Das neue Abenteuer 376
Bertalan Mág Eine halbe Million im Dornenbusch Verlag Neues Leben, Berlin V 1.0 Scan by Dumme P...
22 downloads
541 Views
360KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Das neue Abenteuer 376
Bertalan Mág Eine halbe Million im Dornenbusch Verlag Neues Leben, Berlin V 1.0 Scan by Dumme Pute & Klesen by Sokrates
Titel des ungarischen Originals: „Félmillió a tüshebokorban“ Ins Deutsche übertragen von Wolfgang Kempe Illustrationen von Peter Laube © Verlag Neues Leben, Berlin 1978 Lizenz Nr. 303 (305/69/78) LSV 7264 Umschlag: Günter Lück Typografie: Christel Ruppin Schrift: 8p Excelsior Gesamtherstellung: (140) Druckerei Neues Deutschland, Berlin Bestell-Nr. 642 683 2 DDR 0,25 M
Die Safeknacker bilden in der Verbrecherwelt eine besondere Kaste, sie sind gewissermaßen die Aristokraten der Unterwelt. Schneidbrenner, Meißel, Nachschlüssel und auch Sprengkörper sind ihre Arbeitsmittel, mit denen sie die Safes knacken. In den Jahren nach der Befreiung nahmen solche Verbrechen rasch ab, und wenn sie vorkamen, wurden sie meist von „alten Schränkern“ verübt. Doch die Männer wurden älter, und allmählich starb diese Art von Verbrechen aus. Gerade deshalb war die Überraschung um so größer, als in einer Nacht im Oktober 1961 aus dem Panzerschrank der Kasse eines Großbetriebes in der Nähe von Kecskemét die für den nächsten Tag fälligen Lohngelder der Arbeiter in Höhe von 600000 Forint verschwanden. Ich fuhr sofort nach Kecskemét, um die Leitung der Ermittlungsarbeiten zu übernehmen. Das Bild, das mich im Büro und im Kassenraum empfing, übertraf alle Erwartungen: Das Öffnen des Panzerschrankes hatte keinerlei äußere Spuren hinterlassen. Die Lohnzahlungen hatte nicht der Hauptkassierer vorbereitet, sondern die Hauptsachbearbeiterin, eine gewisse Frau Molnár, die auch das Geld von der Bank übernommen hatte. Danach war es anhand der Lohnliste von einigen Angestellten in Umschläge gesteckt worden. Frau Molnár hatte die Arbeit kontrolliert und nach siebzehn Uhr sowohl die vollen Umschläge als auch das noch nicht abgezählte Geld in den großen Panzerschrank, der im Zimmer des Hauptkassierers Lajos Horváth stand, eingeschlossen. In diesem Panzerschrank wurden nur die fälligen Arbeitslöhne aufbewahrt. Zwei Wochen war die Kasse also leer. Während dieser Zeit verwahrte der Hauptkassierer die Schlüssel im Schubfach seines Schreibtisches. Sobald das Geld in der Kasse lag, erhielt Frau Molnár die Schlüssel und nahm sie mit nach Hause.
Am 11. Oktober 1961 schloß Frau Molnár nach Dienstschluß die Kasse auf gewohnte Weise ab, steckte den Schlüssel in ihre Tasche und ging nach Hause. Am nächsten Tag, dem 12. Oktober, öffnete sie den Panzerschrank nicht sofort, sondern erst nachdem sie einige kleinere Büroarbeiten erledigt hatte. Sie steckte den Schlüssel ins Schloß, öffnete die Tür und wollte nach dem Geld greifen. Sie glaubte ihren Augen nicht zu trauen, lief sofort zum Hauptkassierer und bat ihn, nachzusehen, was sich in der Kasse befindet. Der alte Horváth antwortete mit Humor: „Nichts!“ Nachdem sich auch andere Kollegen davon überzeugt hatten, daß die Kasse tatsächlich leer war, wurde sofort die örtliche Polizei und die von Budapest benachrichtigt. Die örtlichen Polizeiorgane hatten gute Arbeit geleistet. Sobald sie an Ort und Stelle waren, wiesen sie sofort alle Personen aus der Kasse, aus der Abteilung Finanzen, aus der Lohnabteilung und sogar aus den Räumen, durch die man dorthin gelangen konnte. Sie riegelten auch die unmittelbare Umgebung des Gebäudes zur Sicherung eventueller Fußspuren ab. Die Angestellten wurden provisorisch verhört. Die erste wirklich große Überraschung der Ermittlung war, daß das Schloß des Panzerschrankes unangerührt schien, nicht einmal einen Kratzer sah man. Die Budapester Daktyloskopen konnten nirgends einen fremden Fingerabdruck, keine fremden Spuren auf dem Boden des Kassenraumes, am Fenster und an der Tür finden. Es muß noch erwähnt werden, daß zwei Türen in den Kassenraum führten, eine aus der Abteilung Finanzen, die andere aus der Lohnabteilung, beide waren verschlossen gewesen, und es konnte keinerlei Gewaltanwendung entdeckt werden. Im Kassenraum befand sich noch ein Schalterfenster zu einem kleinen Vorraum, durch das der Lohn ausgezahlt wurde. Diese Öffnung war klein und mit einem Schiebefenster
versehen. Man konnte es nur vom Kassenraum aus öffnen und hatte es früh abgeschlossen vorgefunden. Nach Aussagen der Raumpflegerin waren die Türen verschlossen gewesen. Sie habe wie immer die Schlüssel vom Pförtner übernommen, die Türen geöffnet und nichts Verdächtiges bemerkt. Die Schlösser funktionierten wie immer, sie habe keine Spuren oder fremden Gegenstände gefunden. Sie habe ihre Arbeit durchgeführt, wie sie es gewohnt sei, genau und ordentlich, sagte sie aus. Wenn es Spuren gegeben hatte, so waren diese durch ihre Gründlichkeit nicht mehr brauchbar. Ich sagte dieser Frau, die zweifellos nur gute Absichten hatte, nicht, daß sie mir mit ihrer Gründlichkeit auf die Nerven ging, sondern bedankte mich. Ich merkte mir, daß wir herausbekommen mußten, ob die Frau vielleicht einen besonderen Grund hatte, heute gründlicher als sonst sauberzumachen. Daß sie selbst in die Sache verwickelt war, hielten wir für ausgeschlossen. Ich beauftragte also einen meiner Mitarbeiter mit dem ausführlichen Verhör der Raumpflegerin und des Nachtwächters, von dem die Frau die zwei Schlüssel für die Türen zum Kassenraum erhalten hatte. Der Nachtwächter interessierte uns auch aus einem anderen Grund. Das Verbrechen wurde offensichtlich nach Eintritt der Dunkelheit verübt, aber noch vor dem Morgen. Den größten Teil dieses Zeitraumes versah der Nachtwächter seinen Dienst am Tor. Das Pförtnerhäuschen steht unmittelbar am Tor neben der Einzäunung, während das Bürogebäude etwa zwanzig Meter davon entfernt ist. Diesen Teil des Hofes mußten die Einbrecher überqueren. Der Hof war gut beleuchtet, über der Eingangstür des Bürogebäudes und am Tor brannten die ganze Nacht über starke Lampen.
Wir stellten fest, daß es während der Nacht keinen Stromausfall gegeben hatte, auch die Glühlampen waren intakt. Der Pförtner sagte nichts von Bedeutung, unverändert behauptete er ein und dasselbe: Die Nacht über sei er wach gewesen, er habe am Fenster gesessen und hätte bemerkt, wenn jemand den Hof überquerte. Wenn es am frühen Morgen nicht geregnet hätte und dieser Oktobervormittag nicht auch noch so feucht und neblig gewesen wäre, dann wäre es uns bestimmt gelungen, Spuren zu entdecken. Dennoch bezogen wir auch Hunde in die Suche ein. Sie schnüffelten durch den Kassenraum und drängten nach draußen. Aufmerksam suchend, oft von ihrem Weg abweichend, führten sie uns schließlich bis zum Betriebszaun, über den Zaun auf einen Fußweg und noch einige hundert Meter auf der Straße entlang. Hier verloren sie die Spur. Wenn die Polizeihunde die Spur der Einbrecher verfolgten, dann bedeutete das: Der Nachtwächter sagt nicht die Wahrheit! Vielleicht ist er selbst in die Sache verwickelt, oder er ist doch in der Nacht eingeschlafen und getraut sich nicht, es einzugestehen. Es kann aber auch sein, daß er eingeschlafen ist, in so eine Art Halbschlummer, und sich nicht mehr daran erinnern kann. Die Raumpflegerin hatte weder vom Pförtner noch von jemand anderem den Hinweis erhalten, an diesem Morgen sorgfältiger zu arbeiten. Die Frau behauptete, daß sie jeden Morgen alles so gründlich reinige. Das bestätigten andere Mitarbeiter. Wir mußten uns also mit dem Pförtner etwas genauer befassen. Wenn er auch zeitweise eingeschlafen war, kann man sich nur schwer vorstellen, daß sich die Einbrecher gerade die Zeit auswählten, während der er schlief. Oder hatten sie ihn beobachtet und den Mut gehabt, über den Zaun zu klettern, über
den beleuchteten Hof zu spazieren, die Tür des Bürogebäudes aufzuschließen, die Tat auszuführen und sich dann auf ähnliche Weise zu entfernen? Hierbei waren zuviel Phantasie und in einem Maß der Zufall im Spiel, daß wir bei der Aufklärung damit nicht rechnen konnten. Nach der Untersuchung der persönlichen und familiären Umstände des Pförtners kamen wir zu dem Schluß, daß er weder der Täter noch der Komplice des Diebes sein konnte. Wir bemühten uns, seine Nervosität und seinen Widerstand gegen die Aufklärung und unsere Mitarbeiter zu beseitigen, um ein möglichst offenes Gespräch zu führen und seine eventuell unbewußte Mittäterschaft erkennen zu können. Im Betrieb hatte sich schnell die Nachricht verbreitet, daß man in der Nacht alle Lohngelder aus dem Panzerschrank gestohlen hatte und die Lohnzahlung an diesem Tage ausbleibt. Wir bemühten uns, die entstandene Empörung in den Dienst der Aufklärung zu stellen. Durch den Betriebsfunk gaben wir bekannt, was in der Nacht geschehen war, und baten die Arbeiter, bei der Aufklärung mitzuhelfen: Wer einen Verdacht habe oder irgend etwas Verdächtiges bemerkt hatte, sollte es uns mitteilen. Dann sprachen wir mit Frau Molnár, der Leiterin der Auszahlgruppe. Sie war zwar keine „bestätigte“ Leiterin, hatte jedoch in den letzten Monaten diese Arbeit geleitet. Wir erfuhren von ihr, daß das Geld in einer runden Summe von der Bank abgeholt wird. Die Summe betrug am Vormittag des 11. Oktober 600000 Forint. Das Geld wurde in den Panzerschrank gelegt, anschließend kam die Auszahlgruppe zusammen und begann, die Beträge nach den Angaben in den Lohnlisten in die Umschläge zu zählen. Diese Arbeit wurde von zwölf Personen durchgeführt, die die Leiter der Abteilung Lohn- und
Finanzwesen ausgewählt hatten. Im allgemeinen wurde die Gruppe aus den Disponenten zusammengestellt, da man die Sachbearbeiter nicht in Anspruch nehmen konnte. Diese Regelung wurde meistens beibehalten, nur manchmal, bei Krankheit oder Urlaub, wich man von dieser Methode ab. So geschah das auch in diesem Fall. László Nemes, der unlängst als Ökonom eingesetzt worden war, wurde immer noch in die Auszahlgruppe eingeteilt. Nemes ist sechsundzwanzig Jahre alt, studierte an der Hochschule für Ökonomie, ein junger Mann, der in guten materiellen Verhältnissen lebt und seit drei Jahren, seit Abschluß der Hochschule, in dem Betrieb arbeitet. Er möchte sich jedoch auf wissenschaftlichem Gebiet betätigen und hat sich deshalb bei einem wissenschaftlichen Institut um eine Assistentenstelle beworben. Bei den Frauen ist er sehr beliebt, das ist auch zu verstehen: Er ist ein gutaussehender, lediger Mann mit vielversprechender Zukunft. Bei ihm schien uns alles klar, so daß wir ihn aus unseren Kombinationen herausließen, wir sahen keinerlei Gründe, besonders auf ihn zu achten; höchstens den, daß er trotz seiner Funktion in die Auszahlgruppe gekommen war. Kehren wir zu Frau Molnár zurück. Sie ist eine in geordneten materiellen und familiären Verhältnissen lebende Frau, sie ist verheiratet und hat zwei Kinder. Der Ehemann verdient gut, materielle Sorgen haben sie nicht. Sie arbeitet seit mehr als einem Jahrzehnt in dem Betrieb, es gab nie eine wesentliche Klage gegen ihre Arbeit und ihr Verhalten. Sie war nicht zufällig die Leiterin der Auszahlgruppe. Beim Verhör gestand sie, daß sie nach Arbeitsschluß – nachdem sie die Geldumschläge und das restliche Geld gebündelt im Panzerschrank eingeschlossen hatte – den Schlüssel anfangs in einer Tasche ihres
