Das erotische Rowohlt Lesebuch Herausgegeben von Dieter Mathiak
Rowohlt
51.-65-Tausend Mai 1985 Veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, Mai 1984 Umschlagentwurf und Umschlagtypographie Manfred Waller unter Verwendung einer Zeichnung von Pablo Picasso © SPADEM Paris/ BILD-KUNST Bonn, 1983 Copyright © 1984 by Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg Quellenverzeichnis am Ende des Bandes Gesetzt aus der Garamond (Linotron 404) Gesmtherstellung Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany 780-ISBN 3 499 152142
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Inhalt Prolog Friederike Kempner Sehnsucht Erwachen William Kotzwinkle Soldat unter der Bettdecke Calder Willingham Rose wankt ins Paradies Pascal Laine Zärtliche Cousinen Fabienne Jamet Der nächste Herr, s'il vous plait Rocco und Antonia Der erste Schultag Begehren Pierre du Bourdel Lucette in den Ferien Terry Southern/Mason Hoffenberg Candy oder Die sexte der Welten Felicien Fargeze Erotische Memoiren Gore Vidal Myra Breckinridge Gael Greene Blauer Himmel und kein Nachtisch
Rausch Regine Deforges Made in Hongkong Jean Bruyere
Träumereien einer Sommernacht Jan Wolkers Türkische Früchte Ingeborg Middendorf Panic in Detroit Verwirrung Alberto Moravia Ohne Liebestrieb Duca di Centigloria Ich fraß die weiße Chinesin Emmanuelle Arsan Taha und Ilytis Stephen Schneck Der Nachtportier Leidenschaft Junichiro Tanizaki Der Schlüssel Elizabeth McNeill Neun Wochen und drei Tage Pauline Reage Rückkehr nach Roissy Epilog Guillaume und Marguerite Quellenverzeichnis
Sehnsucht Wenn der holde Frühling lenzt Und man sich mit Veilchen kränzt, Wenn man sich mit festem Muth Schnittlauch in das Rührei thut, Kreisen durch des Menschen Säfte Neue, ungeahnte Kräfte Jegliche Verstopfung weicht, Alle Herzen werden leicht, Und das meine fragt sich still: «Ob mich dies Jahr einer will?» Friederike Kempner, Jungfrau (1836-1904)
Auf den meisten Gebieten schwebt dem Anfänger das Wirken großer Meister als Leitstern vor. In der Liebe ist jeder sein eigener Pionier. Carl Sternheim
Am schönsten ist die Rose, Wenn ihre Knospe bricht, So tagt aus Furcht empor Der Hoffnung schönstes Licht; Am süßesten glüht Rose, Vom Morgentau gefeuchtet, Am lieblichsten blickt Liebe, Wenn sie durch Tränen leuchtet. Sir Walter Scott
William Kotzwinkle
Soldat unter der Bettdecke Die Mündung eines kleinen Maschinengewehrs ragte hinter der Stehlampe hervor. Eine Messingkanone wurde abgefeuert; eine Granate flog durch die Luft und traf den Maschinengewehrschützen am Kopf. Ein Panzer rollte über den Teppich. «Okey, Leute, da kommt sie», sagte der Junge. Es klingelte an der Tür. Es war Anette, das hübsche Mädchen. «Hallo, Jeff.» Der Duft ihres Parfüms hing über dem Schlachtfeld. Der Panzer knallte gegen ihren Fuß und versuchte, ihren Knöchel hinaufzukrabbeln. Der kleine Mann im Geschützturm richtete ein Gewehr auf sie, um sich gleich darauf wieder nach unten zu verkriechen. Mutter kam ins Zimmer. «Hallo, Anette.» «Hallo, Mrs. Kaye.» «Ich hoffe, Sie haben ein Nachthemd mitgebracht. Wir werden erst spät zurück sein.» Er sammelte die Soldaten in einen Karton, den er durch die Küche in das kalte Gästezimmer trug, wo das Spielzeug aufbewahrt wurde. Er spielte auf dem gemusterten Linoleumboden, auf dem Hoppehoppe-Reiter-Platz. Erst wurde er der dunkle Himmel. Dann war er der weiße, lachende Mond. Schließlich die glückliche Kuh. Anette kam herein. «Spielst du Hoppe-hoppe-Reiter?» «Nein», sagte er. «Wir gehen jetzt», sagte Mutter und küßte ihn auf die Stirn. Vater stand in der Tür und klimperte mit den Schlüsseln.
Er beobachtete sie durchs Fenster, und sein Blick folgte ihren roten Rücklichtern die düstere Straße hinunter. «Willst du Kleiner Nick spielen?» fragte Anette. Er jagte sie um den Tisch, unterm Bauklotz durch und ins Loch, und am Ende überholte er sie. «Blödsinn», sagte sie. Wieder klingelte es an der Tür. Anette ging, um aufzumachen. Er hörte die Stimme eines anderen Mädchens. Er kletterte auf den schwarzen Gaul und schaukelte den Geheimpfad entlang. Unsichtbare Reiter kamen über die Ebene der quadratischen Linoleumplatten. Als er sie bemerkte, winkte er und rief. Auf tanzenden Pferden ritten sie durch den weißen Raum an den Fenstern vorüber. «Jeffrey, das ist Gloria.» Er stieg von dem Schaukelpferd und ging weg. «Er ist schüchtern», sagte Anette. Auf der Eckbank lag als Haufen hölzerner Gliedmaßen und Fäden Pinocchio. Er hob den Jungen mit der langen Nase auf und ließ ihn über die Bank laufen. Auf die Wand fielen Schatten, die aussahen wie ein Mann mit seinem Sohn. Die Mädchen gingen aus dem Zimmer und fingen an, sich zu unterhalten. Er lief hinüber zum Old King Cole-Platz mitten auf dem Linoleumboden, wo er seinen Thron hatte. Er kletterte hinauf. Ein Flugzeug zog über den Nachthimmel. Die Stimmen der Mädchen schienen weit weg zu sein. Er hatte das Gefühl, durch den leeren Raum zu fallen, mit einem Fallschirm, der sich über ihm öffnete. «Genug jetzt, Jeff», rief Anette durch die Tür. «Zeit zum Schlafen.» Er kletterte vom Thron und ging ins Schlafzimmer, wo sein Pyjama bereitlag, auf dem eine Geschichte von einem Jungen und einem Mädchen zu sehen war, die einen Berg zu einem Brunnen hinaufstiegen. «Ich bin klein, mein Herz ist rein», flüsterte er auf den Knien. Eine Nachttischlampe von der Form eines Pferdes brannte auf einem Tisch, der zwischen den beiden Betten stand. Durchs Fenster schien der Mond herein. In weiter Ferne bellte ein Hund. Er hörte Schritte in der Gasse. Ein Mann mit Hut kam am Fenster vorbei. Er horchte den leiser werdenden Schritten nach, dann bekreuzigte er sich und kroch ins Bett. Die Haustür wurde geöffnet. Er hörte, wie die Mädchen sich verab-
schiedeten. Er spielte unter der Bettdecke mit seinem rotbehelmten Soldaten. Anette sah durch die Tür ins Zimmer. Er ließ den Soldaten fallen und tat, als würde er schlafen. Sie kam leise herein. Er beobachtete sie unter seinen halbgeschlossenen Augendeckeln heraus. Sie schaltete die Pferdelampe aus. Er konnte sie im Mondschein erkennen. Sie knöpfte ihr Kleid auf und stieg heraus. Er sah ihre Unterwäsche. Sie zog ein Nachthemd an, wie Wendy Darling in Peter Pan. Sie trat aus dem Kegel des Mondlichts in den dunklen Schatten bei den Betten. Sie hob die Decke und schlüpfte neben ihn. Sein Soldat rollte zur Seite. Sie war ein Fremdling in diesem Bett. Hatte sie eine Ahnung von all den verschiedenen Stellungen? Wo ihr Arm lag, konnte er Scharfschützen postieren. Auf ihren Beinen konnte er seine Flanken aufmarschieren lassen. «Jeffrey?» fragte sie flüsternd. Er lag unter der Decke, ohne einen Mucks von sich zu geben, und aus der Dunkelheit zogen die ersten Träume herauf. «Jeffrey», flüsterte sie, «ich habe Angst im Dunklen.» Sie drückte sich an ihn, dort unten im Tal, wo sein Soldat sich versteckt hielt. Sein Herz klopfte. Er hätte ihr gerne die wirkliche Bedeutung von Hoppe-hoppe-Reiter erklärt. «Spiel mit mir, Jeffrey», flüsterte sie, griff nach seiner Hand und legte sie auf ihren Leib. Gleich Truppen ließ er seine Finger über ihre Hügel marschieren. Okey, Jungs, hier geht's lang. Deutsch von Nikolaus Hansen
Calder Willingham
Rose wankt ins Paradies Als sie den dunklen Flur entlangging, wankte Rose nicht, sie wankte erst später, als ich ihr den weltgewandten Vorschlag machte: «Und übrigens, Rose, da du nun schon mal mit mir im Bett liegst und alles, darf ich da deine Muschi anfassen?» Der weltgewandte Vorschlag kam jedoch erst etwas später in der Nacht. Als sie eintrat, dachte ich noch nicht im Traum an solche Sachen. Ich glaubte, es sei Mutter, glaubte bestimmt, es sei Mutter, als ich den Schluchzer hörte, und der Schreck fuhr mir in die Glieder. Aber es war nicht Mutter, die gekommen war, um über Daddy zu klagen, es war Rose in einem komischen weißen Nachthemdchen. Später, als der Mond höher stieg und durchs Fenster schien, konnte ich es besser sehen: ein dünnes, abgetragenes Überbleibsel aus alten Tagen mit verschossenen Flicken aus einem anderen Stoff. Es war ein Kindernachthemd, das nur bis halb an die Oberschenkel reichte. Anfangs begriff ich nicht, was Rose nachts in meinem Zimmer wollte. «Hatte ich ... ich meine, hatten sie Streit?» fragte ich, noch halb im Schlaf. «Ist Mutter krank?» Ein leises Murmeln schien zu bedeuten, nein, das sei nicht der Fall. Langsam dämmerte es mir, daß Rose in mein Zimmer gekommen war, weil sie schrecklich verzweifelt war und Gesellschaft suchte. «Buddy, ich irre verloren durch eine Wüste, genau wie in der Bibel.» Sie setzte sich auf die Bettkante und erklärte mir mit einem leisen, traurigen Stimmchen, wie unglücklich sie sei. Da wurde ich allmählich wach und begann, sie zu verstehen. «Macht es dir was aus? Ich werde dich auch nicht stören, du kannst
weiterschlafen. Ich will nur ein bißchen hier liegen, vielleicht hilft es mir, selbst wieder einzuschlafen. Ich halte es im Augenblick allein nicht aus, das ist wirklich wahr. Kann ich ein Weilchen zu dir ins Bett, Buddy, oder macht es dir was aus?» «Ich habe aber keinen Schlafanzug an», sagte ich, «es ist so heiß.» «Ach, das macht doch nichts», erwiderte sie. «Ich schau ja nicht, Buddy, und im Dunkeln kann ich dich sowieso nicht sehen. Außerdem brauchst du dich doch vor mir nicht zu schämen, ich bin doch deine Freundin, nicht deine Feindin. Bitte, darf ich ein bißchen zu dir ins Bett? Ich bin so schrecklich unglücklich.» «Meinetwegen», sagte ich widerstrebend. Als Kind hatte ich ein fast krankhaftes Schamgefühl. Im Sommerlager mit den anderen Jungen nackt zu baden war ein entsetzliches Problem gewesen. Ich war starr vor Schreck, als sich herausstellte, daß wir das sollten. Von so einem Schock erholt man sich nie wieder richtig, und darum irrt man durch eine Wüste, wenn man ein Buch schreibt, zumindest eine Zeitlang. Natürlich stehen Menschen in allen Lebenslagen tagtäglich vor dieser Schwierigkeit. Sich mit nacktem Hintern zu präsentieren, gehört zu den menschlichen Grundproblemen - ein Grundproblem mit unendlich vielen Anwendungen in all den verschwiegenen Behausungen, in denen wir wohnen. Sobald man das arme, hilflose Ding vorzeigt, muß man gewärtig sein, daß einem jemand hineintritt. Tut man es aber nicht, kann man sich mit keiner Menschenseele je verständigen, nie rührt man ein anderes Herz, drückt man eine fremde Hand, und das ist ehrlich die reine Hölle. Vorsichtig, voller Angst, sie könne selbst im Dunkeln meinen schlappen, müden kleinen «Pillermann» sehen und den scharlachroten Flaum ringsum, lüpfte ich das Laken gerade so viel, daß Rose darunterschlüpfen konnte. Sie krabbelte zu mir ins Bett, schlang einen Arm um meine Taille und legte ihren blonden Kopf mit einem erleichterten Aufseufzen neben meinen auf das Kopfkissen. «O Gott», sagte sie, «tut das gut, ein menschliches Wesen zu spüren, das man in die Arme nehmen kann. Ich war schrecklich unglücklich, Buddy, schrecklich. Jetzt ... schlaf weiter und verzeih, daß ich dich geweckt habe.» Ich glaube, sie meinte im Ernst, ich solle weiterschlafen, denn sie verhielt sich eine ganze Weile ruhig. Aber wenn Rose etwas auf dem Herzen hatte, konnte sie nicht lange still bleiben, und so fing sie denn
bald wieder an zu reden, wie tief unglücklich sie sei, wie entsetzlich sie leide. Ich war jetzt hellwach und hörte ihr zu. «O Buddy», flüsterte sie, «du weißt ja nicht, wie weh es tut, wenn einem das Herz bricht, was für ein schreckliches Gefühl das ist, und ich habe schon so oft ein gebrochenes Herz gehabt. Ich verstehe die Männer nicht, ich durchschaue sie nicht, ich begreife sie nicht, und sie brechen mir das Herz. Ich finde nicht den Richtigen, und wenn ich mir noch soviel Mühe gebe, ich finde nur lauter Falsche. Ich weiß nicht, wo ich den Richtigen suchen soll, ich hab's aufgegeben, sie brechen mir ja doch alle nur das Herz, Buddy. Männer sind so, und das halte ich nicht mehr aus, ich halt es einfach nicht mehr aus. Aber so schlimm wie diesmal war es noch nie, weil es nicht seine Schuld ist. Nein, es ist meine Schuld, o ja, es ist meine Schuld, ich war gemein, o Gott, war ich gemein, du würdest nie glauben, daß ich so gemein sein kann. Ich kann dir nicht sagen, wer es ist, aber weißt du, was ich gemacht habe? Ich habe mich auf seinen Schoß gesetzt, ihn festgehalten und mit dem Hinterteil auf ihm rumgehampelt, schlimmer, als du dir's vorstellen kannst, dazu bist du noch zu klein. Buddy, ich habe eine Titte raushängen lassen, mit Absicht, hab sie ihm praktisch übers Gesicht gewischt und bin ganz schön auf ihm rumgerutscht. Und den blöden Rock hab ich so hochgezogen, daß mein Schlüpfer zu sehen war. Oh, ich war raffiniert, ich hoffte, das würde ihn aufreizen, Buddy, ich war einfach furchtbar, Gott, war ich ekelhaft! - Aber im Ernst, was wollte ich eigentlich sagen, ach so, es ist nicht wegen dem Korb von ihm, Buddy ...» Seit Rose in das Haus «reicher Leute» eingezogen war, bemühte sie sich ausdauernd und ernsthaft um eine gepflegte Ausdrucksweise, aber ab und zu unterliefen ihr noch Sätze wie «es ist nicht wegen dem Korb von ihm, Buddy». Roses Dialekt, ihre breite, ländliche Mundart, war viel ausgeprägter, als ich angedeutet habe beziehungsweise durch Schriftsprache andeuten könnte. Vieles, was sie sagte, wäre für Leute, die nicht aus dem tiefen Süden stammen, sehr schwer zu verstehen. Ich komme wohl ziemlich dem nahe, was sie sagte, aber ich kann nicht wiedergeben, wie sie es sagte, bestenfalls andeuten, und das stößt, fürchte ich, auf literarische Grenzen. Jedenfalls schämte Rose sich ihrer «saumäßigen» Sprache, wie sie es nannte, und bemühte sich sehr und mit einigem Erfolg, sie zu verbessern. «... nein, Buddy, nicht nur wegen dem Korb, sondern dieser
schreckliche Gedanke, wie ich mich da benommen habe, das macht mich einfach krank, Buddy, ich mag kaum noch was essen, wirklich nicht. Wenn ich Essen sehe, wird mir schlecht, und das bei mir, wo ich so 'n guten Appetit habe, wirklich, ich bin richtig krank.» Ich wußte, natürlich ganz genau, wovon sie sprach, doch um auch etwas zu sagen, fragte ich, wer denn an ihrem Elend schuld sei, und zu meiner Überraschung platzte sie heraus: «Dein Daddy! Ich bin so verliebt in ihn, ich habe den Verstand verloren!» Es war ihr ein dringendes Bedürfnis, mit jemandem darüber zu sprechen, und nur aus diesem Grund war sie in mein Zimmer gekommen. Nachdem sie mich zu ewigem Stillschweigen verpflichtet hatte, erzählte sie mir die Geschichte in allen Einzelheiten, auch Dinge, die ich einigermaßen schockierend fand. Unter anderem, daß Daddy eines Tages in die Küche gekommen sei und sie gepiekst habe. Daddy hatte ihr offenbar mehr Anlaß zu ihrem Verhalten gegeben, als Doll und ich ahnten. «Er hat wirklich reingepiekst, Buddy, ich meine, tief rein.» «Das verstehe ich nicht, wo tief rein?» «Na, in den Hintern, wo sonst. Das machen doch die Männer gern, weißt du das nicht? Natürlich nur durchs Kleid und nur zum Spaß, aber er hatte ihn richtig drin, den Finger, es hat fast weh getan. Dein Daddy ist der größte Späßchenmacher, der je gelebt hat, aber das, finde ich, ging ein bißchen zu weit, und hinterher hat er sich auch entschuldigt. Er hat mich ganz lieb um die Schulter gefaßt und gesagt, das hätt er nicht tun dürfen, es wär so über ihn gekommen, weil ich einen so schönen Popo hätte. Wie findest du das? Das hat er gesagt, das sind seine eigenen Worte:
Buddy, ich sage dir, dein Daddy weiß, wie man ein Mädchen anfaßt, und ich liebe ihn, ich liebe diesen Mann einfach.» Ja, Daddy hatte Rose mehr Anlaß zu ihrem Verhalten gegeben, als wir ahnten. Er hatte den Angriff bei den Thermopylen selbst mitverschuldet. Rose behauptete, er habe mehrmals in dieser Weise mit ihr geschäkert, und ich glaubte ihr. Ihr Bericht nahm kein Ende. In unermüdlichem Geflüster, den einen Arm um mich geschlungen und das weiche blonde Haar neben mir auf das Kopfkissen gebreitet, erzählte sie mir bis in kleinste Einzelheiten den ganzen Roman, faßte ihn anschließend noch einmal zusammen und erläuterte mir Ergebnis und Bedeutung, einschließlich sich abzeichnender künftiger Möglichkeiten.
«Oh, es könnte gut sein, daß er eines Tages meine Liebe erwidert», sagte sie, «das weiß man nie bei so Sachen, aber eines kann ich dir jetzt schon sagen - nicht, solange ich in diesem Haus bin, das macht er nicht. Rumalbern und pieksen, schön und gut, aber was Ernstes macht er nicht, nicht dein Daddy, nicht solange ich im Haus bei seiner Frau und seinen Kindern bin, da ist er einfach nicht der Mann dafür. Und wer weiß, ob sich später was abspielen würde, falls ich ihn je wiedersehen sollte. Langer Rede kurzer Sinn: Ich bin wahnsinnig in ihn verliebt, das kann ich nicht ändern, aber es ist eine unglückliche Liebe, Buddy, eine kreuzunglückliche Liebe. Nicht nur, weil er verheiratet ist, er ist auch ein guter Mensch und will nichts mit mir zu tun haben. Ich kriege ihn nicht, und wenn ich nicht höllisch aufpasse, schmeißt er mich raus. Röschen oder so nennt er mich nicht mehr. Er ist freundlich, aber er nennt mich bloß noch Rose, und den Arm legt er auch nicht mehr um mich. Ich kriege ihn nicht, Buddy, er würde mich rausschmeißen, wenn ich wieder irgendwas anstelle, und du weißt gar nicht, wie mich das krank macht, denn ich liebe ihn so, ich kann es nicht ändern. Aber ich bewundere ihn auch, ich bete deinen Daddy geradezu an. Du verstehst das noch nicht, die meisten Männer, wenn sie ein Mädchen kriegen können, gehen sie ran und drüber — wie die Karnickelböcke, ich schwör's dir. Und hinterher sagen sie natürlich, das Mädchen taugt nichts, weil sie dasselbe gemacht hat wie sie! Mensch, diese Kerle kotzen mich manchmal so an, wie die sich benehmen, ich glaube bald, ich kann nie mehr richtig nett zu denen sein. Die reden von Moral, aber sie sind nicht moralisch, keiner von ihnen. Ich sage dir, Buddy, einer wie der andere schnappen sie 'n Mädchen, wenn sie können, und hinterher heißt es, sie ist unmoralisch. Ankotzen tun sie mich, ehrlich, Buddy, ich könnte ihnen einen nassen Lappen um die Ohren knallen. Aber nicht deinem Daddy, der ist ein moralischer Mann, der redet nicht nur darüber, der handelt so, und ich will dir etwas sagen, gerade deshalb liebe ich ihn um so tiefer. O ja, das tue ich, und eines schönen Tages, wenn ich nicht mehr hier bin, komm ich wieder, ich schwör's dir, und mache dem Mann einen Freundschaftsbesuch, und wer weiß, wir werden sehen! Aber im Moment ist es eine trostlose Liebe, Buddy, eine unglückliche Liebe, auch wenn ich ihn lieben werde, solange ich lebe. Aber ich rede dich ganz dusselig, was? Ich will jetzt lieber still sein und dich schlafen lassen. Mach die Augen zu, Schatz, ich bleibe noch 'n Weilchen hier liegen und schlafe vielleicht auch ein bißchen.»
Aber Rose wollte gar nicht schlafen, sie wollte Gesellschaft haben und über ihre unglückliche Liebe zu Daddy reden. So ging es bald von neuem los, und die ganze Zeit, die sie über ihn plapperte, spürte ich, so jung und so kindlich ich war, ihren weiblichen Körper mit allen Fasern neben mir. Seit dem Augenblick, da sie sich zu mir ins Bett gelegt und den Arm um meine nackte Taille geschlungen hatte, war ich mir ihres weiblichen Körpers bewußt. Rose genierte sich kaum vor irgend jemandem und vor einem Kind schon gar nicht. In völliger Unbefangenheit lag sie, den Arm um mich geschlungen, neben mir. Das dürftige Nachthemd war ihr bis zur Taille hochgerutscht, ihr nacktes Bein berührte das meine, und eine nackte runde Brust drückte sich gegen meinen Arm und meine Seite. Die Brust übte eine höchst beunruhigende Wirkung auf mich aus: sie fühlte sich an wie ein magisches, weiches Kopfkissen und schien dort, wo sie mich berührte, ein Prickeln zu verursachen, eine Art elektrisches Kribbeln, das ich schön fand und gleichzeitig auch wieder nicht. Als ich Roses Titten, wie ich sie nannte, später nackt sah, fand ich sie nicht ausgesprochen hübsch, sie waren mir da noch zu fremdartig und verwirrend. In Wirklichkeit hatte Rose einen schönen Busen, voll und sehr fest, mit großen Brustwarzen; einen Büstenhalter hatte sie nicht nötig und trug auch oft keinen, was damals nicht nur gewagt, sondern beinah schon der helle Wahnsinn war. Es war einer ihrer Lieblingstricks, keinen BH zu tragen und ein Kleid oder eine Bluse aus so dünnem Stoff, daß die Brustwarzen sich deutlich darunter abzeichneten und atemberaubende kleine Ausbuchtungen bildeten. Den Männern blieb denn auch die Luft weg - eine wilde Sache so was damals, einfach unerhört. Doch so sehr die weiche Titte, die sich gegen meinen Arm und meine Seite preßte, mich auch verwirrte, sie war nicht die aufregendste von all den Empfindungen, die auf mich einstürmten, als ich neben Rose lag und auf ihr Geplapper über Daddy lauschte. Ich nahm zum Beispiel auch deutlich einen Geruch wahr, der von ihr ausging, einen eigenartigen, unbekannten Duft, der mich schwindelig machte und mir den Atem nahm. Wie ich wohl schon erwähnt habe, war Rose für ein ungebildetes Mädchen vom Lande geradezu anspruchsvoll, was ihre eigene Person betraf. In dem Duftbukett, das sie verströmte, schwang auch ein Hauch «Alabasterseife» mit. Ich hatte nachmittags gehört, wie sie das Badewasser auslaufen ließ, sie hatte gebadet. Aber
das typisch Weibliche ihres Geruchs war viel stärker als das Seifenparfum und übte auf mich eine verführerische und aufregende Wirkung aus. Natürlich graust uns davor. Millionen Dollar - du lieber Himmel, wahrscheinlich Milliarden Dollar - werden deswegen ausgegeben. Nimm diese kleine Tablette ein, zerkau sie in deinem stinkenden Mund, sonst wird dich nie ein Mann küssen ... und falls er es doch tut, wird er voller Ekel zurückschrecken, davonstürzen und sich die Zähne mit Kuhscheiße putzen, um den Geschmack deines übelriechenden Atems loszuwerden. So gräßlich bist du. Zerbeiß die Tablette, du Abscheu erregendes Mädchen, lutsch das Pfefferminz, sprüh deine eklig nässenden Achselhöhlen ein, und bestäube deine faulig dampfende Scheide mit einem kühlenden Nebel, der nach Blüten duftet, sonst wird dich nie ein Mann begehren. Wenn du aber regelmäßig das tust, was wir dir sagen, wird ein Märchenprinz des Weges kommen und dich ficken und dich ins Schlaraffenland mitnehmen. Es gehört zu den idiotischsten Dingen, die ich je im Leben gehört habe, dieses unglaublich schmutzige und verlogene Zeug in Sachen «weiblicher Körper», das über die Glotze kommt. Was für ein fürchterlicher Verblödungs-Appeal, was für abscheuliche Lügen! Wie kann ein Mensch nur Tag für Tag verdorbenes Schweinehirn essen, ohne sich zu übergeben? Es ist äußerst widerwärtig, was an Intim-Reklame über die Glotze kommt, und darum habe ich mich auch geweigert, für das verfluchte Ding zu schreiben, obwohl man mir allerhand Geld geboten hat, damit ich ihnen helfe, ihre Muschi-Sprays und den übrigen schwachsinnigen Krampf zu verkaufen, den sie diesem großen, naiven Land vor die geduldigen Augen gaukeln. Gewiß, die Zeugungs- und Ausscheidungsorgane liegen dicht beieinander, das ist Gottes Plan. Natürlich soll eine Frau sich waschen und ein Mann auch, zum Donnerwetter - aber mehr ist nicht nötig, anständige Seife und Wasser ... vielleicht an sehr heißen Tagen ein wenig Deodorant unter die Arme; ich will da nicht unvernünftig sein. Aber der schöneren Hälfte der Menschheit gebe ich folgenden Rat: Laßt die Partie zwischen euren Beinen, wie sie ist, sie ist in Ordnung, es ist nichts an ihr auszusetzen. Und laßt euch von den betrügerischen Marktschreiern keine Angst einjagen. Verschwendet euer Geld nicht für irgendwelche Chemikalien mit synthetischem Rosenduft. Ihr selbst seid die wahre Rosenblüte, und ihr riecht großartig.
Als Rose in mein Zimmer kam und ihren Frauenkörper neben mich legte, war ich bis zu dieser Erkenntnis noch nicht vorgedrungen. Ich roch weiter nichts als den völlig normalen Geruch eines gesunden jungen weiblichen Körpers in einer heißen Septembernacht, der noch dazu vor gar nicht so langer Zeit gebadet worden war. Heute würde ich, wie man leicht aus meiner Kampfrede gegen den Reklame-Tinnef schließen kann, die Ausdünstung des weiblichen Körpers für etwas natürlich Schönes halten. Damals tat ich das keineswegs. Es ging mir mit dem Geruch, wie es mir mit der geheimnisvollen weichen Titte ging, die sich in meine Seite drückte: teils fand ich ihn schön, teils nicht. Was nach Moschus roch, schien unter Roses Armen hervorzukommen, der übrige Geruch ging eindeutig von der verbotenen Zone zwischen ihren Schenkeln aus. Es war ein sonderbarer Duft, nicht von dieser Welt. Ein bißchen wie Indischer Flieder, vermischt mit Akazienblüte, aber zusätzlich war da ein schweres, berauschendes Moschusaroma, ähnlich wie bei Mutters französischem Parfum. Dabei benutzte Rose gar kein Parfum. Gebadet hatte sie etwa um vier, jetzt war es so gegen zwei Uhr nachts, und es war heiß; sie roch auch, um ehrlich zu sein, ein klein wenig fischig, nicht stark, aber unverkennbar, mit einer strengeren Beimengung von scharfem Ammoniak, was ich in einem Anflug von Entsetzen für getrocknetes Pipi an ihren Schamhaaren hielt. Das hört sich wahrscheinlich so an, als ob ihr Geruch unangenehm gewesen wäre; das täte mir leid, denn das stimmt nicht ganz. Verwirrend ist das richtige Wort, verwirrend und aufregend, allenfalls ein wenig beklemmend. Aber auch merkwürdig faszinierend. Was es im Grunde damit auf sich hatte, verstand ich nicht, aber ich wußte, ich hatte etwas Bedeutsames entdeckt, etwas Einzigartiges, etwas Wahresso also roch eine richtig erwachsene Frau. Das kräftige odeur nahm einem die Sinne. Es war auf eigenartige Weise erregend, erregender als die weiche Brust an meiner Seite. Ich hatte davon ein Schwächegefühl in den Knien und ein Leergefühl im Magen. Und außerdem, das war das Komischste von allem, ein seltsames Prickeln in meinem nicht mehr ganz so schlappen «Pillermann». Ja, der wachte auf, reckte sich keck aus dem Urschlamm der Unschuld hoch und reagierte, im Dunkeln blinzelnd, auf ein Signal aus unvordenklichen Zeiten: «Wo ist sie? Wo ist sie? Sie ist irgendwo in der Nähe, ich weiß, sie ist irgendwo in der Nähe, wo ist sie?» Und wie ich so dalag, halb gebannt von dem urzeitlichen Geruch eines Frauenkör-
pers, das nackte, warme Bein an meinem Bein und den Arm um meine Taille spürte, da kam mir ein Gedanke, der meinen Jahren vorauseilte, ein kühner, schwindelerregender Gedanke. Letzten Endes, da lag sie nun mit mir im Bett, es war dunkel, niemand sah uns, Daddy und Mutter waren weit weg und schliefen fest der Himmel schickte mir diese Gelegenheit. Das Kindernachthemd reichte nur eine Handbreit über ihre Muschi. Wenn Rose die Beine spreizte, konnte ich meine Hand dazwischenlegen und sie berühren. Ich schluckte, die Zunge klebte mir am Gaumen. Plötzlich wünschte ich es mir ganz, ganz fest, und irgendwie mußte es klappen. Wie konnte ich sie fragen, wie? Ja, wie? Das Problem war, meinen Wunsch in würdiger Form vorzubringen, ihn lässig und gereift auszudrücken, damit sie nicht dächte, ich sei nur ein Kind. Am besten vielleicht ganz spontan und beiläufig wie ein Mann mit Erfahrung, nur so leichthin, gleichsam als Fortsetzung der Unterhaltung. Ja, das war die Fahrkarte zum Ziel, ich mußte sie nur an der richtigen Stelle mit gelassener Eleganz hervorziehen. Die Gelegenheit ergab sich wenige Augenblicke später, nachdem mir der Gedanke gekommen war. Rose hatte das leidige Thema Daddy vorübergehend fallenlassen und lobte mich, wie verständig ich sei, wie klug und meinen Erdentagen weit voraus. «Buddy», flüsterte sie zärtlich, «ich werde dir nie vergessen, wie nett du heute nacht zu mir warst, wie süß und lieb du dir meinen ganzen Kummer angehört hast. Ich weiß ja, daß du mich lieb hast, davon ... davon bin ich überzeugt, daran hab ich eigentlich nie gezweifelt, und du ahnst gar nicht, wie gut es mir getan hat, mit dir zu sprechen. Du verstehst es doch, nicht? Du gibst nicht mir die Schuld, daß ich deinen Daddy liebe, wo ich doch nichts dafür kann, nein? Du verstehst es und verzeihst mir, das tust du doch, nicht? Weißt du, du bist viel gescheiter, als Jungens in deinem Alter sonst sind, weißt du das?» «Ja, das sagen alle», erwiderte ich mit kühler Gelassenheit. «Und übrigens, Rose, da du nun schon mal mit mir im Bett liegst und alles, darf ich da deine Muschi anfassen?» Nun, da der Septembermond über der Steineiche im Hof stand, war Rose der lässige Vorschlag endlich gemacht. Einen Moment verschlug es ihr die Sprache, aber nicht lange. «Willst du wohl den Mund halten, Buddy», erwiderte sie. «Wie kannst du so was Ungezogenes sagen? Wie kommst du überhaupt auf solche Ideen?»
«Ich bin neugierig, wie sie sich anfühlt. Darf ich mal hinfassen?» «Nein, du darfst nicht! Und du solltest dich schämen, so was Unanständiges zu sagen, ein Kind in deinem Alter!» «Darf ich sie denn ein bißchen anfassen, Rose, nicht viel, nur ein kleines bißchen, um zu sehen, wie sie sich anfühlt?» «Auch das nicht! Ich bin ... ich bin erschüttert über dich, Buddy, wirklich erschüttert. Du bist jetzt still, oder ich gehe wieder in mein Bett zurück.» Ich zweifle nicht, daß Rose ehrlich erschrocken war, wenn auch wohl nicht ganz so erschüttert und entsetzt über meine Worte, wie sie tat. «Buddy, wirst du jetzt den Mund halten? Bist du von Sinnen?!» Als ich aber nicht aufhörte, zu bitten und zu betteln, nutzte ihre Erschütterung sich ab. Allmählich änderte sie ihren Standpunkt und fing an, über den lässigen Vorschlag in leicht abgewandelter Form zu diskutieren, als wäre es zwar ein schlimmer Einfall, etwas, das sich nicht gehörte, aber immerhin denkbar war. «Nun hör schon auf, Buddy, hör auf, mich zu quälen», sagte sie. «Wozu willst du sie überhaupt anfassen? Hast du denn Dollys noch nie gesehen? Meine ist genau wie ihre.» «Ja, aber deine ist eine, wie sie Erwachsene haben, da sind Haare drauf.» «Das ist aber auch der einzige Unterschied, sonst ist sie genauso. Außerdem hab ich gar nicht viel Haare, weil ich hellblond bin, und Hellblonde haben da unten nicht viel Haar.» «Rose, das stimmt doch nicht. Du kannst ein Baby kriegen, bei Dolly käme niemals ein Baby raus. Und viel habe ich von Dolly gar nicht gesehen, sie will mich nicht hinschaun lassen. Da habe ich ja noch mehr bei ihrer Freundin Elizabeth gesehen, und viel war das auch nicht. Sie hat nur mal kurz ihr Kleid hochgehoben und dann gleich wieder runtergezogen.» Rose lachte. «Was hast du gesehen?» fragte sie. «So 'nen kleinen Schlitz zwischen ihren Beinen mit so dicken Lippen und ... und einem kleinen Pinn in der Mitte wie ein Apfelsinenkern. Mehr hab ich nicht gesehen.» Rose lachte wieder. «Mehr hast du nicht gesehen? Buddy, das war's!» «Aber das kann doch nicht alles gewesen sein!» sagte ich. «Wo kommen denn die Babies her? Irgendwo muß doch noch eine Öffnung sein,
eine Stelle, wo die Babies rauskommen. Nun lach doch nicht, Rose. Stimmt's, oder stimmt's nicht? Sag schon.» «Ja, es stimmt», sagte Rose, und ich konnte im Mondschein sehen, wie sie lächelte. «Du bist ein verrückter Kauz, Buddy, wirklich. Will meine Muschi anfassen und hält mir hier Vorträge! So was wie dich hab ich noch nie erlebt. Nun hör mal zu, schau. Ich weiß, du bist neugierig wie alle Kinder und willst Bescheid wissen, aber, Buddy, ich kann dich da unten nicht hinfassen lassen, dein Daddy und deine Mutter würden mich rausschmeißen, sie würden denken, ich war unmöglich.» «Aber denen würde ich doch so was nie erzählen, das wäre ja das Dümmste von der Welt. Bitte, Rose, laß mich doch hinfassen, ich möchte nur sehen, wie es ist. Du hast gesagt, ich wäre nett zu dir gewesen, dann sei du jetzt mal nett zu mir. Das beruht immer auf Gegenseitigkeit. Ich habe mir stundenlang angehört, was du über Daddy gesagt hast, da kannst du mich ruhig mal ein bißchen hinfassen lassen, nur einmal. Bitte, Rose, darf ich? Ich bin neugierig. Es wäre wirklich lieb und nett von dir, wenn du mich ließest... bitte, Rose ...» Ich glaubte nicht, daß sie einwilligen würde, und bettelte und winselte eigentlich nur um des Streites willen. Damals wußte ich noch nicht, daß Rose zu keinem Mann nein sagen konnte, nicht mal zu einem ganz jungen. Das war eine grundsätzliche und chronische Schwäche von ihr. Sie war weder sinnlich erregt, noch hatte sie es auf mich abgesehen, sie konnte einfach nicht nein sagen, das war ihr Manko. Zu meiner Überraschung wie zu meinem Entzücken räusperte sie sich und erwiderte: «Nun gut, ich glaube, so schlimm ist es nun auch wieder nicht, du bist ja noch ein Kind. Und ich weiß, Kinder sind neugierig, ich war es auch, als ich klein war. Wenn ich dich lasse, versprichst du mir bei allem, was dir heilig ist, nichts deinem Daddy und deiner Mami zu sagen?»
«Ja.» «Und dann den Mund zu halten und keine Fragen mehr zu stellen?» «Ja, ja, natürlich.» Ich bin fest davon überzeugt, daß Rose zu diesem Zeitpunkt keinerlei sinnliches Interesse an mir hatte, sie war aber ganz feierlich geworden. Voll ungeheurer Spannung beobachtete ich, wie sie das Für und Wider zum letztenmal ernsthaft erwog und dann, sich hochräkelnd, nach dem Saum ihres abgetragenen Baumwollnachthemds griff. Sie
glaubte, die Berührung einer Kinderhand würde ihr nichts ausmachen, aber sie sollte sich getäuscht haben. «Also gut, dann los», sagte sie, «und denk daran, es bleibt unter uns, du hast es versprochen, Buddy.» «Keine Sorge.» Sie setzte sich halb im Bett auf und zog das Nachthemd bis zur Taille hoch. Ich hatte ein leichtes Sausen in den Ohren und konnte kaum Luft holen. Rose zog das Nachthemd noch ein Stück höher, ließ sich auf das Kopfkissen zurücksinken, spreizte die Beine und sagte: «Aber nicht lange, Buddy, nur damit du weißt, wie's ist, klar?» Im Mondschein, der jetzt heller ins Zimmer fiel, sah ich deutlich ihren Bauch, den Bauchnabel, und nicht allzuweit unterhalb des Bauchnabels ein auf der Spitze stehendes Dreieck aus kurzem, ziemlich krausem Haar, das dunkler war als ihr Kopfhaar. Das war für mich keine Überraschung. Ich wußte, daß erwachsene Frauen da Haare haben, aber als ich es nun zum erstenmal in natura sah, war mir doch ein wenig flau zumute. Behutsam legte ich Rose die Hand auf den Bauch, dicht am Nabel, der beruhigenderweise nicht viel anders aussah als mein eigener. Dann atmete ich tief durch. Der Körpergeruch kam mir jetzt viel strenger vor. Wahre Wogen einer aufreizenden Ausdünstung schienen mich von jener geheimnisvollen, furchterregenden Stelle zwischen ihren Beinen anzuwehen. Das Ding machte mich nervös. «Ich dachte, du wolltest hinfassen», sagte Rose. «Ja. Ich schau erst noch.» «Du siehst ja nichts bei diesem Licht.» «Ein bißchen sehe ich schon.» «Buddy», sagte Rose mit einem Lächeln in der Stimme, «jedes Mädchen und jede Frau hat genauso eine Muschi wie ich. Du wolltest sie anfassen, und nun faß sie auch an - es tut nicht weh, es kann gar nicht weh tun.» «Das weiß ich selber, für wie dumm hältst du mich?» Es gab kein Entrinnen. Langsam ließ ich meine Hand auf das geheimnisvolle Ding zugleiten, über das ich mir den Kopf zerbrochen hatte, seit ich denken konnte. Natürlich würde es nicht weh tun, aber es war etwas Verbotenes, und wer konnte wissen, welch tückische Gefahren und Fallgruben drinnen lauern mochten. Als jedoch meine Finger an seine äußeren Grenzen stießen - kurzes, krauses Haar, genauso seidig, aber weniger fein als das Kopfhaar -,
siegte die Neugier über die Furcht. Meine Hand schob sich bis zu einer gepolsterten Wölbung vor, die auch mit krausem, aber erheblich dickerem Haar bewachsen war. Die Wölbung schien deutlich hervorzutreten, wie ein kleiner Hügel; als ich sie mit den Fingern eindrückte, entdeckte ich, daß unter dem weichen Gewebe ein harter Knochen saß, der sich wie ein Wulst anfühlte. Sehr aufregend. Ich war so gefangengenommen, daß mich nicht einmal der Geruch mehr störte, obwohl er jetzt sehr stark war. Vorsichtig tasteten die Finger sich zu dem seltsamen Mittelteil hin. Ich fühlte den gleichen kleinen Pinn, den ich schon an Elizabeth bemerkt hatte, das kleine Ding, das aussah wie ein Apfelsinenkern. Etwas tiefer berührte ich die prallen Seiten dieses Teils, die auch kurzes, krauses Haar hatten. Zur Mitte hin war es feucht, und das war höchst interessant. Ich schob einen Finger zu dem kleinen Apfelsinenkern zurück und bemühte mich, brennend vor Neugier und fasziniert, seine Beschaffenheit und seine Eigenschaften zu ertasten. - Sehr interessant. Es war ein elastisches, schlüpfriges Dingelchen, das ziemlich geschickt unter meiner Fingerspitze weghopste; ich konnte es nicht festdrücken. In diesem Augenblick griff Rose nach meiner Hand und zog sie fort. «Das ist genug, Buddy», sagte sie mit einer Stimme, die nicht so klang wie sonst. «Wieso? Ich habe sie noch gar nicht berührt», sagte ich empört. «Doch, hast du wohl.» «Praktisch überhaupt nicht! Das war kein richtiges Anfassen, Rose! Du mußt mich einmal richtig anfassen lassen!» Ich merkte, wie sie sich im Bett steif machte, sich zu mir drehte und sich mit einer Hand ihr blondes, welliges Haar aus der Stirn strich. «Erzähl mir nichts, du verflixter kleiner Rotschopf!» sagte sie mit einer Stimme, die überhaupt nicht so klang wie sonst. «Du erinnerst mich an die Mannsbilder. Ich muß dich gar nichts lassen!» «Aber ... aber ... aber, Rose!» rief ich aus. «Werde doch nicht gleich wütend, warum bist du wütend? Ich will doch nur so hinfassen, daß ich weiß, wie es ist, und das habe ich nicht.» «Hingefaßt hast du jedenfalls», sagte sie mit ruhiger Stimme, «und damit hat sich's.» «Ich weiß nicht, warum du mit einemmal wütend auf mich bist, du hast gesagt, ich dürfte. Willst du mich jetzt wütend machen? Habe ich dir weh getan, bist du deswegen wütend auf mich?» «Buddy, ich bin nicht wütend auf dich.»
«Warum redest du dann in diesem Ton mit mir? Meine Bitte hat eine gewisse Berechtigung, Rose, das mußt du zugeben. Es hat eine gewisse Berechtigung, wenn ich dich in aller Höflichkeit bitte, mich einmal richtig hinfassen zu lassen.» «Das hast du ja. Du hast einmal richtig hingefaßt.» «Was?! Dann sag mir bitte, wie kann da ein Baby rauskommen? Ich habe keine Stelle gefühlt, wo ein Baby rauskommen kann.» Sie wirkte jetzt müde, fast traurig und als wäre sie mit ihren Gedanken ganz woanders. «Das ist da aber», sagte sie, «da kommt das Baby raus, wenn eine Frau eins kriegen kann.» «Wo denn? Ich habe nichts davon gefühlt.» «Buddy, etwas weiter unten als da, wo du mit deinem Finger warst, das kannst du mir ruhig glauben.» «Aber, Rose, das ist doch gerade das, was mich am meisten interessiert! Schön, du mußt mich nicht lassen, aber wenn du nett wärst, würdest du mich einmal richtig hinfassen und fühlen lassen, wo die Babies herauskommen!» «O Buddy, hör auf, mich zu triezen! Ich war nett zu dir, ich habe dich hinfassen lassen, und ich möchte da nicht mehr berührt werden, es ist mir unangenehm. Du verstehst das noch nicht, aber so etwas kann eine Frau erregen. Nun leg dich schön hin, und sei still.» Rose hatte es selbst gesagt- «so etwas kann eine Frau erregen». Aber selbst da befürchtete sie wohl noch nicht, daß die Berührung meiner Hand eine nachhaltige Wirkung auf sie ausüben könnte, obwohl es bereits einmal der Fall gewesen war. Ich bettelte, jammerte, quälte und flehte mit allen möglichen Begründungen so lange, bis sie zu guter Letzt seufzend meinte: «Also gut, gib mir deine Hand, ich zeige dir jetzt genau die verdammte Stelle, wo sie rauskommen, wenn du es denn unbedingt wissen mußt.» Mit einem weiteren müden und, wie mir schien, ziemlich ärgerlichen Seufzer nahm Rose meine Hand, legte sie zwischen ihre gespreizten Beine, ergriff meinen Mittelfinger, führte ihn abwärts und sagte: «Hier.» Ein prickelnder Schreck durchfuhr mich, als mein Finger mühelos in warmem, weichem Fleisch versank. Es war eine bestürzende, aber auch sehr angenehme Empfindung. Das Fleisch schloß sich um meinen Finger wie ein warmer Ring. Noch etwas stellte ich fest, das recht interessant war. Die ganze Stelle war feuchter geworden, nicht naß, aber feuchter; mein Finger schien von einer glitschigen Substanz
umgeben zu sein, er war sehr, sehr leicht reingegangen. Als ich die weichen Fleischfalten fest, nicht stramm, um meinen Finger fühlte, erhob sich eine grundsätzliche Frage, die mir keine Ruhe ließ. «Rose», sagte ich, «hieraus kann doch unmöglich ein Baby geboren werden. Es scheint zwar tief zu sein, ist aber eigentlich nicht breiter als mein Finger.» Rose gab keine Antwort. Sie war wohl immer noch wütend, dachte ich, weil ich sie überredet hatte. Doch da sie meine Hand jetzt losgelassen hatte, konnte ich ebensogut meine Chance nutzen und das Geheimnis ergründen. Ich zog meinen Finger fast ganz aus der warmen Fleischhöhle heraus und steckte ihn wieder rein, dann nochmal und nochmal und nochmal. Es war faszinierend, wie sie meinen Finger umspannte, ihm gewissermaßen folgte, wenn ich mal so sagen darf. Dabei entdeckte ich etwas noch viel Interessanteres. Die Höhle paßte sich nicht nur genau meinem Finger an, Rose hatte sogar Muskeln da unten drin. Ich spürte, wie der weiche Ring um meinen Finger sich langsam zusammenzog, dann lockerte und wieder zusammenzog. Trotzdem war ich nach wie vor sehr im Zweifel. Ein Baby konnte an dieser Stelle nicht rauskommen, ausgeschlossen, dazu war die Öffnung viel zu klein. Ich hatte schon neugeborene Babies gesehen. Schön, sie waren winzig, aber ihre Köpfe waren viel größer als das hier, und ich konnte mir nicht vorstellen, wie sie je da hätten durch sollen. Zwar schien das Fleisch komische Falten zu haben, ich fühlte sie, wenn ich mit dem Finger an die Seiten drückte, und mag sein, daß das Ganze sich noch etwas dehnte, aber um ein Baby durchzulassen, hätte es sich wahnsinnig dehnen müssen. Hingebungsvoll und wißbegierig setzte ich meine Untersuchung fort, Rose war vergessen. Die Höhle war tief, wenigstens schien es so. Ob es fünfunddreißig Zentimeter waren? Oder hatte der Schmutzfink Hollis übertrieben? Neugierig, ob ich bis ans Ende käme, was ich nicht annahm, stieß ich mit dem Finger etwas fester zu. Ich hatte Angst, Rose zu verletzen, aber ich fühlte immer noch keinen Grund, nur warmes, endloses Fleisch. «Rose, wie tief ist es?» fragte ich. «Ist es irgendwo zu Ende?» Schweigen. Schließlich vernahm ich ein kaum hörbares Schluckgeräusch, und dann sagte Rose mit ganz veränderter, leiser Stimme: «Ich weiß nicht. Wahrscheinlich.» «Das muß es doch meiner Meinung nach», sagte ich, zog abermals meinen Finger fast ganz heraus und stieß ihn, soweit ich konnte, ener-
gisch wieder hinein. Daraufhin umklammerte Rose mein Handgelenk und sagte: «Buddy, hör auf.» «Entschuldige», sagte ich, «habe ich dir weh getan?» «Nein, du hast mir nicht weh getan, aber hör jetzt auf.» «Wieso? Wenn ich dir nicht weh getan habe, warum soll ich dann aufhören?» «Weil du was Schreckliches mit mir anstellst. Bitte, hör jetzt auf.» Es war merkwürdig und ein wenig beängstigend, ja entschieden ein wenig beängstigend. Sie sagte mir, ich solle aufhören, hielt aber gleichzeitig mein Handgelenk mit eisernem Griff umklammert, so daß ich mich nicht rühren konnte. Was war los mit ihr? Ich bekam es mit der Angst. «Na, dann laß mich los», sagte ich. Rose gab keine Antwort und rührte sich nicht. Ihre Hand hielt mein Handgelenk eisern umklammert. Schließlich holte sie tief Atem, und als sie ausatmete, merkte ich, wie ihr schweißnasses Bein zitterte. Irgendein Schmerz, irgendeine Qual schien von ihr Besitz ergriffen zu haben. Mein Handgelenk blieb fest in ihrem Griff; ich konnte meinen Finger nicht herausziehen, Rose war eine ganze Portion stärker als ich. Es wäre mir gar nicht möglich gewesen, meine Hand zu bewegen. Nach einem weiteren tiefen Atemzug lief es wie ein leichter Schauder durch ihren Körper. «O Gott», raunte sie, «das ist schlimm von mir, einfach schlimm.» Ein langes Schweigen folgte. Ich lag seitlich auf einen Ellbogen gestützt, einen Finger im warmen Fleisch vergraben, blickte auf Roses im Mondschein fahlen Unterleib und horchte auf ihren Atem. Sie atmete eigenartig. Ich sah, wie sich gleich unterhalb der Rippen der Magen hob und senkte und der Bauchnabel rhythmisch auf- und niedertanzte. Rose schien außer Atem zu sein, dabei hatte sie sich in keiner Weise angestrengt, nur dagelegen. Wie lange würde sie so weitermachen. Stumm und reglos lagen wir beide in der heißen, feuchten Mondnacht, mein Handgelenk in ihrem Griff, mein Finger in ihrem Leib. Von Zeit zu Zeit spürte ich, wie der weiche Ring um meinen Finger sich langsam verengte und wieder entspannte. Nun überlief mich doch ein Frösteln. Ich hatte noch etwas bemerkt, das mir nicht ganz geheuer vorkam. Zwischen ihren Beinen war es jetzt nicht nur feucht, es war naß, das ganze Ding war naß, pitschnaß, sogar das kurze krause Haar drum herum war naß. Allmählich kriegte ich es mit der Angst zu tun. Am Anfang war es ungeheuer
spannend gewesen, aber jetzt wollte ich aus dieser Situation heraus. Warum sagte sie nichts? Warum gab sie diese komischen leisen Schluckgeräusche von sich? Warum schwitzte sie so stark? Arm und Bein fühlten sich schweißnaß an - was war los mit ihr? Ich wollte raus aus der Situation. Ich hatte gehabt, was ich wollte, hatte einmal «richtig hinfassen» dürfen, und nun sollte Schluß sein. Als ich mich gerade entschlossen hatte, ihr zu sagen, sie solle meine Hand loslassen, damit ich meinen Finger rausziehen könne, machte sie wieder einen dieser schrecklichen kleinen Schlucklaute und sagte mit hilfloser Flüsterstimme: «Buddy, es ist gräßlich von mir, einfach gräßlich, aber ich kann nichts machen. Würdest du mir bitte ein bißchen helfen?» Sie hätte mir leid tun sollen, offensichtlich war irgendwas mit ihr, aber es gefiel mir nicht. Zweifelnd fragte ich: «Dir helfen?» «Ja ... würdest du mir helfen?» Noch zweifelnder fragte ich: «Was soll ich denn machen?» «Ich ... zeige es dir», flüsterte sie. «Du brauchst mit deinem Finger nur noch mal kurz an diese Stelle hier zu fassen.» Ihre Hand führte meinen Finger wieder zu dem komischen kleinen Pinn. Sie drückte meine Fingerspitze auf den Pinn und bewegte sie hin und her. «Mach das ein bißchen», hauchte sie so leise, daß ich sie kaum verstehen konnte. «Nur ein bißchen, gerad so, nicht zu fest und nicht zu sanft, gerad so...» So was Verrücktes hatte ich im Leben noch nicht gehört. Aus irgendeinem nur ihr und dem Teufel bekannten Grunde sollte ich das verdammte Ding mit der Fingerspitze reiben. Es gefiel mir nicht, es gefiel mir ganz und gar nicht, die ganze Sache war mir unheimlich geworden, aber ich sah keinen Ausweg. «So?» fragte ich. «Ja», flüsterte sie, «so, genau so.» «Na schön. Wie lange?» «Buddy, nur ein bißchen.» Es war mehr als ein «bißchen», jedenfalls kam es mir so vor. In Wirklichkeit habe ich den Pinn wohl nur zwei oder drei Minuten gerieben. Aber von ein «bißchen» konnte gar keine Rede sein, und es war gar nicht so einfach, weil das dämliche Ding so glitschig war und mir dauernd unter der Fingerspitze weghüpfte, zumindest schien es so. Kaum hatte ich begonnen, da fing Rose heftiger an zu atmen, und
bald keuchte sie, als wenn sie völlig außer Atem wäre, wobei sie ab und zu komische Laute ausstieß - wie ein miauendes Kätzchen. Angst und bange konnte einem werden. Ich will nicht übertreiben, richtig gefürchtet habe ich mich nicht, und in Panik geraten bin ich schon gar nicht, aber verwirrt und beunruhigt war ich. Rose japste, als wäre sie einen Kilometer weit gerannt. Den einen Arm hatte sie so fest um mich geschlungen, daß ich beinah ebenso atemlos war wie sie; wie ein Stahlband umspannte er mich und drückte mir die Luft ab, und mit der anderen Hand preßte sie mir die Schulter zusammen, es tat weh. Rose war, wie schon gesagt, sehr kräftig für ein Mädchen. Nicht nur meine Schulter tat weh, auch meine Hand war in einem so unglücklichen Winkel abgebogen, daß das Handgelenk schmerzte. Zu all meinen übrigen Problemen kam noch hinzu, daß es sehr schwierig war, den kleinen Pinn zu reiben, dauernd flutschte er mir weg. Es war mir unmöglich, meine Fingerspitze draufzuhalten - so dachte ich. «Wo ist er?» fragte ich. «Ich finde ihn nicht.» «Du hast ihn!» ächzte Rose mit erstickter Stimme. «Mach weiter, Buddy, nur noch ein bißchen, bitte!» Weiter ging's, das Handgelenk schmerzte, Rose keuchte immer heftiger und gab jetzt nicht nur miauende, sondern auch stöhnende Laute von sich. Plötzlich entrang sich ihr ein lauteres Stöhnen, dem ein noch lauteres folgte, und das reichte mir nun - ich hatte die Nase voll von dieser verrückten Geschichte, zum Teufel damit! «O bitte, Buddy», flehte sie mit gurgelnder Stimme, «ich bin gleich soweit; hör nicht auf.» «Aber mein Handgelenk ist lahm», maulte ich, «es tut weh. Wie lange muß ich denn noch?» «Nur ein bißchen noch ... bitte, Buddy, ich bin jetzt fast davor ... hast du mich ein wenig lieb? Ich hab dich lieb ... bitte, nicht mehr lange.» Obwohl ich nicht wußte, was das alles zu bedeuten hatte, mußte ich innerlich lachen: Zuvor hatte ich gejammert, jetzt tat sie's. Vielleicht ist dies in unserer Gesellschaft eine stets wiederkehrende Kalamität in der Beziehung zwischen Mann und Frau, besonders, wenn einer von beiden erst dreizehn ist. Mit einem müden und angewiderten Seufzer nahm ich die Reiberei an dem unhandlichen kleinen Pinn wieder auf. Ich gab mir wirklich die größte Mühe, meine Fingerspitze draufzulassen und ihn tüchtig zu rei-
ben, denn das wollte sie ja anscheinend. Und richtig - bald darauf stöhnte sie dumpf und fürchterlich auf und stemmte zu meiner Verwunderung die Hüften hoch, so daß ich den Pinn kaum noch zu fassen kriegte, obwohl ich mich gerade darauf konzentrierte. Und dann stieß sie einen grauenerregenden Schrei aus, der leicht Doll nebenan hätte aufwecken können: «Ohhhhhhh!» - Es war schrecklich, ich spürte, wie sie am ganzen Leib zitterte und der kleine Pinn unter meinem Finger wie ein lebendiges Tier zuckte. Da fuhr mir nun wirklich und wahrhaftig der Schreck in die Glieder. Ich hatte genug, mehr als genug, und war entschlossen, den Quatsch nicht länger mitzumachen, egal was sie sagte - doch in diesem Augenblick lockerte sich der Arm um meine Taille, die Hand glitt von meiner Schulter, das blonde Haar fiel aufs Kopfkissen zurück; Rose schob meine Hand zur Seite, erbebte noch einmal leicht und schloß ihre Beine fest zusammen. Ich wußte, gelinde gesagt, nicht, was ich davon halten sollte. Offenbar hatte sie eine Art Anfall gehabt. Ich hatte mal gesehen, wie ein ziemlich häßliches älteres Mädchen in einem Bus in Glenville einen epileptischen Anfall bekam. So ähnlich war es hier auch gewesen, nicht genauso, aber ungefähr. Wenn man einem Mädchen den kleinen Pinn rieb, kriegte sie einen Anfall. Ich war froh, daß Roses Anfall vorüber war, sie tat mir doch sehr leid - gut, sie hatte es so gewollt, aber es war eine schreckliche und schmerzhafte Sache gewesen, soviel stand fest. Dachte ich zuerst. Bald stellte sich jedoch heraus, daß die Wahrheit anders aussah. Rose holte mehrmals tief, tief Luft, als wäre sie zwanzig Meter unter Wasser gewesen, legte mir eine feuchte Hand auf den Bauch und die feuchte Stirn an meine Schulter. Ich fühlte ihre Lippen auf meiner Wange und hörte sie flüstern: «O Gott, das ist himmlisch, himmlisch. O Buddy, ich kann dir gar nicht sagen, wie himmlisch das ist, wie schön. Es ist das Paradies. Ich liebe dich, ich liebe dich so sehr. O Buddy, ich liebe dich ...» Deutsch von Gerhard Vorkamp
Pascal Laine
Zärtliche Cousinen Es war Zeit, das Heu einzufahren. Madame Lacroix lenkte den Leiterwagen. Justine, ein anderes Mädchen vom Hof und Julien saßen hoch oben auf dem Heu. Die Frauen hatten ihre Haare unter leuchtend bunten Tüchern versteckt. Sie schwitzten in ihren groben, grauen Kattunkleidern, die nicht viel länger waren als Blusen und vorn zugeknöpft. Unter den Achseln und um ihre Brüste hinterließ Schweiß salzig-weiße Ränder. Justine machte die oberen Knöpfe auf und wischte sich die Brust mit einem Heubüschel trocken. Julien sah ihr dabei zu. Sie lächelte zu ihm hinüber. «Ist Ihnen nicht heiß, Monsieur Julien? Schwitzen Sie nie?» «Er ist doch ein Herr, unser Monsieur Julien, und Herren schwitzen eben nicht», philosophierte das andere Mädchen. «Aber bei ihm ist es etwas anderes. Er arbeitet doch!» Sie kamen zur Scheune. Der Leiterwagen mußte rückwärts ins Tor setzen, Julien sprang als erster herunter und half, die Ochsen an ihrem Geschirr rückwärts zu schieben. Justine und das andere Mädchen warfen die Heuballen herunter, die Julien auf eine Heugabel spießte und hinten in der Scheune aufeinanderschichtete. «Er ist so stark wie drei von unseren Männern, dieser Herr», meinte Justine. Bald war die Arbeit getan. Die beiden Frauen sprangen vom Wagen und sanken, wie auch Julien, müde und erschöpft ins Heu. Madame Lacroix holte ein paar Flaschen Apfelmost. Julien hatte eine trockene
Kehle glutrote Ohren, sein Herz hämmerte bis zu den Schläfen. Wie in einer Sänfte sank er tiefer und tiefer ins warme Heu und hatte das schöne Gefühl, als trieben seine schmerzenden Glieder im Wasser. Die tiefstehende Sonne erleuchtete das Innere der Scheune, der goldene Staub wirbelte in ihren Strahlen. Madame Lacroix kam zurück und trug in jeder Hand zwei Mostflaschen. Die Mädchen vom Hof zogen Julien an den Armen hoch. «Hier, Monsieur Julien, Sie haben eine kleine Belohnung verdient!» Die drei Frauen blickten sich mit Verschwörermiene an, dann prusteten sie los. Justine hielt Julien bei den Schultern fest, während das andere Mädchen ihm die Flasche an die Lippen hielt. Nach einem kräftigen Schluck ließen sie ihn behutsam zurück ins Heu sinken. Justine band sein Halstuch los und wischte ihm damit Kinn und Hals ab. «Sie haben sich ja ganz mit Most bekleckert, Monsieur Julien!» «Eine liebe Frau, die Justine, nicht wahr, junger Mann?» meinte Madame Lacroix. Sie unterstrich ihre Bewunderung für besagte Justine, indem sie mit beiden Händen die wohlproportionierten Wölbungen ihres Körpers beschrieb. «Er ist wirklich eine große Hilfe. Er ersetzt ohne weiteres unsere Männer», sagte Justine. «Leider nicht überall!» Madame Lacroix lachte laut. Langsam erholte sich Julien. Er hatte immer noch Durst, war aber zu schlapp, sich zu bewegen, und hatte keine Lust, sich zum Trinken aufzurichten. Er wartete lieber, daß Justine ihn wieder bei den Schultern packte und das andere Mädchen ihm die Flasche reichte. Er wollte sich verwöhnen lassen wie ein kleines Kind. Er hörte, wie der Korken der zweiten Flasche knallte, und machte sich mit gebieterischem Quengeln bemerkbar. Justine gab ihm die Flasche, und er trank sie auf einen Zug halbleer. «Vorsicht, Monsieur Julien», kreischte Madame Lacroix, «Sie bekommen davon einen fürchterlichen Blähbauch!» Die beiden Mädchen kicherten. Justine nahm ihm die Flasche aus der Hand. «Ich verdiene schließlich auch eine Belohnung!» Und mit drei tüchtigen Schlucken leerte sie die Flasche. «Paß auf, sonst blähst du dich auch noch auf wie ein Ballon», warnte Madame Lacroix.
Brust raus, Bauch rein, die Hände in die Hüften gestemmt, baute Justine sich breitbeinig vor Julien auf. «Was? Ich habe doch noch die Figur einer Fünfzehnjährigen, nicht wahr, Monsieur Julien?» Alle brüllten vor Lachen. Für Madame Lacroix war der Moment gekommen, und vorsichtig stieß sie das andere Mädchen mit dem Ellenbogen an. Die beiden Frauen machten sich aus dem Staub, während Justine noch eine Flasche Most entkorkte und ihren Hintern neben Julien ins Heu fallen ließ. «Der arme Kleine ... Diese Nacht wird er gut schlafen ...» kicherte das Mädchen, kaum waren sie aus der Scheune heraus. «Trotzdem, das ist nicht richtig von ihr», meinte Madame Lacroix. «So ist sie nun mal, das ist ihr Temperament. Mir hat sie gestanden, daß sie es jeden Tag braucht. Sogar zweimal am Tag. Na ja, und wo ihr Mann jetzt fort ist...» «Hör auf! Schließlich sind wir ja auch nicht besser dran! Wir hätten genauso gute Gründe wie sie!» Justine bot Julien noch einen Schluck aus der Flasche an. Er trank so gierig, daß er sich verschluckte und sein Hemd naß wurde. «Sie sind ja klitschnaß, Monsieur Julien, Sie holen sich noch einen Schnupfen.» Und schon knöpfte sie ihm in Windeseile das Hemd auf. Julien war schrecklich verlegen. Seit seinem Erlebnis mit Mathilde spukten nachts nur noch die unanständigsten Bilder in seinem Kopf herum. Erst beim Erwachen konnte er sie verscheuchen. Wie schlecht die Geschichte damals ausgegangen war! Justine streifte plötzlich mit der Hand seine Brust. «Wie schnell es klopft, Ihr Herz!» Julien warf einen verzweifelten Blick aufs Scheunentor, das noch nicht einmal angelehnt war. Ob gleich wieder jemand kam? Justine hatte das Ohr an seine Brust gelegt. «Darf ich horchen, wie es klopft?» Nach einer Weile lehnte sie sich zurück und faßte den Jungen scharf ins Auge. «Sie sind sehr aufgeregt, was, Monsieur Julien!» Julien nickte, während er noch immer ängstlich auf das Scheunentor starrte. Welche Katastrophe würde wohl dieses Mal eintreten? Er
wollte aufstehen und wenigstens nachschauen, ob sich draußen irgend jemand herumtrieb. Doch Justine gab ihm einen Schubs, und er kippte nach hinten zurück ins Heu. Sie legte sich auf ihn und machte sich an ihm zu schaffen. Und schon spürte er das Kitzeln der Hälmchen an seinem nackten Hintern. Einen Moment lang hielt sie inne und schaute ihm forschend ins Gesicht. «Was gibt es denn da hinten zu sehen», fragte sie beleidigt. «Ich versuche zu sehen, ob draußen jemand ist», stotterte er. «Nun hör schon auf», rief sie, «ich geb dir etwas anderes zu sehen!» Sie kniete sich hin und zog ihr Kleid über den Kopf. Darunter hatte sie nichts an, noch nicht einmal eine Unterhose. Starr vor Staunen vergaß Julien sogar die Tür. Er heftete den Blick auf das herrliche, rote Vlies von Justine, das sich bis zu ihrem Bauchnabel hochzog, sich weit auf ihre Schenkel ausbreitete und sich wie eine Quaste zwischen ihren Beinen aufwölbte. Die Magd kannte das Mannsvolk und war sich ihrer Wirkung bewußt. Doch Juliens Blick drückte so großes Erstaunen aus, daß selbst sie gerührt war. «Willst du auch den Rest sehen?» Stolz drehte sie sich um, spreizte die Beine und zeigte ihm die Stola auf ihrem Hintern, die so gut zu dem Muff paßte, den sie vorn trug. Sie brauchte eigentlich nie kalte Hände zu haben! Justine nahm ihre ursprüngliche Haltung wieder ein und bemerkte gleich das stumme Kompliment, das sich beim Anblick von soviel Schönheit aus Juliens Innerstem aufgerichtet hatte. Die Tür konnte nun offenbleiben. Agnes und die anderen hätten ruhig hereinkommen können! Julien hätte deshalb seine Bewunderung auch nicht verhehlt! Er war so naiv, so begeistert, daß Justine nicht umhin konnte, ihm ihrerseits Lob zu zollen. «Wie groß er ist!» Sie stürzte sich mit soviel Feuer, soviel Zärtlichkeit auf den jugendlichen Überfluß, daß Julien ihr nicht widerstehen konnte. Wie lange, wie viele Nächte hatte er schon davon geträumt und die offene Tür im Auge behalten! «Paß auf, paß auf», stöhnte er plötzlich. Zu spät! Enttäuscht richtete Justine sich auf und betrachtete das Ornament aus kleinen Perlen, mit dem der junge Mann ihr Vlies bekränzt hatte.
«Sie sind aber leicht erregbar, Monsieur Julien. Aber das macht nichts, wir kommen schon wieder zu Kräften!» Sie entkorkte die letzte Mostflasche und reichte sie Julien, der mit gierigen Schlucken trank. «Das wird Sie entspannen. Das nächste Mal sind Sie nicht mehr so aufgeregt.» Und sie zwang ihn, noch einen tüchtigen Schluck zu nehmen, bis er drei Viertel der Flasche getrunken hatte. Dann trank sie den Rest und machte es sich neben dem Jungen bequem, dessen Bauch fürs erste nur noch ein nichtsnutziges Gluckern und Knurren von sich gab. «Nun aber los!» ermutigte sie ihn. «Vor dem Entern muß man die Flagge hissen!» Doch Julien konnte nur noch kentern. «Ich glaube, Justine, Sie haben mir zuviel zu trinken gegeben.» Trotzdem, das war doch kein Zustand! Mit aller Kraft zerrte Justine an den Tauen und Seilen. Sie war Meisterin ihres Handwerks! Schon ganz andere Situationen hatte sie gemeistert: Flauten, Stille nach dem Sturm, Auflaufen auf Sand. Mit Geschick und Geduld kam man immer wieder voran! Doch nichts zu machen. Julien war seelenruhig im Heu eingenickt. Er schnarchte sogar. Verärgert und enttäuscht mußte Justine das Ruder nehmen und die Reise allein fortsetzen. Dann zog sie sich an, verließ die Scheune und den schlafenden Jungen, dessen Schiff noch immer in der Flaute driftete.
Es war schon fast dunkel, als Madame Lacroix in die Scheune kam. Im schwachen Schein der Glühbirne, die an der Decke baumelte, machte sie sich auf die Suche nach Julien. «Monsieur Julien, es ist Zeit zum Essen.» Ein Fuß des Schläfers ragte aus dem Heu heraus, und Madame Lacroix stieß dagegen. Mit einem Satz sprang Julien auf und mußte feststellen, daß er Madame Lacroix in unschuldiger Nacktheit gegenüberstand. Lächelnd betrachtete sie ihn. Schamrot griff sich Julien ein Büschel Heu und hielt es sich vor den Bauch. «Dieses Tierchen, Monsieur Julien, frißt aber lieber etwas anderes als Heu!» amüsierte sich die Frau des Verwalters.
Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür, während Julien sich eilig anzog. Er drehte ihr selbstverständlich den Rücken zu, spürte aber, daß sie ihn mit einem leisen Lächeln auf den Lippen beobachtete. Gewiß machte sie sich über ihn lustig, oder sollte ihr Lächeln etwas anderes bedeuten, etwas, das er sich nicht genau erklären konnte? Konnte sie nicht in eine andere Richtung gucken? Beim Verlassen der Scheune mußte er an ihr vorbei. «Was wird Ihre Mutter sagen, wenn sie das sieht!» Dabei klaubte sie zwei goldene Hälmchen aus seinem Haar. Sie zog ein Taschentuch aus ihrer Schürze, spuckte kräftig hinein und wischte Julien damit übers Gesicht. «So! Glänzend wie ein neuer Taler!»
Als er das Speisezimmer betrat, war das Abendessen schon vorbei. Man stand gerade vom Tisch auf. «Entschuldigung, aber ich war eingeschlafen.» «Du hättest doch vorher zumindest Bescheid sagen können», sagte Agnes trocken. «Er arbeitet zuviel», meinte Tante Adele. «Geh in die Küche und iß noch ein wenig, mein kleiner Julien.»
Ohne es vorher aufwärmen zu lassen, verschlang Julien gierig ein ganzes Weckglas mit Kaninchenragout und eins mit baskischem Huhn. Zu guter Letzt verzehrte er noch zwei Heidelbeertörtchen. Als er gerade fertig war, kam Justine aus dem Speisezimmer, wo sie das Abendessen abgetragen hatte, in die Küche. Sie würdigte Julien keines Blickes. Geschäftig ging sie hin und her, stellte das schmutzige Geschirr in den Spülstein zwischen die leeren Weckgläser, ließ Wasser aus dem Hahn fließen und begann zu spülen. Fassungslos sah Julien zu ihr hinüber: Sie hatte ihm noch nicht einmal zugelächelt, noch nicht einmal verständnisvoll mit dem Auge gezwinkert, nichts! Und nun kehrte sie ihm den Rücken zu, fuhrwerkte in dem Spülwasser herum, daß die Gabeln gegen die Gläser knallten und der Schaum über den Rand des Spülsteins quoll. Und er, Julien, hatte für sie genau dieselbe Bedeutung wie eine platzende Seifenblase! Das konnte doch nicht wahr sein! Waren er und Justine nicht erst vor zwei Stunden
beisammen gewesen? Doch, sicher! Beisammen gewesen? Das Wort war ja wohl nicht übertrieben, trotz seines Mißgeschicks. Also stand er vom Tisch auf. Wenigstens eine Erklärung wollte er ihr geben, seine Rechte geltend machen! So ging es ja schließlich nicht! Glücklich wollte er sie machen, sie würde schon sehen, ja, sie würde schon sehen! Leise schlich er sich von hinten an sie heran und drückte ihr ungeschickt, aber ernsthaft einen Kuß auf den Nacken. Ein gemeiner Schubs war die Antwort! «Ach ... ich dachte ...» «Du dachtest?» schrie Justine ihn an. «Nichts!» «Aber ... vorhin ...» «Vorhin? Das war vorhin. Man nutzt die Gelegenheit, wenn sie sich bietet, mein kleiner Herr!»
Julien blieb nichts anderes übrig, als seiner Familie in den Salon zu folgen. Die Damen spielten Bridge. Julia gewann. Im Licht einer Stehlampe mit einem Fuß aus chinesischem Porzellan schimmerten die Hände des jungen Mädchens in zartem Elfenbeinton. Julien nahm auf einem Kanapee Platz, ihr direkt gegenüber, und versank in romantische, hoffnungslose Träumereien. Poune setzte sich neben ihn. «Was hast du da?» «Wo? Was?» seufzte er gedankenverloren. Poune deutete mit dem Finger auf die Stelle. Auch Julia hatte den Kopf erhoben und schaute zu ihnen herüber. «Na, eben da ...» gackerte Poune. Ein Strohhalm ragte aus Juliens Hosenschlitz. Er zog und zog, selbstverständlich so diskret wie möglich, aber alle starrten herüber, und der Halm wollte kein Ende nehmen. Ein Monster von einem Strohhalm! Wieso war der ihm nicht aufgefallen? Mindestens fünfzehn Zentimeter lang! Nein, zwanzig! Poune bog sich vor Lachen. Auch die Bridgepartie wurde unterbrochen. «Was ist denn los?» fragte Tante Adele. «Ich gehe schlafen ... gute Nacht.» Julia war abrupt aufgestanden. Verzweifelt begegnete Julien ihrem drohenden Blick, der nichts Gutes verhieß.
An diesem Abend konnte Julien nicht einschlafen. Er legte sich aufs Bett, dachte lange über Julia nach, über Justine und die Frauen im allgemeinen. Was waren das für komische Wesen! Immerzu waren sie beleidigt: Wenn man sie ansah, wenn man sie nicht ansah, wenn man sie liebte, wenn man sie nicht liebte. Wer sollte sich da auskennen! Ob Justine wohl oben in ihrem Zimmer auf ihn wartete ? Wie sollte er es wissen! Und Julia? Welche Bedeutung hatte sie dem Strohhalm beigemessen? War er der Anlaß gewesen, daß sie eifersüchtig wurde (es war doch Eifersucht gewesen, oder?), ausgerechnet sie, die sich doch schon seit langem nicht mehr für ihn, Julien, interessierte? Einen Augenblick war Julien von der Gewißheit erfüllt, daß Julia ihm sicherlich unverzüglich ihre brennende Liebe gestehen würde und daß sie aus weiblicher Koketterie nur so getan hatte, als interessierte sie sich für Charles. Weibliche Koketterie! Das war überhaupt der Schlüssel zum Verständnis der Frauen! Es war eben doch immer das Gegenteil von dem richtig, was sie sagten. Natürlich wartete Justine oben in ihrem Zimmer auf ihn! Und wenn er sie zu lange warten ließe, wäre sie auch wieder beleidigt. Darum: Nichts wie hoch! Auf der Stelle! Doch vielleicht war es schon zu spät. Schließlich lag er schon seit einer Stunde unentschlossen auf dem Bett und grübelte über den weiblichen Charakter nach. Im Nu stand er im Flur auf der Dienstbotenetage vor Justines Zimmer. (Er wußte gar nicht, wie er so plötzlich dahin gekommen war, wofür er sich nun eigentlich entschieden hatte. Aber eigentlich hatte er ja noch gar nichts entschieden. Er stand doch nur einfach vor ihrer Tür. Seit einer Minute. Seit fünf Minuten.) Vielleicht hätte er sich doch besser richtig angezogen und nicht einfach den Pyjama angelassen. Sicher würde sie ihm das übelnehmen. Im Pyjama! Dabei hatte er doch gar nicht die Absicht, die Nacht mit ihr zu verbringen! Er wollte sich doch nur für vorhin entschuldigen, sich nur entschuldigen! Eigentlich hätte er ihr auch ein paar Zeilen schreiben können. Ja, einen Brief! Frauen bekommen doch so gern Post. Er hätte ihr alles erklärt, Justine hätte alles verstanden und ihm verziehen. Schon schrieb er in Gedanken den Brief, stand immer noch vor der Tür, hatte sich nicht von der Stelle gerührt, hatte nichts entschieden, würde auch nichts entscheiden, die Frauen trieben ihn noch zum Wahnsinn, das wußte er genau. Jemand packte ihn beim Handgelenk und zog ihn sanft beiseite.
Ruckartig drehte er sich um. Eine Hand legte sich auf seinen Mund und erstickte einen Überraschungsschrei. «Kommen Sie», flüsterte Madame Lacroix, und zog ihn mit sich auf ihr Zimmer. Auf dem großen Bett von Amelie fand er sich wieder. Die Bettpfosten knarrten laut, als sie sich rittlings auf ihn schwang. Sie hatte ihr Nachthemd ausgezogen. Amelie war eine große Frau, mager, mit sehr dunkler Haut. Ihre Rippen traten leicht hervor, und ihre schweren, tiefhängenden Brüste hatten die Form von Kürbisflaschen, an denen Julien gern genuckelt hätte. Nach zwanzig Jahren Entbehrung, nach zwanzig Jahren Wüste verlangte ihr Körper demütig, doch gleichzeitig hemmungslos nach Erquickung. Er, Julien, war vielleicht nach langen, langen Jahren ihre erste Oase. Madame Lacroix sah den Jungen an, musterte ihn, als sähe sie ihn zum erstenmal, als wollte sie sich vergewissern, daß er wirklich unter ihr lag und dieses zarte, steife Ding, das dort unten zum Vorschein kam, wirklich kein Traum war. Noch immer blickte sie auf ihn herab und keuchte im Banne des Sturms, der in ihren Adern tobte. Glühende Lava kochte in ihrem Innern, brach aus ihr hervor und überschwemmte als hitziger Strom Juliens Bauch. «Sind Sie mir auch hinterher nicht böse», stammelte sie. Mit einemmal brach sie in Tränen aus. Julien stützte sich auf die Ellenbogen und schaute mit aufgerissenen Augen auf den fleischgewordenen Ausdruck seiner Wollust, der sich jedoch in dem Maße, in dem sein Erstaunen wuchs, zurückzog. «Es ist nämlich so», schluchzte die Frau des Verwalters, «daß mein Mann mich hinterher immer schlägt... auch während ...» Sie vergoß einen Sturzbach von Tränen, die sich in zwanzig leidvollen Jahren angestaut hatten. Julien, der sich noch allzugut an die Schläge von Monsieur Lacroix' Ledergürtel erinnerte, gab gern zu, daß dieser Mann ein roher Bursche war. Doch das stand im Moment nicht zur Debatte. Mehr aus Instinkt denn aus Erfahrung packte er Amelies Hintern, und schon bald war ihre Leidenszeit beendet. Nicht nur ihre Schluchzer schüttelten sie hin und her. «Das Vögelchen ist im Nest», zwitscherte sie erleichtert, als sie das Ende ihrer Qualen gekommen sah. Ihr schönes Gesicht war wie verwandelt, ein verklärter Ausdruck lag auf ihren Zügen.
Zwei- oder dreimal ruckelte sie noch hin und her und versicherte sich, daß sie nicht träumte. Julien stöhnte leise auf. «Lassen Sie es nicht entwischen, Monsieur Julien!» Sie war ein echtes Sorgenbündel! Nichts als Kummer hatte sie ihr ganzes Leben gehabt, nur fürchterliche Enttäuschungen! Und einen Mann, der sie schlug, um in Erregung zu geraten und sie hinterher schlug, weil sie ihn erregt hatte. Aber trotzdem hatte sie ihn gern, jawohl, richtig gern hatte sie ihn, und eigentlich wollte sie es auch immer nur von ihm besorgt bekommen, aber plötzlich war eben Julien dagewesen, wie er in der Scheune lag, nackt und bloß wie das Jesuskind, und sie fragte sich eigentlich immer noch, was plötzlich in sie gefahren war, sie hatte den ganzen Abend daran denken müssen, einschlafen hatte sie auch nicht gekonnt, und dann war sie einfach aufgestanden, um in sein Zimmer zu kommen, aber er war ja schon dagewesen, hier oben im Flur, auch er war herumgeirrt, und so war eben alles zusammengekommen! Nun vergaß sie die langen Jahre der harten Prüfungen und ritt mit Julien durch den nächtlichen Wald. Galopp, Galopp! Wenn sie erst einmal den Waldrand erreichte und ihr der Tag am Horizont entgegenschimmerte, hätte sie ein neues Leben entdeckt! Schneller! Schneller! Der weiße Hintern der Reiterin hüpfte auf ihrem Pferdchen auf und ab, er verscheuchte die Nacht und erstrahlte im gleißenden Licht einer wiedergefundenen Jugend. Plötzlich hielt sie inne. «Was ist los!» schrie Julien, der sich am äußersten Rande seiner Glückseligkeit befand. Madame Lacroix antwortete nicht. Ein Ausdruck des Entsetzens breitete sich auf ihrem Antlitz aus. Da. Genau vor ihren Augen! Am Kopfende! Monsieur Lacroix, und daneben sie, Madame Lacroix die Treulose, die Ehebrecherin, im Hochzeitskleid! Damals waren sie beide achtzehn Jahre alt gewesen, mein Gott, was für ein schönes Fest! Damals war Monsieur Lacroix noch nicht Verwalter gewesen, damals war er noch Knecht auf dem Hof. Ach ja, ach ja! Zwanzig Jahre lang hatte er geschuftet, um Verwalter auf der Domäne Saint-Loup zu werden! Zwanzig Jahre mühsamer Arbeit, voller Entbehrungen! Zwanzig Jahre lang war er als erster mit den Hühnern aufgestanden und als letzter ins Bett gegangen, hatte die Arbeit auf dem Feld überwacht, im Stall. Und das bei jedem Wetter, bei Regen, Hagel oder Sturm! Zwanzig
Jahre lang eine Erkältung nach der anderen, zwanzig Jahre Eukalyptusdämpfe ! Und wofür das alles ? All diese Opfer, für was, für wen? Etwa für ein mannstolles Weib, das ihn mit dem Sohn der Herrschaften betrog, mit diesem Schlingel, diesem Nichtstuer, kaum daß er, Monsieur Lacroix, dem Haus den Rücken gekehrt hatte, um Heim, Herd und Vaterland zu verteidigen ? Was für eine Gemeinheit, was für eine Niedertracht! Madame Lacroix vergoß Tränen bitterer Reue. Sie wußte nicht mehr wohin mit all den Wasserfluten! Wo man sie auch berührte, war sie triefend naß. Es war wirklich kein Wunder, daß ihr Mann so oft erkältet war! Plötzlich erhob sie sich. Mit dem dicken Schwamm, den Julien ihr wohlmeinend reichte, wollte sie sich auch keine Träne mehr abwischen lassen. Nein, von jetzt ab verschmähte sie ihn, betrachtete ihn als ein vermaledeites Etwas! «Das soll man nicht tun! Das ist nicht recht», schrie sie. «Das dürfen wir nicht tun!» Und von neuem heulte sie aufs schönste los, hin und her gerissen zwischen Pflicht und Neigung. Sie ertrank in der Springflut mächtiger Wellen, dem widersprüchlichen Ansturm aus Verlangen und schlechtem Gewissen hielt sie kaum stand. Sie griff nach ihrem Nachthemd, wischte sich abwechselnd das Gesicht und die Schenkel ab, denn weder Trauer noch Scham hatten die verschiedenen Ergüsse ihrer Lüsternheit versiegen lassen. Die süßlichen Ausdünstungen ihrer Erregung auf dem zarten Stoff verwirrten sie von neuem und förderten neue Tränen zutage, die wieder abgewischt werden mußten, sei's unter den Augen oder unter dem Bauch. Von neuer Leidenschaft erfaßt, näherte sie sich wieder Julien und streckte ihre Hand nach dem Gegenstand ihrer Begierde aus. Doch just in dem Moment wurde sie von heftigem Widerwillen geschüttelt, vergrub das Gesicht im Nachthemd und begann von neuem, lange und schmerzlich zu schluchzen. Wie ein Spielball ihrer widersprüchlichen Gemütsbewegungen wurde sie hin und her geschleudert, jedem Antrieb aus Leidenschaft folgte ein stärkerer aus Tränen und Verzicht. Mit ihrer Hand, die vor Gier bebte, ergriff sie das Instrument ihrer möglichen Befriedigung, drückte es und schüttelte es, als wollte sie es aus seiner Verankerung reißen, um es für immer zu besitzen, doch schon im nächsten Augenblick warf sie sich zurück, blankes Entsetzen in den Augen, und schüttelte sich mit der Geste pathetischen Verzichts. Doch schon kniete sie wieder vor ihrem
kleinen Idol nieder, legte ihre zitternden Lippen auf den göttlichen Gast ihrer inneren Begierde, schon nahm sie ihn in den Mund, bereit, ihn zu verschlingen, doch im nächsten Augenblick fuhr sie mit einem Schreckensschrei hoch, entsetzt über ihre eigene Verderbtheit. Wenn nötig, wollte sie sich lieber auf dem Schlachtfeld opfern, um ihre Sünden zu tilgen. Langsam schien Julien die Zeit gekommen, ihrem Hadern ein schnelles Ende zu bereiten. Schwungvoll schleuderte er ihr das ins Gesicht, was sie nicht nehmen und nicht lassen wollte.
Noch einmal tat das Nachthemd seine guten Dienste. Als Madame Lacroix schließlich sah, daß sich der Auslöser ihrer Qualen langsam zurückzog und verschwand, beschloß sie, ihre Ruhe wiederzufinden. Stille Heiterkeit durchströmte sie, als sie sich einredete, daß sie Monsieur Lacroix ja nicht wirklich betrogen hatte. Der Zwiespalt, in den sie eben geraten war, war auch nicht frei von Zauber gewesen, und verträumt baute sie ihre Tugend auf diesen ersten Sieg, um beim nächstenmal vollends zu triumphieren. Beim Anblick von Juliens jünglingshaftem Körper lächelte sie. Das sollte der Ursprung ihrer Qualen sein? Er war ja noch ein Kind! Ein Kind, das klugerweise hinter der verschlossenen Tür seiner Glückseligkeit eingeschlafen war, ohne mehr zu verlangen! In einer Anwandlung von Zärtlichkeit vergoß Madame Lacroix noch ein paar heimliche Tränen. Sie legte ihren Kopf auf Juliens Bauch, preßte die Lippen gegen diesen göttlichen Cherubin, tat einen tiefen Seufzer und schlief ein. <Wir haben in Sedan Quartier bezogen>, las Agnes laut und deutlich vor. Agnes ließ den Brief sinken. Sie sah, daß Julien neben ihr eingeschlafen war. «Hör zu, Julien», rief sie, «dein Vater schreibt uns von einem drohenden Angriff, und du schläfst!»
Poune hatte schon vorher versucht, ihren Cousin wachzurütteln. Ciaire zog eine mißbilligende Schnute. «Er ist wirklich noch ein Kind», fand sie. Julien blinzelte, gähnte und hob den Kopf vom Tisch. «Was ist mit dir los? Warum gehst du schon?» fragte Poune. «Ich bin müde. Ich gehe wieder schlafen.» Nun hatte sie eine ganze Woche darauf gelauert, daß endlich Sonntag war. Sonntags wurde nicht gearbeitet. Julien hätte sich wirklich ein bißchen um sie kümmern können! Poune folgte ihm auf sein Zimmer, sah aber nur noch, wie er sich bäuchlings aufs Bett fallen ließ. «Ist es nicht merkwürdig», sinnierte sie, als sie sich trotzdem auf die Bettkante setzte, «ich kann mit niemandem mehr reden. Auch du hast dich sehr verändert.» Deutsch von Laureen Carnevale
Fabienne Jamet
Der nächste Herr, s'il vous plait Papa war Inspektor bei der «Sitte» in Paris. Mama war Portierfrau. Ich bin im Geschenkmonat Dezember geboren und habe mich stets gefragt, ob meine Ankunft wirklich willkommen war. Die Polizei hatte ihre ersten Autos bekommen, und man nannte die Radfahrenden «Schwalben», weil ihre Pelerine ihnen wie ein paar Flügel im Rücken flatterte. Die Frauen trugen lange Röcke und zu einem Dutt geflochtenes Haar, die Männer hatten kitzlige Schnurrbärte - meine erste Gefühlsempfindung -, die Kopfbedeckung der Bürger war eine Melone und die der Apachen eine Schirmmütze. Man brachte mich zuweilen aufs Land, um frische Luft zu atmen. Meist war es Nogent oder Viroflay. Ich bin zwischen zwei Ehekrachs groß geworden. Mein Vater war ein schöner Mann. Er war schlank und geschmeidig und strahlte mit seiner verführerischen Schmachtlocke und dem ehrfurchtsgebietenden Ansehen eines Gesetzesvertreters in Zivilkleidung Autorität aus. Mama war weniger reizvoll. Papa war der Überwachung des Bois de Boulogne zugeteilt, wo es an Mädchen wimmelte, die man für wenige Franc im Gebüsch bumsen konnte. Die ehrbaren Bürger hatten sich beklagt. Die Liebesspiele in den Büschen störten den Spaziergang ihrer Hunde, Pferde und Kinder, und der Präfekt hatte Razzien angeordnet, die ebenso regelmäßig wie wirkungslos waren, denn jeden Abend erschienen neue Kämpferinnen auf dem Feld der Ehre und ersetzten die Truppenverluste der letzten Schlacht. Papa war mit dem Auflesen dieser Damen beauftragt - Mama war eifersüchtig -, und so waren alle Elemente einer explosiven Lage vereinigt. Es dauerte nicht lange.
