Empedokles Physika I: Eine Rekonstruktion des zentralen Gedankengangs
Oliver Primavesi
Walter de Gruyter
Empedokles ...
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Empedokles Physika I: Eine Rekonstruktion des zentralen Gedankengangs
Oliver Primavesi
Walter de Gruyter
Empedokles Physika I
≥
Archiv für Papyrusforschung und verwandte Gebiete Begründet von
Ulrich Wilcken Herausgegeben von
Bärbel Kramer Wolfgang Luppe Herwig Maehler Günter Poethke
Beiheft 22
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Empedokles Physika I Eine Rekonstruktion des zentralen Gedankengangs von
Oliver Primavesi
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Gedruckt mit Mitteln aus dem Gottfried Wilhelm Leibniz-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft
앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, 앪 das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN 978-3-11-020925-9 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 쑔 Copyright 2008 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, 10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandentwurf: Christopher Schneider, Berlin Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen
Für Albrecht Dihle zum 28. März 2008
INHALTSVERZEICHNIS 1. Das Problem: Die Simplikianischen Zitate und der Straßburger Papyrus .................................................................................................. 1 2. Archäologische Voraussetzungen der Rekonstruktion ............................ 5 3. Die Verse Physika I 232–300 ................................................................10 3.1. Eine Simplikianische Zitat-Folge und das Papyrus-Ensemble Strasb.a) .......................................................................................10 3.2. Zum Inhalt von Physika I 232–300 .................................................12 3.2.1. Prinzipien .............................................................................12 3.2.2. Beginn einer detaillierten Darstellung des Zyklus .................19 3.2.3. Eröffnung des didaktischen Exkurses ....................................21 4. Die Fortsetzung des didaktischen Exkurses nach Vers 300 ....................24 4.1. Allgemeines zur Fortsetzung des Textes nach Physika I 300...........24 4.2. Zugehörigkeit der Zitatfolge B 21 – B 23 – B 26 zum Exkurs..........27 4.3. Einschaltung von Strasb.c) zwischen Strasb.a) und B 21.................31 4.4. Zum unmittelbaren Anschluss von B 21 D.-K. an Strasb.c) .............40 4.5. Zum Anschluss von Strasb.b) an Physika I 301–322 .......................42 5. Intermezzo: Wer sind „Wir“? ................................................................47 6. Zur Darstellung des kosmischen Zyklus in B 35 und in Strasb.d + f(ii).......................................................................................58 7. Text.......................................................................................................64 Bibliographie.............................................................................................80 Tafeln Abbildungsnachweis
1. Das Problem: Die Simplikianischen Zitate und der Straßburger Papyrus 1 Aus dem Trümmerfeld der Vorsokratikerüberlieferung ragt, neben dem Aletheia-Teil des Parmenideischen Gedichts, das erste Buch der Empedokleischen Physika heraus: Es ist dasjenige Empedokleische Einzelbuch, aus dem sich bei weitem die meisten sicher zuweisbaren Fragmente erhalten haben; zudem kann auf eine Reihe von Hinweisen und Indizien zur Reihenfolge dieser Fragmente zurückgegriffen werden. Die wichtigsten Träger der Überlieferung sind die für dieses Buch besonders ausgiebigen Zitate des neuplatonischen Aristoteleskommentators Simplikios; sie waren zwar in der von Henri II Estienne 1573 herausgebrachten 2 noch nicht berücksichtigt, doch wurden sie größtenteils bereits gegen 1600 von Joseph Justus Scaliger in einer ungedruckten, aber handschriftlich erhaltenen Fragmentsammlung erschlossen.3 Neuerdings ist ein Straßburger Papyrus hinzugekommen, der erst 1992 als Empedokleisch identifiziert wurde,4 obwohl er bereits im Jahre 1905 über das Deutsche PapyrusKartell5 in die Papyrussammlung der damaligen Kaiserlichen Universitätsund Landesbibliothek zu Straßburg gelangt war.6 Damit sind zum ersten Mal in der Neuzeit Bruchstücke einer antiken Buchrolle bekannt geworden,
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Der Verfasser dankt der Bibliothèque Nationale et Universitaire de Strasbourg (BNUS), die ihm nach dem Erscheinen der gemeinsam mit Alain Martin erarbeiteten editio princeps des Straßburger Empedokles-Papyrus bereitwillig eine weitere, gemeinsam mit Alain Martin und Richard Janko durchgeführte Untersuchung des Originals ermöglichte. Er dankt Alain Martin und Glenn Most für die Bereitschaft, eine frühere Version des Textes mit ihm ausführlich durchzusprechen, und Dieter Harlfinger für den Hinweis auf ein in der Empedoklesforschung bisher nicht beachtetes Fragment aus dem Kategorienkommentar Alexanders von Aphrodisias, das für die Rekonstruktion des ersten Buches der Empedokleischen Physika wichtige Aufschlüsse erbringt. 2 Estienne 1573: 17–31. 3 Universitätsbibliothek Leiden, Ms. Scal. 25 (vgl. hierzu Cordero 1982), fol. 102r–109v. 4 P. Strasb. gr. Inv. 1665–1666; Editio princeps: Martin / Primavesi 1999. 5 Zur Geschichte des Deutschen Papyruskartells, dessen Aktivitäten auf die kurze Zeitspanne vom Winter 1902/1903 bis zum Ausbruch des Weltkriegs im August 1914 beschränkt geblieben sind, vgl. Primavesi 1996 und Martin 2007. 6 Die Bibliothek ist mitsamt ihrer bedeutenden Papyrussammlung aufgrund von Artikel 56 des Versailler Vertrages in das Eigentum der Französischen Republik übergegangen und erhielt 1926 den in Frankreich singulären Status einer Bibliothèque Nationale et Universitaire.
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die in direkter Überlieferung (d.h. in integraler Abschrift) ein Hauptwerk vorsokratischer Philosophie enthielt.7 Die besondere Bedeutung des Straßburger Papyrus für die Rekonstruktion des ersten Buches der Physika beruht darauf, dass die durch den Papyrus überlieferten Textabschnitte sämtlich nicht nur dem ersten Buch entstammen, sondern darüber hinaus demselben Teil dieses Buches, aus dem Simplikios eine Reihe seiner wichtigsten Empedokles-Zitate geschöpft hat, nämlich die Zitatserie B 17 – B 21 – B 23 – B 26 Diels-Kranz sowie B 20 und B 35 Diels-Kranz. So zeichnet sich die Möglichkeit ab, die einzelnen aus den Straßburger Papyrusbruchstücken restaurierten Text-Ensembles mit den genannten Simplikianischen Zitaten zu größeren gedanklichen Zusammenhängen zusammenzuschließen, womöglich auch zu textlichen Kontinua. In dieser Hinsicht ist das Potential des Straßburger Papyrus bisher noch bei weitem nicht ausgeschöpft worden. Zwar wurde bereits in der editio princeps zum einen das Ensemble Strasb.a) als unmittelbare Fortsetzung des Simplikianischen Zitats B 17 erkannt, zum andern das Ensemble Strasb.b) in die bei Simplikios bald auf B 17 folgende Zitatserie B 21 – B 23 – B 26 eingefügt (nämlich zwischen B 21 und B 23), und schließlich das Simplikianische Zitat B 35, das sich als Abschluss eines in Strasb.a) eröffneten Exkurses erwiesen hatte, an B 26 angeschlossen.8 Doch in den damit wiedergewonnenen Zusammenhang konnten damals die beiden verbleibenden größeren Papyrus-Ensembles, nämlich das größtenteils mit B 20 identische Ensemble Strasb.c) sowie das Ensemble Strasb.d), noch nicht überzeugend eingeordnet werden; dies war vor allem an der (im Rückblick ziemlich unwahrscheinlichen) Hypothese ablesbar, dass das Ensemble Strasb.d) gar nicht aus dem ersten, sondern erst aus dem zweiten Buch der Physika stamme.9 Auch die an die editio princeps anschließende Diskussion10 brachte in der Rekonstruktionsfrage zwar (berechtigte) Kritik an der Zuweisung von Strasb.d) an das zweite Buch, aber zunächst keinen konkreten Fortschritt. Das änderte sich erst mit dem Aufsatz von Janko 2004, der im Hinblick auf die beiden Ensembles Strasb.c) und Strasb.d) zwei wichtige Resultate _________ 7 Unter diese Bestimmung fällt weder der Papyrus-Text des Antiphon, den man als Sophisten
durchaus zur Vorsokratik im weiteren Sinne rechnen kann (Corpus dei papiri filosofici greci e latini, Parte I, Vol. 1*, Firenze 1989, 176–236), noch die im Derveni-Papyrus überlieferte naturphilosophische Allegorese eines orphischen Gedichts, die zwar erst dem vierten Jahrhundert v. Chr. entstammen dürfte, aber von Sokrates / Platon unberührt und in diesem Sinne vorsokratisch ist (Kouremenos / Parássoglou / Tsantsanoglou 2006). 8 Martin / Primavesi 1999: 103–108. 9 Vgl. Martin / Primavesi 1999: 109–111. 10 Genannt seien Inwood 2000, Gemelli 2000, Osborne 2000, Laks 2001, Kingsley 2002, Laks 2002, Messina 2002, Trépanier 2003.
1. Das Problem: Die Simplikianischen Zitate und der Straßburger Papyrus
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erzielte: Zum einen hat Janko das Ensemble Strasb.c) unmittelbar an Strasb.a) angeschlossen; dies stimmt, wie wir noch genauer sehen werden, auf das Beste mit der Deutung überein, die der letzte Vers von Strasb.a) und das Ensemble Strasb.c) (~ B 20 D.-K.) jeweils bei Simplikios erfahren. Zum andern hat Janko Text und Interpretation von Strasb.d) dadurch auf eine festere Grundlage gestellt, dass er die zweite Kolumne eines weiteren Ensembles, Strasb.f), überzeugend mit Strasb.d) verbunden hat. Unbeschadet dessen vermag die von Janko 2004 vorgeschlagene Gesamtrekonstruktion des Papyrustextes nicht zu überzeugen: Janko hat den engen Zusammenhang, der sowohl zwischen Strasb.b) und den Zitaten B 21 und B 23, als auch zwischen Strasb.d) und B 35 besteht, nicht beachtet und die genannten Zitate daher in seine Rekonstruktion nicht mit einbezogen. Dagegen soll im vorliegenden Beitrag gezeigt werden, dass sich aus den einzelnen Text-Ensembles des Straßburger Papyrus in Verbindung mit den beiden Simplikianischen Zitaten B 17 Diels-Kranz und B 21 DielsKranz zwei größere Abschnitte des ersten Buches wieder herstellen lassen, die wir Kontinuum I und Kontinuum II nennen wollen:11 Das Kontinuum I enthält die Verse 232–330 des ersten Buches; das Kontinuum II enthält einen im Abstand weniger Kolumnen darauf folgenden Text im Umfang von gut 20 Versen. Überdies soll gezeigt werden, dass die gedankliche Verbindung zwischen Kontinuum I und Kontinuum II in einer Folge weiterer (abermals vorwiegend Simplikianischer) Zitate überliefert ist, wenn auch nicht ohne kleinere textliche Lücken. Diese Überlegungen führen insgesamt auf die Rekonstruktion eines Gedankengangs, in dem zuerst die Grundzüge des physikalischen Systems dargestellt und unter Hinweis auf empirische Befunde begründet werden (Kontinuum I / B 23 / B 26), und sodann die Ereignisfolge des gesamten kosmischen Zyklus zum ersten Mal umrisshaft durchlaufen wird (B 35 / B 27–31 / Kontinuum II). Bei der Erklärung des so rekonstruierten Gedankengangs werden sich zwei philosophiegeschichtlich aufschlussreiche Differenzierungen ergeben, eine interne und eine externe: Innerhalb des Gedichts Physika unterscheidet Empedokles ausdrücklich zwischen empirischen, der Sinneswahrnehmung zugänglichen Befunden, und der aus diesen Befunden extrapolierten Annahme einer zyklischen Struktur des Weltlaufs im Ganzen. Zwischen seinen beiden Gedichten Physika und Katharmoi verläuft die Trennlinie zwischen einer physikalischen Darstellung des kosmischen Zyklus und der narrativen Spiegelung dieses Zyklus in einem Mythos von Schuldbefleckung und Reinigung des Gottes. _________ 11 Kontinuum I besteht aus dem Zitatfragment B 17 D.-K., den Papyrus-Ensembles Strasb.a)
und Strasb.c), dem Zitatfragment B 21 D.-K. und dem Papyrus-Ensemble Strasb.b). Kontinuum II besteht aus den Papyrus-Ensembles Strasb.f) + Strasb.d).
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Im Folgenden wird zunächst die Annahme, dass es sich beim Straßburger Papyrus um die Reste zweier, durch einige Kolumnen voneinander getrennter Kontinua handelt, durch eine gegenüber der editio princeps in einigen Punkten präzisierte Darstellung des archäologischen Befundes gestützt. Sodann wird die Rekonstruktion des mit Physika I 232 beginnenden Gedankengangs begründet, und schließlich ein fortlaufender Text vorgelegt, der sich als Lesetext versteht: Zwar werden verschiedene Ergänzungsvorschläge zu den Papyrus-Ensembles dokumentiert, aber eine durchgreifende textkritische Neubearbeitung der einschlägigen Zitatfragmente muss einer anderen Gelegenheit vorbehalten bleiben.
2. Archäologische Voraussetzungen der Rekonstruktion Beim Straßburger Empedokles-Papyrus (P. Strasb. gr. Inv. 1665–1666) handelt es sich um 52 Bruchstücke einer Rolle. Bei der Restauration des Papyrus konnten durch Zusammenfügung unmittelbar aneinander passender Bruchstücke die sechs Ensembles a), b), c), d), f) und g) wiederhergestellt werden; nur fünf Stücke geringen bis minimalen Umfangs, e), h), i), j) und k), blieben bisher isoliert. Zwei unter den Ensembles, nämlich a) und d), ragen durch ihren Umfang heraus: Das aus 24 Bruchstücken wieder zusammengesetzte Ensemble Strasb.a) enthält die 9 unteren Zeilen einer Papyruskolumne und alle 30 Zeilen der darauf folgenden Kolumne; das aus 11 Bruchstücken zusammengesetzte Ensemble Strasb.d) enthält die ersten 18 Zeilen einer Kolumne. Der Umfang der vier kleineren Ensembles bleibt dahinter deutlich zurück: Strasb.f) enthält sechs Bruchstücke, Strasb.b), Strasb.c) und Strasb.g) je zwei Bruchstücke. Demnach entstammt der Papyrus zwei großen und mehreren kleinen Ausrissen aus einer Papyrusrolle: Es liegt nahe, dass die vier kleineren Ensembles ebenso wie die verbleibenden fünf Einzelbruchstücke jeweils im Zusammenhang mit einem der beiden großen Ausrisse gewonnen worden sind. Jedenfalls hat man die beiden großen Ausrisse sodann weiter zu den erhaltenen Fragmenten zerstückelt – ein Vorgang, von dem auch die annähernd parallelen, vertikalen Bruchlinien innerhalb der Ensembles a) und d) noch zeugen.12 Sämtliche Bruchstücke des Straßburger Papyrus hat man schließlich, wie im Folgenden zu zeigen ist, zu einem Stück stabiler Papyrus-Kartonage zusammengeklebt. Als Quellen stehen die Berichte des deutschen Archäologen Otto Rubensohn zur Verfügung, der den Papyrus im November 1904 im oberägyptischen Ahmm bei dem Antiquitätenhändler Ginti Faltas gesehen und für die literarische Abteilung (= Abteilung B) des Deutschen Papyruskartells erworben hat. Über den Kauf berichtet Rubensohn in seinem Tagebuch unter dem 21. November 1904:13 _________ 12 Vgl. die Abbildung bei Martin / Primavesi 1999: 29. 13 Die Tagebücher, die Rubensohn über seine Tätigkeit für die Papyrussammlung der Berliner
Kgl. Museen (eigene Grabungen) und für das Deutsche Papyruskartell (Ankäufe bei lokalen Händlern) führte, werden im Berliner Ägyptischen Museum / Papyrussammlung verwahrt und sind mithin nach der Wiedervereinigung in das Eigentum der Stiftung Preußischer Kulturbesitz übergegangen. Die im Text zitierte Beschreibung stammt aus dem Eintrag zum 21. November 1904 im
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Archiv für Papyrusforschung, Beiheft 22, 2008
„Zurück nach Achmim. Runde bei den Händlern. Hanna und Genossen haben gar nichts. Nur bei Ginti Faltas findet sich: 1) Ein Kragen aus Kupferblech auf Papyrus aufgeklebt wie wir es in Abusir gefunden haben. Da dabei Fragmente mit litterar. Schrift verwertet sind, kaufe ich ihn für 1 £ St. … “
Der von den aufgeklebten Kupferblättern gebildete „Kragen“ stellt, was Martin / Primavesi 1999 verkannt haben, offensichtlich einen ägyptischen Schmuckkragen dar. Bei einem solchen Kragen handelt es sich geometrisch gesprochen um ein Ring-Segment, d.h. um einen ebenen Streifen, dessen beide Längsseiten als konzentrische Kreisabschnitte geformt sind. Der Kragen ist in der Regel aus blatt- oder blütenförmigen Gliedern zusammengesetzt und liegt vorne zwischen dem Halsansatz und der Brust des Trägers flach auf, indem er von der einen Schulter über die beiden Schlüsselbeine zur anderen Schulter läuft, während er hinten im Nacken in der Regel nur durch eine Schnur zusammengehalten wird.14 Die Tatsache aber, dass im vorliegenden Fall die Kupferblätter nicht untereinander verbunden waren, sondern auf eine Papyrus-Unterlage aufgeklebt wurden, deutet darauf hin, dass es sich hier genau genommen nur um die Nachbildung eines Kragens handelte: Diese Nachbildung war nicht dazu bestimmt, ihrem Träger zu Lebzeiten einfach um den Hals gebunden zu werden, sondern vielmehr dazu, auf einem mit Leinenbinden umwickelten Toten zwischen Brust und Halsansatz befestigt zu werden, womöglich in der Weise, dass sie wie ein Mumienporträt in einer Aussparung der äußersten Schicht der Umwicklung verankert wurde.15 In diese Richtung _________ Tagebuch über die „Campagne 1904/05“ (Archiv-Nr. 117, S. 8–11), der bei Martin / Primavesi 1999: 331–332 als Document 2 abgedruckt ist. 14 Die Interpretation des Tagebucheintrags bei Martin / Primavesi 1999: 27 geht darin fehl, dass sie die Bezeichnung „Kragen“ auf den Papyrusstreifen bezieht und sie überdies als Metapher für den in der belle époque üblichen Stehkragen („faux col“) deutet. In Wahrheit bezieht sich „Kragen“ bei Rubensohn ausschließlich auf den mittels der aufgeklebten Kupferblätter nachgebildeten Schmuck, den man im ägyptologischen Sprachgebrauch als „Schmuckkragen“ oder „Halskragen“ bezeichnet. Zudem ist die ebene Grundfläche eines solchen Schmucks nicht als ein lang gezogenes Rechteck zu beschreiben (wie im Falle eines Stehkragens), sondern als ein im Halbkreis gerundeter Streifen. Damit entfallen auch die von Martin / Primavesi 1999: 29–30 angestellten Überlegungen zum Zusammenhang zwischen der vermeintlichen Rechteckform des „Kragens“ einerseits und den innerhalb der Ensembles a) und d) kenntlichen geraden Bruchlinien andererseits. 15 Vgl. Thomas Manns Beschreibung der nach ägyptischem Brauch durchgeführten Einwicklung von Jaakobs Leichnam in dem Kapitel „Nun wickeln sie Jaakob“, in: Joseph und seine Brüder, Zweiter Band (Siebentes Hauptstück: Der Wiedererstattete), Stockholm 1952, S. 2023: „Byssusbinden, vierhundert Ellen lang, mit Haftgummi bestrichen, endlose Leinenstreifen, von denen die feinsten dem Körper am nächsten lagen, wickelten sie um Jaakob, immer rundum, bald neben- und bald übereinander und legten zwischenein auf den verschnurrten Hals einen goldenen Kragen … “ (Hervorhebung von uns).
2. Archäologische Voraussetzungen der Rekonstruktion
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weist auch das in Rubensohns Tagebucheintrag erwähnte Vergleichsstück aus Abusir (el Meleq), welches Rubensohn zehn Monate zuvor gefunden und in seinem Tagebuch wie folgt beschrieben hatte:16 „Ein merkwürdiger Papyrusfund wird bei einer in einem Holzsarg beigesetzten Leiche gemacht. Diese war in kassettenartige Binden17 gehüllt und trug offenbar um die Schultern einen Kranz – nicht in situ gefunden – aus länglich ovalen gezähnten Blättern und aus gezähnten Rosetten (Blumen) aus Kupferblech. Diese Blätter sind auf einen Papyrusstreifen geklebt, der mit großen Buchstaben beschrieben ist, die etwa dem 3ten saec. p. Chr. angehören können (nur 6 Worte sichtbar): / / / / μ / . Also offenbar Hausverkaufurkunde des 3ten saec. p. Chr. Der Papyrusstreifen ist auf einen breiten kragenförmig gebogenen Holzstreifen geklebt.“
Auch der von Rubensohn in Ahmm bei dem Antiquitätenhändler Ginti Faltas gekaufte, auf den Empedokles-Papyrus geklebte Kupferkragen dürfte mithin als Schmuck eines Leichnams gedient haben; Ginti Faltas hat ihn nach aller Wahrscheinlichkeit aus einer der bei Ahmm gelegenen antiken Nekropolen bezogen. Ob die Papyrusunterlage des Kupferkragens die gleiche Ringsegment-Form aufwies wie der Kragen selbst, lässt sich nicht mehr ermitteln. Denn während Rubensohn bei dem Händler, wie sein Tagebucheintrag beweist, noch das vollständige Objekt fand und kaufte, schickte er an die Berliner Geschäftsführung des Papyruskartells nur mehr einzelne Papyrusbruchstücke. Dies zeigt die von ihm im Jahre 1905 für die Mitglieder des Kartells verfasste Beschreibung:18 „1 Kasten Papyrusfragmente; sie rühren von einem Papyrusstreifen her, der als Unterlage eines Kranzes aus Kupferblättern gedient hat. Ca. 30 Fragmente, klein u. unansehnlich,
_________ 16 Der Eintrag steht unter dem 21. Januar 1904 im Tagebuch über die „Campagne 1903/04“ (Archiv-Nr. 120) auf den Seiten 103–105; sein vollständiger Wortlaut ist bei Martin / Primavesi 1999: 330–331 als Document 1 abgedruckt. 17 Bei Martin / Primavesi 1999: 330 zu „fassettenartige Binden“ verlesen, was schon orthographisch höchst anfechtbar war. Den Hinweis auf die richtige Lesung gab Klaus Parlasca in einem Brief vom 26.10.1998 – als Martin / Primavesi 1999 schon gedruckt war. Was gemeint ist, zeigt z.B. Tafel III bei Turner 1980 (der Tafelteil findet sich zwischen den Seiten 178 und 179): Die Mumie (die durch die Beschriftung eines auf dem Gesicht befestigten Porträts als Leichnam der μ, μμ , identifiziert wird) ist in eine Bindung aus Leinen gehüllt, deren geometrische Muster frappant an kassettierte Holz-Plafonds erinnern. 18 Die Beschreibung des Papyrus findet sich unter Nr. 35 in dem für die Mitglieder (der literarischen Abteilung B) des Papyruskartells erstellten Verzeichnis der Papyruskäufe, die Rubensohn im Geschäftsjahr 1904/1905 gemacht hatte. Sie ist hier zitiert nach dem in der Bibliothèque Nationale et Universitaire de Strasbourg erhaltenen Exemplar des Verzeichnisses, dessen vollständiger Wortlaut bei Martin / Primavesi 1999: 332–335 als Document 3 abgedruckt ist.
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Archiv für Papyrusforschung, Beiheft 22, 2008
meist farblose Worte, aber 3 Versanfänge: 19 [ / [ / [.“
Dass Rubensohn die Kupferblätter von der Papyrusunterlage ablöste, ist ohne weiteres verständlich, war er doch ausschließlich zur Gewinnung griechischer Papyrustexte nach Ägypten entsandt. Die Tatsache aber, dass er nur Papyrus-Bruchstücke nach Berlin schickte und nicht wenigstens die Unterlage des Kupferkragens im Ganzen, ist sehr auffällig. Sie lässt sich kaum anders erklären, als mit der Annahme, dass diese Unterlage nicht ein zusammenhängendes, z.B. als Halbkreisscheibe ausgeschnittenes Stück einer Rolle war,20 sondern vielmehr durchweg aus sekundär verklebten Einzelbruchstücken bestand, die Rubensohn dann wieder voneinander trennte. Dazu stimmt auch die bereits im zitierten Tagebucheintrag vom 21. November 1904 zu lesende Feststellung, dass „dabei“ – d.h. bei Herstellung der Papyrusunterlage des Kragens – „Fragmente mit litterar. Schrift verwertet sind“. Wenn die Fragmente nämlich für die Unterlage verwertet wurden, dann sind sie früher als die Unterlage. Also war die Unterlage nicht einfach im Ganzen aus der Rolle ausgeschnitten, sondern aus bereits zuvor gewonnenen Bruchstücken zusammengeklebt worden. Dieses Verfahren kann wohl nur den Zweck gehabt haben, die Unterlage dicker und damit stabiler zu machen, als es ein einfacher Ausschnitt gewesen wäre; mit anderen Worten: Die Unterlage bestand aus Papyrus-Kartonage. Es wäre ja auch ganz unbegreiflich, wenn Rubensohn einen in der Unterlage des Kragens integral bewahrten größeren Teil der ursprünglichen Rolle in die uns vorliegenden Bruchstücke zerrissen hätte. Allerdings deutet die damals offenbar noch geringere Zahl der Bruchstücke („ca. 30“ im Herbst 1904 gegenüber 52 im Herbst 1990) womöglich darauf hin, dass die Desintegration im Laufe des 20. Jahrhunderts weiter fortgeschritten ist. Damit ist gezeigt, dass der Straßburger Empedokles-Papyrus seine Fragmentierung wie seine Erhaltung dem Umstand verdankt, dass aus einer Buchrolle das Material zur Herstellung eines Stücks Papyrus-Kartonage entnommen wurde, welches dann einem aufgeklebten Schmuckkragen aus Kupferblättern als Unterlage diente, das aber selbst nicht notwendig kragenförmig war. Dabei können die beiden großen, in den Ensembles Strasb.a) und Strasb.d) vorliegenden Ausrisse (sowie die ihnen jeweils zuzuordnenden kleineren Stücke) zwei unmittelbar aufeinander folgenden Stellen der ursprünglichen Rolle entstammen. Sie müssen es aber nicht: Ein Zwischen_________ 19 Bei den Versanfängen handelt sich um die leicht fehlerhaft wiedergegebenen Anfänge der
drei letzten Verse (= 298–300) des Ensemble Strasb.a). 20 Auch dies kommt vor, wie das bei Turner / Parsons 1987: 75 (Nr. 40) abgebildete Fragment vi aus P. Sorbonne Inv. 2272b (Menander, Sikyonios) zeigt.
2. Archäologische Voraussetzungen der Rekonstruktion
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stück kann für einen anderen Zweck verwendet worden sein. Als Konsequenz ergibt sich für das räumliche Verhältnis, das zwischen den aus den Papyrusfragmenten restaurierten Text-Ensembles in der ursprünglichen Buchrolle bestand, folgende Alternative: Es ist möglich, dass alle TextEnsembles aus einer fortlaufenden Reihe von Kolumnen stammen. Es ist aber ebenso möglich, dass zwei Komplexe vorliegen, zwischen denen einige Kolumnen ganz ausgefallen sind, auch wenn ein allzu großer, eine Vielzahl von Kolumnen überspannender Abstand zwischen beiden Komplexen unwahrscheinlich ist. Im Folgenden wird sich zeigen, dass auf den Straßburger Papyrus die zweite Möglichkeit zutrifft: Aus den PapyrusEnsembles lassen sich in Verbindung mit angrenzenden Zitatfragmenten zwei kontinuierliche Textabschnitte des ersten Buchs der Physika rekonstruieren (Kontinuum I und Kontinuum II), die aber nicht unmittelbar aneinander angrenzen, sondern durch einige wenige Kolumnen voneinander getrennt sind.