Arbeitskittels verwahrte. Erst bevor sie nach Hause ging, hatte sie ihn in die Handtasche gelegt, um ihn mitzunehmen. Bis zum nächsten Morgen sah sie nicht nach, ob er noch in ihrer Tasche lag. Wer sollte ihn dort auch herausnehmen? Früher habe sie genauso gehandelt, und nicht ein einziges Mal sei ihr der Gedanke gekommen, daß ihr Vorgehen vorschriftswidrig sei. Vor allem mußten wir nun herausbekommen, ob der Schlüssel tatsächlich zwischen fünf Uhr nachmittags und acht Uhr morgens in ihrer Tasche gelegen hatte. Wir begannen bei ihrem Mann. Er hat ein technisches Studium absolviert und arbeitet als Pädagoge. Durch seine Vorbildung konnte er als Täter in Frage kommen, aber seine Lebensweise und die familiären Verhältnisse widersprachen dem. Es sei denn, er hätte eine verschwiegene und kostspielige Leidenschaft oder ein heimliches Verhältnis, das ihn in eine Zwangslage gebracht hätte, von der er sich mit Hilfe einer größeren Geldsumme befreien wollte. Welche Meinung hatte Frau Molnár zu dem Verbrechen? Bei ihrem Verhör versicherte sie, daß sie den Panzerschrank mit dem Geld vor den Augen der anderen verschlossen habe. Der Hauptkassierer sei noch im Kassenraum geblieben, als sie nach Dienstschluß gegangen sei. Inzwischen kam der Panzerschrankspezialist, er untersuchte das Schloß gründlich und bestätigte, was wir bei der äußeren Betrachtung schon festgestellt hatten: Beim öffnen des Schrankes wurde keine Gewalt angewandt; das heißt, er wurde mit dem Originalschlüssel, mit einem Zweitexemplar oder mit einer genauen Fälschung geöffnet und verschlossen. Das Zweitexemplar verwahrte der Direktor in seinem eigenen Panzerschrank, diesen Schlüssel fanden wir an seinem Platz. Für den Direktor war es unvorstellbar, daß der Schlüssel in
dieser Nacht hätte von dort verschwinden können. Vielleicht gab es noch ein drittes Exemplar? Wir mußten sofort klären, wie der Panzerschrank in den Betrieb gekommen war. Wir erfuhren, daß er vor fünfzehn Jahren von einem Betrieb aus einer anderen Stadt gekauft worden war. Wie er in diesen Betrieb gekommen war, das wußte niemand mehr, aber wir kannten nun seine damaligen Benutzer. Uns war jetzt klar, daß das Verbrechen nur eine Person ausgeführt haben konnte, die Zugang zum Originalschlüssel hatte und ihn nach Ausführung der Tat unbemerkt an seinen Platz zurücklegen konnte; die sich vielleicht einen der Originalschlüssel beschafft hatte, als der Panzerschrank noch vom ehemaligen Betrieb benutzt wurde; die sowohl den Ablauf als auch den Zeitpunkt der Lohnzahlungen kannte; die die Lage und die Umgebung des Bürogebäudes exakt kannte; die intelligent war und die Tat so vorbereiten konnte, wie es für sie am günstigsten war; die über technische Kenntnisse verfügte und fähig war, eigenhändig genaue Nachschlüssel anzufertigen, wenn der Panzerschrank und die zum Kassenraum führenden Türen nicht mit Originalschlüsseln geöffnet worden waren. Diese letzte Annahme war nur dann gültig, wenn der Einbrecher den oder die Schlüssel nicht angefertigt hatte. Es war auch anzunehmen, daß nicht eine einzelne Person als Täter in Frage kam. Wahrscheinlicher war, daß die Tat von zwei Personen ausgeführt worden war. Natürlich war es schwer verstellbar, daß der Einbrecher, wenn er schlau war – offensichtlich war er es –, geradewegs zu einem Schlosser gegangen war, um sich den Nachschlüssel anfertigen zu lassen. Trotzdem gaben wir die Nachforschungen nicht auf. Eine Grundregel bei der Ermittlung ist nämlich: Jeder Verbrecher begeht einen kleinen Fehler, handelt unlo-
gisch, ist inkonsequent, einesteils dort, wo ihm bei der Planung etwas wegen seiner Unbedeutsamkeit entgangen ist, andererseits dort, wo bei der Ausführung des Verbrechens irgend etwas Unerwartetes auftaucht. Eine plötzlich notwendige Entscheidung inspiriert nicht immer die beste Lösung. Außerdem ergeben sich auch Notsituationen. Und wo oder wann sich die kleinen Fehler melden, das können wir nicht wissen, wenn wir noch im dunkeln tappen. So müssen auch wir unlogische Schritte tun, weil auch der erfolglose Versuch, genau wie bei wissenschaftlichen Forschungen, einen Informationsgehalt besitzt.
Die Schlosser der Stadt sagten aus, daß sie keinen ähnlichen Schlüssel angefertigt hätten; sie hatten ihn alle auf den ersten Blick als einen Panzerschrankschlüssel erkannt. Der nächste Schritt, den wir tun mußten, war, uns in breitem Maße über die Angestellten der Abteilungen Lohn- und Finanzwesen zu informieren. Unser Augenmerk richteten wir auf
den Hauptkassierer Lajos Horváth. Wir hatten erfahren, daß er das Rentenalter schon erreicht hat und fünfundsechzig Jahre alt ist; im Betrieb arbeitet er seit zwanzig Jahren, im letzten Jahrzehnt als Hauptkassierer; er lebt allein mit seiner Frau, ihre Kinder sind seit langem verheiratet und von ihnen fortgezogen; das Ehepaar wohnt in seinem eigenen Haus, das ungewöhnlich gut eingerichtet ist; das Gehalt des Mannes – die Frau arbeitet nicht – deckt restlos ihre Ansprüche. Es schien auch ausgeschlossen, daß sie weitere Ambitionen hätten, wozu soviel Geld notwendig gewesen wäre. Wir kamen zu dem Schluß, daß der Hauptkassierer Horváth trotz einiger Verdachtsmomente nicht der Täter sein könne, vielleicht aber ein unbewußtes Werkzeug für irgend jemanden. Der Hauptkassierer erweckte den Eindruck eines ruhigen, fast apathischen und skeptischen Menschen. Ich sagte ihm, daß wir ihn als Zeugen vernehmen würden, er müsse verstehen, daß wir ohne seine Informationen nicht weiterkommen würden, da der Panzerschrank in seinem Zimmer stehe und der Schlüssel monatelang in seinem Schreibtisch aufbewahrt worden sei. Horváth war durch diese Einleitung verwirrt. Sehr verschlossen, aber doch nervös wiederholte er: er wisse von nichts, ihm sei in den letzten Wochen und Monaten, auch am vergangenen Tag nichts aufgefallen, er brauche kein Geld und er könne sich unter seinen Arbeitskollegen niemanden vorstellen, der sich auf einen Raub einlassen würde. Damit kamen wir aber nicht weiter. Ich versuchte eine kleine Schockwirkung zu erzielen und fragte: „Wann sind Sie gestern abend aus der Kasse weggegangen?“ Er sah mich erstaunt an. „Ist das wichtig?“ „Wir wissen, daß Sie noch geblieben sind, nachdem sich die
anderen schon entfernt hatten. War das so?“ „Ja.“ „Haben Sie einen Anlaß dazu gehabt?“ „Keinen besonderen.“ „Wie lange sind Sie noch im Kassenraum geblieben?“ „Noch etwa eine halbe Stunde.“ „Was haben Sie in dieser halben Stunde angestellt?“ „Eigentlich nichts.“ „Warum sind Sie dann dort geblieben?“ „Ich habe schon gesagt, ohne besonderen Grund. Ich hatte eben so eine Laune.“ Mehr konnten wir nicht erfahren, wie oft ich auch zu dieser Frage zurückkehrte. Der Hauptkassierer war nicht bereit, mehr von sich zu erzählen, und von seinen Mitarbeitern sprach er nur wie ein Ritter aus dem vorigen Jahrhundert, der seine Damen schützt. Irgend etwas verbarg sich im Hintergrund; das war offensichtlich. Nach dem Verhör des Hauptkassierers meldete sich ein Arbeiter und berichtete, daß Lajos Horváth nach dem Dunkelwerden in der Nähe des Betriebstores im Schatten umhergeschlichen sei. Wir gingen mit dem Arbeiter sofort an die Stelle, wo er den Hauptkassierer gesehen hatte. Ja, von dort konnte der Eingang zum Büro gut beobachtet werden, auch der kleine Hof, der sich zwischen Werktor und Bürogebäude befindet. Von neuem bestellte ich den Hauptkassierer, und nachdem er Platz genommen hatte, fragte ich ihn sofort: „Vorhin haben Sie gesagt, daß Sie vom Betrieb aus geradewegs nach Hause gegangen sind.“ „Ja.“ „War das wirklich so?“
Er schaute mich an. Sein Blick war unruhig, man sah ihm an, daß er gern gewußt hätte, was ich dachte. Dann fragte er: „Warum denken Sie, daß es nicht so gewesen ist?“ „Einfach deshalb“, antwortete ich, „weil Sie wesentlich später in Ihrer Wohnung angekommen sind.“ Er wurde verlegen. „Aber, ich bitte Sie …, ich bin nicht verpflichtet, Ihnen über alle meine Privatangelegenheiten Rechenschaft zu geben.“ „Das ist wahr. Nur haben wir hier Dinge erfahren, die eventuell mit dem Einbruch zusammenhängen, und der hat nicht den Charakter einer Privatsache.“ „Ich bin nicht bereit zu antworten!“ sagte der Hauptkassierer entschlossen. Ich ließ ihn sofort abführen, glaubte aber immer noch nicht ernsthaft, daß der Alte in diese Sache verwickelt sei. Es konnte nur eine Alterstorheit oder etwas sein, dessentwegen er sich schämte und was er verheimlichen wollte. Wir ließen sofort eine Haussuchung bei ihm vornehmen. Verdächtiges kam nicht zutage, nur das: Unsere Beamten fanden in einem Schrankfach 40000 Forint in vier Bündeln. Horváth reagierte auf seine Verhaftung und die Haussuchung insofern, als er von diesem Zeitpunkt an keinen einzigen Satz mehr sprach. Er preßte seine schmalen runzligen Lippen zusammen und schwieg. Seine Frau aber begann vor Schreck alles auszuplaudern: Ihr Mann wolle nächstes Jahr in Rente gehen, das werde auch höchste Zeit, weil er längst ein kranker und nervöser Mann sei; im Frühjahr wollen sie das Haus renovieren lassen, das werde ungefähr 30000 bis 40000 Forint kosten, deshalb seien sie so sparsam; sie habe ihren Mann überredet, Geld gegen Zinsen an Bekannte auszuleihen, er habe sich zuerst geweigert, schließlich aber ihrem Drängen nachgegeben; an dem Einbruch vorangegangenen Abend sollte er von einer