Eines Nachmittags kam ich gerade aus der Schule zurück - ich war damals etwa zehn Jahre alt-, als ich aufgeregte Stimmen aus dem Haus, genauer aus unserer Portierwohnung hörte. «Meine ganze Jugend habe ich für dich vertan! Immer muß ich auf dich warten! Die ganzen Nächte treibst du dich herum!» Die Stimme meines Vaters versuchte einzulenken: «Aber du weißt doch, daß mein Dienst...» Die Antwort kam schluchzend und zornig: «Dein Dienst! Mit den Nutten! Du Schwein! Wie kannst du mir so was antun, mir, einer ehrlichen Frau!» Ich öffnete die Logentür. Meine Mutter war auf einem Stuhl zusammengesunken und heulte. Papa stand vor ihr und sah einigermaßen verlegen aus. Ein zerschlagener Porzellanteller lag am Boden, und der Lehnstuhl war zerbrochen. Jetzt erfuhr ich den Grund zu dieser Szene. Eine hilfreiche Seele hatte Mama heute früh erzählt, daß Papa sie schändlich im Bois de Boulogne betrog. Anstatt die Mädchen zu verhaften, hatte er sie vernascht. Während sie weiter schrien, beschäftigte sich meine Phantasie mit dem letzten Wort, mit dem ich nur Leckereien verbinden konnte, die mir Mama manchmal am Donnerstag kaufte. «Mit all den Flittchen im Bois hast du's getrieben, du Bock. Schämst du dich denn nicht?» Im Augenblick verbanden sich die Begriffe «Leckereien» und «es treiben» in meinem Kopf zu etwas Gleichartigem. Ich hatte allerdings keine Zeit, länger darüber nachzudenken, denn Mama hatte mich fest umschlungen und erklärte in hochdramatischer Pose: «Wir gehen fort von hier.» Papa reagierte einfach genial. Es war wie auf der Bühne. Er war ein unübertrefflicher Lügner. Er zog seinen Dienstrevolver aus der Jackentasche und rief, während er den Lauf an seine Schläfe hielt: «Wenn du mich verläßt, bringe ich mich um.» Dieser Geste folgte allgemeine Versöhnung. Mama fiel Papa in die Arme, und er flüsterte ihr alle möglichen Schmeicheleien ins Ohr, nachdem er die Waffe wieder eingesteckt hatte. Ich schloß daraus, daß «es treiben», «Leckereien», «sich schämen» und «Nutte» zuweilen auch gut zusammenpaßten. Aber bei der abendlichen Suppe hatte Mama ihren unwiderruflichen Entschluß gefaßt:
«Ich will nicht, daß du dadrin bleibst.» Mama war aus Brive - und einer meiner Onkel, der bei der Frühstücksnahrungsfabrik Phoscao arbeitete, hatte gute Beziehungen zu allen hochgestellten Persönlichkeiten, die aus der Gegend (der Correze) stammten. Unter Landsleuten griff man sich unter die Arme. So ging sie zum Onkel, um sich Rat zu holen. Er hörte sich alles an und verkündete: «Wenn das so ist, dann werde ich deinen Mann in den Ruhestand versetzen lassen.» Man suchte nach einem Grund. Papa hatte Krampfadern. Das genügte dem behördlichen Vertrauensarzt - der in Tulle gebürtig war. So wurde Papa im Alter von vierundvierzig Jahren in den Ruhestand versetzt und erhielt seine Pension. Als er mit zweiundneunzig Jahren starb, war er bei mir im One Two Two Kellermeister gewesen, hatte sämtliche Strichmädchen in der Gegend vom Bahnhof St. Lazare gebumst und sich am fünfundsechzigsten Geburtstag seine erste Syphilis geholt. Ich zog zum erstenmal in meinem Leben um. Wir folgten unserem spärlichen, auf einen Handkarren geladenen Mobiliar bis zu dem kleinen Hotel, das Mama vor kurzem erworben hatte. Wie alle Frauen aus ihrer Gegend hatte sie den Geschäftssinn im Blut, und außerdem machte uns Papas Pension nicht gerade zu reichen Leuten. Das Hotel war ein kleines zweistöckiges Haus und lag einige Schritte vom alten Bahnhof Montparnasse entfernt, an der Ecke der Rue Poinsot und dem Boulevard Edgar Quinet. Später wurde ganz in der Nähe die Sphynx, eines der berühmtesten Bordelle von Paris, eröffnet. Es gab bei uns etwa fünfzehn ziemlich schäbige, aber saubere Zimmer. Die im obersten Stock liegenden bekamen ihr Licht durch eine kleine Dachluke. Reisegäste waren selten zu sehen. Denn es war eigentlich ein richtiges Stundenhotel. Die erwerbstätigen Damen vom Boulevard brachten ihre Kunden, und später kamen die Luden, um einzukassieren. Die Vorsehung hatte mich scheinbar bereits zu diesem Beruf bestimmt. Von meinem elften Lebensjahr an beobachtete ich das tägliche Kommen und Gehen. Mama führte das Haus wie eine richtige Puffmutter, und Papa überwachte alles mit der Autorität eines ehemaligen Hüters der «Sitte». Seine früheren Kollegen kamen ihm sogar soweit
entgegen, daß sie den reibungslosen Geschäftsablauf durch keine plötzlichen Razzien oder Kontrollen störten. Meine Schule war in der Rue de Rennes, gegenüber dem Credit Municipal, einem Leihhaus, wo man selbst seine Bettmatratze versetzen konnte. Es war jene nichtreligiöse Schule, die noch heute am gleichen Ort steht, und in der, wie es scheint, die Ex-Kaiserin Farah Dibah aus dem Iran einst die Klassenbänke drückte. Ich war eine undisziplinierte, aber gute Schülerin. Wenn ein Inspektor angesagt war, setzte man mich in die erste Reihe. Sonst hätte ich inmitten der allgemeinen Aufregung nur die Gelegenheit wahrgenommen, die Zöpfe der zufällig vor mir sitzenden Kameradinnen in die Tintenfässer zu tauchen. Um vier Uhr stahl ich mich wie eine kleine Diebin in den Flur des Hotels, wenn Mama gerade dabei war, den Preis für ein Zimmer zu kassieren. Die Pärchen waren schon an sich sehenswert: Das Mädchen war wie ein Clown angemalt, der Lippenstift war zu dick aufgetragen, das Rot verschmiert, ein von Motten zerfressener Federumhang schmückte den Hals, während der stockverlegene Kunde sich klein zu machen suchte und verstohlene Blicke um sich warf. Ich wartete, bis sie ihr verschlissenes Handtuch in Empfang genommen hatten, stieg schnell die Treppe hinauf und kletterte durch eine Bodenluke auf das leicht geneigte Dach. Dort kroch ich auf allen vieren oberhalb des Straßenlärms bis zur Dachluke, die sich an der Decke eines der Zimmer befand. Auf dem Bett unter meinem Blick wurde gevögelt. Ich wollte mir nichts von dem Schauspiel entgehen lassen und verfolgte gespannt alles bis in die kleinsten Einzelheiten, aber es war eher aus Neugierde als aus Verdorbenheit. So sah ich alles: wie der Mann vorher bezahlte, wie sie sich wuschen usw. Und manchmal, während der Mann sich über dem Mädchen angestrengt beschäftigte, hatte ich den Eindruck, daß sie, die zur Decke schaute, mich in meinem Versteck erblickte. Aber da ertönte schon Mamas Stimme: «Georgette! Georgette!» Jetzt mußte ich mich gerade mitten drin von der Vorstellung losreißen, zurückkriechen und eiligst wieder die Treppe bis zu unserer Behausung im Erdgeschoß herunterrennen, wo es mir entgegentönte: «Was treibst du schon wieder da oben?» Mit gekonnter Heuchelei war ich nie um eine Erklärung verlegen: «Ich dachte, du seist oben, Mama. Ich habe ja nur Papa gesucht.»
Und ohne eine Erwiderung abzuwarten, stürzte ich mich eifrig auf mein Butterbrot und meine Schularbeiten, während ich weiter von den Mädchen träumte, die dort oben unter dem Dach die Beine breit machten. Am späten Nachmittag, wenn die Büros und Fabriken schlossen und die Menschen scharenweise durch die Straßen strömten, also zur Stoßzeit, verließ ich wieder - möglichst ungesehen - das Hotel, eilte die Rue d'Odessa hinauf bis zur Rue de la Gaiete, die mich anzog wie das Licht den Schmetterling. Ich klebte förmlich auf jenem schmalen Asphaltstreifen wie ein Insekt auf dem Fliegenpapier. Am liebsten hätte ich mich dort einbuddeln lassen, so hing ich an dieser Straße. Was es da alles zu sehen gab! Lichtreklame, Schaufenster, Cafes und Spelunken. Da saßen die Luden, spielten Karten, tranken Absinth, und wenn einer nur ein Zeichen gab, kam sein Strichmädchen sofort angetrabt. Ach, wenn sie mir doch nur auch ein Zeichen gegeben hätten. Wie schade, daß ich noch ein so kleines Mädchen war. Aber weder die Luden noch all die anderen vorübereilenden Menschen, die mich herumschubsten, nahmen von mir Notiz. Auf der Straße war ich ein Nichts. Knatternde Autos fuhren vorbei. Ein Mann wurde gerade festgenommen. Wenn die Essenszeit kam, lief ich schnell nach Hause zurück. Was geschehen mußte, geschah. Eines Tages, als ich gerade dabei war, von meinem Dach zu klettern, griffen zwei starke Hände nach meinen Füßen und zerrten mich schonungslos zu Boden. Es war Mama. Mein ständiges Herumschleichen in den oberen Stockwerken hatte ihren Verdacht erregt. Zuerst verabreichte sie mir ein paar Ohrfeigen. «Was hast du da oben zu suchen? Willst du dir denn den Hals brechen?» Sie schüttelte mich wie einen Apfelbaum, aber es war nichts aus mir herauszukriegen. Was hätte ich auch sagen sollen? Papa wurde zu Hilfe gerufen, und er beschloß, zuerst einmal nachzusehen, was es dort oben gab, das mich zu solchen Akrobatenkunststücken reizte. Er brauchte nur meinen Spuren zu folgen. Sie führten ihn direkt an die fatale Dachluke. Und gerade unter der Scheibe, an der noch meine Fingerabdrücke klebten, lag ein Paar in voller Betätigung auf dem Bett. Da war jeder Kommentar überflüssig. Mein Erzeuger gab mir eine ordentliche Tracht Prügel und sperrte mich außerdem in mein Zimmer ein. Da saß ich bei Wasser und Brot.
Drei Tage später brachte man mich per Eisenbahn nach Brive in ein Mädchenpensionat. Ich blieb dort nicht lange. Zu Mamas Beerdigung mußte ich nach Paris zurück. Sie hatte eine kleine Operation gehabt und war an plötzlich folgenden Komplikationen gestorben. 1930 gab es noch kein Penicillin. Meine Mutter war eine außergewöhnliche Frau. Wenn sie es überlebt hätte ... aber nein, ich bereue nichts ... ich habe ja keine elende Existenz gehabt. Ganz im Gegenteil. Ich habe wie eine Königin gelebt, und ich habe das Leben genossen. Jetzt war ich vierzehn und mußte meinen kleinen Bruder betreuen. Mein Vater konnte sich nicht um alles kümmern. Deshalb beschloß er, daß ich in Paris blieb. Ich kann nicht behaupten, daß ich dem Pensionat nachgeweint habe.
Eine holpernde Straßenbahn brachte mich und meinen kleinen Bruder zu unserem neuen Heim. Nach allerlei komplizierten Familiengeschichten hatte Papa das Hotel in der Rue Poinsot verkauft und ein großes, sechsstöckiges Hotel in der Avenue Jean-Jaures in Clichy erworben. Dort war es längst nicht so lustig wie in Montparnasse. Kein fröhliches Treiben, keine Schaufenster, Lichtreklamen und hellerleuchtete Cafes! Muffige kleine Mietskasernen standen gedrängt aneinander. Und jeden Morgen brachen Arbeiter und kleine Angestellte aus ihnen zur täglichen Sträflingsarbeit in Paris auf. Wir waren fast auf dem Lande. Nicht weit von uns lagen die winzigen Schrebergärten, in denen die Rentner ihr Gemüse pflanzten, und all die grauen Einfamilienhäuser glichen einander wie ein Ei dem anderen. Gott sei Dank gab es wenigstens die Avenue de Clichy, die nach Paris führte, mit ihren Kinos, Tanzdielen, Spelunken und Cafes, wo man junge Leute und Zuhälter traf. In den kleinen Nebenstraßen mit ihren eng aneinandergedrängten Stundenhotels gab es noch richtige Messerstechereien. So ließen wir uns also in Clichy nieder, und da Papa darauf bestand, daß ich etwas lerne, nahm ich auf der Ecole Pigier Unterricht in Stenografie und Schreibmaschine. Ich war allerdings nicht für den Beruf der Sekretärin oder ähnliche Mätzchen begabt. Ich fand es stinklangweilig. In unserem neuen Hotel gab es keine Spähluken auf dem
Dach, aber dafür begannen die Jungens sich für mich zu interessieren. Ich hatte mich entwickelt. Ich sah es am Gesicht, an der Brust, an der Figur. Ich konnte mühelos feststellen, daß ich nicht schlecht gebaut war. Gewöhnlich ging ich in den kleinen Park auf der Avenue. Angeblich sollte ich mein Brüderchen spazierenführen. Der Parkwächter hatte im Ersten Weltkrieg seinen Arm verloren und hatte seinen Ärmel stets hochgerollt und mit einer Sicherheitsnadel zugesteckt. Ich hatte nur einen Gedanken: unbegleitet zu sein. Wie konnte man auch einen kleinen Flirt anfangen, wenn man stets den kleinen Bengel um sich hatte? Ich fand die Lösung, als ich vom Erfolg eines gewissen Charlie Chaplin hörte. Sofort lud ich den Balg im Kino ab. Allerdings ging das nicht immer ohne Schwierigkeiten. Der kleine Lümmel erpreßte mich. «Ich sag's Papa, daß du nicht bei mir geblieben bist.» Das kostete mich dann eine Eiswaffel für sein Schweigen. Und dann, frischauf in den Park. Vom Park zur Tanzdiele war es nur noch ein Schritt. Ich habe ihn schnell genommen. Ich tanzte Tango und Java, und es gefiel mir. Dort traf ich meinen ersten Luden: Loulou. Inzwischen hatte sich die Familienatmosphäre im Hotel merklich versauert. Papa, der ewig Verliebte, hatte sich mit einem der Zimmermädchen eingelassen. Sie war sieben Jahre älter als ich - etwa vierundzwanzig -, und wir vertrugen uns überhaupt nicht. Sie war sichtlich darauf aus, alles unter ihre Fuchtel zu bekommen. Und bei meinem Temperament stieß sie bald auf heftigen Widerstand. Papa ergriff immer gegen mich Partei, und deshalb beschloß ich eines Tages, meinen Koffer zu packen. Loulou besorgte mir ein Hotelzimmer in der Rue Biot, hinter der Place Clichy. Er hatte mich schon vor einiger Zeit entjungfert, ohne viel Aufhebens davon zu machen, und ich muß gestehen, daß auch mir die Welt danach nicht verändert vorkam. Einige Tage später gab er mir den Befehl: «Du wirst auf den Strich gehen.» Da konnte man nicht nein sagen. Er hatte «schlagende Argumente», und außerdem hatte ich gar nichts dagegen. Ich liebte das schöne, leichte Leben, Vergnügungen und Kleider, und ich hatte früh begriffen, daß ich dieses Ziel nicht als kleine Tipse oder Ladenhilfe erreichen würde.
So fing ich also auf der Straße an. Aber es gefiel mir gar nicht, mein Geld einem Zuhälter zu geben. Er hatte mir einmal eine Weckeruhr geschenkt. Marke Jazz. Ich hatte sie hinten aufgeschraubt und versteckte im Uhrwerk einen guten Teil des Geldes, das mir meine Kunden gaben. Wenn dann Loulou kam, stöberte er überall herum, durchsuchte meine Handtasche, Schubladen und Schrank, tastete sogar meinen Körper ab, um sicherzugehen, daß ich nichts beiseite geschafft hatte. Aber auf den Trick mit dem Wecker ist er nie gekommen. Bald schien mir aber auch das wenige, das ich ihm gab, zuviel. Ich hatte bereits die Nase voll von diesem Kerl, der mir meine Kröten abnahm, und vom Straßenstrich, wo man immer fürchten muß, von irgendeinem Bullen aufgegriffen zu werden. Deshalb erkundigte ich mich bei meinen Kolleginnen nach einem passenden Puff. Eine von ihnen gab mir eine Adresse in Douai. Das war mir recht. Es war weit genug, um meinem Luden auf Nimmerwiedersehen zu entwischen. Er war mein erster und letzter Zuhälter. Das kann ich beschwören! Am nächsten Tag besorgte ich mir auf dem Boulevard de Clichy für hundert Franc falsche Papiere. Damals waren sie leicht zu haben. Auf meinem Personalausweis war ich siebenundzwanzig Jahre alt. So war ich auf einen Schlag zehn Jahre älter geworden. Ich nahm den Zug am Nordbahnhof, stieg in Douai aus und ging schnurstracks zum «Haus» der Madame Euphrasie. Ich blieb nicht eine Stunde dort. «Madame» sah sich meine Schwindelpapiere an, beäugte mich von Kopf bis Fuß und sagte - ich höre sie noch heute: «Die Göre macht keine volle Portion.» Anders gesagt: sie ist nicht volljährig, und bei der kleinsten Polizeikontrolle wird sie uns die schlimmsten Scherereien einbringen. Madame Euphrasie war nicht gewillt, ein solches Risiko wegen meiner schönen Augen einzugehen. So fand ich mich wieder mit meinem Koffer auf der Straße. Douai schien mir auch nicht gerade eine gastfreundliche Stadt zu sein, und daher nahm ich noch am selben Abend den Zug zurück nach Paris. Ich hatte es mir aber nun einmal in den Kopf gesetzt. Der Straßenstrich oder die billigen Bumsmühlen, wo man es auf die Schnelle macht und wo ein Mädchen bis zu hundert Kunden pro Tag bedienen muß, das war nichts für mich. Dazu war ich mir zu wertvoll. So ging ich zum erstenmal ins One Two Two.
Es war ein kurzer Auftritt. Das One war schon damals das beste Haus in Paris. Es befand sich in der ehemaligen Residenz des Generals Murat, einem damals dreistöckigen Haus, und war zu jener Zeit noch nicht so berühmt wie in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg - als ich es zuerst als Gouvernante und dann als Besitzerin leitete. Aber es war immerhin den anderen Bordellen an Klasse weit überlegen. Seinen Namen hatte es von den Mitgliedern des Jockey Clubs. Wenn sie sich bei einem Abendessen zu einem anschließenden Besuch in der Rue de Provence 122 verabreden wollten, ohne ihren Ehefrauen oder Mätressen Grund zum Anstoß zu geben, sagten sie einfach: «Heute abend ... One Two Two ...» Der Name ist geblieben. Ich ging also ins One Two Two. Es war 1927. Dieses Mal schenkte man meinen falschen Papieren Glauben. In Wirklichkeit war ich ja erst siebzehn. Ich wurde angenommen, und die Kassiererin - man nannte sie Tante, weil sie die Tante Dorianes, der damaligen Frau Marcel Jamets war- schrieb mich unter dem Mädchennamen meiner Mutter, Pelagie Desachaux, ein. Einige Wochen nach meinem Eintritt wurde ich rausgeschmissen, weil ich einen unverzeihlichen Fehler begangen hatte: Die Hausordnung schrieb vor, daß wir unsere Einnahmen zur Hälfte mit dem Haus teilen mußten; jedes Mädchen mußte also genau die Hälfte dessen, was ihr der Kunde gegeben hatte, an der Kasse abliefern. Und diese Regel wurde eisern eingehalten. Nun hatte ich unter anderen ein holländisches Ehepaar als Kunden, die ich auf Wunsch bediente. Sie kamen extra aus Amsterdam und meldeten sich brieflich bei mir an. Jedesmal gaben sie mir zweihundert Franc. Ich versteckte stets einen Hunderter in meinem Strumpf oder Schuh und lieferte an der Kasse nur fünfzig Franc ab. Um mich ihnen erkenntlich zu erweisen - zweihundert Franc waren eine hübsche Summe -, ließ ich mir viel Zeit mit ihnen. Tante wunderte sich schließlich und fragte sich, warum ich immer so lange mit ihnen blieb. Eines Tages, als sie gerade fortgingen, fragte sie sie: «Wieviel geben Sie der Kleinen?» Die Armen ahnten nicht, in welche Schwierigkeiten sie mich bringen sollten. Sie antworteten:
«Zweihundert Franc.» Sie gehen fort. Ich komme herunter und lege Tante fünfzig Franc auf den Tisch. Jetzt brach das Unheil los. «Sie haben dir immer zweihundert gegeben.» Was soll ich darauf sagen? Tante zieht ein Büchlein aus ihrer Tasche, in dem die Namen aller im One beschäftigten Mädchen eingetragen sind, taucht ihre Feder in rote Tinte, streicht Pelagie Desachaux aus und erklärt in einem Ton, der keine Widerrede duldet: «Da du beiseite schaffst, wirst du mit roter Tinte ausgestrichen.» Das heißt, daß ich das Haus nie mehr betreten durfte. Das war das Ende meines ersten Aufenthalts im One. Ein schlimmes Ende.
Nach diesem Mißgeschick versuchte ich mein Glück im Bordell der Rue Montyon. Es gehörte Germaine, der Frau Antoine Perettis, dem wiederum der Cercle de l'Aviation gehörte. Sie war viel gereist, hatte sich lange in Amerika herumgetrieben und es sogar bis nach Alaska geschafft, wo man sie - wie sie behauptete - in Goldklumpen bezahlte. Sie hatte die Gewohnheit, ihren Mädchen Namen zu geben, und als sie mich sah, sagte sie: «Du hast ein Gesicht, das mir gefällt. Du wirst Fabienne heißen.» Der Name paßte mir sofort. Ich habe ihn seitdem nie geändert. Aber der Betrieb in der Rue Montyon wurde mir bald langweilig. Zwischen dem Faubourg und der Rue de Trevise war die Kundschaft weiß Gott nicht aufregend. Lauter kleine Büroangestellte und Schalterbeamte. Bei solchen Leuten war nicht viel zu holen. Sie waren knauserig und hatten es immer furchtbar eilig, weil sie Angst hatten, zu spät nach Hause zu kommen und sich von ihrer Alten anmeckern zu lassen. Ich hatte plötzlich Lust, das Klima zu wechseln. Eine Kollegin hatte mir die Adresse der Mutter Lolo in Marseille gegeben. Ich schrieb hin, und sie antwortete, ich solle nur kommen, denn für ein hübsches Mädchen sei immer ein Platz bei ihr frei. Und ich liebte die Sonne und den Süden. Auch heute noch. So fuhr ich nach Marseille. Eines Morgens komme ich auf dem Bahnhof St. Charles an. Ich steige in ein Taxi und gebe dem Fahrer die Adresse der Mutter Lolo: «Rue Ventomaggi.» Die Straße lag irgendwo im alten Hafen. Dort, wo die Deutschen in einer Nacht im Jahre 1942 alles in die Luft gesprengt und all die kleinen
Leute, die Mädchen und die Zuhälter einfach vertrieben hatten. Fahrer drehte sich erstaunt nach mir um. Ich war gerade achtzehn, mein gepflegtes Aussehen schien ihn stutzig zu machen. Er sagte zu - im reinsten Akzent von Marseille: «Mademoiselle, es geht mich ja vielleicht nichts an, aber wissen eigentlich, in was für einer Gegend die Rue Ventomaggi liegt?» Ich antwortete kühl: «Fahren Sie nur hin.» Während der ganzen Fahrt hat er kein Wort mehr gesagt.
Der und mir Sie
Mutter Lolo war ein Original. Sie war so hoch wie breit und mußte sich besondere Türen für ihr Auto anfertigen lassen. Sonst hätte sie nicht einsteigen können. Bei ihr war ich wirklich glücklich! Drei Jahre lang bin ich bei ihr geblieben. Bis ich volljährig war. Es war das feinste «Haus» in Marseille. Dort wurde nur die obere Bürgerschicht empfangen. Schiffsreeder und Marineoffiziere gehörten zur Stammkundschaft, und sie waren stets freigebig und zeigten uns gern einmal eine besondere Stellung, die sie irgendwo zwischen dem Suezkanal und Singapur ausprobiert hatten. Diese Frau war eine wahre Mutter für mich. Sie liebte mich wie ihre Tochter, führte mich in die Cintra Bar und in die besten Freßlokale. Natürlich kreuzten auch bald die feschen Luden auf, aber Mutter Lolo hielt die Augen offen und sorgte dafür, daß sie uns in Ruhe ließen. In jener Zeit war die Canebiere voller Betrieb. Es roch nach Knoblauch, Absinth, Fischen und Gewürzen. Die Menschen schrien durcheinander, die Sonne schien, und wir waren fröhlich und guter Dinge. Am Abend spielten wir Karten. Bei Lolo hatten die schweren Jungen nichts zu suchen und noch weniger zu befehlen, wie in anderen Bordellen. Es ging mir gut. Wir lachten aus vollen Hälsen über alles und nichts. Es gibt Tage, an denen ich den Eindruck habe, nie so glücklich wie damals gewesen zu sein. Sorgen kannte ich nicht. Ich verdiente Geld, und die Kundschaft war angenehm. Aber alles hat ein Ende. Es ist komisch ... aber wenn man jung ist, ist man halt ein bißchen dumm. Eines schönen Tages packte mich das Heimweh. Wie wenn man Bauchschmerzen hat. Ich mußte unbedingt nach Paris zurück. Und zwar sofort. Ich küßte die ganze Belegschaft wie ein Provinzmädchen, das sich von seiner Familie verabschiedet.
Mutter Lolo heulte. Ich mußte ihr versprechen zu schreiben. Einen Augenblick lang hätte ich's mir beinahe anders überlegt. Aber dann nahm ich meinen Koffer und stieg in den Zug. Richtung Hauptstadt.
Ich war gerade einundzwanzig Jahre alt. Das war mir wohl zu Kopf gestiegen, denn ich stellte mich wie eine dumme Gans an. Zu meiner Volljährigkeit hatte ich Geld aus Mutters Erbschaft bekommen. Es waren nach heutigem Wert etwa sechstausend Franc. Ich richtete mich in einem guten Hotel ein, kaufte mir Kleider nach der letzten Mode - und im Nu waren all meine Ersparnisse dahin. Jetzt mußte ich wieder ans Anschaffen denken. Ich traute mich nicht, es noch einmal im One Two Two zu versuchen. Ich hätte es zwar um mein Leben gern getan, aber Tante hatte mich nun einmal «mit roter Tinte durchgestrichen». Und Tante hatte ein gutes Gedächtnis. Sie brauchte nur ihr Büchlein hervorzuholen. In Ermangelung eines besseren arbeitete ich in der Rue St. Augustin 13. Man war dort nicht schlecht aufgehoben. Eines Abends war ich mit dem Tänzer und Sänger Harry Pilcer, dem damaligen Liebhaber der Mistinguett, zusammen. Wir hatten viel getrunken, trieben allerlei Unfug und machten ziemlichen Lärm. Da erscheint plötzlich die «Madame». Ich muß gestehen, daß sie mir schon seit langem auf den Wecker ging. Sie fängt an, uns Vorhaltungen zu machen. Und aufbrausend wie ich bin, gebe ich ihr freche Antworten. Es gibt Krach. Jetzt werde ich erst richtig wütend und sage ihr: «Das ist mir scheißegal. Behalte deinen Laden; ich gehe in die Rue de Provence zurück!» Es hatte schon seit Wochen an mir genagt. Und dann war es mir plötzlich eingefallen, daß ich mich bei meinem ersten Aufenthalt im One Two Two mit dem Mädchennamen meiner Mutter - Pelagie Desachaux - eingetragen hatte. Pelagie Desachaux war mit roter Tinte ausgestrichen, aber nicht Fabienne L., wie ich wirklich hieß. (Ich schreibe L. für meinen Familiennamen, weil ich noch Familienangehörige in der Provinz habe, die meine Jugend nicht kennen. Ich selbst schäme mich durchaus nicht meiner Vergangenheit, aber ich fürchte all den Klatsch und die verletzenden Bemerkungen, denen diese braven Leute ausgesetzt wären, wie «sagen Sie mal; ich habe da was gelesen ...» Nur diese Kleinigkeit sei also ausgelassen.)
Ich überlegte: Fabienne L. war im Haus unbekannt, und außerdem waren seit dem unglückseligen Zwischenfall mit den Holländern drei ganze Jahre vergangen. Da konnte ich es noch einmal versuchen. Immerhin hatte ich einige Chancen, denn in der Zeit mußte ich mich doch körperlich etwas verändert haben. Aber da keift mich die Puffmadame von der Rue St. Augustin an: «Du wirst nicht ins One kommen. Dafür werde ich sorgen. Ich werde anrufen und Bescheid sagen, daß sie dich nicht nehmen.» Das Miststück! Ich schaue sie an und sage nur: «Scheiße!» Aber ich dachte mir, daß sie als Konkurrentin der Rue de Provence sich hüten würde, etwas zu unternehmen, denn sie mußte ja froh sein, denen eine Stänkerin zuzuschieben. Sie konnte ja nicht wissen, daß ich mich nur bei ihr so aufführte, weil sie so unausstehlich war. Bei Mutter Lolo hatte ich gelernt, mich stets korrekt zu benehmen und die Regeln des «Hauses», in dem ich arbeite, strikt zu beachten. In meiner ganzen Karriere als Pensionärin habe ich sonst nie mit der «Madame» oder der Gouvernante irgendwelche Schwierigkeiten gehabt.
Eines frühen Nachmittags setzte mich ein Taxi vor der Rue de Provence 122 ab. Ich hatte Herzklopfen und war voller Unruhe. Um noch veränderter auszusehen, hatte ich mir einen großen Strohhut aufgesetzt, der einen Teil meines Gesichts verdeckte. Ich klingle. Tante empfängt mich an der Tür. Ich tue, als habe ich sie noch nie gesehen: «Ich komme mich vorstellen.» Sie scheint mich nicht erkannt zu haben. Mir wird sofort etwas wohler. Sie führt mich in den «Maple»-Salon, der im englischen Stil eingerichtet ist, und befiehlt: «Ziehen Sie sich aus.» Da blieb mir keine Wahl. Ich gehorche und ziehe mich splitternackt aus - bis auf den Hut. Sie betrachtet meine Rundungen, dann schaut sie mir ins Gesicht. Sie starrt mich an und fragt sich sichtlich, wo sie mich schon einmal gesehen haben könnte. Der Name Fabienne sagt ihr nichts. Ich stehe da in meiner Nacktheit und weiß wohl, daß ich in dieser Beziehung alles habe, was das Haus braucht. Plötzlich sagt die Tante:
«Du, du bist schon mal hiergewesen.» Jetzt war es heraus. Ich hatte nichts zu verlieren und beschloß, aufs Ganze zu gehen. «Ja, Tante. Das stimmt. Sie haben mich rausgeschmissen, weil ich beiseite geschafft habe!» Meine Offenheit schien sie zu amüsieren, denn sie klingelte nach Blanche, der Gouvernante. Blanche hatte einen guten Blick. Sie erkannte mich sofort. Tante zeigte ihr das Büchlein. «Sie nennt sich Fabienne. Aber vor drei Jahren habe ich sie unter einem anderen Namen ausgestrichen.» Blanche sah mich bis in alle Einzelheiten prüfend an. Sie schien sich zu sagen, daß es vielleicht schade wäre, sich ein Exemplar meiner Klasse entgehen zu lassen. Ich versuche, mich einzuschmeicheln. «Ach, bitte. Ich habe mich damals wie eine dumme Göre benommen. Das kommt bestimmt nicht noch einmal vor.» Blanche ruft Doriane, die «Madame», und erzählt ihr meine Geschichte. Während ich splitternackt inmitten der englischen Möbel von den gestrengen Blicken der drei Frauen gemustert werde, bete ich innerlich: «Lieber Gott, bitte, laß sie mich nehmen.» Schließlich fällte Doriane ihr Urteil. «Schön. Sie kann trotzdem bleiben. Wir brauchen im Augenblick gerade hübsche Mädchen.» Ich war im One Two Two. Ich blieb dort bis zum Tag seiner Schließung, sechzehn Jahre später. Deutsch von Helmut Kossodo
Rocco und Antonio,
Der erste Schultag «Ja, sieh einer an, wen trifft man denn da. Verkaufst du die Zeitungen hier?» Die kennen keinen Benimm, würde meine Mutter sagen. Aber auch wenn wir die Formalitäten beiseite lassen, willst du mich fragen, ob ich lebendig oder tot bin, ob mir in den Ferien der Pimmel abgefallen ist, ob meine Katze gestorben ist, oder was sonst? Ich weiß es nicht. Na, schon gut, es ist Gianni, der so fragt, auch so einer, von dem alle sagen: «Ein anständiger Genosse, aber sonst ein Trottel.» Ja, und was wäre, wenn ich ein strammer Rechter geworden wäre? Wenn meine beiden Arme gelähmt wären? Lassen wir das, und verkaufen wir diese Zeitungen. Und überhaupt scheint die Sonne. Immer dieselben Gesichter, dramatischerweise, dieselben Fressen, rundum. Nicht daß ich wünschte, einer war gestorben. Aber das Gesicht hätten sie wenigstens wechseln können, oder nicht? Auch was die Gesprächsthemen anbelangt, scheint's keine weltbewegenden Neuerungen zu geben. Ah, Jack der Eiertreter. «Ciao, Rocco. Also hör zu, heute haben wir die erste Vollversammlung. Sind auch ein paar neue Genossen da, halbe Kinder. Aber in diesem Jahr müssen wir alles ganz anders machen, verstehst du? Die Genossen sind in der Krise, du weißt. Das heißt, so können wir nicht weitermachen. Kurz, die Genossen haben das Bedürfnis, über ihre Probleme zu reden. Richtig, oder? Dann hat es da ja diese Debatte über die Drogen gegeben: man wird dazu Stellung nehmen müssen. Ist natürlich beschissen, daß das jetzt eine Angelegenheit der breiten Masse
werden soll. Verstehst du, es ist nicht die Sache an sich, sondern die Ideologie, die dahintersteht. Na ja, die Genossen haben eben alle keinen Mumm mehr. Auch die Versammlungen müssen wir neu aufziehen, was meinst du?» Ich würde auch meinen - wenn der mich mal von Zeit zu Zeit ein Wörtchen einschieben ließe. Wenn er doch bloß aufhören würde, mir dauernd diesen Schafskäse vorzukauen. Wenn er mich nur ein Viertelstündchen die Bräute beaugapfeln ließe! Ah, ah, ah, Cazzo, was interessiert mich das! Aus und vorbei. Verbranntes Gelände. Ich muß nach Roccapriora übersiedeln und ein neues Sexualleben anfangen. Hier sind wir ja in einem amerikanischen Katastrophenfilm. Weiß Gott, gut dreihundert Bräute werden hier zugange sein, aber es kommt dir vor, als ob keine einzige da wäre. Rechne die häßlichen ab. Zieh die aggressiven ab, die vom Typ «Komm her, Kleiner, und ich rupf dir dein Dings aus, mit Stumpf und Stiel» - die geben mir 'n richtiges Kastrationsgefühl. Zieh die antiquierten ab: «Gott hat sie mir gegeben, weh dem, der sie mir anrührt.» Zieh die ab vom Typ «Drogen, Sex und Rock'n'Roll», weil - da krieg ich Dünnschiß von. Zieh ab den Typ «Klassenkampf, der Sex ist für die Massen», die könnt ich ohrfeigen. Zieh die ab, mit denen ich schon gepennt habe, sind nicht wenige. Weg mit den Verlobten, schade zwar, aber was soll's. Und weg auch die, mit denen ich so ein bißchen rumgemacht habe - sind wenige, aber immerhin. Und was bleibt übrig? Bleibt dir nichts anderes übrig, als die neuen Lieferungen abzuwarten. Ich werde ihnen meine Zeitungen verkaufen, den kleinen schüchternen und kontaktscheuen Dingern, denen du sofort ansiehst, daß die aus der Mittelschule kommen; ich mach ein bißchen auf politischen Macker, der sich auskennt, lade sie zur Versammlung ein (die armen Mäuschen, denen gleich eins überzubraten), und dort wartet schon zack - ein Pimmel. Gott, jetzt ist der in Rage geraten über das Öffentliche, das eigentlich privat ist, und das Private, das eigentlich öffentlich ist, während doch im Grunde die privacy ... Der Bursche ist nicht mehr zu stoppen.
«Genossen, dies ist das Schuljahr, das auf den großen Erfolg des 15. Juni folgt...» Wenn der Kalender nicht ein Gerücht ist, wie man so sagt... «... und während die Auseinandersetzung der Klassen über die Ta-
rifverträge Höhepunkte von bisher unerreichter Schärfe gezeitigt hat. Die Studentenbewegung ...» Meiner Ansicht nach hat der sich absichtlich durchfallen lassen, um weiter den Anführer spielen zu können. Nichts mit «Die Repression hat wieder zugeschlagen» und so, nein, das war Absicht. Und wenn's nicht geklappt hätte? Dann wäre er erledigt gewesen. Zum big boss hat der nicht das Zeug, der war beim Flugzettelabziehen gelandet. «... und so stimmen wir mit drei gegen zwei Stimmen ...» Gott, ich hab ganz vergessen, worum's geht. Ich hatt's doch irgendwo gelesen. Sind wir dafür oder dagegen? Soll ich fragen oder nicht? Nun ja, vielleicht später, ganz inoffiziell. Peilen wir mal die Lage. Die Männchen sind immer dieselben; dazugekommen ist ein Jüngelchen, ein Winzling, neu an der Schule und aus der Umgebung Roms. Scheint sympathisch zu sein. Schweigt mit einer Natürlichkeit und ohne sich den Zwang anzutun, unheimlich angeregt zu wirken. Kleine Mädchen. Wenige, wie üblich. Die Donna vom Chef, wie gewöhnlich mit gerümpfter Nase. Dann Cinzia, die Dicke; die vielleicht gern wie 'n Metallarbeiter aussähe. Dann Paola und Elisa, die wie seit Jahr und Tag kein Wort sagen, aber sich die ganze Zeit alles mögliche ins Ohr tuscheln. Schwer unter Verdacht, ein bißchen lesbisch zu sein. Wie auch immer, bei denen ist nicht viel zu versäumen. Dann Antonia. Die einzige, die irgendwie verändert wirkt. Ist sie schöner geworden? Vielleicht, aber eigentlich nicht. Na ja, weiß nicht. Zu guter Letzt Laura. Peinliche Begegnung. Wir haben uns kaum gegrüßt. Schauderhaft. Sie bei der Versammlung zu treffen, hat mich etwas verwirrt, deshalb höre ich nicht zu, was sie sagen (genauer: was er sagt, hat ja immer nur er das Wort). Cazzo, was will die von mir? Mir gefiel sie nicht mal. Sie gefiel mir wirklich nicht. Schon daß sie im Ruf steht, so eine zu sein, die mit allen rummacht (auch wenn sie noch Jungfrau sein soll), so ein hungriges Biest also, hat mich im Grunde gestört. Dann hieß es auch, daß sie eine Klette ist. Deshalb hab ich wohl auch den Tag bis vor den Ferien abgewartet. So gab's wenigstens kein Nachspiel. Aber wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir an dem Tag auch nichts gemacht. Hätt ich weiter ferngesehen. Was lief da gerade? Ach ja, das Finale von Wimbledon. «Seht euch das doch bei mir zu Hause an, ist sowieso kein Mensch da.» Die alte Hure. Und ich hätt es mir sogar wirklich gern angeschaut. Irgendwann mußte ich pissen. Wo ist das Klo, frage ich. Sie sagt, komm ich zeig's dir. Wir kommen zum Bad,
ich geh rein, will mich umdrehen und die Tür schließen, da ist die doch glatt mit mir reingekommen. Sie legt mir die Arme um den Hals und gibt mir einen Kuß auf den Mund. So einen mit ganz aufgeklapptem Mund, daß du Nase und Kinn mit reinkriegst. Dann streichelt sie mir das Gesicht und sagt, wie schön glatt du bist. Ich gefrier zum Eisblock, das sind eben die Weiber, na schön, aber trotzdem könnten sie ein bißchen Psychoanalyse studieren, dann wüßten sie, daß einem mit sechzehn, wenn man nur ein bißchen Bartflaum hat und sonst nichts nichts, sag ich -, daß einem da die schrecklichsten Komplexe kommen. Aber das dicke Ende kommt noch. Sie sagt, mußtest du nicht Lulu machen? Und dabei öffnet sie mir den Gürtel, macht den Knopf auf, zieht den Reißverschluß runter und holt ihn raus. Ich bin wie gelähmt, aber trotzdem fängt er an, mir hart zu werden. Sie hält ihn in der Hand, betastet ihn vorsichtig und sagt dabei «komm, Lulu machen». Sie führt mich zum Klobecken und sagt, nun mach schön, und derweil bewegt sie ihre Hand auf und ab, schiebt mir die Vorhaut vor und zurück. Ich sag, ich muß nicht mehr, aber ich rühr mich nicht. Er ist mir inzwischen steinhart geworden. Sie sagt, ach ja? und taucht runter. Sie fängt an, mir den Bauch zu lecken, rund um den Nabel. Mir ist es ein bißchen peinlich, weil ich den Komplex habe, daß mir der Bauch raussteht wie den kleinen Kindern. Dann geht sie noch weiter runter. Sie leckt mir an den Schamhaaren. Sie zieht mir die Hose runter, dann die Unterhose, fängt an, mir die Schenkel zu küssen, dann die Eier, und dann kommt sie am Schwanz entlang hoch, ein Küßchen nach dem andern, bis zur Spitze. Sie zieht die Vorhaut zurück und schleckt ihn rundum ab, ganz vorsichtig, fast ein wenig zu vorsichtig, weil ich nun doch langsam Eile kriege. Schließlich rafft sie sich auf und nimmt ihn in den Mund und macht rauf und runter. Mit der einen Hand streichelt sie mir den Bauch, mit der anderen die Eier. Na, ich werde so an die fünfzehn Sekunden gebraucht haben. Eine blitzschnelle Angelegenheit. Na ja, und dann im Stehen ist das so eine Sache, du glaubst, du fällst jeden Moment um. Aber unheimlich aufregend. Nur danach war es so, daß ich ganz niedergeschlagen war. Ich bin mir vorgekommen wie ein Idiot. Ich war fast wütend auf sie, aber im Grunde auf mich selbst. Vielleicht weil ich so gar nichts dazu getan habe, ich weiß nicht. Ein Glück, daß ich dann weggefahren bin. Natürlich habe ich ihr keine Ansichtskarte geschrieben. Und auch nichts Geistreiches wie ...: «Aus den Dolomiten ein inniges Andenken an dein Blaskonzert im Scheißhaus.» Vor lauter erotischen Erinnerungen
habe ich nichts von der Versammlung mitgekriegt. Luca hat es mir zusammengefaßt: «Wir haben beschlossen, eine gründliche Massenkampagne gegen harte Drogen zu starten und eine Forumsdiskussion über Popmusik zu veranstalten.» Pah. Das Beste an der ganzen Versammlung ist ein stilles Lächeln von Antonia. Das Schöne an Autobussen ist, daß dir das Aussteigen wie die Eroberung des Glücks vorkommt. Auf der hinteren Plattform eingequetscht, so daß die Schulter meines Vordermanns mir fast wie ein Fortsatz von meinem Kinn vorkommt, in der Hand die Bücher (vielmehr das Buchder neueste Chandler- und das Heft, ein Rechenheft), die bloß deswegen nicht runterfallen, weil sie nicht wissen, wohin, die Haare unter die Mütze gestopft, als hätte ich sie seit zwei Monaten nicht abgenommen. Und dann die Gesichter: acht Schülergesichter, die aussehen, als wollten sie fragen: «Und wo hast du die Ferien verbracht?» So geschniegelte und schon gelangweilte Typen. Sicherlich frigide: sieht man am Flaum über der Oberlippe. Stinken noch nach aufgewärmtem Milchkaffee, nach faulen Zähnen, nach Schlafmief. Frisch gebügelte Jeans, weil es der erste Schultag ist, und «wenn du schon so rumlaufen mußt, dann wenigstens mit Bügelfalte». Zwei Mädchen ohne Arsch steigen zu: vierte Gymnasium? Es scheint, daß die ganze DrückmichandieScheibeAbteilung hier hinten im Bus aus Schülern besteht. (Ich schwöre, wenn ich noch mal einen sagen höre, daß man sich die Bücher auf dem Flohmarkt kaufen soll, beiß ich ihm in den Arsch.) Es ist nur ein einziger Erwachsener da mit einem belämmerten Lächeln, so einer vom Typ Revival, sackartige Jacke und die Fahrkarte zwischen zwei Fingern, als wär's ein Schmetterling. Ich glaube, der denkt sich jetzt irgend so was wie «die Glücklichen» (wir) und ist ganz gerührt von der geräuschvollen Umweltverschmutzung eines ersten Schultags. Dieses wirre Geschrei, dieser nasenpopelnde Radau, erscheint ihm als fröhliches Geplauder, die schwitzigen Hände auf geschlossenen Schulheften, die fettigen Finger auf den Pausenbroten, die sommerlichen Erinnerungen voll von vertraulichen Lügen und die unbestimmten Befürchtungen für den Winter kommen ihm, diesem Lümmel in Leinenhosen, vor wie die Poesie der Jugend oder irgendso 'n Scheiß. Es ist klar, daß der uns anguckt, ohne uns zu sehen. Der hält uns für eine Art Saisonerscheinung. Ein kollektives Substantiv, eine Sammelbezeichnung in Groß-
buchstaben. Er erlebt gerade die Prosa der Eröffnungsrede von Präsident Leone wieder. Wenn ich ihn so sehe, wie er überzeugt ist, daß die Welt am dritten Oktober ihren Weg geht, kriege ich Lust zu schreien. Ja, glaubst du vielleicht, es ist lustig, am Morgen aufzustehen und genau zu wissen, was du an den 326 darauffolgenden Morgen machen wirst? Jetzt setze ich mal zwei Augen voll von tiefem Haß auf ihn anmal sehen, ob er von seinem hohen Roß runtersteigt. Ich bin keine graue Maus. Man kann mich nicht ungestraft anstarren. Wenn ich mich am Rande einer Identitätskrise sehe, unternehme ich im allgemeinen irgendwas. Ich handle. Ich verzerre mein Gesicht zu einem spitzbübischen Lächeln. (Ja, ja, dich schau ich an, gerade dich, du Kretin. Und du schaust mich an wie die Gestalt eines Freskos mit dem vorläufigen Titel Erster Schultag. Ich schaue dich an wie ein seltsames Wesen, das vom Baum gefallen ist. Dreißig Jahre, längliches Gesicht, Jacke wie 'n Clochard und kein Recht, in diesem Schmerzensautobus, der zur Schule fährt, zu stehen und zu denken: «Wie sehr ich um dich flenne, du liebe alte Penne!») Die arrhythmischen Stöße des Busses haben uns einander schon nähergebracht. Häßlich bist du nicht, aber du riechst ein bißchen schlecht gelüftet, hast ranzige Mundwinkel, und deine Schnurrbartspitzen sind bekleckert. Er guckt: sinnlos, jetzt so zu tun, als hättest du das Manöver nicht bemerkt. (Wenn ich jetzt den Atem anhalte und die Schultern etwas zurücknehme, vielleicht schaff ich's dann, daß ein Knopf abspringt.) Ich laß einen Seufzer los und fahr mir mit der Zungenspitze ein paarmal über die Oberlippe (zu auffällig?). An der nächsten Ampel wird er seine Eier mehr oder weniger an meinem Heftumschlag haben. Nun ja, mein Lieber, du hast ein Sexsymbol vor dir. Prall und fest wie ein hartgekochtes Ei. Eine Blonde, wie sie im Buche steht. Ich werde noch Haare haben, wenn du schon so weit bist, daß du dir die Schwanzhaare hinter die Ohren transplantieren läßt. Meine Titten sind steifer als dein Ständer. Nichts. Aber er wendet die Augen nicht ab, und ich auch nicht, und mir tropft schon die Wimperntusche, und die Sache wird langsam aufregend. Noch drei Stationen. Wenn ich jetzt aussteige und er geht mir nach, gehe ich nicht zur Schule. Wenn er mir nicht nachgeht, nehme ich den nächsten Bus. Noch ein letzter Blick: ganz aus den Augenwinkeln. Er ist ausgestiegen, und ich höre seine Schritte hinter mir auf dem
Pflaster. Zwischen mir und ihm zwei Handbreit Luft. Ich hab nur deshalb keine Angst, weil ich es selbst gewollt habe: es ist, wie wenn man sich den Zahn selbst zieht, mit der Schnur am Türgriff. Es blutet, und du weißt nicht, wie's ausgehen wird, aber es ist immer noch besser, als zum Zahnarzt zu gehen. Ich weiß nicht, welche Richtung ich einschlagen soll, aber jetzt kommt's darauf an, die Situation zu entkrampfen: wenn ich stehenbleibe und er auch, dann heißt das, daß der mich wirklich verfolgt. Er verfolgt mich wirklich. Nur Mut: «Verzeihen Sie, aber ich habe den Eindruck, daß Sie mich verfolgen.» (Manchmal kommt mir meine Stimme so vor, als wäre sie in einem Dienstbotenzimmer der zwanziger Jahre aufgenommen worden - ein bißchen altmodisch.) Er sieht mich an und antwortet nicht. Er überholt mich. Geht geradeaus weiter. Adieu, Abenteuer! Nee, mein Lieber, du machst dir's zu einfach. Du siehst dich einer sexuell aggressiven Heranwachsenden gegenüber, einsfünfundsechzig groß, mit einem Hinterteil wie Sahne und den besten Absichten, den ersten Schultag zu verpassen: nutz es aus. Ich möchte heulen vor Wut. Ja, haben denn die Männer noch einen Schwanz, oder ist er ihnen bei der letzten Atomexplosion verdampft. Ich starre in das Schaufenster des Schuhladens hinein, als ob ich es ausplündern wollte; in der Schule hat es jetzt schon das erste Mal geläutet, und dieses Arschloch steht ruhig an der Bushaltestelle. (Ich frage mich, ob er wieder in denselben Autobus einsteigen wird. Wenn er das tut, ist seine abartige Neigung offensichtlich.) Nun, wo ich schon mittendrin bin, spiel ich das Spiel zu Ende: «Hören Sie, ich habe bemerkt, wie sie mich angestarrt haben, deshalb bin ich ausgestiegen, und sie sind mir gefolgt. Ich bin doch nicht dämlich!» Immer schön aggressiv und unnahbar. «Sie irren sich, Signorina», sagt er gelangweilt. Schöne Stimme. Wenn er mir nicht sofort an den Arsch faßt, dann kommt's noch so weit, daß ich mich in ihn verliebe. «Immerhin. Sie könnten mir wenigstens sagen, warum zum Teufel sie mich im Autobus so angestarrt haben, als ob ich ein tätowiertes Gesicht hätte.» Unmöglich, das verzagte Zittern zu verbergen: der Mann ist Lehrer. Er hat mich aus Gewohnheit angesehen. Ich wäre demnach so etwas wie eine vorbereitende Übung für den Beruf eines Hühnerhofwächters. So etwas wie die dritte Stufe der Giftgewöhnung des Mithridates: man vergifte sich die Augen täglich ein bißchen, damit man nicht bei der ersten geballten Ladung von Schülern schwach werde. Nun gut. Ich
muß diesen Trottel verblüffen - oder die Identitätskrise könnte bei Anbruch der Dunkelheit mal wieder in die Unfallstation wandern. Ich lasse mit einem gekonnt lasterhaft-wissenden Ausdruck im Gesicht durchblicken, daß mir seine Entschuldigung schon in die Nähe der Grenzen des guten Geschmacks zu kommen deucht: «In der Tat, ein richtiges Ausstellungsstück.» Er lächelt und kommt mir dabei fast menschlich vor. Dann sagt er was Nettes: daß er abergläubisch ist und daß er Angst vor schicksalhaften Vorzeichen hat und nun das ganze Jahr über verflucht aufpassen wird, daß seine Schülerinnen ihm nicht den Hof machen. So eine Einbildung, aber trotzdem originell. Wenn er bloß nicht Watte in den Schultern hätte! Wir gehen einen Kaffee trinken, und er zahlt. Ich ziehe 100 Lire aus der Tasche, und er sagt: «Heb sie dir auf für Süßigkeiten.» Dann steht er auf und zieht mit rudernden Armbewegungen von dannen.
Variante eins: Wie ich mir die Wirklichkeit ausmale Jetzt hat er den Arm um mich gelegt, und mir ist traut zumute wie am Abend. Er erzählt mir von seiner Frau, während wir langsam zu «seinem Studio» schlendern. Die Männer sind so: den Augenblick, die Hose runterzulassen, benutzen sie zu nichts anderem als zum Runterlassen der Hose. Ich friere ein bißchen, und es ist keine atmosphärische Kälte. Nicht das bißchen Sex, das wir machen werden, flößt mir Angst ein, sondern die Vorstellung, kaltgemacht zu werden von einem Volksschullehreraspiranten auch wenn er Erdkunde unterrichtet an ich weiß nicht welchem Institut für höhere Töchter und seine Frau bei der Zeitung arbeitet; er lächelt mir nicht zu. Ein gewalttätiges Gesicht hat er nicht. Er spricht ein gutes Italienisch. Nirgendwo guckt ihm ein Beilgriff aus den Kleidern hervor. Und dann hab ich seinen Achgottja fast in die Hand genommen: ich kann mich nicht als verfolgtes Jüngferchen fühlen ... Aber bitte, bitte, gehen wir bloß nicht ins Zimmer rauf. Ich möchte Spazierengehen, nein, wirklich, schlau, natürlich hab ich keine Angst, aber so ein römischer Oktober mit einer Luft, die sogar die Häuser zum Atmen bringt... Er lacht väterlich, und ich würde ihm am liebsten die Fresse einschlagen, oder vielleicht wär ich einfach lieber in der Schule ...
Wie mach ich ihm nur begreiflich, daß es mich verletzt hat, angesehen zu werden wie das siebte Gesicht links vom Eingang des Wohnblocks 47? Immerhin, ich bin gerettet: wir gehen nicht rauf. Ich habe Gelegenheit, ihn wissen zu lassen: a) daß ich Kommunistin bin, b) daß ich Feministin bin, c) daß mein Aszendent im Skorpion ist (und das bedeutet Sinnlichkeit). Bis zu dem Moment, als wir uns ins Gras setzen, weiß er alles von mir, außer die Wahrheit. Ich weiß von ihm nur, daß er einer von denen ist, die eher über die Krampfadern ihrer Ehefrau dissertieren, als einem Schulmädchen einen Zungenkuß zu geben. Wenn so eine Zufallsbegegnung auf einer Wiese endet, ist der JeansReißverschluß im allgemeinen wie verhext, und du erinnerst dich, daß du seit zwei Tagen die Unterwäsche nicht gewechselt hast, und weißt nicht mehr, was sagen. Stille sinkt hernieder. Und mit der Stille die Verlegenheit. Dann umarmen mich seine Arme, als ob sie glattweg vom Rumpf getrennt wären, unsere Ärsche sind zwar beieinander, aber unsere Körper weit weg. Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, ein nichtiger Eindruck: ich bin ganz angespannt, als ob ich drei Beine hätte. Er merkt es und macht sich los: erste Zigarette (seine). Ich pinkel mir in die Hose. Aber ich werd nichts sagen: die Unterbrechung, um eine Kneipe zu suchen, fehlte gerade noch - dann wär die Atmosphäre total gestorben. Ich wünschte, ich hätte zum Frühstück ein Hörnchen mit Schnaps zu mir genommen. Vielleicht wär ich dann femininer: wenigstens säße ich jetzt nicht hier in Ungewißheit zwischen Flucht und Tränen.
Variante zwei: Ein Mittsommertraum Handreichungen im Grünen Den Kopf auf der Erde, die Augen gen Himmel und sein Gesicht darüber, könnte ich ein am Marmortisch angebundener Hund sein. Das Experiment beginnt: seine geschwollene feuchte Zunge schiebt sich mir zwischen die Zähne, wie ein weicher, alles ausfüllender Hebel öffnet sie mir den Mund. Aber nein, porco dio, weiter geht's wirklich nicht. Sonst muß ich kotzen (es ist schließlich früh am Morgen, und man kann die Leute nicht schon in aller Herrgottsfrühe küssen). Niemand sieht uns,
und er nützt das aus, er knöpft mein Hemd auf mit schwerfälligen Bewegungen. Ihm zittern die Hände, aber es ist nicht die freudige Erregung: er hat's eilig. Ich möchte ihm in die Augen schauen, aber er hat keinen Ausdruck im Gesicht, und ich komme mir vor wie das Lamm auf der Schlachtbank: na los, mach schon, vierteile mich, hol's raus, dein verdammtes Dings, und spalte mich in zwei Teile, aber ich flehe dich an, mach schnell! Das «umarme mich» sagt er, als ob ich ein Rekrut wäre. Mit Umsicht fasse ich seine Schultern, er rubbelt mir mit seiner Wolljacke die Haut zwischen den Brüsten auf. Ich halbnackt und er im Sonntagsgewand. Ich bin drauf und dran, loszuheulen (schöne Scheißfigur!). Die Identitätskrise galoppiert, und da weiß ich plötzlich, was ich tun muß: die Initiative ergreifen. Ich weiß nicht, wo ich es gelesen habe, aber auch Sex ist entweder eine Aktivität oder eine Verurteilung. Mit einem Schwung aus den Hüften drehe ich es auf den Rücken, dieses ungeschlachte zweigeschlechtige Tier, das wir in unserer Umarmung sind. Jetzt ist er unten und ich oben. Überrascht? Aus dem Konzept gebracht, hält er einen Augenblick lang seine dreihundert Hände an, und ich nehme die Situation in die Hand: ich suche den Hosenschlitz. Der Knopf zwischen Daumen und Zeigefinger gibt sofort nach. Dann der Reißverschluß, und ich schlüpf mit der Hand hinein: ein Seufzer entweicht ihm, sofort schnellt er mir an den Mund und beißt und nagt und beißt. Er übersabbert mich mit Speichel, und ich verdopple die Berührungen, um mit dem Ekel fertig zu werden. Ich hab sein Dings in der Hand, es ist warm und hart, halb wild geworden. Gefühl gleich Null. Kein Vergnügen, höchstens das, ihm zu gefallen. Ihn am Schwanz zu halten, gibt mir ein berauschendes Gefühl von Macht: gebt mir einen Pimmel in die Hand, und ich hebe die Welt aus den Angeln. Wir wälzen uns wie ein rundes Tier. Kämpfend halte ich die Stellung: ich bin noch immer oben, und er wimmert wie ein kleines Kind, das Bauchweh hat. Ich schließe die Faust fest um sein Dings: ich werde mich nicht entwaffnen lassen. Ich bewege sie auf und ab, während es immer dicker anschwillt und mir die ganze Hand ausfüllt. Sowie er abspritzt und die Flüssigkeit mir an den Fingern runterrinnt, löst sich die Starre meiner Kiefer, und ich sehe ihn an: er hat die Augen geschlossen, und es ekelt mich an, ihn so satt und bedient zu sehen, so vulgär entspannt, so unbewegt, während er mit erkenntlicher Hand, einer Hand, die vom Körper losgelöst und ein Eigenleben zu führen scheint, mir unter den Rock zu langen versucht und auch tatsächlich reinlangt
und mich mit diesen großen, kalten Fingern kneift. Nein danke, mein Bester: mach dir nicht die Mühe, dich mit einem Anstandsbesuch zu revanchieren. Wenn er nicht nachgibt, muß ich einen Orgasmus simulieren. Dabei bin ich trocken wie eine Kartoffel, und der große kalte und neugierige Finger widert mich an. Ich wollte, ich hätte zwischen meinen Beinen lauter kleine scharfe Zähnchen, so daß ich ihm diesen schäbigen Finger mit einem einzigen Biß abzwicken könnte. Hör mal, mein Freund, es ist nicht meine Schuld, wenn er dir nicht mehr steht, aber die Hände benutzen gilt nicht: Körperteile sind nicht austauschbar. Aber ich trau mich nicht zu reden, und er legt sich immer mehr ins Zeug und entreißt mir einen Schmerzensschrei: wir küssen uns. Dann falle ich von ihm runter und rolle ins Gras. Das Gras hat sich nicht bewegt. Niemand hat uns gesehen. Er zündet sich die zweite Zigarette an (nein danke, ich rauch nicht), und zu guter Letzt sagt er mir seinen Namen. Er macht ein so schreckliches Gesicht, daß ich am liebsten davonlaufen würde. Aber er ist ganz frisch und munter und fragt mich, ob ich, ehrlich, nicht vielleicht doch Lust habe, einen Moment mit zu ihm raufzukommen, es ist nicht weit. Vielleicht ein andermal. Nein, meine Telefonnummer möchte ich dir lieber nicht geben. Stimmt, zugegeben, ich bin wirklich ein sonderbares Mädchen. Aber lassen wir das. Im Grunde ist's doch so: ich hab dir einen runtergeholt für einen Kaffee, oder? Deutsch von Wolfgang Sebastian Baur
Nichts ist so hart und ehern, daß es nicht durch die Glut der Liebe bezwungen werden könnte. Aurelius Augustinus
Eine Frau, die liebt, ist eine Armee auf dem Vormarsch. Rene de Obaldia
Pierre du Bourdel
Lucette in den Ferien «Uff. Endlich habe ich diese gräßliche Drecksschule eine Zeitlang hinter mir!» Diese Worte richtete Mademoiselle de Mustelle an ihre englische Gouvernante, als sie über die Schwelle des Lycee Moliere schritt. Die Ferien hatten begonnen, und Mademoiselle Lucette, die nur mäßigen Geschmack am Unterrichtsprogramm der Schule fand, drückte ihre Freude in einer wenig vornehmen Sprache aus. «So dürfen Sie nicht reden», sagte Miss Kitty, die Gouvernante. «Ihre Mutter hat es streng verboten.» «Ah, wenn ich so höre, was meine Mutter alles sagt! Sie soll sich bloß nicht aufspielen! Erst vor ein paar Tagen habe ich mitbekommen, wie sie Herrn von Böhme angeschrien und gesagt hat, er sei ein altes Ferkel. Ja, das hat sie gesagt, ein altes Ferkel!» «Pst! Wollen Sie wohl aufhören!» Unterdessen waren das Mädchen und die englische Gouvernante in den Wagen gestiegen, den der schwarze Chauffeur flott und sicher durch die Straßen steuerte. Benutzen wir die kurze Fahrt vom Lycee Moliere zum Stadtpalais von Madame de Mustelle, der Mutter Lucettes, um das kleine Fräulein und ihre liebenswerte Gouvernante, Miss Kitty Lawrence, dem Leser vorzustellen. Lucette de Mustelle war ein niedliches Schulmädchen mit kastanienfarbenem Haar, in ihrem anmutigen Gesicht war der Schalk auf reizende Art mit einem Hauch von Sinnlichkeit gepaart, was das Mädchen verwirrend anziehend machte, anziehender als eine junge Dame oder gar eine erwachsene Frau.
Das kleine Fräulein, das ein elegantes, schlichtes marineblaues Kostüm und einen riesigen Strohhut trug, hatte einen natürlichen Hang zur Koketterie und beherrschte trotz ihrer jungen Jahre bereits die Kunst des Flirtens. Im Palais Madame de Musteiles genierte man sich nämlich nicht, mit Lucette zu flirten, die nicht nur hübsch, sondern auch geistvoll war und schon weit mehr gelesen hatte als andere Mädchen ihres Alters. Ihre besondere Vorliebe galt Werken frivoler Natur, denen sie eine Lebenskenntnis verdankte, die ihren schnellen Antworten einen eigenartigen Zauber verlieh. Ihre Mutter, die noch sehr jung war, etwa Mitte Dreißig, hielt es, wenn man so sagen darf, in Sachen Schönheit und Tugend mit der Tochter. Sie war eine hochgewachsene und distinguierte Blondine. Hinter ihrem stolzen und etwas kühlen Gehabe verbarg sich eine starke Sinnlichkeit. Dank des unermeßlichen Vermögens, das sie von ihrem bei einer Forschungsreise ums Leben gekommenen Gatten geerbt hatte, konnte sie ihrem Hang zu Ausschweifungen ungehindert nachgehen. Die junge Witwe lebte gleichsam nur für die Freuden der Liebe und der mondänen Welt, so daß sie kaum Zeit für Lucette und deren zwei Jahre jüngere Schwester Marcelle hatte. Deshalb hatte sie ihre beiden Töchter der Obhut von Miss Kitty anvertraut, die Marcelle Stunden gab, während Lucette das Lyzeum besuchte. Marcelle war das dunkelhaarige Ebenbild ihrer Schwester. Auch sie war für ihr Alter schon sehr entwickelt, und das Beispiel ihrer Schwester war nicht eben dazu angetan, sie dem Ideal der Tugend nacheifern zu lassen. Miss Kitty schließlich, deren Aufgabe es war, die beiden Schwestern anzuleiten und zu erziehen, war eine ausnehmend hübsche junge Engländerin von zwanzig Jahren, eine süße und aufgeweckte Person mit einem wunderschönen weißen Teint unter dichten Haarfluten von rötlicher Färbung, aber nicht von vulgärem Rot, sondern von dem vornehmen Rot, das Tizian den schönen Fürstinnen der italienischen Renaissance zu schenken pflegte. Wenden wir uns nach dieser kurzen Vorstellung wieder Lucette und Miss Kitty zu. Die Limousine von Madame de Mustelle hielt jetzt vor einem prächtigen Palais in der Avenue Kleber, und Lucette sprang hinaus, tänzelte an der Loge des Concierge vorbei und rief aus voller Kehle: «Hoch die Ferien! Nieder mit der Schule!»
Hinter ihr stieg Miss Kitty die breite Treppe hinauf und lächelte über die Lebensfreude ihres Zöglings. Sie war, wie wir noch sehen werden, Lucette mit einer Liebe zugetan, die in den pädagogischen Lehrbüchern keineswegs empfohlen wird. «Ist Mama nicht da?» fragte Lucette eine freundliche Zofe, die mit einem Stapel duftender Wäsche durch den Flur ging. «Nein, Mademoiselle, sie ist mit Monsieur Gaston Golf spielen gegangen.» Besagter Monsieur Gaston hieß mit vollständigem Namen Gaston de Vives und war ein hoch aufgeschossener junger Mann, ein reicher Müßiggänger, der im Dienstbotenzimmer als Liebhaber von Madame galt. «Toll, dann können wir uns ja amüsieren!» sagte Lucette auf diese für sie offensichtlich erfreuliche Kunde. Sie ging in ihr Zimmer und entdeckte dort ihre Schwester Marcelle, die mit geschürzten Röcken, den Schlüpfer bis zu den Schnürstiefelchen hinuntergezogen, vor dem großen Spiegel stand und ihren Po begutachtete, wobei sie sich fast den Hals verrenkte. Als sie ihre Schwester wie eine Windsbraut hereinstürmen sah, ließ sie hastig die Röcke fallen und gab sich Mühe, harmlos dreinzuschauen, konnte aber nicht verhindern, daß ihr die Röte in die Wangen schoß. «Du brauchst dich nicht zu genieren», sagte Lucette. «Ich finde es ganz in Ordnung, daß du dir deinen Hintern im Spiegel anguckst ... Laß mal sehen.» Sie drehte ihre Schwester um und hob Rock, Unterrock und Hemd hoch, so daß ein kleiner Po, den man sich runder und fester nicht wünschen konnte, zum Vorschein kam. «Was ist denn das? Du hast ja eine Tracht Prügel bekommen, meine Liebe! Wer hat sie dir verabreicht? Dein Hintern ist ja fast so rot wie deine Wangen.» Marcelle erwiderte beschämt: «Mama hat es befohlen, weil ich einen wertvollen Krug zerbrochen habe. Sie hat mich von Alice verprügeln lassen.» Alice war das artige Kammerkätzchen, das Lucette im Treppenhaus getroffen hatte. Lucette ließ die Röcke ihrer Schwester fallen und zog sich die Jacke aus, um in eine lange Kittelbluse mit Samtstreifen zu schlüpfen, die ihr als Hausmantel diente, wenn sie daheim war. «Setz dich aufs Bidet, das wird deinen Po kühlen», sagte sie. «Ich geh
mal ins Dienstbotenzimmer und sehe, ob ich irgendwas Leckeres finde.» Sie ging ins Souterrain, wo sich das Personal aufhielt, und sang dabei laut ein englisches Lied, das sie von Miss Kitty gelernt hatte und das von heißen Küssen auf den Mund, von innigen Umarmungen und von einem Neun-Monats-Bauch handelte. Sie hatte ihre Schwester so schnell wieder verlassen, weil sie die Abwesenheit ihrer ohnehin mehr als großzügigen Mutter nutzen wollte, um mit den weiblichen Hausangestellten zu plaudern - und natürlich auch mit dem Kammerburschen, einem gutaussehenden Jungen von 25 Jahren, dessen verschmitztes Gesicht verriet, daß er es faustdick hinter den Ohren hatte. Firmin, so hieß der freche Kerl, schenkte seiner kleinen Herrin einen vielsagenden Blick und genierte sich, als er an ihr vorbeiging, nicht, ihr die Pobacken zu tätscheln, die sich unter ihrer immer sehr duftigen Hauskleidung deutlich abzeichneten. Einmal hatte er zufällig den Schlitz der Kittelbluse gefunden, und da dieser sich genau über dem Schlüpfer befand und das Unterhemd ein wenig hochgerutscht war, hatte er seine Hand hineinstecken und über die samtweiche Haut ihrer jungfräulichen Hinterbacken fahren können. Sein Finger wurde störrisch und versuchte beharrlich, die zusammengepreßten Backen zu spreizen, um an die runde Pastille des Polochs zu gelangen ... Aber Lucette drehte sich um und sah ihn mit einem vernichtenden Blick an, so daß er die Hand zurückzog und still vor sich hin murmelte: «Warte nur, du kleine Schlange, du kommst auch noch an die Reihe, genau wie alle anderen.» Wie alle anderen ... Tatsächlich hatte dieser Don Juan des Dienstbotenzimmers bereits mit fast allen geschlafen, mit Alice, der Zofe, mit der dicken Justine, der Waschfrau, mit Marie-Jeanne, der Köchin, einer drallen Bretonin, die ganz spezielle Reize aufwies, und mit der Frau des Concierge, einer feurigen jungen Dame aus Bordeaux, die bei Bedarf als zweite Zofe aushalf. Man tuschelte, er habe «Schweinkram» mit der Engländerin gemacht. Lucette fand es wunderbar im Dienstbotenzimmer. Hier wurden ihr Liebeleien und Laster vorgeführt, die ihre Neugier vollauf befriedigten; hier sammelte sie immer wieder neue Eindrücke, die sie manchmal
so erregten, daß sie schleunigst in ihr Zimmer eilen mußte, um sich dem köstlich schwächenden Spiel ihrer Finger hinzugeben, wie sie es von einer Klassenkameradin gelernt hatte. Lucette öffnete die Tür, steckte ihr keckes Näschen in den Raum und fragte: «Darf man eintreten?» «Da ist ja unsere tugendhafte Lulu!» sagte Firmin. «Welch netter Besuch!» bekräftigte die Zofe. «Wenn sie es schafft, mit unberührter Musch vor den Traualtar zu treten, soll mich meinetwegen der Teufel...» «Mit unberührter Musch vielleicht, aber was das Loch zwischen ihren Arschbacken betrifft ... Ich glaube, wenn ihr Mann die Nase da hinsteckt, wird er feststellen, daß er freie Bahn hat», lachte Firmin. «Schließ nicht von dir auf andere, du Schmutzfink», wies Alice ihn zurecht. «Jeder weiß, daß du es am liebsten andersrum machst... Daß ich mir dauernd dieses unanständige Zeug anhören muß! Nur die Perversen machen es auf die Tour ...» «Neulich hast du nicht so entrüstet getan - erinnerst du dich? -, als du mich gebeten hast, es dir von hinten zu besorgen ...» Alice legte Firmin die Hand auf den Mund und sagte zu der lächelnden Lucette: «Schau mal, da im Schrank ist Marmelade ... und zwischen meinen Arschbacken auch, wenn dir danach ist!» «Du kannst aber auch ganz schön vulgär sein, Alice», sagte Lucette. «Und wenn die Engländerin dich hört?» «Würde sie mir dann den Hintern versohlen?» «Nein, sie würde es Mama sagen!» «Ha, deiner Mutter dürfte im Moment nichts gleichgültiger sein. Sie läßt es sich doch gerade von Gaston besorgen - sie langweilt sich bestimmt nicht mit ihm. Ich würde ihn übrigens auch nicht von der Bettkante stoßen ...» «Du glaubst also, daß Gaston und Mama ... etwas miteinander haben?» «Und ob. Vor ein paar Tagen im Salon ... man konnte Madame bis hier seufzen hören:
«Warum hat sie denn so komisch geredet?» fragte Lucette, den Unschuldsengel spielend. «Das wirst du erfahren, wenn du Haare zwischen den Schenkeln hast!» antwortete die Zofe. «Hab ich schon! Du kannst es mir ruhig sagen.» «Du hast schon welche? Die möchte ich sehen!» rief Alice. «Man braucht bestimmt ein Vergrößerungsglas, um sie zu sehen. Ja, wenn du nach deiner Mutter schlügest...» «Aber es stimmt, ich hab schon welche», sagte Lucette verärgert. «Moment mal», unterbrach Firmin. «Wenn Mademoiselle tatsächlich schon Haare hat, wie sie behauptet... ganz einfach, sie braucht sie uns doch nur zu zeigen. Wir werden schon genau hinsehen!» «Eine gute Idee!» sagte Alice und wurde plötzlich ganz munter. «Los, Lulu, heb deinen Rock hoch und zieh den Schlüpfer runter, damit wir nachschauen können.» Die Wangen des Mädchens röteten sich. Sie drückte den Rock an ihre Schenkel und knabberte mit verlegenem Gesichtsausdruck an ihrem Marmeladenbrot. Sie wirkte wie ein in die Enge getriebenes Reh und wechselte hastig das Thema. «Du, Alice, weißt du, was die Engländerin zu mir gesagt hat?» «Nein, und ich will es auch nicht wissen. Jedenfalls nicht jetzt ... Heb deine Röcke hoch, zieh den Schlüpfer runter und zeig uns, ob du schon Haare hast.» Sie trat auf das Mädchen zu, packte es bei der Taille und legte es rücklings über ihre Knie. «Los, Marie-Jeanne, zieh ihr den Rock hoch. Ich halte sie fest. Sie trägt einen offenen Schlüpfer.» Lucette versuchte, sich zu wehren, aber gegen die stämmige Alice kam sie nicht an. Marie-Jeanne hob den blauen Faltenrock hoch, und man sah die dünnen Beine in den hellbraunen Strümpfen und den Schlüpfer, einen Mädchenschlüpfer, der den Po betonte und an den Beinen mit kostbaren Spitzen besetzt war. «Mein Gott, so jung und schon Schlüpfer für 250 Francs!» Lucette zappelte auf dem Schoß der kräftigen Alice und schrie: «Laß mich los, ich sage es Mama ... Ah!» Dieser Ausruf wurde dadurch ausgelöst, daß Marie-Jeanne den Schlitz von Lucettes Höschen auseinandergezogen hatte.
Sie schob das Hemd hoch, und der kleine, niedliche weiße Bauch des Mädchens kam zum Vorschein. Alice spreizte die Beine der Kleinen, und man sah den rosa Spalt ... lachsrosa, zart und jungfräulich. Was durch die Haarlosigkeit des Venushügels noch hervorgehoben wurde. Firmin brachte kein Wort heraus. Er stand mit offenem Mund da und bewunderte das reizende Schauspiel. Der Stoff seiner Hose spannte sich am rechten Fleck. «Da siehst du, du hast noch keine», sagte Alice und stellte Lulu wieder auf die Füße. «Du hast uns angeschwindelt! Dir kann man nichts glauben, ohne sich persönlich überzeugt zu haben!» Rot vor Scham strich Lucette die Falten ihres Rocks zurecht. Sie wagte nicht, den Blick zu heben, und unter ihren langen Wimpern glänzte eine Träne. «Komm, komm», sagte Alice tröstend, «es ist doch nicht weiter schlimm, daß Firmin deine Musch gesehen hat... es ist sicher nicht das letzte Mal gewesen ... Du wirst sie ihm freiwillig zeigen, warte nur, du bist ja jetzt schon mit allen Wassern gewaschen. Ich sage dir, du wirst schon bald von selber die Beine breit machen!» Firmin strahlte bei diesen Worten, aber da wandte sie sich an ihn und sagte zornig: «Ja, du geiler Bock, ich habe wohl gemerkt, daß du dauernd auf ihre Röcke starrst. Die Frauen genügen dir nicht, du brauchst auch noch Männer und Kinder ... Aber ich warne dich, wenn du dich an ihr vergehst, kriegst du von mir den Lohn, den du verdienst.» Firmin lachte, und Alice lief auf ihn zu, um ihm eine Ohrfeige zu geben. Diesmal stellte Lucette die Ordnung wieder her. «Also wirklich, ihr werdet euch doch nicht prügeln», sagte sie. «Alice, du verdrehst die Tatsachen. Du hast doch selber Firmin meine Musch gezeigt ... Ich wollte nicht ... Jetzt wird er mich jedesmal am Po kitzeln wollen, wenn er mir in einer dunklen Ecke begegnet. Aber ich werde es mir nicht gefallen lassen, glaubt das bloß nicht! Nein, nein! Finger weg bis zur Hochzeit, wie Marie-Jeanne immer sagt!» Alice wandte sich und trieb die Freundlichkeit so weit, Lulu einige Petits-Fours zu geben, die vom gestrigen Fünf-Uhr-Tee übriggeblieben waren. «Danke», sagte Lulu, nun wieder ganz junges Mädchen. «Ich bringe Marcelle ein paar nach oben. Übrigens ... sie hat eine ganz schöne Tracht Prügel bekommen. Sie sagt, das wärst du gewesen, Alice?»
«Ja ... dieser kleine Nichtsnutz! Sie hat eurer Mutter gesagt, daß ich sie, wenn ich sie bade, immer zwischen den Beinen kitzle! So jung, und schon so verdorben ...» «Jedenfalls hat sie einen süßen kleinen Hintern!» erklärte Firmin. «Den hast du also auch schon gesehen, du Kinderschänder!» «Ja, ich war im Zimmer nebenan, als du sie verprügelt hast, Alice. Du hattest die Tür offen gelassen, und ich konnte die Bestrafung genau sehen ... Alle Achtung, Ihre kleine Schwester ist nicht ohne», wandte er sich an Lucette, «fast so niedlich wie Sie ... Ein richtiger Frauenpopo!» «Du läßt aber auch wirklich keine Gelegenheit aus», sagte Alice, während sie einen Teller mit Petits-Fours füllte. «In diesem Haus kann keine Frau einen Furz lassen, ohne daß du die Nase an ihrem Hintern hast ... Ich glaube fast, Madame ist auch kein Geheimnis mehr für dich.» «Das möchtest du wohl wissen!» lachte Firmin, während Lulu mit ihren Petits-Fours die Flucht ergriff. Deutsch von Sara Pitti
Terry Southern / Mason Hoffenberg
Candy oder Die sexte der Welten Nach einer Tasse heißer Schokolade gingen Candy und der Große Grindle in das Zelt hinüber, das als Aufenthaltsraum diente. Sie saßen und unterhielten sich - er auf dem Rand des Ping-Pong-Tisches, sie zu seinen Füßen. «Auf welcher Stufe Ihrer geistigen Entwicklung befinden Sie sich gegenwärtig?» fragte er das Mädchen. «Ach du liebe Güte, ich hab keine Ahnung», sagte sie. «O doch, das Herz weiß es», sagte er, «das Herz weiß es am besten.» «Ich glaube, ich befinde mich noch auf einer recht frühen Entwicklungsstufe», sagte Candy ohne jede Koketterie. «Der Mystische Pfad steigt über sechs Stufen hinan», sagte der Große Grindle, «und jeder Mensch befindet sich jederzeit auf einer dieser Stufen. Auf der ersten Stufe ist folgendes zu beachten: Sie müssen eine große Anzahl Bücher religiösen und philosophischen Inhalts gelesen und vielen gelehrten Männern gelauscht haben, die über die verschiedenen Doktrinen dozieren - und dann müssen Sie sich selbst ernsthaft mit einer Reihe dieser Doktrinen beschäftigen.» «Und das ist die erste Stufe?» fragte sie ungläubig. «Ja. Der Weg ist beschwerlich, müssen Sie wissen - viele schlagen ihn ein, nur wenige gelangen ans Ziel.» «Und die zweite Stufe?» «Auf der zweiten Stufe muß man sich aus der Vielzahl der Lehren, in die man eingedrungen ist, eine auswählen und die anderen verwerfengenau wie der Adler nur ein Schaf aus der Herde schlägt.»
«Ach du liebe Güte», sagte Candy. «Und nun wird der Weg in Wahrheit äußerst steinig. Die dritte Stufe verlangt vom Menschen, daß er sich gering macht, sich eines demütigen Betragens befleißigt, nicht danach strebt, in den Augen der Welt hervorragend oder wichtig zu erscheinen - und doch, trotz offenbarer Bedeutungslosigkeit, seinen Geist über den Wassern schweben läßt, sozusagen ... ihn also hoch über jede weltliche Macht und Herrlichkeit erhebt.» «Und dann?» «Dann müssen Sie die vierte Stufe erklimmen: die Indifferenz gegen alles. Leben wie ein Hund oder ein Schwein, welches frißt, was der Zufall ihm beschert. Keine Wahl unter den Dingen treffen, die einem begegnen. Sich dessen enthalten, etwas erreichen zu wollen oder einer Sache aus dem Wege zu gehen. Mit wahrem Gleichmut annehmen, was auf einen zukommt: Reichtum wie Armut, Ruhm wie Verachtung. Sich frei machen von der Unterscheidung zwischen Tugend und Laster, Gut und Böse, ehrenhaft und schimpflich ... das, was auch immer Sie in der Vergangenheit getan haben sollten, weder bereuen noch darüber frohlocken.» Candy genoß das Ganze ungeheuer. Sie setzte sich bequemer zurecht. «Und dann?» fragte sie mit großen Augen, holdselig anzuschauen. «Dann erreicht man die fünfte Stufe», sagte der Große Grindle. «Hier gilt es, mit völliger Gelassenheit und Objektivität den sich widerstreitenden Überzeugungen und den verschiedenartigen Manifestationen menschlichen Tuns gegenüberzustehen. Zu begreifen, daß die Natur der Dinge so und nicht anders ist, daß jedweder nur so und nicht anders handeln kann ... und dabei immer friedvoll und heiteren Gemüts zu bleiben. Die Welt wie ein Mann zu betrachten, der auf dem höchsten Berg des Landes steht und auf die Täler und niedrigeren Erhebungen hinuntersieht, die tief unter ihm daliegen. Das ist die fünfte Stufe.» «Heiliger Strohsack», sagte Candy. «Ja. Der Mystische Pfad ist beschwerlich, wie ich schon sagte; viele machen sich auf den Weg - wenige erreichen das Ziel.» «Ja ... und was in aller Welt kann nun noch die sechste Stufe sein?» begehrte das Mädchen zu wissen. «Die sechste Stufe läßt sich in Worten leider nicht beschreiben. Sie entspricht der Realisation des Großen Nichts, was in der lamaistischen Terminologie soviel heißt wie die Unaussprechliche Realität.» «Das hab ich nicht mitgekriegt», sagte Candy.
