte den geistigen Faktor mehr denn je zuvor. Fast verzweifelt fragt er sich, wer der Kommandant dieses Schiffes sein könnte.« Sie betraten einen riesig erscheinenden, sich über mehrere Etagen erstreckenden Raum, für den Panoramascheiben und großflächige Bildschirmwände kennzeichnend waren. Überall zeigten sich lachende, gelöst wirkende Gesichter. Zweifellos hatten die Roboter bereits gemeldet, was vorgefallen war. »Willkommen an Bord und auf Roxha.« Der Kommandant war ein großer, kräftiger Roxhare, gegen den alle anderen nicht nur schlank; sondern sogar dürr wirkten. Es war Wylt'Rong anzusehen, wie es in ihm arbeitete. »Morn'Hel!« rief er unvermittelt, und seine an den Kopf angelegten Ohren bewiesen, daß er sich freute. »Erinnerst du dich?« »Es gibt vieles, worüber wir zu reden haben.« »Dann ist es gut. Ich mußte selbst erleben, wie schwer es fällt, sich
wieder zurechtzufinden, als würde das Bewußtsein sich weigern, die Vergangenheit anzuerkennen. Aber ich wußte sofort, wer du warst. Nur mußte ich mißtrauisch sein, weil es noch immer Roxharen geben kann, die den alten Zustand wiederherstellen wollen.« »Nachdem auch Roxha frei ist, erscheint mir das immer unwahrscheinlicher«, sagte Wylt'Rong. Er versuchte zu erklären, was im Ysterioon geschehen war und was schließlich zur Vertreibung oder gar zur Vernichtung jener Wesenheit geführt hatte, die von den Roxharen geistiger Faktor, von den Solanern aber Hidden-X genannt wurde. »Sein Einfluß ist verschwunden«, stimmte Morn'Hel zu. »Nur das Raumschleierfeld blieb, welches das gesamte Vormalt-System umgibt. Niemand kann uns hier finden, wenn wir es nicht wollen.« »Dann ist wirklich wahr, daß die tote Zone künstlich erzeugt wird!« ächzte Brooklyn. Der Kommandant zeigte Zustimmung. »Vieles haben wir dem geistigen Faktor zu verdanken. Leider auch die Tatsache, daß unser Sonnensystem aus Pers-Mohandot entfernt wurde – ohne Hoffnung auf eine Rückkehr. Die Sonne Vormalt besitzt elf Planeten – ihr werdet sie sehen, wenn wir Roxha anfliegen. Die beiden inneren sind heiße Glutwelten, der dritte ist unsere Heimat, und nur Nummer vier, Drustha, kommt ebenfalls Bedeutung zu. Die sieben äußeren Welten wurden bei der räumlichen Versetzung aus Pers-Mohandot zu einem Ring umstrukturiert. Für uns sind sie tabu, denn dort stehen die Kraftwerke und Projektoren des Raumschleierfelds. Wir haben das alles weder erbaut, noch verstehen wir es, aber wir profitieren von diesem Schutz. Deshalb stellen wir auch keine Nachforschungen an. Das Feld ist Tarnung, kein wirkliches Hindernis für den, der seine Struktur kennt.« »Ich vermute, daß es sich dabei um starke, einander überlagernde
Hyperfelder handelt«, meinte Atlan. »Für einen Außenstehenden löschen sie sich praktisch gegenseitig aus, und nur im Nahbereich kommt ihre Wirkung zum Tragen.« »Im Prinzip mag das zutreffend sein«, sagte Morn'Hel. »Leider weiß ich nur, wie ihre Wirkung sich aufheben läßt.« »Gibst du dieses Wissen preis?« »Du fragst wegen des großen Schiffes aus zwei mächtigen Kugeln und einem Verbindungsstück«, erwiderte der Kommandant. »Wenn die Besatzung deine Freunde sind …« »Sie sind es«, nickte Atlan. Wylt'Rong beeilte sich, das zu bestätigen. »Dann sollen sie ebenfalls Roxha anfliegen.