3. Die Verse Physika I 232–300 3.1. Eine Simplikianische Zitat-Folge und das Papyrus-Ensemble Strasb.a) Simplikios zitiert an einer Stelle seines Kommentars zur Aristotelischen Physik, unter Angabe von Buchzahl und Werktitel, zunächst 34 Verse aus dem ersten Buch der Empedokleischen Physika;21 dieses Zitat ist bei DielsKranz durch den eingeschobenen Vers 9 (= B 26, 8) auf 35 Verse erweitert22 und als Fragment B 17 gezählt. Nach dem letzten Vers von B 17 unterbricht Simplikios seine Wiedergabe des ersten Buchs,23 lässt sodann erklärtermaßen „Mehreres andere“24 aus, und nimmt die Wiedergabe schließlich mit dem Zitat der Fragmente B 21,25 B 2326 und einiger Verse aus B 2627 wieder auf. Dass die drei letztgenannten Zitatfragmente im Empedokleischen Original nicht allzu weit auseinander gestanden haben, ergibt sich daraus, dass Simplikios an anderer Stelle die räumliche Nähe zwischen B 21 und B 26 bezeugt.28 Hingegen gibt Simplikios keinen genaueren Hinweis auf die Länge des von ihm zwischen B 17 und B 21 ausgelassenen Textes: B 17 Zitat bei Simplikios
…
Auslassung des Simplikios ( C ")
B 21 … B 23 … B 26 Fortsetzung der Sim- plikianischen Zitatfolge
Die ersten 34 Verse des von Simplikios nach B 17 ausgelassenen Textes sind durch eines der aus dem Straßburger Papyrus gewonnenen Textensembles wieder ans Licht gebracht worden, nämlich durch das Ensemble Strasb.a), das die unteren neun Verse einer Kolumne – Strasb.a(i) 1–9 – und alle dreißig Verse der nächsten Kolumne – Strasb.a(ii) 1–30 – enthält. _________ 21 CAG IX 157,25–159,10 Diels. 22 Diese von Bergk 1836: 203 = 3 vorgeschlagene Erweiterung ist vielleicht nicht zwingend –
skeptisch bleiben Martin / Primavesi 1999: 162 –, aber syntaktisch und inhaltlich plausibel. 23 CAG IX 159,4 Diels. 24 CAG IX 159,10 Diels: C ". 25 CAG IX 159,10–26 Diels. 26 CAG IX 159,27–160,14 Diels. 27 Simplikios CAG IX 160,14–21 Diels zitiert B 26, 1–2 + 11–12. 28 CAG IX 33,18 Diels: 1C > G. Allerdings sind zum schwankenden Umfang der von Simplikios mit diesem Ausdruck bezeichneten Auslassungen die bei Martin / Primavesi 1999: 105 Anm. 3 zusammengestellten Belege zu vergleichen.
3. Die Verse Physika I 232–300
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Die ersten fünf Verse der ersten Kolumne von Strasb.a) decken sich nämlich mit den letzten fünf Versen des Fragments B 17: B 17, 31–35 = Strasb.a(i) 1–5.
Demnach enthalten die verbleibenden 34 Verse von Strasb.a), d.h. Strasb.a(i) 6 – a(ii) 30, die bei Simplikios fehlende unmittelbare Fortsetzung der 35 Verse von B 17; beides zusammen liefert die ersten 69 Verse eines kontinuierlichen Textes, den wir Kontinuum I nennen wollen:
Kontinuum I - - - - ?
B 17 + Strasb.a(i) 6 – a(ii) 30 …
B 21 … B 23 … B 26
Zitat bei Auslassung des Simplikios - - - - - Fortsetzung der Sim- Simplikios ( C ") plikianischen Zitatfolge
Der 69. Vers von Kontinuum I, d.h. Strasb.a(ii) 30, kann aufgrund eines stichometrischen Marginalzeichens () am linken Rand mit der 300. Zeile der Buchrolle identifiziert werden. Daraus ergibt sich, dass es sich bei den ersten 69 Versen von Kontinuum I um die Verse 232–300 des ersten Buchs der Empedokleischen Physika handelt: B 17 + Strasb.a) = Kontinuum I, Vers 1–69 = Physika I, Verse 232–300.
Die Einfügung dieser Verszahlen in das vorläufige Rekonstruktionsschema ergibt folgendes Bild:
Kontinuum I - - - - ?
Physika I 232–300
B 17 + Strasb.a(i) 6 – a(ii) 30 …
B 21 … B 23 … B 26
Zitat bei Auslassung des Simplikios - - - - - Fortsetzung der Sim- Simplikios ( C ") plikianischen Zitatfolge
Die Tatsache, dass einerseits die Kolumne Strasb.a(ii) dreißig Verse enthält, und dass andererseits der dreißigste Vers dieser Kolumne zugleich der dreihundertste Vers der Rolle ist, lässt den Schluss zu, dass die Kolumnen dieser Rolle im Mittel dreißig Verse enthielten. Wenn man diesen Mittelwert zugrunde legt, verteilen sich die Verse 232–300 des ersten Buches wie folgt auf drei Kolumnen:
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Archiv für Papyrusforschung, Beiheft 22, 2008
Physika I (Verszahlen)
Kontinuum I (Kolumnen und Zeilen)
Direkte Überlieferung (P.Strasb.)
Indirekte Überlieferung nach DielsKranz
232–240
1, 22–30
–
B 17, 1–9
241–261 262–266 267–270
2, 1–21 2, 22–26 2, 27–30
– Strasb.a(i) 1–5 Strasb.a(i) 6–9
B 17, 10–30 B 17, 31–35 –
271–300
3, 1–30
Strasb.a(ii) 1–30
–
3.2. Zum Inhalt von Physika I 232–300 3.2.1. Prinzipien
In dem mit Physika I 232 beginnenden Textabschnitt werden zunächst die Grundzüge des physikalischen Systems dargelegt. Den Anfang macht eine kurze Charakteristik des kosmischen Zyklus. Die beiden Extremzustände, zwischen denen das kosmische Geschehen sich hin und her bewegt, sind einerseits die Herrschaft der Mehreren (d.h. der vier chemisch rein voneinander getrennten, zu homogenen Massen verbundenen Elemente), andererseits die Herrschaft des Einen (d.h. des durch harmonische Verbindung der vier Elemente geschaffenen kugelförmigen Einheitsgottes Sphairos). Demgemäß besteht der Zyklus in der periodisch wiederkehrenden Alternation von kosmischer Vereinigungsbewegung von den Vieren zum Einen und kosmischer Trennungsbewegung vom Einen zu den Vieren (Physika I 232–233):29 232 233
CI $?· > μ> < & 5A μE / Zweifaches werde ich sagen; denn einmal erwuchs Eines, um ein Einziges zu sein $ E, > I 9 ? ?I $ %D /. aus Mehreren, ein andermal spross es wieder auseinander, um Mehrere aus Einem zu sein.
In den daran anschließenden sechs Versen wird ausgeführt, dass mit der kosmischen Alternation ein doppeltes Entstehen und ein doppeltes Vergehen sterblicher Wesen einhergeht. Jeweils ein Entstehen und Vergehen werde durch die Zusammenkunft aller Dinge bewirkt und das andere Entstehen und Vergehen beim Auseinanderwachsen; bei dieser Alternation, die niemals aufhört, wird die Zusammenkunft zum Einen von der Liebe bewirkt und die Trennung durch den Streit (Physika I 234–239):30 _________ 29 = B 17, 1–2 D.-K. 30 = B 17, 3–8 D.-K.
3. Die Verse Physika I 232–300
234 235
236
237 238 239
13
@ > P ? , @ I E · Doppelt ist die Generation der sterblichen Wesen, doppelt auch ihre Abnahme. @ μ> < = F C I 1? , Denn die eine (Generation) wird durch die Vereinigung Aller gezeugt und zerstört, * > = μ? M ?.31 die andere wurde, während sie wieder auseinander sprossen, zunächst genährt, um dann zu zerstieben. B OI = μ > 5μ< A , Und diese lassen niemals ab vom beständigen Wechsel, " μ> E Eμ I , & #, indem sie bald durch die Liebe insgesamt zum Einen zusammenkommen, " I 9 CI ( Fμ C ' . bald auch wieder jedes für sich bewegt wird vom Hass des Streites.
Bei der Interpretation dieser Verse besteht in der Forschung ein Dissens über die Frage, was in Vers 234 unter den sterblichen Wesen (=) zu verstehen sei, von deren doppeltem Entstehen und Vergehen hier die Rede ist. Hierbei lassen sich aufs Ganze gesehen zwei Interpretationsrichtungen (1) und (2) unterscheiden, wobei es von Interpretation (2) mehrere Spielarten gibt. Nach der von Friedrich Panzerbieter begründeten Interpretation (1) sind mit „sterblichen Wesen“ ausschließlich kurzlebige heterogene Elementverbindungen in Zeiten des Übergangs gemeint, also „Lebewesen“ in des Wortes üblicher Bedeutung. Dieser Interpretation zufolge lehrt Empedokles, dass die so verstandenen „Lebewesen“ pro Zyklus zweimal entstehen und wieder vergehen, einmal beim Übergang von den Vieren zum Einem (= F, d.h. während der Liebesherrschaft), und ein zweites Mal beim Übergang vom Einen zu den Vieren (μ? [scil. =], d.h. während der Streitherrschaft).32 Nach den verschiedenen Spielarten von Interpretation (2) sind mit „sterblichen Wesen“ ( ) – neben den bereits von Interpretation (1) _________ 31 In Vers 236 ist – schon aus metrischen Gründen – Joseph Scaligers Verbesserung des überlieferten ? zu ? ebenso unabdingbar wie – angesichts der in Vers 234 angekündigten Symmetrie des doppelten Werdens und Vergehens – die von Panzerbieter (1844: 8) vorgeschlagene Verbesserung des überlieferten M bzw. M zu M; zur Formulierung vgl. Parmenides B 19, 2 D.-K.: A ?. 32 Panzerbieter 1844: 3 und 8. Die prägnanteste Formulierung dieser Interpretation steht bei Diels 1901: 112: „rota naturae duplicem volvitur viam, alteram ab elementorum iv pleno discidio ad sphaeri unionem, alteram hinc rursus ad elementa discreta. In utraque via media est et oriendi et intereundi opportunitas. Nam et coeuntibus elementis haec res gignit atque aucto miscendi studio ad sphaeri conglobationem usque interimit ( , 4) et redeuntibus elementis in discidium ( μ, 5) res iterum e sphaeri chao in ordinem elementorum redintegrantur atque deinceps aucto discedendi studio separantur ()“.
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hierunter verstandenen kurzlebigen heterogenen Elementverbindungen – auch noch weitere Entitäten des kosmischen Zyklus gemeint, wie z. B. der Sphairos oder die vier reinen Massen im Zustand vollkommener Trennung oder die großen homogenen Elementmassen unserer Welt (d.h. Erdkugel, Meere, Himmelsluft, Sonne) oder schließlich einzelne, unverbundene Elementarpartikel. Diesen Interpretationen zufolge lehrt Empedokles, dass „Lebewesen“ im Sinne von kurzlebigen heterogenen Elementverbindungen nur einmal pro Zyklus entstehen, dass sich aber die Empedokleische Rede vom doppelten Entstehen und Vergehen gleichwohl verständlich machen lässt, sobald man jene anderen Entitäten des kosmischen Zyklus in den Kreis der sterblichen Wesen (=) einbezieht. Dabei gehen die Vertreter von Interpretation (2) im Einzelnen unterschiedliche Wege. (2.1) Nach Hans v. Arnim will Empedokles in Physika I 235–236 sagen, dass das Entstehen des Sphairos sich zugleich als der Untergang des Vielen darstellt (235) und das Entstehen des Vielen zugleich als der Untergang des Sphairos (236).33 (2.2) Nach Uvo Hölscher sagt Vers 235, dass das Werden eines organischen Lebewesens zugleich eine Verminderung der großen Elementarmassen unserer Welt (Licht und Erde, Luft und Meer) darstellt, und Vers 236, dass die Zunahme der großen Elementarmassen zugleich das Schwinden eines organischen Lebewesens darstellt.34 (2.3) Anthony Long sieht in Vers 235 eine von der erstarkenden Liebe bewirkte Sequenz von Entstehen und Vergehen beschrieben: zunächst das Entstehen der homogenen kosmischen Massen wie der organischen Lebewesen, dann den Untergang beider im Sphairos. Den ersten Teil von Vers 236 (μ? – scil. = – M) bezieht er auf ein vom erstarkenden Streit bewirktes Entstehen, nämlich auf die Herauspräparierung isolierter Elementarpartikel im Anschluss an die Zerstörung des Sphairos. Im Vers-Schluss aber (?) wende sich Empedokles wieder der ersten Phase des Liebeswirkens zu, die er schon einmal in Vers 235, dort freilich als konstruktiv, beschrieben habe, und die er nun in ihrem komplementären Destruktionsaspekt in den Blick nehme: Die zuvor vom Streit isolierten Elementpartikel müssen jetzt wieder vergehen, weil sie (vgl. Vers 235) von der Liebe sowohl zu homogenen Massen als auch zu heterogenen Verbindungen zusammengeschlossen werden.35
Die für alle drei Varianten von Interpretation (2) konstitutive Erweiterung des Kreises der sterblichen Wesen (=) ist nun aber unvereinbar mit der Tatsache, dass Empedokles den Begriff der = konsequent auf die kurzlebigen heterogenen Verbindungen beschränkt. So betont er in B 35, 14 den Gegensatz zwischen der Sterblichkeit der heterogenen Verbindungen, die die Elemente nach der Machtergreifung der Liebe wieder eingehen müssen und der (temporären) Unsterblichkeit der (von Long als _________ 33 v. Arnim 1902: 26. 34 Hölscher 1968: 205. 35 Long 1974: 404–407.
3. Die Verse Physika I 232–300
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= in Anspruch genommenen) vier reinen Element-Massen; derselbe Gegensatz gilt dann fraglos auch für den (von v. Arnim als E in Anspruch genommenen) Sphairos, der den vier reinen Massen an Göttlichkeit nicht nachsteht. Und in B 22, 2–3 stellt Empedokles die sterblichen Wesen, in denen kleine Portionen der Elemente vorübergehend gebunden sind, in einen klaren Gegensatz zu den (von Hölscher als = in Anspruch genommenen) großen homogenen Elementkonzentrationen unserer Erfahrungswelt. Demnach hat Empedokles unter „sterblichen Wesen“ (=) ausschließlich kurzlebige heterogene Elementverbindungen in Zeiten des Übergangs verstanden, so dass die in den Versen 234–236 mitgeteilte Lehre vom doppelten Entstehen und Vergehen dieser sterblichen Wesen zwingend die von Interpretation (1) gemachte Annahme je einer distinkten Zoogonie für jede der beiden Übergangsphasen des Zyklus impliziert. Später vervollständigt Empedokles die Liste der sechs Prinzipien seines Systems, indem er zusätzlich zu den bereits genannten Triebkräften von Vereinigung und Trennung, d.h. Liebe (Philotes) und Streit (Neikos), auch die vier Grundstoffe Feuer, Wasser, Luft und Erde nennt, die das materielle Substrat dieser Prozesse darstellen (Physika I 249):36 249
O B 8 B M B )? " 8. Feuer und Wasser und Erde und die unermessliche Höhe der Luft.
Am Ende des ersten großen Simplikianischen Zitats B 17 steht dann der Erhaltungssatz, demzufolge die Gesamtmasse der vier Grundstoffe weder jemals vermehrt noch jemals vermindert wird, den Empedokles mit einem in Teilen an Parmenides erinnernden Argument37 begründet (Physika I 261– 266):38 261 262
263
QB D M 7I " $ C 5I A ·R Und außer diesen kommt weder etwas hinzu, noch vergeht etwas. Q - < $ C μ ?, 5 ! 'RI +Q·R Wenn sie nämlich in einem fort vergingen, dann würden sie nicht weiterhin da sein. QO I $A D H C B ER $QER Und weiter: Was könnte wohl das All vermehren? Und woher gekommen?
_________ 36 = B 17, 18 D.-K. 37 Vgl. Parmenides 28 B 8, 6–7 D.-K.: C < ? A 5O / J E
5? 38 = B 17, 30–35 D.-K.; davon decken sich die Verse 31–35 mit den ersten fünf Zeilen, die von der Papyrus-Kolumne Strasb.a(i) erhalten sind.
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264 265 266
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QJ ? E, $ B PI 5R> $JQμR Wohin könnte es wohl völlig verschwinden, da doch nichts von diesen leer ist? Q I 7I $ O, I AR ? Vielmehr haben allein diese Bestand: Indem sie durch einander laufen, Q C " " B ) >R ,> 2μM. werden sie einmal dieses, einmal jenes, und immerfort ähnliches.
Gleich nach dem Vers 266, nach dem Simplikios seine Wiedergabe des ersten Buches unterbricht, werden in den Versen 267–268 noch einmal die von der Liebe bewirkte Vereinigung und die vom Streit bewirkte Trennung einander gegenübergestellt. Allerdings wird dabei die Vereinigungsbewegung nicht mittels des Partizips Neutrum Plural Eμ (= „zusammenkommend“), das aus den entsprechenden Vereinigungsformeln der indirekten Überlieferung39 bekannt ist, sondern mittels der ersten Person Indikativ Plural Eμ (= „Wir kommen zusammen“) ausgedrückt (Physika I 267–268):40 267 268
E]μ I , ( Eμ,41 … kommen wir zu einem Kosmos zusammen, [ ? ?]I $ %D /, … wuchs er (scil. der Kosmos des Einen) auseinander, um aus Einem Mehrere zu sein. [
Bevor man sinnvoll die Frage der Authentizität dieses „Wir“ diskutieren kann, sollte man möglichst unvoreingenommen nach seiner möglichen Bedeutung fragen. Hierzu sei einstweilen nur eine methodische Vorüberlegung angestellt:42 Das „Wir“ erscheint als (implizites) grammatisches Subjekt einer umfassenden Vereinigungsbewegung, und zwar innerhalb von formelhaften Wendungen, mit denen, (abgesehen natürlich von der strittigen 1. Person Plural selbst), die Vereinigungsbewegung bei Empedokles auch sonst beschrieben wird. Als Substrat der Vereinigung aber erscheinen bei Empedokles üblicherweise die vier Grundstoffe. Am nächsten liegt _________ 39 So findet sich in dem von Simplikios zitierten Vers B 26, 4 D.-K. die Vereinigungsformel Eμ () , ( Eμ, die, abgesehen von der Verbform, auch an unserer Stelle steht. 40 = Strasb.a(i) 6–7. 41 Im Papyrus ist der Indikativ E]μ I mittels eines oberhalb des angebrachten von zweiter Hand zum vulgaten Partizip Eμ I korrigiert. Doch gegen diese (wahrscheinlich dem Streben nach einer lectio facilior zu verdankende) Korrektur spricht, dass die syntaktisch auf gleicher Stufe stehende Beschreibung des Trennungsvorgangs im folgenden Vers 268 in Anbetracht der Parallelen (vgl. die Verse 233 und 248) die ebenfalls indikativische Ergänzung ? ?]I $ %D / nahelegt. 42 Die Entscheidung über die Funktion des „Wir“ und über die in der Forschung lebhaft umstrittene Frage seiner Authentizität fällt man am besten erst im Rückblick auf alle drei Stellen des Papyrus, die das merkwürdige „Wir“ enthalten.
3. Die Verse Physika I 232–300
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demnach die Beziehung des „Wir“ auf die vier in der Vereinigung begriffenen Grundstoffe: Bei dieser Deutung würde sich gegenüber den aus der indirekten Überlieferung bekannten Vereinigungsformeln lediglich die Perspektive ändern (insofern der Sprecher sich dem logischen Subjekt der Vereinigung selbst zurechnete), aber nicht das logische Subjekt und die Struktur des Vereinigungsvorgangs selbst. Erklärungsbedürftig wäre dann nur, warum und in welchem Sinne Empedokles den Vereinigungsvorgang hier im Namen der vier sich vereinigenden Grundstoffe beschreibt. Wesentlich schwerer wären Deutungen zu akzeptieren, die das „Wir“ nicht im Namen der vier Grundstoffe, sondern im Namen eines anderen logischen Subjekts der Vereinigung gesprochen sein lassen: Solche Deutungen würden die Struktur des Vereinigungsvorgangs selbst verändern. Deshalb dürften Martin / Primavesi 1999 die Diskussion über die Authentizität des „Wir“ unfreiwillig mit einem negativen Vorurteil belastet haben, als sie (in Anlehnung an die von Cornford 1926 und O’Brien 1969 formulierte Hypothese über die chemische Zusammensetzung des Empedokleischen Daimon) das „Wir“ versuchsweise mit Teilen der (stofflich verstandenen) Liebe gleichsetzten.43 In den folgenden vier Versen werden sodann als Produkte der kosmischen Vereinigungs- und Trennungsprozesse alle Lebewesen, die es jemals gab, gibt und geben wird, angeführt, nämlich Pflanzen, Tiere, Menschen und Götter, wobei letztere nicht wie bei Homer und Hesiod „ewig seiend“ genannt werden, sondern nur „langlebig“ (Physika I 269–272):44 269 270 271 272
Q$ ; =I 4 I + 4 I 'I 4R I ' I 1C aus denen alles besteht, was war, was ist und was künftig sein wird: Q? = I $ = B ? R )> M , Bäume entsprossen sowie Männer und Frauen, QRJ? I ,C Q BR 6?μμ ,OR und Wildtiere und Vögel und wassergenährte Fische QRC B QCR μJ[ ?.] und auch Götter, langlebige, an Ehren reichste.
Für die Identifikation der „langlebigen Götter“ ist es entscheidend, dass der von Empedokles angenommene kosmische Zyklus einem festen, offenbar an späterer Stelle der Physika mitgeteilten Zeitplan folgt,45 dessen Re_________ 43 Vgl. Martin / Primavesi 1999: 90–95. 44 = Strasb.a(i) 8 – a(ii) 2. Diese vier Verse zitiert Aristoteles, Metaph. B 4, 1000a 29–32, doch
wurden sie bisher fälschlich mit den ähnlichen, von Simplikios zitierten Versen B 21, 9–12 D.-K. gleichgesetzt. 45 Vgl. B 30 D.-K., wo im Zusammenhang mit der Machtergreifung des Streits von einer eidlich festgesetzten Wechselzeit die Rede ist.
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konstruktion neuerdings durch Florentiner Aristoteles-Scholien aus dem frühen 12. Jahrhundert ermöglicht wurde (Cod. Laur. gr. 87,7).46 Nach diesen Scholien besteht der Einheitszustand des Sphairos während einer Ruhepause der Liebe,47 nach Ablauf der sechzig Zeiteinheiten währenden Liebesherrschaft.48 Analog dazu ist auch die an die Lebenszeit des Sphairos anschließende Streitherrschaft mit der Etablierung der vier chemisch rein getrennten Elementmassen abgeschlossen,49 und zwar hundert Zeiteinheiten nach der Etablierung des Sphairos.50 Liebesherrschaft und Streitherrschaft alternieren in Intervallen von 10.000 Jahren, was ersichtlich mit den soeben erwähnten 100 Zeiteinheiten zwischen den Schlusspunkten ihrer jeweiligen Herrschaftszeiten gleichzusetzen ist.51 Das Ergebnis lässt sich durch das folgende, im Uhrzeigersinn zu lesende Schema veranschaulichen: _________ 46 Entdeckt und erstmals publiziert von Rashed 2001. Einen nach dem Original korrigierten
und durch Photographien dokumentierten Text bietet Primavesi 2006a, wo indessen die Interpretation der dort teilweise erstmals korrekt gelesenen Aorist-Partizipien im Sinne der folgenden Anmerkungen zu korrigieren ist. 47 Primavesi 2006a: 31 (Scholium b): μ? ... J C. 48 Primavesi 2006a: 32 (Scholium c): μ < @ ? P E $ 0 $= * C. Demnach ist auch Scholium f, welches auf die Fertigstellung des Sphairos Bezug nimmt (vgl. die kommentierte Aristotelesstelle De Gen. et Corr. 1, 315a 6–7: 4 , & = @ # F), auf die bereits abgeschlossene Liebesherrschaft zu beziehen, Primavesi 2006a: 36: . ? 2 D Eμ J C $= (effektiver Aorist).
49 In Scholium g – Primavesi 2006a: 37 – wird die Trennung der Elemente (=) mit der Angabe O C $A zeitlich bestimmt. Dies ist in Analogie zu der nächstverwandten Bestimmung in Scholium f (J C $=) als effektiver Aorist zu verstehen und bezeichnet daher die bereits abgeschlossene Streitherrschaft, so dass sich das Scholium nur auf die Vollendung der Elementtrennung beziehen kann. Die im kommentierten Aristotelischen Satz unterstellte „Wiederherstellung“ der vier Elemente (De Gen. et Corr. 1, 315a 7–8: $ O %D C = ( scil. M) wird hier also auf die Fertigstellung der vier reinen Massen bezogen. 50 Nach Scholium g – Primavesi 2006a: 37 – erfolgt die am Endpunkt der Streitherrschaft stehende Fertigstellung der vier reinen Elementmassen „nach Ablauf von 100 Zeiteinheiten“ (μ < E). Der Zeitpunkt, an dem diese Zeitspanne von 100 Zeiteinheiten beginnt, ist dem kommentierten Aristotelestext zu entnehmen, wo die „Wiederherstellung“ der Elemente (die im Scholium auf die Fertigstellung der vier reinen Massen bezogen wird) als ein auf die Fertigstellung des Einen folgender Vorgang erscheint (De Gen. et Corr. 1, 315a 6–8: 4 , & = @ # F ... $ O %D C = (). Eben diesen Eindruck will das Scholium mit dem Hinweis auf die dazwischen verstreichenden 100 Zeiteinheiten präzisieren. Mithin ist der Anfangspunkt der Zeitspanne die Fertigstellung des Einen, d.h. des Sphairos. 51 In den Scholien d–e – Primavesi 2006a: 33 – werden die an der kommentierten Aristotelesstelle für den kosmischen Zyklus bezeugten „gleichen Zeitabstände“ (Phys. 1, 252a 31: D > B I - E) auf die Alternation von Streit- und Liebesherrschaft bezogen ( M D M B @ C) und mittels des Präpositionalausdrucks D K bestimmt. Hierbei kann das Zahlzeichen K nur für 10.000 stehen: /K (scil. '), d.h. für ein Intervall von 10.000 Jahren; vgl. Primavesi 2006a: 33–36. Dieses Intervall zwischen Streit- und Liebesherrschaft ist offensichtlich mit dem zwischen den Schlusspunkten von Liebes- und Streitherrschaft bestehenden Zeitraum von 100 Zeiteinheiten gleichzusetzen; da die Formulierung der Scholien d–e aber nicht auf die Schluss-
3. Die Verse Physika I 232–300
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(I.) Vollendete Vierheit. Lebenszeit der vier reinen Elementmassen: 40 Zeiteinheiten (= 4.000 Jahre). (IV.) Streitherrschaft (II.) Liebesherrschaft (Übergang von der Ein(Übergang von der Vier heit zu Vierheit): 60 Zeitheit zu Einheit): 60 Zeiteinheiten (= 6.000 Jahre). einheiten (= 6.000 Jahre). (III.) Vollendete Einheit. Lebenszeit des Einzigen (Sphairos): 40 Zeiteinheiten (= 4.000 Jahre).
