Malte Debus Evaluation des Aufsichtsrats
GABLER RESEARCH
Malte Debus
Evaluation des Aufsichtsrats Theoretische Gru...
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Malte Debus Evaluation des Aufsichtsrats
GABLER RESEARCH
Malte Debus
Evaluation des Aufsichtsrats Theoretische Grundlagen und empirische Befunde Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Elmar Gerum
RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Universität Marburg, 2009
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2010 Lektorat: Ute Wrasmann | Sabine Schöller Gabler ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-2178-9
Geleitwort Zu den Stereotypen der deutschen Corporate-Governance-Diskussion gehört, immer dann, wenn Missmanagement oder mangelnder Erfolg bei Aktiengesellschaften zu beklagen ist, dass der Aufsichtsrat versagt habe. Vor diesem Hintergrund verwundert es dann auch nicht, dass der Deutsche Corporate Governance Kodex die in den USA gängige „Board Performance Evaluation“ übernommen hat und postuliert: „Der Aufsichtsrat soll regelmäßig die Effizienz seiner Tätigkeit überprüfen“ (Ziffer 5.6). Anhand welcher Kriterien und wie eine solche Evaluation des Aufsichtsrats durchzuführen ist, dazu schweigt der Kodex allerdings. Pauschal besteht in der Kommentarliteratur Einigkeit darüber, dass die Evaluation sich auf „Compliance“ und „Performance“ zu beziehen habe. Bei den im Anschluss daran in Praxis und Wissenschaft generierten „Checklisten“ für eine Aufsichtsratsevaluation, dominiert das geschäftliche Interesse; sie entbehren jeder Begründungsqualität. Mit anderen Worten: Es fehlt bislang an der theoretischen und empirischen Fundierung der im Grundsatz sinnvollen Forderung, den Aufsichtsrat deutscher Aktiengesellschaften regelmäßig zu evaluieren. Genau dieser Problemstellung ist die Arbeit von Herrn Debus gewidmet. Das von Herrn Debus theoretisch und empirisch wohl begründete Konzept zur Evaluation des Aufsichtsrats differenziert nicht nur systematisch zwischen Complianceprüfung und Performanceprüfung, sondern ermöglicht auch eine Fremdevaluation. Bei der empirischen Überprüfung des Evaluationskonzeptes kristallisierten sich als Merkmale eines effektiven und effizienten Aufsichtsrats heraus: Eine Dominanz von „Nicht-Beteiligten“ im Aufsichtsrat in Verbindung mit einer hohen unternehmenspolitischen Kompetenz (unternehmenspolitischer Aufsichtsrat), die (paritätische) Mitbestimmung der Arbeitnehmer und ein größerer Aufsichtsrat. Die Eigentumsverhältnisse der Unternehmen sind, entgegen landläufiger Auffassung, für eine effektive und effiziente Überwachung des Vorstands unerheblich. Ich wünsche der Arbeit von Herrn Debus und seinem Evaluationskonzept Anerkennung und weite Verbreitung. Elmar Gerum V
Vorwort Die vorliegende Arbeit zur Evaluation des Aufsichtsrats ist während meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Organisation und Personalwirtschaft an der Philipps-Universität Marburg entstanden. Sie wurde im Juni 2009 vom Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Universität Marburg als Dissertationsschrift angenommen. Ich möchte mich bei all denen bedanken, die mich bei der Erstellung dieser Arbeit unterstützt haben. Mein Dank gebührt in erster Linie meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Elmar Gerum, ohne dessen fachliche Anregungen und stete Diskussionsbereitschaft diese Arbeit nicht hätte zustande kommen können. Herrn Professor Dr. Joachim Krag danke ich herzlich für die Übernahme des Zweitgutachtens. Bei allen ehemaligen Lehrstuhlkollegen möchte ich mich für die umfangreiche Unterstützung bedanken. Dies gilt vor allem für Herrn Dr. Kai Brühl, einem guten Freund und „Leidensgenossen“ in der Promotionsphase, dessen konstruktive Hinweise erheblich zum Gelingen der Arbeit beigesteuert haben. Allen meinen Freunden danke ich dafür, dass sie mich in den richtigen Momenten durch gemeinsame außeruniversitäre Aktivitäten immer wieder neu motiviert haben. In der Endphase war Herr Professor Dr. Sascha Mölls von der Christian-Albrechts-Universität Kiel ein hilfreicher und verlässlicher Diskussionspartner. Auch Herrn Dr. Roland Köstler von der Hans-Böckler-Stiftung möchte ich an dieser Stelle für die Unterstützung meines Dissertationsprojekts danken. Sehr dankbar bin ich meinen Eltern, die an meine Entscheidung für das Studium und die anschließende Promotion geglaubt und mich dabei stets unterstützt haben. Ein ganz besonderer Dank geht schließlich an meine Freundin Christine Koptisch, die in der schwierigen Schlussphase der Promotion häufig auf mich verzichten musste und dennoch jederzeit die im Erstellungsprozess unausweichlichen Stimmungsschwankungen ertragen hat. Malte Debus
VII
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis ...................................................................................................... IX Tabellenverzeichnis ..................................................................................................XV Abbildungsverzeichnis ......................................................................................... XVII Abkürzungsverzeichnis ..........................................................................................XIX Verzeichnis statistischer Abkürzungen ................................................................XXI A. Problemstellung .................................................................................................... 1 B. Die Leitfragen zur Evaluation des Aufsichtsrats ........................................... 5 I. Die Leitfragen................................................................................................... 5 II. Ist der Aufsichtsrat effektiv? .......................................................................... 7 1. Interessenvertretung ................................................................................... 7 2. Überwachung............................................................................................... 9 III. Arbeitet der Aufsichtsrat effizient?............................................................. 13 1. Die Organisationsstruktur des Aufsichtsrats........................................ 13 1.1 Größe des Aufsichtsrats.................................................................... 13 1.2 Aufsichtsratsausschüsse ................................................................... 14 1.3 Aufsichtsratsvorsitzender und Stellvertreter................................ 16 2. Die Phasen des Entscheidungsprozesses............................................... 17 2.1 Vorbereitungsphase .......................................................................... 17 2.2 Beschlussphase................................................................................... 18 2.3 Durchführungs- und Kontrollphase............................................... 21
IX
C. Theoretisches und empirisches Wissen zur Effektivität und Effizienz des Aufsichtsrats: Eine Bestandsaufnahme......................... 23 I. Auf die Effektivität des Aufsichtsrats beziehbare Theorien ................... 23 1. Vertragstheoretische Ansätze.................................................................. 23 2. Organisationstheoretische Konzepte...................................................... 27 2.1 Koalitionstheoretische Ansätze ....................................................... 27 2.2 Institutionalistischer Ansatz ............................................................ 31 2.3 Ressourcenspezifität.......................................................................... 32 3. Diskussion .................................................................................................. 34 II. Auf die Effizienz des Aufsichtsrats beziehbare Theorien ....................... 35 1. Entscheidungstheoretische Ansätze ....................................................... 35 2. Gruppentheoretische Ansätze ................................................................. 38 2.1 Ökonomietheoretische Argumente................................................. 38 2.2 Verhaltenswissenschaftliche Gruppentheorie .............................. 40 3. Diskussion .................................................................................................. 42 III. Empirische Befunde ...................................................................................... 43 1. Zur Effektivität von Aufsichtsrat und Board ........................................ 43 1.1 Vertragstheoretische Studien........................................................... 43 1.2 Organisationstheoretische Studien ................................................. 47 1.2.1 Unternehmensfortbestand als Ziel ........................................ 47 1.2.2 Legitimität als Ziel ................................................................... 51 1.2.3 Sicherung der Machtelite als Ziel .......................................... 52 2. Zur Effizienz von Aufsichtsrat und Board ............................................ 54 3. Ganzheitliche Studien zur Leistungsfähigkeit des Aufsichtsorgans .................................................................................. 55 IV. Zusammenfassung ........................................................................................ 57
X
D. Das Konzept zur Evaluation des Aufsichtsrats ............................................ 59 I. Die Evaluationsforschung: Eine Rekonstruktion...................................... 59 1. Paradigmen in der Evaluationsforschung ............................................. 59 2. Integration der Evaluationsparadigmen................................................ 62 II. Die Evaluationsforschung zu Aufsichtsrat und Board ............................ 64 1. Anteilseigner und Stakeholder als Adressaten..................................... 65 2. Aufsichtsrat und Board als Adressat...................................................... 67 3. Zwischenergebnis...................................................................................... 69 III. Das Untersuchungsdesign............................................................................ 70 1. Der institutionelle Ansatz zur Evaluation des Aufsichtsrats ............. 70 2. Das Evaluationskonzept........................................................................... 73 2.1 Die Effektivität des Aufsichtsrats: Das Grundmodell ................. 73 2.1.1 Aufsichtsratstypen................................................................... 73 2.1.2 Effektivität durch die Wahl des Aufsichtsratstyps............. 77 2.2 Die Effizienz des Aufsichtsrats: Differenzierung des Grundmodells .................................................................................... 81 3. Zusammenfassung .................................................................................... 85 E. Die empirische Untersuchung ......................................................................... 87 I. Datenbasis....................................................................................................... 87 1. Unternehmensstatuten und Geschäftsberichte..................................... 88 2. Personelle Zusammensetzung des Aufsichtsrats ................................. 91 3. Organisatorische und ökonomische Strukturdaten ............................. 92 3.1 Eigentümerstruktur........................................................................... 92 3.2 Umweltkomplexität .......................................................................... 93 3.3 Unternehmenserfolg ......................................................................... 97
XI
II. Empirische Befunde .................................................................................... 101 1. Deskriptive Analyse................................................................................ 101 1.1 Aufsichtsratstypen als Indikatoren für die Effektivität ............. 101 1.2 Die Effizienz des Entscheidungsprozesses im Aufsichtsrat ..... 107 1.2.1 Strukturelle Faktoren............................................................. 108 1.2.1.1 Größe des Aufsichtsrats ........................................... 108 1.2.1.2 Aufsichtsratsausschüsse .......................................... 110 1.2.2 Phasen des Entscheidungsprozesses .................................. 113 1.2.2.1 Vorbereitungsphase.................................................. 113 1.2.2.2 Beschlussphase.......................................................... 115 1.2.2.3 Durchführungs- und Kontrollphase ...................... 119 1.2.3 Indikatoren für die Effizienz des Entscheidungsprozesses ................................................ 119 1.3 Das Effektivitäts- und Effizienzpotenzial des Aufsichtsrats .... 123 1.4 Zwischenergebnis............................................................................ 124 2. Statistische Analyse................................................................................. 125 2.1 Die Effektivität des Aufsichtsrats: Das Grundmodell ............... 125 2.1.1 Die Wahl des Aufsichtsratstyps........................................... 125 2.1.2 Aufsichtsratstyp und Unternehmenserfolg ....................... 130 2.2 Effektivität und Effizienz des Aufsichtsrats: Ausdifferenzierung des Grundmodells ....................................... 137 2.2.1 Aufsichtsratstyp und Organisation des Entscheidungsprozesses ....................................................... 137 2.2.2 Aufsichtsratstyp, Organisation des Entscheidungsprozesses und Unternehmenserfolg ......... 140 III. Diskussion..................................................................................................... 144
XII
F. Evaluation des Aufsichtsrats: Ein Leitfaden ............................................... 147 I. Die Problemfelder........................................................................................ 147 II. Die Evaluationskriterien............................................................................. 151 1. Compliance............................................................................................... 151 2. Performance ............................................................................................. 158 III. Diskussion..................................................................................................... 162 G. Resümee.............................................................................................................. 165 Anhang...................................................................................................................... 169 Literaturverzeichnis................................................................................................ 171
XIII
Tabellenverzeichnis Tab. D.1: Aufsichtsratstypen in der Literatur ..................................................... 75 Tab. D.2: Aufsichtsratstypen.................................................................................. 76 Tab. E.1:
Informationen zu Unternehmensstatuten und Geschäftsberichten ........................................................................ 88
Tab. E.2:
Repräsentativität der Datenbasis ......................................................... 90
Tab. E.3:
Anteilseigner- und Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat ............ 91
Tab. E.4:
Eigentumsverhältnisse........................................................................... 92
Tab. E.5:
Unternehmensstrategie und Fremdkapitalbedarf............................. 93
Tab. E.6:
Unternehmensgröße............................................................................... 94
Tab. E.7:
Branchenzugehörigkeit.......................................................................... 96
Tab. E.8:
Unternehmenserfolg: Kennzahlen (Mittelwerte)............................... 97
Tab. E.9:
Unternehmensfortbestand – Faktorladungen der Ausgangsvariablen............................................................................... 100
Tab. E.10: Realtypen der Anteilseignerbank im Aufsichtsrat .......................... 102 Tab. E.11: Realtypen der unternehmenspolitischen Kompetenz..................... 104 Tab. E.12: Aufsichtsratstypen in der Unternehmensrealität (N = 92)............. 105 Tab. E.13: Aufsichtsratstyp und Unternehmensmitbestimmung.................... 107 Tab. E.14: Aufsichtsratsgröße – MitbestG ........................................................... 108 Tab. E.15: Aufsichtsratsgröße – Nicht mitbestimmte und drittelbeteiligte Gesellschaften ................................................... 109 Tab. E.16: Bezeichnungen Aufsichtsratsausschüsse.......................................... 110 Tab. E.17: Realtypen der Aufsichtsratsausschüsse ............................................ 111 Tab. E.18: Vorbereitung der Aufsichtsratssitzung............................................. 114 Tab. E.19: Teilnehmer der Aufsichtsratssitzung ................................................ 116 Tab. E.20: Beschlussmodalitäten im Aufsichtsrat .............................................. 117 XV
Tab. E.21: Abstimmung im Aufsichtsrat ............................................................. 118 Tab. E.22: Die Effizienzindikatoren im Überblick ............................................. 120 Tab. E.23: Effizienzpotenzial des Entscheidungsprozesses.............................. 122 Tab. E.24: Einflusspotenzial des Aufsichtsrats................................................... 123 Tab. E.25: Multinominale logistische Regression zur Wahl des Aufsichtsratstyps .................................................................................. 126 Tab. E.26: Multinominale logistische Regression zur Wahl des Aufsichtsratstyps – Eigentümervariablen kontrolliert ................... 128 Tab. E.27: Effektivität der Wahl des Aufsichtsratstyps – Modell A und Modell B......................................................................................... 132 Tab. E.28: Effektivität der Wahl des Aufsichtsratstyps – Modell C ................ 135 Tab. E.29: Lineare Regression zur Effizienz des Entscheidungsprozesses .... 139 Tab. E.30: Effektivität und Effizienz des Aufsichtsrats – Modell D ................ 141 Tab. F.1:
Complianceprüfung des Gesamtaufsichtsrats: Interessenvertretung und Überwachung.......................................... 152
Tab. F.2:
Complianceprüfung des Gesamtaufsichtsrats: Organisation des Entscheidungsprozesses....................................... 155
Tab. F.3:
Complianceprüfung der Aufsichtsratsausschüsse .......................... 157
Tab. F.4:
Performanceprüfung des Gesamtaufsichtsrats: Interessenvertretung und Überwachung.......................................... 158
Tab. F.5:
Performanceprüfung des Gesamtaufsichtsrats: Organisation des Entscheidungsprozesses....................................... 161
Tab. F.6:
Performanceprüfung der Aufsichtsratsausschüsse......................... 162
Tab. I:
Korrelationen der unabhängigen Variablen..................................... 169
XVI
Abbildungsverzeichnis Abb. C.1: PA-Studien zu Aufsichtsrat und Board: Themenfelder.................... 43 Abb. C.2: Resource-Dependence-Studien zum Aufsichtsorgan ....................... 48 Abb. C.3: Boardtypologie und Entscheidungsprozess (N = 139) ..................... 56 Abb. D.1: Elemente eines Evaluationsmodells – Schematische Darstellung... 63 Abb. D.2: Der institutionelle Ansatz bei der Evaluation des Aufsichtsrats – Untersuchungsprogramm .................................. 72 Abb. D.3: Effektivität des Aufsichtsrats und Wahl des Aufsichtsratstyps...... 79 Abb. D.4: Effizienz des Aufsichtsrats und aufgabengerechte Organisation des Entscheidungsprozesses im Aufsichtsrat ................................... 81 Abb. E.1: Ergebnisse der multinominalen logistischen Regression zum Entwicklungspfad der Aufsichtsräte........................................ 128 Abb. F.1: Die Problemfelder bei der Evaluation des Aufsichtsrats ............... 147
XVII
Abkürzungsverzeichnis a.A.
anderer Auffassung
Abb.
Abbildung
Abl.
Amtsblatt
Abs.
Absatz
AktG
Aktiengesetz
Aktz.
Aktenzeichen
AR
Aufsichtsrat
ARGO
Aufsichtsratsgeschäftsordnung
Aufl.
Auflage
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BGH
Bundesgerichtshof
BGHZ
Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen
BilMoG
Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts
BT-Drucks.
Deutscher Bundestag – Drucksache
bzw.
beziehungsweise
ca.
circa
CalPERS
California Public Employees’ Retirement System
CEO
Chief Executive Officer
DAX
Deutscher Aktienindex
DCGK
Deutscher Corporate Governance Kodex
d.h.
das heißt
DrittelbG
Drittelbeteiligungsgesetz
EBIT
Earnings before Interest and Taxes
EBT
Earnings before Taxes
erw.
erweiterte
etc.
et cetera
EU
Europäische Union
f./ff.
folgend/e
FN
Fussnote
XIX
größenber.
größenbereinigt
Großkomm.
Großkommentar
H.
Heft
HGB
Handelsgesetzbuch
h.M.
herrschende Meinung
Hrsg.
Herausgeber
i.d.R.
in der Regel
incl.
inclusive
i.V.m.
in Verbindung mit
Jg.
Jahrgang
KGV
Kurs-Gewinn-Verhältnis
KonTraG
Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich
MDAX
Midcap-Index der Deutschen Börse
MitbestG
Mitbestimmungsgesetz
MontanMitbestG
Montanmitbestimmungsgesetz
m.w.N.
mit weiteren Nachweisen
NACE
Nomenclature générale des activités économiques dans les Communautés Européennes
NASDAQ
National Association of Securities Dealers Automated Quotations
NYSE
New York Stock Exchange
OECD
Organisation for Economic Cooperation and Development
PA
Prinzipal-Agenten-Theorie
Rn.
Randnummer
S.
Seite/Satz
SDAX
Smallcap-Index der Deutschen Börse
Sp.
Spalte
XX
Tab.
Tabelle
TecDAX
Midcap-Index der Technologieaktien der Deutschen Börse
TransPuG
Transparenz- und Publizitätsgesetz
u.a.
unter anderem
überarb.
überarbeitete
UMAG
Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts
vgl.
vergleiche
VGO
Vorstandsgeschäftsordnung
vs.
versus
Vol.
Volume
vollst.
vollständig
z.B.
zum Beispiel
Verzeichnis statistischer Abkürzungen *
Signifikanzniveau 10%
**
Signifikanzniveau 5%
***
Signifikanzniveau 1%
ǃ
Regressionskoeffizient
df
Zahl der Freiheitsgrade
N
Informationsstand
n.s.
nicht signifikant
R2
Bestimmtheitsmaß (Regressionsanalyse)
sig.
Signifikanz
std
standardisiert
ǘ²
Chi-Quadrat
XXI
A.
Problemstellung
Unternehmenskrisen, Firmenzusammenbrüche und Korruption haben seit Anfang der 1990er Jahre international eine Diskussion zur Wirksamkeit der unternehmensinternen und der externen Kontrolle des Managements von Aktiengesellschaften ausgelöst. Als eine Ursache für Missmanagement und ausbleibenden Erfolg deutscher Aktiengesellschaften gilt regelmäßig die unzureichende Überwachung des Vorstands durch den Aufsichtsrat. Strittig dabei ist, ob Defizite in der Überwachung eine Folge unzulänglicher gesetzlicher Regelungen sind oder sich der mangelhaften Nutzung des geltenden Rechts verdanken.1 Die Überwachung der Geschäftsführung durch den Aufsichtsrat zu fördern und einzufordern, war in der Folge Ziel gesetzlicher2 und anderer Reformaktivitäten3. In der rechtspolitischen und ökonomischen Debatte ist jedoch umstritten, ob überhaupt und inwieweit Reformbedarf besteht. Die Vorschläge für eine effektive und effiziente Überwachung des Vorstands durch den Aufsichtsrat sind in aller Regel vom angloamerikanischen Board als Vorbild geprägt.4 So wird die Aufsichtsratsmitbestimmung mit dem Argument in Frage gestellt, sie vergrößere das Gremium unnötig, verhindere eine effiziente Diskussion und
1
Vgl. Scheffler (1993), S. 70 ff., Bernhardt (1995), S. 310 ff., Götz (1995), S. 344, Hommelhoff (1995), Lutter (1995), S. 295. Wesentlich kritischer Lutter (1994), S. 176 f., der den Aufsichtsrat sogar als „Fehlkonstruktion“ bezeichnet hat.
2
Die Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats wurden seit 1998 durch das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG), das Transparenz- und Publizitätsgesetz (TransPuG), das Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) sowie zuletzt durch das Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (BilMoG) präzisiert.
3
Im Jahr 2001 hat die Regierungskommission Corporate Governance u.a. Maßnahmen zur Steigerung der Leistungsfähigkeit des Aufsichtsrats diskutiert. Vgl. Baums (2001), S. 91 ff. Seit 2002 gibt der Deutsche Corporate Governance Kodex Empfehlungen und Anregungen für eine verbesserte Überwachung durch den Aufsichtsrat.
4
Vgl. Bremeier/Mülder/Schilling (1994), S. 85 ff., Lutter (2001a), S. 227 ff., Bernhardt/Witt (2003), S. 325 f., Roth/Wörle (2004), S. 570 f., Schwalbach (2004), S. 187 f., Theisen (2004), S. 481 ff. und Aurich (2006), S. 51 ff. 1
verlangsame den Entscheidungsprozess.5 Deshalb solle die Mitbestimmung auf ein Drittel der Aufsichtsratsmandate beschränkt oder in einen Konsultationsrat ausgegliedert werden, um die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen zu sichern.6 Eine solche Änderung lehnte jedoch 2006 die „Kommission zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung“ ab.7 Den Vorschlägen zur Reform des Aufsichtsrats liegt die Annahme zugrunde, dass mit der Zahl der Aufsichtsratsmitglieder, der personellen Zusammensetzung des Aufsichtsrats und der Bildung von Aufsichtsratsausschüssen bereits die wesentlichen Bedingungen für eine erfolgreiche Aufsichtsratstätigkeit identifiziert sind. Die widersprüchlichen empirischen Befunde zum Zusammenhang zwischen Boardstruktur und Unternehmenserfolg8 deuten indessen darauf hin, dass diese Einflussgrößen wohl auch für den Aufsichtsrat zu kurz greifen. Erstaunlicherweise sind die Entscheidungen des Aufsichtsrats, obwohl ihre Bedeutung für den Erfolg des Unternehmens nicht bezweifelt werden kann, kaum Gegenstand der empirischen Aufsichtsratsforschung. Die Kompetenzen des Aufsichtsrats zur Überwachung des Vorstands und die Organisation des Entscheidungsprozesses im Aufsichtsrat als mögliche „Fehlerquellen“ werden, von wenigen Ausnahmen abgesehen9, weitgehend ausgeblendet.10 Die Interaktion zwischen den Aufsichtsratsmitgliedern wird regelmäßig als „Black Box“ behandelt.
5
Vgl. Berliner Netzwerk Corporate Governance (2004), Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände/Bundesverband der Deutschen Industrie (2004), S. 8 f., Theisen (2004), S. 487 f., Säcker (2008), S. 21 f.
6
Vgl. Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände/Bundesverband der Deutschen Industrie (2004), S. 21 f., v. Werder (2004), S. 171 f., Adams (2006), S. 1567, Säcker (2008), S. 21.
7
Vgl. Kommission Mitbestimmung (2006), S. 40 ff.
8
Vgl. statt vieler Gerum (2007), S. 22 f. m.w.N.
9
Vgl. Gerum/Steinmann/Fees (1988), S. 66 ff. und 95 ff., Gerum (2007), S. 254 ff. und 287 ff., Jürgens/Lippert/Gaeth (2008), S. 85 ff.
10
Vgl. Gerum (2007), S. 287, der dies für den Aufsichtsrat kritisiert. Vgl. ebenso zum angloamerikanischen Board Forbes/Milliken (1999), McNulty/Pettigrew (1999), S. 68, Conger/ Lawler/Finegold (2001), S. 28, Dalton/Dalton (2005), S. S95 f., Gabrielsson/Huse (2005), S. 24 f., Huse (2005), Roberts/McNulty/Stiles (2005), S. S11 ff., Huse (2007), S. 3 f.
2
Der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) postuliert eine systematische Evaluation des Aufsichtsrats (Ziffer 5.6). Zu den Kriterien und dem Ablauf der Evaluation schweigt er jedoch. Die Evaluation des Aufsichtsrats soll durch die Sicherung der Compliance und die Überprüfung der Performance unterschiedlichen Zwecken dienen.11 Die Complianceprüfung begutachtet, inwieweit der Aufsichtsrat die gesetzlichen Regelungen und die Empfehlungen des DCGK einhält. Bei der Performanceprüfung soll die Erfolgswirkung des Aufsichtsrats beurteilt und das Verbesserungspotenzial für eine zukünftig effektivere und effizientere Aufsichtsratstätigkeit aufgezeigt werden.12 Wegen des Defizits in der empirischen Forschung zum Aufsichtsrat ist jedoch unklar, welche Kriterien für eine Evaluation der Performance des Aufsichtsrats sinnvoll sind. Die Kommentarliteratur schlägt lediglich vor, neben der Größe des Aufsichtsrats, der personellen Zusammensetzung und der Ausschussbildung die Qualität der organinternen Diskussionskultur zu evaluieren.13 Inwieweit die Praxis diesen Vorschlägen folgt oder andere Kriterien für die Performanceprüfung verwendet, ist nicht bekannt. In der Entsprechenserklärung (§ 161 AktG) wird nur berichtet, ob eine Evaluation des Aufsichtsrats erfolgte. Ziel dieser Arbeit ist es, einen Leitfaden zur Evaluation des Aufsichtsrats theoretisch und empirisch zu begründen, der sowohl für eine Complianceprüfung als auch für eine Performanceprüfung eingesetzt werden kann. Die Prüfmaßstäbe zur Compliance ergeben sich aus dem Gesetz oder dem Deutschen Corporate Governance Kodex. Für die Performancekriterien muss die Wirkung der firmenspezifischen Ausgestaltung der Aufgaben und Rechte des Aufsichtsrats auf den Unternehmenserfolg empirisch geprüft werden. Die Untersuchung orientiert sich an den Leitfragen: „Ist der Aufsichtsrat effektiv?“ und „Arbeitet der Aufsichtsrat effizient?“.
11
Vgl. Baums (2001), S. 103, v. Werder/Grundei (2003), S. 680, Semler (2005), S. 402 ff., DCGK Kommentar/v. Werder (2008), S. 294 f.
12
Die Idee einer Performanceprüfung beim Aufsichtsrat hat ihren Ursprung in der Board Performance Evaluation. Vgl. hierzu Demb/Neubauer (1992), S. 168 f.; ferner Lentfer (2005), S. 418 ff. mit Bezug auf den Aufsichtsrat.
13
Vgl. DCGK Kommentar/v. Werder (2008), S. 295. 3
Um dieses Untersuchungsprogramm zu realisieren, werden in Teil B zunächst die Leitfragen zur Evaluation des Aufsichtsrats expliziert und, als Maßstab für die Complianceprüfung, die rechtlichen Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit geklärt. In Teil C erfolgt eine Bestandsaufnahme des auf die Effektivität und die Effizienz des Aufsichtsrats beziehbaren theoretischen und empirischen Wissens. Das Ergebnis der Bestandsaufnahme gibt Veranlassung, ein Konzept für die Evaluation des Aufsichtsrats zu entwickeln (Teil D). Die Wirkung der (potenziellen) Einflussgrößen auf die Effektivität und die Effizienz des Aufsichtsrats wird in Teil E empirisch überprüft. Aus den Befunden kann schließlich ein Leitfaden zur Evaluation des Aufsichtsrats begründet werden (Teil F). Die Arbeit schließt mit einer kurzen Zusammenfassung der Ergebnisse.
4
B.
Die Leitfragen zur Evaluation des Aufsichtsrats
I.
Die Leitfragen
Für die Präzisierung der Leitfragen zur Effektivität und Effizienz des Aufsichtsrats ist die aus der Strategielehre bekannte Differenzierung „doing the right things“ und „doing the things right“ hilfreich.1 Die erste Leitfrage, „Ist der Aufsichtsrat effektiv?“, bezieht sich auf die Aufgaben und Rechte des Aufsichtsrats. Der Aufsichtsrat hat den Vorstand, der die Gesellschaft in eigener Verantwortung leitet, zu überwachen (§ 111 Abs. 1 AktG) und dabei die Interessen der Aktionäre und der Arbeitnehmer zu wahren.2 Diese Aufgabenteilung zwischen Vorstand und Aufsichtsrats ist die Konsequenz der organisatorischen Trennung der Managementfunktionen Planung, Realisation und Kontrolle in der Führungsorganisation der deutschen Aktiengesellschaft.3 Die Rolle des Aufsichtsrats besteht nicht in der aktiven Beeinflussung der Unternehmenspolitik.4 Dem Aufsichtsrat würde es dafür wegen der geringen Sitzungsfrequenz und dem systematischen Wissensvorsprung des Vorstands an den zeitlichen und informationellen Voraussetzungen fehlen.5 Er soll prüfen, ob und inwieweit die Unternehmenspolitik den verfassungskonstituierenden Interessen entspricht. Als Ziel eines effektiven Aufsichtsrats gilt in der juristischen und betriebswirtschaftlichen Literatur die
1
Vgl. Drucker (1963), S. 54. Die Sicherung der Effektivität hat dabei stets Priorität gegenüber der Effizienz. Vgl. hierzu Hofer/Schendel (1978), S. 2, Katz/Kahn (1978), S. 166 f., Scholz (1992), Sp. 533, Frost (1998), S. 234.
2
Vgl. statt vieler Gerum (2007), S. 203 f. Vgl. zur Stakeholderorientierung des deutschen Corporte-Governance-Systems weiter Schmidt (2007) m.w.N.
3
Vgl. Steinmann/Gerum (1978), S. 87 ff., Lorsch (1996), S. 201 ff., Gerum (2007), S. 203 f.
4
Vgl. Kölner Kommentar/Mertens (1995), § 111 Rn. 59, Großkomm. AktG/Hopt/Roth (2005), § 111 Rn. 556 ff., Münchener Kommentar/Habersack (2008), § 111 Rn. 96 f.
5
Vgl. Gerum (2007), S. 203 f. Dagegen Lutter (2001a), Roth (2004), S. 4, Hilb/Knorr/Steger (2007), S. 201, Lutter/Krieger (2008), S. 23 f., die den Aufsichtsrat als (Mit-)Unternehmer sehen. 5
Sicherung des Unternehmensfortbestands, da dieser funktional sei sowohl für die Interessen der Kapitaleigner als auch die der Arbeitnehmer.6 Für die Leitfrage „Arbeitet der Aufsichtsrat effizient?“ gilt es zu untersuchen, ob das Verfahren im Aufsichtsrat effiziente Entscheidungen ermöglicht. Um die Effizienz des Entscheidungsprozesses zu evaluieren, ist es zweckmäßig zwischen der Organisationsstruktur des Aufsichtsrats und der Organisation des Entscheidungsprozesses zu unterscheiden. Die Annahme ist, dass ein aufgabengerecht und effizient organisierter Entscheidungsprozess sich auf den Unternehmensfortbestand positiv auswirkt. Zu den Leitfragen der Evaluation des Aufsichtsrats werden im Folgenden die zwingenden gesetzlichen Regelungen und die Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) für eine pflichtgemäße Tätigkeit des Aufsichtsrats expliziert. Sie bilden den Maßstab für die Complianceprüfung7. Dabei wird auch der Frage nachgegangen, ob das geltende Recht bereits eine effektive und effiziente Tätigkeit des Aufsichtsrats bewirkt oder ob nicht vielmehr die gesetzlichen Regelungen für einen erfolgswirksamen Aufsichtsrat (Performance) firmenspezifisch konkretisiert werden müssen.8
6
Im juristischen Schrifttum korrespondiert das Interesse am Fortbestand des Unternehmens „als produktive, wertschöpfende Einheit“ mit dem Begriff des Unternehmensinteresses. Eine Orientierung allein am Interesse der Kapitaleigner als Leitmaxime für Vorstand und Aufsichtsrat ist vom Aktienrecht nicht gewollt. Vgl. Raisch (1976), S. 349, Raiser (1976), S. 108 f., Mertens (1977), S. 275, Raiser (1989), S. 44, Schmidt-Leithoff (1989), S. 89 f., Kuhner (2004), S. 250 f. und Seifert (2007), S. 264. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht Steinmann/Gerum (1978), S. 80 ff.
7
Vgl. statt vieler Schneider (2006), S. 270 ff., zur Explikation des Begriffs Compliance. Die Definitionen in der Literatur stimmen darin überein, dass Compliance gesetzeswidriges Verhalten vermeiden oder verringern soll.
8
Vgl. hierzu auch Charan (2005), S. 17, der beim angloamerikanischen Board unterscheidet zwischen einem Ceremonial Board, der lediglich den rechtlichen Bestimmungen (Compliance) genügt, und dem erfolgssteigernden Progressive Board.
6
II.
Ist der Aufsichtsrat effektiv?
Die Aufgaben des Aufsichtsrats sind das Ergebnis der organisatorischen Trennung von Geschäftsführung und Kontrolle im deutschen Aktienrecht. Um beurteilen zu können, ob der Aufsichtsrat den Vorstand effektiv im Sinne der verfassungskonstituierenden Interessen überwacht, ist es wichtig zu wissen, wer diese Aufgabe wahrnimmt und wie die Kompetenzen zwischen Aufsichtsrat und Vorstand verteilt sind. 1.
Interessenvertretung
Um die Interessen der Kapitaleigner und der Arbeitnehmer gegenüber dem Vorstand effektiv vertreten zu können, sollten die Aufsichtsratsmitglieder sowohl über Fachwissen als auch über Erfahrung in der Branche verfügen. Die gesetzlichen Vorschriften hierzu sind rudimentär. Zur personellen Zusammensetzung des Aufsichtsrats bestimmt das Aktienrecht lediglich, dass nur eine natürliche und geschäftsfähige Person Mitglied des Aufsichtsrats sein kann (§ 100 Abs. 1 AktG). Ansonsten regelt es nur, wer nicht Mitglied sein darf: Insbesondere sind dies Angehörige der Geschäftsführung, Prokuristen, Handlungsbevollmächtigte, Vertreter abhängiger Gesellschaften und Personen, die bereits zehn Aufsichtsratsmandate besitzen (§§ 100 Abs. 2 S. 1, 105 Abs. 1 AktG).9 Grundsätzlich gilt, dass jedes Aufsichtsratsmitglied die Geschäftsvorfälle ohne fremde Hilfe verstehen und analysieren können muss.10 Dabei sind die Aufsichtsratsmitglieder dem Unternehmensinteresse verpflichtet. Sie dürfen also keine Partikularinteressen, weder nur die der Kapitaleigner noch nur die der Arbeitnehmer, verfolgen.11
9
Vgl. näher Kölner Kommentar/Mertens (1995), § 100 Rn. 13 ff., Berrar (2001), S. 1116 f., Großkomm. AktG/Hopt/Roth (2005), § 100 Rn. 32 ff., Wirth (2005), S. 331 ff., Münchener Kommentar/Habersack (2008), § 100 Rn. 13 ff.
10
Vgl. BGH-Urteil vom 15.11.1982, Aktz. II ZR 27/82, BGHZ 85 (1982), S. 295 f. Vgl. weiter Habersack (2008), S. 99 zum Entwurf des BilMoG, der vorsieht, dass bei börsennotierten Gesellschaften mindestens ein Aufsichtsratsmitglied über Sachverstand auf dem Gebiet der Rechnungslegung oder der Abschlussprüfung verfügen muss.
11
Vgl. BVerfG-Urteil vom 7.11.1972, S. 112, BGH-Urteil vom 5.06.1975, S. 330 f., BVerfGUrteil vom 1.03.1979, S. 374. Vgl. weiter Kölner Kommentar/Mertens (1995), § 116 Rn. 27, 7
Für die Kapitaleignerseite können durch die Satzung persönliche Anforderungen, wie ein höheres Mindestalter, berufliche oder fremdsprachliche Fähigkeiten und Qualifikationen, aufgestellt werden (§ 100 Abs. 4 AktG). Die inhaltliche Konkretisierung darf jedoch nicht so weit gehen, dass es sich gleichsam um eine Entsendung handelt. Die freie Auswahl durch die Hauptversammlung muss gewahrt bleiben.12 Der DCGK empfiehlt für die Auswahl von Aufsichtsratsmitgliedern die zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Aufgabe erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und fachlichen Erfahrungen und nennt als weitere Auswahlkriterien die Internationalität des Unternehmens, potenzielle Interessenkonflikte und eine Altersgrenze (Ziffer 5.4.1). Weiter postuliert der Kodex, dass die Aufsichtsratsmitglieder hinreichend unabhängig sein sollen; insbesondere sollen sie keine zu große Nähe zum Vorstand der Gesellschaft aufweisen, durch Einzelwahlen bestellt werden und nicht mehr als fünf Aufsichtsratsmandate in anderen, konzernfremden Gesellschaften ausüben.13 Die Zusammensetzung der Arbeitnehmerseite im mitbestimmten Aufsichtsrat ist im Detail geregelt. Das Mitbestimmungsgesetz bestimmt größenabhängig wie viele Unternehmensangehörige, Leitende Angestellte und Gewerkschaftsvertreter dem Aufsichtsrat angehören müssen. Das Gleiche gilt (größenabhängig) auch für die dem Drittelbeteiligungsgesetz unterliegenden Gesellschaften, was das Verhältnis von unternehmensinternen und -externen Aufsichtsratsmitgliedern betrifft (§ 4 DrittelbG), sowie für den montanmitbestimmten Aufsichtsrat (§ 4 Abs. 1, 9 MontanMitbestG).14 Was die fachliche Qualifikation der Arbeitnehmervertreter angeht, so dürfen für diese in der Satzung keine Anforderungen formuliert werden, die die Wahlfreiheit der Arbeitneh-
Großkomm. AktG/Hopt/Roth (2005), § 116 Rn. 173 ff., Münchener Kommentar/Habersack (2008), § 116 Rn. 11. 12
Vgl. Kölner Kommentar/Mertens (1995), § 100 Rn. 28, Großkomm. AktG/Hopt/Roth (2005), § 100 Rn. 103., Münchener Kommentar/Habersack (2008), § 100 Rn. 40 f. Außerdem Lutter (2003), S. 417 ff., der den Aufsichtsrat sogar in der Pflicht sieht, ein Anforderungsprofil für seine Mitglieder zu entwickeln. Dagegen Wirth (2005), S. 336 ff.
13
Vgl. DCGK Kommentar/Kremer (2008), S. 262 ff. zu Ziffern 5.4.2, 5.4.3 und 5.4.5.
14
Vgl. im Einzelnen Gerum/Mölls (2009). Siehe weiter Habersack (2007), S. 641 ff., zur Zurechnung der Arbeitnehmer im mitbestimmten und drittelbeteiligten Konzern.
8
mer beeinträchtigen würden (§ 100 Abs. 4 AktG). Dennoch müssen auch die Arbeitnehmervertreter über eine „Mindestqualifikation“ verfügen oder diese erwerben, da das Gesetz nicht zwischen verschiedenen Arten von Aufsichtsratmitgliedern unterscheidet. Gleiche Rechte begründen gleiche Pflichten. Für eine effektive Interessenvertretung wird die Einhaltung dieser gesetzlichen Regelungen und Kodexempfehlungen jedoch als nicht ausreichend erachtet.15 Um die Erfolgswirkung des Aufsichtsrats zu sichern, postulieren Reformvorschläge insbesondere eine höhere Qualifikation der Aufsichtsratsmitglieder. So wird gefordert, dass der Aufsichtsrat unter Berücksichtigung der branchen- und unternehmensspezifischen Besonderheiten ein Anforderungsprofil der fachlichen Kompetenzen bestimmen und den Stakeholdern jährlich bekannt machen soll, welche Mitglieder diese Kriterien erfüllen. Weiter wird für eine effektive Interessenvertretung eine Absenkung der zulässigen Mandatszahl diskutiert.16 2.
Überwachung
Der Aufsichtsrat benötigt geeignete, formal gesicherte Instrumente, um den Vorstand effektiv im Sinne der Kapitaleigner und der Arbeitnehmer überwachen zu können. Von der Rollenverteilung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat ausgehend sind dem Aufsichtsrat die Personalhoheit (§ 84 AktG, § 31 MitbestG) und die Organisationskompetenz (§ 77 AktG), die unternehmenspolitische Kompetenz (§ 111 Abs. 4 S. 2 AktG) und die Beratungskompetenz (§§ 90, 111 Abs. 1 AktG) zugewiesen. Die Personalhoheit, d.h. das Recht zur Bestellung und Abberufung des Vorstands (§ 84 AktG, § 31 MitbestG), dient zum einen der Legitimation der Unternehmensführung und zum anderen der vorbeugenden Überwachung
15
Vgl. hierzu Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2005), Abl. L 52 vom 25.02. 2005, Ziffer 11.1 und 11.3, S. 56. Die Aufsichtsräte sollen ferner selbst Kriterien festlegen, nach denen sich die Unabhängigkeit der Mitglieder bemisst. (Ziffer 13.2, S. 56). Ebenso Lutter (2003), S. 417, Säcker (2004), S. 181 ff., Theisen (2004), S. 481 f., Kort (2008), S. 142 f.
16
Vgl. Oetker (2003), S. 269 f., Säcker (2004), S. 184. 9
des Vorstands.17 Dadurch soll das Entscheidungsverhalten des Vorstands auf die Interessen der Kapitaleigner und Arbeitnehmer ausgerichtet werden. Hierbei gilt es jedoch zu sehen, dass diese zweifellos höchst bedeutsame Kompetenz zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die effektive Überwachung des Vorstands ist, da sie von der faktischen Reichweite her keinen Durchgriff auf alle Aktivitäten des Vorstands über eine gesamte Wahlperiode hinweg ermöglicht. Unternehmerische Entscheidungen sind situationsabhängig und deshalb ex ante nicht determinierbar. Somit wird durch die Personalhoheit des Aufsichtsrats nur der „atmosphärische Rahmen“ für die unternehmensstrategischen und funktionsbezogenen Entscheidungen geschaffen.18 Mit Personalentscheidungen sind (enttäuschbare) Erwartungen verbunden, die in unternehmensstrategischen Entscheidungen und Programmen erst ihren Niederschlag finden müssen. Mit der Personalfunktion eng verknüpft ist die Organisationskompetenz des Aufsichtsrats. Durch die Vorstandsgeschäftsordnung kann die Geschäftsverteilung und Willensbildung im Vorstand näher geregelt werden, sofern dies nicht bereits durch Satzung erfolgt ist (§ 77 AktG).19 Für den Erlass der Vorstandsgeschäftordnung gilt: Der Vorstand kann mit einstimmigem Beschluss die Geschäftsordnung, inklusive der Geschäftsverteilung, selbst regeln, solange nicht der Aufsichtsrat diese erlässt oder die Satzung den Erlass der Geschäftsordnung zwingend dem Aufsichtsrat zuweist (§ 77 Abs. 2 S. 1 AktG). Die Hauptversammlung kann in der Satzung Einzelfragen der Geschäftsordnung und der Geschäftsverteilung bindend regeln (§ 77 Abs. 2 S.
17
Vgl. hierzu Kölner Kommentar/Mertens (1988), § 84 Rn. 8 ff. und 47 ff., Münchner Kommentar/Spindler (2008), § 84 Rn. 8 ff. und 105 ff. Für den mitbestimmten Aufsichtsrat vgl. Großkomm. AktG/Oetker (1999), § 31 MitbestG Rn. 4 ff. und 20 ff., Ulmer/Habersack/Henssler (2006), § 31 MitbestG Rn. 5 ff. und 35 ff. und Köstler/Zachert/Müller (2006), S. 303 ff. und 315 ff.
18
Vgl. Steinmann/Gerum (1980), S. 3. Zu der in der juristischen Diskussion allgemein höheren Einschätzung der Personalhoheit für eine effektive Überwachung vgl. etwa Krieger (1981), S. 1 und Semler (2009), S. 13, der dies für die „bei weitem wichtigste Aufgabe des Aufsichtsrats“ hält; ebenso Thümmel (2004), S. 87 und Fonk (2006), S. 874.
19
Vgl. hierzu und zum Folgenden Kölner Kommentar/Mertens (1988), § 77 Rn. 39 ff., Großkomm./Kort (2003), § 77 Rn. 64 ff. und Münchener Kommentar/Spindler (2008), § 77 Rn. 34 ff. Zum mitbestimmten Aufsichtsrat vgl. Köstler/Zachert/Müller (2006), S. 318 ff.
10
2 AktG), wodurch jedoch die Organisationskompetenz des Aufsichtsrats ausgehöhlt wird. Der Vorstand verfügt also letztlich über keine Organisationsautonomie. Es ist Aufgabe des Aufsichtsrats, für eine sachgerechte, effiziente Organisation der Vorstandsarbeit zu sorgen. Der DCGK empfiehlt, dass der Aufsichtsrat für diesen Zweck eine Geschäftsordnung erlässt, die die Geschäftsverteilung und Zusammenarbeit im Vorstand regelt (Ziffer 4.2.1 S. 2). Für die effektive Überwachung bzw. die Möglichkeit auf die Aktivitäten des Vorstands Einfluss zu nehmen, kommt dem Erlass der Vorstandsgeschäftsordnung aber nur mittelbare Bedeutung zu. Ein Durchgriff auf die Entscheidungen und Aktivitäten des Vorstands selbst ergibt sich daraus nicht. Eine Mitentscheidungsfunktion erwächst dem Aufsichtsrat zunächst durch die ihm bereits gesetzlich zugewiesenen Sachverhalte (§§ 58 Abs. 2, 59 Abs. 3, 88, 89, 172, 204 Abs. 1 AktG). Das zentrale Instrument zur Überwachung der Aktivitäten des Vorstands sind die zustimmungspflichtigen Geschäfte, die sich der Aufsichtsrat, soweit diese nicht bereits durch die Hauptversammlung eingerichtet wurden, selbst zu kreieren hat (§ 111 Abs. 4 S. 2 AktG).20 Der DCGK nennt beispielhaft Entscheidungen oder Maßnahmen, die die Vermögens-, Finanz- oder Ertragslage des Unternehmens grundlegend ändern (Ziffer 3.3 S. 2). Mit dem ausgestaltungsbedürftigen Recht des Zustimmungsvorbehalts bei bestimmten Arten von Geschäften ist ein effektiver, unmittelbarer Zugriff auf die unternehmenspolitischen Entscheidungen eröffnet. Erst die unternehmenspolitische Kompetenz ermöglicht dem Aufsichtsrat eine vorbeugende und begleitende Kontrolle der Geschäftsführung. Durch diese (negative) Entscheidungskompetenz wird die Geschäftsführungsautonomie des Vorstands begrenzt; sie unterliegt dem Interessenvorbehalt des Aufsichtsrats. Zweifelsohne steht dem Aufsichtsrat damit das stärkste Instrument zur Überwachung des Vorstands zur Verfügung.21 Das Recht, die Kooperation mit dem
20
Vgl. Großkomm. AktG/Hopt/Roth (2005), § 111 Rn. 583 ff., Hüffer (2008), § 111 Rn. 16 ff., Münchener Kommentar/Habersack (2008), § 111 Rn. 100 ff., Lutter/Krieger (2008), S. 45 ff., Kropff (2009), S. 369 ff. Zur Entstehungsgeschichte im Zuge der Reform des Aktiengesetzes 2002 vgl. Regierungsbegründung zum TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 17 f., sowie Baums (2001), S. 77.
21
Vgl. Gerum (2007), S. 286. Ähnlich Albach (1997), S. 32. 11
Vorstand und seinen unternehmensstrategischen Vorstellungen zu verweigern, bedeutet jedoch nicht, dass der Aufsichtsrat deshalb zur Unternehmensführung wird. Es soll lediglich institutionell sichergestellt werden, dass sich die Unternehmensaktivitäten an den Interessen der Anteilseigner und der Arbeitnehmer orientieren.22 Kreiert der Aufsichtsrat keine Zustimmungsvorbehalte oder hält er den Katalog der zustimmungspflichtigen Geschäfte bewusst eng, so kommt er seinen gesetzlichen Pflichten nicht nach.23 Die Überwachungsfunktion des Aufsichtsrats bezieht sich nicht nur auf die Kontrolle des Vorstands zur Verhinderung und Aufdeckung von Fehlern, sondern beinhaltet auch die Beratung mit dem Vorstand.24 Durch die Beratungskompetenz werden dem Vorstand die Interessen der Anteilseigner und Arbeitnehmer deutlich und er kann bereits im Vorfeld zu potenziellen Gegenargumenten Stellung nehmen und ihnen gegebenenfalls Rechnung tragen. Damit der Aufsichtsrat seiner Beratungs- und Kontrollfunktion gerecht werden und insbesondere das Widerspruchsrecht bei zustimmungspflichtigen Geschäften sinnvoll ausüben kann, hat der Vorstand den Aufsichtsrat über die gegenwärtigen, bereits abgeschlossenen und die beabsichtigten Unternehmensaktivitäten zu informieren (§ 90 Abs. 1 AktG).25 Durch die gesetzlichen Berichtspflichten soll die rollenbedingt asymmetrische Informationsverteilung zwischen dem Vorstand, dem Herr der Informationen, und dem Aufsichtsrat als Kontrolleur abgebaut werden. Unabhängig davon wird in der Literatur gefordert, dass der Aufsichtsrat für eine effektive, begleitende Überwachung des Vorstands eine Informationsordnung erlassen muss26, die näher regelt, über welche Sachverhalte, in welcher zeitlichen Frequenz und in welcher Form der
22
Vgl. näher Steinmann/Gerum (1978), S. 90 ff.
23
Vgl. Lutter/Krieger (2008), S. 46 f.
24
Vgl. hierzu BGH-Urteil vom 25.03.1991, Aktz. II ZR 188/89, BGHZ 114 (1991), S. 130 sowie Jäger (1996).
25
Vgl. hierzu Baums (2001), S. 65 ff., Lutter (2006), S. 13 ff. und Münchener Kommentar/ Spindler (2008), § 90 Rn. 6 ff. Für den mitbestimmten Aufsichtsrat insbesondere vgl. Ulmer/Habersack/Henssler (2006), § 25 MitbestG Rn. 54 ff. sowie Köstler/Zachert/ Müller (2006), S. 224 ff.
26
Vgl. Lutter (2006), S. 32 zur Notwendigkeit eines Gesamtkonzepts der Information.
12
Vorstand dem Aufsichtsrat zu berichten hat.27 Genau dies empfiehlt auch der DCGK (Ziffer 3.4 Abs. 3 S. 1), der ansonsten, was die Informationsversorgung des Aufsichtsrats anbelangt, nur die gesetzlichen Regelungen wiederholt. III. Arbeitet der Aufsichtsrat effizient? Der Aufsichtsrat übt seine Aufgaben als Kollegialorgan aus. Um zu beurteilen, ob der Aufsichtsrat effizient arbeitet, soll bei der Evaluation des Aufsichtsrats die Organisation des Entscheidungsprozesses geprüft werden. Die gesetzlichen Bestimmungen zur Größe des Aufsichtsrats, den Aufsichtsratsausschüssen, der Position des Aufsichtsratsvorsitzenden und seines Stellvertreters sowie der Organisation der Willensbildung im Aufsichtsrat sind, wie die folgende Explikation der rechtlichen Grundlagen zeigt, nur zum Teil zwingend (§§ 95, 107-110, 116 AktG).28 Deshalb kann durch firmenspezifische Regelungen in den Unternehmensstatuten nicht nur die Effizienz der Entscheidungsfindung im Aufsichtsrat und die Qualität der Entscheidungen, sondern auch die Machtverteilung im Aufsichtsrat zwischen Kapitaleignern und Arbeitnehmern beeinflusst werden. 1.
Die Organisationsstruktur des Aufsichtsrats
1.1
Größe des Aufsichtsrats
In der rechtspolitischen Debatte ist die Größe des Aufsichtsrats unter dem Gesichtspunkt der Effizienz strittig.29 Der Aufsichtsrat besteht aus mindestens drei Mitgliedern (§ 95 AktG). Die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder kann, in Abhängigkeit vom Grundkapital, auf bis zu 21 Mitglieder erhöht werden. Es bleibt also der Hauptversammlung überlassen, unter Berücksichtigung der
27
Zur Ausgestaltung einer Informationsordnung vgl. näher Gerum (1985), S. 756 ff. und Theisen (2007), S. 79 ff.
28
Diese Bestimmungen gelten auch für mitbestimmte Unternehmen (§ 25 Abs. 1 Nr. 1, 2 MitbestG) und werden ergänzt durch §§ 7, 27-29, 31, 32 MitbestG.
29
Vgl. Hopt (2000), S. 29 f., Baums (2001), S. 92 f., Oetker (2003), S. 266 f., Kort (2008), S. 140. 13
unternehmensspezifischen Gegebenheiten, selbst zu entscheiden, welche Aufsichtsratsgröße für eine effiziente Aufgabenerfüllung zweckmäßig ist.30 Um die Interessenvertretung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat sicherzustellen, schränken die Gesetze zur Unternehmensmitbestimmung diese Flexibilität des Aktiengesetzes ein.31 Eine effiziente Willensbildung sei in den mitbestimmten Aufsichtsräten mit 16 bzw. 20 Mitgliedern nicht möglich. Deshalb müsse eine Verkleinerung auf 12 bis 14 Mitglieder angestrebt werden.32 Zuletzt befasste sich auch die „Kommission zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung“ mit der Aufsichtsratsgröße. Im Abschlussbericht empfahl sie nur eine Flexibilisierung der gesetzlichen Höchst- und Mindestvorgaben. Eine Verkleinerung des Aufsichtsrats wurde abgelehnt.33 1.2
Aufsichtsratsausschüsse
Die betriebswirtschaftliche und juristische Literatur ist sich darüber einig, dass bei größeren Gesellschaften, wegen der Komplexität der Aufgabe, eine organisatorische Differenzierung durch Ausschussbildung im Aufsichtsrat erforderlich ist. In den Aufsichtsratsausschüssen sei eine intensivere fachliche Diskussion möglich, die zu einer effizienteren Aufsichtsratstätigkeit führe.34
30
Vgl. Kölner Kommentar/Mertens (1995), § 95 Rn. 10 ff., Großkomm. AktG/Hopt/Roth (2005), § 95 Rn. 60 ff. und Münchener Kommentar/Habersack (2008), § 95 Rn. 7 ff.