« Funkbotschaften eilten zur SOL und zum dritten Planeten der Sonne Vormalt, die vor dem Kampfschiff wie ein faustgroßer, weiß strahlender Feuerball stand. Auf beiden Seiten war der Jubel groß, als bekannt wurde, daß der Einfluß von Hidden-X überall erloschen war. Nur Atlan wollte nicht darin einstimmen. Er glaubte nicht, daß ein solcher Gegner leicht zu besiegen war. Die Vorgänge um das Vormalt-System bewiesen erneut dessen Macht. Es dauerte Stunden, bis man die Umlaufbahn des vierten Planeten überquerte. Selbst mit bloßem Auge war Drustha als rötliche Kugel mit vereinzelten grün schimmernden Flächen zu erkennen. Unwillkürlich fühlte Atlan sich an den Mars erinnert, als die ersten Siedler dort Fuß faßten. Die Geschwindigkeit des Kampfschiffs betrug nur wenig mehr als ein zehntel Licht, und es schwenkte fast zur gleichen Zeit wie die SOL in einen stabilen Orbit über Roxha ein. Atlan, Breiskoll und Lyta Kunduran sowie Wylt'Rong, dessen Roxharen und Morn'Hel brachen mit der DÄUMLING auf. Brooklyn kehrte an Bord eines roxharischen Beiboots zur SOL zurück, um persönlich Bericht zu erstatten. Roxha war eine schöne Welt und durchaus erdähnlich. Es gab
kaum Städte, die sich nicht harmonisch in ihre natürliche Umgebung einfügten. Das Grün ausgedehnter Parkanlagen und das Blau kristallklarer Flüsse und Seen waren vorherrschend. Die Jet landete auf einem kleinen Raumhafen in der Nähe einiger Verwaltungsgebäude. Daß diese gleichzeitig Sitz der Regierung von Roxha waren, erfuhr Atlan erst später, nachdem ihm und seinen Begleitern geräumige Quartiere zugewiesen worden waren. Zugleich stellte sich heraus, daß Morn'Hel Mitglied der Regierung war und als solches sehr um das Wohl seiner Gäste bemüht. Eine erste, mehr private Unterredung fand schon gegen Mittag statt. Viel Zeit war nicht geblieben, um sich mit der neuen Umgebung vertraut zu machen. Das Gespräch nahm eine knappe Stunde in Anspruch. Das anschließende Essen verlief in angenehmer, stimmungsvoller Atmosphäre. Atlan verstand es geschickt, das Thema immer wieder auf Hidden-X zu bringen, doch die Roxharen schienen in der Tat nur wenig über jene unbekannte Macht zu wissen. Auch Bjo Breiskoll konnte nicht mehr herausfinden. »Der Angriff auf die SOL«, sagte Lyta Kunduran unvermittelt, »hat uns schon das Schlimmste befürchten lassen.« »Dafür bitten wir um Verständnis«, erwiderte Morn'Hel. »Aber versucht, unsere Situation zu verstehen. Bislang waren wir darauf angewiesen, die galaktische Position von Roxha geheimzuhalten. Raumschiffe, die zu weit vordrangen, mußten zerstört werden. Ich hoffe, es hat unter den Solanern keine Verluste gegeben.« »Nicht an Bord. Allerdings verschwanden zehn von uns mit einer Plattform innerhalb des Raumschleierfelds. Wir haben ihre Spur verloren.« »Ich darf euch mein Bedauern aussprechen«, sagte Morn'Hel. »Was in unserer Kraft steht, um die Vermißten ausfindig zu machen, werden wir tun. Sind sie mit Funkgeräten ausgerüstet?« Wylt'Rong vollführte eine verneinende Geste. »Es sind Buhrlos«, erklärte er. »Menschen, die ohne