Frau Geld zurückbekommen; da die Frau zögerte und nicht zahlte, habe Horváth vorm Werktor auf sie gewartet. Er habe ihr vor einem Monat 750 Forint geliehen und sollte jetzt 800 Forint zurückbekommen. Für dieses Leihen gegen Zinsen habe sich der Hauptkassierer geschämt. Die eintägige Haft brachte aber doch ein Ergebnis. Als wir ihn entließen, wurde er in seiner Erleichterung auf einmal gesprächig, vor allem wohl deshalb, weil er sich vergewissert hatte, daß wir sein Wuchermanöver geheim behandelten. Wir erfuhren nun von ihm interessante Fakten. Er verdächtigte niemanden, sagte auch nicht direkt seine Meinung, sondern sprach über seine Beobachtungen. Es stellte sich heraus, daß er ein guter Beobachter war. Ein ruhiger Mensch, der wenig redete, aber um so mehr gesehen hatte. Seit zwanzig Jahren arbeitete er im Betrieb, alle seine Mitarbeiter waren später gekommen. Nacheinander charakterisierte er seine Arbeitskollegen, über Frau Molnár sagte er: Die Frau führe anscheinend ein ausgeglichenes Leben, sie sei selbstsicher, aber die Ehe mit ihrem Mann bestehe nur noch symbolisch. Es sei anzunehmen, daß sie nur wegen der Kinder zusammenblieben. Der Mann führe ein selbständiges Leben, er habe sich von seiner Frau unabhängig gemacht. Über László Nemes teilte er uns mit, daß er ein junger Mann mit ziemlich legeren Manieren sei, offenbar betrachte er den Betrieb nur als Sprungbrett. Er strebe nach mehr, habe auch die Fähigkeiten dazu, er sei ein intelligenter, fähiger Kerl, er bilde sich zielstrebig weiter und habe sich vor kurzem – das hatten wir schon erfahren – in einem großen Forschungsinstitut als Assistent beworben. Offenbar habe er Aussichten, diese Stellung auch zu bekommen. Dann werde er bestimmt aus der Stadt wegziehen. Seine Eltern wohnten in
Balatonfenyves, in einer eigenen kleinen Villa, in guten materiellen Verhältnissen. Das sei auch ein Glück für den Jungen, denn wenn ihm sein Gehalt nicht reiche, hülfen seine Eltern ihm immer. Ich fragte ihn, woher er das wisse, und er entgegnete, Nemes selbst habe ihm das erzählt, er komme oft zu ihm auf ein kleines Schwätzchen. Sie mochten sich gegenseitig, es lag etwas Gemeinsames darin, daß sie über den kleinlichen Praktiken und Intrigen der Mitarbeiter standen. Den großen Altersunterschied überbrückte nach Horváth das gemeinsame Interesse für den Sport. Die Woche begann ohne Ausnahme so, daß Nemes zum Hauptkassierer Horváth kam und sie die Sportereignisse vom Wochenende besprachen. Dann ließ ich Nemes rufen. Ein gutaussehender, großer, schwarzhaariger junger Mann mit gepflegtem Äußeren trat ins Zimmer. Aus seinen ersten Worten wurde offensichtlich, daß er wußte, was er sagte, seine Sätze waren exakt formuliert. Ich teilte ihm mit, daß ich ihn als Zeugen vernehmen würde. Er antwortete, es sei höchste Zeit, er habe schon darauf gewartet, daß ich ihn rufen würde. „Warum haben Sie das erwartet?“ fragte ich ihn. „Weil ich direkt mit dem Geld zu tun hatte. Ich denke, Sie brauchen das, was ich aussagen kann.“ „Also, was wollen Sie uns mitteilen?“ „Keine Schlußfolgerung, keine Kombination, einfach nur Details auf ihre Fragen.“ „Also?“ „Bitte fragen Sie.“ „Fragen Sie, als ob Sie an meiner Stelle sitzen würden.“ Er überlegte. „Ich kann mich nicht in Ihre Rolle hineindenken.“
„Dann fragen Sie nicht, sondern erzählen Sie, der Reihe nach oder nicht. Erzählen Sie nur, wovon sie glauben, daß es zur Sache gehört“ Eigentlich berichtete er vieles, was wir bereits vom Hauptkassierer Horváth, von Frau Molnár und von anderen wußten. Neu war, daß er seine eigene Rolle anders wiedergab. Davon zum Beispiel, wie oft er mit dem Hauptkassierer zusammen war, erwähnte er nichts. Das war auffällig. Dagegen betonte er, daß er sich in der Nacht vom elften nicht in der Stadt aufgehalten hatte, sondern zu Hause bei seinen Eltern war, die ihren dreißigsten Hochzeitstag feierten. Er hatte deshalb bereits vor einer Woche Urlaub beantragt und war schon am zehnten abends nach Balatonfenyves gefahren. Von dort war er mit dem Frühzug zurückgekommen. Als er das wiederholte, überlegte ich, was er für einen Grund haben könne, dies so nachdrücklich zu erklären. Es konnte sein, daß es keinen gab. Ich wollte dennoch versuchen, diese Frage ein bißchen aufzurühren, und tat so, als glaubte ich ihm nicht. „Womit können Sie beweisen, daß Sie an diesem Tag in Fenyves gewesen sind?“ begann ich. „Durch meine Eltern“, antwortete er entrüstet. „Und daß Sie mit dem Frühzug zurückgekommen sind?“ „Hier ist meine Fahrkarte, bitte“, er zog die Karte aus seiner Tasche. Das kam mir merkwürdig vor, ich fragte ihn auch sofort: „Heben Sie immer ungültige Fahrkarten auf?“ „Meistens. Richtiger gesagt, ich werfe sie gewöhnlich nicht gleich weg. Sowas kommt doch vor.“ „Und warum?“ „Ich weiß es nicht. Ich lasse sie einfach in meiner Tasche.“ „Also sind Sie in diesem Anzug zu Hause gewesen?“
Er wurde verlegen und antwortete zögernd: „Ja.“ Ich wollte ihn nur provozieren, aber es war interessant, wie sich das Gespräch entwickelte. Ich entschloß mich, schnell fortzufahren und mich darauf zu konzentrieren, wovon er nicht reden oder es vergessen haben wollte. „Sagen Sie, in welchem Verhältnis stehen Sie zum Hauptkassierer Lajos Horváth?“ „Wie soll ich das verstehen?“ fragte er zurück. „Was für ein Verhältnis Sie zu ihm im Büro haben und worüber Sie sich unterhalten. Ist Ihre Verbindung nur auf das Büro beschränkt, oder hat sie darüber hinaus persönlichen Charakter?“ fragte ich. Er lächelte. „Ich habe langsam den Eindruck, als ob Sie mich ins Kreuzverhör nahmen wollen“, sagte er. „Antworten Sie bitte direkt auf meine Frage!“ „Gut“, sagte er auf einmal ernst. „Es ist lächerlich, aber ich werde antworten. Manchmal habe ich von Onkel Lajos kurzfristig Geld geliehen. Er hat es mir immer gegeben, aber für etwas höhere Zinsen als gewöhnlich. Für mich hat es sich trotzdem gelohnt, wenn mir ein unerwartetes Rendezvous dazwischenkam oder etwas Ähnliches … Verstehen Sie?“ „Und eine andersartige Verbindung?“ „Weiß der Kuckuck, er ist ein Weiser und kennt das Leben.“ „Außerdem?“ „Ich weiß nicht, woran Sie denken. Wir unterhielten uns oft über Fußball und andere Sportereignisse.“ „Wann unterhalten Sie sich darüber? Nach der Arbeitszeit in einem Restaurant …, in einem Espresso?“‛ „Meistens im Büro.“ „Meistens oder ausschließlich?“
„Ausschließlich.“ „Sucht der Hauptkassierer Sie auf oder Sie ihn?“ „Ich bin zu ihm gegangen, er ist der Ältere.“ „In den Kassenraum?“. „Ja.“ Ich beendete das Verhör vor allem deshalb, weil mir ein kleiner Zettel vorgelegt worden war, auf dem stand, daß ein Polizeihelfer eine außerordentlich interessante Entdeckung gemacht habe. Als Nemes gegangen war, wurde mir gemeldet, worin die Entdeckung bestand: Es war eine Sporttasche, sie steckte voller Lohnumschläge, die zusammen mit dem Geld verschwunden waren. Das war von großer Bedeutung, die erste konkrete Spur! Der Finder war zu Fuß zur Arbeit über die Kanalbrücke gegangen. Am Rande des Kanalbettes hatte er an einem ins Wasser ragenden Strauch eine Sporttasche hängen sehen. Er angelte sich den Beutel heran und schaute hinein. Es steckte ein Papiersack drin, vollgestopft mit Umschlägen, solchen, in denen man gewöhnlich die Löhne auszahlt. Er vermutete, daß dieser Fund mit dem stadtweit bekannten Verbrechen im Zusammenhang stehen könnte, und brachte die Tasche zum nächsten Polizeirevier. Ich ordnete sofort an, nachzurechnen, wieviel Geld in den Umschlägen gesteckt hatte, und den Sportbeutel mit größter Vorsicht zu behandeln, um eventuelle Spuren zu sichern. Er wurde sofort nach Budapest zur Untersuchung ins Labor geschickt. Die Rechnung ergab, daß in der Tasche ungefähr die Hälfte des verschwundenen Geldes gewesen war. Also mußte es noch eine andere Tasche oder etwas Ähnliches geben, worin die andere Hälfte des Geldes aufbewahrt worden war. In einigen Umschlägen fand man sogar noch Geld: Zehn-, Zwanzig-
und Fünfzigforintscheine. Daraus folgerten wir, daß die Umschläge in großer Eile entleert worden waren. Das war ein konkreter Anhaltspunkt und bekräftigte meine Annahme, daß die Täter in der Stadt zu suchen sind, daß sie hier ansässig sind und nach dem Verbrechen auch nicht wegfuhren. Sehr wahrscheinlich war, daß es zwei Täter waren, die das Geld im groben geteilt hatten. Der eine warf die Tasche weg, der andere aber war entweder vorsichtiger oder tat das gleiche an einer anderen Stelle. Daraus ergab sich die Frage: Wie war es möglich, daß einem so vorsichtigen und umsichtigen Organisator, wie es dieser Täter war, so ein alberner Fehler unterlief?
Dieser Fehler war durch irgend etwas verursacht worden, überlegte ich, was den Absichten des Täters widersprach. Vielleicht hatte einer seiner Verwandten oder Bekannten Verdacht geschöpft, oder jemand war unerwartet aufgetaucht und hatte ihn gestört. Die Laboruntersuchung der Tasche war bald beendet, jedoch ohne Ergebnis. Das Wasser hatte alle Spuren von der Tasche
und den Umschlägen gewaschen. Darauf erhielten zwei unserer Mitarbeiter die nicht sehr angenehme Aufgabe, mit der Tasche in der Hand die Häuser in der Umgebung des Fundortes abzugehen und alle Personen zu fragen, ob ihnen die Tasche bekannt ist. Der Beutel war nicht neu, schon gebraucht worden, so konnten wir nicht erwarten, daß man sich in einem Geschäft erinnerte, an wen er verkauft worden war. Die Befragung brachte kein Ergebnis. Daraufhin stellten wir die Tasche im Betrieb aus, vielleicht erkannte sie jemand. Aber auch hierbei war das Ergebnis negativ. Nun placierten wir sie im Schaufenster eines Geschäftes auf der Hauptstraße und setzten eine größere Belohnung für denjenigen aus, der uns auf eine Spur zum Täter führte. Im Betrieb führten wir die Arbeit fort, eines Morgens ging ich in das Zimmer des Hauptkassierers. Der alte Mann arbeitete, ich sagte, er solle sich nicht stören lassen, ich würde mich im stillen ein wenig umsehen wollen, und setzte mich in eine Ecke des Zimmers. Er arbeitete auch weiter, schien mir aber nervös. Der Schreibtisch des Hauptkassierers stand vorm Fenster, der Panzerschrank befand sich neben einer weiteren Tür rechts in der Ecke. Diese Tür führte in die Abteilung Finanzen, eine dritte in die Lohnabteilung. Der Schreibtisch war nicht sehr groß, Schriftstücke stapelten sich auf ihm, der Hauptkassierer legte sie mal hierhin, mal dorthin, ich hatte den Eindruck, daß er etwas suchte. Mehr als eine halbe Stunde verging so, bis der Alte langsam zu seinem gewohnten Arbeitstempo fand. Ich überlegte, daß sich der Täter hier gründlich umgesehen haben mußte, also konnte es kein seltener Gast gewesen sein. „Wie hat Ihre Mannschaft am Sonntag gespielt?“ fragte ich Horváth.