31
Bei Aktiengesellschaften mit mehr als 500, aber weniger als 2000 Arbeitnehmern muss der Aufsichtsrats zu einem Drittel aus Arbeitnehmervertretern bestehen (§§ 1, 4 DrittelbG); die Größe des Aufsichtsrats bemisst sich ansonsten nach § 95 AktG. In Aktiengesellschaften mit mehr als 2000 Arbeitnehmern muss sich der Aufsichtsrat paritätisch aus Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer zusammensetzen (§§ 7, 15 Abs. 1 S. 2 MitbestG). Die Größe des Gremiums richtet sich nach der Arbeitnehmerzahl und hat entsprechend 12, 16 oder 20 Mitglieder. Eine freiwillige Vergrößerung auf bis zu 20 Personen ist zulässig. Vgl. Großkomm. AktG/Oetker (1999), § 7 MitbestG Rn. 4 ff., Ulmer/Habersack/Henssler (2006), § 7 MitbestG Rn. 14 ff. und Köstler/Zachert/Müller (2006), S. 106 f. sowie zusammenfassend Gerum (2007), S. 205.
32
Vgl. statt vieler Lutter (1995), S. 298 f. sowie Schwalbach (2004), S. 187.
33
Vgl. Kommission Mitbestimmung (2006), S. 22 ff.
34
Vgl. Deckert (1996), S. 987, Coenenberg/Reinhart/Schmitz (1997), S. 995 ff., Hopt (2000), S. 30, Lutter (2001b), S. 229 f., Bernhardt/Witt (2003), S. 326, Jungmann (2006), S. 467 sowie Müller-Stewens/Schimmer (2008).
14
Der Aufsichtsrat ist nicht zur Ausschussbildung verpflichtet; er kann zur Vorbereitung oder Überwachung seiner Beschlüsse Ausschüsse einrichten (§ 107 Abs. 3 S. 1 AktG).35 Nur in mitbestimmten Unternehmen ist ein Vermittlungsausschuss (§§ 27 Abs. 3, 31 Abs. 3 MitbestG) obligatorisch. Ansonsten ist der Aufsichtsrat, auch was die personelle Zusammensetzung36 und die Funktionen der Ausschüsse anbelangt, frei. Dies umfasst auch die Delegation von Entscheidungen an Aufsichtsratsausschüsse, soweit die Einschränkungen von § 107 Abs. 3 S. 2 AktG berücksichtigt werden. Die Wahl des Aufsichtsratsvorsitzenden und seines Stellvertreters, die Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern und der Erlass einer Geschäftsordnung für Vorstand oder Aufsichtsrat kann nicht delegiert werden. Der DCGK empfiehlt zur Effizienzsteigerung und zur Behandlung komplexer Sachverhalte die Einrichtung fachlich qualifizierter Ausschüsse (Ziffer 5.3.1 S. 1 und 2). Insbesondere soll der Aufsichtsrat einen Prüfungsausschuss (Ziffer 5.3.2 S. 1) und einen Nominierungsausschuss (Ziffer 5.3.3) bilden.37 Wenn im Aufsichtsrat Ausschüsse existieren, so müssen diese zur Vermeidung eines Informationsdefizits regelmäßig an das Aufsichtsratsgremium berichten (§ 107 Abs. 3 S. 3 AktG).38
35
Vgl. hierzu und zum Folgenden Kölner Kommentar/Mertens (1995), § 107 Rn. 89 ff., Großkommentar AktG/Hopt/Roth (2005), § 107 Rn. 263 ff. und Münchener Kommentar/ Habersack (2008), § 107 Rn. 92 ff. sowie für den mitbestimmten Aufsichtsrat statt vieler Ulmer/Habersack/Henssler (2006), § 25 MitbestG Rn. 122 ff. und Köstler/Zachert/Müller (2006), S. 186 ff. Vgl. auch Habersack (2008), S. 100 f., wonach das BilMoG zunächst einen obligatorischen Prüfungsausschuss bei kapitalmarktorientierten Aktiengesellschaften vorsah. Dem Vorschlag wurde im Referentenentwurf nicht gefolgt.
36
Im mitbestimmten Aufsichtsrat besteht kein Anspruch auf eine paritätische Besetzung der Ausschüsse. Der Bundesgerichtshof hat aber entschieden, dass Arbeitnehmervertreter nicht ohne sachlichen Grund von der Ausschussarbeit ausgeschlossen werden dürfen. Vgl. BGH-Urteil vom 17.05.1993, Aktz. II ZR 89/92, BGHZ 122 (1993), S. 354 ff. sowie Köstler/Zachert/Müller (2006), S. 191 m.w.N.
37
Vgl. Coenenberg/Reinhart/Schmitz (1997), S. 989 f. und Merkt/Göthel (2006), S. 323 ff. m.w.N., wonach deutsche Aktiengesellschaften, die an NYSE oder NASDAQ gelistet sind, als Börsenzugangsvoraussetzung ein Audit Committee, ein Nomination Committee und ein Compensation Committee einrichten müssen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Committees im angloamerikanischen System dazu dienen, strukturelle Defizite des monistischen Systems – die Einheit von Leitung und Überwachung – zu beseitigen.
38
Zu den Berichtspflichten im Einzelnen Hüffer (2008) § 107 Rn. 22a, Münchener Kommentar/Habersack (2008), § 107 Rn. 155 f. sowie Baums (2001), S. 98 zur Begründung im Rahmen des TransPuG. 15
In der Literatur wird kritisiert, die Ausschussbildung ziehe ein Informationsgefälle im Aufsichtsrat nach sich, mit der Folge, dass sowohl die Funktionsfähigkeit als auch das Gefühl der Gesamtverantwortung leide.39 Bereits die Delegation der Entscheidungsvorbereitung an einen Ausschuss könne eine Aushöhlung der Entscheidungskompetenz des Aufsichtsrats nach sich ziehen, da der Finalentschluss in der Regel nur die Ratifizierung einer bereits gefundenen Lösung darstelle.40 Bei Entscheidungsdelegation bestehe nicht nur die Gefahr, dass weniger Problemlösungsalternativen in die Entscheidungsphase eingehen, sondern vor allem, dass das Plenum „leer läuft“ und so seiner Kompetenz beraubt werde.41 1.3
Aufsichtsratsvorsitzender und Stellvertreter
Der Aufsichtsrat benötigt zur Sicherung eines effizienten Verfahrensablaufs, wie jedes andere Gremium auch, einen Vorsitzenden, der die Leistungsbeiträge der einzelnen Mitglieder und der Aufsichtsratsausschüsse in funktioneller und zeitlicher Hinsicht koordiniert. Dazu hat der Aufsichtsrat aus seiner Mitte einen Vorsitzenden und mindestens einen Stellvertreter zu wählen. Durch die Satzung kann die Zahl der Stellvertreter erweitert und deren Reihenfolge festgelegt werden (§ 107 Abs. 1 S. 1 AktG).42 Für die paritätisch mitbestimmten Unternehmen gelten Sonderregelungen, die bewirken, dass der Aufsichtsratsvorsitzende ein Vertreter der Anteilseigner ist und der (erste) Stellvertreter aus dem Kreis der Arbeitnehmer stammt (§ 27 MitbestG). Die Wahl weiterer Stellvertreter ist auch im mitbestimmten Aufsichtsrat möglich.43
39
Vgl. Potthoff/Trescher (2003), S. 274, Gittermann (2009), S. 235.
40
Vgl. Vogel (1980), S. 185 f., Witte (1992), Sp. 561.
41
Zum Funktionsschwund des Aufsichtsrats vgl. statt vieler Baums (2001), S. 98.
42
Vgl. Kölner Kommentar/Mertens (1995), § 107 Rn. 7, Großkomm. AktG/Hopt/Roth (2005), § 107 Rn. 16 f., Münchener Kommentar/Habersack (2008), § 107 Rn. 16 f.
43
Vgl. statt vieler Ulmer/Habersack/Henssler (2006), § 27 MitbestG Rn. 3 ff. und Köstler/Zachert/Müller (2006), S. 181.
16
Aufgabe des Aufsichtsratsvorsitzenden ist die Einberufung, Leitung und Koordination der Aufsichtsratssitzungen (§ 110 Abs. 1 AktG).44 Durch die Unternehmensstatuten kann die Stellung des Aufsichtsratsvorsitzenden näher geregelt werden. Im mitbestimmten Aufsichtsrat hat der Vorsitzende ein Zweitstimmrecht, wenn es bei der Beschlussfassung zur Stimmengleichheit kommt (§§ 29 Abs. 1, 31 Abs. 4 MitbestG). Er hat den Kontakt zu den anderen Organen der Aktiengesellschaft wahrzunehmen, nimmt die Berichte des Vorstands entgegen und leitet sie an die anderen Aufsichtsratsmitglieder weiter. Der DCGK empfiehlt, dass der Vorsitzende des Aufsichtsrats regelmäßig mit dem Vorstand Kontakt halten und mit ihm die Strategie, die Geschäftsentwicklung und das Risikomanagement des Unternehmens beraten soll (Ziffer 5.2 Abs. 3 S. 1). Der Stellvertreter des Vorsitzenden hat nur im Verhinderungsfall dessen Aufgaben wahrzunehmen (§ 107 Abs. 1 S. 3 AktG). Das Zweitstimmrecht bei einer Pattsituation steht ihm jedoch nicht zu (§§ 29 Abs. 2 S. 3, 31 Abs. 4 S. 3 MitbestG). 2.
Die Phasen des Entscheidungsprozesses
2.1
Vorbereitungsphase
Der Anstoß zu einem Entscheidungsprozess im Aufsichtsrat geht in der Regel vom Vorstand aus, etwa anlässlich eines zustimmungspflichtigen Geschäfts, oder wird von einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern initiiert (§ 110 Abs. 1 S. 1 AktG), die eine unverzügliche Einberufung des Aufsichtsrats verlangen können.45 Börsennotierte Gesellschaften müssen mindestens zwei Aufsichtsratssitzungen pro Kalenderhalbjahr abhalten (§ 110 Abs. 3 AktG).46 Dem Auf-
44
Vgl. hierzu und zum Folgenden Kölner Kommentar/Mertens (1995), § 107 Rn. 33 ff., Großkomm. AktG/Hopt/Roth (2005), § 107 Rn. 62 ff., Schlitt (2005), S. 2008 ff. und Münchener Kommentar/Habersack (2008), § 107 Rn. 43 ff. Für den mitbestimmten Aufsichtsrat vgl. Ulmer/Habersack/Henssler (2006), § 27 MitbestG Rn. 14 ff.
45
Vgl. hierzu und zum Folgenden Kölner Kommentar/Mertens (1995), § 110 Rn. 2 ff., Großkomm. AktG/Hopt/Roth (2005), § 110 Rn. 10 ff. und Münchener Kommentar/ Habersack (2008), § 110 Rn. 7 ff. Für den mitbestimmten Aufsichtsrat vgl. Ulmer/Habersack/Henssler (2006), § 25 MitbestG Rn. 16 ff.
46
Pflichtsitzungen müssen nicht mehr zwingend Präsenzsitzungen sein; zur Kritik vgl. Kindl (2002), S. 346, Wagner (2002), S. 61 ff. 17
sichtsratsvorsitzenden kommt in dieser Phase des Entscheidungsprozesses eine herausragende Stellung zu, und zwar sowohl kraft Gesetz (z.B. § 90 Abs. 1 S. 2 AktG) als auch durch die Rechte, die dem Vorsitzenden eines Kollegialgremiums üblicherweise zustehen, wie die Sitzungsvorbereitung, die Erstellung der Tagesordnung und die Einberufung des Gremiums.47 In diesem Kontext regt der DCGK an, dass die Vertreter der Aktionäre und der Arbeitnehmer in den mitbestimmten Aufsichtsräten jeweils gesondert, gegebenenfalls mit Mitgliedern des Vorstands, die Sitzungen vorbereiten (Ziffer 3.6. Abs. 1).48 Da für die Vorbereitungsphase kaum aktienrechtliche Vorschriften bestehen, bleibt Raum für privatautonome, effizienzsteigernde Regelungen. In der Literatur ist man sich einig, dass der Aufsichtsrat den Anforderungen an eine effektive Interessenvertretung und Überwachung kaum gerecht werden kann, wenn es bei vier Aufsichtsratssitzungen im Jahr bleibt.49 Für die effiziente Sitzungsvorbereitung scheint es ferner unerlässlich, dass den Aufsichtsratsmitglieder die Einladung zur Sitzung in einer angemessen Frist mit Tagesordnung und vollständigen Sitzungsunterlagen zugeht.50 2.2
Beschlussphase
Die Mitglieder des Aufsichtsrats sind berechtigt und verpflichtet, an den Sitzungen des Gremiums und der Ausschüsse teilzunehmen (§ 109 Abs. 1 S. 1 AktG).51 Soweit die Satzung es zulässt, können an Stelle verhinderter Mitglieder auch andere Personen teilnehmen. Stimmboten dürfen andere Aufsichtsratsmitglieder oder gegebenenfalls auch externe Vertreter sein (§ 108 Abs. 3 47
Vgl. Kölner Kommentar/Mertens (1995), § 107 Rn. 35, Großkomm. AktG/Hopt/Roth (2005), § 107 Rn. 91 f. und Münchener Kommentar/Habersack (2008), § 107 Rn. 49 ff. Für den mitbestimmten Aufsichtsrat vgl. Ulmer/Habersack/Henssler (2006), § 27 MitbestG Rn. 14 und Köstler/Zachert/Müller (2006), S. 178 f.
48
Vgl. DCGK Kommentar/v. Werder (2008), S. 124 ff. und Köstler/Zachert/Müller (2006), S. 205 ff.
49
Vgl. statt vieler Oetker (2003), S. 278 f., Gerum (2007), S. 304.
50
Vgl. Lutter/Krieger (2008), S. 265 f.
51
Vgl. hierzu und zum Folgenden Kölner Kommentar/Mertens (1995), § 109 Rn. 5 ff., Großkomm. AktG/Hopt/Roth (2005), § 109 Rn. 11 ff. und 41 ff., Münchener Kommentar/ Habersack (2008), § 109 Rn. 7 ff. Für den mitbestimmten Aufsichtsrat vgl. Ulmer/Habersack/Henssler (2006), § 25 MitbestG Rn. 19 f., Köstler/Zachert/Müller (2006), S. 209 ff.
18
AktG). Die Vorstandsmitglieder können vom Aufsichtsrat zur Teilnahme an der Beratung verpflichtet werden; ein Recht darauf besteht allerdings nicht. Der DCGK regt ebenfalls an, dass der Aufsichtsrat bei Bedarf ohne den Vorstand tagen sollte (Ziffer 3.6 S. 2). Ferner können Sachverständige und andere Auskunftspersonen zu einzelnen Sachverhalten hinzugezogen werden (§ 109 Abs. 1 S. 2 AktG). Die Leitung der Sitzungen obliegt dem Aufsichtsratsvorsitzenden; im Verhinderungsfall übt der Stellvertreter diese Aufgabe aus, bei mehreren Stellvertretern entscheidet die Rangfolge.52 Die Beschlussgegenstände für die Sitzung und die Reihenfolge der Beratung legt der Aufsichtsratsvorsitzende mit der Tagesordnung fest. Das Nachschieben von Tagesordnungspunkten ist nur dann zulässig, wenn kein Aufsichtsratsmitglied widerspricht. Abwesende Mitglieder müssen dies nachträglich genehmigen.53 Der Aufsichtsrat ist nur beschlussfähig, wenn mindestens die Hälfte der Sollmitglieder an der Beschlussfassung teilnimmt. Davon kann durch die Satzung abgewichen werden (§ 108 Abs. 2 AktG). Im Geltungsbereich des MitbestG müssen immer mindestens die Hälfte der Mitglieder, aus denen der Aufsichtsrat zu bestehen hat, teilnehmen (§ 28 MitbestG).54 Hier kann die Satzung die Beschlussfähigkeit verschärfen, soweit nicht der Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt wird. Beteiligen sich einzelne Aufsichtsratsmitglieder auch nicht durch Stimmenthaltung an einer Abstimmung, so zählt ihre bloße Anwesenheit nicht bei Feststellung der Beschlussfähigkeit. Ist diese gegeben, so besteht die Möglichkeit zur Vertagung einer Entscheidung im Aufsichtsrat. Auch bei den Vertagungsklauseln sind keine gruppenspezifischen Differenzierungen zulässig.
52
Vgl. Großkomm. AktG/Hopt/Roth (2005), § 107 Rn. 98 ff. und 153 ff., Münchner Kommentar/Habersack (2008), § 107 Rn. 54 f. und 68 f., Lutter/Krieger (2008), S. 258 ff. sowie für den mitbestimmten Aufsichtsrat Ulmer/Habersack/Henssler (2006), § 25 MitbestG Rn. 21 und Köstler/Zachert/Müller (2006), S. 179 f.
53
Vgl. statt vieler Großkomm. AktG/Hopt/Roth (2005), § 107 Rn. 103 und für den mitbestimmten Aufsichtsrat Ulmer/Habersack/Henssler (2006), § 25 MitbestG Rn. 17 f.
54
Vgl. hierzu und zum Folgenden Kölner Kommentar/Mertens (1995), § 108 Rn. 56 f. und 66 f., Großkomm. AktG/Hopt/Roth (2005), § 108 Rn. 71 ff. und Münchener Kommentar/ Habersack (2008), § 108 Rn. 34 ff. und 41 f. Für den mitbestimmten Aufsichtsrat insbesondere vgl. Ulmer/Habersack/Henssler (2006), § 28 MitbestG Rn. 2 ff. und Köstler/ Zachert/Müller (2006), S. 213 ff. 19
Der Aufsichtsrat entscheidet durch ausdrücklichen Beschluss (§ 108 Abs. 1 AktG), wobei jedoch offen bleibt, wie dieser zustande kommt.55 Sofern ein Beschlussantrag vorliegt und der Aufsichtsrat beschlussfähig ist, genügt grundsätzlich die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Bei Stimmengleichheit ist der Antrag abgelehnt. Zur Form der Abstimmung schweigt das Gesetz. Nach überwiegender Auffassung ist die geheime Abstimmung im Aufsichtsrat zulässig.56 Auch eine gemischte Beschlussfassung, sowohl mündlich als auch schriftlich oder unter Verwendung technischer Hilfsmittel, ist möglich (§ 108 Abs. 3 AktG), wenn die Satzung oder Geschäftsordnung dies zulässt (analog § 108 Abs. 4 AktG). Schließlich kann die Beschlussfassung auch ohne Versammlung der Aufsichtsratsmitglieder zustande kommen, wenn kein Mitglied diesem Verfahren widerspricht, es sei denn, die Satzung oder die Aufsichtsratsgeschäftsordnung regelt dies anders (§ 108 Abs. 4 AktG).57 Diese Regelungen gelten grundsätzlich auch für den mitbestimmten Aufsichtsrat (§ 25 MitbestG). Die Beschlussfassung selbst erfolgt mit der einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen (§ 29 Abs. 1 MitbestG), sofern nicht gesetzlich eine andere Mehrheit gefordert wird (§§ 27, 31, 32 MitbestG). Bei Stimmengleichheit steht dem Aufsichtsratsvorsitzenden – und nur ihm – bei einer erneuten Abstimmung über denselben Beschlussgegenstand eine Zweitstimme zu, sofern auch diese Abstimmung ein Patt ergab (§ 29 Abs. 2 MitbestG). Der Vorsitzende ist jedoch nicht zur Abgabe der Zweitstimme verpflichtet; er darf auch nicht dazu gezwungen werden, bei ihrer Abgabe übereinstimmend mit seiner Erststimme zu votieren.58
55
Vgl. hierzu und zum Folgenden Kölner Kommentar/Mertens (1995), § 108 Rn. 15 ff. und Großkomm. AktG/Hopt/Roth (2005), § 108 Rn. 23 ff.
56
Vgl. Großkomm. AktG/Hopt/Roth (2005), § 108 Rn. 42, Münchener Kommentar/ Habersack (2008), § 108 Rn. 18 f. sowie für den mitbestimmten Aufsichtsrat Ulmer/Habersack/Henssler (2006), § 25 MitbestG Rn. 26. A.A. Kölner Kommentar/Mertens (1995), § 108 Rn. 38 und Köstler/Zachert/Müller (2006), S. 216.
57
Vgl. statt vieler Lutter/Krieger (2008), S. 281 f.
58
Vgl. Großkomm. AktG/Oetker (1999), § 29 MitbestG Rn. 16, Ulmer/Habersack/Henssler (2006), § 29 MitbestG Rn. 16.
20
2.3
Durchführungs- und Kontrollphase
Von jeder Aufsichtsratssitzung ist ein Protokoll anzufertigen, das vom Aufsichtsratsvorsitzenden zu unterzeichnen und jedem Aufsichtsratsmitglied auf Verlangen auszuhändigen ist (§ 107 Abs. 2 AktG). Die dort festgehaltenen Beschlüsse sind der Ausgangspunkt für die Durchführung und Maßstab für die Kontrolle.59 Das Protokoll dient ferner als Informationsquelle für die abwesenden Aufsichtsratsmitglieder, die getroffenen Entscheidungen noch zustimmen müssen oder widersprechen wollen. Weiter hat das Protokoll eine Dokumentationsfunktion im Hinblick auf Haftungsfragen. Die Durchführung der Beschlüsse des Aufsichtsrats obliegt dem Vorsitzenden oder seinem Stellvertreter; dies kann auch einem Ausschuss übertragen werden (§ 107 Abs. 3 S. 1 AktG). Die
Mitglieder
des
Aufsichtsrats
sind
schließlich
verpflichtet,
über
vertrauliche Angaben und Berichte der Gesellschaft, die ihnen im Zuge ihrer Aufsichtsratstätigkeit bekannt geworden sind, und über vertrauliche Beratungen Stillschweigen zu bewahren (§§ 93, 116 AktG).60 Die Pflicht zur Verschwiegenheit gilt auch weiter nach Beendigung der Amtszeit als Aufsichtsratsmitglied. Das einzelne Aufsichtsratsmitglied hat dabei die Entscheidung über eine Informationsweitergabe autonom und selbstverantwortlich alleine zu treffen. Daraus folgt, dass eine rechtliche Beeinflussung der selbstverantwortlichen Entscheidung durch die Satzung oder Geschäftsordnung darüber, was ein Geheimnis der Gesellschaft ist und welche Angaben vertraulich zu behandeln sind, unzulässig ist.61
59
Vgl. hierzu und zum Folgenden Kölner Kommentar/Mertens (1995), § 107 Rn. 71 ff., Großkomm. AktG/Hopt/Roth (2005), § 107 Rn. 172 ff. und Münchener Kommentar/ Habersack (2008), § 107 Rn. 74 ff. Für den mitbestimmten Aufsichtsrat vgl. Ulmer/Habersack/Henssler (2006), § 25 MitbestG Rn. 23 ff., Köstler/Zachert/Müller (2006), S. 220 f.
60
Vgl. hierzu und zum Folgenden Kölner Kommentar/Mertens (1995), § 116 Rn. 35 ff., Großkomm. AktG/Hopt/Roth (2005), § 116 Rn. 215 ff., Lutter (2006), S. 145 ff. und Münchener Kommentar/Habersack (2008), § 116 Rn. 49 ff. Für den mitbestimmten Aufsichtsrat insbesondere vgl. Großkomm. AktG/Oetker (1999), § 25 MitbestG Rn. 24 ff., Ulmer/Habersack/Henssler (2006), § 25 MitbestG Rn. 99 ff. und Köstler/Zachert/Müller (2006), S. 257 ff.
61
Zu einer ökonomischen bzw. wettbewerbstheoretischen Interpretation des Verhältnisses von Information und Verschwiegenheit vgl. Gerum (1985), S. 748 ff. und 764 ff. 21
Unabhängig davon wird in der Literatur dem einzelnen Aufsichtsratsmitglied empfohlen, sich zuvor mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden, dem Gesamtaufsichtsrat oder einem externen Sachverständigen zu beraten, um das Risiko der Pflichtwidrigkeit und des Schadensersatzes (§ 404 AktG) einzugrenzen. Hilfreich sei deshalb eine Vertraulichkeitsrichtlinie, die das Procedere in solchen Fällen festlegt.62 Dagegen wird jedoch eingewendet, dass diese Regularien in der Wirkung jedenfalls die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat in ihrer Entscheidungs- und Kommunikationsfreiheit einengen und deshalb im Lichte der BGH-Rechtssprechung unbeachtlich seien.63
62
Vgl. Lutter (2006), S. 267 ff. Kritisch dagegen Köstler/Zachert/Müller (2006), S. 267. Zu einer situationsbezogenen Abwägung und dem schwedischen Modell der „verhandelten Schweigepflicht“ siehe Gerum (1985), S. 766 f.
63
Vgl. Köstler/Zachert/Müller (2006), S. 266 f. m.w.N.
22
C.
Theoretisches und empirisches Wissen zur Effektivität und Effizienz des Aufsichtsrats: Eine Bestandsaufnahme
Um die empirischen Befunde zur Erfolgswirkung des Aufsichtsrats theoriegeleitet interpretieren und adäquat in die Diskussion zur Evaluation des Aufsichtsrats einordnen zu können, ist eine Rekonstruktion der zentralen Themen und Thesen in der wissenschaftlichen Debatte erforderlich. Im Einzelnen soll geprüft werden, welche theoretischen Konzepte und empirischen Studien auf die Effektivität und Effizienz des Aufsichtsrats beziehbar sind. Für die Bestandsaufnahme des theoretischen Wissens soll, da mit dem Aufsichtsrat oder Board länderspezifische, gesellschaftsrechtliche Bestimmungen verbunden sind, allgemein vom Aufsichtsorgan die Rede sein. I.
Auf die Effektivität des Aufsichtsrats beziehbare Theorien
In der Corporate-Governance-Literatur hat sich die theoretische, auf die Effektivität des Aufsichtsrats beziehbare Diskussion breit ausdifferenziert.1 Gleichwohl lässt sich die Debatte in eine vertragstheoretische Theorietradition und in organisationstheoretisch geprägte Ansätze zusammenfassen. Sie wird aus vertragstheoretischer Sicht insbesondere von der Property-Rights-Theorie, dem Transaktionskostenansatz und der Prinzipal-Agenten-Theorie geprägt. Auf
organisationstheoretischer
Seite
dominieren
koalitionstheoretische
Ansätze, der institutionalistische Ansatz sowie der teamtheoretische Ansatz und die psychologische Ökonomik. 1.
Vertragstheoretische Ansätze
Gemeinsam ist der Property-Rights-Theorie2, dem Transaktionskostenansatz3 und der Prinzipal-Agenten-Theorie4, dass sie die Aufgaben des Aufsichts-
1
Vgl. hierzu den Überblick bei Zahra/Pearce (1989), Johnson/Daily/Ellstrand (1996), Hung (1998), Huse/Rindova (2001), S. 155 ff. und Hillman/Dalziel (2003).
2
Vgl. klassisch Alchian/Demsetz (1972), Furubotn/Pejovich (1972), Alchian (1984) sowie zusammenfassend Gerum (1992b), Sp. 2119 ff. und Richter/Furubotn (1999), S. 82 ff.
3
Vgl. grundlegend Coase (1937), Williamson (1975), Williamson (1985). 23
organs aus den Problemen der Trennung von Eigentum und Verfügungsgewalt ableiten.5 Kennzeichnend für die Aktiengesellschaft sei, dass die Kapitaleigner die Unternehmensführung wegen hoher Informationsbeschaffungs- und Verhandlungskosten auf Manager übertragen. Zentrale Aufgabe des Aufsichtsorgans sei es daher, die Eigentümer vor den eigennützigen Managern zu schützen.6 Unterschiedliche Präferenzen und die Informationsasymmetrie zwischen Kapitaleignern und Managern führten dazu, dass die Manager ihren Handlungsspielraum für eigene Ziele nutzen.7 So würden sie zu Lasten des Unternehmenserfolgs Diversifikationsentscheidungen treffen und bei hoher Umweltunsicherheit innovative, risikoreiche Strategien vermeiden, um den Einkommensstrom des Unternehmens zu stabilisieren und ihr eigenes Beschäftigungsrisiko zu senken.8 Aufsichtsrat und Board sind dann effektiv, wenn die negativen Folgen aus der Aufteilung der Verfügungsrechte zwischen Kapitaleignern und Managern minimiert werden.9 Eine Inter-
4
Vgl. klassisch Ross (1973), Jensen/Meckling (1976), Eisenhardt (1989). Vgl. weiter Jensen (1983), S. 334 ff. und Eisenhardt (1989), S. 59 ff., zur Unterscheidung zwischen dem normativen und positiven Forschungszweig der Agency-Theorie. Der normative Zweig befasst sich formal-mathematisch mit der Ausgestaltung pareto-effizienter Vertragsstrukturen, während der positive Zweig sich mit der Identifikation von Prinzipal-Agenten-Beziehungen und der Beschreibung von Lösungsmöglichkeiten zur Kontrolle des Agentenverhaltens beschäftigt.
5
Zum Board vgl. Alchian/Demsetz (1972), S. 788, Jensen/Meckling (1976), S. 323 ff., Fama/ Jensen (1983), S. 312 ff. und Shleifer/Vishny (1997), S. 740 ff. sowie zum Aufsichtsrat Picot/Schuller (2001), S. 90 ff.
6
Vgl. Fama/Jensen (1983), S. 311, Williamson (1985), S. 306.
7
Vgl. hierzu Jensen/Meckling (1976), S. 308. Die Agency-Kosten setzen sich zusammen aus den Kosten, die dem Prinzipal aus der Überwachung und der Ausgestaltung der Anreizsysteme (monitoring costs) und dem Agenten aus der Selbstbindung (bonding costs) entstehen sowie den Wohlfahrtsverlusten gegenüber der Idealkooperation (residual losses). Vgl. klassisch zum Managerialismusproblem Baumol (1959), Marris (1964) und Williamson (1964).
8
Vgl. Jensen (1986), Baysinger/Hoskisson (1990), S. 81 f., Martin/Sayrak (2003), S. 39 ff., Hendry/Kiel (2004), S. 513 f., Singh/Mathur/Gleason (2004), S. 493 f., Deutsch (2005), S. 428 und Nicolai/Thomas (2006), S. 58 f.
9
Das System der Überwachung des Managements umfasst neben dem Aufsichtsorgan weitere Kontrollmechanismen: Wettbewerb am Gütermarkt, Kapitalmarkt, Markt für Unternehmenskontrolle, Arbeitsmarkt für Manager und finanzielle Anreizsysteme für das Management. Vgl. hierzu näher Furubotn/Pejovich (1972), S. 1149 ff., Fama (1980), S. 290 ff., Rediker/Seth (1995), John/Senbet (1998), Picot/Schuller (2001), S. 96 ff., Becht/Bolton/ Röell (2002), S. 24 ff., Tirole (2006), S. 20 ff.
24
essenvertretung der Arbeitnehmer im Aufsichtsorgan wird aus Effizienzgründen abgelehnt.10 Die effektive Überwachung sei gefährdet, wenn das Management die personelle Zusammensetzung des Aufsichtsorgans beeinflusst.11 Deshalb sollen unabhängige Personen (outsider), die über das Wissen zur Überwachung verfügen, als Agenten der Kapitaleigner das Management überwachen.12 Diese Outsider seien bei der Leistungsbeurteilung der Manager unabhängig und neigten nicht dazu, gemeinsam mit dem Management das Kapitaleignerinteresse zu korrumpieren. Der Board solle zu einem (geringen) Teil mit Insidern, also Mitgliedern des Managements, besetzt werden, um deren Informationsvorsprung zu nutzen.13 Damit eine unabhängige Überwachung gesichert ist, dürfe der Vorsitzende des Managements nicht zugleich Chairman des Boards sein (CEO duality).14 Bei den Kompetenzen zur Überwachung ist man sich in der vertragstheoretischen Literatur einig, dass Aufsichtsrat und Board die Manager bestellen und entlassen und über eine anreizkompatible Entlohnung entscheiden sollen.15 Eine direkte Überwachung des Managerverhaltens wird kaum
10
Vgl. Jensen/Meckling (1979), S. 474, Furubotn (1981), S. 705, Picot/Michaelis (1984), S. 256, Furubotn (1985) sowie zusammenfassend Gerum (1989), S. 47 ff.
11
Vgl. hierzu Mace (1971), Herman (1981), Vance (1983), Lorsch/MacIver (1989), die dem Board lediglich eine „rubber-stamp“-Funktion zuschreiben. Vgl. auch Kosnik (1987), S. 166, die Aufsichtsorgane beschreibt als „[…] a legal fiction; a co-opted appendage institution that, despite its formal governing power over management, is in fact dominated by corporate managements and, hence, ineffective in alleviating conflicts of interest between management and stockholders.“
12
Vgl. Fama/Jensen (1983), S. 315, Alchian (1984), S. 45 f., Shen (2005), S. S85 f.
13
Vgl. Fama/Jensen (1983), S. 314 f., Adams/Ferreira (2007), S. 242. Vgl. weiter Hermalin/Weisbach (1998), die kritisieren, dass sich die Zusammensetzung des Aufsichtsorgans nicht exogen bestimmen lasse. Sie hänge ab von der Verhandlungsmacht des Managements: Bei positiver Unternehmensentwicklung steige der Einfluss des Managements und der Anteil der Insider, während dessen Macht in Krisensituationen sinke und zunehmend Outsider berufen würden.
14
Vgl. Jensen (1993), S. 866 f. Entsprechend soll in der deutschen Aktiengesellschaft ein ehemaliger Vorstandsvorsitzender nicht Aufsichtsratsvorsitzender werden. Vgl. Bresser/ Valle Thiele (2008), S. 177 ff.
15
Vgl. Fama/Jensen (1983), S. 315, Walsh/Seward (1990), S. 427 ff., Jensen (1993), S. 862, McNulty/Pettigrew (1999), S. 50. Vgl. weiter Winter (2003), S. 337 ff., Bebchuk/Fried 25
thematisiert.16 Das größte Kontrollpotenzial erreiche das Aufsichtsorgan, wenn es an der Formulierung und Umsetzung der Unternehmensstrategie beteiligt sei. Zur effektiven Überwachung des Managements solle daher eine strategische Kontrolle durch das Aufsichtsorgan (strategic control) die ex-postKontrolle durch finanzielle Kennzahlen (financial control) ergänzen.17 Das Unabhängigkeitspostulat für die Mitglieder des Aufsichtsorgans und die Forderung nach einer Kontrolle der strategischen Entscheidungen der Manager sind jedoch in sich widersprüchlich. Die Beteiligung des Aufsichtsorgans an strategischen Entscheidungen erfordert spezifische Kenntnisse und Fähigkeiten im Hinblick auf das Unternehmen und die Branche, wodurch jedoch die postulierte Distanz und der fehlende Kontakt zum Management nach Voraussetzung kaum gegeben ist.18 Die effektive Überwachung der strategischen Entscheidungen setzt voraus, dass Aufsichtsrat und Board stets in der Lage sind, den Unternehmenserfolg den Fähigkeiten des Managements oder Umwelteinflüssen zuzuschreiben.19 Weiter wird moniert, dass sich rational handelnde Aufsichtsrats- bzw. Boardmitglieder, da sie extrinsisch motiviert sind und Nutzenmaximierung anstreben, bei einer Unternehmensschieflage eigentlich sofort der Verantwortung entziehen und das Mandat niederlegen müssten. Eine erfolgsabhängige Entlohnung führe dazu, dass in einer Krisensituation die Vergütung sinkt, während gleichzeitig das Anstrengungsniveau durch zusätzliche Sitzungen
(2004), S. 189 ff., Arnold/Gillenkirch (2007), S. 78 ff. sowie Schulz (2007), S. 335 ff., zum Diskussionsstand für die Managerentlohnung. 16
Vgl. hierzu McNulty/Pettigrew (1999), S. 50: „[...] little has been said by agency theorists about strategy as a means of control over managers“.
17
Vgl. Zahra/Pearce (1989), S. 302, McNulty/Pettigrew (1999), S. 62, Hendry/Kiel (2004), S. 503 und zusammenfassend Huse (2007), S. 47 f.
18
Vgl. Lipton/Lorsch (1992), S. 65, Gerum (2007), S. 222 m.w.N. Vgl. ferner Nicholson/Kiel (2004), S. 450, die das unternehmensspezifische Wissen der Boardmitglieder als zentrale Komponente des „board intellectual capital“ verstehen. Vgl. weiter die Argumentation bei Steinmann/Klaus (1987), S. 30 f. zu den Grenzen spezifischer Sachkompetenz.
19
So etwa Walsh/Seward (1990), S. 425 f., Jensen (1993), S. 864.
26
steigt.20 Dieses Menschenbild impliziere eine „Corporate Governance für Schurken“, deren dysfunktionale Kontrollstrukturen ungeeignet seien, die Interessen der Kapitaleigner zu schützen.21 2.
Organisationstheoretische Konzepte
Die Effektivität von Aufsichtsrat und Board begründen die organisationstheoretischen Konzepte mit dem Koordinationsbedarf, der sich aus den heterogenen Zielen der Organisationsmitglieder und den komplexen Beziehungen zur Unternehmensumwelt ergibt. Sie beziehen sich dabei mit differierendem Fokus auf den gesicherten Ressourcenzugang des Unternehmens (koalitionstheoretische Ansätze, institutionalistischer Ansatz) oder, wie der teamtheoretische Ansatz und die psychologische Ökonomik, auf den Schutz spezifischer Ressourcen. 2.1
Koalitionstheoretische Ansätze
Die Stakeholdertheorien, der Resource-Dependence-Ansatz und die SocialClass-Theorie analysieren die Rolle von Aufsichtsrat und Board in einer Koalition aus Individuen und Interessengruppen, die (legitime) Ansprüche an die Unternehmung geltend machen können. Als relevante Stakeholder gelten in der Regel die Kapitaleigner, Manager, Arbeitnehmer, Fremdkapitalgeber, Lieferanten und Kunden des Unternehmens sowie Umweltschützer und die Regierung.22 (a) Dem Stakeholder-Ansatz23 zufolge muss sich ein Unternehmen in einer komplexen Umwelt behaupten, ihr gegenüber abgrenzen und deren Anfor-
20
Vgl. Fallgatter (2003), S. 708 f., Fallgatter (2004), S. 459. Ähnlich Frey/Osterloh (2000), S. 67. Weiter Jensen/Meckling (1984) und Arrow (1994) zum methodologischen Individualismus.
21
Vgl. Osterloy/Frey (2004) sowie kritisch zum Verhältnis von ökonomischer Theorie und Managerverhalten Frank/Gilovich/Regan (1993), Ferraro/Pfeffer/Sutton (2005), Ghoshal (2006).
22
Vgl. Freeman/Reed (1983), S. 91, Donaldson/Preston (1995), S. 68 f., Mitchell/Agle/ Wood (1997), S. 855 ff.
23
Vgl. grundlegend Freeman/Reed (1983), Freeman (1984), Carroll (1989), Freeman/Evan (1990), Donaldson/Preston (1995), Phillips (2003). 27
derungen gerecht werden, um den Systemerhalt und die Handlungsfähigkeit des Unternehmens zu sichern. Zur Erreichung dieses Ziels und zur Durchsetzung von Strategien sind die Unternehmen auf die materiellen und immateriellen Ressourcen der Stakeholder angewiesen.24 Die Aufgabe des Aufsichtsrats bzw. des Boards ist es dann, einen Interessenausgleich zwischen der Unternehmung und den Stakeholdern zu stiften.25 Ein Aufsichtsorgan ist dann effektiv, wenn es sicherstellt, dass dem Unternehmen keine Ressourcen entzogen werden. In welchem Ausmaß die Stakeholder ihre Interessen im Aufsichtsorgan einbringen können, hängt von der Bedeutung der Ressource für den Erhalt des Unternehmens ab. In der personellen Zusammensetzung von Aufsichtsrat und Board spiegele sich wider, welche Ressourceninhaber die Macht und den Willen besitzen, ihre Interessen gegenüber der Unternehmung zum Ausdruck zu bringen.26 Die Berufung von Stakeholdern in ein Aufsichtsorgan sei für den Interessenausgleich dennoch nicht zwingend erforderlich, solange Aufsichtsrat und Board bei ihren Entscheidungen die Wirkung auf die „erfolgskritischen“ Stakeholder beachten.27 (b) Der Resource-Dependence-Ansatz28 zeigt, wie Aufsichtsrat und Board vom Management für unternehmenspolitische Zwecke instrumentalisiert werden, um die Umweltsicherheit zu reduzieren und den Unternehmensfortbestand zu
24
Vgl. Donaldson/Preston (1995), S. 85, Mitchell/Agle/Wood (1997), S. 865 ff. Vgl. weiter Donaldson/Preston (1995), S. 75 ff., Phillips (2003), S. 120 ff., wonach sich bisher keine einheitliche Stakeholder-Theorie herausgebildet hat. Der deskriptive Ansatz beschäftigt sich alleine mit der Erkenntnis, dass Unternehmen Stakeholder haben, die instrumentelle Stakeholder-Theorie versucht den Zusammenhang zwischen Stakeholder-Management und Unternehmenswert zu erklären und der normative Ansatz identifiziert moralische und philosophische Richtlinien für das Stakeholder-Management des Unternehmens. Dagegen Jones/Wicks (1999) mit einem Versuch, die Stakeholder-Theorien zu integrieren.
25
Vgl. Freeman/Evan (1990), S. 344 ff., zu einer transaktionskostentheoretisch begründeten freiwilligen (endogenen) Konstituierung des Aufsichtsorgans durch die Stakeholder. Außerdem Huse (2007), S. 53 f. m.w.N.
26
Vgl. Gerum (2007), S. 15.
27
Vgl. Freeman/Reed (1983), S. 96, Donaldson/Preston (1995), S. 67.
28
Vgl. grundlegend Yuchtman/Seashore (1967), Pfeffer (1972), Jacobs (1974), Pfeffer/Salancik (1978), Schoorman/Bazerman/Atkin (1981), Burt (1983), Pfeffer (1987).
28
sichern.29 Als Quellen der Umweltunsicherheit gelten die Abhängigkeit von vor- und nachgelagerten Unternehmen, staatlichen Behörden oder anderen Organisationen, die den Handlungspielraum des Unternehmens erheblich einschränkt. Der Zugriff auf erfolgskritische Ressourcen könne durch personelle Verflechtungen des Aufsichtsrats bzw. des Boards gesichert werden (interlocking directorates).30 In welchem Umfang ein Unternehmen auf eine Ressource angewiesen ist, bestimmt sich durch den Bedarf und die relative Knappheit der Ressource und die Verfügbarkeit von Substituten.31 Für die Effektivität des Aufsichtsorgans ist also entscheidend, dass die personelle Zusammensetzung des Gremiums der Ressourcenabhängigkeit Rechnung trägt.32 Durch die Berufung renommierter Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik, ehemaliger Manager, Vertretern von Banken und Versicherungen, Beratern und Juristen könne die Umweltunsicherheit reduziert werden.33 Das Management sollte Einfluss auf die Bestellung nehmen können, um die Fähigkeiten, Erfahrungen und Kontakte der Mitglieder des Aufsichtsrats bzw. des Boards mit der Umweltabhängigkeit des Unternehmens abzustimmen.34 Als zentrale Kompetenz des Aufsichtsorgans gilt die Beratung des Managements in strategischen Angelegenheiten (advice and counsel).35 Deshalb müssen die Mitglieder des Aufsichtsorgans vom Management ausreichend mit Information versorgt werden, um deren Wissen effektiv zur Beratung zu nutzen.
29
Vgl. Thompson (1967), S. 34 ff., Pfeffer/Salancik (1978), S. 113 ff., Burt (1983), S. 117 ff., Schreyögg (1983), S. 281, Windolf/Beyer (1995), S. 16 f.
30
Vgl. Pfeffer (1972), S. 218 ff., Pfeffer/Salancik (1978), S. 145 und 161, Schoorman/ Bazerman/Atkin (1981), S. 244 f., Zahra/Pearce (1989), S. 297, Hill (1995), S. 273 f. sowie Mizruchi (1996), S. 274 ff., Kiel/Nicholson (2006), S. 532 und Huse (2007), S. 61 f.
31
Vgl. Thompson (1967), S. 30, Pfeffer/Salancik (1978), S. 43 ff., Boyd (1990), S. 419.
32
Vgl. Hillman/Cannella/Paetzold (2000), S. 242 ff., Dalton/Dalton (2005), S. S94 f.
33
Vgl. Pfeffer/Salancik (1978), S. 165 f. und Hillman/Cannella/Paetzold (2000), S. 240 ff.
34
Vgl. Pfeffer (1972), S. 222, Pfeffer/Salancik (1978), S. 168, Roth/Wörle (2004), S. 602 f. Vgl. ebenso Schreyögg (1983), S. 282, wonach der Aufsichtsrat genutzt werde „als Vehikel, das das Management benutzt, um Probleme der interorganisationalen Interdependenz und der Umweltungewissheit in den Griff zu bekommen“.
35
Vgl. Zahra/Pearce (1989), S. 298, Carpenter/Westphal (2001), S. 639. Ähnlich bereits früher zum Aufsichtsrat Gutenberg (1970), S. 4 f. 29
(c) Die Social-Class-Theorie36 will zeigen, wie das Aufsichtsorgan für die Ziele einer speziellen Koalition, einer wirtschaftliche Elite, genutzt werden kann. Das personelle Netzwerk zwischen den Mandatsträgern schaffe ein soziales System, dessen Mitglieder auf gemeinsame Normen und Werte sozialisiert werden. Ein Aufsichtsrat oder Board ist dann funktional für eine Machtelite, wenn es gelingt, durch personelle Verflechtung einen (diskretionären) Handlungsspielraum aufzubauen, den diese für ihre eigenen Ziele nutzen kann.37 Um eine kohäsive Gruppe zu bilden, müssten die Mitglieder der Machtelite regelmäßig interagieren und die Auswahl neuer Gruppenmitglieder beeinflussen können.38 Für die Stabilität des Systems sei entscheidend, dass die personellen Verflechtungen nicht abreißen, wenn ein Mitglied ausscheidet, sondern durch Angehörige derselben sozialen Klasse ersetzt werden.39 Ferner nutze die Machtelite die Personalhoheit von Aufsichtsrat und Board, um die Entlohnung der Manager dem Einfluss der Anteilseigner zu entziehen und von der Entwicklung des Unternehmenswerts abzukoppeln.40 Die Autonomie der Machtelite werde bedroht von Reformen des Gesetzgebers oder den Druck institutioneller Investoren.41 Um den Handlungsspielraum der Machtelite zu wahren, sanktioniere man deshalb Mitglieder, die sich an der Umsetzung von Reformen beteiligen wollen.42
36
Vgl. Mills (1956), Koenig/Gogel/Sonquist (1979), Koenig/Gogel (1981), Useem (1982), Domhoff (1983), Palmer (1983), Useem (1984), Burt (1992), Pettigrew (1992), Davis/ Thompson (1994).
37
Vgl. Davis/Yoo/Baker (2003), S. 308, Roth/Wörle (2004), S. 601 f., Huse (2007), S. 59 f.
38
Vgl. Westphal/Khanna (2003), S. 363 f. Dagegen Stearns/Mizruchi (1986), S. 532, Schreyögg/Papenheim-Tockhorn (1995), S. 213 und Mizruchi (1996), S. 279 f. m.w.N., die Interpretationsmuster der Social-Class-Theorie bei personellen Verflechtungen kritisieren. Nicht jede personelle Verflechtung, die nach einem Bruch mit einem neuen Unternehmen rekonstruiert wird, sei ein Mechanismus zur Stabilisierung der Machtelite, sondern könne als funktionale Rekonstruktion dem Systemerhalt der Unternehmung dienen.
39
Vgl. Koenig/Gogel/Sonquist (1979), S. 178 f.
40
Vgl. Davis/Thompson (1994), S. 165 f. Vgl. auch Gerum (2007), S. 152, Hartmann (2007), S. 16, zum rasanten Anstieg der Gehälter von Topmanagern nach der Einführung von Aktienoptionsprogrammen, die hier als Instrument zur Befriedigung der Interessen einer Machtelite interpretiert werden.
41
Vgl. Davis/Thompson (1994), S. 160, Davis/Yoo/Baker (2003), S. 311 m.w.N.
42
Vgl. statt vieler Westphal/Khanna (2003), S. 364.
30
2.2
Institutionalistischer Ansatz
In der Corporate-Governance-Literatur verwendet man den institutionalistischen Ansatz43, um die personelle Zusammensetzung und die Organisation von Aufsichtsrat und Board durch legitimatorische Zwänge zu erklären.44 Allgemein zeigt der Ansatz, wie Organisationen für den dauerhaften Ressourcenzufluss ihre Strukturen und Prozesse auf institutionalisierte Umwelterwartungen abstimmen.45 Diesen Vorgaben zu entsprechen sei die Voraussetzung für den Existenzerhalt und die Handlungsfähigkeit eines Unternehmens. Im Rahmen des (gesellschaftlich) zugestandenen Handlungsspielraums entfalte sich dann das Effektivitäts- und Effizienzstreben des Unternehmens.46 Für die Aufgaben von Aufsichtsrat und Board folgt daraus, dass die personelle Zusammensetzung und die Kompetenzen durch (institutionalisierte) Maßgaben der Unternehmensumwelt erklärbar sein müssen. Den höchsten Anpassungsdruck erzeugen gesetzgeberische Maßnahmen und die Erklärungspflicht zu Corporate-Governance-Kodices (coercive isomorphism). Ferner wirken normative Vorgaben, die von institutionellen Anlegern und Ratingagenturen, etwa bezüglich der Besetzung oder der Größe des Aufsichtsorgans, als Kriterien für Kapitalanlageentscheidungen festgelegt werden (normative pressures).47 Sofern Aufsichtsrat und Board diesen Normen und Standards entsprechen, soll sich der Ressourcenzugang vereinfachen. Die Entsprechung mit Normen und Standards kann auch zu einem symbolischen Akt werden,
43
Vgl. Meyer/Rowan (1977), DiMaggio/Powell (1983), Zucker (1987) sowie Scott (1995).
44
Zum Board vgl. Judge/Zeithaml (1992), S. 769 und Certo (2003), S. 435 f.; zum Aufsichtsrat Böcking/Dutzi/Müßig (2004), S. 427 und Dutzi (2005), S. 182.
45
Vgl. allgemein DiMaggio/Powell (1983), S. 150 ff., Scott (1995), S. 34 ff., die Anpassungsprozesse als Folge gesetzlicher Bestimmungen (coercive isomorphism), normativer Orientierungsmuster (normative pressure) und durch Nachahmungsprozesse (mimetic processes) unterscheiden.
46
Vgl. Meyer/Rowan (1977), S. 346 ff., Zucker (1987), S. 445 und Eisenhardt (1988), S. 491 f.
47
Vgl. Hawkins (1997), S. 147 f., Cromme (2005), S. 364 f., Kiel/Nicholson/Barclay (2005), S. 4, Huse (2007), S. 24 f. Dagegen kritischer Carter (2007) sowie im Einzelnen unten Kapitel C.II.2 zu Kriterienkatalogen bei der Beurteilung von Aufsichtsorganen. 31
wenn sich Aufsichtsrat und Board nur vermeintlich konform verhalten.48 Institutionalisierte Umwelterwartungen entfalten ihren quasi-verbindlichen Charakter nämlich erst, wenn eine kritische Anwendungsschwelle überschritten ist, sie also von den Unternehmen tatsächlich mehrheitlich befolgt werden.49 2.3
Ressourcenspezifität
Charakteristisch für den teamtheoretischen Ansatz und die psychologische Ökonomik ist die Bestimmung der Stakeholder, deren Interessen vom Aufsichtsrat oder Board gewahrt werden sollen. Das Aufsichtsorgan habe die Interessen derjenigen zu vertreten, die unternehmensspezifische Investitionen vorgenommen haben. (a) Aus Sicht des teamtheoretischen Ansatzes50 ist es die Aufgabe von Aufsichtsrat und Board, bei Teamproduktion den Residualerlös zu verteilen. Da bei Teamproduktion eine Messung des individuellen Outputs nicht möglich ist, seien insbesondere Teammitglieder mit firmenspezifischen Investitionen von einer Ausbeutung durch das Management bedroht.51 Um Hold-up-Konstellationen zu vermeiden, vertrete das Aufsichtsorgan als Mediator die residualen Ansprüche.52 Die Verwaltung der Aktiengesellschaft, sei es Aufsichtsrat oder Board, solle aus Kostengründen nur von den Kapitaleignern gewählt werden.53 Ob Aufsichtsrat und Board nur eine Schiedsrichterfunktion
48
Vgl. Oliver (1991), S. 155.
49
Vgl. Böcking/Dutzi/Müßig (2004), S. 428.
50
Vgl. allgemein Blair (1995), Blair (1998), Blair (1999), Blair/Stout (1999), Blair/Stout (2001), Blair (2005), Kaufman/Englander (2005).
51
Vgl. Blair (1995), S. 262 ff., Blair (1998), S. 198 f. Die Argumentation schließt an die Beiträge von Klein/Crawford/Alchian (1978), Alchian (1984) und Furubotn (1988) an, die unter Effizienzgesichtspunkten eine freiwillige Mitbestimmung unternehmensspezifischen Humankapitals für möglich halten.
52
Vgl. Blair (1999), S. 69 f., Blair/Stout (1999), S. 772 ff, .Blair/Stout (2001), S. 418 ff., die hier unter anderem auf Alchian/Demsetz (1972) verweisen. Ebenso Kaufman/Englander (2005), S. 13 f.
53
Vgl. Blair/Stout (2001), S. 431.
32
oder auch eine Beratungs- und Überwachungsaufgaben übernehmen sollen, bleibt dabei offen.54 (b) Kennzeichnend für die psychologische Ökonomik ist eine Differenzierung des Menschenbilds. Man trägt der Einsicht Rechnung, dass Menschen nicht nur auf extrinsische Anreize reagieren, sondern auch intrinsisch motiviert sein können.55 Aufsichtsrat und Board sollen soziale Dilemmata bei Teamproduktion bewältigen. Entscheidend für die Gestaltungsempfehlungen zum effektiven Aufsichtsorgan sind das erweiterte Menschenbild, das auch prosoziales Handeln kennt, und die Erfordernis, unternehmensspezifische Investitionen vor Ausbeutung durch das Management zu schützen. Dies betrifft insbesondere die Arbeitnehmer, deren firmenspezifische Investition nicht ex-ante durch Verträge geschützt werden kann. Eine Vertretung der Arbeitnehmer im Aufsichtsorgan liege auch im Interesse der Kapitaleigner, da kollektives unternehmensspezifisches Wissen und gemeinsame Routinen die Grundlage des nachhaltigen Wettbewerbsvorteils von Unternehmen sein können. Als zahlenmäßiges Verhältnis für die Besetzung des Aufsichtsrats bzw. Boards wird die Höhe des Finanzkapitals in Relation zur Höhe des unternehmensspezifischen Humankapitals vorgeschlagen.56 Zur effektiven Überwachung und Beratung der Unternehmensleitung müssten die Mitglieder von Aufsichtsrat und Board gegebenenfalls selbst unternehmensspezifische Investitionen tätigen. Wegen hoher Anforderungen an Treuepflichten und Integrität müsse bei der Auswahl der Mitglieder deshalb neben Fachkenntnissen die prosoziale intrinsische Motivation berücksichtigt werden.57 Die Aufsichtsrats- und Boardmitglieder sollen eine marktgerechte, fixe Entlohnung erhalten, um die intrinsische Motivation zu prosozia-
54
Vgl. hierzu die Kritik von Osterloh/Frey (2005), S. 343 m.w.N.
55
Vgl. hierzu und zum Folgenden Osterloh/Frey (2005), S. 344 ff. sowie zusammenfassend Gerum (2007), S. 18 f. Die psychologische Ökonomik versteht sich deshalb als Alternative zu den, die Corporate-Governance-Diskussion dominierenden, Vertragstheorien.
