H. G. Francis
Band 22
Experimente des Schreckens Das Vermächtnis Walter Bekketts schreckt die Mächte der Galaxis auf...
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H. G. Francis
Band 22
Experimente des Schreckens Das Vermächtnis Walter Bekketts schreckt die Mächte der Galaxis auf. Der terranische Wissenschaftler hat ein Material gefunden, das immer neue, verblüffende Eigenschaften zeigt. Schon nach wenigen Experimenten mit BECON steht fest, daß dies eine Waffe sein kann, die den galaktischen Krieg entscheiden kann! Der Präsident der Erde - Rex Corda - hat fünfunddreißig laktonische Wissenschaftler aus einer unerträglichen Zwangslage befreit. Er will sie zur Erde bringen, doch die Flucht mißlingt, sie endet auf dem Sumpfplaneten SWAMP, auf dem die Laktonen bereits Experimente mit BECON machten. Die Experimente führten zu einer grauenhaften Katastrophe ! Rex Corda sitzt auf einem Pulverfaß, das jeden Augenblick hochgehen kann!
Niemand auf der Erde ahnt in diesen Augenblicken, wie gefährlich Experimente mit BECON sein können. Unter der Leitung von Will Rimson beginnen die Versuche. Die Katastrophe bahnt sich an . . . Lakton denkt nicht daran, sich mit dem zufriedenzugeben, was es über die Entdeckung Walter Becketts erfahren konnte. Lakton will jetzt fest auf der Erde Fuß fassen. Lakton errichtet eine Beobachtungsstation auf der Erde. Doch nur zu bald zeigt sich, daß die Laktonen unter „Beobachten" etwas anderes verstehen als die Terraner . . . BECON schreckt selbst jene Mächte auf, die seit Jahrtausenden im Dunkeln blieben. Ihre Reaktion ist am gefährlichsten für Terra. Sie machen die Völker der ganzen Galaxis auf die Erde aufmerksam!
Die wichtigsten Personen: 1. Will Rimson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wissenschaftler und Vizepräsident 2. Boyd Ciifton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Chef aller Geheimdienste der Erde 3. Sir K. Enschko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Laktons Botschafter auf Terra 4. Kim Corda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bruder des Präsidenten 5. Wabash . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . telepathischer Delphin 6. Ritchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Opfer eines Experimentes 7. Ralf Griffith . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ein „Veränderter" 8. Ole Meifert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werkzeug Sir Enschkos
Die Stille war furchterregend. Sie machte diese entsetzlichen Schreie so hörbar. Ritchie erschauerte. Vorsichtig tastete er nach dem komplizierten Schloß an seinem Gefängnis. Er wußte, daß es von außen zu öffnen war, auch wenn er keinen Schlüssel besaß. Es kam nur darauf an, ein paar Knöpfe richtig zu drükken. Genau hatte er beobachtet, wie sie es machten. Doch nicht genau genug. Seine ersten Versuche schlugen fehl. Seine geschmeidige Hand schloß sich fest um das Schloß. Er mußte es schaffen! Die kleinen geschickten Finger tasteten die elektronische Schaltung ab. Heiß durchzuckte es ihn. Er schnatterte leise vor sich hin, als er es erfaßte. In schneller Folge drückte er das Muster in die Tasten, das den entscheidenden Impuls gab. Es klickte leise. Ritchie verhielt. Er horchte nach seinen Leidensgenossen, die neben ihm in den Verliesen lagen und schliefen. Sanft drückte er die Gittertür auf und sprang auf den glatten Boden herab. Ein dünner Lichtstrahl fiel durch das Dachfenster herein. Er erhellte den großen Raum nur sehr notdürftig. Ritchie bewegte sich schwerfällig zu der Panzertür hinüber. Er versuchte, sie zu öffnen — aber das gelang trotz aller Mühe nicht. Nach dem achten Versuch kehrte er um. Er hüpfte mit einem grotesken Satz auf die Käfige und schnellte von dort zu dem vergitterten Dachfenster hinauf. Zornig krallten sich seine Finger um das Eisen. Seine Muskeln spannten sich. Ritchie schnaufte ärgerlich, während er an den Stäben hing und langsam hin- und herschaukelte. Seine Kräfte waren viel zu gering. Er konnte das Gitter nicht auseinanderreißen, so wie er es geplant hatte. Doch plötzlich zuckte ein heißer Schmerz über seinen Nacken. Die Muskeln verhärteten sich wie im Krampf.
Sie zuckten. Ritchie stöhnte gepeinigt. Sein ganzes Unternehmen lag von Anfang an unter dem Schatten des Pechs. Wütend zerrte er an den Gitterstäben. Und plötzlich gaben sie nach. Knirschend zerbrachen sie. Verdutzt hielt er inne und betrachtete die plötzlich so weichen Eisenstäbe. Sein Fingernagel drückte gegen das Glas des Dachfensters. Er hatte gedacht, daß es hartes Panzerglas sei. Aber das war es nicht. Das Glas war butterweich. Sein Fingernagel konnte es zerschneiden wie farblose Gelatine. Ritchie wunderte sich nur über das schrille Kreischen, das sein Fingernagel auf dem nachgiebigen Material verursachte. Klirrend fiel das Glas herab. In den Verliesen begannen die anderen empört zu schnaufen. Ritchie grunzte verächtlich. Er schwang sich durch das Fenster hinauf auf das flache Dach. Vorsichtig sah er sich um. Die Sterne funkelten neugierig auf ihn herab. Der Mond überschwemmte ihn mit weißem Licht. Und auch hier draußen waren die Schreie, die ihn ständig quälten, die ihn riefen, die ihn bannten. Ritchie stampfte ärgerlich mit den Füßen auf. Dann huschte er wie ein Schatten über das flache Dach, zögerte kurz, als er den Rand erreichte, ließ sich dann jedoch in den Hof hinabfallen. Er erstarrte, als er das verhaltene Husten hörte. Hinter einem der parkenden Sonnengleiter trat ein Mann hervor. Verdutzt blieb er stehen. Er sah zu ihm herüber. Ritchie stand mitten im hellen Mondlicht. „He — Ritchie!" lachte der Wächter. „Was treibst du hier?" Ritchie richtete sich zornig auf. Die Art, wie der Mann sprach, erhitzte sein Blut. Es lag soviel Selbstsicherheit, soviel Überlegenheit in dieser Stimme. Ritchie entblößte die Zähne.
Der Mann, der auf ihn zukam, blieb zögernd stehen. Er kniff die Augen etwas zusammen und schnippte mit den Fingern. Das erregte Ritchie nur noch mehr. Er kauerte sich auf den Boden. Das wütende Zischen in seiner Kehle warnte den anderen. Hell blinkten die scharfen Zähne im Licht des Mondes. Der Mann zog seinen Strahler langsam aus dem Gürtel. „Was ist mit dir los — Ritchie?" murmelte er beunruhigt. Ritchie schrie wütend auf. Er sprang mit einem wilden Satz auf den Mann zu. Der Strahler zuckte hoch. Der Finger krümmte sich. Ritchie lachte schrill. Die sonnenheiße Glut brandete auf ihn zu. Sie knallte ihm gegen die Brust und erfüllte ihn mit wohliger Wärme. Der Mann schrie. Der Strahler entfiel seiner erschlaffenden Hand. Er fuhr herum und flüchtete zu dem Gleiter. Ritchie folgte ihm. Er sprang ihm von hinten auf die Schulter. Hätte er die Sprache des Mannes sprechen können, dann hätte er ihm sagen können, daß sein Zorn längst verraucht war. Die Energiedusche war so angenehm gewesen. Er berührte den Mann ganz sanft mit der Hand am Nacken. Dann ließ er sich neben ihm auf den Boden fallen. Erstaunt bemerkte er, daß der Wächter zusammenbrach. Neugierig beugte sich Ritchie über ihn. Der Kopf des Mannes war seltsam verdreht. Leer starrten die Augen in den nächtlichen Himmel hinauf. Verwundert stellte Ritchie fest, daß der leichte Schlag das Genick des Mannes zerbrochen hatte. Er begriff es nicht. Was war geschehen? Alles hatte sich plötzlich verändert! Eisen wurde weich wie Gummi. Panzerglas zerschmolz wie Gelatine. Eine leichte Berührung genügte, um einen Mann zu töten! Ritchie hörte die schrillen Alarmsi-
renen. Was würde jetzt verändert werden? Würde der Boden unter seinen Füßen flüssig werden? Ritchie schüttelte sich. Er schwang sich in einen nahen Gleiter, um dem klagenden Ruf zu folgen. Seine Finger tasteten über die einfache Schalttafel. Die gegenläufigen Propeller des Sonnengleiters sprangen lautlos an. Leise sirrend erhob sich das Fahrzeug in die Luft und nahm rasch Fahrt auf. Im Forschungszentrum Will Rimsons flammten die Scheinwerfer auf. Die Nacht wurde zum Tag. Die Bordgeräte flammten auf. Der kleine Holograf erhellte sich. Ritchie sah in ein Gesicht, in dem sich maßloses Entsetzen spiegelte. Sekunden später brüllte der gewaltige Energieprojektor auf dem Dach der Forschungsstation auf. Ein Glutstrahl zerfetzte den fliehenden Gleiter. * Der Sonnengleiter raste in atemberaubendem Tempo genau auf ihn zu. Schon in der nächsten Sekunde mußte er ihn zerquetschen! Will Rimson hob unwillkürlich die Arme, um seinen Kopf zu schützen. Doch dann lachte er leise und ließ sie wieder sinken. Das Bild wechselte. Rex Corda, der Präsident der Vereinigten Staaten der Erde, erschien auf dem Hologramm-Raumbild, das die gesamte Frontwand des ersten Holografikons der Welt ausfüllte. Der Mann, der die Erde im Kampf gegen die orathonischen Invasionen erfolgreich geführt hatte, bannte jeden einzelnen Zuschauer in dem Theater durch seinen Blick, Die Pupillen Rex Cordas waren so groß, daß kein Weiß in seinen Augen zu sehen war. Dadurch wurde seine Blickrichtung nur schwer bestimmbar. Unwillig sah Will Rimson auf, als
sich eine Hand auf seine Schulter legte. „Bitte, entschuldigen Sie, Professor", sagte der Mann hinter ihm. „Es muß leider sein!" Rimson erhob sich sofort. Er verließ seinen Platz und folgte dem Mann zum Ausgang des Holografikons. Boyd Clifton wartete auf ihn. Sein Erscheinen beunruhigte den Wissenschaftler. Boyd Clifton war der Chef von UNITER, der United Intelligence Division of Terra. Wenn dieser unscheinbare freundliche Mann mit den scharfen braunen Augen auftauchte, dann bedeutete das höchste Gefahr. „Was gibt es?" fragte Will Rimson. Er warf einen Blick zur Garderobe hinüber. Sein Schäferhund lag dort auf dem Boden und sah ihn unverwandt an. In den Augen des Hundes blitzte unverkennbare Intelligenz. „Ritchie ist ausgebrochen, Professor", sagte Clifton. Will Rimson erbleichte. „Kommen Sie!" rief er und stürzte aus dem Theater. Der Schäferhund sprang auf und folgte dem Wissenschaftler, der während der Abwesenheit Rex Cordas von der Erde als kommissarischer Präsident fungierte. Vor dem Holografikon wartete der Regierungsgleiter Will Rimsons mit lautlos vibrierenden Motoren. Der Wissenschaftler sprang in das Fahrzeug. Der Hund glitt wie sein Schatten hinein. Als Boyd Clifton neben Rimson saß, startete der Gleiter. Der Fahrer setzte das kleine Funkgerät im Fond in Betrieb, das alle anderen Gleiter aus dem Kurs des Regierungsfahrzeuges trieb. Es war nicht weit von Salt Lake City bis zur Forschungsstätte Will Rimsons. Der Gleiter schaffte die 70 km in wenigen Minuten. „Berichten Sie!" forderte Rimson den Chef der Vereinigten Nachrichtendienste der Erde auf. „Wie konnte das geschehen?"
„Mir liegen bis jetzt selbst nur die Berichte meiner Leute vor, Sir", antwortete Boyd Clifton. „Sie erschienen mir jedoch so alarmierend, daß ich mich selbst einschaltete. Mir ist einiges noch unverständlich. Bitte, erzählen Sie mir etwas mehr als bisher über die Forschungen, die Sie dort betreiben!" Will Rimson biß sich auf die Lippen. Der alte Wissenschaftler zögerte lange. „Sie wissen, daß ich an dem Vermächtnis Walter Becketts arbeite, Clifton", sagte er endlich mit leiser Stimme. Er war sicher, daß der Fahrer des Gleiters nichts verstehen konnte. Eine schalldichte Wand trennte sie von ihm. „Beckett starb während der Invasion. Er hinterließ seine wichtigste Entdeckung Rex Corda und seinen Geschwistern. Wie Sie wissen, konnten wir diese Hinterlassenschaft erst jetzt bergen. Walter Beckett entdeckte ein Material, das nach unseren bisherigen Forschungen unzerstörbar ist!" Boyd Clifton stieß einen leisen verblüfften Laut aus. „Ist das Ihr Ernst, Sir?" fragte er. Will Rimson lächelte dünn. Er konnte die Verwirrung Boyd Cliftons verstehen. Clifton war vor seiner Berufung an die Spitze des ehemaligen amerikanischen CIA Professor für Mathematik in Los Angeles gewesen. Boyd Ciifton wurde deshalb häufig auch nur „der Professor" genannt. Clifton konnte daher auf Anhieb den Wert dessen erkennen, was Beckett erkannt hatte. Die Bedeutung dieser Entdeckung war so ungeheuer, daß sie Clifton unglaubhaft erschien. „Es ist mein Ernst, Clifton!" versetzte Rimson ruhig. „Glauben Sie mir — ich war zunächst genauso fassungslos wie Sie, als ich begriff. Ich habe den Stoff BECON genannt. Es gelang uns nicht, ihn zu zerstören." „Ich begreife nicht ganz, was das mit Ritchie zu tun hat, Sir", warf Boyd
Clifton ein. „Ich habe mit Sam McClude zusammengearbeitet." „Mit dem Biologen Professor McClude?" stieß Clifton verblüfft aus. „Was hat der Biologe mit Becon zu tun?" „Sam entdeckte sehr schnell, daß sich Becon hervorragend zur Speicherung von Informationen eignet. Mit Becon werden wir Computer herstellen können, die winzig sind im Vergleich zu denen, die wir bis jetzt haben!" „Ich verstehe noch immer nicht!" Will Rimson seufzte. Seine hohe Stirn krauste sich. Er sah auf das Land hinunter, das unter ihnen vorbeiraste. In der Ferne tauchte die Forschungsstation aus der Ebene. „Sam kam auf den Gedanken, ein Stückchen Becon mit dem Gehirn des Schimpansen Ritchie zu verbinden!" erklärte der Wissenschaftler. Boyd Clifton antwortete nicht. Der Gleiter setzte zur Landung an. „Was haben Sie, Clifton?" Der Chef der UNITER, der schon halb ausgestiegen war, sah zurück. „Bitte, erschrecken Sie nicht, Sir! Ich glaube fest daran, daß wir es schaffen werden!" sagte er. Will Rimson verstand nicht. Hastig stieg er aus. Er folgte dem Professor in die Forschungsstation. Er sah die ernsten Gesichter der UNITER-Agenten, die zur Bewachung der Station eingeteilt waren. Die Sorge ließ ihn schneller gehen. Clifton führte ihn in den Raum, in dem die Käfige mit den Affen und Ratten standen. Clifton blieb vor dem offenen Käfig Ritchies stehen. „War dies der Käfig?" fragte er. Rimson nickte. Verstört musterte er das Schloß. „Unglaublich!" murmelte er. „Die Intelligenz eines Schimpansen ist viel zu gering. Ritchie hätte dieses Schloß nicht öffnen dürfen. Wohin ist er ..." Einer der anderen Agenten, die ihnen
gefolgt waren, wies stumm zur Decke. Ungläubig starrte Rimson auf die dikken Eisenstäbe. „Wir haben versucht, die Stäbe zurückzubiegen", sagte der Agent. „Es gelang uns nicht!" „Und sehen Sie sich das Panzerglas an. Ritchie hat es zerschnitten, als wenn es weich wie Butter wäre", sagte Boyd Clifton. „Sie sind überzeugt, daß es Ritchie war?" wandte Rimson sich an die Agenten. Sie hoben unsicher die Schultern an den Kopf. „Und jetzt kommen Sie bitte mit in die medizinische Station, Professor", bat einer der Agenten, nachdem Clifton einen Wink gegeben hatte. Drei Minuten später hatte Rimson den getöteten Wächter gesehen. „Weiter!" forderte Rimson zornig. „Spannen Sie mich nicht unnötig auf die Folter! Erzählen Sie gefälligst, wie es weiterging!" „Die Energiekanone der Station schoß den Gleiter ab, mit dem der Schimpanse fliehen wollte", berichtete der Agent, der Rimson in diese Station geführt hatte. „Der Gleiter wurde restlos zerfetzt. Aber von Ritchie haben wir keine Spuren bei dem Wrack gefunden. Er ist verschwunden!" „Wir werden ihn finden, bevor er noch mehr Unheil anrichten kann", sagte Rimson grimmig. Er verließ den Raum in höchster Eile und hastete in die Versuchsabteilung Sam McCludes hinüber. Der Biologe saß mit grauem Gesicht auf einem Stuhl und starrte auf die blitzenden Geräte. Will Rimson blieb unter der Tür stehen. „Wir hätten das nicht tun dürfen, Will!" murmelte Sam McClude. „Das Risiko war zu groß!" Will Rimson ging langsam auf ihn zu. Er legte ihm die Hand auf die Schulter. Er lächelte unmerklich. „Wir mußten es tun, Sam", sagte er.