«Nun», sagte der Große Grindle, «das ist als die Vergegenwärtigung der Nichtexistenz eines fortdauernden Ego zu verstehen. Der diesbezügliche tibetische Glaubenssatz lautet wie folgt: » «Und damit sind wir am Ende?» fragte Candy nach einer kleinen Pause. «Soweit wir praktische Ziele damit verfolgen, ja. Es gibt eine siebente Stufe: die Überwindung der Schwerkraft, die das Phänomen der Levitation, des physischen Schwebens zeitigt. Doch das braucht uns jetzt nicht zu beschäftigen.» «Physisches Schweben!» rief Candy, als habe ihr das mehr als alles andere zugesagt. Der Große Grindle nickte, und das Mädchen sah ihn forschend an, ob er selbst wohl dieses Bravourstück fertigbringe. «Donnerwetter, das würde ich ja zu gern können», gestand sie. «Der Weg ist beschwerlich», sagte Grindle. «Na, und ob!» sagte Candy. «Nun, was meinen Sie dazu? Wollen Sie es wagen? Sie sind ja geistig schon recht fortgeschritten.» «Versuchen möcht ich es schon», sagte sie. «Was müssen wir denn als erstes tun?» «Zunächst brauchen Sie einen fähigen Guru, einen geistigen Lehrer, der mit Ihnen arbeitet.» «Und Sie ...» setzte Candy an. «Ich werde Ihr Guru sein.» «Ach, das ist himmlisch», sagte das Mädchen hocherfreut und erhob sich, als wolle sie dem großen Mann einen Kuß geben, doch er beeilte sich, wieder einen sachlicheren Ton anzuschlagen. «Zunächst», sagte er, «erhebt sich das Problem der geistig-seelischen Disziplin und der grundlegenden Yoga-Übungen.» Er zog eine Halskette aus der Tasche, nicht unähnlich einem Rosenkranz, deren Perlen unterschiedliche Gruppen bildeten, und legte sie Candy, die ihren Hals anmutig vorstreckte, um den Nacken. Dann erklärte er ihr, wie sie die Atemübungen abzuhalten habe, wobei sie die verschiedenen Perlengruppen durch ihre Finger gleiten lassen müsse. Es folgte die Unterweisung in der berühmten Übung der feindlichen Daumen>, dann das Geheimnis des Stehschlafes, der den erfolgreichen Adepten in den Genuß von vierzehn Stunden ununterbrochenen Schla-
fes bringt, wenn er seinen Kopf zwei bis drei Minuten gegen einen Stein preßt, den er zuvor zwischen seine Stirn und die Wand geschoben hat. «Und nun: Ihre vielleicht wichtigste Yoga-Übung», sagte der Große Grindle mit tiefem Ernst, «ist die Übung Nummer vier, denn sie ist der Schlüssel zur unendlichen Einheit - ich rede natürlich vom Kosmischen Rhythmus, den Sie sich aneignen müssen, um sich in Harmonie mit allen Dingen zu befinden und das Nirwana zu erreichen. Entspannen Sie nun Ihren Körper, und lassen Sie ihn die Bewegungen ausführen, die der Druck meiner Hände ihm vorschreibt.» Damit legte er seine Hände um Candys schlanke, gerundete Hüften, die er in langsam-schwingende Bewegung versetzte - gleich dem sanften Spiel der Meereswellen. «Genau», sagte er und trat zur Begutachtung einen Schritt zurück, «ja, sehr gut.» Diese Bewegung hätte in jedem anderen als einem mystischen Zusammenhang nur zu leicht lasziv oder gar obszön wirken können. Candy blieb das nicht verborgen, und ihr hübsches Gesicht wurde vorübergehend dunkelrot, doch sie machte sich innerlich die ernstesten Vorwürfe, daß sie so geartete Assoziationen dabei hatte, und gab die Schuld daran ihrem unreinen und unterentwickelten Geist. Während sie, nach Grindles Anweisungen, die Übung Nummer vier durchexerzierte und auf seine verschiedenen Kommandos hin das Tempo ihrer rotierenden Bewegungen variierte, erschien das dunkelhaarige Mädchen, das vorhin Candy gegenüber den kleinen Pickel mit dem grünen Stiel erwähnt hatte, im Zelteingang und sah dem Schauspiel eine kleine Weile zu, ohne sich die geringste Mühe zu geben, ihr Mißfallen zu verbergen. «Ganz reizend», sagte sie dann scharf und bitter. Candy war so auf die bestmögliche Ausführung ihrer Yoga-Übung konzentriert, daß sie das Kommen des Mädchens zunächst nicht bemerkte und vom Klang ihrer Stimme ziemlich überrascht wurde, wie übrigens auch Grindle der Große, den die Kontrolle über Candys Übungen völlig in Anspruch genommen hatte. Bei den Worten des Mädchens stieß er ein Wutgeheul aus, wirbelte herum und rannte mit geballten Fäusten auf die Schwarzhaarige zu, die ihrerseits auf dem schnellsten Wege das Weite suchte. «Der spielt sich als großer Magier auf», schrie sie im Wegrennen,
«dabei will er bloß an deine kleine Zuckerdose!» Ihre Stimme verlor sich in der Dunkelheit. «Diese philiströse Spießbürgerin!» sagte Grindle mit echtem Verdruß, als er zurückkam. «Was ihr guttäte, wäre eine ordentliche Tracht Prügel.» Candy war tief beeindruckt von seinem leidenschaftlichen Ungestüm und dem Unwillen, den er bei der Unterbrechung an den Tag gelegt hatte, und es schmeichelte ihr in höchstem Maße, daß er ein solches Interesse an ihren Fortschritten nahm. Auch sie war natürlich darauf aus, sich die nötigen Fertigkeiten anzueignen, um möglichst rasch auf der Mystischen Bahn voranzukommen, und sie bemühte sich, seinen Ärger durch verdoppelten Eifer zu zerstreuen. «Ja!» sagte Grindle. «Ausgezeichnet! Nun denn: jetzt werden wir ...» Doch er unterbrach sich und legte sein bedeutendes Haupt lauschend zur Seite. «Horch!» sagte er. Jetzt hörte auch Candy ein leises Pfeifen in der Nähe. «Warten Sie hier», sagte Grindle, rutschte vom Ping-Pong-Tisch herunter und ging auf den Zelteingang zu. «Das ist Ihre nächste Übung: Warten und an nichts denken.» «Is geritzt!» sagte Candy. Grindle entschritt in die Nacht hinaus, und Candy versuchte, jeden Gedanken auszuschalten, war jedoch im Augenblick zu erregt dazu. Sie dachte, wenn sie zum Eingang ginge und zum dunklen Himmel hinaufschaute, würde es ihr eher gelingen. «Vorausgesetzt, es sind keine Sterne zu sehen!» sagte sie halblaut, trat in die Zeltöffnung und richtete den Blick nach oben. Dabei entdeckte sie unversehens Grindle, der tief im Schatten an der Laderampe stand, neben der gleichen Lore, in die sie vorhin ihre recht unbedeutende Ausbeute an Kohlen geworfen hatte. Er sprach leise mit zwei Männern, von denen der eine ihm etwas übergab - und zwar schien es sich um Geld zu handeln, der bedächtigen Art nach, in der es Stück für Stück recht verstohlen ausgehändigt wurde. Dann setzten die beiden Männer sich in Bewegung und schoben die Lore leise und behutsam vor sich her. Offenbar hatte Grindle soeben eine Ladung Knaller-Kohlen verscheuert. Diese Erkenntnis traf Candy wie ein Keulenschlag. Sie zog sich zurück, senkte den Kopf, machte einen niedlichen Schmollmund und sah auch nicht auf, als Grindle gleich darauf das Zelt wieder betrat. Er rieb
sich fröhlich die Hände wie nach einer wohlgelungenen Transaktion, was Candy in ihrem Verdacht bestärkte und sie mit Schrecken und Abscheu erfüllte. «Nun?» sagte Grindle behaglich. «Wo war ich eben ...» «Sie waren soeben draußen und haben eine Ladung Knaller-Kohlen verscheuert!» sagte das Mädchen schneidend und von oben herab. Darauf brach sie in Tränen aus, schlug die Hände vors Gesicht und lief in eine Ecke des Zeltes. «Wie konnten Sie bloß!?» rief sie völlig verzweifelt. «Wie konnten Sie bloß!» Überraschenderweise schien diese Anschuldigung Grindle nicht weiter zu beeindrucken, Candys Ausbruch allerdings und ihr lautes Schluchzen bereiteten ihm offensichtlich Unbehagen. «Ach, das!» sagte er, schlug mit der Hand durch die Luft und zog unwillig die Brauen zusammen. «Das hat doch gar kein Gewicht - eine rein materielle Transaktion ohne jede Bedeutung.» «Aber warum haben Sie denn das Geld angenommen?» forschte das Mädchen und hob für einen Augenblick ihr liebliches, tränenbetautes Gesicht, damit er ihren Schmerz sähe und wie hintergangen sie sich fühlte. «Mr. Uspy hätte es nicht genommen!» rief sie. «Er sagte, alles sei nur ein Traum ... und Sie sagten dasselbe! Er hätte es nicht genommen, und er ist bloß Ihr Sekretär! Ich finde das ganz entsetzlich!» Und wieder verbarg sie ihr Gesicht und schluchzte herzerweichend. «Was sagte er, daß alles sei?» fragte Grindle und kam näher. «Ein Traum!» wimmerte das Mädchen - es klang wie das Wimmern eines Kindes. «Er sagte, alles sei nur ein Traum ... und Sie sagten dasselbe!» «Natürlich ist es nur ein Traum», sagte Grindle und legte ihr eine Hand auf die Schulter, «jede Realität ...» seine Hand beschrieb einen Bogen, und er suchte nach Worten, «... ist bloß äußerer Schein, eine Illusion. Ein Traum, natürlich ... nichts sonst.» «Aber warum brauchen Sie dann Geld ... in einem Traum?» beharrte das Mädchen, immer noch weinend. «Ah!» sagte Grindle, und seine Finger spielten mit ihrem süßen, kleinen linken Ohr. «Es ist nur ein Traum, ja ... aber wir wollen einen angenehmen Traum daraus machen ... keinen Albtraum!.» «Aber für die Knaller ist es ein Albtraum», sagte Candy, «... wenn jemand heimlich ihre Kohlen verkauft ... das ... das ist ... wie Dieb-
stabil» Das letzte Wort und alles, was es einschloß, ließ sie erneut in Schluchzen ausbrechen, und es schien, als bemerke sie die Zärtlichkeiten überhaupt nicht, die Grindle ihrem Hals und Rücken verschwenderisch angedeihen ließ, um sie zu besänftigen. «Lassen Sie mich Ihnen eine Frage stellen ...» sagte Grindle. «Welches sind die glücklichsten Menschen in dieser unserer Welt? Wer, außer denen natürlich, die bereits auf dem Mystischen Pfad fortgeschritten sind, ist am glücklichsten? Ist es nicht derjenige, der schöpferisch ist? Jawohl! Es ist der Künstler! Es ist der selbstgenügsame Künstler, der in dieser Welt am glücklichsten ist. Ja! Doch große Kunst schafft nur der, der gelitten hat - die Geschichte beweist es!» Während dieser Darlegungen hatte er das Mädchen für den Augenblick verlassen und ging mit großen Schritten im Zelt auf und ab; vielleicht war es das, was sie veranlaßte, den Blick zu heben und ihm mit Augen, groß wie Untertassen, nachzustarren - ein wenig sehnsüchtig, wie es schien. «Die Geschichte beweist es», wiederholte er, «... es sind nicht die im Überfluß lebenden Völker, die die meisten Künstler hervorgebracht haben; so haben wir denn hier heute nacht eine Schlacht geschlagen für alles, was gut und schön ist in unserer Traumwelt! Für die Kunst! Die Gefahr liegt natürlich darin, daß diese Knaller noch auf der untersten Stufe des sogenannten Entbehrungs-Komplexes stehen, und zwar handelt es sich bei denen bis dato um schäbigsten Masochismus! Aber wie dem auch sei... das spielt in unserem Falle keine Rolle.» Candy sah ihn aus ihrer Ecke mit großen Augen an, und er kehrte jetzt wieder zu ihr zurück. Dies hatte zur Wirkung, daß sie einerseits erleichtert war, andererseits begannen ihre Tränen aufs neue zu fließen. «Ach, ich weiß nicht», sagte sie und verbarg ihr Gesicht, «es scheint mir so ... so schäbig, Geld dafür zu nehmen.» «Schäbig!» sagte Grindle. «Ich habe zwanzig Dollar dafür bekommen ... was ist daran schäbig?» Er zog die Scheine aus der Tasche und betrachtete sie. Dann hielt er ihr das Geld hin. «Schauen Sie», sagte er. «Nein, nein», sagte Candy und schüttelte wie blind den Kopf. «Nun gut», sagte Grindle, «dann werde ich sie ... aufessen.» Er führte seine Hand rasch an den Mund und tat, als stecke er das Geld hinein, eskamotierte es jedoch mit einem Zaubertrick fort. «O nein ... tun Sie's nicht!» rief Candy. Sie sah zu ihm auf und berührte in großer Besorgtheit seinen Arm. «Zu spät! Zu spät!» sagte Grindle und kaute wie wild drauflos. «Ich
eß es auf! Ich eß es auf! Hinunter damit!» Er tat, als würge er mühsam daran. «So!» sagte er. «Nun ist es fort!» Candy empfand schweres Schuldgefühl ob des Verlustes. «Ach, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll», rief sie aus und preßte seinen Arm. «Nicht wichtig», sagte Grindle und schob die Diebsbeute verstohlen in die Tasche zurück; er senkte den Kopf und machte ein ziemlich dämliches Gesicht. «Es war ja bloß ... daß ich ... daß ich Ihnen etwas Hübsches kaufen wollte», sagte er, und es gelang ihm, eine große Träne zu produzieren, die langsam an seiner fleischigen Wange hinunterrollte. «Was?» sagte das Mädchen mit äußerstem Erstaunen und legte die Arme um ihn. «O mein Engel, mein süßes Baby», und sie streichelte und liebkoste ihn fieberhaft, um ihn zu trösten, zog seinen dicken Kopf an ihre Schulter und wiegte ihn dort hin und her wie ein monströses Riesenkind. So standen sie eine Weile da. Grindle, nicht faul, hatte nun seinen ausladenden Schädel ein Stück tiefer sinken lassen und versuchte listig, mit seinem vorstehenden, gespaltenen Kinn die Knöpfe des Ausschnitts von Candys Sackkleid zu öffnen, als vier oder fünf junge Leute ins Zelt einbrachen. «Macht mal Pause, ihr Knaller!» rief einer der Jungen aufgeräumt. «Wir machen jetzt ein Lagerfeuer und singen 'n bißchen! Los, auf geht's!» Und sie umringten die beiden und drängten sie hinaus. Rund ums lodernde Feuer vereinten sich die jungen Stimmen zum mitreißenden Knaller-Lied: «KNALL! KNALL! KNALL!» brüllten sie. Kaum waren Candy und Grindle, begleitet von den jungen Leuten, zu der Gruppe am Feuer gestoßen, als Grindle das Mädchen auch schon beiseite, ins Dunkle, zog. «Auf uns wartet Wichtigeres», sagte er und berührte sie wie absichtslos kurz zwischen den Beinen. «Kommen Sie.» Er nahm sie bei der Hand und führte sie auf einem steinigen Weg den mit Brombeergestrüpp bewachsenen Hügel hinunter an das unten vorbeiströmende Flüßchen, dessen gebogenem Lauf sie folgten, wobei sie den Hügel, auf dem das Knaller-Camp lag, umgingen. Candy lief mit gerafftem Rock am Flußufer entlang. Die wildromantische, in Mondlicht getauchte Landschaft erregte sie heftig, und sie
war überglücklich über diesen improvisierten nächtlichen Ausflug mit Grindle - so unähnlich allem, was sie je mit Daddy unternommen hatte. Dann ging's um eine Biegung, und sie kamen an einen schimmernden kleinen Weiher vor einer Art Höhle oder Grotte, deren Eingang sich dunkel vom silbrigen Wasser abhob. «Oh, wie himmlisch!» rief das junge Mädchen aus und faltete die Hände vor der Brust, als sei der Anblick tatsächlich so lieblich, daß er ihr einen Stich ins Herz versetzte. «Kommen Sie», sagte Grindle und ergriff erneut ihre Hand, «wir wollen hineingehen.» Sie mußten durch etwa fußhohes Wasser waten, um den Eingang der Grotte zu erreichen, was Candy kleine vergnügte Schreie und Quietscher hellsten Entzückens entlockte. Dann traten sie ein, und Grindle entzündete eine Leuchte, die sich auf einem vorspringenden Felsgesims befand. Dieser sanfte gelbe Schimmer, im Verein mit dem in die Grotte einfallenden Mondlicht, verlieh dem ohnehin bizarren Innern der quarzglitzernden Höhle mit ihrer gebuckelten, stalaktitengespickten Decke eine ungewöhnliche Schönheit. Blaugrünes Moos und üppigster Farn wucherten im Übermaß an den Wänden und auf der erwähnten Felsbank, die wie mit einem schwellenden Teppich davon bedeckt war - fast wie ein Liebeslager. «Der Weg ist beschwerlich», deklamierte Grindle. «Dies ist der Ort meiner Unterweisungen.» «Ach, es ist einfach zu schön!» flüsterte Candy vor sich hin und blickte ins tiefblaue Wasser, von dessen Grund phosphoreszierende Steine ihr ungewisses Licht heraufschickten. Grindle seinerseits hatte nur Augen für das Mädchen; in dieser Umgebung erschien sie als wahre Nymphe oder als die unsterbliche Diana höchstselbst. «Es kommt uns zustatten, daß Sie diesen schlichten Hänger tragen», sagte er sachlich, «das wird der nächsten Lektion förderlich sein.» «Werden Sie mir jetzt wirklich noch einmal mystischen Unterricht erteilen!?» rief Candy voller Entzücken und tat einen kleinen Freudensprung - es war ja so alles schon nahezu vollkommen! Und nun auch noch eine weitere Unterweisung! Sie ließ sich voller Spannung aufs samtige Mooslager nieder, zog den Rock züchtig herunter, setzte sich bequem zurecht und war ganz Ohr - genau wie in der Schule, wenn
etwas Interessantes durchgenommen wurde. Flüchtig bedauerte sie, Kollegheft und Bleistift nicht bei sich zu haben, schob jedoch diesen Gedanken rasch beiseite und beschwor statt dessen die so unendlich befriedigendere Vorstellung des antiken Arkadien herauf, mit seinen lehrenden Meistern und den lauschenden Adepten, die sich ebenfalls keine Notizen machten, sondern alles, alles mit dem Geist aufnahmen. Das ist der reine und wahre Weg, dachte Candy tief befriedigt. «Zunächst einmal», sagte Grindle und setzte sich neben sie, «wollen wir uns dieser weltlichen Gewänder entledigen.» Und er zog sich als erstes die nassen Schuhe aus. Dann knöpfte er die Hose auf. «Müssen wir wirklich}» fragte das Mädchen beklommen; dieses hatte sie nicht vorausgesehen, und die Vorstellung brachte sie ein wenig aus der Fassung. «», zitierte Grindle, « Selbstverständlich müssen wir uns aller materialistischen Belange entledigen - im Geiste sowohl wie leiblich.» «Ganz recht!» sagte Candy mit fester Stimme. Sie war bemüht, den kostbaren, wärmenden Quell weiblicher Scham zu ignorieren, der in ihr aufwallte und ihr hübsches Gesicht mit Röte übergoß, als sie aus dem einfachen Kleid schlüpfte. «Da!» sagte sie fast übermütig, und mit einer hastigen kleinen Bewegung, die ihrer Tapferkeit zur Ehre gereichte, legte sie ihr einziges Kleidungsstück, den schlichten Hänger, beiseite und stieß einen kleinen Seufzer der Erleichterung aus, daß sie diese Tat wirklich über sich gebracht hatte. Und doch, obwohl sie nun einen gewissen Stolz und ein Gefühl der Überlegenheit empfand, errötete sie jungfräulich, als sie unter Grindles Blick spürte, wie ihre kecken kleinen Brustwarzen sich spannten und vergrößerten, als führten sie, nunmehr in Bereitschaft, ihr eigenes Leben. «Gut so!» sagte Grindle. «Und nun: verschränken Sie Ihre Hände auf Yoga-Weise im Nacken. Ja, recht so. Und strecken Sie sich aus - auf dem moosigen Lager.» «Ogottogott», sagte Candy ängstlich, und als sie sich gehorsam hinlegte, zog sie eines ihrer hübschen Beine leicht an und preßte mit bezaubernder Sprödigkeit die Schenkel zusammen, um ihr entzückendes kleines Gewürzbüchschen zu verbergen. «Nein, nein», sagte Grindle, der sich vorbeugte, um seine Korrekturen anzubringen, «... die Beine gut auseinander.»
Das liebe Kind fuhr bei seiner Berührung vor Scheu und Furcht zusammen, doch Grindle beruhigte sie rasch. «Ich bin Seelenarzt», sagte er kühl, «und keineswegs an Ihrem dummen kleinen Körper interessiert - es ist der Geist, um den es hier geht. Bin ich verstanden worden?» «Ja», sagte das Mädchen ergeben. Sie lag nun sehr ruhig da und ließ es geschehen, daß er ihre Beine nach seinen Wünschen zurechtlegte - gut auseinander und leicht auswärts gedreht. Dann befahl Grindle: «Augen zu!», und als Candy fügsam die Augen geschlossen hatte, setzte er sich zurück und begutachtete das Ganze. «Gut so!» sagte er endlich. «Nun also. Diese heutige Unterweisung ist der Transzendenz der körperlichen Sinne geweiht. Unter meiner Anleitung werden Sie die Fähigkeit erlangen, alle körperlichen Gefühle zu beherrschen. Ist das klar?» «Ja», flüsterte das wie schlafend daliegende Mädchen. Grindles Tonfall, der dem eines Dozenten der Logik glich, hatte sie sehr beruhigt, doch war die Röte nicht aus ihrem Gesicht gewichen, und sie ärgerte sich ein wenig darüber, daß ihre vorwitzigen kleinen Brustwarzen weiterhin pulsten und schwollen. Diese ungezogenen kleinen Racker! dachte sie unwirsch. Der Große Grindle beugte sich mit ausgestreckten Händen vor und ließ seine Finger ziellos über den knospenden Leib des Mädchens wandern, der einer goldfarbenen Frucht glich. Sie bewegte sich leicht und ließ sogar ein kleines, nervöses Kichern hören. «Also bitte», sagte Grindle scharf, «Sie sind kein Kind mehr! Versuchen Sie ernst zu bleiben! Der Pfad zum Mysterium erschließt sich nicht jedem - viele schlagen ihn ein, nur wenige gelangen ans Ziel.» Diese Ermahnungen ernüchterten das junge Mädchen rasch, und sie bemühte sich, ihre Gedanken zu ordnen. «Dieses ist eine sogenannte <erogene Zone>», erklärte Grindle, nahm behutsam eine der makellosen Brustwarzen, die so sehr um Aufmerksamkeit zu bitten schienen, zwischen Daumen und Zeigefinger und drehte sie sanft hin und her. Das Mädchen wand sich, trotz ihrer Bemühungen, sich geistig zu konzentrieren. «Das kann man wohl sagen», pflichtete sie ihm bei. «Jawohl», sagte Grindle und nickte weise, «und die auch, natürlich», wobei er sich die andere Brustwarze vornahm und sie einige Male lieb-
kosend zwickte, während Candys Körper beklommene Unruhe verriet. «Nun denn», sagte Grindle und überließ die Brustwarzen für den Augenblick sich selbst - sie sahen jetzt aus wie zwei winzige, eifrig die Hälse reckende Köpfchen - und gestattete seinen Händen, zärtlich die wonnigen Kurven des vor ihm liegenden herrlichen Körpers nachzuzeichnen: an den Weichen hinab und über die Innenseiten der Schenkel, bis sie sich am goldfarbenen Hügel begegneten, unterhalb dessen das liebe Lämmchen in seiner Grotte sich wohlig dehnte. «Ogottogott», murmelte sie, als Grindle sachte die blaßrosa Blütenblätter der Schamlippen auseinandertat und, in seiner ganzen Pracht, das köstliche kleine Juwel, die rosenfarbene Perle enthüllte, die, wie es schien, in wunderbarster Bereitschaft erschimmerte. «Dieses ist eine weitere der sogenannten «erogenen Zonen>», verkündete Grindle geringschätzig und gab dem erlesenen Kleinod zur Begrüßung mit dem Finger ein paar behutsame Stupser. «Und ob», bestätigte Candy eiligst. Sie zuckte jetzt hin und her, ungeachtet ihrer Bemühungen, sich zu beherrschen. Der Große Grindle widmete sich nun einer sachkundigen Massage des Däumlings. «Du meine Güte ...» sagte das Mädchen mit einem Anflug von Verdrießlichkeit, «... ich wußte nicht, daß es so sein würde.» «Ja, Sie müssen diese Gefühle meistern», sagte Grindle nachsichtig. «Einer, der nicht Herr seiner Gefühle ist, ist auch nicht Herr in seinem Hause - er ist wie ein Rohr, hin und her geworfen von den Wogen des Zufalls. Sagen Sie mir: was empfinden Sie jetzt?» Die schweren Augenlider des holden Mädchens flatterten. «Ach, es kribbelt überall... und überhaupt...» gestand sie verzweifelt. «Zunächst», sagte Grindle und setzte die Massage fort, «werden Sie die Transzendenz der Sinne erfahren und somit über allen sinnlichen Belangen schweben; sodann wird es Ihnen gelingen, Ihre Sinne völlig in der Gewalt zu haben, was Sie befähigen wird, eine Auslösung nach Wunsch herbeizuführen - einen augenblicklichen Orgasmus, ohne jede Berührung, auf mein Gebot.» Er hörte mit der Massage auf und ging in eine kniende Stellung über. «Offnen Sie die Augen», sagte er. «Ich will Ihnen die erwähnte Herrschaft über die Sinne an einem Beispiel demonstrieren. Sie werden be-
merken, daß ich mein Glied veranlaßt habe, groß und starr zu werdenals sei es im sogenannten Zustand der <Erektion>.» Es stimmte, wie das Mädchen nur zu bald sah: dicht vor ihr Grindle, der sein pralles Glied präsentierte. Sie errötete heftig und wandte den Blick ab. «Nein, nein», sagte Grindle, legte ihr die Hand unters Kinn und hob ihr züchtig gesenktes Haupt, «lassen Sie es nicht zu, daß häßliche sexuelle oder ungeistige Assoziationen auf unsere Übung einwirken - es handelt sich hier lediglich um eine Demonstration vollkommener Beherrschung der Sinne. Ich habe das Glied ja veranlaßt, groß und starr zu werden. Das ähnelt der sogenannten Erektion, nicht wahr? Auf der sechsten Stufe meistert man jedwede derartige Muskelreaktion, sogar diejenige, welche sonst am unwillkürlichsten vor sich geht, und bewältigt, durch das Wollen des fortgeschrittenen Intellekts, somit das, was bis dahin ein Reservat der Natur war. Nehmen Sie wahr, wie der Wille meinem Gliede gebietet: kein niederes physisches Gelüst ist damit verbunden, und doch gleicht der Erfolg der sogenannten Erektion. Ist es nicht so?» Das süße Kind nickte scheu; es war ihm kaum möglich, hinzuschauen. «Ja. Und nun berühren Sie es», sagte Grindle, «und Sie werden es selbst feststellen.» Er ergriff ihre Hand, die er ermutigend zu sich heranzog, und sie berührte das Glied sanft. Da sie nun imstande war, es unpersönlich zu betrachten, nicht als Lustobjekt, sondern als Manifestation geistigen Fortschritts, wurde daraus für das junge Mädchen ein Gegenstand des Interesses. Neugierig musterte und betastete sie es hier und dort, wenn auch immer noch mit gewisser Zurückhaltung auf Grund ihrer vorherigen erschreckenden Assoziationen, die, wie sie nun bestimmt wußte, ihr eigener Fehler gewesen waren. «Sie können ruhig fester drücken, wenn Sie wollen», ermunterte Grindle sie, «... ja doch, tun Sie's.» Mit zartem Griff preßte Candy das angeschwollene Glied, nicht ohne Interesse, und das, was nun an dessen Spitze austrat, glich einem Tropfen Sperma. «Da!» sagte Grindle. Es klang triumphierend. «Sie sehen diesen Tropfen - er stellt einen weiteren Beweis der Beherrschung dar: der Beherrschung der Drüsenfunktionen. Das ist äußerst selten. Der selige Rama Krischna hätte es fast erreicht, doch der letzte Erfolg blieb ihm
versagt. Ich habe die komplizierte endokrine Entstehung dieses Sekrets sowie dessen Absonderung meinem Willen unterworfen.» «Ogottogott», sagte Candy und hob ihre schönen Augen zu dem großen Mann auf, während ihr Gesicht in unverhohlener Verehrung erstrahlte. «Nun nehmen Sie die Yoga-Grundstellung wieder ein», sagte Grindle, «und ich werde in der Unterweisung fortfahren.» Candy legte sich aufseufzend abermals zurück, geschlossenen Auges und mit im Nacken verschränkten Händen, und Grindle nahm die Liebkosung ihres feuchten kleinen Pelztörtchens wieder auf. «Hält das kribbelnde Gefühl an, das Sie vorhin erwähnten, und verstärkt es sich?» fragte er nach einer kleinen Weile. «... ich fürchte ja», sagte das Mädchen bekümmert und atmete schwer. «Und haben Sie ein Gefühl sahniger Wärme und großer Willfährigkeit?» fragte Grindle. «Ja», hauchte Candy und dachte, er könne zweifellos hellsehen. «Nun werde ich mit diesem Organ in Sie eindringen», sagte Grindle sachlich, «... solchermaßen kann man der Sensation des sogenannten nahekommen und selbige mit Gewinn begutachten.» «Ogottogott», sagte Candy, ernstlich beunruhigt und trotz ihrer Bemühungen unfähig, all die üblichen Gedankenverbindungen, die damit zusammenhingen, abzuschütteln, «... müssen wir wirklich?» Und wie unwillkürlich preßte sie ihre herrlichen Schenkel ein wenig zusammen. «Kümmern Sie sich nicht um Ihre rohen und ach so gewöhnlichen philiströsen, materialistischen Assoziationen», sagte Grindle böse, als er ihre Beine wieder auseinandertat und sich über ihr in die rechte Stellung brachte. «Machen Sie sich frei davon - konzentrieren Sie sich auf das Exerzitium Nummer vier, und denken Sie immer daran, daß wir alle unsere mystischen Fähigkeiten auf das in Frage Kommende lenken müssen - genauso wie der Tiger das mit seiner Kraft, Schnelligkeit und List tut. Nun führe ich das Organ ein», erklärte er, als er die zarten, flatternden Blütenblätter über dem rosigen Honigtöpfchen zur Seite drückte und sein statiöses Glied langsam in den siedend-brodelnden Miniaturkrater hineinziehen ließ. «Ach du liebe Güte», sagte Candy, und ihr geschmeidiger, biegsamer
Körper wand sich ein wenig dabei, obwohl sie die Augen nach wie vor gehorsam geschlossen und die Hände fest verschränkt im Nacken hielt. «Nun werde ich es wieder zurücknehmen», sagte Grindle, «... nicht ganz, nur ein wenig, so. Verstehen Sie? Und nun noch einmal - ich werde das öfters wiederholen, während Sie Ihre Übung Nummer vier abhalten.» «Ogottogott», sagte Candy und schluckte nervös, «... ich glaube nicht, daß ich mich jetzt darauf konzentrieren kann.» «O doch», sagte Grindle und setzte ihre Hüften mit den Händen ermunternd in Bewegung, so daß sie nun die Kosmische RhythmusÜbung ausführten, an der Candy sich vorhin im Erfrischungszelt versucht hatte. Als ihr die Bewegung auf befriedigende Weise gelang, sagte Grindle: «Sehen Sie, dieses kommt dem sogenannten recht nahe.» «Ich weiß», sagte Candy mürrisch. Der Gedanke daran verwirrte sie ungemein. «Und nun werde ich noch einen weiteren Beweis meiner Beherrschung der Drüsenfunktionen liefern», sagte Grindle mit Nachdruck, «... den des sogenannten Orgasmus oder der Ejakulation» «Oh, bitte», sagte das anbetungswürdige Geschöpf, nun ernsthaft beunruhigt, «nicht... nicht in mir ... ich ... ich ...» «Seien Sie nicht albern», sagte Grindle, schwer atmend, «selbstredend beeinflusse ich durch meinen Willen die Zusammensetzung des Samens und eliminiere das befruchtende Agens - die Spermatozoen -, da es unseren Zwecken hier nicht dienlich wäre. Verstehen Sie? Nun denn», fuhr er nach kurzer Pause fort, «sagen Sie mir, ob dieses nicht fast zur Gänze dem philiströsen gleicht?» «... ogottogott», murmelte das liebenswerte Kind mit geschlossenen Augen und biß sich auf die Lippen, als das glühheiße Glied in ihrem Leib unter Zuckungen ihre köstliche kleine Liebesmuschel, deren rosiges Innere wie ein selbständiges Lebewesen tausend unersättliche, winzige Zungen spielen ließ, mit einem reißenden, warmen Strom überflutete, «... und wie!» Deutsch von Kai Molvig
Felicien Fargeze
Erotische Memoiren Die Geschichte Hortenses läßt sich mit wenigen Worten erzählen. Als eine geborene d'Horchiac war sie die Cousine des jungen Sekretärs vom Rechnungshof. Sie waren gleichaltrig: 28 Jahre alt. Sie war in einer Klosterschule erzogen worden, im Convent des Oiseaux. Sie verließ sie mit der Bürde unnützer Kenntnisse, denen jenes Institut in der Rue de Sevres seinen mondänen Ruf verdankte. Sie malte, modellierte, spielte Harfe, sang, tanzte. Mit fünfzehn Jahren verlor sie ihre Mutter. Ihr Vater, ein glänzender Offizier, der sein Vermögen verspielt hatte, diente in Algerien. Eine etwas närrische Tante nahm sie auf, ließ sie an ihrer Jungfernexistenz teilnehmen. Eines Tages kam der Vetter, der in Paris die Rechtswissenschaften studierte. Sie langweilten sich beide; sie vergnügten sich miteinander. Inzwischen spann die Tante Fäden, um ihre Nichte zu verheiraten, und sie war es auch, die den Offizier Quincette entdeckte, der zwölf Jahre älter war, aber reich. Der junge d'Horchiac war in seine Provinz, das Languedoc, zurückgekehrt. Er kam wieder, um jene schmeichelhafte, doch schlecht bezahlte Stellung beim Baron Rodier anzutreten, die er familiären Beziehungen verdankte. Er meldete sich bei seiner Cousine. Sie nahmen ihre alten Beziehungen sogleich wieder auf, deren Intensität, wie sie mir anvertraute, sich in Grenzen hielt. Sie hatte sich zwischenzeitlich einem jungen, ehrgeizigen und unerschrockenen Leutnant der Kavallerie hingegeben, der 1855 vor Sewastopol dahingerafft wurde. Mein Umzug in das Hotel Rollin, Rue de la Sorbonne, wurde mit größtmöglicher Schnelligkeit bewerkstelligt. Ich hatte im ersten Stock
ein geräumiges Zimmer, das Hortense lustig und Jeanine prachtvoll fand. Aber ich mußte mein kompliziert gewordenes Liebesleben organisieren. Ich setzte für Jeanine eine unveränderliche Besuchszeit fest: morgens zwischen acht und zehn Uhr. Ich schrieb Hortense, die manchmal am Nachmittag, manchmal am Abend kommen würde, einen Umweg vor, bei dem sie die Gegend um die Place Saint-Michel vermeiden würde. Sie sollten mir jeweils alle zwei Tage gehören, so daß ich jeden Tag eine hatte. So wechselten meine beiden Freundinnen sich ab, und ich sagte mir, daß ich es in dieser besten aller Welten gar nicht besser hätte einrichten können. Die Hortense, die mich am Tag nach unserer ersten Begegnung aufsuchte, war nicht mehr dieselbe Frau. Sie bewies eine sexuelle Unverfrorenheit ohnegleichen. Nachdem sie sich ganz hingegeben hatte, begann sie, ihre und meine Sinne aufzureizen, indem sie alle ihre Künste entfaltete. Welch beängstigende Geliebte! Aber, mit ihren Muskeln und ihren Nerven, welch ideales Werkzeug der Unzucht! Wo zum Teufel hatte sie all das gelernt? Die Geschichte mit dem schönen Soldaten war sechs Jahre her; d'Horchiac war sicher kein großer Held im Bett; der Hauptmann Quincette hatte für den Alkohol mehr übrig als für alles andere. Sie erzählte mir, daß die Praktiken der Sappho ihre Nächte im Pensionat verkürzt hätten und daß die Kenntnis des Mannes die Erinnerungen an jene Zeit nur teilweise überdeckten. Dank der tätigen Hilfe einer Freundin, gestand sie mir, konnte sie jene Erinnerung gelegentlich wieder aufleben lassen. Sie sagte mir auch, diese Freundin, die sehr viel auf außereheliche Erfahrungen gebe, habe sie mit erotisch anregenden Werken bekanntgemacht, die sie wiederum von einem Freund bekommen hätte. Doch erklärte mir das die sexuelle Hemmungslosigkeit, mit der sie mich bald ansteckte? Unbegreifliche Begierden, grenzenlose Fleischlichkeit, höllische Liebesglut... Aber wie dem auch sei, ihre nimmer ruhende Neugier auf alle Liebkosungen wirkte sich insofern günstig auf mich aus, als sie mich von Anais heilte. Ich suchte Titis Schwester immer seltener auf, und schließlich sah ich sie gar nicht mehr. Die Kehrseite der Medaille war die rasende Eifersucht meiner Hortense. Fragte ich sie vielleicht, ob sie die musikalischen Soireen ihres Vetters d'Horchiac weiterhin mit ihrer Anwesenheit beehrte? Ein Hausdiener aus der Rue Saint-Jacques hatte mich übrigens aufgeklärt. Die schöne Dame kam nicht mehr so oft zu dem Orgelspieler, viel-
leicht einmal in der Woche. Sie ging jedenfalls noch zu ihm, und wenn ich eifersüchtig gewesen wäre, hätte ich es ihr vorwerfen können. Sie dagegen quälte mich von Anfang an mit Fragen. «Ich kenne Sie, Sie Schwerenöter!» sagte sie, mir mit dem Finger drohend. «Sie gehören mir, und ich gedenke nicht, Sie mit irgendeiner Person zu teilen. Seien Sie auf der Hut.» Eines Nachmittags, als sie inquisitorisch in meinem Zimmer herumstöberte, hörte ich plötzlich einen Aufschrei: Ein Strumpfband, ein schlichtes Strumpfband aus Baumwolle verbarg sich unter den Papieren auf meinem Tisch. Diese Vergeßlichkeit Jeanines sollte mich teuer zu stehen kommen. Zuerst eine Nervenkrise. Aber ich kannte jetzt das Heilmittel und wendete es an. Dann kam ihr strenges Verhör, bei dem sie mich wie einen Kriminellen behandelte, um die Identität der «Person mit dem Strumpfband» herauszufinden. Jeanine mußte damals tausend Listen anwenden, um zu mir zu gehen, denn Pauline Maillefeu, ihre Schwägerin, hatte ihr mehrmals unterwegs aufgelauert. Ich fürchtete, sie würde die Tage und Stunden ihrer Besuche ändern, ohne mich vorher einzuweihen, was zu einem Zusammentreffen mit Hortense führen könnte. Die Möglichkeit beunruhigte mich, doch es sollte noch schlimmer kommen. Bei einem Spaziergang am Quai sah ich Louisette Lureau wieder. Ich hatte ihr versprochen, sie auf einen Ball mitzunehmen, und die Kleine hatte es nicht vergessen. Sie erinnerte mich an mein Versprechen; ich erneuerte es, ohne recht daran zu denken, es zu halten. Doch eines Sonntags bat sie Mme. Quincette um Erlaubnis auszugehen, sprach vom Tanzen und sagte, sie wolle auf einen Ball. «Und wer führt Sie dorthin?» fragte Mme. Quincette amüsiert. «Kavaliere natürlich», antwortete sie. «Einen davon kennen Sie sogar.» Und die kleine Törin sprach meinen Namen aus! Wie ein Elefant im Porzellanladen! Hortense beschloß umgehend, daß diese Sittenlose nach SaintBrice zurückkehren mußte. Sie gestattete ihr kaum, ihre Sachen zu pakken. Sie blätterte ihr das Fahrgeld hin, ließ sie von ihrer Zofe bis zur Eisenbahnstation an der Place Mazas bringen, bis zum Waggon des Zuges nach Dijon. Dann schrieb sie Mutter Lureau, da ihre Nichte nur Tanzvergnügen im Sinn habe, könnte sie nicht mehr die Verantwortung für sie übernehmen und schicke sie deshalb zurück. Als Hortense mir das an den Kopf warf, eine Hortense, die vor Zorn raste, als sie mir an allem die Schuld gab, glaubte ich, ein Achselzucken genüge als Einspruch. Aber sie brach in Schluchzen aus und wälzte sich
auf meinem Bett hin und her. Vergebens beteuerte ich ihr, ich hätte nie ernsthaft daran gedacht, mit Louisette tanzen zu gehen, geschweige denn, ihr den Hof zu machen - ich traf auf tobenden Widerstand. Sie schrie, wie niederträchtig mein Betrug sei. «Was hättest du denn mit dieser Küchenschlampe machen wollen, die nur aus Haut und Knochen besteht und Gift ins Essen tut!» Ich versuchte, sie zu liebkosen, aber sie wehrte sich heftig, biß mich, kratzte mich mit den Fingernägeln. Ich blutete, und der Anblick meines Blutes ließ ihren Zorn jäh in Zärtlichkeit umschlagen. «Ich habe dich verletzt, Felicien. Vergib mir. Sag mir noch einmal, daß du dich nicht mit dieser Gans aus der Provinz abgegeben hast. Wie konntest du dein Vergnügen woanders suchen, wo ich mit Leib und Seele dir gehöre und du mich nur zu nehmen brauchst? Schau, wie schön ich bin!» Sie wölbte ihren Busen vor, bäumte sich auf, spreizte animalisch die Schenkel, ergriff mich, zog mich an ihre flammende Nacktheit. «So kratz mich doch, beiß mich», rief sie, «kratz und beiß meine schwellenden Brüste, Geliebter!» Dann entspannte sie sich unter meinen Liebkosungen, leistete keine Gegenwehr mehr. Ich hatte keine große Lust, mit meinem zerkratzten Gesicht vor Jeanine zu treten. Sie fragte mich prompt, was geschehen ist. Ich behauptete, ich sei ausgerutscht, hingefallen und hätte mir das Gesicht auf der Erde zerschrammt. «Du hast dich geschlagen, Felicien, ist es nicht so?» sagte sie. Dann, mich aus nächster Nähe betrachtend: «Das sind doch Spuren von Fingernägeln. Es war also eine Frau!» Ich konnte sagen, was ich wollte, sie glaubte mir nicht. Ihre Augen füllten sich mit Tränen; sie weinte. Aber ich schwor ihr, ich liebte nur sie, und der Beweis, den ich ihr gab, beruhigte sie einigermaßen. Ich sprach vorhin von meinen Freunden. Hortense war der Verzweiflung nahe, weil sie nichts von meinem Leben in den Brasserien, meinem nächtlichen Umgang wußte. Auf ihre bohrenden Fragen antwortete ich ausweichend. Ob unter diesen Freunden auch Frauen seien? Zu verneinen wäre lächerlich gewesen. Also, selbstverständlich seien Frauen darunter, die Freundinnen dieser Herren. Meine aber nicht, denn sie heiße Hortense Quincette. Sie ließ nicht locker, verlangte Genaueres zu hören. Sie wußte, daß wir vom Cafe Soufflet zum Cafe Beige in der Rue Dauphine gingen, wo die Röcke zahlreicher waren als die Hosen. «Ist denn keine dabei, die du begehrst? Vielleicht eine, die ein bißchen Ähnlichkeit mit mir hat? Gib es zu. Ich würde dir verzeihen, wenn du mit ihr geschlafen hast und dabei an mich dach-
test.» Ich gab natürlich nichts zu; ich konnte nicht gestehen, daß über ein Dutzend dieser Brasserieschönen ihre gymnastischen Übungen mit mir ausgeführt hatten, ohne sich etwas dabei zu denken. «Du bist gestern abend mit Frauen gesehen worden», eröffnete sie mir eines Tages streng. «Wann und wo soll das gewesen sein?» «In der Rue de Vaugirard, um elf Uhr.» «Und wer hat es dir gesagt?» «Mein kleiner Finger, der vieles weiß.» Die Zeit und der Ort stimmten haargenau. Meine Freunde und ich waren in der Tat mit Frauen aus dem Cafe Beige gekommen. Mir fiel ein, daß ich eine weibliche Gestalt gesehen hatte, die sich in einem Hauseingang zu verstecken schien. «Halt!» hatte ich mir gesagt. «Sie sieht aus wie Hortense.» Aber die Gestalt war in einen fadenscheinigen grauen Mantel gehüllt. Erniedrigte Hortense sich so weit, mir abends nachzuspionieren, sich zu verkleiden, um mir aufzulauern? Diesmal wurde ich böse. «Teil deinem kleinen Finger bitte mit, daß ich nicht der Mann bin, der sich nachspionieren läßt. Wenn mir danach ist, mit Frauen spazierenzugehen, ob am Tag oder nachts, wird weder dein kleiner Finger noch irgendein anderer mich daran hindern können.» Ich rechnete mit einer Szene. Es gab keine. Statt dessen reagierte sie mit einer totalen Unterwerfung, die ich bis zur Neige auskostete. Nie war sie so zahm gewesen. Mein unmißverständlicher Protest hatte gewirkt. Doch eine Sorge löste die andere ab. Zwei Monate lang hatte Jeanine vergeblich auf ihre Regel gewartet. Ich wandte mich an einen Apotheker. Er gab mir ein abtreibendes Mittel, das sie aber nur furchtbar krank machte. Als die Regel auch im dritten Monat ausblieb, wurde Jeanine von Entsetzen gepackt und probierte alle möglichen Einläufe und Abführmittel aus, die ihre Gesundheit weiter untergruben, ohne die befreiende Blutung herbeizuführen. Schließlich nannte mir ein Medizinstudent die Adresse einer Engelmacherin, der man sich anvertrauen könne und die selbst kurz nach den ersten drei Monaten für einen sicheren Abgang sorgen würde. Sie müsse die Patientin nur 24 Stunden bei sich behalten. Meine arme Freundin inszenierte eine regelrechte Komödie, um sich einen Tag und eine Nacht freizumachen. Eine Cousine Buizard, die in Robinson wohnte, wollte den kleinen Germain einige Tage bei sich haben. Jeanine brachte ihn zu ihr und sagte ihrem Vater
und ihrer Mutter, sie werde drei Tage dort bleiben. Sie kam unverzüglich zurück und begab sich zu der Engelmacherin, die den Abortus vornahm, ohne daß irgendwelche Komplikationen eintraten. Der Eingriff schwächte Jeanine nichtsdestoweniger, aber nicht so, daß sie irgendeinen Verdacht weckte. Nicht einmal den Verdacht ihrer bösen Schwägerin, die sie ständig überwachte. Diese Pauline Maillefeu hatte ein fahles Gesicht, wie aus einer Runkelrübe geschnitzt. Leblose Augen; ein dicker Kopf auf einem zu kurzen Hals. Ihr Busen war gewaltig, und unter ihrem Rock wogte das Gesäß einer Stute, eben das Gesäß, das mir die Bezeichnung Schmutzfink eingetragen hatte, weil ich mir eines Tages herausgenommen hatte, es zu zwicken. Sie war dreißig geworden, sah aber aus wie vierzig. Die zänkische Dame hatte ihre Jungfräulichkeit schon lange eingebüßt. Wenn Jeanine sich gegen sie zur Wehr setzte, stand sie nicht davon ab, sie an eine alte Geschichte zu erinnern, an Stelldicheins mit einem Schlachtergesellen, der sie mit Heiratsversprechungen geködert hatte. Sie half bei den Buizards als Kellnerin, eine Arbeit, die sie sehr gewissenhaft und zur Zufriedenheit aller verrichtete. Eines Abends, als ich den Gastraum des Amis de la Marine verlassen hatte, erblickte ich Pauline Maillefeu am Eingang des Korridors zu den Hotelzimmern, an der Ecke der Rue Dauphine. Sie hatte dort eine Kammer im Erdgeschoß; ich hatte nach meiner Ankunft in Paris im zweiten Stock gewohnt. Sie lehnte sich an die Tür, im Schatten. Ich hatte den Einfall, sie ein wenig zu foppen. Ich näherte mich. «Sieh da! Sie sind's, Mademoiselle? Haben Sie denn keine Lust schlafen zu gehen?» So unwahrscheinlich es war, sie antwortete nicht in dem mürrischen Ton, den sie sonst anschlug. «Ich habe Migräne und schöpfe frische Luft», sagte sie. «Ich würde eher wetten, daß Sie auf jemanden warten», antwortete ich. «Na und? Geht Sie das etwas an?» Ich beharrte: «Und wenn der, auf den Sie warten, Sie in den Po zwickt, würden Sie ihn dann auch einen Schmutzfinken schimpfen?» «Finden Sie, daß es anständig ist, einen vor aller Augen zu zwicken?» Ich begann zu lachen. «Unter diesen Umständen, Mademoiselle Pauline, erlauben Sie mir bitte, Sie hier zu zwicken, wo uns niemand sieht.»
Ich trat etwas näher. Sie wich zurück. «Gehen Sie. Sie sind ein Wüstling.» Aber meine Hand lag schon auf der Rundung ihres Rocks, mitten auf dem Gesäß, das ich nicht zwickte, sondern streichelte. Sie ließ mich gewähren. Ich streichelte intensiver, sogar unter dem Rock. Sie ließ mich immer noch gewähren, und ich begnügte mich nicht mehr mit der hinteren Partie. Sie wich weiter zurück, ohne etwas zu sagen, stieß mit dem Rücken die Tür zu ihrer Kammer auf, und ich folgte ihr in die Dunkelheit, meine Hand nicht von jener Stelle nehmend. Es war eine Gelegenheit, ihren guten Ruf so sehr in Frage zu stellen, daß sie aufhörte, Jeanine zu überwachen. Sie hatte ihr Bett erreicht und ließ sich darauf fallen. Ich nahm sie ohne weitere Umschweife, und Pauline Maillefeu half mit ihren Bewegungen nach. Kein Kuß, kein Wort. Sie zeigte mir jedoch, daß sie zufrieden war, indem sie mich bis nach draußen begleitete. «Ich hoffe, Sie werden es niemandem erzählen?» sagte sie. «Pauline, ich werde schweigen wie das Grab, das verspreche ich Ihnen.» Ich hatte mich nicht geirrt. Pauline Maillefeu, die nun in meiner Falle saß, konnte sich nicht mehr das Recht anmaßen, ihre Überwachung fortzusetzen, und Jeanine bemerkte es, wenngleich sie sich den Grund natürlich nicht erklären konnte. «Pauline ist irgendwie anders geworden», sagte sie. Kurze Zeit später kam sie jedoch ganz aufgelöst zu mir und erzählte, ihr Vater habe sie wegen ihres häufigen Ausgehens zur Rede gestellt und ihr gesagt, er wisse Bescheid, und die Sache müsse aufhören. Er habe hinzugefügt, er werde sich mit jemandem unterhalten, den sie gut kenne. Jeanine war also beobachtet worden, als sie mein Haus betrat, aber von wem? Ich sah die größten Schwierigkeiten voraus und begab mich nicht ohne eine gewisse Beklemmung zu Buizard. Er empfing mich kühl. «Ich hätte ein Wörtchen mit Ihnen zu reden, Monsieur Fargeze.» Wir gingen ins Hinterzimmer, und dort fuhr er mit schneidender Stimme fort: «Ich muß Sie fragen, ob Sie meine Tochter zu heiraten gedenken. Es ist nun schon über drei Jahre her, daß sie ihren Mann verloren hat. Sie scharwenzelten um sie herum, und ich weiß einiges. Antworten Sie mit ja oder nein.» Ich wollte ausweichen, Einspruch erheben. Was ihn veranlasse zu glauben, ich scharwenzelte um Jeanine herum? Unnütze Mühe. Er wollte sich auf nichts einlassen. «Ich weiß, was ich weiß. Versuchen Sie nicht, mir irgend etwas vor-
zumachen. Sie werden meine Tochter heiraten, oder Sie werden sie nicht heiraten, aber wenn Sie es nicht tun, wird es mir schwerfallen, Sie in Zukunft hier zu empfangen. Nun?» Das war unmißverständlich. Was antworten? Eine Ablehnung wäre für Jeanine beleidigend gewesen. Ich entgegnete, ich sei weit davon entfernt gewesen, mit der Ehre zu rechnen, die er mir erweise, indem er mir vorschlage, seine Tochter zu ehelichen. Ich sei zutiefst bewegt. Ich würde mich mit meinen Eltern in Verbindung setzen. In drei Tagen würde er meine Antwort haben. Er schüttelte den Kopf. «Drei Tage ist zuviel. Sie sind groß genug, um die Antwort allein zu finden. Ich gebe Ihnen Zeit bis morgen.» Damit beendete er die Unterredung. Ich zog mich zurück, ohne Jeanine erblickt zu haben. Am nächsten Morgen kam sie nicht. Die Frist lief ab. Was würde Buizard tun? Ein Bote brachte mir einen Brief, in dem Jeanine mich bat, sie am Quai du Louvre zu treffen. Ich ging hin. Sie umarmte mich, brach in Tränen aus. Buizard hatte vor, seine Tochter, wie meine Antwort auch ausfallen würde, auf jeden Fall zu verheiraten. Ein anderer wartete schon darauf, um ihre Hand anzuhalten, M. Berland, ein ehrenwerter Münzangestellter in den Vierzigern, ein Witwer mit einer kleinen Tochter. Ich kannte ihn, denn ich hatte im Amis de la Marine mit ihm angestoßen. Jeanine sah sich also dazu verurteilt, Mme. Berland zu werden, da ich sie nicht zu Mme. Fargeze machen wollte ... Ich wiederholte ihr, was ich ihr schon so oft gesagt hatte: «Ich liebe dich von ganzem Herzen, aber kann ich an Heirat denken, wo ich keine seriöse Stellung habe? Du weißt doch, daß ich noch auf meine Familie angewiesen bin.» Sie hatte dieses Argument erwartet. Sie erneuerte ihren Vorschlag, mit ihr zusammen zu ziehen. Sie würde den Kleinen zu der Cousine in Robinson geben; wir würden wie Mann und Frau leben, möbliert. Ich hatte große Mühe, ihr begreiflich zu machen, daß diese «wilde Ehe» einen Skandal auslösen, ihre und meine Eltern zutiefst bekümmern würde. Meiner Ansicht nach sei es das beste, wenn sie sich Bedenkzeit ausbitte, wenn sie die Entwicklung geschickt hinauszögere. Doch sie weinte, und um sie zu trösten, ging ich mit ihr in ein Hotel in der Rue Croix-des-Petits-Champs, wo sie nur noch daran dachte, die zärtliche Jeanine zu sein. Wir waren im vierten Jahr unserer Liebe, auf die noch kein Makel gefallen war. Würden wir dieser süßen Gewohnheit entsa-
gen müssen? Sie versprach mir, meinen Rat zu befolgen; sie würde Listen anwenden, um Zeit zu gewinnen. Inzwischen bahnte sich eine andere Katastrophe an. Eines Abends kam Hortense außer sich vor Aufregung in mein Zimmer gestürzt und teilte mir mit, ihr Mann sei nach Dijon versetzt worden, wo er eine Dienststelle einrichten solle, die dem Oberkommando des Ingenieurkorps unterstehen werde. Er müsse Paris für einige Jahre verlassen, und es sei selbstverständlich ihre Pflicht als Gattin, ihm zu folgen. Mit welch abgrundtiefer Verzweiflung sie mir diese schlimme Nachricht überbrachte! Sie wollte sterben; sie sprach von Selbstmord. Gegen das Opfer aufbegehrend, das von ihr verlangt wurde, gestand sie mir - was sie bisher noch nie getan hatte - ihren Abscheu vor dem Mann, dessen Bett sie teilte. Paris verlassen, und damit alles, was ihr Dasein rechtfertigte! Sie würde nur drei- oder viermal im Jahr kommen können, und was würde ich machen, wenn ich sie fern von mir wüßte? Die arme Hortense wäre schnell vergessen. Ihre Niedergeschlagenheit kannte keine Grenzen, und meine Arme und Lippen brauchten lange, um sie wieder zu sich zu bringen. Ich vervielfachte meine Versprechungen und Schwüre, mit einer Bewegung, die ich nicht vorzutäuschen brauchte. Seit neunzehn Monaten währte unsere Liebe nun schon, und einen Tag um den andern hatten wir uns umschlungen. Wie die Zeit vergeht! Diese schöne Geliebte mit der Leidenschaft einer orientalischen Göttin, wie betete ich sie trotz ihrer unvermittelten Nervenkrisen an, vielleicht sogar wegen dieser Überreiztheit, die sie zwar unberechenbar machte, aber auch in Flammen setzte. Welche Gipfel der Wollust verdankte ich ihr! Wir kamen überein, die kostbaren letzten Stunden weidlich zu nutzen. Sie würde mich nunmehr jeden Tag aufsuchen, ja, zweimal am Tag, wenn sie die Möglichkeit haben würde. Sie würde mir mehrere Nächte schenken, da der Hauptmann sich vor ihrer endgültigen Abreise nach Dijon begeben mußte. Sie ging erst, wieder gedrückter Stimmung, als sie mich lange mit all dem beglückt hatte, was ihr leidenschaftlicher Körper in sich barg. Zwei Wochen brachten uns die letzten Höhepunkte der Lust, und dann kam die schmerzhafte Trennung. Welch tragische Umarmungen bezeichneten das Ende unserer Wonnen! Anfang März 1862 trat Hortense Quincette zum letztenmal über meine Schwelle. Ich meinte, eine große Leere vor mir zu sehen, und die ständige Erinnerung an das genossene Glück bereitete mir eine solche Pein, daß ich
beschloß, das Zimmer im Hotel Rollin aufzugeben, das so lange Zeuge meiner zweifachen Liebe gewesen war. Es empfahl sich ohnehin, die Rue de la Sorbonne zu verlassen, denn der Abriß ganzer Häuserzeilen der Rue de La Harpe und der Rue d'Enfer erfüllte auch diese Straßen mit Staub und Lärm. Ich würde mich in der Rue Monsieur-le-Prince Nr. 5 einmieten, in einem Haus, das als Hotel und Restaurant diente. Ich bezog das neue Zimmer, ohne diesmal mit einer Geliebten Einweihung zu feiern. Ich war allein. Zum Glück hatte ich eine Menge Arbeit, die mich vor Langeweile bewahrte: den Abschriften für das Theater hatte der Verleger Marchant literarische Kopien hinzugefügt. Ich entzifferte die hastigen Machwerke einiger obskurer Feuilletonisten. Ich konnte Jeanine in dem neuen Zimmer empfangen, da man nichts von meinem Umzug wußte. Aber ich empfing sie nicht oft, denn ihr Vater gab sich nicht mit ihren ausweichenden Antworten zufrieden und drängte sie. Sie gab eher nach, als ich gedacht hätte, und ich erfuhr die Neuigkeit nicht einmal von ihr. Ich traf Buizard auf der Straße, und er begrüßte mich, als wäre nie etwas zwischen uns gewesen. «Die Hochzeit von Jeanine und Berland ist auf den ersten Samstag im Mai festgesetzt», sagte er mir ohne jede Befangenheit. «Lassen Sie sich doch gelegentlich wieder bei uns blicken! Sonst werden die Leute anfangen zu munkeln.» Sobald feststand, daß Jeanine wieder heiraten würde, war das, was sich zwischen Jeanine und mir zugetragen haben konnte, offensichtlich bedeutungslos geworden. Also ging ich schon am nächsten Abend auf eine Partie Karten ins Amis de la Marine. Ich trank mit Berland, dem Bräutigam in spe. Jeanine hatte sich gut unter Kontrolle und vermied es, meinem Blick zu begegnen. Noch dreimal kam sie, um mich zu lieben, zuletzt am Tag vor ihrer Hochzeit. Ich wurde nicht zum festlichen Mahl gebeten, aber Buizard hatte mich eingeladen, am Abend auf ein paar Glas Champagner zu Ehren des frischgebackenen Brautpaars zu kommen. Die beiden waren schon abgereist. Ich stellte mir vor, wie Jeanine sich mit dem braven Münzangestellten vergnügte. Ich trank viel und zahlte drei Flaschen. Die Stammgäste sangen aus voller Kehle, und Buizard strahlte. Als ich mich volltrunken zurückzog, war es kurz nach Mitternacht. Am Eingang des Korridors hielt Pauline sich versteckt. Leise rief sie mich. Ich torkelte zu ihr. Sie ergriff meine Hand, führte sie mit einem Ruck in das heiße Tal zwischen ihren Brüsten. Ich stieß sie zornig gegen
die Wand. «Dirne!» rief ich, wie als Antwort auf ihr damaliges «Schmutzfink». Ich hätte sie am liebsten erwürgt. Doch ihre tierhafte Ausdünstung benebelte mich. Mein Zorn ging im Sadismus unter, und roh drängte ich dieses abscheuliche Weib mit dem Stutengesäß zum Bett. Deutsch von Jürgen Abel
Gore Vidal
Myra Breckinridge Ich habe einen schrecklichen Katzenjammer. Das kommt davon, wenn man Gin und Marihuana mischt, obschon Marihuana keine Nachwirkungen haben soll, falls das nicht einfach ein Märchen ist, das von Rauschgiftsüchtigen verbreitet wird. Ich sitze in meinem Büro und versuche, mich für die erste Unterrichtsstunde des Tages vorzubereiten. Nur mit größter Mühe bin ich imstande, diese Zeilen niederzuschreiben. Meine Hände zittern. Ich fühle mich richtig krank. Die Party wurde von einem Schüler aus der Musikabteilung gegeben, Clem oder Clint oder so etwas ähnliches. Ich war ihm nie zuvor begegnet, aber gestern morgen erzählte mir Gloria Gordon (die bei mir im Ausdrucksunterricht ist), daß er fabelhaft «ausgefallene» Parties gibt und daß er sich freuen würde, wenn ich gestern abend zu der Party käme, denn er, Clem oder Clint, hätte mich schon lange aus der Entfernung bewundert. Also ging Laura zu Petrarcas Party, um es stilvoll auszudrücken, und wurde furchtbar beduselt im Kopf. Es war entsetzlich demütigend, doch während der kurzen Augenblicke, die ich in der leeren Badewanne mit den zwei Ringen lag und zu der einsamen Glühbirne hinaufstarrte, hatte ich das Gefühl, daß ich eins sei mit aller Kreatur. Die Notizen, die ich unter dem Einfluß des Rauschgiftes machte, beschreiben nicht annähernd, was ich wirklich empfand, hauptsächlich des-' halb, weil ich sie immer wieder unterbrechen mußte, sobald mich eine Art Paralyse überkam. Offenbar konnte ich weder sprechen noch mich bewegen, bis kurz vor der Dämmerung Clem oder Clint und Gloria das
Schloß in der Badezimmertür aufbrachen und mich aus meinen pompösen Träumen herausrissen. Zum Glück betrachteten es alle als einen Riesenulk, aber ich finde es doch sehr demütigend, in eine solche Situation geraten zu sein, eine Situation ohne Würde und am Ende ohne großartige Offenbarung, denn - bei Tageslicht betrachtet kann ich es nicht über mich bringen, an ein kosmisches Bewußtsein zu glauben. Dieser schreckliche Katzenjammer scheint mir ein Beweis dafür zu sein, daß die berühmten Erkenntnisse der Mystiker physiologischer Art sind, die Folge einer drastischen Reduktion des Zuckers im Blut, das einem ins Gehirn steigt. Mein Gehirn, gestern nacht einige Stunden lang des Zuckers beraubt, fühlt sich jetzt so, als sei es angefüllt mit einer expandierenden Flüssigkeit, die sich verzweifelt bemüht, durch eine Schädeldecke aus Pappmache einen Weg nach draußen zu finden. Ich fand die Party zumindest in ihrem Anfangsstadium interessant. Unter den Anwesenden war ich eine der ältesten, was nicht dazu beitrug, mir ein Gefühl der Sicherheit zu geben, das ich mir in den langen Sitzungen mit Dr. Montag so schwer erarbeitet hatte. Aber ich bin kein Spielverderber, lachte und plauderte und benahm mich alles in allem nicht wie eine Lehrerin, sondern ganz einfach wie Myra Breckinridge, eine schöne Frau von noch nicht dreißig Jahren. Die Folge war, daß einige der jungen Männer sexuelles Interesse an mir zeigten, aber ich ließ sie zappeln und flirtete nur mit ihnen, ließ aber keine Intimitäten zu und machte ihnen auch keine Hoffnung, daß solche vielleicht später einmal erwünscht sein könnten. Ich war wie Greer Garson, die huldvolle Dame, deren mitleidsvolle Brüste eher zum Ruhekissen für einen sterbenden Knaben als zum Spielzeug für die rohen Hände eines hergelaufenen Jünglings geeignet sind. Aber Sex scheint in dieser Gesellschaft nicht die große Sache zu sein. Sie tragen Abzeichen, die unter anderem den Gouverneur von Kalifornien beschuldigen, ein Lesbier zu sein, den Präsidenten, Gott zu sein, und Frodo (eine Figur in einem Märchen von Tolkien), ein wirklicher Mensch zu sein. Für meinen Geschmack ist das alles ein bißchen morsch. Aber man darf sich keine Erfahrung versagen, und in einem gewissen Sinne sind diese jungen Leute unsere Führer, da sie uns gegenüber in der Überzahl sind. Aber sie sind eigenartige Geschöpfe, insbesondere für jemanden, der in der Atmosphäre der vierziger Jahre aufgewachsen ist. Sie sind recht zwanglos im Hinblick auf Sex; sie schlafen
nicht nur kreuz und quer miteinander, sondern gehen auch zu Orgien, als wäre es gar nichts, im Gegensatz zu unserer Generation mit ihrem Hang zu höchst konzentrierter Liebe, wie sie Leslie Howard für Ingrid Bergman in Intermezzo empfand. Aber trotz all dieser körperlichen Betätigungen scheinen ihre wahren Interessen nicht auf sexuellem Gebiet zu liegen. Sie sitzen gern stundenlang herum, ohne etwas zu tun, und hören sich Musik an oder etwas, das sie für Musik halten. Sie sind im Grunde genommen passiv; daher ist Marihuana bei ihnen so beliebt. Natürlich hat dies alles mit meiner Generation (chronologisch, nicht geistig) begonnen. Wir Menschen der fünfziger Jahre erlebten die Anfänge der Zen-Bewegung als eine populäre Kraft. Unsere Beats waren gewiß passiv in ihrer Haltung dem Leben gegenüber. Sie waren immer auf der Flucht, ließen sich nie irgendwo nieder. Weder Myron noch ich teilten ihre Freuden und ihre Anschauungen, denn wir waren trotz unserer Jugend ein Rückfall in die vierziger Jahre, dem letzten Augenblick in der Geschichte der Menschheit, da es möglich war, bedingungslos eine Verpflichtung außerhalb seiner eigenen Person einzugehen. Ich meine natürlich den Krieg und die notwendige Vernichtung Hitlers, Mussolinis und Tojos. Und es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, ich würde zehn Jahre meines Lebens dafür geben, wenn ich die Zeit auch nur für eine Stunde zurückdrehen und die Bühnenkantine in Hollywood besuchen könnte. Dort möchte ich, wie damals Dane Clark in einem berühmten Film, allen großen Stars auf dem Höhepunkt ihres Ruhms begegnen und vielleicht sogar - wie Danes Kumpel Bob Hutton - eine Liebschaft mit Joan Leslie anfangen, einem Star, in den ich mich hoffnungslos verknallte, als ich mir ihren Film Sergeant York ansah. Aber wo ist Joan jetzt ? Wo sind sie hin, diese herrlichen Jahre des Krieges und der Hingabe und der Filme von Pandro S. Berman? Nichts von alledem wird wiederkehren, außer in den grauen, trüben Miniaturen der alten Filme im Fernsehen und sehr bald, so flehe ich, in der kraftvollen Prosa von Myra Breckinridge, wenn sie das Meisterwerk ihres Mannes Parker Tyler und die Filme der vierziger Jahre überarbeitet und vollendet hat. Aber was wird die gegenwärtige Generation von meinen Bemühungen halten? Das ist die große Frage. Ich stelle immer wieder fest, daß jeder Hinweis auf die Stars der vierziger Jahre sie langweilt. «Wer war Gary Cooper?» fragte ein junges Ding gestern abend, worauf ein anderes Mädchen zur Antwort gab: «Der mit den großen Ohren», womit sie
Clark Gable meinte. Aber Humphrey Bogart finden sie alle faszinierend, und vielleicht wird er die Brücke zwischen mir und ihnen sein. Aus einer Unterhaltung gestern abend: «Erfahrung ist nicht alles, Myra. Man muß es auch in sich haben, tief in sich haben.» «Was denn, was ist es?» «Was man tief in sich hat, das ist es, was es ist. Was man ist.» «Aber macht einen nicht Erfahrung zu dem, was man ist?» «Nein, es kommt darauf an, was man fühlt...» Ich ersaufe in diesem Geschwätz einer Subkultur! Obwohl mein Gefährte einer jener schlaksigen jungen Männer ist, für die ich eine Schwäche habe, fuhr ich ihm glatt über den Mund und betrachtete die Gruppe, die in der Mitte des Raumes tanzte, ein Dutzend junger Männer und Frauen, die sich im Kreise drehten, ohne einander zu berühren, jeder und jede in ihre privaten Welten versunken. Das ist der Schlüssel zur Mode des Augenblicks: Rühr du mich nicht an, dann rühr ich dich auch nicht an. Das Stichwort ist: «Immer kühl bleiben.» Lustig? Nein, verrückt! Unter den Tanzenden war Rusty Godowsky bei weitem der erregendste und zweifellos der reizvollste. Er trug verschossene enge Hosen und ein kariertes Hemd, an dem die beiden oberen Knöpfe fehlten. Dadurch wurde sein geschmeidiger, muskulöser Hals sichtbar, und an dessen unterem Ende, gleich unter der Höhlung des Schlüsselbeins, waren kleine Büschel bronzefarbener Haarlöckchen zu sehen, die sich sicher wie Seide anfühlen, nicht so wie die üblichen männlichen Borsten. Bald werde ich ihre Textur genau kennenlernen. Arme Mary-Ann. «Er tanzt wirklich gut, das muß ich sagen.» Mary-Ann setzte sich auf den Platz, den mein Metaphysiker freigemacht hatte, ohne daß ich sein Fortgehen bemerkt hatte. Sie hatte sicher bemerkt, daß ich Rusty beobachtete. Vielleicht ist sie nicht ganz so dumm. «Ich sehe ihn mir auf seine Haltung hin an.» Es hörte sich kühler an, als ich es beabsichtigt hatte, aber sie hatte mich überrumpelt, und ich habe es nicht gern, wenn Leute mich ohne mein Wissen beobachten. «Ich muß sagen, er bewegt sich beim Tanzen sehr gut», fügte ich mit einer gewissen Wärme hinzu, was sie zu einem schüchternen Lächeln aufmunterte. «Das kommt davon, wenn man ein Sportsmann ist. Nur wenn er läuft, latscht er sozusagen.»
«Das kurieren wir schnell», sagte ich rasch, und kurieren werde ich es. Der arme Hund. Mary-Ann schwätzte daher, ohne etwas von meinen Plänen zu ahnen. «Vielleicht heiraten wir im Juni, wenn wir mit der Schule fertig sind, das heißt, wenn wir beide Arbeit finden. Ich kann natürlich immer etwas Geld als Mannequin verdienen. Ich mache mir ja nicht so viel aus einer großen Karriere. Eigentlich nehme ich den Musikunterricht nur mit, um mit Rusty zusammen zu sein und um auf ihn aufzupassen. So viele hübsche Mädchen hier sind scharf auf ihn, und ich kann mich auf kein Risiko einlassen.» «Ihr seid ein bezauberndes Paar.» Ich stellte erneut fest, wie unerhört reizvoll sie war; sie hat einen so frischen, klaren Teint, wie ich ihn gern habe und um den ich sie beneide, denn mein eigener Teint würde nicht ganz den Ansprüchen der Helena Rubinstein entsprechen. Ich war früher eine viel zu eifrige Sonnenanbeterin, jetzt muß die Haut für die geistige Entspannung büßen, und weiß Gott, ich entspannte fabelhaft an den sonnigen Nachmittagen, die ich in den Strandbädern in der Nähe von New York verbrachte. Rusty kehrte uns jetzt den Rücken zu, und ich konnte den Blick nicht von seinen irgendwie quadratigen, aber kleinen Popobacken wenden, die zur Musik einer elektrischen Gitarre eine Art langsam mahlender Bewegung ausführten. Ich versuchte mir vorzustellen, wie sie ohne die schützende Hülle einer Hose aussehen würden, konnte mir aber im Geiste kein richtiges Bild davon machen. Zum Glück werde ich bald alles genau wissen! «Wir sind natürlich beide pleite. Ich bekomme etwas Geld von meiner Familie in Winnipeg, aber der arme Rusty hat nur einen Onkel und eine Tante in Detroit, die ihn nicht leiden können, weil er als Junge immer so wild war ...» «So wild, daß er wegen Diebstahls eines Autos hops ging.» An dem Tage, an dem ich Rusty zuerst im Unterricht bemerkte, ging ich unverzüglich ins Büro von Buck, wo die Akten aller Schüler aufbewahrt werden. Sie sind erstaunlich komplett. Rustys ausgesetzte dreijährige Gefängnisstrafe war ebenso ordnungsmäßig vermerkt wie die wichtige Tatsache, daß er bis zu zwanzig Jahren ins Gefängnis gesteckt werden könnte, falls er erneut gegen das Gesetz verstößt. Mary-Ann wurde ganz blaß. «Ich wußte nicht, daß jemand das wußte.»
«Nur Onkel Buck und ich.» Ich streichelte ihre Hand. «Keine Sorge, wir beide sprechen zu keinem darüber.» «Er ist jetzt ein ganz anderer Mensch als damals. Ja, wirklich. Damals gab er sich furchtbar viel mit Frauen ab. Sie hätten die vielen Fotografien sehen sollen, die er mit sich herumtrug! Aber seit er mich kennengelernt hat, ist alles anders geworden, und jetzt ist er nur noch daran interessiert, durch harte Arbeit ein Star zu werden, was ihm bestimmt gelingen wird.» «Er ist sicher nicht schlechter als die meisten im Fernsehen.» Ich war ihr gegenüber vollkommen ehrlich. «Natürlich kann er kaum richtig sprechen, aber die anderen können's auch nicht.» «Doch, er kann sehr gut sprechen. Es fällt ihm nur schwer, einen Dialog zu sprechen, aber dafür braucht man eine Menge Übung. Aber das wichtigste ist, daß er so gut ankommt und so sexy wirkt. Sie hätten ihn im vorigen Frühjahr im privaten Fernsehen sehen sollen, wo er die Rolle des wahnsinnigen Gangsters spielte. Das war allerhand!» Zu diesem Zeitpunkt gab Clem oder Clint mir Marihuana, und der Rest des Abends nahm einen unirdischen Charakter an.
Ich fühlte mich etwas besser und verausgabte mich stark im Ausdrucksunterricht. Jetzt bin ich erschöpft, habe aber wenigstens den Katzenjammer überwunden. Ein Brief von Dr. Montag munterte mich auf. Er spricht nachdrücklich von den Depressionen, denen ich seit Myrons Tod so leicht unterliege, und er schlägt recht einleuchtend vor, daß ich mich - statt mich analysieren zu lassen - kräftig in die Arbeit stürze. Wenn er nur wüßte, wie kräftig ich mich in die Arbeit stürze! Neben meinem Plan, Rusty einzufangen, und meinen Bemühungen, meinen rechtmäßigen Anteil an der Akademie zu erhalten, bleibt mir kaum eine Minute Zeit für mein eigentliches Lebenswerk: Myrons Buch zu Ende zu schreiben. Zum Glück werden die Kenntnisse, die ich während meines Besuchs bei MGM erworben habe, Neues zu Myrons Text beitragen. Mittlerweile hatte ich eine glänzende Idee für einen Artikel über Pandro S. Berman, nach dem sich Cahiers du Cinema reißen sollten. Neben Orson Welles und Samuel Fuller ist Berman der bedeutendste Filmproduzent der vierziger Jahre.
Ich war in den Haltungsübungen sehr streng zu Rusty. Er macht keinerlei Fortschritte, und ich muß zugeben, daß ich grausam zu ihm war. «Sie können ganz einfach nicht gerade gehen.» Ich imitierte seinen schlurfenden Gang, der in seiner Art etwas durchaus Sinnliches hat, aber so für die Leinwand nicht geeignet ist. Er sah mich böse an und flüsterte etwas vor sich hin, das ich nicht verstehen konnte, aber ich nehme an, daß es nichts Schmeichelhaftes war. Mary-Ann blickte mich verstörter denn je an und bat mich mit Blicken, doch aufzuhören. «Godowsky, nach dem Unterricht muß ich mit Ihnen reden», sagte ich kurz angebunden. «So wie bisher kann es nicht weitergehen», fügte ich drohend hinzu. Dann machte ich mit den Schülern eine Reihe von Übungen, die ihnen beibringen sollten, wie man sich hinsetzt, was keinem von ihnen leichtfiel. Die ganze Zeit beobachtete ich unauffällig Rustys verdrossenes Gesicht. Mein Plan funktionierte sehr gut. Nach dem Unterricht kam Rusty zu mir ins Büro und setzte sich, zur Seite gelehnt und mit weitgespreizten Beinen, auf den Stuhl neben dem Schreibtisch. Er war überhaupt nicht nervös. Er gab sich sogar ausgesprochen herausfordernd, ja verächtlich, so sicher fühlte er sich in seiner männlichen Überlegenheit. Wie gewöhnlich trug er ein Sporthemd ohne die beiden oberen Knöpfe. Heute hatte er jedoch ein Unterhemd an, und der Brustkasten war nicht zu sehen. Verschossene Blue jeans und Wüstenstiefel vervollständigten das Kostüm, denn - wie ich schon einmal erwähnte - die jungen Leute tragen jetzt tatsächlich Bühnenkostüme, in denen sie im Leben ihre simplen Rollen spielen, immer in der Hoffnung, sich eine Phantasiewelt aufzubauen, um nicht mit der Tatsache konfrontiert zu werden, daß sie als Männer in einer Maschinengesellschaft nur noch schwaches, entbehrliches Beiwerk zu dem sind, was nützlich und beständig ist. Der altmodische Mann hat heute nichts mehr zu tun; keine rituelle Prüfung seiner Männlichkeit wird von ihm verlangt, kein persönlicher Wettstreit, kein physischer Kampf, um zu überleben oder sich zu paaren. Es bleibt ihm nichts anderes zu tun übrig, als sich Kleider anzuziehen, die an andere Zeiten erinnern; nur als Karikatur spielt er den klassischen Helden, der sich seine eigenen Gesetze machte und nach Belieben durch eine von bewundernden Frauen bevölkerte Landschaft wanderte. Dieses Zeitalter ist erfreulicherweise vorüber. Marlon
Brando war der letzte der traditionellen Helden, und es ist bezeichnend, daß selbst er immer in der letzten Filmrolle zusammengeschlagen wurde, als Opfer einer Gesellschaft, die keinen Raum mehr für die alten Ideale der Männlichkeit hat. Nach Brando kamen nur noch der geschlechtslose O'Toole, der zerstreute Mastroianni und der nett impotente Belmondo. Das Haus ist dem Mann über dem Kopf zusammengestürzt, und wir leben im Morgengrauen eines Zeitalters der triumphierenden Frau, dem Zeitalter der Myra Breckinridge! Ich begann freundlich, entwaffnend: «Mary-Ann erzählte mir kürzlich, ich hätte die Angewohnheit, immer an Ihnen herumzunörgeln ...» «Ja, das tun Sie ...» «Unterbrechen Sie mich bitte nicht», sagte ich streng, aber freundlich - wie Eve Arden. «Wenn ich es getan habe, dann nur deshalb, weil ich Ihnen helfen wollte. Ich glaube, in Ihnen stecken wirklich große Möglichkeiten. Wie groß, kann ich noch nicht sagen, aber wenn Sie nicht vernünftig gehen lernen, haben Sie nicht die geringste Chance, einmal ein großer Star zu werden.» Der Hinweis auf sein Talent freute ihn; die Prophezeiung beunruhigte ihn. «Herrgottnochmal, Miss Myra, so schlecht ist doch mein Gang wieder nicht.» «Doch, doch. Sehen Sie sich doch nur an, wie Sie jetzt dasitzen, mit einer Seite nach rechts gelehnt. Es sieht ganz so aus, als würden Sie jeden Augenblick vom Stuhl fallen.» Er richtete sich auf und schlug die Beine übereinander. «Gefällt's Ihnen so besser?» Der Anflug von Hohn in seiner Stimme erregte mich. Man muß ihn groß machen, ihm Vertrauen einflößen, damit sein Sturz um so schrecklicher ist. «Ja, so ist es besser. Ich weiß, daß Sie körperlich behindert sind. Mary-Ann hat mir von Ihrem Unfall erzählt.» «Ich brach mir vier Rippen und spielte trotzdem die letzte Halbzeit zu Ende.» Er war übertrieben stolz darauf; kein Zweifel, ein selbstsicherer junger Mann. «Sehr bewundernswert. Und jetzt stehen Sie auf, gehen Sie erst zur Tür und dann wieder zurück zu mir.» Ich konnte hören, wie er «Alte Scheiße» vor sich hin brummte, während er sich schwerfällig erhob. Er ging langsam - oder vielmehr, er schlurfte - zur Tür, kam wieder zurück und blieb dann, die Daumen in den Gürtel gesteckt, herausfordernd vor mir stehen. Ich bemerkte zum
erstenmal, wie groß und stark seine Hände waren, ganz ohne Haare und mit ungewöhnlich langen Daumen. «So richtig?» fragte er. «Nein.» Ich sah ihn einen Augenblick lang prüfend an. Er stand so nahe bei mir, daß meine Augen auf der gleichen Höhe wie seine Gürtelschnalle waren. «Rusty, neulich abend fiel mir auf, daß Ihre Schwierigkeiten beim Tanzen wegfallen. Tanzen Sie mir zur Übung einen der stationären Tänze vor. Ich weiß nicht, wie die Tänze heißen. So einen, wie Sie neulich auf der Party getanzt haben.» «Tanzen? Hier? Jetzt?» Er blickte verdutzt drein. «Hier haben wir doch keine Musik.» «Für solche Tänze braucht man keine Musik, nur elektronische Geräusche. Nicht zu vergleichen mit den großen Klängen von Glenn Miller. Sie brauchen nichts weiter als einen beat. Zur Einhaltung des Tempos brauchen Sie nur mit den Fingern zu schnalzen.» «Ich komme mir ganz komisch vor.» Er machte eine finstere Miene und sah plötzlich bedrohlich aus, aber ich wußte, worauf ich hinauswollte. «Also los. Wir haben nicht so viel Zeit. Fangen wir an.» Ich schnalzte mit den Fingern. Zögernd tat er das gleiche und begann langsam die Hüften zu bewegen. Ich fand die Wirkung überwältigend erotisch: ihn ganz für mich allein zu haben, kaum einen Meter von mir entfernt, und dazu die sinnlichen Bewegungen seines Hinterns. Einige Minuten lang drehte er sich weiter im Kreise, das Schnalzen wurde immer ungenauer, und seine Hände fingen an zu schwitzen. Dann wies ich ihn an, sich umzuwenden, damit ich ihn ganz von hinten sehen könnte. Er tat wie befohlen. Eine Welle sinnlicher Leidenschaft überkam mich, und mir wurde ganz schwindlig im Kopf, während ich zusah, wie diese starken, abgründigen Popobacken langsam rotierten. Ob diese wohl jemals geschändet worden sind? Ich kann die Spannung kaum ertragen. Schließlich sagte ich, er solle aufhören. Das tat er und war offensichtlich erleichtert. Als er sich wieder zu mir umdrehte, bemerkte ich Schweißperlen auf seiner gewölbten Oberlippe. Auf seine beschränkte männliche Art hatte auch er die Spannung gespürt, instinktiv vielleicht deren Ursprung gewittert und war daher von Furcht ergriffen. «Ohne Musik kann ich nicht so gut tanzen», sagte er brummig, als schäme er sich insgeheim der Vorführung, die er soeben gegeben hatte.
«Sie waren sehr gut», sagte ich flott, sogar anspornend. «Ich glaube, ich weiß, wie wir unsere Schwierigkeiten überwinden können. Sie brauchen nur etwas, das Sie immer dazu anhält, geradezustehen. Wo sind die Rippen gebrochen?» Er griff sich an die linke Seite, gleich unter dem Herzen. «Vier sind hier kaputt, deshalb hänge ich immer nach dieser Seite herunter.» «Lassen Sie mich mal sehen.» Zuerst schien er meine Aufforderung nicht verstehen zu wollen. «So?» fragte er und lehnte sich andeutungsweise zur Seite. «Nein, nein», sagte ich brüsk. «Ihren Rücken will ich sehen. Ziehen Sie sich das Hemd aus.» Er fiel aus allen Wolken. «Aber da gibt's doch nichts zu sehen. Die gebrochenen Rippen sind doch alle innen drin.» «Rusty, ich weiß, wo die Rippen sind», sagte ich geduldig. «Aber ich muß die genaue Stelle sehen, wo der Muskel Sie nach der einen Seite herunterzieht.» Darauf gab er keine Antwort. Er wollte etwas sagen, überlegte es sich aber anders. Langsam schnallte er sich den Gürtel auf und machte den obersten Knopf der Blue jeans auf. Dann knöpfte er sich das Hemd auf und zog es aus. Das Unterhemd war an den Armhöhlen feucht, eine Folge seiner improvisierten Tanzvorführung und vielleicht auch (kann ich Gedanken übertragen?) seiner Furcht. Zum erstenmal sah ich seine nackten Arme. Die Haut war ganz weiß (niemand geht im Januar an den Strand, obschon es noch recht sonnig ist), und der Bizeps ist klar erkennbar, wenn auch nicht überentwickelt. Große starke Adern liefen von den Unterarmen bis zu den Händen, was immer ein gutes Zeichen und nicht ohne Reiz ist. Die Adern waren nicht blau, sondern weiß, ein Beweis für ungewöhnlich dicke Haut, was wiederum ein gutes Zeichen ist. Kupferfarbenes gerades Haar wuchs auf dem Unterarm. Er hielt inne, als wüßte er nicht, was er als nächstes tun sollte. Ich war ihm behilflich. «Auch das Unterhemd. Ich habe keine Röntgenaugen.» Mürrisch zog er sich das Hemd über den Kopf. Ich verfolgte fasziniert die allmähliche Entblößung seines Körpers. Zuerst kam der kleine, hervorstehende Bauchnabel in Sicht. Gleich darunter verschwand ein Ring dunkler, leicht gelockter Haare in den kurzen Unterhosen, die jetzt über dem losen Gürtel sichtbar wurden. Das Hemd kam immer höher. Ungefähr fünf Zentimeter über dem Nabel wurden noch mehr Haare sichtbar (ich hatte die oberen Zweige dieses Lebens-
baumes auf der Marihuana-Party gesehen; jetzt sah ich, wie die immer größer werdenden Wurzeln des Baumes dem Hals entgegenwuchsen). Als der Brustkasten völlig frei war, da war sein Kopf einen kurzen Augenblick lang in den Falten des feuchten Hemdes vergraben, und ich konnte unbeobachtet die beiden rotbraunen Brüste betrachten, die zur Zeit konkav waren und kein Zeichen von Erregung zeigten. Dann wurde das Unterhemd zusammengeknüllt und auf den Boden geworfen. Er wußte, daß ich ihn interessiert beobachtete, und wurde puterrot. Die herrliche Farbe begann am unteren Ende des Halses und stieg hinauf bis zu den Augen. Wie fast jeder männliche Narziß ist er paradoxerweise maßvoll: Es macht ihm Spaß, die Hülle fallenzulassen, aber nur zu den von ihm gesetzten Bedingungen. Eine Bemerkung über seine Erscheinung war offenbar angebracht, und ich machte eine entsprechende Bemerkung. «Sie scheinen in sehr guter Verfassung zu sein ...» «Ich trainiere etwas, nicht so viel, wie ich sollte ... nicht so viel wie früher.» Er steckte die langen Daumen in den Gürtel, was die geschmeidigen Bauchmuskeln leise aufzucken ließ - kein bißchen Fett, keine lose Haut. «Wollen Sie sich jetzt bitte mit dem Gesicht zur Wand stellen, die Arme an die Hüften legen und die Innenflächen der Hände so fest, wie Sie nur können, gegen die Wand pressen.» Ohne ein Wort des Widerspruchs tat er, was ihm gesagt worden war. Der Rücken war genauso erfreulich anzusehen wie die Vorderseite (keine Haare auf den Schultern, im Gegensatz zu dem armen Myron, der gezwungen war, sich die Haare mit Elektrolyse wegbringen zu lassen). Die Blue jeans waren inzwischen etwas heruntergefallen, ungefähr zehn Zentimeter unter die Gürtellinie, wodurch die zerschlissenen Unterhosen sichtbar wurden. Er wollte sich die Hose mit einer Hand wieder hochziehen, aber dem gebot ich schnell Einhalt. «Hände flach gegen die Wand!» befahl ich mit schneidend scharfer Stimme, die keinen Widerspruch zuließ. «Aber, Miss Myra ...» Plötzlich war es nicht mehr die tiefe Stimme eines Mannes, sondern die klagende und verängstigte Stimme eines Knaben wie die des jungen Lon McCallister. «Tun Sie, was ich Ihnen gesagt habe!» Er brummte etwas vor sich hin, was ich nicht verstand, und tat wie
befohlen. Dabei rutschten die Blue jeans über die Kurve seines Popos hinweg und hingen jetzt bedenklich lose am oberen Teil der Oberschenkel, von denen gute fünf Zentimeter klar zu sehen waren. Es war ein herrlicher Anblick, in dem man in ein Freudengeschrei ausbrechen und für den man ein Leben geben könnte. Seine Verlegenheit war nicht zu verkennen, was die Situation nur noch dramatischer machte, denn von Anfang an war mir völlig klar, daß ich ihn sexuell überhaupt nicht interessierte. Er verabscheute mich, und das machte meinen Sieg am Ende um so glorreicher und bedeutsamer. Ich sah mir meinen Gefangenen einen Augenblick lang prüfend an (das Rückgrat machte tatsächlich eine S-förmige Krümmung, und das dicke weiße trapezoide Ligament war nach einer Seite hin verkrümmt). Von größerem Interesse waren jedoch die Unterhosen und das, was sie enthielten. Aber ich wußte, daß ich jetzt äußerst behutsam vorgehen mußte. Ich ging zu ihm hinüber. Ich stand so nahe bei ihm, daß ich den pferdeähnlichen Geruch riechen konnte, den Männer ausströmen, wenn sie entweder Angst haben oder geil sind. In diesem Falle war es Angst. Behutsam ließ ich die Hand an seinem Rückgrat herunterlaufen. Er zuckte zusammen, als ich ihn berührte, sagte aber nichts. Währenddessen sprach ich ganz ruhig und zärtlich zu ihm, ungefähr so, wie man zu einem aufgeregten Tier spricht,wenn man es beruhigen will. «Ja, jetzt kann ich die kranke Stelle sehen, gleich hier unter dem Schulterblatt.» Ich knetete die warme, geschmeidige Haut, und wieder zuckte er zusammen, aber er sagte nichts, während ich mit meiner «Analyse» seiner Schwierigkeiten fortfuhr. «Vielleicht würde eine Stütze an dieser Stelle helfen.» Meine Hände hatten jetzt die Hüften erreicht. Er atmete tief und hatte die Arme so fest gegen die Wand gepreßt, daß die Muskeln der Oberarme heraustraten wie weiße, ineinander verschlungene Schlangen, die jeden Augenblick zuschlagen könnten. Etwas Warmes fiel auf meine rechte Hand: ein Schweißtropfen von seinem Oberarm. «Aber vielleicht ist die heikle Stelle auch weiter unten. Irgendwo am Kreuz. Ja, natürlich! In der Lendengegend, da ist es!» Während ich ruhig, hypnotisch zu ihm sprach, steckte ich die Daumen unter das abgenutzte Gummiband seiner kurzen Unterhose, und ehe er wußte, was ihm geschah, hatte ich sie bis zu den Knien heruntergezogen. Er stieß einen erstickten Schrei aus, sah mich mit puterrotem
Gesicht und offenem Mund über die Schultern an, aber er brachte kein Wort heraus. Er wollte wegrücken von mir, ließ dann aber wieder davon ab, wohl in der Erkenntnis, daß er praktisch nackt dastand. Er klammerte sich jetzt mit aller Kraft an die Wand, der letzten Zuflucht seiner Scham. Unterdessen redete ich weiter. «Ja, wir können mit der Stütze hier beginnen.» Ich brührte das untere Ende der Wirbelsäule, einen knöchernen Vorsprung zwischen den beiden Popobacken, die sich mir jetzt in ihrer ganzen Herrlichkeit zeigten ... und Herrlichkeit ist das einzige Wort, mit dem sie sich beschreiben lassen! Geschmeidig, weiß, haarlos bis auf eine Stelle am Ende der Wirbelsäule, wo dunkelbraune Härchen anfingen, nur um gleich wieder in der Spalte zwischen den beiden Popobacken zu verschwinden; diese waren so fest zusammengepreßt, daß sie nicht einmal ein Brecheisen hätte auseinandertreiben können. Beiläufig ließ ich meine Hand über den geschmeidigen, etwas feuchten Popo gleiten. Er fühlte sich an wie hochpolierter Marmor, warm vom Sonnenschein eines herrlichen Tages am Mittelmeer. Ich gestattete meinem Zeigefinger sogar die Indiskretion, die drahtigen kupfernen Haare nicht nur am Ende der Wirbelsäule, sondern auch den dichteren Haarwuchs hinten an den Oberschenkeln zu berühren. Wie so viele junge Männer hat er einen fast haarlosen Torso und stark behaarte Beine. Bei Myron war es nicht anders. Mit zunehmendem Alter verlieren jedoch die Beine mehr und mehr vom Haarwuchs der Jugendjahre; hingegen wird der Pelz des Torsos immer stärker. Ich war jetzt mit meiner Besichtigung so weit gegangen, wie ich gehen konnte. Allerdings habe ich noch nicht ganz die Oberhand gewonnen. Aber ich habe einen guten Anfang gemacht: Das Geheimnis hat sich mir zur Hälfte enthüllt, mit dem Rest werde ich auf einen günstigeren Zeitpunkt warten müssen. Nach einem letzten Kneten der Popobacken (ich versuchte vergeblich, sie auseinanderzuziehen), sagte ich daher: «Rusty, das wär's für heute. Ich glaube, wir sind an die Wurzel des Übels vorgedrungen.» Er lehnte sich steif nach einer Seite und griff nach den heruntergefallenen Hosen. Hätte er sich nur ein wenig geduckt, was in seiner Position das Normale gewesen wäre, dann hätte ich von hinten einen kurzen Blick auf den Kern des Geheimnisses werfen können. Es wäre ein nicht gerade schmeichelhafter Blickwinkel gewesen, der mich aber seltsamerweise immer sehr gereizt hat, vielleicht deshalb, weil ich eine be-
sondere Leidenschaft für alles habe, was sich «hinter der Bühne» abspielt, eine Leidenschaft für alles, was magisch an diesem ungewöhnlichen privilegierten Blickwinkel ist. Aber er hielt die Beine so eng wie nur möglich zusammen und zog sich seine Sachen mit erstaunlicher Schnelligkeit wieder an. Der einzige kleine Fehler unterlief ihm, als vorn in den hochgezogenen Unterhosen etwas steckenblieb, wobei er stöhnte und wild herumfummelte. Aber dann war alles in Ordnung, und als er sich am Ende zu mir umdrehte, war der Gürtel wieder fest zugeschnallt. Er war blaß und sah verängstigt aus, beides zu meiner vollen Zufriedenheit. Ich war ganz geschäftsmäßig. «Ich glaube, das war eine sehr nützliche Sache ... ja, Sie können sich das Hemd wieder anziehen.» Die Hände zitterten, während er sich das Hemd zuknöpfte. «Ich werde mit dem Chiropraktiker sprechen, den Onkel Buck konsultiert» (der Ausdruck «Onkel Buck» wirkt immer Wunder in der Akademie), «und dann werden wir sehen, was er für Sie tun kann.» «Jawohl, Miss Myra.» Seine Stimme war fast unhörbar. Verdattert trocknete er sich das Gesicht mit einem Taschentuch ab. «Es ist schwül hier drin. Ich drehe die Klimaanlage immer ab. Nicht gut für meine Stirnhöhlen. Also, ich will Sie nicht länger aufhalten, Mary-Ann wartet sicher auf Sie. Ein prachtvolles Mädchen! Sie wissen hoffentlich, was für ein Glück Sie da haben.» «Aber ja, Miss Myra, das weiß ich sehr gut», schnatterte er. Mit der Versicherung, daß mir allein seine Interessen am Herzen lägen, geleitete ich ihn zur Tür. Es war in vieler Hinsicht der erregendste erotische Augenblick meines Lebens - bis jetzt jedenfalls. Aber das Beste kommt noch, denn ich will Dr. Montag ein für allemal beweisen, daß man im Leben alle seine Träume verwirklichen und somit sich völlig erfüllen kann. Kaum war Rusty zur Tür hinaus, da bemerkte ich, daß er sein Unterhemd vergessen hatte. Ich vergrub mein Gesicht in seinen warmen, verschwitzten Falten, ein sehr befriedigender Ersatz für richtige Haut. Der Geruch war einigermaßen scharf, aber keineswegs unangenehm, denn frischer Schweiß ist das mächtigste Aphrodisiakum und zugleich das ureigene Schmiermittel der Natur. Deutsch von Philip Weiler
Gael Greene
Blauer Himmel und kein Nachtisch Porno. Nacktes Fleisch. Mein Fleisch. Verschwimmende Szene in meinem Kopf. Absolutes Nichts. Kameraschwenk im schummrigen Nachmittag eines Schlafzimmers. Ich wünschte mir dies alles ein bißchen mehr auf frühe Jeanne Moreau. Aber er ist leider mehr harter Porno, ganz Ego, brutal, bewaffneter Michael. Und ich bin leider nicht die Moreau. Ich bin nur eure ganz normale, spät erblühte Ehebrecherin, und wenn diese Szene wirklich scharf wird, muß ich die Zähne zusammenbeißen, damit ich nicht loslache. Überstürze ich die Dinge ... wenn ich die Szene im Bett beginnen lasse? Ich kann nicht widerstehen. Denn im Bett bin ich unschlagbar, Freunde, auch wenn sonst alles nicht so doll ist. Darauf würde natürlich keiner kommen. Auf dem Papier ist mein Leben wunderbar, sinnvoll, kreativ, Spitze. Empfindsamer, ergebener Ehemann. Vielleicht ein ganz bißchen besorgt wegen meines Erfolgs. Aber man merkt es ihm kaum an. Gute Ehe. Ein gut geratener Sprößling: unsere bemerkenswerte unkomplizierte kluge kleine Maggy. Grundbesitz wie aus House and Garden, mit Blick über den Central Park und auf die Dünen in den irre schicken Hamptons. Beruflich ganz oben. Ich bin Drehbuchautorin. Ich bin die Drehbuchautorin: Katherine Wallis Alexander. Im Augenblick läuft alles ohne viel Ärger. Sie reden von Redford, Fonda, Coppola und 150000 Dollar plus eine hübsche prozentuale Beteiligung für mein nächstes Script. Dieses Jahr denkt jeder FRAU, und ich bin die Frau, die es schreibt. Auf den Bildern von der Zanuck-Brown-Party in
Women's Wear Daily vor zwei Wochen habe ich schick dünn ausgesehen und keinen Tag älter als zweiunddreißig. Donald Brooks will mich praktisch umsonst anziehen. Elaine hat immer einen Tisch für mich. «Große Kate», schreibt Vincent Canby. «Edle Kate». Das Leben ist sensationell schön. Aber das Bett ist das beste. Ich kann nicht genug kriegen. Ich hab dauernd Hunger. Ich bin zu lange im Nonnenkloster meiner Ambitionen eingesperrt gewesen. Mein Traum war Oscar, der Schickeria-Rausschmeißer. Mein Traum waren Liebesbriefe von Pauline Kael. Lange bin ich ganz in den Freuden der Monogamie aufgegangen. Und während ich auf Eis lag, haben sich viele Männer, was das Ficken angeht, offenbar eine Menge einfallen lassen. Sogar die Schufte sind heute besser im Bett als früher. Und ich auch. Michael könnte ein Schuft sein. Und Michael macht mich gerade auf die langsame Tour fertig. Im Hotel Algonquin, Zimmer 828. Er mimt auf sadistisch, aber er kann sehr süß sein. Er ist irre intelligent, etwas wirr, ein schöner Mann. Rosa Wangen, eisblaue Augen, aschblondes Seidenhaar. Frühstücks-Weizenflocken nicht vergessen. Michael ist ein perverser Jack Armstrong, und seine Hände kennen meinen Körper, als hätten sie ihn geformt. Kate Alexander - na und? Er weiß, wer ich bin, aber es ist ihm schnuppe. Er fragt nicht, ob es mich aufgeregt hat, was diese Affen aus meinem letzten Film gemacht haben. Oder was zwischen mir und Max Palevsky gewesen ist. Er will wissen: «Was denkst du, wenn du mir einen bläst? Wie schmeckt es? Würdest du mich peitschen, wenn ich dich darum bäte?» Ich bin nur Geschlecht. «Frau, blas mich», sagt er. «Frau». Nie Kate. «Warum gerade ich, Michael?» frage ich. «Warum nicht eine von den appetitlichen kleinen Groupies, die in den Fluren auf dich warten?» Michael, grob: «Wenn man mit diesem Abschaum rummacht, holt man sich leicht die Syph. Die jungen Dinger haben heutzutage alle die Syph.» Biegt das Handgelenk, bewundert seine von Leder und schweren Kettengliedern gerahmte Faust. «Sie quatschen. Sie klagen auf Schadenersatz ... bringen dich in den Knast. Verrückte Bande. Ich muß aufpassen.» Michael könnte ein Schuft sein. Wenn er schon lange genug in der Stadt wäre. Michael hat ein Buch geschrieben, Liebesgedichte für Analphabeten und Zurückgebliebene. Und hat ein Vermögen gemacht. Aber seine Schmonzen für TV-Werbespots bringen ihm noch mehr ein.