56
Vgl. Osterloh/Frey (2005), S. 353 f., Osterloh/Frey (2006), S. 330 ff.
57
Vgl. Frey (2002), S. 91 ff., zur Ausdifferenzierung der Menschentypen in der psychologischen Ökonomik, die extrinsisch oder intrinsisch motiviert sein können. 33
lem Verhalten nicht zu verdrängen.58 Das Aufsichtsorgan ist effektiv, wenn alle Ressourceninhaber zu firmenspezifischen Investitionen angeregt werden und so ein Wettbewerbsvorteil entsteht, der den Unternehmensfortbestand sichert. 3.
Diskussion
Ein Vergleich der theoretischen Ansätze zu den Aufgaben von Aufsichtsrat und Board zeigt zwei Muster. Charakteristisch für die vertragstheoretischen Ansätze ist, dass die Interessen der Kapitaleigner vor dem Opportunismus des Managements geschützt werden sollen. Für eine effektive Überwachung des Managements werden Standards zur personellen Zusammensetzung und zu den Kompetenzen von Aufsichtsrat und Board gefordert. Die organisationstheoretischen Konzepte dagegen postulieren den Aufsichtsrat bzw. den Board, neben dem Markt, als Ort der Interessenartikulation und des Interessenausgleichs zwischen den Stakeholdern. Ein effektives Aufsichtsorgan stellt sicher, dass dem Unternehmen keine erfolgskritischen Ressourcen entzogen werden, die den Unternehmensfortbestand gefährden können.
58
34
Vgl. Frey/Osterloh/Benz (2001), Frey/Osterloh (2005), S. 101.
II.
Auf die Effizienz des Aufsichtsrats beziehbare Theorien
Die Diskussion zur Leistungsfähigkeit des Aufsichtsrats setzt implizit voraus, dass für eine effektive Interessenvertretung und die Überwachung des Vorstands eine Gruppe vorteilhaft ist.59 In der Literatur wird der Verfahrensablauf und die Willensbildung im Aufsichtsrat bislang eher vernachlässigt, obwohl ihre Bedeutung für die Qualität und die Effizienz der Entscheidungen nicht in Abrede gestellt werden kann.60 Deshalb soll geprüft werden, ob entscheidungs- und gruppentheoretische Ansätze auf die Effizienz des Aufsichtsrats beziehbar sind. 1.
Entscheidungstheoretische Ansätze
Um die Effizienz des Verfahrensablaufs im Aufsichtsrat aus entscheidungstheoretischer Sicht zu beurteilen, wird differenziert nach der präskriptiven und der deskriptiven Entscheidungstheorie. (a) Die präskriptive Entscheidungstheorie61 betrachtet Wahlakte zwischen Handlungsalternativen, um vorgegebene Ziele zu erreichen.62 Zur effizienten Steuerung von Organisationen sollen den Entscheidungsträgern explizite Verhaltensnormen und Entscheidungsregeln vorgegeben werden.63 Bei kollektiven Entscheidungsprozessen kann der optimale Grad der Arbeitsteilung mit
59
Vgl. ähnlich Forbes/Milliken (1999), S. 490 zum Board: „The very existence of the board as an institution is rooted in the wise belief that the effective oversight of an organization exceeds the capabilities of any individual and that collective knowledge and deliberation are better suited to this task.“
60
So auch Wald (2009), S. 79 f.
61
Vgl. allgemein Savage (1954), Hax (1965), Gäfgen (1968) zur Effizienz individueller sowie Marschak (1954), Marschak/Radner (1972), Laux/Liermann (1988) zur Effizienz kollektiver Entscheidungsprozesse.
62
Die Entscheidungsfindung basiert auf Annahmen über die zur Verfügung stehenden Informationen, die Präferenz- und Werteordnung sowie der Entscheidungsregeln (Savage -Paradigma). Vgl. hierzu Savage (1954), S. 7 ff., Simon (1957), S. 244, March/Simon (1958), S. 137 f., Alexis/Wilson (1967), S. 149 ff., Laux/Liermann (1988), S. 100 ff., Radner (2000), S. 629 f., Fischer/Greitemeyer/Frey (2002), S. 273. Vgl. weiter Williamson (1985), S. 45 f., Laux/Liermann (1988), S. 112 f., Radner (2000), S. 633 zu beschränkten Informationsverarbeitungskapazitäten (costly bounded rationality).
63
Vgl. Hax (1965), S. 73. 35
Hilfe des Delegationswerts bestimmt werden. Dieser gibt an, ob eine Instanz Entscheidungsprobleme selbst lösen oder an Einzelpersonen oder Gremien delegieren sollte.64 Da das Modell die Entscheidungssituation stark vereinfacht, wird die Effizienz hilfsweise durch die Anreiz- und Anforderungskompatibilität organisatorischer Lösungen beurteilt.65 Die Interpretationsmuster der präskriptiven Entscheidungstheorie sind auf die Organisationsstruktur des Aufsichtsrats übertragbar, um die Kosten und den Nutzen der Ausschussbildung oder Entscheidungsdelegation zu messen. Da die motivationalen und kognitiven Eigenschaften der Entscheidungsträger im Modell exogen sind, kann der Prozess der Entscheidungsfindung im Aufsichtsrat, die Informationsgewinnung und -verarbeitung und die Generierung von Handlungsalternativen, nicht erklärt werden.66 Für eine umfassende theoretische Analyse der Effizienz des Entscheidungsprozesses im Aufsichtsrat bietet die präskriptive Entscheidungstheorie insofern nicht genügend Anhaltspunkte. (b) Für die deskriptive Entscheidungstheorie67 ist die Annahme zentral, dass Individuen nur begrenzt rational handeln. Das Wissen um die kognitive Beschränkung des Entscheidungsträgers (truly bounded rationality) wird genutzt, um einzelne Phasen des Entscheidungsprozesses zu begründen und deren Wirkung auf die Effizienz der Entscheidung zu analysieren.68 Auslöser für einen Entscheidungsprozess ist ein Entscheidungsproblem, das zur Informationssuche und Alternativengenerierung anregt.69 Der Entscheidungs-
64
Vgl. Laux/Liermann (2005), S. 214 ff. Formal wird die Differenz zwischen dem Gewinnerwartungswert bei Entscheidungsdelegation und bei Entscheidungen durch die oberste Instanz der Unternehmung berechnet.
65
Vgl. im Detail Laux/Liermann (1988), S. 145 ff.
66
Vgl. hierzu die allgemeine Kritik bei Witte (1968a), S. 583, Kirsch (1977), S. 26.
67
Vgl. Simon (1957), S. 198, Simon (1965), Janis/Mann (1977), S. 45 ff. und Simon (1981), S. 116 ff.
68
Der Prozesscharakter des Problemlösens ist bei einer Individualentscheidung nicht unmittelbar erkennbar. Analytisch können Orientierungs-, Bewertungs- sowie Auswahlphase unterschieden werden. Vgl. hierzu Thomae (1960), S. 109 ff., Janis/Mann (1977), S. 171 ff., Simon (1977), S. 41 ff., Bronner (2004), Sp. 231 ff.
69
Vgl. hierzu allgemein Cyert/March (1995), S. 163 f.
36
prozess ist abgeschlossen, wenn ein satifizierendes Anspruchsniveau erreicht ist.70 Um die Effizienz eines Entscheidungsprozesses zu messen, kann man eine „ideale“ Abfolge als Phasenmodell festlegen.71 So bezieht das EffizienzVerlaufs-Modell von Gzuk sich auf die Arbeitsteilung und Koordination im Entscheidungsprozess, die Interaktion bei der Meinungs- und Willensbildung und die Schnelligkeit und Gründlichkeit der Lösung des Entscheidungsproblems.72 Die Effizienz des Verfahrensablaufs kann durch organisatorische Regelungen gesteigert werden.73 Charakteristisch für eine Entscheidung im Aufsichtsrat ist, dass Entscheidungsalternativen, wie sie bei der Bestellung von Vorstandsmitgliedern, der Beratung oder der Prüfung des Jahresabschlusses erforderlich sind, vom Aufsichtsrat selbst generiert werden müssen.74 Jede Entscheidung erfordert eine Vielzahl geistiger Leistungsbeiträge der Beteiligten, die schließlich in einen finalen Entschluss münden.75 Die Effizienz des Entscheidungsprozesses im Aufsichtsrat sollte, da einzelne Entscheidungsprobleme einer Analyse nicht zugänglich sind, über die organisatorischen Rahmenbedingungen der Willensbildung beurteilt werden. Es empfiehlt sich, geeignete Indikatoren für
70
Vgl. Simon (1981), S. 31, Osterloh (2004), Sp. 224 f. m.w.N.
71
Vgl. hierzu Gzuk (1975), S. 22 ff. und 288 mit empirischen Belegen. Am weitesten entfernen sich von diesen Idealmodellen sogenannte Mülleimermodelle, die Entscheidungsprozesse als „anarchisches“ Sammelbecken von Problemen, Teilnehmern, Lösungen und Entscheidungsgelegenheiten betrachten. Vgl. Cohen/March/Olson (1972) sowie ergänzend Hickson (1987), S. 184 f.
72
Vgl. im Einzelnen Gzuk (1975), S. 186 ff. Ein ähnlicher Bezugsrahmen wird von Thom (1988), S. 333 ff. entwickelt, der unterscheidet zwischen Zielorientierung der Organisation, Maßnahmen zur effizienten Arbeitsteilung, Schnelligkeit und Qualität der Informationsverarbeitungs- und Entscheidungsprozesse, Anpassungsfähigkeit und Anreizen.
73
Vgl. Witte (1992), Sp. 562, wonach die Prozesseffizienz, nicht aber die Entschlusseffizienz, durch organisatorische Strukturierung positiv beeinflusst werden kann.
74
Vgl. allgemein Simon (1977), S. 45 f., der programmierbare und nicht-programmierbare Entscheidungen unterscheidet. Bei einer programmierbaren Entscheidung kann sich ein Individuum auf ein durch Erfahrung gebildetes kognitives Programm stützen, es ist also reproduktiv. Nicht-programmierbare Entscheidungen sind nicht durch einfache Algorithmen lösbar und verlangen produktive Problemlösungen. Sie stellen in diesem Sinne „echte“ Entscheidungen dar. Joost (1975), S. 1, charakterisiert „echte“ Entscheidungen als novative bzw. innovative Entscheidungen.
75
Vgl. allgemein Witte (1968a), Witte (1968b). 37
die rechtzeitige und umfassende Information des Aufsichtsrats, den Prozess der Willensbildung und die Zeitdauer der Entscheidungsfindung abzuleiten.76 2.
Gruppentheoretische Ansätze
2.1
Ökonomietheoretische Argumente
In den vertragstheoretischen Ansätzen wird die Gruppe als Kontrollmechanismus diskutiert, um in einer Organisation die Zahl der vertikalen Überwachungsbeziehungen zu begrenzen.77 Insofern bietet der Aufsichtsrat als Gruppe die Voraussetzung für eine effiziente Überwachung: “Corporate law therefore provides a series of alternative accountability mechanisms designed to constrain agency costs without the need for an unending series of monitors. Chief among them is the board of directors. Putting a group at the apex of the corporate hierarchy turns out to be a highly effective alternative solution to the problem of an otherwise unending chain of monitors”.78
Kritisch für die Effizienz von Aufsichtsrat bzw. Board wird vor allem deren Größe diskutiert. In einer Gruppe komme es zu Anreiz- und Kontrollproblemen, da die Grenzproduktivität des einzelnen Mitgliedes nicht bestimmt werden könne.79 Drückebergerei in der Gruppe lasse sich bis zu einer gewissen Größe des Aufsichtsorgans durch Gruppennormen und Vertrauensbildung unterbinden. Wenn Gruppen länger existieren und sich ein Gruppenbewusstsein gebildet habe, würden Reputationsmechanismen und die An-
76
Ebenso Gerum (2007), S. 321 f.
77
Vgl. statt vieler Alchian/Demsetz (1972), S. 777 ff., Williamson (1985), S. 246 ff.
78
Bainbridge (2002), S. 33.
79
Vgl. klassisch Alchian/Demsetz (1972), S. 779, zum „shirking“-Problem am Beispiel von Verladearbeitern: „Two men jointly lift heavy cargo into trucks. Solely by observing the total weight loaded per day, it is impossible to determine each person’s marginal productivity. With team production it is difficult, solely by observing total output, to either define or determine each individual’s contribution to this output of the cooperating inputs. The output is yielded by a team, by definition, and it is not a sum of separable outputs of each of its member.”
38
drohung des Gruppenausschlusses abweichendes Verhalten verhindern.80 Mit steigender Gruppengröße stehe zwar eine größere Überwachungskapazität zur Verfügung. Zugleich werde jedoch die gruppeninterne Kommunikation erschwert und das Management könnte die Mitglieder des Aufsichtsorgans leichter beeinflussen, da Gruppennormen in einem großen Gremium an Wirkung einbüßen.81 Ausschüsse seien geeignet, solche Defizite auszugleichen.82 Die Interaktion im Aufsichtsorgan wird nur implizit thematisiert. Für die Effizienz sei zentral, dass die Entscheidung unbeeinflusst von Dritten erfolgen könne.83 Wenn die Mitglieder von Aufsichtsrat und Board als Gruppe eine Entscheidung treffen, ließen sich Nachteile begrenzter Rationalität kompensieren. Im Ergebnis sei die Qualität der Gruppenentscheidung dann höher als die des besten Einzelmitglieds.84 Soweit der Prozess der Willensbildung diskutiert wird, bezieht sich die Argumentation auf die Interaktion zwischen Management und Aufsichtsorgan und nicht auf den Entscheidungsprozess im Aufsichtsrat bzw. Board.85 Die ökonomischen Argumente zur Gruppengröße können nicht umstandslos auf den deutschen Aufsichtsrat übertragen werden, da der Aufsichtsrat als Repräsentativorgan nicht direkt mit dem angloamerikanischen Board vergleichbar ist. Die Komplexität der Aufsichtsratsaufgaben erfordert eine
80
Vgl. Bainbridge (2002), S. 36 f., der u.a. auf Williamson (1975), S. 48 verweist.
81
Vgl. Lipton/Lorsch (1992), S. 65, Yermack (1996), S. 187 f. und Boone/Field/Karpoff/ Raheja (2007), S. 70 f. m.w.N. Vgl. weiter Jensen (1993), S. 865, der die Obergrenze für das Aufsichtsorgan bei sieben bis acht Mitgliedern sieht.
82
Vgl. statt vieler Klein (1998), S. 279 f. m.w.N.
83
Vgl. Jensen (1993), S. 864 f., der beispielhaft die Aufstellung der Tagesordnung für den Board durch das Management und die selektive Informationsweitergabe nennt.
84
Vgl. Bainbridge (2002), S. 21 ff. m.w.N. Dagegen Blinder/Morgan (2000) mit den Ergebnissen eines Experiments, wonach die Qualität einer Gruppenentscheidung nicht höher ist als die beste Einzelentscheidung („best member“-These).
85
Vgl. hierzu die Kritik bei Zahra/Pearce (1989), S. 303 und Huse (2007), S. 51 m.w.N. Vgl. weiter Fama/Jensen (1983), S. 303 und 311, wonach das Management strategische Alternativen generiert (initiation), unter denen das Aufsichtsorgan auswählt (ratification). Anschließend setzt das Management die gewählte Alternative um (implementation) und wird dabei vom Aufsichtsorgan überwacht (monitoring). Ebenso Judge/Dobbins (1995), S. 45 f. 39
organisatorische Ausdifferenzierung durch Ausschüsse und deshalb auch mehr Mitglieder.86 Ferner wird theorieimmanent nicht schlüssig begründet, warum
Gruppennormen
im
Aufsichtsorgan
wirksam
Drückebergerei
verhindern sollen. Die Anreiz- und Kontrollproblematik kann durch Normen nur dann gelöst werden, wenn alle Gruppenmitglieder zuvor firmen- oder teamspezifisch investiert haben.87 Jedoch sind die Mitglieder dann nach Voraussetzung nicht mehr unabhängig, da sie in erster Linie opportunistisch den Schutz ihres Humankapitals verfolgen würden, statt das Management im Interesse der Kapitaleigner zu überwachen. 2.2
Verhaltenswissenschaftliche Gruppentheorie
Konstitutiv für den effizienten Einsatz von Humanressourcen und die Entscheidungsqualität ist nach Auffassung der verhaltenswissenschaftlichen Gruppentheorie, dass die Bedürfnisse der Mitarbeiter beachtet werden.88 Inwieweit eine Gruppe ihre Aufgaben89 effizient erfüllt, hängt dabei ganz wesentlich von der Intensität der Interaktion in der Gruppe ab. Als „kritisch“ für eine effiziente Gruppenarbeit gelten die Gruppenkohäsion, Normen und Standards, kognitive Konflikte und die Nutzung des Wissens und der Fähigkeiten aller Gruppenmitglieder90: Für die Kohäsion sei ein mittleres Niveau optimal, bei dem die Gruppe für ihre Mitglieder attraktiv ist, ohne dass hierbei ihr selbständiges Denken leidet.91 Die Normen und Standards der Gruppenmitglieder prägten den individuellen und den kollek86
Vgl. Gerum/Debus (2006) und Gerum (2007), S. 207 m.w.N.
87
Vgl. Ouchi (1980), S. 134 ff. zum relationalen Team.
88
Vgl. Argyris (1957), Argyris (1964), Likert (1972) und Likert (1975) sowie zusammenfassend Frost/Osterloh (2002), S. 172 ff. und Schreyögg (2003), S. 258 ff.
89
Vgl. Homans (1978), S. 107 f. zu einer systemtheoretischer Erklärung des Verhältnisses zwischen Umwelt, Aufgaben und Gruppe.
90
Vgl. Wageman (1995), S. 149, Amason (1996), S. 125, Cohen/Bailey (1997), S. 255 f., Schulz-Hardt/Greitemeyer/Brodbeck/Frey (2002), S. 34 f. sowie Greitemeyer/SchulzHardt/Brodbeck/Frey (2006), S. 36 ff. mit empirischen Belegen. Zur Vorteilhaftigkeit von Gruppen- gegenüber Individualentscheidungen vgl. weiter Miner (1984), Vollrath/ Sheppard/Hinsz/Davis (1989) und Kerr (1992) mit empirischen Belegen.
91
Vgl. Likert (1972), S. 36 f., Janis (1983), S. 248, Bettenhausen (1991), S. 361 ff., Hambrick (1995), S. 115, Cohen/Bailey (1997), S. 256 f. m.w.N.
40
tiven Leistungsbeitrag.92 Bei heterogener Qualifikation der Gruppenmitglieder werde eine größere Anzahl von Lösungsmöglichkeiten generiert, die zu einer höheren Entscheidungsqualität führten.93 Ferner ist für die Effizienz der Gruppenarbeit bedeutsam, dass sich die Gruppenmitglieder wechselseitig ihrer Expertise bewusst sind und im Entscheidungsprozess intensiv Informationen und Argumente ausgetauscht werden.94 Die Festlegung der „optimalen“ Gruppengröße ist ein ungelöstes und unlösbares Problem.95 Überträgt man die gruppentheoretischen Behauptungen auf die Effizienz des Aufsichtsrats96, sollten die entscheidungsrelevanten Informationen stets allen Aufsichtsratsmitgliedern zur Verfügung stehen.97 Ferner sollte die Organisation des Entscheidungsprozesses einen intensiven Informations- und Meinungsaustausch sicherstellen, unabhängig von der Positionsmacht und der sozioökonomischen Herkunft des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds.98 Die
92
Vgl. Homans (1978), S. 134 ff. und 287 f., Bettenhausen (1991), S. 347 ff., Wageman (1995), S. 150 sowie Schulz-Hardt/Greitemeyer/Brodbeck/Frey (2002), S. 32 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen.
93
Vgl. Blau (1977), Jehn (1995), Amason (1996), S. 123 f., Cohen/Bailey (1997), S. 255, Eisenhardt/Kahwajy/Bourgeois III (1997), Volkema/Gorman (1998), Pelled/Eisenhardt/ Xin (1999), S. 2 ff. sowie Schulz-Hardt/Brodbeck/Mojzisch/Kerschreiter/Frey (2006), S. 1085 ff. mit empirischen Belegen. Ebenso Dahlin/Weingart/Hinds (2005), die zeigen, dass ein unterschiedlicher Bildungshintergrund der Gruppenmitglieder die Informationsverarbeitung steigert. Ein zu großes Maß an kognitiven Konflikten kann jedoch die Attraktivität der Gruppe reduzieren und zu Unzufriedenheit führen. Vgl. Milliken/Martins (1996), Lau/Murnighan (2005), Li/Hambrick (2005).
94
Vgl. allgemein Katzenbach/Smith (1993), S. 232 ff. sowie im Speziellen Shaw (1976), S. 244 ff. zu Wirkungen des Status auf die Gruppenleistung und Gross (1958) zur Bedeutung von Rollenkonflikten. Die intensive Kommunikation kann jedoch auch einen Risikoschub der Gruppe auslösen. Vgl. hierzu Kogan/Wallach (1964), S. 190 ff. mit empirischen Belegen sowie allgemein Shaw (1976), S. 70 ff.
95
Vgl. statt vieler Arrow/McGrath/Berdahl (2000), S. 74 ff. m.w.N.
96
Die Mitglieder des Aufsichtsrats bilden aus gruppentheoretischer Sicht eine formelle Gruppe. Zu den Kriterien vgl. Cohen/Bailey (1997), S. 241 und Antoni (2004), Sp. 380.
97
Die Qualität der Gruppenentscheidung ist hoch, wenn Informationen bei der Entscheidungsfindung symmetrisch verteilt sind. Vgl. Brodbeck/Kerschreiter/Mojzisch/SchulzHardt (2007), S. 461 ff.
98
Vgl. ähnlich Forbes/Milliken (1999), S. 494 ff., Sundaramurthy/Lewis (2003), S. 408 ff., Huse (2007), S. 215 ff., Levrau/van den Berghe (2007a), S. 14 ff. und Zona/Zattoni (2007) mit Bezug zum Board. 41
Größe des Aufsichtsrats hingegen ist für die Effizienz des Entscheidungsprozesses von geringerer Bedeutung.99 3.
Diskussion
Als Ergebnis der Bestandsaufnahme kann man festhalten, dass die entscheidungs- und gruppentheoretischen Ansätze fruchtbare Argumente für eine Analyse der Effizienz des Aufsichtsrats liefern. Bei der präskriptiven Entscheidungstheorie und den ökonomischen Argumenten zur Gruppe finden sich Hinweise zur Beurteilung der Gremiengröße und zum optimalen Grad der Arbeitsteilung durch Ausschussbildung im Aufsichtsrat. Die Vorschläge der deskriptiven Entscheidungstheorie und der verhaltenswissenschaftlichen Theorie der Gruppe sind ferner geeignet, auch die Effizienz des Verfahrensablaufs bei kollektiven Entscheidungen zu analysieren.
99
42
Vgl. Gerum/Debus (2006) m.w.N. und Jürgens/Lippert/Gaeth (2008), S. 111 zum Aufsichtsrat sowie Conger/Lawler/Finegold (2001), S. 54 f. zum Board. A.A. Forbes/Milliken (1999), S. 500.
III. Empirische Befunde 1.
Zur Effektivität von Aufsichtsrat und Board
Angesichts der differierenden Beurteilung der Effektivität von Aufsichtsrat und Board sind empirische Befunde von besonderem Interesse. Versucht man die empirische Corporate-Governance-Forschung zu resümieren, so wird schnell klar, dass sich die Studien ganz überwiegend auf den PrinzipalAgenten-Ansatz beziehen. Die Effektivität des Aufsichtsorgans wird als reines Kontrollproblem thematisiert. Im Vergleich hierzu war die Stakeholderperspektive für die Mehrzahl der Untersuchungen bislang nicht handlungsleitend. Die organisationstheoretischen Ansätze wurden bei der empirischen Analyse von Aufsichtsrat und Board weitgehend vernachlässigt. 1.1
Vertragstheoretische Studien
Die empirischen Untersuchungen aus der Prinzipal-Agenten-Perspektive lassen sich nach Themenfeldern clustern. Es dominieren Studien, die den Zusammenhang zwischen der Zusammensetzung des Aufsichtsorgans und dem Unternehmenserfolg prüfen. Nur wenige Untersuchungen analysieren dabei die Kompetenzen von Aufsichtsrat und Board (vgl. Abbildung C.1).
Aufsichtsorgan Personelle Zusammensetzung
(1)
- Unabhängigkeit - Vergütung (2) Kompetenzen - Personalhoheit - Überwachung (financial vs. strategic control)
Unternehmenserfolg (2)
Abb. C.1: PA-Studien zu Aufsichtsrat und Board: Themenfelder
43
(1) In der Literatur geht man für die personelle Zusammensetzung von Aufsichtsrat und Board im Grundsatz davon aus, dass das Management effektiver überwacht wird, wenn die Mitglieder des Aufsichtsorgans unabhängig sind und erfolgsabhängig vergütet werden.100 Die empirischen Befunde hierzu sind durchgängig heterogen. In empirischen Studien zum Aufsichtsrat lautete die These, dass sich die Mitbestimmung auf den Unternehmenserfolg negativ auswirke.101 Die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat seien als Insider zu klassifizieren, die einer effektiven Überwachung des Vorstands entgegenstehen. Metaanalysen zum Einfluss der Mitbestimmung stimmen darin überein, dass sich sowohl positive als auch negative Effekte auf den Unternehmenserfolg feststellen lassen.102 Für das klassische Prinzipal-Agenten-Problem wurde ferner die Wirkung einer erfolgsabhängigen Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder analysiert. Die Befunde sind für den Aufsichtsrat umstritten103 und stützen insoweit nicht die Forderung, die variable Vergütung für die Mitglieder des Aufsichtsrats auszubauen. Beim Board wird die Unabhängigkeit am zahlenmäßigen Verhältnis von Outsidern zu Managern gemessen. Die Befunde zum Zusammenhang mit der Performance der Unternehmen sind strittig.104 Negative Effekte personeller
100
Vgl. statt vieler John/Senbet (1998), S. 380 und 387 f., Daily/Dalton/Cannella (2003), S. 372 und Shen (2005), S. S85 ff.
101
Vgl. statt vieler Stettes (2007), S. 611 m.w.N.
102
Vgl. Bertelsmann Stiftung/Hans-Böckler-Stiftung (1998), Gerum/Wagner (1998), S. 348 ff., Baums/Frick (1999), S. 210 f., Sadowski/Junkes/Lindenthal (2001), S. 113 ff., Höpner (2004), S. 352 ff. und Kraft/Stank (2004), S. 444. Die neueren Studien von Gorten/Schmid (2004) und Stettes (2007) zeigen einen negativen Zusammenhang. Ohne Zusammenhang wiederum Andres/Azofra/Lopez (2005), S. 203 f. mit Befunden einer vergleichenden Studie zu zehn OECD-Ländern, in der Kapitaleignervertreter im Aufsichtsrat als Outsider und Arbeitnehmervertreter als Insider klassifiziert wurden.
103
Vgl. Schmid (1997), S. 77 f. mit positivem Befund. Dagegen Knoll/Knoesel/Probst (1997), 249 f., die keinen signifikanten Zusammenhang messen. Vgl. weiter Gorton/Schmid (2004), S. 894, die einen moderierenden Einfluss der Aufsichtsratsmitbestimmung auf den Zusammenhang zwischen Höhe der Aufsichtsratsvergütung und Unternehmenswert nachweisen.
104
Ohne Zusammenhang vgl. die Metaanalyse von Dalton/Daily/Ellstrand/Johnson (1998), S. 278 ff. sowie die Einzelbefunde bei Hermalin/Weisbach (1991), S. 109, Bhagat/Black (2002), S. 247 f. und Finkelstein/Mooney (2003), S. 102. Die Vorteilhaftigkeit einer unab-
44
Verflechtungen auf den Unternehmenserfolg waren nicht nachweisbar.105 Weiter wurde geprüft, ob es nachteilig ist, wenn eine Person das Amt des CEO und des Chairman innehat. Diese Ämterhäufung ist, wie die Befunde106 zeigen, nicht zum Nachteil der Kapitaleigner. (2) Ferner wurde der Frage nachgegangen, wie effektiv Aufsichtsrat und Board ihre Personalhoheit ausüben. In der Literatur wird behauptet, dass ein effektives Aufsichtsorgan die Entlohnung des Managements erfolgsabhängig ausgestaltet und darüber hinaus das Management in einer Krisensituation rechtzeitig abberuft.107 Für den Aufsichtsrat zeigte sich, dass die erfolgsabhängige Vorstandsentlohnung nur eine schwache Wirkung auf den Unternehmenserfolg hat.108 Andere Studien analysierten den Einfluss des Unternehmenserfolgs auf die Höhe der Managemententlohnung.109 Hier ergab sich ein signifikant positiver Zusammenhang.110 Die Befunde zeigen weiter, dass der Aufsichtsrat den Vor-
hängigen Boardbesetzung bestätigen Baysinger/Butler (1985), S. 117 ff., Kosnik (1987), S. 177 ff., Rosenstein/Wyatt (1990), S. 186 f., Daily/Dalton (1994), S. 1612 f., Beasley (1996), S. 454 f., Álvarez/Ansón/Méndez (1998), S. 7 ff., MacAvoy/Millstein (1999), S. 17 f., Klein (2002), S. 387 ff., Yawson (2006), S. 81 f. und Rutherford/Buchholtz (2007), S. 580 f. Dagegen Agrawal/Knoeber (1996), S. 390, Yermack (1996), S. 195 mit dem Nachweis eines negativen Zusammenhangs. Das Ergebnis ändert sich auch nicht, wenn zusätzlich für den Zeitpunkt der Berufung der Boardmitglieder kontrolliert wird. Vgl. hierzu Wade/ O'Reilly/Chandratat (1990), S. 598 und Westphal (1999), S. 16 f. 105
Vgl. Beasley (1996), S. 460 ff., Fich/White (2005), S. 188 ff., Fich/Shivdasani (2006), S. 701 ff. mit negativem Zusammenhang. Dagegen Harris/Shimizu (2004), S. 788, die einen positiven Einfluss nachweisen sowie Ferris/Jagannathan/Pritchard (2003), S. 1101 ohne signifikantes Ergebnis.
106
Vgl. die Metanalyse von Dalton/Daily/Ellstrand/Johnson (1998), S. 280 f. Vgl. weiter Daily/Dalton (1994), S. 1612 f. und Coles/Hesterly (2000), S. 208 f., die den unterstellten negativen Einfluss nachweisen. Ohne signifikanten Zusammenhang Boyd (1995), S. 307, Daily (1995), S. 1049, Daily/Dalton (1997), S. 14 ff., Certo/Daily/Dalton (2001), S. 41, Finkelstein/Mooney (2003), S. 102 und Schmid/Zimmermann (2008), S. 194.
107
Vgl. statt vieler Jensen (1993), S. 862, John/Senbet (1998), S. 384 f.
108
Vgl. Elston/Goldberg (2003), S. 1402 f.
109
Die Methodik dieser Untersuchungen wirft jedoch Fragen auf, da der Unternehmenserfolg, entgegen der postulierten Wirkungsrichtung, als Erklärungsgröße (unabhängige Variable) für die Höhe der Vorstandsentlohnung (abhängige Variable) dient.
110
Vgl. Schmid (1997), S. 77 f., Conyon/Schwalbach (2000), S. 516 f. 45
stand, wie behauptet, bei sinkendem Unternehmenserfolg abberuft.111 Ein Anstieg des Unternehmenserfolgs nach einem erzwungenen Wechsel konnte jedoch nicht belegt werden.112 Die Entlohnungspolitik des Managements bildete beim Board ebenfalls den Schwerpunkt. Zum einen wurde die Wirkung einer erfolgsabhängigen Entlohnung des Managements auf den Unternehmenserfolg überprüft. Wegen der heterogenen Befunde113 räumen im Ergebnis selbst Verfechter anreizbasierter Entlohnungssysteme ein, dass sich kaum ein positiver Einfluss auf den Unternehmenserfolg nachweisen lässt.114 Erwartungsgemäß ergab sich für den Einfluss des Unternehmenserfolgs auf die Höhe der Managemententlohnung ein signifikant positiver Zusammenhang.115 Weiter wurde gezeigt, dass das Management die Höhe seiner Vergütung und Abfindungen (golden parachutes) beeinflussen kann, wenn der Board mit Insidern besetzt ist.116 Zur Abberufung des Managements in der Unternehmenskrise zeigte sich, dass der Board diese Aufgabe effektiv wahrnimmt.117 Die Wahrscheinlichkeit einer vorzeitigen Abberufung ist höher, wenn der Board mehrheitlich mit Outsidern
111
Vgl. Kaplan (1994a), S. 149 f., Kaplan (1995), S. 29 f., Franks/Mayer (2001), S. 959, Jungmann (2006), S. 447, Bresser/Valle Thiele (2008), S. 190. Für Vergleichswerte zu USA und Japan siehe Kaplan (1994b), S. 524 ff.
112
Vgl. Bresser/Valle Tiehle/Biedermann/Lüdeke (2005), S. 1177 ff.
113
Vgl. hierzu die Metaanalyse von Rost/Osterloh (2008), S. 149 ff. sowie die Kritik bei Boyer (2007), S. 459 ff. m.w.N. Vgl. im Einzelnen die schwach positiven Befunde bei Brickley/Bhagat/Lease (1985), S. 123 f., Hall/Liebman (1998), S. 677 ff., Brown/Caylor (2004), S. 17. Dagegen weisen DeFusco/Johnson/Zorn (1990) und DeFusco/Zorn/ Johnson (1991) negative Effekte der Einführung von Aktienoptionsprogrammen nach.
114
Vgl. Murphy (1999), S. 2555.
115
Vgl. Murphy (1985), S. 29 ff., Jensen/Murphy (1990), S. 227 ff., Tosi/Werner/Katz/ Gomez-Mejia (2000), S. 328 f. mit Befunden für die USA, Conyon/Murphy (2000), S. F651 ff. für die USA und Großbritannien, Conyon/Schwalbach (2000), S. 516 f. für Großbritannien.
116
Vgl. Boyd (1994), S. 341, Drobetz/Pensa/Schmid (2007), S. 810 mit positivem Befund zur Höhe der Managemententlohnung. Dagegen die heterogenen Ergebnisse von Cochran/ Wood/Jones (1985), S. 667 ff., Davis (1991), S. 603, Davidson/Pilger/Skazmary (1998), S. 26 ff. zum Zusammenhang zwischen Unabhängigkeit und Höhe von Abfindungszahlungen.
117
Vgl. Coughlan/Schmidt (1985), S. 60 ff., Warner/Watts/Wruck (1988), S. 473 ff., Kaplan (1994b), S. 524 ff.
46
besetzt ist.118 Theoriekonform steigt nach einem erzwungenen Wechsel der Unternehmenserfolg.119 Weiter hat man untersucht, wie effektiv das Aufsichtsorgan strategische Entscheidungen des Managements überwacht. Diese empirischen Studien beziehen sich ausschließlich auf den Board. Eine Metaanalyse kommt zu dem Ergebnis, dass eine Kombination von Ergebnis- und Verhaltenskontrolle effektiv ist.120 Einzelne Studien zeigen ferner, dass risikoaverse Manager bei Überwachung durch Finanzkennzahlen innovative Strategien meiden, um den Einkommensstrom des Unternehmens zu stabilisieren. Die Kontrolle strategischer Entscheidungen durch den Board steigert dagegen die Forschungsund Entwicklungsaktivität.121 Eine intensive Finanz- und Verhaltenskontrolle wirkt sich positiv auf den Unternehmenserfolg aus.122 1.2
Organisationstheoretische Studien
Bei den empirischen, organisationstheoretischen Studien zur Effektivität des Aufsichtsorgans konzentrieren sich die Untersuchungen mehrheitlich auf die Frage, inwieweit die effektive Gestaltung und der Wandel von Aufsichtsrat und Board den Fortbestand und die Legitimität des Unternehmens zu sichern vermag. Einige empirische Studien prüfen auch, inwiefern Aufsichtsorgane für das Interesse der Machtelite instrumentalisiert werden. 1.2.1
Unternehmensfortbestand als Ziel
Die koalitionstheoretischen Studien zur Wirkung von Aufsichtsrat und Board auf den Unternehmensfortbestand lassen sich nach Themenfeldern clustern. Es überwiegen Studien, die den Zusammenhang zwischen der personellen
118
Vgl. Weisbach (1988), S. 440 ff., Fich/Shivdasani (2006), S. 701 ff.
119
Vgl. Hermalin/Weisbach (1991), S. 109 ff., Denis/Denis (1995), S. 1042, Weisbach (1995), S. 172 ff., Conyon/Murphy (2000), S. F661 f.
120
Vgl. Deutsch (2005), S. 431 ff.
121
Vgl. Baysinger/Kosnik/Turk (1991), S. 209 ff., Deutsch (2007), S. 820 f.
122
Vgl. Judge/Dobbins (1995), S. 54 und Westphal (1999), 17 f. Dagegen Ruigrok/Peck/ Keller (2006), S. 1215 ff., die für den schweizerischen Verwaltungsrat keinen signifikanten Zusammenhang nachweisen. 47
Zusammensetzung des Aufsichtsorgans und dem Unternehmensfortbestand123 untersuchen. In wenigen Studien werden auch die Kompetenzen von Aufsichtsrat und Board gegenüber dem Management in das Wirkungsgefüge integriert. Als Indikatoren für die Umweltkomplexität werden zur Erklärung der Ausgestaltung des Aufsichtsorgans Faktoren der globalen Umwelt, die Wettbewerbsintensität einer Branche oder die Unternehmensstrategie und die Unternehmensgröße verwendet (vgl. Abbildung C.2).
Aufsichtsorgan
Einflussgrößen - Faktoren der globalen Umwelt - Branchenwettbewerb - Unternehmensstrategie und Unternehmensgröße
Personelle Zusammensetzung - Sozioökonomische Herkunft - Heterogenität (2) Kompetenzen
(1)
Unternehmensfortbestand (2)
- Beratung - Überwachung (ex-ante)
Abb. C.2: Resource-Dependence-Studien zum Aufsichtsorgan
(1) Nach Auffassung des Ressource-Dependence-Ansatzes ist die personelle Zusammensetzung von Aufsichtsrat und Board Ausdruck der Umweltabhängigkeit des Unternehmens. Die Besetzung des Aufsichtsorgans mit erfolgskritischen Ressourcen trage zum Unternehmensfortbestand bei.124 Die empirischen Befunde bestätigen dies für Aufsichtsrat und Board. Für den Aufsichtsrat wurde zur Ressourcenabhängigkeit die Intention der Akteure beim Aufbau kooperativer Beziehungen untersucht. Eine „broken tie“-Analyse ergab, dass personelle Verflechtungen zu Banken und Versiche-
123
In der empirischen Aufsichtsrats- und Boardforschung ist es üblich, den Unternehmensfortbestand durch jahresabschluss- und kapitalmarktbasierte Erfolgskennziffern zu messen.
124
Vgl. statt vieler Dalton/Dalton (2005), S. S94 f. m.w.N.
48
rungen häufiger rekonstruiert werden als zu anderen Unternehmen, da der Finanzbedarf ein dauerhaftes Problem ist.125 Es wurde jedoch für den Aufsichtsrat bislang nicht nachgewiesen, dass der Grad personeller Verflechtungen den Unternehmenserfolg steigert.126 Weiter konnte gezeigt werden, dass die Aufsichtsratsgröße in Managerunternehmen und mit steigender Unternehmensgröße häufiger über das gesetzlich erforderliche Mindestmaß vergrößert wird. Dieser Befund legt es nahe, dass mit zunehmender Umweltkomplexität offenbar zusätzlicher Beratungsbedarf besteht, der ein größeres Gremium erforderlich macht.127 Einen weiteren Schwerpunkt bilden Studien, die der Frage nachgehen, ob die Aufsichtsratsbesetzung eine effektive Interessenvertretung ermöglicht. Die Befunde ergaben, dass Arbeitnehmermitbestimmung zu besseren materiellen Leistungen und Schutz vor Kündigung führt, ohne die Kapitaleignerinteressen zu schädigen.128 Empirische Studien zum Board belegen, dass die personelle Zusammensetzung von der Wettbewerbsintensität129 und der Unternehmensstrategie130 geprägt wird. Um den Unternehmensfortbestand zu sichern, werden Vertreter erfolgskritischer Ressourcen in den Board kooptiert,131 wobei die Rekonstruktionsrate personeller Verflechtungen zu Finanzinstitutionen höher ist als zu anderen
125
Vgl. Schreyögg/Papenheim-Tockhorn (1994), S. 386 f., Schreyögg/Papenheim-Tockhorn (1995), S. 219 ff., die für Verflechtungen über den deutschen Aufsichtsrat eine Rekonstruktionsrate von 71% messen, davon 94% bei Finanzunternehmen und 49% bei Nicht-Finanzunternehmen.
126
Ohne signifikanten Zusammenhang Schiffels (1981), S. 290 ff.
127
Vgl. Gerum/Debus (2006), S. 12 f.
128
Vgl. Witte (1980), S. 557 f. und Vitols (2006), S. 10 ff; dagegen Werner/Zimmermann (2005), S. 338 ff.
129
Vgl. Pfeffer (1972), S. 224, Pfeffer (1973), S. 355 ff., Pearce/Zahra (1992), S. 429, Hillman/ Cannella/Paetzold (2000), S. 250 f. am Beispiel der Deregulierung von Märkten.
130
Vgl. Pfeffer (1972), S. 224 f., Pfeffer (1973), S. 355 ff., Mizruchi/Stearns (1988), S. 203 f., Pearce/Zahra (1992), S. 429 f., Mizruchi/Stearns (1994), S. 135, Hill (1995), S. 264 ff., Anderson/Bates/Bizjak/Lemmon (2000), S. 17, Kiel/Nicholson (2003b), S. 198 f., Markarian/ Parbonetti (2007), S. 1234 und Coles/Daniel/Naveen (2008), S. 344 f.
131
Vgl. Pfeffer (1972), S. 225 f., Pfeffer (1973), S. 355 ff., Pearce/Zahra (1992), S. 431, Stearns/ Mizruchi (1993), S. 610, Gales/Kesner (1994), S. 279, Daily (1995), S. 1049. Dagegen ohne Zusammenhang Chaganti/Mahajan/Sharma (1985), S. 411 f. Vgl. weiter Hillman/Cannella/Paetzold (2000), S. 236 zur Kritik an den Insider-/Outsider-Klassifikationen. 49
Unternehmen.132 Für den Grad personeller Verflechtungen war jedoch keine klare Erfolgswirkung nachweisbar.133 Weiter wurde geprüft, ob ein breiteres Spektrum des Wissens und der Fähigkeiten der Mitglieder in einem großen Board den Unternehmenserfolg positiv beeinflusst. Die überwiegende Zahl der Studien bestätigt diesen Zusammenhang.134 (2) Ein effektiver Aufsichtsrat oder Board muss das Management beraten und gegebenenfalls unternehmerische Entscheidungen verhindern, die den Unternehmensfortbestand gefährden.135 Empirische Studien bestätigen den Zusammenhang zwischen personeller Zusammensetzung, den Kompetenzen des Aufsichtsorgans und Unternehmenserfolg. Für den Aufsichtsrat wurden vier Realtypen mit Hilfe der Dimensionen personelle Zusammensetzung und unternehmenspolitische Kompetenz konstruiert.136 Die Wahl und den Wandel der Aufsichtsratstypen wird am stärksten von der Unternehmensstrategie beeinflusst. Bei steigendem Diversifikationsgrad werden Personen ohne Kapitalbeteiligung in den Aufsichtsrat berufen, die mit ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten die unternehmerischen Entscheidungen des Vorstands absichern sollen.137 Zum Board wurde nachgewiesen, dass mit zunehmender Wettbewerbsintensität auf dem Gütermarkt häufiger Vertreter erfolgskritischer Ressourcen berufen werden, die das Management in strategischen Angelegenheiten beraten.138 Wenn die Boardmitglieder heterogen qualifiziert sind und über
132
Vgl. Stearns/Mizruchi (1986), S. 531. Die Detailanalyse ergab, dass die Rekonstruktionsrate bei Managerunternehmen höher ist als bei Eigentümerunternehmen.
133
Vgl. Stockman/Ziegler/Scott (1985) und Boyd (1990) mit positiven Befunden. Dagegen ohne Zusammenhang Kiel/Nicholson (2003b), S. 200 f., Kiel/Nicholson (2006), S. 543 f.
134
Vgl. hierzu die Metaanalyse von Dalton/Daily/Johnson/Ellstrand (1999), S. 676 ff. sowie im Einzelnen Chaganti/Mahajan/Sharma (1985), S. 410 f., Pearce/Zahra (1992), S. 431, Daily/Dalton (1993), S. 74, Kiel/Nicholson (2003b), S. 200 und Coles/Daniel/Naveen (2008), S. 341 ff. Ohne nennenswerten Zusammenhang Kiel/Nicholson (2006), S. 543 f.
135
Vgl. statt vieler Zahra/Pearce (1989), S. 298 m.w.N.
136
Vgl. Gerum (1991).
137
Vgl. Gerum (1995), S. 364 ff.
138
Vgl. Carpenter/Westphal (2001), S. 649 ff.
50
langjährige Erfahrung in der Branche verfügen, bewirkt intensive Beratung einen höheren Unternehmenserfolg.139 1.2.2
Legitimität als Ziel
Folgt man dem institutionalistischen Ansatz, wird die Legitimität des Unternehmens gesichert, wenn die personelle Zusammensetzung und die Kompetenzen des Aufsichtsorgans den (institutionalisierten) Normen und Erwartungen der Umwelt entsprechen. Die empirischen Befunde ergeben allerdings nur einen geringen Konformitätsdruck durch die Corporate-Governance-Kodices. Zentrales Thema beim Aufsichtsrat war, ob den Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex entsprochen wird. Die Entsprechensrate bewegt sich durchgängig auf hohem Niveau.140 Diese Anpassung erfolgt jedoch oft nur vordergründig. Laut Entsprechenserklärung präzisieren alle großen börsennotierten Aktiengesellschaften die Berichtspflicht des Vorstands, um die Beratungskompetenz des Aufsichtsrats zu steigern (DCGK Ziff. 3.4 Abs. 3 S. 1).141 In der Realität verfügt aber weniger als die Hälfte der Aufsichtsräte über eine Informationsordnung.142 Insofern verwundert es auch nicht, dass die Entsprechensrate für die Bewertung des Unternehmens am Kapitalmarkt ohne Bedeutung ist.143
139
Vgl. Westphal (1999), S. 16 f., Golden/Zajac (2001), S. 1101 f.
140
Vgl. Gerum (2007), S. 394, v. Werder/Talaulicar (2007), S. 872 f. zu den neuralgischen Empfehlungen, insbesondere Altersgrenze für Aufsichtsratsmitglieder (Ziffer 5.4.1 S. 2), Gewährung einer variablen Vergütungskomponente (Ziffer 5.4.7 Abs. 2 S. 1) sowie individualisierte Veröffentlichung der Aufsichtsratsvergütung (Ziffer 5.4.7 Abs. 3)
141
Vgl. Theisen/Raßhofer (2007), S. 1317 f. m.w.N. zu DAX-, MDAX- und SDAX-Unternehmen.
142
Vgl. Gerum (2007), S. 281 f. Dagegen Ranzinger/Blies (2001), S. 12, Böcking/Dutzi/Fey/ Leven (2005), S. 36 und Fischer/Beckmann (2007), S. 37, die jeweils zu dem Ergebnis kommen, dass in den untersuchten Gesellschaften mehrheitlich eine Informationsordnung existiert, ohne diese jedoch inhaltlich im Vergleich zu den gesetzlichen Standards zu analysieren. Vgl. hierzu Theisen/Raßhofer (2007), S. 1319, die resigniert feststellen, dass nur 20% der DAX-, 11% der MDAX- und kein SDAX-Unternehmen die Informationsordnung freiwillig veröffentlicht.
143
Vgl. Drobetz/Schillhofer/Zimmermann (2004), S. 15 ff. und Goncharov/Werner/ Zimmermann (2006), S. 435 ff. mit positivem Befund. Dagegen Nowak/Rott/Mahr (2005) 51
Für das angelsächsische Boardsystem bestätigte sich die These von der positiven Wirkung der Kodizes ebenfalls nicht.144 Ferner wurde geprüft, wie sich die Vorgaben von institutionellen Investoren und Rating-Agenturen zur personellen Zusammensetzung des Boards und zur Managemententlohnung in der Realität auswirken. Ein hoher Outsideranteil verbesserte die Finanzierungsmöglichkeiten der Gesellschaften.145 Die Anpassung erfolgt jedoch auch beim Board teilweise nur vordergründig. Bereits die Ankündigung, für das Management eine erfolgsabhängige Entlohnung einführen zu wollen, führte zu positiven Kursreaktionen am Kapitalmarkt. Für den verbesserten Ressourcenzugang war es unerheblich, ob dieses Anreizsystem dann auch verwirklicht wurde.146 Die bloße Ankündigung reichte aus, weiteren Druck institutioneller Investoren auf eine Erhöhung des Outsideranteils oder der personellen Trennung von CEO und Chairman vom Board zu nehmen.147 In Branchen finden zudem Imitationsprozesse statt, die zu einer ähnliche Entlohnungspolitik des Executive Managements führen.148 1.2.3
Sicherung der Machtelite als Ziel
Empirische Studien zur Social-Class-Theorie untersuchen, wie personelle Netzwerke für die Sicherung der Machtelite genutzt werden. Eine solche Instrumentalisierung des Aufsichtsorgans schade vor allem den Kapital-
und Bassen/Kleinschmidt/Prigge/Zöllner (2006), S. 387 ff. ohne signifikanten Zusammenhang. 144
Vgl. Heracleous (2001) und Gerum (2007), S. 45 m.w.N. zum nicht nachweisbaren Zusammenhang zwischen „guter“ Corporate Governance und Unternehmenswert. Vgl. weiter MacNeil/Li (2006), S. 488, Arcot/Bruno (2006), S. 15 ff., wonach die Entsprechensraten in Großbritannien deutlich geringer sind, sich begründete Abweichungen aber positiv auf den Unternehmenswert auswirken können.
145
Vgl. Russell Reynolds Associates (1997) sowie Chhaochharia/Grinstein (2007) mit Daten zu Outsideranteil, CEO Duality und personellen Verflechtungen im Board in den Jahren 1997, 2000 und 2003. Außerdem Hawkins (1997), wonach institutionelle Investoren bereit sind für Unternehmen mit unabhängigem Board einen Preisaufschlag von 11% zu zahlen.
146
Vgl. Westphal/Zajac (1994), S. 379 f., Westphal/Zajac (1998), S. 142.
147
Vgl. Westphal/Zajac (1998), S. 145 f.
148
Vgl. Finkelstein/Hambrick (1996), S. 275 f. m.w.N. sowie Bender (2003), S. 213 f. mit den Ergebnissen einer Fallstudie.
52
eignern.149 Für diese These finden sich weder zum Aufsichtsrat noch den Board klare empirische Belege. Aus Befunden zur personellen Besetzung von Aufsichtsrat und Vorstand deutscher Großunternehmen wird geschlossen, dass die persönlichen Beziehungen eines kleinen Kreises von Managern den Einfluss auf die deutsche Volkswirtschaft sichern.150 Zur Stabilität des Netzwerks trägt bei, dass sich die Mitglieder überwiegend aus der sozialen Elite rekrutieren.151 Die rasant steigenden Managergehälter korrespondierten nicht mit der Entwicklung des Unternehmenserfolgs, sondern würden durch die personellen Netzwerke befördert.152 Dass diese eigennützige Praxis deutscher Manager zu Lasten der Kapitaleigner ginge, konnte bislang nicht nachgewiesen werden.153 Beim Board wurde geprüft, wie die Machtelite ihren Einfluss sicherstellt. Es zeigte sich, dass eine personelle Verflechtung zweier Boards für den Positionserhalt nicht rekonstruiert werden muss, solange das neu berufene Boardmitglied ebenfalls der Machtelite zugehört.154 Wenn die Boardmitglieder eines Unternehmens im Netzwerk der Machtelite eine zentrale Position einnehmen, werden häufiger „poison pills“ eingesetzt, um das Unternehmen als Übernahmekandidat unattraktiv zu machen.155 Ein Übernahmeversuch ist erfolgreicher, wenn der CEO des bietenden Unternehmens über Prestige verfügt.156
149
Das Interesse der Machtelite am Positionserhalt wird in empirischen Studien durch monetäre Nachteile der Kapitaleigner (Unternehmenswert) operationalisiert.
150
Vgl. Windolf (1997), Heinze (2002), S. 402 sowie Biehler/Ortmann (1985), S. 17 f., wonach 270 der 330 größten deutschen Unternehmen durch personelle Verflechtungen verbunden sind. Nur 129 Personen kontrollieren bereits 70% dieses Netzwerks, dessen Unternehmen fünf Millionen Beschäftigte haben und ein Viertel der deutschen Wertschöpfung ausmachen. Vgl. Windolf/Nollert (2001), S. 65 f., Rank (2005), S. 26, die zeigen, dass der Grad personeller Verflechtungen stets höher ist als der Grad von Kapitalverflechtungen.
151
Vgl. Hartmann (1999), S. 76 f. mit Befunden zu den deutschen Vorständen.
152
Vgl. Gerum (2007), S. 152, Hartmann (2007), S. 16.
153
Vgl. Windolf/Beyer (1995), S. 25, die auf Eigentümerkonzentration und -einfluss bei deutschen Unternehmen verweisen, die einen Machtmissbrauch durch die Elite verhindern.
154
Vgl. Koenig/Gogel/Sonquist (1979), S. 181 f., Palmer (1983), S. 49 ff., Zajac (1988), S. 430 ff. mit Befunden für die USA sowie Ornstein (1984), S. 217 ff. für Canada.
155
Vgl. Davis (1991), S. 604 f.
156
Vgl. D’Aveni/Kesner (1993), S. 142 f. 53
Unternehmen, deren Manager Teil des gleichen Netzwerks sind, zeigen ein ähnliches Akquisitionsverhalten.157 Je enger ein Akteur durch personelle Verflechtungen mit der Machtelite verbunden ist, umso höher ist die Entlohnung.158 Wenn einzelne Mitglieder das kollektive Interesse der Machtelite gefährden, bestraft man sie durch soziale Distanz.159 Bislang konnte jedoch nicht nachgewiesen werden, dass die eigennützigen Aktivitäten der Machtelite den Unternehmenserfolg verringern.160 2.
Zur Effizienz von Aufsichtsrat und Board
Die empirischen Studien zur Effizienz von Aufsichtsrat und Board beziehen sich ganz überwiegend auf deren Organisationsstruktur. Der Entscheidungsprozess im Aufsichtsorgan wurde dagegen vernachlässigt. Das zentrale Thema in Bezug auf die Organisationsstruktur war die Wirkung der Größe des Board auf den Unternehmenserfolg. Die Befunde hierzu sind nur schwach ausgeprägt161 oder umstritten162. Ferner ließen sich für die Ausschussbildung in Aufsichtsrat und Board kaum positive Effekte zeigen.163
157
Vgl. allgemein Mizruchi/Koenig (1991), S. 305 ff. Konkreter am Beispiel von Akquisitionsaktivitäten Haunschild (1993), S. 579, Haunschild (1994), S. 401 ff. und Palmer/Barber (2001), S. 105.