„Sie hat verloren“, antwortete er. „Meine auch“, sagte ich. „Ja? Welcher drücken Sie denn die Daumen?“ Wir begannen, uns über den Sport zu unterhalten, dann bat ich den Alten, die Sportzeitung vorzunehmen, um nach einem Ergebnis zu sehen, was – wie sich herausstellte – uns beide interessierte. Der Hauptkassierer, suchte sie zuerst in seiner Tasche, schließlich fischte er sie aus dem Mantel. „Stecken Sie sie nicht immer in Ihre Tasche?“ fragte ich. „Nein.“ „Sondern?“ „Mal hierhin, mal dahin, ich achte nicht darauf.“ „Rufen Sie Nemes herein“, sagte ich plötzlich. „Warum?“ „Rufen Sie ihn nur her.“ Er rief ihn per Telefon, und der junge Mann kam auch sogleich. Als er mich in der Ecke sitzen sah, stutzte er. Ich bat ihn, sich nicht um mich zu kümmern; er solle, wie üblich, mit Horváth plaudern. Ich fragte den jungen Mann noch: „Sagen Sie mir bitte, wo Sie immer die Sportzeitung lesen.“ „Hier, Onkel Lajos hat sie meistens auf dem Panzerschrank abgelegt.“ Jetzt fing der Hauptkassierer an: „Ich habe Laci oft gesagt, er soll die Zeitung nicht in meinem Zimmer lesen, das ist kein Lesesaal hier, er soll sie mitnehmen, und wenn er sie ausgelesen hat, soll er sie zurückbringen. Aber er legt die Zeitung auf dem Panzerschrank auseinander und liest sie dort.“ Ja, der Panzerschrank war ziemlich niedrig, er konnte als Ablagetisch benutzt werden, und zum Lesen im Stehen bot er sich
direkt an. „Onkel Lajos, Sie haben die Zeitung und andere Papiere hierhergelegt, nicht wahr? Ich wollte sie nicht mit in mein Zimmer nehmen, um kein Aufsehen zu erregen.“ „Hat Ihr Verhalten bei jemand Aufsehen erregt?“ fragte ich. „Ach wo“, protestierte er. „Ich könnte mich auf meine Doktorarbeit vorbereiten, dazu brauche ich Material vom Betrieb, und es kommt vor, daß ich mich damit beschäftige. Jedoch muß ich ehrlich sagen, die meisten meiner Vorgesetzten sehen nicht gern, daß ich die Hochschule abgeschlossen habe und jetzt promovieren werde. Sie haben Angst, ich könnte ihr Chef werden, obwohl sie älter sind als ich. Deshalb habe ich mich auch um die Assistentenstelle beworben, weil ich die vielen Eifersüchteleien hasse.“ „Das ist zu verstehen“, sagte ich. „Gut, danke.‛“ Er ging wieder. Ich wandte mich an den Hauptkassierer: „Warum haben Sie erlaubt, daß er in Ihrem Zimmer lesen darf? Das verstößt gegen die Vorschriften. Und auch noch auf dem Panzerschrank.“ „Der Panzerschrank ist meistens leer gewesen. Außerdem habe ich Laci, leider vergeblich, aufgefordert, hier nicht zu lesen. Er hat mich ausgelacht und gefragt, warum ich so ängstlich sei.“ „Hat er oft hier gelesen?“ „Ja.“ „Hat er außer dem Lesen der Sportzeitung etwas Verdächtiges oder Auffallendes am Panzerschrank gemacht?“ „Nein, überhaupt nicht. Das heißt, ein-, zweimal ist es vorgekommen, daß er sich dort auch etwas anderes angesehen hat, zum Beispiel verlangte er einmal eine Lohnliste von mir, weil er sie, wie er bereits sagte, für seine Doktorarbeit studieren
wollte.“ Ich bat den Hauptkassierer, mir zu zeigen, wie sich Nemes immer auf den Panzerschrank stützte, wie er die Zeitung oder anderes las. Er zeigte es mir. Es stellte sich heraus, daß er dem Schreibtisch halb, manchmal auch ganz den Rücken zugedreht hatte, so daß der Hauptkassierer kaum hätte beobachten können, was Nemes eventuell an dem Schloß anstellte. „Also ist es nicht unmöglich, daß er sich am Schloß vergriffen hat?“ „Ich halte das für ausgeschlossen, aber ich hätte auch nicht dorthin sehen können. Es ist wahr, ich habe das nicht beachtet.“ Ich ließ das Alibi von Nemes kontrollieren. An dem Tag, am 11. Oktober, hatten seine Eltern tatsächlich Hochzeitstag, er war bei ihnen gewesen und ließ ihnen mit dem Wunschprogramm ein Lied senden, das sie abends gemeinsam angehört hatten. Die Familienfeier dauerte bis spätabends, und Nemes fuhr – entsprechend seiner Aussage – mit dem Nachtzug zurück an seine Arbeitsstelle. Wir kamen wieder zu dem Schluß, ihn aus unseren Kombinationen zu streichen. Dann aber meldete sich ein Arbeiter, unter geheimnisvollem Getue teilte er uns mit: László Nemes habe vor ein, zwei Wochen einen solchen Papiersack wie den, worin man die Lohnumschläge in dem Sportbeutel gefunden hatte, von ihm verlangt. Seine Bitte habe er damit begründet, daß er Schriftstücke darin aufbewahren wolle. Ich bat Nemes erneut zu mir und stellte ihm sofort die Frage nach dem Papiersack. Er antwortete, daß er den Papiersack gebraucht habe, weil sich in der Abteilung Einkauf alte Eingangsscheine auftürmten, und die habe er in dem Sack untergebracht. „Können Sie mir diesen Sack zeigen?“ „Ja.“
Wir begaben uns in die Abteilung Einkauf, öffneten einen Schrank und fanden den Papiersack tatsächlich dort … Mich beschäftigte weiterhin die Frage, wie das Schloß des Panzerschrankes geöffnet wurde. Wir ließen das Schloß wiederum auseinandernehmen und untersuchen – das Ergebnis war immer dasselbe: Keine Spur einer Beschädigung, keine Gewaltanwendung war zu entdecken. Von Einwohnern und Arbeitern des Betriebes erhielten wir viele Hinweise, auch darüber, wer in letzter Zeit Rohschlüssel gekauft oder Nachschlüssel bestellt hatte. Ein Teil der Angaben bezog sich auf Personen, die im Betrieb arbeiteten, ihnen widmeten wir größere Aufmerksamkeit. Ich muß bemerken, daß es auch einige Fälle gab, bei denen wir keine ausreichende Antwort erhielten; da es sich aber um familiäre oder Liebesgeschichten handelte, ergründeten wir diese Umstände nicht weiter. So gab es den Fall eines Schichtleiters aus dem Betrieb, der selbst Schlosser war und in einem Geschäft Rohschlüssel gekauft hatte; oder zwei Angestellte hatten sich für die Wohnung zu derselben Schreibkraft Nachschlüssel anfertigen lassen; oder die Leiterin einer größeren Gaststätte – eine sehr hübsche, junge Frau, ihr Mann war Sportlehrer im örtlichen Gymnasium – wollte ebenfalls Nachschlüssel angefertigt haben, als sie aber den Originalschlüssel übergeben sollte, bekam sie offensichtlich Angst und zog sich zurück. Wir rührten diese Geschichten nicht auf, wir wollten nicht ohne besonderen Grund Familienkriege heraufbeschwören. Der letzte Fall aber, der der Leiterin der Gaststätte, ließ mir keine Ruhe. Wir wußten schon, daß Nemes viele Bekannte in der Stadt hatte und sich bei Frauen großer Beliebtheit erfreute. In einem freundschaftlichen Verhältnis stand er aber nur mit
einem Mann beziehungsweise einer Familie: dem Sportlehrer István Bánáti und seiner hübschen Frau, eben der Leiterin der Gaststätte. Böse Zungen behaupteten, daß die Ursache der Freundschaft in erster Linie die Frau sei. Mit anderen Worten: Es zog Nemes nicht sosehr zu Herrn Bánáti als vielmehr zu Frau Bánáti. Die Frau arbeitete in zwei Schichten, und jede zweite Woche, wenn sie Nachmittagsdienst hatte, sah man Nemes oft in der Gaststätte, auch wenn István Bánáti nicht anwesend war. Er kann, ohne Aufsehen zu erregen, dorthin gehen, weil er oft dort Abendbrot ißt. Er ist jedoch ein seltenerer Gast, wenn die Frau Vormittagsschicht hat. Manche glauben zu wissen, daß zwischen Frau Bánáti und Nemes intime Beziehungen bestehen, und es gibt sogar Besserwisser, nach deren Meinung der Mann von der Sache weiß und sie ein Familienleben zu dritt führen. Das sah alles nach sehr böser Klatscherei aus. Wir vermuteten, daß der Schlüssel entweder zu ihrer oder zur Wohnung von Nemes gehörte. Es war aber auch möglich, daß er zu einer Unterkunft gehörte, in der sich Nemes und Frau Bánáti heimlich trafen oder treffen wollten. Ich bat den Schlosser zu mir. Er war ein abgehärmter, sechsundsechzigjähriger Mann, der seit drei Jahrzehnten in seiner Kellerwerkstatt arbeitete. Ich fragte ihn, ob er sich ungefähr an den Schlüssel erinnern könne. Er erinnerte sich nicht. Aber etwas ergab sich doch aus dem Gespräch, der Schlüssel mußte ein besonderes Exemplar gewesen sein. Wenn es ein gewöhnlicher Schlüssel gewesen wäre, überlegte der Schlosser, hätte er ihn in fünf Minuten zurechtgefeilt. Für einfache Schlösser könne er mit geschlossenen Augen die Schlüssel anfertigen. Wahrscheinlich habe er deshalb zu Frau Bánáti gesagt, daß sie den Schlüssel dalassen müsse, weil es kein gewöhnlicher war.
„Was war es denn für einer?“ fragte ich. „Ich kann mich nicht mehr erinnern“, antwortete der Schlosser. Ich fragte genauer: Hatte er einen Bart oder zwei? Einen langen oder kurzen Schaft? War er aus Messing oder aus Eisen, vernickelt oder matt? Und diese Fragen halfen. Der Alte antwortete: Er hatte wohl zwei Bärte, daran glaube er sich zu erinnern, und der Schaft könnte mit einem hartgelöteten Stück verlängert gewesen sein. Das war eine überraschende Aussage, der Schlüssel des Panzerschrankes hatte zwei Bärte, und der Schaft war tatsächlich mit einem hartgelöteten Stück verlängert. Konnte es sein, daß er in seiner Erinnerung den Schlüssel mit einem anderen verwechselte? Auf jeden Fall mußten wir Frau Bánáti besondere Aufmerksamkeit widmen. Zuerst mußten wir herausbekommen, wozu die Frau den Nachschlüssel verwenden wollte. Es schien aber nicht zweckmäßig, sie direkt danach zu fragen. Wäre es günstiger, wenn wir ihren Mann herbestellten und verhörten? Er wäre sicher überrascht, aber vielleicht würde er etwas über seine Frau und über Nemes sagen, wenn es dieses Verhältnis gibt. Vielleicht bringt die Eifersucht Äußerungen aus ihm heraus, die für uns wesentlich sind. Nach wenigen Minuten stand István Bánáti vor mir, die Schule befand sich ganz in der Nähe des Betriebes. Er war ein gutaussehender athletischer junger Mann. Seine Haltung und sein Blick waren ruhig, fast stolz. Ich bat ihn, Platz zu nehmen, und entschuldigte mich, daß ich ihn herbestellte, aber seine Meinung zu diesem merkwürdigen Kassenraub würde uns interessieren. Warum gerade seine, fragte er. Natürlich nicht nur seine, aber seine vor allem, weil er ein intelligenter Mann sei und
durch seine Tätigkeit nicht nur beim Schulsport viele Menschen in der Stadt kenne. Seine Reaktion dann überraschte uns. Erstens, so begann er, wolle er nicht Spitzel für die Polizei sein; zweitens, wenn er auch jemand verdächtige, würde er es mir nicht sagen, weil er nicht wolle, daß unschuldige Menschen in Bedrängnis gerieten; drittens, er verdächtige niemand, für ihn sei der Fall unfaßbar. Dies trug er höflich und mit einer Überlegenheit vor, aus der man eine überhebliche Haltung spürte. Daß diese Haltung vorgetäuscht war, verriet das ununterbrochene Spiel seiner Finger der rechten Hand. Bot seine Lage Grund zur Nervosität? Die Rolle, in der er auftrat, erweckte mein Mißtrauen; wenn er Nemes und seine Frau verdächtigte, war diese nervöse Reaktion zu verstehen. Dann war erstaunlich, daß er fähig war, sich in einem solchen Maße zu beherrschen. Würde es gelingen, mich in seine kleine Nervosität einzuschalten und sie so weit zu steigern, daß er sich vergaß? Ich mußte ihn reizen und einen moralischen Schock hervorzurufen suchen. „Seien Sie nicht böse, Bánáti“, sagte ich, „Sie sind Sportlehrer, und mir ist eingefallen, daß Sie vielleicht etwas über den Sportbeutel wissen, in dem wir die Geldumschläge fanden. Wem gehört der Beutel?“ „Was heißt, wem gehört er?“ fragte er scharf zurück. „Sagen Sie mir, wem er gehört, wenn Sie es wissen.“ „Das ist eine Verleumdung! Dazu haben Sie kein Recht!“ „Wozu habe ich keins, lieber István Bánáti?“ fragte ich höflich, weil ich sah, daß ich das Ziel fast erreicht hatte. „Dazu, daß ich das Verbrechen aufzudecken versuche?“ „Nein. Sondern dazu, daß Sie Beschuldigungen erheben.“ „Zuerst haben Sie es Verleumdung genannt, und jetzt nennen Sie es Beschuldigung. Entscheiden Sie sich, wofür Sie es hal-