Aus diesem Zeitplan ergibt sich die folgende Deutung der Verse 269– 272: Während Pflanzen, Tiere und Menschen bloße Übergangsprodukte der beiden globalen Prozesse von Liebes- und Streitherrschaft sind, hat man in den langlebigen Göttern die jeweiligen Extreme zu erkennen, denen eine Lebensdauer von 4.000 Jahren beschieden ist: den Sphairos als Endprodukt der Vereinigung und die vier jeweils homogenen, konzentrisch umeinander geschichteten Stoff-Massen als Endprodukt der Trennung. Einerseits dürfen nämlich nur das Eine und die vier reinen Massen im Rahmen der physikalischen Theorie als langlebige Götter gelten,52 andererseits können diese fünf in einer Liste aller aus den Grundstoffen bestehenden Lebewesen unmöglich fehlen. 3.2.2. Beginn einer detaillierten Darstellung des Zyklus In den textkritisch schwierigen Versen 283–287 scheint dann erstmals eine konkrete Phase des Zyklus in den Blick zu kommen: Die (den Scholien zufolge: viertausendjährige) Lebenszeit der vollkommen voneinander getrennten vier göttlichen Massen, die in sphärischer Schichtung rasch umeinander rotieren. Diese Lebenszeit dauert solange an, wie „wir“ – was abermals im Namen der vier Grundstoffe gesagt zu sein scheint – von der Liebe noch nicht wieder auf den Weg der Vereinigung gebracht werden (Physika I 283–287):53 283
[ ]> μ> < M() [ ]= ? )?[F ] Denn zu einer Zeit läuft die Erde, unbegehbar, und der Sonne
_________ punkte beschränkt ist, wird der gleiche Rhythmus auch zwischen den Anfangspunkten von Liebesund Streitherrschaft obwalten. 52 Zu diesen fünf physikalischen Gottheiten und zu den ihnen von Empedokles beigelegten traditionellen Götternamen vgl. Primavesi 2006b. 53 = Strasb.a(ii) 13–17.
20
284 285
286 287
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[M,] E @ [C ] $I = [ μA] Sphäre, so groß, wie sie auch jetzt von den Männern zu erschließen ist. [: I ]7 =[ ]= I A [ μE,] Genauso verhalten sich all diese (Elemente), nachdem sie durcheinandergelaufen sind, ["] ( ) "I ['] E [?I ,C ] und jedes hat, abgeschlagen, einen anderen, ihm eigentümlichen Ort inne: [5 A ] μ = [ $ ]Eμ I & μ[E /.] Wir kommen ja noch nicht im geringsten in die mittleren (Orte), um ein einziges zu sein.
283: [ ]> Primavesi; [@ E] Martin / Primavesi, Janko; [B ]> Trépanier.– ) [C Janko; )?[E ] Martin / Primavesi; 284: E Janko; I 4 Martin / Primavesi.– 285: [ μE] Primavesi; [ ? ] Martin / Primavesi; [?] Janko. 286: "I ['] Primavesi; "[() .] Martin / Primavesi, Janko.– [?I ,C ] Martin / Primavesi; [? B " Janko. 287: [5 A ] Primavesi; [7 @] Janko; [5=] Martin / Primavesi.– [ $ ] Eμ I Primavesi; I [ ,]Eμ I Martin / Primavesi; I [ , ]Eμ I Janko.
In diesen fünf Versen bedurften die in der editio princeps vorgeschlagenen Ergänzungen einer durchgreifenden Revision. In Vers 283 muss die einleitende Zeitbestimmung dem Umstand Rechnung tragen, dass hier ein von dem zuvor beschriebenen chaotischen Durcheinander54 verschiedener Zustand separater Rotation der vier Elemente eingeführt wird. Als Beispiele für diese separate Rotation genügen der Lauf der unbegehbaren (da allseitig von der Wassersphäre umgebenen) Erde einerseits und der Lauf der das Universum umgebenden Feuerkugelschale andererseits, da in Vers 285 mit : I 7 ohnehin eine Verallgemeinerung vorgenommen wird. Deshalb ist beim Übergang von 283 zu 284 Jankos ) [C ] / [M,] E . dem )?[E ] / [M,] I 4 . der editio princeps vorzuziehen. In der zweiten Hälfte von Vers 285 kann die durch I A bezeichnete Bewegung nur vorzeitig zu der im Kontext beschriebenen getrennten Rotation der Elemente sein, deshalb der neue Vorschlag: I A [ μE]. Auch in Vers 286 muss zum Ausdruck kommen, dass die sphärische Schichtung der rotierenden Elemente bereits etabliert ist, deshalb ['] E statt [ .] E. In Vers 287 war es unplausibel, für die am Versende mit der Formel & μ[E /] bezeichnete universale Vereinigungsbewegung einen anderen Träger anzunehmen als drei Verse später in Vers 290, wo der Bezug auf = = (= die vier Elemente) klar ist;55 dann aber wird am Versanfang, angesichts der im Kontext beschriebenen separaten Rotation der Elemente, zwingend eine Negation benötigt; also [5 A ] oder Jankos [7 @] statt des (von der Länge her optimalen) [5=] der editio princeps.
_________ 54 Vgl. z. B. Vers 278 [=] I L[] μ[ > 5μ< A ] (Allseits fortwährend zu rasen hören sie niemals auf). 55 Dies hat, bei Gelegenheit einer Diskussion des Papyrus im Berliner Seminar von Wolfgang Rösler, Frau Dorothea Hollnagel mit Recht gegen den in der editio princeps unterbreiteten Vorschlag eingewandt, die Formel & μ[E /] hier im Gegensatz zu ihrer Verwendung in Vers 290 auf den Zusammenschluss von „Liebespartikeln“ zu einem Liebeskern zu beziehen.
3. Die Verse Physika I 232–300
21
In den Versen 288–290 wird schließlich berichtet, wie die Herrschaft der vier homogenen Massen an ihr Ende kommt: Die zentripetale Invasion des Streites, der diese Herrschaft heraufgeführt hatte, gelangt an eine nicht weiter überschreitbare Tiefe und damit an ihre Grenze; es kommt zur vorherbestimmten Machtergreifung der Liebe, und deren zentrifugale Expansion beginnt (Physika I 288–290):56 288 289 290
[II 4] @ ME [I ]? ?[ I .]57 Doch stets wenn der Streit angelangt ist bei den unüberschreitbaren Tiefen [C], $ > μ?[] []E =[
?,] des Wirbels, und die Liebe sich im Zentrum des Strudels eingestellt hat, $ [J] @ = = ? & [μE /.] dann kommt all dies zusammen, um ein einziges sein.
3.2.3. Eröffnung des didaktischen Exkurses Doch an diesem, systematisch entscheidenden Wendepunkt muss Empedokles feststellen, dass er seinen Schüler überfordert hat; deshalb unterbricht er die soeben erst begonnene Darstellung der kosmischen Ereignisfolge und eröffnet mit den Versen 291–29258 einen der Veranschaulichung und Begründung dienenden didaktischen Exkurs: 291 292
[ O] I 4 μ@ μO I 7 [μO .] Gib dir Mühe, dass mein Wort dir nicht nur an die Ohren dringt, [)?] μ μB $E F []μ [? = ] und indem du von mir hörst, was ringsum ist, mache dir die Wahrheit klar!
Die Durchführung des Exkurses beginnt sodann mit einer näheren Bestimmung der in Aussicht gestellten sichtbaren Belege. Der Ort, an dem solche Belege zu beobachten sind, ist überall dort, wo die Stoffe sich zu einem größeren Körper vereinigen. Der Gegenstand der Beobachtung aber soll an erster Stelle (P μ?) der Wechsel von Vereinigung (F) und Entfaltung (=) des ererbten Grundbestandes ( ?) sein sowie alle Species, die von der Zoogonie des gegenwärtigen Weltalters noch übrig sind (Physika I 293–295):59 293
294
[ C] B I 3( ), . μ C Gμ[ F ,] Ich werde Dir dort, wo sie einen größeren Körper finden, auch durch Augenschein zeigen []P μ> FE =C [ ?] zunächst die Vereinigung wie die Freisetzung des Grundbestandes
_________ 56 = Strasb.a(ii) 18–20. 57 So nach der überzeugenden Ergänzung von Pierris 2005: 211. 58 = Strasb.a(ii) 21–22. 59 = Strasb.a(ii) 23–25.
22
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4[] O ' < ? F [E] sowie alles, was von dieser Zoogonie jetzt noch übrig ist:
Mit dem Begriffspaar Vereinigung (F) / Entfaltung (=) will Empedokles nach dem Zeugnis des Simplikios, der diese Formel zitiert, dasselbe ausdrücken wie in B 8, 3 mit dem Paar Mischung (μM) / Entmischung (=), nämlich das Wechselspiel von Komposition und Auflösung der heterogenen Stoffverbindungen.60 Gegen die Simplikianische Gleichsetzung des hier erstmals belegten Begriffs der Entfaltung (=) mit der Auflösung haben Martin / Primavesi 1999 zwar geltend gemacht, dass = an den späteren, nach-Empedokleischen Belegstellen durchweg nicht einfach (destruktiv) eine Auflösung bezeichnet, sondern (produktiv) eine Eröffnung und Erschließung, die etwas zum Vorschein bzw. zur Kenntnis bringt.61 Deshalb sei mit = nicht die Zerstörung von Organismen gemeint, sondern die (im gegenwärtigen Weltalter wachsender Repulsionskraft) zunehmende Zergliederung ihrer Gestalt, also ein Prozess, der die in jedem einzelnen Lebewesen vorliegende F der Elemente nicht annulliert, sondern auf ihr aufbaut.62 Doch ist nach Empedokleischen Begriffen das Moment einer produktiven Entfaltung, malgré les apparences, gerade der Auflösung von Elementverbindungen in besonderem Maße zu eigen, jedenfalls im Weltalter zunehmender Repulsionskraft: In diesem Weltalter ist jede Auflösung einer Elementverbindung durch den Streit als ein Schritt auf dem Wege zur Wiederherstellung der vier homogenen Massen zu werten, von denen der kosmische Zyklus jeweils seinen Ausgang genommen hat. Angesichts dieses Zusammenhangs behält (gegen Martin / Primavesi 1999) doch wohl Simplikios Recht, wenn er = der Sache nach mit der Auflösung von Stoffverbindungen gleichsetzt: Mit = ist die Annullierung der F gemeint, insofern diese Annullierung die Grundstoffe freisetzt. Bei dem _________ 60 Simplikios, Phys. (CAG IX) 161,18–20 Diels: B $ M μ? D @ ? B @
< μ> " /, „ < μE μMC =C μ ?“ (Emped. B 8, 3 D.-K., in den Akkusativ transponiert), B „F =C “ (Emped. Physika I 294 bzw. 300)
? -. Auf die bei Simplikios vorliegende Verschlimmbesserung von ? zu ? - kommen wir noch zurück. Wie Simplikios interpretiert dann Diels 1880: 163: „Nimirum
… qua res coeunt opposita est qua res concretae rursus explicantur sive dissipantur“. 61 Das Material bei Martin / Primavesi 1999: 244–245. 62 Martin / Primavesi 1999: 245: „À notre avis, les mots F et = qualifient donc deux aspects complémentaires de la production des êtres vivants dans le „monde B“, tels que nous les connaissons, tels qu’Empédocle, depuis a(ii) 26, demande à son disciple de les observer: d’une part, la réunion des éléments en conglomérats; d’autre part, le déploiement de ces conglomérats sous la forme d’individus articulés“. Vgl. auch den Titel eines frühen Aufsatzes von Jean Bollack (Bollack 1957): „Die Metaphysik des Empedokles als Entfaltung des Seins“.
3. Die Verse Physika I 232–300
23
ererbten Grundbestand ( ?), dessen Vereinigung (F) einerseits und Freisetzung (=) andererseits beobachtet werden soll, kann es sich dann nur um die Grundstoffe selbst handeln. Diejenigen unter den „größeren Körpern“, an denen das Wechselspiel von Vereinigung und Freisetzung der Grundstoffe unserer Beobachtung zugänglich ist, werden im Folgenden genannt; es handelt sich erwartungsgemäß um Tiere, Menschen und Pflanzen (Physika I 296–299):63 296 297 298 299
O μ> [!] P 1= [E I -,] einerseits bei den (wilden Arten) der die Berge durchstreifenden Tiere, O I I [G] Cμ Fμ, [O I I P] andererseits beim Doppelgewächs der Menschen (und bei der Felder) N E ?μ B μ =μ[ E.] wurzeltragendem Gewächs und der auf Reben kletternden (Traube). $ P J Eμ B C μ μ[F] Aus ihnen nimm die untrüglichen Belege für meine Worte im Verstand auf!
Doch von dem eigentlichen Nachweis von Vereinigung und Freisetzung der Elemente an diesen Lebewesen ist am Kolumnenende nur mehr die Ankündigung enthalten, in der die grundlegende Formel aus Vers 294, FE =C ?, noch einmal wiederholt wird (Physika I 300):64 300
3 < FE =C ? Denn du wirst die Vereinigung wie die Freisetzung des Grundbestandes sehen …
Bevor nun die Vereinigung und Freisetzung der Elemente an den Lebewesen unserer Welt illustriert wird und bevor der didaktische Exkurs, gemäß der Ankündigung in den Versen 293–294, durch den Nachweis einer weiteren Klasse von beobachtbaren Belegen fortgeführt wird, bricht das Ensemble Strasb.a) mit dem Vers Physika I 300 ab:
Kontinuum I - - - - ?
didaktischer Exkurs des Empedokles - - - - ?
Physika I 232–290 Physika I 291–300
B 17 + Strasb.a(i) 6 – (ii) 20 [Strasb.a(ii) 21–30 … Zitat bei Auslassung des Simplikios - - - - - Simplikios ( )
_________ 63 = Strasb.a(ii) 26–29. 64 = Strasb.a(ii) 30.
B 21 … B 23 … B 26
Fortsetzung der Sim- plikianischen Zitatfolge
4. Die Fortsetzung des didaktischen Exkurses nach Vers 300 4.1. Allgemeines zur Fortsetzung des Textes nach Physika I 300 Für die Fortsetzung des Textes nach dem Ende des Papyrus-Ensembles Strasb.a), d.h. nach Physika I 300, kommen prinzipiell sowohl die verbleibenden Ensembles des Straßburger Papyrus in Betracht als auch die aus dem ersten Buch der Physika erhaltenen Zitatfragmente, insbesondere natürlich die Zitatfolge B 21 – B 23 – B 26, mit der Simplikios seine nach Physika I 26665 unterbrochene Wiedergabe des ersten Buchs wieder aufnimmt. Deshalb kann der von Janko 2004 unterbreitete Rekonstruktionsvorschlag aufs Ganze gesehen nicht befriedigen (unbeschadet der von Janko im Einzelnen erzielten Fortschritte,66 auf die wir an ihrem Ort jeweils zurückgreifen werden). Denn für die Fortsetzung von Physika I 232–30067 zieht Janko in einseitig papyrologischer Methode von vornherein nur die verbleibenden Textensembles des Straßburger Papyrus in Betracht, während er die aus dem ersten Buch der Empedokleischen Physika erhaltenen Zitatfragmente ohne zureichende Prüfung aus dem Spiel lässt.68 Dieses Vorgehen ist schon deshalb unplausibel, weil, wie wir sahen, die beiden größeren Papyrus-Ausrisse, die zur Herstellung der Kartonage-Unterlage des Kranzes verwendet wurden, auch durch eine oder mehrere Kolumnen getrennt gewesen sein können, so dass zwischen beiden Ausrissen prinzipiell auch Texte gestanden haben können, die uns als Zitate überliefert sind. Zudem lässt sich allein mit den verbleibenden Papyrus-Ensembles, aufgrund ihrer jeweiligen Lokalisierung am Beginn oder am Ende einer Kolumne, in keinem Fall ein kontinuierlicher Text herstellen: Auch wenn man alle verbleibenden Papyrus-Ensembles so eng wie technisch möglich an Physika I 232–30069 anschlösse, würde Raum für die Einschaltung inhaltlich zugehöriger Zitatfragmente bleiben. _________ 65 = B 17, 35 D.-K. = Strasb.a[i] 5. 66 Zu nennen sind zum einen der Anschluss von Strasb.c) an Strasb.a(ii), zum andern die
Neudeutung der letzten Verse von Strasb.d) und die Ergänzung und Fortsetzung dieser Verse durch Strasb.f(ii). 67 = B 17 + Strasb.a). 68 Janko 2004: 14–22 nimmt für den auf B 17 + Strasb.a) folgenden Text die Reihung Strasb.c), Strasb.d) (+ f) und Strasb.b) an. 69 = B 17 + Strasb.a).
4. Die Fortsetzung des didaktischen Exkurses nach Vers 300
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Benötigt wird demnach ein inhaltliches Kriterium, mit dem sich unter den für das erste Buch gesicherten Zitatfragmenten wie unter den verbleibenden Papyrusensembles diejenigen Texte ermitteln lassen, die in die Fortsetzung der bereits etablierten Textfolge Physika I 232–300 gehören. Ein solches Kriterium ergibt sich aus der Textstelle, mit der Empedokles den in Physika I 29170 eröffneten didaktischen Exkurs wieder schließt. Diese Textstelle ist sicher mit dem von Simplikios an anderer Stelle zitierten Fragment B 35 zu identifizieren: didaktischer Exkurs Physika I 232–290 Physika I 291–300 …
B 17 + Strasb.a(i) 6 – (ii) 20 [Strasb.a(ii) 21–30 …
] B 35.
In den ersten fünf Versen des Fragments B 35, das gleichfalls noch dem ersten Buch der Physika entstammt,71 führt Empedokles nämlich ein wörtliches Selbstzitat der jetzt durch den Papyrus ans Licht gekommenen Verse Physika I 288–29072 ein, nach denen er die chronologische Darstellung durch Eröffnung des Exkurses unterbrochen hatte. Dies tut er ausdrücklich zu dem Zweck, die an jener früheren Stelle unterbrochene Darstellung jetzt wieder aufzunehmen: Physika I 288–290
[$W =] L YQ [W $]K
K[W 7 ] [O], ) J μK[] []Q I[ K ,] ) [X] L I I K! + [μQ 8 .]
B 35, 1–5 >H )T O )Sμ ) Q Aμ#, P Q K , Q# Q )!S# Y %" # # 73 ! , μ "
, $ μ" .
_________ 70 = Strasb.a(ii) 21. 71 Die Zuweisung von B 35 D.-K. an das erste Buch der Physika ergibt sich aus den beiden eng
miteinander verbundenen Zitatfragmenten B 96 D.-K. und B 98 D.-K., in denen die chemische Zusammensetzung verschiedener Arten menschlichen Gewebes mitgeteilt wird: Einerseits steht B 35 D.-K. nach Simplikios vor B 98 D.-K.; andererseits stammt B 96 D.-K. nach Simplikios aus dem ersten Buch der Physika. 72 = Strasb.a(ii) 18–20. 73 B 35, 3 ist nach Strasb.a(ii) 18 zu emendieren.
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Doch stets wenn der Streit angelangt ist bei den unüberschreitbaren Tiefen des Wirbels und die Liebe sich im Zentrum des Strudels eingestellt hat, kommt in ihr all dies zusammen, um ein einziges zu sein.
Doch ich will zurückkommen auf den Übergang in meinen Hymnen, den früher dargelegten, indem ich mit einem (neuen) Gedanken den (damaligen) Gedanken weiterführe, nämlich jenen: Stets nachdem der Streit angelangt ist bei den unüberschreitbaren Tiefen des Wirbels und die Liebe sich im Zentrum des Strudels eingestellt hat, kommt in ihr all dies zusammen, um ein einziges zu sein.
Das in B 35, 1–5 aufgestellte Programm, d.h. die Anknüpfung an und Weiterführung von Physika I 288–290, wird, wie wir später noch genauer sehen werden, in den verbleibenden Versen des Fragments B 35 durch eine Schilderung des Wirkens der Liebe in der Periode ihrer Herrschaft eingelöst: Sie verdrängt den Streit zunehmend an die Peripherie des Universums und schafft durch eine zunächst partielle Vereinigung der getrennten Grundstoffe eine Fülle von Lebewesen. Für unser gegenwärtiges Argumentationsziel kommt es dabei auf die dreiteilige Struktur Rahmen–Exkurs– Rahmen an: Die chronologische Beschreibung der kosmischen Ereignisfolge beginnt in Physika I 28374 mit der Beschreibung der vollkommenen Getrenntheit der vier Stoffe und der anschließenden Machtergreifung der Liebe, wird sodann in Physika I 29175 durch Einschaltung des didaktischen Exkurses unterbrochen, und schließlich in B 35, unter wörtlicher Wiederaufnahme von Physika I 288–290, mit der Beschreibung der Expansion der Liebe und der mit ihr verbundenen Zoogonie fortgesetzt. Daraus lässt sich nun ohne weiteres das benötigte Kriterium für die Zulassung und die Reihung der Texte ableiten, bei denen ein Anfangsverdacht auf Zugehörigkeit zur näheren Fortsetzung von Physika I 232– 30076 besteht (gleichviel, ob es sich dabei um Zitatfragmente aus dem ersten Buch handelt oder um weitere Ensembles des Straßburger Papyrus): Texte aus der Fortsetzung von Physika I 232–300 müssen sich – entweder dem in Physika I 29177 eröffneten und mit dem Fragment B 35 Diels-Kranz wieder geschlossenen didaktischen Exkurs einfügen, indem sie _________ 74 = Strasb.a(ii) 13. 75 = Strasb.a(ii) 21. 76 = B 17 + Strasb.a). 77 = Strasb.a(ii) 21.
4. Die Fortsetzung des didaktischen Exkurses nach Vers 300
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die zuvor vorgetragenen Prinzipien in geeigneter Weise (z. B. durch augenfällige, empirische Belege) veranschaulichen und begründen, – oder sie müssen die in Physika I 283–29078 begonnene und (nach der Unterbrechung durch den didaktischen Exkurs) mit dem Fragment B 35 Diels-Kranz wiederaufgenommene Schilderung der kosmischen Ereignisfolge fortführen.
4.2. Zugehörigkeit der Zitatfolge B 21 – B 23 – B 26 zum Exkurs Als besonders vielversprechende Kandidatin für die Erfüllung des genannten Kriteriums bietet sich (neben den verbleibenden Ensembles des Straßburger Papyrus) die Zitatfolge B 21 – B 23 – B 26 an. Da Simplikios mit dieser Zitatfolge seine nach Physika I 26679 unterbrochene Wiedergabe des ersten Buchs wieder aufnimmt, steht die Anwartschaft der drei in der Zitatfolge enthaltenen Fragmente auf einen Platz in der näheren oder weiteren Fortsetzung von Physika I 232–26680 außer Frage. Wie bereits in der editio princeps des Straßburger Papyrus festgestellt wurde81 und im Folgenden näher begründet werden soll, gehören die drei Fragmente durchweg in die Fortsetzung des didaktischen Exkurses und sind mithin zwischen Physika I 232–30082 einerseits und B 35 andererseits zu lokalisieren. Dies ergibt sich daraus, dass es in allen drei Zitaten einerseits ohne Zweifel um die Veranschaulichung und Einprägung der in Physika I 232–27283 mitgeteilten Prinzipien geht, während andererseits in diesen Zitaten von einer Fortsetzung der in Physika I 283–290 begonnenen und in B 35 wieder aufgenommenen chronologischen Schilderung der kosmischen Ereignisfolge keine Rede sein kann. Das Fragment B 21 Diels-Kranz wird, ähnlich wie in Physika I 291–293 der erste Teil des didaktischen Exkurses, mit einem Verweis auf den Augenschein eingeleitet, nämlich auf sichtbare Belege für die bereits in Physika I 24984 mitgeteilte Liste der vier Grundstoffe. Diese Belege sind die auch in unserer Welt schon beobachtbaren homogenen Stoffkonzentrationen, also die Sonne für das Feuer, die Atmosphäre für die Luft, der Regenschauer für das Wasser und die Erde für das Erdelement (B 21, 1–6): _________ 78 = Strasb.a(ii) 13–20. 79 = B 17, 35 D.-K. = Strasb.a[i] 5. 80 = B 17 D.-K. 81 Martin / Primavesi 1999: 107. 82 = B 17 + Strasb.a). 83 = B 17 + Strasb.a(i) 6 – a(ii) 2. 84 = B 17, Vers 18 D.-K.
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B 21, 1 $W ', QW :I# K# )μI K, Doch wohlan, schaue auf den folgenden Zeugen meiner früheren Worte, B 21, 2 6 N ) K Q , μ X, falls etwas auch in den früheren mangelhaft an Gestalt war, B 21, 3 /K μJ P ;V N μP %I, zum einen auf die Sonne, hell zu schauen und warm überall, B 21, 4 'μ W =W 6 N $K S >X, sodann auf alle die unsterblichen Teile, die mit Wärme und strahlendem Glanze getränkt werden (d.h. die Luft), B 21, 5 <μ W ) V QI Z K und auf den Regenschauer, der in allem dunkel und kühl, B 21, 6 ) W 6 K KμI N #I. und aus der Erde strömt hervor das Dichte und Starre.
Auf die damit nachgewiesenen vier Stoffe werden sodann, in variierender Wiederholung und Erweiterung der oben bereits zitierten Verse Physika I 267–272,85 alle (ephemeren wie göttlichen) Lebewesen zurückgeführt, die es jemals gab, gibt, und geben wird (B 21, 7–14): B 21, 7 ) J Q# Iμ N '! I K , Und im Groll regen sich alle verschiedengestaltet und zwiespältig, B 21, 8 R W , ) Q N $M Y . aber in Liebe einten sie sich und sehnen sich nach einander. B 21, 9 ) S# H IW = W 2 = W , N , , Denn aus diesen besteht alles, was da war, und was ist und sein wird: B 21, 10 KI W ) I N $K /J Y, Bäume entsprossen sowie Männer und Frauen, B 21, 11 XK W 4#O N ? Kμμ 4![, und Wildtiere und Vögel sowie wassergenährte Fische, B 21, 12 O N ! O# μX K. und auch Götter, langlebige, an Ehren reichste. B 21, 13 >H H , [ , W $M# J K Denn eben nur diese (vier Grundstoffe) gibt es, doch durcheinanderlaufend B 21, 14 O $#I· Q H X $μO . werden sie zu verschiedenartigen Wesen; einen so großen Wechsel bringt die gegenseitige Mischung hervor.
Da nun als allgemeines Thema des didaktischen Exkurses in Physika I 29386 die Beobachtung der von den Elementen gebildeten größeren Körper angekündigt wurde und da von Physika I 29487 an als erste Gruppe solcher Körper die sterblichen Lebewesen unserer Erfahrungswelt behandelt wurden, kann die im Exkurs noch ausstehende zweite Gruppe nur in ebenden _________ 85 = Strasb.a(i) 6 – a(ii) 2. 86 = Strasb.a(ii) 23. 87 = Strasb.a(ii) 24.
4. Die Fortsetzung des didaktischen Exkurses nach Vers 300
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großen, homogenen Stoffkonzentrationen unserer Erfahrungswelt bestehen, auf die Empedokles in B 21 hinweist. Damit steht die enge Zusammengehörigkeit von B 21 mit dem ersten Hauptteil des didaktischen Exkurses, d.h. mit Physika I 294–300,88 außer Zweifel. Dies spricht dafür, B 21 der unmittelbar auf Physika I 300 folgenden 4. Kolumne des Kontinuums I zuzuweisen.89 Das Fragment B 23 Diels-Kranz wiederum folgt, wie auch durch den Zitatkontext bei Simplikios nahegelegt, bald auf B 21, da es die Entstehung verschiedener Wesen aus den vier Grundstoffen, die im zweiten Teil von B 21 thematisiert wurde, durch das Gleichnis von den Kunstmalern erläutert, also in anderer Weise zur Erläuterung der Grundzüge des Systems beiträgt: B 23, 1 D W ;Q K $ Mμ O# Wie wenn Maler Weihetafeln bunt verfertigen, B 23, 2 $K $μ N K! ?P μM B \, Männer, die sich auf Kunst infolge ihrer Begabung wohl verstehen, B 23, 3 7W )N B μI"# S! Iμ !O, nachdem sie nun vielfarbige Gifte mit ihren Händen ergriffen B 23, 4 %μO μO H μJ K#, ' W )I#, und harmonisch gemischt haben, das eine mehr, das andere weniger, B 23, 5 ) \ 6 V $O S, bereiten sie daraus Gestalten, die allem möglichen gleichen, B 23, 6 KI O N $K /J Y indem sie Bäume schaffen und Männer sowie Frauen B 23, 7 XI W 4#S N ? Kμμ 4![ und Tiere und Vögel und wassergenährte Fische B 23, 8 O R ! O# μX O und auch Götter, langlebige, an Ehren reichste – : B 23, 9 A# μM W $I K S# ' 8 so soll dir nicht Trug den Sinn bezwingen, anderswoher (als aus den Grundstoffen) stamme B 23, 10 \, = X I ' , M, die Quelle aller sterblichen Dinge, so viele – unzählige – offenbar geworden sind. B 23, 11 $H \ [W 6, [ I μ[ $S . Sondern dies wisse genau, da du von der Gottheit die Rede vernahmst.