158
Vgl. Larcker/Richardson/Seary/Tuna (2005), S. 21.
159
Vgl. Westphal/Khanna (2003), S. 389.
160
Vgl. statt vieler Mizruchi (1996), S. 289 f. m.w.N.
161
Vgl. hierzu die Metaanalyse von Dalton/Daily/Johnson/Ellstrand (1999). Ebenfalls keinen Zusammenhang weisen nach Zahra/Stanton (1988) und Finkelstein/Mooney (2003), S. 102 für die USA sowie Beiner/Drobetz/Schmid/Zimmermann (2004), S. 348 f. für die Schweiz.
162
Zur Nützlichkeit eines kleinen Boards vgl. Yermack (1996), S. 195, Huther (1997), S. 262 f., Álvarez/Ansón/Méndez (1998), S. 9 ff., Conyon/Peck (1998b), S. 299 f., Eisenberg/Sundgren/Wells (1998), S. 44, Certo/Daily/Dalton (2001), S. 43, Andres/Azofra/Lopez (2005), S. 203 f., Yawson (2006), S. 81 f. und Drobetz/Pensa/Schmid (2007), S. 809 f. Dagegen stellen Ferris/Jagannathan/Pritchard (2003), S. 1102 und Boone/Field/Karpoff/Raheja (2007), S. 80 ff. eine positive Wirkung der Boardgröße fest.
163
Den positiven Einfluss der Ausschussbildung weisen nach für die USA Klein (2002), S. 387 f., Chan/Li (2008), S. 24 und Chen/Duh/Shiue (2008), S. 36 f., für Großbritannien Conyon/Peck (1998a), S. 152 f. und für Australien Carson (2002), S. 11 ff. Ohne signifikanten Zusammenhang für die USA Beasley (1996), S. 455 ff., Daily/Johnson/Ellstrand/ Dalton (1998), S. 214, Klein (1998), S. 293, Conyon (2006), S. 38 f.
54
Für die Effizienz der Ausschussarbeit scheinen vor allem Gruppenkohäsion und kognitive Konflikte bedeutsam.164 Vergleichbare Studien zum Aufsichtsrat wurden bislang nicht durchgeführt. Klarer sind die Befunde zur Effizienz des Entscheidungsprozesses. Eine Befragung von Leitenden Angestellten ergab, dass im Aufsichtsrat bessere Entscheidungen getroffen werden, wenn das Wissenspotenzial der Mitglieder genutzt und die Kommunikation im Aufsichtsrat gefördert wird.165 Für den Board wurde geprüft, ob sich die Sitzungshäufigkeit auf den Unternehmenserfolg auswirkt. Ein klarer Einfluss war nicht erkennbar.166 Förderlich für die Effizienz der Boardarbeit sind kognitive Konflikte der Mitglieder, die zwar den Entscheidungsprozess verzögern167, aber wegen der intensiveren Interaktion den Erfolg steigern.168 3.
Ganzheitliche Studien zur Leistungsfähigkeit des Aufsichtsorgans
Nur wenige Studien haben den Zusammenhang zwischen den Aufgaben des Aufsichtsorgans und der Organisation des Entscheidungsprozesses analysiert. Für den Aufsichtsrat wurde das Einflusspotenzial gegenüber dem Vorstand geprüft. In nur 8% der Fälle korrespondiert eine hohe unternehmenspolitische Kompetenz des Aufsichtsrats mit einem effizient organisierten Entscheidungsprozess.169 Für die Mehrheit der Unternehmen (92%) bedeutet dies, dass entweder die Interessenvertretung und Überwachung des Vorstands wegen fehlender zustimmungspflichtiger Geschäfte nicht effektiv wahrgenommen werden kann oder der Entscheidungsprozess im Aufsichtsrat ineffizient organisiert ist.170
164
Vgl. Bilimoria/Piderit (1994), S. 343 ff.
165
Vgl. Jürgens/Lippert (2005), S. 15 ff. und 68 ff. und Lippert/Jürgens (2005), S. 288 ff.
166
Vgl. ohne Zusammenhang Vafeas (1999), S. 129, Andres/Azofra/Lopez (2005), S. 203 f., Rutherford/Buchholtz (2007), S. 580 f.
167
Vgl. Johnson/Hoskisson/Hitt (1993), S. 43 ff., Goodstein/Gautam/Boeker (1994), S. 246.
168
Vgl. Siciliano (1996), S. 1317 f., Erhardt/Werbel/Shrader (2003), S. 106 f.
169
Vgl. Gerum (2007), S. 321 f. und 329 f. zum theoretischen Konzept.
170
Vgl. Gerum (2007), S. 330 f. 55
Eine verhaltenswissenschaftliche Untersuchung zum US-amerikanischen Board analysierte dessen Effektivität und Effizienz. Eine Boardtypologie drückt die Machtbeziehung zwischen Board und CEO aus (vgl. Abbildung C.3).171
Attributes Style Process
Characteristics Composition
high Statutory (41%)
Participative (22%)
Caretaker
Proactive
(15%)
(22%)
CEO Power
low low
high Board Power
Abb. C.3: Boardtypologie und Entscheidungsprozess (N = 139) Quelle: Pearce/Zahra (1991), S. 139.
Als leistungsfähigste Kombination erwies sich der partizipative Typ („participative“), bei dem ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Einflussmöglichkeiten des Boards und des CEO vorlag. Dieser Boardtyp existiert in weniger als einem Viertel der Unternehmen (22%).172 In diesen Gesellschaften sind die Boardmitglieder überdurchschnittlich unabhängig vom Management, verfügen über mehr branchen- und unternehmensspezifisches Wissen und nehmen ihre Aufgabe aktiver wahr. Die Entscheidungsprozesse laufen effizienter ab, weil eine intensive Beratung möglich ist und alle Boardmitglieder Einfluss auf die Entscheidungen haben.173 Für den italienischen Board wurde ein positiver Zusammenhang zwischen den Aufgaben des Boards und der Effizienz der Gruppenentscheidung 171
Vgl. Pearce/Zahra (1991).
172
Vgl. Pearce/Zahra (1991), S. 148 f.
173
Vgl. Pearce/Zahra (1991), S. 145 ff.
56
nachgewiesen.174 Das Management wird effektiver überwacht und beraten, wenn kognitive Konflikte den Diskurs fördern, das Anspruchsniveau an den Arbeitseinsatz hoch ist und die Gruppe alle vorhandenen Wissenspotenziale einsetzt.175 IV. Zusammenfassung Versucht man das theoretische und empirische, auf die Effektivität und die Effizienz des Aufsichtsrats beziehbare, Wissen zu resümieren, so zeichnen sich zwei theoretische Konzepte ab. Die vertragstheoretisch geprägten Ansätze gründen die Aufgaben des Aufsichtsrats auf strikten Annahmen zur Rationalität und Eigennützigkeit menschlichen Verhaltens. Die individuelle Rationalität ist Prämisse der deskriptiven Entscheidungstheorie und der ökonomischen Argumente zur Gruppe. Diese beiden Ansätze sind auf die Aufsichtsratsgröße und die Bildung von Ausschüssen anwendbar, können jedoch nicht die Interaktion zwischen den Organmitgliedern erklären. Organisationstheoretische Begründungen postulieren dagegen den Aufsichtsrat als Ort der Interessenartikulation, in dem (erfolgskritische) Stakeholder ihre Interessen zum Ausgleich bringen. Die verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungs- und Gruppentheorien bieten den passenden Anknüpfungspunkt, um die Effizienz der damit verbundenen Entscheidungsprozesse im Aufsichtsrat zu analysieren. Als Ergebnis des Überblicks zur empirischen Forschung kann man festhalten, dass die Ergebnisse der vertragstheoretischen Studien zur Wirkung des Outsideranteils recht uneinheitlich sind. Im Gegensatz dazu stimmen die organisationstheoretischen Befunde zur Bedeutung von Einflussgrößen der Umwelt auf Aufsichtsrat und Board weitgehend überein. Bei der Würdigung des empirischen Forschungsstandes muss allerdings beachtet werden, dass sich die Studien überwiegend auf den angloamerikanischen Board beziehen. Der Stand der Forschung zum Aufsichtsrat ist defizitär, so dass kaum
174
Vgl. Zona/Zattoni (2007), S. 853 ff. zum theoretischen Konzept.
175
Vgl. Zona/Zattoni (2007), S. 858 f. 57
empirisch gesichertes Wissen zur Erfolgswirkung des Aufsichtsrats existiert. Ökonomische Effekte hängen nicht nur von den rechtlich-institutionellen Verhältnissen ab, sondern auch vom jeweiligen länderspezifischen Wertesystem.176 Deshalb sollten aus den Befunden für den angloamerikanischen Board nicht umstandslos Kriterien für die Performanceprüfung bei der Evaluation des Aufsichtsrats abgeleitet werden. Dazu bedarf es eigener empirischer Untersuchungen, die den Besonderheiten des deutschen Corporate-Governance-Systems Rechnung tragen.
176
58
Ebenso Wald (2009), S. 78 f. m.w.N.
D. Das Konzept zur Evaluation des Aufsichtsrats Es erscheint sinnvoll, bei der Entwicklung eines Konzepts für die Evaluation des Aufsichtsrats am theoretischen und empirischen Stand der Forschung anzuknüpfen. Hierzu wird im Folgenden in der gebotenen Kürze die Evaluationsforschung zu Aufsichtsrat und Board rekonstruiert. I.
Die Evaluationsforschung: Eine Rekonstruktion
1.
Paradigmen in der Evaluationsforschung
In Soziologie, Pädagogik, Psychologie und in den Wirtschaftswissenschaften wird evaluiert, um den Nutzen von Gesetzen, Programmen, Organisationen oder Projekten zu beurteilen. Ein allgemein akzeptiertes Verständnis von „Evaluation“ existiert jedoch nicht.1 Einig ist man sich nur darin, dass die Evaluationsforschung als praxisbezogene Wissenschaft in einem Spannungsfeld steht. Die Evaluation muss dem gesellschaftlichen Anspruch zur Lösung sozialer Probleme genügen und zugleich die wissenschaftlichen Prinzipien Objektivität und Wertneutralität erfüllen.2 In der Evaluationsliteratur pflegt man zwischen dem positivistischen, dem konstruktivistischen und dem transformativ-emanzipatorischen Paradigma zu unterscheiden. Anfangs prägte das positivistische Paradigma die Evaluationsforschung. Mit Evaluationen sollten politische Entscheidungen gestützt werden.3 Bei einer
1
Vgl. Franklin/Trasher (1976), S. 20: „To say that there are as many definitions as there are evaluators is not far from accurate.” Außerdem Deutsche Gesellschaft für Evaluation (2002), S. 13: „Evaluation ist die systematische Untersuchung des Nutzens oder Wertes eines Gegenstands.“
2
Vgl. Weiss (1972), S. 10 ff., Mertens (1998), S. 219, Kromrey (2003), Stockmann (2004), S. 20 f. Vgl. speziell Vedung (2004), S. 111 ff. zur Problematik Evaluation und wissenschaftliche (Grundlagen-)Forschung voneinander abzugrenzen.
3
Vgl. hierzu und zum Folgenden näher Guba/Lincoln (1989), S. 22 ff. Anwendungsbeispiele sind die Messung von Schulleistungen in den USA durch J.M. Rice zum Ende des 19. Jahrhunderts, die Intelligenzmessung durch den Franzosen A. Binet, die im Scientific Management begründeten Leistungsmessungen durch Zeit- und Bewegungsstudien von F.W. Taylor und die Evaluation von Lehrplänen an US-amerikanischen High Schools durch R.W. Tyler um 1930. Diese Verfahren werden immer noch bei der Evaluation der Bildungspolitik in den USA angewendet. 59
Evaluation ging es in erster Linie darum, den Zielerreichungsgrad des Evaluationsgegenstands zu bestimmen (impact evaluation).4 Ein externer Evaluator sollte diese Aufgabe, unbeeinflusst von Programmverantwortlichen und Stakeholdern, durchführen.5 Die Vorstellung war, eine Evaluation könne alle relevanten Einflusskräfte der objektiven Realität aufdecken. Ein Dialog mit den betroffenen Stakeholdern wurde nicht für erforderlich gehalten.6 Die Datenauswertung sollte strengen Maßstäben erfüllen, um die Güte der Evaluation – interne und externe Validität, Reliabilität und Objektivität – zu sichern.7 Als Folge dieses methodologischen Rigorismus8 entstand in der Evaluationsforschung ein „Messfetischismus“. Die statistische Methode diktierte die Konzeption der Evaluation. Dieses Verständnis von Evaluation hatte zur Folge, dass die Evaluationspraxis sich auf die Beurteilung einfacher Input-Output-Relationen beschränkte: „The domination of the experimental paradigm in the program evaluation literature has unfortunately drawn attention away from a more important task in gaining understanding of social programs, namely, developing theoretical models of social interventions. […] An unfortunate consequence of this lack of attention to theory is that the outcomes of evaluation research often provide narrow and sometimes distorted understandings of programs”.9
In der Literatur wurde kritisiert, dass eine objektive, der Messung zugängliche Realität nicht existiere.10 Wenn die Stakeholder an einer Evaluation nicht
4
Vgl. Scriven (1967), S. 50 f., Guba/Lincoln (1989), S. 27 f., Stufflebeam (2001), S. 16 ff., Lee (2004), S. 145.
5
Vgl. Scriven (1967), S. 45, Guba/Lincoln (1989), S. 29 f., Lee (2004), S. 146, Mertens (2004), S. 46 f. Dagegen a.A. Stake (1967), S. 526 f.
6
Vgl. Stockmann (2004), S. 20.
7
Vgl. hierzu Campell/Stanley (1965), Weiss (1972), S. 60 ff., Guba/Lincoln (1989), S. 234 f., Scriven (1991), S. 365 f.
8
Vgl. Stockmann (2004), S. 20.
9
Chen/Rossi (1983), S. 284.
10
Vgl. Guba/Lincoln (1989), S. 31 f., Shadish/Cook/Leviton (1991), S. 463 f., Chen (1994b), S. 230.
60
beteiligt seien, beeinflusse der Auftraggeber alleine die Ziele und Ergebnisse der Evaluation. Um zur Lösung sozialer Probleme beizutragen, sei es jedoch nicht klug, die betroffenen Interessengruppen (ex ante) aus dem Evaluationsprozess herauszudefinieren.11 Dem konstruktivistischen Paradigma liegt ein umfassenderes Verständnis von Evaluation zugrunde. Es wird ein Vergleich angestrebt zwischen den direkt beobachtbaren Werten und den durch Interessengruppen definierten Standards (responsive evaluation).12 Damit solle die Evaluation den divergierenden Interpretationen der Realität durch die Stakeholder gerecht werden und das Evaluationsergebnis einer argumentativen Bewertung zugänglich machen.13 Im Fokus steht deshalb die Identifikation der Stakeholder.14 Der Evaluationsprozess selbst wird als hermeneutisch-dialektischer Prozess verstanden, in dem jede Interessengruppe ihr Bedürfnis artikuliert und mit den Interessen der anderen Stakeholder konfrontiert wird. Dieser Prozess wird vom Evaluator moderiert und soll in einen Konsens über die Beurteilungskriterien münden.15 Die Ergebnisse einer konstruktivistisch orientierten Evaluation sind deshalb nur für den Einzelfall gültig (interne Validität).16 Das Postulat sozialer Gerechtigkeit und Fairness bei Evaluationen kennzeichnet die Weiterentwicklung zum transformativ-emanzipatorischen Paradigma.17 Vom konstruktivistischen Paradigma wird zwar auch die Relevanz unterschiedlicher Werte betont, es fehlt jedoch eine Begründung, welche Wert11
Vgl. Vedung (2004), S. 125 f., der Evaluationen deshalb als „potemkische Dörfer“ bezeichnet, die vom Auftraggeber unter strategischen Gesichtspunkten einsetzen werden, um eigene Misserfolge und Defizite gegenüber Stakeholdern verbergen zu können. Vgl. ebenso Weiss (1972), S. 111 f., Nacken (1976), S. 16 f. und Chelimsky (1998), S. 44 f. zur Rolle des Evaluators im politischen Prozess.
12
Vgl. Stake (1967), Stake (1983) und Stake (2005) m.w.N.
13
Vgl. Guba/Lincoln (1989), S. 44, Mertens (1999), S. 5, Lee (2004), S. 151, Stockmann (2004), S. 20, Guba/Lincoln (2005), S. 192 ff.
14
Vgl. näher Guba/Lincoln (1982), S. 306 ff., Guba/Lincoln (1989), S. 40 f. und 201 f.
15
Vgl. Guba/Lincoln (1989), S. 204 ff.
16
Vgl. Guba/Lincoln (1989), S. 235 f., Weiss (1998), S. 29, Lee (2004), S. 152, Guba/Lincoln (2005), S. 205 f. Dagegen Cronbach (1982), S. 176 ff., wonach die Güte einer Evaluation davon abhängt, ob die kausale Beziehung generalisierbar ist (externe Validität).
17
Vgl. grundlegend Sirotnik/Oakes (1990), Kirkhart (1995), Mertens (1999). 61
vorstellung im Evaluationsprozess legitimiert ist. Ein solcher Evaluationsprozess benachteilige Minderheiten.18 Zur Aufgabe des Evaluators gehöre es, diese Verzerrungen zu erkennen und die Interessen auch von Minderheiten bei der Interpretation der Befunde zu berücksichtigen.19 Nur so könne man die Objektivität der Ergebnisse sichern.20 Zur Datenerhebung können quantitative und qualitative Verfahren verwendet werden.21 Die Offenheit einer dialogisch konzipierten Evaluation für alle Stakeholder, wie sie das konstruktivistische und das transformativ-emanzipatorische Paradigma fordern, stellt jedoch ein zentrales Problem dar. Da ein Korrektiv für überzogene Erwartungen der Stakeholder im Evaluationsprozess fehlt, sei die praktische Umsetzbarkeit der Evaluationsergebnisse nicht gewährleistet.22 2.
Integration der Evaluationsparadigmen
In der Evaluationsforschung herrscht inzwischen Konsens, dass eine Evaluation losgelöst von einzelnen Paradigmen durchgeführt werden sollte.23 Die Evaluation solle sich an den betroffenen Interessengruppen, der Entwicklungsphase, dem organisatorischen Zusammenhang und dem politischen Umfeld orientieren.24 Eine theoriegeleitete Konzeption könne die Defizite der einzelnen Paradigmen vermeiden.25 Ein integrativer Ansatz wurde von den amerikanischen Soziologen Chen und Rossi entwickelt.26 Abbildung D.1 zeigt die Elemente der Evaluation, deren Wirkungsbeziehungen vom Evaluator zu spezifizieren sind. 18
Vgl. Greene (1994), S. 533, Mertens (1999), S. 8 f., Mertens (2004), S. 48 f.
19
Vgl. Chelimsky (1998), S. 46 f., Weiss (1998), S. 30, Mertens (1999), S. 8 f., Lee (2004), S. 152.
20
Vgl. Mertens (1999), S. 5 f.
21
Vgl. Greene (1994), S. 532, Mertens (1999), S. 5
22
Vgl. Chen/Rossi (1980), S. 110 f., Chen/Rossi (1983), S. 288.
23
Vgl. Stockmann (2004), S. 21 f. m.w.N.
24
Vgl. näher Chen/Rossi (1989), S. 304, Greene/Caracelli/Graham (1989), Chen (1990), S. 292, Shadish/Cook/Leviton (1991), S. 466 ff. A.A. Guba/Lincoln (1989), S. 183.
25
Vgl. Chen/Rossi (1983), S. 285 und 288 ff., Chen/Rossi (1989), S. 302, Chen (1994a), S. 81. Vgl. näher Chen (1990), S. 68 f. zu Stärken und Schwächen dialogisch konzipierter und theoriegeleiteter Evaluationen.
26
Vgl. Chen/Rossi (1980), Chen/Rossi (1983), Chen/Rossi (1989), Chen (1990).
62
Abb. D.1: Elemente eines Evaluationsmodells – Schematische Darstellung Quelle: Chen/Rossi (1983), S. 287.
Ausgangspunkt jeder Evaluation sollten die Ergebnisvariablen (outcome variables) sein.27 Dabei gelte es, zwischen erwünschten Zielen, die von den (politischen) Entscheidungsträgern formuliert werden, und ungeplanten Zielen zu unterscheiden. Damit die Gründe für die Varianz in den Ergebnisvariablen empirisch analysiert werden können und ein Ansatzpunkt für Verbesserungsmaßnahmen bestehe, seien ferner die beeinflussbaren Parameter des Evaluationsgegenstands (treatment variables) zu bestimmen.28 Die eigentliche Herausforderung für den Evaluator bestehe darin, den Transformationsprozess zu spezifizieren (intervening variables) und die situativen Einflussgrößen (exogenous variables) zu identifizieren.29 Für die Güte des Evaluationsmodells sei entscheidend, dass die Interessen der Stakeholder beachtet werden und die empirischen Befunde reliabel und valide sind.30 Die Rekonstruktion der Evaluationsforschung ergibt, dass zur Evaluation des Aufsichtsrats die Wirkungsbeziehung zwischen den Einflussgrößen der Um-
27
Vgl. hierzu und zum Folgenden Chen/Rossi (1983), S. 286 ff. Alternativ sei es möglich, Kriterien zu Ziel, Verfahrensvariablen und Umweltbeziehung des Evaluationsobjekts normativ zu begründen. Vgl. näher Chen (1990), S. 52 ff.
28
Dagegen Scriven (1994), S. 75, der argumentiert, Hauptaufgabe sei „... to establish the merit, worth, quality, or value of programs [...]. To do this we do not need to know how the programs work or why they fail to work, or even what their components are.“
29
Bei Ressourcen- und Zeitknappheit könne es ausreichen, die Evaluation auf einzelne Teilbereiche zu beschränken. Vgl. Chen (1990), S. 51.
30
Vgl. Chen (1990), S. 61 ff. Vgl. näher Chen/Rossi (1989), S. 303 f. zur internen sowie Chen/Rossi (1983), S. 293 f. zur externen Validität. 63
welt, der organisatorischen Gestaltung des Aufsichtsrats, der Interaktion der Mitglieder und dem Unternehmensfortbestand als Zielgröße ganzheitlich beurteilt werden muss. Eine Verkürzung der wissenschaftlichen Fragestellung auf die „üblichen Verdächtigen“31 der empirischen Forschung zu Aufsichtsrat und Board erfüllt das Postulat einer umfassenden Evaluation jedenfalls nicht. II.
Die Evaluationsforschung zu Aufsichtsrat und Board
Durch die Evaluation von Aufsichtsrat und Board soll beurteilt werden, ob die gesetzlichen Bestimmungen eingehalten werden (Compliance) und inwieweit die Gremien erfolgssteigernd wirken (Performance).32 Eine systematische Evaluation fand erstmals in den USA auf Druck institutioneller Investoren statt, die vom Board eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Leistungsfähigkeit verlangten.33 Inzwischen empfehlen auch Corporate-GovernanceKodices die Evaluation von Aufsichtsrat und Board. Für die Rekonstruktion der Evaluationskonzepte in Wissenschaft und Praxis ist es zweckmäßig zu differenzieren nach dem Adressaten der Evaluation und dem Evaluator.34 Richtet sich die Evaluation an die Anteilseigner und Stakeholder, wird unterschieden zwischen der Selbstevaluation und einer Beurteilung durch Rating-Agenturen (Fremdevaluation). Ist das Aufsichtsorgan der Adressat, kann es die Evaluation allein durchführen oder auch Berater hinzuziehen.
31
Vgl. Finkelstein/Mooney (2003), S. 101, die den Outsideranteil und die Größe des Aufsichtsorgans als „usual suspects“ bezeichnen.
32
Vgl. Baums (2001), S. 103, Schilling (2004), S. 295 zum Aufsichtsrat sowie zum Board Blair (1950), S. 109, Ingley/van der Walt (2002), S. 164, Minichilli/Gabrielsson/Huse (2007), S. 609 f. Vgl. weiter Herman/Renz (2000), S. 153, die am Beispiel von Non-Profit-Organisationen zeigen, dass eine regelmäßige Evaluation die Effektivität der Boardarbeit steigert.
33
Vgl. MacAvoy/Millstein (1999), S. 10 f., Kiel/Nicholson/Barclay (2005), S. 4.
34
Vgl. Minichilli/Gabrielsson/Huse (2007), S. 613 ff.
64
1.
Anteilseigner und Stakeholder als Adressaten
Corporate-Governance-Kodices versuchen dem Wunsch von Anteilseignern und Stakeholdern gerecht zu werden, die von Aufsichtsrat oder Board Rechenschaft über die geleistete Arbeit verlangen.35 So empfiehlt der DCGK, im Aufsichtsrat jährlich eine Effizienzprüfung durchzuführen (Ziffer 5.6).36 Die Akzeptanz der Selbstevaluation hat sich im Zeitablauf erhöht37 und ist inzwischen bei börsennotierten Aktiengesellschaften Standard.38 Strittig ist jedoch weiter, welche Kriterien bei der Selbstevaluation verwendet werden sollen. Weder der DCGK noch andere Corporate-Governance-Kodices39 oder die OECD-Grundsätze40 konkretisieren die Evaluation näher. Die Entwicklung von Kriterien solle dem wissenschaftlichen Diskurs überlassen bleiben.41 Das Ziel, die Compliance und die Performance von Aufsichtsrat und Board transparent zu machen, erreichen die Corporate-Governance-Kodices bislang
35
Vgl. statt vieler Long (2006), S. 548 f. und Minichilli/Gabrielsson/Huse (2007), S. 609 f. m.w.N. Erstmals wurde eine solche Richtlinie von der Toronto Stock Exchance publiziert. Vgl. Toronto Stock Exchange Committee on Corporate Governance (1994), S. 4, § 5.28: “Every board of directors should implement a process to be carried out by the nominating committee or other appropriate committee for assessing the effectiveness of the board as a whole and of committees of the board and for assessing the contribution of each individual director.”
36
Vgl. zur Entstehung Berliner Initiativkreis Corporate Governance (2000), Ziffer IV 2.6, S. 1575. Vgl. näher auch v. Werder (2001), S. 20 f.
37
Vgl. hierzu die Ergebnisse von Ranzinger/Blies (2001), S. 10, wonach nur 12% der deutschen börsennotierten Gesellschaften eine Evaluation des Aufsichtsrats durchführten sowie Demb/Neubauer (1992), S. 162 und Korn/Ferry International (2003), S. 40, wonach nur ein Drittel der europäischen Aufsichtsräte und Boards regelmäßig evaluiert wurde.
38
Die Befunde bei Gerum (2007), S. 392 ff. zeigen, dass im Jahr 2004 fast alle börsennotierten Aktiengesellschaften DCGK Ziffer 5.6 entsprochen haben und eine jährliche Effizienzprüfung durchgeführt haben. Nach Korn/Ferry International (2005), S. 21, 62 und 78 f. führten im Jahr 2005 75% aller deutschen Aufsichtsräte sowie 93% der australischen, 86% der britischen und fast alle US-amerikanischen Boards regelmäßig Evaluationen durch.
39
Vgl. Swiss Business Federation (2002), Section IIc 14 zum schweizerischen Code, ASX Corporate Governance Council (2003), Rec. 8.1 zum Code der australischen Börse, NYSE (2004), Section 303A.09 zur Empfehlung der New Yorker Börse und Financial Reporting Council (2006), Section A.6 zur Evaluation nach dem britischen Combined Code.
40
Vgl. OECD (2004), Ziffer VI E.3 Abs. 2 zur Empfehlung der OECD für eine Board Performance Evaluation.
41
Vgl. DCGK Kommentar/v. Werder (2008), S. 298 zum Aufsichtsrat sowie Kiel/Nicholson (2005), S. 615 zum Board. 65
nicht. Aufsichtsrat (§ 161 AktG) und Board42 müssen nämlich nach dem „comply-or-explain“-Prinzip nur berichten, ob evaluiert wurde.43 Gezielte Sanktionen des Kapitalmarkts sind daher nur schwer möglich. Das Informationsbedürfnis von Anteilseignern und Stakeholdern bedienen auch externe Institutionen, vor allem Rating-Agenturen, die anhand publikationspflichtiger Informationen wie personelle Zusammensetzung und Größe des Aufsichtsorgans die Performance von Aufsichtsrat oder Board zu beurteilen versuchen.44 Ist das Gremium mit „unabhängigen“ Mitgliedern besetzt und die Zahl der Mitglieder „optimal“, geht man davon aus, dass die Überwachung effektiv ist und das Aufsichtsorgan somit eher zum Unternehmenserfolg beiträgt.45 Die für eine Überwachung des Managements erforderlichen Kompetenzen werden indessen nicht überprüft. Sofern der Entscheidungsprozess im Aufsichtsrat bzw. Board analysiert wird, befassen sich Evaluationen mit der Sitzungshäufigkeit und der Frage, ob Sitzungen ohne das Management abgehalten wurden. Gegen diese Art der Performanceprüfung spricht, dass sie auf Kriterien beruht, die sich in der empirischen Forschung zu Aufsichtsrat und Board nicht als erklärungskräftig erwiesen haben.46 Insofern verwundert es nicht, dass zwischen den Corporate-Governance-Ratings, die Aufsichtsrat und Board über strukturelle Merkmale zu beurteilen versuchen, und dem Unternehmens-
42
Vgl. Swiss Business Federation (2002), Section IIc 14, Toronto Stock Exchange Committee on Corporate Governance (2003), Guideline 5, NYSE (2004), Section 303A.09. Der Combined Code regt eine Berichterstattung über die Art der Durchführung an. Vgl. Financial Reporting Council (2006), Section A.6.1.
43
Die einzig bekannte Ausnahme ist die Australische Börse, die eine Berichterstattung darüber verlangt, wie und mit welchem Ergebnis evaluiert wurde. Vgl. ASX Corporate Governance Council (2003), Rec. 8.1, S. 49.
44
Vgl. hierzu und zum Folgenden van den Berghe/Levrau (2004), S. 463 f. mit Nachweisen für Deminor Rating, Governance Metric International (GMI), Institutional Shareholder Service (ISS), Standard & Poor’s und The Corporate Library (TCL).
45
Die gleiche Vorgehensweise wählen Wirtschaftszeitschriften in den USA, in denen institutionelle Investoren und Corporate-Governance-Experten Ranglisten der „besten“ und „schlechtesten“ Boards erstellen. Vgl. etwa Fortune (2001), S. 249 ff. und Business Week (2002), S. 104 ff.
46
Vgl. Sonnenfeld (2004), S. 108, der die agencytheoretisch begründeten Evaluationskriterien als „bad metrics“ bezeichnet.
66
erfolg empirisch kein signifikanter Zusammenhang nachgewiesen werden konnte.47 2.
Aufsichtsrat und Board als Adressat
In der Diskussion um die Performance von Aufsichtsrat und Board wurden Konzepte zur Selbstevaluation entwickelt mit dem Ziel, die Aufgabenverteilung, die Kommunikation und den Entscheidungsprozess im Aufsichtsorgan zu verbessern und neue Mitglieder mit der Gremienarbeit vertraut zu machen.48 Fehlt es in Aufsichtsrat und Board an der erforderlichen Expertise für eine Selbstevaluation, sollen Berater den Evaluationsprozess moderieren.49 Um den Diskurs zwischen den Aufsichtsratsmitgliedern zu fördern, sollten die Evaluationsergebnisse nur intern kommuniziert werden.50 Umstritten ist, ob auch Aufsichtsratsausschüsse oder einzelne Mitglieder zu evaluieren sind.51 Die Konzepte zur Selbstevaluation zielen auf organisatorische und personelle Maßnahmen für ein effektives und effizientes Aufsichtsorgan. Anhand von Fragebögen sollen die Mitglieder von Aufsichtsrat52 und Board53 neben der Compliance die Unabhängigkeit der Besetzung, das Anforderungsprofil für
47
Vgl. Letendre (2004), S. 103, Sonnenfeld (2004), S. 109 und Leblanc/Gillies (2005), S. 120 ff. sowie Koehn/Ueng (2005), S. 117 mit negativem Befund. Dagegen Brown/Caylor (2004) mit positiven Befunden zum Rating des Institutional Shareholder Service.
48
Vgl. Kazanjian (2000), S. 48, Seibt (2003), S. 2107, Roberts/McNulty/Stiles (2005), S. S21.
49
Vgl. Daily/Dalton (2003), S. 9, Kiel/Nicholson (2005), S. 628, Sponbergs (2007), S. 161.
50
So etwa Kazanjian (2000), S. 46 f., Behan (2004), S. 2, Cruz Sroufe/Naficy (2005), S. 12.
51
Vgl. Kazanjian (2000), S. 46 f., Ingley/van der Walt (2002), S. 172, Cascio (2004), S. 99, Long (2006), S. 551, die dies ablehnen. Dagegen zustimmend Epstein/Roy (2004), S. 16 f., Kiel/Nicholson/Barclay (2005), S. 38. Wie Korn/Ferry International (2006), S. 32 und 49 zeigen, evaluieren nur 19% der deutschen Aufsichtsräte auch einzelne Mitglieder. In Großbritannien (74%) und den USA (38%) ist der Anteil größer.
52
Vgl. im Einzelnen Seibt (2003), S. 2111, Sick (2003), S. 19 ff., Arbeitskreis „Externe und interne Überwachung“ der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft (2006), S. 1633 ff., Arbeitskreis „Steuern und Revision“ (2006), S. 5 ff., Lentfer (2005), S. 627 ff. und Strieder (2007), S. 172 ff.
53
Vgl. Demb/Neubauer (1992), S. 172 ff., Conger/Finegold/Lawler (1998), S. 140 ff., Ingley/ van der Walt (2002), S. 166 f., Epstein/Roy (2004), S. 18, Gill/Flynn/Reissing (2005), S. 292, Kiel/Nicholson/Barclay (2005), S. 53 ff. 67
neue Mitglieder, die Nachfolgeplanung für das Management und die Möglichkeit, das Management effektiv überwachen und beraten zu können, einschätzen. Der Entscheidungsprozess soll dahingehend beurteilt werden, ob die Mitgliederzahl, die Aufsichtsratsausschüsse, die Koordination durch den Vorsitzenden und die Sitzungsunterlagen eine effiziente Arbeit ermöglichen. Diese Kriterien zur Selbstevaluation beruhen auf „best practice“-Wissen der Autoren zur Performancewirkung des Aufsichtsrats und sind in der Regel nicht empirisch validiert.54 Von wenigen Ausnahmen abgesehen55, wird der Einfluss der Unternehmensumwelt auf die Aufgaben von Aufsichtsrat und Board und die Organisation des Entscheidungsprozesses nicht untersucht. Die Fremdevaluation von Aufsichtsrat und Board wird von Personalberatern und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften als Dienstleistung angeboten.56 Nach welchen Kriterien die Arbeit des Aufsichtsorgans evaluiert wird, ist nicht bekannt, da die Fragebögen, Checklisten und Leitfäden nicht zugäng lich sind und die Evaluationsergebnisse nicht veröffentlicht werden. In der Literatur finden sich vereinzelt Hinweise, dass die Performancekriterien für Aufsichtsrat57 bzw. Board58 hier im Wesentlichen auf die unabhängige Besetzung, die Zahl der Mitglieder, die Existenz von Ausschüssen und die Diskussionskultur im Aufsichtsorgan zielen.59 Neben diesen Beratungsangeboten signalisieren Fondmanager den Unternehmen, wie Aufsichtsrat bzw. Board effektiver und effizienter gestaltet werden sollte.60 In der Praxis ist es institu-
54
Eine Ausnahme ist die „Governance Self-Assessment Checklist“ von Gill/Flynn/Reissing (2005), deren Kriterien zur Boardeffektivität in kanadischen Non-Profit-Organisationen validiert wurden.
55
Vgl. Long (2006), S. 551 ff., die bei der Konzeption Umweltgrößen beachtet.
56
Vgl. Minichilli/Gabriellson/Huse (2007), S. 613 f.
57
Vgl. etwa Fischhuber (2008), S. 79 f. am Beispiel der Aufsichtsratsevaluation von Heidrick & Struggles, sowie Schilling (2007), S. 143 f. zur Beratungsleistung von Board Consultant International.
58
Vgl. Collier (2004), S. 16 f. zum Evaluationsteam des britischen Institute of Directors.
59
Kritisch Bernhardt/Witt (2003), S. 332 FN 36, die die Forderung der Beratungsunternehmen nach einer regelmäßigen und umfassenden Fremdevaluation von Aufsichtsräten vor allem dadurch motiviert sehen, dass sie ein neues profitables Geschäftsfeld darstellen.
60
Vgl. hierzu exemplarisch CalPERS Global Principles of Accountable Corporate Governance (2008), Kapitel B, Abschnitte 1.1, 1.3 und 1.9.
68
tionellen Investoren so gelungen, die personelle Zusammensetzung, Größe und Existenz von Ausschüssen im amerikanischen Board nachhaltig zu verändern.61 Aus der Kritik an der Evaluationspraxis und den dabei verwendeten Evaluationskriterien ist ein Forschungsfeld entstanden, das versucht, Empfehlungen für eine effektive und effiziente Boardarbeit zu begründen.62 Im Unterschied zur skizzierten Evaluationspraxis, liegt der Schwerpunkt hier auf einer gruppentheoretischen Analyse des Entscheidungsprozesses.63 Erste empirische Untersuchungen belegen, dass eine Evaluation die Interaktion zwischen den Gremienmitglieder fördern und den Entscheidungsprozess effizienter machen kann.64 Eine vergleichbare Diskussion zum Aufsichtsrat existiert bislang nicht. Soweit möglich, sollen diese Erkenntnisse im Folgenden für die Evaluation des Aufsichtsrats berücksichtigt werden. 3.
Zwischenergebnis
Zur Evaluation von Aufsichtsrat und Board haben sich in Wissenschaft und Praxis bislang keine Standards durchgesetzt. Es hat sich gezeigt, dass Corporate-Governance-Kodices die Selbst- und die Fremdevaluation gefördert, die Frage nach den Evaluationskriterien aber offen gelassen haben. Die entwickelten Evaluationskonzepte befassen sich in unterschiedlicher Intensität mit Prüfmaßstäben zur Compliance und zur Performance der Aufgaben von Aufsichtsrat und Board und der Organisation des Entscheidungsprozesses.
61
Vgl. MacAvoy/Millstein (1999), S. 10 f. zum Einfluss von CalPERS auf Unabhängigkeit und Organisationsstruktur des Boards in den 300 größten US-amerikanischen Unternehmen Mitte der 1990er Jahre.
62
Zu Vorschlägen für die Evaluation des Boards vgl Samra-Fredericks (2000a) und SamraFredericks (2000b), Leblanc/Gillies (2005), Leblanc/Schwartz (2007).
63
Vgl. Letendre (2004), Long (2006), S. 555, Leblanc (2007), S. 19 f., die kritisieren, dass bei Boardevaluationen der Entscheidungsprozess ausgeblendet sei.
64
Die Befunde von Huse/Minichilli/Schøning (2005), S. 293 ff. beziehen sich auf Boards der TINE Group, einem norwegischen Molkereiunternehmen. Sponbergs (2007), S. 164 ff. evaluiert 15 öffentliche Unternehmen im Eigentum der Stadt Stockholm. Van den Berghe/ Levrau (2004), S. 467 ff. evaluieren Aufgaben und Organisation der Arbeit in 30 belgischen Boards. 69
Implizit beruhen die meisten Evaluationskonzepte auf der Prinzipal-AgentenTheorie. Das zentrale Problem dabei ist, dass die so begründeten Performancekriterien zur Unabhängigkeit und der Größe des Aufsichtsorgans, regelmäßig als Standards vorgegeben werden und Aufsichtsrat und Board zur Anpassung zwingen wollen, obwohl die Erfolgswirkung dieser Standards empirisch nicht belegt ist. Aus organisationstheoretischer Sicht ist das Kennzeichen eines effektiven und effizienten Aufsichtsorgans jedoch gerade die firmenspezifische, umweltgerechte Ausgestaltung. Diesbezüglich wurde ein deutliches Defizit in der empirischen Evaluationsforschung zu Aufsichtsrat und Board festgestellt. Deshalb soll im Folgenden ein eigenes Konzept zur Evaluation des Aufsichtsrats entwickelt werden. III. Das Untersuchungsdesign 1. In
Der institutionelle Ansatz zur Evaluation des Aufsichtsrats der
Corporate-Governance-Forschung
unterscheidet
institutionellen und verhaltenswissenschaftlich orientierten
man
zwischen
Studien.65
Mit dieser
Unterscheidung gehen gegensätzliche Vorstellungen über das Recht einerseits und das Verhalten andererseits als Quellen von Macht und Einfluss in Organisationen einher. Bei der Evaluation des Aufsichtsrats geht es darum, ob mit den institutionellen Regelungen zu den Aufgaben des Aufsichtsrats und der Organisation Entscheidungsprozesses bereits die entscheidenden Faktoren erfasst sind und auf dieser Grundlage begründete Aussagen über die Effektivität und die Effizienz des Aufsichtsrats möglich sind. Da die Rolle des Aufsichtsrats konfliktträchtig ist wegen unterschiedlicher Interessen zwischen den Kapitaleignern, aber auch zwischen Anteilseignern, Arbeitnehmern und Vorstand, gewinnt das rechtlich-institutionelle Element für die Kanalisierung der Konflikte und eine zielgerichtete Tätigkeit des Aufsichtsrats einen besonderen, hohen Stellenwert.66 Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die privatauto-
65
Vgl. hierzu und zum Folgenden Gerum (2007), S. 51 f. m.w.N.
66
Vgl. auch Nicholson/Kiel (2004), S. 450 f., die das explizit kodifizierte Wissen in Manuals, Charters und Guidelines über die effektive Boardarbeit als strukturelles Kapital bezeichnen. Vgl. außerdem Gemünden (1987), Thom (1988), S. 335, Witte (1992), Sp. 558,
70
nome Ausgestaltung des gesetzlichen Rahmens, da man bei zweckrationaler Deutung daraus die Intentionen der Akteure erkennen kann.67 Ist Irrationalität nicht das systematisch prägende Verhaltensmuster, so kann daraus zuverlässig auf das Miteinanderhandeln der Akteure im Aufsichtsrat geschlossen werden. Abgesehen von diesen theoretischen Argumenten für eine institutionelle Orientierung der Evaluation des Aufsichtsrats kann man ergänzend auf Probleme bei der verhaltenswissenschaftlichen Evaluation verweisen. Eine Evaluation anhand von Fragebogen, Interview, Beobachtung oder Diskussion hat stets ein Zugangsproblem und ist der Gefahr von Selbstselektion ausgesetzt.68 Da Aufsichtsrats- und Boardmitglieder ansonsten kaum mit Leistungsbeurteilungen konfrontiert werden, bestehe ferner die Gefahr, dass sie aus Angst vor einer externen Überprüfung durch die Stakeholder systematisch ihre eigene Leistungsfähigkeit überschätzen.69 Das zentrale Gütekriterium einer Evaluation sollte, wie auch sonst in der empirischen Sozialforschung üblich, die intersubjektive Überprüfbarkeit der Ergebnisse sein. Das Untersuchungsdesign muss deshalb sicherstellen, dass bei einer Wiederholung unter gleichen Bedingungen die gleichen Ergebnisse erzielt werden (Reliabilität) und das Messinstrument auch tatsächlich das misst, was es messen soll (Validität). Sind diese Kriterien nicht erfüllt, spricht man von bloßem Empirismus, einem mangelhaften Verständnis von Gütekriterien der empirischen Sozialforschung oder bewusstem Missbrauch.70 Für die Evaluation des Aufsichtsrats ist deshalb der institutionelle Ansatz vorzuziehen. Mit dieser Argumentation wird der Stellenwert sozialer Einflussdie allgemein argumentieren, dass organisatorische Regelungen die Effizienz von Entscheidungsprozessen begünstigen. 67
Ähnlich Shleifer/Vishny (1997), S. 774: „Yet legal rules appear to play a key role in corporate governance.”
68
Vgl. Dubs (1993), Samra-Fredericks (2000a), Samra-Fredericks (2000b) und Huse/Minichilli/Schøning (2005), die jeweils nur die Arbeit weniger Boards in mehreren Sitzungen beobachten können.
69
Vgl. Daily/Dalton/Cannella (2003), S. 379 zu Problemen bei der Befragung von Boardmitgliedern. Dagegen Leblanc (2004), S. 437 f., Leblanc/Schwartz (2007), S. 847 ff.
70
Vgl. Atteslander (2008), S. 6. 71
faktoren für die Nutzung der institutionellen Regelungen nicht verkannt. Es ist jedoch kaum zu erwarten, dass die sozialen Faktoren die rechtlichinstitutionellen Rahmenbedingungen des Aufsichtsrats überformen und ins Gegenteil verkehren können.71 Mit dem institutionellen Kern, den Aufgaben des Aufsichtsrats und der Organisation des Entscheidungsprozesses, wird deshalb die wesentliche Grundlage für die Effektivität und die Effizienz des Aufsichtsrats erfasst (vgl. Abbildung D.2).72
(Effektivität)
Organisation des Entscheidungsprozesses (Effizienz)
Interessenvertretung
Organisationsstruktur
Aufgaben des Aufsichtsrats
Unternehmensfortbestand
Einflussgrößen Überwachung
Phasen Entscheidungsprozess
Abb. D.2: Der institutionelle Ansatz bei der Evaluation des Aufsichtsrats – Untersuchungsprogramm
Zur differenzierten Einschätzung der firmenspezifischen Regelungen zum Aufsichtsrat sollen aus der Literatur bekannte Einflussgrößen der CorporateGovernance-Strukturen und Kennzahlen zum Unternehmensfortbestand herangezogen werden. So können die Schlüsse von den formalen Einfluss-
71
Im Übrigen ist es auch bei verhaltenswissenschaftlichen Corporate-Governance-Studien gängige Praxis, institutionelle Daten als Kontrollinstanz gegenüber den subjektiven Wahrnehmungen der Befragten mitzuerheben, da man den Kontrolldaten implizit eine höhere Objektivität beimisst als den Einschätzungen der Befragten. Zu Problemen bei der Befragung von „key informations“ vgl. Mezias/Starbuck (2003), Wall/Michie/Patterson/ Wood/Sheehan/Clegg/West (2004), Hurrle/Kieser (2005).
72
Ebenso Bernhardt/Witt (2003), S. 332, die fordern, dass die Evaluation insbesondere den Ordnungsrahmen der Aufsichtsratstätigkeit, eine „kluge“ Geschäftsordnung für den Aufsichtsrat inklusive eines konzerndimensionalen Katalogs zustimmungspflichtiger Geschäfte, prüfen muss.
72
potenzialen auf den faktischen Einfluss des Aufsichtsrats empirisch getestet werden und gewinnen weiter an Zuverlässigkeit. 2.
Das Evaluationskonzept
Die Evaluation soll prüfen, ob die firmenspezifischen, institutionellen Regelungen zum Aufsichtsrat erfolgssteigernd wirken. Der Frage nach der Effektivität des Aufsichtsrats wird im Grundmodell der Evaluation nachgegangen. Aus ressourcentheoretischer Sicht muss der Aufsichtsrat mit Mitgliedern besetzt sein, die erfolgskritische Ressourcen vertreten und über geeignete Instrumente zur Überwachung verfügen. Für die Evaluation gilt es, die Aufsichtsratsmitglieder nach ihrer sozioökonomischen Herkunft zu untersuchen und zu fragen, welche Gruppierung im Aufsichtsrat am einflussreichsten ist und den Aufsichtsratsvorsitzenden stellt. Ferner ist zu prüfen, wie die gesetzliche Kompetenzverteilung zwischen Aufsichtsrat und Vorstand firmenspezifisch ausgestaltet und konkretisiert wurde. Um die Effizienz des Aufsichtsrats zu bestimmen, erfolgt eine Differenzierung des Grundmodells. Da die gesetzlichen Bestimmungen zum Entscheidungsprozess nur in Teilen zwingend sind, sollte seine Organisationsstruktur und der Verfahrensablauf im Aufsichtsrat sachgerecht gestaltet sein. Die Evaluation erfordert hier empirisches Wissen zur Qualität der Informationsversorgung des Aufsichtsrats durch den Vorstand, zur Interaktion im Aufsichtsrat bei der Entscheidungsfindung und zur Möglichkeit, eine Entscheidung zügig zu treffen. 2.1 2.1.1
Die Effektivität des Aufsichtsrats: Das Grundmodell Aufsichtsratstypen
Für die Evaluation der Effektivität des Aufsichtsrats sollen die Einzelbefunde zur Besetzung des Aufsichtsrats und der Kompetenzverteilung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat zu Realtypen verdichtet werden.73 Bei den zu Realtypen stilisierten Fakten kann dann (situationsbezogen) geprüft werden,
73
Vgl. Gerum (1991), S. 721 f. zur Begründung dieser Untersuchungsmethodik. 73
inwieweit der Aufsichtsrat zum Unternehmensfortbestand beiträgt. Zur Konstruktion einer solchen Realtypologie wird am Stand der Forschung angeknüpft. Die Konzepte zu Aufsichtsratstypen in der Literatur unterscheiden sich deutlich.74 Als Bezugspunkt für eine situationsbezogene Evaluation des Aufsichtsrats muss eine Aufsichtsratstypologie zwingend auf der personellen Zusammensetzung und den Kompetenzen des Aufsichtsrats gründen. Der Überblick in Tabelle D.1 zeigt, dass die verhaltenswissenschaftlichen Typologien nur auf die Intensität der Aufgabenerfüllung des Aufsichtsrats abstellen. Eine Verhaltenstypologie besitzt jedoch keine Aussagekraft, solange sie nicht den materiellen Bezugspunkt, die Struktur der Aufgabenverteilung zwischen Aufsichtsrat und Vorstand, erfasst.75 Die institutionellen Aufsichtsratstypen beziehen sich regelmäßig auf die Kompetenz zur Überwachung; die personelle Zusammensetzung des Gremiums dagegen wird nicht immer für die Typenbildung herangezogen.76 Gutenberg hat neben der Kompetenzverteilung zwischen Aufsichtsrat und Vorstand lediglich auf die personelle Zusammensetzung verwiesen, ohne dabei eine Typologie zu beabsichtigen.77 Insoweit erfüllt alleine Gerum die Anforderung an eine sinnvolle Realtypologie zum Aufsichtsrat. Bei der Konstruktion der Aufsichtsratstypen wurde für die personelle Zusammensetzung unterschieden zwischen aktionärsdominierten Aufsichtsräten und solchen, in denen der Einfluss von Personen ohne Kapitalbeteiligung überwog. In der Regel stellt die dominierende Gruppe auch den Aufsichtsratsvorsitzenden. Das größte Einflusspotenzial für eine vorbeugende Überwachung des Vorstands biete die unternehmens-
74
Boardtypologien werden nicht analysiert. Dazu vgl. Vance (1968), S. 211 ff., Mintzberg (1983), S. 91 ff., Bleicher/Leberl/Paul (1989), S. 228 ff., Pearce/Zahra (1991), S. 136 ff., Dubs (1993), S. 125 f., Huse (2007), S. 38 ff.
75
So Gerum (1991), S. 724 zum Konzept von Bleicher/Leberl/Paul (1989), S. 117 ff. Diese Kritik gilt auch für die Typologien von Kreitmeier (2001), S. 124 ff. und Jürgens/Lippert/ Gaeth (2008), S. 53 ff.
76
Vgl. Vogel (1980), S. 57 und Gerum/Steinmann/Fees (1988), S. 63 ff.
77
Vgl. Gutenberg (1970), S. 2 ff.
74
Forschungsansatz
Autor(en)
Gutenberg (1970)
Dimensionen • Personelle Zusammensetzung
• Leitungsorgan *
• Zustimmungspflichtige Geschäfte
• Beratungsorgan *
Institutionell
• Verteilung der Führungsfunktionen Vogel (1980) zwischen Vorstand und Aufsichtsrat
Einflussgrößen
Aufsichtsratstypen
• Überwachungsorgan *
–
• Kontroll- und Überwachungsorgan (60%)
–
• Führungsinstanz (22%) • Repräsentationsorgan (9%) • Trennungsmodell (53%)
Gerum/ Steinmann/ Fees (1988)
• Zustimmungspflichtige Geschäfte (Qualität)
• Mischtyp Trennungs-/ Kooperationsmodell (43%)
–
• Kooperationsmodell (3%) • Vereinigungsmodell (1%) • Leitungsaufsichtsrat (13%)
Gerum (1991/1995)
Verhaltenswissenschaftlich
Bleicher/ Leberl/Paul (1989)
• Personelle Zusammensetzung • Unternehmenspolitische Kompetenz
• Intensität der Aufgabenerfüllung des Aufsichtsrats • Intensität der Aufgabenerfüllung des Vorstands
• Kontrollaufsichtsrat (23%)
• Eigentümerstruktur
• Repräsentationsaufsichtsrat (27%)
• Diversifikationsgrad
• Unternehmenspolitischer Aufsichtsrat (37%)
• Unternehmensgröße
• Typ I: schwacher Aufsichtsrat/ schwacher Vorstand * • • Typ II: schwacher Aufsichtsrat/ • starker Vorstand * • Typ III: starker Aufsichtsrat/ schwacher Vorstand *
Eigentumsverhältnisse Persönlichkeitsstruktur der Mandatsträger
• Typ IV: starker Aufsichtsrat/ starker Vorstand * • „Pro Forma“ * Kreitmeier (2001)
• Intensität der strategischen Orientierung
• (Ex post)-Kontrolleur * • Competence Center *
–
• Krisenmanager * • Strategic Partner *
Jürgens/ • Intensität der Lippert/ strategischen Gaeth (2008) Orientierung *
• Branche
• prospektivberatungsorientiert (61%)
• Konzernierung
• Retrospektivkontrollorientiert (39%)
• Aufsichtsratsgröße
keine Empirie
Tab. D.1: Aufsichtsratstypen in der Literatur
75
politische Kompetenz des Aufsichtsrats.78 Deshalb wurde die Existenz und Qualität der zustimmungspflichtigen Geschäfte (§ 111 Abs. 4 S. 2 AktG) beurteilt. Die unternehmenspolitische Kompetenz ist dichotom nach hoch oder niedrig ausgeprägt. Durch die Kombination der Ausprägungen ergaben sich vier Aufsichtsratstypen (vgl. Tabelle D.2). Unternehmenspolitische Kompetenz Personelle Zusammensetzung
hoch
niedrig
Leitungsaufsichtsrat
Kontrollaufsichtsrat
Unternehmenspolitischer Aufsichtsrat
Repräsentationsaufsichtsrat
Aktionärsdominanz
Nicht-Beteiligtendominanz
Tab. D.2: Aufsichtsratstypen Quelle: Gerum (1991), S. 725.
Der Leitungsaufsichtsrat gilt als das Aktionszentrum in der Führungsorganisation der Aktiengesellschaft.79 Die Geschäftsführungsautonomie des Vorstands wird zur Fiktion, da die unternehmerischen Initiativen von den Eigentümern im Aufsichtsrat ausgehen. Im Kontrollaufsichtsrat verzichten die Kapitaleigner im Aufsichtsrat auf eine Mitentscheidungsfunktion in der Unternehmenspolitik und beschränken sich auf die ex-post-Kontrolle. Beim Repräsentationsaufsichtsrat nutze man die Kontakte und das Wissen der NichtBeteiligten, um die Pläne des Vorstands durch Ressourcenzugang und Beratung zu schützen und zu fördern. Die umfangreichen Zustimmungsvorbehalte des unternehmenspolitischen Aufsichtsrats dienten dazu, die strategischen Entscheidungen des Vorstands nach außen abzusichern.