„Wir müssen alles tun, um in Erfahrung zu bringen, was Becon wirklich ist. Wir können die Formel nicht ewig geheim halten. Bald werden die Laktonen und die Orathonen auch Becon haben. Sie werden versuchen, uns zu vernichten, wenn sie es können!" Sam McClude stand auf. Seine Augen sahen Will Rimson ausdruckslos an. „Wenn Sie es können? Will — es ist weder für Lakton noch für Orathon ein Problem, uns zu vernichten! Du weißt das genau!" „Nicht, wenn wir das Becon beherrschen, Sam! Nur dann, wenn die anderen mehr über Becon wissen als wir! Deshalb mußten wir auch diese Experimente machen, Sam! Und wir müssen die Experimente auch weiterführen! Wir dürfen sie nicht abbrechen, wenn wir uns nicht selbst vernichten wollen!" Sam McClude sah seinen Freund überrascht an. Der geniale Forscher strahlte eine mitreißende Energie aus. Seine Augen glänzten so kalt, daß der Biologe erschrak. Nur selten hatte er Will Rimson so gesehen. Der Wissenschaftler war für ihn eigentlich immer der gutmütige, ein wenig vergeßliche Spötter gewesen. Will Rimson strich sich über seine Glatze und schmunzelte plötzlich. Jetzt sah er wieder so aus, wie der Biologe ihn sonst nur kannte. Rimson ging zu einem kleinen Schaltpult in der Ecke des Laboratoriums hinüber. „Natürlich haben wir Sicherungen für einen Fall wie diesen installiert", sagte er über die Schulter hinweg zu Boyd Clifton, der mit seinen Agenten an der Tür stand. „Ritchie trägt eine kleine Kapsel mit einem starken Narkotikum in seinem Kopf. Ich werde diese Kapsel jetzt per Funkbefehl zerstören. Ritchie wird augenblicklich bewußtlos werden. Wir brauchen ihn dann nur noch aufzusammeln!"
„Wenn wir wissen, wo er ist!" bemerkte Clifton ein wenig spöttisch. Will Rimson sah auf seinen Schäferhund. „Wir haben Nukleon, Clifton! Vergessen Sie das nicht!" * Ein laktonischer Raumkreuzer fiel in das Terra-System. Es war ein Raumschiff der Trakon-Klasse. Es maß über zweitausend Meter Länge bei einem Durchmesser von nur etwa 160 Metern. Das Raumschiff löste größte Aktivität auf der Erde aus. Als es sich dem dritten Planeten des Terra-Systems näherte, erfuhr Will Rimson von der Ankunft des Trakon-Kreuzers. Er unterbrach die Vorbereitungen, die der Jagd nach dem entflohenen Affen Ritchie galten, und ging zu dem großen Holografen im Zentrum der Station. Das Gerät verband ihn mit der TERRAKOM in Den Haag. TERRAKOM war die höchste politische Instanz der Erde. In ihr waren die Repräsentanten der vor der Invasion wichtigsten Machtblöcke der Erde vertreten. Vorsitzender von TERRAKOM war als Präsident der Erde Rex Corda. Jetzt — in Cordas Abwesenheit — nahm der Forscher Will Rimson kommissarisch dieses hohe Amt wahr. Seine Forschungsarbeiten — die für die Erde von entscheidender Wichtigkeit waren — banden ihn an seine Station in Nordamerika. Rimson konnte jetzt nicht in der gerade zur Hauptstadt der Welt gewählten Stadt Den Haag sein, doch die moderne Technik verband ihn mit dem politischen Zentrum Terras. Das Hologramm-Raumbild zeigte den Buren Evan Tarleton Loebtar, den Repräsentanten Afrikas, der das Außenministerium der Erde führte. Loebtar war ein kleiner Mann mit einem klugen,
unglaublich jungen Gesicht. Er trug ein kleines englisches Bärtchen. Er wußte in klarer gezielter Weise zu sprechen. „Professor", begann er mit einem kleinen Lächeln auf seinen ruhigen Lippen. „Lakton schickt uns einen Diplomaten." „Also — offizielle, diplomatische Beziehungen mit Lakton?" fragte Will Rimson überrascht. E.T. Loebtar schüttelte den Kopf. „Das wäre zuviel", antwortete er mit leichter Ironie in der Stimme. „Lakton wünscht, daß wir diesem Beobachter den Rang eines Botschafters einräumen. Das bedeutet, daß die Beziehungen einseitig bleiben. Wir werden keinen diplomatischen Vertreter nach Lakton schikken. Sir Enschko — das ist der Laktone — meinte, er werde von jetzt an die Verbindung von Terra zu Lakton für uns aufrechterhalten!" „Wie nett!" versetzte Will Rimson sarkastisch. „Soll er. Ich habe nichts dagegen. Wie ist die Ansicht der Kommission?" E.T. Loebtar lächelte unmerklich. „Sir Enschko sollte seine Botschafterrechte erhalten!" „Dann teilen Sie ihm das mit", bat Rimson seinen Gesprächspartner. * K. Enschko lehnte sich zufrieden in seinem weichen Sessel zurück. Er sah Ga-Venga, den kleinen Kynother, mit einem herablassenden Lächeln an. „Wo blieb die Absage deiner Terraner, eh?" schnarrte er gehässig. Er hielt den Plastikstreifen in der Hand, auf dem die Zusage von TERRAKOM stand. „Und jetzt verschwinde!" Der große Laktone mit der schmalen scharfen Nase verkniff die harten Lippen ärgerlich, als der Kynother vor ihm stehenblieb. Ga-Venga kräuselte seine Lippen und wippte leicht auf den Fuß-
ballen. Gemächlich strich er sich mit den Händen über den flammendroten Brustkeil auf seinem sonst einheitlich schwarzen Anzug. Der Kynother entließ eine leise, fremdartig klingende Tonfolge über seine Lippen, drehte sich langsam um und ging zu der breiten Tür. Ga-Venga, der den Laktonen als Sprachengenie diente, warf der schwarzhaarigen Laktonin, die in diesem Augenblick hereinkam, einen ironischen Blick zu. Sie blieb stehen. „Schweig!" zischte sie. Ga-Venga unterbrach seinen melancholischen Singsang. „Wenn du das noch einmal sagst, werde ich dich umbringen lassen!" drohte sie. Ga-Venga sah den Laktonen Enschko spöttisch an. „Was hat sie?" fragte er harmlos, „Ich singe doch schön!" „Ich war oft auf Kathny!" sagte sie wütend. „Ich weiß, was es zu bedeuten hat, wenn die Männer von Kathny so singen!" „Sie haben überhaupt kein musikalisches Verständnis", kicherte Ga-Venga. Er tänzelte vergnügt hinaus. Er war noch keine drei Schritte gegangen, als er auf die beiden Laktonen Bekoval und Percip stieß. Diese beiden Männer waren mit ihm auf Terra gewesen, als der erbitterte Gegner Laktons, Orathon, auf diesem Planeten Fuß gefaßt hatte. Sie hatten an der Seite Rex Cordas gegen die grünhäutigen Orathonen gekämpft, um der laktonischen Flotte eine Chance in der heraufziehenden Schlacht zu geben. Sie waren Freunde der Terraner geworden. Die beiden Laktonen blieben stehen, als sie den kleinen Kynother sahen. Sie lächelten. Percip, der Kolonial-Laktone von Lithalon, sah auf den Dolmetscher herab. Das Lächeln erlosch. „Auf der Erde stimmt etwas nicht,
Kleiner", sagte er. „Wir fangen schon seit Stunden ganz eigentümliche Impulse auf, die von der Erde kommen. Enschko ist beunruhigt. Die Signale waren schon zu vernehmen, als wir noch Lichtjahre von hier entfernt waren!" Ga-Venga strich sich über die Lippen. Die blauen Augenbrauen rückten die Stirn hinauf und zwangen sie in tiefe Falten. „Hat sich Corda noch nicht gemeldet?" fragte er. Er ging jetzt zwischen den beiden Laktonen zum Mittelschacht des Kreuzers. Sie sollten das Raumschiff mit einer kleineren Raumfähre verlassen. „Corda scheint überhaupt nicht auf der Erde zu sein", antwortete Bekoval mürrisch. Fatlo Bekoval, der massige Laktone, knurrte unzufrieden vor sich hin. Das breite Gesicht mit der stumpfen Nase sah feucht aus. „Dann verstehe ich nicht...", murmelte Ga-Venga. „Was ist eigentlich los?" Percip blieb stehen. Er legte dem Kleinen die Hand auf die Schulter. „Die Impulse kommen meiner Schätzung nach aus Florida. Dort steht die Nadel. Du weißt, Kleiner, was damals passierte, als wir die Energie-Falle der Orathonen sprengten. Fred Matson, der Mutant, half uns. Seine Frau war eine Parallelmutantin. Alles, was er erlebte, erlebte auch sie. Wenn er litt, dann mußte auch sie leiden. Als Matson die Energieschranke brach, verwandelte er sich in etwas, das wie ein großer Stein aussah. Sie wurde zu einem Gebilde, das wie eine Felsnadel aussieht. Diese Nadel strahlte eigentümliche Impulse aus, als Matson mit der Raumstation Schalmirane verschwand." Percip blieb stehen. Überlegend sah er Ga-Venga und seinen Vorgesetzten Fatlo Bekoval an. Sie hatten das Ende eines Ganges erreicht, der von den privaten Kabinen zum Zentrumsschacht
führte. Unzählige Roboter schleppten blitzendes Gerät an ihnen vorbei in den Schacht hinein. In der Transportröhre herrschte Schwerelosigkeit, die es erlaubte, auch schwerste Geräte mühelos zu den Landefähren zu transportieren. Fatlo Bekoval stieß einen ärgerlichen Laut aus. Er zerrte seinen Waffengürtel hin und her. Nervös zuckten seine Lippen. „Das hat was zu bedeuten", sagte Bekoval. Seine Stimme war von dumpfer Ahnung erfüllt. „Die Nadel hat geschwiegen, als Matson verschwand. Wenn sie jetzt wieder spricht, dann muß das einen Sinn haben. Und wenn Corda nicht auf der Erde ist, dann gibt es niemanden, der sie versteht. Wissen Sie, was das bedeutet, Percip?" Der Lithalonier nickte. „Natürlich. Das bedeutet, daß die Erde mal wieder sehr viel Aufmerksamkeit erregt. Viel, viel mehr, als ihr lieb sein kann! Diese Impulse werden in weiten Bereichen der Galaxis aufgefangen. Wenn wir Pech haben, werden auch die Orathonen neugierig." Percip nickte Ga-Venga zu und glitt in den zentralen Antigravschacht, * Die Sonnengleiter zogen langsam über die Salzwüste dahin. Professor Will Rimson saß mit seinem Hund Nukleon in dem Gleiter an der Spitze. Er lehnte sich leicht zu einem Seitenfenster hinaus und sah nach unten. Ganz deutlich zeichneten sich die Spuren eines Affen im Sand ab. Es konnte keinen Zweifel geben, das waren die Spuren von Ritchie. Nukleon, der telepathisch begabte Hund, kauerte ruhig und gelassen auf dem Sitz. Er schien die Aufregung nicht zu begreifen, die bei dem Suchkommando herrschte. Rimson hatte das
Wrack des abgeschossenen Gleiters gesehen. Wenn er die Spuren Ritchies nicht gesehen hätte, hätte er nicht geglaubt, daß der Schimpanse mit dem Leben davongekommen war. Ächzend ließ der Wissenschaftler sich auf den Sitz zurückfallen. Erst jetzt fiel ihm auf, daß der Gleiter sich einer kleinen Farm näherte, die am Rande eines weiten fruchtbaren Tales lag. Am Ende des Tales wellten sich die Ausläufer der Berge. Boyd Clifton, der Chef der UNITEROrganisation, drehte sich zu Rimson um. „Auf der Farm könnte er sein, Professor!" Rimson biß sich auf die Lippen. „Wissen Sie, ich verstehe nicht, wie Ritchie das alles gemacht hat. Er muß einen Helfer gehabt haben. Er allein hätte die Eisenstäbe nie biegen können. Er hätte nicht die Panzerglasscheibe zerschneiden können. Ein Schimpanse hat nun mal nicht diese Kraft!" „Helfer?" fragte Clifton. „Wir haben nur die Spuren von Ritchie entdeckt. Nichts, absolut nichts deutet darauf hin, daß er Hilfe gehabt hat." „Woher hat er dann diese Kraft?" Rimson kräuselte die Lippen voller Skepsis. „Kennen Sie Becon ganz genau, Sir?" erkundigte sich Clifton. „Ist es nicht möglich, daß Ritchie aus diesem Stoff..." „Hören Sie auf, Clifton!" lachte der Wissenschaftler. „Jetzt wollen Sie sich über mich lustig machen!" „Durchaus nicht!" erklärte der UNITER-Agent ernst. Rimson stieß den Atem hart durch die Nase aus. Er sah durch das Fenster nach unten. Der Gleiter kreiste langsam um die Farm. Jetzt stürzte eine Frau aus der Tür. Sie winkte aufgeregt. „Landen Sie!" befahl Rimson. Dann wandte er sich wieder an Boyd Clifton.