Das von Simplikios unmittelbar an B 23 angeschlossene Fragment B 26 schließlich bietet gerade aufgrund seiner cento-artigen Zusammensetzung aus bereits in Physika I 232–26690 enthaltenen (und hier nur leicht _________ 88 = Strasb.a(ii) 24–30. 89 So schon Martin / Primavesi 1999: 109. 90 = B 17 D.-K.
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Archiv für Papyrusforschung, Beiheft 22, 2008
variierten) Versen, die Wilamowitz als „bedenklich“ bezeichnete,91 einen überzeugenden Abschluss des didaktischen Exkurses; es fungiert gleichsam als Reprise (B 26, 1–12 D.-K.): B 26, 1 ) J μK K μK S Wenn aber die Reihe an sie kommt im Umlauf des Zyklus, dann sind sie an der Macht. B 26, 2 N O 4 ' N @ ) μK 6. und vergehen ineinander und nehmen zu im Wechsel der Bestimmung. B 26, 3 >H H , [ , W $M# J K Aber nur diese sind: Indem sie durch einander laufen, B 26, 4 O( ) '#O N '# , \ werden sie zu Menschen und anderer Tiere Geschlechtern, B 26, 5 ' μJ Q !QμW 4 - Qμ, indem sie bald durch die Liebe insgesamt zum Einen zusammenkommen, B 26, 6 ' W B O!W - Sμ O ,!, bald auch wieder jedes für sich bewegt wird vom Hass des Streites, B 26, 7 4Q + μ S P V ?K K . bis sie, zum All-Einen zusammengewachsen, wieder untergehen. B 26, 8 A# 3 μJ + ) Q# μμI S Also: Sofern es gelernt hat, Eines aus Mehrerem zu bilden B 26, 9 /J I S *P KW )K, und aus dem Einen, wenn es wieder auseinander wächst, Mehreres entspringt, B 26, 10 X μJ O O N @ ,μ 4U· insofern werden sie und haben keine beständige Lebenszeit; B 26, 11 3 J IW $I μJ > μH M, sofern sie aber vom beständigen Wechsel niemals ablassen, B 26, 12 S W 4J , $O H S. insofern sind sie stets unveränderlich im Kreislauf. –
~ Phys. I 260 (B 17, 29)
~ Phys. I 265–266 (B 17, 34–35)
~ Phys. I 238–239 (B 17, 7–8)
= Phys. I 240–244 (B 17, 9–13)
Damit hat sich gezeigt, dass die Zitatenfolge B 21 – B 23 – B 26 einerseits zur Gänze in den didaktischen Exkurs gehört und dass dieser Exkurs andererseits in B 26 auch einen passenden Abschluss findet, so dass die Wiederaufnahme der chronologischen Darstellung durch das Fragment B 35 D.-K. sehr gut unmittelbar nach B 26 angesetzt werden kann:92 _________ 91 Wilamowitz 1930: 245 f. 92 Martin / Primavesi 1999: 107: „ … le fr. 26 D. rappelle les principes généraux ainsi illustrés.
Avec ce fragment se clôture, pensons-nous, la digression. Le fr. 35 D. peut aussitôt reprendre le fil interrompu en a(ii) 20.“
4. Die Fortsetzung des didaktischen Exkurses nach Vers 300
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Kontinuum I - - - - ? didaktischer Exkurs des Empedokles Physika I 232–290 Physika I 291–300
B 17 + Strasb.a(i) 6–(ii) 20 [Strasb.a(ii) 21–30 … B 21 … B 23 … B 26] B 35 Zitat bei Auslassung des Simplikios Fortsetzung der Sim- Simplikios ( ) plikianischen Zitatfolge
Es fragt sich nun, ob und in welcher Weise sich die verbleibenden Ensembles des Straßburger Papyrus in den damit abgesteckten Rahmen einfügen lassen, sei es in den didaktischen Exkurs, sei es in die Fortsetzung von B 35. Hierzu wird im Folgenden zunächst gezeigt werden, dass die Ensembles Strasb.c) und Strasb.b) in die unmittelbare Fortsetzung des didaktischen Exkurses einzuschalten sind, nämlich Strasb.c) zwischen Physika I 300 und B 21 D.-K. und Strasb.b) nach B 21 D.-K. Das Ensemble Strasb.d) hingegen gehört in die Wiederaufnahme der chronologischen Darstellung des Zyklus und findet seinen Platz demgemäß erst nach B 35.
4.3. Einschaltung von Strasb.c) zwischen Strasb.a) und B 21 Das Ensemble Strasb.c) ist bis auf den neu hinzugekommenen ersten Vers identisch mit dem von Simplikios bewahrten Fragment B 20 D.-K. Die wichtigste Textvariante besteht darin, dass im Simplikioszitat (B 20, 2) zur Bezeichnung der von der Liebe bewirkten Vereinigungsbewegung das Partizip Neutrum Plural !Qμ (= „zusammenkommend“) überliefert ist, während in dem von erster Hand geschriebenen Text des Papyrus (Strasb.c 3) erneut, wie in den bereits zitierten Versen Physika I 267 und 287, ein Indikativ der ersten Person Plural steht, und zwar hier wie in I 267 die Form !Qμ (= „Wir kommen zusammen“):93
_________ 93 Im Papyrus ist der Indikativ !Q]μW abermals, wie schon in Vers 267, mittels
eines oberhalb des angebrachten von zweiter Hand zum vulgaten, an dieser Stelle auch bei Simplikios überlieferten Partizip !QμW korrigiert. Doch für das im Papyrus von erster Hand geschriebene !QμW spricht entschieden, dass man an dieser Stelle angesichts der anschließend im Indikativ gegebenen Beschreibung der Trennung (B 20, 4–5 D.-K.: ' W B X μKW WO, / I '!W - N ZμY O) schon lange vor Bekanntwerden des Straßburger Papyrus immer wieder versucht hat, auch in der Beschreibung der Vereinigung konjektural einen Indikativ einzuführen. So lauten die Verse B 20, 2–3 D.-K. bei Karsten 1838: 134: ' μJ Q !QμW 4 + ( , / Y H \μ K!,
O K ) $μX. Panzerbieter 1844: 29 erwägt: ' μJ Q K! 4 + ( , / Y H \μ K!, O K ) $μX. Holwerda 1997: 320 schlägt vor: ' μJ Q !QμW 4 + $ V, / Y H \μ K!, O K ) $μX.
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c1 c 2 (= B 20, 1) c 3 (= B 20, 2) c 4 (= B 20, 3)
c 5 (= B 20, 4) c 6 (= B 20, 5)
c 7 (= B 20, 6)
c 8 (= B 20, 7)
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[
]I μM[ ] … Überführungspläne … [ μJ & K# μK# $O <· Zum einen bei der ansehnlichen Fülligkeit der menschlichen Gliedmaßen: ' μJ Q !QμW 4 + ( , Bald, in Liebe, kommen wir zu Einem zusammen allesamt, Y H \μ K!, O [ ) $μX wir Glieder im Besitz eines Körpers, auf dem Höhepunkt des blühenden Lebens; ' W B X μKW WO, bald wiederum auseinandergeschnitten in üblen Hadern, I '!W - N ZμY O wird jedes einzelne (Element) getrennt umhergetrieben in der Brandung des Lebens. E W @# Iμ N 4!S ?μI Und genauso verhält es sich für die Sträucher und die im Wasser hausenden Fische O W :!K 4J Iμ Sμ . und für die Wildtiere, die ihr Lager im Gebirge haben, und die auf Flügeln schreitenden Vögel.
Simplikios führt das Zitat der Verse c 2–8 mit der Bemerkung ein, dass sich nach Empedokles das Vereinigungswirken der Liebe und das Trennungswirken des Streits auch in unserer Welt anschauen (;V) lasse.94 Des näheren lasse sich nach Empedokles auch im sublunaren Bereich unserer Welt das Vereinigungswirken und das Trennungswirken betrachten (#Y), hier aber stets in antagonistischer Verschränkung: Bei Wesen ein und derselben Art sehe man bei verschiedenen Individuen, an verschiedenen Teilen und zu verschiedenen Zeiten bald die Liebe bald den Streit am Werk.95 In diesem Sinne wolle Empedokles mit den zitierten Versen c 2–8 zeigen, dass „hier“ () [ ) Streit und Liebe über die Lebewesen unserer Welt im Wechsel eine (örtlich und zeitlich jeweils begrenzte) Herrschaft ausüben ( H μK ) Y).96 Das Simplikianische Zeugnis scheint außer Zweifel zu stellen, dass es in Strasb.c 2–8 um den Antagonismus von Liebe und Streit geht, soweit er in unserer Welt unmittelbar beobachtet werden kann. _________ 94 Simplikios Phys., CAG X 1124,4 Diels: P J N ) S# \ Qμ# M -# ;V N L I. 95 Simplikios Phys., CAG X 1124,7–9 Diels: P J N ) \ ?P M 'μ # #Y M -# N L I $N μJ 'μ #, ' J ' ) ' N ' μK 1 ) ' N ' !Q ) [ . 96 Simplikios Phys., CAG X 1124,9–11 Diels: N H N ) [ P Y N L O H μK ) Y )O $U# N 4!S# N O# N :K# ; .μX I I #.
4. Die Fortsetzung des didaktischen Exkurses nach Vers 300
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Eben dieser beobachtbare Antagonismus aber ist nach Simplikios, wie wir sahen, auch mit dem Gegensatz von Vereinigung (S) und Freisetzung (I) angesprochen, den Empedokles soeben in Physika I 294–300 eingeführt hat. Nimmt man beide Simplikianischen Deutungen zusammen, so scheint die in Physika I 300 angekündigte Besichtigung dieses Antagonismus in Strasb.c) ausgeführt zu werden. Mehr noch: Physika I 300 steht, wie der untere Freirand zeigt, in der letzten Zeile einer Kolumne, während Strasb.c), wie der obere Freirand zeigt, den Beginn einer Kolumne darstellt. Soweit spricht alles dafür, Strasb.c) mit Janko 2004 unmittelbar an Physika I 300 anzuschließen. Indessen scheinen sich der von Simplikios vertretenen „empirischen“ Interpretation von Strasb.c), und damit der entscheidenden Voraussetzung für den Anschluss an Physika I 300, die Verse c 2–6 in den Weg zu stellen, in denen es erklärtermaßen um das schöne Volumen der menschlichen Gliedmaßen geht (c 2: Q μK ).97 Der springende Punkt ist die Bedeutung von Y („Glieder“) in c 4. Wäre dieser Begriff an unserer Stelle, wie weithin angenommen, synonym zu den in c 2 genannten „Gliedmaßen“ (μK ), dann würde hier zum einen (c 3–4) von menschlichen Gliedmaßen die Rede sein, die sich in den Besitz eines Körpers gesetzt haben und die sich dann noch weiter vereinigen, und zum andern (c 5–6) von menschlichen Gliedmaßen, die man auseinander geschnitten hat und die nun einzeln an der Brandung des Lebens hin und her getrieben werden. Könnte dergleichen im Ernst als empirische Beobachtung am Menschen ausgegeben werden, noch dazu mit Allgemeinheitsanspruch (c 3: ( bzw. c 6: - )? Kommt menschliches Leben nach unserer Alltagserfahrung so zustande, dass menschliche Gliedmaßen, die (nach c 2) bereits ein ansehnliches Volumen aufweisen, sich zum Körper zusammensetzen und sich sodann, zu allem Überfluss, noch weiter vereinigen?98 Lässt sich beim Tod eines Menschen regelmäßig beobachten, dass seine Gliedmaßen auseinanderfallen, um dann für sich umhergetrieben zu werden? Einen Ausweg aus diesem Dilemma glaubte O’Brien 1969 in der ingeniösen, von Martin / Primavesi 1999 übernommenen Hypothese zu finden, dass in c 3–6 eben nicht die Verhältnisse unserer Gegenwart beschrieben werden, sondern die Verhältnisse in zwei anderen Phasen des kosmischen Zyklus.99 Einen Anhaltspunkt für diese Phasen sah O’Brien in dem durch mehrere Originalzitate illustrier_________ 97 Q bedeutet zwar von Hause aus nur „sterblich“, aber der Kontrast zu den in c 7–8 genannten Sträuchern, Fischen, Wildtieren und Vögeln zeigt, dass hier die sehr häufige Bedeutung „menschlich“ anzusetzen ist. 98 O’Brien 1969: 219: „If they have already found a body, how do they still come together?“. 99 O’Brien 1969: 218–227; vgl. Martin / Primavesi 1999: 264–266.
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ten und gestützten Bericht des Aëtios über die vier von Empedokles angenommenen zoogonischen Stufen:100 Stufe I: Stufe II: Stufe III: Stufe IV:
Isolierte Einzelgliedmaßen101 Zusammenschluss der Einzelgliedmaßen zu Organismen102 Ungeschlechtliche Kugelwesen103 Halbierung dieser Wesen zu geschlechtlich differenzierten Lebewesen104
Bei der Deutung dieses Berichts geht O’Brien im Anschluss an Dümmler 1889: 218–222 und Bignone 1916: 570–575 von der zutreffenden Beobachtung aus, dass die Stufen I–II eine Zunahme der Attraktionskraft zeigen, während die Stufen III–IV durch eine Zunahme der Repulsionskraft gekennzeichnet sind. Demgemäß verteilt O’Brien die beiden Stufen-Paare, _________ 100 Aëtios 5, 19, 5; in: Doxographi Graeci 430a21–431a5 Diels (= Empedokles A 72 D.-K.). 101 Auf der ersten Stufe entstehen einzelne Gliedmaßen, die unverbunden umherirren:
Schläfen ohne Hals, Arme ohne Schultern, Augen ohne Stirn. Vgl. B 57 D.-K.: 3 N μJ Q $ S! ) I , μN ’ )I !O @ Fμ#, <μμ I ’ 8( ) ) V S μU#; und B 58 D.-K.: ) S B X I μμX , H Y $P X [ O O# < ) V X P ' μO# ) Kμ . 102 Auf der zweiten Stufe setzen sich die Einzelglieder im Zuge zunehmender Vermischung der Grundstoffe zu zusammengesetzten Wesen zusammen, so wie es der Zufall gerade will. Vgl. B 59 D.-K.: >H )N H μY )μO Oμ Oμ#, / [I μO, = K - , / ' P Y H X )K. Dabei kommt es einerseits zu monströsen Kombinationen; vgl. B 61 D.-K.: H μJ $μ Q# N $μ O S , / X $Q# , H ’ ,μ ) K / $ X S , μμμK X μJ $’ $\ / X J X Y /μK O. Andererseits entstehen aber auch harmonische Kombinationen, die den Organismen der vierten Stufe, d.h. unserer Gegenwart, entsprechen; diese erwiesen sich auch damals als lebensfähig, während jene gleich wieder zugrundegingen; vgl. Simplikios, Phys. 372, 2–8 D.: N = μJ A# K $M G S !Y #O , )K \ N ,μ H P $M )[ L !O , R μJ :Q KμI N O L M, L J K K , P J 3 ) μ [. N 0 μJ [ $U L \ $#O# Uμ [ U Y P =, \ J [ P > μQ N Q = H μL H P 4Y X Q, ) I, und dazu O’Brien (1969), 211–217. 103 Auf der dritten Stufe bringt aus der Erde emporsteigendes Feuer ganzheitlich-unartikulierte Lebewesen hervor; vgl. B 62 D.-K.: [ ’ '’, =# $\ S# \ / )!O = $M Qμ [, / \ S’ > H μ[ $Q >’ $ Mμ#. / > Y μJ \ S !P ) K, / $μ K# A Q N 6 8 ,! / R μJ [ $Kμ K P ;μY 5K , / @ O # μK# ) P Kμ )μ O / @’ )L 9Q ’ )!U $I Y. 104 Auf der vierten Stufe, die unserer Gegenwart entspricht, pflanzt sich das Leben im Durchgang durch Lebewesen der jeweils gleichen Art fort (Aëtios: ’ $M#), d.h. in der Weise, dass jedes Lebewesen bzw. der Keim dazu aus einem anderen Exemplar der gleichen Art herauskommt: Säugetierweibchen gebären Junge, Vögel legen Eier, Bäume bringen Früchte hervor. Speziell zur Analogie zwischen eierlegenden Vögeln und fruchttragenden Bäumen vgl. B 79 D.-K.: A# ’ CY μ H K \ ) O .
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gleichfalls mit Dümmler und Bignone, überzeugend auf die beiden kosmischen Prozesse von den Mehreren zum Einem und vom Einen zu den Mehreren: Zunehmende Attraktionskraft (Ausgangspunkt: Vier reine Element-Massen) Stufe I: Isolierte Einzelgliedmaßen Stufe II: Zusammenschluss der Einzelgliedmaßen zu Organismen (Ziel: Einheitszustand des Sphairos)
Zunehmende Repulsionskraft (Ausgangspunkt: Einheitszustand des Sphairos) Stufe III: Ungeschlechtliche Kugelwesen Stufe IV: Halbierung und geschlechtliche Differenzierung dieser Wesen (Ziel: Vier reine Element-Massen)
O’Brien geht nun aber darin über Dümmler und Bignone hinaus, dass er das Aëtianische Résumé des Stufenmodells für eine Verkürzung der originalen Empedokleischen Darstellung hält: Aëtios habe zwei Stufen ausgelassen, die in den (uns interessierenden) Versen c 3–6 (= Fr. B 20, 2–5) kontrastiv einander gegenüber gestellt seien. Nach O’Brien wird nämlich in c 3–4 beschrieben, wie sich die auf Stufe II aus Einzelgliedmaßen komponierten Organismen auf einer anschließenden, zusätzlich einzuschaltenden Stufe (im Folgenden: IIa) noch weiter zusammenschließen, nämlich zu eben solchen ungeschlechtlichen Kugelwesen, wie sie auch am Beginn des Weltalters zunehmender Repulsionskraft (Stufe III) wieder auftreten werden. In c 5–6 hingegen werde beschrieben, wie die durch Halbierung der Kugelwesen entstandenen Wesen unserer Gegenwart (= Stufe IV) auf einer anschließenden, zusätzlich einzuschaltenden Stufe (im Folgenden: IVa) bei lebendigem Leib noch weiter fragmentiert werden, nämlich zu eben solchen Einzelgliedmaßen, wie sie auch am Beginn des Weltalters zunehmender Attraktionskraft (Stufe I) aufgetreten waren. O’Brien entnimmt also dem Fragment B 20 (~ Strasb.c) eine Erweiterung des von Aëtios bezeugten 2 x 2-Stufen-Schemas zum 2 x 3-Stufen-Schema: Zunehmende Attraktionskraft (Ausgangspunkt: Vier reine Element-Massen) Stufe I: Isolierte Einzelgliedmaßen Stufe II: Zusammenschluss der Einzelgliedmaßen zu Organismen Stufe IIa: Noch weitergehender Zusammenschluss: zu Kugelwesen (Ziel: Einheitszustand des Sphairos)
Zunehmende Repulsionskraft (Ausgangspunkt: Einheitszustand des Sphairos) Stufe III: Ungeschlechtliche Kugelwesen Stufe IV: Halbierung und geschlechtliche Differenzierung dieser Wesen Stufe IVa: Noch weitergehende Fragmentierung: zu Einzelgliedmaßen (Ziel: Trennungszustand der vier reinen Element-Massen)
Wenn Empedokles in Strasb.c 3–6 (= B 20, 2–5) tatsächlich die von O’Brien erschlossenen zoogonischen Stufen IIa und IVa beschriebe, dann würde Strasb.c) die im Anschluss an Physika I 300 zu erwartende Illustration des Widerspiels von Vereinigung und Freisetzung der Grundstoffe
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nicht liefern können. Denn die beiden neu eingeführten Stufen würden der Beobachtung des von Empedokles unterwiesenen Schülers, aufgrund seiner (wie aller Menschen) Zugehörigkeit zu Stufe IV, naturgemäß entzogen sein; in Physika I 300 hingegen wird ausdrücklich eine demonstratio ad oculos angekündigt: <" H SQ IO K („Denn du wirst die Vereinigung wie die Freisetzung des Grundbestandes sehen …“).105 Als Hypothese zur Rekonstruktion des kosmischen Zyklus sind die beiden von O’Brien postulierten zusätzlichen zoogonischen Stufen durchaus plausibel: Ihre Einfügung setzt die beiden Übergangsphasen des Zyklus (von den Mehreren zum Einen und vom Einen zu den Mehreren) in ein Symmetrie-Verhältnis zueinander und liefert ein einleuchtendes Bindeglied sowohl zwischen der zweiten Aëtianischen Stufe und dem Sphairos als auch zwischen der vierten Aëtianischen Stufe und den vier getrennten Massen.106 Auch die Auslassung der beiden zusätzlichen Stufen durch Aëtios lässt sich leicht damit erklären, dass jede von ihnen dieselben Resultate zeigt wie die auf sie im jeweils anderen Weltalter folgende Stufe, unbeschadet der gegensätzlichen Prozessrichtung beider Weltalter. Auf einem ganz anderen Blatt aber steht die Frage, ob man O’Brien auch darin folgen kann, dass er die Verse Strasb. c 2–6 (= B 20, 1–5 D.-K.) als Beleg für die von ihm zusätzlich erschlossenen zoogonischen Stufen deutete. Gegen diese Deutung spricht die bereits erwähnte, aber von Martin / Primavesi 1999 nicht genügend beachtete Tatsache, dass Simplikios die fraglichen Verse (gerade in Abhebung von anderen Weltaltern und Weltbezirken) eindeutig auf die in unserer Lebenswelt beobachtbaren Vereinigungs- und Trennungsvorgänge bezieht. Über dieses unmissverständliche Zeugnis des Simplikios würde man sich wohl allenfalls dann hinwegsetzen dürfen, wenn die Verse unter der Annahme ihrer Beziehung auf die uns beobachtbare Welt schlechterdings keinen Sinn ergäben. Dies aber ist nicht der Fall. Vielmehr lässt sich zeigen, dass die Verse c 3–6 (= B 20, 2–5 D.-K.) durchaus als Beschreibung des beobachtbaren Kontrasts von Fortpflanzung und Tod im menschlichen Dasein gedeutet werden können. Was zunächst die Beschreibung der Vereinigung in den Versen c 3–4 betrifft, so ist Vers c 3 (= B 20, 2 D.-K.) bereits von Walther Kranz überzeugend auf unsere Erfahrungswelt bezogen worden:107 Dass menschliche _________ 105 So wussten Martin / Primavesi 1999: 109 sich keinen anderen Rat, als Strasb.c) erst lange nach Abschluss des didaktischen Exkurses einzureihen. 106 Der weiter unten zu behandelnde Beginn von Strasb.d) liefert nach allem Anschein einen Beleg für die von O’Brien erschlossene Stufe IVa. 107 Kranz 1949: 361, Anm. 9: „Im folgenden [d.h. in B 20, 2–3 = Strasb.c 3–4] ist der Geschlechtsverkehr gemeint“.
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Körper, die ihre integrale Gestalt bereits gefunden haben, auf dem Höhepunkt des Lebens gleichwohl noch weiter zu Einem zusammenkommen, lässt sich als Beschreibung der Vereinigung zweier Menschen im Liebesakt deuten;108 diese Deutung wird schon dadurch gestützt, dass Empedokles den Liebesakt bereits in Physika I 253–255 (= B 17, 22–24) als denjenigen Teil des Liebeswirkens in unserer Welt charakterisiert, der auch den unphilosophischen Vielen geläufig ist. Indessen hat Kranz offen gelassen, wie man auch die von Empedokles in c 4 gewählte Umschreibung des menschlichen Leibes als „Glieder, die einen Körper erlangt haben“ (c 4: Y H \μ K!) in einer Weise erklären kann, die mit der von Simplikios bezeugten Beziehung der Stelle auf unsere Erfahrungswelt vereinbar ist. Die übliche Gleichsetzung der in c 4 eingeführten „Glieder“ mit den in c 2 genannten menschlichen Gliedmaßen ( Q μK ) ist unter dieser Voraussetzung nicht zu halten. Es trifft nämlich in unserer Erfahrungswelt – im Gegensatz zur ersten zoogonischen Stufe – klarerweise nicht zu, dass menschliche Körper durch Zusammensetzung einzelner, stattlich anzusehender und gewichtiger Gliedmaßen (c 2: K# μK# $O <) geformt werden. Wenn es wirklich der menschliche Körper unserer Erfahrungswelt ist, der in c 4 als Resultat eines „Erlangens“, eines „Teilhaftigwerdens“ charakterisiert wird, dann muss die Akkumulation bestimmter Portionen der vier Grundstoffe gemeint sein. Sind also die in c 4 eingeführten „Glieder“ einfach die Grundstoffe? In der Tat verwendet Empedokles die Bezeichnung Glieder (Y ) mehrfach auch für die Bestandteile von solchen Entitäten, die gar keine zoomorphen Gliedmaßen aufweisen, nämlich einerseits für die Sonnenstrahlen109 und andererseits, was besonders aufschlussreich ist, für die Teile des göttlichen Sphairos.110 An diesen Stellen kann die Bezeichnung Glieder (Y ) sich nur auf elementare Bestandteile beziehen. Dann aber ist es prinzipiell legitim, auch an unserer _________ 108 Gegen die von Kranz vorgeschlagene Deutung hat Bollack 1969b: 102 folgende ironische
Bemerkung gerichtet: „Pour les uns … il s’agit de l’union des sexes. A tout autre instant de leurs vies, les corps errent, tranchés et solitaires, au rivage de la vie…, et cela vaudrait même pour les plantes.“ Diesen Worten lassen sich womöglich die beiden folgenden Einwände entnehmen: Zum einen sei es übertrieben, alle nicht dem Liebesakt gewidmeten Augenblicke des menschlichen Lebens schon gleich dem Zerreißungswirken des Streits zuzuschreiben, zum andern lasse sich der Gegensatz von Liebesakt / Nicht-Liebesakt nicht auf die Pflanzen übertragen. Beide Einwände würden untriftig sein: Zum einen steht der Liebesakt an unserer Stelle nicht im (kontradiktorischen) Gegensatz zum Nicht-Liebesakt, sondern im (konträren) Gegensatz zum Tod; zum andern lässt sich am Kontrast zwischen der Zeit des Blühens und Fruchtens einerseits und der Zeit des Welkens und Verdorrens andererseits auch im Leben der Pflanzen die Alternation von Liebe und Streit beobachten. 109 B 27, 1 D.-K.: ,W @’ /O O CK Y . 110 B 31 D.-K.: I H *O μO Y Y.