Er schreibt auch die Musik. Wenn er nach New York kommt, steigt er immer im Algonquin ab, und zwischen seinen und meinen Terminen ficken wir, als gäb's kein Morgen. Und das gibt's auch meistens nicht: morgen ist er wieder weg. Und wann komme ich schon nach Santa Fe? Seit den Außenaufnahmen für Mein Freund Larry überhaupt nicht mehr. Damals hab ich ihn kennengelernt. Spielte in den Nightclubs den Einsamen, den Schmachtenden. Und jetzt kommt er vielleicht dreimal im Jahr in die Stadt - ein schöner Verrückter aus Santa Fe, «live in concert» oder eingeflogen, um einen Chor tanzender Zahnbürsten zu orchestrieren. Idealer Seitensprung für treu ergebene Gattin, die es mit andern treibt und trotzdem bleibt, Super-Kate und liebende Hausfrau. Ich brauchte alle diese frei schaffenden Don Juans nicht, wenn mein Einmal-im-Monat-Liebhaber, dieser Mistkerl, dieser Jerry Glass, sich nicht so verdammt rar machte. In einem einigermaßen amüsanten Film von George Segal wäre Jerry Glass mein ständiger Nachmittagsliebhaber: er würde mich von der Schreibmaschine weglocken und mich in Absteigen in Connecticut verschleppen oder mir im Waschkeller und bei Gristede auflauern. Statt dessen bin ich hinter dem Bastard und seinen primitiven Demütigungen her. Deshalb brauche ich die Michaels, die hier zwischendurch aufkreuzen. Michael macht all diese Sachen genauso gern wie ich. «Der Fremde, der dich begehrt und dir klarmacht, daß er dich tatsächlich in all deiner Eigenart begehrt, bringt dir, dem Wesen, das du wirklich bist, eine Botschaft von alldem, was du sein könntest.» Ich schneide mir das aus der New York Times Book Review aus. Ich komme mir jetzt offizieller vor- ich agiere meine erotischen Phantasien gleichsam mit dem Segen der Book Review aus. Ich komme und ich komme und ich komme noch mal, und als ich denke, ich halte es nicht mehr aus, da packt Michael den weichen kleinen Hügel meiner Möse und kitzelt kitzelt kitzelt, bis ich nur noch eine lodernde Möse bin. Nicht mehr Kopf, nur noch Scheide. Dieser herrliche Wahnsinn, nur einen schreienden Millimeter von der Bewußtlosigkeit entfernt. Das muß der springende Punkt sein. «Weiß dein Mann über dich Bescheid?» fragt Michael. «Du meinst, ob er von dir weiß? Nein, natürlich nicht.» «Das ist unmöglich. Wie kann er es nicht wissen? Er muß es wissen.» «Nein. Das gehört zum Liebeskontrakt. Ich habe versprochen, ihn zu lieben, zu achten und ihm zu gehorchen - überrascht? Nun, alle haben in jenen guten alten Zeiten Gehorsam versprochen. Und lügen.
Es ist grausam, es zu sagen. Ich werde lügen und lügen und lügen. Wenn er jetzt zur Tür hereinkommt und uns hier zusammen sieht, werde ich behaupten, es sei nichts.» «Er ist nicht gut im Bett», sagt Michael. «Er ist wundervoll im Bett, aber das geht dich nichts an.» So, jetzt zieht Michael seine hautengen schwarzen Lederjeans an. Sie haben grinsende Reißverschlüsse an den Waden. Sonst käme er nicht rein. Und dann die glänzende schwarze Jacke mit dem Eisengeklimper, bei dem ich immer an Peitschen und Ketten denken muß. Er zieht sich eine Mütze aus Eidechsenleder bedrohlich schief über sein strohblondes Haar. Seine Motorradfahrerbrille spiegelt, so daß man nicht sehen kann, ob Michael vielleicht, bitte, nur Spaß macht. Ich bin so zerschlagen, daß ich nicht lachen kann. Dann ist er fort. Michael ist mein Hell's Angel, mein Banden-Bumser. Er fickt stundenlang, ehe er kommt, und er könnte ewig weitermachen, wenn nicht Bristol-Myers und Hunt's Tomatensauce nach ihm riefen. Er ist jetzt unterwegs, um irgendeinen Bubblegum-Rock für Dosen-Eistee zu machen, und ich kann hier liegen, zerschunden und überreizt, bis das in Hitze geratene Fleisch abkühlt und das unwiderstehliche Schriftsteller-Ich den Motor meines Verstands wieder auf Touren bringt. Ich könnte laut loskichern. Ich stelle mir vor, wie Harry Hinkenstadt mit den Augenbrauen zucken würde, wenn er eine Ahnung hätte, wie Kate Wallis Alexander am liebsten ihre Nachmittage verbringt. Der hektische Harry ist mein Agent. Er redet gern von meiner Integrität (wenn er das Wort ausspricht, hat es fünf Silben). Seine Augen werden feucht, wenn er mich dabei ertappt, wie ich mit Jamie Händchen halte. «Ihr zwei, ihr könntet mir direkt den Glauben an die Ehe wiedergeben, wenn ich's nicht besser wüßte», meinte er dann. Billy Hutch, berüchtigter Produzent von süßlichem Edelkitsch, hat zu Rona Barrett gesagt, er ließe mir meinen Willen - weil ich Eier hätte. Der verlogene Scheißkerl! Nur Kate kennt Kate. Ich setze meinen Willen durch, ja. Zumindest glaube ich, daß ich das gestern in Paris getan habe. Bei Filmleuten weiß man nie. Außer bei diesem Cowboy, diesem schönen fabelhaften Alleswisser. Aber daran will ich jetzt nicht denken. Ich will mich jetzt auf meine Knie konzentrieren, damit sie aufhören zu zittern und ich hier abhauen kann.
«Das Script ist großartig, Kate. Ryder findet es toll. Ryder wird dir gefallen, Kate», verheißt mir Billy Hutch. «Bei Ryder schmelzen die Frauen dahin.» «Du hast wohl Photoplay gelesen, Billy.» Wenn ich Ryder Meade im Bett kennenlernen sollte, wäre ich nicht halb so nervös. Ich bin Gott sei Dank nicht darauf angewiesen, Photoplay zu lesen, aber ich höre, daß er ein großer Bumser vor dem Herrn ist. Das kann natürlich alles mögliche bedeuten - geiler Bock, Narziß, einer, der Frauen sammelt, und, wenn auch nur selten, einer, der sie liebt. Na ja, ich wette, in der Senkrechten werden wir das Gleichgewicht wahren. Die Fox hat Ryder am Ende dieses dezenten Flurs im Plaza-Athenee versteckt. Mein Lieblingshotel in Paris. Mir haben sie eine Besenkammer gegeben, aber Ryder wohnt für 175 Dollar täglich hinter golden verzierten Türen. Billy Hutch dreht zufällig gerade einen Film in Paris. Ryder ist auf Promotiontour für seinen neuesten Film und hat genug Zeit, um über den nächsten zu reden. Also hat man mich für rund tausend absetzbare Dollars zu einem kleinen Plausch eingeflogen. Mein Agent, Harry Hinkenstadt, der widerwillig mitgekommen ist, weil ich nicht lockerließ, Harry der wandelnde Kompromiß, gräbt seine Finger in meinen Arm. Er hat gesehen, wie mir die Wut die Haut rötete. «Ich war mir nicht sicher, wie Ryder auf die große Kampfszene reagieren würde», sagt Billy. «Aber er mag sie. Das nenne ich Instinkt. Es amüsiert ihn, daß er von einem Skyscraper-Küken einen Tritt in die Eier kriegen soll. Er glaubt sogar, es könnte besser sein als ein ganzes Regiment von Amazonen.» Ich habe keine Wahl. Es muß Ryder sein. Garantierter Kassenerfolg. Meine ach so herrlich subtile und geistreiche futuristische Vision einer Kolonie von Wunderfrauen wird von einem Kretin-Triumvirat rapide verdorben. «Ich kann es nicht erwarten, diesen legendären Bumser kennenzulernen.» Harry hüstelt. «Sei nicht so mies, Kate. Ryder mag Frauen. Frauen mögen Ryder. Ihr beide könntet miteinander auskommen wie ...» «Nicht, falls er davon redet, jemand wie Ernie Tidyman soll das Buch umschreiben.» Jetzt schnaubt er verächtlich. Typisch Billy. «Quatsch», sagt er. «Du weißt doch selbst, daß wir uns eine große Nummer wie Tidyman nicht leisten können.» Gehen diese blöden Türen überhaupt auf? Jemand auf der andern Seite kann sich nicht entscheiden, ob er stoßen oder ziehen
soll. «Und außerdem», sagt Billy, «wenn wir nicht den speziellen Alexander-Touch gewollt hätten, dann hätten wir uns ja nicht erst halb umgebracht, um das Script an Land zu ziehen, Kate.»
Ah, der Salon der STARS. Umhängetasche von Gucci. Diplomatenköfferchen von Hermes. Profi-Haartrockner. Champagner auf Eis und weiße, nackte Beerdigungsgladiolen. Jemand ist tot. Wahrscheinlich ich. Ein Mädchen, das wie eleganter Straßenstrich aussieht, telefoniert mit dem Zimmerservice. «Fünf Scheiben mageren gekochten Schinken, mager, m-a-g-e-r, bien cuit, pas de Fett.» Roter, dünner Satin, purpurrote Plateauschuhe aus Schlangenleder. Dracularote Fingernägel. Es ist nicht Ryders Mutter, könnte also seine Freitags-Biene oder eine Leihgabe der Fox sein. Zwei Blondinen in hohen schwarzen Stiefeln flattern nervös über den Reisekoffer hinweg - Sonderanfertigung von Vuitton. Vielleicht der Fan-Club. Reisen vielleicht avec The Star. Eine von ihnen streicht den königsblauen Wildlederblazer glatt, tätschelt die Tweedhose des Stars, atmet tief ein, als nährte sie sich von seinem Duft. In dem ganzen Raum riecht es stark nach Brut. «Und Raquel Welch als Wunderfrau ist mal wieder eine grauenhafte Klischee-Besetzung», sage ich. «Ryder hat immer behauptet, er könne die Welch nicht ausstehen. Jetzt will er sie plötzlich haben. Ich sage, er will sie nur haben, weil er Angst hat, daß er neben einer Klasse-Schauspielerin wie Lydia Rowan vulgär wirkt.» «Oder von den Titten der Rowan an die Wand gespielt wird», tönt Harry. «Titten, Quatsch», sagt Billy. «Es sind Lydias Eier - davor hat er Schiß.» Er gießt einen kräftigen Schuß Gin in einen Becher mit Eiswürfeln. «Soll ich mit Alka-Seltzer anfangen oder aufhören? O Gott, Entscheidungen, immer diese Entscheidungen!» Harry flüstert. «Geh an die Sache nicht mit dem Hobel ran, Kate.» «Was heißt hier Hobel, mein lieber Harry? Meinst du, mit der Möse?» «Treten Ihnen diese Kerle zu nahe, Lady?» Hinter mir, just aus Ryders Allerheiligstem herausgekommen, schleppende texanische Laute, ein Cowboy, schlank, groß, mit mürrischem Mund und bohrenden blauen Augen. Dazu passender blauer Rollkragenpulli. Dabei sieht er gar nicht aus wie jemand, der lange über
einen passenden Rolli nachdenkt. Stiefel, Jeans, die MississippiGlücksspieler-Zigarre zwischen den Zähnen. Merkwürdig junges Gesicht für diese wilde Salz-und-Pfeffer-Mähne. Kate ist cool. Man sieht nichts, ich schwöre es, aber die Gegenwart dieses Mannes ist wie ein Schlag. Die coole Kate lacht. «Nein, ich meine es ganz im Ernst», sagt der Cowboy. «Diese Kerle sind verdammt grob.» Sein Blick ist Eis, Hutch und Harry erstarren, Hutch mitten in einem Rülpser. Ich merke, wie ich plötzlich rot werde. Da haben wir's. Ich wate knietief in psychischen Mißhandlungen, und es ist mir nicht einmal mehr bewußt. Ich nehme die Feindseligkeit in Harrys gönnerhaftem Humor nicht mehr wahr. «Oh, wir reden ständig in diesem Ton.» Ich zucke mit den Schultern. Ich mag den Ausdruck in den Augen des Cowboys nicht. «Aber ... jedenfalls, sehr lieb von Ihnen, daß ...» Seine Augen lassen mich los. Er wirbelt abrupt herum und setzt sich ans Telefon, kehrt uns allen den Rücken zu. Eine Puppe mit Pep, in einer gestrickten rosa Röhre und mit nacktem Zwerchfell, steckt einen silbrigfransigen Pagenkopf herein. «Mr. Ryder fragt, wo, zum Teufel, der Champagner bleibt und was ihr alle zum Frühstück wollt. Er hat gerade noch ein Ferngespräch - nur eine Minute noch.» Ich kann diesen arroganten blauäugigen Cowboy einfach nicht so davonkommen lassen. Er hält mich für eine dumme Gans. Oder Schlimmeres. Er sieht mich überhaupt nicht. «Ich glaube, ich nehme einen Espresso und zwei Portionen Himbeeren», sagt Kate. Seine wilde silberblonde, von der Sonne gebleichte Mähne lockt sich im Nacken: braun gebrannt, scharf eingegrabene Fältchen und eine Narbe. Er dreht sich nicht um. Jetzt zitiert die Puppe mit Pep uns herein. Ryder lächelt mich an, als ob sonst niemand im Zimmer wäre. «Unsere liebe Frau von den Himbeeren.» Oh, diese Zähne! Er sieht gut aus, und dieses selbstironische Grinsen macht ihn in Nahaufnahme noch attraktiver. Er ist hemdlos und gestiefelt. Er lehnt in einem Kissenhaufen am Kopfende eines riesigen Bettes und hat die hohen Absätze in die elfenbeinfarbene Satindecke auf dem Bett gebohrt. Er sieht hübscher aus, als ich gedacht habe. Die Narbe am Kinn, die Furchen in der Stirn und die Fältchen um die Augen retten ihn vor unerträglicher Schönheit. Er ist kleiner, als ich ihn mir vorgestellt habe. Wie die meisten Filmstars. «Das ist also die berühmte Mrs. Alexander», sagt er. Er nimmt
meine Hand. Mehr als ein Händeschütteln, intimer, unser Fleisch scheint einen Moment lang zu verschmelzen. Grüße von Hollywoods gefeiertem exhibitionistischem Ladykiller. «Ich bin nur ein einfacher Junge vom Lande», sagt er. «Ich brauche ein einfaches Frühstück, Spiegeleier mit Schinken und Bratkartoffeln.» «Und einfachem Dom Perignon.» Es ist der Cowboy, der hinter uns eingetreten ist und den Draht rings um den Champagnerkorken löst. Entschieden fachmännisch. Wo lernen diese Bauernjungen den Umgang mit so teuren, schicken Sachen? «Sie kennen Jason O'Neill?» fragt Ryder und nimmt die Flasche von dem Cowboy entgegen. «Mein Landmakler und Rinderberater.» Ryder grinst. «Steuer-Schlupflöcher. Jason ist ein Genie, wenn es um Steuer-Schlupflöcher geht.» Ryder schenkt nur zwei Gläser ein, bis zum Rand, zum größten Teil Schaum. Die Silberfransen-Puppe kommt auf ihren Carmen-Miranda-Pantinen angeschlurft, um Harry und Billy etwas einzugießen. Der Cowboy winkt ab. Er holt sich Grapefruitsaft aus dem Schlafzimmer-Kühlschrank. Er sieht aus wie ein Filmstar. Schlank und schlaksig wie Clint Eastwood, aber stählerner. Ich habe so das Gefühl, daß bald ein kleiner Teil des Vermögens von Kate Alexander in Kühen angelegt wird. Rindfleisch. Ob Jason Dingsbums will oder nicht. «Es gibt so gut wie keine Probleme, jedenfalls keine größeren», beginnt Billy und verlagert seine Fettmassen in seinem schwarzen Samtanzug. Dabei betrachtet er intensiv das Ebenbild des Eiffelturms oder weiß Gott was in seinen spiegelblanken schwarzen Lackmokassins. «Wenn Kate irgend etwas ist, dann ist sie flexibel, ein richtiger Schatz, Ryder. Und ihre Wahl für die Rolle des letzten überlebenden Mannes des 20. Jahrhunderts ist auf Sie gefallen. Ryder.» «Das stimmt, Ryder», konzediert Kate. Ryder zwinkert mir zu und drückt seinen Schenkel an meinen. Ich bewege meinen Schenkel nicht. «Trinken Sie Ihren Champagner gern so?» fragt er. Ich starre auf den schwindenden blasigen Schaum. «Hier, sehen Sie mal», sagt Ryder stolz und holt einen winzigen Sektquirl aus einer purpurroten Filztasche. «Sehen Sie, das da sind echte Brillanten.» «Sagten Sie nicht, Sie seien ein einfacher Junge vom Lande?» «Brillanten sind sauber.» «Und was ist das Schmutzige da in der Mitte?» «Das ist ein Saphir.» Er runzelt die Stirn und quirlt meinen Schaum
fort. Der Cowboy hat sich mit der Pariser Herald Tribune auf die Liege am andern Ende des Zimmers gesetzt. Ich kann mir das Grinsen hinter der Zeitung vorstellen. «Kate, sei ein Schatz und gieß uns normalen Sterblichen einen Schluck Kaffee ein», sagt Harry. «Nein.» Schweigen. «Jesus, Kate, ich wußte gar nicht, daß du zu diesen Emanzen gehörst», sagt der erschrockene Kompromiß, greift nach der Kanne und verschüttet den Kaffee in drei oder vier Untertassen. «Ich bin erst vor sechzehn Sekunden eine geworden.» «Sie brauchen nur Kates Script zu lesen, dann wissen Sie, daß sie nicht zu diesen geifernden flotten Feministinnen gehört», bemerkt Ryder. Ich bin sehr beeindruckt. Ich wußte, daß er Zahlen lesen kann, aber bei Prosa war ich mir nicht so sicher. «Was mich stört, Kate -» er hat wieder meine Hand genommen und drückt sie -, «das Buch ist ein bißchen zu lustig. Haha.» «Sie sagen seit Jahren, daß Sie gern mal was Lustiges machen möchten.» «Ich habe an den alten Cary Grant gedacht. Aber der Bursche hier ist ein komischer Trottel. Mehr wie Woody Allen. Es muß da doch ein Mittelding geben.» Kate stimmt zu: «Das ist es eindeutig, ein Mittelding.» Der Trib raschelt. «Eindeutig», echot Harry. «Das Publikum wird Ryder Meade nicht als Trottel akzeptieren.» Ryder rückt näher, blickt mir in die Augen. «Finden Sie, daß ich ein Trottel bin?» Ich lege meine Hand auf seinen Schenkel. «Sie sind kein Trottel.» Er nimmt meine Hand und führt sie zu einer bemerkenswerten Schwellung in seiner hautengen Hose. Wieso kriegt er keinen Brand? In diesem Gabardinefutteral kann doch kein Blut zirkulieren. «Sie sind kein Trottel», sage ich noch einmal. «Sie sind der Held. Sie sind der einzige noch übriggebliebene Mann auf Erden, der beim Liebesakt mit einer Amazone nicht wie das verbrauchte Männchen der Gottesanbeterin krepiert. Sie sind die Sexbombe unserer Zeit, Ryder. Und wenn Sie lernen könnten, einen Text mit einer Spur Schrulligkeit und sanfter Selbstironie zu sprechen, statt wieder einmal auf Clown zu machen, dann könnten Sie einfach umwerfend sein.»
Ryder gibt meine gefangene Hand frei. Und zieht sich zurück. «Sie ist keine Spur flexibel. Sie interessiert sich nur für das, was sie zu sagen hat. Ich sage, der Held braucht zwei oder drei gute Szenen für sich allein. Wo sind seine Motive? Warum, zum Teufel, verknallt er sich so Hals über Kopf in diese Null, diese Lydia? Athene ist weit eher sein Typ, wenn Sie mich fragen. Und der Schluß ist mir schleierhaft. Sie darf ihn nicht töten. Auf keinen Fall. Das ist unmöglich. Nicht einmal eine Amazone wäre bereit, für den Rest ihrer Tage auf einen Kerl zu verzichten. Das ist Unsinn. Auf keinen Fall! Das frißt doch kein Mensch. Sie soll dem Kerl nachgeben. Sie braucht ein paar gute Ficks, nichts weiter- dann ist sie mürbe. Ich mag Frauen, Billy. Du kennst mich. Ich bin mein Leben lang scharf gewesen auf richtige Frauen. Ich interessiere mich nicht für Zwanzigjährige, die nicht wissen, wer sie sind. Aber diese Lydia ist noch zäher als, wie heißt sie doch? Nicht Gloria... nein, ich meine diese andere. Germaine Greer.» Billy streicht mit dramatischer Intensität Butter auf ein Croissant und beobachtet sinnend den Fall einer Gebäckflocke. «Was Ryder sagt, hat etwas für sich, Kate. Er braucht nur ein paar handfeste Szenen.» «Gebt mir Tiefe oder zählt nicht auf mich», sagt Ryder. «Einen Moment, Ryder.» Billy spricht um ein halbes Croissant herum. Er kaut. «Kate, wir brauchen Ryder. Er ist in, und er ist der richtige für eine Komödie. Gib ihm ein paar Motive. Ryder, Sie brauchen diesen Film. Das letzte Ding, was Sie da gemacht haben, ist total in die Hose gegangen. Ich bin selbst für Temperament und Leidenschaft, das wissen Sie. Wer hat denn die Explosion von Temperament und Leidenschaft in Zeitlupe erfunden ...» «Arthur Penn», sage ich. Billy wird rot. «Da bin ich nicht so sicher, Kate. Erinnerst du dich nicht mehr an einen gewissen Film mit dem Titel Der Mörder?» «Kein Mensch erinnert sich mehr an den Mörder, Billy», schlage ich zu. «Und das ist dein Glück.» «Kate.» Harry springt mit der Kaffeekanne in den Ring. «Meine liebe Kate, wenn du es mit deinen Drehbüchern nicht mehr schaffst, kannst du immer noch einen Job im Delphinzirkus kriegen ... als Barrakuda.» Dann zu Ryder: «Sie brauchen einen Tempowechsel, mein Lieber. Und Sie haben einen fabelhaften komischen Touch. Sie haben etwas, das seit Cary Grant keiner mehr gehabt hat.» Ryder läßt sich wieder in sein Kissen zurücksinken und streichelt
sich. Bei Frauen habe ich das öfter gesehen - daß sie die Hand in einen tiefen V-Ausschnitt schieben und abwesend ihre nackten Brüste streicheln ... Aber ich muß sagen, es ist das erste Mal, daß ich dazu verurteilt bin, dazusitzen und mir mit anzusehen, wie ein erwachsener Mann mit seinem Gehänge im Gabardineetui spielt. «Ryder, wenn das hier noch länger dauert ... Ich habe nicht mehr viel Zeit.» Der Cowboy faltet seine Tribune zusammen und steht auf. «Ich bin nach dem Lunch mit den Schweizer Bankleuten verabredet.» «Oh Gott, Jason. Tut mir leid. Ich werde diesen Scheiß so schnell wie möglich zu Ende bringen.» «Scheiß! Nun hören Sie mal gut zu, Ryder», protestiert Kate. «Sie mögen ja von mir aus die Jane Mansfield des Jahrzehnts sein, aber hier geht es um mein Drehbuch. Außerdem bin ich hier auch Koproduzent.» «Ich mag das Ende», verkündet Billy. «Ich fühle es geradezu. Vertrauen Sie auf meine Gefühle, Ryder. Sie bekommen zwei Szenen: gute, handfeste Szenen, gute, handfeste Motive. Das Ende bleibt. Lydia bleibt. Ich kümmere mich um sie.» «Warte, Jason. Eine Minute. In Ordnung. Ich vertraue Ihnen, Billy. Und ich hoffe, ihre Titten sind echt - wenn sie aus Silikon sind, schaff ich den Nahkampf nicht.» Billy seufzt und steht auf, wischt Harrys überschwengliche Glückwünsche mit einer Handbewegung weg. «Bis gleich, im Pißhaus, Kate», sagt er, ehe er, schwarzgestiefelte Blondinen im Schlepptau, hinausgeht. «Du warst ganz schön hart!» sagt Harry und bleibt stehen, um schnell noch ein Ferngespräch auf Kosten der Fox zu führen. «Oh, Harry, ich bin alles andere als hart. Ich hätte nicht so zu kämpfen brauchen, wenn du ein bißchen härter gewesen wärst. Aber du hast nur dagesessen und mit dem Kopf gewackelt, als ob du einen Schlaganfall gehabt hättest...» Na ja, ich habe gewonnen. Keine Schlachtwunden. Aber warum bin ich dann so deprimiert? Meine Hände zittern ... Ich verstecke sie in meinen Saint-Laurent-Taschen. Was habe ich für eine Wut! Ich sehe mein Gesicht im Spiegel, In dem rauchgrauen Glas sehe ich die roten Zornflecken und den komischen kleinen weißen Punkt auf meiner Wange, der jedesmal zum Vorschein kommt, wenn ich mich aufrege. Vielleicht brauche ich einen Drink. Wenn ich jetzt schnell einen Drink
bekomme, brauche ich vielleicht nicht zu heulen. Alles verschwimmt wie im Nebel. Warum warte ich auf Harry? Ich warte nicht auf Harry. Ich warte auf den Cowboy. Da ist er endlich. Er kommt aus Ryders Schlafzimmer, erfaßt alles Harry am Telefon, mich in meinem Nebel und mit den Flecken im Gesicht. «Einen Drink, vielleicht», sagt Kate. Er verschwindet, kommt zurück mit einem hohen Glas ... ich nippe ... Grapefruitsaft. «Gleich spüren Sie den Stoß!» Er läßt seinen Arm um meine Schulter fallen. «Sauer. Genau richtig. Säure. Vitamin C. Besser als Scotch.» Er taucht sein Taschentuch in den Champagnerkübel und wischt es mir über die Wangen (der kunstvoll gemalte Ausdruck ist dahin). Er streicht mir mit der Hand das Haar. «Ganz tief atmen.» «Sie sind die geborene jüdische Mama», sagt Kate. «Ich wollte gerade eine große Schüssel Zwiebelsuppe vorschlagen. Aber wenn es lieber eine Hühnersuppe sein soll...» Eine brünette Riesin, mindestens 1,90 hoch, geht in Ryders Schlafzimmer. «Möchten Sie eine schwedische Massage?» Ryder steckt den Kopf durch die Tür. «Jason, ehe du gehst. Und auch Sie, Kate Alexander - nichts für ungut.» Der Cowboy winkt zum Abschied und schiebt mich hinaus. «Harry.» Ich werfe ihm eines jener verlogenen kleinen Küßchen zu, die zu verteilen ich mir angewöhnt habe.
«Das ist nun die berühmte Brasserie Lipp, und es gibt nicht einmal Zwiebelsuppe!» Der Cowboy ist enttäuscht. «Was ist croak monsieur?» «Croque Monsieur. Ein überbackenes Käsesandwich.» «Ich bin nicht nach Paris gekommen, um ein überbackenes Käsesandwich zu essen.» Er läßt die Speisekarte sinken und durchbohrt mich mit .. .Ich weiß sehr wohl, daß es nur blaue Augen sind. Aber diese Blicke sind wie Laserstrahlen. «Sie sollten einen Anwalt oder einen Agenten haben, der Ihnen solche Besprechungen abnimmt», fängt er an. «Ich habe einen Agenten. Das war ja mein Agent, der Angsthase.»
«Dann also einen Anwalt. Irgend jemanden. Es verträgt sich nicht mit der Würde der Frau, in ein solches Hickhack hineingezogen zu werden.» «Man bringt aber keinen Anwalt mit. Es ist einfach nicht üblich. Anwälte machen den Leuten angst. Anwälte bedeuten, daß das Stadium, in dem man miteinander redet, vorbei ist. Und im übrigen hat die Tatsache, daß ich eine Frau bin, nichts mit alldem zu tun. Ich bin Schriftstellerin. Das ist meine Arbeit.» «Ich würde nie jemanden so mit einer Frau, die ich liebe, reden lassen.» «Das ist sehr ... sehr süß. Aber ich bin nicht empfindlich. Ich bin kein Kind mehr. Ich wäre wütend, wenn mein Mann sich einmischte, um mich zu beschützen.» «Das finde ich nicht richtig.» Klipp und klar. Keine Widerrede möglich. «Diese Suppe ist fürchterlich. Sogar in Houston kriegt man bessere Hühnercremesuppe. Was stimmt denn nicht mit Ihrer Ehe?» «Aha.» Ich komme mir wie aufgespießt vor. «Ich habe nicht gesagt, daß mit meiner Ehe etwas nicht stimmt!» Ich bin dabei, mich in den Mund des Cowboys zu verlieben. Ein egoistischer Mund, ziemlich arrogant, voll und weich, an der Oberlippe eine winzige Amorkerbe, und die Unterlippe schiebt sich vor wie bei einem verzogenen Jungen, der ein Ultimatum gestellt hat und weiß, daß man sich dagegen wehren wird. «Irgend etwas ist aber nicht in Ordnung. Sie sind wie ein brünstiges Tier. Ich spüre, wie Sie wittern.» «Ein überaus schmeichelhafter Vergleich! Wissen Sie, es gibt einen Unterschied zwischen mögen und müssen.» Er berührt meine Hand, spielt mit dem Stengel meines Weinglases, fährt leicht durch die Senken zwischen meinen Fingerknöcheln. Ich spüre den Reflex, den elektrischen Schlag in meinem Innern. «Hier ist Klein-Effies goldner Kopf, das Hirn darin ein Hefezopf.» Ich bin ehrlich verblüfft. Ein Cowboy, der c. c. cummings zitiert. «Können Sie nicht eine spätere Maschine nehmen?» frage ich. Ich bin nicht besonders gut in diesem Stadium der Verführung. Meine Stärke liegt mehr darin, daß ich ... nun ja, daß ich zu haben bin. Zu haben. «Ist Ihr Mann intelligent? So intelligent wie Sie? Hat er Erfolg? Schenkt er Ihnen die Art Aufmerksamkeit, die Sie brauchen?» «Sie reden nicht gern um den heißen Brei herum, nicht wahr?»
«Ich hasse belangloses Geschwätz. Meine Maschine geht in siebzig Minuten. Ich bin einundvierzig. Diese Suppe ist fürchterlich.» «Bleiben Sie zum Abendessen, und wir werden die beste Zwiebelsuppe auftreiben, die es in Paris gibt.» «Ich würde gern bleiben, aber ich muß nach Zürich. Und es ist nicht bloß eitel Neugier. Ich will Sie nicht ausfragen. Ich bin interessiert. Ich hoffe, Sie wiederzusehen. Ich habe Ihren Roman gelesen ... Konsequente Selbstmorde. Sie sagen darin vielleicht mehr über sich aus, als Sie glauben.» «Es ist ein lustiges Buch.» «Es ist überhaupt nicht lustig.» «Die Leute haben sich totgelacht. Gore Vidal hat gesagt-» «Vidal? Unsinn. Die Leute sind Idioten. Neurotische Idioten. Sie haben wunderschöne Hände. Ich stelle mir vor, was Sie mit diesen Händen machen.» Er schüttelt in übertriebener Pein den Kopf. «O ja, danken Sie Gott dafür, daß ich nach Zürich muß. Ich habe das Gefühl, daß irgend etwas nicht stimmt. Zuckt Ihr Mann zusammen, wenn die Leute ihn Mr. Kate Alexander nennen?» «Die Leute nennen ihn Mr. Alexander, weil er so heißt.» «Ein Punkt für Sie, Kate. Was für eine altmodische Frau ... trägt den Namen ihres Mannes! Ich bin überrascht. Nein, das hätte ich nicht gedacht.» «Ich brauche nichts zu beweisen.» «Trotzdem, irgend etwas stimmt nicht. Sie gehen mit andern Männern ins Bett? Mit vielen andern Männern? Hassen Sie sich morgens?» «Moment, Moment. Das ist eine Klischee-Vermutung! Ich liebe mich morgens. Morgens ... warum reden wir von morgens? Für treulose Ehefrauen gibt es kein morgens. Wir haben Nachmittage.» «Ich spreche nicht von Schuld. Suchen Sie einen Ausweg aus Ihrer Ehe?» «Nein. Absolut nicht. Ich ... warum sage ich Ihnen das überhaupt? Ich bin ruhelos, nehme ich an. Ich gehe mit andern Männern ins Bett, weil Sex eine der großen Freuden des Lebens ist und weil es ihn überall gibt- ich möchte etwas davon haben. Ich möchte alles haben. Ich glaube, daß man dem Mann, den man liebt, untreu sein darf - wenn es mit Takt und Feingefühl geschieht. Es kommt auf den Stil an. Man ist sehr diskret. Man geht nicht ausgerechnet mit seinen Freunden oder mit seinen Feinden ins Bett. Niemand weiß etwas. Niemandem tut es weh.»
«Klingt mir zu abgeklärt. Er ist nicht gut im Bett. Er genügt Ihnen nicht.» «Wie er im Bett ist, hat nichts damit zu tun ... hat nichts mit Ihnen zu tun. Ich habe keine Lust, über die sexuellen Leistungen meines Mannes mit einem Fremden zu diskutieren. Oder mit irgend jemandem.» «Emily Post würde Ihnen zustimmen.» «Sie können einen zur Raserei bringen.» Ich wünschte, ich hätte es nicht soweit kommen lassen. Der Cowboy ist wahrscheinlich ein Voyeur. Er nickt feierlich wie ein gottverdammter Freudscher Psychoanalytiker. «Sind Sie jemals monogam gewesen?» «Natürlich, was für eine Frage ... Ich bin leidenschaftlich gern monogam gewesen. Jahrelang. Heute ist mir klar, daß die Monogamie eine tragische Verschwendung unserer natürlichen Ressourcen ist. Und Sie? Sind Sie monogam?» «Ich stelle fest, daß ich es allmählich geworden bin. Wie lange kann man das durchhalten, jede Nacht ein anderes Mädchen bumsen?» Er schließt die Augen. «Ich stelle mir vor, Sie sind im Bett. Sie fassen mich an.» Er berührt meinen Arm. Der Cowboy ist ein Fotzenfopper. Und ich überlege, ob er wohl vorhat, seinen Flug nach Zürich zu verschieben. «Ich lebe mit einer Frau zusammen. Sehr schön, nicht sehr klug, aber lustig und gesund, nicht im geringsten neurotisch. Und genau das hat mich am Anfang gereizt. Es ist so selten.» Wie sieht mein Gesicht aus? Sieht man es mir an? Ich fühle mich ausgepeitscht, mißbraucht - so verletzt. Mein Mund fühlt sich taub an. Ich glaube, ich möchte mich erbrechen. Warum hört er nicht auf? Warum mache ich nicht, daß ich hier wegkomme, ehe ich mich blamiere ? Woher nimmt der Kerl diese Arroganz ... spielt mit meiner Haut, berührt meinen Arm, meine Wange. «Du willst meinem Charme widerstehen, nicht wahr?» Ich mache mir Sorgen um Kate. Gebe mir Mühe, daß meine Stimme gleichgültig klingt, beherrscht. Man sieht mir an, daß ich verletzt bin. Oh, was gäbe ich dafür, wenn ich cool sein könnte. «Wir beide würden ein ganz schönes Gerangel veranstalten», verkündet der Cowboy. «Ich bin dir wenigstens gewachsen. So etwas brauchst du. Wann warst du zuletzt mit einem Mann zusammen, vor dem du wirklich Respekt hattest? Ich wette, du hast etwas übrig für Schwächlinge. Ich habe dich mit Ryder und Hutch und deinem Agenten beobachtet. Du mähst sie nieder. Du betäubst sie. Es ist Overkill.
Ich sehe, wie du kleine Buben zum Frühstück verspeist.» Er lacht. «Aber ich sehe noch etwas anderes.» Er packt mich am Handgelenk, öffnet meine Hand, untersucht die Handfläche, fährt mit dem Finger über die Erhebungen, als wären sie Braille-Schrift. «Ich könnte jetzt von deiner Sinnlichkeit reden.» «Das reicht.» Ich ziehe die Hand zurück. Er will nicht loslassen. «Diese Unterhaltung scheint in Sadismus auszuarten.» «Alles macht dich scharf. Der Brie. Der Wein. Meine Hände.» «Hör auf damit.» «Ich habe dich beobachtet. Deine Hände. Achte mal darauf, wie du dich berührst. Wie du ißt. Ich beobachte deine Zunge am Rand des Glases. Wie du einatmest ... die Sauce, diese rührenden kleinen Blumen. Dir entgeht nichts. Du reagierst auf alles. Alle deine Sinne klikken. Deine Zähne. Einer steht ein bißchen schief. Hast du gewußt, daß dein Mund wie Brie und Orangen schmeckt?» «Du bist verrückt. Hör auf. Du mußt los.» «Das Timing ist miserabel - das ist alles. Wir haben uns im falschen Augenblick kennengelernt. Wenn wir uns vor anderthalb Jahren begegnet wären ...» «Ich glaube dir nicht. Du bist ein verrückter Kerl... so zu reden.» «Ich muß jetzt gehen, oder ich kriege die Maschine nicht mehr. Komm, ich setze dich in ein Taxi.» «Geh nicht.» «Wir sehen uns wieder. Ich verspreche es.» Er läßt einen Stapel Franc-Scheine auf dem Tisch zurück und rutscht auf der Bank hinter dem Tisch hervor. Ich glaube, ich heule gleich los. Da steht er - kitschiges, langsames Ausblenden. Dann beugt er sich zu mir herab und umschließt meinen Mund mit seinen warmen, weichen Lippen. Er ist fort. Und ich sitze da - wie eine benutzte Serviette. Cognac und noch einen Espresso. Das brauche ich jetzt. Was für ein langer Morgen das gewesen ist! Einen gewinnen, einen verlieren ... welchen?
Nach Michael aus dem Hotel Algonquin in die Wirklichkeit zurückzukehren, das ist wie strahlender Sonnenschein nach dem Kino. Mmmmm. Fabelhaft. Ich komme mir vor, als gehörte mir die ganze Stadt. Einige Frauen melden sich für einen «Schönheitstag bei Elizabeth Arden» an. Ich entscheide mich für einen Körpertag. Ich fühle mich
großartig, lebendig, wund. Aber statt mich satt, benutzt, für eine Woche lang bedient zu fühlen, bin ich merkwürdig geil ... Hunger auf mehr. Ich gehe die 44. Straße Richtung Fifth Avenue entlang und sehe nichts anderes als Schwänze und Hände. Bin ich verrückt? Ist es eine Krankheit? Ein Leiden, mit dem die spät blühende Abenteurerin auf Grund eines rezessiven Gens geschlagen ist? Kein Mann ist mehr sicher, wenn dieses sexbesessene Monster durch die Straßen geht. Wem würde ich die Rolle des sexbesessenen Monsters geben? Dyan Cannon vielleicht. In alten Zeiten Anne Bancroft. In Hollywood hat man nicht viel Bedarf an weiblichen Sexunholden. So weit sind Filme von der Wirklichkeit entfernt. Ich hatte gehofft, die ekstatischen Leibesübungen würden meine Arbeitslust wecken. Ich muß ein paar Sachen umschreiben, aber ich kann nicht einmal den Gedanken daran ertragen. Statt dessen bin ich so auf meinen Körper fixiert, daß ich denke, ich würde gern Glass sehen. Leider jedoch ist Glass in einer geheimnisvollen Mission in Miami - wahrscheinlich muß er irgendein unbequemes Verhältnis unterbringen. Ich könnte irgendeinen harmlosen jungen Mann anmachen. Ich gehe die Möglichkeiten des Abends durch. Bei Rizzoli ist ein Empfang. Nicht sehr verlockend. Ich gehe grundsätzlich nicht zu Buchpremieren-Parties, aber es ist Michael Crichtons neuer Roman, also könnte ich eine Ausnahme machen. Dann ist da die Wohltätigkeitsveranstaltung, für die Susan Shiva mir Karten aufgeschwatzt hat. Ich könnte auch so tun, als sei ich bei Elaine verabredet, und mir dabei jemanden aussuchen, dem ich ein Abendessen spendieren kann. Im polierten Stahlgesicht der Bank an der Ecke der 44. Straße sehe ich, sagen wir es grausam offen, diese gerötete, fleckige, abgetakelte Harpyie. Wenn man ihre Mutter wäre, könnte man sagen: Also verstecke ich mich im ersten Taxi, das kommt, überrede den Chauffeur, bei einem Baskin-Robbins zu halten, während ich einen Liter Pistazieneis kaufe, und dann fahren wir zur Westseite des Central Parks zurück. Ich werde doch arbeiten. Beim Kampf zwischen Kate und Fotze zieht Kate nicht unbedingt den kürzeren.
Der Schlüssel läßt sich nicht drehen. Herzklopfen. Das Blut gefriert mir in den Adern. Natürlich läßt sich der Schlüssel nicht drehen: die Schlösser sind allesamt offen! Mit was für einem Schock stellt Manhattan mich jetzt auf die Probe? Drogensüchtiger Fassadenkletterer
vergewaltigt bekannte Drehbuchautorin. Soll ich den Fahrstuhlmenschen rufen? «Kate, bist du es?» «Jamie, du bist schon da? Du hast vergessen, die Tür abzuschließen.» «Wirklich? Tut mir leid.» Jamie kommt aus der Küche. Ich bin mir nie ganz sicher, ob er für mich noch genauso aussieht wie vorher. Wenn wir länger als einen Tag getrennt sind, muß ich mich erst wieder an sein Gesicht gewöhnen. War das schon früher so, oder ist es erst, seit ich angefangen habe, alle möglichen andern Gesichter zu küssen? Ja, tatsächlich, sein Gesicht ist merkwürdig verändert - gespannt, maskiert. Nun stellt es sich langsam auf mich ein. Er gibt mir einen Kuß. Vielleicht sind wir zuviel getrennt. Ich glaube, er hat Angst, daß jemand einen Teil von mir stiehlt und er dann allein auf der Strecke bleibt. «Ich habe nicht gedacht, daß du so schnell aus Paris zurück bist», sagt Jamie. «Und ich habe mit dir auch nicht gerechnet, Jamie. Du hattest doch gesagt, zwei Tage in Albany - mindestens. Ich bin gestern abend zurückgekommen. Nimm mich in die Arme, Jamie. Fester. Fester.» Dies ist der schlimme Teil. Mich mit all den Gerüchen von Michael und mir in Jamies Arme zu werfen. So werde ich nie erwischt. Ich bin zu bedacht, zu vorsichtig. Daß ich gern fremdgehe, bedeutet noch lange nicht, daß ich ein herzloses Biest bin. Ich liebe Jamie. Ich beschütze ihn. Ich nehme an, mir ist nichts anzusehen. Jetzt ist sein Gesicht vertrauter, ein warmes, starkes, eckiges Gesicht mit graugrünen Augen und einem weichen Mund, vielleicht verletzlich oder einfach sinnlich, und die aschblonden Löckchen, die langsam ergrauen, schütter werden, wie er felsenfest meint, und jetzt länger sind als früher, sich über dem Kragen und über den Ohren ringeln. Ich muß unbedingt in die Badewanne und die Spuren des nachmittäglichen Orkans wegschrubben. Jamie kommt mir nach. Ich rede zuviel, aber es scheint ihm nicht aufzufallen. «Denen gefällt das Amazonendrehbuch so sehr, daß sie tausend Änderungen verlangen. War ja vorauszusehen. Der neue Regisseur möchte mehr action, mehr Saft. Ryder Meade möchte Motive, einen neuen Schluß.» Das Badezimmer füllt sich mit Dampf, der Gerüche, Röte, Schrammen, zerrissene Unterwäsche, was auch immer verhüllt ... ich hoffe, alles. «Kate, was machst du denn?» Jamie dreht das kalte Wasser auf. «Willst du, daß sich die Tapeten von den Wänden lösen?»
«Entschuldige.» Er sitzt da und schaut mir zu, wie er es immer tut. Ich muß mich jetzt ausziehen. Verdammt. Siehst du, Kate, Fremdgehen ist doch nicht so einfach. «Also, wo waren wir stehengeblieben?» «Sie wollen einen neuen Schluß.» «Kaum zu glauben, Billy Hutch gefällt mein Schluß - aber er möchte einen weniger sentimentalen Anfang. Sie haben Dory Previn für ein paar lyrische Schnulzentexte verpflichtet.» Ich hätte duschen sollen, statt zu baden. Beim Duschen zieht man den Vorhang zu. Vielleicht hilft ein bißchen Badeschaum, daß ich mich nicht so ausgesetzt fühle. Schaum. Schaum schlagen. Ich dresche auf das Wasser ein wie eine Verrückte, um Schaum zu schlagen. «Du mußt erst das Vitabad reintun und dann Wasser zulaufen lassen, Kate.» «Ich weiß. Ich weiß. Ich hatte es vergessen. Oh, Jamie, ich kann diese ewigen Verhandlungen mit den Filmleuten nicht ausstehen! Das ist jedesmal so, als unterzögest du dich einer Verhaltensdressur. Zuerst machen sie dich ganz klein ... dann muntern sie dich liebevoll auf, und dann ... dann treten sie dir auf die Finger. Weißt du, ich komme mir irgendwie vergewaltigt vor, ausgeplündert, selbst wenn ich mich durchsetze. Ich schreie sie an und reagiere bissig. Aber ich mag nicht schreien. Und ich finde es widerlich, wenn ich mich so brutal reden höre. Meist endet es damit, daß alle sagen:
sehen können. «Ich habe das Script wieder mitgebracht, um die Änderungen zu machen. Ich bin sofort zurückgekommen, weil sie bei Cinema Adventures angeblich vorhaben, eine zeitgemäße Version von A Star Is Born zu drehen, und außerdem wollte ich mein Silikon nicht versäumen.» Jamie runzelt die Stirn. Ich bin verliebt in Silikon. Dr. Orentreich zaubert meine häßlichen kleinen Runzeln mit flüssigem Silikon weg. Vollkommen in Ordnung. Ethisch absolut einwandfrei. Ein Uberbrückungsmanöver bis zur großen Generalüberholung, der ich mich demnächst bei einem diskreten und geschickten kosmetischen Chirurgen in der Schweiz unterziehen muß. Katherine Alexander ist achtunddreißig. Merkt euch, sie ist achtunddreißig und geht auf die Achtunddreißig. Gemein, was für ein Zahlengedächtnis sie haben. Können sie nicht einfach sagen, Kate Alexander sieht aus wie zweiunddreißig und keinen Tag älter? Fühlen Sie den Oberschenkel hier, meine Herren. Fühlen Sie diesen festen seidigen Po. Fühlt sich nicht älter an als bei einer wollüstigen Fünfundzwanzigjährigen. Jamie schätzt dieses Thema nicht. Er mag nichts von Alterspanik, kein Geschwätz von Falten hören. Ich glaube, dann und wann bemerkt er einen winzigen Makel, aber ich müßte ja dumm sein, wenn ich mich in einen wandelnden Nonstop-Katalog wahrer und eingebildeter Phänomene des Dahinwelkens verwandelte. Anfangs wollte er nichts von Silikon wissen, aber inzwischen versteht er ... Er toleriert es ... skeptisch. Jamie legt sich auf mich und umarmt mich, als wären wir nicht nur Tage, sondern mehrere Monate lang getrennt gewesen. Ich mag es gern, wenn ich seinen Bauch und seinen ruhenden Schwanz spüre. Ich dränge mich an ihn. Ich mag es gern, wenn wir uns gegenseitig aufgeilen. «Wir spielen nie mehr miteinander», sage ich vorwurfsvoll. «Weißt du noch, wie ich dich manchmal im Büro angerufen und dich so scharf gemacht habe, bis es dir kam?» «Ummmh.» In meine Schulter. «Und du mußtest immer deinen alten zerschlissenen Regenmantel anziehen, für alle Fälle. Es gehört sich schließlich nicht, dauernd eine Erektion zu haben.» Vielleicht bin ich unheilbar pubertär. Ich mag es, wenn der Mann, mit dem ich zusammen bin, sich im Fahrstuhl einen an mir hochreibt oder mich in einen Eingang schiebt- köstliche Verzweiflung, wir wissen nicht, wo wir hingehen sollen, können nicht mehr warten. Im Taxi spielen. Er verschränkt im Kino die Arme und preßt
die eine Hand heimlich auf meine Brust. Jamie und ich waren ganz wild auf solche Spiele. Was ist passiert? Ich nehme an, es ist folgendes: Man kann einen Fremden auf die Folter spannen und quälen, man kann einem Liebhaber, der einem weh getan hat, weh tun. Dann verliebt man sich, die große Liebe bricht aus, und plötzlich ist man nicht mehr zornig oder ängstlich oder bedroht oder unsicher. Also zieht man sich jeden Abend ordentlich aus und kriecht ins Bett. «Ich konnte nirgendwo was zu essen finden», sagt Jamie. «Ißt du denn nie etwas, wenn ich verreist bin?» «Ich wollte mir mal so richtig den Bauch mit Eiscreme vollschlagen. Pistazie. Willst du was abhaben? Und vom letzten Wochenende muß noch Kaviar dasein - ganz hinten im Kühlschrank. Und wir müssen auch noch saure Sahne haben. Wie wär's mit einem Kaviaromelett? Und in der Tiefkühltruhe ist selbstgebackenes Brot.» «Du weißt doch, daß ich kein Brot essen soll. Und die saure Sahne habe ich gerade aufgegessen.» «Kannst du dich noch an die guten alten Zeiten erinnern, als wir all das herrliche Brot gegessen haben?» Kein Mensch dachte an die schlanke Linie. Bäuche. Rettungsringe. Nackenspeck. Nein, wir dachten nur an banale Dinge. Hypotheken. Fehlgeburten. Oder ob Maggy Narben von den Windpocken zurückbehalten würde ... «Weißt du noch, wie wir freitagsabends immer Pizza gegessen haben, wenn wir nach Fire Island fuhren? Wann haben wir das letzte Mal Pizza gegessen? Mein Gott, Pizza.» Ich sehe ihn an. Früher hat er sich nie Sorgen darum gemacht, was er essen soll und was nicht. «Du hast doch nicht etwa ein Verhältnis, Jamie?» frage ich. Aber ich weiß die Antwort schon im voraus. Er hat keines. Jamie ist ein schlechter Lügner. Wenn er ein Verhältnis hätte, würde ich es gemerkt haben. Trotzdem muß ich fragen. Wenn man selbst so viel lügt, traut man keinem Menschen mehr richtig. Er lacht. «Du weißt doch, daß ich kein Verhältnis habe.» «Es gibt ein paar verdächtige Anzeichen. Du achtest neuerdings ständig aufs Essen. Und du stellst irgend etwas mit deinem Haar an, was du sonst nicht gemacht hast. Als du das letzte Mal ein Verhältnis hattest, hab ich es daran gemerkt, daß du plötzlich aufgehört hast, Zigarren zu rauchen.» «Stören dich meine Zigarren?» Seine Zigarren störten «sie»: Audrey. Über dieses schreckliche Kapi-
tel reden wir nie. Traurig, was man alles für eine Geliebte oder einen Liebhaber aufgibt, aber nie für den geliebten Partner ... Zigarren, ausgeleierte Unterwäsche, schäbige Nachthemden. Audrey war sehr moralisch. Sie wollte nicht mit einem verheirateten Mann ins Bett gehen, es sei denn, er trennte sich von seiner Frau. «Was ist los mit euch beiden?» hatte ich ihn heulend gefragt. «Alle Leute benehmen sich wie erwachsene Menschen, wenn sie mal fremdgehen. Kein normaler Mensch läuft herum und macht Familien kaputt.» Das war das einzige Mal bei Jamie. Nehme ich an. Man kann nie wissen. Trotzdem finde ich, daß Jamie es sagen muß. «Du siehst gut aus, wenn du deine Zigarre rauchst», sagte ich. «Hör mal.» Er steht auf. «Wir haben ein ganzes langes Wochenende vor uns. Laß uns rausfahren an den Strand. Wir essen unterwegs eine Pizza. Ich packe jetzt schon den Koffer für Aspen, und du setzt mich am Montagmorgen einfach am Flughafen ab.» Jamie fährt zu einem Seminar über Atomarchitektur am Aspen Institute. Hat irgend etwas mit der Mittelpunktstadt im Atomzeitalter zu tun. Danach hat er eine Arbeitstagung in Berkeley. Ich freue mich für ihn, ehrlich. Sogar Unterrichten wäre besser, als für diese hoffnungslose Stadt zu arbeiten. Und er hatte sich mit so ansteckender Begeisterung in die Stadtplanung gestürzt. Jetzt wird ihm langsam klar, daß kein Mensch daran denkt, auch nur eine von den Ideen zu verwirklichen, an denen sie jahrelang gearbeitet haben. Selbst die Flächennutzungspläne sind vorläufig auf Eis gelegt. Aber er wird den größten Teil des Monats fort sein. Ich könnte ihn wahrscheinlich in Berkeley besuchen, wenn ich gut mit meiner Arbeit vorankäme. Verrückt, wie mich der Gedanke an seine Reise deprimiert. Ich habe Angst. Ich verreise dauernd, aber ich mag es nicht, wenn Jamie verreist. Er ist noch nie so lange fort gewesen. Es sei denn, man rechnet die sechs Monate vor vier Jahren mit, als er bei Audrey gewohnt hat, weil die so moralisch war. Und ich kann Audrey im Grunde genommen nicht einmal einen Vorwurf machen - außer wegen ihrer Fickmoral. Sie tauchte nämlich zufällig genau in dem Jahr unserer großen Ernüchterung auf. Deutsch von Jürgen Abel
Welch eine Nacht! Ihr Götter und Göttinnen! Wie Rosen war das Bett! Da hingen wir Zusammen im Feuer und wollten in Wonnen zerrinnen. Und aus den Lippen flossen dort und hier, Verirrend sich, unsre Seelen in unsere Seelen. Petronius Arbiter
Lieben muß man, rasend lieben, ohne dabei zu sehen, was man liebt. Denn Sehen bedeutet Verstehen, und Verstehen bedeutet Verachten. Man muß so lieben, daß man sich an der Liebe berauscht, derart, daß man nicht mehr weiß, was man trinkt. Und trinken, trinken, trinken, ohne Atem zu schöpfen, Tag und Nacht! Guy de Maupassant
Regine Deforges
Made in Hongkong Wenn du wüßtest, was das ist, You, Eine Französin. So zartSanft an der Hand und sanft die Stimme. Und Feuer ... wie ein Edelstein. P. J. Toulet: (Princes de la Chine)
«Cartes.» Die heisere Stimme von Jeanne kam dem Spielbankdirektor diesmal noch belegter vor als sonst. Schon lange stand er hinter ihr und sah zu, wie sie verlor. Was würde ihr Ehemann, der Minister, dazu sagen, wenn er von ihm das Geld zurückverlangen würde, das er seiner Frau geliehen hatte? Bei diesem Gedanken verzogen sich die dünnen Lippen von Monsieur Georges, wie ihn die Angestellten nannten, zu einem boshaften Lächeln. Er war ein auffallend großer Mann, fast mager, und von ausgesuchter Eleganz, die allerdings in ihrer Perfektion eine Spur zu übertrieben war und so auf eine gewisse Gewöhnlichkeit schließen ließ. Er hätte verführerisch aussehen können ohne diese dicken Killerhände und diesen harten Blick, der nur milder wurde, wenn er eine Bosheit im Schilde führte. Im Augenblick wanderten seine Augen von den sorgfältig manikürten zarten Händen, deren Bewegungen einen herrlichen Saphir und die Diamanten eines Eherings funkeln ließen, zu den Schultern, deren Blöße ein Abendkleid aus dunkelrotem Taft nicht verbarg. Die schönen Hände ließen müde die Karten fallen. Jeanne sah sich verwirrt um. Sie war verrückt. Innerhalb weniger Stunden hatte sie mehr als 20000 Francs verloren. Am Vorabend hatte sie ebensoviel verloren, am Abend davor auch ... Wieviel schuldete sie Georges? Sie verbot es ihrem Verstand, sich die genaue Zahl zu vergegenwärtigen. Was sollte sie nur tun, um eine so beträchtliche Summe zurückzuzahlen? Unmöglich, mit Jacques darüber zu sprechen, der es satt hatte, ihre Spielschulden zu bezahlen und mit Scheidung gedroht hatte, falls so
etwas sich wiederholen sollte. Sie wußte, daß er die Drohung diesmal wahrmachen würde. Obwohl erst seit kurzem Minister, würde er sein Wort halten. Er würde es vorziehen, wieder ein gewöhnlicher Abgeordneter zu werden, statt weiter ein Vermögen zu verschleudern, das schon nichts weiter mehr als ein Mythos war. Beim Klang von Georges' Stimme, als er ihr die Summe lieh, die sie gerade verloren hatte, war ihr klargeworden, daß sie von ihm nichts mehr zu erwarten hatte. Sollte sie ihre Freunde bitten? Kam nicht in Frage. Denen schuldete sie schon zu viel! Diesmal war es wirklich aus, sie würde niemals mehr spielen! Sie nahm ihr Perlentäschchen, ihr Feuerzeug, ihre Zigaretten und erhob sich schwerfällig. Ihr Körper schien ihr schwer, wie zerschlagen. Sie stieß gegen Georges, der zurücktrat, um sie vorbeizulassen. «Ich möchte Sie sprechen. Würden Sie mit mir in mein Büro kommen?» Jeanne stimmte zu und folgte ihm durch die Spielsäle. «Faites vos jeux, Messieurs, faites vos jeux ...» «Rien ne vaplus.» «Le six gagne.» Ich hätte wohl besser Roulette spielen sollen, dachte Jeanne. Georges zog einen Schlüssel aus seiner Tasche und öffnete eine Tür, die mit grünem Leder gepolstert war. «Kommen Sie. Setzen Sie sich! Was möchten Sie trinken? Whisky, Champagner, Porto?» «Champagner, bitte.» «Mögen Sie roten Champagner? Ich habe einen ausgezeichneten da.» Er nahm eine Flasche aus einem Kühlschrank, der hinter falschen Buchrücken verborgen war, und stellte zwei Gläser auf ein Tablett, das er auf einer Ecke des Schreibtischs absetzte. Der Lärm des Korkens ließ Jeanne hochschrecken, die wieder in ihre finstersten Gedanken versunken war. Er schenkte ein. Ein wenig Schaum lief an den Gläsern herunter. Er reichte eines Jeanne, die es in einem Zuge austrank. Wieder schenkte er ihr ein Glas ein und trank seines langsam aus, während er Platz hinter seinem Schreibtisch nahm. Sein Gesicht hatte einen ausgesprochen verdrießlichen Ausdruck. «Sie wollten mich sprechen?» fragte Jeanne und setzte sich in einen der beiden Sessel. «Ja. Ich bin zur Zeit in einer sehr mißlichen Lage. Sie schulden mir 150000 Francs. Dieses Geld brauche ich unbedingt.»
«Aber ich verfüge nicht über eine solche Summe!» «Fragen Sie doch Ihren Mann ...» «Sie wissen besser als irgend jemand, daß mein Mann mir verboten hat zu spielen und daß er sich weigern wird zu zahlen.» «Es wird ihm aber kaum etwas anderes übrigbleiben.» Jeanne stand zornig auf. «Meine verehrte Madame, fassen Sie es nicht so auf. Ich brauche dieses Geld. Sie müssen es mir zurückgeben.» Jeanne setzte sich wieder hin. Sie war den Tränen nahe. «Das ist unmöglich. Und Sie wissen es genau!» «Verkaufen Sie doch Ihren Schmuck.» «Das ist schon geschehen. Womit, glauben Sie wohl, habe ich jedesmal meine Schulden bei Ihnen bezahlt?» «Und dieser Ring?» «Er gehörte Jacques' Mutter. Er bedeutet ihm viel.» «Ich bin untröstlich, aber ich muß Ihren Gatten anrufen.» Georges zog ein Telefonverzeichnis zu Rate, hob den Hörer ab und wählte eine Nummer. «Lassen Sie das!» Man hörte, wie es läutete. «Ich flehe Sie an, hören Sie auf, ich werde alles tun, was Sie wollen.» Gemächlich legte Georges den Hörer auf und betrachtete Jeanne, die aufrecht und sehr blaß vor ihm stand. Mit den Händen stützte sie sich auf den Schreibtisch. Sie war eine der schönsten Frauen, die er jemals gesehen hatte. Mit herrlichen Haaren von einem warmen, fast rötlichen Blond, mit leuchtend grünen Augen, einem Gesicht, dessen Oval vollkommen war, einem Kinn, das ein Grübchen zierte, einer makellosen Nase, einem Mund, der den Männern Lust machte, hineinzubeißen, einem Körper mit üppigem Busen, den lange Beine mit Knöcheln von der Schlankheit eines Vollbluts trugen. Und dazu war ihr ein so distinguiertes Benehmen eigen, eine wache Intelligenz und Humor, Eigenschaften, die Jeanne zu einer der gefragtesten Damen von Paris machten. Als Abkömmling einer alten protestantischen Familie aus der Vendee hatte sie von ihrem Vater diese Lust am Spielen geerbt, die ihre Kindheit vergiftet, ihre Mutter um Hab und Gut gebracht und mit dem Selbstmord des Vaters geendet hatte. Sie spielte, wie man Rauschgift nimmt, ohne Rücksicht auf sich selbst zu nehmen. Jahrelang war es ihr verboten worden, aber ihre Leidenschaft trieb sie bis in Spielhöllen oder
die Nebenzimmer von Cafes. Als sie eines Tages, ohne es zu wollen, eine Schlägerei provoziert hatte, war sie ernsthaft durch einen Messerstich verletzt worden. Das heilte sie vom Pokerspiel in Gesellschaft der Strolche aus den Bistrots, aber nicht vom Spiel. Als sie aus dem Krankenhaus entlassen wurde und ihr Spielverbot abgelaufen war, kehrte sie zu den Spieltischen der Casinos und Clubs zurück. Trotz der Liebe zu ihrem Mann und ihren Versprechungen, niemals wieder eine Karte zu berühren, gelang es ihr nicht, sich von diesem «kostspieligen Laster» zu befreien, wie es ihre Mutter nannte. Das alles war Georges bekannt. Einmal hatte sie ihn voller Verachtung zurückgestoßen, als er ihr zu verstehen gab, daß es mehrere Möglichkeiten gab, ihre Schulden zu bezahlen. Von diesem Tag an hatte er sich geschworen, sich zu rächen. «Ich habe einen Auftrag, mit dem ich Sie betrauen möchte. Wenn Sie ihn annehmen, gebe ich Ihnen alle Papiere wieder, die Sie unterzeichnet haben.» «Worum geht es? Soll ich Drogen befördern?» Jeanne hatte das in einem so verächtlichen Ton gesagt, daß es Georges schwerfiel, die Fassung zu bewahren. «Sie haben aber eine sehr schlechte Meinung von mir, verehrte Madame. Es geht nicht um Drogen. Aber sprechen wir nicht mehr darüber ...» Er streckte die Hand nach dem Telefon aus. «Bitte, verzeihen Sie mir, ich bin müde, ich weiß nicht mehr, was ich sage. Worum geht es denn?» «Es geht darum, Dokumente zu überbringen. O nein! Nichts Geheimes. Aber es ist mir wichtig, daß sie in die richtigen Hände kommen, vor Ihren Augen unterschrieben und von Ihnen zurückgebracht werden.» «Wo muß ich hin?» «Nach Hongkong.» «Nach Hongkong? Aber das ist ja am Ende der Welt...» «Sie werden Ihrem Gatten sagen, daß Madame Wong, Ihre Freundin, die Antiquitätenhändlerin, sich aus gesundheitlichen Gründen nicht nach Hongkong begeben kann und daß sie Sie gebeten hat, an Ihrer Stelle hinzufahren.» «Sie haben an alles gedacht!» «Ja. An alles. Kennen Sie Hongkong? Nein? Ich auch nicht. Nach dem, was man hört, soll es eine merkwürdige Stadt sein.»
«Wann soll ich abreisen?» «Oh ... Nächste Woche. Am Dienstag, zum Beispiel. Ist das recht? Sehr gut. Ich werde Ihnen Ihr Ticket zustellen lassen. In dieser Jahreszeit ist es sehr mild in Hongkong.»
«Anläßlich eines Ihrer Aufenthalte in Paris haben Sie den Wunsch geäußert, daß die Verträge Ihnen von einer reizenden jungen Frau überbracht werden sollten. Ich habe eine meiner Freundinnen mit dieser Aufgabe betraut. Sie ist bezaubernd, blond und sehr elegant. Ihr einziger Fehler ist ein maßloser Spieltrieb. Ich hoffe, daß sie Ihnen gefallen wird. Sie steht ganz zu Ihrer Verfügung. Eintreffen wird sie am ...» Lotus, eine sehr junge und sehr schöne Chinesin, die gänzlich nackt auf einigen Kissen saß, legte den Brief auf ihre Knie und wartete auf eine Antwort von dem Mann, dem sie ihn vorgelesen hatte. Es war schwierig, sich etwas Monströseres vorzustellen als diesen Chinesen, dessen enorme Körperfülle über einen niedrigen Diwan ausgebreitet war und von zwei hübschen Thailänderinnen mit nacktem Oberkörper massiert wurde. Er mußte an die 200 Kilo wiegen. Unter den kundigen Fingern der Mädchen stieß er leise Grunzlaute des Behagens aus. Er lachte so laut auf, daß die junge Chinesin hochsprang. «Georges ist zu allem fähig, um ein Abkommen zu schließen. Wenn diese Frau so schön ist, wie er vorgibt, werde ich mich gut amüsieren. Was meinst du dazu, Lotus?» «Ich dachte, daß Ihnen die weißen Frauen nicht gefielen ...» «Das stimmt. Aber diese hier ist außergewöhnlich, wie es scheint. Sogar Tchou, der sie bei Georges gesehen hat, hat mir nur das Allerbeste von ihr erzählt... Vielleicht schafft sie es, mir eine Kraft wiederzugeben, die du nicht einmal wiedererwecken kannst, du Hündin!» Er warf eine herrliche Vase nach ihr, die neben ihm auf einem niedrigen Tisch gestanden hatte. Die Vase zerbrach vor Lotus' Füßen, ohne daß sie sie getroffen hatte. Mit einer Bewegung seiner Schultern stieß er die Mädchen zurück, die mit ihrer Massage aufhörten. Sie hoben ein prächtiges Seidenkleid vom Boden auf und bedeckten Truong damit. Lotus ging zu ihm, schmiegte sich an ihn und rieb sich an seinem Körper wie ein junges Tier. Sie erschien winzig neben diesem Fleischberg. «Meister, ich habe eine Überraschung für Sie ... Heute abend werde ich Ihnen ein Stück bringen, das noch in Ihrer Sammlung fehlt.»
Truongs Gesicht leuchtete auf. «Das ist aber eine erfreuliche Nachricht.» Dann stieß er das junge Mädchen zornig von sich, so daß sie auf die Kissen fiel. «Närrin, wenn du es mir vorher sagst, ist es keine Überraschung mehr!» Er verließ das Zimmer, wobei er das bestickte Seidenkleid um die Wülste seines Körpers in Falten legte.
Lotus nahm den Star Ferry nach Kowloon, dann den Doppeldeckertrolleybus zur Salisbury Road und stieg an der Jordan Road aus. Sie trug die Hose und den Rock aus schwarzer Baumwolle, wie ihn die alten armen Frauen von Aberdeen und von Repulse Bay tragen. Aber an ihrem Körper sah dieses einfache und rein zweckbestimmte Kleidungsstück so aus, als ob es von einem der Couturiers des Mandarin oder des Peninsula kreiert worden wäre. Sie ging auf die Nanking Street zu und bog dann in die Reclamation Street ein. Das war eine kleine, sehr belebte Straße, wo die Tische der Restaurants draußen gedeckt waren, wo es Obsthändler gab, eine große Eisenwarenhandlung, eine Boutique, die Flitterzeug feilbot, einen Schneider, der sein Handwerk im Freien ausübte, eine chinesische Apotheke und ein Antiquitätengeschäft, dessen Schaufenster mit vergoldeten Buddhas, Prozellangöttern, mit Perlmutt verzierten spanischen Wänden, Jadearmbändern, Mandarinroben und Fächern vollgestopft war. Lotus stieß die schmale Tür auf und fand sich zwischen zwei Mauern wieder, an denen allerhand wunderliche Gegenstände hingen, die in dem Halbdunkel golden glitzerten. Hinter einer dieser Mauern kam ein sehr alter Mann hervor, der ein langes graues, altmodisches Kleid trug. Er verneigte sich mehrmals. Seine Hände, die sehr mager waren, beschrieben komplizierte Arabesken. Er sprach sehr schnell, wobei er den Kopf schüttelte oder lächelte und dabei einen zahnlosen Kiefer sehen ließ. Er holte ein langes rotlackiertes Kästchen, das mit schwarzer Seide ausgelegt war, auf der ein herrlicher Olisbos aus Jade ruhte. Lotus nahm den Gegenstand aus seinem Schrein und betrachtete ihn lange. «Er ist wirklich sehr schön.» Der alte Mann lachte vor Vergnügen. «Das ist ein einzigartiges Stück und wäre es wert, in einem der bedeutendsten Museen der Welt zu liegen. Wahrscheinlich hat es einer unserer Kaiserinnen gehört. Ich habe es vor zwei Tagen aus Peking
erhalten. Der amerikanische Botschafter, der französische Kulturattache und sogar Sir Stephan, der Vetter der Königin, haben mir ein Vermögen geboten. Aber für mich bedeutet es eine Ehre, es meinem hochverehrten Landsmann, Monsieur Truong, zu verkaufen.» Lotus zog ein Bündel amerikanischer Dollars aus ihrer Hosentasche. Der alte Mann griff danach, zählte sie kopfschüttelnd und kicherte zufrieden. Dann schob er sie in einen seiner weiten Ärmel. «In Ordnung», sagte er und packte das Kästchen ein, das er Lotus übergab.
Jeanne war sehr beeindruckt von der Landung auf der Piste des Flughafens von Hongkong, und erleichtert setzte sie ihren Fuß auf chinesischen Boden. Viele Männer sahen sich nach ihr um und musterten ganz offensichtlich die Reize der jungen Frau. Ein Chinese in der Uniform eines herrschaftlichen Chauffeurs, den ein Zollbeamter begleitete, verneigte sich vor ihr. «Madame Robert Descarpes?» «Ja, das bin ich.» «Ich bin der Chauffeur von Monsieur Truong, er hat mich hierher geschickt, um Sie abzuholen. Das hier ist Monsieur Cheong, dem wir es zu verdanken haben, daß die Zollformalitäten vereinfacht sein werden.» Der Zollbeamte sagte zu dem Chauffeur einige Worte auf chinesisch und gab ihm ein Zeichen, daß er folgen solle. Jeanne erhielt ihr Gepäck in Rekordzeit zurück und fand sich dann in einem prächtigen Rolls neuesten Modells wieder. Sie betrachtete diese Stadt, die ihr unbekannt war, wo die zierlichen chinesischen Schriftzeichen der gewöhnlichsten aller Fassaden etwas Festliches gaben. Sie durchfuhren den Tunnel und überquerten Causeway Bay. Der Verkehr war sehr stark, und eine dichtgedrängte Menge wanderte auf den Bürgersteigen zu Füßen der Wolkenkratzer herum. Dann ging es flüssiger voran. Sie fuhren über die breiten, ansteigenden Alleen an prächtigen Gebäuden und Gärten -vorbei. Bald sahen sie auf die Bucht von Hongkong. Jeanne war sofort hingerissen von soviel Schönheit. Der Wagen kletterte weiter und hielt vor einem breiten Portal aus dunkelgrünem Holz, über dem ein Vordach aus Keramikziegeln im alten chinesischen Stil angebracht war. Das Portal öffnete sich, der Wagen fuhr noch etwas weiter an Hibiskushek-
ken entlang und hielt vor einem unglaublich großen Haus mit grünen Schieferdächern, auf denen Drachen Wache zu halten schienen. Lotus, die in eine Art Pyjama aus roter und schwarzer Seide gekleidet war, wartete auf den Treppenstufen. Sie war von drei Dienerinnen in rosafarbenen Pyjamas begleitet. Der Chauffeur öffnete die Tür. Jeanne stieg aus und sah sich um. Lotus trat zu ihr und verneigte sich. «Die Ehrenwerte Madame Robert Descarpes?» Jeanne lächelte. «Ja, ich bin die Ehrenwerte Madame Descarpes, aber mein Vorname ist Jeanne.» «Wenn Madame Jeanne Descarpes mir bitte zu Ihrem Zimmer folgen will, wo sie sich ausruhen kann. Monsieur Truong, mein Herr, läßt Sie fragen, ob Sie ihm die Ehre erweisen wollen, heute abend mit ihm zu speisen?»
Ein Gang folgte dem andern, einer köstlicher als der andere. Jeanne, die eine Feinschmeckerin war, hatte fast vergessen, welch abstoßender Anblick ihr Gastgeber bot, dessen weißer Smoking die monströse Körperfülle noch mehr zur Geltung brachte. «Ihr Koch ist ein sehr bemerkenswerter Meister seines Fachs.» «Was für ein Kompliment aus dem Munde einer Französin, und ganz besonders von Ihnen, verehrte Madame, denn ich vermute, daß Sie in allen Dingen einen verwöhnten Geschmack haben ...» Jeanne hatte, um sich Mut zu machen, viel getrunken. Ihre Augen glänzten unnatürlich. Sie war sehr schön. Ein langes, hautenges Kleid aus rotem Satin, das vorne ausgeschnitten war, ließ ihren anmutigen Körper zur Geltung kommen. Träumerisch und herausfordernd zugleich sah sie Truong in die Augen und sagte: «Ja, ich liebe alles, was selten und kostbar ist, die Dinge und die Augenblicke.» «Da bin ich ganz Ihrer Ansicht. Ich besitze eine sehr schöne Sammlung. Würde es Ihnen Spaß machen, sie sich anzusehen? Sie ist einzigartig auf der Welt. Gerade heute nachmittag habe ich ein äußerst seltenes Stück erhalten.» «Mit Vergnügen.» Truong erhob sich und gab dem Dienstboten ein Zeichen. Dieser half Jeanne, sich zu erheben. Sie folgte dem dicken Chinesen bis zu einem
Raum, dessen Eingang ein schwarzer Vorhang verbarg, hinter dem sich eine gepanzerte Tür öffnete, wie die Tür eines Panzerschranks. Truong trat zurück, um Jeanne den Vortritt zu lassen. Der Raum, den sie betrat, war dunkel. Nach und nach wurde am anderen Ende des Saales, angestrahlt von einem Licht, das vom Boden kam, ein herrlicher vergoldeter Buddha sichtbar, der eine sanfte Weisheit ausstrahlte. Seine Schönheit beschwichtigte Jeannes Befürchtungen. Plötzlich ging rechts ein Scheinwerfer an und beleuchtete einen mittelgroßen Olisbos aus Amethyst, während links ein männliches Glied aus geschliffenem Elfenbein auftauchte, dessen Sockel aus einer Verflechtung weiblicher Körper bestand. Er war von eindrucksvoller Größe. Einer, aus Koralle, bestand nur aus einer Spitze. Einer, aus dunklem Ebenholz, sah drohend aus. Einer, aus Silber, trug, seltsamerweise, eine Erdkugel. Ein anderer, aus Gold, endete in Nadeln ... Jeder Scheinwerfer ließ, wenn er aufleuchtete, ein Meisterwerk der erotischen Kunst sichtbar werden. Jeanne, die ganz entzückt war, betrachtete schweigend diese kostbaren Darstellungen des männlichen Phallus. Sie war umgeben von Olisbos aus allen Materialien - gab es nicht, unter all diesen Schätzen, einen schlichten Phallus aus geflochtenem Stroh? - und in allen Größen. Jeanne ging von einem zum andern, wobei sie eine Erregung verspürte, die sie zu unterdrücken versuchte. «Hier ist meine letzte Errungenschaft», sagte Truong und zeigte ihr den Olisbos aus Jade, der auf einem Sockel vor einem Schrein stand. «Wie wunderschön! Wo kommen diese herrlichen Dinge her?» «Aus China, hauptsächlich. Nur ein Volk von einem hohen Grad an Kultur und einem ausgeprägten Sinn für das Raffinement hat dergleichen hervorbringen können. Gleichwohl kommen einige dieser Gegenstände aus Afrika, Ägypten und dem antiken Rom, aus Indien und Japan. Fast alle sind benutzt worden», fügte er hinzu und sah Jeanne in die Augen. «Alle ...» sagte sie und streichelte mechanisch einen Phallus von riesiger Größe. «Fast alle, und besonders dieser hier», entgegnete er und berührte ihn leicht mit seiner unförmigen Hand, deren Finger seltsam fein geformt waren. Sie sahen sich schweigend an, ohne darin innezuhalten, den beeindruckenden Gegenstand zu streicheln. Truong brach als erster das Schweigen.
«Die hier hat man gebraucht, um Mädchen, die zu eng waren, weiter zu machen. Die da dienten dazu, ehebrecherische Frauen zu bestrafen.» Er zeigte eine Reihe von Olisbos, die unauffällig aussahen und eher mittelgroß waren. Er nahm einen davon und ließ mit einer Handbewegung scharfe Stacheln herausstoßen. Jeanne wich vor dem grausamen Lächeln des dicken Chinesen zurück. «Sie werden müde sein. Ich werde Sie zu Ihrem Zimmer bringen lassen. Wir werden uns morgen wiedersehen, schlafen Sie gut. Ich werde Lotus rufen.» Er küßte ihr die Hand und sah ihr nach, wie sie sich in der Begleitung der jungen Chinesin entfernte.
In ihrem behaglichen Zimmer, das nichts Asiatisches hatte, erwarteten sie zwei junge Dienerinnen, um ihr beim Auskleiden zu helfen. Müde, wie sie war, ließ Jeanne das gleichgültig über sich ergehen. «Sie sind ebenso schön, wie der Brief von Monsieur Georges es erwarten ließ.» Jeanne wandte sich um und lächelte. «Sie sind auch sehr schön. Wer sind Sie?» Lotus gab den Dienerinnen ein Zeichen, den Raum zu verlassen, und reichte Jeanne einen reichbestickten Kimono. Sie kniete sich hin, bevor sie zu sprechen begann. «Ich bin die Geliebte von Monsieur Truong und seine Sklavin. Er hat mich von meinen Eltern gekauft, als ich zehn Jahre alt war. Er versucht gerne an mir seine Olisbos aus ... Mit einem von denen hat er mich entjungfert, einige Tage nachdem er mich gekauft hatte.» «Hassen Sie ihn?» «Nein ... Warum?» Jeanne zog Lotus' Gesicht gegen das ihre und küßte sie leicht auf den Mund. «Laß mich. Ich bin müde.» Lotus erhob sich, scheinbar bedauernd, und wandte sich langsam der Tür zu. Am nächsten Morgen nahmen Truong und Jeanne ihr Frühstück auf einer Terrasse ein, von der aus man die Bucht überblicken konnte. Sie waren eingehüllt in lange Mandarinroben von lebhaften Farben. Neben
ihnen, auf einem Tisch, lagen die Verträge, die er in Jeannes Anwesenheit unterzeichnen sollte. «Damit werden wir uns später befassen. Sie müssen Hongkong besichtigen, das Sung Dynasty Village, das 960 gegründet wurde, das Lin Yan-Kloster auf der Insel Lantau, die New Territories. Sie müssen eine Inselrundfahrt an Bord meines Schiffs machen, in der Humphrey's Avenue den bedeutendsten Perlenhändler von Hongkong, meinen Freund Chow, besuchen, nach Macao zum Spielen fahren ...» «Ich will nicht spielen», schnitt Jeanne ihm kurz das Wort ab. «Wie Sie wollen, verehrte Madame, lassen wir Macao. Es gibt hier genügend geheime Spielsalons, wo Sie sich amüsieren können, wenn Sie es wünschen. Sie lassen sich alle nicht mit Macao vergleichen, aber lohnen doch einen Besuch. Lotus kennt alle diese Orte sehr gut. Es wird ihr ein Vergnügen sein, sie Ihnen zu zeigen. Leider muß ich mich den ganzen Tag meinen Geschäften widmen, sonst wäre es für mich eine Ehre gewesen, Sie zu begleiten. Ich habe den Wagen für elf Uhr bestellt. Ist es Ihnen recht so?» «Vollkommen. Was die Verträge angeht...» «Lassen Sie die. Wir haben noch genügend Zeit dafür. Lotus ... Lotus! Ah, da bist du! Begleite Madame Descarpes zum Shopping zu Chow und dann auf den Markt der Diebe. Im Mandarin werdet ihr zu Mittag essen. Ich habe einen Tisch bestellt.» Als sie am späten Nachmittag in Truongs Villa zurückkehrten, war Jeanne begeistert und erschöpft. Lotus und sie hatten Wagen und Chauffeur verlassen und Kowloon in allen Richtungen durchstreift. Sie kehrten zurück, die Arme beladen mit Einkäufen. Lotus hatte es nicht zugelassen, daß Jeanne auch nur den kleinsten Kauf bezahlte, weil, wie sie sagte, Monsieur Truong sehr böse würde, wenn sie sich anders verhielte. Gereizt hatte Jeanne ihre Einkäufe eingeschränkt. Nach einem erholsamen Bad zog sie sich zum Abendessen an. Wie am Vorabend war es köstlich. Truong hatte einige seiner Freunde eingeladen. Als der Abend sich in die Länge zog, begab Jeanne sich in ihr Zimmer und fiel in einen traumlosen Schlaf.
Am nächsten Morgen machten sie die Inselrundfahrt. Für den Abend schlug Lotus Hongkong bei Nacht vor. Der Wagen setzte sie im Hafen von Aberdeen ab. Dort winkte Lotus ein leichtes Boot herbei, das von
einer sehr alten Frau gesteuert wurde. Es brachte sie zu einem riesigen Gebäude in Rot und Gold, das grell beleuchtet war und ein Restaurant besaß, das hauptsächlich von Touristen besucht war. Sie wurden vom Chef empfangen, der sie durch ein Labyrinth von Fluren, Treppen und schwach erleuchteten Sälen bis zu einem von Rauch erfüllten Raum führte, der von den Stimmen von etwa hundert Personen dröhnte. Die meisten waren Chinesen, die, sitzend oder stehend, einen Platz hinter den Spieltischen eingenommen hatten. Jeanne blieb stehen, entschlossen umzukehren, aber sie hatte noch nie der Atmosphäre eines Spielsaals widerstehen können - ob der sich in Rom, London, Paris oder Hongkong befand. Sie blieb. «Sie haben meine Vorliebe erraten.» «Kommen Sie», sagte Lotus mit einem kaum wahrnehmbaren Lächeln auf ihrem glatten Gesicht, das keinen ihrer Gedanken verriet. Sie zog ein beeindruckendes Bündel amerikanischer Dollars aus ihrer Tasche und ging auf die Kasse zu, um sie einzutauschen. Jeanne kam ihr zuvor und öffnete ihre Handtasche. «Ich auch. Ich habe Geld dabei.» «Lassen Sie das. Sie sind Gast von Monsieur Truong.» Die Hände voller Spielmarken spazierten sie zwischen den Tischen umher. «Was wollen Sie spielen? Roulette? Baccarat?» Letztes Mal habe ich beim Baccarat verloren, dachte Jeanne. Als ich Paris verließ, hat auch das Pech mich verlassen müssen ... «Baccarat.» An einem Baccarattisch waren zwei Plätze frei. Sie ließen sich dort nieder und erregten bei den Spielern einige Aufmerksamkeit, die sich aber schnell legte. Lotus spielte betont gleichgültig. Was Jeanne anging, so verlor sie, nachdem sie zunächst gewonnen hatte, mit schöner Regelmäßigkeit. Bald hatte sie alles verloren, was Lotus ihr gegeben hatte. Sie nahm ihr eigenes Geld aus der Handtasche, ließ es wechseln und setzte das Spiel fort. Wieder verlor sie. Sie wandte sich ihrer Gefährtin zu, die neben ihr stand und mit dem Spielen aufgehört hatte, und sagte in scharfem Ton: «Geben Sie mir Geld!» Ohne ein Wort zu sagen, reichte Lotus ihr eine Rolle Geldscheine. Eine plötzliche Spannung bemächtigte sich der Spieler am Tisch, wo ein drückendes Schweigen herrschte, das nur von dem Bieten der Spieler
gestört wurde. Aller Augen waren auf diese schöne Frau gerichtet, die ein elegantes Kostüm aus weißer Seide trug. Sie spielte mit einer Leidenschaft, die, wenn auch verhalten, kundigen Blicken nicht verborgen blieb. Der Zufall ließ sie, als ob er sich noch mehr über sie lustig machen wollte, einmal gewinnen und noch einmal. Dann begann sie wieder zu verlieren. Ihr Herz schlug schnell, ihre Hände wurden feucht, ihre Stirn bedeckte sich mit feinen Schweißtropfen. Sie sah sich nach der jungen Chinesin um, aber die schien verschwunden zu sein. Der Mann, der sie empfangen hatte, verneigte sich vor ihr und übergab ihr eine Handvoll Spielmarken. «Mademoiselle Lotus mußte gehen. Sie hat mir dies hier für Sie gegeben.» Für einen ganz kurzen Augenblick schämte Jeanne sich ihrer Erleichterung. «Cartes, s'il vous plait.» Ihr trockener Hals tat ihr ebenso weh wie ihre Augen, die von dem Rauch Hunderter von Zigaretten entzündet waren. Wieder verlor sie sehr schnell. Sie wandte sich dem Mann zu, der immer noch hinter ihr stand. Er schüttelte verneinend den Kopf. Jeanne überfiel eine eisige Kälte. Plötzlich spürte sie die Müdigkeit, die sich während dieser Stunden gespannter Aufmerksamkeit ihrer bemächtigt hatte. Mit letzter Kraft gelang es ihr, sich zu erheben. Sie mußte sehr blaß sein, denn der Chinese kam auf sie zu, um sie zu stützen. «Ein Glas Wasser, bitte!» «Mein Name ist Li Tse-tung. Mademoiselle Lotus hat eine Botschaft für Sie hinterlassen. Nehmen Sie, trinken Sie.» Er reichte ihr das Glas Wasser, das ein Diener gebracht hatte. Er ließ sie trinken, bis er ihr den Brief von Lotus übergab: «Ich habe Hunger. Bitten Sie Li Tse-tung, Sie zu Mao zu begleiten.» «Wenn Sie mir bitte folgen wollen, werde ich Sie zu Ihrer Freundin bringen.»