„Hören Sie, Clifton! Wenn Ritchie diese Kraft aus dem Becon geschöpft hätte, dann setzt das voraus, daß das Becon den gesamten Organismus des Schimpansen verändert hat. Der Aufbau der Knochen und des Muskelsystems müßte beeinflußt worden sein. Es genügt nicht, daß Ritchie plötzlich über diese Kraft verfügt. Wenn er diese Kraft einsetzen will, dann muß sein Körper auch die Voraussetzungen dafür bieten, sonst zerstört Ritchie sich selbst. Es genügt zum Beispiel nicht, daß Ritchie stark genug ist, eine Panzerglasscheibe zu zerschneiden. Er muß auch ein Werkzeug haben, das hart genug ist. Sie behaupten, er habe seinen Fingernagel benutzt, obwohl noch kein Beweis dafür aus dem Labor vorliegt. Wenn es tatsächlich so ist, Clifton, dann muß der Fingernagel härter als Diamant geworden sein. Wodurch?" Will Rimson schüttelte lächelnd den Kopf. Er stieß die Tür des Gleiters auf und stieg aus. Unter seinen Füßen wirbelte der Staub auf, als er langsam auf die Frau zuging, die wenige Meter vor dem Gleiter stehengeblieben war. Sie war klein und korpulent. Ihre Augen glänzten seltsam leer. Ihre blutlosen Lippen zuckten. „Wir suchen einen Affen", sagte Rimson ruhig. Sie nickte krampfhaft. „Er war hier!" stammelte sie. Boyd Clifton ging zu ihr. Die anderen Gleiter landeten ebenfalls. Die UNITER-Agenten schlössen einen lockeren Kreis um sie. „Wo ist er jetzt?" fragte Clifton. „Er ist weg", keuchte sie. Sie starrte mit irren Augen um sich. Erst jetzt schien sie zu begreifen, daß sie sicherer als vorher war. Plötzlich schluchzte sie auf. Tränen schossen ihr in die Augen. Will Rimson gab einem der zum Suchkommando gehörenden Ärzte einen kurzen Wink. Der Arzt nickte. Er trat an die Frau heran und setzte ihr eine
kleine Injektionspistole an den Arm. Bevor sie überhaupt begriff, was geschah, knackte es leise und das Psychoregulans zischte unter ihre Haut. Sie beruhigte sich schlagartig. „Also erzählen Sie!" bat Clifton. „Was ist geschehen?" Sie berichtete stockend und unsicher. Immer wieder sah sie sich um, doch sie war jetzt viel ruhiger als vorher. Ritchie war auf der Farm erschienen. Der Hund hatte ihn angegriffen. Der Schimpanse hatte ihn nur ganz leicht berührt. Das genügte, um den Hund zu töten. Danach hatte sich der Affe an dem Privatgleiter des Farmers zu schaffen gemacht. Der Farmer hatte mit einem Gewehr auf Ritchie geschossen, aber die Kugeln waren von ihm abgeprallt, als wenn er aus Stein wäre. Will Rimson befahl Nukleon, seinen Hund, mit einem gedanklichen Befehl zu sich. Nukleon kam sofort. Er setzte sich neben Rimson. Der Wissenschaftler legte ihm die Hand auf den Kopf. Nukleon blieb ganz ruhig, während die Farmersfrau berichtete. Das bewies Rimson, daß die Frau die Wahrheit sagte. Nukleon hätte sofort reagiert, wenn es nicht so gewesen wäre. Ritchie war in den Gleiter gestiegen. Der Farmer hatte das Gewehr umgedreht und mit dem Kolben nach dem Schimpansen geschlagen. Das Gewehr zersplitterte, ohne daß Ritchie eine Reaktion gezeigt hätte. Der Farmer konnte nicht verhindern, daß der Gleiter startete. Dann plötzlich war Ritchie zusammengebrochen, als habe ihn ein Schlag getroffen. Hier wurde Rimson aufmerksam. Er fragte so lange, bis die Frau ihm die ungefähre Zeit, in der der Zusammenbruch Ritchies erfolgt war, sagen konnte. „Das war, als ich das Narkotikum mit dem Funkbefehl auslöste", nickte Rimson. „Und was geschah dann?"
Die Frau schniefte in ihr Taschentuch. „Der Gleiter flog weg — was sonst?" sagte sie. Boyd Clifton berührte den Arm des Wissenschaftlers. „Die Laktonen Bekoval und Percip kommen zur Station!" meldete er leise. „Verfolgen Sie den Gleiter", befahl Rimson. Er ging zum Gleiter. Clifton ging neben ihm her. „Clifton — ich habe das Gefühl, daß einige der Eigenschaften des Becon auf Ritchie übergegangen sind. Wenn das der Fall ist, dann seien Sie vorsichtig, wenn Sie ihn erwischen!" „Natürlich, Sir." „Dr. McClude wird bei Ihnen bleiben. Er kann das Becon entfernen, sofern Ritchie noch bewußtlos ist. Ich muß die Laktonen ablenken. Sie dürfen auf gar keinen Fall erfahren, was wir jetzt entdeckt haben. Allmählich wird mir klar, weshalb die Laktonen sich soviel Mühe gegeben haben, uns die Entdeckung abzunehmen!" „Glauben Sie denn, daß die Laktonen wirklich wissen, was Beckett gefunden hat?" fragte Clifton überrascht. Will Rimson zündete sich eine Zigarette an. Er inhalierte einige Male. Seine Augen sahen durch Clifton hindurch. „Mein lieber Professor", versetzte der Wissenschaftler endlich. "Die Laktonen haben Kim und Velda Corda in den Händen gehabt. Einen Teil der Entdekkung könnten sie haben. Und sie werden bestimmt versuchen, das Ganze zu bekommen. Glauben Sie mir, wenn Ritchie nicht verschwindet, bevor die Laktonen etwas merken, dann ist hier bald die Hölle los. Wenn Becon wirklich unzerstörbar ist, dann kann Lakton sich nur mit diesem Material vor dem Untergang retten. Becon ist kriegsentscheidend, Clifton! Wenn die Laktonen das erst einmal begriffen haben, dann haben wir nichts mehr zu lachen !"
* Kim Corda war vierzehn Jahre alt im Januar des Jahres 1993, und er war 1,69 Meter groß. Der Menschenhai war fast vier Meter lang! Kim klammerte seine Hände um die scharfen Korallen, als er den Riesen auf sich zuschießen sah. Er biß seine Zähne fest auf das Mundstück des Luftschlauches. Dann besann er sich. So heftig, wie er nur konnte, stieß er die Luft aus. Ein Schwall weißer Luftkügelchen schoß dem Hai entgegen. Unwillkürlich schrie Kim auf. Das riesige Maul mit den scharfen Zahnreihen schoß nur knapp einen halben Meter an ihm vorbei. Die langen spitzen Brustflossen ratschten über seine nackte Schulter. Entsetzt sah Kim dunkles Blut im Wasser aufsteigen. Der UNITER-Mann war viel zu weit entfernt. Kim beobachtete ihn, wie er über den Korallenberg kam. Der Agent schlug die Flossen fieberhaft gegen das Wasser. Aber er würde viel zu langsam sein. Der Hai drehte sich blitzschnell herum. Kim starrte für einen Sekundenbruchteil in das faustgroße kalte Fischauge. Er stieß sich mit aller Kraft vom Boden ab. Über ihm schwamm das Boot. Er mußte es erreichen! Da peitschte der Hai das Wasser mit dem Schwanz. Es sah ganz mühelos aus. Aber im gleichen Augenblick verwischten sich die Konturen des Menschenfressers. Der blitzende Pfeil aus der Harpune des UNITER-Agenten zischte an ihm vorbei. Das riesige Maul öffnete sich vor Kim. Unwillkürlich verschränkte der Junge die Arme vor dem Leib, als könne er sich damit noch retten. Dabei wußte er, daß es zu spät war. Niemand konnte ihn noch retten!
Wie ein Blitz zuckte es aus der Tiefe hoch. Kim sah ihn erst gar nicht. Er tühlte sich nur von dem ungeheuren Wasserwirbel herumgerissen. Der Hai glitt an ihm vorbei. Das Weiße raste bis fast auf den Grund herab. Der Hai schwenkte herum. Das gierige Maul weit geöffnet. „Wabash!" schrie Kim, als er den weißen Delphin entdeckte. Eine weiße Perlenwolke verschluckte seinen Schrei. Doch Wabash schien ihn gehört zu haben. Kim war ganz sicher, daß der Delphin ganz kurz zu ihm herübersah, bevor er den Hai angriff. Wie von der Sehne geschnellt, zuckte der Delphin gegen den Hai. Er prallte mit unglaublicher Wucht gegen die Kiemenschlitze des Menschenfressers. Kim hörte den dumpfen Knall ganz deutlich. Zwei kräftige Arme schlangen sich um den Jungen. Er wollte sich wehren. Doch der UNITER-Agent kannte keinen Pardon. Er schleppte Kim an die Wasseroberfläche. Hilfreiche Hände zogen ihn aus dem Wasser. Kim begriff kaum noch, daß er noch lebte. Wie benommen starrte er ins Wasser. Er sah gerade noch, daß der Hai flüchtete. Er erschauerte, als er den riesigen dunklen Schatten sah, der über den Korallenboden dahinraste. Der weiße Delphin schnellte sich mit einem triumphierenden Sprung über das kristallklare Wasser hinaus. Er sah zu dem Boot hinüber, und er schien zu lachen. Kim wollte sich wieder ins Wasser stürzen, weil er sich bei Wabash sicher fühlte, doch die Agenten, die über seine Sicherheit zu wachen hatten, hielten ihn fest. Wabash tauchte direkt neben dem Boot auf. Er schnatterte aufgeregt. Immer wieder warf er seinen Kopf zur Küste hin. Kim folgte dem Blick, ohne zu begreifen. Die dichten Palmenwälder zo-
gen sich bis an die Küste Floridas hin. Wabash schwamm in Richtung auf die Küste, kehrte zurück und schwamm wieder auf die Bucht zu. „Bitte, ich möchte ihm folgen. Er will uns etwas zeigen", bat Kim die Agenten. Er war glücklich, daß der Delphin wieder aufgetaucht war. Vergebens hatte er in den letzten Wochen gehofft, daß Wabash wiederkommen werde. Nach dem Kampf mit den Orathonen in den Kavernen von Fort Zero hatte Kim Corda den Delphin nicht mehr gesehen. Wabash war in der gleichen geheimnisvollen Weise verschwenden, in der er gekommen war. Was führte ihn jetzt hierher zurück? * „Herr Professor! Bekoval, Percip und Ga-Venga landen auf dem Parkplatz", meldete der Sekretär. Will Rimson nickte zum Zeichen, daß er verstanden hatte. „Sie müssen einen Augenblick warten, ich nehme erst noch das Gespräch", antwortete der Wissenschaftler. Er saß in dem großen Büro, das das geistige Zentrum der Forschungsstation bei Salt Lake City war. Er drückte auf einen versenkten Knopf auf der Platte seines Schreibtisches. Ihm gegenüber an der Wand schob sich die Holztäfelung auseinander und gab einen Holografen frei. Das Gerät erhellte sich. Es war wieder E. T. Loebtar aus Den Haag, der neuen Hauptstadt der Erde. Der Bure hatte ein leichtes Lächeln um seine braunen Augen, doch in seiner Stimme schwang die Besorgnis unverkennbar mit. „Die Laktonen haben weiteres Entwicklungsmaterial mitgebracht, Professor", sagte er. "Es handelt sich diesmal vor allem um elektronische Einrichtungen. Spezialtrupps errichten bereits die laktonische Botschaft außerhalb der
Stadt." E. T. Loebtar verschwand aus dem Holografen. Dafür erschien das raumgerechte Bild einer großen Baustelle, auf der Roboter und Laktonen an der Errichtung mehrerer großer Gebäude arbeiteten. Die Gebäude wuchsen mit einem phantastischen Tempo aus dem Boden. Die Roboter sprühten das Spezialmaterial gegen hauchdünne Wände. Die Flüssigkeit erstarrte augenblicklich. Der Außenminister erschien wieder im Holografen. „Das ist nur ein Teil meiner Nachricht, Professor", fuhr er fort. „Sie ist nicht übermäßig aufregend. Gefährlich aber erscheint mir, daß die Nadel in Florida sendet. Von Florida gehen sehr starke Funkimpulse aus, die wir mit unseren Geräten auffangen können. Es gelingt jedoch nicht, die Nachricht zu entziffern. Wir können überhaupt nichts damit anfangen." „Sie werden die Nachricht — wenn es eine ist — auch nicht verstehen können", warf Will Rimson ruhig ein. „Präsident Corda ist bisher der einzige Mensch, der das kann!" „Ich weiß, Sir. Wir müssen versuchen, die Nadel zum Schweigen zu bringen. Die Impulse sind auch im Raum zu empfangen. Es ist zu befürchten, daß die Nadel zu sehr auf die Erde aufmerksam macht!" Er sah kurz zur Seite. Rimson hörte eine leise Stimme. Als Loebtar sich wieder dem Wissenschaftler zuwandte, sagte er: "Soeben ist Sir Enschko, der laktonische Botschafter, gelandet. Er ist in einem kleineren Landungsboot gekommen. Der Trakon-Kreuzer befindet sich noch im Raum." Rimson beendete das Gespräch und bat die Laktonen zu sich herein. Er verbarg seine Sorgen hinter einer gutmütig lächelnden Miene. Er wußte, daß die Lage sich gefährlich zuspitzte. Die
Erde arbeitete an einer wissenschaftlichen Erfindung, die sie stark genug gegenüber den galaktischen Mächten machen konnte. Gerade jetzt waren außerirdische Besucher so unerwünscht wie nie zuvor. Und gerade jetzt wurde die „Nadel" in Florida zum Funkfeuer, das die Völker der Galaxis zur Erde locken konnte! „Hallo, Professorchen!" grinste GaVenga, der Kynother, als er in den Raum kam. „Wo ist denn Ihr genialer Hund?" Rimson biß sich ärgerlich auf die Lippen. Sofort wurde ihm bewußt, daß er einen schweren Fehler gemacht hatte, als er Nukleon bei Boyd Clifton zurückließ. „Er konnte deine Gedanken nicht ertragen, Kleiner", antwortete der Wissenschaftler mit einem kleinen, etwas boshaften Lächeln. „Er ist weggelaufen." Ga-Venga sah ihn verblüfft an. Sofort durchschaute er den kleinen Schwindel. Die Augen des Kynothers wurden nachdenklich. „Es passiert viel auf der Erde", sagte er rätselhaft. Rimson begrüßte Percip und Bekoval mit einem freundlichen Nicken. Die beiden Laktonen setzten sich in die bequemen Sessel. „Professor, wir haben Ihnen noch etwas mitgebracht von Lakton", begann Bekoval langsam. Der Laktone mit der stumpfen Nase sprach gedehnt und vorsichtig. „Hauptsächlich elektronische Einrichtungen. Sogenanntes Schulmaterial. Aber Sie haben im Augenblick sicher viel zu viel zu tun, um sich damit beschäftigen zu können." Er winkte ab, um anzudeuten, daß er Rimson nicht belasten wolle. Will Rimson lehnte sich in seinem Sessel zurück und horchte den Worten nach. „Seien Sie ruhig offen, Bekoval",
antwortete er. „Hier hört Ihnen niemand zu. Sie wollten mir also andeuten, daß wir lieber die Finger von diesem Material lassen sollten? Es taugt nichts?'' Ga-Venga, der Dolmetscher des Laktonen, übersetzte fließend. Den ersten Satz hatte Bekoval selbst in englischer Sprache gesprochen. Jetzt ließ er wieder Ga-Venga übersetzen. Bekovals Gesicht wurde ausdruckslos, als der Kynother zu Ende gesprochen hatte. Flüchtig sah der Laktone zu Percip hinüber. Der Agent räusperte sich. Er beugte sich entschlossen vor und sagte: „Sie haben recht, Professor. Schmeißen Sie es weg. Es führt sie nur in eine wissenschaftliche Sackgasse." „Warum erzählen Sie mir das?" Bekoval sprang auf. Seine Fäuste ballten sich. Er ging mit schweren Schritten zu dem breiten Fenster hinüber und sah kurz auf den kleinen Innengarten hinaus. „Weil Lakton abermals einen elenden Betrug damit begehen würde", übersetzte Ga-Venga seine Worte. „Ich bin der Meinung, daß die Erde zuviel für Lakton getan hat. Man darf sie nicht in dieser Weise betrügen!" „Warum versucht Lakton das?" Bekoval verzog die Lippen zu einem belustigten Lächeln. „Keineswegs weil Lakton sich vor der Erde fürchtet, mein Freund. Das ist nun mal die offizielle Politik Laktons. Man versucht alles, um zu verhindern, daß ein anderes Volk eine technische Stufe erreicht, die eine gefährliche Weiterentwicklung ermöglicht. Mit anderen Worten, Lakton denkt nicht daran, andere Völker stärker als nötig zu machen." „Das war deutlich!" „Ich hatte die Absicht, deutlich zu sein!" gab Bekoval scharf zurück. *