Schutzvorrichtungen eine bestimmte Zeit im Vakuum überleben können. Diese Spanne wurde inzwischen weit überschritten.« Plötzlich stockte die Unterhaltung und war nur sehr schwer wieder in Gang zu bringen. Solaner und Roxharen zeigten sich gleichermaßen zurückhaltend und mißtrauisch. Was an Verständnis zwischen ihnen gewesen war, schien wie weggewischt. Die Stimmung hatte einen Tiefpunkt erreicht, als die Meldung kam, die Buhrlos befänden sich in Sicherheit. Ein Koppelträger hatte sie nach Drustha gebracht. »Dort wurden auch die Überlebenden aller zerstörten Raumschiffe angesiedelt«, sagte Morn'Hel. Atlan nickte. »Wir werden Jason McPhillis und seine Leute abholen, sobald die Gespräche hier abgeschlossen sind.« Und an die Roxharen gewandt, fuhr er fort: »Ich denke, niemand wird etwas dagegen haben.« »Ganz sicher nicht. Es ist auch unsere Absicht, die Fremden eines Tages zu ihren Völkern zu bringen, sobald wir wieder die Möglichkeit dazu besitzen. Der geistige Faktor nahm uns das Wissen, das nötig ist, um Millionen Lichtjahre zu überwinden.« Lyta Kunduran hatte den Kopf auf beide Handflächen gestützt und gab sich nachdenklich. »Daß hin und wieder Raumschiffe in diesem Sektor erscheinen, läßt sich mit den Gesetzmäßigkeiten des Zufalls erklären. Trotzdem verstehe ich nicht, weshalb niemand gezielt nach den Koordinaten von Roxha geforscht hat. Soweit mir bekannt ist, korrespondierten zum Beispiel die Roxharen auf Chail mit ihrer Heimatwelt und erhielten auch Nachschub von hier.« »Das alles geschah ausschließlich auf Betreiben des geistigen Faktors«, gab Morn'Hel zu verstehen. »Wir erfuhren nie, wo die Ziele jener lagen, die Roxha verließen, und wie es ihnen möglich war, schneller als das Licht zu fliegen. Und ihnen wurde die Erinnerung genommen. Früher konnten wir die Entfernungen zwischen den Galaxien
innerhalb weniger Tage zurücklegen. Aber für den geistigen Faktor bedeuteten wir eine Art Reservelager an Dienern, weshalb er das Vormalt-System gut verbarg.« »Dann ist es den Roxharen, die noch in All-Mohandot weilen, unmöglich, zu ihrer Heimatwelt zurückzukehren?« »Das entspricht den Tatsachen. Als Wylt'Rong sich meldete, waren wir noch im Zweifel, was geschehen sein konnte, deshalb glaubten wir ihm.« * Die Nacht war kurz, und der nächste Tag begann mit weniger informativen Gesprächen. Im Verlauf mehrerer Stunden wurde ein offizieller Friedens- und Beistandspakt ausgehandelt, den Wylt'Rong, Morn'Hel und zwei weitere Regierungsmitglieder sowie Atlan als Vertreter der Menschheit unterzeichneten. Wieder ein kleiner Erfolg deiner Idee zur Schaffung von Friedenszellen, bemerkte der Extrasinn. Mit diesem Vertrag überließen die Solaner den Roxharen sämtliche verfügbaren Daten über All-Mohandot und den Raumsektor um Vormalt. Außerdem Baupläne für Überlichttriebwerke. Gegenleistungen verlangten weder Breckcrown Hayes noch Atlan. Jedoch mußte der Arkonide den Roxharen noch ein zweifaches Versprechen geben: Zum einen sollte er sie zu Hilfe rufen, wenn Hidden-X jemals wieder stark werden würde. Zum anderen sollte er dafür sorgen, daß ungefähr zwanzigtausend entführten Roxharen die Möglichkeit gegeben wurde, zu ihrer Heimatwelt zurückzukehren, falls die SOL während des weiteren Fluges auf ihre Spuren stieß. Der Aufbruch nach Pers-Mohandot war für den kommenden Tag festgesetzt. Als am späten Nachmittag, bereits nach Beendigung sämtlicher Feierlichkeiten, Morn'Hel die Nachricht überbrachte, daß auf Drustha Ungewöhnliches vor sich gehe, entschied Atlan sich für einen sofortigen Abflug. Instinktiv ahnte er, daß die Buhrlos Anteil am Geschehen hatten. Wylt'Rong und einige seiner Roxharen ließen
es sich nicht nehmen, die Solaner zu begleiten.