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Stelle die Gleichsetzung der als Subjekt der Verse c 3–6 fungierenden „Glieder“ (Y ) mit den Grundstoffen zu erwägen. Der Sinn dieser Ausdrucksweise könnte darin liegen, dass die Stoff-Portionen, aus denen die sterblichen Lebewesen zusammengesetzt sind, als versprengte „Glieder“ des Sphairos charakterisiert werden. Nun empfiehlt sich an unserer Stelle die Gleichsetzung: Glieder = Grundstoffe aber nicht nur deshalb, weil sie den Weg für die Beziehung der Verse auf unsere Erfahrungswelt freimacht, die von Simplikios in genauer Kenntnis des originalen Kontexts vertreten wurde. Vielmehr kommen zwei weitere Indizien hinzu. Zum einen findet unter Annahme dieser Gleichsetzung der auffällige Ausdruck „Glieder, die einen Körper erlangt haben“ (c 4: Y H \μ K!) eine genaue Entsprechung in dem Vers Physika I 293, der die Durchführung des didaktischen Exkurses eingeleitet hatte. In diesem Vers hatte Empedokles allgemein festgestellt, dass die in Aussicht gestellten empirischen Belege überall dort zu beobachten seien, „wo sie (scil. die vier Stoffe) einen größeren Körper finden“: 293 [O]# N $W <(), 7 μO Uμ[ S,] Ich werde Dir dort, wo sie einen größeren Körper finden, auch durch Augenschein zeigen …
Zum andern steht der Ausdruck „Glieder, die einen Körper erlangt haben“ (Y H \μ K!) in Strasb.c 4 als Apposition zu dem „Wir“, das in c 3 als implizites Subjekt der durch !Qμ (= „Wir kommen zusammen“) bezeichneten Vereinigungsbewegung erscheint. An den beiden anderen, bereits behandelten Stellen – I 267 und 287 –, an denen die Vereinigungsbewegung durch eine solche Verbform ausgedrückt wird, scheint das „Wir“ aber, wie bereits festgestellt, aus der Perspektive der vier partiell vereinigten Grundstoffe gesprochen zu sein. Das spricht dafür, dass mit dem „Wir“ auch in c 3 die vier partiell vereinigten Grundstoffe gemeint sind. Dann aber bezeichnet die Apposition in c 4 die „Elemente, die einen Körper erlangt haben“, so dass „Glieder“ (Y ) allein für die vier Elemente steht. In den Versen Strasb.c 5–6 (= B 20, 4–5 D.-K.), d.h. in der Beschreibung des Todes, ermöglicht die übliche Gleichsetzung der (nach wie vor als Subjekt zu denkenden) „Glieder“ mit den in c 2 genannten menschlichen Gliedmaßen ( Q μK ) ebenfalls keine sinnvolle Beziehung auf unsere Erfahrungswelt. Es könnte nämlich unmöglich, wie vom Text gefordert (c 6: - ), als allgemeine Regel aufgestellt werden, dass in unserer Erfahrungswelt beim Tod des Menschen dessen Gliedmaßen auseinandergeschnitten und vereinzelt „in der Brandung des Lebens“ umhergetrieben werden. In der hier gebotenen Allgemeinheit kann der Arzt Empedokles vielmehr allein die chemische Zersetzung des Leichnams als
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beobachtbares Phänomen unserer Erfahrungswelt ausgeben. Mithin bewährt sich auch hier die Gleichsetzung der „Glieder“ (Y ) mit den Grundstoffen. Die Todesschilderung der Verse c 5–6 lässt sich dann nämlich so verstehen, dass der Leichnam des Menschen, der von der See des Lebens111 an dessen „öden Strand“112 gespült worden ist, sich in seine elementaren Bestandteile zersetzt. Nach alldem können die Verse c 2–6 durchaus, mit Simplikios, als Beschreibung eines in unserer Empirie vorliegenden Antagonismus von Liebe und Streit verstanden werden, nämlich als Beschreibung des Gegensatzes zwischen der Fortpflanzung als Vereinigung der vier Grundstoffe („Sphairosglieder“) und dem Tod als deren Freisetzung. Dieser Befund lässt sich, mutatis mutandis, problemlos auf die in c 7–8 angeführten Tiere und Pflanzen übertragen; bei den letzteren zeigt sich der Gegensatz von Vereinigung und Freisetzung im Wechsel von Blühen und Fruchten einerseits, Welken und Verdorren andererseits. O’Briens Abkehr von der Simplikianischen Beziehung der Verse Strasb.c 2–6 auf unsere Erfahrungswelt erscheint demnach nicht länger als annehmbar. Vielmehr verdient im Ensemble Strasb.c) die Simplikianische Deutung ebenso den Vorzug wie in Physika I 294–300 die Simplikianische Beziehung von Zusammenkunft (S) und Entfaltung (I) auf den Gegensatz von Vereinigung und Auflösung. Trifft aber in beiden Fällen die Simplikianische Auffassung das Richtige, dann steht im Ensemble Strasb.c) in der Tat nichts anderes als die Durchführung dessen, was in Physika I 294–300 angekündigt wurde: Die Vorführung einer ersten Gruppe von empirischen Belegen, nämlich der Belege für den biologischen Antagonismus von Liebe (Fortpflanzung) und Streit (Tod). Nimmt man diesen inhaltlichen Befund mit der bereits erwähnten Tatsache zusammen, dass Physika I 300 am unteren Rand einer Kolumne steht und Strasb.c) den Anfang einer weiteren Kolumne bildet, dann erscheint der von Janko 2004 vorgeschlagene unmittelbare Anschluss des Kolumnenanfangs Strasb.c) an das Kolumnenende Physika I 300 als evident plausibel. Daraus ergibt sich die Erweiterung von Kontinuum I durch die Verse Physika I 301–308: _________ 111 Die Formel N ZμY O spielt auf die homerische Standard-Formel H (bzw. ) ZμY I an, so dass in der Empedokleischen Metapher das Leben die Stelle der See vertritt. 112 Kranz 1949: 361, Anm. 10 verweist auf folgende Verse aus Schillers Gedicht Die Künstler: „ … Verlerne nicht, die Hand zu preisen, / Die an des Lebens ödem Strand / Den weinenden verlaßnen Waisen, / Des wilden Zufalls Beute, fand …“.
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B 17 + Strasb.a(i) 6–(ii) 20 [Strasb.a(ii) 21–30 + Strasb.c) … B 21 … B 23 … B 26 ] B 35 Zitat bei Auslassung des Simplikios Fortsetzung der Sim- Simplikios ( ) plikianischen Zitatfolge
Zudem lässt sich der unvollständig überlieferte erste Vers von Strasb.c) exempli gratia leicht in der Weise ergänzen, dass er syntaktisch an Physika I 300 anschließt und zugleich der bereits angeführten Paraphrase des Simplikios ( N H N ) [ P Y N L O H μK ) Y .) entspricht: Physika I 300
c1 c 2 (= B 20,1)
<" H SQ IO K, Denn du wirst die Vereinigung wie die Freisetzung des Grundbestandes sehen, [X Q YQ ]I μM[W ,!#] w Liebe und Streit ihre Überführungspläne hegen, [ μJ $ K# μK# $O <· . zum einen bei der ansehnlichen Fülligkeit der menschlichen Gliedmaßen, etc.
4.4. Zum unmittelbaren Anschluss von B 21 D.-K. an Strasb.c) Die Identifikation von Ensemble Strasb.c) mit den ersten acht Versen der auf Physika I 300 folgenden Kolumne ermöglicht zugleich eine genauere Lokalisierung des Simplikianischen Zitats B 21, welches wir der auf Physika I 300 folgenden Kolumne bereits zugewiesen haben. Die Verse Physika I 301–308 (= Strasb.c) lassen sich nämlich als passgenaues gedankliches Verbindungsstück zwischen Physika I 293–300 und B 21 erweisen, so dass B 21, wie im Folgenden gezeigt wird, unmittelbar an Physika I 301–308 anzuschließen ist. Dort, wo nach Physika I 293 die Grundstoffe einen „größeren Körper finden“, soll zum einen, wie in Physika I 294–300 angekündigt wird, an den Lebewesen unserer Erfahrungswelt die Vereinigung wie die Freisetzung des stofflichen Grundbestandes (K) beobachtet werden. In B 21 aber ist dann bereits von der anderen Gruppe „größerer Körper“ die Rede, zu denen sich Stoffe zusammenschließen, nämlich von den großen, homogenen Stoffkonzentrationen. An diesen Konzentrationen weist Empedokles zunächst Feuer, Luft, Wasser und Erde als die vier in Reinform beobachtbaren homogenen Stoffe auf (B 21, 1–6) und schließt daran die aus Physika I 267–272 bereits bekannte These an, dass alle Lebewesen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aus der Einwirkung von Liebe und Streit auf diese vier Stoffe hervorgehen (B 21, 7–14). Die beim ersten Mal (in Physi-
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ka I 267–272) lediglich behauptete These kann sich diesmal (in B 21, 7–14) der Sache nach auf zwei inzwischen eingeführte Prämissen stützen: (1) auf die Beobachtung der Verbindung und Freisetzung von Stoffen durch Liebe und Streit, die am Ende von Strasb.a(ii) in Physika I 294–300 angekündigt worden war, (2) auf die soeben in B 21, 1–6 vorgeführte Beobachtung der vier Grundstoffe. Prämisse (1) wird aber erst durch Physika I 301–308 (= Strasb.c) von einer bloßen Ankündigung in den Rang einer beobachteten Tatsache erhoben: Erst in diesen Versen weist Empedokles an der Fortpflanzung das Vereinigungswirken der Liebe auf und am Tod das Freisetzungswirken des Streites. Damit sind die Verse Physika I 301–308 als Vervollständigung der Prämisse (1) und damit als das fehlende Bindeglied zwischen Physika I 294–300 und B 21 D.-K. erwiesen. Den Gedankengang, zu dem sich die Verse Physika I 294–300, Physika I 301–308 (= Strasb.c ~ B 20 D.-K.) und B 21 zusammenschließen, könnte man more Aristotelico, wie folgt, schematisieren: (1) Erste Prämisse: Physika I 294–300 + 301–308 (=Strasb.c) An Fortpflanzung und Tod sieht man den Wechsel zwischen der Verbindung und der Freisetzung von Stoffen durch Liebe und Streit.
Beweis: Augenschein
(2) Zweite Prämisse (B 21, 1–6) In unserer Welt lassen sich genau vier verschiedene Stoffe in Reinform beobachten, nämlich Feuer, Luft, Wasser und Erde.
Beweis: Augenschein
(3) Conclusio (B 21, 7–14) Die fortgesetzte Entstehung von Lebewesen ist ein Resultat der Einwirkung von Liebe und Streit auf Feuer, Luft, Wasser und Erde.
Aus (1), (2)
Die Geschlossenheit dieses Gedankengangs zeigt an, dass die am Ende der Kolumne Strasb.a(ii) stehenden Verse Physika I 294–300 bruchlos durch das Ensemble Strasb.c (~ B 20 D.-K.) und das Fragment B 21 D.-K. fortgesetzt werden. Demgemäß ist die Textfolge Strasb.c + B 21 mit den Versen Physika I 301–322 gleichzusetzen: Kontinuum I - - - - - ? didaktischer Exkurs des Empedokles Physika I 232–290 Physika I 291–300 Physika I 301–322
B 17 + Strasb.a(i) 6–(ii) 20 [Strasb.a(ii) 21–30 + Strasb.c) + B 21 … B 23 … B 26] B 35 Zitat bei Auslassung des Simplikios Fortsetzung der Sim- Simplikios ( ) plikianischen Zitatfolge
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Da somit die ersten 22 Verse der auf Physika I 300 (= Strasb.a[ii] 30) folgenden Kolumne durch die Textfolge Strasb.c + B 21 gefüllt wurden, verbleiben in dieser Kolumne, wenn man von dem für den Straßburger Papyrus bereits nachgewiesenen Mittelwert von 30 Zeilen pro Kolumne ausgeht, noch acht Verse. Davon lassen sich die letzten sieben, wie nun gezeigt werden soll, dank dem Ensemble Strasb.b) wieder gewinnen, welches durch seinen unteren Freirand am Fuß einer Kolumne lokalisiert ist. 4.5. Zum Anschluss von Strasb.b) an Physika I 301–322 Die Verbindung von Ensemble Strasb.b) mit drei von Plutarch zitierten Versen (B 76 D.-K.) liefert insgesamt sieben Verse, die offensichtlich dem didaktischen Exkurs einzufügen sind, und zwar bald nach den Versen Physika I 301–322 (= Strasb.c + B 21). In Strasb.b) + B 76 wird nämlich die in Physika I 317–322 (= B 21, 9–14) wieder aufgenommene und etablierte These, dass alle Lebewesen aus den vier Grundstoffen bestehen, zusätzlich durch den Hinweis auf verschiedene Tiere plausibilisiert, an denen einer der vier Stoffe, der harte Erdstoff, in reiner Gestalt gut sichtbar ist: An den Muscheln sind es die Schalen, an den Bergschildkröten der Panzer, an den Hirschen das Geweih: b0
b1 b2
b3 b4
b5 b6
[ μJ ) Q! Qμ U, Zum einen bei den Muscheln, den meerbewohnenden mit dem schweren Rücken, [/W ) ] O [ x ] und bei den felsenbewohnenden … ,W <" !Q !#P ?K I Dort wirst du die Erde als oberste Schicht der Haut lagern sehen [U W B] [U]# [ x ,] Und wiederum der Panzer von starkrückigen … N μL S# O# !S# Ja auch von Tritonshörnern mit steinerner Haut und von Schildkröten [ ] μO \ )I[ # ] … das Geweih der gehörnten Hirsche … [$(H) > & K μ] K# Sμ[ x] Doch ich käme wohl nicht ans Ende, wenn ich alle (Beispiele) aufzählen wollte …
B 76, 1 (Plutarch)
B 76, 3 (Plutarch)
B 76, 2 (Plutarch)
Die hier angeführte unmittelbare Kenntlichkeit eines der vier Grundstoffe am lebenden Organismus erscheint gegenüber einer regelrechten Vermischung der Grundstoffe, die deren Eigenschaften oft genug zum Verschwinden bringt, als im wahrsten Sinne des Wortes elementarer Sach-
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verhalt. Deshalb ist dieser Nachweis des Erdelements noch vor dem Malergleichnis B 23, das der Vermischung als solcher gewidmet ist, in möglichst unmittelbarem Anschluss an B 21 einzureihen.113 Nun fehlen einerseits zur Vervollständigung der auf Physika I 300 unmittelbar folgenden Kolumne, nach den 22 Versen Physika I 301–322 (= Strasb.c + B 21), bisher noch acht Verse; andererseits ist das Ensemble Strasb.b) durch seinen unteren Freirand am Fuße einer Kolumne lokalisiert. Alles spricht also dafür, die sieben von Strasb.b) in Verbindung mit B 76 gelieferten Verse mit dem Ende der an Physika I 300 anschließenden Kolumne zu identifizieren.114 Insgesamt ergibt sich aus dem Gesagten für die Rekonstruktion dieser Kolumne, d.h. der vierten Kolumne von Kontinuum I folgendes Bild: Physika I (Verszahlen) 301 302–304 305 306–308 309–322 [323] FEHLT 324 325 326 327 328 329–330
Kontinuum I (Kolumne und Zeilen) 4, 1 4, 2–4 4, 5 4, 6–8 4, 9–22 [4, 23] FEHLT 4, 24 4, 25 4, 26 4, 27 4, 28 4, 29–30
Direkte Überlieferung (P.Strasb.) Strasb.c 1 Strasb.c 2–4 – Strasb.c 6–8 – – – Strasb.b 1 Strasb.b 2 Strasb.b 3 Strasb.b 4 Strasb.b 5–6
Indirekte Überlieferung nach Diels-Kranz – B 20, 1–3 B 20, 4 B 20, 5–7 B 21, 1–14 – B 76, 1 – B 76, 3 – B 76, 2 –
Zugunsten dieser Rekonstruktion der Kolumne lassen sich noch zwei zusätzliche Argumente geltend machen. Zum einen ist es aus archäologischer Sicht besonders plausibel, dass in der ursprünglichen Rolle diejenigen kleineren Ausrisse des Straßburger Papyrus, die aus inhaltlichen Gründen dem in Physika I 291 und damit in der Kolumne Strasb.a(ii) eröffneten didaktischen Exkurs zuzuweisen sind, in nächster Nähe von Strasb.a(ii) lokalisiert waren. Nach der hier vorgelegten Rekonstruktion ist Strasb.c) dem Anfang und Strasb.b) dem Ende der auf Strasb.a(ii) unmittelbar folgenden Kolumne entnommen. _________ 113 Die Reihung B 21 – Strasb.b) – B 23 haben schon Martin / Primavesi 1999: 108 vorge-
schlagen: „Nous proposons donc d’insérer b entre les fr. 21 D. et 23. D.“ 114 Diese Lokalisierung von Strasb.b) haben schon Martin / Primavesi 1999: 109 erwogen.
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Zum andern lässt sich dank der Rekonstruktion erstmals nachvollziehen, wie es zu der im Simplikios-Text überlieferten, eigenartigen Entstellung der grundlegenden Formel SQ IO K („Vereinigung wie Freisetzung des Grundbestandes“) kommen konnte. Während der korrekte Wortlaut der Formel in der vorhergehenden Kolumne Strasb.a(ii) gleich zweimal – in den Versen 294 und 300 – vorkommt, ist im Simplikianischen Zitat dieser Formel das erste ausgefallen und K zu K 6 verderbt, was auf folgenden Ausdruck führt: S IO K 6 („es entstehe eine Vereinigung und Entfaltung der Erde“).115 Als paläographischen Ausgangspunkt für die Entstehung dieser Korruptel hat man fraglos die Verschreibung des korrekten C zu C anzunehmen.116 Doch gibt dieser Ausgangspunkt noch kein hinreichendes Motiv für die phantasievoll-poetische „Verbesserung“ des sinnlosen - zu K( ) 6 zu erkennen. Ein sofort einleuchtendes Motiv für die „Verbesserung“ würde dann vorliegen, wenn die zugrundeliegende Verschreibung nicht erst in der Simplikiosüberlieferung entstanden wäre, sondern bereits im Empedoklestext selbst, und wenn dort im unmittelbaren Kontext der Verschreibung der Gegensatz von Vereinigung und Entfaltung tatsächlich am Erdstoff, der 6, erläutert worden wäre. Exakt diesen Kontext aber liefert die hier vorgelegte Rekonstruktion der nächstfolgenden Kolumne. Dort kommt nämlich zum einen in der Kolumnenmitte der Vers Physika I 314 (= B 21, 6) zu stehen, in dem Erde, als Quell alles Dichten und Starren, in der Tat 6 genannt wird; zum andern stehen am Kolumnenende die sieben von Strasb.b) bzw. B 76 D.-K. gelieferten Verse Physika I 324–330, in denen das sichtbare Vorkommen des Erdstoffs an Organismen illustriert wird. Unter dem Einfluss dieses unmittelbaren Kontextes konnte einem spätantiken Leser (womöglich Simplikios selbst?), der in seinem Empedoklescodex in einem der beiden einschlägigen Verse das rätselhafte SQ IO † vorfand, der Ausdruck KW 6 als eine treffende Emendation des Verses erscheinen.117 Über die weitere Fortsetzung des Textes lässt sich aufgrund der bereits nachgewiesenen Zugehörigkeit der Simplikianischen Zitatfolge zum didak_________ 115 Simplikios, Phys. (CAG IX) 161, 18–20 Diels: N )Y μK P L K N L H μJ ' 8 , „$H μQ μYO I O μ “ (Empedokles B 8, 3 D.-K., in den Akkusativ transponiert), N „S IO “ (Empedokles, Physika I 294 bzw. 300) K 6. 116 Primavesi 1998: 64–67; ebenso dann Martin / Primavesi 1999: 243. 117 Nur von der quantitierenden Metrik kann er nicht mehr viel verstanden haben: Wenn man (nach Streichung des ersten ) als zweite Vershälfte von der Penthemimeres an IO KW 6 liest, dann muss man sprachwidrig die jeweils zweite Silbe von I und KW kurz messen und das lang: ˘ ˘ ¯ ¯ ¯ ˘˘˘ ¯ ¯ .
4. Die Fortsetzung des didaktischen Exkurses nach Vers 300
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tischen Exkurs soviel sagen, dass bald nach Physika I 330 (= Strasb.b 6) die beiden verbleibenden Fragmente der Zitatfolge (B 23 D.-K. und B 26 D.K.) gestanden haben, bevor der Exkurs mit B 35 abgeschlossen wurde: Kontinuum I ? didaktischer Exkurs des Empedokles Physika I 232–290 Physika I 291–330
B 17 + Strasb.a(i) 6–(ii) 20 [Strasb.a(ii) 21–30 + Strasb.c) + B 21 + Strasb.b) … B 23 … B 26] B 35 Zitat bei Auslassung des Simplikios Simplikios ( )
Es ist nun zwar möglich, dass das in B 23 enthaltene Malergleichnis unmittelbar an den Vers Physika I 330 anschloss: In diesem Fall würde die in diesem Vers stehende Schlusswendung118 besagen, dass Empedokles auf weitere Beispiele für die Sichtbarkeit von Grundstoffen am Organismus überhaupt verzichtet und anschließend gleich das Phänomen der Stoffmischung illustrieren wird. So ließe sich das Kontinuum I noch weiter fortsetzen. Es ist aber ebenso möglich, ja vielleicht sogar wahrscheinlicher, dass Empedokles nach dem in Physika I 324–330 abgehandelten Erdstoff erst noch die Sichtbarkeit der übrigen drei Stoffe an Organismen nachgewiesen hat: In diesem Fall würde Empedokles mit der zitierten Schlusswendung lediglich auf weitere Beispiele für die Sichtbarkeit des Erdstoffs am Organismus verzichten. Diese Alternative lässt sich nach gegenwärtigem Kenntnisstand nicht sicher entscheiden, zumal vor den sieben (von Strasb.c in Verbindung mit B 76 D.-K. gelieferten) Versen über die Sichtbarkeit des Erdstoffs am Organismus der einleitende Vers Physika I 323 fehlt: Gerade dieser Vers hätte wahrscheinlich Aufschluss über die Reichweite der folgenden Beispielserie gewährt. Deshalb empfiehlt es sich, die Rekonstruktion von Kontinuum I mit der auf Strasb.a(ii) folgenden Kolumne abzuschließen. Der Text von Kontinuum I umfasst demnach die Verse Physika I 232–330 und verteilte sich in der Rolle, der der Straßburger Papyrus entstammt, wie folgt auf vier Kolumnen:
_________ 118 Physika I 330 = Strasb.b 6: [$(H) > & K μ] K# Sμ[ ] – x] „Doch ich käme wohl nicht ans Ende, wenn ich alle behandeln wollte …“.
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Physika I (Verszahlen) 232–240
Kontinuum I (Kolumnen und Zeilen) 1, 22–30
Direkte Überlieferung (P.Strasb.) –
Indirekte Überlieferung nach Diels-Kranz B 17, 1–9
241–261 262–266 267–270
2, 1–21 2, 22–26 2, 27–30
– Strasb.a(i) 1–5 Strasb.a(i) 6–9
B 17, 10–30 B 17, 31–35 –
271–300
3, 1–30
Strasb.a(ii) 1–30
–
301 302–304 305 306–308 309–322 [323] FEHLT 324 325 326 327 328 329–330
4, 1 4, 2–4 4, 5 4, 6–8 4, 9–22 [4, 23] FEHLT 4, 24 4, 25 4, 26 4, 27 4, 28 4, 29–30
Strasb.c 1 Strasb.c 2–4 – Strasb.c 6–8 – – – Strasb.b 1 Strasb.b 2 Strasb.b 3 Strasb.b 4 Strasb.b 5–6
– B 20, 1–3 B 20, 4 B 20, 5–7 B 21, 1–14 – B 76, 1 – B 76, 3 – B 76, 2 –
5) Intermezzo: Wer sind „Wir“? ,μJ >—B = ,μJ; $ &J - C < A C Dμ & D; Wir aber – wer sind „wir“? Jenes Ewige selbst oder das, was sich ihm annähert und in der Zeit wird? Plotin VI 4, 14
An drei Stellen des nunmehr rekonstruierten Textes Physika I 232–330 fanden wir die von der Liebe bewirkte Vereinigungsbewegung nicht mittels des Partizips Neutrum Plural Dμ (= „zusammenkommend“) ausgedrückt, sondern vielmehr mittels der ersten Person Indikativ Plural Dμ („Wir kommen zusammen“)119 bzw. [&]Dμ() (scil. μ< D) ( μD 2 („Wir kommen in die mittleren Orte hinein, um ein Einziges zu sein“).120 An allen drei Stellen müsste das auffällige „Wir“ prima facie im Namen der vier Grundstoffe gesprochen sein, wenn anders die hier vorliegende Modifikation der Vereinigungsformeln nicht das logische Subjekt und die Struktur des Vereinigungsvorgangs verändern soll. Es fragt sich, ob diese auffällige und anscheinend völlig singuläre Ausdrucksweise als sekundäre Verfälschung des Empedokleischen Textes gewertet werden muss, oder ob sie als bereits von Empedokles selbst verwendete Spielart der Vereinigungsformel gelten darf. Syntaktisch scheint der Indikativ dem Partizip in allen drei Fällen vorzuziehen zu sein. Auf die Vereinigungsformel in Physika I 267121 folgt in Physika I 268122 eine Trennungsformel, als deren Prädikat angesichts der Parallelen indikativisches > zu ergänzen ist; dann aber ist auch bei der Vereinigung der Indikativ zu erwarten. In Physika I 287123 ist nicht recht zu sehen, wie der hier von der Formel bezeichnete Vereinigungsvorgang mittels eines Partizips dem unmittelbar vorangehenden Trennungs-Szenario124 subordiniert werden könnte. In Physika I 303–304125 schließlich ist _________ 119 Physika I, Vers 267 (= Strasb.a[i] 6) und Vers 303 (= Strasb.c 3). 120 Physika I, Vers 287 (= Strasb.a[ii] 17). 121 267 = Strasb.a(i) 6: [ D]μH . * Dμ (… kommen wir zu einem Kosmos
zusammen). 122 268 = Strasb.a(i) 7: [
> >]H & 'C 2 (… wuchs er – d.h. der Kosmos des Einen – auseinander, um aus Einem Mehrere zu sein). 123 287 = Strasb.a(ii) 17: [6 @ ] μ< [ &]DμH ( μ[D 2] (Wir kommen ja noch nicht im geringsten in die mittleren (Orte), um ein einziges zu sein). 124 286 = Strasb.a(ii) 16: ["] () "H [) ] D [>H . B ] (und jedes hat, abgeschlagen, einen anderen, ihm eigentümlichen Ort inne).
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zwar in der Simplikianischen Nebenüberlieferung der Stelle (B 20, 2–3 D.K.) das Partizip Dμ bezeugt. Aber gerade an dieser Stelle sind, wie wir sahen, angesichts der anschließend im Indikativ gegebenen Beschreibung der Trennung126 schon lange vor Bekanntwerden des Straßburger Papyrus immer wieder Versuche unternommen worden, um der syntaktischen Kohärenz willen auch in der Beschreibung der Vereinigung konjektural einen Indikativ einzuführen. Deshalb wäre es unmethodisch, den nun vom Papyrus an dieser Stelle gelieferten Indikativ Dμ nicht zu akzeptieren – vorausgesetzt, er lässt sich verständlich machen. Zur Ermittlung einer gedanklichen Parallele für das merkwürdige „Wir“ bedarf es allerdings, wie bereits Martin / Primavesi 1999 gesehen haben, einer μ< . " >, nämlich eines Blicks auf das mythische Gesetz von Befleckung und Reinigung des Gottes (Daimon), das Empedokles in seinem anderen philosophischen Werk, dem Reinigungsgedicht Katharmoi, enthüllt. Dort rechnet Empedokles sich der Schar der Daimones zu, die wegen einer Mordbefleckung aus dem Olymp verbannt werden. Ersten Aufschluss darüber gewährt das Zitat von fünf Empedokles-Versen bei Plutarch, De exilio 607 C–D: A B
) %< 127 Iμ, M @μ D Es gibt ein Orakel der Ananke, einen alten Ratschluss der Götter: 8> μB D128 B J μ@ ,129 wenn einer verbrecherisch mit Mordblut seine Glieder befleckt, –
_________ 125 303–304 = c 3–4: " μ= D DμH . ( # / J ; Mμ
> , B L & μI (Bald, in Liebe, kommen wir zu Einem zusammen allesamt / wir Glieder im Besitz eines Körpers, auf dem Höhepunkt des blühenden Lebens). 126 305–306 = c 5–6, nach der indirekten Überlieferung bei Simplikios B 20, 4–5 D.-K.: " H 8 I μ >H HB , / < " H * A K μJ B (bald wiederum auseinandergeschnitten in üblen Hadern, / wird jedes einzelne getrennt umhergetrieben in der Brandung des Lebens). 127 ) < Plutarch; ) < () Hippolytos; ) < () Simplikios. Akzeptiert man mit Wilamowitz 1929: 633 das zusätzliche vor < , dann muss man es mit Synaloiphe lesen wie in Fr. 17.30 D. 7’ " & B . Dagegen O’Brien 1981: 74 mit n. 3. 128 Bei Plutarch, dem einzigen Zeugen für diesen Vers, ist D überliefert, was bereits in der Plutarchausgabe des Henri Estienne (1572: 1077) zu D emendiert ist. Hier führen die meisten Ausgaben in die Irre. Diels 1901 erweckt ebenso wie schon die Plutarchausgabe von Bernardakis (1891: 572) den Eindruck, dass bei Plutarch D überliefert sei, während die neueren Ausgaben von De exilio – Sieveking 1929: 531, Lacy / Einarson 1959: 568, Hani 1980: 169, Caballero 1995: 78 – zwar die Plutarchüberlieferung korrekt verzeichnen, aber die Lesart D dem Hippolytos zuschreiben, obwohl dieser den Vers gar nicht zitiert. 129 Bei Plutarch ist als letztes Wort des Verses lediglich μ überliefert, was bereits in der Plutarchausgabe des Henri Estienne (1572: 1077): zu μ@ emendiert ist. Diese Emendation ist metrisch und syntaktisch notwendig.