„Laktons Luft macht mutig", spöttelte Ga-Venga, als er zwischen den beiden laktonischen Riesen zum Gleiter zurückging. Bekoval blieb ruckartig stehen. Eine scharfe Falte wuchs auf seiner massigen Stirn. „Was soll das bedeuten?" forschte er scharf. Der zwergenhafte Kynother drehte dich gemessen um und kreuzte die Arme vor dem roten Brustkeil seines Anzugs. Er wippte auf den Fußballen. „Nicht viel, Bekoval", lächelte er harmlos. „Das soll nur bedeuten, daß Sie sich vor dieser letzten Reise nach Lakton niemals so engagiert haben! Das kann Sie Kopf und Kragen kosten." „Es ist mein Kopf", fluchte Bekoval erregt. Ga-Venga lehnte den Kopf gegen seine Schulter und grinste. „Ein selten schöner Kopf, Bekoval!" Der untersetzte Laktone stampfte mit dröhnenden Schritten an ihm vorbei und warf sich ächzend in den Sitz hinter dem Leitstand des Gleiters. Gemessener ließ sich Percip neben ihm nieder. Er strich sich langsam mit der Fingerspitze über die kirschrote Lippenkerbe unter seiner Nase. Ga-Venga stimmte einen melancholischen Singsang an, der Bekoval diesmal auf die Nerven zu gehen schien. Der Laktone wollte herumfahren und den Kynother zur Ruhe zwingen. Doch in diesem Augenblick flammte der kleine Bordholograf auf. Sir Enschko, der neue Botschafter Laktons auf Terra, erschien auf dem Bild. „Ich bin überrascht, Bekoval, welch tiefe Freundschaft Sie mit den Terranern verbindet", sagte er mit beißendem Hohn. „Erzählen Sie mir mehr davon! Ich erwarte Sie umgehend!" Bekoval wurde bleich bis in die Lippen. Betroffen sah er Percip an. Ga-Venga klopfte seinen Zeigefinger
rhythmisch in die offene Hand. Das leise Klatschen des aufprallenden Fingers blieb sein einziger Kommentar. „Er hat alles gehört!" sagte Percip. „Ohne Zweifel", nickte Bekoval. * Der Gleiter raste mit über vierhundert Stundenkilometern durch die enge Schlucht. Der Autopilot hielt ihn sicher von allen Hindernissen fern. Ritchie versuchte, die Augen zu öffnen. Tonnenschwere Gewichte schienen an seinen Lidern zu hängen. Die Nerven zuckten schmerzhaft in seinen Gliedern. Sein rechter Arm knallte immer wieder donnernd gegen die Verkleidung der Innentür. Er konnte nichts dagegen tun. Er erfaßte es auch gar nicht wirklich. Unter jedem Hieb platzte ein Teil der Verkleidung heraus. Ritchie stöhnte voller Qual. Unendlich langsam öffnete er die Augen. Er sah das transparente Dach des Gleiters über sich und die dahinjagenden Wolken. Irgendwo in seinem narkotisierten Hirn erwachte ein Impuls, der ihn handeln ließ. Ritchie verstand nichts von automatischen Flugeinrichtungen. Er wußte nur, welche Knöpfe er drücken mußto, um den Gleiter zu fliegen. Der Schreck zuckte durch seine Glieder. Er stieß seinen rechten Arm hoch. Er wußte nicht warum. Irgendwie wollte er den Gleiter anhalten. Er wußte nur noch nicht, wie er das machen mußte. Irgendwo dort oben war ein Knopf, den er drücken mußte, um den Gleiter zu stoppen. Bevor Ritchie noch klar denken konnte, knallte seine Hand auf das Armaturenbrett. Blaue Stichflammen schossen aus den zerschmetterten Leitungen. Ein dumpfer Krach zeigte Ritchie an, daß er etwas verkehrt gemacht hatte. Die Wolken begannen wild zu tau-
meln. Schroffe Felswände sprangen ins Bild. Sie schwankten schwerfällig und zogen sich wrieder zurück, um den ziehenden Wolken Platz zu machen. Ritchie wälzte sich ächzend herum. Mühsam zog er sich hoch. Das Gabelsteuer zersplitterte unter seinem ungelenken Griff. Die Augen des Schimpansen weiteten sich in tödlichem Schreck. Der Gleiter raste frontal auf eine steil aufragende Felswand zu. Ritchie stemmte sich gegen das Steuerpult. Es war eine instinktive Bewegung, mit der er seinen Schutz keineswegs vergrößern konnte. Im nächsten Augenblick knallte das Fahrzeug gegen die Wand. Unter ihm fiel der Fels zweihundert Meter senkrecht ab. Das Fahrzeug verschwand in einer rotglühenden Explosionswolke. Die berstenden Wrackteile sirrten über die Felsen. Ritchie flog durch die platzende Frontscheibe in die scharfen Felsen hinein. Sein Körper klatschte mit tödlicher Wucht auf die Steine. * Der donnernde Krach ließ Henry Duft aufblicken. Erschauernd zog er die Schultern an den Kopf, als er die kleine Gestalt sah, die erst gegen den Fels flog, davon abprallte und dann, sich immer wieder überschlagend, in die Tiefe fiel. Wieder und wieder knallte der kleine Fahrer des verunglückten Gleiters auf Felsvorsprünge. Henry Duff verzichtete darauf, pünktlich bei dem Mann zu erscheinen, der ihm eine lukrative Arbeit versprochen hatte. Er schwenkte seinen Sportgleiter herum und drückte die Nase des Fahrzeugs herab. Hart beschleunigend raste der Gleiter in die Tiefe, wo die kleine dunkle Gestalt in diesem Augenblick gerade endgültig zur Ruhe
kam. Eine Minute später landete Henry Duff neben dem Verunglückten. Seine Augen weiteten sich erstaunt, als er bemerkte, daß er gar kein Kind vor sich hatte, sondern einen Schimpansen. Das Tier lag im weichen Gras und preßte beide Hände an den Kopf. Es war tot. Henry Duff hatte keinen Zweifel. Er drückte die Tür seines Sportgleiters auf und schaltete mit geübter Hand an seinem Sitz. Der gesamte Sitz hob sich surrend aus der Verankerung und schwebte aus dem Fahrzeug. Die nur handlangen Stummelbeine Duffs lagen unter einer bunten Decke. Der Mutant steuerte seinen Sessel, der auf einem Luftkissen schwebte, zu dem Affen hinüber. Er setzte ihn direkt neben ihm ab und streckte die Hand nach ihm aus. Ritchie öffnete das linke Auge. Erschreckt fuhr Henry Duff zurück. Zu spät. Blitzschnell griff die dichtbehaarte Hand des Schimpansen nach seinem Handgelenk. Der Mutant schrie gellend auf vor Schmerz. Der Griff lockerte sich, bevor die Hand zerquetscht wurde. Der Verunglückte sprang auf die Beine, hob die linke Hand und tippte Henry Duff mit dem Zeigefinger ganz leicht auf den Kopf. Es war wirklich nur eine ganz leichte Bewegung — doch es steckte die Kraft eines Riesen darin. Henry Duff sackte schlaff zusammen. Ritchie rieb sich den heftig schmerzenden Kopf und watschelte zu dem Gleiter hinüber. Er sprang in die offene Tür und versuchte die Knöpfe auf dem Schaltbrett zu erreichen. Es ging — aber es war sehr, sehr mühsam, da der Sitz fehlte. Verblüfft sah Ritchie zu dem bewußtlosen Mutanten hinüber. Er schüttelte den Kopf, weil er nicht ganz begriff. Er bewegte sich wackelnd zu Duff hinüber und hob die Decke ein wenig an. Der Mutant hatte überhaupt keine
Beine. Er hatte winzige Arme mit kleinen zarten Händen. Sie konnten ihm nichts helfen. Sie waren zu klein. Jetzt begriff Ritchie, weshalb der Sitz fehlte. Er hob den Luftkissensessel hoch und schleppte ihn in das Fahrzeug. Nach einigen Versuchen brachte er es sogar fertig, den Sitz richtig einzusetzen. Dann hockte er sich auf den Rücksitz und wartete, bis der Mutant Henry Duff aus seiner Ohnmacht erwachte. Dabei sah er mehrmals zu den kümmerlichen Resten des verunglückten Gleiters hinüber. Er war recht zufrieden über den Stand der Ereignisse. Unzufrieden war er nur darüber, daß es so lange dauerte, bis er an sein Ziel kam. Der Ruf wurde immer lauter und drängender. Es hämmerte und klopfte in seinem Kopf. Es rief immer lauter, immer nervöser. Immer angstvoller. * Will Rimson drückte den roten Knopf entschlossen herunter. Eine bleistiftbreite gleißende Bahn schoß gegen den kleinen Kegel aus grauem Material vor. Rimson hörte das Zischen durch das abschirmende Panzerglas hindurch. Die großen Turbinen saugten die Hitze ab, doch die Hitze am Kegel blieb konstant bei 40 000 Grad Celsius. Das winzige Stückchen Becon strahlte in absolutem Weiß — aber es zerschmolz nicht. Es verbrannte nicht. Es veränderte noch nicht einmal seine Form. Der Hitzeprojektor schleuderte den Hitzestrahl mit gleicher Intensität mehrere Minuten gegen das Beconstück. Will Rimson beugte sich über die Kontrollen. Die Daten blieben unverändert. Er streckte die Hand aus, um die dem Becon zugeführte Hitze um weitere
5000 Grad zu steigern, als er sah, daß der Kegel nicht mehr weiß war. Unwillkürlich verengte er die Augen. Es gab keinen Zweifel. Das absolute Weiß des Becons verlor sich mehr und mehr. Der Kegel verfärbte sich gelb, wurde hellrot, dann rot und dann immer dunkler, bis er endlich wieder so mausgrau war wie vor der Hitzebestrahlung. Will Rimson kontrollierte aufgeregt die Kontrollen. Alle Daten waren unverändert. Der Hitzeprojektor strahlte nach wie vor mit gleicher Intensität ab. Das Becon konnte durch die Hitze jedoch nicht mehr beeindruckt werden. Will Rimson schaltete den Projektor ab. „Unglaublich!" sagte einer seiner Assistenten. „Es ist nicht zu zerstören", murmelte Will Rimson. In seinen Augen leuchtete die Begeisterung auf. „Nichts, absolut nichts kann dieses Becon zerstören. Es nimmt die Energien in sich auf und steigert seine Widerstandsfähigkeit! Haben Sie es gesehen, meine Herren?" Er drehte sich heftig um und sah seine Mitarbeiter an. In jedem Gesicht sah er die Begeisterung. „Je mehr man die Hitze steigert, desto hitzebeständiger wird Becon. Je stärker die mechanischen Kräfte werden, mit denen man Becon zu zerstören sucht, desto schlagfester, desto widerstandsfähiger wird es! Das ist die entscheidende Entdeckung unserer Zeit." Er sah seine Assistenten der Reihe nach an. „Wir müssen jetzt versuchen, Becon in so großen Mengen herzustellen, daß wir unsere Raumschiffe damit panzern können. Das wird uns unangreifbar machen." Er verließ den Raum und ging in sein Büro. Er war noch keine zehn Minuten dort, als Professor Sam McClude bei
ihm eintraf. Der Biologe berichtete ihm, daß Ritchie, der Schimpanse, spurlos verschwunden war. Will Rimson informierte den Biologen über die Versuchsergebnisse mit Becon. „Es ist ganz offensichtlich, Will, daß die Eigenschaften des Becon auch auf Ritchie übergegangen sind. Ritchie hätte den Unfall an der Felswand niemals überleben dürfen. Wir haben Beweise dafür, daß er mit voller Wucht gegen den Fels geprallt ist. Das Gestein ist teilweise zertrümmert. Dennoch lebt Ritchie!" sagte Sam McClude. „Will — ich überlege mir langsam, wie wir ihn unschädlich machen sollen, wenn wir ihn schnappen!" Will Rimson lachte spöttisch auf. „Langsam überlegst du dir das, Sam?" Er sprang auf und kam um seinen Schreibtisch herum, „Das ist meine Sorge von Anfang an gewesen. Wir wollten einen lebenden Computer schaffen. Wir wollten die Intelligenz Ritchies entscheidend steigern. Und was haben wir erreicht? Wir haben ein Monster aus dem Schimpansen gemacht!" Sam McClude sog nachdenklich an seiner Zigarette. Ablehnend wiegte er den Kopf. „Ich bin nicht der Meinung, daß Ritchie ein Monster ist. Er ist nicht bösartig. Er weiß wahrscheinlich gar nicht einmal, über welche Macht er plötzlich verfügt. Seine Handlungen verraten zunehmende Intelligenz und klare Denkungsweise. Er ist in einen Gleiter gestiegen, der an der Unglücksstätte gelandet ist. Wir wissen noch nicht, wem dieser Gleiter gehört, aber wir werden es bald wissen", versetzte der Biologe. „Der Fahrer des Gleiters benutzte einen Luftkissensessel. Er ist also wahrscheinlich ein Mutant des Cann-Typs. Es gibt nicht sehr viele davon." Sam McClude erhob sich. Er ging zum Schreibtisch Will Rimsons und
drückte einen Knopf. Sekunden später kam die Sekretärin des Professors herein. Sam McClude bat um eine Tasse Kaffee. „Bringen Sie mir auch eine", warf Will Rimson ein. Als die Sekretärin den Raum verlassen hatte, wandte er sich an den Biologen. „Sam — ich sehe nur eine Möglichkeit, Ritchie wieder in unsere Gewalt zu bekommen: Wir müssen einen Menschen mit Becon ausrüsten!" Sam McClude blieb wie vom Schlag getroffen stehen. „Das kann nicht dein Ernst sein, Will!" stammelte er. * Sechs Ehrenwachen standen vor dem kleinen Raumschiff, mit dem Sir Enschko gelandet war. Bekoval biß sich auf die Lippen, preßte das Kinn hart gegen die Brust und marschierte durch das waffenstarrende Spalier in die Schleuse des Raumschiffes. Ein Offizier in weißer Uniform führte Bekoval, Percip und Ga-Venga in die Luxuskabinen des Laktonen. Als sie den Arbeitsraum Enschkos betraten, schlüpfte eine dürftig bekleidete Laktonin an ihnen vorbei. Der laktonische Beobachter lag ausgestreckt auf einer roten Gravoliege. Eine schlanke Masseuse war bei ihm. Sie bearbeitete seine Nackenmuskeln mit geschmeidigen Händen. Bekoval und Percip nahmen militärische Haltung an. Ga-Venga lümmelte sich in einen Sessel. Er kümmerte sich nicht um die eiskalten Blicke, mit denen Enschko ihn musterte. Der Kynother schmunzelte und hielt dem zornigen Blick des Laktonen stand. Enschko sprang auf. Er stemmte die Füße hart auf den Boden und ver-
schränkte die Arme vor der Brust. Die kräftigen Muskeln sprangen unter dem dünnen Stoff seiner Bluse zuckend hin und her. Enschko war ein schlanker hagerer Mann, dessen verkniffener Mund seine Arroganz verriet. Blitzende Schmuckstücke zierten seine Finger und seine Handgelenke. Ein Roboter der Ba-3-Klasse löste sich aus dem Hintergrund. Roboter dieser Klassifizierung haben vollhumanoide Form. Ihre Gesichtszüge sind nur leicht angedeutet. Enschko hatte ein Modell gewählt, das nicht weniger Arroganz ausstrahlte als er selbst. Der Roboter trug eine leichte giftgrüne Kombination, die sich hautnah über seine metallenen Glieder spannte. Ein besonderer Muskeleffekt — hervorgerufen durch raffiniert gesteuerte Kraftfelder — täuschte kräftige, sich bewegende Muskeln vor. Der Roboter blieb vor Bekoval und Percip stehen. „Übergeben Sie dem Roboter Ihre Ehrenzeichen!" befahl der Beobachter. Seine Stimme war schneidend kalt wie seine Augen. Die Masseuse sah ihn bewundernd an. Bekoval zuckte wie unter einem Hieb zusammen. Er schien nicht zu begreifen, was Enschko gemeint hatte. Percip hatte sich besser in der Gewalt. Er erbleichte nur etwas und die rote Kerbe auf seiner Oberlippe schillerte einen Atemzug lang wie Perlmutter. Er nahm sich die Embleme von der Schulter und von der Brust und überreichte sie dem Roboter. „Ihre Identifikation auch!" erinnerte Enschko. Jetzt ruckten die Augen Percips herum. Er starrte den Beobachter fassungslos an. Ga-Venga sprang auf. Er stieß einen dumpfen Laut aus. „Das kann nicht Ihr Ernst sein!" rief er. Enschko beachtete ihn nicht.