ten, für eine Verleumdung oder für eine Beschuldigung?“ Ich wußte, daß ich ihn jetzt soweit hatte. Er sprang auf, sein Gesicht war rot, er stemmte seine Hände in die Seiten und sagte langsam, sich mühsam beherrschend: „Ich informiere Sie, wenn ich kann, aber ich dulde nicht, daß Sie andere durch mich oder mich selbst verleumden. Haben Sie noch Fragen?“ „Setzen Sie sich.“ Er blieb stehen. „Setzen Sie sich bitte, und zünden Sie sich eine Zigarette an. Sie haben mich falsch verstanden. Ich wollte von Ihnen nur wissen, was Ihre Meinung zu dem Verbrechen ist. Und daß Sie eine Meinung dazu haben, halte ich für sicher, nicht wahr? Ihre Meinung ist mir viel wert, nur darum geht es.“ Ich hielt ihm die Zigarettenschachtel hin. Er griff danach, seine Hände zitterten. „Setzen Sie sich endlich, und beruhigen Sie sich. Sie haben schließlich keinen Grund, sich aufzuregen.“ Er setzte sich, aber die Zigarette tanzte so in seiner Hand, daß ich ihm kaum Feuer geben konnte. „Sehen Sie“, begann ich nach einer kleinen Pause, in der wir rauchten, „ich habe geglaubt, Sie erwarten von mir, daß ich Ihre Meinung zu dieser Sache erbitte. Wir kämen ohne die Hilfe anderer in den meisten Fällen nur sehr langsam vorwärts. Da ist der László Nemes, Ihr Freund. Sie wissen sicher, daß wir ihn nicht nur einmal verhört haben. Sie sind doch gute Freunde und haben sich bestimmt über diese Sache unterhalten. Darüber wollte ich auch mit Ihnen sprechen. Verstehen Sie mich jetzt?“ Diese Worte dienten keinem anderen Ziel, als die Veränderungen in seinem Gesicht zu beobachten. Wie reagierte er auf Nemes‛ Namen? Bánáti sagte einiges Belangloses über Nemes, erwähnte seine
Frau mit keinem Wort und kehrte mit keiner Silbe zum Thema „Sporttasche“ zurück. Das war merkwürdig. Warum war dieser Mann noch so verschlossen? Was war das, was er noch immer verbarg? Etwa beleidigte Eitelkeit, weil er betrogen wurde? Aber dann hätte er anders über Nemes gesprochen: Seine Gesten, sein Tonfall und die Äußerungen, die er über Nemes machte, wiesen nicht auf Gekränktsein und Bosheit. Wir verabschiedeten uns, jetzt gab er mir freundlich die Hand und lächelte. Beim Weggehen sagte er dann noch, daß er sich von allein melden würde, wenn ihm etwas einfiele. Es war ihm anzumerken: Er war erleichtert, als er gehen konnte. Der Beamte, der beauftragt worden war, in der Nähe der Wohnung von László Nemes zu ermitteln, um Anhaltspunkte über das Verhältnis zwischen Frau Bánáti und Nemes zu finden, kehrte mit einer interessanten Nachricht zurück. Von einem Nachbarn von Nemes, einem Mechaniker, hatte er erfahren, daß Nemes vor etwa zwei Monaten – dieses Datum fiel mit dem Zeitpunkt zusammen, als Frau Bánáti wegen des Schlüssels beim Schlosser war – einige Werkzeuge von ihm haben wollte, um zu Hause etwas zu reparieren. Der Mechaniker gab ihm ein paar Feilen, Zangen und einen Hammer. Nemes habe die Werkzeuge noch am selben Abend mit der Bemerkung zurückgebracht, daß sie zu groß seien, er brauche kleinere. Der Mechaniker habe ihn daraufhin gefragt, was er denn für feine Arbeiten zu erledigen habe. Nemes habe geantwortet, daß es etwas am Radio sei, was er in Ordnung bringen wolle. Der Mechaniker habe sich bereitwillig angeboten mitzugehen, um sich den Apparat anzusehen. Nemes habe sich für die angebotene Hilfe bedankt, sie aber nicht in Anspruch genommen. Unser Mitarbeiter teilte gleichzeitig mit, daß Nemes bis heute
kein Radio besitze. Jetzt schien die gründliche Beobachtung dieser drei Personen notwendig und lohnend. Vielleicht konnten wir durch sie an die Täter oder zumindest zum Verständnis der Motive kommen, die zum Verbrechen geführt hatten. Mein Gefühl verstärkte sich, daß sich der Schlüssel des Geheimnisses in diesem engeren Kreis befand, in dem wir ermittelten: Hauptkassierer Lajos Horváth; Frau Molnár, Leiterin der Auszahlgruppe; László Nemes und die Angestellten der Lohnabteilung sowie der Abteilung Finanzen. Ich wollte nicht behaupten, daß sich auch der Täter unter ihnen befand, daß wir aber den Täter nur durch sie finden würden, schien unbestreitbar. Einige Tage lang behielten wir Frau Bánáti und Nemes im Auge. Mich trieb die Neugier zu Herrn Bánáti. Dieser Mann interessierte mich viel mehr, als seiner Rolle in dieser Sache zukam, weil ihm eine undankbare und lächerliche Rolle zugeteilt worden war: die eines gehörnten Mannes. Ich wollte sehen, wie er sich verhält, wenn er sich in seiner Welt, dem Sportleben, bewegt. Neben seiner Tätigkeit als Sportlehrer am Gymnasium war er Trainer einer Frauenhandballmannschaft, vielleicht entschädigte er sich dort? Bánáti fuhr mit seinem Motorrad vom Gymnasium direkt zum Sportplatz, wo er das Training der Frauenmannschaft leitete. Ich wußte, wohin er fuhr, und bemühte mich deshalb nicht, ihn unterwegs im Auge zu behalten. Außerdem kannte mich Bánáti, und nicht nur er, sondern fast die ganze Stadt. In solchen Fällen ist es am besten, normal aufzutreten. Ich ging zu Fuß zum Sportplatz – er war nicht weit entfernt – und trat durchs Tor. Das Training wurde zu Beginn im Freien durchgeführt. Der Trainer stand am Rande des Platzes und leitete die Aufwärmübungen. Ich trat etwas näher, um ihn zu begrüßen,
damit er mich nicht zufällig bemerkte. Als ich ihn grüßte, war er überrascht, kam aber nicht zu mir. Das Training lief weiter, bald gingen sie in die Halle. Ich blieb draußen auf dem Platz. Bánátis Motorrad stand neben dem Eingang. Ein nützliches Ding, so ein Motorrad in einer Kleinstadt, überlegte ich mir. Man kommt leicht in die Umgebung damit, zu Ausflugszielen, zu Sportwettkämpfen in die nahe liegenden Orte, vielleicht in die Berge oder gar bis zum Balaton. Dieser Sportlehrer kann gar nicht so schlecht leben. Warum gehen die Pädagogen so ungern aufs Land?
Darüber dachte ich nach und beneidete diese ruhige, von größeren Sorgen freie Lebensweise. Ich schlenderte vom Sportplatz auf die Straße und schaute mir in Ruhe die Umgebung an. Bald darauf war das Training zu Ende. Ich bereute es nicht, daß ich nicht am Tor stand, als Bánáti und die Mädchen herauskamen. Der Trainer setzte sich auf sein Motorrad, trat an und raste davon. Am Lenker des Motorrades schlenkerte eine Sporttasche. Die Mädchen verabschiedeten sich am Tor, und eins von ih-
nen kam in meine Richtung. Als sie mich erreichte, sprach ich sie an. Ich fragte sie, ob sie mich kenne. Sie verneinte. Dann fragte ich, ob sie von dem großen Gelddiebstahl wüßte. Natürlich wußte sie davon, die ganze Stadt sprach ja darüber. „Wen verdächtigen Sie?“ fragte ich direkt. Sie war überrascht und wollte wissen, warum ich sie fragte. Ich antwortete, daß ich jeden fragen könnte, weil ich nicht wüßte, wer etwas Interessantes zu sagen habe. Sie frage ich zum Beispiel deshalb, weil nicht viele in der Stadt Sport treiben und weil die, die den Panzerschrank ausraubten, einen Teil der entleerten Umschläge in eine Sporttasche gesteckt hätten. Es sei eine gebrauchte Sporttasche, weiß der Kuckuck, wem sie gehöre. Sie liege im Schaufenster, aber es melde sich niemand, der sie erkenne. Vielleicht lebe der Besitzer gar nicht in der Stadt. Die junge Frau erklärte darauf hin, ihr Name sei Koncz, sie sei verheiratet, ihr Mann arbeite bei der Eisenbahn, und fragte, woher ich wüßte, daß sie den Beutel erkannt habe? Ich versuchte, meine Überraschung zu verbergen. „Sehen Sie, wir wissen vieles, aber noch nicht genug, und ich möchte, daß die etwas sagen, die mehr wissen. Deshalb habe ich vorher nichts gesagt. Aber jetzt bitte ich Sie zu reden.“ Sie schaute sich auf der dunklen Straße um. „Wird das István auch nicht erfahren?“ „István wird nichts erfahren, auch kein anderer. Ich möchte nur durch Sie kontrollieren, was wir bereits wissen.“ „Also, ich war sehr überrascht“, begann die junge Frau aufgeregt. „Ich habe sie mir an dem Abend noch dreimal angesehen. Es besteht kein Zweifel, in ihr hat István die Bälle mit zum Training gebracht. Wie Sie beobachtet haben, hatte er heute einen neuen Beutel mit.“ „Ja, ich habe es gesehen.“
„Ich habe sogar die Naht am Henkel erkannt. Einmal, als István zum Training kam, war der Henkel abgerissen, und eins der Mädchen hat ihn wieder angenäht.“ „Haben auch andere von der Mannschaft den Beutel erkannt?“ fragte ich. „Ich habe mich geschämt, davon anzufangen. Ich habe gewartet, daß die anderen darüber sprechen. Aber keiner sagte etwas. Ich glaube, die anderen denken wie ich, sie wollen István keine Scherereien machen.“ „Was für Scherereien meinen Sie?“ „Na ja …, daß er unschuldig ist, das ist sicher. Ich hoffe, Sie glauben nicht, daß István zu so etwas fähig ist?“ „Das ist klar, aber wie kommt Bánátis Sportbeutel zu den Tätern?“ „Ich weiß es auch nicht.“ „Haben Sie keine Vorstellungen darüber?“ „Nein, keine.“ „Hat Bánáti auch nicht darüber gesprochen, seit er einen neuen Sportbeutel hat? Zum Beispiel heute, im Training?“ „Nein.“ „Ich danke Ihnen. Sagen Sie niemand etwas von unserem Gespräch, am wenigsten Bánáti. Wir wollen ihn nicht unnötig beunruhigen.“ Das war eine überraschende Information. Wenn Bánáti mir nichts über das Verschwinden seines Sportbeutels gesagt hat, dann hat er bestimmt seinen Grund dafür, und wahrscheinlich weiß seine Frau davon. Wenn aber seine Frau davon weiß, dann kann auch der Freund der Familie, Nemes, davon wissen. Wo kann ich diese Kette fassen? An ihrem Ende, dem Motorrad! Wenn Bánáti ein Motorrad hat und Nemes keins, ist es wahrscheinlich, daß Bánáti das
Motorrad Nemes leiht, oder er fährt ihn selbst damit. Ich ließ Nemes wieder zu mir kommen, dieser junge Mann war der ganze Gegensatz zu Bánáti. Der Sportlehrer erweckte den Eindruck eines überlegten, ruhigen, ausgeglichenen Menschen, und selbst wenn er sich erregte, konnte er sich immer noch beherrschen. Nemes dagegen war nur Bewegung, nur Nerven, aber doch selbstsicher. Ich stellte ihm nebensächliche Fragen, er mir welche über den Stand der Aufklärung. Dann fragte ich ihn: „Wenn ich mich recht erinnere, dann haben Sie das letztemal gesagt, daß Sie nach der Hochzeitsfeier mit Ihren Eltern mit dem Frühzug hier angekommen sind.“ „Ja, das habe ich gesagt.“ „Das war wirklich so?“ „Wie sollte es sonst gewesen sein?“ „Ist das der Zug, der gegen fünf hier ankommt?“ „Ja.“ „Kommen mit demselben Zug auch andere Arbeiter in den Betrieb?“ „Ja, ich glaube mehrere.“ „Können Sie jemand nennen, der mit diesem Zug angekommen ist und Sie gesehen hat?“ Er schwieg eine Weile, schaute vor sich hin und sagte schließlich: „Daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich rede selten mit den Arbeitern. Außerdem habe ich Ihnen das letztemal meine Fahrkarte gezeigt, sie war gelocht.“ „Natürlich, natürlich, ich zweifle auch nicht, ich bin nur neugierig. Der Zug, der früh um fünf hier ankommt, von wo fährt er ab?“ „Von Székesfehérvár.“
„Und wann müssen Sie in Fehervár mit dem Zug ankommen, um den Anschluß zu erreichen?“ „Leider schon abends um elf.“ „Dann haben Sie sich dort in der Nacht drei, vier Stunden gequält? Haben Sie keine andere Lösung gefunden?“ „Leider besitze ich keinen Wagen.“ „Aber Ihr Freund hat doch ein Motorrad.“ Er wurde rot. Etwas gereizt sagte er: „Woran denken Sie?“ „An nichts: Ich frage noch einmal, wer hat Sie im Frühzug gesehen, als Sie von Fehervár bis hierher gefahren sind. Der Zug besteht nur aus wenigen Wagen, und in Ihren Betrieb kommen etwa dreißig Personen mit, bestimmt gibt es einige, die Sie in Fehervár getroffen haben und mit denen Sie dann zusammen in einem Wagen fahren mußten.“ „Tut mir leid, ich kann niemand nennen, und ansonsten halte ich es für lächerlich …“ „Gut, danke. Was wissen Sie über den Sportbeutel Ihres Freundes Bánáti?“ „Worüber?“ fragte er verblüfft und stand auf. „Bleiben Sie nur sitzen. Über seinen Sportbeutel. Wie ich weiß, ist sein alter Sportbeutel verschwunden, und jetzt bringt er die Bälle in einem neuen zum Training.“ „Mich interessiert der Bánáti nicht!“ brüllte er fast. „Sie verwechseln mich wohl! Ich habe mit dem verdammten Diebstahl nichts zu tun, auch nicht mit dem Betrieb und dieser elenden Kleinstadt. Ich bin blöd gewesen, daß ich nach dem Studium nicht gleich als Assistent gearbeitet habe …“ Ich ordnete an, Nemes nicht mehr wegzulassen und in einem leeren Zimmer festzuhalten. Dann ließ ich Frau Bánáti kommen.