78
Vgl. Gerum (1991), S. 724 f. Im Vergleich zur unternehmenspolitischen Kompetenz seien die Personalhoheit, die Organisationskompetenz und die Beratungskompetenz des Aufsichtsrats entweder gesetzlich abschließend geregelt oder von der Möglichkeit zur Ausgestaltung werde kaum Gebrauch gemacht.
79
Vgl. hierzu und zum Folgenden Gerum (1991), S. 725 f.
76
Wie im Einzelnen empirisch belegt wird, erklärt die Unternehmensstrategie die Wahl und den Wandel des Aufsichtsratstyps am besten.80 Die Transitivität des Modells legt die Interpretation nahe, dass in der Praxis systematisch versucht wird, einen effektiven Aufsichtsratstyp zu wählen, indem man je nach Ausrichtung der Unternehmensstrategie die personelle Zusammensetzung und die Kompetenzen „erfolgreicher“ Aufsichtsräte bzw. Unternehmen imitiert. Diese Realtypologie dient als Orientierung für die Analyse der Effektivität des Aufsichtsrats. 2.1.2
Effektivität durch die Wahl des Aufsichtsratstyps
In einer kapitalistischen Marktwirtschaft bilden die Interessen der Eigentümer den Ausgangspunkt für die Präzisierung der Aufgaben des Aufsichtsrats. Die personelle Zusammensetzung und die unternehmenspolitische Kompetenz des Aufsichtsrats müssten insofern von der Eigentümerstruktur geprägt sein.81 Im Einzelnen geht es dabei um die Kontrollsituation im Unternehmen, der klassischen Frage nach der Eigentümer- oder Managerherrschaft82, um die rechtliche und wirtschaftliche Abhängigkeit bei Konzernierung und die Einflussstrukturen bei privat oder öffentlich beherrschten Unternehmen. Die hohe Eigentumskonzentration bei Eigentümerunternehmen, den Konzerntöchtern und den öffentlichen Unternehmen sollte daher stets mit einer Aktionärsdominanz im Aufsichtsrat korrespondieren. Nur bei einer hohen Streuung des Anteilsbesitzes würde die rationale Apathie der Kleinaktionäre dazu führen, dass der Aufsichtsrat mehrheitlich mit Nicht-Beteiligten besetzt wird.83 Diese gängige Interpretation vernachlässigt jedoch die Bedeutung der Unternehmensstrategie für die personelle Zusammensetzung und die unternehmenspolitische Kompetenz des Aufsichtsrats.84 Die Unternehmensstrategie
80
Vgl. Gerum (1995), S. 364 ff.
81
In dieser Sichtweise decken sich die traditionelle juristische Doktrin der Aktiengesellschaft und die volkswirtschaftliche Theorie der Firma. Vgl. Gerum (1995), S. 360 f. m.w.N.
82
Vgl. Berle/Means (1932).
83
Vgl. klassisch Alchian/Demsetz (1972), Jensen/Meckling (1976).
84
Vgl. Gerum (1995), S. 364 ff. 77
bewegt sich im Möglichkeitsraum zwischen verfügbaren Ressourcen und den Bedingungen der Wettbewerbsumwelt.85 Mit der Entscheidung für das Produkt-Markt-Konzept bestimmen Vorstand und Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft zugleich, ob das Unternehmen in einer mehr oder weniger komplexen Umwelt agiert. In der Corporate-Governance-Forschung gilt die Unternehmensstrategie86 deshalb als klassischer Indikator für das Verhältnis von Unternehmen und Umwelt. Aus der Entscheidung über die Unternehmensstrategie ergeben sich die Unternehmensgröße87 und der Fremdkapitalbedarf88. Bei hoher Umweltkomplexität geben die Anteilseigner freiwillig Aufsichtsratsmandate an Personen ab, die selbst nicht am Kapital des Unternehmens beteiligt sind, jedoch über den erforderlichen Sachverstand und Kontakte zu Stakeholdern als den erfolgskritischen Ressourcen verfügen (Umweltinteraktionsansatz89). Deshalb kann auch bei hoher Eigentumskonzentration der Aufsichtsrat mehrheitlich mit Kapitaleignervertretern ohne eigene Beteiligung besetzt sein. Die Eigentümerstruktur sollte die Wahl des Aufsichtsratstyps nur insoweit prägen, wie die Eigentümer selbst als erfolgskritische Ressource über die erforderliche marktliche und technologische Kompetenz verfügen. Es ist daher zu erwarten, dass der Aufsichtsrat die Interessenvertretung und die Überwachung des Vorstands nur effektiv ausübt, wenn die Organisationsgestalter den Aufsichtsrat passend zur Komplexität der Umwelt gestalten. Durch die Wahl eines „falschen“ Aufsichtsratstyps wird der Unternehmensfortbestand gefährdet (vgl. Abbildung D.3). 85
Zum Verhältnis von marktorientierter und ressourcenbasierter Strategielehre vgl. statt vieler Grant (2008), S. 125 ff.
86
Vgl. Pfeffer (1972), S. 224 f., Pearce/Zahra (1992), S. 417 f., Gerum (1995), S. 361, Nicholson/Kiel (2004), S. 446 f., Singh/Mathur/Gleason (2004) sowie Coles/Daniel/ Naveen (2008), S. 332 zur Produktdiversifikation und Sanders/Carpenter (1998), S. 170 f., Conger/Lawler/Finegold (2001), S. 43 zur geografischen Diversifikation.
87
Vgl. Dalton/Daily/Ellstrand/Johnson (1998), S. 273 f., Conger/Lawler/Finegold (2001), S. 43, Ferris/Jagannathan/Pritchard (2003), S. 1093 ff., Kiel/Nicholson (2003b), S. 197 f., Huse (2007), S. 109, Coles/Daniel/Naveen (2008), S. 332.
88
Vgl. Pfeffer (1972), S. 224, Pearce/Zahra (1992), S. 417 f., Coles/Daniel/Naveen (2008), S. 332.
89
Vgl. statt vieler Pfeffer/Salancik (1978).
78
Einflussgrößen Eigentümerstruktur: - Eigentümer- vs. Managerunternehmen - Konzernierung - privat vs. öffentlich Umweltkomplexität: - Unternehmensstrategie - Unternehmensgröße - Fremdkapitalanteil
Wahl des Aufsichtsratstyps
Leitungsaufsichtsrat
Kontrollaufsichtsrat
Unternehmens- Repräsentationspolitischer aufsichtsrat Aufsichtsrat
Zielkriterium Unternehmensfortbestand
Abb. D.3: Effektivität des Aufsichtsrats und Wahl des Aufsichtsratstyps
Es ist zweckmäßig, den Zusammenhang zwischen der Effektivität des Aufsichtsrats und der Wahl des Aufsichtsratstyps ausgehend vom Leitungsaufsichtsrat zu begründen.90 Im Leitungsaufsichtsrat dominieren der Gründer bzw. die Eigentümer des Unternehmens, die mittels umfangreicher zustimmungspflichtiger Geschäfte auf die unternehmerischen Entscheidungen einwirken, um de facto die Geschäftsführung auszuüben. Der Aufsichtsrat bildet das Initiativzentrum im Unternehmen, der Vorstand ist für das operative Geschäft zuständig. Dies ist effektiv und sichert den Unternehmensfortbestand, solange die Eigentümer in allen Fragen der Unternehmensführung voll kompetent sind. Typischerweise handelt es sich um ein gering diversifiziertes Unternehmen. Im Kontrollaufsichtsrat konzentrieren sich die Eigentümer auf die ex-postKontrolle der Entscheidungen des Vorstands, um ihr Gewinn- und Vermögensinteresse zu wahren. In dieser Entwicklungsphase versucht das Management durch horizontale Diversifikation neue ertragreiche Märkte zu erschließen, um Risiken struktureller oder konjunktureller Art besser zu streuen. Es entstehen Unternehmen, die neben ihrem angestammten Hauptprodukt in verwandten oder auch völlig neuen Märkten tätig sind. Diese
90
Vgl hierzu und zum Folgenden Gerum (1995), S. 372 ff., Brühl (2009), S. 154 ff. 79
Maßnahmen der Produktdiversifikation und der geografischen Diversifikation als Folge bewussten strategischen Handelns oder marktlicher Zwänge führen dazu, dass die marktliche und technologische Kompetenz der Eigentümer veraltet und an Relevanz für die Unternehmenspolitik verliert. Das Wissen der Aufsichtsratsmitglieder stellt keine erfolgskritische Ressource mehr für die strategischen Entscheidungen dar. Die Unternehmenspolitik liegt daher in der alleinigen Verantwortung des Vorstands, der über das Wissen verfügt, um die neuen Anforderungen von Unternehmensstrategie und Umwelt zu erfüllen. Der fortschreitende Diversifikations- und Wachstumsprozess lässt für die Unternehmensführung eine immer komplexere Umwelt entstehen. Diese Umweltunsicherheit kann ein Repräsentationsaufsichtsrat effektiv reduzieren. Zur Entwicklung und Absicherung der Unternehmensstrategie muss der Vorstand in dieser Entwicklungsphase des Unternehmens mit den Stakeholdern verhandeln und benötigt den Rat von Experten und einflussreichen Kollegen aus Industrie, Handel und dem Finanzsektor. Es ist daher zweckmäßig und erforderlich, die meist bereits bestehenden Geschäftsbeziehungen und Kontakte zu Personen durch die Wahl in den Aufsichtsrat zu institutionalisieren. Geschieht dies systematisch, so entsteht zu Lasten, aber eben auch mit dem Einverständnis der inkompetenten, desinteressierten Aktionäre eine Nicht-Beteiligtendominanz im Aufsichtsrat. Die so kooptierten Aufsichtsratsmitglieder bringen Expertise, Beratungskapazität und Kontakte zu den Stakeholdern mit. Die Unsicherheit des Vorstands kann sich bei weiter steigendem Diversifikationsgrad oder einer höheren Wettbewerbsintensität infolge einer Marktkonsolidierung weiter verschärfen. Ein unternehmenspolitischer Aufsichtsrat reduziert diese Unternehmenskomplexität effektiv, wenn die Kooperation des Vorstands mit den Aufsichtsratsmitgliedern formalisiert wird. Die kooptierten Mitglieder kontrollieren die Entscheidungen des Vorstands ex ante durch umfangreiche zustimmungspflichtige Geschäfte. Diese Vetokompetenz stellt sicher, dass der Vorstand die Argumente der Stakeholder antizipiert und die Expertise der Aufsichtsratsmitglieder in den strategischen Entscheidungsprozess eingebunden wird. Dadurch legitimiert der Aufsichtsrat die unternehmenspolitischen Entscheidungen gegenüber den Stakeholdern, erhöht die 80
Planungssicherheit des Vorstands und sichert im Ergebnis den Fortbestand der Gesellschaft. 2.2
Die Effizienz des Aufsichtsrats: Differenzierung des Grundmodells
Aus entscheidungs- und gruppentheoretischer Sicht liegt die Erwartung nahe, dass eine aufgabengerechte Organisation des Entscheidungsprozesses die Effizienz des Aufsichtsrats steigert.91 Die Effizienz des Aufsichtsrats wird im Einzelnen geprägt durch die Informationseffizienz, die Interaktionseffizienz und die Zeiteffizienz bei Entscheidungen im Aufsichtsrat (vgl. Abbildung D.4).92
Aufsichtsratstyp - Leitungsaufsichtsrat
Organisation des Entscheidungsprozesses
Information
Zeit
Zielkriterium
- Kontrollaufsichtsrat Unternehmensfortbestand
- Repräsentationsaufsichtsrat - Unternehmenspolit. Aufsichtsrat
Interaktion
Abb. D.4: Effizienz des Aufsichtsrats und aufgabengerechte Organisation des Entscheidungsprozesses im Aufsichtsrat
Optimale Rahmenbedingungen für den Entscheidungsprozess im Aufsichtsrat sind gegeben, wenn die firmenspezifischen Regelungen eine rechtzeitige und umfassende Information aller Aufsichtsratsmitglieder gewährleisten, der Aufsichtsrat bei der Entscheidungsfindung aufgrund intensiver Interaktion zu einem sachlich fundierten Urteil kommt und die Willensbildung zügig erfolgt. Im Ergebnis sollte ein effizient organisierter Entscheidungsprozess die Wirkung des (effektiven) Aufsichtsratstyps für den Unternehmensfortbestand verstärken. Zur Beurteilung der Effizienz des Aufsichtsrats ist eine Infor-
91
Vgl. Witte (1992), Sp. 562.
92
Vgl. hierzu und zum Folgenden auch Gerum (2007), S. 321 f. 81
mationsverdichtung durch aussagekräftige Indikatoren erforderlich. Gegenstand der Evaluation sind die unternehmensspezifischen Regelungen und nicht die gesetzlichen Bestimmungen. (1) Durch eine effiziente Informationsversorgung wird die Grundlage für den Entscheidungsprozess im Aufsichtsrat geschaffen. Die Regelungen zur Informationsversorgung müssen sicherstellen, dass alle Aufsichtsratsmitglieder informationell in der Lage sind, gute Entscheidungen zu treffen.93 Positiv für die Informationseffizienz ist es, wenn • die Berichtspflicht des Vorstands über das gesetzliche Mindestmaß hinaus präzisiert wird; • die Einladung zur Aufsichtsratssitzung rechtzeitig (mind. 2 Wochen) erfolgt; • die Tagesordnung vollständig ist und Vorschläge aller Aufsichtsratsmitglieder berücksichtigt; • die Sitzungsunterlagen mit der Tagesordnung versandt werden; • ein Aufsichtsratsausschuss mit der Sitzungsvorbereitung beauftragt ist; • entscheidungsvorbereitende Ausschüsse eingerichtet sind, die insbesondere die strategische Planung und die strategischen Maßnahmen fokussieren. Effizienzmindernd wirken sich dagegen Regelungen aus, die Informationsasymmetrien im Aufsichtsrat fördern, indem sie einen Informationsvorsprung des Aufsichtsratsvorsitzenden oder bestimmter Interessengruppen bei der Entscheidungsvorbereitung sichern. Daher ist es für die Informationseffizienz des Aufsichtsrats negativ, wenn • die präzisierten Berichtspflichten sich nur an den Aufsichtsratsvorsitzenden oder die Kapitaleignerseite richten; • die Sitzungsvorbereitung nur durch den Aufsichtsratvorsitzenden erfolgt; • der Aufsichtsratsvorsitzende alleine über die Einladungsfrist entscheidet;
93
82
Vgl. Gerum (2007), S. 321. Ebenso zum Board Conger/Lawler/Finegold (2001), S. 73 ff., Kiel/Nicholson (2003a), S. 147 f., Cascio (2004), S. 97 sowie van den Berghe/Levrau (2004), S. 465 und Levrau/van den Berghe (2007b), S. 18 mit empirischen Belegen.
• der Aufsichtsratsvorsitzende nach eigenem Ermessen die Tagesordnung erstellt; • entscheidungsvorbereitende Ausschüsse im mitbestimmten Aufsichtsrat ausschließlich mit Kapitaleignervertretern besetzt werden. (2) Zentrales Merkmal einer effizienten Interaktion im Aufsichtsrat ist die Intensität der Beratung aller Aufsichtsratsmitglieder.94 Die Regelungen zur Interaktion sollten den Austausch von Argumenten zwischen den Aufsichtsratsmitgliedern fördern. Für die Interaktionseffizienz ist daher entscheidend, dass • sich der Aufsichtsrat mehr als 4 mal pro Jahr zur Sitzung treffen muss; • Ausschüsse zur intensiven Beratung und Entscheidung eines Sachverhalts eingerichtet sind; • eine Teilnahme von mehr als der Hälfte der Aufsichtsratsmitglieder für die Beschlussfähigkeit erforderlich ist; • abwesende Aufsichtsratsmitglieder schriftlich, telefonisch oder durch andere Kommunikationsmittel an der Abstimmung teilnehmen können (gemischte Beschlussfassung); • bei Patt eine erneutere Erörterung zwischen den Aufsichtsratsmitglieder vor der zweiten Abstimmung postuliert wird. Eine produktive Diskussionskultur wird verhindert, wenn die statutarischen Regelungen lediglich dem Aufsichtsratsvorsitzenden oder den Kapitaleignern dienen.95 Negativ für die Interaktionseffizienz ist es deshalb, wenn • die Ausschüsse zur Beratung und Entscheidung im mitbestimmten Aufsichtsrat ausschließlich mit Kapitaleignervertretern besetzt sind;
94
Vgl. Charan (1998), S. 33, Forbes/Milliken (1999), S. 494, Conger/Lawler/Finegold (2001), S. 21 f. und Leblanc (2004), S. 439 f. zum Board. Außerdem van den Berghe/Levrau (2004), S. 466 f. und Levrau/van den Berghe (2007b), S. 17 mit empirischen Belegen.
95
Kritisch zur Rolle des Chairman vgl. Leblanc (2004), S. 438 f. Ebenso Huse (2005), S. 73, der als Voraussetzung einer positiven Diskussionskultur Offenheit, Vorbereitung und Einbeziehung, Kreativität und Kritikfähigkeit nennt. 83
• der
Aufsichtsratsvorsitzende
alleine
über
die
Hinzuziehung
von
Vorstandsmitgliedern oder Sachverständigen zu entscheiden hat oder ein automatisches Anwesenheitsrecht für den Vorstand besteht; • die Beschlussfähigkeit durch einseitig die Anteilseignerseite bevorzugende Bestimmungen erschwert ist; • eine erneute Erörterung bei Pattsituation explizit ausgeschlossen wird; • die Verschwiegenheitspflicht grundsätzlich verschärft ist. (3) Ferner ist es unerlässlich, dass Entscheidungsprobleme im Aufsichtsrat zügig gelöst werden und in der Sitzung nicht unnötig Zeit für die Präsentation und Aufarbeitung von Informationen verschwendet wird.96 Positiv für die Zeiteffizienz ist es, wenn • sich der Aufsichtsrat mehr als 4 mal pro Jahr zur Sitzung treffen muss; • Ausschüsse zur intensiven Beratung und Entscheidung eines Sachverhalts eingerichtet sind; • die Teilnahme der Hälfte der Aufsichtsratsmitglieder für die Beschlussfähigkeit genügt; • eine gemischte Beschlussfassung möglich ist; • explizit eine außerordentliche Beschlussfassung im Umlaufverfahren, ohne Widerspruchsrecht anderer Aufsichtsratsmitglieder, möglich ist; • bei Stimmengleichheit die Zweitstimme des Aufsichtsratsvorsitzenden in der gleichen Sitzung den Ausschlag gibt. Die Zeiteffizienz ist gefährdet, wenn eine Entscheidung blockiert werden kann, bis die Mehrheitsverhältnisse im Aufsichtsrat ein bestimmtes Entscheidungsergebnis begünstigen. Dies ist möglich, wenn • die Beschlussfähigkeit durch einseitig die Anteilseignerseite bevorzugende Bestimmungen erschwert ist;
96
84
Ebenso zum Board Dalton/Dalton (2005), S. S95 sowie Conger/Lawler/Finegold (2001), S. 83: „Board members clearly prefer to use board meeting time for discussion, not for reviewing information.” Vgl. Dubs (1993), S. 131, wonach im schweizerischen Verwaltungsrat bis zu 65% der Sitzungszeit auf Berichterstattung und Präsentation verwendet wird.
• bei Abwesenheit des Aufsichtsratsvorsitzenden, nicht paritätischer Besetzung oder Stimmengleichheit die Sitzung zu vertagen ist. 3.
Zusammenfassung
Das Defizit in der empirischen Evaluationsforschung zu Aufsichtsrat und Board, insbesondere der Mangel an empirisch validierten Kriterien für die Evaluation, gab Veranlassung, ein organisationstheoretisch begründetes Konzept zur Evaluation des Aufsichtsrats zu entwickeln. Es wird behauptet, dass ein effektiv und effizient organisierter Aufsichtsrat erfolgssteigernd wirkt. Das hierzu entfaltete Begründungsmuster lässt sich in zwei Thesen zusammenfassen: These 1: Ein Aufsichtsrat ist effektiv und trägt zum Unternehmensfortbestand bei, wenn seine personelle Zusammensetzung und die unternehmenspolitischen Kompetenz
(Aufsichtsratstyp)
auf
die
Unternehmensstrategie
und
die
Komplexität der Umwelt abgestimmt sind. These 2: Ein effizient organisierter Entscheidungsprozess im Aufsichtsrat verstärkt den positiven Zusammenhang zwischen Aufsichtsratstyp und Unternehmensfortbestand.
Um diese Thesen zu prüfen, sollen zunächst Aufsichtsratstypen konstruiert und die Wirkung der Einflussgrößen auf die (effektive) Wahl eines Aufsichtsratstyps evaluiert werden. Die firmenspezifischen Regelungen zum Entscheidungsprozess im Aufsichtsrats werden dahingehend beurteilt, ob eine rechtzeiige, umfassende Informationsvorsorgung, die Intensität der Interaktion und die Dauer der Entscheidungsfindung einen effizienten Verfahrensablauf im Aufsichtsrat bewirken.
85
E.
Die empirische Untersuchung
I.
Datenbasis
Für die empirische Überprüfung des Evaluationskonzepts stand eine Datenbank mit den Corporate-Governance-Strukturen großer deutscher Aktiengesellschaften zur Verfügung (N = 387).1 Um die Effektivität und die Effizienz des Aufsichtsrats für den Zeitraum von 2003 bis 2007 zu evaluieren, wurden aus dieser Datenbank alle börsennotierten Aktiengesellschaften ausgewählt (N = 152).2 Das Sample enthält sowohl Konzernobergesellschaften, auf die sich regelmäßig Finanzanalysten und Wirtschaftspresse konzentrieren, als auch kleinere Aktiengesellschaften und Konzerntöchter. Die Informationen für die Evaluation der Effektivität und der Effizienz des Aufsichtsrats ergaben sich aus den Geschäftsberichten und den Unternehmensstatuten. In der Satzung, der Aufsichtsrats- und der Vorstandsgeschäftsordnung werden die Kompetenzen des Aufsichtsrats und der Entscheidungsprozess im Aufsichtsrat privatautonom ausgestaltet. Die ökonomischen, organisatorischen und personellen Strukturdaten wurden aus dem Geschäftsbericht und aus Datenbanken3 mit Stichtag 01.01.2004 ermittelt. Neben der Besetzung des Aufsichtsrats mit Aktionären, Personen ohne Kapitalbeteilung und Arbeitnehmern galt es die Eigentümerstruktur und die Umweltkomplexität als Einflussgrößen zu bestimmen. Zur Eigentümerstruktur wurden die Stellung im Konzern, die Eigentümer- bzw. Managerkontrolle und die Unterscheidung in private und öffentliche Unternehmen erhoben. Bei der Umweltkomplexität ging es über die Produktdiversifikation, den geographischen Diversifikationsgrad und die Unternehmensgröße hinaus um den
1
Vgl. näher Gerum (2007), S. 57 f.
2
Die Datenbasis umfasste ursprünglich 181 börsennotierte Aktiengesellschaften. 29 Unternehmen wurden wegen Squeeze-out-Verfahren ausgeschlossen, da die Aktienkurse in dieser Phase stark von Spekulationen der Anleger getrieben sein können. Zu den Voraussetzungen für einen zwangsweisen Ausschluss von Minderheitsaktionären vgl. näher Fleischer (2002), S. 774 ff.
3
Vgl. Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (2004), Hoppenstedt-Firmenprofile (2004), Creditreform (2004). 87
Fremdkapitalbedarf und die Branchenzugehörigkeit.4 Als Indikatoren für den Unternehmenserfolg der fünf Geschäftsjahre des Untersuchungszeitraums 2003 bis 2007 dienen jahresabschluss- und kapitalmarktorientierte Erfolgsgrößen. 1.
Unternehmensstatuten und Geschäftsberichte
Die Erfassung der Unternehmensstatuten und Geschäftsberichte zielte auf eine Vollerhebung der Materialien für die 152 Unternehmen. Die erreichte Informationsbasis ist in Tabelle E.1 zusammengefasst.
Materialien
Gesamt (N = 152)
Unternehmensstatuten Satzung
152
(100%)
120
( 79%)
118
( 98%)
Aufsichtsratsgeschäftsordnung (ARGO) - in die Auswertung eingegangen davon: - Unternehmen mit ARGO - Unternehmen ohne ARGO* - nicht auswertbare Fälle
2
(
2%)
32
( 21%)
94
( 62%)
87
( 93%)
Vorstandsgeschäftsordnung (VGO) - in die Auswertung eingegangen davon: - Unternehmen mit VGO - Unternehmen ohne VGO* - nicht auswertbare Fälle Unternehmensstatuten vollständig Geschäftsberichte *
7
(
7%)
58
( 38%)
92
( 61%)
152
(100%)
Positive Information, dass eine Aufsichtsrats- oder Vorstandsgeschäftsordnung nicht existiert.
Tab. E.1: Informationen zu Unternehmensstatuten und Geschäftsberichten
4
88
Bei diesen Strukturdaten war von 2003 bis 2007 keine signifikante Veränderung zu erwarten. Sie wurden nur einmal zum Stichtag 01.01.2004 erhoben. Vgl. Shivdasani/ Yermack (1999), S. 1833 mit gleicher Vorgehensweise.
Im Ergebnis lagen für 92 Aktiengesellschaften (61%) die vollständigen Unternehmensstatuten, bestehend aus Satzung, Aufsichtsrats- und Vorstandsgeschäftsordnung, vor. Dieser Informationsstand bietet, im Unterschied zu anderen empirischen Aufsichtsratsstudien5, eine (sehr) solide Basis für die Evaluation des Aufsichtsrats. Ein Problem bei der Datenbeschaffung war die mangelhafte Transparenz bei deutschen Aktiengesellschaften. Die Satzung musste, wenn sie nicht von der Webseite heruntergeladen oder vom Vorstand vom oder Aufsichtsratsvorsitzendem zur Verfügung gestellt wurde, bei den Registergerichten (§ 9 HGB) angefordert werden. Obwohl Vertraulichkeit und Anonymität explizit zugesichert wurde, konnten die Aufsichtsrats- und Vorstandsgeschäftsordnungen nicht vollständig beschafft werden.6 Für die Aufsichtsratsgeschäftsordnung wurde eine Rücklaufquote von 79% erreicht, bei der Vorstandsgeschäftsordnung betrug sie 62%. Die Geschäftsberichte lagen für alle 152 Unternehmen vor. Bei diesem Informationsstand zu den Unternehmensstatuten stellt sich die Frage, inwieweit die Informationen zu den Kompetenzen des Aufsichtsrats und zur Organisation der Aufsichtsratsarbeit repräsentativ sind. In der empirischen Sozialforschung versucht man üblicherweise, die Repräsentativität über Zufallsauswahlen zu sichern, damit alle Merkmale von Elementen sowie der Kombinationen die gleiche Chance haben, in eine Stichprobe aufgenommen zu werden.7 Die Erfassung der Unternehmensstatuten zielte auf eine Vollerhebung, so dass sich das Problem der Repräsentativität zunächst nicht stellt. Dennoch interessiert natürlich, ob die Rücklaufdefizite zufällig waren (missing at random) oder systematische Ausfallgründe vorlagen. Hilfsweise kann man sich diesem Problem nähern, indem man die Verteilung theoretisch bedeutsamer und vollständig bekannter Einflussgrößen im Sample (N = 152)
5
Vgl. Böcking/Dutzi/Fey/Leven (2005) mit einer Rücklaufquote von 17%, Fischer/Beckmann (2007) mit 17% und Jürgens/Lippert/Gaeth (2008) mit 36%.
6
Vgl. im Einzelnen Gerum (2007), S. 60 ff., zum Beschaffungsprocedere und zu Ablehnungsbegründungen der kontaktierten Unternehmen.
7
Vgl. statt vieler Preine/Kluge/Kelle (1994). 89
mit der Verteilung der vorhandenen Aufsichtsrats- und Vorstandsgeschäftsordnung (N = 92) vergleicht (vgl. Tabelle E.2).8
Statistik
Information vollständig (N = 92)
Konzernierung
Ȥ²-Wert (df) Sig.
0,45 (1) 0,50
Eigentümer-/Managerkontrolle
Ȥ²-Wert (df) Sig.
0,90 (1) 0,34
Privat-/öffentlich beherrscht
Ȥ²-Wert (df) Sig.
0,88 (1) 0,35
Produktdiversifikation
Ȥ²-Wert (df) Sig.
0,59 (3) 0,90
Geographische Diversifikation
F-Wert (df) Sig.
0,05 (1) 0,82
Unternehmensgröße
F-Wert (df) Sig.
0,44 (1) 0,51
Branche
Ȥ²-Wert (df) Sig.
3,73 (7) 0,81 1
Einflussgrößen Eigentümerstruktur
Umweltkomplexität
Tab. E.2: Repräsentativität der Datenbasis
Im Ergebnis liegen, wie ein ǘ²-Unabhängigkeitstest bzw. eine einfaktorielle Varianzanalyse bei einer üblichen Irrtumswahrscheinlichkeit von 5% zeigt, hinsichtlich der zentralen Einflussgrößen bei der Evaluation der Aufsichtsrats keine statistisch signifikanten Verzerrungen zwischen der Verteilung der Einflussgrößen im Sample und den Unternehmensstatuten aller Gesellschaften vor. Die Rücklaufdefizite sind deshalb als zufällig einzustufen. Die 92 börsennotierten Aktiengesellschaften mit vollständigen Unternehmensstatuten bilden die empirische Grundlage für die Evaluation des Aufsichtsrats.
8
90
Vgl. ebenso Kirsch/Scholl/Paul (1984), S. 84 ff., Böcking/Dutzi/Fey/Leven (2005), S. 16 ff., bei empirischen Untersuchungen zum Aufsichtsrat, sowie Pearce/Zahra (1992), S. 424, bei einer Studie zum Board.
2.
Personelle Zusammensetzung des Aufsichtsrats
Zur Analyse der personellen Zusammensetzung des Aufsichtsrats, die neben der unternehmenspolitischen Kompetenz für die Konstruktion der Aufsichtsratstypen benötigt wird, wurde zunächst auf die Geschäftsberichte zurückgegriffen. Die Mitglieder des Aufsichtsrats sind dort namentlich im Anhang des Konzern- bzw. Jahresabschlusses aufgeführt (§ 285 Nr. 10 HGB). Häufig finden sich hier für die Aufsichtsratsmitglieder schon Angaben über ihre Herkunft, etwa zum entsendenden Unternehmen. Soweit erforderlich, wurde für die Klassifikation der Kapitaleignervertreter auf Datenbanken und Nachschlagewerke9 zurückgegriffen. So konnten alle Kapitaleignervertreter klassifiziert10 werden. Die Besetzung des Aufsichtsrats mit Arbeitnehmervertretern ergibt sich aus der Intensität der Mitbestimmung (vgl. Tabelle E.3).
Regelungen Zahl der Anteilseignervertreter
Gesamt (N = 92) 700
davon sozioökonomische Herkunft: - Aktionäre/Aktionärsvereinigungen
33
( 4%)
- Unternehmensvertreter mit Mehrheitsbeteiligung
99
(14%)
- Unternehmensvertreter mit Minderheitsbeteiligung
119
(17%)
- Unternehmensvertreter ohne Beteiligung
275
(39%)
- Berater
128
(18%)
38
( 5%)
8
( 1%)
- Altvorstände - Öffentliche Vertreter ohne Beteiligung Zahl der Arbeitnehmervertreter
634
davon Mitbestimmung (Intensität): - MontanMitbestG (N = 1 = 1%) - MitbestG (N = 76 = 83%) - DrittelbG (N = 8 = 9%) - Mitbestimmung, keine (N = 7 = 8%)
10
( 2%)
594
(94%)
30
( 5%)
-
Tab. E.3: Anteilseigner- und Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat
9
Vgl. Hoppenstedt-Firmenprofile (2004), Creditreform (2004), Munzinger-Personenarchiv (2004).
10
Zur Klassifizierung vgl. Gerum (2007), S. 230. 91
3.
Organisatorische und ökonomische Strukturdaten
3.1
Eigentümerstruktur
Als Einflussgröße für die Evaluation des Aufsichtsrats wurden die Eigentumsverhältnisse der 92 Aktiengesellschaften ermittelt (vgl. Tabelle E.4).
Merkmale
Gesamt (N = 92)
Konzernobergesellschaften
56
(61%)
Konzernuntergesellschaften
36
(39%)
Eigentümerunternehmen
29
(32%)
Managerunternehmen
63
(68%)
Private Unternehmen
80
(87%)
Öffentliche Unternehmen
12
(13%)
Tab. E.4: Eigentumsverhältnisse
Im ersten Schritt konnten Konzernober- und Konzernuntergesellschaften11 sowie private und öffentliche Unternehmen unterschieden werden. Weiter wurde in Übereinstimmung mit der Methodik von Berle und Means12 zwischen Eigentümer- und Managerunternehmen differenziert.13
11
Als beherrscht wurden Unternehmen angesehen, wenn gemäß der Konzernvermutung (§§ 16-18 AktG) mehr als 50% des Kapitals in einer Hand liegt oder – ökonomisch interpretiert – ein Eigentümer mehr als 25% hält und der Rest breit gestreut ist.
12
Vgl. Berle/Means (1932).
13
Für ein Managerunternehmen ist charakteristisch, dass ein oder mehrere Eigentümer höchstens 25% des Grund- bzw. Stammkapitals halten, wobei der Rest im Streubesitz ist, oder sich das Unternehmen in öffentlicher Hand befindet. Als Eigentümerunternehmen verbleiben alle Fälle, in denen ein Eigentümer mehr als 25% hält. Die Klassifizierung berücksichtigt bei abhängigen Unternehmen die Eigentumsverhältnisse und die Kontrollsituation der beteiligten Obergesellschaften (ultimate control) Vgl. Schreyögg/ Steinmann (1981), Gerum/Steinmann/Fees (1988), S. 39 ff., Gerum (2007), S. 68 f.
92
3.2
Umweltkomplexität
Als Einflussgrößen der Aufgabenumwelt wurden für die Evaluation des Aufsichtsrats die Produktdiversifikation und die geographische Diversifikation, der Fremdkapitalanteil und die Branchenzugehörigkeit der Unternehmen ermittelt. (1) Um den Grad der Produktdiversifikation bestimmen zu können, wurde auf die Klassifikation nach Wrigley14 zurückgegriffen. Das Entscheidungskriterium ist danach der Verwandtschaftsgrad (relatedness) zwischen den einzelnen Geschäftsbereichen in marktlicher und technologischer Hinsicht und der Anteil der Geschäftsbereiche am Gesamtumsatz.15 Zur Bestimmung der geographischen Diversifikation wurde der im Ausland erzielte Umsatz in Relation zum Gesamtumsatz gesetzt. Ein Anstieg dieser Kennzahl bedeutet eine zunehmende geographische Diversifikation. Um zu ermitteln, inwieweit ein Unternehmen auf die finanziellen Ressourcen von Fremdkapitalgebern angewiesen ist, wurde der Fremdkapitalanteil als Relation von bilanziellem Fremdkapital und Gesamtkapital berechnet (vgl. Tabelle E.5).
Unternehmensstrategie
Gesamt (N = 92)
Produktdiversifikation - single product firm
40
(43%)
- dominant product firm
13
(14%)
- related product firm
26
(28%)
- unrelated product firm
13
(14%)
Geograph. Diversifikation - Umsatzanteil Ausland (Mittelwerte)
45%
Fremdkapitalanteil - Fremdkapital / Gesamtkapital
71%
Tab. E.5: Unternehmensstrategie und Fremdkapitalbedarf
14
Vgl. Wrigley (1970).
15
Vgl. Gerum (1995), S. 363 m.w.N. 93
Als Indikatoren für die Unternehmensgröße wurden der Umsatz, die Bilanzsumme und die Mitarbeiterzahl herangezogen (vgl. Tabelle E.6). Dass die Messung der Unternehmensgröße über jeden dieser Indikatoren nicht unproblematisch ist, ist bekannt. Man denke an die mangelnde Vergleichbarkeit bei unterschiedlichen Wirtschaftszweigen (Industrie, Handel, Banken, Versicherung). Dennoch haben sich Umsatz16, Bilanzsumme17 und Mitarbeiterzahl18 als Größenmaße in der empirischen Forschung durchgesetzt und wurde des-
Merkmale
Gesamt (N = 92)
Umsatz (in Mio. €) - unter 100
4
( 4%)
- 100 bis unter 1.000
22
(24%)
- 1.000 bis unter 10.000
46
(50%)
- mind. 10.000
20
(22%)
Bilanzssumme (in Mio. €) - unter 100
2
( 2%)
- 100 bis unter 1.000
27
(29%)
- 1.000 bis unter 10.000
36
(39%)
- mind. 10.000
27
(29%)
- unter 2.000
13
(14%)
- 2.000 bis unter 10.000
29
(32%)
- 10.000 bis unter 20.000
19
(21%)
- mind. 20.000
31
(34%)
Mitarbeiter
Tab. E.6: Unternehmensgröße
16
Vgl. Pfeffer (1972), S. 223 f., Wade/O'Reilly/Chandratat (1990), S. 594 f., Kaplan (1994b), S. 514 f., Carpenter/Westphal (2001), S. 649, Schwalbach (2001), S. 108, Kiel/Nicholson (2003b), S. 196, Beiner/Drobetz/Schmid/Zimmermann (2004), S. 349, Andres/Azofra/ Lopez (2005), S. 201, Fich/Shivdasani (2006), S. 696, Fischer/Beckmann (2007), S. 33.
17
Vgl. Pearce/Zahra (1992), S. 426, Johnson/Hoskisson/Hitt (1993), S. 40, Yermack (1996), S. 197, Eisenberg/Sundgren/Wells (1998), S. 39, Sanders/Carpenter (1998), S. 167, Shivdasani/Yermack (1999), S. 1833 f., Ferris/Jagannathan/Pritchard (2003), S. 1093, Kiel/ Nicholson (2003b), S. 196, Peng (2004), S. 461 und Deutsch (2007), S. 820.
18
Vgl. Schwalbach (2001), S. 108, Kraft/Stank (2004), S. 435, Jürgens/Lippert (2005), S. 11, Fischer/Beckmann (2007), S. 32.
94
halb aus Gründen der Vergleichbarkeit ermittelt. Diese Informationen19 stammen aus den Geschäftsberichten. Um die Vergleichbarkeit der Unternehmensgröße unabhängig von den Wirtschaftszweigen zu sichern, wurden Umsatz, Bilanzsumme und Mitarbeiterzahl branchenweise standardisiert20 und dann faktoranalytisch zu einer Maßzahl der Unternehmensgröße verdichtet.21 Um den Zusammenhang zwischen Umweltkomplexität und der Leistungsfähigkeit des Aufsichtsrats leichter analysieren zu können, wurden die Produktdiversifikation, die geographische Diversifikation, der Fremdkapitalanteil und die Unternehmensgröße weiter aggregiert.22 Die Faktorenanalyse extrahierte zwei unabhängige Faktoren.23 Auf den ersten Faktor, der mit Unternehmensstrategie bezeichnet werden soll, laden die Produktdiversifikation, der geographische Diversifikationsgrad und die Unternehmensgröße gemeinsam hoch und gleichgerichtet. Den zweiten Faktor erklärt der Fremdkapitalanteil am besten; er drückt also den Fremdkapitalbedarf der Unternehmen aus. 19
Allerdings weisen Finanzdienstleister i.d.R. keinen Umsatz aus: Als Pendant wurde deshalb für Banken hilfsweise die Summe aus Zinserträgen und zinsunabhängigen Erträgen und für Versicherungen die gebuchten Bruttobeiträge aus der Gewinn- und Verlustrechnung erfasst.
20
Zur branchenweisen Standardisierung wurde, wie im Folgenden in Tabelle E.7 dargestellt, die erste Ziffer der Klassifikation der Wirtschaftszweige des Statistischen Bundesamtes verwendet; im Kredit- und Versicherungsgewerbe wurde auf zweithöchster Aggregationsebene zusätzlich zwischen Banken und Versicherungen unterschieden. Vgl. Statistisches Bundesamt (2003).
21
Mit Hilfe der exploratorischen Faktorenanalyse wurde ein Faktor extrahiert, der alleine 91,6% der Varianz in den Ausgangsvariablen erklärt (Extraktionsmethode: Hauptkomponentenanalyse, Rotationsmethode: Varimax mit Kaiser-Normalisierung) und deshalb einen validen Indikator für die Unternehmensgröße darstellt. Auf diesen Faktor laden Umsatz (0,98), Bilanzsumme (0,95) und Mitarbeiterzahl (0,94) gemeinsam hoch und gleichgerichtet.
22
Vgl. ebenso Coles/Daniel/Naveen (2008), S. 332 f.
23
Die beiden Faktoren erklären gemeinsam 73,7% der Varianz in den Ausgangsvariablen (Extraktionsmethode: Hauptkomponentenanalyse). Auf Faktor I (40,2% erklärter Varianzanteil) laden Produktdiversifikation (0,79), geografische Diversifikation (0,71), Unternehmensgröße (0,69) und Fremdkapitalanteil (-0,14) in unterschiedlicher Höhe und Richtung. Faktor II (33,5% erklärter Varianzanteil) ist geprägt vom Fremdkapitalanteil (0,89) und weniger von der Unternehmensgröße (-0,53), der Produktdiversifikation (0,45) und der geografischen Diversifikation (0,24). Dabei wurde aus theoretischen Gründen ein formatives Messmodell unterstellt, das heißt die einzelnen Variablen führen jeweils zu einer höheren Umweltkomplexität. Zum Diskussionsstand formativer vs. reflektiver Messmodelle vgl. Albers/Hildebrand (2006), Diamantopoulos/Riefler (2008). 95
(2) Ferner soll bei der statistischen Analyse zur Evaluation des Aufsichtsrats, wie in empirischen Studien zu Aufsichtsrat24 und Board25 üblich, der Einfluss der Branche kontrolliert werden. Die Branche kann als Ausdruck des Wertesystems interpretiert werden, das jenseits einer wettbewerbsorientierten ökonomischen Rationalität den Aufsichtsrat prägt.26 Zur Bestimmung der Branche wurde die Klassifikation der Wirtschaftszweige des Statistischen Bundesamtes27 (in Verbindung mit den NACE-Codes) verwendet, wobei hier die beiden ersten Ziffern für die Einordnung entscheidend waren (vgl. Tabelle E.7). Auch stark diversifizierte Unternehmen konnten – mit Hilfe des Firmenverzeichnisses der Deutschen Bundesbank28 – eindeutig zugeordnet werden.
Merkmale
Gesamt (N = 92)
Branche [NACE-Codes] 1
( 1%)
43
(47%)
- Energie- und Wasserversorgung (38-41)
4
( 4%)
- Bau (45)
4
( 4%)
- Handel (50-52)
8
( 9%)
- Verkehr und Nachrichtenübermittlung (60-64)
8
( 9%)
16
(17%)
8
( 9%)
- Bergbau (10-14) - Verarbeitendes Gewerbe (15-37)
- Kredit- und Versicherungsgewerbe (65-67) - Erbringung von Dienstleistungen (70-99) Tab. E.7: Branchenzugehörigkeit
24
Vgl. etwa Knoll/Knoesel/Probst (1997), S. 243, Schmid (1997), S. 75, Gorton/Schmid (2004), S. 878, Bresser/Valle Tiehle/Biedermann/Lüdeke (2005), S. 1175.
25
Vgl. statt vieler Sanders/Carpenter (1998), S. 167 f., Erhardt/Werbel/Shrader (2003), S. 106, Beiner/Drobetz/Schmid/Zimmermann (2004), S. 339, Boone/Field/Karpoff/Raheja (2007), S. 78, Markarian/Parbonetti (2007), S. 1235.
26
Vgl. Gerum (2007), S. 285.
27
Vgl. Statistisches Bundesamt (2003).
28
Vgl. Deutsche Bundesbank (2004).
96
3.3
Unternehmenserfolg
Als Indikatoren für den Unternehmenserfolg wurden jahresabschlussbasierte, kapitalmarktorientierte und kombinierte Kennzahlen erhoben. Für den Untersuchungszeitraum von 2003 bis 2007 ergeben sich insgesamt 460 Firmenjahre bzw. Beobachtungspunkte. Der Stichtag des Geschäftsjahres war jeweils der 31. Dezember.29 Die Beschaffung der Daten erfolgte mit Hilfe von Datenbanken30 und wurde, sofern erforderlich, durch Angaben aus dem Konzernabschluss ergänzt (vgl. Tabelle E.8). 2003
2004
2005
2006
2007
(N = 92)
(N = 92)
(N = 92)
(N = 92)
(N = 92)
- Gesamtkapitalrentabilität
1,6%
2,7%
3,4%
3,7%
4,7%
- Betriebsgewinn (größenber.)
2,6%
3,3%
4,3%
4,6%
5,4%
- Liquidität
1,81
1,76
1,52
1,67
1,42
- Schuldendeckungsfähigkeit
0,90
-0,02
0,96
1,26
0,89
- Bilanzpolitik
6,6%
7,5%
5,7%
6,1%
5,2%
42,4%
17,6%
32,6%
33,4%
20,5%
- Kurs-Gewinn-Verhältnis
17,9
17,8
18,4
16,0
25,0
- Tobin’s Q
1,23
1,26
1,33
1,43
1,48
Kennzahlen Jahresabschlussbasiert
Kapitalmarktbasiert - Aktienrendite Kombiniert
Tab. E.8: Unternehmenserfolg: Kennzahlen (Mittelwerte)
(1) Die Messung des Unternehmenserfolgs ist nicht unproblematisch, wie die Bandbreite der in der empirischen Forschung zu Aufsichtsrat und Board verwendeten Indikatoren31 zeigt. In der Regel beziehen sich die empirischen
29
Bei Fällen, in denen das Geschäftsjahr und das Kalenderjahr voneinander abwichen, wurden die Daten zum Ende des Geschäftsjahres im jeweiligen Kalenderjahr verwendet.
30
Die Daten der Geschäftsjahre 2003 bis 2007 wurden im Oktober 2008 von Osiris und Worldscope bezogen und mit Kapitalmarktdaten der Deutschen Börse validiert.
31
Als jahresabschlussbasierte Erfolgskennzahlen werden ganz überwiegend die Gesamtund die Eigenkapitalrentabilität verwendet. Die dominanten kapitalmarktorientierten 97
Studien ausschließlich auf das Interesse der Kapitaleigner (shareholder value). Um den Zielen anderer Stakeholder und deren Interpretation von Unternehmenserfolg Rechnung zu tragen, wurden die Kennzahlen für diese Studie danach ausgewählt, ob sie eine Tendenzaussage zum Unternehmensfortbestand erlauben. In der Jahresabschlussanalyse verwendet man, um die Wahrscheinlichkeit des Unternehmensfortbestands zu ermitteln, die Gesamtkapitalrentabilität32, den Betriebsgewinn33, die Liquidität34 und die dynamische Schuldendeckungsfähigkeit35 für die Beurteilung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage.36 Ferner ist in Bezug auf die Pflicht zur Abschlussprüfung durch den Aufsichtsrat (§ 171 AktG) von Interesse, inwieweit es dem Management
Erfolgsgrößen sind die Aktien- und die Dividendenrendite. Tobin’s Q und das MarktBuchwert-Verhältnis sind die wichtigsten kombinierten Erfolgsmaße. 32
Vgl. Coenenberg (2005), S. 1093. Das Gesamtergebnis eines Unternehmens wird im Verhältnis zum eingesetzten Eigen- und Fremdkapital betrachtet. Dabei wird auch der dem Fremdkapital zufließende Zinsaufwand berücksichtigt. Im angelsächsischen Sprachgebrauch wird die Gesamtkapitalrentabilität synonym als return on investment (ROI) oder return on assets (ROA) bezeichnet.
33
Zur Berechnung vgl. Kriete/Padberg/Werner (2002), S. 1093. Banken und Versicherungen weisen jedoch kein operatives Ergebnis aus. Deshalb wird hier das Vorsteuerergebnis (EBT) verwendet. Dies entspricht der Forschungspraxis. Vgl. Bresser/Valle Thiele (2008), S. 184 FN 48 m.w.N. In der Praxis wird zur Messung der operativen Ertragskraft häufig der EBIT angegeben, der jedoch uneinheitlich berechnet wird. Vgl. hierzu Hillebrandt/Sellhorn (2002), S. 153 f., Küting/Heiden (2002), S. 1087 f., Coenenberg (2005), S. 967, Wagenhofer (2005), S. 578, Hitz/Jenniges (2008), S. 239 ff., Gronewold/Sellhorn (2009), S. 107 f.
34
Das Umlaufvermögen wird in Relation zu kurzfristigen Verbindlichkeiten gesetzt. Bei hohem Wert ist ein Zahlungsausfall unwahrscheinlich. Vgl. Coenenberg (2005), S. 1001 f.
35
Zur Ermittlung der Schuldendeckungsfähigkeit wird der Cashflow in Relation zu den Verbindlichkeiten und Rückstellungen des minus monetäres Umlaufvermögen gesetzt. Je höher der Wert des Quotienten, umso geringer ist das finanzielle Risiko. Vgl. Coenenberg (2005), S. 1017.
36
Vgl. Baetge (2002), Hauschildt (2000), Baetge/Kirsch/Thiele (2004), S. 2, Coenenberg (2005), S. 949 ff. In der Rechnungslegungsliteratur versucht man, empirisch-deduktiv Kriterienkataloge abzuleiten und zu einem Gesamturteil zu verdichten. Vgl. etwa Kocagil/Glormann/Escott (2001) zum RiskCalcTM-Modell von Moody’s KMV Company, dass die Ausfallwahrscheinlichkeit eines Unternehmens über neun Kennzahlen zur Kapitalbindung, Verschuldung, Kapitalstruktur, Finanzkraft, Rentabilität, Produktivität und Wachstum berechnet. Das BBR Baetge-Bilanz-Rating ® umfasst 14 Kennzahlen zur Vermögens-, Finanz- und Ertragslage. Vgl. Baetge/Kirsch/Thiele (2004), S. 558 ff. m.w.N.
98
gelingt, die Situation des Unternehmens im Konzern- bzw. Jahresabschluss durch Bilanzpolitik (window dressing)37 verzerrt darzustellen. Hierfür wurde, wie in der Literatur vorgeschlagen38, die Differenz zwischen dem (manipulierbaren) Jahresüberschuss und dem (reliablen) Cashflow aus der Geschäftstätigkeit geschätzt.39 Die Aktienrendite40 als kapitalmarktorientierte Kennzahl drückt aus, wie das Unternehmen hinsichtlich der strategischen Fähigkeiten und den erwarteten Einkommensströmen relativ zum Wettbewerb bewertet wird.41 Als kombinierte Kennzahlen erlauben das Kurs-Gewinn-Verhältnis42 und Tobin’s Q43 eine Aussage zu den Zukunftserwartungen der Anleger, da sie nicht bilanzierbare stille Reserven und Risiken in Relation zu Gewinn und Bilanzpositionen setzen.44 Um die Vergleichbarkeit über unterschiedliche
37
Durch bilanzpolitische Maßnahmen wird versucht, die Lage des Unternehmens in einem bestimmten Licht erscheinen zu lassen und die Adressaten der Bilanz so zu beeinflussen, dass es dem Bilanzersteller nützt. Vgl. Wagenhofer/Ewert (2003), S. 197, Küting (2005), S. 226 f., Ronen/Yaari (2008), S. 26. Empirische Ergebnisse zeigen, dass Managerunternehmen häufiger als Eigentümerunternehmen eine Ergebnisverstetigung anstreben. Vgl. hierzu Coenenberg/Schmidt/Werhand (1983).
38
Vgl. Wagenhofer/Ewert (2003), S. 212 f.
39
Ein niedriger Wert (nahe Null) ist Ausdruck einer geringen Bilanzpolitik. Ein Problem ist jedoch die Aufteilung in eine „normale“ Periodenabgrenzung, deren Ursache in einer Änderung der Geschäftstätigkeit oder größeren Investitionen und Desinvestitionen begründet sein kann, und in eine „diskretionäre“ Periodenabgrenzung, die das Ergebnis der Bilanzpolitik ist. Als Schätzer für die „normale“ Periodenabgrenzung der Unternehmen diente Branchenmittelwert einer Periode. Der Absolutbetrag der Differenz zwischen Jahresüberschuss und Cashflow wurde deshalb für jedes Unternehmen ins Verhältnis zum eingesetzten Gesamtkapital gesetzt und dann um Brancheneffekte bereinigt. Vgl. ähnlich Wagenhofer/Ewert (2003), S. 214.
40
Hierzu wird der Aktienkurs am Jahresende inklusive der Dividendenzahlung in Relation zum Kurs am Jahresanfang gesetzt.
41
Vgl. Näther (1993), S. 53 ff., Coenenberg (2005), S. 1139 f. m.w.N. Die mathematische Gleichung, die diese Überlegung zum Ausdruck bringt, wird als Barwertmethode oder discounted cash-flow bezeichnet. Vgl. Perridon/Steiner (2007), S. 209 ff.
42
Zur Berechnung des KGV wird der Quotient aus Aktienkurs und Gewinn pro Aktie gebildet. Vgl. Coenenberg (2005), S. 1087.
43
Zur Berechnung vgl. Coles/Daniel/Naveen (2008), S. 336.
44
Gemäß dem Realisationsprinzip spiegeln sich diese Risiken in der Gegenwart noch nicht in der Bilanz bzw. in der Gewinn- und Verlustrechnung wider. Vgl. Coenenberg (2005), S. 1039. Dagegen Wagenhofer/Ewert (2003), S. 113 f. mit Kritik an der Effizienz des Kapitalmarkts. 99
Wirtschaftszweige zu sichern, wurden die Kennzahlen für die statistische Analyse um Branchen- und Periodeneffekte45 und Ausreißer46 bereinigt. (2) Da die jahresabschluss- und kapitalmarktbasierten Kennzahlen bei einer positiven Ausprägung jeweils den Erhalt des Unternehmens begünstigen, liegt eine Verdichtung der so gewonnenen Informationen zu einem gemeinsamen Indikator nahe.47 Mittels exploratorischer Faktoranalyse wurde deshalb eine einheitliche Maßzahl zum Unternehmensfortbestand berechnet (vgl. Tabelle E.9).
Kennzahlen
Faktor Unternehmensfortbestand
Jahresabschlussbasiert - Gesamtkapitalrentabilität
0,87
- Betriebsgewinn (größenber.)
0,86
- Liquidität
0,48
- Schuldendeckungsfähigkeit
0,62
- Ausmaß der Bilanzpolitik
0,46
Kapitalmarktbasiert - Aktienrendite
0,55
Kombiniert - Kurs-Gewinn-Verhältnis
0,62
- Tobin’s Q
0,70
Anteil erklärter Varianz
43,8%
Tab. E.9: Unternehmensfortbestand – Faktorladungen der Ausgangsvariablen
45
Die Unterschiedlichkeit der Werte wurde mittels Z-Transformation relativiert. Dazu wird der Branchendurchschnitt einer Erfolgskennziffer vom Periodenwert des Unternehmens subtrahiert und durch die Standardabweichung dividiert. Ähnlich Beiner/Drobetz/Schmid/Zimmermann (2004), S. 352, Bassen/Kleinschmidt/Prigge/Zöllner (2006), S. 380.