Jeanne, die zu müde und voller Ekel über sich selbst war, kauerte auf dem Sitz der winzigen Dschunke und hatte keinen Blick für die Boote, die trotz der späten Stunde mit Frauen und Kindern überladen waren, für die schwimmenden Restaurants und die Stadt auf dem Wasser. Sie ließ sich fahren, ohne den Wunsch zu verspüren, zu wissen, wo man sie
hinbrachte. Leute schliefen auf der Schiffsbrücke. Manchmal wurden sie von dem Lärm der Motoren geweckt. Die Dschunke bewegte sich jetzt zwischen einem Wirrwarr von Kanälen, von denen ein Geruch nach Sumpf und faulem Fisch aufstieg. Nachdem eine ziemlich lange Zeit verstrichen war, hielt sie an der Seite einer wesentlich größeren Dschunke. Ein wenig Licht drang durch die Bretter, die nicht exakt aneinander gefügt waren. Sie legten an. Li Tse-tung half Jeanne an Bord zu gehen. Sie betraten einen Raum, der so verräuchert war, daß man nicht bis zur hinteren Wand sehen konnte. Die spärliche Beleuchtung ließ den Ort noch seltsamer erscheinen. Männer mit beängstigenden Mienen, die um einen langen Tisch saßen, auf dem stellenweise halb verwischte chinesische Ziffern und Schriftzeichen aufgemalt waren, blickten auf, als sie eintrat, und betrachteten sie. Jeanne wurde stutzig. Jemand stieß sie in den Raum. Ganz plötzlich stand auch Lotus neben ihr. Ihr ausdrucksloses Gesicht erschien noch kindlicher mitten unter diesen Männern, von denen einige so dumm, grausam oder gemein aussahen, daß Jeanne sie nicht ansehen konnte, ohne vor Furcht und Abscheu zu zittern. Lotus hielt ihr ein Glas hin, das mit einer goldfarbenen Flüssigkeit gefüllt war. «Trinken Sie nur. Sie sind ganz blaß. Es wird Ihnen guttun.» Mechanisch gehorchte sie und trank mit langen Zügen ihr Glas aus. Ein zarter Pfirsichduft erfüllte ihren Mund. Lotus sah sie lächelnd an. «Ich bin sicher, daß es Ihnen hier gefallen wird. Es ist ziemlich merkwürdig ... Hier verspielt man sich selbst. Ich habe Sie diesen Herren als Einsatz vorgeschlagen ... Wenn Sie gewinnen, das versteht sich von selbst, stecken Sie das Geld ein ... Wenn Sie verlieren, müssen Sie jedem gewähren, was er von Ihnen verlangen wird ... Nehmen Sie die Bedingungen an?» «Sie sind verrückt!» «Aber nein. Sehen Sie nur. Es ist ganz einfach.» «Und wenn ich mich weigere?» «Sie haben kaum eine andere Wahl. An Ihrer Stelle würde ich die Bedingungen annehmen. Sie haben schon viel Geld ausgegeben, um mit Ihnen spielen zu können ...» Jeanne sah sich um und suchte verzweifelt nach jemandem, der ihr helfen würde. Doch sie wußte, daß sie den an diesem Ort nicht finden konnte. «Was wird Monsieur Truong sagen, wenn er erfährt...»
«Das Schiff gehört ihm.» Sie machte nicht einmal mehr eine zornige Gebärde, so als ob all dies sie nichts mehr anginge. Sie setzte sich an den Platz, den ihr die Chinesin anwies. Diese erklärte ihr in wenigen Worten das Spiel. Der Spielleiter schüttelte drei Würfel und stieß dabei einen langanhaltenden Schrei aus, der an den eines Pfaus erinnerte. Das Spiel begann. Eine Stunde lang gewann Jeanne. Dann verlor sie. Sie begriff nicht, was los war, und sträubte sich, als ein Chinese, der jung, aber einäugig war, sie zwang aufzustehen und sie auf den Tisch warf, mitten zwischen Spielmarken, Bier- und Reisweingläser und von Zigarettenstummeln überquellende Aschenbecher. Lotus flüsterte ihr ins Ohr: «Geben Sie acht. Hier mag man keine Falschspieler.» Tränen liefen über Jeannes Wangen, den Hals hinunter. Mit Erschrecken spürte sie die feuchten Hände des Mannes, der ihren Rock hochschob und ihr Höschen auszog. Sie stieß einen Schrei aus, als das kleine, harte Glied tief in sie eindrang. Ihre Hände verkrampften sich an der Tischkante. Um es sich bequemer zu machen, hob der Einäugige ihre Beine hoch und hielt sie, breit geöffnet, fest. Die Herumstehenden begannen zu lachen. Einige klatschten Beifall. Dem Mann kam es sehr schnell. Dabei stieß er einen kurzen Piepslaut aus. Jeannes Beine fielen herunter. Ein tiefes Schweigen legte sich auf den verräucherten Saal. Langsam setzte Jeanne sich auf, das Gesicht verschmiert von Tränen und Puderspuren. Hochmütig ließ sie ihren Blick über die Anwesenden gleiten, zog ihren Rock zurecht und sagte, als sie aufstand, mit fester und verachtungsvoller Stimme: «Los, Messieurs, das Spiel geht weiter.» Sie setzte sich hin. Und verlor wieder. Diesmal war es ein Mann mit einem Gesicht voller Falten und einem übelriechenden Mund, der sie an sich zog. Er zwang sie, sich hinzuknien und ein schlaffes Glied, das abstoßend aussah, zwischen die Lippen zu nehmen. Er hielt jetzt Jeannes Kopf zwischen seinen rauhen Händen und brauchte sehr lange - trotz der Anfeuerungsrufe seiner Kameraden. Als er fertig war, fiel Jeanne, deren Gesicht schmutzig war, hin. Das Getränk, das nach Pfirsich schmeckte, rann zwischen ihre Lippen. Lotus, die neben ihr kniete, gab ihr zu trinken. «Sie sollten nicht so Ihren Abscheu zeigen. Das sind leicht erregbare Männer. Es ist möglich, daß sie Ihnen das übelnehmen.»
Jeanne, die sehr blaß und erschöpft aussah und gerötete Augen hatte, erhob sich, wobei sie sich auf den Tisch stützte. Die Männer wandten keinen Blick von ihr, aber sie sahen sie nicht ungeduldig an, wußten sie doch, daß diese schöne Fremde, die sie voller Verachtung ansah, sich ihren Launen, ihren bestialischen Wünschen würde fügen müssen. Es waren meist einfache Männer, Fischer, Hilfsarbeiter, Träger, denen eine schwere Arbeit den Verstand getrübt und denen man nun dieses unverhoffte Glück geboten hatte: eine hübsche Frau und Geld zum Spielen. Das Spiel begann von neuem. Sie gewann während einiger Runden viel, dann verlor sie wieder. Ein dicker Mann mit einem Gesicht voller Narben, eine Art Riese, riß sie von ihrem Stuhl und warf sie so auf den Tisch, daß sie auf dem Bauch lag. Ein Bierglas fiel um und machte ihre Haare naß. Sie schrie die ganze Zeit, während der Mann sie von hinten bestieg. Im Saal wurde immer lauter gelacht. Als Jeanne sich erhob, war der Rock ihres weißen Kostüms, das nicht mehr als ein stellenweise zerrissener Fetzen war, ein bißchen blutbefleckt. Das Spiel ging weiter. Jeanne gewann. Jeanne verlor. Es schien ihr, als ob sie über dem Boden schwebte. Mit ihrem zerschundenen Bauch, ihren mißhandelten Brüsten fühlte sie sich, als ob sie sich selber eine Fremde sei. Ihr Körper gehörte ihr nicht mehr. Er lebte ein von ihr unabhängiges Leben. Sie sah ihm zu, wie er lebte, sich wehrte. Ja besser noch: sie war ihr eigener Voyeur. Plötzlich durchflutete sie eine brutale, wilde, unermeßliche Lust. Sie hörte ihre eigenen Schreie, dann ihr Seufzen. Unzählige Hände streichelten sie, zerkratzten sie, fummelten an den verborgensten Stellen ihres Körpers herum. Glieder drangen in sie ein und verletzten ihre Lippen, ihren Bauch und ihre Lenden. Sie war offen, offen für alle. Die Lust, die sie dabei empfand, war sowohl geistig wie körperlich. Doch nach und nach wurde sie so heftig, daß es ihr Schmerzen bereitete. Sie hörte sich ein letztes Mal aufheulen und sank dann in einen roten Nebel. Als Lotus ihr Zimmer betrat, mußte es etwas später als drei Uhr nachmittags sein. Sie öffnete die Vorhänge. Ein angenehmes Oktoberlicht durchflutete das Zimmer. Jeanne bewegte sich und verbarg ihre Augen mit dem Unterarm. Lotus setzte sich auf das Bett. «Haben Sie gut geschlafen?» Jeanne streckte sich und murmelte ein genießerisches Ja. Lächelnd
sah sie Lotus an. Dann verwandelte sich ihr Lächeln ganz plötzlich in eine Grimasse des Zorns. Sie stürzte sich auf Lotus und faßte sie an der Gurgel. «Du Schlampe ... du Schlampe!» Lotus machte sich mit Leichtigkeit frei und hielt sie ihrerseits fest. «Sie hatten nicht immer einen Abscheu gehabt. Gestern ...» Jeanne spürte, wie sie rot wurde. Sie versuchte sich loszumachen, aber trotz ihrer geringen Körpergröße war Lotus stärker als sie. Sie hörte auf zu kämpfen und brach in Lachen aus. Lotus lachte mit. «Wenn Sie gesehen hätten, was für ein Gesicht der Chef gestern gemacht hat, als er all das Geld sah, das Sie gewonnen hatten. Sehen Sie nur!» Sie hob die große Tasche aus weißem Leder vom Boden auf, die vollgestopft mit Geldscheinen war, und leerte sie über Jeannes Kopf aus. Sie machten sich einen Spaß daraus, die Scheine um sich herum fliegen zu lassen, dann fielen sie, mit leuchtenden Augen, aufs Bett zurück. Jeanne zog die Kleine an sich und begann die Häkchen ihres geschlitzten Kleides aufzumachen. «Warum hast du das getan?» «Sie waren sehr schön.» Lotus' hübscher Körper mit den kleinen Brüsten schien gegenüber dem blassen und üppigen Jeannes sehr dunkel.
Im Arbeitszimmer von Truong wartete Jeanne darauf, daß der Chinese die Verträge, die sie ihm mitgebracht hatte, fertig las und unterschrieb. «Das ist so in Ordnung ... Richten Sie Monsieur Georges aus, daß ich sehr zufrieden mit ihm bin und daß ich ihn dazu beglückwünsche, Freundinnen wie Sie zu haben.» «Georges ist kein Freund von mir, höchstens ein Bekannter.» «Ein schlichter Bekannter vielleicht, der mir aber zu dem großen Vergnügen verholfen hat, Ihre Bekanntschaft zu machen.» «Und was erwarten Sie jetzt von mir?» «Jetzt? Sie kehren nach Frankreich zurück - nach einem Aufenthalt, von dem ich hoffe, daß er Ihnen sehr gefallen hat.» «Das ist alles?» «Das ist alles ... aber es ist überwältigend. Sie haben mir, ohne es zu wissen, sehr viel Vergnügen bereitet. Ich war an Bord des Schiffs. Ich
habe Ihnen beim Spielen zugesehen ... Das war sehr schön ... sehr aufregend. Ich habe auch mit Ihnen gespielt - lange Zeit...» Jeanne erhob sich, blaß vor Zorn und Erniedrigung. «Sie ...» «Sagen Sie nichts. Zerstören Sie nicht die wunderbare Erinnerung, die ich an Sie habe ... Nichts kann das auslöschen, was geschehen ist... Und außerdem bin ich sicher, daß Sie in Ihrem Innersten diese Nacht nicht bedauern.» Jeanne senkte den Kopf. Sie wußte, daß er recht hatte. «Um Ihnen zu danken und als Erinnerung an Ihren viel zu kurzen Aufenthalt habe ich gedacht, daß ein kleines Geschenk Ihnen Freude machen würde ...» Er hielt ihr ein Päckchen hin, das sorgfältig verpackt worden war. Sie wollte es öffnen. «Offnen Sie es nicht jetzt, bitte.»
Jeanne, die es sich auf ihrem First Class-Sessel bequem gemacht hatte und ein Glas Champagner trank, sah zu, wie sich Asien entfernte. Wie bei ihrer Ankunft waren die Zollformalitäten vereinfacht gewesen. Truongs Päckchen, das auf dem leeren Sitz neben ihr lag, hatte man nicht geöffnet. Sie konnte dem Wunsch nicht widerstehen, den Inhalt zu sehen und entfernte die Verpackung. Ein sehr hübsches Lackkästchen mit Einlegearbeiten aus Ebenholz und Perlmutt kam zum Vorschein. Sie öffnete es. Auf einem Bett aus schwarzem Satin funkelte der Olisbos aus Jade. Sie nahm ihn in die Hand und betrachtete ihn voller Bewunderung unter dem leicht schockierten Blick der Stewardess. Auf dem Boden des Schreins lag eine kleine Karte. Sie drehte sie um und mußte laut lachen, als sie las: Made in Hongkong. Deutsch von Brigitte Schenker
Jean Bruyere
Träumereien einer Sommernacht Tags darauf trafen wir uns am Strand wieder. Clotilde und die Contessa lagen im Sand und unterhielten sich. Ich überraschte sie bei Blicken, die zum Zerschmelzen zärtlich waren und wenig später auch (da stand ich in einiger Entfernung und tat zerstreut) zu recht gezielten Liebkosungen wurden. Die Contessa hatte eine Hand, die ich mir zurückhaltender gewünscht hätte, auf den Busen meiner Geliebten gelegt. Clotilde zierte sich. Als ich ostentativ auf die beiden zuging, verriet mir ein Glanz in Clotildes Augen, daß es sie lockte. Ich beschloß, dabei auch an meinen Vorteil zu denken. Ich schlug einen Ausflug im Wagen vor. Die Strecke, die ich allein bestimmen sollte, wählte ich so aus, daß wir bei Einbruch der Dunkelheit in einem einsamen, arg bescheidenen Gasthof einkehren mußten. Ein diskret zugeschobener Geldschein sorgte dafür, daß meinem Wunsch entsprechend nur noch ein einziges Zimmer mit nur einem Bett verfügbar war. Die Contessa lächelte nervös und sprach davon, daß ich dann den Morgen eben unter Olivenbäumen abwarten müsse. Fünf Minuten später jedoch lagen wir alle drei Seite an Seite und rauchten und schwatzten auf dem breiten «Albergo»-Bett. Ich verhielt mich still, und meine Gespielinnen erhielten so bald das Gefühl völliger Freiheit. Meine vorgetäuschte Ruhe linderte ihr leicht zu erratendes Unbehagen ob meiner Gegenwart. Doch darunter schlug mein Herz wie wild, und ich bestand nur noch aus Verlangen! Heimlich beobachtete ich die beiden. Die Contessa hatte den Kopf meiner Freundin auf ihren linken Arm gebettet. Sie selbst schmiegte
ihren Kopf an Clotildes Haar, und ich bemerkte, daß sie es ab und zu küßte und zu jedem Kuß leicht mit dem Arm nachdrückte. Knistern von Stoff zeigte mir an, daß Clotilde zwischen ihren Knien, ganz zufällig, als brächte ihre Lage es so mit sich, ein Bein der Contessa hatte. Daraufhin täuschte ich noch tieferen Schlaf vor. Mein gleichmäßiger Atem zerstreute ihre letzte Sorge ob meiner Anwesenheit. Zunächst klagten sie über die Hitze. Dann machte Signora P... den Anfang, öffnete ihre Bluse und gab den Blick auf so durchscheinende Unterwäsche frei, daß die Haut darunter womöglich prächtiger schimmerte, als wenn sie sich nackt gezeigt hätte. Sie forderte Clotilde auf, sich ebenfalls freizumachen. Da Clotilde jedoch nicht reagierte, knöpfte sie, ohne länger zu warten, die leichte Batistbluse ihrer Gespielin eigenhändig auf, entblößte die Schultern und besaß sogar die Kühnheit, zart eine Brust zu umfassen. Ich sah das Fleisch aus der Bluse quellen, Lippen sich darüber beugen und sich darauf drücken. Ach, ich war im Innersten aufgewühlt! Ich hörte mehr, als ich sah, wie heimlich die Brust meiner Geliebten geküßt wurde, da glitt auch schon die Hand meiner Freundin unter der Achsel der Italienerin hindurch zu deren Brust und krallte sich fest. Die Beine der beiden lagen jetzt noch näher beisammen. Nun gab es keinen Zweifel mehr. Signora P.. .s Schenkel hatte sich noch weiter, noch kühner vorgewagt; er lag ganz unverhohlen an Clotildes oberem Schenkelansatz und drückte hin und wieder zärtlich auf ihr vermutlich schon heftig erglühtes Fleisch. Bald atmeten die beiden nur noch stoßweise. Ihre Küsse wurden dreister. Die zweite Hand meiner Freundin war bei den Hüften der schönen Gräfin angelangt und wanderte langsam weiter zum Hintern. Beider Blusen standen weit offen, und ich zuckte heftig zusammen, als ich eine der schönen Brüste der Italienerin fest auf den Mund meiner Geliebten gepreßt sah, die selbst mit geschlossenen Augen, geschäftigen Lippen und wirrem Haar dalag. In mir bäumte es sich auf. Ich war entschlossen, die beiden erst an mich zu erinnern, wenn die Wellen ihrer Begierde hoch genug schlugen, um mit meinem Eingreifen nicht Gefahr zu laufen, alles abzubrechen. Signora P... streichelte Clotilde mit ihrem mächtigen, vollkommenen Busen - ihr Reiz und ihr ganzer Stolz - im Gesicht, und Clotilde vollzog die Bewegung mit und begrüßte mit Zunge und Lippen die beiden herrlichen, über ihre Haut streichenden braunen Knospen. Bald würden ihnen diese Spiele, ich ahme es, nicht mehr ausreichen, denn
schon glitten gräfliche Hände über die Beine der Partnerin und schoben sich frech unter ihre Röcke. Ein Bein wurde sichtbar, dazu entzükkende Dessous, wie sie Männer wohl ebenso erregen wie die verborgensten Schönheiten des Leibes. Das Spiel konnte beginnen. Mit List und Tücke öffnete ich geräuschlos meine Kleider und holte meinen zuckenden Stab hervor. Mit Augen und Ohren nährte ich meine Begehrlichkeit, wußte sie gar mit den Händen noch zu steigern. Doch einmal machte ich eine abrupte Bewegung und streifte das Bein der Contessa. Die beiden fuhren hoch und schrien überrascht und erregt auf, als sie mich so nah und in so eindeutiger Stellung bei ihnen liegen sahen. Doch faßten sie sich schnell, lachten nervös auf und warfen sich einander ungestüm in die Arme. Ich hörte sie unter schalkhaften Seitenblicken zu mir hin flüstern und wieder lachen, sah sie Küsse austauschen und hörte sie dann im Duo ausrufen: «Armer Roger!» Das war zuviel des Guten. Ich deckte mich hastig zu und streckte die Arme nach ihnen aus. Da warfen sich beide wie verabredet auf mich. Der Contessa Brüste lagen auf meiner Hand, und Clotilde hatte sich, kühner als die andere, so fallen lassen, daß mein anderer Arm zwischen ihren Schenkeln lag, so daß ich mich mit der Hand vorarbeiten und ihr die gewohnten Zärtlichkeiten zukommen lassen konnte. Doch was vermag einer gegen das Bündnis zweier Frauen! Hilflos war ich ihrem fertig ausgeheckten Plan ausgeliefert. Die Italienerin, die ich ebenfalls mit der Hand erhitzte, ließ endlich zu, daß ich ihre Lippen eroberte, zwar mit leicht geziertem Widerstreben, doch so, daß bei mir alle Dämme brachen. Ich wußte kaum mehr, welche Frau nun meine letzten Kleider aufnestelte, denn eine andere Hand entzückte unterdessen mein Glied. Bald lag ich fast nackt da. Ich war außer mir, erlebte atemlos abwechselnd Clotildes und der Gräfin Küsse und konnte am Rascheln fallender Hüllen nur erahnen, wer zuerst und wer danach aufstand. Meine Hände ertasteten jedenfalls immer nacktere Leiber. Einmal streifte ich mit dem Handgelenk sogar eine sichtlich erregte Scham, doch durfte ich den Moment nicht auskosten. Ich wollte zu ihr zurück, bekam jedoch statt dessen eine Hüfte, Brüste, ein Bein zu fassen, das sich gegen mein Glied drückte. Da überließ ich mich meiner Lust. Ich gab mich ihr, nur mit Fersen und Nacken auf das Bett gestützt, völlig hin. Mein Körper bildete einen im Genuß erstarrten Bogen. Eine
Hand (wessen Hand?) wanderte an meinen Flanken entlang, nährte und steigerte mit gekonnter Massage meine Lust, daß es mich von den Knien bis zu den Haarspitzen durchfuhr. Eine andere Hand tastete sich unter meinen Hüften hindurch an meinen hervortretenden Wirbeln entlang, die in Leidenschaft und Liebe so empfindsam sind. Die Contessa hatte ihre Finger unter mein Glied geschoben und erforschte unterm Pelz meine von wallendem Blut aufgepeitschte Haut. Verzweifelt und zugleich rasend vor Genuß schleuderte ihnen mein Mund ein Wort entgegen, das Sehnsucht, Schimpf, Kosen und herzzerreißende Wollust in einem ist und mit dem wir unsere beste Geliebte im schlimmsten Augenblick und in der besten aller Stellungen bedenken: «Nutte! Nutte!»
Ich wußte, diese ganze Szene war nur ein Täuschungsmanöver und ein Vorspiel zu dem Alleingang, der nun folgen sollte. Die beiden fanden auch sogleich wieder zueinander und liebkosten sich, einander leicht zugewandt, Seite an Seite liegend, damit ihre Blicke sich treffen konnten, ohne weitere Umschweife mit den Händen. Zwei sich liebende Frauen sind ein Schauspiel für Götter. Sie begehren einander ruhig, fast farblos, könnte man sagen, und unendlich behutsam auf allen Stufen ihrer Zärtlichkeit. Auch kennen sie das Geheimnis ihrer Scham, wissen genau, wann sie berührt und wann sie gepreßt werden wollen. Und an welchem Punkt sich das Fleisch nach dem eindringenden Fleische sehnt. Sie wissen, wann und wo ihr Busen heftig angepackt werden will und wann ein Bein mit kräftigem Druck männliche Gewalt nachahmen muß. Und sie wissen, wann sie ihre Schenkel widerwillig spreizen und wann sie die trunkene, duftende, überfließende Schote pressen sollen. Die Contessa unterstrich die geringste Bewegung ihrer im Haarpelz der Freundin verschwundenen Hand mit einem leichten Schlag auf deren Hinterbacken, bei dem das Klatschen allein schon eine erlesene Delikatesse war. Dazu wußte sie ihrerseits durch leichtes Aufbäumen anzudeuten, ob sie wollte, daß ihre Frucht in die Tiefe gehend oder der Länge nach gestreichelt werden sollte. Beider Duft erfüllte die Luft und mischte sich mit dem der Orangenbäume. Und der Leuchtturm fuhr mit seinem rastlosen Strahlenbündel über die Szene, so daß alle zehn Sekunden schimmerndes
Fleisch in kostbarem Saft aufleuchtete, von dem ich mit durstiger Lippe trank. Ein paar Minuten wagte ich meine Lippen auch auf zwei von südlicher Sonne gebräunte Brüste zu drücken oder glitt sogar todesmutig das prächtige Tal bis zum verborgensten aller Winkel hinab. Ach, wer im Bannstrahl der Liebe steht, dem heiligt die Liebe die gewagtesten Freveltaten - macht sie unangreifbar. Ja, ich nahm mir sogar heraus, bei dieser wunderbaren Gräfin, deren stolzen Glanz ich in den prunkvollen Salons ihrer Villa und in so manchem Patrizierhaus von Paris und Rom erlebt hatte, ich nahm mir bei dieser so einfachen und doch hochmütigen Gräfin heraus, die geheimste ihrer geheimen Schönheiten aufzuspüren und zu küssen. Und sie reagierte auf meinen Wagemut mit noch feurigeren Küssen, die allerdings meiner Geliebten zugute kamen. Doch auch ich erhielt meine Belohnung. Signora P... entzog Clotilde die Hand und reichte sie mir hin. Sie saß zwar der Frau zugewandt, die trotz allem das Ziel ihres Verlangens war, tastete aber doch nach meinem Stab, der eben zu erwachen begann. Ich foppte sie, indem ich ihn ihr vorerst verweigerte und ihr nur hier und da einen Schenkel, eine Flanke zugestand. Das schürte das Feuer der Contessa noch mehr. Sie griff zu Druckmitteln, kratzte unser ganzes gemeinsames Spielfeld wund. Endlich gab ich nach, und ihre göttliche Hand wußte mich so gekonnt zu nehmen, daß sich mir ein langgezogener Klageton entrang.
Die Contessa hatte sich auf den Rücken gelegt. Clotilde kniete bei ihr und drückte ihre hastig pulsierende, aufgerichtete Brust auf die offene Muschel, die zwischen zwei schönen, marmorgleichen Schenkeln aufsprang. Ich rief: «Clotilde! Clotilde!» Wenn wir nachts beisammen sind, erfaßt Clotilde an Hand eines Wortes, eines Händedrucks oder Seufzers meine wesentlichen Wünsche. So wußte sie auch jetzt sofort, wie ich am besten zu meinem Vergnügen kam. Sie drückte ihre Brustspitzen noch einmal auf das Moospolster der Contessa, bis sie naß waren, stieg dann über die Freundin hinweg und hielt mir beide Brüste hin. Ich saugte den Liebessaft unserer schönen Freundin von Clotildes knospengleicher Brust. Ich stellte mir mit stumpfem Blick vor, ich knabberte über Clotilde hinweg an der
gräflichen Frucht, von deren Meergeruch ich ja den ganzen Mund voll hatte.
Die ganze Nacht verbrachten wir so gemeinsam mit irrsinnigen Einfällen. Mehr als einmal stürzte einer von uns in so bodenlose Wonne, daß er bei den andern dieselbe Lust auslöste. Ich sah die Contessa ihren schönen, geraden Finger in die eigene Furche schieben und ihre Flamme schüren, während ich selbst den schönen Hinterbacken meiner Geliebten mit den Lippen meine Aufwartung machte. Mitunter ging Clotilde mit geschäftigem Mund an meinen Stab, derweil unsere Freundin, halb erstickt unter zwei übereinandergeschlagenen Schenkeln, sie mit den Lippen verwöhnte. Der erste, von Capri her einfallende Sonnenstrahl schien auf den braunen Busen unserer schlafenden Contessa. Clotilde lag mit dem Kopf an meiner Schulter und lächelte. In der Hand hielt sie noch meinen inzwischen abgekühlten Schaft. Und zuletzt traf Gottes Licht auch die vom nächtlichen Liebesrausch satten Früchte. Deutsch von Monique Bertrand und Georges Jourdain
Jan Wolkers
Türkische Früchte Wie ich sie kennengelernt habe. Eigentlich zweimal, die rote Teufelin. Aber so nannte ich sie erst viel später, nachdem sie mit dem schlappen Pinsel von mir weggegangen war und ihr Zeug bei mir abholen kam eine Nähmaschine, einen Staubsauger und noch anderen Scheißkleinkram - und plötzlich so giftige Hexenaugen wie ihre Mutter machen konnte. Vielleicht nur darum, weil sie stehend vor dem Spiegel vögeln wollte, während ihr Liebhaber, der Angst hatte, ich könnte sie belästigen, vor der Tür auf Posten stand. Sie schlug den Rock wieder über die Batzen und stampfte wie eine Schullehrerin mit dem Fuß auf den Boden. Und dann mußten wir beide ein bißchen kläglich lachen. Ich, weil etwas, was so normal zwischen uns gewesen war, plötzlich nicht mehr möglich sein sollte. Warum sie lachte, weiß ich nicht. Sie hatte ihren Liebhaber hereinholen wollen, um ihn mir vorzustellen. Aber ich hatte gesagt, daß ich ihm, wenn er nur einen Schritt über meine Schwelle käme, mit einem Knüppel den Schädel einschlagen würde. Und sie wußte, daß ich das ganz bestimmt getan hätte. Ich sah sie zum erstenmal, als ich als Anhalter an der Landstraße stand. Irgendwo in der Gegend von Roermond. Es war Glatteis und die Windschutzscheibe ihres Autos beinahe undurchsichtig. Sonst hätte ich nicht mal mit dem Daumen die typische Bewegung gemacht. So eine hübsche Biene in einem großen amerikanischen Straßenkreuzer. Ich studierte Bildhauerei in Amsterdam. Auf der Reichsakademie. In den fortgeschrittenen Klassen gingen wir in den Wintermonaten auf Einladung der Gemeinde Valkenburg Reliefs in die Grotten des St. Pieterberges hacken. Mehr als
lebensgroße Darstellungen, von denen Bürgermeister und Stadtrat erwarteten, daß sie den Tourismus günstig beeinflussen würden. Ich arbeitete an der Erweckung des Lazarus. Aber ich hatte nicht mehr viel Lust dazu, weil ich den Kopf von Christus verpfuscht hatte. Da hatte ein versteinerter Seeigel dringesessen, und um den unbeschädigt herauszuholen, hatte ich zuviel Mergel weggehackt. Ein paar Tage später zerfiel das Fossil, das ich aus dem Kopf des Gottessohnes befreit hatte, wie ein Klumpen Puderzucker in der Halle des Hotels zu Staub. Am gleichen Abend bekam ich Ärger mit dem Geschäftsführer, weil ich Bemerkungen über das Essen gemacht und außerdem die Saaldecke beschmutzt hatte. Es war tatsächlich ein ekelhafter Fraß, den man uns da vorsetzte. Jagdschüssel. Große Brocken Fleisch in braunem Kleister. Als ob's jemand mit Dünnschiß durchgewürgt hätte. Künstler sind gefräßig und kritiklos. Die anderen hauten sich die Teller schon kräftig voll, als ich plötzlich die Schüssel wegschob und mit der Faust auf den Tisch schlug. «Das ist Walfischfleisch!» schrie ich. Die anderen kosteten auf einmal ganz vorsichtig, als ob Gräten drin sein könnten. Es wurde geschmeckt, gerochen, geurteilt. Der Ober wurde gerufen. Der konnte nichts bestreiten, fand aber den Namen Jagdschüssel berechtigt. Die Wale waren Vor Jahren gefangen und für den Verbrauch konserviert worden. Aber man kann das Volk nicht alles fressen lassen, und so waren sie zu Dumpingpreisen in die Hotels gekommen, weil man dachte, daß die hungrigen Touristen sich die Wampen bis zum Platzen mit den größten Leichen der Welt vollschlagen würden. Niemand wagte einen Happen zu essen, und manche gingen zur Toilette, um den Mund auszuspülen oder zu kotzen. Es wurde abgeräumt, und wir bekamen kein anderes Essen. Nur noch rosa Pudding, die Nachspeise. Und der Pudding war so hart, daß er, als wir ihn aus Trotz gegen die Decke schleuderten, keine Spuren im Kalk hinterließ. Am folgenden Tag wurde ich zum Direktor des Hotels gerufen, einem Mann mit bleichem, aufgedunsenem Gesicht und einem in seinem wabbeligen Hals verschwundenen Kinn, der eigentlich eine Hasenscharte hätte haben müssen. Er sagte in der seltsamen Sprache von denen da unten - darum hatten im Mai 1940 die Deutschen erst gemerkt, daß sie auf feindlichem Gebiet waren, als sie schon bis Brabant durchgestoßen waren -, daß ich meinen Mitstudenten den Appetit gründlich verdorben hätte. Daß ein herrliches Gericht, das im Sommer von vornehmen deutschen und belgischen Besuchern sehr gut beurteilt würde und auf der Karte als Ra-
gout de Viande et de Legumes angegeben sei, durch mein Zutun in der Mülltonne gelandet sei. Daß er sich bei der Stadt beschweren werde und daß ich nach Amsterdam zurückgeschickt werden würde. Ich sagte, er könne sich die Mühe sparen, denn in einigen Tagen, wenn der Karneval vorbei wäre, würde ich auch ohne sein Eingreifen abhauen. Und so machte ich das auch noch mit. Wie die ganze Bevölkerung des Städtchens, die das ganze Jahr keine andere Frau oder keinen anderen Mann anzusehen gewagt hatte, in die Horizontale ging. Wenn man unverhofft ins eigene Hotelzimmer hereinkam, sah man geradewegs in die Fotze einer fremden Frau, während ein halbbesoffener Kerl neben dem Bett stand und seinen Pimmel aus dem Hosenlatz fummelte. Sah, wie zu Samen verarbeitetes Bier in Gängen und Korridoren unordentlich in die Damen gespritzt wurde beim Herumhopsen und Singen eines Liedes, das ich behalten habe: Ja, die Stramme, ja die Dicke will ich putzen, ja, die Dicke will ich haan! Sie macht mich hie, sie macht mich ha, sie macht mich falderaldera. Bevor die männlichen Besucher der Stadt am Aschermittwoch, die Flecken der getrockneten weißen Flut am Hosenlatz, aber die Stirn voller Vergebung, wieder zu sich gekommen waren, war ich schon verschwunden. Außer meinen eigenen Sachen hatte ich in meinem Seesack noch einen kurzen, prächtig blau schimmernden Pelz mitgehen lassen, den ich wie ein Lumpenstück auf dem Korridor gefunden hatte, mit einem klebrigen Flecken darin als Beweis dafür, daß der kalte Bauer auf dem guten Stück gelandet war. So kam es also, daß ich in der Gegend von Roermond an der Straße stand. Es war Glatteis, und ich sah meinen Atem wie die Sprechblase einer Comicstripfigur. Meine Schuhe froren am Boden fest, und die Hose war bedeckt mit einer dünnen Eisschicht und krachte, wenn ich mich bewegte. Aber alles Elend war schnell vergessen, nachdem ich einmal mein Gepäck in den Kofferraum geworfen hatte und ins weiche Polster versunken neben ihr in dem großen Schlitten saß, der sofort von innen beschlug, als das Eis schmolz und mir die Hosenbeine kalt an den Schenkeln klebten. Manchmal mußte sie plötzlich das Tempo drosseln, weil große Zweige auf der Straße lagen, die, zu schwer mit Eis beladen, wie Streichhölzer abgebrochen waren. Dann sah ich, daß sie ihre Beine so elegant bewegte, als spiele sie auf den Pedalen einer Hammondorgel. Die Landschaft wurde an beiden Seiten unseres Autos vorbeigezogen. Schlampige Bauernhütten zwischen wüstem Weidenholz und ockergelbem Schilf. Scheißlangweilig eigentlich, wenn man nicht neben einer tollen
Puppe saß, mit so einem glänzendem Schaltbrett vor einem, aus dem Cliff Richard Living Doll sang. Got the one and only Walking talking living doll. Wenn man, wie zum Beispiel der Bauer da, mit dem Schal um den Kopf auf dem Fahrrad durch so 'n Wetter müßte. Kam die Sonne ein wenig bleich durch die Wolken, dann glänzten die Bäume, als stünden sie in geschmolzenem Glas. Und manchmal schien es, als tauche man mitten hinein. In einer scharfen Kurve. Immer wieder blickte ich zur Seite, auf ihr Gesicht. Ihre molligen Wangen mit Sommersprossen. Das herrliche rote Haar, von dem ich wissen wollte, ob es echt war, und als sie ja gesagt hatte, sagte ich irgend etwas von venezianischem Blond. Ich hatte sie lachend angesehen, als ich etwas später mit Cliff Richard sang: Look at her hair, it's real. Inzwischen hatte ich überlegt, ob ihre Achsel- und Schamhaare wohl auch rot seien. Und setzte mich etwas weiter von ihr weg, damit ich, wenn sie zur Seite sah, wenigstens ihre Augen bewundern konnte, ohne rettungslos verzaubert zu sein. Herrliche Augen. Die schönsten, die ich jemals in meinem Leben gesehen hatte. Braune Augen. Wie Gold. Ich mußte an einen Freund denken, der Biologie studierte und einmal zu mir gesagt hatte, als er eine mollige Kröte in der Hand hielt: «Wenn ich jemals einem Weib mit solchen Augen begegnen sollte, frage ich sie sofort, ob sie meine Frau werden will.» Er hatte danach «verdammte Scheiße» gerufen und das warzige Biest ins Terrarium zurückgesetzt, weil es ihm auf die Hand gepißt hatte. Aber das würde mich bestimmt nicht bremsen. Als wenn einem ein Engel auf die Zunge pinkelt. Während ich auf ihr Gesicht mit den Sommersprossen blickte, dachte ich daran, daß ich, den Zigarettenstummel lässig zwischen den Lippen, wohl wieder einen sagenhaften Halunkenkopf haben müßte. Weil sie überhaupt nicht davon zu reden aufhörte, daß ich Künstler war, erzählte ich einige Geschichten, so richtig aus dem Amsterdamer Bohemienleben gegriffen. Natürlich nicht zu schlimme Sachen. Ich wollte sie nicht unter dem Dreck und Gift des wirklichen Künstlerlebens begraben, indem ich mir auf die Brust trommelte und ihr mit der brünstigen Stimme des angreifenden Tiermännchens imponierte. Ich erzählte, daß ich auf der Akademie einmal ein blondes Nacktmodell in den Kleitrog gelegt und es ganz und gar mit dem fettigen grauen Zeug eingeschmiert hatte. Sie hatte gegirrt und gebissen und sich danach wohl eine Stunde in allen möglichen lüsternen Stellungen windend an der Wasserleitung mit alten Lappen abgerieben. Ich erzählte nicht, daß sie Rache genommen hatte. Herrliche Rache.
Als alle anderen weg waren, hatte sie mich plötzlich gegen die Wand gedrückt und mir an Ort und Stelle einen runtergeholt. Und als der Samen kam, hatte sie ihn mit einer lässigen, kräftigen Handbewegung auf den Fußboden geklatscht und gesagt: «So!» Dann war sie mit ihrer Schultertasche wedelnd aus dem Klassenraum gegangen. Und ich erzählte, daß wir einmal im Anatomieraum zwei Skelette in paarender Stellung aufeinander gelegt hatten. Als der Dozent hereinkam- Liebesknochen genannt, weil er eine kleine Mutzpfeife rauchte und alle Skelette liebevoll wie Mädchen behandelte -, tat er so, als hätte er selbst die knochenknirschende Fickerei ineinander geklemmt. Ohne mit der Wimper zu zucken, ging er sofort dazu über, alle Muskeln zu behandeln, die bei einer derartigen Tätigkeit in Aktion sind. Und die Mädchen hatten mit roten Köpfen dagesessen, und alle bekamen wir auf die Dauer Kopfschmerzen. Er brauchte drei Stunden. Als er die Skelette auseinandermontierte und vom Boden aufhob, hatte er genüßlich den Rauch aus seiner Pfeife durch einen Brustkasten geblasen und gesagt: «Wenn ihr nun auch noch wissen wollt, wie es geht, wenn die Frau oben liegt, müßt ihr sie nächste Woche wieder bereitlegen.» Sie lachte mit hochgezogenen Mundwinkeln und bebendem Bauch. Als wir einen Lastwagen überholten und sie wegen der glatten Straße beide Hände auf das Lenkrad legen mußte, legte ich plötzlich meine Hand auf ihre Knie, die gerade unter ihrem Rock hervorguckten. Und da waren keine knochigen Dinger mit gräßlich vorstehender Kniescheibe und auch keine formlosen Milchbrötchen. Das waren herrliche, imponierende Plastiken. Um mit unserem Kunstprofessor zu sprechen, wenn der mal wieder über griechische Bildhauerkunst laberte. Und schließlich und endlich hatte ich ja auch nicht umsonst jahrelang Anatomie gehabt. Sie schob meine Hand nicht zurück, nachdem wir den Lastwagen überholt hatten, sie kniff auch die Schenkel nicht zusammen, als ich an der Innenseite etwas nach oben glitt. Deshalb machte ich ihr den Vorschlag, an den Straßenrand zu fahren und ein wenig zu schmusen. Ich sah, daß sich ihre Augen verschleierten. Darauf faßte ich sie mit der anderen Hand in den Nacken und kitzelte sie zart am Haaransatz und zupfte vorsichtig mit den Fingerspitzen an ihren Ohrläppchen wie eine Dohle. Sie schoß auf den Haltestreifen, und noch bevor der Wagen wirklich stand, lagen wir einander in den Armen. Sie glitt breitbeinig nach unten, so daß ich ihr Höschen wegschieben konnte und meine Finger freies Spiel in ihrer feuchten Spalte hatten. Im Nacken war ich mit einer
Hand in ihren Pullover gekrochen und streichelte ihren Rücken, der, wenn sie sich vor Genuß nach vorn beugte und ich das schummerige Tal zwischen ihren Schulterblättern sehen konnte, mit dunklen Flecken übersät war wie die Rückseite der Fauteuils im Royal Kino. Und sie streichelte mit der linken Hand - Gott sei Dank trage ich links - erst beinahe zufällig und dann zielbewußt das Stück Hartgummi oben im Hosenbein meiner immer noch feuchten Jeans. Sie kratzte mit den Nägeln über den Stoff und hätte ihn am liebsten in Fetzen gerissen. Mit den Nägeln der anderen Hand zog sie Furchen auf meinem Rücken. Mein Hemd hatte sie hinten aus der Hose gezerrt und ihre Hand hineingeschoben. Wie bekam ich sie ganz vom Lenkrad weg auf meine Bank? Wollte sie überhaupt zwischen ihren Schenkeln angebohrt werden? Vorsichtig begann ich sie ein wenig zu schieben. Ohne daß ich sie etwas hätte bitten müssen, glitt sie liebkosend und geschmeidig unter mich. Ihr Höschen zog ich nur noch weiter nach unten, um sie nicht durch eine umständliche Handlung wieder zur Besinnung kommen zu lassen. Denn sie war vollkommen weich und weit weg vor Geilheit. Als ich sie dann anstach, sagte sie in Trance: «Mach mir kein Kind, bitte. Mach mir kein Kind.» Und das wiederholte sie immer wieder, wenn sie kam und sie aus meinem Gekeuche zu hören glaubte, daß auch ich klarkäme. Aber ich hielt es stets zurück: ich sah, wenn ich beinahe soweit war, ganz nüchtern einen Behälter an, der auf der Rückbank stand und auf dem in ordinären roten Buchstaben stand: Hermes GmbH - Großhandel in Haushaltsartikeln. Als es bei mir doch kam, schoß ich zurück und stieß mir schmerzhaft den Rücken an all den glänzenden Knöpfen und Hebeln der Zigarettenanzünder, Licht hier und Licht da und noch mal Licht, Radio und Windschutzscheibenbewässerung. Genauso geschmeidig, wie sie gekommen war, rutschte sie wieder weg, zog die Unterwäsche zwischen ihre Beine und streifte dann zufrieden den Rock bis an die Knie. Sie fragte nur, während sie vor dem Rückspiegel den Mund straffzog und mit angefeuchtetem Finger ein paar Fusseln des Lippenstiftes wegwischte: «Ist auch nichts reingekommen, Liebster?» Liebster, dachte ich, ich werd verrückt, Liebster. Sie hatte das so echt gesagt, sah in mir also nicht irgendeinen Deckhengst, den sie einfach drauflassen konnte. Oder vielleicht doch? Und doch, Liebster. Ich zeigte ihr, was da an der Sitzbank langlief. Und danach guckte sie dann auch wieder mit so einem umflorten Blick. Ich sagte, ein wenig mackiemesserig: «Kein Tropfen, Liebste.» Und dann
lachten wir alle beide. Während ich den Schlamm flüchtig mit dem Taschentuch abwischte, fragte ich sie, ob sie mich ein bißchen gern habe. «Ein großes bißchen. Sonst hätte ich niemals für dich angehalten. Ich nehme nie jemand mit. Einzig und allein dich.» Ich fand sie so lieb, daß ich, als ich meinen Reißverschluß dichtmachte, ganz einfach vergaß, daß mein Lümmel noch nicht in der Unterhose saß. Ich brüllte vor Schmerz und konnte mich überhaupt nicht mehr bewegen. Das Fell meines Pimmels klemmte zwischen den kupfernen Zähnen des Reißverschlusses. Erst lachten wir darüber, denn ich dachte, ich würde ihn wohl befreien können, so wie früher die Haut am Hals aus dem Reißverschluß des Pullovers. Ich sagte, daß ich jetzt gern den Erfinder des Reißverschlusses aus der Geschichte von Kurt Tucholsky zur Hilfe gehabt hätte. Aber die kannte sie nicht. Wie ich auch fummelte, ich bekam das vermaledeite Ding nicht auf. Es sah aus wie echtes Menschenfleisch, das in die Weiche einer Straßenbahnschiene gekommen ist. Und durch den Schmerz blieb der Riemen auch noch possierlich und steif mit seinem roten Kopf nach oben zeigend stehen, während das eingeklemmte Fell veilchenblau wurde. Bei der geringsten Bewegung hätte ich meinen Schmerz am liebsten in die Welt geschrien. Es gab keine andere Möglichkeit, als den Reißverschluß vorsichtig mit einer kleinen Zange auseinanderzukneifen. Aber da war verdammt und zugenäht in dem ganzen großen Auto keine einzige kleine Zange. Ich sagte zu Olga, daß sie irgendwohin fahren müsse, daß wir irgendwo 'ne Zange leihen müßten. Sie dachte erst an eine Reparaturwerkstatt. Aber da kann man wohl kaum sagen, wenn die Leute die Motorhaube öffnen wollen, daß es die eigene Leitung ist. Sie wischte die beschlagenen Fenster ab und fuhr dann langsam an, denn beim geringsten Stoß brüllte ich wie eine gebärende Frau. Sie bog in den erstbesten Seitenweg und hielt vor einem Bauernhäuschen. Ich sah sie mit ihrem hübschen Arsch die Vortreppe rauflaufen. Klingeln. Eine dicke Frau mit vorgebundener Schürze öffnete. Sie sprach zu ihr. Viel zu lange. Was für einen Schmus probierte sie denn in Himmels Namen zu verkaufen? Wo zum Teufel blieb die Zange? Ich sah durch die Scheibe, kotzelend vor Schmerzen. Die Frau schlurfte nach hinten. Dann erschien ein verhutzeltes Männchen in verschossenem blauen Kittel in der Türöffnung. Es schien ein verdammtes Wetterhäuschen zu sein. Wieder zuviel Gequatsche. Kein Wunder, daß Marx so wenig Vertrauen ins Landproletariat hatte. Sie sind wohl gut, aber langsam von Begriff. Als das Männchen endlich mit
der kleinen Zange ankam, wollte es auch noch mitgehen. Mit Mühe konnte sie es halbwegs auf dem Treppchen zurückhalten. Dann mußte ich Stückchen für Stückchen den Reißverschluß kaputtkneifen, während wir aus der Bauernhütte über die Fuchsien oder was weiß ich für Grünzeug belauert wurden. Endlich konnte ich die Kupferbrocken, die wie Widerhaken im Fleisch saßen, einen nach dem anderen aus meinem gequälten Glied popeln. Eine echte Fischerarbeit, die mir das Wasser unter die Zunge trieb. Olga saß da mit ängstlichem Gesicht und glotzte; aber meistens sah sie lieber gar nicht hin. Dann legte sie vorsichtig ihre Hand auf meinen Schenkel und sagte irgend etwas, daß Gott sofort straft... Als es vollbracht war und ich meinen Stengel wie einen verwundeten Gallier behutsam in meine Unterhose bettete, brachte Olga die Zange zurück. Die Tür wurde geöffnet, bevor sie geklingelt hatte. Und wir wurden nicht mehr beobachtet. Die Leutchen hatten sicher nur die kleine Zange im Kopf gehabt. Hatten Angst gehabt, wir könnten damit abhauen. Bevor Olga zurückkam, stieg ich mit meinem blessierten Körperteil vorsichtig aus und holte den Pelz aus dem Kofferraum. Ich fand, nachdem ich mich halb gehäutet fühlte, daß sie den Pelz verdient hatte. Sie sagte, daß es Blaufuchs sei. Ein sehr kostbarer Pelz. Als sie fragte, wie ich dazu gekommen wäre, sagte ich, ich hätte ihn gegen ein Fossil eingetauscht, das ich beim Hacken im Jesuskopf gefunden hätte. Sie fragte nicht weiter, drehte den Wagen und fuhr zurück zur Straße. Wir schwiegen ein Weilchen, denn was hätten wir sagen sollen. Doch wohl kaum, daß sie so 'n Mitleid mit meinem Pimmel hätte. Oder, wie geht's jetzt mit deinem Schwanz? Schließlich kannten wir uns erst ein paar Stunden. Aber plötzlich begannen wir zu lachen. Gleichzeitig. Stets heftiger. Ich schlug mir so kräftig auf die Schenkel, daß ich vor Schmerzen vornübergebeugt sitzen blieb. Und ich glaube, daß durch das Lachen der Unfall passiert ist. Sie fuhr auf einmal auf der linken Straßenseite, als jemand aus der anderen Richtung kam. Um ausweichen zu können, mußte sie so hart gegensteuern, daß wir ins Schleudern kamen. Sie schrie auf, als ob sie plötzlich zu schweben begänne. Das Auto drehte sich um die Achse. Ich sah die Bäume am Weg tanzen, als wenn sie entwurzelt wären. Dann schoß der Wagen über die Straße und prallte frontal gegen einen Baum. Ich flog vornüber. Es war, als würde ich mit unvorstellbarer Geschwindigkeit in einen Eistunnel geschossen. Ein Stakkato harter Schläge. Mein Mund war voller scharfer Brocken. Ich spuckte sie aus.
Meine Zähne, fuhr es mir durch den Kopf. Mein Gesicht war lauwarm. Als ich darüber strich, war meine Hand rot und klebrig. Ich wagte nicht, meinen Kopf zu befühlen, weil ich dachte, dann ungehindert in meinem Gehirn wühlen zu können. Dann sah ich zur Seite zu Olga. Ich bekam einen Heidenschreck. Sie sah aus, als wäre sie tot. Sie lag vornüber, das Lenkrad in den Rippen und die Zunge aus dem Mund. Ihre Augen waren offen. Ich hatte das Gefühl, da 'ne Stunde gelegen und nach ihr gesehen zu haben, bevor ich die Tür aufstieß. Dann zerrte ich sie nach draußen. Der Pelzmantel saß zerrissen an ihrem Körper. So eng, daß ich Angst hatte, sie könnte nicht mehr atmen. Ich zog ihn ihr aus und warf ihn weg. Danach hob ich sie in meine Arme und stolperte zur Straße. Das Blut tropfte von meinem Kopf auf ihr Gesicht und lief ihr dann am Hals entlang in die Kleider. So stand ich da mit ihr. Und ich heulte, weil ich dachte, sie sei tot. Drei Autos fuhren an mir vorbei. Ich konnte kein Zeichen geben. Ich hielt sie hoch und schrie. Aus zwei Autos sahen mir die Fahrer direkt ins Gesicht. Aber sie fuhren hastig weiter. Den Schmutz nicht in mein Auto. Und dann kam ein altes englisches Autochen an. Ein Morris aus der Kriegszeit. Der hielt. Ein schmächtiger Engländer stieg aus und kam mit ausgestreckten Händen auf mich zu und sagte ganz ruhig: «Can I help you, Sir?» Als ich ihm Olga übergab, sackte er in die Knie und zusammen fielen sie vor meinen Füßen auf die Straße. Sie den blutigen Kopf gegen seinen hellen Regenmantel gedrückt. Wie er uns doch noch hinten in sein kleines Auto und zum Krankenhaus bekommen hat, ist mir nie ganz klargeworden. Ich dachte, Olga wäre von allein aufgestanden, aber das wußte sie später auch nicht mehr. Auch nicht, daß sie gerufen hatte: «Das Auto, oh, das schöne neue Auto.» Aber ich weiß noch, daß ich, als ich mit meinen Armen um ihren zitternden Körper auf der grünledernen Rückbank saß, mit der Zunge die Rückseite meiner Zähne befühlte. Und dann sah ich nach draußen zu ihrem Auto, dem Wrack, das da so plötzlich aus unserem Auto geworden war. Die Windschutzscheibe war weiß wie Schnee, und an der Stelle, wo ich mit dem Kopf aufgeschlagen war, war eine Beule mit einem kleinen Loch darin. Mir ging auf, daß ich davon kleine Glasstückchen in den Mund bekommen hatte. Auf dem Wrack und rundherum lagen wie gesät Eisstückchen, die durch den Aufprall aus dem Baum gefallen waren. Und zwischen dem glitzernden Krempel lag zerfetzt wie ein totgefahrenes Tier der Pelz.
Wir hatten es gesehen, das Kabinett mit den Kuriosiäten der Natur. Das Schienbein, das in einen Baum verwachsen war. Ein Kalb mit Hasenscharte. Das mongoloide Kalb mit «Hundekopf», geboren bei Bauer Herms in Windschoten am 3. April 1952. Konzentrationslagerpeitschen, dick beschmiert mit Blut. DEN DOPPELTEN KALBSKOPF. Farbloser Glibber in trüber Flüssigkeit. Es konnten genausogut Glasglocken mit halbverwester Saurer Rolle sein, mit viel Glück bei einem pleitegegangenen Dorfmetzger ergattert. Aber dann entdeckte man plötzlich ein bleiches Auge darin. Wie ein Knopfloch in schmutziger Unterwäsche. Erzfeind Nr. 1, DER KREBS, DAS MÜSSEN SIE SEHEN! Wir hatten's gesehen, und sie lief da rum, konnte nicht aufhören, sich zu gruseln. Vielleicht, weil sie an ihre Mutter dachte. Aber davon wußte ich damals noch nichts, von dem amputierten Balkon. Ich sah Olga zum zweitenmal auf der Terrasse der Krapfenbude im Schatten der Bäume am Nieuwmarkt. Noch nicht mal zwei Monate nach dem Unfall. Darum hielten wir uns in sicherer Entfernung von den Autoskootern, ohne ein Wort darüber zu verlieren. Aber wir fuhren mit einem verrosteten Vehikel auf der Geisterbahn. Sie saß nun rechts von mir, und es war so, als ob wir im Traum den Autounfall noch mal bauten. Still saß sie neben mir, an mich gelehnt, und sie kreischte nicht, als uns die Drähte durchs Gesicht strähnten, eine kalkige Spinne mit kokosnußgroßem Leib in einem Netz aus Ankertau unvermutet dicht vor uns bläulich aufleuchtete und plötzlich in einem Skelett ein Lämpchen brannte. Nur das Stückchen Straße, das dann für einen Moment in dem stockdunklen Raum erleuchtet wurde, war angsteinjagend, wie auch die schwachen Nahtstellen, an denen man sehen konnte, daß das Bauwerk aus losen Schotten zusammengeflickt war, die sich vielleicht ineinander verschieben könnten, um einen in eine grausige Grube voll Tod und Verderben zu jagen, wie in der Erzählung von Poe. Als wir aus der Dunkelheit herausfuhren, durch Klapptüren, die am Ende enormer Rippen saßen, die als Bogen über uns standen, da schrie sie auf. Sehr laut und durchdringend. Und sie drückte ihr Gesicht gegen meinen Pullover. Ich half ihr aus dem Fahrzeug, und ins helle Licht blinzelnd, verließen wir, sie etwas verlegen, den Kirmesplatz. Wir drängelten uns durch das Drops lutschende, Zuckerspinnen kauende, mit großen Plüschbären spielende und büchsenschießende Publikum. In den Ohren das Geschmetter der Musik und das Gekreische und Gedröhne der Karussells. Als ich sie da auf der Terrasse sitzen sah, spürte ich wieder
das Glas der Windschutzscheibe in meiner Schnauze. So froh war ich, daß ich das rote Biest wiedersah. Und sie, daß sie mich sah, denn sie strich mir das Haar aus der Stirn, um nach den Narben zu sehen. Ich hatte noch mehr Wundmale, aber danach fragte sie nicht. Ich hätte auch kaum meinen Riemen aus der Hose holen können, um ihr zu zeigen, daß die rosa Fleckchen noch nach acht Wochen zu sehen waren. Als hätte jemand mit einem abscheulichen quadratischen Gebiß den Abdruck seiner Zähne hineingestanzt. Ich war zwei Monate nicht zur Akademie gegangen. Die ersten Wochen nicht, weil ich von dem Unfall so verdammte Muskelschmerzen hatte und nur ganz vorsichtig mit einem Spazierstock rumlaufen konnte, und mit Sonnenbrille im Gesicht, weil meine Augen weh taten und ich alles doppelt sah. Und doch hatten sie in Eindhoven im Krankenhaus, wo sie mich geröntgt und so hart auf meinen Kopf gedrückt hatten, daß ich dachte, man wollte mir das Genick brechen, gesagt, ich hätte keine Gehirnerschütterung. Und danach war ich mehrmals in der Woche nach Alkmaar gefahren, in der Hoffnung, sie dort zu treffen. Ich hatte Stunden im Hauseingang gegenüber von ihrem Geschäft gestanden. Auf das runde blauemaillierte Schild, auf dem ein goldener Hermes komplett mit Helm, Stab und Flügeln an seinen Knöcheln stand, hätte ich gern geschrieben: ICH LIEBE DICH! ICH WARTE AUF DICH, KOMM ZU MIR. ICH VERGESSE DICH NIE! Ich
sah nie, daß sich hinter den Fenstern über dem Geschäft, wo sie wohnte, etwas bewegte. Und wenn ich anrief, dann sagte die abweisende Stimme eines Bürofräuleins: «Hier Hermes AG.» Ich legte dann schnell den Hörer auf, ohne etwas zu sagen. Denn wenn ich zu lange zögerte, dann sagte dieselbe Stimme kalt: «Sie brauchen nicht mehr anzurufen, das wissen Sie doch. Sie werden ja doch nicht mit Fräulein Olga verbunden.» Wenn ich damals etwas von den Messern aus dem Krieg gewußt hätte, hätte ich mich, nur um länger mit dem Haus, in dem sie wohnte, in Verbindung zu bleiben, als Vorsitzender eines Campingvereins ausgegeben, der auf der Suche nach stabilen Bestecken war. «Die Messer dürfen ruhig aus dem Krieg sein. Es macht überhaupt nichts, wenn ins Metall zum Beispiel der Stempel GOTT MIT UNS geprägt ist, oder HEIL HITLER oder WIR HABEN ES NICHT GEWUSST.» Na ja, so weit war ich damals noch nicht in die Geheimnisse des Geschäftslebens eingeweiht. Als ich zum erstenmal anrief und nach Olga fragte, wurde ich weiterverbunden und kriegte ihre Mutter. Die hatte nicht die Absicht, Olga für mich ans Telefon zu rufen. Und daß wir
gemeinsam gerade noch dem Tod von der Schippe gesprungen waren, sagte ich ihr auch nicht. Es war schon schlimm genug wegen des funkelnagelneuen Autos. Und sie sagte, falls ich Olga belästigen sollte, würde sie Maßnahmen ergreifen, die ich nicht besonders angenehm finden würde. Katzenfreundlich natürlich: Mein Mann und ich legen keinen Wert darauf, daß unsere Tochter derartige Verbindungen anknüpft. Was meinte sie? Daß ich ein zukünftiger Künstler war und von mir nicht erwartet werden konnte, jemals trockenes Brot zu verdienen? Oder meinte sie damit ein Individuum, das bei der Tochter mit offenem Hosenstall im Auto sitzt? Denn das hatte sie zweifellos von der Polizei gehört. Die hatten überhaupt nichts davon geglaubt, daß ein Reifen geplatzt war und Olga dadurch die Gewalt über das Lenkrad verloren hatte. Die fingen davon an, daß wir so jung waren und sie gut begreifen konnten, daß wir Arm in Arm saßen oder ein wenig schmusten. Und sie wurden schließlich anzüglich und meinten, daß einer von uns, oder vielleicht alle beide, mit den Händen an der verkehrten Stelle gewesen wäre. In dem Wrack, das auf dem Innenhof der Polizeiwache an einem Abschleppwagen hing, hatte ein Polizeihund sicher einen Tropfen unverfälschten Geilsaft aufgespürt. Und dauernd sahen sie mißtrauisch nach meinem offenen Hosenlatz, der wie ein weißes Dreieck unter meiner Jacke hervorlugte. Aber sie hätten auch auf den Gedanken kommen können, daß der beim Unfall aufgerissen worden war, denn auch die Hosenbeine meiner Jeans waren voller Risse, wie die Rinde eines wachsenden Baumes. «Also Reifenpanne? Das wissen Sie beide ganz genau, ja?» Das täppisch geschriebene Protokoll, stotterig verlesen. Von mir, Diensttuendem soundso, aufgenommen und so weiter. Aber wie dem auch sei, nun hatte ich sie doch wiedergefunden. Und unterwegs zu meinem Atelier erzählte sie, daß ihre Eltern auf Urlaub in Österreich seien. Für drei Wochen. Ich dachte, dann kannst du drei Wochen zu mir kommen, aber ich wagte es nicht vorzuschlagen aus Angst, sie könnte es ablehnen. Sie sagte es selbst. Als sie bei mir hinten auf dem Fahrrad saß, die Hände um meine Taille. Und ich fand, daß sie ein Schatz war, wie sie da hinter meinem gebogenen Rücken auf dem Gepäckträger saß, mit dem herrlichen, fleischigen Arsch, daß ich deswegen ganz vorsichtig weiterfuhr, damit ihre süße Herrlichkeit nicht zu sehr geschüttelt wurde. Und ich nahm mir vor, mich nicht gleich wie ein Berserker zu benehmen, wie damals in ihrem Auto. Denn das gab doch nur Unheil und Elend. So kam es denn auch. Wir saßen stunden-
lang auf dem Fußboden in meinem Atelier und unterhielten uns, bis es unmerklich dunkel wurde. Und wir spielten immer wieder die einzigen beiden Platten, die ich hatte. Das zweite Jazzkonzert von Benny Goodman : «Hello, this is Benny Goodman and it seems to me that I have heard that thing before. You may have heard it too as well as the other numbers ...» Jawohl, das hatten wir mittlerweile bestimmt gehört. Wohl zehnmal Someday sweetheart, Stardust, My gal Sal, Josephine, Everybody loves my baby, You turned the tables on me. Und zwischendurch erzählte sie alles mögliche. Erst über ihren Vater, denn den mochte sie am liebsten. Über seine Popelmanie. Den Kügelchenpark unter dem Stuhl. Daß er fürchterlich lachen mußte mit seinem dicken Körper, als sie steif von dem Unfall nach Hause kam und vor Schmerzen nicht sitzen konnte, und daß er überhaupt nicht böse war wegen des Autos. Daß er zum Gejammere ihrer Mutter immer gesagt hatte: «Ach Mensch, was soll man sich wegen so einem Stück Blech aufregen.» Daß er bei Regen oder Sturm zum Fenster ging und gemütlich sagte: «Das Wetter ist schlecht, genau wie die Menschen.» Einmal hatte sie mit einer Freundin ausgemacht, mit ihm im Chor zu rufen, genau gleichzeitig, denn man konnte exakt auszählen, wann es soweit war. Und sie riefen es genau gleichzeitig, sie und ihre Freundin. Aber er schwieg und schüttelte sich vor Lachen. Denn manche Dinge ahnte er mit der Schläue eines Fuchses voraus. Sie erzählte, daß er dauernd durchs Haus lief und so altmodisch hustete. Sie hörte es bis auf ihr Zimmer, wo sie lag und Unter Mutters Fittichen oder Trotzköpfchen las. Und daß er, als sie früher am Daumen lutschte, den vorsichtig wie einen Korken aus der Flasche gezogen und dabei gesagt hatte: «Deine Finger sind doch keine Dauerlutscher, liebe Puppe.» Daß ihre Mutter einmal gesagt hatte, als sie als zehnjähriges Mädchen ins Badezimmer kam und das angeharkte Fleisch gesehen hatte, wo die Brust weggenommen worden war: «Das kommt davon, daß du daran gesaugt hast.» Und dann hatte sie sehr lange daran geglaubt, daß die Brüste weggingen, wenn man ein Baby bekam, daß die vom Baby gegessen würden. Sie erzählte von der Grundschule. Den unbeholfenen ersten Freunden. Den Fesselern. «Ich werde dich mal eben fesseln.» Die Arme gekreuzt vor die Brust drücken, mit einer Hand festhalten und mit der anderen kurz fühlen. Daß sie einmal gemeinsam mit einer Freundin einen Freund festgebunden hatte, mit einem blaukarierten, städtischen Handtuch. Die Freundin hatte dann zu dem Jungen gesagt: «Winnetou ist frei, wenn er einen
Wurm aufißt.» Und er mußte es ihr nachsprechen. «Winnetou ist frei, wenn er einen Wurm aufißt», hatte er gefügig und genußsüchtig und mit nachdenklichen Augen gesagt, als säße er da und kacke. Sie hatten auf dem Schulhof einen Wurm unter einem Stein hervorgeholt und auf seine Zunge gelegt, die er ausstreckte, als bekäme er eine Hostie darauf. Und mit hochgezogenen Lippen, damit sie alles gut sehen konnten, hatte er den Wurm in Stücke gebissen und runtergeschluckt. Dann hatte er gesagt: «Jetzt bin ich frei.» Sie hatten ihn losgemacht, und dann hatte er am Kran einen Schluck Wasser getrunken. Sie sah mich ernst an und sagte: «Wenn man einen Wurm aufißt, ist man frei. Das glaube ich wirklich. Aber das brächte ich niemals fertig.» Ich packte ihre Hände und ließ sie aufstehen und tanzte mit ihr. I hadn't anyone till you, I never gave my love till you, And through my lonely heart ... Und ich steckte ein paar Kerzen an, denn es war zur Zeit der Künstlerfeste mit herbem Landwein und Kerzenschimmer. Kerzen auf leeren Flaschen. Und ich mußte daran denken, was ich einmal jemand auf einer Fete hatte sagen hören: «Die molligen, runden Frauen, mit denen kann man am besten einen rundmachen.» Während des Tanzens schob ich ihren Rock hoch und streifte ihr Höschen bis unter die Backen nach unten. Als sie den Rücken zum Spiegel drehte, tanzte ich eine ganze Weile auf der Stelle. Und ich sah die prächtigen Backen, wie sie sich hin und her drehten. Schamlos im Kerzenlicht. Und ich fühlte mich so verdammt reich. Aber dann wandte sie sich plötzlich um und sagte halb entrüstet und verwundert: «Du stehst da und glotzt nach mir.» Sie wollte sich losmachen, um das Höschen nach oben und den Rock nach unten zu streifen. Aber als ich mich schnell umdrehte und sie sehen konnte, wie ich mich gegen ihr nacktes Fleisch bewegte, ließ sie es doch so. Ich fühlte die Wärme ihres Körpers durch meine Hose hindurch, und ich kniete vor ihr nieder und küßte ihren Bauch, ihre Schenkel, und dann hatte ich plötzlich ihre saftige Pflaume zwischen meinen Lippen. Und das war nicht so 'n Ding mit so 'nem ungeordneten Büschel Haare drum rum, indem man sich vorkommt, als wenn man einen Mann mit Vollbart küßt, und auch nicht so 'n Apparat mit großen Schamlippen nach außen, braune Flappen, Klapptüren eines Salons, die bereit hängen, um einem vor die Klöten zu schlagen. Nein, und wenn ich ihre Bocksperücke nur flüchtig begutachtet hatte, hatte ich sicher genug gesehen. Wie ihr Bauch, mit hier und da einer nach unten gerutschten Sommersprosse, eine Bohne zwischen den goldenen Ähren aus dem Hohenlied,
nach einer leichten Einbuchtung sich unten wieder nach vorn wölbte, beinahe wie eine kleine, feste Mädchenbrust. Eine rosarothaarige Frucht mit einer Kerbe darin, die offenstand mit milchiger Flüssigkeit. Ich schlang meinen Arm um ihren Hintern und drückte sie an mich. Und ich steckte meine Zunge in die feuchte Spalte. Sie seufzte und stöhnte, und ihre hohen Hacken klapperten auf dem Fußboden vor bibbernder Spannung, und sie zuckte plötzlich etwas nach vorn und drückte mit beiden Händen auf meinem Hinterkopf mein Gesicht in das weiche Paradiesfleisch. Dann kreiste sie mit ihrer Pflaume um meine Zunge. Danach schubste sie mich weg, aber mein Kinn blieb hinter dem Gummiband ihres Höschens hängen, das stramm zwischen ihren Beinen saß, so daß ich ihr noch ein Nachleckerchen geben konnte. Ich mußte daran denken, was ich in einer französischen Übersetzung des Kamasutra gelesen hatte: Exitees directement par la succion, l'aspiration et lechement de tous leurs organes, les femmes, parvenues auparoxysme, lancent dans la bouche de l'homme, par leur conduit afferent, le mucus glaireux secrete par les glandes vulvo-vaginales. Ich hatte immer gedacht, daß das übertrieben war und daß Heinrich der Vierte - ein Königreich für eine Fotze -, der so verrückt darauf war, daß er gern Pudding davon gegessen hätte, das Opfer seiner überhitzten Phantasie gewesen sei. Ihm schmeckte das besser als Austern. Ich mag zwar keine Austern, aber wo ich nun selbst so was auf meiner Zunge hatte, mußte ich, während ich Olga beobachtete, wie sie bauchtanzend und mit halbgeschlossenen Augen nachträglich noch genoß, doch zugeben, daß es lecker war. Olga preßte plötzlich die Hand gegen das Pflaumenhaar und sagte, daß sie so nötig müßte. Ich sagte, daß sie ruhig in meinen Mund pissen dürfe. Sie erwiderte, daß ich ein Ferkel sei, und rannte zu dem Platz, den ich ihr angewiesen hatte, einem Waschbecken in der anderen Ecke meines Ateliers. Und als sie ein wenig verschämt, aber doch genießerisch, mit ihrem Loch nach hinten dasaß und pißte, halb verdeckt hinter einem großen Gummibaum, war ich doch froh, daß sie nicht auf meinen Vorschlag eingegangen war. Denn es plätscherte da, als wenn eine Ziege auf eine Zinkplatte pinkelt. Und ich war so geil auf sie, daß ich, bevor sie leergepißt war, zu ihr rannte und meine Hand von oben zwischen ihre Schenkel zwängte und sie in den herrlichen warmen Urin hielt. Und dann rieb ich mein Gesicht damit ein. Sie verzog vor Ekel ihr Gesicht, aber ich sagte ihr, daß nichts so bezaubernd riecht wie die Pisse einer gesunden jungen Frau. (Vorausgesetzt, sie ist keine Bier-
trinkerin.) Und die Pisse ist auch noch heilkräftig. Vor allem gegen Brennessel. Dann packte ich sie mit ihrer nassen Fotze und trug sie zu meinem Bett und leckte und küßte sie übers ganze Gesicht. Bis in die Ohren- und Nasenlöcher. Bitter und salzig. Als ich sie ausgezogen hatte, was sie gefügig und sich in fauler Behaglichkeit streckend gefallen ließ, stellte ich alle Flaschen mit Kerzen auf Bänke und Kisten und dann um das Bett herum. Dann setzte ich mich auf einen Stuhl und sah sie mir in aller Ruhe an. Wie ihre Brüste nicht wie zu weicher Pudding wegsackten, sondern stramm stehenblieben, mit den Brustwarzen zur Decke weisend. Und das waren nicht so 'ne braunen Murmeln, die man mit Daumen und Zeigefinger abschießen zu können glaubt, das waren wirklich die rosa Vorsprünge des prächtig gewölbten Vordergiebels. Gesprenkelt mit Hunderten kleiner Sommersprossen, als wären sie mit braunem Zucker bestreut. Und ihre Haut war so weiß zwischen all den braunen Flecken, als ob sie sich nur mit Buttermilch wüsche. Mit ihrem lieben, runden Kopf, den auf das Kissen fallenden kastanienroten Haaren und ihren dunklen großen Augen lag sie ruhig da und sah um sich. Besah sich das ganze Atelier. Die Pflanzen, die Aktstudien, das Spiegelbild des Bettes mit den Kerzen drum herum. Ich ging zum Klo, als ich zurückkam, war sie eingeschlafen, ein Händchen auf ihrem roten Schamhaar und das andere an der Wange. Ich setzte mich wieder auf den Stuhl und betrachtete sie. Und plötzlich sah ich, daß ihre Lippen sich klebrig geöffnet hatten und daß ihr Daumen im Mund steckte und sie langsam daran nuckelte. Wie lange ich dagesessen habe, fasziniert von dem lieblichen Geschöpf, weiß ich nicht. Ich sah eine Kerze nach der anderen erlöschen. Manchmal mit einem Zischen, wenn der letzte Rest Kerzenfett mit dem brennenden Docht durch den Flaschenhals glitt und in den Bodensatz fiel. Und ich hörte, wie die Vögel wie wahnsinnig zu singen begannen, und die Tauben gurrten und riefen, lange bevor es hell war. Als es hell wurde, wurde sie wach von der Morgenkälte. Ich kroch zu ihr, zog die Decke flüchtig über uns, und dann begann für uns die Nacht. Deutsch von Siegfried Mrotzek
Ingeborg Middendorf
Panic in Detroit Der ist kein Mann für dich, sagte ihre Freundin, als sie sich nach einer Gesellschaft am frühen Morgen verabschieden - während sie auf dem Weg ist zu ihm. Er öffnet. Ach, niemand, sagt er und tut so, als wolle er die Tür wieder schließen - lacht, öffnet die Tür ganz. Oho. Geschminkt, sagt er und geht ins Vorderzimmer-Teppichboden, helles Klavier - Schimmel - wollen wir es hier machen? Sie lächelt, setzt sich in den Liegestuhl - rotblauweißes Leinen - er hockt sich vor sie hin - oder soll ich so an dir knabbern? - lispelt er?Sie lacht, schaut zur Decke - Stuck und eine Glühbirne: mir ist das Licht zu hell hier. Er steht auf, holt ein Stück farbiges Papier, will es vor der Birne an der Halterung befestigen. Das geht nicht, sagt sie. Brennt. Dann laß uns ins Bett gehen. Durch die Küche in das hintere Zimmer. Ein indisches Bett. Eine Stange, an der seine Kleider hängen - als Staubschutz ein Laken darüber. Die Glühbirne des Zimmers trägt ein Mäntelchen von grünem Kreppapier. Sie geht zurück in die Küche, nimmt sich einen Apfel und geht zurück ins Schlafzimmer. Wie schnell er sich ausgezogen hat. Na, sagt er, ruckelt am Reißverschluß der Hose - die er ihr einmal geschenkt hat, als sie noch zusammen lebten -, schiebt den Knopf auf. Er zieht ihre Bluse aus - auch ein Geschenk, aber von einem anderen Mann - guck mal, wie dick die Brüste geworden sind, wie «prall!»
Sie setzt sich auf das Bett und schiebt Hose und Unterhose herunter. Die Stiefel auch, fragt er. Mit Stiefeln, findest du das gut? Sie lacht schnell auf. Find ich blöd — beißt in den Apfel, streckt sich aus. Bitte, mach doch das Licht aus. Dann kann ich ja nichts sehen. Du brauchst doch nichts zu sehen. Was willst du sehen? Er ist mit seinem Gesicht bei ihrem Geschlecht. Atmet den Geruchwunderbar. Wie bei einem Baby. Leckt die Flüssigkeit dort ab. Wie möchtest du es? Nicht immer von hinten - oder? Ich möchte dein Fleisch spüren. Ganz umhüllt sein von dir. Ja, leg dich auf mich. Halte die Beine zusammen. So. Ja, so ist es gut. Oh! Oh! Wie ich das genieße. Wie du mich ausfüllst. Ganz langsam. So kommt es von selbst. Da zuckt es ja schon. Oh! Ist das tief. Da hab ich dich richtig. Jetzt kommt es bei dir. Ich spür das. Doch. Doch. Laß es los. Schön loslassen. - Willst du denn, daß es kommt. Ich denk immer, daß du es eigentlich nicht willst Ich will es. Natürlich will ich es. Laß es los jetzt Ich kann nicht. Im Knien, bitte von hinten. Sonst kann ich nicht. Stimmt ja gar nicht. Eben hat es doch schon gezuckt.» Oh! Oh! Ich kann nicht mehr halten. Sie umarmt seinen Leib fest mit Armen und Beinen, preßt Bauch und Brüste gegen ihn. Oh! Oh! Da ist es schon! Keine Worte einen Moment. Leise werdendes Stöhnen. - ach Mensch, bei mir ist es nicht gekommen. Du bist gemein. Du weißt doch, daß ich so nicht kannEr liegt auf dem Rücken. Nicht anfassen da, sagt er, ist so empfindlich. Nicht - lacht als würde er gekitzelt. Ich will es aber auch haben! Dann mach es dir doch. - Ich geh nicht mehr rein. - Die Samen überall, die kriegt man mit Waschen nicht ab. - Ist auch noch was in der Röhre! Ich komme immer zu kurz! Gerade du mußt das sagen. Du sorgst doch wirklich dafür, daß du alles kriegst - wollen wir etwa darüber jetzt reden Komm, mach es dir!
Sie faßt mit der einen Hand seinen Schädel an. Den Kopf mit den kurzen Haaren, dünn und gekräuselt wie Schamhaar. Mit der anderen Hand umfaßt sie seinen Hals, dort, wo das Blut pulsiert. So. So mußt du jetzt herhalten. Sie reibt die Brüste an seinem Körper und kniet halb über ihm, die Beine übereinandergeschlagen. Oben zusammengepreßt. Erzähl mir. Sag, wie du es mit anderen machst. Bitte. Das willst du wirklich hören? Mit wem soll ich dir denn erzählen. Mit... bitte. Nee, mach ich nicht. Warum denn nicht. Hast wohl Schiß, daß du sie verrätst. Aber mich konntest du immer verraten, wie? Fängt das schon wieder an ... will sich aus ihrer Umklammerung winden. Ich muß auch schlafen, sagt er trocken. Komm, laß mich los. Warte doch 'nen Moment. Dann sag, wie es mit... war. Das ist was anderes, hm? Pause. Er hält still. Das willst du wirklich wissen? Klar. Also. Sie hat einen süßen kleinen festen Hintern. Schöne weiche Haut - wie du, aber nicht so dicke Brüste - die hat überhaupt niemand. - Und eine wilde Muschi hat sie. Komm zur Sache! Sie duftet wie du. Zuerst habe ich ihren Po angefaßt - das junge Fleisch - es so weit wie möglich auseinandergedrückt. Damit ich ihr süßes Geschlecht sehen und riechen konnte. Als ich ihre Möse ausschleckte, zuckte es schon. Ganz wild zuckte sie. Der Kitzler ganz dick. Gesagt hat sie nichts. Nur gestöhnt. Naß war sie. Der Saft tropfte schon. Da hab ich ihr den Schwanz reingesteckt. Ihre Möse ausgekundschaftet. Langsam, damit ich alle Winkel erforschen konnte. In sie hinein - massiere ihre Mose sanft, fasse von hinten ihre Brüste an und massiere sie. Das Stöhnen kam aus ihr heraus. Tief von innen. Als es gekommen ist, hat sie geschrien. Dann hab ich den Schleim, der aus ihr herauslief, abgeschleckt. Und es hat schon wieder gezuckt.
Als sie dann zusammengekrümmt vor mir lag, hab ich sie noch mal genommen mit schnellen Stößen. Und als sie es nicht mehr halten konnte, ist es bei mir auch gekommen. Jetzt steigt es bei dir auch. Schön steigen lassen. So. So. Zuck dich schön aus. Hm. Ja. Gut. Jetzt fühlst du dich wohl. Oder? Neben ihm ausgestreckt. Müde, aber schon wieder erregt. Er hat sich abgewendet. Sich in die Kissen geschmiegt. Ich bin müde, sagte er. Morgen muß ich aufstehen. Der Blick zur Uhr, schon immer verhaßt - weißt du, wie spät es schon ist - das mag ich dir gar nicht sagen. Vier Uhr, sagt sie. Ich geh auch schon. Zusammensuchen der Wäsche. Ein Socken findet sich nicht. Die Stille erregt wieder ihr Verlangen - sag mir doch was Liebes, bittet sie leise. Nicht bloß Geiles. Er wird laut: Ich bin müde!!! Immer brauchst du noch einen Bonbon. War ich nicht lieb zu dir? Mir fällt nichts mehr ein! Ich dachte, sagte sie, angezogen auf der Bettkante sitzend - sein Gesicht, in Kissen versunken, streichelnd- ich dachte, weil du mir immer so viel geschrieben hast, daß ... daß du mich brauchst! Sie wartet. Naja! sagt er schließlich mißmutig - das ist in dem Augenblick auch so, daß ich dich vermisse, wenn ich dir das schreibe, wehmütig bin ... aber es vergeht wieder ... ist nichts, was irgendwelche Konsequenzen hätte. Don Juan, sagt sie leise, schaut sein angestrengtes Gesicht an, die geröteten Augen. Ich muß jetzt schlafen, sagt er. Laß ab von mir. Laß ab. Ja, sagt sie. Das tu ich. Schlaf! Zu Hause unruhiger Schlaf. Der erregte Körper will sich nicht bezwingen lassen. Gegen Morgen hören die Bilder auf, die sie belästigen: Leiber ineinandergeschoben. Am Himmel Pferde, die vögeln. Vögelnd durch die Lüfte schweben. Sie ruft ihn an, einen anderen ihn. Ich will dich nicht sehen, sagt er - ein anderer er. Gut, sagt sie, ich komme. Sonniger Herbstmorgen. Sie fährt mit dem Auto zu ihm. Er öffnet im Morgenrock.
Was willst du? Ich dachte, wir könnten einen Spaziergang machen. Es ist sehr schön draußen. Ich will nicht. Sie geht an ihm vorbei ins Wohnzimmer, wo zwei Frauen sitzen. Mutter und Tochter. Die eine Ebenbild der anderen. Sie sprechen über die Entführung - ob die RAF-Leute ausgeflogen werden. Kennst du den schon? Gudrun und Andreas wollen heiraten - den Schleier haben sie schon - fehlt bloß noch der Strauß - kenn ich. Der Fernseher läuft, nichts Neues Der kleine Krisenstab und der große haben dem Vernehmen nach getagt - man wartet auf weitere Meldungen Auf dem Bildschirm ein Flugzeug. Es schiebt sich langsam vom rechten Bildrand in die Mitte des Bildes - ein Fahrzeug wird sichtbar und nähert sich langsam dem Flugzeug. Das Flugzeug wird aufgetankt, hört sie. Zwei große Maschinen in der Mitte des Bildes. Ein Schlauch wird vom Versorgungswagen der kleineren Maschine zum Flugzeug, der großen Maschine, geführt. Nach einer Weile setzt sich der Tankwagen in Bewegung, entfernt sich. Auf dem Bildschirm ist nur noch das Flugzeug zu sehen. Langsam rollt es aus dem Bild. Einen Moment ist die Bildfläche des Fernsehers leer. Dann holt die Kamera das Flugzeug wieder ein. Man sieht, wie sich die schwere Maschine in die Lüfte hebt. Laß uns gehen, sagt sie zu ihm - und, nahe an seinem Ohr: Ich möchte allein sein mit dir! Ich hab eigentlich keine Lust, sagt er. Sie fahren zum Tiergarten. Sie legt die Hand zwischen seine Beine, zittert ein wenig mit der Hand, spürt die Erregung seines Geschlechts. Was soll das. Er schiebt ihre Hand weg. Das machst du doch auch mit anderen. Na und - sagt sie. Laß das. Ich will es nicht mehr. Das führt doch zu nichts. Zu was soll es denn führen? Fahr rechts, sagt er, als sie unschlüssig ist, in welchem Teil des Tiergartens sie parken soll. Ich fahr links! Du bist doof. Sie parken, steigen aus. Sie faßt seinen Arm sanft an, schaut ihn an.
Wie geil du wieder guckst. Der gestern hat dich wohl nicht befriedigt, und jetzt kommst du zu mir. Ja, sagt sie. Du machst es mir immer so gut. Ich hab dich ja auch lieb, sagt er. Was hast du gestern gemacht - faßt ihre Hand, drückt sie zusammen, bis es schmerzt. Hör auf, sagt sie. Es tut weh. Er drückt stärker: sag es! Niemand. Mit niemand! Laß mich los! Hören Sie mal, ruft sie einem Spaziergänger zu, helfen Sie mir, er zerquetscht meine Hand! Der Spaziergänger geht weiter. Da kann einem wer weiß was passieren vor deren Augen. Nichts sehen und nichts hören, ruft sie dem Passanten nach. Aua! schreit sie. Sei nicht albern! Er läßt ihre Hand los. Das Sonnenlicht auf dem Rasen. Der Kanal. Die Brücken. Licht im herbstlichen Laub, Fluten von Licht. Die Luft ist milde. Wie warm es in der Sonne ist. Sie hält das Gesicht in die Wärme, schließt die Augen. Komm, wir setzen uns. Sie suchen einen Platz in der Sonne, schauen auf das Wasser. Spaziergänger gehen vorbei, schauen zu ihnen herüber. Wie die Leute uns angucken, sagt er. Warum gucken die so? Vielleicht weil die anderen gehen, und wir sitzen hier. Oder sie denken, sagt sie, so ein junger Typ und die Frau ist viel älter. Ich sehe alt aus, oder? Verlebt siehst du aus! Werd nicht kitschig! Doch, die Augen. Die Krähenfüße. Bald sind deine Augen ganz in Falten verschwunden. Du hast selber Falten, sagt sie zu ihm. Ich hab keine Lust, über meine Falten zu reden. Soll ich mich dafür entschuldigen, daß ich älter bin als vor zehn Jahren? Ob die Leute sich wohl vorstellen, daß wir bumsen und wie wir bumsen? Das ist wohl das einzige, was dich interessiert. Ich will gar nicht wissen, wie wer bumst. Mann, dir guckt die Geilheit wieder voll aus dem Gesicht. Richtig lüstern bist du. Sie legt die Hand auf sein Geschlecht. Die Leute, sagt er und schiebt die Hand weg. Du bist verrückt. Du willst es doch auch, sagt sie, den Kopf zurückgeworfen - wo hat sie das zuletzt gesehen? Du denkst doch auch nur daran. Stellst dir vor, wie du in mir bist.
Das Gefühl, wenn du tief in mir bis zum Schaft vordringst. Ganz langsam, immer noch einen Schlag nachgibst. Hör auf, sagt er. Das ist gemein. Und wie du spürst, daß es feucht ist, immer feuchter wird, schon tropft. Deine Haare sind schon ganz naß von mir - Nicht! er lacht. Du bist so gemein ... Und alle Winkel meiner Möse auskundschaftest, erforschst nach den Spuren eines anderen Mannes ... und immer noch mal nachstößt, um es herauszukriegen ... und ich stöhne ... Dein Blick, sagt er. Du bist verdorben. Richtig versaut. Ach, Quatsch ... und du dann immer wilder es wissen willst. Den anderen, die anderen Männer aus mir heraustreiben willst - noch mal nachstößt und wieder ... und wieder ... und es nicht mehr aushalten kannst, bis es aus dir herauskommt, ein Stöhnen tief innen, aus dem Bauch ... davon wird der Bauch dann auch dick, hm? Ich komme nicht mit, sagt er. Eine ältere Frau verführt einen jungen Mann, das hab ich mir oft vorgestellt, wie ein junger Typ auf eine ältere Frau trifft, die ihn aussaugt und ausluscht und ihn dann fallen läßt. Und der Typ bringt sich um. Das gibt es. Sie schauen sich an. Aber dir könnte das nicht passieren, oder? Er zögert. Nein. Ich glaube nicht. Komm, sagt sie. Wir gehen. Bitte. Faßt seinen Arm an. Drückt ihn. Wir können es auch bei dir machen? Nein? Dann gehen wir zu mir. Ich ruf an, ob jemand da ist... in meiner Wohnung. Sie fahren ... Sie parkt an einer Telefonzelle, Halteverbot. Läßt den Schlüssel stecken, fürchtet einen Moment, daß er wegfährt. Wirft ihm beim Aussteigen einen Blick zu, sein Geschlecht, sein Mund: Knutschmund, sagt sie zu ihm. Seidenhaar. Du mein Tierchen, du. Vögelchen. Als sie aussteigt, hebt sie den Mantel hoch, daß er die Form ihres Hinterns unter dem Hosenstoff erkennen kann, lächelt ihm zu, wirft die Haare zurück. Ein Passant auf der anderen Straßenseite schaut zu ihr herüber, zögert, ob er sie ansprechen soll. Sie schaut zum Auto, er sieht sie an, sieht zu dem Mann hinüber. Lacht. Sie geht in die Zelle, wirft Groschen ein, wählt die eigene Nummer, läßt läuten. Dreht sich so, daß er sie sehen kann, wiegt sich leise, als würde sie geschaukelt, macht übermütige Zeichen: Niemand! Öffnet
die Tür der Zelle wieder, hebt sich beim Gehen auf die Fußspitzen, hüpft und sagt beim Offnen der Wagentür: sturmfreie Bude! In ihrem Zimmer auf dem Bett. Sie ist noch angezogen. Er hat sich schon nackt gemacht. Kniet über ihr, streckt ihr seinen Schwanz entgegen. Nimm, sagt er. Trink. Schluck es! Das hast du doch gestern auch gemacht. Nein. Sie lacht, dreht den Kopf weg. Er faßt zwischen ihre Beine: da will ich rein. Ganz nah bei dir sein, will ich. Leg dich auf mich. Deck mich zu mit deiner Fülle. Dein lüsternes Fleisch. So hast du auch auf ihm gelegen. Komm, beweg dich. Nicht so schnell. Wie das schmatzt. Du hast schon wieder Hunger. Ich mach dich satt. Komm! Du mit deinen Männern. Nicht drei Tage kannst du es aushalten ohne, mal ehrlich. Schäm dich. Sie lacht. Kannst du es drei Tage ohne aushalten? Nein, stöhnt sie. Nein. Nicht so geil machen. Das darf man nicht. Das ist Sünde. Draußen Kirchengeläute und Polizeisirenen. Oh, diese Kirchenglocken geilen mich auch an und deine Stimme erst. Sag was. Sprich mit mir! Hast du es auch so gemacht mit dem Mann gestern ? Wer war es ? Willst du es wirklich wissen? Ja, sag es mir, tief in ihr, stößt noch einmal nach: Sag es! Nein. Doch. So hab ich es nicht gemacht mit ihm ... er lag auf mir. Hat mich umhüllt mit seiner Geilheit ... nein ... meine Beine waren nicht gespreizt, sie waren geschlossen ... so ist es fast gekommen ... hat schon gezuckt ... Als ich ihn dann auch mit den Beinen umarmt habe, ist es ihm gekommen, aber mir nicht ... ich war dann so aufgepeitscht, daß ich es mir allein gemacht habe - mit seinem Schwanz war es mir zu gefährlich ... hatte auch nichts zum Verhüten da .. .dann hab ich mich auf ihn gelegt, so wie wir jetzt ... nur den Oberkörper an ihn gedrückt ... sein Geschlecht gestreichelt ... und die Beine übereinandergeschlagen ... das möchte ich jetzt auch ... er hat Worte gemurmelt ... wie er es mit seiner Freundin macht ... soll ich sagen ... willst du wissen ... ein ganz junges Mädchen ist das. Die hat er auf der Straße aufgelesen, sie mit zu sich genommen, ihr die Muschi ausgelutscht. Eine ganz wilde Muschi hat sie gehabt. Als sie gekommen ist, hat sie geschrien. Bei mir steigt es auch wieder ... oh, noch ein
langsamer Stoß ... und jetzt halt schön ruhig. Jetzt ist es da. Ganz ruhig. Noch etwas nachstoßen ... Nachdem er es auch gehabt hat, liegen sie nebeneinander. Ich glaub, ich werd süchtig danach, sagt sie. Schon wieder ganz naß, wirklich. Wie kann das sein ... Ich glaub, ich bin krank. Er sagt nichts. Ich will weg! nach einer Weile. Ich will weg. Warum denn - hat es dir nicht gefallen? Ich will weg. Was erleben. Andere Menschen sehen. Nicht immer in der Bude hocken. Nicht immer nur das Bett. Er sieht müde aus und allein. Was ist denn, fragt sie. Was hast du? Schweigen. Er raucht. Du interessierst dich gar nicht für mich. Nur für das, was ich in der Hose habe. Du willst nur meine Geilheit. Ja. Die belebt mich auch ... das sündige Fleisch? Quatsch! Ist doch ganz natürlich. Bumsen. Macht doch jeder. Soll ich etwa so tun, als ob ich noch auf einen Mann warten würde ... das nicht... was meinst du denn, soll ich tun? Soll ich dich heiraten? Sie lacht. Er lacht auch. Nee, sagt er. Brauchst du nicht. Was willst du denn? Ich will eine Freundin haben. Nicht eine, die immer andere Männer hat... Ach so, du willst mich ganz für dich allein ... Sie lachen. Auch nicht. Aber so geht es mir nicht gut. Ich fühle mich ganz elend. Leer irgendwie. Eben im Bett war es, als stünde ich neben mir. Als würde ich mir selbst zusehen. Ekelhaft. Du saugst nicht nur mein Geschlecht aus ... ich bin irgendwie nicht mehr ich selbst. Das eben war nur Geilheit. Nur das Geschlechtliche. Dabei hab ich dich so liebgehabt. Ich weiß auch, mit wem du zusammen warst gestern. Brauchst mir nichts vorzulügen. Er steht auf. Sagst ja nichts. Stimmt das etwa nicht? Er steht vor ihr. Bleich. Schlägt ihr ins Gesicht, Haß in den Augen. Das ist deine Sprache, höhnt sie. Anders geht es wohl bei dir nicht. Er steht ruhig. Ich verachte dich, sagt er. Du machst alles kaputt. Immer mußt du alles kaputtmachen. Du bist ein bißchen krank im Kopf.