Die Frau war dreiundzwanzig Jahre alt, hübsch, solide, intelligent. Eine Weile mußte sie warten, bis ich sie rufen ließ. Draußen unterhielt sie sich mit der Sekretärin und rauchte, im Aschenbecher lagen bereits einige Stummel. Ich führte sie in mein Zimmer und ließ sie Platz nehmen, wartete aber nicht, bis sie etwas fragte, sondern begann sofort zu reden. „Ich weiß, daß Sie diese Vorladung überrascht und unangenehm berührt, und es ist offensichtlich, daß Sie das nervös macht, denn wer geht schon gern zur Polizei, um wegen eines Verbrechens eine Aussage zu machen. Es ist aber unvermeidlich. Wir bemühen uns, schnell zum Ende zu kommen. Ich bitte Sie, ehrlich und möglichst kurz auf meine Fragen zu antworten. Gleichzeitig versichere ich Ihnen, irgendwelche privaten oder gar intimen Dinge, die eventuell zur Sprache kommen, werde ich danach vergessen. Mich interessiert nur das Verbrechen. Was für Schlüssel wollten Sie vor zwei Monaten bei einem Schlosser nachmachen lassen?“ Bis jetzt hatte sie mich mit Interesse und Aufmerksamkeit angesehen, aber plötzlich wurde sie verlegen, blinzelte, dann wandte sie ihren Kopf ab. Ich hatte durchaus beabsichtigt, sie mit dieser Frage in Verlegenheit zu bringen und zu überrumpeln, um für die nächsten wichtigen Fragen eine günstigere psychologische Voraussetzung zu haben. „Wollen Sie nicht antworten? Gut, dann gehen wir weiter. Hat nach Ihrer Meinung László Nemes den Einbruch allein verübt, oder hat er einen Komplicen gehabt?“ Die Frau begann zu schluchzen, woraus nach wenigen Augenblicken ein herzzerreißendes Geheul wurde. Ich ließ sie eine Weile allein, als ich zurückkam, schluchzte sie kaum noch. „Meine dritte Frage“, sagte ich dann, ohne zu warten, „seit wann wissen Sie von dem Ganzen?“
Endlich begann sie sehr leise, manchmal noch aufschluchzend, zu reden: „Ich bin seit Tagen so verzweifelt, daß ich es gar nicht schildern kann. Ich habe auch zu István gesagt, das könne gar nicht wahr sein, das sei unfaßbar. Mein Mann ist auch ganz fertig. Er hat herumgebrüllt und gedroht, daß er diesen Verrückten totschlagen werde. Ich glaube es auch jetzt noch nicht, und mein Mann ist der gleichen Meinung. Wir wissen es, können es aber nicht glauben …“ „Woher wissen Sie das?“ fragte ich. „Laci hat es István selbst gesagt. Er hat an dem Abend bei uns gegessen, als der Diebstahl entdeckt worden war. Ich war in der Küche, und unterdessen hat er es meinem Mann erzählt. Als ich mit der Schüssel zurückgekommen bin, haben sie sich schon gestritten. István war rot wie ein Krebs, was bei ihm selten vorkommt. Er hat Laci angebrüllt, daß er ein großes Rindvieh und was weiß ich noch alles sei. Ich habe sie gefragt, was geschehen sei, aber sie haben mich gar nicht beachtet. Ich habe ihnen das Abendbrot aufgetan, aber sie haben sich so angeschrien, daß Laci am Ende aufgestanden ist, seinen Mantel genommen hat und verschwand. István konnte vor Aufregung gar nichts mehr essen. Erst wollte er mir nicht sagen, worüber sie sich gestritten haben, schließlich hat er es doch erzählt: Laci hat das Geld aus dem Panzerschrank gestohlen.“ „Ich danke Ihnen, Frau Bánáti“, sagte ich, „bitte bleiben Sie noch einige Minuten im Nebenzimmer.“ Einer meiner Mitarbeiter begleitete die Frau, sie mußten durch den Raum, in dem Nemes wartete. Ich wies meinen Mitarbeiter an, die beiden kein Wort wechseln zu lassen, und ließ Bánáti rufen, den ich inzwischen aus dem Gymnasium hatte holen lassen. Der Lehrer erschien so, wie er seine Sport-
stunde gehalten hatte, in Turnschuhen und Trainingsanzug, über den Schultern hing sein Übergangsmantel. Als er sich setzte, beobachtete ich ihn, er schien mir ruhig. Nachdem er Platz genommen hatte, sagte ich sofort: „Antworten Sie auf meine Frage! Wo ist nach Ihrer Meinung das gestohlene Geld? Überlegen Sie nicht lange, antworten Sie sofort.“ Bánáti schaute mich entsetzt an. „Sie wollen nicht? Ich muß Sie darauf aufmerksam machen, wenn Sie mir nicht antworten, muß ich annehmen, daß Sie der Täter sind.“ Der Sportlehrer erhob sich langsam vom Stuhl und schritt wie ein Mondsüchtiger zur Tür. Ich sprach ihn verwundert an: „Wohin wollen Sie?“ Er drehte sich um, vorwurfsvoll murmelte er: „Nach dem Geld.“ „Sind Sie wahnsinnig geworden!“ „Aber nein, ich will wirklich nach dem Geld gehen.“ Jetzt glaubte ich tatsächlich, daß er durcheinandergekommen sei. Ich wollte ihm helfen und die Situation mildern. „Bleiben Sie nur hier. Lassen Sie das Geld, wo es ist. Sie brauchen keine Angst zu haben. Reden wir über etwas anderes. Zum Beispiel über Ihren Sportbeutel.“ Bánáti blieb mit einem verstörten Lächeln im Gesicht neben der Tür stehen und sagte: „Ich bringe erst einmal das Geld herein, dann erzähle ich alles. Ich muß es erst hereinbringen, ich hätte es sowieso nicht länger ausgehalten.“ Plötzlich wußte ich überhaupt nicht mehr, was ich denken sollte. Energisch rief ich ihn an: „Passen Sie auf, Bánáti. Lassen Sie die Komödie, und antworten Sie auf meine Fragen. Ohne Umschweife! Was wissen Sie über den Kasseneinbruch?
Welche Rolle spielten Sie dabei?“ Er antwortete mit dem gleichen schrecklichen verstörten Lächeln im Gesicht: „Lassen Sie mich das Geld holen …“ Ich klingelte, ein Mitarbeiter erschien, dem ich leise befahl, Bánáti zu begleiten und auf eventuellen Flucht- oder Selbstmordversuch zu achten. Bánáti wollte dann aber nicht ohne mich gehen, er sagte, er wolle mir das Geld übergeben. Ich ließ ihm seinen Willen, außerdem war ich neugierig. Wir traten aus dem Polizeirevier, ich fragte Bánáti: „Nun, in welche Richtung gehen wir spazieren?“ „Zur Mühle lang“, sagte er. „Ist es weit?“ „Nah, am anderen Ende dieses Grundstückes.“ Und tatsächlich, nahe dem. Polizeirevier, an einem verwilderten, unbebauten Grundstück bog er von der Straße ab und ging in Richtung einer. Steinmauer, die zur benachbarten Mühle gehörte. Kurz vor dieser Mauer kroch er in ein Dornengebüsch und kam nach wenigen Augenblicke wieder hervor, in der Hand einen knisternden Papiersack. Es war solch ein Papiersack, wie ihn Nemes von dem Arbeiter erbeten hatte, um alte Schriftstücke aufzubewahren. Er trat zu mir und überreichte mir den Sack. „Bitte“, sagte er, „hier ist das Geld.“ Danach rieb er sich die Hände, als ob er eine gute Arbeit geleistet hätte. Ich öffnete den Sack und sah hinein. Er war vollgestopft mit Papiergeld. Ich schaute auf Bánáti, sein Gesicht überstrahlte ein Grinsen, In meinem Leben hatte ich keinen ähnlichen Fall, bei dem das gestohlene Gut mit solcher Freude zurückgegeben worden war. Diese „Zeremonie“ überraschte nicht nur mich, sondern auch meine Mitarbeiter. „Nun gut, dann werden wir zurückgehen“, sagte ich. Bánáti
schüttelte verneinend den Kopf. Jetzt glaubten wir wirklich, daß er übergeschnappt sei. Aber Bánáti forderte: „Erst gehen wir in die Schule.“ „Wozu?“ „Zu dem restlichen Geld“, antwortete er. Wortlos folgten wir ihm, er führte uns direkt zum Geräteraum, schloß die Tür auf, verschloß sie wieder hinter uns, wohl damit niemand sehen sollte, was wir hier anstellten. Dann schob er einen Tisch zur Seite, fuhr mit den Fingernägeln in eine Ritze im Fußboden, hob eine Diele an und zog ein in Zeitungspapier gewickeltes Päckchen darunter hervor. Er faltete es auseinander und legte etwa 100000 Forint in meine Hände. Das Geld wurde sogleich im Revier gezählt, es waren fast vollständig die 600000 Forint. Inzwischen fing ich mit dem Verhör Bánátis an. Es war eigentlich kein richtiges Verhör, sondern ein zusammenhängendes Geständnis, die albern-traurige Geschichte der Versuchung und Straffälligkeit eines Menschen. Die Freundschaft zwischen István Bánáti und László Nemes begründete ihr gleiches Alter, die Ausbildung, gemeinsame Interessen und ähnliche Ansprüche. Nemes war ledig, Bánáti verheiratet, der Junggeselle ging oft zum Abendbrot zur Familie Bánáti, und wenn Frau Bánáti Nachmittagsdienst in der Gaststätte hatte, aßen die beiden Männer meistens dort Abendbrot, so waren sie oft zu dritt zusammen. Im Sommer 1961 war die Freundschaft noch jung, aber bereits sehr vertraut. Bánáti hatte in den Sommerferien mit seinem Motorrad die Umgebung kennengelernt. Oft besuchte er den Balaton und seine Vergnügungsstätten, meist nahm er seine hübsche Frau mit. Sie waren jung verheiratet, und Bánáti benahm sich beispielhaft als Ehemann. Ihn interessierte keine andere Frau, er sehnte sich nicht
nach Abenteuern, er liebte seine Frau. Den ledigen Nemes aber befriedigten die heimlichen Verhältnisse, die er im Betrieb, im Büro und in der Kleinstadt besaß, nicht.