Zögernd griff Percip nach den Identifikationskarten. Er gab sie dem Roboter. Dieser wandte sich jetzt an Bekoval. Der Laktone machte keinerlei Anstalten, den Befehlen Enschkos zu folgen. Da trat der Roboter blitzschnell auf ihn zu, riß ihm die Embleme ab und fetzte den Gürtel, der die Identifikationskarten enthielt, von seiner Hüfte. Bekovals Reaktionen kamen zu spät. „Ich hoffe, Sie sind sich darüber klar, was das bedeutet?" erkundigte Enschko sich. Er ließ sich mit einem maliziösen Lächeln auf die Liege zurücksinken. "Es bedeutet, daß das laktonische Reich Sie ausstößt. Wir betrachten Sie nicht mehr als Galakter!" Ga-Venga trat mit blitzschnellen Schritten an den Beobachter heran. „Enschko — geben Sie mich frei!" rief er. Der Beobachter richtete sich langsam auf. Sein Mund verkniff sich böse. Die Faust zischte vor. Sie schmetterte GaVenga von den Füßen. Der zwergenhafte Kynother wollte sich auf den Beobachter werfen, doch der Roboter packte ihn und schleuderte ihn zurück. Ga-Venga prallte dröhnend gegen die Wand. Taumelnd kam er auf die Beine. Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. „Sie sind und bleiben Laktone, GaVenga. Aber sie können bei Bekoval bleiben. Ich habe nichts dagegen, wenn Sie mit den Terranern Kontakt pflegen. Dafür erwarte ich, daß Sie mich jederzeit über alles informieren, was für Lakton von Interesse ist!" versetzte Enschko kühl. „Ich bin kein Laktone, Sir Enschko! Ich bin Kynother!" erwiderte Ga-Venga heftig. „Das ist ein erheblicher Unterschied." „Für Sie. Ga-Venga! Nicht für mich! Hinaus!" Enschko lehnte sich zurück. Er rekelte sich wohlig.
„Massieren Sie mich weiter, meine Liebe!" bat er. Percip beobachtete den kleinen Kynother genau. Er bangte um ihn, da er fürchtete, Ga-Venga werde sich auf Enschko werfen. Es wäre sein Tod gewesen! Doch Ga-Venga beherrschte sich. Als er sich umdrehte und an Percip vorbeiging, erschauerte der Mann mit der roten Kerbe auf der Oberlippe. In den Augen loderte unbezwingbarer, tödlicher Haß! Die Augen leuchteten giftgrün. Es war das erstemal, daß Percip eine klare Auskunft über die Augenfarbe eines Kynothers geben konnte. Als Percip und Bekoval sich umwandten, traf sie die beißende Stimme des Beobachters. „Sie haben vergessen, Ihre Waffen abzugeben, meine Herren!" * Wabash, der weiße Delphin, schnellte sich wieder und wieder aus dem Wasser. Er war verzweifelt. Er wußte nicht, was er tun sollte, um seine Freunde zu warnen. Sie standen alle in dem Motorboot und sahen zu ihm hinüber. Er erfaßte ihre Gedanken ganz klar. Er wußte, was jeder einzelne von ihnen dachte. Fieberhaft suchte er nach einer Lösung seiner Probleme. Aber es schien keine zu geben. Rex Corda, der Bruder Kims, war nicht auf der Erde. Er war zu den Sternen geflogen, um Hilfe für die Erde zu holen. Rex Corda war bis jetzt der einzige Mensch, mit dem Wabash sich verständigen konnte. Unaufhörlich hämmerten die Warnungen, die aus dem Landesinneren kamen, auf ihn ein. Wabash konnte ganz deutlich verstehen, was jenes ihm unerklärliche Wesen ausstrahlte. Wabash hatte auch schon eine lok-
kere Verbindung mit dem Eigentümlichen gehabt. Es war nicht zu dem von ihm erhofften, telepathischen „Gespräch" gekommen. Aber das Fremde auf dem Land wußte, daß er da war und ihm helfen wollte. Wabash wußte jetzt, daß jener Impulssender aussah wie eine Felsnadel. Sie war, in den Maßen seiner Freunde gerechnet, sieben Meter hoch, wobei sie an der Erde nur einen Durchmesser von einem Meter hatte. Wabash verstand nicht ganz, weshalb dieses eigentümliche Wesen lebte. Er war jedoch davon überzeugt, daß es lebte, denn sonst hätte es keine Verbindung mit ihm gehabt. Die Menschen arbeiteten mit irgendetwas, das gefährlich war! Das teilte die Nadel mit. Sie hatten etwas in den Händen, das tödlich werden würde, wenn sie es nicht vergaßen. Wabash zerbrach sich vergebens den Kopf darüber, was mit dieser Warnung gemeint sein konnte. Er wünschte nur, er könnte sie an seine Freunde weitergeben. Sie hätten gewußt, was sie tun mußten. Er schnellte sich ärgerlich aus dem Wasser. Er sah Kim auf dem Rand des Motorbootes hocken. Kim sah ihn traurig an. Der Junge hatte genau begriffen, daß er ihm etwas sagen wollte. Er verzweifelte darüber, daß es keine Verständigungsmöglichkeit gab. Plötzlich hatte Wabash eine Idee! Blitzschnell faßte er seinen Entschluß. Es gab nur eine Möglichkeit: Er mußte Kim zu einem Telepathen ausbilden. Vor Freude über seinen Einfall schnellte er sich aus dem Wasser und überschüttete den Jungen mit einem Schwall von Wasser. Kim stürzte sich lachend in die Wellen. Genau das wollte Wabash erreichen. Wenn Kim spielte, dann war er am
unbefangensten. Dann konnte der Delphin am meisten erreichen. * J. K. S. Diamidow führte TERRAKOM an, als sie die Forschungsstation von Will Rimson in der Salzwüste betrat. Die vier Männer, die die Regierungsspitze des terranischen Unionsstaates bildeten, waren dem Ruf des alten Wissenschaftlers sofort gefolgt. Sonderkuriere hatten sie bereits über das anstehende Problem unterrichtet. einem Terraner Becon einzupflanzen, um mit ihm einen gleichwertigen Gegner für Ritchie zu schaffen. „Es geht hier nicht darum, einen Kraftprotz zu schaffen. Becon ist als Informationsspeicher hervorragend geeignet. Man kann also meinen Berechnungen nach auch die geistigen Eigenschaften unseres Mannes erheblich steigern. Das sollte entscheidend sein!" „Und wenn er uns ebenfalls entgleitet? Was dann?" fragte Diamidow scharf. Der Russe war als Innenminister für alle Sicherheitsprobleme verantwortlich. Dieser außerordentlich intelligente Maiin erkannte die Lage, in der sich die Erde befand, vermutlich noch weit klarer als Professor Rimson. „Er wird uns nicht entgleiten. Ich werde ihm ein Narkotikum einpflanzen lassen, das für mehrere Tage wirksam ist. Wir wissen, daß diese Sicherung funktioniert. Ritchie ist betäubt gewesen — nur nicht lange genug. Es ist eine Frage der Dosierung, mehr nicht!" warf Sam McClude, der Biologe, ein. Boyd Clifton, der als Sicherheitschef der UNITER die Jagd nach Ritchie leitete, konnte die Mitglieder von TERRA-KOM mit überzeugenden Argumenten für sich gewinnen. „Uns sind die Hände gebunden", sagte er am Schluß. „Wir können die Suche nach Ritchie nur in aller Stille durch-
führen. Sobald wir die Öffentlichkeit aufmerksam machen, erfahren die Laktonen, was vorgeht. Das wäre für uns der erste Schritt in den Abgrund." „Welch dramatische Worte aus Ihrem sonst so kühlen Mund, Clifton!" sagte Evan T. Loebtar spöttisch. Er grinste den UNITER-Chef freundschaftlich an und forderte dann eine Abstimmung. Will Rimson erhielt die Erlaubnis für das Experiment. „Ich plane fünf Männer zu operieren", sagte er. „Aber nur einen werden wir später in Verbindung mit Becon lassen!" „Welche Männer schlagen Sie vor, Clifton?" fragte Sir Walter Battensmith, der für die wirtschaftlichen Belange verantwortliche Europäer. „Mein wichtigster Kandidat ist Ralf Griffith. Er war als Major bei der CIA. Er ist jetzt bei der UNITER. Ein bescheidener intelligenter und unbedingt integrer Mann. Ich habe bereits mit ihm gesprochen. Er ist einverstanden." * Will Rimson sah auf den Mann, der auf dem Operationstisch lag. Ralf Griffith war blaß. Er atmete ruhig und gleichmäßig in der Narkose. Die Instrumente zeigten an, daß alles normal verlief. Will Rimson hatte große Sympathien für Griffith. Er hatte schon mit diesem Mann zusammengearbeitet, als sie noch im Kampf gegen die orathonischen Invasoren standen. Ralf Griffith war 43 Jahre alt. Er war nur 1,63 Meter groß und schmächtig. Aber er war sehr intelligent und absolut zuverlässig. Dunkelblondes Haar wellte sich über der hohen klaren Stirn. Die Augen lagen unter dichten Augenbrauen, die sich bis an die Schläfen heranzogen. „Wußten Sie, daß Griffith seine Aus-
bildung als Exportkaufmann begann, Professor?" fragte Boyd Clifton. „Er gehörte zu den besten Hockeyspielern in den USA. Er hat diesem Spiel wichtige Impulse gegeben. Er studierte Physik. Wir haben ihn dann von der Universität weg zum CIA geholt. Er hat einige Einsätze überstanden, von denen man heute noch mit Respekt spricht." „Professor" Clifton stülpte die Unterlippe nachdenklich nach vorn. „Die persönliche Tragödie Griffiths ist, daß seine beiden Söhne Mutanten sind. Sie sind mißgestaltet und lebten vor der Invasion in einer Heilanstalt in Denver. Sie sind verschollen. Wir vermuten, daß die Orathonen sie als Studienobjekte mitgenommen haben." Will Rimson wandte sich überrascht um. „Daher also der Haß gegen die Orathonen!" sagte er. Der UNITER-Chef nickte ernst. Die Operation war beendet. Griffith wurde hinausgefahren. Ein Sekretär kam zu Will Rimson. Er meldete Ga-Venga und die Laktonen Bekoval und Percip an. „Sie sagten, es sei dringend!" „Kommen Sie, Clifton!" bat der Wissenschaftler. In seinem Büro warteten die Laktonen, Will Rimson fiel sofort auf, daß sie ohne ihre Orden gekommen waren. Betroffen hörte er ihren Bericht. „Ich werde mich um Sie bemühen", versprach er. „Wenn die Regierung dieses Planeten einverstanden ist, und wenn Sie wollen, dann werde ich Sie als terranische Staatsbürger aufnehmen." Die leuchtenden Augen Bekovals und Percips bewiesen ihm, daß die beiden Laktonen einverstanden waren. Ein erleichtertes Lächeln glitt über ihre Lippen. „Wir wären Ihnen sehr dankbar, Professor", sagte Percip, der akzentfrei englisch sprach. „Man würde uns sonst
auf keinem Planeten in der Galaxis dulden." „Und Sie Ga-Venga?" fragte Clifton. „Ich bleibe Sklave der Laktonen!" zischte der Kynother zornig. „Sklave?" forschte Rimson. Ga-Venga winkte lässig ab. „Das erzähle ich Ihnen später mal. Jetzt haben wir eine Nachricht, die wichtiger für Sie ist!" Rimson horchte auf. Fragend sah er Percip an. „Haben Sie eine Nachricht von Rex Corda?" fragte er gespannt. „Wissen Sie, wo er ist?" Percip lächelte. „Wir wissen nur, daß eine größere Zahl von Wissenschaftlern von Teckan verschwunden ist", sagte er. „Hat Corda etwas damit zu tun?" Will Rimson hatte den Raum genauestens untersuchen lassen. Er wußte, daß sich hier keine Abhöranlage befand. Die Laktonen hatten ihm beteuert, daß es jetzt keine Verbindung zu Enschko geben konnte. Es blieb vorläufig noch ungeklärt, woher der Beobachter seine Informationen hatte. „Ich kann Ihnen darauf keine Auskunft geben", sagte Rimson ausweichend. „Nicht bevor geklärt ist, woher Enschko Bescheid wußte." Percip lächelte verstohlen. Er wußte genug. „Noch etwas ist durchgesickert. Ich erfuhr es zufällig von einem anderen Agenten, einem Lithalonier. Kim und Velda Corda befanden sich bekanntlich in unseren Händen. Lakton hat einen Teil der in ihnen verankerten Informationen erhalten. Es geht hier um einen geheimnisvollen Stoff. Soweit ich weiß, hat Lakton mit diesem Stoff Experimente gemacht. Es heißt, laktonische Wissenschaftler hätten diesen Stoff terranischen Gefangenen eingepflanzt. Daraufhin hat es vermutlich eine Katastrophe gegeben. Die Laktonen muß-
ten den Planeten räumen, auf dem die Experimente gemacht wurden. Warum, das entzieht sich meiner Kenntnis!" Will Rimson war bleich geworden. Auch Boyd Clifton war wie erstarrt. Beide Männer dachten an Ritchie und daran, daß gerade in diesem Augenblick weitere Männer operiert wurden. * Henry Duff, der Mutant, überlegte fieberhaft, wie er den Schimpansen loswerden konnte. Seit Stunden schon beobachtete er das Tier verstohlen. Ritchie durchstöberte den Gleiter nach eßbaren Dingen. Die kleine Verpflegungsration Duffs war längst erschöpft. Unwillig schnatterte Ritchie vor sich hin. Er hatte Hunger, bohrenden Hunger. Das bißchen Brot, das der Mutant gehabt hatte, reichte nicht. Ritchie sah sich um. Der Gleiter flog hoch über dem flachen Land, das sich zu den beiden Seiten des Arkansas erstreckte. Ritchie erkannte, daß es nur eine Möglichkeit gab, seinen Hunger zu stillen. Sie mußten landen. Der Schimpanse schnatterte laut vor Vergnügen, nachdem er zu dieser Erkenntnis gekommen war. Er schwang sich über die Lehne des Sitzes nach vorn. Ein wenig zu heftig. Sein linker Fuß prallte gegen die Armstütze an der Tür. Sie zersplitterte krachend. Henry Duff zuckte erbleichend zusammen, als sich der Schimpanse neben ihm aufrichtete und drohend die Zähne fletschte. Duff verstand sofort, was der Affe wollte, als er mit der Hand nach unten zeigte. Duff reagierte auch sofort. Er ließ den Sonnengleiter absinken. Eine kleine Stadt lag unter ihnen in der Weite der Prärie. Duff ging bis auf unmittelbare Bodennähe herab. Ritchie zeigte auf die Häuser und Duff gehorchte. Er ließ den Gleiter langsam in die Siedlung treiben.