5. Intermezzo: Wer sind „Wir“?
C D E
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Bμ, 1 130 μB131 <132 B, Daimones, die eines lang währenden Lebens teilhaftig sind, – B μ μB : C μ< < , dann solle er dreimal zehntausend Jahreszeiten lang fern von den Seligen irren: M A & F L .μ, 133 ; D A @ . Zu diesen gehöre jetzt auch ich, verbannt fern von Gott und umherirrend.
Die konjekturale Ersetzung von D durch D in Vers B wird durch eine andere Plutarchstelle gestützt: Nach De esu 996 BC spricht Empedokles in allegorisierender Weise von Seelen, die zur Strafe für Morde, Fleischverzehr und Kannibalismus (D A G M A B) in sterblichen Körpern gebunden sind (& > ). Diese Empedokleische Lehre führt Plutarch sodann auf den orphischen Mythos von der Zerstückelung des jungen Dionysos durch die Titanen zurück. Demnach kannte Plutarch eine Textstelle, an der Empedokles die Verbannung der Daimones mit einer mythischen Mordtat begründet hat.
Der Empedokleische Kontext dieser Verse konnte im 19. Jahrhundert in größerem Umfang rekonstruiert werden. Einige der angeführten Verse finden sich nämlich auch an verschiedenen Stellen anderer Autoren zitiert, und zwar jeweils in unmittelbarer Verbindung mit weiteren Versen, die bei Plutarch fehlen. Nimmt man an, dass die Reihenfolge der bei Plutarch zitierten Verse authentisch ist, dann lässt sich der originale Zusammenhang wieder herstellen, indem man vor bzw. nach den von Plutarch zitierten Stammversen jeweils die mit diesen Versen bei anderen Autoren mehr oder weniger fest verbundenen Plusverse einschaltet (B 115 D.-K.):134 A = 1 ) %< Iμ, M @μ D, Es gibt ein Orakel der Ananke, einen alten Ratschluss der Götter Sequenz 2 B > μ> 5 bezeugt135 einen ewigen, mit breiten Eiden versiegelt: B = 3 8> μB D B J μ@ , wenn einer verbrecherisch mit Mordblut seine Glieder befleckt, –
_________ 130 Bμ, 1 die Plutarchhandschriften; μD die Hippolytoshandschrift;
Bμ, 1 Sturz 1805. 131 Der Gen. sg. μB (zu B) bei Hippolytos; die Plutarchhandschriften haben μB. 132 Die Plutarchhandschriften haben die von Empedokles auch sonst (Fr. 102) gebrauchte, hier aber unmetrische Form D ; das korrekte < bei Hippolytos. 133 M A & F L .μ Diels; M A & G .μ Hippolytos; 9 A & F L’ 2μ Philoponos, Asklepios; ? (scil. 3 C) A & F L 2μ die Plutarchhandschriften. 134 Für einen vollständigen, auch über Diels 1901 hinausgehenden Index fontium zu B 115 sei auf O’Brien 1981: 111–115 verwiesen. Zur Verteidigung der gelegentlich bestrittenen Zuweisung des Fragments an die Katharmoi vgl. Primavesi 2007. 135 Hippolytos, Ref. VII 29, 23, p. 310 Marcovich; Porphyrios A L &’ ,μJ Fr. 271F, 23–24 Smith; Simplikios, Phys. 1184, 9–10 Diels.
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4 (entfällt)136 C = 5 Bμ, 1 μB < B, – Daimones, die eines lang währenden Lebens teilhaftig sind, – D = 6 B μ μB : C μ< < , dann solle er dreimal zehntausend Jahreszeiten lang —Sequenz fern von den Seligen irren: bezeugt137 7 Dμ138 J ; D 0 M wobei er sich zu allen möglichen Gestalten der —Sequenz Sterblichen bildet, 8 > D μ< E. bezeugt139 und die schmerzlichen Pfade des Lebens wechselt; 9 .> μ= < μ> D G, denn die mächtige Himmelsluft jagt ihn zur See 10 D ’ & C 8 >, J ’ & 6 < die See spie ihn aus auf den Erdboden; die Erde aber zu den Strahlen —Sequenz 11 +B <μ,140 3 ’ .> )μ B bezeugt141 der unermüdlichen Sonne, die aber warf ihn in die Wirbel der Luft. 12 " ’ & " >, > = <. Einer bekommt ihn vom andern, doch hassen ihn alle.
_________ 136 Unmittelbar vor dem folgenden Vers C (= 5) zitiert Hippolytos, Ref. VII 29, 16; p. 308 Marcovich, die Worte: 4 A ( – ) &B !μ@ &μD . Dabei handelt es sich um eine Adaptation eines Hesiod-Verses über das Vergehen, mittels eines Trankopfers aus der Styx-Quelle einen Meineid zu schwören (Theogonie 793: 5 ? &B B &μD ). Die von Hippolytos zitierte Adaptation dieses Verses an den Empedokleischen Kontext ist aber mit zwei Defekten erkauft worden, die dagegen sprechen, sie auf Empedokles selbst zurückzuführen: Das auf die Styx bezogene ? wurde ersatzlos gestrichen, was den Vers metrisch verstümmelt, und das auf das Trankopfer bezogene B (< B) wurde durch das dubiose !μ@ ersetzt, eine erst seit dem Späthellenismus mögliche Nebenform zu !μG. Ein Empedokleischer Hexameter ist hieraus also nicht zu gewinnen, wie Knatz 1891: 6–7, Wilamowitz 1929: 634 (= 484) und Zuntz 1971: 194–196 festgestellt haben. Anders v. d. Ben 1975: 131–133 und Mansfeld 1992: 218 Anm. 35. 137 Kelsos, % ? D , bei Origenes, Contra Celsum VIII 53, p. 290 Borret. 138 Dμ Stein; μ> die Hippolytoshandschrift; μ> (scil. ? @) in der Adaptation des Kelsos: Will man μ< im folgenden Vers nicht, wie v. d. Ben 1975: 139–140 immerhin erwägt, auf 0 M beziehen, dann muss es als Acc. masc. sing. gedeutet werden, und ein solches Partizip erwartet man dann auch an unserer Stelle. 139 Hippolytos, Ref. VII 29, 17 p. 308 Marcovich. 140 Wilamowitz 1929: 634: „ <μ Plut., > Hippol. Das Vulgäre müßte weichen, auch wenn nicht Plutarchs Text zuverlässiger wäre“. 141 Die Versgruppe B 115, 9–12, die in isolierter Form auch schon Plutarch zitiert, führt Hippolytos, Ref. VII 29, 19 in kurzem Abstand nach den Versen B 115, 7–8 an. Der Sache nach handelt es sich offensichtlich um die Explikation dessen, was in Vers 8 steht: Der verbannte Gott wechselt im Laufe seiner Strafinkarnationen die Pfade des Lebens. Deshalb ist es überzeugend, die vier Verse mit Stein 1852 an dieser Stelle einzuschalten, auch wenn sie keinen der Stammverse enthält. Dagegen Gallavotti 1975: 285–286 und v. d. Ben 1975: 150–151.
5. Intermezzo: Wer sind „Wir“?
E = 13 M A & F L .μ, ; D A @ , Zu diesen gehöre jetzt auch ich, verbannt fern von Gott und umherirrend, 14 B μμ> B. im Vertrauen auf den rasenden Streit.
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—Sequenz bezeugt142
Diese vervollständigte Fassung zeigt, dass Empedokles seinem mythischen Gesetz die Vorstellung von den verschiedenen Inkarnationen eines zur Erde gesandten Gottes zugrundegelegt hat. Das Motiv des irdischen Strafexils eines schuldigen Gottes ist im Apollonmythos beheimatet;143 speziell die eigentümliche Verbindung des Motivs mit einer Inkarnationenfolge ist der pythagoreischen Legende vom hyperboreischen Apollon verpflichtet:144 Diese Legende beglaubigt die Identität des Pythagoras mit Apollon durch den Verweis auf eine Inkarnationenfolge; nach der wahrscheinlich ältesten Fassung war Apollon zunächst in dem Trojaner Euphorbos inkarniert, und später in Pythagoras.145 Zwischen dem in B 115 enthüllten mythischen Gesetz und dem im Straßburger Physika-Papyrus überlieferten „Wir“ besteht nun eine formale Entsprechung: Auch in B 115 rechnet Empedokles sich in überraschender Weise einem übermenschlichen Kollektiv zu. Nach B 115, 13 ist nämlich er selbst einer von den Göttern (B 115, 5: Daimones), die sich mit Mordblut befleckt haben (B 115, 3), deshalb für lange Zeit aus dem Olymp verbannt werden (B 115, 5) und während ihres langen Exils (B 115, 6) eine Folge von Inkarnationen in sterbliche Wesen durchlaufen müssen (B 115, 7–8), zwischen dem Luftraum und der See, der Erde und der Sonne hin und her geworfen wie ein Spielball (B 115, 9–12). _________ 142 Vollständig bei Philoponos, De anima 73, 32–33 Hayduck, De gen. et corr. 266, 4–5
Vitelli, Phys. 24, 20–21 Vitelli; sowie bei Asklepios, Metaph. 197, 20–21 Hayduck. Hinzu kommt das Zitat von 13b–14a bei Hierokles, In carm. aur. XXIV 2, p. 98 Koehler. Schon Plotin, Enn. IV.8.1 zitiert ; D (B 115, 13) im unmittelbaren Zusammenhang mit B μμ> B (B 115, 14), und bei Hippolytos, Ref. VII 29, 15 p. 307 Marcovich dürfte, unmittelbar im Anschluss an das Zitat von 115, 13, die Emendation „B“ <, B, „μμ> B“, J μDμ ., sicher sein: Die Korruptel ist ein klarer Fall von saut du même au même. 143 (Ps.-)Hes., fr. 51–52 und 54 a–c Merkelbach-West; vgl. Text und Übersetzung bei Dräger 1997: 106–112. Zur Echtheitsfrage und zu der von Wilamowitz 1886: 57–77 vorgeschlagenen Rekonstruktion vgl. Lesky 1925: 43–54, West 1985: 69–72 und Dräger 1997. Vgl. auch Aischylos, Hiketiden 214, welcher Vers seit Plutarch Def. orac., 15, 417 E–F, der ihn als Beispiel für die Verbannungen und Knechtschaftsverhältnisse von Göttern zitiert, auf Apollons Dienstjahr bei Admet bezogen wird. 144 Arist., fr. 191 Rose3 (Ael., VH, 2, 26, p. 29, 29–30, 2 Dilts; D. L. 8, 11, I 578, 18–20 Marcovich; Iamb., VP, 140, p. 79, 11–14 Deubner); Burkert 1972: 141–144. 145 Herakleides Pontikos, fr. 89 Wehrli; vgl. Kerényi 1950: 18–19; Burkert 1972: 138–141.
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Doch mit dieser formalen Entsprechung ist der Beitrag, den die Selbstzurechnung des Empedokles zu den Daimones für das Verständnis des „Wir“ zu leisten vermag, noch nicht erschöpft. Sobald nämlich das „Wir“ des Physika-Papyrus in eine, sei es auch nur formale, Beziehung zu den zur Transmigration verurteilten Daimones der Katharmoi gesetzt ist, springt die weitere Tatsache ins Auge, dass Empedokles auch in den Physika selbst von Daimones spricht. Im zweiten Buch der Physika macht er bei der Darstellung der zoogonischen Stufen146 eine zunehmende Vermischung der Daimones für die Entstehung komplexerer Lebewesen verantwortlich (B 59 D.-K.): 1 6; &A ; μJ &μB Bμ Bμ Aber nachdem sich in größerem Ausmaß Daimon mit Daimon vermischte, 2 L< μB, 5 > * fielen diese (scil. Einzelglieder) zusammen, wie sie gerade aufeinander trafen, 3 " C J ; I & >. und außerdem entstanden auch viele andere (scil. von vornherein) zusammenhängende Wesen.
Nimmt man diese physikalischen Daimones mit dem vom Straßburger Papyrus bezeugten „Wir“ zusammen, dann zeigt sich: In den Physika werden, genau wie in dem Katharmoi-Fragment B 115, sowohl Daimones erwähnt als auch ein übermenschliches Kollektiv, dem Empedokles sich selbst zurechnet. Das spricht dafür, dass in beiden Gedichten zwischen den jeweiligen Daimones und dem jeweiligen Kollektiv das gleiche Verhältnis besteht: B 115, 5 (mythische Bμ)
B 115, 13 (M A & F L .μ)
B 59, 1 (physikalische Bμ) =
P.Strasb. (Dμ)
In den Katharmoi sind aber die mythischen Daimones von B 115, 5, d.h. die mordbefleckten Götter, die einer Inkarnationenfolge unterzogen werden, klarerweise identisch mit dem Kollektiv, dem sich Empedokles in B 115, 13 zurechnet. Also müssen, wenn die soeben formulierte Analogie zwischen Katharmoi und Physika tatsächlich besteht, die in den Physika (B 59, 1) erwähnten Daimones mit demjenigen übermenschlichen Kollektiv identisch sein, dem sich Empedokles – ausweislich des Straßburger „Wir“ – in den Physika zurechnet. _________ 146 Vgl. das bereits erwähnte Résumé dieser Stufenfolge bei Aëtios 5, 19, 5; in: Doxographi Graeci 430a21–431a5 Diels (= Empedokles A 72 D.-K.).
5. Intermezzo: Wer sind „Wir“?
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Die Probe aufs Exempel liegt in der Frage, ob sich die in B 59, 1 erwähnten physikalischen Daimones auch der Sache nach in derselben Weise bestimmen lassen wie das mit dem Straßburger „Wir“ angesprochene physikalische Kollektiv. Diese Frage darf bejaht werden, da hier wie dort, d.h. bei den physikalischen Daimones wie beim physikalischen „Wir“, die Gleichsetzung mit den vier Grundstoffen im Zustand partieller Vermischung wahrscheinlich zu machen ist. Was zum einen die physikalischen Daimones von B 59, 1 betrifft, so hat man sie schon lange mit den vier Grundstoffen gleichgesetzt,147 da nur deren zunehmende Vermischung in der in B 59 beschriebenen Weise mit der Herausbildung immer komplexerer Lebewesen korreliert. Überdies kommt in der Bezeichnung der vier Grundstoffe als Daimones auch die strukturelle Parallele zwischen diesen Grundstoffen und den strafweise inkarnierten schuldbefleckten Göttern (Daimones) des Empedokleischen Mythos zum Ausdruck. Für die physikalischen wie für die mythischen Daimones, d.h. für die Grundstoffe in den beiden Übergangsphasen des kosmischen Zyklus wie für die Götter im Kreislauf der Inkarnationen gilt ja gleichermaßen, was in B 21, 13–14 von den Grundstoffen gesagt ist: Nur sie gibt es (6; ; ) L), doch werden sie zu verschiedenartigen Wesen ( B <).148 Allerdings kommt in der Gleichsetzung der physikalischen Daimones von B 59 mit den vier Elementen eine nachdrückliche Perspektivierung zum Ausdruck, wie ein Blick auf das mythische Pendant zeigt. Der mythische Daimon von B 115 befindet sich zum einen in einem gottfernen Exil (B 115, 13), zum andern erscheint er während seiner reinigenden Inkarnationen als Spielball der großen Element-Konzentrationen unserer Welt (B 115, 9– 12: Himmelsluft, See, Erde, Sonne), die ihn hassen,149 und nach B 142 findet dieser Daimon zu bestimmten Zeiten offenbar überhaupt keinen Einlass in den dichtgefügten Häusern von Zeus und Hades (die wiederum in _________ 147 So Zeller / Nestle 1920: 987: “… die Elemente”; Wright 1981: 212. Gegen die von Diels
1901: 129 vorgeschlagene Gleichsetzung der Daimones von B 59 mit Liebe und Streit hat O’Brien 1969: 326–327 mit Recht geltend gemacht, dass zwischen Liebe und Streit ein Konflikt besteht, kein Mischungsverhältnis. Zwar kann das in B 59, 1 D.-K. verwendete Verb &μB („vermischte sich“) an sich auch ein feindliches Handgemenge bezeichnen; aber die Verwendung des Verbs in dieser Bedeutung würde in einem Zusammenhang, in dem es um eine zunehmende Vermischung im eigentlichen Sinn des Wortes geht, äußerst irreführend sein. 148 Das Fragment B 59 besagt also, dass das Erstarken der Liebe eine gesteigerte Verbindung der vier Grundstoffe (= Daimones) untereinander zur Folge hat (B 59, 1), die sich sowohl daran zeigt, dass die zuvor noch isolierten Einzelglieder sich jetzt zu größeren Organismen zusammenschließen (B 59, 2), als auch daran, dass nunmehr auch von vornherein solche größeren Organismen entstehen (B 59, 3). 149 O’Brien 1969: 327.
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dem Physika-Fragment B 6 zu den Personifikationen der vier reinen, göttlichen Elementmassen gehören).150 Der mythische Daimon ist also durch seinen Verbannten-Status charakterisiert und dadurch, dass die homogenen Elementkonzentrationen ihn hassen. Dies kann auch für die Bestimmung der physikalischen Daimones nicht ohne Konsequenzen bleiben. Der mythische Verbanntenstatus legt es nahe, das Dasein der physikalischen Daimones auf die Zeiten außerhalb des Sphairos zu beschränken. Und angesichts des Hasses, mit dem die getrennten Elementmassen den mythischen Daimon verfolgen, artikuliert sich in der Bezeichnung der vier Elemente als physikalische Daimones eine eindeutige Parteinahme für den Vereinigungszustand und gegen den Trennungszustand, wie sie in der neutralen Symmetrie der Zyklusstruktur von Hause aus gerade nicht angelegt ist. Demnach handelt es sich bei den Daimones der Physika um die vier Elemente als Fragmente des göttlichen Sphairos. Was zum andern das physikalische Kollektiv betrifft, dem sich Empedokles mit dem „Wir“ des Straßburger Papyrus zurechnet, so erscheint dieses „Wir“, wie bereits bemerkt, durchweg in Vereinigungsformeln, die sich üblicherweise auf die vier Grundstoffe beziehen. Mithin bleibt in der hier vorliegenden Modifikation der Vereinigungsformeln deren Grundbedeutung nur dann bewahrt, wenn man das „Wir“ mit den vier Grundstoffen gleichsetzt. Doch wird auch durch das „Wir“ wieder eine Perspektivierung zum Ausdruck gebracht. Zwar sind die vier Elemente nach Empedokleischer Lehre in der Tat dasjenige, was an uns, wie an allen Lebewesen, tatsächlich „ist“. Andererseits aber geben sie sich, wann immer der Streit sie aus den von der Liebe geschaffenen heterogenen Verbindungen herausgelöst hat, dem Streben des Gleichen zum Gleichen hin.151 Sofern die Elemente von dem Bestreben erfüllt sind, heterogene Verbindungen zu verlassen, ist es unplausibel, sie als Gemeinschaft zu betrachten, geschweige denn als eine Gemeinschaft, der sich ein menschlicher Sprecher (der ja eine heterogene Verbindung darstellt) selbst zurechnen kann. Vielmehr kann der Sprecher sich nur dann in den vier Elementen wiederfinden, wenn er nicht nur sich selbst als partielle Verbindung dieser Elemente versteht, sondern auch die Elemente insgesamt als Teile einer potentiellen Verbindung begreift, d.h. als Fragmente des Sphairos. Die durch die Parallele des Katharmoi-Mythos zunächst strukturell nahegelegte Gleichsetzung der physikalischen Daimones mit dem physikalischen „Wir“ wird demnach inhaltlich dadurch bestätigt, dass beide aus je unabhängigen Gründen als die vier Grundstoffe zu bestimmen sind, sofern _________ 150 Primavesi 2003. 151 Vgl. B 62, 6: > C 5μ />, sowie B 110, 9: M 6M > B
&A > />.
5. Intermezzo: Wer sind „Wir“?
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man sie als Fragmente des Sphairos betrachtet. Das Verhältnis zwischen physikalischen und mythischen Daimones ist mithin wie folgt zu bestimmen: Die Identität der schuldbefleckten Götter im Durchgang durch die reinigenden Inkarnationen ist das mythische Pendant zur Persistenz der vier Grundstoffe, die in den beiden Übergangsphasen des kosmischen Zyklus von der Liebe zu immer neuen kurzlebigen Organismen verbunden werden. Im Sinne dieser Korrelation hat sich Empedokles nicht nur, auf der mythischen Ebene des Katharmoi-Gesetzes, dem Kollektiv der schuldbefleckten Götter zugerechnet (= Daimones im Sinne von B 115), sondern auch, auf der physikalischen Ebene, dem Kollektiv der vier als Fragmente des Sphairos betrachteten Grundstoffe (= Daimones im Sinne von B 59). Damit ist das „Wir“ des Straßburger Physika-Papyrus aus seiner vermeintlichen Isoliertheit herausgetreten und in folgendes Beziehungsgefüge eingerückt: Die exilierten Götter des KatharmoiMythos
Die Elemente als Fragmente des göttlichen Sphairos
– werden Daimones genannt (B 115, 5)
– werden Daimones genannt (B 59, 1)
– gehen in eine Reihe sterblicher Wesen ein (B 115, 7–8)
– gehen in eine Reihe sterblicher Wesen ein (B 21, 13–14)
– bilden ein Kollektiv, dem sich der Sprecher selbst zurechnet (B 115, 13)
– bilden ein Kollektiv, dem sich der Sprecher selbst zurechnet („Wir“ in Physika I 267, 287 und 303)
Der Unterschied zwischen Mythos und Physik tritt an der Individualität derer zutage, die im Mythos und im kosmischen Zyklus jeweils durch eine Reihe sterblicher Wesen hindurchgehen, und ebenso an der Individualität der davon jeweils betroffenen sterblichen Wesen. Der Daimon des Mythos ist in dem Sinne ein Individuum, dass er einer persönlichen Schuldbefleckung fähig ist, von der dann er, im Gegensatz zu den nicht befleckten Göttern, mittels der Inkarnationen in eine Reihe sterblicher Wesen gereinigt werden muss, bevor er an die Tafel der Seligen zurückkehren darf. Als einer dieser individuell schuldbefleckten Daimones gibt sich, auf der mythischen Ebene, auch Empedokles selbst zu erkennen; dadurch unterscheidet er sich, wie der als inkarnierter Apollon betrachtete Pythagoras der Legende, von den gewöhnlichen Sterblichen. Auf der physikalischen Seite hingegen erscheinen als Träger der Kontinuität unmittelbar die vier Elemente. Wenn Empedokles, mittels des „Wir“ der Physika, in ihrem Namen spricht, dann hebt er sich dadurch nicht etwa von den übrigen kurzlebigen Einzelmischungen ab, im Gegenteil: Er überspringt damit unbedenklich die Individualität, die ihn und alle anderen
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Archiv für Papyrusforschung, Beiheft 22, 2008
Mischungen voneinander trennt. Diese Individualität erscheint hier lediglich als ein Hindernis, als eine der Macht des Streites zuzuschreibende Privation, die das „Wir“ einstweilen noch daran hindert, sich wieder voll und ganz zum Sphairos zusammenzuschließen. An dieser vergleichsweise schlichten Lösung des durch das „Wir“ des Straßburger Physika-Papyrus aufgeworfenen Problems sind Martin / Primavesi 1999 vorbeigegangen. Zwar haben sie durchaus gesehen, dass dem in den Katharmoi formulierten Gesetz über die schuldbefleckten Daimones für die Lösung des Problems eine Schlüsselrolle zukommt. Doch sind sie darin über das Ziel hinausgeschossen, dass sie die mythischen Daimones von B 115 umstandslos mit den physikalischen Daimones von B 59 gleichgesetzt haben (statt sich auf die Annahme einer Analogie zu beschränken); aufgrund dieser Gleichsetzung waren sie dann genötigt, die Deutung des „Wir“ mit der dubiosen Annahme einer physikalischen Formel für die transmigrierenden Daimones von B 115 zu belasten.152 Nun zieht sich zwar die spekulative Bemühung um eine solche Formel wie ein roter Faden durch die britische Empedokles-Forschung: So dachte Francis Macdonald Cornford an ein Quantum Liebe, das, im unreinen Zustand der Inkarnation, mit einem Schuss Streit kontaminiert ist und das die in dem betreffenden Lebewesen jeweils vorliegende Elementverbindung sichert;153 nach Jonathan Barnes hätte Empedokles sich den transmigrierenden Daimon als eine besonders stabile Verbindung aller vier Grundstoffe gedacht, die bereits vor ihrer Inkarnation in sterbliche Wesen bestand und die die wechselvollen Inkarnationen im Kern unbeschadet überdauert.154 Doch ist gegen solche Spekulationen darauf zu insistieren, dass es für die biophysikalische Hypothese partikularer Individuen, die durch mehrere Inkarnationen hindurch ihre personale Kontinuität bewahren, in der reichen Überlieferung zur Empedokleischen Physik nicht den geringsten Anhaltspunkt gibt. Deshalb erscheint es als flagranter Verstoß gegen das principle of charity, die Empedokleische Physik mit einer Transmigrationshypothese zu belasten, die derart ungereimt ist155 und insbesondere derart schlecht zu einem zentralen Lehrstück
_________ 152 Vgl. Martin / Primavesi 1999: 90–95 im Anschluss an die ebenda 83–86 referierten Hypo-
thesen von Cornford 1926 und O’Brien 1969. 153 Cornford 1926: 569: „It is possible, by an effort of imagination, to picture the soul as a portion of Love, contaminated, in the impure embodied state, with a portion of Strife, and to identify it with the numerical proportion, ratio, or harmonia of the elements, considered as an organizing principle capable of passing from one compound to another, and holding them together“. 154 Barnes 1982: 500: „Let us replace the term ‘daimôn’ by ‘person’, its nearest English equivalent. Persons are long-lived: they are created fairly early in the cosmic cycle, and destroyed or decomposed fairly late. They are essentially corporeal, being tightly-knit elemental compounds … In their original state, persons are not human in form … In their original state, persons have some sort of social life. The punishment for moral transgression is severe: the person is obliged to take on human, animal and vegetable forms to become a man, a horse, a marrow. Throughout these transmogrifications it remains a person, and the same person“. 155 Dies räumen Cornford und Barnes ausdrücklich ein. Vgl. Cornford 1926: 569: „To the modern mind the confusion and inconsistency of such a complex image is so patent that we can only by a strong effort hold its components together.“ Barnes 1982: 501: „The account is doubtless implausible: Empedocles does not tell us how to identify a daimôn, or how to trace a daemonic substance from one mortal form to another; and if it is possible to think of ways in which this hypothesis might become scientifically testable, it is hard to think of a way which would not also
5. Intermezzo: Wer sind „Wir“?
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dieser Physik stimmt, nämlich zur restlosen Zurückführung allen biologischen Werdens und Vergehens auf die Mischung und Entmischung der vier Grundstoffe. Ganz zu schweigen davon, dass ein weiteres Element des in den Katharmoi mitgeteilten Mythos von den schuldbefleckten Göttern, nämlich die Veranlassung der Inkarnationenfolge durch die Bluttat der Daimones, jedem Versuch einer Explikation in physikalischen Begriffen Hohn spricht.