* Jason McPhillis kauerte hinter dem Rand einer Düne, kaum mehr als zweihundert Meter von dem kegelförmigen Bauwerk entfernt. Von hier aus bot sich ihm ein guter Rundblick. Jeder der Buhrlos hatte einen anderen Geländeabschnitt übernommen; die Koordination würde reibungslos ablaufen. Es gab nur einen Punkt, der Kopfzerbrechen bereitete: Bisher hatten die Roboter der Station auf den Einsatz von Strahlwaffen verzichtet, sich nur mit Schutzschirmen umgeben und Lähmstrahler eingesetzt. Blieb zu hoffen, daß sich das nicht änderte. Längst mußten die Fremden registriert haben, was in ihrer unmittelbaren Umgebung geschah. Weshalb unternahmen sie nichts? Fühlten sie sich derart sicher? Der Buhrlo lachte bitter. Er sah das Zeichen, daß die erste Gruppe bereit war. »Dann los!« murmelte er. Die Reiter griffen an. Hundert Meter … fünfzig … Sie hatten das Ziel fast erreicht. Plötzlich stürzten die Tiere, blieben wie tot liegen. Sand und Staub wirbelten auf und verschleierten die Sicht. Die zweite Angriffswelle geriet ebenfalls ins Stocken. McPhillis erkannte ein leichtes Flimmern rings um die Station. Aber mit Abwehrfeldern hatte man gerechnet. Nun galt es, mindestens einen Roboter in die Gewalt zu bekommen. Als die Maschinen heranschwebten, hielt nichts McPhillis länger zurück. Mit einemmal war er mittendrin im Gewühl. Feiner Sand reizte seine Augen, ließ sie tränen und drang ihm in Mund und Rachen ein. Er hörte Schreie in vielen Sprachen, vernahm das Kreischen der Tiere, mußte sich vor ihren scharfen Krallen in acht nehmen, wenn sie, Schemen gleich, aus dem Dunst auftauchten.
Etwas umfing ihn, riß ihn ruckartig von den Beinen. Seine zupackenden Hände glitten an blankem Metall ab. Er hatte viel gewagt und alles verloren. Die jäh einkehrende Stille wirkte bedrückend. McPhillis reagierte erst, als ein riesiger Schatten auf ihn fiel, der die Sonne verdunkelte. Weit mußte er den Kopf in den Nacken legen, um zu erkennen, was über ihm schwebte. Die SOL! Sanft setzte der Roboter ihn ab und verharrte regungslos. Eine Korvette landete in nächster Nähe. Der erste Mensch, den Jason McPhillis zu sehen bekam, war Bora. »Ich hatte euch aufgegeben«, rief sie, kaum daß ihre Füße den Boden des Planeten berührten. »Meine Güte …« . Atlan folgte ihr und Bjo Breiskoll. Der letzte war Wylt'Rong. »Die Roboter sind desaktiviert«, sagte der Roxhare und zeigte lachend einen kleinen Impulsgeber. »Wir sollten uns um die Bewußtlosen kümmern. Alle anderen haben wohl die Flucht ergriffen.« Später, als die Dinge sich halbwegs wieder normalisiert hatten, startete die Korvette mit den Buhrlos an Bord. Nur Wylt'Rong und die anderen Roxharen blieben auf Drustha zurück. »Auf uns wartet hier eine Aufgabe«, hatte er gesagt. Noch während des Einschleusens verließ die SOL die Atmosphäre. Kein Solaner wollte länger als unbedingt nötig verweilen. Vor dem Schiff lag wieder der freie Weltraum. ENDE
Nach erfolgreicher Kontaktaufnahme mit den Roxharen sind etwa zwei Wochen vergangen. Auf ihrem Weiterflug nach Ploohnei wird die SOL in ein merkwürdiges Mini-Universum verschlagen, und dort findet man die LANDSCHAFT IM NICHTS …
LANDSCHAFT IM NICHTS – das ist auch der Titel des nächsten AtlanBandes. Der Roman wurde von Kurt Mahr geschrieben.