Aufgeregt kreischend und schnatternd sah sich Ritchie um. Er war stolz und selbstsicher. Er war überzeugt, daß er es geschafft hatte. Voller Verachtung dachte er an sein früheres Leben zurück. Er konnte jetzt kaum noch begreifen, daß er nicht viel früher das Weite gesucht hatte. Als Ritchie den Gemüseladen entdeckte, griff er unwillkürlich nach dem Arm Henry Duffs. Gellend schrie der Mutant auf. Er fiel sofort in Ohnmacht. Betroffen sah Ritchie auf den verletzten Arm des Mannes. Er kratzte sich am Kopf. Er mußte vorsichtiger mit seinen Kräften umgehen, wenn er sich nicht wieder um alle Vorteile bringen wollte, die er sich erkämpft hatte. Der Gleiter schwebte reglos über dem Boden. Zwanzig Schritte von dem Gemüseladen entfernt. Soviel hatte Ritchie jetzt schon begriffen, daß er wußte, wie er den Gleiter näher an den Laden heranbringen konnte. Er beugte sich über den Mutanten und lenkte das Fahrzeug an den Laden heran. Er öffnete die Tür, sprang heraus und riß auch die hintere Tür auf. Dann watschelte er in den Laden, wobei er eifrig mit den Armen schwenkte. Er wußte, daß das lustig aussah. Er wußte, daß er den Menschen damit eine Freude machte. Sie lachten gern über ihn. Vorsichtig drückte er die Tür auf, um sie nicht zu beschädigen. Im Laden standen mehrere Frauen und Männer. Sie sahen verdutzt zu ihm hin. Einige lachten. Ritchie verzog feixend die Lippen und schnatterte. Sie lachten lauter. Er watschelte zu den Bananen, nahm die ganze Kiste vorsichtig auf und trug sie zur Tür. „He!" rief der Verkäufer. "He — du Wicht! Laß die Späße!" Ritchie kreischte und kicherte. Er stand noch zwei Meter vom Gleiter entfernt. Mit einer ganz vorsichtigen leich-
ten Bewegung warf er die Kiste durch die offene Tür in das Fahrzeug. Schlagartig verstummte das Gelächter. Ritchie versuchte ein unschuldiges Kichern. Aber niemand reagierte so wie er es wünschte. Er sprang leicht in die Höhe und machte einen Salto. Aber auch diesmal lachte niemand. Ritchie war zu hoch gesprungen. Er berührte die Decke ein wenig. Und er drehte sich gleich fünfmal hintereinander. Dazu drehte er sich noch so schnell, daß die Leute nur einen dunkelbraunen Schatten durch die Luft wirbeln sahen. Für Ritchie war das nichts Besonderes. Er hüpfte kreischend zu den Bananen, nahm zwei Kisten auf und trug sie zur Tür hinaus. Wie gelähmt standen die Männer und Frauen im Laden. , „Seht euch das an!" stammelte ein junger Mann. Er hatte struppiges braunes Haar und trug eine dicke Brille. Er zeigte auf die Decke. Dort, wo Ritchie sie berührt hatte, war ein tiefer Riß. Der Verkäufer stürzte aus dem Laden, als Ritchie zurückkehrte und zur nächsten Kiste griff. Noch bevor Ritchie den Laden verlassen hatte, kehrte der Verkäufer zurück. Der vierschrötige Mann trug ein schweres Armeegewehr in den großen Händen. Er riß es an die Schulter und feuerte gerade in dem Augenblick, in dem Ritchie zurücksah. Das Geschoß prallte genau gegen die Mitte der Stirn des Affen. Ritchie schüttelte ärgerlich den Kopf. Er stülpte die Lippen vor und schimpfte schnatternd. Er trottete weiter zum Gleiter. Der Verkäufer feuerte noch einmal. Diesmal knallte Ritchie die Kugel in den Nacken. Jaulend flog der Querschläger weiter. Bleich und verstört ließ der Vierschrötige die Waffe fallen. Eine Frau schrie hysterisch. Der junge Mann mit der dicken Brille stürzte hinter Ritchie her. Er stand dicht hinter ihm, als der Schimpanse die Kiste mit den Bananen
in den Gleiter warf. Ritchie drehte sich blitzschnell um. Er starrte den Jungen böse an. Ein drohendes Knurren kam aus seiner Kehle. Er hüpfte in den Gleiter und stieß den Mutanten an. Doch Henry Duff war noch immer bewußtlos. Er konnte den Gleiter nicht starten. Ritchie packte ihn und zerrte ihn von seinem Sitz. Ärgerlich ließ er ihn zu Boden fallen. Er stellte sich hinter das Gabelsteuer des Gleiters. Er wollte starten. Doch in diesem Augenblick stürzte sich ein Polizeigleiter mit jaulender Sirene herab. Hart landete das Fahrzeug neben dem Gleiter Duffs. Ritchie wurde ärgerlich. Er verstand nicht, warum man ihn aufhielt. Er drückte seine Hand gegen das Frontfenster. Zu hart. Das Fenster zersplitterte. Jetzt wurde Ritchie wirklich böse. Nicht nur auf die anderen, sondern auch auf sich, weil er so ungeschickt war. Die Polizisten kamen auf ihn zu. Sie hielten Reeling-Guns in den Armbeugen. Das waren die gefährlichsten Projektilwaffen, die der Erde zur Verfügung standen. Die Geschosse der Reeling-Guns hatten die Form zweier mit den Spitzen gegeneinander versetzter Kegel. Das Taumelgewehr schleuderte die Doppelkegel mit dem besonderen Effekt aus, der dieser Waffe den Namen gegeben hatte. Die Geschosse drehten sich nicht nur leicht, sie taumelten auch. Beim Aufschlag verursachten sie starke Vibrationen. Sie gaben gleichzeitig ihre gesamte Energie an das Zielobjekt ab. In der Folge wurde das Objekt förmlich zerrissen. Mit wenigen Schüssen aus einer Reeling-Gun konnte man ein ganzes Haus bis auf die Grundmauern zertrümmern. Ritchie hatte keine Ahnung von dem besonderen Effekt dieser Waffen. Er knurrte nur böse, weil die Waffen auf ihn gelichtet waren, und versuchte zu
starten. Doch die Polizisten waren damit nicht einverstanden. Sie feuerten beide gleichzeitig auf den Kopf des Schimpansen. Sie hatten gesehen, wie leicht er die Frontscheibe des Gleiters zerstörte. Das war ihnen Beweis genug für seine Gefährlichkeit. Niemand achtete jetzt auf den Laktonen, der ein flaches Haus in der Nähe verließ und ihnen interessiert zusah. * K. Enschko hatte seine Botschaft bezogen. Er war entschlossen, von hier aus die Geschicke dieses Planeten zu bestimmen. Er lächelte verächtlich, als er an die Regierung der Erde dachte. Sie spielte keine Rolle für ihn. Es konnte überhaupt keinen Zweifel geben, daß er sehr bald bestimmen würde, was auf diesem Planeten geschah. Mehrere Agenten, die seit Monaten schon auf der Erde waren, warteten im Konferenzraum auf ihn. Er musterte sie kurz und ließ sich in einen Gravo-Sessel fallen. Das weich federnde Antigravitationsfeld fing ihn vorsichtig auf. „Die Dinge sind in ein entscheidendes Stadium getreten", begann er. Er hatte eine scharfe unangenehm zwingende Stimme. „Es dürfte feststehen, daß Rimsom das Problem gelöst hat. Er hat den Stoff gefunden, den wir suchen. Es wird daher Zeit, daß wir ihm die Formeln abnehmen." „Sir — die Forschungsstation ist hervorragend abgesichert", meldete sich der Chef-Agent Sival Valon. „Mir ist keine Einrichtung auf. der Erde bekannt, die besser abgesichert wäre!" „Das ist kein Problem für uns. Wir werden damit fertig. Die Technik dieser Leute ist sehr einfach." „So einfach nun auch wieder nicht", sagte Valon. Die kalten distanzierenden Augen des Beobachters schnitten ihm die Worte
von den Lappen. „Es ist mir gleichgültig, wie Sie die Station einnehmen. Notfalls brechen Sie sie mit Gewalt!" „Sir — das wird auf jeden Fall sehr viel Ärger geben. Unterschätzen Sie die Terraner bitte nicht!" K. Enschko zog die Augenbrauen hochmütig auf die Stirn hinauf. Er betrachtete den Chef-Agenten kühl. In seinen Blicken lag abgrundtiefe Verachtung und unerträgliche Arroganz. „Niemand und nichts ist auf diesem Planeten in der Lage, mir Widerstand zu leisten!" versetzte er mit einem sardonischen Lächeln. „Wir werden diesen Leuten die Erfindung abnehmen, so oder so. Wenn es mir nicht darum ginge, noch ein Minimum an diplomatischen Gepflogenheiten aufrecht zu erhalten, dann würde ich bei diesem Forscher anrufen und ihn auffordern, uns die Formeln zu übergeben!" Sival Valon stand langsam auf. Er war ein großer breitschultriger Mann mit einem klaren, intelligenten Gesicht. Eigentümliche rote Flecken unter den Bögen seiner dichten Augenbrauen fielen auf. Sie wiesen darauf hin, daß er nicht auf Lakton geboren war. „Wenn Sie das täten, würde Rimson die Formeln sofort vernichten. Er würde sie uns nicht übergeben!" sagte er. Ein Sekretär kam herein. Er flüsterte Enschko eine Meldung ins Ohr. Der Beobachter zog die Augenbrauen düster zusammen. „Der Tag fängt nicht gut an, meine Herren", versetzte er. „Es scheint so, als habe Rimson bereits mit gefährlichen Experimenten begonnen! Es wird höchste Zeit, das wir ihm die Formeln abnehmen!" Er winkte die Agenten mit einer lässigen Handbewegung hinaus. *
„Es ist alles in Ordnung, Professor", sagte Ralf Griffith, als er den besorgten Blick Will Rimsons sah. „Wie spät ist es?" Rimson sah zur Uhr. „Kurz nach zehn Uhr. Wie fühlen Sie sich?" „Alles in Ordnung. Ich verstehe nicht, warum ich noch im Bett liegen muß. Ich fühle mich sehr stark!" lächelte der Mann, der jetzt ein kleines Stück Becon in seinem Kopf trug. Es war mit den wichtigen Zentren seines Gehirns verschweißt. Will Rimson sah zu dem Chirurgen hinüber. Der Arzt nickte. ,,Na gut", sagte Rimson. „Dann stehen Sie auf, Griffith!" Der Agent richtete sich vorsichtig auf. Er tastete den Verband um seinen Kopf ab. Er schwenkte die Beine zur Seite und ließ sie über die Bettkante baumeln. „Darf ich rauchen?" „Eigentlich nicht", sagte der Arzt. Will Rimson bot ihm eine Zigarette an und leistete ihm beim Rauchen Gesellschaft. „Alles klar, Griffith?" „Alles klar, Professor. Sie brauchen keine Angst zu haben. Sobald ich das Gefühl habe, daß nicht alles in Ordnung ist, werde ich es Ihnen sagen. Ich weiß, daß Sie die Möglichkeit haben, mich außer Gefecht zu setzen. Ich habe noch nie den Wunsch gehabt, die Erde zu beherrschen, und ich habe ihn auch jetzt nicht." Will Rimson nickte zufrieden. „Sie werden nie erfahren, mit welchem Mittel ich Sie notfalls erledigen kann, Griffith. Sie werden auch nie erfahren, ob ich allein es kann oder noch einige Dutzend anderer Männer mehr. Wir haben das alles besprochen. Ich erinnere nur noch einmal daran!" Ralf Griffith lächelte sein offenes, überzeugendes Lächeln.