_________ lead to speedy refutation. But that is only to say what everyone believes: that transmigration does not happen. “
6. Zur Darstellung des kosmischen Zyklus in B 35 und in Strasb.d + f(ii) Das nach Abschluss des didaktischen Exkurses in B 35, 1–5 Diels-Kranz aufgestellte Programm, d.h. die Anknüpfung an und Weiterführung von Physika I 288–290, wird in den verbleibenden Versen 6–17 des Fragments B 35 durch eine Schilderung des Wirkens der Liebe in der Periode ihrer Herrschaft eingelöst: Sie verdrängt den Streit zunehmend an die Peripherie des Universums und schafft durch eine zunächst partielle Vereinigung der getrennten Grundstoffe eine Fülle von Lebewesen: B 35, 6
B 35, 7 B 35, 8 B 35, 9
B 35, 10
B 35, 11
B 35, 12 B 35, 13 B 35, 14
B 35, 15 B 35, 16 B 35, 17
0 !, 5 μ5 6μC ! !. nicht auf einmal, sondern willig zusammentretend das eine von hier, das andre von da. H 8 μ μ8 FC $ μ< H. Aus dieser Mischung nun ergossen sich unzählige Scharen sterblicher Wesen. 5 C !μC $ μ8 #6, Vieles aber steht noch ungemischt zwischen dem sich Mischenden, /C $ F $ μ6· 0 5 μμ8 soviel noch der Streit in der Schwebe befindlich zurückhielt. Denn nicht tadellos H B #8 #C $ 8μ @, hat er sich aus jenen gänzlich heraus an die äußersten Grenzen des Kreises gestellt, 5 5 μ8 C #8μμ μ8 5 8 C #:. sondern ein Teil seiner Glieder blieb noch drinnen, ein anderer war schon hinausgeschritten. / C *7 18, > *7 #: Um wieviel er nun stets vorweg lief, um soviel rückte stets heran %> > μμ8 !μ .μ:. der untadeligen Liebe mildgesinnter unsterblicher Drang. , 7 :C #@, 5 ; μ6 6C ,, Schnell aber erwuchsen zu sterblichen Wesen sie, die früher unsterblich zu sein gelernt hatten, 6 5 ; ! 6 @. und zu gemischten, die vordem ungemischt waren, im Wechsel der Pfade. H 8 μ μ8 FC $ μ< H, Aus dieser Mischung nun ergossen sich unzählige Scharen sterblicher Wesen. < * 8 >, Gμ * 8. in mannigfaltige Formen gefügt, ein Wunder zu schauen.
6. Zur Darstellung des kosmischen Zyklus in B 35 und in Strasb.d + f(ii)
59
In die Fortsetzung dieses Berichts gehört nun auch das Ensemble Strasb.d) des Straßburger Papyrus. Dies ist allerdings nicht auf den ersten Blick zu sehen, da das Ensemble mitten in einem, diesmal apokalyptischen Exkurs einsetzt. Dieser Exkurs muss schon in der vorangehenden Kolumne begonnen haben und enthält einen Ausblick auf den künftigen Zerfall der Lebewesen, einschließlich des berühmten Reuerufs Strasb.d 5–6 (= B 139 D.-K.), der früher in der Regel den Katharmoi zugewiesen wurde. Der erhaltene Schluss des apokalyptischen Exkurses füllt die ersten neun Verse von Strasb.d): d1 d2 d3 d4 d5 d6 d7 d8 d9 d 10
(den Gliedmaßen wird beschieden sein) [!] C C :[] 8[] ; [>]μ #F abgetrennt auseinander zu stürzen und ihr Geschick zu vollenden, [>]C μ8[] [] [< 2] D wobei sie höchst unfreiwillig unter schmerzlichem Zwang [ ][μ]8 < C #[]9 [&μF] $ verwesen. Bei uns aber, die wir gegenwärtig die herrliche Liebe haben, ["] 6 6 ['
8]. werden schon bald Harpyen mit Todeslosen sein. +μ /() 0 > μ A 7 (μ, Weh mir, dass mich nicht vernichtet hat der unentrinnbare Tag, ; F 8C $ B 8 μ < bevor ich mit meinen Klauen schändliche Werke Fraßes halber verüben konnte! [G ]7 μ6 [ #] H >[ 8 ] 6 Jetzt aber habe ich mir in diesem Nass vergeblich die Wangen benetzt; [#]@μ[ 5] [8 F], -E, denn wir werden zum Wirbel mit den vielen Tiefen kommen, wie ich glaube, [μ< () 0] #8 8[ ! ] μH und unzählige Schmerzen werden gegen ihren Willen im Gemüt haben [ A] (die Menschen).
Die ersten drei Verse lassen sich prima facie auf zwei Weisen verstehen, zum einen als Ausblick auf den gewöhnlichen Tod, wie er den Menschen der Gegenwart bevorsteht, zum andern als Ausblick auf ein weiter fortgeschrittenes Stadium der gegenwärtigen Zoogonie, nämlich auf die von O’Brien156 erschlossene Endphase (IVa) der zunehmenden Herrschaft des Streites, in der die Lebewesen bereits bei lebendigem Leibe zu Einzelgliedern zerfallen.157 Zwar hat sich gezeigt, dass die von O’Brien vorgeschlagene Beziehung der Verse I 302–308 (= B 20 D.-K.) auf die erschlossenen _________ 156 O’Brien 1969: 218–227. 157 Martin / Primavesi 1999: 264–266.
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Archiv für Papyrusforschung, Beiheft 22, 2008
Endphasen (IIa und IVa) beider Zoogonien mit dem Simplikianischen Zitatkontext nicht gut zu vereinbaren ist. Doch mit dem Beginn von Strasb.d) steht es offenbar anders: In den Versen d 1–3 ist von Teilen die Rede, die zunächst voneinander getrennt werden und auseinander stürzen, um dann, für sich, ihr Geschick zu vollenden, indem sie verwesen. Da weder von integralen Lebewesen noch von den Elementen gesagt werden kann, dass sie zunächst aus einer Verbindung herausfallen und dann für sich verwesen, scheint im vorliegenden Fall die Beziehung auf die von O’Brien erschlossene Endphase der Zoogonie des Streites den Vorzug zu verdienen. Erst in Vers Strasb.d 10 kehrt Empedokles dann zu dem zuvor (in einem nicht erhaltenen Textabschnitt) eingeführten Hauptthema zurück: zum zentrifugalen Aufstieg des Feuers, das nach der Zerstörung des Sphairos im Zuge der kosmischen Elemententrennung an die Erdoberfläche dringt und dabei Lebewesen mit sich führt, die als „leiderfüllte Mischungen“ bezeichnet werden (Strasb.d 10–14): d 10 d 11 d 12 d 13 d 14
[ &]μF 7 > #[:μ]C 3 … Wir aber wollen wieder in die Darlegungen eintreten, [< .>] 9 @ [ ]μ= : (nämlich in jene:) Als sich die unauslöschliche Flamme einstellte [ ] 6 []:μ[] B, … nach oben bringend die viel-leidende Mischung, [ 9 > H] 6μ A[ ] damals also … wurden erzeugende Wesen geboren, [ , H ]G $ < 8 )A. … deren Überbleibsel noch jetzt die Morgenröte sieht.
Dass auch die letzten Verse des Ensembles, d.h. Strasb.d 15–18, in diesen kosmologischen Zusammenhang gehören, ist gegen Martin / Primavesi 1999: 315–316 mit Recht betont worden:158 In diesen Versen wird nämlich beschrieben, wie sich der Aufstieg des (womöglich zunächst noch mit Luft vermischten) Feuers bis an die Peripherie der Welt fortsetzt und weitere Lebewesen, darunter offenbar Vögel, hervorbringt. Den Text der Verse hat Janko 2004 in plausibler Weise mit den in Strasb.f(ii) 1–4 erhaltenen Zeilenanfängen verbunden. Auf dieser Grundlage ergibt sich folgende Minimalrekonstruktion (Strasb.f(ii) 1–4 + d 15–18): f(ii) 1 + d 15
/[ C *8 μμ]; > #6[ ]D Doch wenn sie (die Flamme), mit Luft vermischt, an den äußersten Ort kommt,
_________ 158 Trepanier 2003: 16–18; Janko 2004: 7–8.
6. Zur Darstellung des kosmischen Zyklus in B 35 und in Strasb.d + f(ii)
f(ii) 2 + d 16 f(ii) 3 + d 17 f(ii) 4 + d 18
61
9 >[ ] D ; D da … mit Kreischen und Schreien, [< ]μH > mit unermesslichem. … ein Versteck findend >[ C ]3 ; A. und Futter … ringsum Erde.
Hiernach bricht das Ensemble Strasb.d) ab; doch sind in Strasb. f(ii) 5–8 noch die Anfänge der vier folgenden Verse erhalten, die möglicherweise ein Schmiedegleichnis enthielten: f(ii) 5 f(ii) 6 f(ii) 7 f(ii) 8
4 C [.> x ] Doch wie wenn … [? x ] ein Schmied … [ x] … [ x] …
Die im Hauptteil von Strasb.d) in Verbindung mit Strasb.f(ii) enthaltene Schilderung des Feueraufstiegs und der damit verbundenen Zoogonie gehört eindeutig in eine chronologische Darstellung der kosmischen Ereignisse nach der Zerstörung des Sphairos. Über die Lokalisierung des aus Strasb.d) und Strasb.f) gebildeten Kontinuums II kann nun aber nur der Inhalt dieses Hauptteils entscheiden, nicht etwa der Inhalt des am Anfang von Strasb.d) beendeten apokalyptischen Exkurses.159 Daher kann Strasb. f(i) + d) + f(ii) erst nach dem Fragment B 35 eingereiht werden, mit dem der erste, didaktische Exkurs geschlossen und die chronologische Darstellung der kosmischen Ereignisfolge wieder aufgenommen wird: Kontinuum I
Kontinuum II
didaktischer Exkurs
Phys. I 232–290 [Phys. I 291–330 … B 23 … B 26] B 35 … Strasb.f(i) + d) +f(ii)
Zu klären bleibt der Übergang von B 35 zu Kontinuum II bzw., da die in Strasb.f(i) erhaltenen Zeilenenden inhaltlich nichts ausgeben, zu Strasb.d). Die nächstliegende Lösung dieses Problems haben Martin / Primavesi 1999 übersehen.160 Zwar kann Strasb.d) nicht unmittelbar auf B 35 gefolgt sein: Die in Strasb.d 11–18 beschriebene zentrifugale Aufwärtsbewegung des _________ 159 Daran scheitert der von Janko 2004 unterbreitete Vorschlag, Strasb.d) in der (mit Phys. I
331 beginnenden) zweiten Kolumne nach Strasb.a(ii) einzureihen. 160 Vgl. Martin / Primavesi 1999: 110–111.
62
Archiv für Papyrusforschung, Beiheft 22, 2008
Feuers ist eine Folge der Zerstörung des kosmischen Einheitszustandes (Sphairos); sie kann daher nicht ohne weiteres an die in B 35 enthaltene Darstellung der universellen Vereinigungsbewegung angeschlossen werden, die ja zum Sphairos allererst hinführt. Aber deswegen ist man noch lange nicht dazu gezwungen, das Ensemble Strasb.d) in das zweite Buch der Physika zu versetzen161 und es an die erneute Beschreibung der vom aufsteigenden Feuer an die Erdoberfläche gebrachten Lebewesen (B 62) anzuschließen, die dort im Zusammenhang eines Überblicks über das Schicksal des organischen Lebens im Lauf des Zyklus steht. Vielmehr erscheint die Annahme einer so großen Textlücke zwischen den einzelnen Ensembles nicht nur als unplausibel,162 sondern sie ist auch überflüssig: Die im ersten Buch der Physika gegebene und in B 35 D.-K. erhaltene Darstellung der kosmischen Vereinigungsbewegung muss lediglich bis zur Herstellung des Sphairos und seiner Zerstörung weitergeführt werden; dann steht dem Anschluss von Strasb.d) und damit seiner Zuweisung an das erste Buch nichts mehr im Wege. Dafür, dass Empedokles die detaillierte Darstellung des kosmischen Zyklus tatsächlich, wie durch den Befund des Papyrus nahegelegt, mit dem extremen Trennungszustand einsetzen ließ, dann über die Vereinigungsbewegung unter der Herrschaft der Liebe zum Sphairos überging, bevor er schließlich unsere Welt zunehmender Trennung unter der Herrschaft des Streits beschrieb, – dafür gibt es ein gewichtiges, bisher in der EmpedoklesForschung noch nicht beachtetes Zeugnis. In seinem (nur fragmentarisch erhaltenen) Kategorienkommentar bezeugt Alexander v. Aphrodisias für die Empedokleische Darstellung ausdrücklich die Reihenfolge: (I.) Vier Elemente (F ) – (II.) Zunehmende Vereinigung bis zur Absorption durch den Sphairos (>μ ; * @ … = = F
6μ) – (III.) Entstehung der uns bekannten sinnlich wahrnehmbaren Welt im Anschluss an die erneute Durchdringung der Elemente durch den Streit (F 7 6 > ... 5 1= 9 + #μ<), und beruft sich auf sie, um die eigenwillige Reihung: Quantität – Relation – Qualität in den Kapiteln 6–8 der Aristotelischen Kategorienschrift zu rechtfertigen.163 Mithin ist nach B 35 zunächst die Beschreibung des Sphairos (B 27 – B 29 D.-K.), dann die seiner Zerstörung durch den Streit (B 30 – B 31 D.-K.) einzureihen und schließlich die (verlorene) erste Erwähnung des aufsteigenden Feuers mit der Eröffnung des neuerlichen, diesmal apokalyptischen _________ 161 So Martin / Primavesi 1999: 283–284. 162 Janko 2004: 2–3. 163 Der Text vorläufig bei Ebbesen 1987: 310; Ebbesens Emendationen sind nicht notwendig.
Der Hinweis auf das Fragment ist Dieter Harlfinger zu verdanken.
6. Zur Darstellung des kosmischen Zyklus in B 35 und in Strasb.d + f(ii)
63
Exkurses, der wie der erste, didaktische Exkurs den Beginn einer der beiden Übergangsperioden des Zyklus markiert. Hieran kann dann Strasb.d) + f(ii) anschließen, während die erhaltenen Zeilenenden von Strasb.f(i) bereits in der vorangehenden Eröffnung des apokalyptischen Exkurses zu stehen kommen: Kontinuum I
Kontinuum II
didaktischer Exkurs
Phys. I 232–290 [Phys. I 291–330 … B 23 … B 26] B 35 … B 27–31 … Strasb.f(i) + d) + f(ii)
Aufs Ganze gesehen gruppieren sich mithin die beiden Kontinua I und II jeweils um einen der beiden großen Ausrisse aus der Kragenunterlage, d.h. um die Ensembles Strasb.a) und Strasb.d). Das Ergebnis der Rekonstruktion wird abschließend in einem Lesetext noch einmal vor Augen geführt.
7. Text Kontinuum I, Kolumnen 1–4 (= Physika I 232–330) (Tafel I) 232
S\ .O$· N μN L 0 CQ μU >
B 17 D.-K.:
(B 17, 1)
Zweifaches werde ich sagen; denn einmal erwuchs Eines, um ein Einziges zu sein
Erstes Stück
233
. U$, N \ G O! O\ . /T > .
des Simplikios
(B 17, 2)
aus Mehrerem, ein andermal spross es wieder auseinander, um Mehrere aus Einem zu sein.
234
P N b O, P \ &U#·
(B 17, 3)
Doppelt ist die Generation der sterblichen Wesen, doppelt auch ihre Abnahme.
235
P μN L M$ W164 S \ ?O ,
(B 17, 4)
Denn die eine (Generation) wird durch die Vereinigung Aller gezeugt und zerstört,
236
5 N M ! μO$ !_ 165 O.166
(B 17, 5)
die andere wurde, während sie wieder auseinander sprossen, zunächst genährt, um dann zu zerstieben.
237
R a\ &M μN C μL Q,
(B 17, 6)
Und diese lassen niemals ab vom beständigen Wechsel,
238
) μN U "Uμ\ ; 0 * ,
(B 17, 7)
indem sie bald durch die Liebe insgesamt zum Einen zusammenkommen,
239
) \ G S"\ 2 !Wμ S 1".
(B 17, 8)
bald auch wieder jedes für sich bewegt wird vom Hass des Streites.
240
<F$ 9 μN 0 . U$ μμM !W >167
(B 17, 9)
Sofern es also gelernt hat, Eines aus Mehrerem zu bilden,
der Zitatserie
_________ 164 235: W Martin / Primavesi; W Simplikios. 165 236: !_ Panzerbieter; !_ (bzw. !_ ) die Simplikiosüberlieferung. 166 236: O Scaliger; O die Simplikiosüberlieferung. 167 240 wurde an dieser Stelle von Bergk 1836: 203 = 3 eingefügt. Diese Einfügung haben
Martin / Primavesi und Janko rückgängig gemacht.
7. Text
241
4N168 M !W /T O\ .O ,
(B 17, 10)
und aus dem Einen, wenn es wieder auseinander spross, Mehrere entspringen,
242
] μN S S R E ! 1μ ;Y·
(B 17, 11)
insofern werden sie und haben keine beständige Lebenszeit;
243
9 N M μN C μL Q,
(B 17, 12)
sofern sie aber vom beständigen Wechsel niemals ablassen,
244
W \ ;N 1 &S169 L W.
(B 17, 13)
insofern sind sie stets unveränderlich im Kreislauf. –
245
&\ ) μW$ a· μM M !O E·
(B 17, 14)
Aber auf: Höre auf meine Worte! Denn Lernen wird dir den Verstand mehren.
246
I L R R 1 ! W$ S μW$,
(B 17, 15)
Wie ich nämlich schon zuvor bemerkte, als ich die Eckpunkte meiner Worte offenlegte,
247
S\ .O$· N μN L 0 CQ μU >
(B 17, 16)
werde ich Zweifaches sagen; denn einmal wuchs Eines heran, um ein Einziges zu sein,
248
. U$, N \ G O! O\ . /T > ,
(B 17, 17)
aus Mehrerem, ein andermal spross es wieder auseinander, um Mehreres aus Einem zu sein:
249
a R F$ R _ R 4O ) F#,
(B 17, 18)
Feuer und Wasser und Erde und die unermessliche Höhe der Luft,
250
_U \ CUμ S" b, &M 'M,
(B 17, 19)
und der verfluchte Streit: getrennt von diesen, aber sie überall aufwiegend,
251
R U . _, < μ]U M ·
(B 17, 20)
und die Liebe: in ihnen, und mit ihnen nach Länge und Breite gleich.
252
P V U$ O , μ\ Aμμ 9 Y·
(B 17, 21)
Sie betrachte mit Vernunft (und sitze nicht da mit staunender Miene),
253
7 R _ μS 1μ! ),
(B 17, 22)
sie, von welcher auch die Sterblichen annehmen, dass sie ihren Gliedern eingewachsen sei,
_________ 168 241: 4O Karsten, Diels; 9 O Simplikios; 9 O Martin / Primavesi, Janko. 169 244: &S Beck, Janko.
65
66
Archiv für Papyrusforschung, Beiheft 22, 2008
254
] !S !O R )μ 1 a,
(B 17, 23)
und durch welche sie Zuneigung empfinden und Handlungen der Vereinigung ausführen,
255
W O .Y μ 4\ \!S·
(B 17, 24)
wobei sie sie mit Beinamen „Freude“ nennen und „Aphrodite“.
256
P E μL _ /μO M
(B 17, 25)
Dass sie es ist, die unter jenen sich hin und her wendet, weiß kein
257
T &Q· V \ ) U U C & U.
(B 17, 26)
sterblicher Mann. Du aber höre des Gedankens untrüglichen Weg!
258
a L >M M R 7 O 1 ,
(B 17, 27)
Diese sind nämlich alle gleich groß und gleich alt an Abstammung,
259
μ] \ ) ) μO, M \ 8 /M$,
(B 17, 28)
doch jedes von ihnen verfügt über ein anderes Ehrenvorrecht, jedes hat seine besondere Art;
260
. N μO O μO "U.
(B 17, 29)
wenn aber die Reihe an sie kommt, dann sind sie an der Macht, im Umlauf der Zeit,
261
R T _ E\ ) .S 170 C\ &Q·
(B 17, 30)
Und außer diesen kommt weder etwas hinzu, noch vergeht etwas.
262
< L .!S μO, C ( 1\ 8 ·171
Strasb.a(i)
(B 17, 31
Wenn sie nämlich in einem fort vergingen, dann würden sie nicht weiterhin da sein.
beginnt
= a(i) 1)
263
a \ . Q T [ S R U .U
(B 17, 32 = a(i) 2)
Und weiter: Was könnte wohl das All vermehren? Und woher gekommen?
264
] O & U,172 .R b\ CN .]μ;173
(B 17, 33 = a(i) 3)
Wohin könnte es wohl völlig verschwinden, da doch nichts von diesen leer ist?
265
&\ E\ . a , \ &Q$ 174 O
(B 17, 34 = a(i) 4)
Vielmehr haben allein diese Bestand: Indem sie durcheinanderlaufen,
266
dS ) ) R 4Ne ;N @μ_ .
Simplikios
(B 17, 35
werden sie einmal dieses, einmal jenes, und immerfort ähnliches.
unterbricht
= a(i) 5)
seine Zitatfolge
_________ 170 261: ) \ .S Janko. 171 262: < Janko; < Diels, Martin / Primavesi. – C ( 1\ Papyrus; CO\ ( die
Simplikiosüberlieferung. 172 264: & U (ionische Krasis) Martin / Primavesi; 4 U (westgriechische Krasis) Diels; ( R) ] &U die Simplikiosüberlieferung. 173 264: .]μ Martin / Primavesi, Janko; 1μ Diels. 174 265: Papyrus; O Simplikios, Trépanier.
7. Text
267
[
"U]μ\ ; 2 Uμ,175
[
O! O]\ . /T > ,176
… kommen wir zu einem Kosmos zusammen,
(a(i) 6)
268
67
… wuchs er auseinander, um aus Einem Mehrere zu sein,
(a(i) 7)
269
. K M\ B \ 8 B \ 1\ B \ 1\ ?S$177
(a(i) 8)
aus denen alles besteht, was war, was ist und was künftig sein wird:
270
OM \ .M R &O 4N _,178
Aristot.
(a(i) 9)
Bäume entsprossen sowie Männer und Frauen,
Met. B 4
271
]O \ ;$S R D Oμμ ;"a
1000a
(a(ii) 1)
und Wildtiere und Vögel sowie wassergenährte Fische
29–32
272
S R " S$ μ][ !O.]179
(a(ii) 2)
und auch Götter, langlebige, an Ehren reichste.
273
[.] ]180 \ &^ [ μ]N C[ μL Q]
(a(ii) 3)
In ihr (?) hören sie niemals auf, fortwährend zu rasen
274
[] ] S[ ]
(a(ii) 4)
in dichten Strudeln …
275
[]$μO, CO [\
(a(ii) 5)
unablässig; und niemals …
276
[]R \ ;b U[
(a(ii) 6)
erst noch viele Lebensspannen …
277
[R] W$ μ ] [
(a(ii) 7)
bevor sie aus diesen übergehen …
278
[M] \ &^[] μ[N C μL Q]
(a(ii) 8)
Allseits fortwährend zu rasen hören sie niemals auf.
] . [ x ]
x ]
x ]
x ]181
_________ 175 267: "U]μ\ Papyrus (1. Hand); "U]μ\ Papyrus (2. Hand); [&\ . μN U "U]μ\ ; 2 Uμ Martin / Primavesi, Janko. [ R . μN U "U]μ\ ; 2 Uμ Trépanier, wobei das spondeisch gemessene R . am Versanfang metrisch nicht befriedigen kann. 176 268: [. \ 3" M O! O]\ . /T > Martin / Primavesi, Janko; [. N U$ ! Uμ O]\ . /T > Trépanier; doch hatten Martin / Primavesi bewusst davon abgesehen, die von Empedokles genau für die zweite Vershälfte konzipierte Formel O! O\ . /T > (vgl. die Verse 233 und 248) hier durch die Einführung des Partizips in der Weise auf die erste Vershälfte übergreifen zu lassen, dass dem Vers die Mittelzäsur abhanden kommt. 177 269: 1\ Papyrus; 1 Aristoteles. 178 270: Diesen Vers hat Trépanier wohl nur versehentlich ausgelassen. 179 272: Aristoteles zitiert den Vers nur bis " S$, der Vers-Schluss ist nach Vers 320 ergänzt. 180 273: [M] Trépanier, was für den zur Verfügung stehenden Raum etwas zu lang scheint; vgl. Martin / Primavesi 1999: 189–190. Als Bezugspunkt für [.] ] haben Martin / Primavesi am Anfang von Vers 268 . \ 3" ergänzt. 181 277: [R] W$ μ ] [ . 1 μ S b (?)] Trépanier.
68
Archiv für Papyrusforschung, Beiheft 22, 2008
279
[E] L 4O [] [
(a(ii) 9)
Denn weder die Sonne…
280
[@]μP ] Oμ [
(a(ii) 10)
der von dieser erfüllte Andrang …
281
[E] b )$
x ]182
x ]183
x ,]184
(a(ii) 11)
Noch eines von den anderen …
282
[&]L μ M[\ &^] W$ ['M]185
(a(ii) 12)
Sondern wechselnd stürzt es im Kreis überallhin. Die vier umeinander rotierenden reinen Elementmassen
283
[&]N μN L _( ) [&]M O 4O[W ] 186
(a(ii) 13)
Denn zu einer Zeit läuft die Erde, unbegehbar, und der Sonne
284
[! _ ,] U P [S ] .\ &M [μQ ]187
(a(ii) 14)
Sphäre, so groß, wie sie auch jetzt von den Männern zu erschließen ist;
285
[J \ ]E$ M[ ]M \ &Q$ [ μU ,]188
(a(ii) 15)
Genauso verhalten sich all diese (Elemente), nachdem sie durcheinandergelaufen sind,
286
[)] () )\ [1"] U ["O\ ;S ]189
(a(ii) 16)
und jedes hat, abgeschlagen, einen anderen, ihm eigentümlichen Ort inne:
_________ 182 279: [E] L 4O [ ( )] [ , E Q Janko. 183 280: @]μ]<> ] Oμ [ ’ 4N !W ’ &Q Janko. 184 281: E] b )$ [μO 1μ C b )$ Janko. 185 282: μ M[ ]_ W$ [---] Trépanier, was für die Lücke entschieden zu
lang ist. – ['M] Martin /Primavesi (vgl. Odyssee 8, 278), [* ] Janko. 186 283: [&]N Primavesi; [P U] Martin / Primavesi, Janko; [ R ]N Trépanier.– _( ) [&]M Martin Primavesi; _\ &[]M Janko; _( ) [D]M Trépanier. – 4[S Janko; 4O[U ] Martin / Primavesi; 4O[S] Trépanier, was er der Sache nach als gen. comp. versteht, auch wenn er es (S. 410) als „genitive of respect“ bezeichnet. Jedenfalls kann die Verbindung von 4OS mit dem Superlativ DM nicht die von Trépanier angenommene Bedeutung „weiter oben als die Sonne“ haben. 187 284: [! _ ] Martin / Primavesi; Janko; [[ ] Trépanier, was um einen Buchstaben zu kurz ist. – U Janko; \ B Martin / Primavesi; U\ 8 Trépanier, was auf der fehlerhaften Annahme beruht, dass UZ eine feminine Form sei. – [μQ ] (vgl. Arat 932) Martin / Primavesi, Janko; [U$ .] Trépanier. 188 285: [ μU ] Primavesi; [ O] Martin / Primavesi; [O ] Janko; [O ;S] Trépanier. 189 286: [)] Martin / Primavesi, Janko; [)] Trépanier, was um einen Buchstaben zu kurz ist. – )\ [1"] Primavesi; )[( ) = ] Martin / Primavesi, Janko; )[ )] Trépanier, was in der Lücke um einen Buchstaben zu lang und nach der Lücke, was das betrifft, mit den erhaltenen Spuren unvereinbar ist. – ["O\ ;S ] Martin / Primavesi; ["O R ) Janko; ["O 2 ] Trépanier.