46
Mittels explorativer Datenanalyse wurden „reale“ Ausreißer der Kennzahlen identifiziert und durch Grenzwerte ersetzt. Zur Vorgehensweise vgl. Schendera (2007), S. 181 f. und 199. Ebenso Coles/Daniel/Naveen (2008), S. 337 bei einer Studie zum Board.
47
Hierbei wird ein formatives Messmodell angenommen. Vgl. auch S. 95 FN 23. Eine Reliabilitätsanalyse bestätigte die hohe interne Konsistenz der Kennzahlen. Die Berechnung ergibt ein Cronbachs Alpha von 0,80. Als Mindestwert wird in der empirischen Sozialforschung ein Wert von 0,70 gefordert, so dass hier keine Kennzahl eliminiert werden musste. Zur Berechnung und Interpretation vgl. im Einzelnen Cronbach (1951).
100
Das Ergebnis der Faktorenanalyse erlaubt es, den Unternehmensfortbestand als stakeholderorientierte Größe zu interpretieren. Die Wahrscheinlichkeit des Unternehmensfortbestands wird maßgeblich geprägt von der Gesamtkapitalrentabilität (0,87) und dem Betriebsgewinn (0,86). Im Vergleich dazu sind die kapitalmarktorientierten und die kombinierten Kennzahlen weniger erklärungskräftig. Damit die Ergebnisse dieser Studie vergleichbar sind mit der empirischen Forschung zu Aufsichtsrat und Board, werden bei der statistischen Analyse neben der Maßzahl für den Unternehmensfortbestand stets die Gesamtkapitalrentabilität und Tobin’s Q als Einzelgrößen berechnet. II.
Empirische Befunde
Die empirische Überprüfung des Konzepts zur Evaluation des Aufsichtsrats gliedert sich in eine deskriptive und eine statistische Analyse. Im deskriptiven Teil wird geprüft, ob die unternehmensspezifischen Regelungen zum Aufsichtsrat funktional sind für eine effektive Interessenvertretung und Überwachung und einen effizienten Entscheidungsprozess. Um die Gründe für Performanceunterschiede von Aufsichtsräten zu eruieren, soll im statistischen Teil mittels multivariater Analyseverfahren der Einfluss der Unternehmensstrategie und der damit verbundenen Umweltkomplexität, der firmenspezifischen Ausformung der Aufgaben des Aufsichtsrats und der Organisation des Entscheidungsprozesses auf den Unternehmenserfolg analysiert werden. 1.
Deskriptive Analyse
1.1
Aufsichtsratstypen als Indikatoren für die Effektivität
Um die Effektivität des Aufsichtsrats zu beurteilen, sollen Aufsichtsratstypen gebildet werden. Hierzu ist es wichtig zu wissen, aus welchen Personen sich der Aufsichtsrat zusammensetzt und wie die unternehmenspolitische Kompetenz ausgeformt ist.48 Grundlage für die Typenbildung waren die 92 Aktiengesellschaften, für die alle Informationen zur Verfügung standen.
48
Zum theoretischen Konzept vgl. oben S. 77 ff. 101
(1) Für die Analyse der personellen Zusammensetzung der Aufsichtsräte wurden die Anteilseignervertreter mit Hilfe eines Kategoriensystem klassifiziert, das sich im am Aktienbesitz orientiert.49 Daraus ergab sich, dass ein Aufsichtsrat in der Regel entweder von Personen mit Kapitalbeteiligung oder von Aufsichtsratsmitgliedern ohne Beteiligung dominiert wird (vgl. Tabelle E.10). Besetzungstyp Aktionärsdominanz (N = 25 = 27%)
Mischtyp (N = 7 = 8%)
NichtBeteiligtendominanz (N = 60 = 65%)
4%
4%
6%
Unternehmensvertreter mit Mehrheitsbeteiligung
38%
25%
3%
Unternehmensvertreter mit Minderheitsbeteiligung
31%
21%
10%
Unternehmensvertreter ohne Beteiligung
12%
30%
50%
Berater
10%
11%
24%
Altvorstände
3%
3%
6%
Öffentliche Vertreter ohne Beteiligung
1%
6%
–
Anteilseignervertreter Aktionäre/Aktionärsvereinigungen
Tab. E.10: Realtypen der Anteilseignerbank im Aufsichtsrat
Wie Tabelle E.10 zeigt, haben sich drei typische Besetzungsmuster für die Anteilseignerbank im Aufsichtsrat herausgebildet. Nur ein Viertel (27%) der Aufsichtsräte ist aktionärsdominiert. Bei diesem Besetzungstyp vereinen die Aktionäre und die Vertreter der Mehrheits- und Minderheitsaktionäre gemeinsam 73% der Sitze auf sich und lassen sich von Unternehmensvertretern ohne Beteiligung (12%) oder Beratern (10%) unterstützen. In 84% dieser Aufsichtsräte stellen die Eigentümer auch den Aufsichtsratsvorsitzenden. 49
Im Durchschnitt der 92 Unternehmen besteht die Anteilseignerseite im Aufsichtsrat aus 5% Aktionären/Aktionärsvereinigungen, 14% Unternehmensvertretern mit Mehrheitsbeteiligung, 16% Unternehmensvertretern mit Minderheitsbeteiligung, 38% Unternehmensvertretern ohne Beteiligung, 19% Beratern, 5% Altvorständen und 1% öffentlichen Vertretern ohne Beteiligung. Der kumulierte Anteil der Beteiligtenvertreter im Aufsichtsrat ist mit 36% nur geringfügig niedriger als bei Gerum (2007), S. 225 ff., der für eine Grundgesamtheit von fast 400 Unternehmen rechnerisch auf 44% Beteiligtenvertreter kommt.
102
Überwiegend werden die Aufsichtsräte jedoch von Personen beherrscht, die selbst keine Kapitalbeteiligung am Unternehmen halten (Nicht-Beteiligtendominanz: 65%). Dieser Besetzungstyp ist charakterisiert durch Unternehmensvertreter ohne Beteiligung (50%), Berater (24%) und Altvorstände (6%). In 68% dieser Aufsichtsräte ist der Aufsichtsratsvorsitzende ein Nicht-Beteiligter. Die Eigentümer übertragen, um die Effektivität des Aufsichtsrats zu sichern, freiwillig Aufsichtsratsmandate und den Vorsitz im Aufsichtsrat an Stakeholder oder Personen, die über Expertise oder Kontakte zu erfolgskritischen Ressourcen verfügen. Dieser Befund ist Ausdruck einer höheren Professionalisierung des Aufsichtsrats in deutschen Aktiengesellschaften. Wenn die Aktionäre und die Nicht-Beteiligten jeweils 50% der Sitze auf sich vereinten (Mischtyp), wurde als Entscheidungskriterium auf die Herkunft des Aufsichtsratsvorsitzenden abgestellt.50 Von den 7 Fällen des Mischtyps wurden so 5 Aufsichtsräte dem Realtyp Aktionärsdominanz und 2 Aufsichtsräte dem Realtyp Nicht-Beteiligtendominanz zugeordnet. (2) Um die unternehmenspolitischen Kompetenz des Aufsichtsrats zu prüfen, wurden die zustimmungspflichtigen Geschäfte aus der Satzung und der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats und des Vorstands erhoben.51 Wegen der Bezeichnungsvielfalt bei den Vorbehaltsgeschäften mussten teilweise Oberbegriffe eingeführt werden, die als solche in den Unternehmensstatuten nicht auftauchen. Die einzelnen Geschäftsarten wurden dann zu 12 betriebswirtschaftlich sinnvollen Entscheidungsfeldern zusammengefasst und mit Hilfe der Clusteranalyse zu drei strukturähnlichen, realtypischen Klassen verdichtet (vgl. Tabelle E.11).52 Die Geschäftsarten sind dabei innerhalb der Cluster nach ihrer Häufigkeit geordnet. Als Abgrenzungskriterium wurde die 50%-Grenze
50
Zur Begründung vgl. Gerum (1991), S. 727 f.
51
Vgl. hierzu Gerum (2007), S. 267 ff.
52
Die prozentuale Verteilung dieser Cluster entspricht der Lösung von Gerum (2007), S. 276 ff., der für eine größere Grundgesamtheit von N = 272 für Cluster I 46%, für Cluster II 38% und für Cluster III 11% ausweist. Weiter ergab sich ein Restcluster (6%) mit Unternehmen, deren Aufsichtsräte rechtswidrig über keine zustimmungspflichtigen Geschäfte verfügten. Ein solches Restcluster existierte für das vorliegende Sample nicht, da alle 92 Aufsichtsräte zustimmungspflichtige Geschäfte hatten. 103
Tab. E.11: Realtypen der unternehmenspolitischen Kompetenz
gewählt, da von Strukturähnlichkeit nur dann gesprochen werden kann, wenn
ein entsprechendes Geschäft mindestens in jedem zweiten Unternehmen eines
Clusters existiert.
Die Möglichkeit für eine effektive Kontrolle der Unternehmenspolitik und der
funktionsbezogenen Maßnahmen des Vorstands durch den Aufsichtsrat bietet
allein Cluster I. Danach verfügt der Aufsichtsrat in etwa der Hälfte der Gesell-
104 Verbundene Unternehmen Finanzangelegenheiten Beteiligungen Unternehmensteile Sachanlagen Personalangelegenheiten Planungsangelegenheiten Produkt-Markt-Konzept Unternehmensnetzwerke Rechtsangelegenheiten Patente Organisationsstruktur
98% 98% 95% 95% 79% 79% 74% 62% 45% 40% 12% 10%
Beteiligungen Sachanlagen Planungsangelegenheiten Finanzangelegenheiten Produkt-Markt-Konzept Personalangelegenheiten Unternehmensteile Verbundene Unternehmen Rechtsangelegenheiten Organisationsstruktur Unternehmensnetzwerke Patente
Cluster II (N = 29 = 32%)
Cluster I (N = 42 = 46%)
–
3%
14%
17%
34%
41%
59%
76%
76%
86%
100%
100%
Cluster III
Unternehmensnetzwerke
Verbundene Unternehmen
Organisationsstruktur
Produkt-Markt-Konzept
Patente
Planungsangelegenheiten
Rechtsangelegenheiten
Sachanlagen
Unternehmensteile
Beteiligungen
Finanzangelegenheiten
Personalangelegenheiten
(N = 21 = 23%)
–
–
–
–
5%
24%
29%
43%
43%
76%
81%
90%
schaften (46%) über eine umfassende unternehmenspolitische Kompetenz, da sowohl die strategische Planung als auch die strategischen Maßnahmen und funktionalen Politiken hinreichend erfasst werden. Im zweiten Realtyp der unternehmenspolitischen Kompetenz (Cluster II), der in 32% der Unternehmen existiert, liegt der Schwerpunkt auf der Überwachung im Konzern. Auffällig ist, dass die funktionalen Politiken nur selektiv einem Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats unterliegen. In Cluster III (23%) verschärft sich das Überwachungsdefizit weiter. Regelmäßig sind nur die Finanz- und Personalangelegenheiten und die Beteiligungen zustimmungspflichtig. Eine effektive Kontrolle durch den Aufsichtsrat ist so nicht gegeben. Die unternehmenspolitische Kompetenz in Cluster II kann, im Vergleich zu den Clustern I und III, nicht eindeutig als hoch oder niedrig interpretiert werden. Um diese diffusen Fälle (N = 29) zuordnen zu können, wurde als Entscheidungskriterium die Existenz eines Zustimmungsvorbehalts zum Produkt-Markt-Konzept oder zu den Planungsangelegenheiten herangezogen, die einen direkten oder indirekten Zugriff auf die Unternehmenspolitik ermöglichen. Nach diesem Kriterium ließen sich 19 Aufsichtsräte dem Cluster mit hoher unternehmenspolitischer Kompetenz zuweisen; 10 Aufsichtsräte wurden als geringe unternehmenspolitische Kompetenz klassifiziert. (3) Die Aufsichtsratstypen ergeben sich durch die Kombination der Dimensionen personelle Zusammensetzung und unternehmenspolitische Kompetenz (vgl. Tabelle E.12). Unternehmenspolitische Kompetenz Personelle Zusammensetzung
hoch
niedrig
Leitungsaufsichtsrat
Kontrollaufsichtsrat
22% (N = 20)
11% (N = 10)
Aktionärsdominanz
Nicht-Beteiligtendominanz
Unternehmenspolitischer Repräsentationsaufsichtsrat Aufsichtsrat 45% (N = 41)
23% (N = 21)
Tab. E.12: Aufsichtsratstypen in der Unternehmensrealität (N = 92)
105
Auf die einzelnen Aufsichtsratstypen entfallen: Leitungsaufsichtsrat 22%, Kontrollaufsichtsrat 11%, Repräsentationsaufsichtsrat 23% und unternehmenspolitischer Aufsichtsrat 45%.53 Es dominieren also klar die Realtypen, in denen die klassische Funktionsteilung zwischen Geschäftsführung und Kontrolle durch den Aufsichtsrat aufgehoben ist. In mehr als zwei Drittel der Fälle, nämlich beim Repräsentationsaufsichtsrat und beim unternehmenspolitischen Aufsichtsrat, steht die Kontrolllogik der Führungsorganisation in deutschen Aktiengesellschaften gleichsam auf dem Kopf. Der Aufsichtsrat ist hier zum unternehmenspolitischen Instrument des Vorstands geworden. Wie die weitere Analyse zeigte, besitzen nicht nur die Konzernobergesellschaften54 mehrheitlich einen umweltorientierten Aufsichtsrat, sondern auch mehr als ein Drittel der Konzernuntergesellschaften (Repräsentationsaufsichtsrat 8%; unternehmenspolitischer Aufsichtsrat 28%).55 Sowohl in der Konzernmutter als auch bei Töchtern veranlasst also der Wettbewerbsdruck und die gestiegene Umweltkomplexität durch Produktdiversifikation und Internationalisierung das Management oder die Eigentümer, Nichtbeteiligte zur Beratung und Entscheidungsunterstützung zu kooptieren. (4) Für eine differenzierte Einschätzung der Einflussverteilung im Aufsichtsrat ist neben der Kapitaleignerseite die Arbeitnehmerbank zu berücksichtigen. Die Besetzung der Aufsichtsratstypen mit Arbeitnehmervertretern ergibt sich größenabhängig aus den Mitbestimmungsgesetzen; sie fällt also nicht in den Einflussbereich der Eigentümer oder des Managements (vgl. Tabelle E.13). In den paritätisch mitbestimmten und den drittelbeteiligten Leitungsaufsichtsräten (21%) und Kontrollaufsichtsräten (11%) können die Eigentümer ihre Interessen durchsetzen, da sie außer der Dominanz auf der Kapitaleignerseite immer auch den Aufsichtsratsvorsitzenden stellen. Bei den Repräsentations-
53
Vgl. Gerum/Mölls (2009) mit nahezu identischer Verteilung bei N = 272 Aufsichtsräten: Leitungsaufsichtsrat 32%, Kontrollaufsichtsrat 11%, Repräsentationsaufsichtsrat 15% und unternehmenspolitischer Aufsichtsrat 43%.
54
Von 56 Konzernobergesellschaften haben 32% einen Repräsentationsaufsichtsrat, 55% den unternehmenspolitischen Aufsichtsrat (Leitungsaufsichtsrat: 9%, Kontrollaufsichtsrat 4%).
55
42% der Konzerntöchter haben einen Leitungsaufsichtsrat, 22% den Kontrollaufsichtsrat.
106
Mitbestimmung Aufsichtsratstyp
Paritätisch
Drittelbeteiligt
Keine
Gesamt
(N = 77 = 84%)
(N = 8 = 9%)
(N = 7 = 8%)
(N = 92)
Leitungsaufsichtsrat
18
(20%)
1
( 1%)
1
20
(22%)
Kontrollaufsichtsrat
8
( 9%)
2
( 2%)
–
10
(11%)
Repräsentationsaufsichtsrat
19
(21%)
2
( 2%)
–
21
(23%)
Unternehmenspolitischer Aufsichtsrat
32
(35%)
3
( 3%)
6
41
(45%)
( 1%)
( 7%)
Tab. E.13: Aufsichtsratstyp und Unternehmensmitbestimmung
aufsichtsräten und den unternehmenspolitischen Aufsichtsräten verschiebt sich jedoch durch die Mitbestimmung das personelle Verhältnis zugunsten der Stakeholder (Arbeitnehmer und Nicht-Beteiligte). Aus Sicht des ResourceDependence-Ansatzes56, der die Einbindung erfolgskritischer Ressourcen für zwingend hält, erscheint dieser Zugewinn an Expertise durch unternehmensinterne Arbeitnehmervertreter und die Repräsentanten der Gewerkschaften vorteilhaft. Das Management kann so die Argumente der Arbeitnehmer antizipieren und dadurch den Erfolg der geplanten Unternehmensstrategie verbessern. 1.2
Die Effizienz des Entscheidungsprozesses im Aufsichtsrat
Für eine erfolgreiche Interessenvertretung und Überwachung ist ein effizient organisierter Entscheidungsprozess im Aufsichtsrat erforderlich, damit alle Aufsichtsratsmitglieder ihre Interessen, ihr Wissen und ihre Fähigkeiten in den Entscheidungsprozess einbringen können. Deshalb ist zu prüfen, inwieweit die firmenspezifischen Regelungen der strukturellen Faktoren (Größe des Aufsichtsrats, Aufsichtsratsausschüsse) und zu den Phasen des Entscheidungsprozesses die Information der Aufsichtsratsmitglieder, die intensive Beratung und die rasche Entscheidungsfindung im Aufsichtsrat fördern und fordern.57
56
Vgl. Pfeffer/Salancik (1978).
57
Zum theoretischen Konzept vgl. oben S. 81 ff. 107
1.2.1 1.2.1.1
Strukturelle Faktoren Größe des Aufsichtsrats
Bei der Größe des Aufsichtsrats ist wegen der unterschiedlichen Rechtslage zu unterscheiden zwischen Aktiengesellschaften, die dem Mitbestimmungsgesetz unterliegen, und den Gesellschaften, die nicht mitbestimmt sind, unter das Drittelbeteiligungsgesetz oder das Montanmitbestimmungsgesetz fallen.58 Größe des Aufsichtsrats
MitbestG (N = 76)
12
31
(41%)
16
21
(28%)
20
24
(32%)
Tab. E.14: Aufsichtsratsgröße – MitbestG
In den paritätisch mitbestimmten Aktiengesellschaften dominiert, wie Tabelle E.14 zeigt, der 12er Aufsichtsrat. Der mitbestimmte Aufsichtsrat besteht im Durchschnitt aus 15,6 Mitgliedern.59 Im Lichte der Diskussion zur Wirkung der Größe auf die Effizienz der Aufsichtsratsarbeit ist es interessant, dass der durchschnittliche Board in Europa 12,8 Mitglieder hat; in den USA besteht er aus 11 Personen.60 Der Vergrößerungseffekt durch die Mitbestimmung ist demnach nur gering. Berücksichtigt man die heterogenen Befunde zur Wirkung der Größe des Boards auf den Unternehmenserfolg, erscheint die Forderung nach einer allgemeinen Verkleinerung des Aufsichtsrats61 mit dem Ziel der Effizienzsteigerung überzogen. Interessant ist, dass bei 16% der Aktiengesellschaften die faktische Aufsichtsratsgröße sogar die gesetzlich gebotene überschreitet, wie eine weitere
58
Vgl. Gerum/Debus (2006), S. 8 ff.
59
Vgl. auch oben S. 91, Tabelle E.3.
60
Vgl. Heidrick & Struggles (2007), S. 13, zu den Boardgrößen in zehn europäischen Staaten sowie Korn/Ferry International (2005), S. 35, zu den Fortune 1000.
61
Vgl. statt vieler Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände/Bundesverband der Deutschen Industrie (2004), S. 21 f.
108
Analyse zur Größe des Aufsichtsrats ergab.62 Diese freiwillige Vergrößerung des Aufsichtsrats geht stets von der Anteilseignerseite aus.63 Folgt man dem Resource-Dependence-Ansatz, bietet ein größerer Aufsichtsrat die Möglichkeit, zusätzliches Wissen, Erfahrung und Kontakte von Managern und Beratern für den Aufsichtsrat zu gewinnen. Empirische Studien zum Board bestätigen, dass situative Einflussgrößen, wie die Unternehmensstrategie, für die optimale Größe des Aufsichtsorgans entscheidend sind.64 Die Effektivität des Aufsichtsrats als unternehmenspolitisches Instrument des Vorstands erfordert offenbar mehr erfolgskritische Ressourcen im Aufsichtsrat und hat Priorität vor einer vermeintlich effizienten Gruppengröße.
Größe des Aufsichtsrats
Nicht mitbestimmt (N = 7)
DrittelbG (N = 8)
MontanMitbestG (N = 1) –
3
2
(29%)
–
6
5
(71%)
4
(50%)
–
9
–
1
(13%)
–
15
–
1
(13%)
–
21
–
2
(25%)
1
(100%)
Tab. E.15: Aufsichtsratsgröße – Nicht mitbestimmte und drittelbeteiligte Gesellschaften
Der Beratungsbedarf des Managements durch den Aufsichtsrat scheint, wie Tabelle E.15 zeigt, auch bei den Unternehmen hoch zu sein, die nicht unter das Mitbestimmungsgesetz fallen. Jeder Aufsichtsrat mit mehr als drei Mitgliedern, ob nicht mitbestimmt (71%) oder drittelbeteiligt (100%), wurde freiwillig vergrößert. Bei den nicht mitbestimmten Aktiengesellschaften handelt es sich um junge Technologieunternehmen, bei denen, obwohl die Arbeitnehmerzahl
62
Die Detailanalyse ergab, dass dies bei 7 privat und 5 öffentlich beherrschten Aktiengesellschaften der Fall war. Vgl. auch Gerum/Debus (2006).
63
Dagegen Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände/Bundesverband der Deutschen Industrie (2004), S. 22, die hier von Einzelfällen sprechen.
64
Vgl. Pearce/Zahra (1992), S. 430 f., Coles/Daniel/Naveen (2008), S. 342 f. 109
unter 500 liegt, die Aufsichtsräte erstaunlich groß sind. Ähnlich verhält es sich bei drittelbeteiligten Aufsichtsräten, die aus bis zu 21 Mitgliedern bestehen. 1.2.1.2
Aufsichtsratsausschüsse
(1) Für die Analyse der Aufsichtsratsausschüsse wurden nur die freiwillig gebildeten Ausschüsse erfasst. Aufsichtsratsausschüsse existieren in allen Gesellschaften (99%). Dies stellt im Vergleich zu früheren Befunden65 eine deutliche Zunahme dar und darf als Ausdruck der Professionalisierung der Aufsichtsratsarbeit gewertet werden. In den 92 Aktiengesellschaften fanden sich 229 Aufsichtsratsausschüsse (ø: 2,5 Ausschüsse pro Aufsichtsrat) mit überwiegend 4-5 Mitgliedern (vgl. Tabelle E.16).
Regelungen
Gesamt (N = 229)
Präsidium/Präsidialausschuss
51
(22%)
Prüfungsausschuss
83
(36%)
Personalausschuss
46
(20%)
Finanz-/Investitionsausschuss
13
( 6%)
6
( 3%)
30
(13%)
Strategieausschuss sonstige
Tab. E.16: Bezeichnungen Aufsichtsratsausschüsse
Die Bezeichnung der Aufsichtsratsausschüsse informiert allerdings nur recht unvollkommen über deren konkrete Aufgabe.66 Deshalb ist es erforderlich, die Ausschüsse bezüglich ihrer Aufgaben und der Entscheidungsbefugnis der Ausschüsse zu analysieren, um die Effizienz der Aufsichtsratsarbeit einschätzen zu können. Dabei wurde das gleiche Analyseraster wie für die Analyse der unternehmenspolitische Kompetenz verwendet und die Befunde dann zu Realtypen verdichtet (vgl. Tabelle E.17). 65
Vgl. Vogel (1980), S. 186 und Gerum/Steinmann/Fees (1988), S. 101 f., wonach nur etwa 40% der Aufsichtsräte mindestens einen Ausschuss eingerichtet haben.
66
Von der Ausschussbezeichung auf die Aufgaben schließen dagegen Zugehör (2003), S. 124, Korn/Ferry International (2006), S. 12, Fischer/Beckmann (2007), S. 64 ff. und Jürgens/Lippert/Gaeth (2008), S. 86 f.
110
111
60% 10%
- Verbundene Unternehmen
- Unternehmensnetzwerke
20%
- Bilanzprüfung
Tab. E.17: Realtypen der Aufsichtsratsausschüsse
10%
0%
- Rechtsangelegenheiten
- Organkredite
0% 10%
- Personalangelegenheiten
90%
- Vorstandsangelegenheiten
90%
- Sachanlagen
- Finanzangelegenheiten
(3) Funktionale Politiken
10%
100%
- Patente/Lizenzen
- Beteiligungen
- Unternehmensteile
70%
90%
100%
0%
100%
0%
0%
0%
0%
0%
0%
0%
80%
- Planungsangelegenheiten 50%
0%
30%
(2) Strategische Maßnahmen
0%
40% 0%
Entscheidung
- Produkt-Markt-Konzept
Beratung
- Organisationsstruktur
(1) Strategische Planung
Regelungen
Cluster I Beratungstyp (N = 10 = 11%)
13%
0%
0%
13%
0%
0%
13%
0%
13%
0%
0%
0%
50%
13%
50%
Beratung
88%
100%
100%
38%
100%
100%
75%
0%
50%
0%
100%
88%
25%
63%
13%
Entscheidung
Cluster II Entscheidungstyp (N = 8 = 9%)
23%
0%
0%
5%
0%
13%
13%
0%
8%
3%
15%
10%
31%
3%
13%
Beratung
74%
100%
100%
23%
100%
33%
10%
0%
10%
0%
3%
0%
13%
3%
0%
Entscheidung
Cluster III Standardtyp (N = 39 = 42%)
6%
3%
0%
11%
0%
9%
3%
0%
0%
0%
6%
3%
11%
0%
14%
Beratung
80%
9%
9%
6%
63%
14%
0%
0%
6%
0%
9%
6%
3%
3%
3%
Entscheidung
Cluster IV Legitimationstyp (N = 35 = 38%)
In Cluster I, dem Beratungstyp (11%), werden die Vorteile von Ausschüssen für die Aufsichtsratsarbeit in allen unternehmenspolitischen Entscheidungsfeldern durchgängig intensiv genutzt. Die Ausschüsse bereiten die Entscheidungen zur strategischen Planung und zu den strategischen Maßnahmen vor und das Aufsichtsratsplenum beschließt dann. Bei den funktionalen Politiken wird wegen des Routinecharakters, und der daraus resultierenden Möglichkeit zur Standardisierung und Programmierung, den Ausschüssen überwiegend auch die Entscheidungsbefugnis eingeräumt. Die Einrichtung dieses Ausschusstyps mit der gezeigten Aufgabenverteilung ist insbesondere für größere Aufsichtsräte effizient. Hier kann die Entscheidungsvorbereitung durch den Ausschuss eine bessere Information des Aufsichtsrats bewirken, die intensive Beratung fördern und die Entscheidungsfindung beschleunigen. Beim Entscheidungstyp in Cluster II (9%) wurde in jeder zweiten Gesellschaft die Entscheidung über die strategische Planung an Ausschüsse delegiert. Bei den strategischen Maßnahmen und den funktionalen Angelegenheiten sind die Entscheidungen sogar in drei Viertel der Gesellschaften Aufgabe von Ausschüssen. Im Ausschuss ist dann zwar ein intensiverer Meinungsaustausch zu diesen Sachverhalten möglich und die Entscheidungsfindung kann zügig erfolgen. Das Aufsichtsratsplenum jedoch wird informationell benachteiligt. Bei diesem Ausschusstyp muss man im Ergebnis eine Aushöhlung der Kompetenzen des Gesamtaufsichtsrats feststellen. Bei 42% der Unternehmen (Cluster III) beschäftigen sich die Aufsichtsratsausschüsse fast ausschließlich mit wiederkehrenden funktionalen Angelegenheiten, insbesondere den Anstellungsverträgen der Vorstände, Entscheidungen über die Kreditgewährung an Mitglieder des Aufsichtsrats und des Vorstands sowie Verträge mit Aufsichtsratsmitgliedern. Konsequenterweise ist dieser Standardtyp bei den Angelegenheiten dann auch entscheidungsbefugt. Durch die intensive Beratung und die Möglichkeit, gegebenenfalls die Prozesse im Aufsichtsrat zu beschleunigen, wird die Effizienz des Aufsichtsrats gesteigert. In Cluster IV (38%) sind die Vorstands- und Prüfungsangelegenheiten Gegenstand der Ausschussarbeit. Diese Ausschüsse sind im Regelfall auch entscheidungsbefugt. In beiden Fällen will der Aufsichtsrat lediglich den 112
Anforderungen des DCGK genügen (Ziffer 5.3.2 S. 1 und 5.3.3). Man kann hier von einem Legitimationstyp sprechen, da sich die Einrichtung der Ausschüsse eher legitimatorischen Zwecken verdankt als endogenem Effizienzstreben.67 (2) Die Ausschussbildung trägt jedoch nicht zur Effizienzsteigerung bei, wenn die Arbeitnehmervertreter von der Ausschussarbeit ausgeschlossen werden, um eine Machtverschiebung im Aufsichtsrat zugunsten der Kapitaleigner zu erreichen.68 Aus den Angaben zur Zusammensetzung der Aufsichtsratsausschüsse im Geschäftsbericht konnte dies überprüft werden. In 65% der paritätisch mitbestimmten Gesellschaften und in 57% der drittelbeteiligten Aufsichtsräte sind die Ausschüsse analog zum Plenum besetzt.69 Ansonsten verfügen die Anteilseigner über die Mehrheit in den Aufsichtsratsausschüssen. Die Detailanalyse ergab, dass in vier Fällen (4%) entscheidungsvorbereitende Ausschüsse des Beratungstyps und in sechs Firmen (7%) Ausschüsse des Beratungs-, Entscheidungs- oder Standardtyps existieren, die ausschließlich mit Kapitaleignervertretern besetzt wurden. Es liegt die Vermutung nahe, dass hierfür nicht sachliche Gründe verantwortlich sind, sondern der Machtkonzentration zugunsten der Anteilseigner eine höhere Bedeutung beigemessen wird als einem effizienten Entscheidungsprozess. Solche Befunde sind als effizienzmindernd zu berücksichtigen. 1.2.2 1.2.2.1
Phasen des Entscheidungsprozesses Vorbereitungsphase
In der Vorbereitungsphase geht es darum, den Aufsichtsrat informationell in die Lage zu versetzen, qualitativ gute Entscheidungen zu treffen. Wie Tabelle E.18 zeigt, ist in 30% der Aufsichtsräte ein Aufsichtsratsausschuss mit der Sitzungsvorbereitung betraut.70
67
Vgl. dazu näher Böcking/Dutzi/Müßig (2004), S. 428 f.
68
Vgl. statt vieler Köstler/Zachert/Müller (2006), S. 177 f.
69
Ähnlich Jürgens/Lippert/Gaeth (2008), S. 92, wonach zwei Drittel der Arbeitnehmervertreter die Ausschussbildung nicht als hinderlich für die Mitbestimmung empfindet.
70
Die 9 Fälle (10%) aus, in denen Sitzungsvorbereitung alleine durch den Aufsichtsratsvorsitzenden erfolgt, wirken sich negativ auf die Effizienz des Entscheidungsprozesses aus. 113
Regelungen
Gesamt (N = 92)
Sitzungsvorbereitung - Aufsichtsratsvorsitzender
9
(10%)
- Aufsichtsratsausschuss
28
(30%)
- keine Regelung
55
(60%)
4
( 4%)
- Vorsitzender incl. Vorschläge
28
(30%)
- keine Regelung
60
(65%)
Erstellung der Tagesordnung - Aufsichtsratsvorsitzender
Angaben zu Tagesordnungspunkten - vollständige Angaben
84
(91%)
- im Ermessen des Vorsitzenden
1
( 1%)
- keine Regelung
7
( 8%)
37
(40%)
4
( 4%)
51
(55%)
- keine Regelung (Gesetz)
47
(51%)
- Gesamtaufsichtsrat
36
(39%)
9
(10%)
- weniger als 2 Wochen
11
(12%)
- mind. 2 Wochen
76
(83%)
- keine Regelung
5
( 5%)
Sitzungsunterlagen - Zusendung mit Tagesordnung - werden später zugesandt - keine Regelung Berichtspflicht des Vorstands präzisiert
- gesonderte Berichtspflicht alleine ggü. Aufsichtsratsvorsitzendem Einladungsfrist
Tab. E.18: Vorbereitung der Aufsichtsratssitzung
Auch bei der Erstellung der Tagesordnung ist der Aufsichtsratsvorsitzende nicht frei, sondern hat in fast einem Drittel der Gesellschaften explizit die Vorschläge anderer Aufsichtsratsmitglieder zu berücksichtigen.71 Solche Rege-
Unabhängig davon verbleibt die Kompetenz zur Einberufung der Sitzung beim Aufsichtsratsvorsitzenden, die im Verhinderungsfall der Stellvertreter übernimmt. 71
Die Detailanalyse ergab, dass hierbei eine vollständige Tagesordnung postuliert wird.
114
lungen begünstigen die Informationseffizienz, da einer selektiven Problemwahrnehmung vorgebeugt wird. Negativ ist, wenn der Aufsichtsratsvorsitzende alleine über die Erstellung der Tagesordnung entscheidet (4%). Dies eröffnet die Möglichkeit, den Entscheidungsprozess durch Agenda Setting72 zu beeinflussen. Nur in 40% der Aufsichtsräte ist sichergestellt, dass die Sitzungsunterlagen bereits mit der Tagesordnung zugesendet werden.73 Die Informationsversorgung des Aufsichtsrats durch den Vorstand ist mehrheitlich (51%) auf das gesetzliche Mindestmaß beschränkt.74 Dieses Defizit ist nicht kompensierbar, da die Berichte des Vorstands anderen Möglichkeiten der Informationsbeschaffung deutlich überlegen sind.75 In 10% der Aufsichtsräte existiert eine gesonderte Berichtspflicht nur gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden, von der primär die Kapitaleigner profitieren. Die Einladung hat in der Regel mindestens zwei Wochen vor der Sitzung zu erfolgen. Kürzere Einladungsfristen dienen zwar der Flexibilität, aber nicht unbedingt einer soliden Vorbereitung durch die Aufsichtsratsmitglieder.76 Bei der Sitzungshäufigkeit belässt man es bei der gesetzlichen Vorgabe von zwei Sitzungen pro Halbjahr. 1.2.2.2
Beschlussphase
Da die gesetzlichen Vorgaben zur Beschlussphase im Aufsichtsrat nur rudimentär sind, kann die Interaktion zwischen den Aufsichtsratsmitgliedern und die Dauer der Entscheidungsfindung privatautonom effizient gestaltet werden.
72
Vgl. Mueller (1977), S. 46 sowie Cobb/Ross/Ross (1976).
73
Ebenso Fischer/Beckmann (2007), S. 76 f., Jürgens/Lippert/Gaeth (2008), S. 64 f. und Probst/Theisen (2008), S. 67.
74
Die gefundenen Präzisierungen verfehlen zudem die zentrale Aufgabe des Aufsichtsrats, die begleitende Überwachung der strategischen Planung durch strategische Kontrolle. Vgl. im Einzelnen Gerum (2007), S. 282 f. Ähnlich auch Fischer/Beckmann (2007), S. 82 f.
75
Zur Bedeutung anderer Informationsquellen vgl. Ruhwedel/Epstein (2003), S. 163 f., Böcking/Dutzi/Fey/Leven (2005), S. 25 f., Grothe (2006), S. 281 ff., Fischer/Beckmann (2007), S. 45 f. und Probst/Theisen (2008), S. 67.
76
So auch zum Board Kiel/Nicholson (2003a), S. 158 ff., Dalton/Dalton (2005), S. S95. 115
(1) Wie Tabelle E.19 zeigt, ist den Vorstandsmitgliedern in mehr als zwei Drittel ein automatisches Anwesenheitsrecht bei Sitzungen des Aufsichtsrats eingeräumt. Dieser Befund ist im Hinblick auf die Effizienz des Aufsichtsrats zwiespältig: Einerseits ist die Teilnahme von Mitgliedern der Unternehmensleitung für die Meinungsbildung im Aufsichtsrat vorteilhaft. Andererseits erschwert dieses Anwesenheitsrecht die (unbeeinflusste) Meinungsbildung des Aufsichtsrats, insbesondere wenn es um die Leistung des Vorstands geht. Diese Verquickung von Überwachung und Geschäftsführung schwächt die Position des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand.77
Regelungen
Gesamt (N = 92)
Vorstandsmitglieder - automatisches Anwesenheitsrecht/ Aufsichtsratsvorsitzender entscheidet
66
(72%)
- sonstige Regelung
26
(28%)
- Aufsichtsratsvorsitzender entscheidet
23
(25%)
- sonstige Regelung
69
(75%)
Sachverständige
Tab. E.19: Teilnehmer der Aufsichtsratssitzung
Die problemorientierte, fallweise Teilnahme von Sachverständigen ist geeignet, die unabhängige Urteilsbildung zu fördern. Bedenklich ist jedoch, wenn darüber der Aufsichtsratsvorsitzende alleine entscheiden soll (25%). Im Ergebnis ist die Chance für eine effiziente Interaktion und unabhängige Meinungsbildung in fast drei Viertel der Aufsichtsräte (73%) gemindert. (2) Für die Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats bekräftigt die Satzung, wie Tabelle E.20 zeigt, den gesetzlichen Regelfall. Auffällig ist, dass teilweise ein höheres Teilnahmekriterium formuliert wurde (8%). Dies fördert die Interaktion bei der Entscheidungsfindung, kann in zeitlicher Hinsicht jedoch die
77
Vgl Gerum (2007), S. 306, der vorschlägt, die Anregung des DCGK, bei Bedarf ohne den Vorstand zu tagen (Ziffer 3.6 S. 2), in eine Empfehlung umzuwandeln.
116
Entscheidungsfähigkeit des Aufsichtsrats beeinträchtigen.78 Für die Zeiteffizienz ist es positiv zu werten, dass man es in 83% beim gesetzlichen Regelfall belässt. In 9 paritätisch mitbestimmten oder drittelbeteiligten Aufsichtsräten ist durch die postulierte Teilnahme des Aufsichtsratsvorsitzenden der Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt und die Beschlussfähigkeit zugunsten der Kapitaleigner verschärft worden.
Regelungen
Gesamt (N = 92)
Beschlussfähigkeit - mehr als die Hälfte
7
( 8%)
- mindestens Hälfte incl. Vors./Stellv.
9
(10%)
76
(83%)
- explizit ja [Stimmengleichheit; nichtparitätische Besetzung; Abwesenheit Vorsitzender]
28
(30%)
- keine Regelung
64
(70%)
- mindestens Hälfte Vertagungsgründe
Tab. E.20: Beschlussmodalitäten im Aufsichtsrat
Etwa ein Drittel der Aufsichtsräte hat explizit Vertagungsgründe in verschiedenen Varianten geregelt, die es ermöglichen, die Beschlussfassung zu verzögern. Diese Bestimmungen finden sich fast ausschließlich beim paritätischen mitbestimmten Aufsichtsrat. Unzulässig ist es, wenn die Vertagung an die Anwesenheit des Aufsichtsratsvorsitzenden79 geknüpft wird. Hierdurch kann die Anteilseignerseite, gegebenenfalls durch Wiederholung, eine ungelegene Beschlussfassung nach Belieben hinauszögern. (3) Die Interaktionseffizienz und die Zeiteffizienz werden nur in wenigen Fällen durch firmenspezifische Regelungen zur Abstimmung im Aufsichtsrat begünstigt (vgl. Tabelle E.21). Lediglich in 36% der Gesellschaften ist bei Ab-
78
Vgl. Gerum (2007), S. 308 f.
79
Wie die Detailanalyse ergab, ist dies in 6 Aufsichtsräten der Fall. 117
Regelungen
Gesamt (N = 92)
Gemischte Beschlussfassung - explizit ja
33
(36%)
- keine Regelung
59
(64%)
- ohne Widerspruchsrecht möglich
24
(26%)
- sonstige Regelung
68
(74%)
- explizit keine 2. Abstimmung
11
(12%)
- sofort
10
(11%)
- später
8
( 9%)
- Aufsichtsratsvorsitzender bestimmt
16
(17%)
- keine Regelung
47
(51%)
- explizit ja
11
(12%)
- explizit nein
21
(23%)
- keine Regelung
60
(65%)
Außerordentliche Beschlussfassung
Verfahren bei Stimmengleichheit
Erneute Erörterung bei Patt
Tab. E.21: Abstimmung im Aufsichtsrat
wesenheit Einzelner eine gemischte Beschlussfassung möglich, die eine möglichst breite Teilnahme der Mitglieder an den Entscheidungen des Aufsichtsrats sichert. In 26% der Aufsichtsräte kann eine rasche Beschlussfassung ohne Sitzung durch Beschluss im Umlaufverfahren herbeigeführt werden.80 Für die effiziente Entscheidungsfindung und die Machtverteilung im Aufsichtsrat ist insbesondere von Interesse, wie bei Stimmengleichheit verfahren werden soll. In immerhin 12% der Fälle ist eine zweite Abstimmung ausgeschlossen, so dass der Antrag abgelehnt ist. Im Ergebnis ist, wenn man zusätzlich berücksichtigt, dass entweder sofort oder später in der Sitzung neu abgestimmt werden muss, in 26% der Fälle eine finale Entscheidung in der gleichen Sitzung sichergestellt. Kommt es zur zweiten Abstimmung, dann entscheidet
80
Bei den Mehrheitserfordernissen genügt stets die einfache Mehrheit. Vgl. auch Gerum (2007), S. 313.
118
in den paritätisch mitbestimmten Aufsichtsräten der Vorsitzende. In den nicht mitbestimmten und drittelbeteiligten ist der Aufsichtsratsvorsitzende ist dies in 90% der Fall. Für die Qualität der Aufsichtsratsentscheidungen ist positiv zu werten, wenn bei Patt vor der zweiten Abstimmung eine nochmalige Erörterung postuliert wird (12%). Negativ wirken entsprechende Verbote (23%). 1.2.2.3
Durchführungs- und Kontrollphase
Die Mitglieder des Aufsichtsrats sind verpflichtet, über vertrauliche Berichte der Gesellschaft und über vertrauliche Beratungen Stillschweigen zu bewahren (§§ 93, 116 AktG). In jedem vierten Aufsichtsrat (24%) wurde die Pflicht zur Verschwiegenheit inhaltlich konkretisiert.81 Diese Verschärfung der Verschwiegenheitspflicht erschwert die Kommunikation der Aufsichtsratsmitglieder mit ihren Wählern. Solche Einschränkungen tangieren insbesondere die Position der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, da sie in besonderem Maße auf die Rückkopplung zur Belegschaft angewiesen sind.82 1.2.3
Indikatoren für die Effizienz des Entscheidungsprozesses
(1) Um die Effizienz der firmenspezifischen Regelungen zum Entscheidungsprozess im Aufsichtsrat zu beurteilen, ist eine Aggregation der Befunde zu Indikatoren erforderlich.83 Hierzu wird unterschieden zwischen Regelungen, die sich positiv oder negativ auf die Informationseffizienz, die Interaktionseffizienz und die Zeiteffizienz des Aufsichtsrats auswirken (vgl. Tabelle E.22). Die Indikatoren werden als gleichgewichtig angesehen und können deshalb pro Unternehmen addiert werden. Eine 100%-ige Ausschöpfung der Effizienzindikatoren ist aus theoretischen Gründen ausgeschlossen. Eine ausgeprägte Interaktion geht zu Lasten einer hohen Zeiteffizienz bei der Willensbildung im Aufsichtsrat et vice versa.
81
Die Konkretisierung bezieht sich auf Abstimmungsergebnisse, Stellungnahmen und den Sitzungsverlauf.
82
Vgl. Köstler/Zachert/Müller (2006), S. 264. Dagegen mit dem Argument, gleiche Rechte, gleiche Pflichten für Aufsichtsräte, statt vieler Lutter (2006), S. 217.
83
Vgl. Gerum (2007), S. 321 f. und 326 f. zu den hier verwendeten Effizienz- und Diskriminierungsindikatoren. Zur theoretischen Begründung des Konzepts vgl. oben S. 81 ff. 119
Informationseffizienz
Interaktionseffizienz
Zeiteffizienz
Effizienzsteigernd:
Effizienzsteigernd:
Effizienzsteigernd:
- Berichtspflicht des Vorstands präzisiert
- Sitzungshäufigkeit mehr als - Sitzungshäufigkeit mehr als 4mal pro Jahr 4mal pro Jahr
- Einladung erfolgt rechtzeitig (mind. 2 Wochen)
- Ausschüsse zur intensiven - Ausschüsse zur intensiven Beratung und Entscheidung Beratung und Entscheidung - Beschlussfähigkeit mehr als die Hälfte
- Beschlussfähigkeit die Hälfte genügt
- gemischte Beschlussfassung möglich
- gemischte Beschlussfassung möglich
- bei Patt erneute Erörterung vor zweiter Abstimmung
- Sitzungsvorbereitung durch Aufsichtsratsausschuss
- außerordentliche Beschlussfassung im Umlaufverfahren ohne Widerspruchsrecht
- entscheidungsvorbereitende Ausschüsse zu strat. Planung und Maßnahmen
- bei Pattsituation 2. Stimme Aufsichtsratsvorsitzender in gleicher Sitzung
- Tagesordnung vollständig incl. Vorschläge aller Aufsichtsratsmitglieder - Tagesordnung mit Sitzungsunterlagen
Effizienzmindernd:
Effizienzmindernd:
- Berichtspflicht nur an Aufsichtsratsvorsitzenden präzisiert
- Ausschüsse zur intensiven - Beschlussfähigkeit Beratung und Entscheidung zugunsten Kapitaleigner nur mit Kapitaleignern verschärft
- Sitzungsvorbereitung durch - Anwesenheit Vorstand Aufsichtsratsvorsitzenden automatisch/Aufsichtsratsvorsitzender entscheidet - Aufsichtsratsvorsitzender entscheidet alleine über Einladungsfrist
- Beschlussfähigkeit zugunsten Kapitaleigner - Tagesordnung im Ermessen verschärft des Aufsichtsratsvor- bei Patt erneute Erörterung sitzenden explizit ausgeschlossen - entscheidungsvorbereitende - Verschwiegenheitspflicht Ausschüsse ausschließlich explizit verschärft mit Kapitaleignern Tab. E.22: Die Effizienzindikatoren im Überblick
120
Effizienzmindernd:
- Sitzung bei Abwesenheit des Aufsichtsratsvorsitzenden, nichtparitätischer Besetzung oder Stimmengleichheit zu vertagen
(2) Analysiert man die Befunde zu den Effizienzindikatoren zum Entscheidungsprozess im Aufsichtsrat, dann wird schnell deutlich, dass hier große Defizite bestehen (vgl. Tabelle E.23). So beträgt die Ausschöpfungsrate84 bei der unternehmensspezifischen Ausgestaltung für die Informationseffizienz nur 34%. Der Befund deutet darauf hin, dass in der Praxis die Informationsversorgung des Aufsichtsrats kaum über das gesetzliche Mindestmaß hinausgeht. Die Interaktionseffizienz ist wegen des größeren Anteils effizienzmindernder Bestimmungen sogar negativ (-3%). Es existieren nur wenige positive formale Regelungen, die eine unabhängige Meinungsbildung des Aufsichtsrats fördern könnten. Eine produktive Diskussionskultur, die zu qualitativ besseren Entscheidungen85 führt, kann sich so erst gar nicht entfalten. Auf die Zeiteffizienz scheint man, was die Anzahl effizienzsteigernder Regelungen angeht, mehr Wert zu legen als auf die Interaktion, da hier die Ausschöpfungsrate 32% beträgt. (3) Zur Überprüfung, ob sich in den unternehmensspezifischen Regelungen zum Entscheidungsprozess eine Rationalität verbirgt, wurde eine Faktorenanalyse durchgeführt. Die drei Effizienzindikatoren laden zwar gleichgerichtet auf einen gemeinsamen Faktor.86 Die Regelungen sind dennoch widersprüchlich, da nicht die Informationseffizienz, sondern die Interaktionseffizienz und die Zeiteffizienz die höchste Bedeutung haben. Mit anderen Worten: Wenn organisatorisch sichergestellt ist, dass der Aufsichtsrat durch intensive Beratung zu einem sachlich fundierten Urteil kommen und die Willensbildung rasch erfolgen kann, geschieht dies typischerweise bei unzureichender Information.
84
Um die Ausschöpfungsrate je Effizienzpotenzial zu ermitteln, wurde der Saldo aus den firmenspezifisch effizienzsteigernden und effizienzmindernden Regelungen berechnet und ins Verhältnis zur maximal möglichen positiven Ausprägung gesetzt (Informationseffizienz sechs, Interaktionseffizienz fünf, Zeiteffizienz sechs)
85
Vgl. Jürgens/Lippert/Gaeth (2008), S. 142 f. mit empirischen Belegen.
86
Dies zeigt die exploratorische Faktorenanalyse (Extraktionsmethode: Hauptkomponentenanalyse). Auf den Faktor laden die Interaktionseffizienz mit 0,72 und die Zeiteffizienz mit 0,82. Der Einfluss der Informationseffizienz ist mit 0,45 jedoch nur gering. Insgesamt erklärt der Faktor 46,8% der Varianz in den drei Ausgangsvariablen. 121
Regelungen
Gesamt (N = 92)
Informationseffizienz (steigernd) - 0
7
( 8%)
- 1
15
(16%)
- 2
28
(30%)
- 3
26
(28%)
- 4
16
(17%)
- 0
70
(76%)
- 1
22
(24%)
Informationseffizienz (mindernd)
Saldo: Ausschöpfungsrate [Durchschnitt]*
34%
Interaktionseffizienz (steigernd) - 0
18
(20%)
- 1
42
(46%)
- 2
32
(35%)
- 0
12
(13%)
- 1
46
(50%)
- 2
24
(26%)
- 3
10
(11%)
Interaktionseffizienz (mindernd)
Saldo: Ausschöpfungsrate [Durchschnitt]*
-3%
Zeiteffizienz (steigernd) - 0
2
( 2%)
- 1
19
(21%)
- 2
31
(34%)
- 3
27
(29%)
- 4
13
(14%)
- 0
54
(59%)
- 1
38
(41%)
Zeiteffizienz (mindernd)
Saldo: Ausschöpfungsrate [Durchschnitt]* *
32%
Gemessen am Anteil der möglichen positiven Ausprägungen
Tab. E.23: Effizienzpotenzial des Entscheidungsprozesses
122
1.3
Das Effektivitäts- und Effizienzpotenzial des Aufsichtsrats
Das Potenzial des Aufsichtsrats für eine erfolgreiche Interessenvertretung und Überwachung der Geschäftsführung ergibt sich aus der Verknüpfung von Aufsichtsratstyp und Organisation des Entscheidungsprozesses. Ein Aufsichtsrat, der mit qualifizierten Personen besetzt ist und über eine hohe unternehmenspolitische Kompetenz verfügt, muss auch effizient organisiert sein, damit qualitativ gute Entscheidungen zustande kommen. Um ein differenziertes Gesamtbild des Effektivitäts- und Effizienzpotenzials des Aufsichtsrats zu erhalten, wird je Aufsichtsratstyp die durchschnittliche Ausschöpfung der Informations-, Interaktions- und Zeiteffizienz aufgeschlüsselt. Bei einer Kennzahl von 1,0 sind die Effizienzpotenziale am höchsten (vgl. Tabelle E.24). Aufsichtsratstyp Effizienz Entscheidungsprozess
Leitungsaufsichtsrat
Kontrollaufsichtsrat
Repräsentationsaufsichtsrat
Unternehmenspolitischer Aufsichtsrat
(N = 20 = 22%) (N = 10 = 11%) (N = 21 = 23%) (N = 41 = 45%)
Informationseffizienz
0,37
0,38
0,37
0,31
Interaktionseffizienz
-0,09
0,00
0,03
-0,05
0,27
0,30
0,40
0,31
Zeiteffizienz
Tab. E.24: Einflusspotenzial des Aufsichtsrats
Wie Tabelle E.24 zeigt, bestehen zwischen den Aufsichtsratstypen nur geringe Unterschiede bei der Ausschöpfung der Effizienz des Entscheidungsprozesses. Im Leitungs-, Kontroll- und Repräsentationsaufsichtsrat ist überraschenderweise die Informationseffizienz etwas höher ausgeprägt als beim unternehmenspolitischen Aufsichtsrat. Die Interaktionseffizienz liegt bei allen Aufsichtsratstypen auf einem gleich niedrigen Niveau. Der zügigen Entscheidungsfindung wird offenbar mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Die Unterschiede zwischen den Aufsichtsratstypen sind jedoch für kein Effizienzpotenz-
123
ial signifikant.87 Ob der Aufsichtsrat effektiv und effizient arbeitet, scheint statistisch betrachtet Zufall. 1.4
Zwischenergebnis
Die Überwachung des Vorstands durch den Aufsichtsrat in deutschen Aktiengesellschaften weist erhebliche Mängel auf. Dies liegt weniger an der unternehmenspolitischen Kompetenz des Aufsichtsrats, die nach der Novellierung von § 111 Abs. 4 S. 2 AktG erheblich gestärkt wurde. Vielmehr fehlt es, wie im Einzelnen dargestellt und erörtert, regelmäßig an der Ausschöpfung der Informations-, Interaktions- und Zeiteffizienz. Die formalen Regelungen zum Entscheidungsprozess im Aufsichtsrat stellen ganz überwiegend keine hinreichende Informationsversorgung sicher. Wegen dieser mangelhaften Information wird man kaum erwarten können, dass gute, für die Ziele des Unternehmens und der Stakeholder erfolgsträchtige Entscheidungen zustande kommen. Hier könnte eine Informationsordnung Abhilfe schaffen. Weiter fehlt es an Regelungen, die eine intensive Beratung im Aufsichtsrat stimulieren.
Die
vorgefundenen
Regelungen
fördern
gruppenspezifische
Disparitäten, die letztlich immer den Einfluss der Kapitaleignerseite sichern. Eine produktive Diskussionskultur kann zwar nicht per Geschäftsordnung angeordnet werden. Sofern die negativen Regelungen überwiegen, werden die Aufsichtsratsmitglieder jedoch kaum motiviert, ihr Wissen und ihre Fähigkeiten in den Entscheidungsprozess einzubringen. Die deskriptive Analyse lässt allerdings offen, unter welchen Bedingungen die firmenspezifischen Regelungen zum Aufsichtsrat erfolgssteigernd wirken. Dies zu untersuchen, ist Ziel der folgenden statistischen Analyse.88
87
Dies zeigte eine einfaktorielle Varianzanalyse für die Informationseffizienz (F-Wert [df]: 0,54 [3] n.s.), die Interaktionseffizienz (F-Wert [df]: 1,28 [3] n.s.) und die Zeiteffizienz (FWert [df]: 1,98 [3] n.s.).
88
Dagegen Jürgens/Lippert/Gaeth (2008), S. 131, die einen solchen Nachweis für unmöglich halten.
124
2.