„Sie glauben wirklich, daß das Becon mich so beeinflussen kann? Sie glauben wirklich, daß meine Kräfte wesentlich steigen werden?" Will Rimson schluckte. Er sah auf die kleine schlanke Hand des UNITERAgenten. Sie lag ganz leicht auf dem Hartplastikrahmen des Bettes. Eben hatte Ralf Griffith die Finger ein wenig krumm gemacht. Er hatte es selbst gar nicht gemerkt. In dem stahlharten Plastikrahmen waren vier tiefe Dellen, jede gerade so breit wie ein Finger! „Sie werden viel lernen müssen!" sagte der Wissenschaftler. Boyd Clifton stürzte in den Raum. Er sah übernächtig und erschöpft aus. „Rimson — sie haben ihn!" rief er. „Wen —Ritchie?" Clifton nickte. Erst dann sah er Ralf Griffith. „Hat alles geklappt?" fragte er. „Alles okay, Chef!" „Sie bleiben noch hier. Egal, wie gut Sie sich fühlen. Das machen wir allein. Kommen Sie, Professor!" Will Rimson folgte dem „Professor". Auf dem Gleiterparkraum wartete der schnelle Polizeigleiter bereits auf die beiden Männer. „In zwanzig Minuten können wir dort sein, wenn Sie Höchstgeschwindigkeit fliegen", rief Clifton dem Fahrer zu. „Also beeilen Sie sich!" Er ließ sich zurücksinken, lehnte den Kopf nach hinten und schlief ein. * Ritchie reagierte mit unglaublicher Geschwindigkeit. Er sprang zur Seite, um den Gleiter zu verlassen. Die Geschosse aus den Reeling-Guns sirrten an seinem Kopf vorbei und schlugen in die Pfosten des Gleiterdaches. Mit ohrenbetäubendem Krach fegten sie das Oberteil des Gleiters hinweg.
Ritchie blieb verblüfft neben der offenen Tür des Gleiters stehen. Er bot ein prachtvolles Ziel. Die Beamten zögerten auch nicht. Sie schossen auf ihn. Eine ganze Serie von Kegelgeschossen knallte an seinen Kopf, seinen Hals und die Schultern. Ritchie schüttelte sich. Die harten Vibrationen jagten ihm bis in die Fußspitzen. Es war ein äußerst unangenehmes Gefühl. Zornig schrie er auf. Er ballte die Fäuste, griff blitzschnell nach einem faustgroßen Stein und schleuderte ihn nach den Polizisten. Er verfehlte sie. Der Stein prallte gegen das Polizeifahrzeug. Er kam wie ein Geschoß. Er riß den Gleiter vorn auf und zertrümmerte die Sonnenbatterien. Damit war der Gleiter flugunfähig geworden. Die Polizisten hatten das Feuer eingestellt, als sie merkten, wie wenig Wirkung ihre Waffen hatten. Sie zogen sich langsam zurück. Ritchie sprang in den Gleiter zurück und startete. Da kam einem der beiden Polizisten eine ausgezeichnete Idee. Er sah, daß der Kollege, der im Gleiter geblieben war, über Holografen mit der Zentrale sprach. Er wollte den Affen nur hier in greifbarer Nähe behalten. Er schoß auf den startenden Gleiter. Die Kegelgeschosse aus seiner ReelingGun rissen innerhalb weniger Sekunden den gesamten Gleiter auseinander. Die Trümmerstücke fielen brennend auf den weichen Rasen herab. Der größte Teil des Gleiters jedoch war zu Staub zerfallen. Ritchie fiel kreischend aus den Trümmern herab. Er tobte vor Wut. Er sprang auf den Polizeigleiter zu. Der Polizist im Fahrzeug flüchtete durch die gegenüberliegende Tür. Doch das interessierte den Schimpansen nicht. Er packte den Gleiter am Türrahmen, riß das Fahrzeug mit spielerisch leichter Bewegung herum und schleuderte es
mit voller Wucht in den Gemüseladen. Der Gleiter prallte zunächst gegen die Mauern an der Oberseite des Schaufensters und kippte erst dann in den Verkaufsraum. Dadurch wurde ihm die größte Wucht genommen. Sonst wäre niemand lebend mehr aus dem Geschäft herausgekommen. Ritchie sah sich zähnefletschend um. Er entdeckte einen anderen Gleiter in der Nähe, stürzte sich darauf, warf sich kreischend hinein und startete mit ihm. Er mußte dem Ruf folgen. Er konnte nicht anders. Die Rufe hämmerten in seinem Kopf. Er schien an unsichtbaren Fäden zu hängen, die ihn mit unwiderstehlicher Gewalt nach Südosten zogen. Ritchie preßte sich die Hand auf den Bauch. Sein Magen knurrte. Er hatte Hunger. Ihm war schlecht vor Hunger. Deshalb war er ja so zornig auf die Polizisten gewesen. Sie hatten ihm alle Bananen zerschossen. Alles war in den Trümmern vergangen. Ritchie nahm sich vor, beim nächsten Geschäft nicht so lange zu warten. Wenig später griffen die Videostationen die Nachricht von Ritchie auf und verbreiteten sie über die ganze Well. * Der Biologe Sam McClude runzelte die Stirn. „Professor Rimson ist nicht hier. Er ist nicht zu sprechen. Nein — auch nicht für Sir Enschko!" Er wollte den Holografen abschalten, als das Gesicht des laktonischen Beobachters Sir K. Enschko auf dem HologrammRaumbild erschien. „Ich bin in einer Stunde bei Ihnen, Professor", sagte er kühl. „Ich werde mit Ihnen sprechen!" Und jetzt schaltete Sir Enschko ab. ohne dem Biologen die Möglichkeit einer Antwort zu geben..
Wenig später erhellte sich der Holograf wieder. Diesmal war es Will Rimson. Im Hintergrund sah Sam McClude auch den Schäferhund Rimsons. Der Wissenschaftler sah enttäuscht aus. „Ritchie ist uns wieder entkommen, Sam", berichtete Rimson. „Er flieht mit einem Gleiter. Wir konnten seine Spur nicht aufgreifen!" „Wieso hilft euch Nukleon nicht, Will?" forschte Sam verwundert. „Nukleon müßte den Affen doch aufspüren können.'' Rimson hob ratlos die Achseln. „Mit Nukleon ist überhaupt nichts anzufangen. Er benimmt sich wie verrückt. Irgend etwas läßt ihm keine Ruhe. Ich glaube, er will mir etwas mitteilen — aber es klappt nicht. Ich verstehe ihn nicht." Sam McClude berichtete von dem bevorstehenden Besuch Sir Enschkos. „Ich komme sofort zurück, Sam! Wenn er kommt, dann mußt du schon mit ihm sprechen. Das geht nicht anders!" "In Ordnung, Will!" Sir K. Enschko kam eine Viertelstunde früher als erwartet. Er kam mit einem Troß von zweihundert GravoGleitern, die alle — trotz der scharfen Proteste Sam McCludes — auf dem Parkgelände der Station landeten. Plötzlich standen etwa vierhundert Laktonen vor der Station. Sie benahmen sich, als wären sie hier zu Hause. Dem Biologen Sam McClude, der auf dem politischen Parkett ziemlich unerfahren war, wurde heiß. Er befahl zwar sofort, keinen Laktonen in die Station zu lassen, aber dazu war es schon zu spät. Mehrere Laktonen hatten die Kontrollen schon durchbrochen, indem sie sie einfach hinwegschwemmten. Die UNITER-Agenten griffen hart zu, machten aber von der Waffe keinen Gebrauch. Sam McClude stürzte sich auf Sir
Enschko, den Botschafter Laktons auf der Erde. „Wenn Sie nicht augenblicklich Ihre Leute zurückziehen, werde ich den Befehl geben, die Waffen zu benutzen. Sie sind ausdrücklich darauf hingewiesen worden, daß niemand unkontrolliert in diese Gebäude eindringen darf!" Sir Enschko zog die Augenbrauen arrogant auf die Stirn hinauf und ließ die Mundwinkel verächtlich hängen. Er sah an dem Biologen vorbei. „Ein interessantes Problem, mein Freund", sagte er herablassend. „Wir werden darüber sprechen. Aber nicht hier, sondern in Ihrem Büro, wenn Sie erlauben!" „Geben Sie den Befehl!" brüllte der Biologe zornig. Die elektronischen Übersetzer machten seine Worte dem Laktonen verständlich. Sir K. Enschko warf einen Blick auf die Kerntruppe seiner Agenten. Sie gaben ihm das Zeichen, daß alles nach Plan verlaufen war. „Ziehen Sie die Leute zurück", sagte Enschko gelangweilt zu seinem Adjudanten, der den Befehl weiterleitete. Das änderte jedoch nichts mehr daran, daß schon über fünfzig erstklassig geschulte Agenten Laktons in der Forschungsstation waren. Entschlossen machten sie sich auf die Suche nach der Becon-Formel. * Sival Valon, der Chefagent, war einer der ersten Laktonen, die die Sperrungen mit arroganter Lässigkeit überwanden. Sie drängten die UNITER-Agenten einfach zur Seite. Kein Schuß fiel, weil eine Schießerei zu schärfsten Auseinandersetzungen mit Lakton geführt hätte. Die UNITER-Agenten waren auf einen so dreisten Überfall nicht vorbereitet. Sival Valon grinste in sich hinein, als er mit zwei Agenten bis in den Com-
puterraum vordrang. Die Programmiererinnen fuhren erschreckt herum. Katja Leskow, die Chefprogrammiererin, sprang zum zentralen Schaltpult hinüber und stellte sich davor. Sival Valon lächelte. Es störte ihn nicht, daß sie ihn an seinen rötlichen Zähnen als Laktonen erkannte. „Wir haben die Genehmigung von Professor Rimson, schönes Kind", sagte er. Obwohl sie sich heftig wehrte, zogen die anderen Agenten sie zur Seite. Sival Valon ließ sich vor dem Schaltpult nieder und tippte seine Frageprogramme in die Tasten. Über diese Phase ihres Vorstoßes hatten sie lange diskutiert. Laktonische Spezialisten hatten das Programm ausgearbeitet. Mit allergrößter Wahrscheinlichkeit würde der Computer bei diesem Programm die Formeln über den geheimnisvollen Stoff ausspucken, den die Terraner gefunden hatten. Man wußte, daß der Entdecker Bekkett hieß. Man kannte die Gepflogenheiten der Terraner. Die laktonischen Psychologen hatten behauptet, daß die Terraner den Namen für den Stoff vom Namen seines Entdeckers Walter Bekkett ableiten würden. Sival Valon beugte sich gespannt vor, als er alle Daten in die Tasten gegeben hatte. Er hörte die Relais klicken. Da tauchte eine schlanke Gestalt in einem schlichten grauen Anzug neben ihm auf. Seine schmale Hand griff nach seinem Arm, eine andere legte sich um seine Schulter. Der kleine Mann mit den freundlichen Augen hob ihn aus dem Sessel. Sival Valon versuchte sich zu wehren, aber der freundliche kleine Mann mit der hohen gewölbten Stirn schien das gar nicht zu bemerken. Er setzte den Laktonen ab und zeigte freundlich lächelnd auf die Tür. „Seien Sie so nett!" bat er. Sival Valon zuckte wie unter einem
Peitschenhieb zusammen, als er den Computer arbeiten hörte. Eine kleine weiße Plastikkarte fiel aus dem Schlitz. Der freundliche Mann bückte sich und hob die Karte auf. Er schob sie in seine Tasche, ohne sie anzusehen. „Warum gehen Sie nicht?" fragte er erstaunt. Sival Valon sah zu seinen Agenten. Sie standen mit erhobenen Händen an der Tür. Drei Terraner hielten ihre Hitzestrahler auf sie gerichtet. Sival Valon seufzte abgrundtief. „Es handelt sich hier doch wohl um ein bedauerliches Mißverständnis", begann er lächelnd. „Sehen Sie ..." „Sicher handelt es sich um ein Mißverständnis, mein Junge", antwortete Griffith freundlich lächelnd. „Sie haben mich insofern mißverstanden, als Sie noch immer nicht begriffen haben, wie ernst die Lage für Sie ist! Hinaus!" „Sir Enschko wird Sie dafür vernichten!" behauptete der Agent. Ralf Griffith lachte ihm ins Gesicht. Damit war der erste Versuch der Laktonen abgeschlagen. * Sir K. Enschko schäumte vor Wut, als er in seine Residenz in Den Haag zurückkehrte. Er war fest entschlossen, sich für diese Niederlage zu rächen. Kurz nach seiner Ankunft in der Botschaft sprach der große Holograf, der ihn mit Lakton verband. Sir K. Enschko beruhigte sich schlagartig. Voller Sorge fragte er sich, was Lakton veranlassen konnte, sich mit ihm in Verbindung zu setzen. Es mußte eine Nachricht von höchster Wichtigkeit sein. Er wies alle Sekretäre aus dem Holografenraum, um allein zu sein. Er schaltete ein. Natürlich vernahm er eine Bandaufzeichnung. Auf Lakton wartete man nicht am Gerät, bis Enschko ein-
schaltete. Auf dem Holografen erschien ein Mann, den K. Enschko tödlich haßte. Er war sein erbitterter Konkurrent gewesen, als es darum ging, zwei freie Posten neu zu besetzen. Einer dieser Posten war der, den er jetzt innehatte. Der andere beinhaltete eine führende und ungemein wichtigere Position innerhalb des galaktischen Kommunikationswesens. Sein Konkurrent war glücklicher gewesen. Um so jovialer war jetzt sein Lächeln. Sir K. Enschko biß sich stöhnend auf die Lippen. Der Zorn trieb ihm den Schweiß auf die Stirn. „Mein lieber Enschko". begann der Mann auf Lakton. „Ich habe eine Warnung für Sie. Auf einem Sumpfplaneten, Katalognummer UVZZ 3 b, haben wir eine Forschungsstation gehabt. Wir haben dort Versuche mit einem Stoff gemacht, der auf Terra entdeckt wurde. Wir wollten überragende Kämpfer für Lakton schaffen. Leider hatten wir kein Glück. Die Experimente schlugen fehl. Wir mußten den Planeten räumen. Wir müssen deshalb ganz entschieden vor Versuchen auf Terra warnen! Mein lieber Enschko, es wird Ihre vornehmste Aufgabe sein, ähnliche Versuche auf Terra zu verhindern!" Sir K. Enschko schluckte die Ironie seines Gegners mit kaltem Zorn. Er wußte, daß er nichts dagegen tun konnte. Noch nicht. „Geringe Mengen dieses Kunststoffes wurden mit dem Hirn der Experimentalpersonen — alles Terraner — verbunden. Für einige Zeit gewannen die Experimentalpersonen überragende Fähigkeiten. Sie liefen dann jedoch außer Kontrolle, weil sich ihr Hirn den Anforderungen nicht gewachsen zeigte. Verhindern Sie auf alle Fälle, daß es zu ähnlichen Zwischenfällen auf Terra kommt! Es wäre zu gefährlich für uns alle!"
Der Holograf schaltete sich selbsttätig ab. Sir K. Enschko biß sich so hart auf die Lippen, daß sie zu bluten begannen. Langsam stand er auf. Er ging in dem Raum auf und ab, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, den Kopf nachdenklich gesenkt. Sein Atem ging laut und rasselnd. Allmählich wurde er wieder zu dem kühlen, überlegenen Rechner, der er immer gewesen war. Er überlegte sich sein Vorhaben genau. Er wußte inzwischen, wie sehr sich Lakton um die Erfindung jenes Terraners Walter Beckett bemüht hatte. Es hieß, daß Beckett seine Entdeckung an den Präsidenten der Erde, Rex Corda, und dessen beide Geschwister weitergegeben hatte. Die beiden Geschwister waren in den Händen der Laktonen gewesen. Ohne daß sie es gemerkt hatten, hatten die Laktonen ihnen einen Teil ihres Wissens entnehmen können. Sie hatten dieses Wissen an Lakton weitergegeben, bevor das Raumschiff verscholl, mit dem sie nach Lakton kommen wollten. Ihre Vorsichtsmaßnahme hatte sich als richtig erwiesen. Der Chefagent Sival Valon trat langsam ein. Sir K. Enschko lachte triumphierend. „Das ist es, Valon!" rief er laut. „Wir hatten nur einen Teil. Verstehen Sie? Nur einen Teil! Deshalb mußten die Experimente auch scheitern! Die Terraner haben das Ganze! Und das werden wir uns holen! Dann brauchen wir auch keine Angst vor den Experimenten zu haben!" Verständnislos sah Sival Valon den Beobachter an. Sir Enschko dachte nicht daran, sich an die Weisungen Laktons zu halten. Er würde die Experimente durchführen und zum Ziel kommen. Dann war es an der Zeit, seine Position wieder einmal etwas aufzuwerten!