Er geht aus dem Zimmer. Tu doch nicht so, sagt sie. Das hast du doch auch vorher gewußt, daß ich bei ihm war. Zu wem sonst sollte ich auch gehen. Er kommt zurück. Nimm dich in acht, sagt er, du geiles Miststück. Will wieder zuschlagen - sie lacht. Das ist mir viel zu blöd, sagt er, geh ruhig zu ihm. Da paßt du auch besser hin. Dann könnt ihr euch gegenseitig kaputtmachen. In der Tür ... laß dich schön ausnutzen von ihm ... sie geht auf ihn zu: Sei doch nicht so. Faß mich nicht an! Nimmt den Türgriff und sagt, während er die Tür zuknallt: Ich will dich nie mehr sehen. Die Tür hinter ihm schlägt zu, Schritte auf der Treppe, noch eine Tür, die zufällt. Allein im Zimmer setzt sie sich an den Schreibtisch, steht wieder auf, geht ans Fenster, sieht ihn weggehen. Kein Blick zurück. Sie setzt sich auf das Bett. Unruhe, nicht kontrollierbar, Herzknallen, das Blut steigt zum Kopf. Sie geht zum Plattenspieler und sucht ein Stück von David Bowie, das sie schon einmal in solch einer Stimmung gehört hat. Sie findet die Platte, legt den Arm des Plattenspielers auf die Rille des Stückes - es ist das vorletzte der Seite. Sie dreht weit auf, setzt sich auf den Boden und schließt die Augen: Panic in Detroit.
Wer nach der Regel liebt, liebt nur wenig. Die Liebe kennt keine Ordnung. Michel Eyquem de Montaigne
Toren sind's, die von ewiger Liebe schwatzen. Ewiges Einerlei widersteht, Veränderung nur ist das Salz des Vergnügens. Friedrich Schiller
Alberto Moravia
Ohne Liebestrieb Ich habe nicht geheiratet, weil ich sehr bald begriff, daß sich jemand, der wie ich ständig an die Liebe denkt, von der Ehe besser fernhält. Anstatt zu heiraten, um, wie das viele Frauen tun, nicht an die Liebe denken zu müssen, wählte ich den Beruf der Stewardess, der es mir erlaubt, mich selbst zu erhalten und dabei an die Liebe so viel zu denken, wie es mir gefällt, ohne jemandem Rechenschaft ablegen zu müssen. Ich fliege täglich die Routen des Nahen Ostens, und während ich lächelnd und dienstbeflissen die üblichen Dinge erledige, die Mahlzeiten serviere, das Anschnallen der Gurte überprüfe, Müttern in Schwierigkeiten beistehe und so weiter, denke ich an die Liebe. Entweder denke ich an die Liebschaften, die ich hatte, oder an die, die ich noch vor mir habe. Das will aber nicht heißen, daß ich eine zügellose Frau bin. Im Gegenteil, ich spüre fast immer Hemmungen. Ich denke eben deshalb so viel an die Liebe, weil es nur sehr selten geschieht, daß ich liebe und geliebt werde. Mit dreißig hatte ich, trotz meiner Schönheit, nur sehr wenige nennenswerte Liebesaffären. Dafür habe ich, wie zum Ausgleich, nichts anderes getan, als an die Liebe zu denken. Manchmal glaube ich, es hängt mit meinem Beruf zusammen, daß mir der Liebestrieb fehlt. Ich kann mich irren, aber ich glaube mich erinnern zu können, daß ich selbstsicherer war, bevor ich Stewardess wurde. Der Beruf der Stewardess hat aus mir einen entwurzelten Menschen gemacht, der nicht mehr weiß, wo er hingehört, der fast nie in seiner eigenen Sprache spricht, der meistens über den Wolken schwebt, im ewig schönen Wetter der großen Höhen. Um zu lieben und geliebt
zu werden aber braucht man Wurzeln. Die Bäuerin, die an den Hof und den Boden gebunden ist, liebt und wird geliebt, ja auch die Ladenbesitzerin, die ihr Heim und ihr Geschäft hat. Was für Wurzeln aber kann man im Himmel schlagen? Ja, die Heiligen, die stets das Gegenteil von uns Sündern tun, die können es. Aber wie viele Heilige gibt es schon? Kürzlich, eines Abends in Beirut, habe ich, eben weil ich ständig und vergeblich an die Liebe denke, die Einladung eines Piloten meiner Fluggesellschaft, eines gewissen Marco, zum Abendessen angenommen. Er hatte es schon seit langem auf mich abgesehen, und ich wollte herausfinden, ob er vielleicht zufällig die Eigenschaften besitzt, um, wie man so sagt, der Mann meines Lebens zu werden. Ich möchte diesen Marco beschreiben, schon deshalb, weil er meinem männlichen Ideal entsprach - dennoch kam es so, wie es gekommen ist. Marco ist also einer jener ungemein stattlichen Männer, bei denen jedoch die fast übertrieben kraftvolle Erscheinung durch irgend etwas Gegensätzliches ausgeglichen wird: er war athletisch gebaut und zugleich sanft in seiner Art, brutal und zugleich schüchtern, grobschlächtig und zugleich schwermütig. In heiklen Situationen stotterte er sogar, was mir gefällt und mich rührt. Wir gingen in ein orientalisches Restaurant im arabischen Stil, die Kellner trugen Nationalkostüm. Wir setzten uns in einen kleinen Hof, in ein Marmorbecken ergoß sich ein Wasserstrahl. Wir bestellten ein Spezialitäten-Menü und kamen dann zur Sache. Meine Situation war klar: Ich war gekommen, um mir sagen zu lassen, daß man mich liebt und vielleicht sogar heiraten will. Aber gerade weil die Situation so klar war, verwirrte sie mich. Da mein Liebestrieb bei solchen Gelegenheiten völlig aussetzt und sich mein wunderschöner Körper regelmäßig taub stellt und mir jede Antwort versagt, möchte ich mir, so ungern ich's tat, bei dem Gedanken, daß sich Marco bestimmt jetzt erklären werde, zwangsläufig die sozusagen grundlegende Frage stellen: gefällt er mir oder gefällt er mich nicht? Ich sah ihn an und wurde mir gleich bewußt, daß ich in meiner Ratlosigkeit dabei eine Grimasse schnitt, die mein schönes Stewardessen-Gesicht in eine Karnevalsfratze verwandelte. Je länger ich ihn ansah, desto unsicherer wurde ich. Das eine Mal sagte ich mir: «Ja, er ist es, wirklich, kein Zweifel, er ist es.» Und dann wieder: «Aber nein, er ist es nicht, Gott bewahre, er ist es nicht, gar keine Rede.»
Marco mußte etwas gemerkt haben, denn er fragte mich leise: «Was hast du? Hast du Probleme?» «Keine Probleme. Aber sitzen wir doch nicht so schweigsam da. Reden wir miteinander.» «Ich möchte dir eigentlich etwas sagen.» Ich geriet sofort in Panik: «Etwas? Laß uns lieber über verschiedene Dinge plaudern. Sprechen wir von deiner Heimatstadt. Wo wurdest du geboren? Erzähl mir von deiner Familie.» Widerwillig ging er auf meinen Vorschlag ein. Ich war enttäuscht, denn ich hatte mir, ich weiß nicht warum, eingebildet, er stamme aus irgendeinem kleinen Dorf und habe dort seine Wurzeln, statt dessen war er in Mailand geboren. Überdies sprach er darüber, wortkarg wie er war, nur kurz allgemein. Gleichzeitig wollte er mir zu verstehen geben, daß er mich liebte, und wußte zu diesem Zweck nichts Besseres, als mich mit seinen Augen voll eigensinniger und dumpfer Schwermut anzustarren. Ich wurde unter seinen hartnäckigen Blicken immer nervöser. Der Kellner brachte ein Muschelgericht. Ich versuchte eine geschlossene Muschel zu öffnen. Es gelang mir nicht, ich brach mir dabei einen Fingernagel ab. Da kannte meine Gereiztheit keine Grenzen mehr, ich explodierte: «Siehst du diese Auster? Durch dich bin ich heute abend wie diese Auster geworden: genauso verschlossen, widerspenstig, abweisend.» «Ich habe eigentlich ...» «Eigentlich hast du mich heute abend eingeladen, um mir zu sagen, daß du mich liebst. Widersprich nicht, ich weiß es. Und um mir das zu verstehen zu geben, machst du mich ganz verrückt mit deinen Blicken eines frustrierten Hundes. Das geht nicht, wirklich nicht.» «Was geht nicht?» «Deine Art, einer Frau zu verstehen zu geben, daß sie dir gefällt.» «Sag du mir, wie ich es machen soll.» Ich ließ ein kurzes häßliches Lachen hören. Dann beschloß ich, weiß der Kuckuck warum, ihn in etwas zu unterweisen, von dem ich selbst keine Ahnung hatte: «Vor allem keine Blicke, kein Anlächeln, kein Händeberühren, kurz kein Hofieren. Wer macht heutzutage noch den Hof? Du mußt den Sex mathematisch betreiben.» Verblüfft wiederholte er: «Sex mathematisch? Was soll das heißen?» In Fahrt gekommen, antwortete ich: «Es ist der Sex, der nicht erst
das Stadium der Blicke, der Komplimente, des Anlächeins und so weiter durchmacht. Es ist wie eine mathematische Operation: diese Frau gefällt mir, ich gefalle ihr, man muß also diese beiden Wohlgefallen addieren. Das heißt, genau das tun, was zu tun ist.» «Was?» «Das.» Er verfiel in nachdenkliches Schweigen. Wahrscheinlich ging ihm die Geschichte mit dem mathematischen Sex nicht recht ein. Wir beendeten die Mahlzeit fast ohne zu reden, und dann sagte ich trocken, ich sei müde. Er zahlte. Wir gingen, immerfort schweigend, zu Fuß zum Hotel, das nicht weit gelegen war. Ich holte den Zimmerschlüssel vom Portier. Meine Ratlosigkeit war jetzt so groß, daß sogar der Portier die Unentschlossenheit in meinem verzerrten Gesicht bemerkte. Ich sagte mir, ich müsse Marco auf die Probe stellen, auf die letzte, und forderte ihn auf, mich in mein Stockwerk zu begleiten. Im Aufzug wich ich vor ihm zurück und lehnte mich an die Wand. In mir aber schrie es: «Komm, wirf dich auf mich. Komm, worauf wartest du noch?» Aber es geschah nichts. Das war ein Glück, denn ich fühlte, wenn er sich auf mich «geworfen» hätte, wie ich wollte, so wäre ein Schlag mitten in sein Gesicht meine absurde und unvermeidliche Antwort gewesen. Der Aufzug hielt. Ich biß mir vor Wut in die Unterlippe, stieg aus und ging mit gesenktem Kopf zu meiner Zimmertür. Marco holte mich ein. Ich drehte mich jäh um, und mein Mund befand sich fast genau auf dem seinen. Da küßten wir uns endlich. Es war ein unterdurchschnittlicher Kuß, ich hatte Zeit, dabei zu denken: «Nein, er ist es nicht. Absolut nicht.» Dann lösten wir uns voneinander. Über Marcos Schulter hinweg fiel mein Blick den Gang entlang auf die beiden Aufzüge. Der eine, der, mit dem wir gekommen waren, fuhr eben hinunter. Die Türen des anderen standen offen und ein Mann blickte zu mir herüber, ich wußte, daß er uns küssen gesehen hatte. Er war blond, mittleren Alters, hatte kurzgeschnittenes Haar, ein Schopf nur fiel ihm ins rote Gesicht, seine blauen Augen schielten leicht. Er war klein, aber kräftig, trug eine dunkelblaue Glockenhose und eine Bluse mit Ankermuster: ein Matrose. In diesem Augenblick meldete sich, vielleicht zum erstenmal in meinem Leben, der Trieb, von dem ich bisher gemeint hatte, daß er mir fehlte. Ich flüsterte Marco zu: «Geh, es kommt jemand. Wir sehen uns morgen.»
Ich drückte ihm die Hand und stieß ihn dann fast zurück. Marco lief weg, er war glücklich, und ich bückte mich, um den Schlüssel in das Schloß meiner Tür zu stecken. Meine Hand zitterte, so stark war der endlich in mir erwachte Liebestrieb. Ich brachte den Schlüssel nicht ins Schloß, dabei hörte ich, wie der Matrose immer näher kam und schließlich hinter meinem Rücken stand. Ich dachte: «Hoffentlich hat er uns wirklich gesehen und fühlt sich ermutigt, es mir gegenüber an Respekt fehlen zu lassen.» Eine plumpe, rote, blond behaarte Hand legte sich auf die meine, nahm den Schlüssel und führte ihn sicher ins Schloß. Die Tür öffnete sich, der Mann schob mich in mein Zimmer, schloß die Tür hinter sich, schaltete das Licht ein. Mathematisch! Alles hatte sich tatsächlich genau wie bei einer mathematischen Operation abgespielt. Als ich jedoch den Mann mit dem blonden Haarschopf mit ausgestreckten Armen auf mich zukommen sah, um mich anzufassen, seine blaue Hose, seine Bluse mit dem Ankermuster und einem Lächeln, das seine Zähne bloßlegte, da war mein Liebestrieb mit einemmal wieder weg. Ich rief: «Kommen Sie mir nicht zu nahe!» Seiner Sache sicher, schüttelte er den Kopf, tat einen weiteren Schritt auf mich zu. Ich wich bis ins Badezimmer zurück, beugte mich über die Wanne, packte den Schlauch der Dusche, drehte den Hahn auf und richtete den Wasserstrahl auf ihn. Es war ein sehr modernes Hotel: der Wasserstrahl war umwerfend. Als richtiger Matrose aber an hohen Wellengang gewöhnt, hielt er mit tiefrotem Gesicht und erhobenen Hauptes ungerührt den Wassermassen stand, die ihn überfluteten. Dann trat er ohne Hast oder Wut einen Schritt zurück, wie um mir alle Angst zu nehmen. Er sagte auf englisch: «Entschuldigen Sie, ich hatte gedacht...» Ich antwortete ihm ebenfalls auf englisch: «Daß Sie, weil mich der andere Mann geküßt hat, mit mir ins Bett gehen können. Ist es so?» «Vielleicht.» «Jetzt aber gehen Sie. Gehen Sie sofort. Sonst schreie ich.» Ich weiß nicht, warum er mich noch fragte, welcher Nationalität ich sei. Ihn immerfort mit dem Wasserschlauch in der Hand in Schach haltend, sagte ich es ihm. Der Form halber versicherte er, daß Rom ihm sehr gefalle. Dann machte er eine kleine Verbeugung und ging. Nun war ich allein. Marco war schüchtern und gefühlsbetont gewe-
sen und hatte mir nicht gefallen. Der Matrose war «mathematisch» gewesen und hatte mir ebenfalls nicht gefallen. Ich ging zum Spiegel, betrachtete mich und sagte laut: «Ohne Liebestrieb!» Deutsch von Piero und Peter A. Rismondo
Duca di Centigloria
Ich fraß die weiße Chinesin Ich bin gekommen, um Ihnen Unglaubliches zu berichten Sie wissen, daß nur weniges in meinem Leben mit den Maßstäben gewöhnlicher Menschen zu messen ist. Diesmal jedoch, fürchte ich, muß ich Ihnen einige Stunden der Überraschung bereiten, vielleicht sogar des Entsetzens. Es handelt sich um Ysa. Genauer, um Ysas Tod. Ich weiß, Sie haben nie den geringsten Zweifel in die Umstände ihres Todes gesetzt. Es gab auch, dem Augenscheine nach, keinen Grund für den mindesten Zweifel. Ysas Abschiedsbrief, das Protokoll des Leichenbeschauers, die Todeserklärung des Arztes, mein Alibi, meine Aussagen - und, in diesem Zusammenhange nicht zuletzt, meine Herkunft und meine gesellschaftliche Stellung, die, was immer ich erkläre, über jeden Zweifel erhaben scheinen lassen. Ich bin der Meinung, es ist nunmehr an der Zeit, daß Sie erfahren, wie der Vorabend ihres Todes, ihre letzte Nacht und ihr letzter Tag in Wahrheit verlaufen sind. Der Leichenbeschauer ist dorthin gegangen, wohin er zeitlebens seine Kundschaft zu entlassen pflegte; der junge Doktor ist ausgewandert, und ich - nun, wie ich schon sagte, es ist an der Zeit... Um eines muß ich Sie vorab noch ersuchen. Sie sollten sich nicht dem
Irrtum hingeben, ich wünschte ein Geständnis abzulegen oder - wie man gelegentlich in erbaulichen Romanen liest - mein Gewissen zu erleichtern. Sie kennen mich, wenn auch nicht gut genug, so doch lange genug, um nicht in mir zu vermuten, was man in der Ära und der Region, in der wir leben, den Leuten anzuerziehen pflegt. Nichts dergleichen. Aber vielleicht vermag ich in den kommenden Stunden noch einmal die Mystik der Gespräche, der Visionen und der Handlungen jener beiden Tage und der dazwischen liegenden Nacht zu empfinden. Sie mögen entgegenhalten, es hätte dazu dieses Besuches, zu dem Sie mich, wie mir wohl bewußt ist, nicht eingeladen haben, kaum bedurft. Ich hätte die Ereignisse, die ich heraufzubeschwören wünsche, wie es manche unnötigerweise tun, zu Papier bringen können. Aber solch solitäres Ergötzen am Vergangenen entspricht nicht meinem Naturell. Vieles, viel zu vieles würde sich der Gefangennahme durch niedergeschriebene Worte entziehen, oder, selbst wenn sie gelänge, in dieser Gefangenschaft verkümmern. Sie aber, mein Lieber, kannten Ysa, kannten ihre Haut, ihre Poren, ihre Sehnen, ihre Augen, ihre Gedanken, ihre Leidenschaften, ihren Geruch, ihre Seufzer und vielleicht sogar einige ihrer Geheimnisse. Vor Ihren Augen wird alles, was ich zu berichten habe, lebendig auferstehen, und ich werde es in Ihren Blicken wiedersehen können. Schließlich waren Sie ihr Mann. Sie werden mir auch - und das ist ein weiterer Grund - die Geduld des Zuhörers nicht versagen. Ich werde von dieser Geduld ausgiebig Gebrauch machen müssen. Was ich zu sagen habe, ist nicht schnell erzählt. Ich werde gelegentlich abschweifen müssen, ausholen müssen und mich vielleicht scheinbar auch in Nebensächlichkeiten verlieren müssen. Aber da irre ich wohl nicht, Sie werden alles wissen wollen - so wie ich alles erzählen möchte. Und Ihre Neugier, die ich, wie ich hoffe, nun hinreichend geweckt habe, und mein Wunsch, Ysas letztes Bild zu zeichnen, werden bessere Freunde sein, als wir beide jemals werden wollten.
Ich berichte Ihnen nun, wie mein Blut in Ysas Adern hinüberfloß Noch jetzt fühle ich manchmal ein leichtes Brennen in der linken Armbeuge. Dann steigt aus der Tiefe des in meinen Adern pulsierenden
Blutes vor mir ihr Bild empor; Ysabel, die ich die «Weiße Chinesin» nannte, denn sie war als Tochter eines schwedischen Diplomaten in Peking geboren worden, hatte ihre Mädchenjahre in Shanghai und in Hongkong verbracht und war mit gleichaltrigen chinesischen Mädchen der besten Familien aufgewachsen und mit ihnen zur Schule gegangen. Bewußt im Gegensatz zu den meisten Europäern lebte sie dann später «zwischen den Rassen». Und oft, so sagte sie mir einmal, wußte sie selbst nicht mehr, ob sie weiß oder gelb war. Sie heiratete dann diesen italienischen Diplomaten, der so gut Chinesisch konnte, und an dem sie vor allem bewunderte, daß er nicht nur die chinesischen Schriftzeichen so kalligraphisch vollendet zu malen wußte wie ein kaiserlicher Hofsekretär, sondern auch im klassischen Stil mit Pinsel und Tusche Bambuszweige und fliegende Sperlinge auf das Reispapier zu werfen vermochte. Wir mögen der Meinung sein, dies sei als Grundlage einer Ehe nicht ausreichend, aber für Ysabel gab es den Ausschlag. Und wirklich sind manche Frauen noch bescheidener. Ich kannte einmal ein Mädchen, das einen jungen Mann nur deshalb nahm, weil er die seltene Kunst verstand, in seinem Mund mit der Zunge die zusammengewachsenen Stengel zweier Kirschen zusammenzuknoten.
Freilich, Ysabel hatte bei ihrem ersten Gatten sogar gelernt, die chinesischen Zeichen auch mit der Haut ihres Rückens zu lesen; er drückte ihr die Zeichen mit einem kleinen gewärmten Stift langsam und groß in die Haut. Als aber unser italienischer Freund seine Chinophilie so weit trieb, daß er durch starkes Opiumrauchen impotent wurde, gingen die Gatten auseinander. Ich habe später noch einmal von ihm gehört. Er nahm sich, wie es die gewohnheitsmäßigen Opiumraucher in China häufig tun, einen Transvestiten, der ihm den Haushalt führte - einen jener Transvestiten, die dort als Mädchen erzogen werden, als Frauen leben und deshalb auch vom Militärdienst befreit sind; sie nehmen Frauennamen an, geben jeden Monat vor, ihre Tage zu haben und spielen manchmal ihren gleichgesinnten Freunden die Komödie einer Schwangerschaft vor. Ich lernte Ysa kennen, als sie gerade eine Zeit starker Depressionen durchlebte; sie versuchte mehrere Male einen Selbstmord. Einmal schnitt sie sich die Pulsadern auf, und sie verlor sehr viel Blut, bevor
man sie fand; eine Blutübertragung wurde notwendig. Wir hatten die gleiche Blutgruppe, und so bot ich ihr mein Blut an. Sie war darüber so erfreut, daß sie fast auf der Stelle den vermeintlichen Grund für ihren Selbstmord vergaß. Denn, wie Sie vielleicht wissen, hatte ich eine Inderin zur Großmutter, die Tochter des Gaekwars von Baroda. Ysabel war glücklich, auf diesem Umweg nun endlich orientalisches Blut in ihre Adern zu bekommen, eine Ambition, die mir selbst toll und seltsam schien, aber dem Orient, dem Orient jeder Form und jedes Breitengrades galt ihre Liebe, ihr Sehnen und das Schicksal ihres Lebens. Wenn ich auch selbst diese Marotte nicht ganz verstand, da ich mir selber nie des indischen oder orientalischen Einschlags in mir bewußt geworden bin, so machte ich ihr gern die Freude und schenkte ihr drei Viertelliter meines für sie so kostbaren Blutes. Wir lagen beide auf unseren Betten mit entblößten Oberkörpern, das durchsichtige Rohr verband uns, und ich glaubte zu fühlen, wie mein warmes Blut langsam in ihren Körper floß und ihr neues Leben schenkte, nicht anders, als flösse ich selbst, ein lüsterner männlicher Fisch, zur Abwechslung einmal durch ihre Adern in sie hinein. Sicher, eine Prozedur, wie sie täglich tausendfach in allen Spitälern der Welt durchgeführt wird; aber wie anders, wie bedeutsam, wenn sie zugleich ein Geschenk zwischen Liebenden ist... Ysabel besuchte, nachdem mein Blut sie wieder erfrischt hatte, schon bald wieder ein Fest und trug über dem Verband an ihren zerschnittenen Handgelenken hellrote Kaschmirschleifen. Ich aber, ich sagte es schon, spüre noch heute manchmal ein leichtes Brennen in der linken Armbeuge, aus der heraus mein Blut zu Ysabel hinüberfloß und sich - Erotik ohne Beischlaf - mit ihrem Lebenssaft vermischte. Wenn dann ihr Bild in mir aufsteigt, so ist es umgeben von den Traumgestalten indischer Götter und Göttinnen, die sich in verwirrendem Tanz allen erdenklichen Umarmungen und Verschlingungen hingeben und deren Köpfe Affengesichter und Masken tragen, aus denen uns traurig die fragenden Augen halbvergessener Frauen anblicken, so wie ich sie im Wachtraum jener halben Stunde des Hinüberfließens meines Blutes schaute: es sind die obszönen Gestalten, die ich vor Jahr und Tag in indischen Tempeln, in Felsengrotten und bei den Bronzegießern von Benares gesehen hatte, Shiwa, Kali und all die anderen sich unschuldig, sündhaft, öffentlich liebenden Gottheiten der Mythologie eines Volkes, das alles Natürliche rein und sogar verdienstlich findet.
Ich berichte Ihnen nun, wie Ysa in fremden Städten nach Liebe suchte Sie, mein lieber Sir George, wurden Ysabels zweiter Mann. Sie waren zwar frei von den chinesischen Neigungen ihres ersten Mannes, aber auch diese Ehe war, wie Sie mir wohl zugestehen werden, keineswegs so, wie sie hätte sein sollen. Sie umgaben Ihre Frau, die Ihnen, wie ich annehme, in ihrer knabenhaften Schlankheit einmal sehr gefallen hat, mit allen Möglichkeiten Ihres großen Reichtums. Aber Sie lebten viel auf Reisen und meist in der Begleitung angenehmer junger Männer, die zugleich Ihre Sekretäre oder Reisemarschälle waren. Ich halte dafür, daß es Studenten waren, die Ihnen bei Ihren geographischen Forschungen und archäologischen Ausgrabungen zur Hand gingen; es hat deswegen niemals einen Skandal gegeben, und Sie wurden und werden überall, auch in den strengsten Kreisen, empfangen und geachtet. Unter diesen Voraussetzungen konnte auch Ysabel sehr frei in ihren Beziehungen sein. Ich glaube, Sie hatten nie etwas dagegen, daß Ysabel sich für ihre verfehlte Ehe schadlos hielt, solange nur die äußere Form gewahrt blieb. Dessen eingedenk, lebte Ysabel ihr erotisches Leben nur auf ihren Reisen; zu Hause, auf Ihren schottischen Schlössern, galt sie für unnahbar. Und da war sie es auch. Abends in fremden Städten liebte sie es gelegentlich, sich auffallend zu kleiden, in grellen Farben oder unmöglichen Hüten, und dann, von niemandem gekannt, in den bekannten Dirnenstraßen auf den Strich zu gehen; am liebsten tat sie es, wenn Nebel über der fremden Großstadt lag, dann kam ihr das Gefühl, ein Fisch in der Tiefsee zu sein; einer von jenen Fischen, die nur wie durch Strahlung die Nähe ähnlicher Lebewesen spüren - die Lichter der Autos und der zuckenden Reklamen schienen ihr dann wie das Licht von Algen, von vorbeieilenden leuchtenden Fischen, dunkle Erinnerung an das Urmeer, in dem wir durch Millionen Jahre in unseren Tierahnen gelebt und gezeugt haben, den gleichen Gesetzen der Zeugung, vielleicht der Liebe, wie heute untertan.
Ich berichte Ihnen nun, wie Ysa mir die Welt ihrer chinesischen Träume zeigte (in den schottischen Bergen) Immer wenn es, wie jetzt, auf das Ende des Septembers geht, wenn überall auf der Welt die Hirsche röhren, wenn der Tag ihres Todes sich wieder einmal jährt, denke ich viel an Ysabel. Es war zur Zeit der Hirschbrunft im schottischen Hochland im Jahr vor dem letzten Krieg - ich hatte dort zwanzig Meilen nördlich von Ihren Besitzungen ein großes Jagdgebiet gepachtet, um im Herbst auf Schneehühner und in der Brunft auf Hirsche zu jagen. Die Hirsche sind zwar bei Ihnen nicht so stark wie in den Karpaten, aber das schottische Hochland hatte für mich stets einen eigenen Reiz und einen eigenen Charme. Sie, Sir George, befanden sich wieder einmal mit einigen Ihrer jungen Freunde auf einer Reise durch Kleinasien, um ein neues Troja auszugraben. Ysabel hatte sich nach Manor Hall begeben, und so konnte es nicht ausbleiben, daß wir - sozusagen Nachbarn auf Zeit geworden - einige Tage und einige Nächte miteinander verbrachten. Ich erinnere mich noch gut an das Jagdhaus auf Ihrem Besitz: mitten auf eine waldumgebene Hochheide hingebaut, von Berglärchen beschattet und von Duft und Blüte des Heidekrautes umspült, lebte hier noch - wie er durch die Romane von Walter Scott weht - der volle Zauber des alten schottischen Hochlandes und seiner Bewohner. Das Jagdhaus war äußerlich ganz im Stil der dortigen Berghäuser einfach und rustikal aus Holz gebaut. War man jedoch eingetreten, so konnte man sich in einer sehr gepflegten Stadtwohnung glauben, etwa in einem der reizenden Pariser Privatateliers in der Avenue Georges V. Ysabel hatte das Gastzimmer für mich mit Bildern ausgestattet, von denen sie wußte, daß mir sowohl Maler wie auch Sujet gefallen würden - eine liebe Aufmerksamkeit, über die ich mich ganz besonders freute. Ihre eigenen Zimmer hatte Ysabel chinesisch eingerichtet- nicht in dem übertriebenen extravaganten Stil der Curiositäten- und Möbelhändler von Peking und Shanghai, den man so oft auch in Europa sieht und der ausschließlich für naive Europäer bestimmt ist, sondern mit wahrhaft erlesenen Dingen aus den besten Zeiten chinesischer Kunst. Ich entsinne mich mehrerer Bilder, deren Bewertung unsere landläufige west-
liche Auffassung von Kunst und Künstlertum nur schwer begreift; nebeneinander hingen drei Werke: Das eine war eine Malerei jenes chinesischen Kaisers, der angeblich nur von ihm selbst gemalte Bilder verschenkte, die stets weiße Jagdfalken mit kunstvollen goldenen Fußfesseln darstellten. Aber genau wie in Europa rühmten sich auch in China die Herrscher, alle Kunstwerke, die in ihrem Reich entstanden, selbst geschaffen zu haben. Einige kaiserliche Maler pflegten auf den Porträts von anderer Hand lediglich den Augenpunkt, das Licht an der Pupille, einzusetzen, wodurch ihnen widerspruchslos die Autorenschaft am ganzen Bild zugesprochen wurde. Hier, bei dem lebensgroßen Bild des weißen Falken bestand die kunstvoll ziselierte Fußfessel so wie die lose daranhängende plastische Kette aus einem echten, sehr hellen Gold. Daneben hing ein großes Blumenbild auf Seide, ein in vielen zarten Farben schimmernder Blumenstrauß, der einmal von mehreren Malern, deren jeder sich auf eine bestimmte Blume spezialisiert hatte, gemeinschaftlich in Ysabels Gegenwart geschaffen worden war; an seinem Rand trug dieses Bild - jeder Name in einer anderen Farbe - die Unterschriften aller neun Künstler. Das bemerkenswerteste Bild war jedoch eine lange Hängerolle aus Papier mit der Darstellung eines Elefanten, auf den spielende Kinder kletterten - ein in der ostasiatischen Kunst, auch bei Plastiken, sehr beliebter Vorwurf. Nur ein sehr feinsinniger Betrachter hätte vielleicht erkannt, daß dieses in rein chinesischem Stil gemalte Bild das Werk des italienischen Jesuiten Castiglione war, der im achtzehnten Jahrhundert als Hofmaler am Kaiserhof zu Peking lebte und sich ganz in die chinesische Kunst eingesponnen hatte und von dem es viele Darstellungen der kaiserlichen Pferde und Elefanten gibt, auch Porträts, die in chinesischen Zeichen mit seinem chinesischen Namen Wu-Li signiert sind. Übrigens ist jedem Kenner altchinesischer Kunst sein reizendes Porträt «duftende Konkubine» vertraut, das Bild einer jungen turkmenischen Prinzessin, die der Kaiser liebte und die Wu-Li in halbeuropäischem Stil als Amazone mit Federhelm und Brustpanzer gemalt hat. Nirgends in diesem Jagdhaus drängte sich Prunk auf, nirgendwo bunte Pracht ohne Sinn, alles war Ruhe und Harmonie: die Blumen, die Bilder, die Möbel, die Paravents und die Laternen - die Herrin, und ihre blumenzarte, leise Dienerin.
Ich berichte Ihnen nun, wie Ysa lebende Heuschrecken servieren ließ (in einer scharfen Sauce) Die chinesische Dienerin, die Ysa schon seit Jahren in ihrer Gesellschaft hielt und mit der sie nur chinesisch sprach, war als Kind an ein sogenanntes «Frauenhaus» verkauft worden; wir würden es Bordell nennen. Solche Frauenhäuser, in denen von erfahrenen weiblichen Fachkräften die Mätressen für reiche Männer erzogen wurden, nannte man einst «Häuser der Blumen und der Poesie». Als Pao zum jungen Mädchen herangewachsen war, diente sie als Haushälterin und Konkubine bei einem vornehmen Mann; so hatte sie gelernt, außer dem VulgärChinesisch und dem besonderen Dialekt der feineren Hurenwelt auch die Mandarin-Sprache der gebildeten Kreise zu verstehen. Selbst hier in Schottland, in der Fremde also, trug Pao stets das lange chinesische Kleid mit dem hohen Kragen und den eingeschnürten Brüsten und große Ohrgehänge aus durchsichtiger grüner Jade: Schmetterlinge und Fledermäuse in ihrer uralten, eigenartigen Stilisierung, die von der Naturgestalt dieser Seelen- und Glückssymbole so ganz verschieden sind. Welch herrliche Speisen hat Pao uns bereitet! Knusperige Enten auf Pekinger Art, gewürfeltes Schweinefleisch in Milch, Wasserkastanien aus Kanton, gebackenen Mandarinfisch in süßsaurer Soße; und wenn auch keine fetten Reisvögel zu beschaffen waren, so doch fette Drosseln mit grünem und rotem Pfeffer, Löwenfellstelzen mit hundertjährigen Eiern, und zum Nachtisch Bratäpfel in Eiern und Honig, dazu Bananen und Tee aus duftenden Jasminblüten. Manchmal gab es auch lebende Heuschrecken. Die Tiere wurden in einer geschlossenen Schale voller scharfer Soße lebendig auf den Tisch gebracht. Vorsichtig öffnete man den Deckel, und sobald eine Heuschrecke heraussprang, mußte sie gefangen und gegessen werden. Einmal setzte Pao uns sogar einen fetten Hund vor, den sie heimlich hatte mästen lassen. Dieser Braten, dessen Geschmack sehr an einen guten Gänsebraten erinnert, wird in ihrer Heimat als Leckerbissen geschätzt. Die Vorliebe dafür geht so weit, daß die Metzger bei den Hunden, die sie vor die Läden hängen, nur den Rumpf abhäuten, Kopf und Pfoten aber nicht, damit der Käufer auch sicher sein kann, daß er wirklich
einen köstlichen Hund bekommt und nicht mit einem abgehäuteten Schaf oder Kalb betrogen wird. Übrigens heißt «Chow-Chow» so viel wie «Guter Bissen». Pao bediente uns bei Tisch wie ein lautloser, lächelnder Schatten. Ehe sie uns an dem bewußten Abend verließ, deckte sie uns die Teetassen aus weißem Nephrit mit Untertassen und Deckeln aus getriebenem hellem Gold; sie hatte uns einen «Mandarin-Tee» bereitet, dessen Blätter über Nacht im Treibhaus in spätblühende Päonien eingelegt worden waren - denn Lotos, wie es die Vorschrift verlangt, gab es nicht; oben auf dem Tee schwammen, wenn auch ebenfalls aus dem Treibhaus, frische, weiße Orangenblüten. Ysabel nahm Rosenblätter aus flachen silbernen Schalen und streute sie zu den Orangenblüten - es war der köstlichste Tee, den ich je getrunken habe. Dazu naschten wir Brot, das zu allerlei lustigen Formen gebacken war, zu Drachen und Zwergen; zu Schmetterlingen und Blumen, mit Salz oder farbigem Zucker bestreut. Später aßen wir auf mehrere Arten zubereitetes Schweinefleisch, denn es war jetzt die Zeit des Mittherbstfestes, des Mondfestes, zu dessen Ehren Ysabel im Hof des Jagdhauses einen Mondaltar wie in China aufgebaut hatte, mit Bildern von Mondpalast und Mondhase und Mondkuchen auf der Opferplatte. Die Chinesen glauben nämlich, der Vollmond sei niemals wirklich rund, er bilde nur an einem einzigen Tag im Jahr einen richtigen Kreis; und auf der Mondwelt, sagen sie, lebe ein schönes blasses Mädchen, und mit ihr als einziger Spielgefährte ein Kaninchen aus weißem Nephrit. Ysa liebte diesen Hasen im Mond mit seiner vielfachen erotischen Nebenbedeutung, und auch bei unseren Osterhasen als dem Symbol der Fruchtbarkeit und der Liebe im Frühjahr ist wohl ein ähnlicher Glaube mit im Spiel; Ysa wußte ebenso wie die Chinesen, daß oben im Vollmond der Mondhase in einem Mörser den Trank des Lebens bereitet und nur zwei Wesen auf der Welt mit offenen Augen schlafen, der Hase und der Mond. Deshalb hatte sie an diesem Abend zu Ehren von Hase und Mond allen Schmuck abgelegt bis auf zwei Armbänder aus Nephrit, die schimmerten wie gefrorene Milch: in ihren Augen Geschenke des Lotos- oder des Päonienmondes. Pao überreichte uns noch ein Bund getrockneter, länglichweißer Blüten, die von den Chinesen ihres starken Duftes wegen gern mit ins Schlafzimmer genommen werden, dann ließ sie uns allein.
Ich berichte Ihnen nun, wie ich Ysa von der grausamen Kaiserin Wu Hu erzählte, die ihre Nebenbuhlerin marterte Als wir auf der Terrasse vor dem Jagdhaus saßen, vor uns auf dem niedrigen Tisch aus Stein kühlen Whisky und warmen Sake, über uns die Milchstraße und zu unseren Füßen das Nebelmeer, fiel es uns schwer zu glauben, daß wir nicht in China waren, sondern in Schottland. Auch dies war ein Land der Märchen, das Land der alten Sagen von Ivanhoe und Macbeth, das Land der Stuart und der Bruce, selbst denen vertraut, die nie in Schottland waren und die dennoch mit dem «young pretender» über die Heide fliehen und dem alten Distelbanner nachtrauern, mitfühlende Wanderer in der heroischen Traurigkeit der HeldenTraumwelt Walter Scotts. Aber mit unseren Herzen waren wir in ein älteres, verzaubertes China entrückt, das uns aus seinen goldenen Nebeln leuchtete, in ein blasses Märchen, aus dem die Magie des Fernen Ostens schimmerte, und wir träumten uns in einen der kleinen, halbverfallenen Tempel, die wie die meisten Tempel Chinas auf Bergabhängen liegen, und den Berg uns gegenüber ernannten wir zum Götterberg Tai Shan, der nicht nur ein Berg, sondern auch ein Gott ist, und auf dessen Gipfel einst Konfuzius über die Kleinheit der Welt seufzte. Die Jagdhütte hinter unserem Rücken verschwand. Wir drehten uns nicht um. In China wissen wir uns immer «in der Mitte». Und an Stelle des Jagdhauses wußten wir dort, im Schatten alter Kampferbäume, von denen gewiß mancher einen eigenen Namen hatte und wie ein Heiliger verehrt wurde, im Dämmerlicht riesiger Tempelhallen einen anderen Holzbau: auf dicken, gemaserten, rotlackierten Säulen eine Art östliches Belvedere mit geschweiften Dächern - geschweift, damit die stets gegenwärtigen Dämonen auf ihnen ausgleiten sollen - mit gelben und türkisgrünen Porzellanziegeln; phantastisch profilierte Dachreiter glänzten auf sanft geschwungenen Firsten im Traumlicht des Mondes so intensiv blau wie die Dächer des Himmelstempels in der einstmals «Verbotenen Stadt», und an den Enden dieser Dächer schaukelten buntverglaste Öllaternen. Wir spürten uns mitten in den märchenhaften «Gelben Bergen» des Hian-Shan-Gebirges, deren Bergzacken die Vorlage für die bizarre chinesische Landschaftsmalerei gewesen waren.
Auch hier, das wußten wir, wuchsen die Bäume in windverzerrten, phantastischen Formen, auch hier gab es dunkle Schluchten, mit Geröll beladene Wildbäche; Täler, die sich Abend für Abend mit dichtem Dämmernebel füllten, einsame Ruheplätze in reich gestalteter Landschaft, wo, wie in China, die Zeit seit Jahrhunderten stillstand. Das ehrwürdige «Alte Reich» erstand vor unseren Augen: die gewaltigen Kamele, Elefanten, Pferde und Minister aus Granit, die paarweise die Straßen zu den Ming-Gräbern säumen, so wie die Sphinxe die Tempelstraßen von Luxor und Karnak. Wir fühlten das Atmen einer uralten Menschheit. Wir glaubten uns in der Nähe der in ihrer Verwahrlosung geheimnisvollen Tempelhöfe der Bergklöster unter dem Gestrüpp von Bambus, Bananen und Palmen und sahen uns gleichzeitig vor den roten Mauern, die das Schloß in Jehol und den Zaubergarten umsäumten, den «Sommerpalast» mit seinen Päonienterrassen und Marmorgeländern. An den riesigen Drachen vorbei, die in ihren Rachen die Perle des Lebens behüten, vorbei an den Kranichen und den Ziervögeln der Gartenteiche wurde jeden Abend die für die Nacht auserkorene Konkubine in des Kaisers Bett getragen; von ihm selbst aus dreitausend Mädchen seines Palastes gewählt, den Leib gebadet, parfümiert und gesalbt wurde sie durch die langen Höfe geleitet, unbekleidet, doch vor allen Blicken verborgen, wie eine Tote samt Kopf und Füßen mit rosenfarbenem Atlas bedeckt. Hochmütig trippelten zwerghafte Palasthunde durch die Säle; sie hatten ihre eigene Küche, und außer den Köchen hatte jeder einzelne von ihnen seine persönliche Dienerschaft und seinen besonderen Hofrang, und die Diener pflegten wegen des hohen Ranges dieser Hunde, die ihre Herren waren und der Legende nach aus der Liebe eines Löwen und einer Eichkätzchendame stammten, keinen Verkehr mit minderen Menschen. Stolz wie diese Diener, unnahbar wie ihre Hunde waren auch die Herrscher selbst, die über Leben und Tod ihrer Höflinge, ihrer Diener, ihrer Palastfrauen ebenso verfügen konnten wie über ihre Hunde. Der Tod allein jedoch war keineswegs das Ärgste, was diese treffen konnte: Die grausame, schöne Kaiserin Wu Hu aus der dreihundertjährigen goldenen Tang-Dynastie verwandelte ihre Nebenbuhlerin bei lebendigem Leib in ein «menschliches Schwein»; sie ließ die Unglückliche blenden, ließ ihr Nase, Mund und Ohren, Hände, Füße und Brüste abschneiden und hielt die einst verwöhnte, schöne junge Frau in einem schmutzigen Schweinekoben, kümmerlich mit Abfällen gefüttert, jah-
relang am Leben; blind und hungrig mußte sie im eigenen Kot auf dem Bauche kriechen, und das, während zur gleichen Zeit der Märchenwald der chinesischen Dichtung gerade an diesem Hof am reichsten blühte ... Um uns atmete die Erinnerung an bemalte Hornlaternen, an den Flug weißer Reiher über rosa blühenden Mandelbäumen, an die einsamen kleinen Goldfischteiche in einer Miniaturlandschaft aus winzigen Felsgrotten mit seltsam geformten zweihundert Jahre alt scheinenden Zwergkiefern, an Sommernächte auf blühenden Terrassen im unvollkommenen Vollmond und an Oleanderhaine und blaue Berge. Whisky und Reiswein waren an diesem Abend gefällige Kulissenschieber in unseren Hirnen und täuschten uns die Soffitten zu einem Spiel vor, in dem wir unsere Phantasie gewähren ließen: dem ewig hungrigen, nie gestillten Sonnentraum des Europäers vom geliebten, jahrelang umworbenen, immer inniger erfühlten, doch niemals ganz erschlossenen Fernen Osten. Nun, dies war Schottland und nicht China. Hier auf den weiten Mooren wartete man im Herbst, wenn die ersten kalten Winde über die Heide fuhren, in Löchern hinter Fichtenschirmen auf die angetriebenen Schneehühner, scheue Segler im Wind, viel geschwinder als unsere Fasane oder Rebhühner: kaum hatte man Zeit, ihnen von vorn zwei Schüsse entgegenzuwerfen und ihnen im raschen Umdrehen, während des Flintenwechsels, noch zwei Schüsse nachzujagen. Auf diesen Jagden trug Ysa immer schlanke Breeches und hellen Tweed; gestrickte Pullover eng über den jungen Brüsten, sah sie aus wie ein verführerischer junger Mann, das wahre «Bildnis des Dorian Gray». Ich begriff sehr gut, Sir George, der Sie Ysa auf einer solchen Jagd kennenlernten, daß man sich stürmisch in sie verlieben konnte, verlieben mußte. Ysabel mochte wohl damals wie ein zarter «puer sanctus» ausgesehen haben - wie man einstmals, aus dem Zusammenhang des heidnischen Gottesdienstes mit der Knabenliebe, welche dort eine Kulthandlung zu Ehren der Götter war, jene wie Statuen geschmückten Buhlknaben der Priester nannte; man mochte auch an Antinous denken, den nach seinem Tod zum Gott verklärten Liebling des Hadrian, oder an Oscar Wildes Novelle Der Priester und der Mesnerknabe, wenngleich auch Wilde seine Autorschaft daran stets abgestritten hat. Doch auch ohne Kleider behielt Ysabel stets diesen eigenartigen Charme; ihr Busen war nur ganz leicht gewölbt, und mehr als einer
Frau glich sie einem Jüngling weiblichen Geschlechtes, dem unerreichten Ideal eines Adonis, Ganymed oder Antinous, der nackt zu einem richtigen Mädchen wird: einem Knaben, der trotzdem Weib ist, ein sanfter Hermaphrodit der Seele wie des Leibes. Manchmal erinnerte sie mich an eine junge Engländerin, die ich einmal kannte, an das nie vergessene Mädchen namens Maud, das in einer Tropennacht in den Gärten des Tadj Mahal meine erste Geliebte wurde ...
Ich berichte Ihnen nun, wie ich Ysa von dem Mädchen Maud erzählte, das ich deflorierte (nachts vor dem Tadj Mahal) Ich war damals noch blutjung. Ich war mit meiner Mutter zu Gast bei ihrem Onkel, dem regierenden Gaekwar von Baroda, einem der fast mittelalterlichen Herrscher im damals britischen Indien. Maud und ich waren den Tag über auf einem Elefanten ausgeritten, der auf einem Auge blind war. In der leeren Höhle trug er als künstliches Auge einen geschnitzten Achat, mit einem - wie ich später erfuhr - erotischen Relief zweier sich liebender Götter. «Akbar», so hieß der Elefant nach meinem Ahnen, dem großen Mogulkaiser - dem «Tiger Indiens» -, war mit schweren gestickten Schabracken behangen. Seine dicke Haut war über und über mit bunten Blumen und Ornamenten bemalt, vorwiegend in den Hausfarben der Monguln, Rosa und Orange - einer Zusammenstellung, die uns noch heute an diese mächtigen Herrscher erinnert. Gelegentlich werden solche Prunkelefanten auch in Rot und Gold mit den Bildern von Tigern bemalt, und die Augen der Tigerbilder sind dann die Elefantenaugen selbst; oder sie tragen vorn auf der Stirn kaum erkennbar die verschlungenen Symbole der menschlichen Geschlechter, «Lingam» und «Yoni». Unser Elefantenbulle war gerade brunftig; er roch penetrant nach Moschus. Zwar hatte man ihn stark mit Weihrauch parfümiert, so daß er wie ein wandelnder, baldachinbekrönter Altar duftete, doch ich glaube noch heute, daß sein starker Brunftgeruch wohl über den Weihrauch siegte und uns unbewußt über den ganzen Tag hinweg erregte.
Wir waren beide noch jung und ganz unerfahren mit dem anderen Geschlecht, und niemand fand etwas dabei, als wir abends um die Erlaubnis baten, zusammen noch einen späten Ausflug mit dem Auto machen zu dürfen; Maud wollte mir, so sagte sie, das Tadj Mahal noch einmal, diesmal im Mondlicht, zeigen. Wir ließen das Auto mit dem Chauffeur am Touristenhotel zurück, spazierten die langen Wasserbecken entlang und lagerten uns dann, von Tausenden grüner Papageien umflattert, vom heißen Tag und dem Ritt auf dem Elefanten leicht ermüdet, hinter einem Tamariskenbusch nebeneinander im hohen Gras. Wir hatten nur Augen für die weißen Kuppeln und die wie Zucker glänzenden weißen Türme, die, als der Abend kam, in zartem Rosa verglühten, bis das Mondlicht sie kühl umflutete. Schah Jehan, der Dichter und Mogulkaiser, der ebenso wie Akbar ein ferner Ahne von mir auf der Mutterseite war, hatte diese monumentalen Filigran-Intarsien erblühen lassen, prunkvoll und zugleich blumenzart von arabischen Schriftzügen umflossen. Grüne Papageien umsegelten kreischend das schneeweiße Denkmal, Mücken über den Turmfiguren eines gigantischen Schachspiels. Als Gegenstück, als fernes Spiegelbild dieses weißen Riesenschachs, hatte der Schah das gleiche Grabmal für sich selbst nochmals, aber in schwarzem Marmor errichten lassen wollen. Die Verwirklichung dieses Planes war ihm nicht vergönnt, doch blieb ihm, als er entthront der Gefangene seines eigenen Sohnes war, der Trost, von seinem Gefängnis aus bis zu seinem Tod den Palasttempel anblicken zu können, in dem das Grab seiner geliebten Frau lag. Wir redeten, wie Kinder reden, und wir begannen zu rangeln, wie Kinder rangeln, doch dann uns immer zärtlicher zu umhalsen und zu küssen. Bis die Kinderspiele dieses vom Brunftgeruch des Elefanten überschatteten Tages in der duftenden, rufenden Dämmerung nach kurzem Kampf zum blutigen Ernst unserer Geschlechter wurde; ich erfuhr zu spät, was Jungfrauenschaft bedeutete. Mitten im täppischen Spiel war mir bebend unbewußt bewußt geworden, daß dieses Mädchen Maud schon eine Miniaturfrau war, als sie mich immer heftiger küßte und meinen forschenden Einfällen in williger Gehemmtheit entgegenkam. Ich entdeckte, im Innersten überrascht, den Zauber ihres fremden Geruchs und Geschlechts, und bald schenkten mir ihre kindlichen Frauenbrüste, ja ihr ganzer schlanker Körper alles, was mir bisher an sinnlichem Erleben verschlossen gewesen war. Rasch, ohne Dämmerung, fiel die Tropennacht auf uns. Der indische
Vollmond, riesenhaft und blutigrot, ein kreisrunder Feuerbrand azurschwarzem Himmel erglühte, und biblisch schön erschien mächtige Grabgebäude mit seinen blassen Dämmerschatten, wie großen Bauten der Welt, wie die Pyramiden, der Escorial oder Akropolis halb Wirklichkeit, halb geträumt.
auf das alle die
Ich berichte Ihnen nun, wie ich Ysa erzählte, daß man Hymenbrechen verabscheute Oft, wenn ich Ysabel betrachtete, kam mir wieder in den Sinn, wie ich vor diesem reinsten Bauwerk der Erde zum erstenmal selig überrascht ein Mädchen als Frau umarmte, wie - um es mit den Worten der Chinesen zu sagen - meine stumme Wolke ihren Segen über einen geliebten Namen regnete. In den alten Zeiten wurde das Entjungfern keineswegs als Vergnügen, sondern als unangenehme Schwerarbeit betrachtet, zu der sich niemand drängte, die niemandem Spaß machte, die aber irgendwer doch leisten mußte, wie ja irgend jemand in der Küche die Austern öffnen muß. Gedenken Sie nur der dreizehnten Arbeit des Herkules, der Entjungferung der fünfzig Töchter des Königs Thestios, einer mühevollen Heldenarbeit, die mit Recht dem Reinigen der Ställe des Augias oder der Vertilgung der stymphalischen Vögel gleichgesetzt wurde. Häufig hatten Priester als Amtspflicht diese lästige Verrichtung zu übernehmen. Schließlich ließ man sie von Fremden besorgen; das Mädchen begab sich in einen Tempel, bis ein reisender Pilger kam; der Fremde vertrat dabei den Gott, dem der Tempel geweiht war. Bei einigen Völkern galt diese Verrichtung als so niedrig, daß man sie den Haussklaven aufbürdete. Und noch zur Zeit unserer Urgroßväter gab es in den Südstaaten der Union und in den lateinamerikanischen Ländern die Institution des «buck nigger». Dieser «Zuchtneger» wurde bei leichter Arbeit gut und kräftig ernährt. Seine einzige Beschäftigung bestand darin, für seinen Herrn möglichst viele gesunde Negersklaven zu zeugen. Alle Sklavinnen, die schwarzen ebenso wie die fast weißen Mischlinge, wurden ihm zugeführt und mußten eine Nacht mit ihm verbringen. Man brachte sie ihm aus wirtschaftlichen Gründen unmittelbar nach der Ge-
schlechtsreife zur Entjungferung und Schwängerung. Einem bewährten «buck nigger» trieb man das junge Weibchenvieh von allen umliegenden Gütern zu, wie einem berühmten Stier alle Kühe der Umgebung. Manchmal lieh der Besitzer den erprobten Zuchtsklaven seinen Freunden aus, dann wurde er auf der Nachbarplantage von der Weibchenherde fröhlich empfangen. Wenn der «buck nigger» alt wurde, erhielt er sein Gnadenbrot. Als zahnloser Greis wie ein ausgedienter Zuchthengst bis ans Ende seiner Tage versorgt, sah er dann in allen Negern der jungen Generation wohl immer wieder sein eigenes Gesicht. Seltsamerweise durfte im alten Rom eine Jungfrau, wenn sie - was auch vorkam - hingerichtet werden mußte, keineswegs als Jungfrau sterben. Die Henker mußten dann zusätzlich das schändliche Amt der Entjungferung übernehmen. Bei der Tochter des Sejan, der eine Verschwörung gegen den Tiberius angezettelt hatte, war das zum Beispiel der Fall. Als der erzürnte Tyrann die ganze Familie des Konspirators öffentlich hinrichten ließ, brachen Henker der Minderjährigen erst das Hymen und dann den Hals. Andererseits gab es auch im Altertum schon ebenso wie heutzutage Männer, die sich nur für das Brechen der ersten Blüte interessierten. Der Diktator Sulla rühmte sich, mehr Mädchen defloriert zu haben, als ihm Haare auf dem Kopf gewachsen seien. Nach der Eroberung einer Stadt soll er in wenigen Tagen hundert Mädchen aufgebrochen haben, und er habe die Zahl nur deshalb nicht vergrößern können, weil seinen Sonderbeauftragten der Nachschub ausging. Erst später entdeckte man ganz allgemein das Entjungfern als aparten Genuß und postulierte es schließlich zum alleinigen Recht des Gatten oder - wenn es sich um Unfreie handelte - als eines der Herrenrechte. Dem Recht des Herren, jeden Leibeigenen zu töten entsprach das Recht, jede Ehefrau wie auch jedes Mädchen zu nehmen und sich aus ihrem Leib neue Untertanen ins Leben zu rufen. Dank dieses «Jus primae noctis» des mittelalterlichen Gutsherren wurden viele Kinder gezeugt, die zwar unfreien Standes waren, aber doch das freie Blut ihrer Väter in sich spürten. Aus solchen Herrenkindern sollen wiederholt die Rebellenführer der Bauernkriege hervorgegangen sein. Reizend ist die Abwandlung, die dieses Recht im Lauf der Zeiten erfuhr. Es wurde zum «droit de cuissage». Der Gutsherr, als Ehrengast bei der Hochzeitsfeier des jungen Bauern, legte sich mit der Braut öf-
fentlich auf ein Bett. Beide blieben völlig bekleidet, in allen Ehren kreuzte er lediglich seinen Schenkel mit dem Schenkel des Mädchens. Als späten symbolischen Abglanz dieses ehemaligen Herrenrechts erinnert man sich auch der fürstlichen Beilager. Der Feldherr Egmont zum Beispiel hielt in Vertretung Philipps des Zweiten das Beilager mit der englischen Königin Maria Tudor ab, nicht ahnend freilich, daß sein so gnädiger König ihm einmal den Kopf abschlagen lassen werde. Graf Egmont lag vor dem versammelten Hof mit der häßlichen Königin auf einem Brautbett, in voller Rüstung, nur ein Bein symbolisch entblößt, und zwischen sich und der Königin das nackte Schwert.
Ich berichte Ihnen nun, wie Ysabel mich fragte, ob ich schon einmal Menschen fleisch gegessen hätte An diesem Abend zehrten alle unsere Gespräche - Gespräche zwischen einer Frau und einem Mann, die sich geliebt hatten - nur von der Vergangenheit und mündeten ins Nichts. Ysabel begann von ihrer Sehnsucht zu sprechen, wieder einmal nach China zurückzukehren, dem Land ihrer Jugend; ganz unvermittelt kam sie dann - aber da gab es sicher einen unbewußten Zusammenhang - auf den Schiffbruch ihres privatesten Lebens, und sie träumte, wie so oft, nachdenklich und nostalgisch von ihrem eigenen Tod, auf den sie weiter nicht mehr warten wolle. Um sie abzulenken, führte ich die Rede auf die Mannigfaltigkeit der Brokate in China, von denen es dort über fünfzig klassische Muster gibt, die man kennen muß; ich sprach von den tausend unnützen hübschen Sachen, die man aus Jade macht, und von den dreißig verschiedenen Farbnuancen, die man bei diesem edlen Material aufzuzählen weiß. Und schon eilte Ysabel, um mir eine neu erworbene Schale aus jener hauchdünnen Jade von wolkigweißer Farbe vorzuführen, die man «Hammeltalg» nennt. Behutsam schälte sie die Kostbarkeit aus vielen schützenden Seidentüchern: Glückssymbole, Päonienblüten, Schmetterlinge und Fledermäuse umspielten in feinstgeschnittenem Relief das chinesische Schriftzeichen für Glück, das aus dem Zeichen für Schwein
und dem Zeichen für Dach gebildet wird; diese Kombination hat mich stets tief berührt und gerührt - als Inbegriff eines bescheidenen satten Glücks: ein eigenes Haus und darin ein fettes Schwein zu besitzen herrlich, ein Heim, ein Dach und genug zu essen! Jade gilt bei den Mongolen, genau wie bei den alten Rassen der Maja, nicht als ein Material wie irgendein anderes, sondern vielmehr als ein göttlicher Stoff, der lebt, und der auch dann, wenn seine Form zerbricht, nicht stirbt, und der, wenn man einen daraus gefertigten Gegenstand aus irgendeinem Grund vernichten will, eigens getötet werden muß. In diese Schale legte Ysa kleine, farbige, feinstgravierte Eier, Kugeln und Blumenknospen aus Achaten, Karneolen und Amethysten, die in unsagbar mühevoller Arbeit manchen ihrer Schöpfer das Augenlicht gekostet haben mußten. Aus ähnlichem Material und aus Lapislazuli, Chalzedon, Elfenbein, Rosenquarz und Bernstein waren einst die Kappenköpfe für die neun Rangstufen der Mandarine geschnitten worden, welche Ysa jetzt als Bekrönung der Korke in ihrer Hausbar verwandte, wo sie die Rangstufen der Schnäpse anzeigten. Von diesem chinesischen Ideogramm für Glück kamen wir auf den ländlichen Sautanz zu sprechen, auf das fröhliche, mit Trunk, Tanz und Fraß gefeierte Schlachtfest, das dem Bauern in China wie in Europa einen Höhepunkt im Jahr bedeutet. Dieses Fest um den Tod eines Schweines, dessen Fleisch man sich schmecken läßt - späte Erinnerung an feierliche Menschenopfer und Menschenfraß - beruht auf der großen Ähnlichkeit des Schweines mit dem Menschen - nicht nur in der Form und Anordnung der inneren Organe, sondern auch in der Hautfarbe und der erotischen Bedeutung; und daß Menschenfleisch wie das beste Schweinefleisch schmeckt, ist allgemein bekannt. Ysabel begann unvermittelt von dem sonderbaren Backwerk zu erzählen, das sie nach chinesischem Vorbild bei der Hochzeit mit Ihnen, Sir George, für den Hochzeitskuchen hatte anfertigen lassen: Teigwaren stellten in scherzhafter Weise das Geheimnis der Ehe symbolisch dar: Die unterste Schicht mit der Glasur aus weißem Zucker bedeutete erste Liebe und Brautstand; die zweite aus mit süßen, aber auch mit ein paar bitteren Mandeln durchsetztem Marzipan symbolisierte die ersten Ehejahre; die dritte Schicht aus Plumpudding, der zwar noch süß genug, doch etwas plump, nahrhaft, aber schwer verdaulich war, entsprach dem Ehestand.
Wieder zu den Schweinefesten zurückkehrend, erklärte ich ihr die Theorie Sigmund Freuds und das von ihm phantastisch geschaute Siegesmahl der Urhorde: Die Söhne erschlagen den alten Vaterhäuptling, um seine Weiber und seine Waffen zu besitzen, und sie verspeisen seine Leiche unter Ehrenbezeugungen, Zeremonien und Freudentänzen, um ihre gemeinsame Schuld gemeinsam zu entsühnen. Dies ist das Urbild jedes Menschen- oder Tieropfers, aber auch - obwohl es nicht gern zugegeben wird - das uralte Vorbild des Wunders unserer christlichen Kommunion, die sozusagen eine sublimierte Form des frühen Kannibalismus darstellt: «Mein Fleisch ist wahrhaftig eine Speise und mein Blut ist wahrhaftig ein Trank.» Im Christentum überleben und vermengen sich die ältesten religiösen Gebräuche, also auch die Blutriten der primitiven Ursitten und vieler späterer Geheimkulte. Freud durfte es damals vor dem Ersten Weltkrieg, als sein Buch erschien, schon weil er Jude war, nicht wagen, diesen Zusammenhang anders als nur versteckt anzudeuten.
Alle religiösen Feste, Umzüge, Prozessionen und dergleichen sind, wie im Anfang auch die Gladiatorenkämpfe, religiösen Ursprungs. Sie stammen meistens von den Totenfeiern ab und sind ein Ersatz für die frühesten Menschenopfer, bei denen der Gefeierte getötet und dann von den Festteilnehmern gegessen wurde. So wie in ältester Zeit der siegreiche Meisterläufer geopfert wurde, so gab es später Pferderennen, nach denen das Siegerpferd zerstückelt wurde: In jedem Stadtviertel bewahrte man ein Stück davon auf, da es als Glücksbringer galt. Solche, einst mit einem Menschenopfer verbundenen Feste wurden später zu Ehren der Götter, der Könige, Feldherren und Kaiser, der Heiligen eines neuen irdischen Sternenhimmels abgehalten. Ich erzählte Ysa, daß die Kannibalen überall dort, wo es sie noch gibt, unter im übrigen gleich entwickelten Völkern die geistig höherstehenden sind: kultiviertere und feinere Künstler als ihre nicht menschenfressenden Genossen. Anthropophagie hatte immer etwas Religiöses an sich, sie war immer ein Kult, eine mystisch angewandte Magie, Sehnsucht nach Vervollkommnung. Bei der Freudschen Vision der Urhorde wollten die Söhne durch die Totenmahlzeit so werden wie ihr gefürchteter und doch bewunderter Vater; der Christ will besser, vollkommener, eins werden mit seinem Gott, der gemordet wurde von
Menschen, wie er einer war. Vielleicht haben die Menschenfresser, denen die christliche Lehre verkündet wird, deshalb für eine Zeremonie, die an ihre eigenen Bräuche erinnert, volles Verständnis; sie begreifen sie jedenfalls sofort. «Du scheinst die Kannibalen sehr zu schätzen», fragte mich Ysabel, «aber hast du auch schon selber Menschenfleisch gegessen?» Ich lenkte ab und erläuterte ihr, daß Feinschmecker auch bei dieser Speise feine Unterschiede zu machen wüßten. Australier zum Beispiel wollten nie das Fleisch von Chinesen essen, wenn es anderes zu bekommen gäbe, denn es mundete ihnen einfach nicht; sie behaupteten, es schmecke zu salzig. Und in manchen Gegenden gelte das Fleisch von Männern bekömmlicher als das von Frauen, wie das ja auch beim Fleisch der Schlachttiere der Fall sei. Am wohlgefälligsten schmecke natürlich ein junger, leicht gemästeter Kastrat, den man vor der Schlachtung mindestens zwei Monate lang ausschließlich mit Milchspeisen gefüttert habe. Übrigens solle das Fleisch junger Gorillas dem Menschenfleisch sehr ähnlich sein. Ich erwähnte auch meinen Ahnen Prospero Gloria, der von seinen Wilden aufgefressen wurde, und sogleich bat mich Ysa, ihr von dieser Begebenheit in allen Einzelheiten zu berichten ... Deutsch von Rolf Palm
Emmanuelle Arsan
Taha und Ilytis Im Hotel erwartete Guido und Vanna eine Nachricht von Mehdi Yasserit. Der Beamte im Urlaub lud sie zum Tee bei einem Bewohner der Oase ein, den er von einem früheren Aufenthalt her kannte. Ein Taxi würde sie abholen und zum Haus des Gastgebers bringen. Zu ihrem Erstaunen fanden sie dort zahlreiche Gäste in Abendkleidung vor: sie hatten mit einer kleineren Gesellschaft gerechnet. Mehdi erklärte: «Ich wollte Ihnen eine Überraschung bereiten. Mein Freund verheiratet heute seinen Sohn. Ich dachte, Sie würden sich dafür interessieren, aber wenn ich Ihnen im voraus sagte, worum es ginge, würden Sie vielleicht befürchten, Sie störten.» Soviel Zartgefühl war entwaffnend. Guido wollte nichtsdestoweniger wissen, warum viele der Eingeladenen eher europäisch als afrikanisch aussahen. Mehdi machte einen verlegenen Eindruck. Vanna antwortete für ihn: «Die Gründe dafür sind die gleichen, die mich zum Mischling gemacht haben. Der einzige Unterschied zwischen ihnen und mir liegt darin, daß die Siwa es nicht nötig gehabt haben, sich die weiße Hälfte ihres Wesens aus der Ferne zu holen: sie kam nämlich unaufgefordert hierher. Persische Krieger, griechische Helden, makedonische Haudegen, römische Legionäre, fränkische Kreuzritter, napoleonische Gardisten und Hitlersoldaten haben sich auf gut Glück betätigt, um eine neue Rasse zu gründen. Weißt du, daß die Oase Siwa den Panzern des Afrikakorps im letzten Weltkrieg als Treibstoffdepot gedient hat?» «Ausgerechnet Treibstoff!» amüsierte Guido sich. «Aber es gab
kein Orakel mehr, um Feldmarschall Rommel über seine bevorstehende Niederlage zu unterrichten.» «Ein Narr kann einem Eroberer sein Ende ebensogut voraussagen wie der weiseste Seher», sinnierte Vanna. «Ich bin auf dem einen Gebiet genauso inkompetent wie auf dem andern», erklärte Guido, der bester Laune zu sein schien. «Mein Spatzenhirn ist weder zum Erobern noch zum Weissagen fähig. Deshalb mache ich mir auch keine Sorgen über die Zukunft.» Unbekannte, die das Gespräch ganz ungeniert mitgehört hatten, stimmten mit ansteckender Freundlichkeit zu. Kein Mensch schien an die Zeremonie zu denken, die unmittelbar bevorstand. Der weitläufige Garten, in dem die Anwesenden durcheinanderwimmelten, sah aus wie bei einer x-beliebigen Gartenparty: die bunte Ausstaffierung einiger Gäste reichte kaum aus, um daran zu erinnern, daß man sich in Afrika und nicht auf den Borromäischen Inseln befand. Inmitten der bunten Sträucher, blühenden Mandelbäume, Zwergpalmen, Riesenkakteen, Bougainvilleas und Oleanderbüsche, deren Fülle ein bißchen zu sehr nach Vorsatz roch, kam Guido sich kein bißchen fremd vor. Er mußte sich mit Gewalt ins Gedächtnis zurückrufen, daß er nicht daheim war. «Ich kann mir die mohammedanischen Hochzeitsriten überhaupt nicht vorstellen», sagte er. «Nun, dann wirst du dich endlich weiterbilden», zog Vanna ihn auf. Mehdi mischte sich ein: «Nur bis zu einem bestimmten Punkt. Sicher, unsere Freunde sind gute Mohammedaner, wie wir alle. Aber gewisse wichtige Bräuche richten sich bei ihnen nach Gesetzen, die älter sind als der Islam. Unserem gestrigen Gespräch habe ich entnehmen können, daß Sie diese Besonderheiten gern kennenlernen würden, Mr. Andreotti. Deshalb glaubte ich Ihnen einen Gefallen zu tun, indem ich Sie heute einladen ließ.» «Mein lieber Mehdi, Sie sind ein Schatz», erklärte Guido. Der Pädagoge schien ihm diese unerwartete Vertraulichkeit nicht übelzunehmen. Er selbst blieb freilich sehr formell. «Ah», sagte er. «Ich sehe unseren Gastgeber. Wünschen Sie, daß ich Sie vorstelle?» «Gewiß, gewiß!» willigte Guido ein. Sie schritten zu einer Gruppe von Herren in weißen, blauen oder gestreiften, zum größten Teil mit Silber- oder Goldborten besetzten Djellabas, die gravitätisch zwischen Näschereien wählten, die auf ei-
nem langen Tisch verteilt waren. Bevor Mehdi den Mund geöffnet hatte, reichte der jüngste von ihnen den beiden Männern Gläser, auf deren Grund schwerer Tee dampfte. Ein Duft von Zucker und Minze strömte heraus. Nachdem sie das Angebot angenommen hatten, stellte der Kairoer den Italiener der Gesellschaft vor und umgekehrt. Auf diese Weise erfuhr Guido, daß derjenige, der ihnen den Tee gereicht hatte, der Hausherr war. Er hieß Khaled Ayaddin. Seine Lippen waren fleischig und seine Nase gekrümmt, aber seine Haut war ebenfalls blaß. Eine dünne Schicht Kaolin, mit der ein Teil seines Gesichts bedeckt war, betonte diese Blässe. Er entschuldigte sich ihretwegen: «Das gehört zu meiner religiösen Funktion. Bei uns spielt ein Vater, der seinen Sohn verheiratet, eine wichtigere Rolle als der Bräutigam selbst.» Er lachte laut und zog sich einen wundervollen Burnus aus golddurchwirkter Wolle um die Schultern. Guido wunderte sich darüber, daß er in seinem jugendlichen Alter einen heiratsfähigen Sohn haben konnte. Der Gastgeber lachte abermals von ganzem Herzen. «Ich habe fünf Kinder», verriet er. «Taha, der heute eine Frau nehmen wird, ist der Älteste: er ist einundzwanzig Jahre alt. Der Jüngste ist letztes Jahr zur Welt gekommen.» Guido war drauf und dran zu fragen, wo die Mutter steckte, registrierte aber gerade noch rechtzeitig, daß keine einzige Frau in ihrer Nähe war. Sogar Vanna, die er nun mit den Blicken suchte, war verschwunden. Nach längerem Überlegen glaubte der Fremde sich jedoch nach den Gründen für diese kollektive Abwesenheit erkundigen zu können, ohne daß er sich eines Fauxpas schuldig machte. «Sie sind alle damit beschäftigt, die Verlobte zu schmücken» klärte Khaled ihn auf, ohne seine freundliche Ungezwungenheit zu ändern. «Eine Heidenarbeit! Sie werden es selbst sehen, wenn sie erscheinen wird.» «Und der künftige Gemahl?» «Er ist bei seinen Freunden geblieben, um ein letztes Glas zu trinken.» «Genau wie bei uns», gestand Guido. «Man trägt sein Junggesellenleben bis zur allerletzten Minute zu Grabe.»
«Und dann heißt es Freiheit ade, das steht fest!» scherzte Khaled. «Vor allem für die Frau, nicht wahr?» bemerkte Guido. Der Gastgeber amüsierte sich sichtlich. «Ich bin zwar nicht viel gereist», sagte er, «aber ich glaube zu wissen, daß wir alle, ob Siwa oder Christen, mehr oder weniger gleich sind. Es gibt Regeln, aber wer hält sie ein?» «In unserem Land», teilte Guido ihm mit, «erodieren selbst die Regeln. Früher kam man für Ehebruch ins Gefängnis, als man nicht mehr auf den Scheiterhaufen kam. Heutzutage wird er als zwangsläufige Begleiterscheinung der Ehe betrachtet.» «Für beide Geschlechter?» interessierte sich der Einheimische. «In der Praxis ja. Hier denn nicht?» «Bei uns gilt es immer noch als anstößig, seinen Gatten mit einem anderen Mann zu betrügen. Selbst seine Gattin sollte man möglichst nicht mit einer anderen Frau betrügen. Aber keine Ehefrau hat etwas dagegen, daß ihr Mann Knaben liebt. Und welchem Ehemann würde es einfallen, seiner Frau intime Begegnungen mit anderen Frauen zu untersagen?» «Unter diesen Beziehungen leidet niemand?» «Das wäre der Gipfel!» lachte Khaled auf. «Sind sie vielleicht entwikkelt worden, damit jemand leidet?» «Also keine Eifersucht?» «Hier ist kein Mensch je eifersüchtig. Es gibt nur stillschweigende Übereinkünfte.» «Und welche Vorstellung hat man von der Liebe?» beharrte Guido. «Die, die wir den Liedern und Berichten öffentlicher Geschichtenerzähler entnehmen. Wer lesen kann, bezieht seine diesbezügliche Vorstellung aus den Romanen. Außerdem haben wir schon seit einiger Zeit ein Kino. So ist die Liebe für die meisten von uns das geworden, was sie in den Filmen ist.» Guido ließ dem anderen Zeit, sich ein wenig auszuruhen, und setzte das Gespräch dann fort. «Und die Politik?» erkundigte er sich. «Die Politik?» wiederholte Khaled verblüfft. «Ja. Was halten Sie von ihr?» Der Siwa lachte wie schon so oft. «Nichts!» versicherte er. «Wer würde an so etwas denken?» «In Kairo gibt es eine Regierung, und in Siwa-el-Kabir ebenfalls», erinnerte Guido ihn.
«Na und?» versuchte der Hausherr zu verstehen. «Sie müssen sich dessen wohl oder übel bewußt sein.» «Warum?» Nun lachte Guido. «Was weiß ich?» entgegnete er. «Beispielsweise um eine Gunst zu erbitten oder ein Recht geltend zu machen. Um ihr zu gehorchen oder nicht zu gehorchen. Um sie zu akzeptieren oder abzulehnen. Zumindest um zu wissen, was sie will oder nicht will, was sie tut oder nicht tut.» Der Gastgeber gab seinem Gast einen Schlag auf die Schulter, unter dem fast das Schlüsselbein gebrochen wäre. «Die Späße der Fremden sind nicht immer leicht zu verstehen», konzedierte er. «Aber dieser ist einfach unübertrefflich!» Ein großer schwarzer Austin, ein mindestens fünfzehn Jahre altes Modell, hielt vor dem Gartentor. Der Chauffeur stieg träge aus, um den hinteren Schlag zu öffnen. Ein Herr mit einem weißen Leinenanzug mit Weste verließ den Wagen mit den vorsichtigen Bewegungen eines Menschen, der auf seine Gelenke achten muß. Er war überdurchschnittlich groß, sehr mager, fast ausgemergelt. Sein Gesicht war stark zerfurcht. Seine sehr kurz geschnittenen Haare gingen ins Graue, ohne daß es ihn wirklich alt machte. Ein Adlerprofil und dunkle Augen zeugten von seiner arabischen Herkunft. Als er sich aufgerichtet hatte, machte er einen hochmütigen, sogar gebieterischen Eindruck. Der neue Gast überflog die Versammelten mit einem kalten Blick, suchte zweifellos Khaled. Als er ihn entdeckt hatte, ging er gleichmäßigen Schrittes zu ihm, reichte ihm die Hand. Der Vater Tahas schüttelte sie ohne besondere Ehrerbietung. Die anderen Eingeladenen schenkten dem Neuankömmling keinerlei Beachtung. Guido roch trotzdem, daß dieser nicht ein Gast wie die anderen war. Er schaute sich nach Mehdi um, um ihn zu fragen, aber der Lehrer hatte sich gerade in der Menge verloren. Also wandte Guido sich an einen jungen Mann, mit dem er kurz vorher geredet hatte und der, wie er sich erinnerte, englisch sprach. «Wer ist jener Herr?» fragte er. Der junge Mann musterte die Persönlichkeit, die ihm gezeigt wurde.
Er verzog zuerst unsicher die Lippen, und dann fiel es ihm ein: «Ach ja! Ich glaube, es ist der Gouverneur.» «Der Gouverneur von Siwa?» «Selbstverständlich!» «Warum kümmert sich niemand um ihn?» Der andere betrachtete Guido erstaunt. «Glauben Sie, er bräuchte etwas?» sorgte er sich. «Das habe ich nicht gemeint. Überall sonst auf der Welt wäre ein Würdenträger von seinem Rang, mit seinen Funktionen, umdrängt und umschmeichelt. Man würde von seiner Nähe profitieren, um ihm ein Gesuch zuzustecken, eine Bitte um Subsidien, einen Passierschein: all diese Dinge!» «Ach?» sagte der junge Mann und betrachtete Guido so wachsam wie jemanden mit seinem kleinen Dachschaden. Der Italiener ließ sich nicht beirren. «Ist er nicht sehr angesehen?» insistierte er. «Warum sollte er denn nicht angesehen sein?» protestierte sein Gesprächspartner. «Er ist ohne Zweifel angesehen.» «Jedenfalls ist er nicht gefürchtet.» «Gefürchtet?» wiederholte der andere fassungslos. «Warum sollte man ihn fürchten?» «Zumindest wegen der Macht, die er verkörpert», erläuterte Guido. Aber der junge Mann begann sich sichtlich zu langweilen. Guido ließ ihn gehen. Der Gouverneur schlenderte langsam zwischen den Gruppen umher. Hier und dort drückte er eine Hand, wechselte er zwei oder drei Worte. Die meiste Zeit ließen die Versammelten sich nicht stören, um ihn zu grüßen, und unterbrachen ihr Gespräch nicht, wenn er sich näherte. Der hohe Beamte faßte diese Gleichgültigkeit offenbar nicht als Mangel an persönlicher Achtung auf. Sein Verhalten zeigte an, daß er diesen Zustand gewöhnt war und ihn ebenfalls selbstverständlich fand. Guido ließ ihn nicht aus den Augen. Man konnte sehen, daß er frohlockte. «Kein Zweifel», brummte er vor sich hin. «Das ist es.» Er widerstand dem Impuls, den Regierungsvertreter anzusprechen. «Alles zu seiner Zeit», redete er sich zu. «Wir brauchen uns nicht zu beeilen.»
Er hielt Mehdi am Ärmel fest, als er ihn wiedergefunden hatte. Wenn man sich bei dem nicht beeilte ... «Hoppla, mein Freund», sagte Guido. «Glauben Sie, Sie seien nur hier, um kandierte Feigen zu essen?» Der Ägypter zeigte sich wie immer zuversichtlich. «Ich hoffe nicht!» rief er aus. «Wenn die Zeremonie stattfindet, wird man uns sicher eine richtige Mahlzeit auftischen: Kaviar ä l'aubergine mouloukhia, kleine Felsenhasen, vierfach gewürzten Reis, Heuschrekken, Lamm mit Kurkuma, junge Falken, Wachteln in Kandiszucker, Strandkrabbencurry, Frikassee von Herzen, mit frischer Minze farcierte Kaktusfrüchte, Rosencrepes, Gelee von wilden Rosen ...» «Granatäpfel in Ammoniak und Azetylentorte», vervollständigte Guido. «Das Beste von den Produkten des Landes. Wir werden nicht hungrig zu gehen brauchen, stimmt's?» Er gab trotzdem zu erkennen, daß sein Hunger weniger den guten Speisen als neuen Informationen galt. «Was soll ich Ihnen sagen?» stöhnte Mehdi. «Sie wissen doch schon fast alles. Und dieser Ort ist, wie Sie sehen können, ohne Geheimnisse.» «Ich interessiere mich nicht für Geheimnisse», präzisierte Guido. «Nicht einmal für das, was die Leute denken. Ich möchte nur verstehen, was sie denken.» «Ich bin kein Psychoanalytiker», argumentierte der Erzieher. «Gott sei Dank!» beglückwünschte Guido sich. «Sonst hätte ich bereits den Staub meiner Schuhsohlen auf Sie geschüttet.» «Machen Sie es wie ich», empfahl der Methodiker. «Beobachten Sie, wie unsere Freunde sich verhalten und ziehen Sie Ihre eigenen Schlüsse. Ah! Sehen Sie. Ich glaube, man kommt zur Sache.» Rings um das Haus entstand eine Unruhe, die durch glucksende Töne und perlendes Lachen unterstrichen wurde. «Sie werden bald das Vergnügen haben, die Verlobten bewundern zu können und zu sehen, wie sie im Handumdrehen ein Brautpaar werden», teilte Mehdi ihm mit. «Sonst findet ein solches Fest fast überall im Haus der Brauteltern statt», gab Guido zu bedenken. «Warum ist es hier umgekehrt?» Aber seine Frage ging unter in dem Getöse, das plötzlich aus der Menge aufstieg.
Im selben Augenblick kam eine Schar von Frauen in einem Durcheinander, das Guido sympathisch fand, aus dem Haus geeilt. Vanna trat, leicht erkennbar an ihrem schlichten Kostüm, als eine der ersten ins Freie. Alle anderen waren herausgeputzt wie für einen Ball: Viel rosa, blauer, grüner, gelber, kackfarbener Musselin; eine Fülle von Schals und anderen Accessoires. Immerhin verbarg keine einzige, ob jung oder alt, ihre Züge unter dem islamischen Schleier. Die Alteren waren übrigens eindeutig zahlreicher als die Jüngeren. Und die Häßlichen waren zahlreicher als die Hübschen. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, sah Guido auf den ersten Blick keine, die würdig war, ihm zu gefallen. «Verständlich, daß die Siwa homosexuell sind!» machte er sich ungehört lustig. Gern hätte er dem unerläßlichen Mehdi diese Vertraulichkeit mitgeteilt, aber dieser schien zufrieden mit dem dargebotenen Schauspiel, daß Guido darauf verzichtete, ihm die Freude zu verderben. Der Lärm wurde zum Tumult. Gleichzeitig stimmte ein Orchester, das unter einer Geißblattlaube gesessen und bisher nicht gespielt hatte, eine klebrigsüße Melodie an. Guido versuchte auszumachen, welchen Instrumenten die Ausführenden diese klagenden Töne entlockten, aber die Sicht war schlecht. Es handelte sich wahrscheinlich um Flöten, geigenähnliche Saiteninstrumente und Xylophone, begleitet von Schellen und Zimbeln. Obgleich er sich auf Zehenspitzen stellte, hatte der Italiener ebensowenig Glück, als er versuchte, die weibliche Hauptperson des Festes zu sehen. Ihre Gefährtinnen bildeten einen undurchdringlichen Kreis um sie. Er faßte sich also in Geduld und bemühte sich, Vanna zu erreichen. Es gelang ihm nur, indem er Puffe mit den Ellbogen austeilte und auf verschiedene Füße trat. Sie schien froh zu sein, ihn wiederzusehen. «Was hast du in den Frauengemächern getrieben?» fuhr Guido sie an. «Keine dieser Huri verdient dein Interesse!» Sie lächelte geheimnisvoll und widersprach ohne großen Nachdruck: «Du wirst sehen, die Kleine ist gar nicht so übel.» «Welche Kleine?» «Die Verlobte. Sie ist erst fünfzehn.» «Guido verzog das Gesicht: «Jede Liebende, die älter ist als Mija, kommt mir von nun an vor wie eine Greisin.»
Vanna überhörte die Unverschämtheit. Sie reckte ebenfalls den Hals, um die Braut zu erspähen. Diese verließ den Schwarm ihrer Leibgarde erst, als sie auf ein kleines, von Blütengirlanden und Schnittblumen bedecktes Podium in der Mitte des Gartens gehoben wurde. Die Musiker verdoppelten sogleich ihren Schwulst. Guido benutzte die erprobte Methode der Rücksichtslosigkeit und drängelte sich, Vanna im Schlepptau, zur ersten Reihe vor. Wenn das junge Mädchen, wie er sich eingestand, tatsächlich sehr hübsch war, dann war ihr Putz es noch mehr. Gleichzeitig begriff er, weshalb die beiden Stutzer, die ihn gestern mit ihren uranistischen Leistungen ergötzt hatten, jene Gewänder trugen, die ihnen so gut standen: Es waren Hochzeitskleider gewesen! «Ist das der landesübliche Schmuck für diesen Anlaß?» wollte er wissen. «Keineswegs», klärte Vanna ihn auf. «Es ist nur in Siwa üblich.» «Eine alte Mode?» «Du hast es erraten.» Doch wie sie kurz danach feststellten, war die schöne weiße und plissierte ärmellose Tunika, die den Körper des jungen Mädchens vom Kopf bis zu den Füßen verbarg, in Wirklichkeit nur ein Dessous. Die Helferinnen der Braut begannen, deren Kleider vor den Augen des Publikums feierlich zu vervollständigen, indem sie das Mädchen mit einer Kollektion von Gewändern und anderem Zierat bedeckten, die ihnen stückweise von anderen Freundinnen auf Tabletts gereicht wurde. Über die linnene Tunika zogen sie zuerst ein durchscheinendes langes Hemd, das aus hauchdünnen Goldfäden gewebt zu sein schien. Dann fügten sie einen noch dünneren, boleroartigen Umhang hinzu, den sie am Saum, unter den Brüsten, zuschnürten. Er ließ deren Konturen zart hervortreten und betonte ihre kleinen, aufgerichteten Spitzen. Guido leistete stumm Abbitte für die Geringschätzung, die er eben noch vorgetäuscht hatte. Die Verhärtung, die nun an seinem Unterleib einsetzte, strafte den blasierten Gesichtsausdruck, um den er sich weiter oben heuchlerisch bemühte, Lügen. Vanna ließ sich nicht täuschen. Ihre Finger verifizierten das Phänomen verstohlen, und ihr maliziöser und komplicenhafter Blick übermittelte Guido ein stummes Lob, das ihn vollends für die Braut gewann.
Diese breitete kurz die Arme aus, damit ihr die Zofen einen Gürtel um die Taille legen konnten, der aus einer gold- und emailverzierten Schlange bestand, deren dreieckiger Kopf auf der Höhe ihrer Scham schwebte. Diese Nachbarschaft sagte Guidos Geschlecht ebenfalls zu. Anschließend schmückten die jungen Mädchen ihre Gefährtin mit einer breiten, flachen Halskette aus ziselierten Goldplättchen, die von losen Metallmaschen getrennt wurden. Das prachtvolle Geschmeide war so groß, daß seine innere Krümmung den Hals der Heranwachsenden umgab, während sein äußerer Rand die Spitzen der geschwollenen Brüste berührte, über die Schultern herabhing und bis zu den entblößten Ellbogen fiel. Nach dieser ersten Vorbereitung begannen die Helferinnen der kleinen Angelobten damit, ihre Haare zu ordnen. Sie teilten sie in verschieden dichte Löckchen und flochten diese dann mit einer Fingerfertigkeit, die Guido Bewunderung abnötigte. Nichtsdestoweniger dauerte es eine gute halbe Stunde, bis die Offiziantinnen diese bis dahin lange und glatte Haarfülle in ein Werk aus dichten und perfekt geordneten Zöpfen verwandelt hatten, das einem großen, runden Helm zum Verwechseln ähnlich sah. Von nun an war kein Zweifel mehr möglich: Die Statue der Göttin, die Guido in dem Lusthaus der Jünglinge so unendlich bewundert hatte, war soeben vor seinen Augen in allen Einzelheiten nachgebildet worden. Das mannbare Kind war nun so bewegungslos und wirkte kaum lebendiger als sein Vorbild aus Stein. Es war ebenfalls ein Meisterwerk geworden, obschon sein zartes Gesicht es nicht mit dem übermenschlichen Ideal aufnehmen konnte, das die Gemahlin des Amun verkörperte, und sein Leib (wie Guido realistisch und resigniert annahm) nicht die monolithische Vollkommenheit eines von Menschenhand gehauenen Hermaphroditen aufwies. Die Versammelten wurden um so stiller, je weiter die Toilette fortschritt. Die Aufmerksamkeit derer, die der von einer hymnischen, hypnotischen, mehr einem Requiem als einem Hochzeitsmarsch verwandten Musik begleiteten Metamorphose mit den Blicken folgten, wuchs allmählich an Intensität, bis sie eine nur noch als religiös qualifizierbare Stufe der Kontemplation erreichte. Nach der Vollendung des Idols aus Fleisch und Schmuck geschah
einen langen Moment nichts mehr. Aber die beinahe verzückte Andacht der Gäste und die Verehrung, die sie der neuerschaffenen Göttin erwiesen, waren so merkwürdig ansteckend, daß selbst Guido die Zeit nicht lang vorkam. Vanna schien der kollektiven Trance als einzige widerstanden zu haben. Ihre Hand verband Guido weiterhin mit der vergöttlichten Verlobten - eine Hand, so flexibel, wie es die köstliche, unter den Falten aus Linnen verborgene Vulva sein mußte, und zugleich so fest wie der kalkene Phallus des Standbildes, das Guido so sehr geliebt hatte. Als er sich dank der Freundinnenhand eine unauslöschliche Ewigkeit lang in dem sterblichen Körper des jungen Mädchens ergossen zu haben glaubte und die zeitlose Dualität des göttlichen Geschlechts ausgekostet hatte, trat eine Veränderung am Himmel ein. Die Sonne versank hinter den felsigen Höhen von Hat-en-Sho und verwandelte die goldenen Farbtöne, von denen die Gefangene des Ritus umspielt wurde. Da erklangen die Zimbeln, ein hoher, reiner, durchdringender Trompetenruf ertönte, und die Versammelten schienen auf einen Schlag von dem Zauber erlöst zu sein, der ihnen die Stimme geraubt hatte. Ein gewaltiger kollektiver Schrei erhob sich, der von skandierten Formeln gefolgt wurde - in einem solchen Gleichklang, als drängen sie aus einer einzigen Kehle. «Was sagen sie?» flüsterte Guido. Vanna erläuterte: «Zuerst haben sie den Namen der Verlobten gerufen: Ilytis! Ilytis! Jetzt rezitieren sie eine Sühnestrophe.» «Auf arabisch?» «Nein, in einer Sprache, die ich nicht verstehe.» «Sicher ein Dialekt von Siwa.» «Nein: eine Zunge, die aus größeren Fernen kommt.» «Schade, daß kein Mensch es uns übersetzt», bedauerte Guido, sich nach jemandem umsehend, der ihm diesen Gefallen tun könnte. «Man hat mir vorhin erzählt, wovon sie handelt», beruhigte Vanna ihn. «Gewissen Eigenheiten jener Mundart bin ich bereits in einigen Pharaonengesängen begegnet.» «Zum Beispiel?»