Statistische Analyse
2.1
Die Effektivität des Aufsichtsrats: Das Grundmodell
2.1.1
Die Wahl des Aufsichtsratstyps
(1) Um die Effektivität des Aufsichtsrats beurteilen zu können, ist es aus theoretischer Sicht erforderlich, die zentralen Einflussgrößen für die Wahl des Aufsichtsratstyps zu eruieren. Aus der Literatur ist bekannt, dass die Anteilseigner sich, wenn ihr Wissen über Märkte und Technologien wegen einer strategischen Neuausrichtung veraltet, auf die ex-post-Kontrolle des Vorstands beschränken und freiwillig Aufsichtsratssitze an Personen ohne Kapitalbeteiligung abgeben. Diese Personen verfügen über Kontakte zu erfolgskritischen Ressourcen und haben den Sachverstand für eine effektive Überwachung des Managements.89 Deshalb erscheint es plausibel anzunehmen, wie in These 1 postuliert90, dass Unternehmensstrategie und Fremdkapitalbedarf, als Indikatoren für die Umweltkomplexität91, die Wahl des Aufsichtsratstyps beeinflussen. Erfolgt dies in der Praxis systematisch, so wäre dieser empirische Befund bereits ein impliziter Beleg für die Effektivität des Aufsichtsrats. Um die These zu überprüfen, wurde eine multinominale logistische Regression92 berechnet (vgl. Tabelle E.25). Das Ergebnis der Regression93 zeigt, dass die Unternehmensstrategie die Wahl des Aufsichtsratstyps am stärksten beeinflusst. Vergleicht man die standar-
89
Vgl. Gerum (1995), S. 366 f.; ebenso Carpenter/Westphal (2001), S. 649 ff., Boone/Field/ Karpoff/Raheja (2007), S.80 ff. und Coles/Daniel/Naveen (2008), S. 344 zum Board.
90
Vgl. oben S. 85.
91
Vgl. oben S. 95 zur Bildung der beiden Indikatoren aus den ökonomischen Strukturdaten zur Produktdiversifikation, geografischen Diversifikation, Unternehmensgröße und dem Fremdkapitalanteil.
92
Vgl. zum Verfahren statt vieler Muche/Ring/Ziegler (2005).
93
Das Regressionsmodell ist signifikant (ǘ²-Wert [df] = 48,40** [30]). Das Bestimmtheitsmaß nach Nagelkerke beträgt R2 = 0,44. Um den Einfluss der Branchenzugehörigkeit bei der Wahl des Aufsichtsratstyps zu eliminieren, wurde die Regression für die Branche kontrolliert. Aus Darstellungsgründen werden diese Ergebnisse jedoch nicht referiert. Zu 125
Umweltkomplexität
Aufsichtsratstyp
Unternehmensstrategie exp (ȕ*std)
Fremdkapitalbedarf exp (ȕ*std)
LA : KA
1,04-1
KA : RA
3,60
-1
1,14-1
LA : RA
3,75-1
1,05-1
RA : UA
1,54
1,18
KA : UA
2,34-1
1,03
LA : UA
-1
1,12
2,43
1,09
LA = Leitungsaufsichtsrat, KA = Kontrollaufsichtsrat, RA = Repräsentationsaufsichtsrat, UA = Unternehmenspolitischer Aufsichtsrat
Tab. E.25: Multinominale logistische Regression zur Wahl des Aufsichtsratstyps
disierten Koeffizienten der Wahrscheinlichkeitsbeziehungen zwischen den Aufsichtsratstypen, so erlangt die Unternehmensstrategie in der Beziehung Leitungsaufsichtsrat zu Repräsentationsaufsichtsrat das größte Gewicht (3,75-1). Dies bedeutet, da ein positives Vorzeichen den Zähler und ein negatives den Nenner begünstigt: bei zunehmender Produktdiversifikation, wachsender geographischer Diversifikation und bei großen Unternehmen ist die Wahrscheinlichkeit 3,75mal größer, dass ein Repräsentationsaufsichtsrat statt eines Leitungsaufsichtsrats eingerichtet wurde. Analysiert man die Wahrscheinlichkeitsbeziehungen zwischen den anderen Aufsichtsratstypen, so zeigt sich, dass die Unternehmensstrategie systematisch die Wahl der umweltorientierten Aufsichtsratstypen, Repräsentationsaufsichtsrat und unternehmenspolitischer Aufsichtsrat, begünstigt. Die einzige Ausnahme bildet die Relation Repräsentationsaufsichtsrat zu unternehmenspolitischem Aufsichtsrat. Hier begünstigt – erwartungswidrig – die Unternehmensstrategie den Repräsentationsaufsichtsrat (1,54) und nicht den unternehmenspolitischen Aufsichtsrat. Zur Erklärung dieses Befunds
dieser Vorgehensweise vgl. auch Beiner/Drobetz/Schmid/Zimmermann (2004), S. 347 und 349, Markarian/Parbonetti (2007), S. 1235, Coles/Daniel/Naveen (2008), S. 339. 126
wurde eine weitere Detailanalyse durchgeführt. Sie ergab, dass Gesellschaften mit einem unternehmenspolitischen Aufsichtsrat im Durchschnitt kleiner sind als die mit einem Repräsentationsaufsichtsrat.94 Offenbar kompensieren kleinere, junge und gering diversifizierte Technologieunternehmen95 Umweltunsicherheit bereits früher dadurch, dass der Vorstand Experten in den Aufsichtsrat kooptiert, um die Strategie des Unternehmens abzusichern.96 Der Fremdkapitalbedarf dagegen hat nur geringen Einfluss auf die Wahl des Aufsichtsratstyps. Den höchsten Wert erreicht er in der Beziehung Repräsentations- zu unternehmenspolitischem Aufsichtsrat (1,18). Bei zunehmendem Verschuldungsgrad ist die Wahrscheinlichkeit nur 1,18mal größer, dass anstelle des unternehmenspolitischen Aufsichtsrats ein Repräsentationsaufsichtsrat eingerichtet wird. Wegen des niedrigen Absolutwerts, auch in den Wahrscheinlichkeitsbeziehungen der anderen Aufsichtsratstypen, muss man im Ergebnis feststellen, dass der Fremdkapitalbedarf keine Bedeutung für die Wahl des Aufsichtsratstyps hat. Die Ergebnisse der multinominalen logistischen Regression lassen sich für die Erklärung des Wandels von Aufsichtsräten nutzen. Als Triebkraft dieses Wandels gilt die Unternehmensstrategie.97 Nimmt man an, dass die untersuchten Gesellschaften sich in unterschiedlichen Positionen des Entwicklungspfads befinden, dann sollte die Unternehmensstrategie den Wandel vom Leitungsaufsichtsrat über den Kontroll- und Repräsentationsaufsichtsrat hin zum unternehmenspolitischen Aufsichtsrat bestimmen. Wie Abbildung E.1 zeigt, begünstigt die Unternehmensstrategie als wichtigste Einflussgröße regelmäßig den vom Leitungsaufsichtsrat als Ausgangspunkt des organisatorischen Wandels weiter entfernten Aufsichtsratstyp. Die einzige Ausnahme ist die Entwicklung vom Repräsentationsaufsichtsrat zum unternehmenspolitischen Aufsichtsrat. In der Tendenz ergeben die Werte ein transi-
94
Dies bestätigt die Varianzanalyse zur Unternehmensgröße (F-Wert [df]: 3,681* [1]).
95
Von den acht TecDAX-Unternehmen des Samples präferieren 75% den unternehmenspolitischen Aufsichtsrat, die restlichen 25% haben einen Repräsentationsaufsichtsrat.
96
So auch der Befund bei Gerum (1995), S. 376 f.
97
Vgl. Gerum (1995), S. 372 ff. 127
Div=1,04-1
LA
KA
Div=2,43-1
Div=3,60-1 Div=2,34
-1
Div=3,75
UA
-1
RA
Div=1,54
Div = Unternehmensstrategie, LA = Leitungsaufsichtsrat, KA = Kontrollaufsichtsrat, RA = Repräsentationsaufsichtsrat, UA = Unternehmenspolitischer Aufsichtsrat
Abb. E.1: Ergebnisse der multinominalen logistischen Regression zum Entwicklungspfad der Aufsichtsräte
tives Muster. Der Aufsichtsrat wird, um die Effektivität der Interessenvertretung und Überwachung sicherzustellen, stetig an die sich ändernden Umweltbedingungen angepasst. (2) Um die Stabilität des Einflusses der Unternehmensstrategie auf die Wahl des Aufsichtsratstyps zu überprüfen, wurde zusätzlich eine Regression mit den Eigentumsvariablen Konzernierung, Eigentümer-/Managerunternehmen und privat/öffentlich beherrscht berechnet (vgl. Tabelle E.26). Umweltkomplexität Aufsichtsratstyp
Unternehmensstrategie exp (ȕ*std)
Fremdkapitalbedarf exp (ȕ*std)
LA : KA
1,09-1
1,15
KA : RA
2,65-1
LA : RA
-1
RA : UA KA : UA LA : UA
2,89 1,38 1,92 2,09
-1
Eigentümer-/ Managerunternehmen exp (ȕ*std)
Privat/ öffentlich beherrscht exp (ȕ*std)
1,27-1
1,15
1,84-1
1,44-1
4,68
1,23
1,43
-1
3,69
1,42
1,29-1
1,22
1,12
1,23 1,20
-1
Eigentumsvariablen Konzernmutter/ -tochter exp (ȕ*std)
1,30
-1
1,20
-1
3,60
1,50
1,61
1,02
-1
2,84
1,72
1,14-1
LA = Leitungsaufsichtsrat, KA = Kontrollaufsichtsrat, RA = Repräsentationsaufsichtsrat, UA = Unternehmenspolitischer Aufsichtsrat
Tab. E.26: Multinominale logistische Regression zur Wahl des Aufsichtsratstyps – Eigentümervariablen kontrolliert
128
Wie das Ergebnis der Regression98 zeigt, bleibt die Einflussrichtung der Unternehmensstrategie auf die Wahl des Aufsichtsratstyps stabil, auch wenn die Wirkungsstärke geringfügig reduziert ist. So ergibt der Vergleich der standardisierten Koeffizienten, dass die Unternehmensstrategie nach wie vor in der Beziehung zwischen Leitungsaufsichtsrat und Repräsentationsaufsichtsrat ihr größtes Gewicht hat (2,89-1), mit zunehmender Diversifikation also häufiger ein Repräsentationsaufsichtsrat eingerichtet ist. Auffällig ist, dass die Stellung im Konzern – mit Ausnahme der Beziehungen LA:KA und RA:UA – die Wahl des Aufsichtsratstyps insgesamt am stärksten beeinflusst. Konzerntöchter haben häufiger einen Leitungsaufsichtsrat oder einen Kontrollaufsichtsrat, bei den Konzernmüttern hingegen ist eher ein Repräsentationsaufsichtsrat oder ein unternehmenspolitischer Aufsichtsrat eingerichtet. Das höchste Gewicht hat die Konzernierung im Verhältnis zwischen Kontrollaufsichtsrat und Repräsentationsaufsichtsrat. Im Vergleich zur Konzerntochter ist die Wahrscheinlichkeit 4,68mal größer, dass die Konzernmutter
statt
eines
Leitungsaufsichtsrats
den
Repräsentations-
aufsichtsrat gewählt hat. Bei dieser Interpretation muss der Einfluss der Unternehmensstrategie beachtet werden. Konzernobergesellschaften sind stärker diversifiziert99 und größer; sie wählen deshalb häufiger einen Repräsentationsaufsichtsrat oder einen unternehmenspolitischen Aufsichtsrat als die Konzerntöchter. Ein fortschreitender Diversifikations- und Wachstumsprozess führt aber auch bei den Untergesellschaften dazu, dass das Wissen und die Qualifikation des Konzernmanagements nicht mehr ausreicht, um die Strategie der Konzerntochter abzusichern. Deshalb wird, wie bei den Konzernmüttern, bei steigender Umweltkomplexität auch in Konzerntöchtern
98
Das Regressionsmodell ist hochsignifikant (ǘ²-Wert [df] = 70,21*** [39]). Das Bestimmtheitsmaß nach Nagelkerke beträgt R2 = 0,57. Um den Einfluss der Branchenzugehörigkeit bei der Wahl des Aufsichtsratstyps zu eliminieren, wurde die Regression für die Branche kontrolliert. Aus Darstellungsgründen werden die Ergebnisse nicht referiert. Vgl. FN 93.
99
Die Detailanalyse zeigt die Unterschiede in der Produktdiversifikation. Von den Konzernmüttern sind 36% als „related“ und 20% „unrelated product firms“, bei den abhängigen Gesellschaften liegt der Anteil nur bei 17% bzw. 6%. Der Unterschied in der Verteilung ist signifikant (ǘ²-Wert [df] = 10,074 [3]**). 129
ein Repräsentationsaufsichtsrat oder ein unternehmenspolitischer Aufsichtsrat gebildet.100 Die multinominale logistische Regression bestätigt also, dass die Unternehmensstrategie auch bei Berücksichtigung der Eigentümsverhältnisse die Wahl (und den Wandel) des Aufsichtsratstyps in der postulierten Richtung beeinflusst. Bereits dieser Befund kann als (impliziter) Beleg für die in These 1 behauptete Erfolgswirkung der Aufsichtsratstypen interpretiert werden. Eine Reorganisation des Aufsichtsrats wird immer nur dann durchgeführt, wenn die Organisationsgestalter sich eine positive Wirkung auf den Unternehmenserfolg versprechen. Die intensive rechtspolitische und ökonomische Debatte zur Besetzung des Aufsichtsrats und über die Kompetenzen zur Überwachung des Vorstands wäre indessen völlig überflüssig oder gar abwegig, wenn nicht empirisch dennoch Effektivitätsunterschiede existieren würden. Aus theoretischer Sicht resultieren diese aus der Wahl des „falschen“ Aufsichtsratstyps, wenn etwa bei hoher Umweltkomplexität ein Leitungsaufsichtsrat oder ein Kontrollaufsichtsrat eingerichtet wird, in dem die dominanten Eigentümer nicht über die für eine effektive Interessenvertretung und Überwachung erforderliche Qualifikation und den Kontakt zu den erfolgskritischen Ressourcen bzw. den Stakeholdern verfügen. 2.1.2
Aufsichtsratstyp und Unternehmenserfolg
Um zu prüfen, ob ein Aufsichtsrat effektiv ist, soll mittels linearer Regression die Wirkung des Aufsichtsratstyps auf den Unternehmenserfolg analysiert werden. Nach den Befunden zur Wahl des Aufsichtsratstyps liegt es nahe zu behaupten, dass der Aufsichtsrat nur dann zur Erfolgssteigerung beiträgt, wenn seine personelle Zusammensetzung und die unternehmenspolitische Kompetenz der Umweltkomplexität entsprechend ausgeformt sind (These 1). Die abhängigen Erfolgsgrößen in der Regression sind der Indikator für den
100
Formal lässt sich dies daran erkennen, die Höhe und Einflussrichtung der Unternehmensstrategie auch bei Berücksichtigung der Konzernierung stabil bleibt. Sie wirkt deshalb unabhängig von der Stellung im Konzern.
130
Unternehmensfortbestand, die Gesamtkapitalrentabilität und Tobin’s Q. Für den Untersuchungszeitraum von 2003 bis 2007 ergaben sich bei 92 Unternehmen insgesamt 460 Beobachtungspunkte bzw. Firmenjahre.101 Für die Messung des Wirkungszusammenhangs zwischen Aufsichtsratstyp und Unternehmenserfolg ist eine mehrstufige statistische Analyse erforderlich.102 Die Evaluation erfolgt in drei Schritten: Zunächst wird neben den Eigentumsverhältnissen der Einfluss der Unternehmensstrategie und des Fremdkapitalbedarfs auf den Erfolg geprüft (Modell A). In einem zweiten Schritt werden dann, um den zusätzlichen Erklärungsbeitrag des Aufsichtsrats zu bestimmen, die Aufsichtsratstypen und die Intensität der Mitbestimmung als Prädiktorvariablen in die Regression aufgenommen (Modell B). Da sich die erklärenden Variablen bei einer Regression stets gegenseitig kontrollieren, können diese beiden Modelle nicht die Interaktion zwischen der Wahl des Aufsichtsratstyps und der Umweltkomplexität abbilden. Um die Effektivität des Aufsichtsratstyps durch die Wirkung der Unternehmensstrategie zu beurteilen, wird die Regression in Modell C um moderierende Effekte103 ergänzt. Aus dem Vergleich mit den Modellen A und B kann man auf die Bedeutung einer situationsgerechten Wahl des Aufsichtsratstyps für eine effektive Interessenvertretung und Überwachung schließen.104 (1) Wie Tabelle E.27 für Modell A zeigt, hat die Unternehmensstrategie eine positive Wirkung auf den Unternehmensfortbestand (0,14***), die Gesamtkapi-
101
Die Korrelation der unabhängigen Variablen wurde geprüft, um Multikollinearität zu vermeiden. Siehe hierzu Tabelle I im Anhang. Da bereits bei Korrelationskoeffizienten ab 0,3 Multikollinearität vorliegen kann, wurde zusätzlich der Variance-Inflation-Factor berechnet. Alle Werte lagen unter 4,0 und sind deshalb unkritisch. Zur Methodik vgl. Schneider (2007), S. 186 ff.
102
Vgl. Müller (2007), S. 248. Dies entspricht der gängigen Methodik in empirischen Studien zu Aufsichtsrat und Board. Vgl. etwa Westphal (1999), Beiner/Drobetz/Schmid/Zimmermann (2004), Bresser/Valle Thiele (2008) und Coles/Daniel/Naveen (2008).
103
Formal werden die Moderatoren durch Multiplikation einer Dummyvariable für die Existenz der Aufsichtsratstypen (0/1) und des firmenspezifischen Wertes der Unternehmensstrategie und des Fremdkapitalbedarfs berechnet. Zur Methodik der Moderatorenanalyse durch Interaktionsterme bei Regressionen vgl. Müller (2007), S. 247 ff.
104
Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden die Kontrollvariablen Branche und Geschäftsjahr in den Tabellen E.27 und E.28 nicht mit angegeben. 131
Abhängige Variable
Unabhängige Variablen
Unternehmensfortbestand Modell A ȕ-Koeff. (stand.)
Modell B ȕ-Koeff. (stand.)
Gesamtkapitalrentabilität Modell A ȕ-Koeff. (stand.)
Modell B ȕ-Koeff. (stand.)
Tobin’s Q Modell A ȕ-Koeff. (stand.)
Modell B ȕ-Koeff. (stand.)
Umweltkomplexität - Unternehmensstrategie
0,10*
0,11**
- 0,49***
- 0,55***
- 0,30***
- 0,38***
- 0,45***
- 0,42***
- Konzernmutter/-tochter
- 0,09*
- 0,02
- 0,06
- 0,01
- 0,09*
- 0,02
- Eigentümer-/Manageru.
0,07
0,06
0,07
- privat/öffentlich beherr.
- 0,04
- 0,07
- 0,06
- Fremdkapitalbedarf
0,14***
0,08
0,11**
0,09
Eigentümerstruktur 0,10** - 0,04
0,04
0,07
0,11*
0,10
Aufsichtsratstyp (Referenz: LA) - Kontrollaufsichtsrat
0,01
0,02
0,01
- Repräsentations-AR
0,12**
0,10
0,12*
- Unternehmenspolitischer AR
0,23***
0,19***
0,16**
- drittelbeteiligt
0,20***
0,18***
0,06
- paritätische Besetzung
0,20***
0,25***
- 0,04
Mitbestimmung im Aufsichtsrat (Referenz: keine Mitbestimmung)
F-Wert [df] R2
6,13 [16]*** 5,94 [21]*** 2,33 [16]*** 2,66 [21]*** 4,21 [16]*** 3,69 [21]*** 0,181
0,222
0,078
0,113
0,132
0,150
N = 460 LA = Leitungsaufsichtsrat; Regression kontrolliert für Geschäftsjahr und Branche
Tab. E.27: Effektivität der Wahl des Aufsichtsratstyps – Modell A und Modell B (N = 460 Beobachtungen von 2003 bis 2007)
talrentabilität (0,11**) und Tobin’s Q (0,11**).105 Ein hoher Fremdkapitalbedarf dagegen gefährdet den Unternehmensfortbestand (-0,49***) und senkt die Gesamtkapitalrentabilität (-0,30***) und Tobin’s Q (-0,45***). Die Wirkung der Eigentümerstruktur auf den Unternehmenserfolg ist im Vergleich dazu gering. Bei den Konzernuntergesellschaften fällt der Unternehmenserfolg etwas schwächer aus als bei den Konzernobergesellschaften (Unternehmens-
105
Zur Interpretation der Regressionkoeffizienten: Da nur standardisierte ǃ-Koeffizienten angegeben werden, sind die Einflussgrößen der Höhe und der Richtung nach direkt vergleichbar. Ein ǃ-Koeffizient von 0,14 drückt aus, dass eine Veränderung von einer Standardabweichung der Prädiktorvariablen die Zielvariable um die Standardabweichung 0,14 verändert.
132
fortbestand: -0,09*; Tobin’s Q: -0,09*). Das öffentliches Eigentum führt zu einer geringfügig höheren Bewertung am Kapitalmarkt (Tobin’s Q: -0,11*). Eigentümer- oder Managerkontrolle sind für den Erfolg irrelevant. Entgegen gängiger Auffassung führt Managerherrschaft offenbar nicht zu den befürchteten Anreiz- und Kontrollproblemen.106 Der Unternehmenserfolg von managerkontrollierten Unternehmen ist nicht geringer als der von Eigentümerunternehmen. (2) In Modell B wird die Wirkung des Aufsichtsratstyps107 und der Mitbestimmung108 auf den Unternehmenserfolg geprüft.109 Wie Tabelle E.27 zeigt, führt der Kontrollaufsichtsrat gegenüber dem Leitungsaufsichtsrat zu keiner Veränderung des Unternehmenserfolgs. Im Vergleich hierzu beeinflusst der Repräsentationsaufsichtsrat sowohl den Unternehmensfortbestand (0,12**) als auch Tobin’s Q (0,12*) positiv. Am stärksten ist die Erfolgswirkung jedoch beim unternehmenspolitischen Aufsichtsrat, der sowohl den Unternehmensfortbestand (0,23***) als auch die Gesamtkapitalrentabilität (0,19**) und Tobin’s Q (0,16**) begünstigt. In Unternehmen mit einem mitbestimmten Aufsichtsrat ist die Wahrscheinlichkeit des Unternehmensfortbestands (0,20*** bzw. 0,20***) und die Gesamtkapitalrentabilität (0,18*** bzw. 0,25***) signi-
106
Zum Diskussionsstand vgl. statt vieler Gerum (2007), S. 89 f.
107
Die Variable Aufsichtsratstyp ist nominal skaliert und wurde in drei Dummyvariablen umkodiert: Kontrollaufsichtsrat (0/1), Repräsentationsaufsichtsrat (0/1) und unternehmenspolitischer Aufsichtsrat (0/1). Eine vierte Variable ist nicht erforderlich und darf auch nicht eingeführt werden, da ansonsten Multikollinearität vorliegen würde (Aus der Information zur Existenz/Nicht-Existenz von drei Aufsichtsratstypen kann immer eindeutig auf die Information zum vierten Typ geschlossen werden). Die Befunde müssen in Relation zum Leitungsaufsichtsrat interpretiert werden.
108
Die Variable Mitbestimmung ist ordinal skaliert und wurde in zwei Dummyvariablen umkodiert: Drittelbeteiligt (0/1), paritätische Besetzung (0/1). In der Ausprägung paritätisch ist auch die Information zum einzigen montanmitbestimmten Unternehmen im Untersuchungskreis enthalten. Die Befunde werden daher in Relation zum Referenzfall „keine Mitbestimmung“ interpretiert.
109
Um die Güte der Modellerweiterung zu bestimmen, wurde für den Unterschied der Bestimmtheitsmaße R2 in Modell B und Modell A der F-Wert [v1;v2] ermittelt (v1 = Anzahl der zusätzlichen Prädiktorvariablen; v2 = Zahl der Freiheitsgrade des Nenners). Diese Unterschiede waren für alle drei Erfolgsmaße signifikant (Unternehmensfortbestand: 4,62 [5;438]***; Gesamtkapitalrentabilität: 3,46 [5;438]***; Tobin’s Q: 1,86 [5;438]*). Zur Berechnung vgl. Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber (2006), S. 70 f., Müller (2007), S. 248. 133
fikant höher als in den Unternehmen ohne Mitbestimmung. Dieses Ergebnis steht in klarem Widerspruch zu Forderungen, die Unternehmensmitbestimmung zu begrenzen oder in einen Konsultationsrat auszugliedern.110 Als Ergebnis der statistischen Analyse kann man bereits festhalten, dass die Repräsentanz von Nicht-Beteiligten in den umweltorientierten Aufsichtsratstypen und die Mitbestimmung der Arbeitnehmer gemeinsam Merkmale eines effektiven Aufsichtsrats sind. Damit bestätigen sich zentrale Behauptungen des Resource-Dependence-Ansatzes111: Die Kooptation von Personen in den Aufsichtsrat, die durch ihr Wissen bzw. ihre Fähigkeiten und die Kontakte zu erfolgskritischen Stakeholdern die geplante Unternehmensstrategie absichern, erhöht den Unternehmenserfolg. Auch in Modell B hat die Unternehmensstrategie eine positive Wirkung auf den Unternehmenserfolg, ein hoher Fremdkapitalbedarf dagegen wirkt negativ. Bei der Eigentümerstruktur zeigt sich, dass die Konzernierung nunmehr keinen signifikanten Einfluss auf die Erfolgsgrößen hat. Mit anderen Worten: Es kristallisiert sich heraus, dass die Stellung im Konzern für den Erfolg des Unternehmens unbedeutend ist, wenn man zusätzlich die Wirkung des Aufsichtsratstyps berücksichtigt. In Managerunternehmen scheint der Erfolg sogar geringfügig höher zu sein als bei Eigentümerunternehmen (Unternehmensfortbestand: 0,10**). (3) Modell C bezieht – wie erläutert – als moderierende Effekte die Interaktion zwischen Unternehmensstrategie, Fremdkapitalbedarf und Aufsichtsratstyp in die Regression mit ein, um die Effektivität des Aufsichtsrats zu prüfen. Die Wirkung von Aufsichtsratstyp und Mitbestimmung auf die Erfolgsgrößen bleibt, wie Tabelle E.28 zeigt, stabil. Der Kontrollaufsichtsrat ist im Vergleich zum Leitungsaufsichtsrat ohne Einfluss auf den Unternehmenserfolg. Beim Repräsentationsaufsichtsrats sind die Wahrscheinlichkeit des Unternehmensfortbestands (0,13*) und Tobin’s Q (0,13*) signifikant höher. Am stärksten ist
110
Vgl. statt vieler v. Werder (2004), S. 171 f., Adams (2006), S. 1567.
111
Vgl. Pfeffer/Salancik (1978).
134
Abhängige Variable
Unabhängige Variablen
Unternehmensfortbestand
Gesamtkapitalrentabilität
Tobin’s Q
Modell C ȕ-Koeff. (stand.)
Modell C ȕ-Koeff. (stand.)
Modell C ȕ-Koeff. (stand.)
- 0,07
- 0,09
- 0,01
Aufsichtsratstyp (Referenz: LA) - Kontrollaufsichtsrat - Repräsentationsaufsichtsrat
0,13*
0,07
0,13*
- Unternehmenspolitischer Aufsichtsrat
0,29***
0,19**
0,21***
- drittelbeteiligt
0,14**
0,11
- paritätische Besetzung
0,19***
0,23***
Mitbestimmung im Aufsichtsrat (Referenz: Mitbestimmung, keine) 0,02 - 0,05
Unternehmensstrategie und Aufsichtsratstyp - LA
- 0,11*
- 0,02
- 0,08
- KA
- 0,25***
- 0,23***
- 0,08
- RA
0,18***
0,16***
0,18***
- UA
0,07
0,04
0,06
Fremdkapitalbedarf und Aufsichtsratstyp - LA
- 0,36***
- 0,22***
- 0,20***
- KA
- 0,32***
- 0,26***
- 0,18***
- RA
- 0,38***
- 0,35***
- 0,35***
- UA
- 0,27***
- 0,16***
- 0,25***
- 0,06
- 0,06
- 0,03
0,05
0,05
Eigentümerstruktur - Konzernmutter/-tochter - Eigentümer-/Managerunternehmen - privat/öffentlich beherrscht F-Wert [df] R2
0,08* - 0,08
- 0,06
0,10
6,71 [27]***
3,56 [27]***
3,73 [27]***
0,296
0,182
0,189
N = 460 LA = Leitungsaufsichtsrat, KA = Kontrollaufsichtsrat, RA = Repräsentationsaufsichtsrat, UA = Unternehmenspolitischer Aufsichtsrat; Regression kontrolliert für Geschäftsjahr und Branche
Tab. E.28: Effektivität der Wahl des Aufsichtsratstyps – Modell C (N = 460 Beobachtungen von 2003 bis 2007)
die Wirkung des unternehmenspolitischen Aufsichtsrats auf den Unternehmensfortbestand (0,29***), die Gesamtkapitalrentabilität (0,19**) und Tobin’s Q (0,21***). Die Mitbestimmung begünstigt den Unternehmensfortbestand (0,14** bzw. 0,19***) und die Gesamtkapitalrentabilität (0,11 n.s. bzw. 0,23***).
135
Für die Interaktion zwischen Unternehmensstrategie und Aufsichtsratstyp zeigt sich, dass ein Unternehmen erfolgreicher ist, wenn die personelle Zusammensetzung des Aufsichtsrats und die unternehmenspolitische Kompetenz des Aufsichtsrats auf die Unternehmensstrategie abgestimmt sind.112 Der Leitungsaufsichtsrat ist, wie das negative Vorzeichen des Regressionskoeffizienten zum Unternehmensfortbestand (-0,11*) erkennen lässt, nur mit geringem Diversifikationsgrad und bei kleinen Unternehmen effektiv. Dies bestätigt sich ebenso für den Kontrollaufsichtsrat (Unternehmensfortbestand: -0,25***; Gesamtkapitalrentabilität: -0,23***). Die negative Wirkung der Aktionärsdominanz im Aufsichtsrat verstärkt sich also beim Leitungsaufsichtsrat und beim Kontrollaufsichtsrat, wenn das Unternehmen in einer komplexen Umwelt tätig ist. Analysiert man den Repräsentationsaufsichtsrat, so zeigen die positiven Vorzeichen der Regressionskoeffizienten (Unternehmensfortbestand: 0,18***; Gesamtkapitalrentabilität: 0,16**; Tobin’s Q: 0,18***), dass der Unternehmenserfolg hier mit der Unternehmenskomplexität steigt. Folglich ist der Repräsentationsaufsichtsrat nur für große Unternehmen und bei hohem Diversifikationsgrad effektiv. Dies bedeutet: Beim Leitungsaufsichtsrat, dem Kontrollaufsichtsrat und dem Repräsentationsaufsichtsrat muss für die erfolgreiche Aufsichtsratstätigkeit sorgfältig abgewogen werden, ob die Besetzung des Aufsichtsrats mit Aktionären oder mit Personen, die über Expertise und Kontakte zu Stakeholdern verfügen, und die Ausgestaltung der unternehmenspolitischen Kompetenz eine effektive Interessenvertretung und Überwachung sichern oder eher gefährden. Beim unternehmenspolitischen Aufsichtsrat konnte zwar für die Interaktion mit der Strategie keine signifikante Wirkung auf den Unternehmenserfolg nachgewiesen werden (Unternehmensfortbestand: 0,07). Dennoch hat der unternehmenspolitische Aufsichtsrat, wie Tabelle E.28 zeigt, im Vergleich mit
112
Formal kann man dies auch an der Entwicklung des Bestimmtheitsmaßes erkennen. Bei Berücksichtigung der Interaktionsterme in Modell C nimmt die Erklärungskraft gegenüber Modell B deutlich zu (Für den Unternehmensfortbestand steigt R2 von 0,222 auf 0,296; für die Gesamtkapitalrentabilität von 0,113 auf 0,182; bei Tobin’s Q von 0,150 auf 0,189). Diese Unterschiede sind, wie ein F-Test zeigt, hochsignifikant (Unternehmensfortbestand: 7,57 [6;432]***; Gesamtkapitalrentabilität: 6,07 [6;432]***; Tobin’s Q: 3,46 [6;432]***). Zur Berechnung bei Interaktionstermen vgl. Müller (2007), S. 248.
136
anderen Aufsichtsratstypen den größten Einfluss auf den Unternehmenserfolg (Unternehmensfortbestand: 0,29***; Gesamtkapitalrentabilität: 0,19**; Tobin’s Q: 0,21***).113 Daraus lässt sich nur der Schluss ziehen, dass der unternehmenspolitische Aufsichtsrat, unabhängig vom Diversifikationsgrad und der Unternehmensgröße, für die Interessen der Kapitaleigner und Arbeitnehmer und für die Überwachung des Vorstands effektiv ist. Der Fremdkapitalbedarf führt, bei allen Aufsichtsratstypen, zu einem niedrigeren Erfolg. Einzig der unternehmenspolitische Aufsichtsrat scheint diesen negativen Effekt (etwas) reduzieren zu können. Die Eigentümerstruktur beeinflusst auch in diesem Modell nicht den Unternehmenserfolg. Die vertiefte Analyse bestätigt also, dass – entgegen landläufiger theoretischer Auffassung – die Unternehmensstrategie und nicht die Eigentumsverhältnisse für die Effektivität des Aufsichtsrats entscheidend ist. Im Ergebnis wird damit These 1 zur Erfolgswirkung des Aufsichtsrats bestätigt. 2.2
Effektivität und Effizienz des Aufsichtsrats: Ausdifferenzierung des Grundmodells
2.2.1
Aufsichtsratstyp und Organisation des Entscheidungsprozesses
Um die Effizienz des Aufsichtsrats zu evaluieren, soll mittels linearer Regression geprüft werden, welche Einflussgrößen die Organisation des Entscheidungsprozesses beeinflussen. Aus entscheidungs- und gruppentheoretischer Sicht muss der Entscheidungsprozess im Aufsichtsrat so gestaltet werden, dass qualitativ gute Entscheidungen möglich sind. Dafür sollten die firmenspezifischen Regelungen zur Informationsversorgung des Aufsichtsrats, die Interaktion im Aufsichtsrat und die Dauer der Entscheidungsfindung komplementär ausgestaltet sein. Unterstellt man Rationalität beim Organisationsgestalter, müssen Informationseffizienz, Interaktionseffizienz und Zeiteffizienz deshalb positiv korrelieren. Da man bei größeren Gremien eine stärkere Formalisierung des Entscheidungsprozesses vermuten kann, wird die
113
Dieser erfolgswirksamen Konstellation entspricht beim Board der „participative“-Typ. Vgl. Pearce/Zahra (1991), S. 145 ff. 137
Größe des Aufsichtsrats als weitere Einflussgröße in die empirische Analyse einbezogen. Die Entscheidungsprobleme, mit denen sich der Aufsichtsrat zu befassen hat, wie zustimmungspflichtige Geschäfte oder die Beratung des Vorstands, werden wesentlich vom Aufsichtsratstyp beeinflusst. Es liegt nahe, wie in den vorherigen Analysen neben den Aufsichtsratstypen auch die Mitbestimmung, die Eigentümerstruktur und die Unternehmensstrategie als Prädiktorvariablen in die Regression aufzunehmen. Die Regression bestätigt die theoretische Erwartung nur zum Teil. Wie Tabelle E.29 zeigt, sind nur die Regressionsmodelle zur Interaktionseffizienz (F-Wert [df]: 2,74 [13]***) und zur Zeiteffizienz (F-Wert [df]: 2,07 [13]***) signifikant. Die Befunde dieser multivariaten Analyse deuten darauf hin, dass in der Realität weder der Entscheidungsprozess im Aufsichtsrat stimmig organisiert ist noch ein Zusammenhang mit dem Aufsichtsratstyp besteht.114 Bei der Interaktionseffizienz besteht zwar ein positiver Zusammenhang mit der Zeiteffizienz (0,36***). Die Widersprüchlichkeit bei der Organisation des Entscheidungsprozesses zeigt sich daran, dass die effizienzfördernden Regelungen zur intensiven Interaktion und Beratung völlig unabhängig von der Informationseffizienz sind. In deutschen Aufsichtsräten ist also nicht sichergestellt, dass die Diskussion bei der Entscheidungsfindung auf der Grundlage einer ausreichenden Information aller Aufsichtsratsmitglieder erfolgt. Offenbar hat die zügige Entscheidung eine größere Bedeutung. Die Wirkung der Informations- und der Interaktionseffizienz auf die Zeiteffizienz ist zwar positiv; insgesamt ist die Ausschöpfung der Effizienzpotenziale jedoch nicht komplementär. Insofern verwundert es dann auch nicht, dass die Effizienz des Entscheidungsprozesses vom Aufsichtsratstyp unabhängig ist. Stimmig ist jedoch, dass bei einer paritätischen Besetzung des Aufsichtsrats die Voraussetzungen für eine hohe Interaktionseffizienz gegeben sind (0,50***). In Konzernobergesellschaften erfolgt eher eine rasche Entscheidungsfindung als bei den Konzerntöchtern (0,31***).
114
Die Regression bestätigt also das Ergebnis der univariaten Analyse oben S. 124 f. Ebenso Gerum (2007), S. 325.
138
Abhängige Variable Unabhängige Variablen
Informationseffizienz
Interaktionseffizienz
Zeiteffizienz
ȕ-Koeff. (stand.)
ȕ-Koeff. (stand.)
ȕ-Koeff. (stand.)
Entscheidungsprozess - Informationseffizienz - Interaktionseffizienz
- 0,13 - 0,16
0,25** 0,35***
- Zeiteffizienz
0,31**
0,36***
- Aufsichtsratsgröße
0,15
- 0,06
0,02
- 0,03
Aufsichtsratstyp (Referenz: LA) - Kontrollaufsichtsrat
0,05
0,15
- Repräsentationsaufsichtsrat
- 0,03
0,13
0,05
- Unternehmenspolitischer Aufsichtsrat
- 0,07
0,12
- 0,08
- drittelbeteiligt
- 0,12
0,13
- paritätische Besetzung
- 0,04
0,50***
- 0,16 - 0,11
Mitbestimmung im Aufsichtsrat (Referenz: Mitbestimmung, keine) 0,05
Umweltkomplexität - Unternehmensstrategie
0,16
0,12
- 0,13
- 0,21*
0,26**
- Konzernmutter/-tochter
0,15
0,01
- 0,31***
- Eigentümer-/Managerunternehmen
0,21*
0,13
- 0,14
- privat/öffentlich beherrscht
0,06
0,07
- Fremdkapitalbedarf Eigentümerstruktur
F-Wert [df] R2
- 0,01
1,44 [13] n.s.
2,74 [13]***
2,07 [13]***
0,194
0,313
0,331
N = 92 LA = Leitungsaufsichtsrat; Regression kontrolliert für Branche
Tab. E.29: Lineare Regression zur Effizienz des Entscheidungsprozesses
Diese inkonsistenten Befunde zur Organisation des Entscheidungsprozesses im Aufsichtsrat lassen nicht erkennen, welche Einflussgrößen systematisch die Ausgestaltung des Entscheidungsprozesses erklären. Um prüfen zu können, ob die organisatorischen Regelungen zur Informationsversorgung, für eine intensiven Interaktion und eine rasche Entscheidungsfindung effiziente Entscheidungen ermöglichen, soll im Folgenden die Wirkung der Effizienz des Entscheidungsprozesses auf die Erfolgsmaße untersucht werden.
139
2.2.2
Aufsichtsratstyp, Organisation des Entscheidungsprozesses und Unternehmenserfolg
Zur Evaluation der Wirkung des Entscheidungsprozesses auf den Unternehmenserfolg ist es sinnvoll, an die Befunde zur Effektivität des Aufsichtsrats anzuknüpfen. Ein effizient organisierter Entscheidungsprozess sollte – wie in These 2 postuliert115 – den Zusammenhang zwischen einem (effektiven) Aufsichtsratstyp und dem Unternehmenserfolg verstärken. Für die weitere statistische Überprüfung wird das Regressionsmodell zur Effektivität des Aufsichtsrats116 um moderierende Variablen ergänzt, die den Zusammenhang zwischen dem Aufsichtsratstyp und der Ausgestaltung der Informations-, der Interaktions- und der Zeiteffizienz ausdrücken (Modell D).117 Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden in Tabelle E.30 nur die Interaktionsterme zum Aufsichtsratstyp und zur Effizienz des Entscheidungsprozesses referiert.118 Die Datenbasis bilden wieder die 460 Beobachtungspunkte bzw. Firmenjahre für den Untersuchungszeitraum 2003 bis 2007. Eine steigende Aufsichtsratsgröße begünstigt, wie Tabelle E.30 zeigt, die Gesamtkapitalrentabilität (0,23**). Dieses Ergebnis widerspricht den Forderungen nach einer Verkleinerung des Aufsichtsrats.119 Der Befund deutet vielmehr darauf hin, dass in einem größeren Aufsichtsrat zusätzliches Wissen in den Entscheidungsprozess einfließen kann, wodurch sich die Entscheidungsqualität im Aufsichtsrat und die Ertragskraft des Unternehmens verbessert. Die Erwartungen des Kapitalmarkts zur zukünftigen Entwicklung
115
Vgl. oben S. 85.
116
Vgl. hierzu oben Modell C in Tabelle E.28, S. 135.
117
Die Interaktionsterme in Modell D steigern, formal betrachtet, die Anpassungsgüte der Regression, wie der F-Test zum Unterschied der Bestimmtheitsmaße R2 in Modell D und C ergeben hat (Unternehmensfortbestand: 3,00 [13;419]***; Gesamtkapitalrentabilität: 4,03 [13;419]***; Tobin’s Q: 5,65 [13;419]***). Zur Berechnung vgl. Müller (2007), S. 248.
118
In Modell D bleibt die zuvor in Tabelle E.28 gezeigte Lösung zur Wirkung des Aufsichtsratstyps und der Mitbestimmung, zur Interaktion zwischen Aufsichtsrat und Umwelt und zur Eigentümerstruktur stabil.
119
Vgl. statt vieler Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände/Bundesverband der Deutschen Industrie (2004), S. 21 f.
140
Abhängige Variable
Unabhängige Variablen Aufsichtsratsgröße
Unternehmensfortbestand
Gesamtkapitalrentabilität
Tobin’s Q
Modell D ȕ-Koeff. (stand.)
Modell D ȕ-Koeff. (stand.)
Modell D ȕ-Koeff. (stand.)
0,23**
- 0,16*
0,10
Leitungsaufsichtsrat und Entscheidungsprozess - Informationseffizienz
0,03
0,04
- Interaktionseffizienz
- 0,04
- 0,10
- Zeiteffizienz
0,01
0,13***
0,03 - 0,17*** - 0,12**
Kontrollaufsichtsrat und Entscheidungsprozess - Informationseffizienz
- 0,07
- 0,18
- Interaktionseffizienz
0,00
0,13
- 0,14
- Zeiteffizienz
0,08
0,13
- 0,09
- Informationseffizienz
- 0,04
- 0,03
- 0,06
- Interaktionseffizienz
- 0,03
0,02
- 0,09*
- Zeiteffizienz
- 0,19***
0,18*
Repräsentationsaufsichtsrat und Entscheidungsprozess
- 0,16**
- 0,18***
Unternehmenspolitischer Aufsichtsrat und Entscheidungsprozess - Informationseffizienz
0,21***
0,24***
0,15***
- Interaktionseffizienz
0,11**
0,11**
0,08
- Zeiteffizienz
0,01
0,01
F-Wert [df] R2
0,16***
5,79 [40]***
3,93 [40]***
4,63 [40]***
0,356
0,273
0,310
N = 460 Regression kontrolliert für Branche
Tab. E.30: Effektivität und Effizienz des Aufsichtsrats – Modell D
der Gesellschaft bei einem großen Aufsichtsrat stehen hierzu allerdings im Widerspruch (Tobin’s Q: -0,16*). Es liegt nahe zu behaupten, dass Analysten, die kleinere Gremien verlangen, hier abweichendes Verhalten bestrafen. Das Ergebnis zur Wirkung der Organisation des Entscheidungsprozesses auf die Erfolgsgrößen ist beim Leitungsaufsichtsrat prima facie widersprüchlich. Obwohl der Leitungsaufsichtsrat über eine hohe unternehmenspolitische Kompetenz verfügt, um die unternehmerischen Entscheidungen des Vorstands effektiv kontrollieren zu können, ist die Informationsversorgung vor
141
der Entscheidung des Aufsichtsrats ohne signifikante Wirkung auf den Erfolg. Die Regelungen zur Interaktionseffizienz, die den Meinungsaustausch im Aufsichtsrat fördern sollen, führen sogar zu einer niedrigeren Bewertung am Kapitalmarkt (Tobin’s Q: -0,17***). Insofern verwundert es dann auch nicht mehr, dass die Wirkung der Zeiteffizienz auf den Unternehmenserfolg widersprüchlich ist (Gesamtkapitalrentabilität: 0,13***; Tobin’s Q -0,12**). Dieser inkonsistente Befund zum Leitungsaufsichtsrat lässt sich nur so erklären, dass die Aktionäre typischerweise bereits im Vorfeld einer Aufsichtsratssitzung alle gewünschten Informationen erhalten und so die Entscheidungen vorbereiten können. Die Aufsichtsratssitzung dient dann nur noch zur Ratifizierung. Berücksichtigt man, dass der Leitungsaufsichtsrat nur bei einer einfachen Umwelt effektiv ist, ist es für den Unternehmenserfolg auch nicht erforderlich, in der Aufsichtsratssitzung durch einen effizient organisierten Entscheidungsprozess den Ausgleich mit anderen Interessen herbeizuführen. Beim Kontrollaufsichtsrat fehlen, betrachtet man das Ergebnis der statistischen Analyse, ebenfalls die Voraussetzungen für einen effizienten Entscheidungsprozess. Nur die rechtzeitige und umfassende Informationsversorgung bewirkt eine höhere Bewertung am Kapitalmarkt (Tobin’s Q: 0,18*). Die Qualität der Beratung und die Dauer der Entscheidungsfindung hingegen sind für den Erfolg unerheblich. Dieser Befund ist dennoch stimmig, da beim Kontrollaufsichtsrat das Wissen der dominierenden Eigentümer nicht erfolgskritisch ist. Die Aufsichtsratsmitglieder verzichten freiwillig auf die Möglichkeit, die strategischen Entscheidungen des Vorstands bereits ex ante zu kontrollieren. Mangels unternehmenspolitischer Kompetenz trifft der Aufsichtsrat kaum erfolgsrelevante Entscheidungen. Die Effizienz der Informationsversorgung, der Interaktion und die Dauer des Entscheidungsprozesses haben deshalb hier auch keinen Einfluss auf den Unternehmenserfolg. Beim Repräsentationsaufsichtsrat war weder für die Informationseffizienz noch für die Interaktionseffizienz eine signifikante Wirkung auf den Erfolg nachweisbar. Die Möglichkeit, im Aufsichtsrat rasch zu entscheiden, scheint für den Unternehmenserfolg eher hinderlich (Unternehmensfortbestand: -0,19***; Gesamtkapitalrentabilität: -0,16**; Tobin’s Q: -0,18***). Die organisatorischen Regelungen zielen darauf, im Aufsichtsrat eine sorgfältige Ent142
scheidung zu erreichen. Bei der Interpretation der Ergebnisse zum Repräsentationsaufsichtsrat ist, wie beim Kontrollaufsichtsrat, zu beachten, dass der Aufsichtsrat mangels zustimmungspflichtiger Geschäfte hier kaum in die unternehmerischen Entscheidungen eingebunden ist. Der Vorstand muss zwar die Argumente der Stakeholder im Aufsichtsrat antizipieren, um die erfolgreiche Umsetzung der Unternehmensstrategie abzusichern. Die Kooperation von Vorstand und Aufsichtsrat ist jedoch, da keine zustimmungspflichtigen Geschäfte zur strategischen Planung existieren, kaum formalisiert. Wenn der Vorstand den Rat des Aufsichtsrats benötigt, stellt er aus Eigeninteresse die erforderlichen Informationen bereit und verhandelt mit den Stakeholdern. Nur beim unternehmenspolitischen Aufsichtsrat bewirkt ein effizient organisierter Entscheidungsprozess einen höheren Unternehmenserfolg.120 Die Informationseffizienz begünstigt hier den Unternehmensfortbestand (0,21***), die Gesamtkapitalrentabilität (0,24***) und Tobin’s Q (0,15***). Wenn entscheidungsvorbereitende Strategieausschüsse existieren, die Aufsichtsratsmitglieder infolge präzisierter Berichtspflichten umfassend informiert sind und die Sitzungsunterlagen rechtzeitig zugesandt werden, trifft der Aufsichtsrat demnach bessere Entscheidungen. Weiter wirkt sich hier positiv aus, wenn die Regelungen zum Entscheidungsprozess eine intensive Interaktion befördern, so dass alle Aufsichtsratsmitglieder die Entscheidung beeinflussen können (Unternehmensfortbestand: 0,11**; Gesamtkapitalrentabilität: 0,11**). Schwach ausgeprägt ist dagegen der Befund zur Zeiteffizienz, die lediglich auf den Wert des Unternehmens eine positive Wirkung hat (Tobin’s Q: 0,16***). Diese Befunde zum unternehmenspolitischen Aufsichtsrat belegen, dass eine effiziente Informationsversorgung nicht nur theoretisch, sondern auch empirisch die größte Bedeutung für die Qualität der Entscheidungen im Aufsichtsrat hat. Das Ergebnis zum unternehmenspolitischen Aufsichtsrat bestätigt, dass ein effizient organisierter Entscheidungsprozess den Zusammenhang zwischen
120
Ebenso Pearce/Zahra (1991), S. 147, zur positiven Wirkung eines effizienten Entscheidungsprozesses beim „participative“-Typ des Boards. 143
effektivem Aufsichtsratstyp und Unternehmenserfolg positiv verstärkt. Damit wird die in These 2 behauptete Wirkung bestätigt. Für eine erfolgssteigernde Aufsichtsratstätigkeit genügt es also nicht, wenn Vertreter kritischer Ressourcen in den Aufsichtsrat kooptiert und die unternehmerischen Entscheidungen unter den Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats gestellt werden. In einem effektiven und effizienten Aufsichtsrat ist organisatorisch sichergestellt, dass Aktionäre, Unternehmensvertreter, Berater und Arbeitnehmer ihr Wissen und ihre Fähigkeiten in den Entscheidungsprozess einbringen können. III. Diskussion Ziel der empirischen Analyse war es, die Effektivität und Effizienz des Aufsichtsrats in deutschen Aktiengesellschaften zu beurteilen. In der rechtspolitischen und betriebswirtschaftlichen Debatte zum Aufsichtsrat dominieren bislang die Prinzipal-Agenten-Theorie und ökonomietheoretische Argumente zur Gruppe. Es wird behauptet, dass Manager durch unverbundene Diversifikation „empire building“ betreiben. Dies führe zu einem suboptimalen Diversifikationsgrad und einer geringeren Rentabilität.121 Um den hierfür erforderlichen Handlungsspielraum aufrecht zu erhalten, müsse das Management den Bestellungsprozess für die Mitglieder von Aufsichtsrat und Board beeinflussen können.122 Die wesentlichen Voraussetzungen für eine wirksame Interessenvertretung und eine erfolgreiche Überwachung opportunistischer Manager durch das Aufsichtsorgan seien die Größe des Aufsichtsrats und die Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder.123 Die empirischen Befunde dieser Untersuchung widerlegen diese Behauptungen und bestätigen stattdessen den Resource-Dependence-Ansatz. Es konnte
121
Vgl. statt vieler Morck/Shleifer/Vishny (1990), Nicolai/Thomas (2006), S. 58 f., Singh/ Mathur/Gleason (2004), S. 493 f. Dagegen Martin/Sayrak (2003), S. 47 f. m.w.N.
122
Vgl. klassisch Mace (1971), Herman (1981), Vance (1983), Lorsch/MacIver (1989).
123
Vgl. Bremeier/Mülder/Schilling (1994), S. 85 ff., Lutter (2001b), S. 227 ff., Bernhardt/Witt (2003), S. 325 f., Roth/Wöhrle (2004), S. 570 f., Schwalbach (2004), S. 187 f., Theisen (2004), S. 481 ff. und Aurich (2006), S. 51 ff.
144
gezeigt werden, dass der Aufsichtsrat, wie auch der Board124, bei steigender Umweltkomplexität vom Vorstand als unternehmenspolitisches Instrument genutzt wird. Dazu beeinflusst der Vorstand, mit dem Einverständnis der Eigentümer, den Bestellungsprozess der Aufsichtsratsmitglieder. Der Vorstand kooptiert Personen, die durch ihr Wissen und ihre Kontakte zu den Inhabern erfolgskritischer Ressourcen die strategischen Entscheidungen absichern, wenn neue ertragreiche Märkte erschlossen werden sollen.125 Entgegen der Auffassung in der vertragstheoretischen Debatte ist dieser Einfluss des Vorstands auf die Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder funktional für das Interesse der Kapitaleigner. Diese Aktivitäten des Managements mindern den Unternehmenserfolg nicht nur nicht, sondern tragen im Gegenteil zu einer höheren Rentabilität bei. Die häufig behauptet negative Wirkung der Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat126 wurde ebenfalls nicht bestätigt. Vielmehr ist Mitbestimmung ein Merkmal eines effektiven Aufsichtsrats. Die Befunde belegen somit, wie in These 1 behauptet, die Erfolgswirkung einer effektiven, situationsbezogenen Gestaltung der personellen Zusammensetzung des Aufsichtsrats und seiner unternehmenspolitischen Kompetenz. Dieses Ergebnis deckt sich mit Studien zum angloamerikanischen Board, die den Zusammenhang zwischen Umweltkomplexität, der Zusammensetzung des Board und dem Unternehmenserfolg geprüft haben.127 Der Organisation des Entscheidungsprozesses im Aufsichtsrat wurde in der theoretischen und empirischen Corporate-Governance-Forschung bisher nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Unsere Untersuchung hat zwar ergeben, dass die Regelungen zum Entscheidungsprozess in deutschen Aufsichtsräten zum Teil widersprüchlich sind. Dennoch konnte, wie aus entscheidungs- und gruppentheoretischer Sicht in These 2 abgeleitet, für effizient organisierte Entscheidungsprozesse im Aufsichtsrat eine positive Wirkung auf den Unter-
124
Vgl. Pfeffer (1972), S. 223 ff., Pfeffer (1973), S. 356 ff., Hillman/Cannella/Paetzold (2000), S. 249 f., Carpenter/Westphal (2001), S. 649 ff., Markarian/Parbonetti (2007), S. 1232 ff.
125
So auch bereits der Befund von Gerum (1995), S. 367.
126
Vgl. statt vieler Adams (2006), S. 1562 f., Stettes (2007), S. 611.
127
Vgl. Pearce/Zahra (1992), S. 427 ff., Westphal (1999), S. 16 f., Erhardt/Werbel/Shrader (2003), S. 106 f., Coles/Daniel/Naveen (2008), S. 341 ff. 145
nehmenserfolg nachgewiesen werden. Die Größe des Aufsichtsrats, die als (vermeintliches) Hindernis für die Effizienz des Aufsichtsrats diskutiert wird, ist nach den Befunden dieser Studie für den Unternehmenserfolg eher förderlich. Diese Ergebnisse stützen die Forderungen nach einer intensiveren theoretischen
Auseinandersetzung
mit
den
Rahmenbedingungen
der
Entscheidungsfindung im Aufsichtsrat.128 Im Ergebnis sollten Wissenschaft und Praxis, wenn es um die Organisation des Entscheidungsprozesses im Aufsichtsrat geht, stärker auf die Erkenntnisse der verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungs- und Gruppentheorien zurückgreifen und die Debatte nicht länger auf strukturelle Merkmale des Aufsichtsrats beschränken, um die Effizienz des Aufsichtsrats zu untersuchen.