7. Text
69
287
[C Q $] μM [ .]"Uμ\190 0 μ[U > .]
(a(ii) 17)
Wir kommen ja noch nicht im geringsten in die mittleren (Orte), um ein einziges zu sein. Machtwechsel: Machtergreifung der Liebe
288
[+\ B] P _U [\ & ]O 191 O[\ = ]
(a(ii) 18)
Doch stets wenn der Streit angelangt ist bei den unüberschreitbaren Tiefen
289
[S], . N μO[] []U !M[ O ,]
(a(ii) 19)
des Wirbels, und die Liebe sich im Zentrum des Strudels eingestellt hat,
290
. []] P M M O" 0 [μU > .]
(a(ii) 20)
kommt in ihr all dies zusammen, um ein einziges zu sein. Unterbrechung der chronologischen Darstellung des kosmischen Zyklus. Beginn eines didaktischen Exkurses
291
[a] \ B$ μP μa &\ E [μa = ]
(a(ii) 21)
Gib dir Mühe, dass mein Wort dir nicht nur an die Ohren dringt,
292
[4O] μ &μ!R .U W$ []μ[O !M ]192
(a(ii) 22)
und indem du von mir hörst, was ringsum ist, mach dir die Wahrheit klar! Vereinigung und Freisetzung als beobachtbare Phänomene
293
[S]$ R &\ A() = μS Yμ[ W,]
(a(ii) 23)
Ich werde Dir dort, wo sie einen größeren Körper finden, auch durch Augenschein zeigen
294
[]b μN WU M S O
Simpl. Phys.
(a(ii) 24)
zunächst die Vereinigung wie die Freisetzung des Grundbestandes
161, 20 Diels
295
B[] a 1 L O W [U,]
(a(ii) 25)
sowie alles, was von dieser Zoogonie jetzt noch übrig ist:
296
a μN [(] b ?M$ &[U\ <,]193
(a(ii) 26)
einerseits bei den (wilden Arten) der die Berge durchstreifenden Tiere,
_________ 190 287: [C Q $] Primavesi; [E P] Janko; [ CM] Martin / Primavesi; [) )] Trépanier, was für die Lücke zu lang ist. – [ .]" Uμ\ Primavesi; \ [;]"Uμ\ Martin / Primavesi; \ [;]"Uμ\ Janko; [ ]" Uμ\ Trépanier; doch ist dieses im System der Vereinigungsformeln übliche Kompositum für die Lücke zu lang. 191 288: [\ & ]O O[\ = ] Pierris, Janko; [μN D] L O[\ = ] Martin / Primavesi; [μN D]O = O Primavesi / Patzer 2001 (was Kingsley 2002: 395 Anm. 151 kritisiert hat). Zu der in _U ... / ... . N μO[] []U vorliegenden Verbindung ... O (statt μO ... O) vgl. oben die Verse 262–263, Denniston 1954: 513–514 und Ruijgh 1971: 204–206, Paragraph 197. 192 292: []μ[O !M ] Janko; []μ[O O ] Martin / Primavesi. 193 296: &[U\ <] Martin / Primavesi; )[ !a ] Janko.
70
Archiv für Papyrusforschung, Beiheft 22, 2008
297
a \ &\ &[Y]$ S μ !Wμ , [a \ &\ &b]194
(a(ii) 27)
andererseits beim Doppelgewächs der Menschen und bei (der Felder)
298
`!U$ Oμ R &μMμ[ U .]
(a(ii) 28)
wurzeltragendem Gewächs und der auf Reben kletternden (Traube).
299
. b ] Uμ !R Sμ μ[W$]
(a(ii) 29)
Aus ihnen nimm die untrüglichen Belege für meine Worte im Verstand auf! Liebe und Streit als Urheber von Vereinigung und Freisetzung
300
A# L WU M S O,
Simpl. Phys.
(a(ii) 30)
Denn du wirst die Vereinigung wie die Freisetzung des Grundbestandes sehen,
161, 20 Diels
301
[] U _U ]M μQ[\ 1"$.]195
Strasb.c
(c 1)
wo Liebe und Streit ihre Überführungspläne hegen.
+ B 20 D.-K.
302
a μN ( O$196 μO$ &S A·
Zum einen bei der ansehnlichen Fülligkeit der menschlichen Glied= B 20, 1) maßen: (c 2
303
) μN U "Uμ\197 ; 0 * ,
(c 3
Bald, in Liebe, kommen wir zu Einem zusammen allesamt,
= B 20, 2)
304
_ L bμ O", S a198 . &μ],
(c 4 = B 20, 3)
wir Sphairosglieder (= Elemente) im Besitz eines Körpers, auf dem Höhepunkt des blühenden Lebens;
305
) \ G ] μO\ \S,
(c 5
bald wiederum auseinandergeschnitten in üblen Hadern,
= B 20, 4)
306
M )"\ 2 R `μ_ S.
(c 6
wird jedes einzelne (Element) getrennt umhergetrieben in der Brandung des Lebens.
= B 20, 5)
_________ 194 297: [a \ &\ &b] Martin / Primavesi; [a ’ &’ )$] Janko. 195 301: [] U _U ]M μQ[\ 1"$] Primavesi; [... 1 ]M
μ[S ,] Martin / Primavesi; [ S = 1 ]M μ[U$ Janko. 196 302: ( O$ Martin / Primavesi; (μ O$ Bollack; Janko. 197 303: "Uμ\ Papyrus (1. Hand); "Uμ\ Papyrus (2. Hand), Simplikios, was Panzerbieter 1844: 29 zu O" ändern wollte, während Holwerda 1997: 320 für das * am Versende die Änderung & [ vorschlug. 198 304: a Papyrus (vor Korrektur); M Papyrus (nach Korrektur) Janko; O (varia lectio O) Simplikios, was Karsten 1838: 134 zu O ändern wollte.
7. Text
71
307
J \ E$ Mμ R ;"W DμM
(c 7 = B 20, 6)
Und genauso verhält es sich für die Sträucher und die im Wasser hausenden Fische
308
S \ ?"O199 ;N Mμ Wμ .
(c 8
Und für die Wildtiere, die ihr Lager im Gebirge haben, und die auf Flügeln schreitenden Vögel.
= B 20, 7)
Evidenz für die vier Elemente in Reinform 309
&\ ), U\ ?M$ O$ .μM O ,
B 21 D.-K.:
(B 21, 1)
Doch wohlan, schaue auf den folgenden Zeugen meiner früheren Worte,
Zweites Stück
310
< R . O U 1 μ!],
des Simplikios
(B 21, 2)
falls etwas auch in den früheren mangelhaft an Gestalt war:
311
4O μN T @[ R μT 'M,
(B 21, 3)
zum einen auf die Sonne, hell zu schauen und warm überall,
312
)μ \ B\ < R &O W C],
(B 21, 4)
sodann auf alle die unsterblichen Teile, die mit Wärme und strahlendem Glanze getränkt werden (d.h. die Luft),
313
Aμ \ . [ !UM ` O ,
(B 21, 5)
und auf den Regenschauer, der in allem dunkel und kühl,
314
. \ < O O μM200 R $M.
(B 21, 6)
und aus der Erde strömt hervor das Dichte und Starre.
der Zitatserie
Die Elemente unter der Einwirkung von Liebe und Streit 315
. N U$ Mμ! R )" M O ,
(B 21, 7)
Und im Groll regen sich alle verschiedengestaltet und zwiespältig,
316
V \ 1 . U R &Q _ .
(B 21, 8)
aber in Liebe einten sie sich und sehnen sich nach einander.
317
. W$ L M\ B \ 8 B \ 1 R 1
(B 21, 9)
Denn aus diesen besteht alles, was war, und was ist und sein wird:
318
OM \ .M R &O 4N _,
(B 21, 10)
Bäume entsprossen sowie Männer und Frauen,
319
]O \ ;$S R D Oμμ ;"a,
(B 21, 11)
und Wildtiere und Vögel sowie wassergenährte Fische,
320
S R " S$ μ] !O.
(B 21, 12)
und auch Götter, langlebige, an Ehren reichste.
_________ 199 308: ?"O Schneider (vgl. B 127, 1), Diels, Janko; ?μO (varia lectio
`μO) die Simplikiosüberlieferung, Martin / Primavesi. 200 314: O μ Sturz, Diels 1901, O’Brien 1969: 266–267; LSJ, Revised Supplement s. v.; vgl. Janko 1986; μM bzw. μM die Simplikiosüberlieferung; μM Diels-Kranz.
72
Archiv für Papyrusforschung, Beiheft 22, 2008
321
CL L 1 a , \ &Q$ N O
(B 21, 13)
Denn eben nur diese (vier Grundstoffe) gibt es, doch durcheinanderlaufend
322
S &$M· U L ] &μS.
(B 21, 14)
werden sie zu verschiedenartigen Wesen; einen so großen Wechsel bringt die gegenseitige Mischung hervor. Nachweis des Erd-Elements an Organismen
323
[…]
324
a μN . U" Uμ Y,
Strasb.b
(B 76, 1)
+ B 76 D.-K.
(b 1)
Zum einen bei den Muscheln, den meerbewohnenden mit dem schweren Rücken, [4\ . ] S [ x ]201 und bei den felsenbewohnenden …
326
1\
(b 2
Dort wirst du die Erde als oberste Schicht der Haut lagern sehen.
325
A# "U "$T DO M
= B 76, 3)
327
[Y \ G] [Y]$ [ x ,]202
(b 3)
Und wiederum der Panzer von starkrückigen …
328
R
(b 5
Ja auch von Tritonshörnern mit steinerner Haut und von Schildkröten
μP W$ S$ "W$
= B 76, 2)
329
[ ] μS b .M[!$ x ]203 … das Geweih der gehörnten Hirsche …
(b 6)
330
[&(L) C ( O μ] O$ Wμ[ x ]204
(b 7)
Doch ich käme wohl nicht ans Ende, wenn ich alle (Beispiele) aufzählen wollte …
Ende von Kontinuum I Aus der Fortsetzung des didaktischen Exkurses Ein Malergleichnis illustriert die Vermischung der Elemente: B 23, 1 B 23, 2
I \ @U !O & Qμ S$
B 23 D.-K.:
Wie wenn Maler Weihetafeln bunt verfertigen,
Drittes Stück
&O &μ!R O" DT μQ G b,
der Zitatserie
Männer, die sich auf Kunst infolge ihrer Begabung wohl verstehen, –
des Simplikios
_________ 201 325: 202 327: 203 329: 204 330:
[Wμμ , a N S ] Janko. '[S$ W$] Janko. [A , ]R μS b .M[!$ ?M$] Janko. Wμ[ O ] Janko.
7. Text B 23, 3
73
=\ .R G μM#$ W" !Mμ "S, nachdem sie nun vielfarbige Gifte mit ihren Händen ergriffen
B 23, 4
'μS μS L μN O$, ) \ .M$, und harmonisch gemischt haben, das eine mehr, das andere weniger,
B 23, 5
. b < [ &S W , bereiten sie daraus Gestalten, die allem möglichen gleichen,
B 23, 6
OM S R &O 4N _ indem sie Bäume schaffen und Männer sowie Frauen
B 23, 7
]M \ ;$W R D Oμμ ;"a und Tiere und Vögel und wassergenährte Fische
B 23, 8
S V " S$ μ] !S und auch Götter, langlebige, an Ehren reichste – :
B 23, 9
F$ μQ \ &M !O W$ ) > so soll dir nicht Trug den Sinn bezwingen, anderswoher (als aus den Grundstoffen) stamme
B 23, 10
b, B ] M ) , Q, die Quelle aller sterblichen Dinge, so viele – unzählige – offenbar geworden sind.
B 23, 11
&L b a\ <, a M μa &W . Sondern dies wisse genau, da du von der Gottheit die Rede vernahmst. Résumé und Schluss des didaktischen Exkurses
B 26, 1
B 26, 2
. N μO O μO W,
B 26 D.-K.:
Wenn aber die Reihe an sie kommt im Umlauf des Zyklus, dann sind sie an der Macht.
Viertes Stück
R !S ; ) R E . μO <.
des Simplikios
der Zitatserie
und vergehen ineinander und nehmen zu im Wechsel der Bestimmung. B 26, 3
CL L 1 a , \ &Q$ N O Aber nur diese sind: Indem sie durcheinanderlaufen,
B 26, 4
S( ) )$S R )$ 1 b, werden sie zu Menschen und anderer Tiere Geschlechtern,
B 26, 5
) μN U "Uμ\ ; 2 Uμ, indem sie bald durch die Liebe insgesamt zum Einen zusammenkommen,
B 26, 6
) \ G S"\ 2 !Wμ S 1", bald auch wieder jedes für sich bewegt wird vom Hass des Streites,
B 26, 7
;U 0 μ!W T [ DO O . bis sie, zum All-Einen zusammengewachsen, wieder untergehen.
B 26, 8
F$ 9 μN 0 . U$ μμM !W Also: Sofern es gelernt hat, Eines aus Mehrerem zu bilden
B 26, 9
4N M !W /T O\ .O , und aus dem Einen, wenn es wieder auseinander wächst, Mehreres entspringt,
74 B 26, 10
Archiv für Papyrusforschung, Beiheft 22, 2008
] μN S S R E ! 1μ ;Y· insofern werden sie und haben keine beständige Lebenszeit;
B 26, 11
9 N M\ &M μN C μL Q, sofern sie aber vom beständigen Wechsel niemals ablassen,
B 26, 12
W \ ;N 1 &S L W. insofern sind sie stets unveränderlich im Kreislauf. –
Ende des didaktischen Exkurses
Wiederaufnahme der Darstellung des kosmischen Zyklus Anknüpfung an die Verse 288–290. Globale Expansion der Liebe B 35, 1
CL .X S .Wμ . U Fμ$,
B 35 D.-K.
Doch ich will zurückkommen auf den Übergang in meinen Hymnen, B 35, 2
T U O , U$ U ."W$205 den früher dargelegten, indem ich mit einem (neuen) Gedanken den (damaligen) Gedanken weiterführe,
B 35, 3
_· .R _U \ & O O\ = 206 nämlich jenen: Stets wenn der Streit angelangt ist bei den unüberschreitbaren Tiefen
B 35, 4
S, . N μO U !M O , des Wirbels, und die Liebe sich im Zentrum des Strudels eingestellt hat,
B 35, 5
. ] P M M O" 0 μU > , kommt in ihr all dies zusammen, um ein einziges zu sein;
B 35, 6
C )! , &L μL Mμ\ ) ) . nicht auf einmal, sondern willig zusammentretend das eine von hier, das andre von da.
B 35, 7
b O μμO$ "_\ 1 μ S b.207 Aus dieser Mischung nun ergossen sich unzählige Scharen sterblicher Wesen.
B 35, 8
L \ )μ\ 1 μO . M, Vieles aber steht noch ungemischt zwischen dem sich Mischenden,
B 35, 9
B\ 1 _ 1 μM· C L &μμ!O$ soviel noch der Streit in der Schwebe befindlich zurückhielt. Denn nicht tadellos
_________ 205 B 35, 3: U$ U die Simplikiosüberlieferung (zu ihrer Verteidigung vgl. Martin / Primavesi 1999: 217 mit Anm. 4; dagegen Kingsley 2002: 395–396 mit Anm. 151 und 152); U U Bergk, Diels. 206 B 35, 3: \ & O O\ = Primavesi nach Vers 288; μN .O = O die Simplikiosüberlieferung; μN DO = O Primavesi / Patzer 2001; vgl. zu 288. 207 B 35, 7: Schneidewin schlug vor, diesen Vers (= B 35, 16) an dieser Stelle durch B 36 zu ersetzen.
7. Text B 35, 10
75
b [ .O .\ 1" Oμ W , hat er sich aus jenen gänzlich heraus an die äußersten Grenzen des Kreises gestellt,
B 35, 11
&L L μO \ .Oμμ μO$, L O \ .Q. sondern ein Teil seiner Glieder blieb noch drinnen, ein anderer war schon hinausgeschritten.
B 35, 12
B \ ;N DO, U ;N .Q Um wieviel er nun stets vorweg lief, um soviel rückte stets heran
B 35, 13
4U!$ U &μμ!O )μ @μQ. der untadeligen Liebe mildgesinnter unsterblicher Drang.
B 35, 14
># N Q\ .!W, L R μM &M \ > , Schnell aber erwuchsen zu sterblichen Wesen sie, die früher unsterbliche Wesen zu sein gelernt hatten,
B 35, 15
$M L R ) M W .208 und zu gemischten, die vordem ungemischt waren, im Wechsel der Pfade
B 35, 16
b O μμO$ "_\ 1 μ S b, Aus dieser Mischung nun ergossen sich unzählige Scharen sterblicher Wesen,
B 35, 17
S ;O &U , aμ ;O . in mannigfaltige Formen gefügt, ein Wunder zu schauen.
Vollendung und Zerstörung des Sphairos Vollendung des Sphairos B 27a
C M CO ] & Sμ . μO.
B 27a + B 28 D.-K.
Nicht Zwist und auch nicht unziemlicher Streit in den Gliedern. B 28, 1
&\ B M > <1! >209 R Mμ &S$ Sondern er bildete sich von allen Seiten gleich und überall kontinuierlich:
B 28, 2
! _ P μS210 O S$. Sphairos, der kugelförmige, über die ringsum herrschende Einsamkeit von frohem Stolz erfüllt. Charakterisierung des Sphairos
B 27, 1
1\ E\ 4S S HO _
B 27, 1 + 3–4 D.-K.
Dort sind weder der Sonne schnelle Glieder zu unterscheiden, … B 27, 3
F$ cμS b W!$ .Q So in der Fügung festem Schlupfwinkel liegt verwahrt
_________ 208 B 35, 15: Zur Übersetzung von $M vgl. Solmsen 1967 („mixed“). 209 B 28, 1: <1! > Panzerbieter 1844: 27; <1> Diels 1901; _> Maas, Diels-Kranz. 210 B 28, 2: Zur Übersetzung von μS vgl. Slings 1991 („solitude“).
76 B 27, 4
Archiv für Papyrusforschung, Beiheft 22, 2008
! _ P μS O S$. Sphairos, der kugelförmige, über die ringsum herrschende Einsamkeit von frohem Stolz erfüllt. Abweisung anthropomorpher Vorstellung des Sphairosgottes
B 29, 1
C L &T Y W M &S,
B 29 D.-K.
Nicht schwangen sich vom Rücken zwei Zweige, B 29, 2
C U, C L a( ), C μQ Q , nicht Füße, nicht hurtige Knie, nicht Glieder voll Zeugungskraft,
B 29, 3
&L ! _ 1 R <M> > / b. sondern ein Kugler war es und von allen Seiten sich selbst gleich. Machtergreifung des Streites
B 30, 1
CL .R μO _ .RμμO .O!
B 30 D.-K.
Aber nachdem sich der Streit in seinen Gliedern genährt hatte B 30, 2
. μM \ &U μO "U, und zu Ehren emporgestiegen war, als die Zeit sich erfüllte,
B 30, 3
B ! &μ _ O \ .Q B … die ihnen wechselweise von einem breitverschnürten Eidvertrag festgesetzt ist … Zerstörung des Sphairos
B 31
M L /S μS _ _. Denn alle der Reihe nach wurden sie erschüttert, die Glieder des Gottes.
Kontinuum II (Tafel II) Aus Kolumne 1: Beginn der Element-Trennung. Aufstieg des Feuers. Nicht überliefertes erstes Auftreten der in Kolumne 2, 10–14 wörtlich wiederholten Verse [ @U P W" !μT &Q] … Als sich die unauslöschliche Flamme einstellte, [ $ &M$ Qμ [,] … nach oben bringend die viel-leidende Mischung, [P U b ! Mμ Y ] damals also … wurden erzeugende Wesen geboren [ , b a 1 S# O :Y.] …, deren Überbleibsel noch jetzt die Morgenröte sieht.
B 31 D.-K.
7. Text
77
Hieran schließt sich in der ersten Kolumne von Strasb.f ein apokalyptischer Exkurs an, von dessen Anfang nur wenige Zeilenenden erhalten sind: II 1, 13 (= f(i) 1) II 1, 14 (= f(i) 2) II 1, 15 (= f(i) 3) II 1, 16 (= f(i) 4) II 1, 17 (= f(i) 5) II 1, 18 (= f(i) 6)
[ [ [ [ [ [
] [ ]"$ ] ] ] ]
Von den noch folgenden zwölf Zeilen der Kolumne 1 ist nichts erhalten. Kolumne 2, 1–10a: Fortsetzung und Schluss des in Kolumne 1 eröffneten apokalyptischen Exkurses (Den Gliedmaßen wird beschieden sein,) II 2, 1
[)]"\ &\ &Q$[] O[] R [U]μ ._
Strasb.d
(d 1)
abgetrennt auseinander zu stürzen und ihr Geschick zu vollenden,
beginnt
II 2, 2
[U]\ & μO[] &[ ] [S F] ]
(d 2)
wobei sie höchst unfreiwillig unter schmerzlichem Zwang
II 2, 3
[][μ]O S \ .[ ]P [5μ_] 1" 211
(d 3)
verwesen. Bei uns aber, die wir gegenwärtig die herrliche Liebe haben,
II 2, 4
[-] M M [6 O] .212
(d 4)
werden bald Harpyen mit Todeslosen sein.
II 2, 5
<μ
B() C U μ Y N 8μ ,
(d 5)
Weh mir, dass mich nicht vernichtet hat der unentrinnbare Tag,
II 2, 6
R " _ "O\ 1 [ O μS 213 (Porphyr.)
(d 6)
bevor ich mit meinen Klauen schändliche Werke Fraßes halber verüben konnte!
II 2, 7
[a ]N μM[ .] b214 U[$ O] M
(d 7)
Jetzt aber habe ich mir in diesem Nass vergeblich die Wangen benetzt;
B 139 D.-K.
_________ 211 II 2, 3: S \ .[ ]P [5μ_] 1" Primavesi, Janko; S N [ R ]C[ S] 1" Martin / Primavesi. Mit der hier vorgelegten Neufassung des Verses wird erreicht, dass 5μ_ bereits vor 1" zu stehen kommt (wodurch dieses von vornherein als Partizip ausgewiesen ist), nicht erst im folgenden Vers neben dem ihm fremden Dativ M. 212 II 2, 4: [6 O] Primavesi, Janko; [5μ_ O] Martin / Primavesi. 213 II 2, 6: " _ "O\ 1 [ O Papyrus; "O’ 1 [ R "S die Porphyriosüberlieferung. 214 II 2, 7: μ [ ]$ Papyrus vor Korrektur; μ [ ]$ Papyrus nach Korrektur von erster Hand; μM[ .] b Martin / Primavesi; μM[ W]$ Janko. Janko gibt irrtümlich an, mit seiner Lesart der von der ersten Hand angebrachten Korrektur zu folgen; in Wahrheit folgt er der Lesart vor dieser Korrektur; vgl. Martin / Primavesi 1999: 304.
78
Archiv für Papyrusforschung, Beiheft 22, 2008
II 2, 8
[.]Wμ[ 215 L] [O _], ?^$,
(d 8)
denn wir werden zum Wirbel mit den vielen Tiefen kommen, wie ich glaube,
II 2, 9
[μ S () C] .O O[ )] μb und unzählige Schmerzen werden gegen ihren Willen im Gemüt haben
(d 9)
II 2, 10
a
(d 10a)
[&Y] (die Menschen). Kolumne 2, 10b–14: Wiederaufnahme der in Kolumne 1 unterbrochenen Darstellung des Feueraufstiegs
II 2, 10
b
[5]μ_ N U$ .[Qμ]\ G216
b
Wir aber wollen wieder in die Darlegungen eintreten,
(d 10 )
II 2, 11
[S$ @U] P W" ![]μT &Q
(d 11)
(nämlich in jene:) Als sich die unauslöschliche Flamme einstellte
II 2, 12
[ ]$ &M$ [] Qμ[] [,217 … nach oben bringend die viel-leidende Mischung,
(d 12)
II 2, 13
[P U b] ! Mμ Y[] 218
(d 13)
damals also … wurden erzeugende Wesen geboren
II 2, 14
[ ,b ]a 1 S# O :Y.219 …, deren Überbleibsel noch jetzt die Morgenröte sieht.
(d 14)
Kolumne 2, 15–18: Der Aufstieg des Feuers erreicht die Peripherie des Alls: II 2, 15
B[ \ ;O μμ"]R U ."M[ ]]220
Strasb.f(ii)
(f(ii) 1
Doch wenn sie (die Flamme), mit Luft vermischt, an den äußersten Ort kommt,
kommt hinzu
+ d 15)
II 2, 16
P U[ ]] R &%]221
(f(ii) 2
da
… mit Kreischen und Schreien,
+ d 16)
_________ 215 II 2, 8: [.]Wμ[ Martin / Primavesi; .] Wμ[ Janko. 216 II 2, 10b: U$ .[Qμ]\ Papyrus vor Korrektur, Janko; U$ <’> .[Qμ]\
Papyrus nach Korrektur, Martin / Primavesi. 217 II 2, 12: [[ *μ’ &Q] &M$ [] Qμ[] ] Janko. 218 II 2, 13: [P U b] Primavesi; [P U R L b] Janko; [ b] Martin / Primavesi. 219 II 2, 14: R U$, b ]a 1 S# O :Y Janko. 220 II 2, 15: [ ]] Papyrus (1. Hand); [ ]] Papyrus (2. Hand). – B[ \ ;O μμ"]R U ."M[ ]] Primavesi; [ ] ; U ."M[ ]] Martin / Primavesi; @U[ Q ’ ;P μ"]R U ."M[ ]] Janko. 221 II 2, 16: P U[ ]] R &%] Primavesi; P U[’ &O’ ;$R ]] R &%] Janko; [ ]] R &%] Martin / Primavesi.
7. Text
79
II 2, 17
[S. ]μb "U 222
(f(ii) 3
mit unermesslichem.
… ein Versteck findend
+ d 17)
II 2, 18
"U[ \ ]G R "Y.223
Strasb.d
(f(ii) 4
und Futter
bricht ab
… ringsum Erde.
+ d 18)
Kolumne 2, 19–22: Gleichnis vom Schmied II 2, 19
I \ [@U x ]224
(f(ii) 5)
Doch wie wenn …
II 2, 20
" [V x ]225
(f(ii) 6)
Schmied …
II 2, 21
[ x ]
(f(ii) 7)
…
II 2, 22
[ x ]
Strasb.f(ii)
(f(ii) 8)
…
bricht ab
Ende von Kontinuum II
_________ 222 II 2, 17: [S
]μb "U Primavesi; [S L ’ D R S ]μb "U Janko; [ , ]μb "U Martin / Primavesi. 223 II 2, 18: [ ] Papyrus (1. Hand); [ ] Papyrus (2. Hand). – "U[ \
]G R "Y Primavesi; "U[ ’ .O, B <] O "Y Janko; [ ]G R "Y Martin / Primavesi. 224 II 2, 19: I \ [@U ] Janko. 225 II 2, 20: " [V ] Janko.
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TAFEL I
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a(i) P.Strasb.gr. 1665/6, a(i) 1–9 = Kontinuum I, Kol. 2, 22–30 = Physika I 262–270
a(ii) P.Strasb.gr. 1665/6, a(ii) 1–30 = Kontinuum I, Kol. 3, 1–30 = Physika I 271–300
b P.Strasb.gr. 1665/6, b = Kontinuum I, Kol. 4, 25–30 = Physika I 325–330
TAFEL I
TAFEL II
f(i)
P.Strasb.gr. 1665/6, f(i) = Kontinuum II, Kol. 1, 13–14 + 17–18
d
f(ii)
P.Strasb.gr. 1665/6, d + f(ii) = Kontinuum II, Kol. 2, 1–22
TAFEL II
TAFEL III
g
e
h
i
j
nicht lokalisierte Fragmente
Abbildungsnachweis Tafeln I–III: Bibliothèque Nationale et Universitaire de Strasbourg (BNUS)
k
TAFEL III