Aber in diesem Augenblick verstummten die Versammelten ebenso abrupt, wie sie ihren beschwörenden Hymnus angestimmt hatten. Entspanntes Lächeln folgte übergangslos auf den ekstatischen Lärm. Selbst die Göttin auf dem Podium kehrte wieder zur Erde zurück. Sie tauschte schelmische Blicke mit ihrer Umgebung, lachte sogar hell auf, zappelte wie eine Gymnasiastin, die den Erwachsenen eben einen kecken Streich gespielt hat. «Das ist alles?» fragte Guido. «Ist sie jetzt verheiratet?» «Bist du verrückt?» rief Vanna aus. «Man hat doch noch nicht einmal den Bräutigam hergebracht.» «In Anbetracht dieses Schauspiels», kommentierte er, «fände ich eine Hochzeit ohne Bräutigam gar nicht unmoralisch. Aber an wen richtet sich eigentlich die gemeinsame Anbetung? An eine verborgene Gottheit?» «Nein: an die anwesende Gottheit. Die letzte Jungfrau.» «Aha! Ich verstehe. Bei jeder Hochzeit stirbt die Jungfräulichkeit der Welt ein wenig. Daher die traurigen Flöten.» Nach kurzem Überlegen fügte Guido hinzu: «Bist du auch sicher, daß die Gottheit noch Jungfrau ist?» «Was macht die Realität schon aus?» gab Vanna zu verstehen. «Das stimmt», gab er zu. «Wenn Hochzeiten eine Übung in Objektivität wären, dann wäre die Spezies Mensch längst ausgestorben.» «Inwiefern?» «Wie mir die älteren Geschwister von Ilytis anvertrauten, bestand die Beschwörung, die du eben gehört hast, aus Eindeutigkeiten folgender Art: Schloß mit doppeltem Eingang, Das dein künftiger Gatte umschütten: Offne deine Hauptforte! Hab keine Furcht, es wird Tag. Doch wenn die Nacht vor Liebe schmachtet, Mach deinen Gatten zum Bruder: Offne ihm die Hintertür!» «Wie du siehst, sind die Siwa fortschrittlich und modern», lachte Guido auf. «Dieser Text ist fünftausend Jahre alt», informierte Vanna ihn.
«Wenn wir eine Kleinigkeit äßen?» schlug einer der Herren in ihrer Nähe vor. «Eine gute Idee!» stimmte Guido zu. «Und trinken wir ein Gläschen.» Er fürchtete, ein Sakrileg begangen zu haben: Teetrinken ist eine gleichsam heilige Handlung. Aber er wurde schnell beruhigt: Man ließ jetzt Bier herumgehen und ziemlich schweren und süßen Rosewein, der beim zweiten Schluck nicht mehr so schlecht vorkam wie beim ersten. «Und die Jungfrau, was macht sie die ganze Zeit?» sorgte er sich. Der Unbekannte, der eine Neigung zu ihnen - Vanna und Guido gefaßt zu haben schien, klärte sie auf: «Sie und ihre Freundinnen erzählen sich schlüpfrige Geschichten.» «Und der Versprochene?» «Er wird nüchtern», verriet der Gast. «Man muß ihm Zeit lassen, wieder ein menschliches Aussehen zu gewinnen.» Der junge Mann hatte sicher einen größeren Zacken in der Krone, als man allgemein annahm, denn die Zwangspause dauerte bis zum Einbruch der Dunkelheit. Als der Bräutigam endlich für vorzeigbar erklärt wurde, war der Zustand eines guten Teils der Gäste kaum besser als der seine. Besonders Mehdi Yasserit lallte, als Guido ihn wieder ausgemacht hatte, wie ein Kameltreiber. «Wenn die Sache noch lange dauert», prophezeite er, «wird es zu dunkel sein, um unterscheiden zu können, ob das Laken Flecken von Blut oder Wein hat. Mit diesem Trick will der Schlauberger Ayaddin kaschieren, daß seine Göre seit ihrem zwölften Geburtstag herumhurt wie eine Priesterin.» «Du kriegst alles durcheinander, Kamerad!» korrigierte Guido ihn. «Ayaddin verheiratet nicht seine Tochter, sondern seinen Sohn.» Mehdi machte eine schulmeisterliche Handbewegung, die eine These mit drei Punkten ankündigen sollte. Aber er schlief im Stehen, an seinen Freund gelehnt, ein. Dieser legte ihn behutsam auf ein Beet mit Azaleen und Dornbüschen und machte sich zum soundsovieltenmal auf die Suche nach Vanna. Dabei wurde er durch eine neue Explosion von Schlag- und Blasinstrumenten gestört, die von einem allgemeinen Ausruf der Befriedigung begrüßt wurde.
«Ist das der große Augenblick?» fragte Guido aufgeregt. Aber sein Nachbar hatte den Mund so voll Loukoum, daß er nicht antworten konnte. Der Fremde ließ sich von der Menge zum Podium treiben, wo die Braut einer Ohnmacht nahe zu sein schien. Die Zappeleien ihrer Gefährtinnen, der Lärm, die Erschöpfung, die Last der Kleidungs- und Schmuckstücke, die sie bedeckten, und des Backwerks, mit dem man sie vollgestopft hatte, hatten ihre Widerstandskraft aufgezehrt. Sie achtete kaum noch auf die neuerlichen Hantierungen, deren Gegenstand sie nun wurde. Zuerst setzte man sie auf einen Schemel, der so hoch war, daß sie ebensogroß wirkte wie vorher. Dann wurde ihr ein kegelstumpf förmiger Hut, der sie noch größer machte, auf die Flechtfrisur gestülpt und mit langen, in Ähren aus Email auslaufenden Nadeln befestigt. Man legte ihr eine Girlande aus Jasminblüten, deren berauschender Duft bis zu Guido drang, um den Hals; anschließend eine zweite aus Blüten einer anderen Jasminart; dann eine dritte aus Gardenien; eine vierte aus Hibiskusblüten; und schließlich eine fünfte aus lila und gelben Orchideen. Sie verschwand bis zur Nase in dem Blumenkragen. «Sie wird gleich ersticken», ängstigte Guido sich. «Ehe sie erfahren hat, was Liebe ist!» Aber niemand schien sich für die Lebenserwartung der Unglücklichen zu interessieren. Man fuhr fort, sie mit den sperrigsten und schwersten Symbolen zu beladen. Man legte ihr eine große Bronzeplatte auf die Knie und stellte Tiere aus Terrakotta oder Glas mit Fadenaufschmelzungen auf das Tablett: eine Schleiereule, einen Löwen, einen Steinbock, mehrere Schlangen, Skorpione, eine Katze, einen Hund, ein Dromedar, ein Seepferdchen, Skarabäen, Ratten; anschließend wurden Früchte, Blätter, Vogelfedern und Erdklümpchen hinzugefügt; dann ein Tintenfaß, Brotfladen, Knoblauch, eine Schale aus Gußeisen, ein kleiner Krug mit Ol und eine Kruke mit Wasser. Über der Schlange, die sich um ihre Taille wand, umwickelte man sie mit einer mehrere Meter langen dicken Hanfkordel, die sie noch mehr einschnürte und früher oder später den Erstickungstod herbeiführen würde. Auf ihren Schultern brachte man ein jochähnliches Gebilde aus schwerem Holz an, an dessen Enden Messingschüsseln gehängt wurden, die man vorher mit Getreidekörnern bzw. Schafwolle gefüllt hatte.
In eine Hand legte man ihr ein Zepter aus einfachem Schilf, in die andere eine Eisenkette. Man schmückte einen Knöchel mit einem Ring aus Silber und den andern mit einem Ring aus Holz. Dann wurden ihre Füße mit Schlamm bestrichen. Auf dem Stumpf, der sie krönte, befestigte man anschließend die Krallen eines lebenden großen schwarzen Raubvogels mit stählernem Hakenschnabel, der seine herrlichen Schwingen ausbreitete und versuchte, sich mit seiner Beute in die Lüfte zu erheben. Nun näherte sich Khaled Ayaddin. In der rechten Hand hatte er ein Messer mit Elfenbeingriff und einer langen, schmalen und gebogenen Klinge. Er wirbelte die Waffe über seinem Kopf durch die Luft wie ein maurischer Ritter seinen Säbel und hieb dann zu. Die Stahlspitze sauste wie ein Blitz genau unter dem goldenen Collier zur Brust des jungen Mädchens hinunter und zerschnitt die Lagen aus Linnen und Seide, die diese bedeckt hatten. Die nackte Haut der Ilytis erschimmerte im ockerfarbenen Licht der Lampen. Ihre kleinen und harten Brüste waren immer noch zwischen der Doppelgarrotte von Kette und Gürtel eingezwängt. Ihre Spitzen waren so rot und verlockend, daß der Adler, dachte Guido, nicht umhin können würde, danach zu picken. Die Trompeten ertönten abermals, und der Bräutigam erschien. Er hatte ein gerade geschnittenes rotes Gewand an, das seine Arme wie eine Toga bedeckte, und lag auf einem hölzernen Schild mit schmiedeeiserner Umrandung. Die Träger, Jünglinge in seinem Alter in nachtblauen Tuniken, setzten ihn unsanft zu Ilytis' Füßen ab. Die Versammelten riefen: «Taha! Taha!» Es folgte eine Ermahnung, die Guido nicht verstand, deren Inhalt er aber zu erraten glaubte: natürlich ein zweideutiger Inhalt. Der junge Siwa beugte sich vor und wischte seiner Verlobten mit bloßen Händen den Schlamm von den Füßen. Er zerbrach den hölzernen Ring mit zwei Fingern, bog dann den silbernen so lang hin und her, bis er ebenfalls brach. Er nahm die mit den zahllosen Gaben beladene Platte mit beiden Händen und stellte sie neben Ilytis auf den Boden. Er befreite diese von dem Joch, das sie erdrückte, löste das enorme Gewinde, das ihre Taille zuschnürte, riß den Blütenkragen ab, löste den wundervollen Halsschmuck aus Platten und Maschenwerk, knüpfte die Schnüre des kur-
zen Voileumhangs auf, öffnete das Hemd aus durchscheinenden Fäden, das seine Angelobte mit changierenden Lichtreflexen vergoldete, und zog es ihr aus. Sie erhob sich von ihrem hohen Schemel und blieb aufrecht und herrlich vor ihm stehen, nur noch mit dem weißen Gewand angetan, dessen Schnitt ihren Busen entblößte. Der große nächtliche Adler schlug über ihrem verschlossenen Gesicht langsam mit den Flügeln. Taha ergriff mit beiden Händen die Ränder der aufgeschnittenen Partie, riß die linnene Tunika bis zum Nabel, dann bis zum Geschlecht, dann bis zu den Füßen seiner Frau auf. Diese überreichte ihm ihr Schilfzepter und ihre Kette. Dann hob sie, nackt wie sie war, die Arme. Ihre Finger durchwühlten ihre Frisur. Der unversehens befreite Raubvogel entflog mit einem wilden Schrei, den die Versammelten mit ihren hundert männlichen und weiblichen Stimmen verstärkten. Überall erlosch das Licht. Schweigen senkte sich herab. Als die Lampen nacheinander wieder aufleuchteten, waren die Jungvermählten verschwunden.
Guido war wie erschlagen, Mehdi wieder nüchtern, Vanna unergründlich, und Kahled unbeschwert, als sie im Kreis im Gras saßen, an ihrer Limonade nippten und jeder für sich an die Feierlichkeit dachten, an der sie eben teilgenommen hatten. Über ihnen zeichnete sich ein länglicher Schatten ab. «Der Adler!» behauptete Guido. Khaled erklärte: «Kennen Sie meinen Freund, den Ingenieur Andreotti?» Dann sagte er, auf die Silhouette zeigend, zu Guido: «Selim El-Fattah.» Den überraschten Guido kostete es so viel Kraft, sich umzuwenden, als kämpfte er gegen den Schlaf an. Seine Verwunderung wuchs noch, als er vor sich den hochgewachsenen, mageren Herrn mit den sparsamen Gesten erblickte, den man ihm gegenüber als den Gouverneur identifiziert hatte. Er erinnerte sich daran, daß hier kein Mensch Angst vor ihm hatte. Er lächelte ihm zu. «Ciao», sagte er.
Selim erwiderte den Gruß mit einem Kopfnicken. Guido schaute zu Vanna. Der Blick, den sie auf ihren Vater richtete, verriet nichts, was Guido interpretieren konnte. Der Administrator näherte sich ihr, tätschelte ihre Wange, wandte sich an sie und Khaled Ayaddin zugleich. «Wenn auch ich meine Tochter verheiraten werde», sagte er, «dann nach dem Ritus, den du heute befolgt hast.» Er bückte sich halb, fügte hinzu: «Nicht wahr, Vanessa?» Ehe Vanna die Zeit für eine Antwort finden konnte, hatte er sich schon wieder aufgerichtet, die kleine Gruppe mit einer friedfertigen, beinahe segnenden Geste gegrüßt und gesagt: «Gute Nacht, meine Freunde.» Dann ging er gemessenen Schritts zu seinem Wagen. Als sie im Hotel wieder allein waren, versuchte Guido eine Bemerkung über Selim zu machen, die Vanna hören konnte, ohne sich persönlich betroffen zu fühlen. «Dein Vater», erinnerte er sie, «sprach davon, seine Tochter zu verheiraten, wie Khaled seine verheiratet hat. Er war heute schon der zweite, der diesen Irrtum beging.» «Es ist kein Irrtum», sagte sie. «Wie?» fuhr Guido hoch. «Taha ist doch der Sohn von Khaled, ja oder nein?» Vanna klärte ihn gelassen auf: «Taha und Ilytis sind beide Khaleds Kinder. Ilytis ist Tahas Schwester.» Deutsch von Jürgen Abel
Stephen Scbneck
Der Nachtportier Wer von denen, die nun des Nachtportiers ansichtig werden, wie er in seinem Drehsessel keucht, den Mund voller bröckeliger schwarzer Hauer und die Nasenflügel bronzen vom jahrelangen Schnupfen ... wer möchte wohl annehmen, daß dieses kahle Flußpferd einmal fröhlich den Trip absolvierte, auf Deck Walzer tanzte, während ihr Ozeanriese über den Atlantik Kurs auf Europa nahm? Katy im Ballkleid mit Glockenrock, Spenser im mitternachtblauen Smoking. Ein ungewöhnlich attraktives junges Paar, das eine Weltreise unternahm. Das eine Seefahrt machte.
Paris war enttäuschend. In der ganzen Stadt gab es nur fünf Huren. Fünf fade, gelangweilte alte Vetteln mit strähnigem Haar und totem weißem Fleisch und jenen erschreckend glasigen Augen, die zu lange gestarrt haben ... Die Leute, die sie in Paris antrafen, gingen sämtlich auf Parties, und Spenser und Katy gingen mit. In Paris ging jeder auf Parties, um beizuschlafen, und jeder Schlafzimmerschrank enthielt Massen von blasierten Linsern, die es alles schon seit Jahrhunderten kannten. Weder Spenser noch Katy entsannen sich, die Lichterstadt je besucht zu haben. Trotzdem schien jedermann sie zu kennen. Sie blieben nur gerade lange genug, daß Katy in einem Film mitspielen konnte, dann
fuhren sie weiter in weniger verbrauchte Regionen. (Dies Filmabenteuer, von nun an als Katys Folie berühmt, wird in den folgenden Seiten noch sorgsam herausgearbeitet werden.)
«Dove vai, cappuccetto Rosso?» «Cuanta questa, la cositita?» «Putaines partout et cocus partout. Un Chastete n'habite pas en une region plus qu'en l'autre.»
«Wohin gehst du, kleines Rotkäppchen?» «Was kostet das kleine Ding?» «Huren überall und Hahnreie überall. Keuschheit ist in mancher Gegend nicht mehr zu Hause als in jeder anderen.»
«Wie wahr, mein Herr, wie wahr.» Ein salbungsvoller Krämer aus Karyes, dem berühmtesten Menschenmarkt auf der ägäischen Halbinsel, schweifwedelte hinter Spenser und seiner flüchtigen Bemerkung drein und hielt ihn am Ärmel. «Peitschen, Zaumzeug, Federn, irgend etwas Hübsches für die Dame?» Er sah Katy an und leckte sich die Lippen. Katy sah ihn ebenfalls an und leckte sich gleichfalls die Lippen. Der Händler erbleichte; noch nie hatte er eine purpurne Zunge gesehen, und von Blutgefäßkontrolle wußte er nichts. Er war ein schwer arbeitender Markthändlerwie sollte er Gesellschaftstricks vom tatsächlichen Aussehen unterscheiden? Er sank zwischen den Ständen auf die Knie. «Vergib mir, Wahnsinnsmutter», sagte er sehr schlicht. «Ich ahnte nicht, daß ich einer Erscheinung gegenüberstand. Gnade, Weiße Königin.» «Sie soll gewährt sein», winkte Katy, wobei sie äußerst graziös den Kopf neigte. «Steh nun auf und tu, was ich befehle.» «Mit Freuden», sagte der Mungo, nur ein Handelsmann zwar, doch nicht von gemeiner Phantasie. Als ein ergebener Mensch und deshalb nicht weniger schlau sprach er jeweils das angemessene Gebet; stets wurde er etwas los. «Sagt nur, was Ihr von mir wünscht.» «Etwas, das Weiße nie zu sehen bekommen.» Spenser nahm an Katys Statt das Wort. «Führe uns zum inneren Marktplatz. Wir möchten gerne die Bank des ZaG'ob sehen.» Wiederum verneigte sich der Kaftan. «Schwierig wird es werden, dies zu arrangieren, doch es soll sein. Nur muß ich Euch bitten, Eure Kameras nicht mitzubringen. Es ist verboten», fügte er mit einem ehrerbietigen Aufblitzen seiner Zahnreihen hinzu.
Und am selben Nachmittag wurden sie, in Muftis gehüllt, zu einem Kaffeehaus tief im Eingeborenenviertel geleitet, und dort sahen sie die sagenumwobene Bank, entworfen von dem liederlichen Kaiser Morovieas. Nikkoli ZaG'ob ... Jenes obszöne Brett, das mit dreiunddreißig Pflöcken ausgerüstet ist, listig aus fleischfarbenem Pfirsichholz geschnittenen Pflöcken, deren Dicke und Länge variiert, und die so angeordnet sind, daß dreiunddreißig Lustknaben zugleich sich auf einen setzen und dort den reichen Lüstlingen ihre Aufwartung machen können, den öligen Scheichen aus Persien und den degenerierten Feigenfarmern, die von Syrien herbeigeflogen werden, und dann und wann einem Türken, was die Jungen zum Zittern brachte ... und nun erschienen Plag und Gemahlin, um der Genialität Tribut zu zollen und zuzuschauen, wie die Päderasten sich ihre Knaben auswählten, indem sie einen probaten Jüngling hochhoben und die Größe des Pflocks inspizierten, worauf er gehockt hatte. Bei Sonnenuntergang hatte es bereits ganz Karyes vernommen und war entsprechend schockiert: eine dreihundertjährige Tradition brach ab, als Katy mit katzenhafter Gewandtheit ihren Tisch verließ und auf dem Brett einen eben freigewordenen Platz einnahm.
Ein paar Tage später entkamen sie auf der Insel Trivoli mit knapper Not einem anderen Vorfall. Ihnen war ein lokaler Brauch verschwiegen worden, der die Helden, die wilden Männer dieser obskuren und sehr antiken Insel, dazu ermutigte, die hübschesten Mädchen, deren sie habhaft werden konnten, wie einen Federbusch aufgesteckt in ihrer enormen wolligen Kopfbedeckung zu tragen. Ein wohlmeinender Schmuggler aus Nordafrika brachte sie in Sicherheit; der Preis war eine schwindelerregende Summe Goldes und Katys Gesellschaft in seiner Kabine. Daß diese letzte Forderung erfüllt wurde, dürfen wir mit Gewißheit annehmen. Aber da der Leichnam des kühnen Schmugglers nie gefunden wurde, können wir darüber, in welcher Währung er sich bezahlen ließ, nur Mutmaßungen anstellen.
Inzwischen fuhren Plag und Katy bereits in Ägypten herum, um dort an den ungewöhnlichsten Exzessen teilzuhaben. Lasterhaftes bekamen sie zu Gesicht längst des Nils. Sie aßen Meryet, jenes Aphrodisiakum aus Hemak, das aus den Abschabungen eines Krokodilpenis bereitet wird. Dieses aufpeitschende Pulver war so potent und Katys hochempfindliche Sinne wurden davon in solchem Maße überreizt, daß man sie bis zum Hals in weichen, feuchten Schlamm vergraben mußte; dergestalt zwanghaft zurückgehalten, wurde sie von ihrem Mann und ihren beiden Führern oralen Unsittlichkeiten unterworfen, ebenso von einem Dutzend Kameltreibern einer Karawane, die sozusagen aus Vorsehung just zu dem Zeitpunkt vorüberzog, da man ihrer Dienste am dringendsten bedurfte. Doch selbst bei solch energischem Beistand mußten viele Stunden von Katys Zeit herhalten, ehe Spenser den Eindruck hatte, ihre Vernunft sei nun zurückgekehrt. Da buddelte er sie aus, verteilte Andenkenmünzen und Amulette unter die rauhen Männer, die Katys Gluten gekühlt hatten, und dann fuhren sie durch die Wüstendämmerung zu ihrem Kairoer Hotel zurück, wo sie kurz vor Mittag eintrafen. Etwa zehn Stunden danach - sie waren immer noch in Kairo - klagte Katy über schreckliche Kopfschmerzen. Ein in London ausgebildeter Arzt verschaffte ihr mit einer Handvoll Morphium Erleichterung, durchleuchtete ihren Schädel und lokalisierte die Schmerzen in der Region der äußeren Halsschlagader. Seine offizielle Diagnose lautete auf Kephalagie, oder Schmerz des Kopfes. Privat deutete er Besessenheit an. Und das war, wie Spenser sehr wohl wußte, durchaus möglich. Sie blieben, solange das Morphium reichte, und flogen darauf nach Europa zurück. Den verwehenden Worten ihres ägyptischen Arztes Folge leistend, begab sich Katy in das teuerste Sanatorium der Schweiz. Die Kopfschmerzen traten mit beharrlicher Regelmäßigkeit auf, trotz der besten Bärte und allerfeierlichsten Stethoskope, die für Geld zu kaufen waren. Schließlich fragte Spenser in seiner Verzweiflung seine Magik um Rat, und der Wind heulte die Antwort: Wenn jedes Verfahren fehlschlägt, hilft oft die gute Tat. ... Also, unser Plag hatte lange das Begehr in sich genährt, eine Frau zu lieben, wenn sie von einer haut mal-Attacke befallen ist, und es war Katy, die - auf
einen Wink der Geister - seinen anstößigen Traum wahrmachte. Sie war es, die die kostspieligen Anstalten getroffen hatte für Spensers Zweisamkeit mit Monique, einer jungen dänischen Epileptikerin. Und Katy war es auch, die Moniques Schwester korrumpierte und das Stroboskop stahl, dies flackernde Licht, das Monique in Stimmung versetzte, ohne daß sie selber davon ahnte. Sie erlangte ein flackerndes Bewußtsein, das kunstvoll die psychomotorischen Reaktionen auslöste. Ob es nun Plag oder ihre Krämpfe waren, was sie zu Boden warf, konnte sie nicht entscheiden. Noch Tage später entsann sie sich, daß der Anfall besonders schwer gewesen sei. Und ihre Pflegerin war unter unfreiwilligem Zittern ganz derselben Meinung. Man hatte sie gut bezahlt, aber es tat noch immer höllisch weh ,.. Nämlich Plags Hemmungszentrum war, als er sich von der ausgebeutelten Monique erhob, von der intensiven Anregung außer Kraft gesetzt; Plag zeigte sich in einem Zustand außerordentlicher sinnlicher Ballung. Monique lag ziemlich bewußtlos auf dem Bauch; ein Arm baumelte über die Bettkante. Plag schwankte, und die Schwester trat vor, ein Opfer ihrer beruflichen Schulung: Plag fiel gegen sie, und der sexuelle Umarmungsreflex sorgte für den Rest. Im Licht des blinkenden Stroboskops hatte er sie und hielt sie sodann, während Katy. Und so fort. Diese Monstren...! «Ja, Liebes. Es war ein sehr heftiger Anfall. Ich habe mir beinahe etwas gebrochen, als ich dich zu halten versuchte.» Diese zwei... was hatten sie vor? «Was machen deine Kopfschmerzen, Liebling?» fragte Spenser, während sie im Taxi vom Sanatorium zum Bahnhof fuhren. «Oh, fabelhaft, Spenser. Ganz fabelhaft.» Dieser kleine Vorfall wird vor allem erwähnt, um die Primärerscheinungen jener peinigenden Kopfschmerzen festzustellen, unter deren Fluch Katy von Zeit zu qualvoller Zeit zu leiden hatte. Unglückseligerweise können wir in unseren Angaben bezüglich jener ersten Manifestation von Wn nicht so präzise sein: in bezug auf Bar Habor, wie geschrieben steht in dem Salomonischen Lemegaton, oder Bar Habvor, wenn man Precfrets revidierter Pseudomonarchia Daemonorum folgt.
Bar Habvor, dieser obskure und einsame hebräische Dämon, dessen Amt es ist, in stürmischen Nächten die düsteren Dachfirste heimzusuchen in der Hoffnung, ein paar Fetzen verbotenen Gesprächs einzufangen zwischen Mann und Frau - besser noch, zwischen Vater und Tochter. (Natürlich kam er in Katys Fall zu spät für die letztgenannte Möglichkeit, und ohne Unterlaß drang er in sie, ihm doch Geschichten aus ihrer Kindheit zu erzählen.) Unschwer sich vorzustellen, daß ihre Beziehung zueinander symbiotischen Charakter hatte, wenngleich die Ursprünge Bar Habvors ungewiß waren und zu mancher Vermutung Anlaß boten. An Winterabenden saßen Katy und Spenser in der Geborgenheit einer österreichischen Skihütte und spielten bei knisterndem Kaminfeuer Schach oder lösten Kreuzworträtsel. Suchten herauszufinden, wo ihr Teufel herkam ... ... Spenser dachte an einen ganz bestimmten seltsamen Burschen, den Zweiten Kurator der IbexSammlung am Institut für Sexualwissenschaften in München. Ohne die sehr freundlichen und hilfreichen Dienste des kleinen, buckligen, wasseräugigen Assistenten hätten sie sicherlich einige der auserlesensten Seltenheiten übersehen. Warum war der Mann - wenn er einer war ihnen gegenüber so diensteifrig gewesen? Und weshalb hatte der Gute, nachdem sie mit der Bibliothek fertig waren, sich weiterhin um sie bemüht? Waren seine Motive nicht rein fleischlicher Art, als er sie in jenen exklusiven Nachtklub am Stadtrand führte, wo sie Speisen aßen, deren Reinertrag jüdischen Kindern zugute kam, und einer kabarettistischen Darbietung applaudierten, deren Höhepunkt der Ringkampf zwischen einer drallen Milchmagd und einem Zwerg bildete? Sehr komisch. Und nach der Show die Blutriten. «Da haben wir ihn her», sagte Spenser. «Kannst du dich erinnern: anfangs dachte ich, es sei Gangrän. Und der Apotheker in Düsseldorf hielt es für Leberfäule ...» «Unsinn», beharrte Katy. Nach ihrer Version war Bar Habvor in vollem Ornat aus einer Pustel hervorgebrochen, die sie sich in dem ägyptischen Mißgeschick mit Kameljungen und Arabern, die aus ihren Ksabis gelockt waren, mit kleinen Scheichen und Filmschauspielern auf dem Wege nach Cineasia zugezogen hatte. Ein Wunder, daß sie nur von den Masern befallen worden war! Und sehr viel schlimmer hätte es
ausgesehen, wären nicht die massiven Dosen von Antibiotika und Methedrin gewesen, mit deren wunderbarer Hilfe es zu verhindern gelang, daß die Früchte ihrer Sünden sie plagten. Katy folgerte, daß sich nach dem dritten Gesetz der Vergeltung eine solche Ernte nicht gänzlich abwenden ließ. Das Ergebnis war Bar Habvor: eine Art von widernatürlicher Übereinkunft zwischen Wissenschaft und den Traditionen des Schuldbewußtseins ... «Ernstlich, Spenser: liegt es nicht auf der Hand?» «Mag sein, mag sein», murmelte Spenser, der nicht geneigt war, Details zu diskutieren. Auf seiner linken Gesichtshälfte tanzten orangefarben die Flammen. Was ihn betraf, so konnte Bar Habvor auch durchaus die Verkörperung eines komplizierten Fluches sein, der ihnen eines schwülen Abends im vorausgegangenen Sommer von einer bärtigen Dame entgegengeschleudert worden war, die sich als Mademoiselle Hairee eingeführt hatte; damals, in den Randgebieten von Budafok, als er und Katy eine sehr private Vorstellung eines sehr speziellen Zirkus bestellt hatten ... Nein. Spenser verspürte nicht den Wunsch, politische oder religiöse Probleme zu erörtern. Weder machte er den freundlichen Zweiten Kurator für Deutschlands Verbrechen haftbar, noch hegte er irgendwelche Neigung, den Umstand, daß Katy den Ort der Abkunft ihres Dämons vergessen hatte, ihr nun besonders zur Last zu legen. Katy ihrerseits stimmte im Prinzip zu und insistierte nicht weiter. Spenser konnte ja beargwöhnen, wen immer er wollte; sie jedenfalls würde fortfahren, ihre eigenen Ansichten zu hegen und zu pflegen. An Bar Habvor bemerkte sie eine gewisse Eigenart, die sehr an ihren Aufenthalt in Indien erinnerte. Sie besuchten den Tempel nahe Srirangam, wo die gopuras mit nicht weniger als dreißigtausend kleinen Figuren und Statuen geschmückt waren. Jede einzelne davon war in kopulativer Tätigkeit begriffen. Jedes schöne, obszöne, gemeißelte Abbild in diesem unvergleichlichen Tempel, dieser Heimstatt elefantenhafter Erotik, die nur wenige Stunden von Rapipur entfernt liegt, nahm Spenser und Katy vorweg. Sie wanderten den ganzen Morgen herum und entzückten sich an diesem lasterhaften Kunstsinn, und dann erwischte sie, da sie ohne Hut oder Sonnenschutz waren, der lodernde Mittag ... Katy erwog noch jetzt, in Ohnmacht zu sinken, wenn sie sich die schreckliche Sonne ins Gedächtnis zurückrief, die sie durch die Gärten der Agapusha hatte
taumeln lassen. Diese unglaubliche Göttin, die ihrer eigenen Deformitäten halber intensivstes Gefallen an bizarrer Zur-Schau-Stellung findet... Hinter den zerfallenen Mauern ihres Heiligtums dehnten sich die verlassenen und herzzerreißenden Ebenen von Boas. Es war kaum zu glauben, daß vor nur wenigen Jahrhunderten der Schrein der Ishnu, gefertigt aus Gold und Teakholz, vom Tempel aus bis an die Vororte Rapipuras heranreichte und Daueraufenthalt war für etwa neuntausend vesya, ganikä, Kurtisanen ersten Ranges und das Prostituiertengefolge. Von alldem war nichts geblieben als verwitterte Felsblöcke und struppiges Buschwerk; ein paar kleine, schnelle und sehr furchtsame schuppige Kreaturen; in Abständen einige schwarze Findlinge; hier und da eine Salzsäule, dazwischen sandiges Ödland. Im Tempelhaus der Agapusha war niemand, um das Heilige Lingam anzubeten. Keine Pilgermassen hatten sich zu dem Kongreß der Krähen versammelt oder zu den uralten tantrischen Höflichkeitsriten. Nicht ein einziger dhoti ließ sich auf der Haupt-Sikbara sehen. Nur Fremde oder tolle Hunde waren närrisch genug, zu solch gnadenloser Stunde sich hier herumzutreiben. Die Mittagssonne war auf Mord aus. Sie suchten Schatten unter den schlanken Bögen der Myriaden von mithunas, nach Luft schnappend, blinzelnd, der Ohnmacht nahe. In diesem Zustand wurden sie vom Tempelwärter entdeckt, dem bengalischen Mönch Jayadera, einem Mann von prachtvollen Proportionen, fast zwei Meter und zehn groß, mahagonifarben, das schwarze Haar mit silbernen Strähnen durchzogen. Er lächelte Spenser zu und bot ihnen die Annehmlichkeiten des Schwarzen Pavillons an. «Es ist verboten, die Uneingeweihten hierherzubringen.» Sein Lächeln wurde noch breiter. «Aber bei euch beiden ist es etwas anderes. Wenn es euch gefällt, mir zu folgen ...» Im Beisein des Mönchs betraten sie das allerheiligste lingaräj, wo sie verweilten, bis der geschmolzene Nachmittag sich zu purpurner Dämmerung verdunkelt hatte und die phallischen Schatten quer über den sonnendurchglühten Tempelhof fielen. In der Ferne brüllte ein Ochse, und die dämonenschwangere indische Nacht sank auf sie nieder. Zu irgendeinem Zeitpunkt während dieses heidnischen Nachmittags - Katy war sich so gut wie sicher - hatte Bar Habvor sein Ich mit dem ihren vereinigt. Katy besaß sogar eine verdammt gute Vorstellung da-
von, wann und wo genau jener höllische Eintritt stattgehabt hatte. Am äußersten Rand des göttlichen Pavillons, ein wenig abseits vom Pfade, der zu den Höhlen von Mysore führte, gab es eine dunkle Liebesnische, aus Kalkstein gehauen, deren Boden mit Pfauenfedern bedeckt war ... so ein klug erdachter cul-de-sac. Katy gewahrte ihn nicht eher, als bis sie darin war, zusammen mit Jayadera, dem Mönch. Spenser, völlig in Anspruch genommen von den damputi-Friesen und den (nur zu Recht!) berühmten Fresken der Mythischen Verstoßenen, dem tantrischen Kult weiblicher Andersgearteter, wanderte weiter, offenbar ohne Katys Abwesenheit zu bemerken. Natürlich hatte sie keine Gelegenheit, zu schreien oder auch nur das leiseste Geräusch zu machen, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Die rechte Hand des Mönches bedeckte ihren Mund, und einen Augenblick lang war Katy über die unnötigen Vorsichtsmaßregeln des Kerls amüsiert. Jedoch im nächsten Augenblick tat seine linke Hand etwas so unfaßbar Rohes, daß sie ganz sicherlich aufgeschrien hätte, würde der hochgewachsene, hübsche, schreckliche, grausame Wärter sie nicht so festgehalten und so wirkungsvoll zum Schweigen gebracht haben. Und er fuhrt fort, es ihr anzutun, bis er ihre Sinne mittels eines Kunstgriffes behext und gedemütigt hatte, der in der Rig Veda beschrieben steht und gemeinhin als die <Sechs Silbern bekannt ist. Erst als sie vor ihm und jedermann sonst in dieser Nische ihr Herz gänzlich aufgetan hatte, erst als er überzeugt war, daß sie den Vaja, den Donnerkeil des Shiva, gefühlt hatte, ließ er ab von ihr, und sie stolperte stotternd und verstört und rot und kribblig in das Tageslicht und hinter Spenser drein, der in der Anbetungshöhle verschwunden war. Dort fand sie ihn in hingerissener Betrachtung auf den Knien vor einer Terrakotta-Tafel, die eine Dreiergruppe idealisierte, zwei Palastsklaven und einen fetten König, in coitu. «Das herrlichste Beispiel pre-wedischer Kunst, das ich je gesehen habe!» rief Spenser ehrfurchtsvoll aus, da Katy auf ihn losstürzte. Der Mönch Jayadera war noch nicht zu ihnen gestoßen, und ehe Katy erzählen konnte, was ihr widerfahren war, sprang Plag mit der Gewandtheit und List eines Meisterdiebes vor. (Wer will das bezweifeln?) Mit einer dünnen Schwedenstahl-Klinge löste er das Relief von der Wand und drückte es Katy in die Hände. «Was...?»
«Schnell! Versteck es unter deinem Rock!» Er riß seinen Gürtel her-
aus und schnallte ihr den Schatz ohne Zögern zwischen die Beine und flach gegen den Bauch. Die ganze Angelegenheit hatte von Griff zu Griff keine fünfzehn Sekunden beansprucht. «Unser Freund, der arglose Wärter, wird wohl nicht so bald wieder zwischen deine Schenkel wollen, nachdem er gerade dort gewesen ist.» Spenser rettete ihre Ehre und eroberte für sie beide ein Meisterwerk. Und Katy war, als sie das erst einmal begriffen hatte, viel zu dankbar, um den Augenblick durch weitere Komplikationen zu verderben. Sie nahm seinen Arm. Mit Bewegungen, die denen einer Märchenfee glichen, damit die Umrisse der Relief-Tafel unter ihrem Rock nicht sichtbar wurden, trat sie an seiner Seite aus den Höhlen. Da tauchte auch Jayadera aus dem Vaginarium auf: beinahe zweihundertzehn Zentimeter blitzenden Lächelns und heroischen Desinteresses. Er hatte dem christlichen Weibe gegeben, was ihre Theologen (nach seiner Vorstellung) als des Teufels Liebkosung bezeichnen. Dieser hinduistische Schänder, dieser hübsche, blankzahnige Scheinheilige des Dharma liebte es, über seine Gelübde hinaus das Juwel von getauften Lotosblüten zu pflücken. In diesem Fall dünkte er sich überaus erfolgreich. Und Plag stufte er als aufs abscheulichste gehörnten Touristen ein. Aber er dachte darüber anders, als sich Monate später herausstellte, daß die Tafel fehlte. Die Gerichtshöfe des Maitreya, des zukünftigen Buddhas, hielten es für erwiesen, daß Jayadera der Dieb war, und ließen ihn höchst erlesen zu Tode foltern ... Seine letzten Gedanken galten Plag und Katy. Er starb zähneknirschend. Während die beiden Objekte seiner abschließenden Überlegungen, Spenser und Eheweib Katy, bereits zehntausend Meilen entfernt und noch immer auf eiliger Durchreise waren. Bei allem Triumph mußte Katy zugeben - wenn schon keinem anderen, so doch sich selbst gegenüber -, daß, so rüde der Mönch auch gewesen sein mochte, sie doch nie zuvor im Handumdrehen so abgrundtief befriedigt worden war. Spenser, ihr Liebhaber und Meister, mochte annehmen, was immer er verdammt noch mal anzunehmen für richtig hielt. Die Theorie ist dem Gefühl stets unterlegen, und schließlich hatte Katy gefühlt, wie Bar Habvor in ihren Busen hüpfte, als des Mönches Kunstgriff sie durchdrang ...
«... Ach, red doch keinen Unsinn», sagte Spenser und zog an dem Glockenzug, der dem diensttuenden Skihütten-Resl anzeigte, daß der nächste Holzscheit ins Feuer zu werfen sei. Er wandte sich wieder zu Katy und schalt sanft mit ihr. «Du hast eine äußerst vernunftarme Phantasie, mein Kind. Nicht die Spur einer Ahnung von Geographie! Wirklich. Was sollte denn wohl deiner Meinung nach ein semitischer Teufel wie der unsrige in einem indischen Kloster zu suchen haben?» Katy hob die nachgezogenen Brauen und antwortete in ihrer süßesten Tonlage: «Was hatten wir denn dort zu suchen?» Und Spenser legte immer noch im Geiste seine Antwort zurecht, als das vollkommene Resl vom Dienst mit hochgetürmtem Rotschopf und bis zur Hüfte aufgeknöpfter Tracht ehrerbietig an die Tür klopfte. «Monsieur wishes me for burning», erkundigte sie sich in charmantem, wortwörtlichem Englisch.
So ging das vor sich. Jedesmal, wenn sie sich zu erinnern bemühten, wo ... vergaßen sie ein wenig mehr. Jedesmal, wenn sie Ratespiele spielten, ließen sie die Ursprünge ihres bösen Angehörigen weiter und weiter hinter sich. Nur dem Teufelchen selber entgingen sie nimmer. Wohin sie auch reisten, es kam mit. Seine vielen, vielen Masken, seine über die Maßen trefflichen Verkleidungen waren Quelle ständigen Staunens, und seine Geschicklichkeit, sie in verführerischen und suggestiv-fleischigen Tönen zu versuchen, ließ Spenser vor Neid olivgrün anlaufen. Obgleich er ihnen das eine oder andere Geheimnis enthüllte, verriet er doch weder seine Herkunft, noch sagte er ihnen, wohin sie alle miteinander gingen ... ... oder weshalb der Kopf der armen Katy unvermittelt anfing zu pochen und eine blaßrosa Flüssigkeit aus ihren Augen trat. Weshalb unsichtbare, weißglühende Nadeln (und davon waren manche fast dreißig Zentimeter lang!) in ihre bebenden aristokratischen Nasenlöcher eingeführt wurden. Kobaltgeschmack hatte sie da im Munde ... von allen geizigen Untertreibungen in sämtlichen unzulänglichen Dialekten des Menschen ist Kopfschmerz ganz sicher das kümmerlichste und am häufigsten verharmloste der sogenannten beschreibenden Substantiva. Als
bewirkte ein Katyscher Kopfschmerz nichts weiter, als daß sie der Kopf schmerzte! Es sollte nur ein Schmerz sein, der da Fahnen von Rauch aus ihren Ohren puffen und ihr Haupt übersteigen ließ, wo sie in sympathetischen Wolken festhingen? Während sie schrie und weinte und vor- und zurückschwankte, weil Schmerzwellen sie überfluteten, abebbten und wieder über sie hereinbrachen; nur so lange hielten sie sich zurück, als sie brauchte, um aufzuheulen, ehe die nächste Woge durch sie hindurchbrandete. Todespein, die im Hereinrollen sich kräuselte, die ihre Zunge zum Bluten brachte, ihre Brustwarzen rissig und ihre Fingernägel purpurn werden ließ; die Zehen krümmten sich ihr vor Schmerz. - während sie stöhnte und schwer atmete und bald zu frommen Gebeten erniedrigt war, die - Bar Habvor hatte sie sehr eindringlich gewarnt - nur dann Erfolg verhießen, wenn sie in der unterwürfigsten und kriecherischsten Weise geleistet würden ... Auf die Knie! Den Fußboden geleckt! Die Wände erklettert! Sag Onkel! Willst du wohl Onkel sagen! Lauter! Lustiger! Oh, er hatte seine fröhlichen Augenblicke mit ihr, bevor er sich dazu herabließ, von ihren Schmerzen und dem dringlichen, tränenreichen Flehen Notiz zu nehmen. Er war von so unerbittlicher Grausamkeit, ihr Bar Habvor. Katy spürte, daß sie abhängiger von ihm wurde. Er tat ihr schauerlich weh. Aber er enttäuschte sie nie. Und Spenser, stets begierig, neue Tricks zu erlernen, hatte auf sie ein wachsames Auge. Deutsch von Uwe Friesel
Es gibt keine Definition für das, was der Besonnene im Lehnstuhl als Leidenschaft verdammt. Ist es übertriebene Liebe? Oder Liebe mit einem Unwürdigen? Oder eine verblendete Passion? Ein Liebender wird nie seine Emotionen, so wild sie auch sein mögen, als Leidenschaft bezeichnen. Leidenschaften haben immer nur andere. George Bernard Shaw
Soll ich Dir sagen, was die Liebe so gefährlich macht? Die zu große Idee ist es, die wir zu formen neigen. Wenn ich aber die Wahrheit spreche, so ist die Liebe, als Leidenschaft betrachtet, ein blinder Instinkt, den wir entsprechend bewerten sollten. Sie ist ein Appetit, der uns zu einem Gegenstand und nicht zu einem anderen anzieht, ohne daß wir unseren Geschmack zu erklären vermögen. Wenn man sie als ein Band der Freundschaft betrachtet, in der die Vernunft den Vorsitz führt, so ist sie keine Leidenschaft mehr und verliert auch den Namen Liebe. Ninon de Lenclos an den Marquis de Savigny
Junichiro Tanizaki
Der Schlüssel Am Neujahrstag Ich habe mich entschlossen, von nun an alle Dinge, auch solche, die ich noch nie meinen Tagebüchern anvertraut habe, aufzuzeichnen. Bisher habe ich nie etwas Genaueres über mein intimes Leben, über das Verhältnis zwischen meiner Frau und mir, in meinem Tagebuch berichtet. Ich fürchtete nämlich, daß meine Frau dieses Tagebuch lesen und ungehalten darüber werden könnte, aber von diesem neuen Jahr an habe ich mir vorgenommen, mich nicht mehr vor ihrem Zorn zu fürchten. Ich bin sicher, daß meine Frau weiß, wo und in welchem Fach meines Arbeitszimmers dieses Tagebuch liegt. In eine der ältesten Familien Kyotos hineingeboren und in einer feudalen Atmosphäre erzogen, legt sie noch heute in vielem Wert auf überkommene Moral und neigt sogar dazu, noch stolz darauf zu sein. Ich glaube zwar kaum, daß sie heimlich in den Tagebüchern ihres Mannes schnüffelt, aber ganz sicher bin ich nicht; es gibt genug Gründe, darüber im Zweifel zu sein. Könnte sie wohl der Versuchung widerstehen, die Geheimnisse ihres Mannes zu erfahren, nachdem ich meinen bisherigen Gewohnheiten untreu geworden bin und vieles über unser Eheleben aufschreibe? Sie ist verschlossen und liebt das Geheime. Oft gibt sie sich den Anschein, nicht zu wissen, obwohl sie weiß, und sie verrät nicht leicht, was in ihrem Herzen vorgeht. Obendrein glaubt sie, dies gehöre zur Tugend einer ehrsamen Frau; das aber ist das Schlimmste. Den Schlüssel zu dem Fach, in dem ich mein Tagebuch aufbewahre,
habe ich an einem bestimmten Ort versteckt, und von Zeit zu Zeit ändere ich das Versteck; aber bei ihrer Neugier und Findigkeit könnte es wohl sein, daß sie alle meine bisherigen Schlüsselgeheimnisse kennt. Natürlich könnte sie es sich leichter machen, wenn sie sich einfach einen Dietrich beschaffte. Ich habe zwar oben geschrieben , aber wenn ich es recht bedenke, habe ich mich eigentlich nie sehr davor gefürchtet. Ich war sogar immer darauf gefaßt, daß sie es läse, und im stillen habe ich es beinahe gewünscht. Dann ist aber zu fragen, warum ich das Fach abschließe und den Schlüssel verstecke. Vielleicht liegt der Grund darin, daß es mir Freude macht, ihre Neugier zu reizen. Oh, wie sie es liebt, den Dingen heimlich nachzugehen! Ließe ich nun mein Tagebuch da liegen, wo sie es leicht lesen könnte, würde sie denken «dieses Tagebuch hat er geschrieben, damit ich es lesen soll> und würde ihm keinen Glauben schenken. Nicht nur dies würde sie denken, sondern obendrein . Meine Ikuko, mein geliebtes Weib, du siehst, ich weiß nicht, ob du dieses Tagebuch wirklich liest. Es hat keinen Zweck, dich zu fragen, denn du würdest nur antworten , diese scheinheilige , diese gekünstelte - sie sind an allem schuld. Zwanzig
Jahre ist sie mit mir verheiratet und besitzt sogar eine heiratsfähige Tochter, und doch haben wir noch nie ein vertrautes Liebesgespräch geführt. Wir gehen zusammen zu Bett und verrichten schweigend unsere ehelichen Pflichten - aber kann man uns ernstlich ein Ehepaar nennen? Ich schreibe dies nieder, weil ich es nicht mehr ertrage, nicht direkt mit ihr über die Intimitäten unseres Schlafzimmers sprechen zu können. Von nun an werde ich ohne Rücksicht darauf, ob sie es heimlich lesen wird, so schreiben, als spräche ich zu ihr. Zunächst möchte ich nicht unterlassen zu sagen, daß ich sie von Herzen liebe. Ich habe das schon öfter geschrieben, es ist aber keine Phrase, mit der ich ihr schmeicheln will, und ich glaube, sie weiß das auch. Doch mein physisches Verlangen ist nun einmal nicht so stark wie das ihre, in diesem Punkt kann ich mich nicht mit ihr messen. Ich werde in diesem Jahr sechsundfünfzig (sie muß jetzt fünfundvierzig Jahre alt sein), und das ist noch kein Alter, um schwach zu werden; aber, ich weiß nicht warum, in letzter Zeit strengt es mich sehr an. Ehrlich gesagt, wäre es für mich besser, wenn wir einmal in der Woche, sagen wir, einmal in zehn Tagen miteinander schliefen. Dagegen ist sie, obwohl skrofulös und herzschwach, in dieser Sache fast krankhaft stark. (Über dergleichen offen zu schreiben oder zu reden, verabscheut sie besonders.) Gerade dies aber verwirrt mich augenblicklich am meisten. Es bedrückt und bekümmert mich, daß ich die Pflichten eines guten Ehegatten nicht besser erfüllen kann; doch angenommen - ich sage nur - sie wird sicher sehr böse sein und sagen «hältst du mich für ein so liederliches Frauenzimmer?) -, angenommen also, sie hielte Ausschau nach einem anderen Mann, um dem Mangel abzuhelfen, ich könnte es nie und nimmer ertragen. Allein die Vorstellung macht mich eifersüchtig. Außerdem scheint es mir auch aus Rücksicht auf ihre Gesundheit angebracht, daß sie ihre krankhaft starke Begierde zähmt... Was mir Sorgen macht, ist die Kraft ... daß die Kraft meines Körpers von Jahr zu Jahr mehr dahinschwindet. In letzter Zeit bin ich jedesmal sehr erschöpft, und an den folgenden Tagen fühle ich mich so matt und müde, daß ich außerstande bin, über wichtige Sachen nachzudenken. ... Würde man mich aber fragen , so müßte ich es verneinen und das Gegenteil behaupten. Auf keinen Fall ist es so, daß nur der Begriff der ehelichen Pflicht mich treibt und meine Sinne schürt und daß ich ungern ihrem Begehren ant-
worte. Ich weiß nicht, ob es ein großes Glück oder ein großes Unglück ist, aber ich liebe sie heiß und innig. Hier muß ich wieder etwas enthüllen, das für sie tabu ist. Sie besitzt eine vorzügliche Eigenschaft, eine Eigenschaft, von der sie selbst keine Ahnung hat. Hätte ich nicht in der Vergangenheit andere Frauen gekannt, würde ich diesen Vorzug kaum bemerkt haben. Aber da ich in meinen jungen Jahren einiges erlebt habe, weiß ich, daß sie einen selten zarten Orgasmus besitzt, der sogar unter Frauen nicht oft zu finden ist. Hätte man sie in alter Zeit in ein Freudenviertel wie Shimabara verkauft, sie wäre sicher eine berühmte Kurtisane geworden, von den Männern umworben, von den Frauen beneidet. Sie hätte mit ihren Reizen jeden Kenner bezaubert, und die erfahrensten hätten nur nach ihr verlangt. (Vielleicht ist es besser, wenn sie dies nicht erfährt. Es könnte nur negative Folgen für mich haben ... Würde sie sich denn darüber freuen oder würde sie sich schämen? Oder würde es gar eine Beleidigung für sie sein? Wahrscheinlich wird sie so tun, als sei sie sehr entrüstet, aber in ihrem Herzen wird sie einen gewissen Stolz kaum unterdrücken können.) Der bloße Gedanke an ihre Vorzüge macht mich eifersüchtig. Genösse ein anderer Mann als ich ihre Vorzüge und meine Frau erführe dabei, daß ich dem vom Himmel geschenkten Glück nicht voll habe entsprechen können, was geschähe dann? Der Gedanke beunruhigt mich. Ich fühle, daß ich im Unrecht bin, und ich verdamme mich selbst. So versuche ich denn, mir auf jede erdenkliche Weise zu helfen und mich mit den verschiedensten Mitteln zu reizen. Zum Beispiel bitte ich sie, mich an der erregbarsten Stelle meines Körpers - und keine Lust ist aufreizender für mich, als wenn ich die Augen schließe und sie meine Lider küßt - zu berühren. Oder umgekehrt, ich reize sei an ihrem empfindlichsten Punkt: sie liebt es, unter der Achselhöhle geküßt zu werden. Um so mehr schmerzt es mich, daß sie meinen Wünschen nur widerwillig nachgibt. Ihr mißfallen solche »unnatürlichen Spiele>, und sie besteht darauf, uns auf die orthodoxe Methode zu beschränken. Wenn sie nur begreifen wollte, daß dieses Spiel für mich die notwendige Vorbereitung ist, um zum eigentlichen zu gelangen! Davon will sie nichts wissen; sie beharrt auf ihrem und weigert sich, dagegen zu verstoßen. Obwohl sie weiß, daß ich ein Fußfetischist bin, und auch, daß sie ungewöhnlich wohlgeformte Füße besitzt (fast scheint es mir unmög-
lich, daß es die einer fünfundvierzigjährigen Frau sind), nein, vielmehr weil sie es weiß, vermeidet sie, mir ihre schönen Füße zu zeigen. Auch im heißesten Sommer trägt sie weiße Tabi-Socken. Wenn ich sie bitte, mir wenigstens zu erlauben, ihre Sohle zu küssen, so meint sie och, wie unfein, wie garstig! Du darfst mich da nicht berühren>, und nur ungern gewährt sie es mir. Dies und noch vieles andere hat dazu geführt, daß ich nicht mehr weiß, was ich tun soll... Fast schäme ich mich, das neue Jahr mit solchen Klagen zu beginnen, aber wer weiß, ob es nicht zu etwas nütze ist. Morgen abend ist . Meine Frau, die das liebt, wird nicht versäumen, den altehrwürdigen Brauch so feierlich wie möglich zu begehen.
4. Januar Heute ist etwas Merkwürdiges passiert. Seit Neujahr habe ich das Arbeitszimmer meines Mannes nicht mehr sauber gemacht, und ich wollte nun die Zeit, in der er spazierenging, dazu benutzen. Vor dem Bücherschrank, wo die schmale Vase mit einer Narzisse steht, lag ein Schlüssel. Vielleicht hat es gar nichts zu bedeuten; aber ich kann mir kaum denken, daß er den Schlüssel dort gedankenlos liegengelassen haben sollte. Er ist ein sehr vorsichtiger Mensch. Er führt schon jahrelang Tagebücher, doch ist es bis jetzt nie vorgekommen, daß er den Schlüssel dazu verloren hätte ... Natürlich weiß ich schon lange, daß mein Mann Tagebücher schreibt und sie im Schubfach seines kleinen Schreibtisches verschlossen hält; den Schlüssel versteckt er zwischen allen möglichen Büchern, manchmal sogar unter dem Teppich. Aber ich weiß auch, was ich wissen darf und was nicht. Ich kenne das Schubfach des Tagebuches und das Versteck des Schlüssels. Dennoch habe ich das Tagebuch nie geöffnet und hineingeschaut. Mein Mann war schon immer sehr mißtrauisch. Es bringt mich aber jedesmal wieder auf, daß er nicht eher Ruhe hat, bis das Tagebuch sorgfältig verschlossen und der Schlüssel versteckt ist... Warum hat er den Schlüssel nun hier liegenlassen? Ist irgend etwas in seinem Herzen vorgegangen, und möchte er jetzt, daß ich sein Tagebuch lese? Ahnt er, daß ich seine Aufzeichnungen nicht lesen könnte, wenn er mich geradeheraus dazu auffordern würde? Meint er damit <wenn du es lesen möchtest, lies es heimlich. Hier hast du den Schlüssel>?
Dann weiß er ja gar nicht, daß ich längst gemerkt habe, wo er den Schlüssel verborgen hält! Halt, nein! Er möchte vielleicht sagen, . Ich weiß nicht, warum ich mir soviel Gedanken darüber mache. Denn wie dem auch immer sei, ich werde trotzdem nicht hineinschauen. Ich habe mir selbst meine Grenzen gezogen, und darüber hinaus will ich nicht in seine Psyche eindringen. Wie ich anderen Leuten nicht zeige, was in meinem Herzen vorgeht, so mag ich auch nicht in den Herzensfalten der anderen wühlen. Wünschte er aber wirklich, daß ich sein Tagebuch lese, so wird wohl kaum alles wahr sein, was er schreibt, und sicher enthält es nicht nur Angenehmes für mich. Er mag ruhig tun und denken, was ihm beliebt; ich tue es auch. Um die Wahrheit zu sagen, auch ich führe seit Anfang dieses Jahres ein Tagebuch. Ein Mensch wie ich, der sich niemandem anvertrauen kann, soll wenigstens mit sich selber sprechen; doch werde ich niemals so ungeschickt sein und meinen Mann wissen lassen, daß ich mir ein Tagebuch zugelegt habe. Ich werde nur darin schreiben, wenn mein Mann nicht zu Hause ist, und ich werde es an einem Ort verstecken, wo er es niemals vermutet. Ich habe es vor allem angefangen, weil es mir eine Überlegenheit ihm gegenüber gibt; denn ich weiß sogar, wo er sein Tagebuch verschließt, während er nicht einmal ahnt, daß ich ein Tagebuch führe. Gestern nacht hielten wir zusammen den Neujahrsritus ab ... Ach, wie schäme ich mich, so etwas aufs Papier zu bringen! Hat mich mein seliger Vater nicht gelehrt, ? Wie traurig würde er sein, erführe er, was ich hier schreibe! Wie heruntergekommen bin ich ... Er scheint wie immer bis zur höchsten Lust gekommen zu sein; ich war wie immer unbefriedigt. Was danach kam, war unangenehm. Jedesmal entschuldigt er sich und schämt sich seiner körperlichen Kraftlosigkeit, wirft mir dann aber vor, zu kalt zu ihm zu sein. Mit dem Wort will er wohl sagen, ich sei ungewöhnlich ausdauernd auf diesem Gebiet, fast krankhaft stark, so daß er seine letzten Kräfte daran verbraucht. Meine Art, mich dabei zu geben, sei zu , zu routinemäßig und konventionell, immer nach , kurz, es gäbe bei uns keine Abwechslung. Ich sei doch auch in sonstigen Sachen viel weicher und hingebungsvoller. So passiv und zurückhaltend er mich
aus dem täglichen Leben kenne, so anspruchsvoll und fordernd sei ich in dieser Beziehung, und trotzdem willfahre ich ihm nur immer in derselben Art und derselben Position ... Dennoch hat er meine stumme Aufforderung noch nie übersehen, er spürt sogleich auch die leiseste Regung meiner Wünsche und weiß sehr gut, was ich meine. Das mag allerdings seinen Grund darin haben, daß er immer in der Furcht vor meinem allzu häufigen Begehren lebt. Ich sei nur auf meine Lust aus und im übrigen gefühllos, sagt er. «Du hast mich nicht halb so lieb wie ich dich. Ich bin für dich nur ein Gebrauchsgegenstand - noch dazu ein sehr unvollkommener. Wenn du mich wahrhaftig liebtest, müßtest du viel leidenschaftlicher sein und allen meinen Wünschen aus freien Stücken willfahren. Wenn ich dich nicht vollkommen befriedigen kann, so liegt die halbe Schuld bei dir. Würdest du nur versuchen, meine Leidenschaft zu entfachen - ich wäre nicht so kraftlos. Du gibst dir keine Mühe, es uns gemeinsam vollbringen zu lassen.» Ein verfressenes Geschöpf sei ich, das mit gefalteten Händen darauf wartet, daß ihm ein reich beladener Tisch hingesetzt wird. Ein kaltblütiges Tier sei ich, ein boshaftes Weib! Ich kann verstehen, daß er mich so sieht. Ich bin von meinen altmodischen Eltern so erzogen worden. Eine Frau müsse stets passiv bleiben und dürfe nie und nimmer einem Manne gegenüber aggressiv werden. Ich kann nicht sagen, daß ich leidenschaftslos bin. Aber meine Leidenschaft ist von einer tiefen, versinkenden Art, nicht steil und heiß aufleuchtend. Wenn ich mich zwinge, sie auszudrücken, ist sie im Nu verflogen. Er hat meine Gefühle nicht begriffen. Es ist kein rotes Aufflammen, sondern ein langes bläuliches Weiß. ... Seit ich jetzt darüber nachdenke, kommen mir oft Zweifel, ob unsere Heirat nicht ein Irrtum war. Bestimmt ließe sich ein Mann finden, der besser zu mir paßt, und das könnte er umgekehrt auch von mir sagen. Unser sexueller Geschmack ist zu verschieden. Ich heiratete in dieses Haus, wie meine Eltern mir befahlen, ohne mir selbst tiefere Gedanken darüber zu machen. Ich glaubte, daß eine Ehe eben so sei. Aber heute weiß ich, daß ich einen Mann habe, der im Erotischen nicht zu mir paßt. Nur der Gedanke, daß er der mir auserwählte Gatte ist, läßt mich ihn ertragen. Aber manchmal, wenn ich ihn ansehe, steigt, ich weiß nicht warum, ein Widerwille in mir auf, daß mir übel wird. Diese Übelkeit
hat nicht erst gestern und heute angefangen, nein, schon in der Hochzeitsnacht. Damals, als wir das Lager zum erstenmal miteinander teilten, war sie schon da. Jahre sind vergangen seit jener Nacht auf der Hochzeitsreise, und doch ist die Erinnerung noch ganz klar. Ich lag schon im Bett. Er kam umständlich auf mich zu und nahm seine Brille ab. Da lief es mir kalt über den Rücken. Jeder Mensch, der ständig eine Brille trägt, sieht ein wenig merkwürdig aus, wenn er sie abnimmt. Sein Gesicht schien mir plötzlich ausgehöhlt und fahl wie das Gesicht einer Leiche. Er näherte sich mir und sah mir in die Augen, als wolle er mich durchbohren. Um mich zu wehren, erwiderte ich seinen Blick; aber als ich seinen Teint wahrnahm, der glatt wie Aluminium war, schauderte ich abermals. Am Tage hatte ich es nicht bemerkt, jetzt aber entdeckte ich unter seiner Nase und um seinen Mund herum den dunklen Hauch seines Bartes (er ist überhaupt sehr behaart), und davor war mir unheimlich. Vielleicht lag es daran, daß ich damals zum erstenmal dem Gesicht eines Mannes so nahe war; doch jedesmal, auch heute noch, schaudere ich, wenn ich sein Gesicht bei hellem Licht lange anschauen muß. Um ihn nicht die ganze Zeit vor mir zu haben, versuche ich meistens, die Nachttischlampe zu löschen, aber mein Mann liebt gerade bei diesen Gelegenheiten Helle. Er bemüht sich dann, meinen Körper in allen Einzelheiten genau zu betrachten. (Es geschieht zwar selten, daß ich seinem Wunsch bis zum letzten willfahre, aber meine Beine zeige ich ihm, weil er mich gar zu sehr drängt.) Ich kenne keinen andern Mann außer meinem Gatten, doch möchte ich wissen, ob wohl alle Männer so zudringlich sind wie er. Ob sie wohl alle so widerlich klebrig an einem hängen und ihr unnötiges Spiel mit uns treiben?
7. Januar Herr Kimura kam heute, um uns ein glückliches Neujahr zu wünschen. Ich hatte gerade angefangen, Faulkners Sanctuary zu lesen, begrüßte ihn nur kurz und ging in meine Bibliothek. Herr Kimura unterhielt sich im Wohnzimmer mit meiner Frau und Toshiko. Dann wollten sie den Film Sabrina ansehen und gingen zusammen aus. Später kam Herr Kimura mit meiner Familie zurück, und wir aßen zusammen zu Abend und unterhielten uns bis gegen neun Uhr. Beim Essen tranken wir alle außer
Toshiko ein wenig Cognac. In letzter Zeit scheint meine Frau dem Alkohol etwas mehr zuzusprechen. Ich war es, der ihr das Trinken zuerst beigebracht hat, aber sie konnte Alkohol wohl von Natur aus gut vertragen. Wenn man ihr nur flink nachschenkt, kann sie eine ganz schöne Menge trinken. Sie wird etwas berauscht, aber ihr Rausch bleibt latent. Er schlägt nicht nach außen, sondern verströmt in ihrem Innern. Sie kann ihn lange beherrschen, und viele Leute merken es kaum. Heute abend stieß Herr Kimura mit ihr an und redete ihr zu, und sie trank zweieinhalb große Sherrygläser. Meine Frau sah ein wenig blasser aus als gewöhnlich, sonst konnte man ihr nichts anmerken. Dagegen hatten Herr Kimura und ich rote Gesichter. Kimura ist kein starker Trinker. Er verträgt weniger als meine Frau. Übrigens war es wohl das erste Mal, daß meine Frau sich von einem anderen Mann Cognac reichen ließ. Kimura gab zuerst Toshiko das Glas; doch die wehrte ab. «Ich mag nicht! Bitte schenken Sie Mama ein.» Ich habe schon lange gemerkt, daß Toshiko Herrn Kimura ausweicht. Aber ich glaube, sie hat wahrscheinlich auch gemerkt, daß Kimura mehr der Mutter als ihr seine Zuneigung zeigt. Ich hatte mir zuerst eingebildet, daß meine Eifersucht mich so denken ließ, und versuchte, diesen Gedanken zu unterdrücken. Es scheint jedoch, daß es sich wirklich so verhält. Wie ich sie kenne, ist meine Frau nicht besonders liebenswürdig zu Gästen. Vor allem von Herrenbesuchen ist sie nicht sehr angetan. Zu Kimura hingegen ist sie auffallend freundlich. Toshiko, meine Frau und ich, wir haben es noch nie offen erwähnt, aber wir sind uns wohl alle darüber einig, daß Kimura einem amerikanischen Filmstar ähnlich sieht, und ich wiederum weiß, daß meine Frau für einen amerikanischen Filmstar schwärmt. (Meine Frau hat es mir nie eingestanden, aber ich könnte schwören, daß sie die meisten Filme von ihm gesehen hat.) Wenn meine Frau sich Kimura näherte, so einfach deshalb, weil ich ihn als einen passenden Mann für Toshiko ausersehen habe und ihn gelegentlich in unsere Familie einlade und meiner Frau auch befahl, unauffällig ein Auge auf beide zu haben. Aber Toshiko ist anscheinend einer solchen Verbindung nicht sehr geneigt. Sie vermeidet jede Gelegenheit, mit Kimura allein zu sein, und wenn sie sich im Wohnzimmer unterhalten, versteht sie es immer, meine Frau hinzuzuziehen. Auch wenn sie ins Kino gehen, fordert sie ihre Mutter auf, sie zu begleiten.
«Es ist nicht richtig, daß du mitgehst. Laß sie doch alleine gehen!» werfe ich ihr vor, aber sie ist anderer Auffassung und meint, daß sie als Mutter die Pflicht hätte, beide zu überwachen. «Du bist zu altmodisch. Man muß den jungen Leuten trauen!» argumentiere ich weiter. «Ich denke ja auch so. Aber Toshiko will immer, daß ich mitgehe», weicht sie aus. Wenn es sich so verhält, dann hat Toshiko offenbar gemerkt, daß ihre Mutter Kimura geneigter ist als sie selbst, und sie versucht nun, die Bürde auf sich zu nehmen, zwischen Kimura und ihrer Mutter zu vermitteln. Ich halte es nicht für unmöglich, daß zwischen Toshiko und ihrer Mutter ein stillschweigendes Übereinkommen besteht. Zwar glaubt meine Frau, daß sie die beiden jungen Leute überwacht, aber in Wirklichkeit liebt sie Kimura, obgleich sie es noch nicht begriffen hat.
8. Januar Gestern hatte ich einen Rausch. Ich glaube aber, er war noch viel betrunkener als ich. Er verführte mich wieder, seine Augenlider zu küssen, was er in letzter Zeit seltener tat. Von dem Cognac war ich doch ein wenig aus dem Geleise und folgte seinem Verlangen, ohne mir viel Gedanken zu machen. Es war auch nichts dabei und ganz richtig so, nur sah ich beim Küssen das, was ich nicht sehen sollte - nämlich sein Gesicht ohne Brille. Wann immer ich seine Lider küsse, schließe ich die Augen, aber gestern abend hielt ich sie offen. Seine weiße Aluminiumhaut erschien vor meinen Pupillen so groß und nah wie in einem CinemaScope. Mir lief es kalt den Rücken hinunter. Ich fühlte, wie das Blut aus meinen Wangen wich. Es war nur gut, daß er die Brille gleich wieder aufsetzte, um wie immer meine Hände und meine Beine peinlich genau zu betrachten. Ich löschte schweigend die Nachttischlampe. Er streckte seinen Arm aus und versuchte, wieder Licht zu machen. Ich schob die Lampe weit weg. «Ich bitte dich, laß mich dich nur noch einmal ansehen. Bitte, bitte!» bettelte er und tastete im Dunkeln nach der Lampe, aber er fand sie nicht und gab auf. ... Nach langer Zeit eine lange Umarmung ...
Halb hasse ich ihn und halb liebe ich ihn innig. Wir passen nicht zueinander, und doch kann ich keinen anderen Mann lieben. Ich lebe noch immer in den alten Vorstellungen von Ehrsamkeit, und meine Natur wehrt sich, dagegen zu sündigen. Seine zudringlichen Liebkosungen bringen mich in Verlegenheit. Aber wenn ich das auch einmal sagen muß, sehe ich doch auch sehr klar, daß er mich mit einer verzehrenden Leidenschaft liebt, und mein Gefühl sagt mir, daß ich es ihm mit gleichem vergelten müßte. Ach, wenn er doch nur ein wenig männlicher wäre, etwas stärker, etwas ausdauernder, wie einst in seinen jungen Jahren ... Wie kann es nur kommen, daß seine Kräfte darin so nachgelassen haben? ... seiner Ansicht nach freilich liegt es an mir. Ich sei zu sinnlich veranlagt, meint er. Er werde mitgerissen und verliere jedes Maß, und nun machten sich eben die Folgen bemerkbar. Eine Frau sei in dieser Beziehung unerschöpflich, , wie er sagt. Sie werde ja auch nicht abgelenkt. Ein Mann hingegen brauche seinen Kopf, und geistige Arbeit mache sich gleich körperlich bemerkbar. So beschämend es auch ist - daß ich so ausschweifend bin, liegt nun einmal in meiner Natur, und er sollte es verstehen und Mitgefühl haben. Und wenn er mich wirklich liebt, dann muß er mich auch glücklich machen können. Er sollte aber wissen, daß ich diese unnötigen Spaße nicht mehr ertragen kann und daß solche Spielereien gar nichts nützen, ja, meine Stimmung nur zerstören. Ich bin eben sehr altmodisch und ziehe es vor, es tief im Innern des Hauses und im Dunkel meines eigenen Zimmers zu tun, hinter dicht verhängten Fenstern, den Körper in weiche Kissen vergraben, ohne sich gegenseitig ansehen zu müssen, und in aller Stille. Es ist ein großes Unglück, daß unser beider Empfinden in diesem Punkte so verschieden ist. Ach, fände sich doch noch ein Weg, auf dem unsere unseligen Leidenschaften zusammenführen.
13. Januar Um halb fünf kam Kimura. Er brachte uns getrockneten Kaviar mit der Erklärung, er hätte ihn von zu Hause geschickt bekommen. Die drei unterhielten sich im Wohnzimmer wohl über eine Stunde, dann machte er Anstalten aufzubrechen. Ich ging nach unten und bat ihn, doch zum
Essen zu bleiben. Er willigte gleich ein und sagte: «Das ist sehr liebenswürdig von Ihnen», und setzte sich wieder. Da noch Zeit war bis zum Essen, ging ich wieder nach oben, während Toshiko das Mahl zubereitete und meine Frau im Wohnzimmer saß. Es gab nichts Besonderes, aber zu dem mitgebrachten Kaviar hatten wir etwas Wein, und außerdem gab es sauere Karauschen, die meine Frau gestern auf dem Markt in Nishiki gekauft hatte. Danach gingen wir gleich zu Cognac über. Meine Frau liebt keine süßen Sachen und zieht etwas Saures und Scharfes vor wie viele Leute, die gern Coganc trinken, und saure Karauschen mag sie besonders gern. Ich schätze beides, süß und sauer, aber saure Karauschen mag ich nicht. Kein Mensch außer ihr ißt in unserer Familie saure Karauschen. Kimura stammt aus Nagasaki und versteht daher etwas von getrocknetem Kaviar, «aber verschonen Sie mich bitte mit den Karauschen», sagte auch er. Kimura hatte bis jetzt nie Geschenke mitgebracht, aber heute rechnete er wohl damit, zum Abendessen eingeladen zu werden. Ich durchschaue ihn noch nicht ganz. Wer zieht ihn wohl mehr an, Toshiko oder Ikuko? Wenn ich Kimura wäre und die Wahl hätte, so würde ich mich für die Mutter entscheiden, obwohl sie die Altere ist. Aber bei Kimura weiß ich es nicht. Er hat es doch wohl nur auf Toshiko abgesehen. Da Toshiko ihm vorläufig nicht viele Hoffnungen macht, will er wahrscheinlich zuerst die Aufmerksamkeit der Mutter auf sich lenken, um dann durch die Mutter an die Tochter zu gelangen ... Wie dem auch sei, wichtig ist jetzt etwas anderes. Wie komme ich überhaupt in diese Situation? Was habe ich mir eigentlich gedacht, als ich heute abend Kimura zum Bleiben aufforderte? Ich verstehe meine eigenen Gedankengänge nicht mehr (und meine Psychologie, ist sie nicht auch ein wenig merkwürdig?). Wenn ich es jetzt bedenke, spürte ich schon am ersten Abend eine leise Regung von Eifersucht auf Kimura ... Nein, eigentlich hat es schon Ende letzten Jahres angefangen. Auf der anderen Seite muß ich allerdings zugeben, daß ich diese Eifersucht im stillen genieße. Ich bin so veranlagt, daß ich meine Leidenschaft am stärksten spüre, wenn ich eifersüchtig bin. Denn meine Eifersucht ist in einem bestimmten Sinn durchaus nützlich, sie verhilft mir endlich zu einer lang ersehnten Lust. An diesem Abend ist es mir nämlich dank meiner Eifersucht auf Kimura zum erstenmal gelungen, meine Frau zu beglücken. So bin ich zu der Erkenntnis gekommen, daß die Existenz
Kimuras als Stachel für mich unbedingt notwendig ist. Aber ich möchte meine Frau darauf aufmerksam machen (eigentlich brauchte es gar nicht gesagt zu werden), daß dabei gewisse Grenzen nicht überschritten werden dürfen. Was für mich ein Reizmittel ist, soll für sie nicht zur Verführung werden. Meine Frau darf sehr weit gehen. Je gewagter, desto besser. Ich wünschte, ich könnte bis zum Irrsinn eifersüchtig werden. Sie könnte sogar soweit gehen, daß ich sie verdächtigen würde, sie habe die Grenze schon überschritten. Ich möchte sogar, daß sie soweit geht. Denn wenn ich mich auch zu solchen Worten versteige, weiß ich doch, sie wird nie und nimmer über das Maß des Erlaubten hinausgehen. Wird sie aber einsehen, daß es auch um ihr Glück geht, wenn sie sich bemüht, mich in dieser Weise zu reizen?
20. Januar Kimura hat uns seitdem nicht mehr besucht, aber meine Frau und ich haben uns daran gewöhnt, jeden Abend unseren Cognac zu trinken. Sie kann in der Tat viel vertragen. Ich liebe es, sie anzuschauen, wenn sie mit kaltem, bleichem Gesicht sich anstrengt, ihren Rausch zu verbergen. Ihr Benehmen dabei wirkt sehr verführerisch auf mich. Auch verfolge ich bei diesen Trinkereien insgeheim ein bestimmtes Ziel: sie einmal vollkommen bewußtlos zu machen; aber bis jetzt geht sie nicht darauf ein. Je mehr sie trinkt, desto berechnender wird sie. Sie läßt mich nicht einmal ihre Füße berühren und verlangt nur, was sie haben möchte. Und was sie haben möchte, ist allein ihre eigene Lust.
20. Januar Heute litt ich den ganzen Tag unter Kopfweh. Es wäre übertrieben, von einem Kater zu sprechen, aber gestern habe ich wohl doch zuviel getrunken ... Kimura macht sich Sorgen, daß die Menge an Cognac, die ich zu mir nehme, immer größer wird. In letzter Zeit gibt er mir nicht mehr als zwei Gläser. «Lassen Sie es doch bitte genug damit sein!» sagt er und spielt den Maßvollen. Mein Mann dagegen möchte mir jeden
Abend noch mehr zu trinken geben. Er will meine Gewohnheit, keinen Korb zu geben, wenn mir etwas angeboten wird, ausnutzen und möchte mir soviel wie möglich einflößen. Doch hier sollte jetzt die Grenze sein. Bis jetzt habe ich mich noch nie vor meinem Mann und Kimura gehen lassen, aber es ist eine Qual, den Cognac zu trinken und den Rausch zu unterdrücken. (Und weil ich den Rausch unterdrücke, wird mir nachher so elend.) Ich sollte vorsichtiger sein.
28. Januar Heute abend wurde meine Frau plötzlich ohnmächtig. Kimura besuchte uns, und wir saßen alle vier beim Essen, als sie plötzlich aufstand und verschwand. Als sie sich nach einer Weile nicht wieder sehen ließ, sagte Kimura «Ob ihr wohl etwas passiert ist?» Wenn meine Frau etwas zuviel Coganc getrunken hat, geht sie manchmal zur Toilette und versteckt sich dort. Ich beruhigte die anderen also. «Sie wird schon wieder zurückkommen.» Aber weil es gar zu lange dauerte, fing Kimura an, sich Sorgen zu machen, und ging sie suchen. Nach einer Weile rief er vom Korridor aus nach Toshiko. «Fräulein Toshiko, bitte kommen Sie schnell! Das ist doch seltsam ...» Auch Toshiko hatte sich heute abend im geeigneten Augenblick auf ihr Zimmer zurückgezogen. -------«Es ist mir rätselhaft, aber ich kann Ihre verehrte Frau Mutter nirgends finden», sagte er. Als Toshiko nach ihr suchte, saß sie im Bad, den Kopf auf den Armen, die auf dem Rand des Bades lagen, und schlief. «Mama, du kannst doch hier nicht schlafen.» «Herr Professor, es ist entsetzlich», keuchte Kimura und kam zu mir gerannt. Ich ging zu ihr ins Bad und fühlte ihren Puls. Er war sehr schwach und schlug nur 40 in der Minute. Ich zog meinen Kimono aus, nahm sie auf den Arm und legte sie auf den Holzfußboden im Badezimmer. Toshiko umhüllte den nackten Körper ihrer Mutter mit einem großen Frottiertuch und ging ins Schlafzimmer, um das Bett zurecht zu machen. Kimura wußte nicht, was er anfangen sollte, und ging fortwährend ein und aus. Als ich ihn bat «Wollen Sie mir ein bißchen behilflich sein?» beruhigte er sich und stellte sich neben mich.
«Wir müssen sie schnell trocken reiben, sonst erkältet sie sich», sagte ich, und mit vereinten Kräften trockneten wir ihren nassen Körper ab. Auch bei so unerwarteten Begebenheiten versäumte ich nicht, Kimura zu . Ich überließ Kimura den Oberkörper, während ich den unteren Teil abtrocknete. Sogar zwischen den Zehen rieb ich und befahl Kimura «Bitte vergessen Sie doch auch die Stellen zwischen ihren Fingern nicht!» Während der ganzen Zeit beobachtete ich aufmerksam Kimuras Mienen und Bewegungen. Toshiko kam mit dem Nachthemd in der Hand herein, aber als sie sah, daß Kimura mithalf, sagte sie schnell: «Ich will nur noch die Wärmflasche heiß machen», und verschwand gleich wieder. Kimura und ich zogen ihr das Nachthemd an und trugen sie ins Schlafzimmer. «Vielleicht ist es Hirnanämie. Ist es nicht besser, Sie lassen es mit der Wärmflasche?» meinte Kimura. Zu dritt berieten wir uns, ob wir einen Arzt rufen sollten. Dr. Kodama konnten wir leicht erreichen, doch war es mir nicht sehr sympathisch, daß er meine Frau in diesem Zustand sah. Da ihr Herz zusehends schwächer wurde, ließen wir ihn schließlich trotzdem kommen. Es war wirklich Hirnanämie. «Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen», beruhigte er und gab ihr eine Vitakampferinjektion. Als Dr. Kodama uns verließ, war es zwei Uhr nachts ...
29. Januar Gestern habe ich wieder zuviel getrunken, mir wurde schlecht, und ich ging zur Toilette. Bis dahin kann ich mich erinnern. Ich versuchte, mich in das Badezimmer zu schleppen, und wurde bewußtlos; auch daran erinnere ich mich noch vage. Was dann geschah, weiß ich nicht mehr. Es scheint mich jemand ins Schlafzimmer gebracht zu haben, denn als ich heute morgen aufwachte, schlief ich im Bett. Der Kopf ist mir schwer, und ich habe keine Energie aufzustehen. Kaum wache ich auf, so fange ich wieder an zu träumen und döse den ganzen Tag. Gegen Abend ging es mir ein wenig besser, und ich schreibe dies mit Mühe nieder. Ich will jetzt gleich weiterschlafen.
29. Januar ... Meine Frau scheint gestern abend nicht mehr aufgewacht zu sein. Gestern abend, als Kimura und ich sie vom Badezimmer ins Schlafzimmer brachten, war es zwölf Uhr. Um halb eins riefen wir Dr. Kodama an, und gegen zwei Uhr morgens ist er wieder nach Hause gegangen. Als ich den Arzt bis zur Haustür geleitete, sah ich draußen einen wunderbaren sternenbesäten Himmel; die Kälte schnitt die Dunkelheit in Stücke. Unser Ofen im Schlafzimmer genügt für die Nacht, wenn wir vor dem Schlafengehen eine Handvoll Kohlen aufschütten. Aber Kimura meinte besorgt: «Es wird wohl besser sein, wenn Sie es ihr heute nacht schön warm machen.» Ich bat ihn also, den Ofen ordentlich zu füllen. «Dann wünsche ich gute Besserung und möchte mich für heute empfehlen», sagte er, doch fiel mir ein, daß ich Kimura nicht um diese Zeit nach Hause schicken konnte. «Bitte, bleiben Sie über Nacht. Wir können Ihnen ein Lager im Wohnzimmer herrichten.» «Das ist nicht nötig. Ich wohne ja ganz in Ihrer Nähe», versicherte er. Er stand noch immer unschlüssig im Schlafzimmer herum, nachdem er mir geholfen hatte, meine Frau auf das Bett zu legen. (Im Zimmer war kein Stuhl, so daß er zwischen dem Bett meiner Frau und mir stand.) Toshiko war gleich aus dem Zimmer gegangen, als Kimura hereinkam, und hatte sich nicht mehr sehen lassen. Kimura wollte unter allen Umständen nach Hause und wiederholte immer wieder: «Nein, es macht mir wirklich nichts aus.» Schließlich machte er sich einfach auf den Weg, und, ehrlich gesagt, es war mir auch lieber, daß er nach Hause ging. In meinem Kopf reifte nämlich ein Plan, und insgeheim wünschte ich nicht, daß er blieb. Nachdem Kimura sich verabschiedet hatte und ich sicher war, daß Toshiko nicht mehr kommen würde, näherte ich mich dem Bett meiner Frau und fühlte ihren Puls. Die Injektion hatte anscheinend geholfen, denn ihr Herzschlag war wieder normal. Sie sah aus, als befände sie sich in tiefem, sehr tiefem Schlummer. --------Wenn ich ihren Charakter bedenke, bin ich zwar nicht sicher, ob sie wirklich schlief oder sich nur den Anschein gab. Dieser Punkt ist sehr fragwürdig. Aber auch wenn sie sich nur schlafend stellte, würde es mich nicht stören.