128
Vgl. Gerum (2007), S. 287. Ebenso zum Board Pettigrew (1992), S. 171 und Forbes/ Milliken (1999), S. 492.
146
F.
Evaluation des Aufsichtsrats: Ein Leitfaden
Die bei der Evaluation des Aufsichtsrats gewonnenen Erkenntnisse sollen nun in einem Leitfaden verdichtet werden. Dieser Leitfaden kann zur Selbstevaluation und für die Fremdevaluation des Aufsichtsrats verwendet werden. I.
Die Problemfelder
Bei einer Evaluation ist zu klären, wer diese durchführt und was Gegenstand der Analyse werden soll, es müssen die Evaluationskriterien festgelegt und der zeitliche Ablauf der Evaluation geplant werden.1 Danach stellen sich, wie Abbildung F.1 zeigt, bei der Evaluation des Aufsichtsrats vier Fragen bzw. Problemfelder.2
(1) Wer evaluiert den Aufsichtsrat? - Selbstevaluation durch den Gesamtaufsichtsrat, einen Aufsichtsratsausschuss oder den Aufsichtsratsvorsitzenden - Selbstevaluation mit Moderator - Fremdevaluation durch Externe/Ratingagenturen
(2) Was soll analysiert werden? - Unternehmensstatuten - Anforderungsprofile von Aufsichtsratsmitgliedern - Aufsichtsratsbericht, Corporate-Governance-Bericht, Vergütungsbericht
(4) Wann soll evaluiert werden?
(3) Anhand welcher Kriterien?
- regelmäßige Evaluation des Aufsichtsrats (jährlich)
- Complianceprüfung: Gesetzeskonformität des Gesamtaufsichtsrats, der Aufsichtsratsausschüsse
- fallweise Evaluation des Aufsichtsrats (aus gegebenem Anlass) - auf Verlangen von Anteilseignern oder anderen Stakeholdern
- Performanceprüfung: Erfolgswirkung des Gesamtaufsichtsrats, der Aufsichtsratsausschüsse
Abb. F.1: Die Problemfelder bei der Evaluation des Aufsichtsrats
1
Vgl. ebenso Rossi/Lipsey/Freeman (2004), S. 33 f.
2
Ähnlich zum Board Cruz Sroufe/Naficy (2005), S. 9 f. 147
(1) Die erste Frage betrifft die Entscheidung, wer die Evaluation durchführen soll. Folgt man dem Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK), ist der Aufsichtsrat zur Selbstevaluation verpflichtet (Ziffer 5.6).3 Mit der Vorbereitung und Koordination der Evaluation können der Aufsichtsratsvorsitzende, einzelne Aufsichtsratsmitglieder oder ein Ausschuss beauftragt werden.4 Da die Aufsichtsratsmitglieder in der Regel weder über die erforderliche Expertise für eine Evaluation verfügen noch als Gremienmitglied von eigenen Interessen unbeeinflusst urteilen können, erscheint es zweckmäßig, einen Berater hinzuziehen, der die Selbstevaluation moderiert.5 Dieser Moderator soll zur Objektivierung der Evaluation beitragen. Im Idealfall wird so ein gruppendynamischer Prozess im Aufsichtsrat initiiert, der interessenspezifisches Denken überwindet und die Leistung des Aufsichtsrats fördert. Eine Fremdevaluation wird von externen Institutionen wie Rating-Agenturen durchgeführt, um das Informationsbedürfnis von Anteilseignern und Stakeholdern zu befriedigen. Im Unterschied zur Selbstevaluation ermöglicht die Fremdevaluation eine vergleichende Bewertung der Aufsichtsräte verschiedener Gesellschaften. Die Güte einer Fremdevaluation hängt allerdings ganz wesentlich davon ab, inwieweit die erforderlichen Informationen öffentlich zugänglich sind. (2) Weiter ist zu spezifizieren, was im Evaluationsprozess beurteilt werden soll. Sowohl bei der Selbstevaluation als auch bei einer Fremdevaluation sind die Unternehmensstatuten (Satzung, Aufsichtsrats- und Vorstandsgeschäftsordnung), die Anforderungsprofile für die Aufsichtsratsmitglieder, der Aufsichtsratsbericht (§ 171 Abs. 2 AktG), der Corporate-Governance-Bericht (DCGK Ziffer 3.10)6 und der Vergütungsbericht (DCGK Ziffer 4.2.5) zu analy-
3
Vgl. Seibt (2003), S. 2111 f., Semler (2005), S. 402.
4
Vgl. ebenso Lentfer (2005), S. 458 f., DCGK Kommentar/v. Werder (2008), S. 295.
5
Ebenso Arbeitskreis „Externe und interne Überwachung“ der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft (2006), S. 1633. Ähnlich zum Board Demb/Neubauer (1992), S. 180 f., Daily/Dalton (2003), S. 9. Dagegen Semler (2005), S. 402: „Im Allgemeinen werden nur der betroffene Aufsichtsrat selbst und die mitwirkenden Aufsichtsratsmitglieder ein zutreffendes Urteil über die Effizienz ihrer Tätigkeit abgeben können.“
6
Im Corporate-Governance-Bericht soll erläutert werden, inwiefern das Unternehmen in von den Empfehlungen des DCGK abweicht. Da der Wirtschaftsprüfer nur die Abgabe
148
sieren.7 Um aus der Selbstevaluation zu lernen, sollten die Aufsichtsratsmitglieder über Verbesserungspotenziale des Aufsichtsrats intensiv beraten.8 Für eine Fremdevaluation ist die freiwillige Publizität der Geschäftsordnungen von Aufsichtsrat und Vorstand und des Anforderungsprofils für Aufsichtsratsmitglieder erforderlich.9 (3) Die Kriterien für eine Evaluation des Aufsichtsrats ergeben sich aus den Antworten auf die Leitfragen dieser Untersuchung: „Ist der Aufsichtsrat effektiv?“ und „Arbeitet der Aufsichtsrat effizient?“. Sie gelten sowohl für den Gesamtaufsichtsrat als auch für die Aufsichtsratsausschüsse. Hierbei gilt es zwischen den Kriterien für die Complianceprüfung und für die Performanceprüfung zu unterscheiden.10 In der juristischen und betriebswirtschaftlichen Literatur wird der Compliance hohe Bedeutung beigemessen. So sei insbesondere mit der Einhaltung der Empfehlungen des DCGK bereits die wesentliche Voraussetzung für einen effektiven und effizienten Aufsichtsrat erfüllt.11 Empirische Studien belegen den postulierten Zusammenhang jedoch in keiner Weise.12 Bei der Complianceprüfung kann daher nur geprüft werden, ob der Aufsichtsrat gesetzeskonform organisiert ist, damit es zu keinen Schadens-
der Entsprechenserklärung, nicht aber deren Inhalt testiert, ist die Richtigkeit der Angaben für Externe nicht überprüfbar. Vgl. DCGK Kommentar/Ringleb (2008), S. 31. Außerdem Paetzmann (2009) zum Corporate-Governance-Statement nach dem BilMoG. 7
So auch Bernhardt/Witt (2003), S. 332, die fordern, den Ordnungsrahmen des Aufsichtsrats zu beurteilen (Satzung, Aufsichtsrats- und Vorstandsgeschäftsordnung). Firmenspezifische Regelungen, die eine erfolgreiche Tätigkeit des Aufsichtsrats sichern sollen, ließen sich von den Aufsichtsratsmitgliedern einfordern und seien auch von Externen überprüfbar. Ebenso oben S. 79 f. zum institutionellen Ansatz bei der Evaluation des Aufsichtsrats.
8
Vgl. DCGK Kommentar/v. Werder (2008), S. 296. Vgl. auch Garratt (1999), S. 34 und Kiel/ Nicholson/Barclay (2005), S. 56, die für den Board einen Lernzyklus modellieren, der auf den Ergebnissen der Selbstevaluation aufbaut.
9
Als Vorbild kann das Informationsverhalten US-amerikanischer Aktiengesellschaften dienen. Die Unternehmensstatuten (by laws, charter, rules of procedure) sind wegen umfassender Publizitätspflichten im Internet zugänglich. Vgl. Merkt/Göthel (2006), S. 367 ff.
10
Vgl. auch DCGK Kommentar/v. Werder (2008), S. 295 f.
11
Vgl. Seibt (2003), S. 2109, Semler (2005), S. 402 ff., Theisen (2007), S. 65.
12
Vgl. Nowak/Rott/Mahr (2005), Bassen/Kleinschmidt/Prigge/Zöllner (2006). 149
ersatzansprüchen der Gesellschaft oder von Dritten kommt.13 Die Wirkung des Aufsichtsrats auf den Unternehmenserfolg soll mit der Performanceprüfung beurteilt werden. Dafür benötigt man empirisch gesicherte Erkenntnisse zur Erfolgswirkung der Einflussgrößen der Aufsichtsratstätigkeit. Nach den Befunden dieser Untersuchung muss sich die Evaluation bei der Performanceprüfung auf die personelle Zusammensetzung des Aufsichtsrats, seine unternehmenspolitische Kompetenz und die Organisation des Entscheidungsprozesses im Aufsichtsrat beziehen. In der Literatur ist umstritten, ob bei der Selbstevaluation auch eine gegenseitige Beurteilung der Aufsichtsratsmitglieder (peer review) erfolgen soll.14 Es soll – so die Befürworter – insbesondere evaluiert werden, wie aktiv die einzelnen Aufsichtsratsmitglieder an der Diskussion im Plenum teilnehmen.15 Zu Recht wird jedoch darauf hingewiesen, dass der Aufsichtsrat als Gruppe zu evaluieren ist, da auch Aufsichtsratsmitglieder, die sich in der Sitzung eher passiv verhalten, durch ihr Beziehungskapital einen wichtigen Beitrag zur erfolgreichen Tätigkeit des Aufsichtsrats leisten können.16 Deshalb sollte von der Evaluation einzelner Aufsichtsratsmitglieder abgesehen werden, auch um das Vertrauen und die Kollegialität zwischen den Mitgliedern zu wahren. (4) Schließlich ist zu entscheiden, wann der Aufsichtsrat evaluiert werden soll. In der Regel muss die Selbstevaluation einmal pro Jahr, zeitnah vor Abgabe der Entsprechenserklärung (§ 161 AktG) durchgeführt werden.17 Offen ist, ob der Aufsichtsrat dabei die Compliance und die Performance seiner Tätigkeit regelmäßig umfassend prüfen soll. Aus Kapazitätsgründen kann es sinnvoll
13
Vgl. Lutter/Krieger (2008), S. 362 f. Eine Pflichtverletzung liegt insbesondere dann vor, wenn der Aufsichtsrat es versäumt, die Rechtmäßigkeit, Ordnungsmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der unternehmerischen Entscheidungen des Vorstands zu überwachen (§ 111 Abs. 1 AktG). Ebenso Thümmel (2004), S. 85 f.
14
Zum Diskussionsstand siehe Bernhardt/Witt (2003), S. 327, Seibt (2003), S. 2109, Lentfer (2005), S. 428 f., Arbeitskreis „Externe und interne Überwachung“ der SchmalenbachGesellschaft für Betriebswirtschaft (2006), S. 1631 f.
15
Vgl. Seibt (2003), S. 2111, Lentfer (2005), S. 637, Fischhuber (2008), S. 83 f.
16
Vgl. Conger/Finegold/Lawler (1998), S. 144.
17
Vgl. Lutter/Krieger (2008), S. 250.
150
sein, einzelne Aspekte nur aus gegebenem Anlass vertieft zu untersuchen.18 Zur Fremdevaluation durch Rating-Agenturen existiert kein Maßstab. Es erscheint jedoch auch hier zweckmäßig, Aufsichtsräte nicht nur fallweise, sondern regelmäßig, etwa im 2-3 jährigen Rhythmus, zu begutachten, um das Informationsbedürfnis von Anteilseignern und Stakeholdern zu befriedigen. II.
Die Evaluationskriterien
Im Folgenden sollen die Kriterien für die Evaluation des Aufsichtsrats spezifiziert werden. Es wird zwischen den Evaluationskriterien für die Compliance und für die Performance unterschieden, die sich jeweils auf die Interessenvertretung und die Überwachung durch den Gesamtaufsichtsrat, die Organisation des Entscheidungsprozesses und die Aufsichtsratsausschüsse beziehen. 1.
Compliance
(1) Die Compliancekriterien zur Interessenvertretung und Überwachung durch den Gesamtaufsichtsrat ergeben sich aus dem Aktien- und dem Mitbestimmungsrecht sowie dem DCGK. Wie Tabelle F.1 zeigt, geht es dabei um die personelle Zusammensetzung des Aufsichtsrats, die Prüf- und die Rechenschaftspflichten und die Kompetenzen des Aufsichtsrats. Bei der personellen Zusammensetzung des Aufsichtsrats ist zu prüfen, ob die Größe des Aufsichtsrats und die Zahl der Kapitaleigner- und der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat den gesetzlichen Vorschriften entsprechen. Weiter muss untersucht werden, ob die Aufsichtsratsmitglieder nicht mehr als zehn Aufsichtsratsmandate haben, damit die zeitlichen Anforderungen der Mitgliedschaft erfüllt werden können.19 Im juristischen Schrifttum ist umstritten, wie bei vorübergehenden oder dauerhaften Interessenkonflikten einzelner Aufsichtsratsmitglieder zu verfahren ist. Dies betrifft etwa Mehrfachmandate in Aufsichtsräten von Unternehmen, die miteinander im Wettbewerb stehen,
18
Vgl. DCGK Kommentar/v. Werder (2008), S. 295. So auch zum Board Demb/Neubauer (1992), S. 181 und Conger/Finegold/Lawler (1998), S. 139.
19
Vgl. Münchener Kommentar/Habersack (2008), § 100 Rn. 14 ff. 151
Kriterien
SelbstFremdevaluation evaluation
Personelle Zusammensetzung des Aufsichtsrats • Besetzung des Aufsichtsrats gesetzeskonform
9
9
• Zahl der Aufsichtsratsmandate je Aufsichtsratsmitglied 10 (§ 100 Abs. 2 Nr. 1)
9
91
• Keine Stimmabgabe bei Interessenkonflikt (§ 34 BGB)
9
• Interessenkonflikte der Aufsichtsratsmitglieder offengelegt (DCGK Ziffer 5.5.2, 5.5.3)
9
91
• Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder (DCGK Ziffer 5.4.2, 5.4.4)
9
91
• Fachliche Qualifikation der Aufsichtsratsmitglieder (DCGK Ziffer 5.4.1)
9
91
• Konzern- bzw. Jahresabschluss ordnungsgemäß (§ 171 Abs. 1 AktG)
9
9
• Risikomanagementsystem geprüft (§ 91 Abs. 2 AktG)
9
9
• Rechenschaftspflichten des Aufsichtsrats
- Aufsichtsratsbericht (171 Abs. 2 AktG)
9
9
- Entsprechenserklärung (§ 161 AktG)
9
91
- Corporate-Governance-Bericht (DCGK Ziffer 3.10)
9
91
• Sachgerechte Organisation der Vorstandsarbeit (§ 77 Abs. 2 AktG)
9
92
• Angemessenheit der Vorstandsentlohnung (§ 87 Abs. 1 S. 1 AktG)
9
91
• Gemeinsame Nachfolgeplanung von Aufsichtsrat und Vorstand (DCGK Ziffer 5.1.2)
9
91
9
92
• Vorstand erfüllt gesetzliche Berichtspflicht (§ 90 AktG)
9
9
• Berichtspflicht des Vorstands in einer Informationsordnung präzisiert (DCGK Ziffer 3.4 Abs. 3 S. 1)
9
92
Prüf- und Rechenschaftspflichten
Personalhoheit und Organisationskompetenz
Unternehmenspolitische Kompetenz • Angemessener Katalog zustimmungspflichtiger Geschäfte kreiert (§ 111 Abs. 4 S. 2 AktG) Beratungskompetenz
1 2
Voraussetzung: Gesellschaft börsennotiert (§§ 125 Abs. 1 S. 3, 161 AktG; § 285 Nr. 9 a, Nr. 10 HGB). Voraussetzung: Publizität der Unternehmensstatuten.
Tab. F.1: Complianceprüfung des Gesamtaufsichtsrats: Interessenvertretung und Überwachung
152
oder Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat, die Tarifverhandlungen führen und in dieser Funktion zum Arbeitskampf aufrufen.20 Nach h.M. begründet jedoch selbst eine dauerhafte Interessenkollision keine Pflicht zur Niederlegung des Mandats.21 Bei der Complianceprüfung muss dennoch kontrolliert werden, ob ein Aufsichtsratsmitglied bei einer Pflichtenkollision der Beschlussfassung auch fernbleibt.22 Folgt das Unternehmen dem DCGK, so ist zu prüfen, ob die Interessenkonflikte gegenüber Aufsichtsrat und Hauptversammlung offengelegt worden sind.23 Mit dieser Frage eng verbunden ist die Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder. Diese bildet zwar von Gesetzes wegen keine Voraussetzung für eine Bestellung.24 Bei Entsprechung mit dem DCGK muss aber begutachtet werden, ob die Aufsichtsratsmitglieder finanziell unabhängig sind oder potenzielle Interessenkonflikte bekannt geworden sind.25 Weiter ist die fachliche Qualifikation der Aufsichtsratsmitglieder zu prüfen. Diese Empfehlung des DCGK lässt materiell allerdings einen großen Ermessensspielraum zu, da der Aufsichtsrat kein Anforderungsprofil als Maßstab für die Eignung der Aufsichtsratsmitglieder verabschieden muss.26 Für die Compliance muss begutachtet werden, inwieweit der Aufsichtsrat den allgemeinen Prüf- und Rechenschaftspflichten nachkommt. Zur pflichtgemäßen Erfüllung der Aufgaben des Aufsichtsrats zählen die Prüfung des Kon-
20
Vgl. Lutter/Krieger (2008), S. 350 ff. mit weiteren Beispielen.
21
Vgl. Hanau/Wackerbarth (2004), S. 37 f., Wirth (2005), S. 345, Münchener Kommentar/ Habersack (2008), § 100 Rn. 58. A.A. Großkomm. AktG/Hopt/Roth (2005), § 100 Rn. 73
22
Vgl. Hanau/Wackerbarth (2004), S. 37 m.w.N.
23
Vgl. DCGK Kommentar/Kremer (2008), S. 287 ff. Dagegen Hanau/Wackerbarth (2004), S. 39, die bemängeln, dass der DCGK die Begriffe des wesentlichen Wettbewerbs, der Organfunktion und der Beratungsaufgaben nicht präzisiert.
24
Vgl. Großkomm. AktG/Hopt/Roth (2005), § 100 Rn. 86 ff., Münchener Kommentar/ Habersack (2008), § 100 Rn. 54. A.A. Säcker (2004), S. 182 ff. mit Reformvorschlägen zur Verbesserung der persönlichen Eignungsvoraussetzungen von Aufsichtsratsmitgliedern.
25
Vgl. DCGK Kommentar/Kremer (2008), S. 268 f. Außerdem die Empfehlung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2005), Abl. L 52 vom 25.02.2005, Ziffer 13.1, S. 56, die jedoch im Unterschied zum DCGK auch Mehrheitsaktionäre als abhängig klassifiziert.
26
Vgl. die Kritik des Arbeitskreises „Externe und interne Überwachung der Unternehmung der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e.V.“ (2006), S. 1627. 153
zern- bzw. Jahresabschlusses und des Risikomanagementsystems.27 Der Aufsichtsratsbericht über das Prüfungsergebnis, die (gemeinsame) Entsprechenserklärung von Vorstand und Aufsichtsrat und der Corporate-GovernanceBericht sind Anteilseignern und Stakeholdern zugänglich zu machen. Bei den Kompetenzen des Aufsichtsrats zur Überwachung gilt es die pflichtgemäße Ausübung der Personalhoheit und der Organisationskompetenz, der unternehmenspolitischen Kompetenz und der Beratungskompetenz zu beurteilen. Der Aufsichtsrat hat für eine sachgerechte Organisation der Vorstandsarbeit zu sorgen. Dazu muss er entweder selbst eine Vorstandsgeschäftsordnung erlassen, die die Geschäftsverteilung und Zusammenarbeit im Vorstand regelt, oder die vom Vorstand erlassene Geschäftsordnung genehmigen.28 Zur Personalhoheit muss geprüft werden, ob die Höhe und Zusammensetzung der Vorstandsgehälter in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben des Einzelnen und zur Lage der Gesellschaft stehen oder eine Anpassung erforderlich ist. Mögliche Kriterien für die Angemessenheit sind neben der Schwierigkeit der Aufgabe und der Qualität der Aufgabenerfüllung ferner die Qualifikation, der Marktpreis, die Dauer der Zugehörigkeit zur Gesellschaft oder auch familiäre Verhältnisse.29 Zur vorbeugenden Überwachung des Vorstands muss die Hauptversammlung oder der Aufsichtsrat zustimmungspflichtige Geschäfte kreieren. Pflichtbestandteil sind Geschäfte von grundlegender Bedeutung, die Auswirkung auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens haben.30 Strittig ist, ob die strategische Planung unter Zustimmungsvorbehalt gestellt werden kann.31 Handelt es sich um den Aufsichtsrat einer Konzernobergesellschaft, so muss sich der Katalog zustimmungspflichtiger Geschäfte auch auf die Konzerntöchter beziehen.32 Nach
27
Vgl. Lutter/Krieger (2008), S. 25 f. und 228 ff. m.w.N. Weiter Ernst/Seidler (2008), S. 662 ff. zur Konkretisierung der Prüfpflicht durch das BilMoG.
28
Vgl. Münchener Kommentar/Spindler (2008), § 77 Rn. 47, Lutter/Krieger (2008), S. 194 f.
29
Vgl. Thüsing (2003), S. 469 ff., Lutter/Krieger (2008), S. 165 f. Vgl. weiter Kort (2007), S. 1132 zur Pflichtverletzung bei Zusage unangemessener Vorstandsbezüge.
30
Vgl. Münchener Kommentar/Habersack (2008), § 111 Rn. 109, Kropff (2009), S. 379 f.
31
Aus betriebswirtschaftlicher Sicht bejahend Albach (1997), S. 36. A.A. Fonk (2006), S. 849 f.
32
Vgl. Kropff (2009), S. 390 f.
154
h.M. hat der Aufsichtsrat selbst zu prüfen, dass der Vorstand seine Berichtspflicht gegenüber dem Aufsichtsrat erfüllt. Bei der Complianceprüfung ist deshalb zu kontrollieren, ob eine Informationsordnung die pflichtgemäße Ausübung der Beratungskompetenz sicherstellt.33 (2) Der Aufsichtsrat ist zur sachgerechten Organisation seines Entscheidungsprozesses verpflichtet.34 Es existieren jedoch kaum gesetzliche Regelungen und Empfehlungen des DCGK, die als Grundlage für die Complianceprüfung dienen könnten (vgl. Tabelle F.2).
Kriterien
SelbstFremdevaluation evaluation
Strukturelle Faktoren
• Übermittlung der Vorstandsberichte an alle Aufsichtsratsmitglieder durch den Aufsichtsratsvorsitzenden (§ 90 Abs. 5 AktG)
9
91
• Berichtssystem der Ausschüsse (§ 107 Abs. 3 S. 3 AktG)
9
91
• Regelmäßiger Kontakt des Aufsichtsratsvorsitzenden mit Vorstand (DCGK Ziffer 5.2 Abs. 3 S. 1)
9
91
• Existenz Prüfungsausschuss (DCGK Ziffer 5.3.2 S. 1)
9
91
• Existenz Nominierungsausschuss (DCGK Ziffer 5.3.3)
9
91
Entscheidungsprozess im Aufsichtsrat
• Zahl der Sitzungen mind. zwei pro Halbjahr (§ 110 Abs. 3 AktG)
9
91
• Persönliche Teilnahme der Aufsichtsratsmitglieder an Sitzungen (§ 109 Abs. 1 S. 1 AktG)
9
91
• Nutzung des Sachverstands von Beratern (§ 109 Abs. 1 S. 2 AktG)
9
• Ausreichende Dokumentation der Beschlüsse im Protokoll (§ 107 Abs. 2 AktG)
9
1
Voraussetzung: Gesellschaft ist börsennotiert (§§ 161, 171 Abs. 2 S. 2 AktG).
Tab. F.2: Complianceprüfung des Gesamtaufsichtsrats: Organisation des Entscheidungsprozesses
33
Vgl. Großkomm. AktG/Hopt/Roth (2005), § 116 Rn. 126 ff., Leyens (2006), S. 145 f., Lutter/Krieger (2008), S. 133. Insofern entspricht die Empfehung des DCGK, eine Informationsordnung zu erlassen (Ziffer 3.4 Abs. 3 S. 1), der gängigen Rechtsauffassung. Der Hinweis, vom Vorstand nicht informiert worden zu sein, mindert nicht die Haftung gegenüber der Gesellschaft oder Dritten. Vgl. Thümmel (2004), S. 86, Lutter (2006), S. 144.
34
Vgl. Hommelhoff/Mattheus (1998), S. 254, Lutter/Krieger (2008), S. 249. 155
Bei der Complianceprüfung der strukturellen Faktoren des Aufsichtsrats muss begutachtet werden, ob der Aufsichtsratsvorsitzende die Vorstandsberichte unverzüglich an alle Mitglieder weiterleitet35 und das Berichtssystem im Aufsichtsrat eine regelmäßige Information über die Arbeit der Ausschüsse gewährleistet.36 Sofern den Empfehlungen des DCGK entsprochen wird, ist bei der Evaluation zu kontrollieren, ob eine regelmäßige Beratung zwischen Vorstand und Aufsichtsratsvorsitzendem erfolgt und ein Prüfungsausschuss sowie ein Nominierungsausschuss eingerichtet ist.37 Zum Entscheidungsprozess im Aufsichtsrat soll geprüft werden, inwiefern der Aufsichtsrat die Pflichtsitzungen abhält und die Aufsichtsratsmitglieder daran teilnehmen.38 Für eine pflichtgemäße Überwachung muss der Aufsichtsrat bei der Beratung einzelner Sachverhalte Sachverständige einbeziehen.39 Weiter ist zu evaluieren, ob die Beschlussfassung im Aufsichtsrat ausreichend protokolliert wird. Das Sitzungsprotokoll ist Maßstab für die Durchführung und die Kontrolle der Beschlüsse und dient der Dokumentation bei Haftungsfragen.40 (3) Für die Aufsichtsratsausschüsse gelten im Grundsatz die gleichen Rechte und Pflichten wie für den Gesamtaufsichtsrat (vgl. Tabelle F.3). Werden Entscheidungen an Ausschüsse delegiert, so muss zusätzlich geprüft werden, ob dabei die gesetzlichen Restriktionen beachtet worden sind.41
35
Vgl. Münchener Kommentar/Spindler (2008), § 90 Rn. 44 f.
36
Vgl. Münchener Kommentar/Habersack (2008), § 107 Rn. 155 f.
37
Im juristischen Schrifttum wird diskutiert, die Bildung von Ausschüssen bei großen börsennotierten Gesellschaften vorzuschreiben. Vgl. Gittermann (2009), S. 236 f. m.w.N. Nach dem BilMoG muss zukünftig ein Mitglied des Prüfungsausschusses über Sachverstand auf dem Gebiet der Abschlussprüfung verfügen. Vgl. Ernst/Seidler (2008), S. 665.
38
Die Überwachungspflicht des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds besteht auch bei NichtTeilnahme an der Sitzung. Vgl. Münchener Kommentar/Habersack (2008), § 109 Rn. 7.
39
Vgl. statt vieler Lutter/Krieger (2008), S. 365.
40
Vgl. Großkomm. AktG/Hopt/Roth (2005), § 107 Rn. 190 f., Münchener Kommentar/ Habersack (2008), § 107 Rn. 84 f.
41
Vgl. Lutter/Krieger (2008), S. 300 ff. m.w.N.
156
Kriterien
SelbstFremdevaluation evaluation
Aufsichtsratsausschüsse
1 2
• Besetzung der Aufsichtsratsausschüsse gesetzeskonform
9
91
• Persönliche Teilnahme der Ausschussmitglieder an Sitzungen (§ 109 Abs. 1 S. 1 AktG)
9
91
• Nutzung des Sachverstands von Beratern (§ 109 Abs. 1 S. 2 AktG)
9
• Beschlussfähigkeit pflichtgemäß geregelt
9
92
• Entscheidungsbefugnis der Aufsichtsratsausschüsse gesetzeskonform (§ 107 Abs. 3 S. 2 AktG)
9
92
• Dokumentation der Aufsichtsratsbeschlüsse im Protokoll (analog § 107 Abs. 2 AktG)
9
Voraussetzung: Gesellschaft ist börsennotiert (§ 171 Abs. 2 S. 2 AktG). Voraussetzung: Publizität der Unternehmensstatuten.
Tab. F.3: Complianceprüfung der Aufsichtsratsausschüsse
157
2.
Performance
(1) Die Evaluationskriterien für die Performanceprüfung des Aufsichtsrats können aus den Befunden der empirischen Untersuchung42 abgeleitet werden. Für eine erfolgreiche Interessenvertretung und Überwachung durch den Aufsichtsrat müssen danach die personelle Zusammensetzung des Aufsichtsrats und seine unternehmenspolitische Kompetenz evaluiert werden (vgl. Tabelle F.4).
Kriterien Personelle Zusammensetzung des Aufsichtsrats
SelbstFremdevaluation evaluation
- finanzielle Ressourcen
9
91
- technologische Ressourcen
9
91
- Humanressourcen
9
91
• Zusammensetzung spiegelt Ressourcenabhängigkeit wider
• Fachliche Kompetenz der Aufsichtsratsmitglieder
- unternehmensspezifisches Wissen
9
91
- Branchenwissen
9
91
- Internationales Know-how
9
91
- politisches und rechtliches Wissen
9
91
Unternehmenspolitische Kompetenz
• Produkt-Markt-Konzept
- Unternehmensstrategie
9
92
- Wettbewerbsstrategie
9
92
- Gesamt-/Wirtschaftspläne
9
92
- Finanz-/Investitionspläne
9
92
- Planüberschreitung
9
92
• Planungsangelegenheiten,
1 2
Voraussetzung: Gesellschaft ist börsennotiert (§ 125 Abs. 1 AktG; § 285 Nr. 10 HGB). Voraussetzung: Publizität der Unternehmensstatuten.
Tab. F.4: Performanceprüfung des Gesamtaufsichtsrats: Interessenvertretung und Überwachung
42
Vgl. oben S. 130 ff.
158
Als zentrale Einflussgröße für den Unternehmenserfolg hat sich die personelle Zusammensetzung des Aufsichtsrats herauskristallisiert.43 Um zu prüfen, ob die Besetzung des Aufsichtsrats den für das Unternehmen erfolgskritischen Ressourcen Rechnung trägt und die Aufsichtsratsmitglieder fachlich kompetent sind, empfiehlt es sich, die Mitglieder des Aufsichtsrats wie folgt zu klassifizieren:44 • Aktionäre (insb. Gründungseigentümer) und Aktionärsvereinigungen, • Unternehmens-/Bankenvertreter mit Mehrheits-/Minderheitsbeteiligung, • Bankenvertreter ohne Kapitalbeteiligung, • Unternehmensvertreter ohne Kapitalbeteiligung, • Altvorstände, • Unternehmensberater und Rechtsanwälte, • Experten/Wissenschaftler, • öffentlichen Vertreter ohne Kapitalbeteiligung, • Betriebsräte, Nicht-Betriebsräte und leitende Angestellte, • interne und externe Gewerkschaftsvertreter. Für die finanzielle Ressourcen sind nicht nur die Aktionäre und Beteiligtenvertreter bedeutsam, sondern auch die Repräsentanten der Banken, die den Zufluss von Fremdkapital garantieren. Den Zugang zu technologischen Ressourcen sichern Vertreter anderer Unternehmen mit und ohne Kapitalbeteiligung, Experten und Wissenschaftler. Alle Aufsichtsratsmitglieder bringen (potenziell) strategisches Wissen und Kontakte zu Stakeholdern in den Aufsichtsrat ein. Im Einzelnen müssen deshalb die fachlichen Kompetenzen der Humanressourcen im Aufsichtsrat geprüft werden.45 Unternehmensspezifisches Wissen besitzen insbesondere Gründungseigentümer und Altvorstände, die unternehmensangehörigen
Betriebsräte
und
der
Leitende
Angestellte.
Aufsichtsratsmitglieder aus Industrie und Handel, Altvorstände, Berater
43
Vgl. auch Nicholson/Kiel (2004), S. 450, die die personellen Verflechtungen zu Inhabern erfolgskritischer Ressourcen als das „soziale Kapital“ des Aufsichtsorgans bezeichnen.
44
Vgl. auch Gerum (2007), S. 239.
45
Vgl. Nicholson/Kiel (2004), S. 450 f. und Jürgens/Lippert/Gaeth (2008), S. 116 f. zu einer Systematisierung der Wissensarten. 159
sowie Experten und Wissenschaftler haben Wissen über Märkte und Technologien. Über politisches und rechtliches Wissen verfügen insbesondere Rechtsanwälte, öffentliche Vertreter (Politiker) und Gewerkschaftsvertreter. Um im Einzelnen durch Selbstevaluation oder Fremdevaluation die Eignung der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder für eine effektive Interessenvertretung und Überwachung prüfen zu können, sollte ein firmenspezifisches Anforderungsprofil für die Aufsichtsratsmitglieder formuliert und publiziert werden.46 Dieses Anforderungsprofil bietet zugleich eine Orientierung, wenn es um die Besetzung vakanter Positionen im Aufsichtsrat geht. Um die erfolgswirksame Interessenvertretung und Überwachung des Aufsichtsrats zu sichern, ist es weiter erforderlich, die unternehmenspolitische Kompetenz des Aufsichtsrats zu evaluieren. Bei der Performanceprüfung muss im Einzelnen begutachtet werden, ob der Aufsichtsrat über zustimmungspflichtige Geschäfte zur strategischen Planung (Unternehmensstrategie, Wettbewerbsstrategie) oder zu den Planungsangelegenheiten verfügt. Nur diese Zustimmungsvorbehalte ermöglichen es dem Aufsichtsrat, die unternehmerischen Entscheidungen des Vorstands effektiv zu überwachen und Interessenvorbehalte von Stakeholdern, die die erfolgreiche Umsetzung der Unternehmensstrategie gefährden könnten, frühzeitig zu äußern. (2) Zur Erfolgswirkung des Entscheidungsprozesses im Aufsichtsrat müssen die Informationseffizienz, die Interaktionseffizienz und die Zeiteffizienz evaluiert werden (vgl. Tabelle F.5).47 Zentral für die Effizienz des Entscheidungsprozesses ist die Informationsversorgung. Ansonsten muss bei der Performanceprüfung beurteilt werden, ob alle Aufsichtsratsmitglieder die Willensbildung beeinflussen können, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Kapitaleigner- oder Arbeitnehmervertreter handelt. Eine positive Diskussionskultur lässt sich zwar nicht statutarisch befehlen, die Evaluation kann aber ein Verbesserungspotenzial für die
46
So auch der Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2005), Abl. L 52 vom 25.02.2005, Ziffer 11.1, S. 56.
47
Zum empirischen Befund vgl. oben S. 140 ff.
160
Kriterien
1
SelbstFremdevaluation evaluation
Informationseffizienz
• Berichtspflicht des Vorstands inhaltlich und zeitlich präzisiert
9
91
• Einladung mit vollständiger Tagesordnung und Sitzungsunterlagen
9
91
• Sitzungsvorbereitung durch Aufsichtsratsausschuss
9
91
• Strategieausschuss, entscheidungsvorbereitend
9
91
• Kapitaleigner- und Arbeitnehmervertreter in entscheidungsvorbereitenden Ausschüssen
9
91
Interaktionseffizienz
• Kein automatisches Anwesenheitsrecht des Vorstands im Aufsichtsrat
9
91
• Beschlussfähigkeit nicht zugunsten der Kapitaleigner verschärft
9
91
• Bei Stimmengleichheit zwingend erneute Erörterung
9
91
• Keine Verschärfung der Verschwiegenheitspflicht
9
91
Zeiteffizienz
• Gemischte Beschlussfassung möglich
9
91
• Kein Widerspruchsrecht bei Beschlussfassung im Umlaufverfahren
9
91
• Bei Stimmengleichheit Pattauflösung durch Aufsichtsratsvorsitzenden in der gleichen Sitzung
9
91
Voraussetzung: Publizität der Unternehmensstatuten.
Tab. F.5: Performanceprüfung des Gesamtaufsichtsrats: Organisation des Entscheidungsprozesses
Ausgestaltung der Aufsichtsratsgeschäftsordnung aufzeigen. Um die Chance für erfolgsträchtige Entscheidungen zu steigern, ist insbesondere zu diskutieren, ob nicht negativ wirkende Regelungen reduziert werden können. (3) Für die Performance der Aufsichtsratsausschüsse gelten die gleichen Voraussetzungen wie beim Gesamtaufsichtsrat (vgl. Tabelle F.6). Um die Effizienzvorteile der Ausschussbildung zu nutzen, ohne die Entscheidungskompetenz des Gesamtaufsichtsrats auszuhöhlen, sollten die Aufsichtsratsausschüsse zu strategischen Planungsangelegenheiten und strategischen Maßnahmen nur entscheidungsvorbereitend tätig sein. Hierzu müssen die Vorgaben in der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats geprüft werden. Es empfiehlt sich, dass die Ausschüsse vor jeder Sitzung des Gesamtaufsichtsrats tagen.
161
Kriterien
SelbstFremdevaluation evaluation
Zusammensetzung und Aufgaben der Aufsichtsratsausschüsse
9
91
- unternehmensspezifisches Wissen
9
91
- Branchenwissen
9
91
- Internationales Know-how
9
91
- politisches und rechtliches Wissen
9
91
- strategische Planungsangelegenheiten (entscheidungsvorbereitend)
9
92
- strategische Maßnahmen (entscheidungsvorbereitend)
9
92
- funktionale Politiken (entscheidungsbefugt)
9
92
• Kapitaleigner- und Arbeitnehmervertreter in Ausschüssen • Fachliche Kompetenz der Ausschussmitglieder
• Aufgaben Aufsichtsratsausschuss
Entscheidungsprozess im Aufsichtsratsausschuss
1 2 3
• Einladung mit vollständiger Tagesordnung und Sitzungsunterlagen
9
92
• Sitzungshäufigkeit mindestens 4mal pro Jahr
9
93
• Kein automatisches Anwesenheitsrecht des Vorstands
9
92
• Beschlussfähigkeit nicht verschärft
9
92
• Bei Stimmengleichheit Verweis an Gesamtaufsichtsrat
9
92
Voraussetzung: Angabe der Ausschussmitglieder im Geschäftsbericht. Voraussetzung: Publizität der Unternehmensstatuten. Voraussetzung: Gesellschaft ist börsennotiert (§ 171 Abs. 2 S. 2 AktG).
Tab. F.6: Performanceprüfung der Aufsichtsratsausschüsse
III. Diskussion Die Aufsichtsräte müssen sich daran messen und messen lassen, ob die firmenspezifischen Regelungen eine pflichtgemäße (Compliance) und erfolgssteigernde Aufsichtsratsarbeit (Performance) ermöglichen. Diese Verpflichtung gilt sowohl für die Konzernobergesellschaften und die Konzerntöchter als auch für Eigentümer- und Managerunternehmen. Der hier vorgestellte Leitfaden zur Evaluation des Aufsichtsrats ermöglicht es, die Effektivität und die Effizienz der Interessenvertretung und Überwachung in deutschen Aktiengesellschaften anhand organisationstheoretisch fundierter und empirisch überprüfter Kriterien zu beurteilen. Dabei geht es im Hinblick auf den Unternehmensfortbestand in einer komplexen Wettbewerbsumwelt 162
insbesondere um die Besetzung des Aufsichtsrats mit fachlich kompetenten Personen, die den Zugang zu erfolgskritischen Ressourcen bieten, um zustimmungspflichtige Geschäfte zur strategischen Planung und um einen effizient organisierten Entscheidungsprozess. Der Leitfaden ist so konzipiert, dass sich diese Rahmenbedingungen nicht nur vom Aufsichtsrat selbst, sondern auch bei Fremdevaluation im Auftrag der Anteilseigner oder der Stakeholder überprüfen und einfordern lassen: durch eine Analyse der Unternehmensstatuten, durch den Abgleich mit den Anforderungsprofilen für Aufsichtsratsmitglieder und durch die Prüfung des Aufsichtsratsberichts und des Corporate-Governance-Berichts. Im Vergleich zu den in der Wissenschaft und Praxis entwickelten Konzepten für die Evaluation des Aufsichtsrats48 ergeben sich grundlegende Unterschiede. Bislang hat man sich ausschließlich mit der Selbstevaluation des Aufsichtsrats befasst. Von den in der Literatur diskutieren Leitfäden, Fragebögen und Checklisten ist keiner für die Fremdevaluation des Aufsichtsrats vorgesehen. Der zentrale Unterschied ist jedoch, dass (zumeist) nicht zwischen Complianceprüfung und Performanceprüfung differenziert wird.49 Damit verbunden ist ein theoretisches und empirisches Begründungsdefizit der Sollgrößen für die erfolgssteigernde Tätigkeit des Aufsichtsrats. Die Evaluationskriterien werden ohne vorgängige empirische Überprüfung aus Alltagserfahrung, Best-Practice-Wissen oder der vermeintlichen Effizienzwirkung der Empfehlungen und Anregungen des DCGK abgeleitet.50 Die firmenspezifische
48
Vgl. die Konzepte von Seibt (2003), Sick (2003), Arbeitskreis „Externe und interne Überwachung“ der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft (2006), Arbeitskreis „Steuern und Revision“ (2006), Lentfer (2005), S. 627 ff. und Strieder (2007). Der Vergleich kann sich naturgemäß nicht auf die Praxis von Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaften beziehen, da die Evaluationskriterien von diesen nicht publiziert werden.
49
So Seibt (2003), Sick (2003), Semler (2005) und Lentfer (2005). Einzig der Arbeitskreis „Steuern und Revision“ (2006) unterscheidet zwischen Mindestanforderungen an den Aufsichtsrat für die Compliance und personellen oder organisatorischen „Effizienzhindernissen“ für die Performance. Dagegen Strieder (2007), der sich nur auf die Compliance bezieht.
50
Vgl. Seibt (2003), S. 2110 f., Sick (2003), S. 13, Lentfer (2005), S. 433 f., Arbeitskreis „Steuern und Revision“ (2006), S. 13 ff. 163
Ausgestaltung des Aufsichtsrats, die empirisch höchst erfolgsrelevant ist, wird gar nicht oder nur am Rande behandelt.51 So wird von diesen Konzepten insbesondere der Erfolgsbeitrag, den die Nicht-Beteiligten im Aufsichtsrat durch ihr Humankapital (Wissen) und mit ihrem Sozialkapital (Kontakte zu Stakeholdern) erbringen, nicht erfasst. Das zentrale Defizit der wissenschaftlichen Diskussion zur Evaluation des Aufsichtsrats ist demnach, dass bisher die Evaluationskriterien nicht selbst evaluiert wurden.
51
Vgl. etwa Lentfer (2005), S. 433 f., der die Evaluationskriterien mit Grundsätzen ordnungsgemäßer Überwachung und dem DCGK begründet. Dem Aufsichtsrat verbleibe dann nur noch die Berücksichtigung unternehmensspezifischer Besonderheiten.
164
G. Resümee Anlass der Untersuchung war die rechtspolitische und ökonomische Diskussion über die Leistungsfähigkeit des Aufsichtsrats. Die Vorschläge für eine effektive und effiziente Überwachung durch den Aufsichtsrat fokussieren regelmäßig nur die strukturellen Merkmale des Aufsichtsrats. Die Erfolgswirkung der Kompetenzen des Aufsichtsrats und der Organisation des Entscheidungsprozesses im Aufsichtsrat waren bislang kaum Gegenstand der theoretischen
und
empirischen
Aufsichtsratsforschung.
Der
Deutsche
Corporate Governance Kodex (DCGK) postuliert in diesem Kontext eine systematische Evaluation des Aufsichtsrats (Ziffer 5.6). Mit der Evaluation soll die Einhaltung von gesetzlichen Regelungen und der Empfehlungen des DCGK (Compliance) geprüft und der Beitrag des Aufsichtsrats zum Unternehmenserfolg (Performance) begutachtet werden. Der DCGK schweigt aber zu Ablauf und Kriterien der Evaluation. Ziel der Arbeit war es deshalb, theoretisch und empirisch Kriterien für einen Leitfaden zur Evaluation des Aufsichtsrats zu begründen. Hierfür galt es, den Zusammenhang zwischen der firmenspezifischen Ausgestaltung der personellen Zusammensetzung des Aufsichtsrats, der Kompetenzen zur Überwachung, der Organisation des Entscheidungsprozesses und dem Unternehmenserfolg zu untersuchen. Im Folgenden werden die Ergebnisse der Untersuchung thesenförmig zusammengefasst. (1) Die Untersuchung orientierte sich an den Leitfragen „Ist der Aufsichtsrat effektiv?“ und „Arbeitet der Aufsichtsrat effizient?“. Die erste Leitfrage bezieht sich auf die Aufgaben und Rechte des Aufsichtsrats in einer Aktiengesellschaft. Als Ziel eines effektiven Aufsichtsrats gelten der Schutz der verfassungskonstituierenden Interessen und die Sicherung des Unternehmensfortbestands. Die zweite Leitfrage befasst sich mit den Rahmenbedingungen der Entscheidungsfindung im Aufsichtsrat. Ein effizient organisierter Entscheidungsprozess soll die Qualität der Aufsichtsratsentscheidungen positiv beeinflussen. (2) Für die Evaluation des Aufsichtsrats war zu analysieren, ob die Einhaltung des geltenden Rechts (Compliance) bereits eine effektive und effiziente Über165
wachung und Interessenvertretung durch den Aufsichtsrat bewirkt. Die Explikation der gesetzlichen Bestimmungen und der Empfehlungen des DCGK ergab, dass die Anforderungen an den Aufsichtsrat in den vergangenen Jahren durch Reformaktivitäten des Gesetzgebers zwar verschärft wurden. Dennoch sind die personelle Zusammensetzung des Aufsichtsrats, seine Kompetenzen zur Überwachung des Vorstands und die Organisation des Entscheidungsprozesses im Aufsichtsrat nicht abschließend geregelt. In der rechtspolitischen und in der betriebswirtschaftlichen Debatte ist umstritten, ob und wie die gesetzlichen Regelungen für einen erfolgswirksamen Aufsichtsrat (Performance) weiter firmenspezifisch konkretisiert werden können bzw. müssen. (3) Die Bestandsaufnahme des theoretischen und empirischen auf die Effektivität und die Effizienz des Aufsichtsrats beziehbaren Wissens ergab, dass die Rolle des Aufsichtsrats als unternehmenspolitisches Instrument zur Kooptation erfolgskritischer Ressourcen, die Kompetenzverteilung zwischen Aufsichtsrat und Vorstand und der Entscheidungsprozess im Aufsichtsrat vernachlässigt werden. In der wissenschaftlichen Diskussion zu Aufsichtsrat und Board dominieren – rein quantitativ – die Argumente der PrinzipalAgenten-Theorie: die Größe des Aufsichtsorgans und die Unabhängigkeit seiner Mitglieder. Die prognostizierten Wirkungen wurden in den empirischen Studien aber ganz überwiegend nicht bestätigt. Im Gegensatz dazu konnten die Thesen der organisationstheoretischen Ansätze weitgehend empirisch bestätigt werden. Insgesamt ist der Stand der empirischen Forschung zum Aufsichtsrat jedoch defizitär. Als sinnvoller Anknüpfungspunkt für die Evaluation des Aufsichtsrats erwiesen sich insbesondere der Resource-Dependence-Ansatz und die verhaltenswissenschaftliche Entscheidungs- und Gruppentheorie. (4) Der Druck institutioneller Investoren und die Empfehlungen in CorporateGovernance-Kodices haben dazu geführt, dass die Evaluation des Aufsichtsrats, wie auch beim Board, für börsennotierte Publikumsgesellschaften inzwischen Standard ist. Völlig unklar ist allerdings, welche Kriterien bei einer Selbstevaluation oder der Fremdevaluation zur Beurteilung des Aufsichtsrats gelten sollen. Die Evaluationskriterien der in der Literatur diskutierten Leitfäden, Checklisten und Fragebögen zum Aufsichtsrat werden ausschließlich 166
mit Best-Practice-Erfahrungen, den Empfehlungen des DCGK oder mit Verweis auf die Praxis im angloamerikanischen Board begründet. Von keinem der Autoren wurde jedoch die unterstellte Erfolgswirkung der Evaluationskriterien empirisch validiert. Organisationstheoretische Argumente spielten hierbei typischerweise keine Rolle. (5) Das Defizit in der Debatte um die Effektivität und Effizienz des Aufsichtsrats war Anlass ein theoretisch und empirisch begründetes Evaluationskonzept zu entwickeln. Dafür galt es die Erfolgswirkung von Gestaltungsvarianten des Aufsichtsrats empirisch zu untersuchen. Aus organisationstheoretischer Sicht war zu erwarten, dass die Unternehmensstrategie und die damit verbundene Umweltkomplexität die Ausgestaltung der personellen Zusammensetzung des Aufsichtsrats und seiner unternehmenspolitischen Kompetenz bestimmt (Umweltinteraktionsansatz). Ein effizient organisierter Entscheidungsprozess ist dann gegeben, wenn die firmenspezifischen Regelungen die Information aller Aufsichtsratsmitglieder gewährleisten (Informationseffizienz), der Aufsichtsrat bei der Entscheidungsfindung intensiv berät und interagiert (Interaktionseffizienz) und die Willensbildung zügig erfolgt (Zeiteffizienz). (6) Die empirischen Befunde zu den Aufsichtsräten in großen deutschen Aktiengesellschaften weisen auf erhebliche Mängel bei der Interessenvertretung und Überwachung durch den Aufsichtsrat hin. Dies liegt weniger an der personellen Besetzung des Aufsichtsrats und seiner unternehmenspolitischen Kompetenz. Die Aufsichtsräte sind mehrheitlich von Personen geprägt, die wegen ihrer Fähigkeiten und Kontakte berufen wurden. Zwei Drittel der Aufsichtsräte verfügen über zustimmungspflichtige Geschäfte zur strategischen Planung, strategischen Maßnahmen und funktionalen Politiken. Den Aufsichtsräten fehlt es vielmehr an den formalen Voraussetzungen für einen effizient organisierten Entscheidungsprozess. Sowohl die Ausgestaltung der Informationseffizienz als auch die der Interaktionseffizienz und der Zeiteffizienz sind defizitär. (7) Bei der statistischen Analyse wurde evaluiert, unter welchen Bedingungen die firmenspezifischen Regelungen zum Aufsichtsrat erfolgssteigernd wirken. Die empirischen Befunde widerlegen die Behauptungen der Prinzipal167
Agenten-Theorie und die ökonomietheoretischen Argumente zur Gruppengröße. Die Erfolgswirkung des Aufsichtsrats hängt vielmehr davon ab, inwieweit es den Organisationsgestaltern gelingt, die personelle Zusammensetzung des Aufsichtsrats, seine unternehmenspolitische Kompetenz und die Regelungen zum Entscheidungsprozess im Aufsichtsrat auf die Unternehmensstrategie und die Umweltkomplexität abzustimmen. Als Merkmale eines effektiven Aufsichtsrats haben sich herauskristallisiert: die Dominanz von Nicht-Beteiligten im Aufsichtsrat in Kombination mit einer hohen unternehmenspolitischen Kompetenz – wie dies beim unternehmenspolitischen Aufsichtsrat der Fall ist –, die (paritätische) Mitbestimmung der Arbeitnehmer und ein größerer Aufsichtsrat. Die Eigentumsverhältnisse der Unternehmen sind entgegen landläufiger Auffassung für die effektive und effiziente Überwachung unerheblich. (8) Die Ergebnisse der Untersuchung wurden zu einem Leitfaden für die Selbstevaluation und für die Fremdevaluation des Aufsichtsrats verdichtet, um die Compliance und die Performance der Interessenvertretung und Überwachung zu überprüfen. Die Evaluationskriterien für die Complianceprüfung ergeben sich aus dem Aktien- und Mitbestimmungsrecht und den Empfehlungen des DCGK. Bei der Performanceprüfung ist zu beurteilen, ob die Aufsichtsratsmitglieder einen Zugang zu erfolgskritischen Ressourcen bieten und hinreichend fachlich qualifiziert sind, zustimmungspflichtige Geschäfte zu strategischen Planung eingerichtet sind und der Entscheidungsprozess im Gesamtaufsichtsrat und den Aufsichtsratsausschüssen effizient organisiert ist. Im Ergebnis sollte der Leitfaden dazu beitragen, dass bei der Evaluation des Aufsichtsrats künftig vermehrt organisationstheoretische Argumente und die empirischen Erkenntnisse zum Zusammenhang von Unternehmensstrategie und der firmenspezifischen Ausgestaltung des Aufsichtsrats Beachtung finden.
168
Tab. I:
(15) Aufsichtsratsgröße
Entscheidungsprozess AR (12) Informationseffizienz (13) Interaktionseffizienz (14) Zeiteffizienz
Mitbestimmung [Intensität] (10) drittelbeteiligt (11) paritätische Besetzung
Aufsichtsratstyp (6) Leitungsaufsichtsrat (7) Kontrollaufsichtsrat (8) Repräsentationsaufsichtsrat (9) Unternehmenspolitischer Aufsichtsrat
Eigentümerstruktur (3) Konzernmutter/-tocher (4) Eigentümer-/Manageru. (5) pirvat/öffentlich beherr.
Umweltkomplexität (1) Unternehmensstrategie (2) Fremdkapitalbedarf
(3)
–
0,00 -0,35 – 0,03
(2)
(5)
(6)
(7)
-0,08 –
0,22 0,26 –
–
0,39 0,07 0,19
(9)
(10)
0,22 0,13 -0,20 0,12 -0,09 0,10
(8)
0,05 0,08 0,08
0,22 0,18
(11)
–
(13)
0,08 0,21
(14)
0,33 0,46
(15)
0,06 -0,14 -0,14 -0,04 0,06 0,06 -0,04 0,03 0,05 0,17 0,24 0,21
0,03 -0,15 -0,31 -0,08 0,23 0,09 0,07 0,44 0,15 0,03 -0,01 0,35
0,14 0,21 0,01 -0,01
(12)
–
–
0,02 –
0,20 0,32 –
–
0,23 0,25 0,13
-0,70 -0,10 -0,17 0,12 -0,21 – 0,10 0,35 -0,03 0,57
-0,04 -0,14 -0,13 -0,06 -0,07 -0,17
-0,18 -0,29 -0,47 -0,07 0,09 – -0,19 -0,31 0,14 -0,04 – -0,49 0,02 0,10
0,29 -0,28 -0,27 -0,01 0,01 0,09 -0,15 0,04 0,07 -0,06 -0,15 -0,01
0,04 -0,18 -0,27 -0,14 0,32 0,15 -0,02 0,00
(4)
Anhang
Korrelationen der unabhängigen Variablen
169
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