Deshalb fuhr er am Sonnabend meistens irgendwohin, oft zu seinen Eltern, die in der Nähe des Balatons wohnten, oder in einen anderen Ferienort am Balaton, öfter auch nach Kecskemét. In diesem Sommer versuchte er immer öfter, Bánáti zu überreden, zusammen mit ihm auf dem Motorrad Ausflüge zu unternehmen. Der Lehrer ließ sich von Nemes auch breitschlagen. Vielleicht spielte eine Rolle dabei, daß er ein leidenschaftlicher Motorradfahrer war. Wenn Frau Bánáti Zeit hatte, wollte sie ebenfalls mitfahren, dann mußte Nemes den Zug benutzen, aber er fuhr nicht gern mit dem Zug. Er hätte sich auch gern ein Motorrad gekauft, aber sein Lohn reichte dafür nicht, obwohl seine Eltern, die etwas wohlhabend waren, ihn ab und zu mit größeren Summen unterstützten. Das Junggesellenleben, seine
Vergnügungen und seine gute Kleidung brachten ihn um sein gesamtes Geld. „Laci hat mir einmal gesagt, er hätte einen Verwandten im Ausland, einen Cousin seines Vaters, er bemühte sich, ihn aufzufinden“, gestand Bánáti. „Er fing an, diesem entfernten Onkel Briefe zu schreiben, an die alte Adresse, an die sein Vater einst dem Alten Briefe geschrieben hatte. Ich habe die Briefe nicht gesehen, ich habe nur aus Lacis Erzählungen davon gewußt. Ein Brief folgte dem anderen, aber es kam keine Antwort. Da fing er an, an andere Verwandte zu schreiben, bis er endlich von einem die richtige Adresse des alten Herrn erfuhr. Was er mit dem Alten in den Briefen ausgehandelt hat, weiß ich nicht, aber von da an habe ich von Laci ununterbrochen gehört, daß er von seinem Onkel ein sehr teures neues Auto bekommen würde. Ich habe ihn gefragt, was er denke, wieviel Zoll er für so einen Westwagen vom neuesten Typ bezahlen müsse. Seitdem grübelte er immer, wie hoch tatsächlich der Zoll für diesen oder jenen Autotyp sein könnte. Er hat sogar einen Brief an die Zollbehörde geschrieben. Und überall, wo sich die Möglichkeit bot, fragte er die Besitzer westlicher Wagen mit ungarischen Kennzeichen, wieviel sie bezahlt .hätten. Die Antworten haben ihn anfangs entmutigt, einmal sagte er – ich erinnere mich noch, wir haben zu dritt auf der Espressoterrasse auf der Mole in Füred gesessen – , wenn der Zoll wirklich so hoch sei, werde er niemals einen Wagen bekommen, weil er die entsprechende Summe nie zusammensparen könne. Meine Frau hat ihn außerdem darauf aufmerksam gemacht, daß nicht nur der Zoll hoch sei, auch die Unterhaltung des Wagens koste einiges, sie wisse es von unserem Motorrad, das zwar nicht viel Benzin verbrauche, aber man müsse in der monatlichen Kalkulation damit rechnen und auch mit
den ständig anfallenden Kleinreparaturen.“ – „Laci hat mir einmal angedeutet“, fuhr Bánáti fort, „er wüßte, woher man viel Geld beschaffen könnte. Ich habe ihn gefragt, wie denn. Er hat geantwortet, die Sache sei gar nicht so kompliziert. Sobald die geringsten Komplikationen dabei sind, bin ich schon sauer, habe ich geantwortet. Laci ist nach zwei oder drei Tagen wieder auf dieses Thema gekommen. Wann das war? Soweit ich mich erinnern kann, war es gegen Ende des Sommers, ich hatte nur noch ein, zwei Wochen Sommerferien. Also, Laci hat gesagt, daß man gar nicht weit nach dem Geld gehen müßte, es sei gleich hier in der Nähe. Wo denn, habe ich ihn gefragt. Im Betrieb, hat er geantwortet. In was für einem Betrieb? In dem er arbeitet, es ist dort, man braucht es nur wegzunehmen. Ich habe geglaubt, er macht Spaß. Was heißt, es ist dort, und man braucht es nur wegzunehmen. Man konnte es nicht falsch verstehen, aber gerade deshalb habe ich es nicht ernst genommen. Ich habe ihm gesagt, er solle den Blödsinn lassen, ich wolle davon nichts mehr hören. Aber er kam immer wieder auf dieses Thema zurück, daß im Betrieb eine Menge Geld sei, auf das man nicht aufpassen würde. Der Lohn der Arbeiter, er würde alle zwei Wochen von der Bank geholt, in Umschläge gesteckt und anschließend ausgezahlt. Wenn jemand wollte, könnte er damit davonfliegen wie ein Vogel. Mich hat sein Gerede immer mehr aufgeregt. Ich habe ihm gesagt, wenn er damit nicht aufhöre, würde ich mit ihm überhaupt nicht mehr reden. Und wenn ich merke, daß er vor meiner Frau etwas Ähnliches erwähne, würde ich ihm eine runterhauen. Danach haben wir einige Wochen nicht zusammen gesprochen. Er kam nicht zu uns, ich ging nicht zu ihm. Meine Frau fragte mich, ob zwischen uns etwas vorgefallen sei. Ich erklärte ihr, daß Laci viel zu tun hätte und ich auch mit den
Kindern, wegen des Schulbeginns, deshalb könnten wir nicht mehr so viel zusammen sein. Aber das glaubte meine Frau nicht ganz, und sie fragte Laci, worüber wir uns gestritten hätten. Er verriet die Ursache nicht, sondern sagte, ich hätte meine Nase wegen einer Kleinigkeit hochgezogen und mich ihm gegenüber nicht so verhalten, wie es sich für einen Freund gehört hätte. Meine Frau machte mir zu Hause Vorwürfe und sagte gleich, sie habe ihn für den nächsten Tag zum Abendbrot eingeladen. Laci ist auch gekommen und hat, Gott sei Dank, diesen Blödsinn nicht mehr zur Sprache gebracht. Ich habe gedacht, endlich ist er vernünftig geworden und Rat diesen verrückten Plan aufgegeben. Aber nein, am nächsten Tag ist er mir zum Handballtraining nachgekommen, hat auf mich gewartet und mich begleitet. Auf der Straße hat er wieder angefangen, er habe das Ganze bereits geplant, und wenn es zwei intelligente Menschen ausführen würden, wäre alles ganz und gar ungefährlich. Wir könnten alles berechnen, wir riskierten nichts, Und wir würden es nur dann durchführen, wenn hundertprozentige Sicherheit bestünde. Wenn es nicht gelingen würde, könnten wir es lassen, es wäre nichts passiert außer einem kleinen Abenteuer, einem kleinen Spiel. Ich habe ihn zusammengestaucht und ihm allerlei gesagt. Er hat nur gelacht und geantwortet, wenn wir einen Haufen Geld hätten, würde ich meine alte Karre gegen ein wunderbares neues Auto eintauschen, dann würde ich anders reden und ihm mein ganzes Leben lang dankbar sein. Möglicherweise hätte ich energischer sein müssen, habe aber seinen Plan für so absurd gehalten, daß ich ihn in meiner Schwäche habe reden lassen. Und Laci fuhr fort, Pläne zu machen, zu organisieren, worüber er mir aber keinen ausführlichen Bericht gab, ich denke, er hat befürchtet, ich könnte ihn
wieder zurückweisen. Allein hätte er das jedoch nicht durchführen können, er hat mich gebraucht. Ich sehe jetzt ein, daß er nur deshalb weiter zu mir gestanden hat, nicht aus Freundschaft wie ehemals. Er brauchte mich als Komplicen. Manchmal erwähnte Laci, daß er den Schlüssel beschaffen wolle, um einen Nachschlüssel anzufertigen. Ich erfuhr es erst später, daß er meine Frau mit in diese Sache verwickeln wollte. Wahrscheinlich deshalb, um sie festzunageln, um ihr Schweigen zu erzwingen. Er gab den von ihm beschafften Panzerschrankschlüssel meiner Frau und sagte ihr, es wäre der Wohnungsschlüssel einer Freundin seines Kumpels und er brauche sehr schnell für ihn einen Nachschlüssel, bevor ihr Mann wieder nach Hause käme. Und es solle geheim bleiben, darum habe sein Freund ihn gebeten, und er bitte meine Frau, damit ein Verdacht völlig ausgeschlossen werde. Zwischen meiner Frau und Laci beziehungsweise zwischen uns dreien bestand ein so freundschaftliches Verhältnis, daß sich meine Frau über diese Bitte nicht wunderte. Sie war nur überrascht, als Laci sie bat, mir vorläufig davon nichts zu sagen. Aber sie hat mir am selben Tag doch alles erzählt. Es ist wahr, daß Laci den Schlüssel gleich von ihr zurückverlangte, weil der Schlosser, zu dem ihn meine Frau brachte, ihn nicht sofort angenommen hatte. Ich habe meiner Frau gesagt, daß es sich bestimmt um seine eigenen Weibergeschichten handele, er schäme sich bloß, es einzugestehen, und zu Laci habe ich gesagt, er solle uns endgültig mit dieser Sache verschonen, uns interessiere sie nicht. Ich wolle nie wieder von der Sache hören, und dann auch noch meine Frau mit hineinzuziehen! Laci hatte eingesehen, daß es ein Fehler war, meine Frau einzubeziehen. Er hätte niemals einem einheimischen Schlosser den Schlüssel zeigen dürfen. Dann wollte er es auf andere
Weise versuchen. Mach, was du willst, habe ich ihm geantwortet, aber zu mir brauchst du damit nicht mehr zu kommen. Es vergingen zwei, drei Wochen, ich weiß es nicht genau, wir haben nicht mehr über diese Sache gesprochen. Laci kam wieder zu uns zum Abendbrot wie zuvor, und wir gingen gemeinsam auch in die Gaststätte, wenn meine Frau Nachmittagsdienst hatte. Er erwähnte nun öfter seine Bewerbung für die Assistentenstelle und sagte, er plane das nächste Jahrzehnt, den Zeitraum, bis er vierzig Jahre sei. Was danach werde, sei so fern, daß er es noch nicht berechnen könne. Bis dahin wolle er aber klug und inhaltsvoll leben und seine Fähigkeiten und Jugend ausnutzen. Er möchte sich, wenn er über vierzig sei, keine Vorwürfe machen müssen, eine Möglichkeit ausgelassen zu haben. Er werde hart und fleißig lernen, nur darauf werde er seine Aufmerksamkeit konzentrieren und sich an keine Nebensächlichkeiten verschwenden. In diesem Jahrzehnt interessiere ihn das Geld nicht, sondern nur die wissenschaftliche Arbeit. In der Zeit werde er etwas auf den Tisch legen, wodurch er Namen und Rang in seinem Beruf erlangen werde. Meine Frau unterbrach ihn einmal und fragte, wie er die Beschäftigung mit den Wissenschaften mit seinem Hang zu Vergnügungen vereinbaren wolle. Laci antwortete, daß beides sich gegenseitig ergänzen und sein Leben so vollkommen würde. Meine Frau wandte ein, das Vergnügen brauche viel Geld, und die Wissenschaft brächte zuerst sehr wenig ein. Aber Nemes brachte seinen wohlhabenden Großonkel ins Gespräch, der seine Unterstützung angeboten hätte. Bald würde zum Beispiel sein Wagen ankommen, er werde aus dem Alten eine nicht unbedeutende Summe als regelmäßige monatliche Unterstützung herausholen. Meine Frau beneidete ihn, ich habe ihr erläutert, daß Laci uns
beneiden könnte, weil wir alles haben, was im Leben Freude bereitet. Meine Frau hat das eingesehen, wir haben keine besonderen Sorgen, aber einen schönen weißen Sportwagen würde sie gern haben wollen, hat sie gesagt. Ich bin in Wut geraten und habe sie gefragt, wovon sie ihn erhalten wolle und ob ich vielleicht klauen solle, damit es dafür reiche? Meine Frau hat nicht verstanden, warum ich so aus der Haut gefahren bin. Sie hat sich bemüht, mich zu beruhigen, und hat nicht mehr davon gesprochen. Laci schwatzte aber immer wieder von seinen Plänen und schimpfte häufiger auf den Betrieb, auf die Kleinstadt, auf die Menschen hier. Mir riet er, ihm nachzukommen, eine Sportlehrerstelle würde sich schon finden, und meine Frau könnte noch leichter Arbeit in der Gastronomie bekommen. Da wir uns so angefreundet hätten, sagte er, möchte er uns nicht verlieren, er wäre auch zu Opfern bereit. Wenn sich sein Verhältnis zum Onkel gut entwickele, dann könne er leicht die Last unseres Umzuges auf sich nehmen und noch einiges mehr. Meiner Frau gefiel das Angebot nicht. Sie fand es übertrieben. Warum versprach Laci etwas, worüber er nicht verfügte. Sie hat Laci gesagt, er solle uns nichts versprechen und seine Sache mit dem Institut und dem Onkel abwickeln. Wir würden ihm auch dann die Daumen drücken, wenn wir keinen Nutzen davon hätten. Ich freute mich über diese Meinung, Laci nicht. Er sagte in meiner Anwesenheit zu meiner Frau, wenn ich nicht so ein Tölpel sei, könnte unser Leben viel leichter sein. Einmal bat mich Laci, ihn schnell mit dem Motorrad nach Baja zu fahren. Ich wartete vor dem Betrieb auf ihn. Er kam pünktlich, und los ging es. Wir hielten vor einem Eisenwarengeschäft, ich blieb draußen. Nach kurzer Zeit kam er mit einem Aluminiumrohschlüssel in der Hand zurück, ich solle noch
etwas warten, er wolle gleich zu einem Schlosser, der nur ein Haus weiter wohne. Nach etwa fünfundzwanzig Minuten kam er wieder und legte mir einen Aluminiumschlüssel in die Hand. Er fragte mich, ob ich wüßte, wofür der sei. Ich antwortete, er. wolle damit bestimmt den Panzerschrank öffnen. Er erwiderte, es sei noch nicht der endgültige Schlüssel, er sei nur grob ausgefeilt, die Verfeinerung könne er allein zu Hause erledigen. Nach ein paar Tagen bemerkte er so nebenbei, er habe den Schlüssel ausprobiert, aber er sei noch nicht gut genug. Wieder einige Tage später sagte er mir, eine weitere Probe sei schon vielversprechender verlaufen, er könne den Schlüssel schon ein Stück im Schloß bewegen, aber noch nicht ganz umdrehen. Und wie kannst du das ausprobieren, habe ich ihn gefragt. Er hat es mir dann erzählt. In dem Zimmer, in dem der Panzerschrank stünde, sei fast immer jemand, und der alte Hauptkassierer würde sogar die Tür hinter sich zuschließen, aber er wähle sich schon seine Gelegenheit. Horváth sei seit langem der Bekannte, fast der Freund Lacis, und es verbinde sie auch das Sportinteresse des Alten. Er halte die Sportzeitung, und er, Laci, sei von Anfang an zu ihm gegangen, um die Sportzeitung zu lesen. Dort, auf dem Panzerschrank, breite er die Zeitung auseinander, stütze sich auf den Schrank und lese wie immer. Er achte jetzt nur darauf, daß er mit der ausgebreiteten Zeitung den Vorderteil des Panzerschrankes vor dem Hauptkassierer verdecke, und er stelle sich so, daß ein unerwartet Eintretender nicht sehen könne, wie er mit der Hand unter der Zeitung rumfummele. So könne er den Schlüssel unbemerkt ins Schloß stecken und probieren. Wenn er sich nicht drehen ließe, drücke er etwas stärker, so bliebe auf dem weichen Aluminium ein Abdruck und er wisse, wo noch etwas nachzuarbeiten sei. Das feile er dann zu Hause zurecht und probiere – wenn sich die
Gelegenheit biete – den Schlüssel wieder.