Ich schürte erst einmal die Glut im Ofen, bis er ein leises Summen hören ließ. Dann nahm ich langsam das schwarze Tuch zur Seite, das auf dem Schirm des Lampenständers lag. Es wurde heller im Zimmer. Behutsam ergriff ich die Lampe und schob sie neben das Bett meiner Frau, so daß ihr ganzer Körper in den hellen Lichtkegel kam. Ich fühlte, wie mein Herz plötzlich wild schlug. «Heute nacht kann ich endlich meinen so lange gehegten Traum verwirklichen.» Diese Aussicht versetzte mich in ungekannte Erregung. Mit leisen Schritten stahl ich mich aus dem Schlafzimmer, ging hinauf in meine Bibliothek, drehte das Blaulicht aus der Schreibtischlampe und stieg wieder ins Schlafzimmer hinab. Dort legte ich die Birne auf den Nachttisch. Ich hatte mir meinen Plan bis in alle Einzelheiten ausgedacht und nur auf eine Gelegenheit gewartet, ihn auszuführen. Dies war auch der Grund gewesen, warum ich die Schreibtischlampe vor einiger Zeit mit einem Blaulicht versehen ließ. Toshiko und auch meine Frau waren dagegen gewesen, etwas an der Lampe zu verändern, weil es Störungen im Radio verursachte, aber ich setzte meinen Willen durch mit der Begründung, daß meine Augen schwach würden und diese Lampe sich zum Lesen besser eigne. Das ist zwar nicht unwahr, aber der eigentliche Grund war meine Begierde, den vollkommen nackten Körper meiner Frau dem blauen Licht der neuen Lampe auszusetzen. Diesen Wunschtraum trug ich in mir, seit ich von dieser Erfindung gehört hatte. Alles ging wie geplant. Ich nahm ihr das Nachtgewand vom Leib, das Toshiko ihr übergezogen hatte, und legte sie splitternackt auf den Rükken unter das strahlende Licht der Lampe. Dann fing ich an, sie gründlich zu studieren, wie man eine Landkarte studiert. Gebannt und fassungslos starrte ich eine Weile auf den makellosen, wunderbaren nackten Körper. Seltsam? Töricht? Aber sah ich nicht zum erstenmal ungehindert den entblößten Leib meiner Frau in seiner Ohnmacht vor mir! Die meisten <Ehemänner> kennen den Körper ihrer Frauen bis in alle Einzelheiten, bis in die Falten der Fußsohlen. Sie aber hat sich meinem Blick stets entzogen. Nur in zärtlichen Situationen habe ich sie wenigstens teilweise gesehen, aber es blieb eben bei Partien des Oberkörpers, und nie hat sie mir mehr gezeigt, als bei unserem Vorhaben unvermeidlich war. Ich habe sie jedoch gestreichelt und betastet und mir die Formen vorgestellt und daraus geschlossen, daß sie einen aufreizend schönen Körper haben muß. Deshalb war dieses Verlangen in mir, ihn unterm hellen Licht der Lampe zu sehen, und nun stellt sich heraus, daß
meine Erwartungen nicht nur nicht enttäuscht, nein, daß meine Hoffnungen weit übertroffen wurden. Ich habe zum erstenmal seit unserer Hochzeit den nackten Körper, den ganzen Körper meiner Frau gesehen. Besonders die unteren Partien habe ich bis ins Verborgenste, bis ins kleinste Detail durchforscht. Sie ist 1907 geboren, müßte jetzt also fünfundvierzig sein; ihre Proportionen sind denen der Europäerinnen noch nicht so ähnlich wie heute bei unseren jungen Leuten. Als sie jung war, hat sie begeistert Tennis gespielt und ist auch viel geschwommen, und für eine Japanerin in ihrem Alter hat sie selten wohlgeformte Gliedmaßen. Aber ihre Brust ist flach, der Busen und die Hüften sind nicht genügend entwickelt. Ihre Beine sind wohl lang, doch sind die Unterschenkel, so leid es mir tut, nicht ganz ebenmäßig gewachsen. Sie hat einen unverkennbaren Ansatz zu O-Beinen. Ein schmerzlicher Mangel ist auch, daß ihre Fesseln nicht schlank genug sind. Wenn ich meinen Geschmack allerdings genau prüfe, schätze ich die europäischen Beine gar nicht so sehr, sondern habe eine angeborene Schwäche für die typisch japanischen, die immer leicht gebogen sind und mich an meine Mutter oder meine Tanten erinnern. Die stockgeraden Beine der Europäerinnen sind mir zu uninteressant. Ich bin auch kein großer Freund allzu üppiger Hüften und Busen. Was ich liebe, sind die nur zart angedeuteten Formen des Körpers, wie die schöne Amidastatue vom Chuguji Tempel sie zeigt. Die Formen und Maße ihres Körpers - ich spreche jetzt von meiner Frau - waren ungefähr so, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Die Reinheit ihres Teints jedoch übertraf meine kühnsten Vorstellungen. Fast jeder Mensch hat irgendwo, mehr oder weniger versteckt, einen Makel - eine Warze oder einen blauen oder einen braunen Flecken; ihre Haut aber war frei von jeglicher Unreinheit, so eingehend ich auch suchte. Ich drehte sie um und untersuchte ihren Rücken und die unberührten Flächen zwischen ihren Beinen. Auf den sanften Rundungen ihrer Hüfte fand ich das Fleisch so weiß und rein, wie ich es noch nie gesehen hatte. Wie ist es nur möglich, daß ihr Körper bis zum fünfundvierzigsten Lebensjahr- und inzwischen hat sie ja ein Mädchen zur Welt gebracht so makellos geblieben ist? In unserem jahrzehntelangen Eheleben war es mir nur erlaubt, ihren Körper im Dunkeln abzutasten, aber wenn ich es nun recht bedenke, bedaure ich es nicht. Es war im Gegenteil mein Glück, daß ich ihren wunderbaren Leib bis heute nicht mit meinen eigenen Augen gesehen
habe. Ein Mann, dem es vergönnt ist, nach zwanzig Jahren des Zusammenlebens durch die Reize seiner Frau so überrascht zu werden, fängt sozusagen eine neue Ehe an. Die Zeit ersten ehelichen Überdrusses liegt längst hinter uns, und dennoch vermag ich meine Frau mit doppelter Leidenschaft und mehr als je zuvor zu lieben ... Ich legte meine Frau wieder auf den Rücken und betrachtete sie, nein, verschlang sie mit meinen Augen. Aber in Wirklichkeit konnte ich nur seufzen. Da kam mir jäh die Gewißheit, daß meine Frau gar nicht richtig schlief, sondern sich nur schlafend stellte. Zuerst schlief sie wirklich, doch unterdessen mußte sie aufgewacht sein. Als sie erwachte, war sie sicher so erschrocken und sprachlos und schämte sich so sehr, daß sie sich schlafend stellte. So wenigstens dachte ich. Oder vielleicht war es doch nicht so? Vielleicht täuschte ich mich und bildete mir alles nur ein? Aber ich wollte unbedingt an diese phantastische Vorstellung glauben. Es war mir eine Lust zu denken, daß dieser Frauenleib, dessen verwirrende Formen eine wundervolle weiße Haut umspannte, sich so gefügig bewegte, wie ich nur wollte, willenlos wie eine Leiche, daß sie aber in Wirklichkeit lebendig war und bei vollem Bewußtsein. Doch angenommen, sie hätte wirklich geschlafen, wäre es dann nicht besser, in meinem Tagebuch nichts zu erwähnen von den Torheiten, die ich angestellt habe, den Lastern, in denen ich geschwelgt habe! Ich zweifle nicht daran, daß meine Frau dieses Tagebuch liest, und wenn ich so etwas schreibe, hört sie vielleicht auf zu trinken ... Nein, das wird sie wohl nicht tun, denn damit bewiese sie ja nur, daß sie mein Tagebuch heimlich gelesen hat. Wenn sie es jedoch nicht liest, wird sie auch nicht erfahren, was ich mit ihr gemacht habe, als sie bewußtlos war. Von drei Uhr nachts an betrachtete ich über eine Stunde lang unverwandt den Körper meiner Frau, und ein nicht nachlassender Strom der Freude durchflutete mich. Selbstverständlich saß ich nicht die ganze Zeit da und starrte sie bloß an. Vor allem wollte ich feststellen, falls sie sich wirklich schlafend stellte, wie lange sie es durchzuhalten vermochte. Auch wollte ich sie in Verlegenheit bringen, indem ich sie in eine Lage versetzte, die ihr nichts übrig ließ, als sich schlafend zu stellen. Ich habe alles, was sie sonst so verabscheut - sie nennt es zudringlich, schändlich, schmachvoll -, all die nicht alltäglichen Stellungen,
eine nach der anderen ausprobiert, weil es eine so seltene Gelegenheit war. Ich habe auch meinen so lange verhohlenen Wunsch, ihre schönen Füße nach Herzenslust mit der Zunge zu küssen, verwirklicht ... und noch gemacht (um einmal ihre konventionelle Redeweise nachzuahmen), Sachen, die ich mich schäme, hier aufzuzeichnen. Ich habe sogar gewagt, ihr Geschlecht zu küssen, um zu sehen, wie sie darauf reagieren würde, aber aus Unvorsichtigkeit fiel meine Brille auf ihren Bauch. In diesem Augenblick erschrak sie offensichtlich, sie schien zu erwachen und blinzelte. Auch ich erschrak und löschte bestürzt die Lampe, so daß es für einige Minuten im Zimmer dunkel war. Ich goß aus dem Kessel, der auf dem Ofen stand, ein wenig heißes Wasser in eine Tasse, tat noch ein wenig kaltes dazu, um es abzukühlen und gab es ihr mit einer Tablette Luminal und einer halben Tablette Tokadoronox zu trinken. Ich flößte es ihr mit meinem Munde ein, und sie trank es wie im Traum. (So kleine Mengen haben oft gar keine Wirkung. Ich gab es ihr auch nicht, um sie einzuschläfern, sondern nur, weil ich dachte, es käme ihr gelegen als Vorwand, sich weiterhin schlafend zu stellen.) Als sie wieder in tiefem Schlaf zu liegen schien, machte ich mich an die Ausführung meiner letzten Absicht. Nach der ausgiebigen Vorbereitung waren meine Sinne bis zum äußersten gereizt; und in dieser ungewöhnlichen Erregung, die ja nicht wie sonst durch das Verhalten meiner Frau gestört wurde, war ich heute nacht zu einem Beischlaf imstande, der mich selbst erstaunte. Ich war nicht mehr der kümmerliche Schwächling, ich fühlte wieder das Fließen und Pulsen meiner eigenen Kraft. Endlich war ich nicht mehr das entnervte Ich so vieler Nächte. Ich spürte mich selbst und brachte es fertig, ihre Wollust im Sturm zu besiegen. Ich dachte, das beste wäre, sie öfters betrunken zu machen. Meine Frau schien nicht ganz aus ihrem Schlaf zu erwachen, obwohl ich es nicht bei einemmal hatte bewenden lassen. Sie war noch immer in einem Dämmerzustand. Manchmal öffnete sie halb die Lider, aber die Augen blickten ins Leere. Auch die Hände bewegte sie langsam, aber es war die Bewegung einer Schlafwandelnden. Dabei schien es mir, als ob sie meine Brust, meinen Hals und mein Gesicht und auch meine Arme und Beine abtasten wollte. Noch nie hatte sie meinen Körper angeschaut oder berührt, wenn es nicht unbedingt nötig war. Eben um diese Zeit hörte ich aus ihrem Munde die Worte «Kimura, du», als ob sie
phantasierte. Sehr leise, wie ein Hauch und nur einmal sagte sie es, aber es war gewiß, daß sie es sagte. Noch heute frage ich mich, ob sie wirklich phantasierte oder die Phantasierende nur spielte, um diesen Namen zu nennen ... Ich kann es verschieden auslegen. Entweder hat sie geträumt, in Kimuras Armen zu liegen - oder sie stellte sich träumend, um mich wissen zu lassen, daß sie denkt «Ach, ich wünschte, es wäre so mit Kimura!» oder sie meint damit «Wenn du mich trunken machst und ein solches Spiel mit mir treibst, werde ich immer träumen, in Kimuras Armen zu liegen. Höre also mit diesem Unsinn auf» ... Um acht Uhr abends ein Anruf von Kimura. «Wie geht es Ihrer Gattin? Ich wollte Sie besuchen, aber ...» «Machen Sie sich bitte keine Sorgen, sie hat keine Schmerzen, sie schläft noch. Ich habe ihr ein Schlafmittel gegeben», antwortete ich ...
3o. Januar Ich liege noch immer im Bett. Es ist morgens halb zehn, Montag, und er muß vor einer Stunde schon zur Universität gegangen sein. Bevor er wegging, kam er noch einmal leise in das Schlafzimmer, und als ich mich schlafend stellte, beobachtete er eine Weile meinen Atem, küßte meine Füße und ging hinaus. Unsere alte Dienerin kam herein und fragte «Wie geht es Ihnen denn?» Ich ließ mir ein heiß ausgewrungenes Frottiertuch bringen, wusch mich am Toilettentisch im Zimmer und bestellte Milch und ein weichgekochtes Ei. Auf meine Frage «Wo ist Toshiko?» antwortete sie nebenbei: «Sie ist auf ihrem Zimmer.» Doch Toshiko ließ sich nicht sehen. Ich fühlte mich bedeutend besser und könnte, wenn ich unbedingt wollte, aufstehen, aber ich ziehe es vor, im Bett zu bleiben und die Geschehnisse der letzten Nacht wieder wachzurufen. Dann will ich meine Aufzeichnungen in mein Tagebuch machen. Wie kam es nur, daß ich gestern abend so schnell betrunken wurde? Vielleicht lag es an meinem Zustand, vielleicht aber auch am Cognac. Es war nicht der übliche Dreisternige wie bisher. Er hatte am selben Tag eine neue Flasche gekauft, einen ,
gleich vorzüglich schmeckte, habe ich ihm wohl zu sehr zugesprochen. Ich habe es nicht gern, wenn Leute mich betrunken sehen, und verstecke mich deshalb in der Toilette, wenn es mir übel wird. So war es auch gestern abend. Wieviel Minuten mag ich wohl in der Toilette gewesen sein? Fünfzehn, zwanzig? Oder waren es gar an die zwei Stunden? Doch gab es während dieser Zeit nichts, was mich gequält hätte. Nein, schmerzhaft war es nicht, eher wie ein süßes Gefühl der Verzükkung, das langsam durch mich hin sickerte. Obwohl ich nicht bei vollem Bewußtsein war, habe ich nicht alles vergessen. Einige abgerissene Bilder sind mir noch in Erinnerung. Ich war schon zu lange in dem engen Raum, und meine Glieder fingen an zu schmerzen. Ich weiß nicht mehr, wann es war, mein Kopf fiel vornüber auf den Fußboden, während meine Hände sich auf das Porzellan stützten. Ich spürte den Geruch der Toilette am ganzen Körper und schleppte mich wohl in das Badezimmer hinüber, um mich zu entkleiden und zu waschen, vielleicht auch um die anderen zu meiden, da meine Füße noch sehr unsicher waren. Ich sage <wohl> und , weil mir dies alles nur wie ein unsagbar ferner Traum in Erinnerung geblieben ist - und was danach geschah, dessen kann ich mich nicht mehr entsinnen. (Auf meinem rechten Oberarm klebt ein Heftpflaster. Man hat mir wohl eine Spritze gegeben. Ob es Dr. Kodama war?) Als ich erwachte, fand ich mich in meinem Bett, und das Licht des frühen Tages erhellte schon schwach das Schlafzimmer. Das muß gestern um sechs Uhr gewesen sein. Ich war noch immer nicht bei klarem Bewußtsein. Mein Kopf tat mir zum Zerspringen weh. Während mein Körper schwer und dumpf in die Tiefe zu sinken schien, wechselten Erwachen und Einschlummern. Nein, genauer gesagt, ich muß gestern in einem Zustand zwischen Schlafen und Wachen dahingedämmert sein. Das Blut klopfte mir schmerzhaft in den Augenhöhlen, aber ich ging in einer wundersamen Welt aus und ein, die mich den Schmerz vergessen ließ. Sicher war es ein Traum, aber gibt es denn so klare und deutliche, so wahrheitsgetreue Träume? Ich fühlte mich plötzlich auf dem Höhepunkt eines heftigen körperlichen Schmerzes und einer noch nie erfahrenen Lust, und der Schmerz war nichts anderes als die Lust. Ich stemmte mich gegen den Schmerz und streckte mich nach der Lust, und beides war in der einen Bewe-
gung, die von den in Verzückung sich krümmenden Zehenspitzen bis zu dem wilden Pochen in meinen Schläfen durch mich hindurch ging. Ich wunderte mich, so ganz ausgefüllt und durchdrungen zu sein. Bei ihm erlebte ich das nur selten. Aber bald erkannte ich, daß nicht er es war, der über mir lag, sondern Kimura. Hatte Herr Kimura hier übernachtet, um mich zu pflegen? Wo war dann aber er? Und war es denn zulässig, was ich tat? Verstieß es nicht gegen alle Moral? Ich hatte weder Zeit noch Besinnung, diesen Gedanken zu Ende zu denken, so traumhaft schön war mein Entzücken. Er hat mir bis heute noch kein einziges Mal solche Wonne bereitet. Zwanzig Jahre lang, seit Beginn unserer Ehe, hat er mich so schnöde abgefertigt, so lau, so gleichgültig, stets blieb ein schlechter Nachgeschmack. Oh, wie anders ist die eigentliche Liebe. Ich habe bis jetzt nicht gewußt, was das ist. So also ist sie, und Kimura hat sie mich gelehrt ... Obgleich ich so dachte, wußte ich, daß dies nur die eine Hälfte meines Traumes war. Der Mann, der mich in den Armen hielt, schien Kimura zu sein. Ja, wahrhaftig, so empfand ich den Traum. In Wirklichkeit war es aber doch mein Mann; in seinen Armen liegend, hielt ich ihn für Kimura dies wußte ich auch. Wahrscheinlich hat mein Mann mich gestern vom Bad aus ins Schlafzimmer geschafft und ins Bett gelegt. Und da ich bewußtlos war, hat er die Situation ausgenutzt und mit meinem Körper sein Spiel getrieben. Für einen kurzen Augenblick kam ich zur Besinnung, weil er mich allzu heftig unter der Achsel küßte. Er war so vertieft in sein Tun, daß ihm seine Brille herunterfiel. Ich spürte etwas Kaltes auf meinem Leib und wachte auf. Ich fand mich splitternackt auf dem Rücken liegend, unter dem bläulichen Lichtkreis der Stehlampe und der neuen Schreibtischlampe mit den Leuchtröhren. Es kann auch sein, daß die Leuchtröhren zu hell waren und mich aufgeweckt haben. Ich war noch ganz benommen, merkte aber, wie mein Mann nach seiner Brille tastete und sie wieder aufsetzte. Er begann nicht wieder, mich unter der Achsel zu küssen, sondern kletterte umständlich wie ein Käfer auf meinen Leib. Instinktiv zuckte ich zusammen, und ich erinnere mich, wie ich hastig nach dem Leintuch griff, um mich zu bedecken. Auch er merkte, daß ich im Aufwachen war und breitete die Wolldecke und das Federbett über mich, löschte die Leuchtröhren und warf ein seidenes Tuch über die Stehlampe. In seiner Bibliothek gab es solche Leuchtröhren; er hatte sie wahrscheinlich von seinem Schreibtisch geholt und hierher gestellt.
Als er meinen Körper unter dem bläulichen Licht bis ins kleinste inspizierte, wird er seine Wonne wohl bis zur Neige gekostet haben. Sogar was ich an mir selber noch nicht genau kenne, hat er gesehen schon der Gedanke läßt mich erröten. Er muß mich sehr lange entblößt liegen gelassen haben. Ein Beweis dafür ist, daß er den Ofen so wahnsinnig überheizte, um mich vor Erkältung zu schützen, und auch um zu verhindern, daß ich aufwache. Das Zimmer war eine einzige Glut. Wenn ich jetzt überlege, bin ich empört darüber, Spielzeug meines Mannes gewesen zu sein. Aber ich konnte kaum die heftige Migräne ertragen, und als er mir ein Schlafmittel gab - ich weiß nicht genau, war es Kadonolux, Luminal oder Isomital, was er in seinem Mund zerkaute und mir mit Wasser einflößte -, da trank ich eben die Medizin, ohne mich zu sträuben, um die Kopfschmerzen zu vergessen. Bald fingen mir die Sinne an zu schwinden, und ich geriet in einen halb wachen, halb schlafenden Zustand. Danach hatte ich jenen Traum, in dem ich an seiner Stelle Kimura in meinen Armen hielt. Mit dem Wort meine ich aber nicht jenen undeutlich verschwommenen, gleichsam in der Luft schwebenden Zustand des , sondern ich hatte wirklich das wahre und lebenswarme Gefühl, ihn schlafend in meinen Armen zu halten, und dieses Gefühl spüre ich noch jetzt ganz deutlich auf der Haut meiner Arme und Beine. Kimuras Haut fühlte sich ganz anders an als die meines Mannes. Oh, mit diesen Händen habe ich mich an Kimuras jünglingshafte, schlanke Arme geklammert, und ich spüre noch, wie ich an seine vor Kraft zitternde Brust gepreßt wurde. Besonders fiel mir auf, daß seine Haut für einen Japaner sehr weiß ist, ja sie kam mir gar nicht wie die Haut eines Japaners vor. Und ... ach, wie ich mich schäme ... mein Mann wird nie und nimmer erfahren, daß dies Tagebuch existiert, geschweige denn, es lesen, darum nur wage ich, es zu schreiben ... wenn mein Mann es wenigstens so weit brächte wie ... wenn er wenigstens so stark wäre wie ... warum ist es bei meinem Mann nicht so? Seltsamerweise merkte ich, wie mir diese Gedanken im Traum kamen ... und obgleich es ein Traum war, oder genauer, ein Teil Wirklichkeit und ein Teil Traum ... irgendwo in meinem Bewußtsein gab es keinen Zweifel, daß es mein Mann war, der mir Gewalt angetan hatte, und daß er mir nur wie Kimura erschien. Wie kann ich dann aber die Fülle seiner Kraft verstehen, die mich
durchdrang? Und so anders waren die Berührungen, als ich sie von meinem Mann her kenne. Ist es mir nicht, als spürte ich sie jetzt noch? Wenn ich durch jenen auf so angenehme Weise betrunken werde und noch einmal solche Sinnestäuschung empfinden kann, dann wünsche ich nichts sehnlicher, als daß man mir öfter von diesem Cognac zu trinken gibt. Vor allem aber muß ich meinem Mann dankbar sein, der mir zu einem solchen Rausch verholfen hat. Trotzdem frage ich mich auch wieder, ob die Vision, die ich im Traum erlebte, nicht doch Kimura war. Eigentlich kenne ich Kimura nur in seiner äußeren Erscheinung, in Kleidern. Ich habe ihn nie nackt gesehen. Wie konnte er mir dann im Traum so erscheinen? Jener Kimura existierte also nur in meinem Traum und hat nichts mit dem zu tun, den ich vom Tag her kenne. Ob es mir vergönnt sein wird, ihn einmal zu sehen, nicht nur als Traumerscheinung, sondern wirklich ... nackt...
30. Januar ... Kurz nach Mittag kam ein Anruf von Kimura in mein Büro. «Wie geht es Ihrer Frau Gemahlin?» fragte er. «Als ich heute morgen wegging, schlief sie noch. Es scheint nichts Ernstes gewesen zu sein. Kommen Sie doch ruhig heute abend zu einem Gläschen herüber», antwortete ich. «Nein, nein, auf keinen Fall. Ich war gestern so erschrocken. Sie sollten ein wenig vorsichtiger sein, Herr Professor. Aber jedenfalls komme ich, um der Kranken meine Aufwartung zu machen», lenkte er ein, und nachmittags um vier Uhr stand er tatsächlich vor der Tür. Meine Frau war schon aufgestanden und saß im Wohnzimmer. Kimura war höflich und zurückhaltend. «Ich werde gleich wieder gehen», doch ich hielt ihn zurück und sagte: «Keine Sorge! Wir wollen heute ruhig noch einmal trinken.» Meine Frau war dabei und hörte lächelnd zu, vielleicht auch etwas spöttisch, aber nicht ablehnend, nein, nicht ablehnend. Obwohl Kimura behauptet hatte, gleich gehen zu wollen, machte er keine Anstalten, sich zu erheben. Natürlich wußte er nichts davon, was sich gestern nacht, nachdem er uns verlassen hatte, in unserem Schlaf-
zimmer abspielte - ich habe noch in der Nacht, bevor der Tag graute, die Leuchtröhren in mein Arbeitszimmer zurückgebracht. Er wußte auch nicht, daß er in Ikukos visionärer Welt aufgetaucht war und sie trunken vor Entzücken gemacht hatte; dennoch hatte ich den Eindruck, daß er mit der verborgenen Absicht gekommen war, sie wieder zu berauschen. Warum macht er diesen Eindruck auf mich? Fast ist es, als wüßte Kimura, wonach Ikuko sich heimlich sehnt. Wenn das stimmt, muß es entweder Telepathie sein oder Ikukos Suggestion. Nur Toshiko machte ein Gesicht und ging gleich aus dem Zimmer, als wir drei zu trinken anfingen. ... Auch heute abend stand meine Frau frühzeitig auf, ging hinaus und versteckte sich in der Toilette. Von dort ging sie ins Badezimmer und wurde wieder ohnmächtig. Gewöhnlich baden wir jeden zweiten Tag, aber meine Frau sagte heute zu unserer alten Baya, daß sie für einige Zeit jeden Tag das Bad richten möge. Da Baya nicht bei uns wohnt, füllt sie abends, bevor sie weggeht, das Bad mit Wasser, und jemand aus unserer Familie dreht die Gasheizung auf. Heute besorgte Ikuko es selbst. Alles verlief wie am vorhergehenden Tag. Dr. Kodama kam und gab ihr eine Kampferspritze. Toshiko lief weg, Kimura versorgte sie - genau wie am Abend vorher. Was ich danach tat, war ebenfalls eine Wiederholung der gestrigen Prozedur. Aber das unheimlichste war, daß auch meine Frau die gleichen Worte sprach. Auch heute nacht hörte ich sie leise das Wort «Kimura» flüstern. Hatte sie denselben Traum, dieselbe Vision unter denselben Umständen? ... Oder mußte ich daraus schließen, daß sie mich zum besten hielt? Deutsch von Sachiko Yatsushiro und Gerhard Knauss
Elizabeth McNeill
Neun Wochen und drei Tage Es poltert an der Wohnungstür. Es ist halb sieben Uhr abends, und ich bin selbst erst vor einigen Minuten nach Hause gekommen. Ich spähe, bei vorgelegter Kette, durch den Spalt: da steht er, die Augen verdrehend, in der rechten Armbeuge eine große Tüte mit Lebensmitteln, zwischen Daumen und Zeigefinger der linken Hand den Griff seiner Aktentasche, die restlichen Finger schließen sich um den oberen Teil einer Tragetüte mit der Aufschrift «Bendel's»; die Post steckt, längsgefaltet, zwischen seinen Zähnen. Ein energisches Kopfschütteln - die Zeitung wischt über den Stangensellerie hinweg- sagt mir, daß ich ihm nichts abnehmen soll. Er geht in die Küche und läßt die Lebensmitteltüte mit einem satten Laut auf den Tisch plumpsen, macht eine scharfe Wendung, wirft die Post in den Flur, die Aktentasche durch die offene Tür des Schlafzimmers. Er nickt mir ernst zu und stellt die Tüte von Bendel's aufs ungemachte Bett. Ich lächle und hebe fragend die Brauen. «Nach dem Essen», sagt er. «Du hast die Zeitung bestimmt nicht auf der Straße im Mund gehabt», sage ich. «Nein», sagt er. «Ich habe sie erst in den Mund genommen, bevor ich mit dem Fuß an die Tür getreten habe. Des Effeks wegen.» Er mustert mich streng von oben bis unten. «Jetzt?» frage ich nach dem Salat. «Nein, nein», sagt er. «Wer sind wir denn eigentlich? Ein Verein zur Bekämpfung der Fettsucht? Jetzt gibt's ein Omelett.» - «Seine Majestät weiß nicht, was er kochen soll, schon wieder nicht.» Er nickt grimmig: «Und dir wird's schmecken.» Nach dem Omelett - seine Omeletts sind köstlich: mit knusprigem
Gemüse gefüllt, obendrauf geschmolzener Käse und mit ganzen, in Butter gedämpften Champignons umlegt- räuspere ich mich. «Jetzt?» - «Also wirklich», sagt er, «als ob du noch nie bei mir gegessen hättest. Bringe ich nicht auch meistens irgendeinen Nachtisch auf den Tisch? Es gibt Baklawa.» - «Baklawa», stöhne ich, «nach Eiern. Was für eine entsetzliche Zusammenstellung. Ich platze.» - «Wie du willst», sagt er. «Mir ist schon das Wasser im Mund zusammengelaufen, als mich das Zeug aus einem klebrigen Laden in der Bleeker Street angegrinst hat. Du kannst mir beim Essen zusehen.» Nachdem ich die letzten Honigtropfen von seinen Fingern gelutscht habe, schmatze ich genießerisch. «Widerlich», sagt er. «Du siehst aus, als ob du noch einmal baden solltest. Du hast von dem Zeug was am Hals, sogar deine Brauen sind verklebt.» Er kommt mit einem triefendnassen Waschlappen und bearbeitet mein Gesicht damit. «Schon gut», sage ich großspurig, «das genügt. Darf ich bitte sehen, was in der Tüte von Bendel's ist?» - «Die zweite Tüte hast du überhaupt noch nicht entdeckt», sagt er schadenfroh. «Ich hab sie zwischen den Lebensmitteln versteckt, sie hat die Tomaten zerquetscht. Außerdem hab ich meinen Kaffee noch nicht getrunken, ohne Koffein schlaf ich am Ende noch ein, es war ein langer Tag.» Es dauert eine weitere Viertelstunde, bis wir es uns im Wohnzimmer bequem gemacht haben. Ich sitze auf einem Kissen, auf dem Boden vor der Couch, meine Hände sind mit Handschellen an den Couchtisch gefesselt. Ich warte auf ihn, während er die Kaffeemaschine in Gang bringt und mein Teewasser aufsetzt, das Geschirr spült und das Tablett ins Wohnzimmer trägt. Er führt mir demonstrativ vor, wie entspannt und zufrieden er ist: er steckt eine Zigarette für mich an, legt die Füße auf den Tisch, unterdrückt ein Gähnen, greift nach der Post. Ich brülle: «Was ist in der Tüte von Bendel's?» Er legt den Zeigefinger an die Lippen und runzelt die Stirn. «Schsch! Schsch! Wie kann man nur so unbeherrscht sein? Die Miete ist hier schließlich so hoch, damit Schreihälse ferngehalten werden. Die alte Dame, Mrs. Chrysler, wird in einer Minute an der Tür sein, hab ich dir von ihr erzählt? Hier auf meinem Flur, 15 D. Muß jede Woche eine neue Vergewaltigungsgeschichte hören, dazu ein paar Überfälle, sonst kriegt sie Zustände. Sie hat bereits neun Tage auf saftige Neuigkeiten verzichten müssen ...» - «Sich über die körperlichen Funktionen älte-
rer Frauen lustig zu machen», sage ich, «viel tiefer kann ein Mensch nicht sinken. Als nächstes werde ich den Tisch unter dir wegtreten. Dabei wirst du dir die Wirbelsäule verrenken und lange Zeit Kreuzschmerzen haben.» Er seufzt theatralisch, nimmt mit einem Schwung die Füße vom Tisch, verschwindet und ist mit drei Sprüngen wieder zurück, in jeder Hand ein Päckchen, die Arme triumphierend in die Höhe gestreckt. Er wirft die Päckchen durchs Zimmer, kniet neben mir nieder und löst die Handschellen. Automatisch massiert er meine Handgelenke, eine reflexartige Handlung, die ihm zur zweiten Natur geworden ist und die nichts mit dem Zustand meiner Gelenke zu tun hat, die, heute, wie meistens, nicht einmal einen geröteten Streifen aufweisen, wo das Metall sie umschlossen hat. Ich habe es gelernt, mich mit Handschellen wohl zu fühlen und darin unversehrt zu bleiben. «Okay», sagte er, «ich setz mich hin, und du gehst da rüber, siehst nach, was darin ist, und ziehst es an.» - «Fifteen B, Living Theater», brumme ich, und er nickt. «Ganz recht. Auf besonderen Wunsch des Publikums.» Ich öffne zuerst die Tüte von Bendel's. Sie enthält, luxuriös in sechs Lagen Seidenpapier gehüllt, einen schwarzen Strumpfgürtel und ein Paar blaßgraue Strümpfe. Mit Längsnaht. Lachlust steigt unwiderstehlich in meiner Kehle hoch. Ich platze heraus, lache und lache, halte das Spitzengebilde hoch - es sieht fast skelettartig aus, wie eine Fledermaus. Ich lege es mir auf den Kopf. Eines der baumelnden Strumpfbänder schnappe ich mir mit den Zähnen, schiele das zweite an, das vor meiner Nase baumelt, das dritte kitzelt mein Ohr. «Afro-Zöpfchen!» brüllt er. «Du hast noch nie so exotisch ausgesehen ...» Er schreit, er kreischt, er heult vor Lachen. Beide haben wir - den großen Raum zwischen uns - die Art von Anfall, dem man als Kind manchmal in der Schulpause erliegt, ganz plötzlich, oder in dem vorgeschrittenen, spezifischen, nur kurz anhaltenden Stadium der Betrunkenheit, in dem es nicht möglich ist, einem Außenstehenden zu erklären, warum man lacht; in dem es ebenso unmöglich ist, es sich selbst zu erklären, abgesehen davon, daß man das gar nicht versucht, weil es unmöglich ist, aufzuhören, obwohl man schon längst Seitenstechen hat. «Was um alles in der Welt...» Er reibt sich das Gesicht und schlägt mit der Faust in das Kissen neben ihm. Als er mir schließlich antwortet, habe ich mich beruhigt. Ich habe mir das Ding vom Kopf gezogen, es
liegt jetzt in meinem Schoß. «Weißt du», sagt er, immer noch lächelnd, «es ist eine alte Phantasie, die ich jetzt, ziemlich spät, endlich verwirklichen kann. Aus der Pubertät. Ich war vielleicht elf, also noch nicht einmal ... egal. Diese Dinge haben mich dauernd beschäftigt - mit elf, mit fünfzehn, mit zweiundzwanzig, mit zweiunddreißig. Ein schwarzer Strumpfgürtel, nicht in einem Magazin, nicht im Film, sondern an einer wirklichen Frau. Und Strümpfe mit Nähten. Und nicht eine, mit der ich geschlafen habe, trug einen, keine einzige, so wahr mir Gott helfe. Also siehst du ... ich hab die Sache selbst in die Hand nehmen müssen.» Er lächelt sein Faunslächeln und blinzelt mir zu. «Ich will endlich wissen, wie es aussieht, im wirklichen Leben.» Ich hätte noch nie einen Strumpfgürtel getragen, sage ich ihm, obwohl ich im Laufe der Jahre immer wieder vorgehabt hätte, mir einen zu kaufen. Nur kann ich mich nicht erinnern, je an Schwarz gedacht zu haben, das wäre ... Rosa vielleicht, oder Weiß; beide lachen wir wieder. Er beschreibt die würdige Verkäuferin, die ihn bedient hat, eine Frau im Alter unserer Mütter: Voluminöser Busen, untadelige Erscheinung, glänzende Lippen, kühl-desinteressiert. Sie hatte ihm eine verwirrende Auswahl vorgelegt und auf besondere Vorzüge hingewiesen: verstellbare Strumpfbänder beim einen, bessere Paßform durch eine elastische Einlage im Rücken beim andern, dieser da mit raffinierten Abnähern, kleine, die Schnallen verzierende Rosetten aus andersartigem Material in kontrastierender Farbe beim vierten, selbstverständlich alle pflegeleicht. «Sie haben sich für eines der beiden meistverkauften Modelle entschieden, Sir», hatte sie gesagt. Er hätte sie fragen wollen, welches das andere sei, hätte jedoch Abstand davon genommen, als sie sagte: «Darf es sonst noch was sein?», in einem Ton, der ihm fast giftig vorgekommen sei. «Jetzt mach den anderen Karton auf», sagte er heiter und schiebt den niedrigen Tisch ein Stück von sich. Er sitzt mit gespreizten Beinen auf der Couch, die auswärts gestellten nackten Füße fest auf dem Teppich, die Ellbogen auf den Knien, das Kinn in die Handflächen gestützt, und reibt sich mit beiden Ringfingern die äußeren Augenwinkel. Sein Haar, nun trocken nach der Dusche vor dem Essen, liegt weich und locker über seiner Stirn. Ein teures weißes Baumwollhemd, vorne offen, am Kragen stark ausgefranst, die Haare auf der Brust lockig, tiefer unten weniger lockig, dort, wo sie in alten, ausgebeulten Tennisshorts verschwinden. «Du weißt gar nicht, wie du im Augenblick aussiehst», sage
ich. «Ein glücklicher Robinson auf seiner Insel, der nie wieder einen Anzug tragen wird, ich liebe dich wahnsinnig.» Er kneift die Augen zusammen und nagt an seiner Unterlippe, versucht, ein Grinsen zu verbergen - verlegen und glücklich und mich so rührend, daß es mir vor den Augen verschwimmt. Er lehnt sich zurück, den Kopf weit nach hinten auf den Couchkissen, seine gewölbte Kehle schimmert bis zu mir herüber. Er fährt sich mit beiden Händen durchs Haar und sagt zur Decke hinauf - ruhig, beiläufig -: «So muß alles weitergehen. Wir brauchen nichts anderes zu tun, als dafür zu sorgen, daß es so weitergeht.» Dann setzt er sich auf, beugt sich vor, schwenkt den einen Arm mit ausgestrecktem Zeigefinger in meine Richtung und sagt mit dröhnender Stimme: «Mach die andere Schachtel auf, verdammt noch mal, den ganzen Abend hast du gejammert, und jetzt trödelst du!» «All right», sage ich, «yes, Sir!» In der Tüte ist ein Schuhkarton von Charles Jourdan, ein Geschäft, wo ich mir nur die Auslagen ansehe, in der weisen Erkenntnis, daß schon meine Bloomingdale-Kreditkarte manchmal eine zu große Versuchung für mich ist. Ich entferne den cremefarbenen, glänzenden Deckel. In noch mehr Seidenpapier gehüllt liegt da ein Paar eleganter hellgrauer Wildlederpumps, mit so hohen Absätzen, daß ich entsetzt bin. «In denen kannst du gehen», sage ich heftig. «Mein Gott, ich hab nicht gewußt, daß es solche Absätze überhaupt gibt.» Er schlendert auf mich zu und hockt sich, dümmlich grinsend, neben mich. «Jaa, ich sehe schon, was du meinst.» - «Du siehst, was ich meine», wiederhole ich. «Das ist auch gar nicht zu übersehen. Ja, bist du denn überhaupt sicher, daß das Schuhe sind?» - «Klar sind das Schuhe», sagt er. «Sie gefallen dir wohl nicht. Gar nicht? Ich meine, abgesehen von den Absätzen?»-«Doch», sage ich, einen Schuh in jeder Hand, das Leder ist so weich wie Samt. «Wie könnten die einem nicht gefallen, sie sind sensationell. Aber es ist natürlich schwierig, so ausgefallene Einzelheiten wie diese Absätze zu übersehen, sie haben wahrscheinlich auch ein Vermögen gekostet...» Plötzlich unsicher und verlegen, zuckt er die Achseln. «Sieh mal», sagt er, «sie sind ja nicht dazu da, daß man sie trägt, auf der Straße, meine ich.» Er deutet auf die Tüte von Bendel's. «Die sind ja nur für uns. Für mich eigentlich. Für uns beide. Ich hätte gern, daß du ... ich meine ... aber wenn du sie wirklich nicht leiden kannst ...» Plötzlich ist er zehn Jahre jünger als ich, ein sehr junger Mann, der mich zu einem Drink einlädt und erwartet, einen Korb zu bekommen. Ich
habe ihn so bis jetzt noch nicht gesehen. «Liebling», sage ich • hnell und vom Gefühl überwältigt, «sie sind wunderschön, fühl docn mal, das Leder, natürlich werd ich sie tragen ...» - «Das freut mich wirklich», sagt er, noch immer eine Spur dümmlich. «Ich hab gehofft... daß sie dir vielleicht mit der Zeit gefallen.» Und dann wieder lebhaft und selbstsicher: «Zieh das Zeug an.» Also tue ich es. Wie immer bis heute - und heute abend zum letztenmal - habe ich nur ein Hemd an, also dauert es nicht lange, obwohl es weitaus schwieriger ist, die Strumpfnähte gerade zu kriegen, als ich gedacht hätte. Die Schuhe passen genau. «Ich hab deine schwarzen mitgenommen», sagt er. «Und ich habe keine Ruhe gegeben, bis sie eine Verkäuferin mit deiner Schuhnummer aufgetrieben haben, und sie hat neun Paare anprobiert, bevor ich mich zu denen hier entschlossen hab. Gott sei Dank hast du eine Durchschnittsgröße.» Die Absätze machen mich so viel größer, daß wir nun fast gleich groß sind. Er umarmt mich flüchtig, seine Hände gleiten an meinen Flanken aufwärts zu meinen Brüsten, die Handflächen kreisen um meine Brustwarzen. Sein Gesicht ist ohne jeden Ausdruck. Die Pupillen, auf die die meinen gerichtet sind, reflektieren zwei Miniaturgesichter. Seine Hände gleiten, über meine Zwerchfellgegend hinweg, zum Strumpfgürtel. Seine Fingerspitzen folgen dessen Konturen rund um meine Taille, dann, nacheinander, denen der vier Strumpfbänder, hinunter bis zum Strumpfansatz. Es ist fast dunkel. Er schaltet die Stehlampe hinter uns ein, sagt: «Bleib da», geht zur Couch zurück und setzt sich. «Jetzt», sagt er mit belegter Stimme, «komm her. Laß dir Zeit.» Ich gehe langsam über den Teppich, mit kleinen Schritten, vorsichtig, die Haltung meines Körpers ist mir fremd. Meine Arme hängen linkisch herunter. Es braust in meinen Ohren. Ich höre mich laut atmen. «Jetzt dreh dich um», sagt er, als mich nur noch wenige Schritte von ihm trennen. Ich kann ihn kaum hören. «Und heb das Hemd hoch.» Ich drehe mich um und stehe sehr gerade, die Hemdzipfel unter die Ellbogen geklemmt. «Bist du enttäuscht?» frage ich, mit unnatürlich hoher, gepreßter Stimme. «Bist du verrückt, du siehst großartig aus», flüstert er hinter mir, «großartig, Liebling.» Meine Augen schließen sich. Etwas braust in meinen Ohren, jeder Quadratzentimeter meiner Haut brennt darauf, berührt zu werden. Im Versuch, meine Ohren frei zu bekommen, schüttele ich den Kopf, Haare geraten in meinen Mund, bitte, denke ich, bitte.
«Knie dich hin, auf alle viere», sagt er. «Und zieh das Hemd hoch. Zieh's hoch, ich will deinen Hintern sehen.» Ich betrachte den dichtgewebten Teppich in sattem Grau, nun wenige Zentimeter vor meinem Gesicht. «Kriech herum», sagt er sehr leise. «Kriech zur Tür hinüber. Kriech herum.» Ich bewege meinen rechten Arm vorwärts, mein rechtes Knie, meinen linken Arm. Ich denke: Sind es Elefanten, die es anders machen? Mein linkes Knie. Ich schwebe in Stille, die von einer gedämpften Unterhaltung, draußen im Flur, unterbrochen wird. Eine Tür wird zugeschlagen. Der Cellist unter uns beginnt zu üben, und ich konzentriere mich angestrengt auf die für ihn charakteristische Vehemenz, mit der er sich in seine Arbeit stürzt. Ich habe immer angenommen, daß Musiker erst allmählich warm werden, wie Langstreckenläufer. Dieser fängt mit Verve und großem Ton an und läßt dann während seines DreiStunden-Pensums schrittweise nach. Er ist glatzköpfig und griesgrämig. Ich habe ihn im Fahrstuhl gesehen. «Ich kann nicht», sage ich. Der Klang meiner Stimme scheint meinen Körper zusammenfallen zu lassen. Eine Sekunde lang berührt mein Gesicht den Teppich, der, stehend betrachtet, weich wie Samt aussieht, sich aber als weniger weich erweist, sobald die Haut mit ihm in Berührung kommt. Ich setze mich auf. Die Höhe dieser Absätze hindert mich daran, so zu sitzen, wie ich es plötzlich gern möchte: die Knie bis zum Kinn hochgezogen und die Arme um mich geschlungen. «Was ist los?» sagt er, wie unbeteiligt. «Ich komm mir dumm vor», sage ich. «Ich komm mir lächerlich vor.» Die eine Lampe am anderen Ende des Raums gibt nicht genug Licht, ich kann seinen Gesichtsausdruck nicht sehen. Er kreuzt die Arme hinter dem Kopf und lehnt sich in die Kissen zurück. Ich stehe auf, etwas unsicher auf den Beinen, sage: «Dieser Teppich kratzt» - leise, aber so, als gäbe ich eine wichtige Mitteilung weiter-, und setze mich in den mir zunächst stehenden Sessel. Ich kreuze die Arme über dem Hemd, das ich um mich geschlungen habe. Ein Ärmel ist heruntergerutscht, ich ziehe die Manschette über meine Finger und balle, unter dem Stoff, die Hand zur Faust. «Es ist nicht das erste Mal», sagt er, ohne mich anzusehen. «Ich hasse es zu packen. Auspacken hasse ich noch mehr. Ich hab eine Woche dazu gebraucht, deinen Koffer auszupacken, das letzte Mal.» Aus dem Cello unter uns bricht es hervor, als würde es von einem Wahnsinnigen bearbeitet. «Was ich nicht verstehe ist, warum dir die Vorstellung, geschlagen zu
werden, nicht im Gehirn bleibt, warum du tatsächlich geschlagen werden mußt. Bevor du mir sagst, nein, das will ich nicht tun - warum du mich nicht im Geiste schon meinen Gürtel abnehmen siehst. Warum du von einem Abend zum andern vergißt, wie das ist, wenn er auf dich niederschlägt. Jedesmal haben wir dieses Scheißpalaver, und schließlich tust du doch, was ich dir sage.» «Nein», sage ich, zunächst unhörbar. «Nein», sage ich, «bitte ...» Er beugt sich vor und wischt sich mit einer heftigen Bewegung das Haar aus der Stirn. «Ich komm mir vor wie ein Hund», sage ich, «so rumzukriechen ... Ich hab Angst, daß du dich über mich lustig machst.» «Du sollst dir auch dumm vorkommen», sagt er. «Was du für einen Scheiß daherredest. Wenn ich mich je über dich lustig mache, sag ich dir's schon.» Ich schüttle den Kopf, stumm. Stirnrunzelnd und mich fixierend, kommt er auf mich zu und geht an mir vorbei. Ich sitze stocksteif auf dem Rand des Sessels, mit zusammengepreßten Knien, die Unterarme gegen meine Bauchmuskeln gepreßt. Seine Hände sind auf meinen Schultern. Ich werde nach hinten gezogen, bis meine Schulterblätter das Rückenpolster berühren. Dann seine Hand in meinem Haar, sie massiert meine Kopfhaut, schließt sich zur Faust, zieht meinen Kopf langsam nach hinten, bis mein Gesicht waagrecht liegt, mein Scheitel an seinem Schwanz. Er reibt mit seinen Handballen über meine untere Gesichtshälfte. Mein Mund öffnet sich bald. Als ich rhythmisch stöhne, verläßt er das Zimmer und kommt mit der Reitpeitsche zurück. Er legt sie auf den Couchtisch. «Sieh's dir an», sagt er. «Sieh mich an. In drei Minuten kann ich dich so zurichten, daß du eine Woche im Bett bist.» Aber ich höre ihn fast nicht. Der auf endoskopische Maße verengte fibröse Kanal, den ich statt einer Luftröhre im Hals habe, erlaubt mir nur ganz kleine Atemzüge. «Kriech!» sagt er. Ich bin wieder auf allen vieren. Ich presse mein Gesicht an meine rechte Schulter und spüre, wie das Zittern meines Kinns sich, statt nachzulassen, auf meinen Körper überträgt, Zentimeter für Zentimeter, bis auch meine Arme und Beine zittern, hinunter bis zu den Zehen. Ich höre das Ende des lederbezogenen Peitschengriffs über die Tischplatte scharren. Ein weißglühender Schmerz springt sengend über die Rückseite meiner Schenkel. Meine Augen sind voller Tränen, plötzlich, wie durch Zauberschlag. Wie aus einer bedrohlichen Erstarrung befreit, krieche ich vom Sessel zur Schlafzimmertür und,
locker und leicht, bis zur Stehlampe in der entfernten Ecke; eine laut schnurrende Katze windet sich S-förmig um meine Arme. Beide Strümpfe reißen an den Knien, und ich spüre, wie sich an meinen beiden Schenkeln eine Laufmasche ruckweise hocharbeitet. Als ich fast die Couch erreicht habe, packt er mich, drückt mich flach auf den Boden, dreht mich auf den Rücken. Es ist das einzige Mal mit ihm und das erste Mal überhaupt, daß ich gleichzeitig mit einem Liebhaber komme. Dann leckt er mein Gesicht ab. Jede einzelne Stelle ist zunächst warm und - sobald seine Zunge sich weiterbewegt - plötzlich kalt, Schweiß und Speichel verdunsten in der klimatisierten Luft. Als er innehält, öffne ich die Augen. «Aber du schlägst mich trotzdem», flüstere ich, «auch, wenn ich tue, was du ...» - «Ja», sagt er. «Weil du mich gern schlägst», flüstere ich. «Ja», sagt er, «ich sehe gern zu, wie du zusammenzuckst, und ich halt dich gern fest, und ich hör dich gerne betteln. Ich liebe die Laute, wenn du nicht mehr still sein kannst, wenn du dich nicht mehr beherrschen kannst. Ich liebe es, einen blauen Flecken an dir zu sehen und zu wissen, woher er stammt, Striemen auf deinem Arsch.» Mich fröstelt. Er greift hinter sich und zerrt die alte Decke hervor und herunter, die, zusammengefaltet unter einem Kissen, immer in einer Ecke der Couch liegt. Er schüttelt sie auseinander, deckt mich zu und sagt, während er die seidene Einfassung unter meinem Kinn festdrückt: «Und auch, weil du das willst.»«Ich will's auch», flüstere ich. «Nur dann nicht ... nie während ...» — «Ich weiß», sagt er, nah an meinem Ohr, die Hände sanft auf meinem Kopf, tief in meinem Haar vergraben. Deutsch von Kai Molvig
Pauline Reage
Rückkehr nach Roissy Erst nach Mitternacht wurde O am Abend ihres ersten Tages in ihr Zimmer geführt und dort angekettet. Am Nachmittag war sie in der Bibliothek geblieben, angetan mit ihrem schönen Kleid in Gelb und Grau, mit Taft in demselben Gelb gefüttert, das sie in beide Arme nahm, um es hochzuheben, als man ihr sagte, sie solle sich schürzen; Noelle, die das gleiche Kleid in Rot trug, war bei ihr, und zwei andere blonde Mädchen, deren Namen Noelle ihr erst sagte, als sie abends allein waren: das Schweigegebot in Gegenwart eines Mannes, was immer er auch war, Gebieter oder Diener, galt unbedingt. Es war genau drei Uhr, als die vier Mädchen den leeren Raum betraten, dessen Fenster weit offenstanden. Es war mild, die Sonne schien auf die Mauer, die rechtwinkelig zum Hauptgebäude verlief, der Widerschein erhellte mit einem indirekten Licht eine der mit Efeu bewachsenen Wände. O hatte sich getäuscht; der Raum war nicht leer: ein Diener hielt Wache an einer Tür. O wußte, daß sie ihn nicht ansehen durfte, aber sie konnte es sich nicht verkneifen, hütete sich allerdings, die Augen höher als bis zu seinem Gürtel zu heben, und wurde wieder von der Panik und der Faszination gepackt, die sie ein Jahr zuvor empfunden hatte: nein, sie hatte nichts vergessen, und dennoch war es schlimmer als in ihrer Erinnerung, dieses Geschlecht, so frei in einem Beutel und so sichtbar zwischen den Beinen der schwarzen Strumpfhose, wie man es in den Archiven auf Bildern aus dem 16. Jahrhundert sieht - und die Riemen der Peitsche, die er im Gürtel stecken hatte. Am Fuß der Sessel standen Schemel, O saß auf einem davon nach dem Beispiel der drei anderen
Mädchen, ihr Kleid ausgebreitet um sich herum. Und so, von unten, sah sie, genau vor sich, den reglosen Mann. Das Schweigen war so bedrückend, daß O nicht einmal wagte, ihr Kleid zu bewegen: die Seide knisterte so laut. Sie stieß einen Schrei aus, als sie plötzlich ein Geräusch hörte: ein brünetter, stämmiger junger Mann im Reitanzug, einen Reitstock in der Hand, kleine vergoldete Sporen an den Stiefeln, war hereingekommen, indem er einfach über die Fensterbank gestiegen war. «Ein hübsches Bild», sagte er, «ihr seid sehr brav, habt ihr keine Liebhaber? Seit einer Viertelstunde beobachte ich euch schon durch das Fenster. Aber die Schöne in Gelb», fügte er hinzu und strich mit dem Ende seines Reitstocks über Os Brüste, die erschauerte, «du bist nicht so brav.» O stand auf. In diesem Augenblick kam Monique herein, das Kleid aus mauve Satin bis über den Schoß geschürzt, wo ein Dreieck aus schwarzem Vlies den Ausgangspunkt der langen Schenkel anzeigte, die O nur von hinten gesehen hatte. Ihr folgten zwei Männer. O erkannte den ersten wieder: es war derjenige, der ihr im vergangenen Jahr die Regeln von Roissy dargelegt hatte. Er erkannte sie auch und lächelte ihr zu. «Sie kennen sie?» fragte der junge Mann. «Ja», antwortete der andere, «sie heißt O. Sie ist für Sir Stephen gezeichnet, der sie von Rene R. übernommen hat. Im vorigen Jahr ist sie ein paar Wochen hiergeblieben, Sie waren damals nicht da. Wenn Sie sie wollen, Franck ...» «Na, ich weiß nicht», sagte Franck. «Aber Sie wissen nicht, was Ihre O gemacht hat in der Viertelstunde, in der ich sie beobachtet habe und sie mich nicht sah. Ununterbrochen hat sie Jose angeschaut, aber nicht höher als bis zum Gürtel.» Die drei Männer lachten. Franck packte O an der Brustspitze und zog sie zu sich. «Antworte, du kleine Nutte, worauf hast du Lust? Auf die Peitsche von Jose oder seinen Schwanz?» Puterrot vor brennender Scham verlor O jeden Maßstab für das, was erlaubt und was verboten war, fuhr zurück, riß sich von den Händen des jungen Mannes los und schrie: «Lassen Sie mich, lassen Sie mich!» Er fing sie wieder ein, als sie gegen einen Sessel getaumelt war, und brachte sie zurück. «Du darfst nicht weglaufen», sagte er, «die Peitsche wird dir Jose sofort verabfolgen.» Ah, nicht stöhnen, nicht flehen, nicht um Gnade und Verzeihung bitten! Aber sie stöhnte und weinte und bat um Gnade, wand sich, um den Schlägen auszuweichen, versuchte, Francks Hände zu küssen, der sie hielt, während der Diener sie peitschte. Eines der blonden Mädchen und Noelle hoben sie auf und ließen ihr den Rock wieder herunter. «Jetzt werde ich sie mitnehmen»,
sagte Franck, «meine Meinung werde ich Ihnen dann gleich sagen.» Aber als sie ihm in sein Zimmer gefolgt war und nackt in seinem Bett lag, sah er sie lange an, und ehe er sich neben sie legte, sagte er: «Verzeih, O, aber hat dich dein Geliebter auch peitschen lassen?» - «Ja», sagte O, dann zögerte sie. «Ja, sprich», sagte er. «Er beleidigt mich nicht», sagte O. «Bist du sicher?» fragte Franck. «Hat er dich niemals Nutte genannt?» O schüttelte den Kopf, um nein zu sagen, und im selben Augenblick wußte sie, daß sie log: Sir Stephen hatte sie sehr wohl als Nutte bezeichnet, als er in dem Separee bei La Perouse von ihr sprach und sie den beiden Engländern auslieferte und verlangte, daß sie während des Essens ihre mißhandelten Brüste entblößte. Sie schaute auf und sah Francks Augen auf sich gerichtet, dunkelblau, sanft, fast mitleidig; er hatte verstanden, daß sie log. Sie murmelte und antwortete damit auf das, was er nicht gesagt hatte: «Wenn er es tut, dann hat er recht.» Er küßte sie auf den Mund. «Liebst du ihn so sehr?» fragte er. «Ja», antwortete O. Darauf sagte Franck nichts mehr. Er liebkoste sie lange mit den Lippen in der Tiefe ihres Schoßes, bis sie keuchte und ihr der Atem stockte. Nachdem er dann in sie eingedrungen war, vertauschte er den Schoß mit den Lenden und rief sie leise: «O.» O spürte, wie sie sich zusammenzog um diesen Pfahl aus Fleisch, der sie ausfüllte und verbrannte. Er ergoß sich in sie und schlief dann plötzlich ein, sie an sich drückend, die Hände auf ihren Brüsten, seine Knie in ihre Kniekehlen gepreßt. Es war kühl. O zog das Laken und die Decke hoch und schlief auch ein. Der Tag ging zur Neige, als sie aufwachten. Seit wieviel Monaten war dies das erste Mal, daß O so lange in den Armen eines Mannes geschlafen hatte? Alle, und vor allem Sir Stephen, gingen mit ihr ins Bett, dann ließen sie sie allein oder schickten sie weg. Und dieser hier, der sie eben erst so brutal behandelt hatte und jetzt neben ihren Knien saß, fragte sie scherzend, wie Hamlet Ophelia (Ophelia wegen O), ob er sich in ihren Schoß betten könne. Den Kopf an ihren Leib gelegt, betrachtete er ihre Eisen, die ihm über die Schulter fielen, von allen Seiten. Er knipste die Nachttischlampe an, um sie besser sehen zu könne, las laut den Namen von Sir Stephen, der auf der Scheibe stand, und als er den Reitstock und die Peitsche bemerkte, die kreuzweise über dem Namen eingraviert waren, fragte er O, was Sir Stephen am liebsten verwende, den Stock oder die Peitsche. O antwortete nicht. «Antworte, Kleines», sagte er zärtlich. «Ich weiß es nicht», sagte O, «beide. Aber bei Norah war es immer die Peitsche.» - «Wer ist No-
rah?» Seine Stimme klang so ungezwungen, so vertraulich, er erweckte so sehr den Eindruck, daß es selbstverständlich sei, ihm zu antworten, daß es genau so sei, als ob man sich selbst antworte, als ob man laut mit sich selbst rede, daß O antwortete, ohne darüber nachzudenken. «Seine Dienerin», sagte sie. «Also war es richtig, daß ich dich durch Jose peitschen ließ.» - «Ja», sagte O dann. «Und von dir», fragte der junge Mann, «was hat er da am liebsten?» Er wartete, O antwortete nicht. «Ich weiß es», sagte er. «Liebkose mich auch mit dem Mund, O, ich bitte dich darum.» Und er rutschte hinauf, bis er über ihr war, und sie liebkoste ihn. Dann nahm er sie mit beiden Händen um die Taille, um ihr beim Aufstehen zu helfen, sagte «Fein, fein, fein», küßte ihre Brüste und schnürte ihr das Korsett. O ließ es geschehen, ohne ihm auch nur zu danken, betroffen von der Freundlichkeit, besänftigt: er hatte von Sir Stephen gesprochen. Als er ihr schließlich sagte, ehe er nach dem Diener klingelte, um sie zurückzubringen, nachdem sie ihr Kleid wieder angezogen hatte: «Ich werde dich morgen wieder kommen lassen, O, aber ich werde dich selbst schlagen», da lächelte sie, weil er hinzufügte: «Ich werde dich schlagen wie er.» Abends erfuhr O von Noelle, daß die Diener zwar die Mädchen in den Gemeinschaftsräumen nicht anrühren durften, mit Ausnahme des Refektoriums, wo sie zu befehlen hatten, daß die Mädchen aber überall dort (doch nur dort) ihrer Willkür preisgegeben waren, wohin ihr Dienst sie rief: in ihrem Zimmer, wenn sie dort allein waren, in den Umkleideräumen, notfalls auf den Korridoren oder in den Vestibülen. Der Zufall wollte es, daß es Jose war, der auf Francks Klingelzeichen hin kam. Er war jung, groß und kräftig; das von Natur aus arrogante Wesen der Spanier paßte zu seinem maurischen Gesicht. O wurde wieder von einer entsetzlichen Scham gepackt, als sie ihm auf klappernden Pantöffelchen den großen Korridor entlang folgte; nicht, weil er sie gepeitscht hatte, sondern weil sie sicher war, daß er glaubte, was Franck gesagt hatte, und er nicht daran zweifelte, daß sie ihn begehrte. Sie konnte den Gedanken an das, was ihr eines Tages ein Kolonialoffizier von maurischen Soldaten erzählt, nicht vertreiben: wenn sie können, dann tun sie den ganzen Tag nichts als Frauen beschlafen. Jose hatte noch nicht zehn Schritte getan, als er sich tatsächlich umdrehte, und bei der ersten besten Bank, die er an die Wand schob, damit sie bequemer sei, O packte und auf den Rücken legte. Er besaß sie in aller Muße, und O, wütend über sich selbst, aber aufgewühlt wie von einer Eisenstange,
konnte ihrem Stöhnen nicht Einhalt gebieten. «Du bist zufrieden», sagte er, «das gefällt dir wohl?» Seine weißen Zähne blitzten in dem dunklen Gesicht. O schloß die Augen, um sein Lächeln nicht zu sehen. Aber er beugte sich über sie und nahm ihre Zunge. Warum zitterte O bei dem Gedanken, daß Francks Tür sich öffnen könnte? Im Umkleideraum im Erdgeschoß, wohin Jose sie dann brachte, fand O Noelle, die ihren Rock hochhielt, während ein Mädchen in Uniform, aber ohne Fichu, sie duschte. O hockte sich wie sie auf den türkischen Sitz neben dem ihren. Als das Wasser ganz aus ihr herausgeflossen war, wurde sie von demselben Mädchen eingeseift, dann mit dem Wasserstrahl abgespült, der durch einen Fingerdruck auf eine Feder aus einem metallenen Spiralschlauch sprudelte; der Schlauch endete in einer dünnen Kanüle aus Hartgummi. Der Strahl war sanft, das Wasser aber sehr kalt, noch kälter, schien es ihr, als sie spürte, wie es sich in die Tiefe ihrer Lenden, dann ihres Schoßes ergoß. Mußte sie denn so lange duschen, erst die Lenden und dann das Innere der Schenkel und die Spalte ihres Schoßes? Bei ihrem ersten Aufenthalt in Roissy hatte sie nicht einmal von der Existenz der Umkleideräume gewußt. Außerdem war sie nie in anderen Zimmern außer ihrem eigenen gewesen. «Ach, O, jedesmal, wenn man hinaufgeht», sagte ihr Noelle, als sie sie fragen konnte, «wird man geduscht, und wenn man wieder herunterkommt.» - «Aber warum so lange und so kalt?» - «Ich mag das gern», sagte Noelle. «Man ist ganz frisch hinterher und wieder schön eng.» Das Mädchen, das die Aufsicht hatte, trug ihnen beiden dann Parfum und Rouge auf. Sie schminkten sich und bürsteten sich die Haare. Das Parfum erwärmte O ein bißchen. Noelle nahm sie an der Hand. Sie besaß die Schönheit der Irinnen oder der Frauen La Rochelles mit sehr schwarzen Haaren, weißer Haut und blauen Augen. Sie war nicht größer als O, aber ihre Schultern waren schmal, und ihr Kopf ganz klein, ihre Brüste klein und spitz, ihre Hüften breit und rund. Ihre Stupsnase und die schwellenden Lippen, die immer halb geöffnet waren, verliehen ihr einen heiteren Ausdruck. Aber sie war wirklich fröhlich; wenn sie irgendwo eintrat, hätte man immer gedacht, daß sie zu einem Fest käme. Ihre Munterkeit hatte etwas Entwaffnendes. Sie bot sich mit einem so zauberhaften Lächeln an, sie hob mit solcher Beflissenheit ihre Röcke, um ihr schönes weißes Hinterteil zu entblößen, daß sie selten ernstlich geschlagen wurde: «Nur so viel, wie nötig ist», sagte sie zu O, «aber mir steht es nicht, gezeichnet zu werden.» Als sie wieder in den Salon
kamen, wo die Lampen angezündet waren, konnte O sowohl Noelles Grazie als auch den Erfolg bewundern, den diese Grazie erzielte. Die drei Männer, die auf den Ledersesseln saßen - zwei mit zwei blonden Mädchen zu ihren Füßen, und beim dritten Monique, die die Männer gar nicht beachteten (eines der Mädchen war die Madeleine vom vergangenen Jahr) -, schauten sich um und erkannten Noelle. Einer der beiden rief sie sofort zu sich und sagte: «Komm und gib mir deine hübschen Brüste.» Sie beugte sich über den Sessel, die Hände auf den Lehnen, die Brüste genau in Höhe des Mundes des Mannes, ohne die geringste Hemmung, offenbar glücklich, ihm zu gefallen. Es war ein Mann in den Vierzigern, kahlköpfig, Sanguiniker, O sah seinen roten Nacken, der zwei Wülste über dem Kragen seines Jacketts bildete, und dachte an den falschen Deutschen, dem Sir Stephen sie erst am vorigen Abend ausgeliefert hatte; er sah ihm ähnlich. Der Mann, der bei Monique gesessen hatte, ging hinter Noelle vorbei und fuhr mit der Hand über die Lenden. «Sie erlauben, Pierre?» sagte er zu dem ersten. «Noelle müßte man um Erlaubnis bitten», antwortete er und fügte hinzu: «Aber es ist nicht der Mühe wert, nicht wahr, Noelle?» - «Nein», sagte Noelle. O betrachtete sie: sie war hinreißend, wie sie Kopf und Hals nach hinten bog, um ihre Brüste besser zu präsentieren, und ein hohles Kreuz machte, um ihr Hinterteil besser darzubieten. War es wegen des Vergnügens, das es ihr bereitete, sich ansehen zu lassen, daß sie solch Begehren erweckte? Der Gefährte von Monique hatte ihr ein Zeichen gegeben, ihm die Kleider zu öffnen, und O sah zu, wie er sich zwischen Noelles Schenkeln hochreckte. Schließlich nahmen die drei Männer sie nacheinander, rosig und schwarz in der Tiefe ihrer Schenkel, heiter und weiß wie Milch in ihrem wirbelnden roten Kleid. Und sofort war sie es und O - «Die Kleine, da sie bei ihr ist», sagte der, der Pierre hieß -, die sie einstimmig auswählten, als ein Diener kam und fragte, ob man zwei Mädchen entbehren könne, um sie in die Bar zu schicken. «Man darf sie nicht arbeitslos werden lassen», sagte Pierre. Es gab drei Gittertüren in Roissy. Der Teil des Gebäudes, in den man nur gelangen konnte, wenn man eine der drei Gittertüren durchschritt, wurde nicht ohne Kinderei die große Klausur genannt. Hier hatten nur die Genossen oder, einfacher gesagt, die Clubmitglieder, Zutritt. Hier lagen im Erdgeschoß rechter Hand ein großes Vestibül (zu dem eine der Gittertüren führte, die größte), die Bibliothek, ein Salon, ein Rauchzimmer, ein Umkleideraum und linker Hand das Refektorium der
Mädchen und daneben ein Zimmer, das den Dienern vorbehalten war. Einige Zimmer im Erdgeschoß wurden von den Mädchen bewohnt, die von Clubmitgliedern hergebracht worden waren, wie O von Rene. Die anderen Zimmer in den Stockwerken waren für die Mitglieder, die sich in Roissy aufhielten. Innerhalb der Klausur durften die Mädchen nur in Begleitung umhergehen; sie waren zu absolutem Schweigen verpflichtet, selbst untereinander, und mußten die Augen gesenkt halten; stets waren ihre Brüste nackt und meistens auch der Rock vorn oder hinten hochgeschlagen. Man verfügte nach Belieben über die Mädchen. Wie immer man sich ihrer bediente, was immer man von ihnen forderte, es kostete nicht mehr. Man konnte dreimal im Jahr kommen oder dreimal in der Woche, eine Stunde oder vierzehn Tage hier bleiben, ein Mädchen nur ausziehen oder es bis aufs Blut peitschen, der jährliche Mitgliedsbeitrag war derselbe. Der Aufenthalt wurde wie in einem Hotel berechnet. Die zweite Gittertür trennte von diesem zentralen Teil des Gebäudes einen Flügel, der die kleine Klausur genannt wurde. In seiner Verlängerung lagen die Wirtschaftsgebäude, wo Anne-Marie wohnte. In der kleinen Klausur logierten die Mädchen der eigentlichen Gemeinschaft, und zwar sozusagen in Doppelzimmern, denn sie waren durch eine halbe Trennwand unterteilt; an diese Wand stießen zu beiden Seiten die Kopfenden der Betten. Es waren gewöhnliche Betten, nicht ein mit Pelz bedeckter Divan wie in dem Zimmer, in dem O das erste Mal untergebracht gewesen war. Die beiden Zimmer hatten jeweils ein Bad und eine gemeinsame Garderobe. Die Türen ließen sich nicht abschließen, und die Clubmitglieder konnten im Laufe der Nacht, die die Mädchen angekettet verbrachten, jederzeit hereinkommen. Aber abgesehen von dem Anketten gab es keine bindende Vorschrift. Jenseits der dritten Gittertür, die, wenn man vor der Hauptgittertür stand, linker Hand lag - die zweite rechter Hand -, befand sich der frei zugängliche und gleichsam öffentliche Teil von Roissy: ein Restaurant, eine Bar, kleine Salons im Erdgeschoß, und in den Stockwerken die Zimmer. Die Clubmitglieder konnten in der Bar und im Restaurant ihre Gäste empfangen, ohne daß diese ein Eintrittsgeld bezahlen mußten. Aber jedermann oder annähernd jedermann konnte sich einen «vorläufigen Ausweis» ausstellen lassen, der für zwei Besuche galt und sehr teuer war. Man erwarb damit lediglich das Recht, das auch den Gästen eingeräumt wurde, in der Bar zu trinken, das Mittag- und Abendessen zu verzehren, ein Zimmer zu nehmen und sich ein Mädchen heraufkommen zu
lassen, und alles wurde gesondert in Rechnung gestellt. Im Restaurant und in der Bar gab es einen Oberkellner und einen Barmixer und einige Kellner - die Küchenräume lagen im Souterrain -, aber die Mädchen bedienten an den Tischen. Im Restaurannt trugen sie die Uniform. In der Bar - angetan mit seidenen Abendkleidern, eine Spitzenmantille ähnlich der Mamille der Uniform, die das Haar, die Schultern und die Brust bedeckte - hielten sie sich nur auf, um darauf zu warten, daß man sie wähle. Das Restaurant und die Bar deckten normalerweise ihre Unkosten, das Hotel auch. Das Geld, das die Mädchen verdienten, wurde nach festgelegten Sätzen geteilt: so und so viel für Roissy, so und so viel für das Mädchen. Der Preis war nicht für alle gleich: O erfuhr, daß sie das Doppelte bezahlt bekommen würde, weil sie offiziell einem Clubmitglied gehörte und Eisen und ein Zeichen trug. Bei zwei anderen Mädchen verhielt es sich genauso, eine davon war die kleine, rundliche Rothaarige mit der weißen Haut, die sie bei Anne-Marie gesehen hatte. Ein Mädchen peitschen kostete extra, sie durch einen Diener peitschen lassen ebenso. Die Rechnungen wurden im Büro des Hotels bezahlt, Trinkgelder direkt ausgehändigt. Die unmittelbare Nähe von Paris, das fürstliche und dennoch diskrete Aussehen der Gebäude, die komfortable Einrichtung und die Vorzüglichkeit des Restaurants, das Theatralische an der Kostümierung der Mädchen und die Anwesenheit der Diener, die Gefahrlosigkeit und Ungezwungenheit des Geschlechtsverkehrs, schließlich und vor allem das, was man über die Vorgänge hinter den Gittertüren der Klausur wußte, all das trug Roissy zahlreiche Kunden ein, die fast ausschließlich Geschäftsleute waren, und unter ihnen ebensoviel Ausländer wie Franzosen. Das öffentliche Roissy existierte ebensowenig wie das heimliche Roissy: Country Club war eine Bezeichnung, die niemanden täuschte, aber es kam häufig vor, daß der Mann mit den grauen Schläfen, der als Hausherr von Roissy galt, aber nur der Verwalter war, das eine oder andere Mädchen über einen sich nur kurz hier aufhaltenden Gast ausfragte - abgesehen davon, daß Pässe oder Ausweise vorgelegt werden mußten (es wurde hoch und heilig versichert, daß man die Kenn-Nummern nicht notierte), um einen «vorläufigen Ausweis» zu erhalten - kurz und gut, Roissy wurde offiziel ignoriert, offiziös geduldet. Einer der Gründe dafür war zweifellos (außer jenen, auf die die erwähnte Überwachung schließen läßt), daß es niemals Beschwerden wegen venerischer Ansteckung noch Ärgernisse mit Schwangerschaften und Abtreibungen gegeben hatte. O
hatte sich immer gefragt, wie sich die Mädchen, wenn sie manchmal mit zehn Männern pro Tag, die keinerlei Behinderung duldeten, vor Schwangerschaften schützten. Alle konnten nicht wie sie vom Zufall begünstigt sein; eine Verlagerung, die das Risiko praktisch ausschloß. «Man kann dem Zufall nachhelfen, O », sagte Anne-Marie, als sie ihr die Frage stellte. Woraus sie schloß, daß Anne-Marie, die Ärztin war, die Mädchen von Roissy heimlich operiert hatte. Bei keiner von ihnen bemerkte man jemals das bange Aussehen von Frauen, bei denen sich die Regel verspätet. «Ach, das ist gar nicht schlimm, und man ist beruhigt, weißt du», sagte Noelle eines Tages, «aber ich kann es dir nicht erklären, ich bin eingeschläfert worden.» O vermutete, daß es verboten war, darüber zu sprechen. Sich vor Ansteckung zu schützen war schwieriger: die Tabletten, die man sich auflösen ließ, die prophylaktischen Maßnahmen, die Duschen. Die größte Ansteckungsgefahr war am Mund: das Rouge, das das Rissigwerden der Lippen verhinderte, trug dazu bei, diese Gefahr zu verringern. Außerdem untersuchte Anne-Marie die Mädchen jeden Tag. Sie wurden gepflegt, notfalls isoliert - in Zimmern, die unter ihrer Wohnung lagen, bis sie geheilt waren. Die Mädchen, die von ihrem Geliebten hergebracht worden waren, unterlagen dieser Pflege und diesen Zwangsmaßnahmen nicht: es ging auf ihr Risiko, und außerdem kamen sie aus der großen Klausur nicht heraus. Was die anderen betraf, so vermochte O nie ganz zu begreifen, wovon es abhing, in welchem Ausmaß sie innerhalb der Gitter und in welchem Ausmaß sie außerhalb eingesetzt wurden. Einesteils gab es einen festgelegten Dienstplan für das, was in Uniform zu erledigen war; so und so viele Tage Dienst im Restaurant; desgleichen, in Abendkleidern, so und so viele Nachmittage oder so und so viele Abende in der Bar anwesend zu sein. Indessen wurden die Bar und das Restaurant sowohl von Gästen als auch von den Clubmitgliedern aufgesucht, und nichts hinderte die letzteren, ein Mädchen zu nehmen und wieder in den Bereich der Gittertüren zu bringen. Andererseits schien es ganz nach Lust und Laune zu gehen: ein Beispiel dafür war die Tatsache, daß, als ein Diener kam, um zwei Mädchen für die Bar aufzufordern, Noelle und O dazu bestimmt wurden, und nicht Monique oder Madeleine. Als O Noelle folgte und zum erstenmal die Bar betrat, alle beide in Mantille, fiel ihr auf, wie ähnlich dieser Raum der Bibliothek war, aus der sie gerade kamen: dieselben Abmessungen, dieselbe Holzverkleidung, dieselben Sessel. Die hübsche kleine Rothaarige, die wie O Eisen
trug und epiliert war und die O einmal bei Anne-Marie mit einem so verwunderten Vergnügen gepeitscht hatte, kauerte, in grauen Satin gekleidet, auf einem hohen Barhocker und lachte mit zwei Männern. Als sie O sah, sprang sie herunter, um sie zu umarmen, faßte sie um die Taille und kam mit ihr zurück. «Das ist O», sagte sie, «wollen Sie sie einladen? Sie werden keine bessere finden.» Und durch den schwarzen Tüll küßte sie eine von Os Brustspitzen. «Sie verraten Ihren Namen nicht», sagte sie zu O, «aber sie sehen nett aus, findest du nicht?» Nett nein, das war lächerlich. Sie sahen zugleich verlegen und ordinär aus, und ihr dritter Aperitif hatte nicht ausgereicht, ihnen Selbstvertrauen einzuflößen. Als O ihr Glas von der Theke nehmen wollte, streifte ihr Arm das Knie des rechts von ihr Sitzenden: er faßte nach ihrem beringten Handgelenk und fragte, warum sie alle eisene Armbänder trügen. «Als ob sie das nicht wüßten!» rief Yvonne. «Das macht nichts. Wir erklären es Ihnen beim Essen. Los, kommt.» Dann sah sie, daß sich der Mann, der gefragt hatte, als er von seinem Hocker herunterkletterte, bemühte, dem anderen ein Zeichen zu geben, und sagte zu O: «Gib ihm schnell die Hand, dann kann er nicht sagen, daß du ihm nicht gefällst.» Im Restaurant nahmen sie zu viert einen Tisch. Die drei Männer, die Noelle beschlafen hatten, aßen zusammen an einem benachbarten Tisch. Noelle war, nachdem sie O verlassen hatte, fünf Minuten später durch die Tür verschwunden, die zu den Zimmern führte, gefolgt von einem Mann, der wie ein feister Syrer aussah. Franck kam gerade in dem Augenblick, als Yvonne und O, die keinen Likör getrunken hatten, darauf warteten, daß die Männer mit ihrem Cognac fertig würden. Er winkte O unauffällig zu und setzte sich allein in die Nähe eines Fensters. Aber O, die ihn etwas schräg von der Seite sah, bemerkte, daß er sofort, als das Mädchen, das ihn bedienen sollte, an seinen Tisch trat, mit der Hand in den Schlitz ihres Rockes gefahren war. Das war im Restaurant oder in der Bar, vorausgesetzt, es geschah diskret, die einzige Freiheit, die man sich herausnehmen durfte. Schließlich kam der Moment, an dem Yvonne fragte: «Wollen wir hinaufgehen?» Ein Hotelpage öffnete die beiden nebeneinander liegenden Zimmer, wies auf das Telefon und die Klingel hin und schloß die Tür. Ohne daß sie darum gebeten worden wäre, nahm O ihre Mantille ab und ging auf ihren Kunden zu, um ihm ihre Brüste darzubieten. Er saß auf einem Stuhl; der dreiteilige Spiegel, der in allen Zimmern an einer Seitenwand befestigt war, reflektierte sein Bild, und O, die ganz angezogen zwischen
seinen Knien stand und sich vorbeugte, um es ihm bequemer zu machen, wunderte sich, daß sie es ganz natürlich fand, diesem Unbekannten ihre Brust hinzustrecken. Seit dem Morgen waren vier Männer, wie Anne-Marie sich ausdrückte, in ihren Körper eingedrungen: Sir Stephen, der Fahrer des Wagens, Franck und der Diener Jose. Dieser hier würde der fünfte sein: dieselbe Zahl wie Monique. Aber dieser würde bezahlen. Er sagte ihr, sie solle sich ausziehen, und als er sie im Korsett sah, hieß er sie innehalten. Ihre Eisen, von denen Yvonne nicht gesprochen hatte, als sie, da sie nichts weiter gefragt wurde, erklärte: «Unsere Armbänder sind dazu da, uns anzuketten, wenn wir gepeitscht werden», ihre Eisen verblüfften ihn, und ebenso die beiden Wege, die sich ihm boten, als er O, die rücklings auf der Bettkante lag, unterhalb der Kniekehlen packte. Kaum hatte er sich aus ihr zurückgezogen, da sagte er: «Wenn du lieb bist, gebe ich dir ein gutes Trinkgeld.» Sie kniete sich hin. Er ging, ehe sie wieder angezogen war, und ließ eine Handvoll Scheine auf dem Kaminsims: ein Drittel von dem, was sie im Monat im Studio in der Rue Roy ale verdiente. Sie wusch sich, zog ihr Kleid wieder an, steckte die gefalteten Geldscheine unter ihr Korsett in die Höhlung zwischen ihren Brüsten und ging hinunter. Im übrigen hatte sie sich getäuscht, als sie annahm, sie habe dieselbe Zahl erreicht wie Monque: sie wurde,kaumdaß sie in dieBar gekommen war, von einem weiteren Kunden erwählt, wieder in ein Zimmer geführt und ein sechstes Mal genommen. Im Dunkeln, angekettet an dem Haken über ihrem Bett - wie damals in dem Zimmer vom vergangenen Jahr, von dem sie nicht wußte, wer es jetzt bewohnte -, als sie im Dunkeln lag und nicht schlafen konnte, fragte sie sich zum hundertstenmal, warum jeder beliebige, ob sie nun dabei Lust empfand oder nicht, durch die Tatsache, daß er in sie eindrang oder sie nur mit der Hand öffnete oder sie schlug oder sogar bloß nackt auszog, die Macht hatte, sie sich untertan zu machen. Von der anderen Seite der Trennwand, die dünn wie eine spanische Wand war und nicht länger als die Breite des Betts und der Nachttische, hörte sie, wie Noelle sich bewegte, die auch nicht schlief. Sie rief sie. Ob Noelle sich auch so unterworfen vorkomme, so besiegt und geknechtet wie sie, sobald man sie berühre? Noelle war entrüstet. Unterworfen, geknechtet? Sie tat, was nötig war, das war alles. Und besiegt? Warum besiegt? O sei sehr schwierig. Noelle fand es schmeichelhaft, wie Männer vor ihr steif wurden, manchmal fand sie es angenehm und immer amüsant, für sie die Beine oder den Mund zu öffnen. «Selbst bei dem Syrer heute
abend?» fragte O. «Welchem Syrer?» sagte Noelle. «Diesem schwarzhaarigen, krausköpfigen mit dem gewaltigen Bauch, mit dem du hinaufgegangen bist, als wir in die Bar kamen.» Aber nein, Noelle antwortete: «Oh, wenn du den nackt gesehen hättest: ein fettes Schwein.» «Siehst du wohl», sagte O. - «Ach nein», erwiderte Noelle, «was macht das schon. Er hat mich eine halbe Stunde lang geleckt, weil er in meinen Hintern wollte, ich auf allen vieren natürlich. Er bezahlt gut, weißt du.» Auch O war gut bezahlt worden, das Geld lag in der Schublade eines der Nachttische. «Noelle», sagte O, «wenn man dich peitscht, findest du das auch noch amüsant?» - «Ja, ein bißchen, und ich werde immer nur ein bißchen gepeitscht.» O hätte fast gesagt: Du hast Glück, aber dann merkte sie, daß sie ganz und gar nicht glaubte, daß das Glück sei. Sie wollte Noelle fragen, warum sie immer nur ein bißchen gepeitscht werde, und was sie von den Ketten halte, und ob die Diener aber Noelle drehte sich im Bett um und ächzte: «Ach, bin ich müde! Mach nicht so viel Gerede, O, schlafe.» Sie sagte nichts mehr. Am Morgen kam um zehn Uhr ein Diener, um ihnen die Ketten abzunehmen. Wenn das Bad genommen, die Toilette gemacht, die Untersuchung durch Anne-Marie vorbei war, sofern man nicht Dienst in den Zimmern der großen Klausur hatte, und in diesem Fall mußten die Mädchen sofort ihre Uniform anziehen, stand es den Mädchen frei, sich anzuziehen oder nicht, bis es Zeit war, daß diejenigen, die an der Reihe waren, ins Restaurant oder in die Bar gingen und die anderen ins Refektorium. Aber diejenigen, die ins Refektorium gingen, zogen sich nicht an: wozu, wenn man dort ja doch nackt sein mußte? In einer Anrichte auf der Etage konnte man frühstücken. Die Türen blieben zum Korridor offen, und es war erlaubt, vom einen zum andern zu gehen. Nur O, Yvonne und das dritte Mädchen, das wie sie Eisen trug, Julienne, wurden vormittags gerufen, um gepeitscht zu werden. Die Peitsche wurde ihnen der Reihe nach auf dem Etagenpodest verabfolgt, über das Treppengeländer gebeugt und angebunden, niemals heftig genug, um sie zu zeichnen, immer lange genug, um ihnen Schreie, Flehen und manchmal Tränen zu entlocken. Am ersten Morgen fiel O, nachdem sie losgebunden worden war, stöhnend auf ihr Bett, so brannten ihre Lenden noch. Noelle nahm sie in den Arm, um sie zu trösten. Ihre Freundlichkeit enthielt eine Spur Verachtung. Warum hatte sie sich bereit gefunden, die Eisen zu tragen? O gab bereitwillig zu, daß sie glücklich darüber sei und daß ihr Geliebter sie jeden Tag peitsche. «Dann bist
du ja daran gewöhnt», sagte Noelle. «Beklage dich nicht, es würde dir fehlen.» - «Vielleicht», sagte O. «Und ich beklage mich auch nicht. Aber gewöhnen, ach nein, gewöhnen kann ich mich nicht daran ...» «Na, du wirst es müssen, denn es wäre seltsam, wenn du hier nur einmal am Tag gepeitscht würdest. Bei Mädchen wie dir sehen die Männer sofort, daß es darum gemacht wird. Deine Ringe am Schloß, deine Brandzeichen ... ganz zu schweigen von dem, was auf deiner Karteikarte stehen wird.» - «Auf meiner Karteikarte?» fragte O. «Was für eine Karteikarte, was willst du damit sagen?» - «Du hast deine Karteikarte noch nicht, aber beruhige dich, das wird daraufstehen, wenn du sie bekommst.» Als O drei Tage später bei Anne-Marie zum Mittagessen war, fragte sie sie nach der Karteikarte, und Anne-Marie erklärte ihr die Sache bereitwillig. «Ich warte noch auf deine Fotos; auf die Rückseite der Karteikarte, die mir Sir Stephen schicken wird, werden nicht Auskünfte über dich persönlich eingetragen, ich meine, nicht deine Maße, deine Personenbeschreibung, dein Alter, nein, sondern deine Besonderheiten und deine Verwendung ... Ach, das läßt sich immer in zwei Zeilen zusammenfassen, und ich weiß, was er sagen wird.» Die Fotos von O waren eines Vormittags im Dachgeschoß des rechten Flügels aufgenommen worden in einem Studio, das demjenigen ganz ähnlich war, in dem sie gearbeitet hatte. O war geschminkt worden, wie sie die Mannequins zu jener Zeit geschminkt hatte, die ihr weiter zurückzuliegen schien als ihre Kindheit. Sie war in ihrer Uniform fotografiert worden, in ihrem langen gelben Kleid, sie war mit hochgerafftem Kleid fotografiert worden, sie war nackt, von vorn, von hinten und im Profil fotografiert worden: stehend, liegend, halb rücklings auf einem Tisch und die Beine geöffnet, gebückt und die Kruppe gespannt, auf den Knien und mit gefesselten Händen. Ob alle diese Bilder aufgehoben werden? «Ja», sagte Anne-Marie. «Sie kommen in dein Dossier. Von den besten werden Abzüge für die Kunden gemacht.» Als Anne-Marie sie ihr am übernächsten Tag zeigte, war sie entsetzt; dabei waren sie hübsch; nicht eines, das nicht in den Alben hätte aufgenommen werden können, die mehr oder weniger verstohlen an den Kiosken verkauft wurden. Aber das einzige, von dem O den Eindruck hatte, daß man sie darauf erkennen könne, war ein Foto, auf dem sie nackt war, von vorn aufgenommen, an eine Tischkante gelehnt, die Hände unter den Lenden, die Knie gespreizt, ihre Eisen gut sichtbar zwischen den Schenkeln und die
Spalte ihres Schoßes ebenso deutlich wie ihr leicht geöffneter Mund. Sie blickte geradeaus, das Gesicht versunken und verstört. Sie täuschte sich wohl nicht, wenn sie sich wiedererkannte. «Vor allem dieses», sagte Anne-Marie, «wird weitergegeben. Du kannst dir die Rückseite ansehen, oder lieber nicht, ich werde dir die Karteikarte von Sir Stephen zeigen.» Sie stand auf, öffnete die Schublade eines Sekretärs und reichte O eine kleine Karte, auf der in roter Tinte in Sir Stephens Handschrift ihr Name stand: O, und der Vermerk: «Eisen, Brandmale, Mund gut gedrillt.» Darunter und unterstrichen: «Zu peitschen.» - «Dreh jetzt das Foto um», sagte Anne-Marie. Der ganze Text war auf die Rückseite des Fotos übertragen worden. Was dort stand, hatte Sir Stephen jedesmal vor O ausgesprochen, in noch gröberen Ausdrücken, wenn er sie einem anderen zur Verfügung stellte, und er hatte es auch nicht vor ihr verheimlicht, wenn er einfach mit seinen Freunden über sie sprach. O erfuhr, daß die Fotos, zwei oder drei von jedem Mädchen, in den Alben mit losen Blättern waren, in die jeder in der Bar oder im Restaurant Einblick nehmen konnte. «Das ist auch das Bild, das Sir Stephen am besten gefällt», sagte Anne-Marie, «und dann dieses» (auf dem O mit geschürztem Rock kniete). «Aber hat er sie denn gesehen?» rief O. «Ja, er ist gestern gekommen, er hat die Karteikarte hier ausgestellt.» - «Aber wann denn gestern?» fragte O, ganz bleich, und sie spürte, wie sich ihr die Kehle zuschnürte und die Tränen aufstiegen. «Wann denn, und warum hat er mich nicht gesehen?» - «Oh, er hat dich gesehen», sagte Anne-Marie. «Ich bin gestern mit ihm in die Bibliothek gegangen, als du da warst. Du warst bei dem Kommandeur. Nur er und du waren im Raum, aber wir wollten nicht stören.» Gestern, gestern nachmittag in der Bibliothek, O auf den Knien, ihre grünblaues Kleid über die Lenden gerafft... Sie hatte sich nicht gerührt, als sich die Tür öffnete: sie hatte das Geschlecht des Kommandeurs im Mund. «Warum weinst du?» fragte Anne-Marie. «Er hat dich sehr hübsch gefunden. Weine doch nicht, du kleine Närrin.» Doch O konnte ihre Tränen nicht aufhalten. «Warum hat er mich nicht gerufen? Ist er gleich wieder abgefahren, was hat er gemacht, warum hat er mir nichts gesagt?» stöhnte sie. «Ach, er muß dir wohl Rechenschaft ablegen. Ich dachte, er hätte dich besser erzogen. Du verdientest ...» Anne-Marie unterbrach sich: es wurde an die Tür geklopft. Es war jener, der Hausherr von Roissy genannt wurde. Bisher hatte er von O keine Notiz genommen und sie
nicht angerührt. Aber zweifellos war sie besonders rührend und aufreizend, so niedergeschlagen, bleich und nackt, mit feuchtem Mund und zitternd. Als Anne-Marie sie wegschickte und ihr befahl, sich anzuziehen, berichtigte er diese Anweisung: «Nein, sie soll im Flur auf mich warten.» Als ihr Kummer am größten war, wurde O ein wenig besänftigt durch den Umstand, bei dem es schien, als könne ihr im Grunde nichts davon angenehm sein: es war die Ankunft des vermeintlichen Deutschen, dem sie schon in Gegenwart von Sir Stephen mehrmals angehört hatte. Gewiß, er hatte nichts Einnehmendes: er sah brutal, lüstern und verachtungsvoll aus und hatte die Hände und die Sprache eines Kutschers. Aber er sagte O, die er hatte rufen lassen und in der Bar erwartete, daß er im Auftrag von Sir Stephen komme, und lud sie zum Essen ein. Gleichzeitig überreichte er ihr einen Briefumschlag. O erinnerte sich, und das Herz krampfte sich ihr bei diesem Gedanken zusammen, an den Briefumschlag, den sie an dem Morgen auf dem Tisch in Sir Stephens Salon gefunden hatte, als sie die erste Nacht bei ihm verbracht hatte. Sie öffnete den Umschlag: es war tatsächlich ein Briefchen von Sir Stephen, der ihr schrieb, sie solle dafür sorgen, daß Carl Lust verspüre, wiederzukommen, ebenso wie er ihr auf der Reise eingeschärft hatte, ihn in ihr Abteil zu locken. Und er dankte ihr dafür. Carl kannte offenbar den Inhalt des Briefes nicht. Sir Stephen mußte ihm etwas anderes gesagt haben. O steckte den Bogen wieder in den Umschlag; als sie ihn ansah - er saß auf einem Barhocker (sie stand vor ihm) -, sagte er mit seiner rauhen Stimme, die durch die Schwierigkeit, sich auf französisch auszudrücken, und seinen germanischen Akzent noch bedächtiger klang: «Sie werden also gehorchen?» - «Ja», sagte O. Oh ja, sie würde gehorchen! Er sollte ruhig glauben, daß sie ihm gehorchen würde. An Carl lag ihr gar nichts, aber daran, daß Sir Stephen, auf welche Weise auch immer, sich ihrer für seine Zwecke bediente, was diese Zwecke auch sein mochten! Sie sah Carl voll Sanftmut an: wenn sie es fertigbrächte, daß er Lust verspürt, wiederzukommen - daß Sir Stephen ihn in Paris festhalten wollte, das zumindest begriff sie, warum, das war ihr gleichgültig - wenn sie es fertigbrächte, würde Sir Stephen sie vielleicht belohnen, und vielleicht käme er sogar her. Sie raffte die raschelnde Seide ihres Kleides zusammen, lächelte dem Deutschen zu und ging ihm voran ins Restaurant. Lag es an ihrer Sanftmut, die, wenn sie es wollte, sehr anmutig war, lag es an ihrem Lächeln,
jedenfalls war sie überrascht, wie schnell das Eis schmolz, unter dem Carls Gesicht erstarrt war. Er bemühte sich während des Essens, höflich mit ihr zu plaudern. In einer halben Stunde erfuhr O mehr über ihn, als Sir Stephen ihr je erzählt hätte: daß er Flame sei, Geschäftsanteile im belgischen Kongo besitze, daß er drei- oder viermal im Jahr nach Afrika fliege und die Minen sehr viel Geld abwerfen. «Was für Minen?» fragte O. Aber er antwortete nicht. Er trank viel und hatte den Blick bald auf Os Lippen, bald auf ihre Brüste gerichtet, die sich unter der Spitze bewegten und von denen man manchmal durch eine Masche - so groß waren die Maschen - die geschminkte Spitze sah. Im Büro, in das O ihn führte, damit er ein Zimmer bestelle, sagte er: «Lassen Sie mir einen Whisky hinaufbringen und einen Stock.» Nachdem er sie genommen hatte, wie der Syrer Noelle genommen hatte und wie ja O selbst schon in Gegenwart von Sir Stephen von ihm genommen worden war, nachdem er sich von ihr hatte streicheln lassen und als er zum drittenmal den Reitstock hob und Os Hände ergriff, die wider Willen flehentlich versuchte, seinen Arm aufzuhalten, da las O in seinen Augen eine so unbändige Lust, daß sie wußte, sie habe nicht das mindeste Mitleid von ihm zu erwarten (was sie auch niemals erhofft hatte), aber sie wußte auch und vor allem, daß er wiederkommen würde. Deutsch von Margaret Carroux
Welch' ein süßes Gedenken, das mir die Liebe oft gibt! Ausruf des Pagen Guillaume de Rabsteing aus der Provence (1196), bevor sein Herr Raymond de Roussillon ihn köpfen, ihm das Herz herausschneiden und braten ließ, und es seiner Gattin Marguerite vorsetzte. «Hat es geschmeckt?» fragte er und zeigte ihr den Kopf. «Ich möchte mir durch nichts mehr den herrlichen Geschmack verderben lassen», erwiderte sie und sprang aus dem Fenster.
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