So verwirklichte Laci seinen Plan, und ich beobachtete verblüfft und staunend, wohin sich diese für mich noch immer unfaßbare Angelegenheit entwickelte. Eines Tages sagte er mir, daß er den Schlüssel im Schloß umdrehen könne. Sein Gesicht strahlte dabei vor Freude. Dann berichtete er mir noch, daß er den Schlüssel wieder und wieder ausprobiert habe und er sich in dem Schloß wie der Originalschlüssel bewegen ließe. Das war vielleicht vor zwei Wochen. Dann erzählte er, wann die Lohnzahlung sein werde, an diesem Tag müßten wir es versuchen, und dieser Tag war der zwölfte Oktober. Als er den Tag so genau nannte, war ich entsetzt. Wollte dieser Verrückte die Tat wirklich ausführen? Ich hatte immer noch gezweifelt. Das war doch bereits eine schwere strafbare Handlung, was er angestellt hatte. Ich sagte ihm, er könne Gott danken – wenn es ihn gäbe –, daß er mit dem blöden Spiel noch nicht erwischt worden sei. Aber jetzt sollte er endlich damit aufhören. Er antwortete, er sei schön dumm, jetzt, wo er das Schwerste hinter sich habe, aufzuhören. Wenn ich Angst
hätte und zurücktreten wolle, könne ich es ja tun. Ihm würde ich aber damit eins auswischen, weil er das ,große Manöver‛ allein nicht ausführen könne, dazu seien zwei Mann notwendig. Ich brauche nur auf der Straße aufzupassen, er sei bereit, hineinzugehen, die Kasse zu öffnen und die ,Mäuse‛ rauszuholen. Obwohl er den Schlüssel allein angefertigt und das Ganze selbst ausgedacht und vorbereitet habe, sei er bereit, mit mir brüderlich zu teilen, ich solle es mir überlegen. Ich antwortete ihm, es gäbe für mich nichts zu überlegen, ich würde da nicht mitmachen, und ich bäte ihn sehr, daß er sich auch nicht mehr damit abgäbe. Er antwortete, er werde es dennoch tun, ich brauche nicht zu glauben, daß ich davonkäme, wenn er erwischt würde. Ich stecke mit drin, weil ich ihm geholfen hätte, von dem Plan und der Vorbereitung wüßte. Ich hätte ihm bei der Besorgung des Schlüssels geholfen und könne einfach nicht mehr abspringen. O doch, habe ich darauf geantwortet, indem ich dich anzeige! Da lachte er nur und sagte, bitte, ich könne ihn ruhig anzeigen. Ich überlegte, ob wir wirklich so tief drinsteckten, und wurde so unsicher, daß ich keine Kraft mehr hatte zu widerstehen. Ich glaube, daß ich auf ein Wunder gehofft habe, damit diese Sache nicht zu Ende geführt wird. Die Dinge liefen aber schnell weiter, Laci erzählte, daß er auch das Alibi schon geplant habe, der Zahltag falle glücklicherweise mit dem Hochzeitstag seiner Eltern zusammen, er werde für diesen Tag Urlaub nehmen, nach Hause fahren und erst am zwölften früh mit dem Zug zurückkommen. Zu Hause werde er sich zum Schein in den Zug setzen, ich sollte ihn dann aber von Fehérvár abholen, und bis zum Morgen könnten wir alles in Ruhe abwickeln. Ich war einverstanden, ihn mit dem Motorrad von Fehérvár herzufahren, meine Frau hatte Nach-
mittagsdienst, ihre Arbeitszeit in der Gaststätte ging bis nachts um zwei Uhr. Wir brauchten sie also nicht einzuweihen. Wenn sie keinen Nachmittagsdienst gehabt hätte, wäre ich nicht zu Laci gefahren. Aber so, kleine Ausflüge habe ich auch schon andere Male unternommen, besonders in milden Sommernächten. Ich holte Laci also von Fehérvár ab, fuhr ihn zu seiner Wohnung, brachte mein Motorrad nach Hause und lief zurück. Sein Zimmer liegt abgelegen, so daß man nicht unbedingt merkt, ob er zu Hause ist. Er wartete schon, und wir gingen los. Er hatte nicht nur die Kassenschlüssel, sondern auch die Büroschlüssel bei sich, davon hatte er bisher nichts erwähnt. Ich sollte in allem auf ihn hören, sagte er. Es war kurz nach Mitternacht, wir bemühten uns, auf der dunklen Seite der Straße zu laufen, trafen aber niemanden. Wir waren etwa hundert Meter vom Büro entfernt, als er sagte, ich solle jetzt zurückbleiben, mich in die Dunkelheit zurückziehen und aufpassen. Wenn ich etwas Verdächtiges bemerken sollte, aber nur bei wirklicher Gefahr, sollte ich ihn mit einem Pfiff warnen. Auf ein Zeichen von ihm solle ich sofort zu ihm kommen. Wenn der Pförtner Verdacht schöpfe, solle ich seine Aufmerksamkeit auf mich lenken. Ich brauche keine Angst zu haben, ich sei vom Eingangstor weit genug entfernt, so daß der Pförtner mich nicht erkennen würde und ich in der Dunkelheit flüchten könne. Solange sich der Alte mit mir beschäftige, könne er, Laci, auch verschwinden. Mit einer anderen Gefahr brauchten wir nicht zu rechnen. Es lief tatsächlich so ab. Ich zog mich in die Dunkelheit zurück und sah Laci hinterher. Er spazierte am Haupteingang vorbei, kehrte um und lief wieder am Pförtnerhäuschen vorbei. Das Häuschen war beleuchtet, ich sah von weitem, daß der Alte vornübergebeugt drin saß, wahrscheinlich schlief er gerade. Als
Laci am Pförtnerhäuschen vorüber war, sprang er über den Zaun und lief geduckt über den gutbeleuchteten Hof zur Eingangstür des Bürogebäudes, dorthin konnte der Pförtner nicht mehr sehen. Die Straße lag still. Laci hatte nach wenigen Augenblicken die Tür geöffnet und war im Gebäude verschwunden. Es vergingen nicht einmal fünf Minuten, da erschien er mit zwei Papiersäcken in der Hand, sicherte kurz an der Tür und hastete über den beleuchteten Hof zum Zaun, wo ich auch schon zur Stelle war. Er reichte mir die Säcke und flüsterte, ich solle noch einen Moment warten, er hole nur noch meinen Sportbeutel. Das beanspruchte auch nicht mehr als ein, zwei Minuten. Er verschloß die Tür, kam zum Zaun, schwang sich hinüber, und wir zogen uns sofort in die Dunkelheit zurück. Dort blieben wir noch eine Weile stehen und beobachteten den Pförtner. Der Alte saß genauso vornübergebeugt und unbeweglich hinter dem Fenster, er hatte nichts bemerkt.
Gemächlich gingen wir zu Laci. Dort begannen wir, die Umschläge zu entleeren, das war eine mühsame Arbeit. Anfangs machten wir es gründlich, später hastig, weil die Zeit raste und ich vor zwei Uhr in der Gaststätte bei meiner Frau sein mußte. Um nichts in der Welt wollte ich, daß sie etwas erfuhr. Trotz unserer Eile konnten wir nur etwa die Hälfte der Umschläge entleeren, die leeren Umschläge stopften wir in meinen Sportbeutel. Laci übernahm es, ihn zusammen mit den noch vollen Umschlägen in seiner Wohnung zu verstecken. Das restliche Geld nahm ich mit, um es am nächsten Tag in der Schule zu verbergen. Am nächsten Abend aß er bei uns Abendbrot. Als meine Frau in die Küche ging, flüsterte ich ihm schnell zu, daß ich das Geld im Geräteraum unter dem Fußboden versteckt hätte. Er flüsterte zurück, daß er sich mit dem Geld zu Hause nicht sicher fühle, deshalb hätte er den Papiersack mit den noch vollen Umschlägen auf dem Mühlengrundstück in der Nähe des Polizeireviers versteckt. Die leeren Umschläge, die sich in meinem Sportbeutel befanden, hätte er zusammen mit dem Beutel in den Kanal geworfen. Ich war wütend über seine Erklärung, denn ich erkannte, daß er schlimmen Unsinn gemacht hatte. Wir waren geliefert, wenn jemand den Beutel fand. Laci beteuerte, den Beutel könne niemand finden, weil er im Wasser sofort untergegangen sei, und wer, zum Teufel, solle auf dem Grundstück neben der Polizei rumwühlen. Dann kam meine Frau mit den Speisen, sie hatte uns doch wohl gehört, sah mich an und wußte sogleich, daß wir uns gestritten hatten. Aber sie fragte vergebens, ich sagte ihr nichts. Wir kamen nicht mehr dazu, das Geld aus dem Dornenbusch zu holen. Als wir hörten, daß Kriminalbeamte aus Budapest
angekommen seien und Spürhunde einsetzen, waren wir furchtbar erschrocken. Seitdem konnte ich nichts essen, kaum schlafen, ich weiß nicht, ob ich noch bei mir war. Es war wirklich eine Erleichterung für mich, daß ich endlich alles aussagen konnte …“ Nun ja, die Erleichterung sah man ihm an. Ich bedauerte ihn, aber das war meine Privatsache. Ich bedauerte den Menschen in ihm, den Verbrecher aber verurteilte ich. Das ausführliche Verhör Frau Bánátis und László Nemes bestätigte im wesentlichen das Geständnis Bánátis. Abweichend war nur, daß Nemes zuerst versuchte, alles auf Bánáti zu schieben. Bánáti habe das Ganze geplant und ihn in die Sache hineingezogen. Am Ende brach er dann doch zusammen und verhielt sich erbärmlich – er kniete sich hin und flehte, ihn freizulassen. Dann versprach er sogar Geld, wenn wir ihn laufenließen – also, er benahm sich jämmerlich, es ekelte uns an. Die Schuldlosigkeit Frau Bánátis erwies sich schnell. Die Frau konnte es bis zum Verfahren nicht glauben, erst das Geständnis ihres Mannes machte ihr klar, daß er fähig gewesen war, diese Tat mit auszuführen. Nach dem Urteil des Gerichts waren Nemes und Bánáti zu gleichen Teilen schuldig, so war auch ihre Strafe gleich: Sie kamen für viele Jahre ins Gefängnis.
Heft 377 Slaw Chr. Karaslawow Mondgeld Immer wieder holt Burunsus die Goldstücke aus dem Wikkelgurt, nimmt gierig ihren Anblick in sich auf. Er will nicht begreifen, daß nur die Hälfte ihm zugedacht ist und er die übrigen dem verwundeten Heiducken aushändigen soll, dessen Pflege man ihm anvertraut hat. Nur wenn dieser stürbe, dürfte er alles behalten, hatte der Woiwode gesagt. Aber dem Jungen geht es von Tag zu Tag besser. Haßerfüllt beobachtet ihn Burunsus. Noch hält ihn die Angst vor dem Heiducken zurück, das Äußerste zu tun. Doch eines Nachts ergreift er das Beil und schleicht zum Lager des Verwundeten.