* Kim Corda fühlte, daß ein seltsamer Einfluß von dem weißen Delphin ausging, der sich unaufhörlich an der Küste aufhielt. Wabash war offensichtlich bestrebt, in der Nähe Kims zu bleiben. Das merkten auch die UNITER-Agenten, die für die Sicherheit des Jungen verantwortlich waren. Kim vernahm ein eigentümliches Wispern und Flüstern, das die anderen jedoch nicht bemerkten. Je öfter Kim davon sprach, desto besorgter wurden die Blicke, die die Agenten sich zuwarfen. Kim bemerkte es — und sprach schließlich überhaupt nicht mehr davon. Der weiße Sonnengleiter, mit dem er gekommen war, stand am Strand. Das Motorboot schaukelte auf den Wellen. Sie waren allein am Strand. Nur Wabash war bei ihnen. „Seltsam", murmelte einer der Agenten. "Wabash benimmt sich sehr seltsam, findet ihr nicht auch?" Kim kaute auf den Lippen. Er blinzelte zu dem Agenten hinüber. Es war ein großer dunkelhaariger Mann mit groben Knochen. Er beobachtete den weißen Delphin genau. Wabash näherte sich jetzt schon wieder dem Strand, so wie er es jetzt schon siebenmal gemacht hatte. Er kam in gerader Linie auf den Strand zu, wobei er sich immer wieder hoch aus dem Wasser schnellte, so daß seine Bewegungsrichtung genau zu erkennen war. Er schwamm bis unmittelbar ans Ufer, drehte dann ab und entfernte sich wieder vom Strand. Dabei blieb er ständig unter Wasser. Er tauchte erst in mehr als zweihundert Meter Entfernung vom Strand wieder auf. Dann begann das gleiche Spiel wie zuvor. Sprung folgte auf Sprung. Kim grub sein Kinn in die Hände und schüttelte den Kopf.
„Was soll das nur, Wabash?" fragte er. Der Delphin kam ständig aus der gleichen Richtung. Er kam immer wieder aus Südwest. Er näherte sich dem Ufer nicht in einem Winkel von 90 Grad, sondern in einem Winkel von etwa 60 Grad. „Ich möchte wissen, warum er immer von dort kommt! Wir sollten mal nachsehen, ob dort etwas Interessantes für uns zu finden ist", meinte der Grobknochige. Kim sprang auf und stieß einen kleinen Schrei aus. Ein leichter Schmerz zuckte durch seinen Kopf. Es war, als habe jemand zu ihm gesprochen. Ganz laut und deutlich. Und dennoch hatte er nicht verstanden. Doch er hatte plötzlich eine Idee, „Wieso fragen wir immer danach, woher er kommt?" schrie er aufgeregt. Er drehte sich um und zeigte ins Landesinnere. „Er will uns sagen, daß wir uns in diese Richtung wenden sollen!" „He, Kleiner! Natürlich! Du hast recht!" rief der Große überrascht. „Aber warte mal, was gibt's denn dort?" „Die Nadel!" sagte einer der anderen Agenten. „Dort ist die Nadel. Genau in der Richtung." Wabash kam laut schnatternd, knarrend und quiekend bis ans Ufer. Er peitschte das Wasser mit dem Schwanz, daß es hoch aufschäumte. Kim wurde ganz ruhig. Er horchte in sich hinein. Er glaubte, so etwas wie ein zufriedenes Lachen zu hören. Überlegend sah er zu Wabash hinüber. Der Delphin sah ihn an. Lächelte Wabash? * „Alles in Ordnung, Griffith?" fragte Will Rimson, der in die Station zurückgekehrt war. Ralf Griffith nickte beruhigend. Ein
kleines Lächeln faltete sich um seine Augen. „Wir sollten nur auf die anderen aufpassen", sagte er. „Ich bin da nicht ganz so sicher wie bei mir, daß alles in Ordnung ist!" Will Rimson blieb stehen. Er sah über die kahlen Büsche in dem kleinen Park zwischen den Häusern der Forschungsstation hinweg zu der Bank, auf der die anderen vier Agenten saßen, die jetzt durch Becon verändert waren. „Warum? Was haben Sie beobachtet?" „Ich weiß nicht, was es ist. Sie sind ein wenig ernster als sonst. Kuttner habe ich seit zwei Stunden überhaupt nicht mehr lachen gesehen. Das ist seltsam. Simpson raucht nicht mehr. Vor der Operation rauchte er mehr als vierzig Zigaretten am Tag. Fisher hat plötzlich einen eckigen Gang. Fishers Augenfarbe hat sich auch ein bißchen verändert. Sie ist heller geworden. Lester ist gereizt. Er ist unruhig. Er fühlt sich gefangen. Achten Sie mal auf ihn. Sehen Sie? Er hält die Hände gegeneinander und trommelt sich immer mit den Fingerspitzen gegen die Finger der anderen Hand. Völlig neu. Lester war nie nervös." „Beobachten Sie sie, Ralf! Und passen Sie auf sich auf!" „Schon gut, Professor." Will Rimson kehrte in sein Büro zurück. Sam McClude wartete bereits auf ihn. Der Biologe war unruhig. „Es wird Zeit, daß Rex Corda wiederkommt", sagte er. „Er bleibt zu lange weg. Wir können die Laktonen nicht mehr lange hinhalten." Rimson winkte ab. „Unwichtig, Sam! Wir haben andere Sorgen. Die Laktonen kann man ohnehin nicht hinhalten, wenn es ihnen nicht paßt. Die Laktonen machen was sie wollen. Sie werden wiederkommen. Sie werden mit aller Kraft versuchen, die
Formeln zu bekommen." „Und was können wir dagegen tun?" „Die Formeln löschen." Sam McCiude kniff die Augen zusammen. Er grinste schief. „Will, das wäre ein teuflischer Streich. Wir löschen einen Teil der Formeln. Dann sollen die Laktonen ruhig kommen und sich den Rest holen! Sie werden eine hübsche Enttäuschung erleben!" „Komm, Sam!" Die beiden Wissenschaftler gingen in den Computerraum hinüber. Will Rimson schickte die Programmiererinnen hinaus. Er wollte mit Sam McClude allein sein. Was dann kam, war harte Arbeit. Sie lösten sorgfältig wichtige Teile aus den Formeln heraus und prägten sie sich ein. Der Computer speicherte am Ende nur noch ein wenig mehr als die Laktonen ohnehin wußten. Will Rimson erhob sich befriedigt. Er rieb sich die Hände und ging mit dem Biologen hinaus. Nukleon, sein Hund, kam ihm entgegen. Nukleon taumelte. Er hielt die Augen fast geschlossen. Röchelnd kam sein Atem aus der Kehle. Rimson kniete vor dem Hund nieder, der ihm den Kopf winselnd in den Schoß legte. „Bitte, Sam. Wir brauchen einen Tierarzt. Laß bitte einen rufen. Schnell!" * Nördlich von Tallahassee entdeckte Ritchie endlich eine einsame Farm. Er war jetzt nur noch etwa zweihundert Kilometer von seinem Ziel entfernt. Bohrende Kopfschmerzen und nagender Hunger quälten ihn. Ritchie merkte voller Verwunderung, daß er sich schwach und erschöpft fühlte. Immer wieder preßte er die Hände
vor den Bauch und massierte ihn. Er mußte etwas zu essen haben. Es ging nicht mehr anders. Glücklich und voller Spannung umkreiste er die Farm. Er hätte jubeln können, weil er endlich eine Siedlung gefunden hatte, bei der er landen konnte, ohne allzuviel Aufsehen zu erregen. Alles sah ganz ruhig aus. Der Schimpanse landete den Gleiter direkt vor der Haustür der Farm. Unter dem Dach kamen die Videophonkabel hervor, die das Haus mit der übrigen Welt verbanden. Ritchie zögerte keine Sekunde. Er schnellte sich an der Tür hoch, kletterte über einen Stützbalken an das Giebeldach heran und hangelte sich bis zu dem Kabel hin. Ein kurzer Ruck genügte, um das Haus zu isolieren. Ritehie ließ sich beruhigt fallen. Er knallte direkt vor dem aus dem Haus tretenden Farmer auf den Boden. Der Mann fuhr erschreckt zurück. Dann weiteten sich seine Augen. „Verdammt!" keuchte er. „Ritchie!" Er zog sich vorsichtig zurück. Über die Schulter hinweg rief er nach seiner Frau. Er warnte sie, nach vorn zu kommen. Ritchie stürzte sich an ihm vorbei. Der verlockende Duft zeigte ihm, wo er suchen mußte. Er fand die Küche sofort. Er drückte die fette Frau am Herd unsanft zur Seite und kümmerte sich nicht um ihre wütenden Schreie. Er stürzte sich auf das Obst, das auf dem Tisch stand. Die Frau riß einen Besen an sich und schmetterte ihn über den Kopf des Schimpansen. Ritchie zwinkerte ihr vergnügt zu und ließ sich nicht weiter stören. Er schlang die Bananen und die Apfel gierig hinunter. Aber er hatte nicht das Gefühl einer Sättigung. Also machte er sich über die reichhaltigen Brotvorräte her. Die Fette floh aus der Küche zu ihrem Mann.
„Bist du denn noch bei Sinnen?" zischte er. „Greif das Biest nicht an! Es ist zu gefährlich! Hast du die Warnung nicht gehört?" „Das ist mir egal! Er frißt uns alles weg. was wir im Haus haben!" kreischte sie wild. „Besser das, als wenn er uns umbringt!" fluchte er. „Komm jetzt!" Ritchie hielt sich den prallen Bauch. Er begriff nicht, daß er noch Hunger hatte. Er fühlte sich nicht mehr müde und zerschlagen. Er fühlte sich wieder stark. Aber er war hungrig. Er riß den Kühlschrank auf und verschlang wahllos, was er vorfand. Doch es half nichts. Ritchie hüpfte mit ärgerlichen Sätzen zu seinem Gleiter. Um die Farmersleute kümmerte er sich nicht. Er hatte Sorgen. Ernste Sorgen. Er hätte satt sein müssen. Er hatte soviel gegessen, wie sonst an mehreren Tagen. Aber es genügte nicht. Voller Verblüffung beobachtete er, daß der Umfang seines Leibes schnell wieder kleiner wurde. Und je mehr sein Bauch zusammenschmolz, desto stärker wurde der Hunger. Ritchie brüllte auf. Er wußte nicht, was er tun sollte. Aus blutunterlaufenen Augen starrte er um sich. Gab es nichts mehr zu essen? Sein Blick fiel auf die Scheune. Dort stand ein Gleiter. In ihm saßen der Farmer und seine Frau mit zwei Kindern. Das interessierte Ritchie nicht. Er wollte wissen, was in der Scheune war. Er sprang aus dem Gleiter und watschelte neugierig zu der Scheune hinüber. Er warf dem Farmer keinen Blick zu, als der startete. Ritchie sah nicht einmal hoch, als die keifende Farmersfrau durch das offene Fenster des Gleiters auf ihn schoß. Sie hatte eine Schrotflinte in den fetten Armen und feuerte zwei Ladungen auf ihn ab. Sie hätte ein Sieb aus ihm machen müssen.
Aber die zahlreichen Bleikugeln belästigten ihn noch nicht einmal. Sie sirrten als Querschläger davon. Ritchie trat einmal kurz gegen das massive Holztor der Scheune. Es fiel in sich zusammen, als wäre es morsch und alt gewesen. Der Schimpanse hüpfte in die Scheune. Im düsteren Licht erkannte er Maiskolben. Riesige Berge von Maiskolben, die hier lagerten. Er schnatterte laut vor Begeisterung und stürzte sich auf den nächsten Berg. Gierig stopfte er den Mais in sich hinein. Er aß zwei Stunden lang. Dann war die Scheune leer. Sein Körper nahm die ungeheuren Mengen mühelos auf. Die veränderte Molekularstruktur saugte die Energie in sich auf. Der Körper verwertete den Mais restlos und ohne Rückstände. Aber satt war Ritchie nicht. Im Gegenteil, als er sich in der nun leeren Scheune umsah, preßte er die Hände gegen den schmerzenden Magen. Er hatte bohrenden Hunger. Sein Bauch war jetzt genauso flach wie vorher, als er die Scheune betreten hatte. * Ole Meifert spuckte über die Brücke und starrte trübsinnig auf das Wasser. Träge und schläfrig wälzte sich die schwarze Flut durch die Grachten. Ole Meifert spuckte nochmal aus und stiefelte dann unzufrieden in die kleine Bierkneipe an der Ecke hinüber. Er hatte das Gefühl, daß heute ein ganz besonders schlechter Tag war. Die Geschäfte gingen schlechter denn je zuvor und das, obwohl Den Haag jetzt Sitz der Weltregierung war. Ole Meifert an der Theke vorbei. Sein Gesicht hellte sich ein wenig auf, als er den Laktonen in der Ecke sah. Sival Valon entblößte seine rötlichen Zähne und grinste. Ole Meifert hängte sich eine Zigarette zwi-
schen die Lippen und ließ sich rieben dem Laktonen auf einen Stuhl fallen. „Zwei Bier — auf meine Kosten!" brüllte er zur Theke hinüber. Es roch nach vergossenem Bier und abgestandenem Rauch. „Was treibt Sie in diese Ecke, Sival?" grunzte Meifert. „Ich habe Sie gesucht, Ole?" Der Holländer sah überrascht auf. „Mich? Das ist doch nicht möglich!" „Doch!" lächelte der Laktone. „Was ist denn los mit Ihnen? So trübsinnig habe ich Sie noch nie gesehen!" Ole Meifert winkte abfällig ab, prostete dem Laktonen zu und schüttete das Bier durstig hinunter. „Ich habe den falschen Beruf erwischt, Sival", murrte er. „Wissen Sie, früher krachten die Batterien bei den Sonnengleitern laufend durch. Es war viel Entwicklungsarbeit zu leisten. Ich spezialisierte mich auf Sonnenbatterien. Ich rannte lange Jahre zur Schule und schimpfe mich jetzt Batterie-Ingenieur. Es war die dümmste Entscheidung meines Lebens!" Der Laktone lachte dünn. Mit scharfen Augen beobachtete er den Holländer. „Ich habe eine Chance für Sie, Ole!" sagte er leise. Ole Meifert sah auf. In seinen Augen glühte es mißtrauisch auf. „Was für eine Chance, Sival?" „Müssen wir das hier besprechen?" „Hier hört uns keiner!" „Nun gut, Ole. Wenn du mitmachst, dann bist du in einigen Wochen so reich, daß du nicht mehr zu arbeiten brauchst!" „Und was für eine Schweinerei soll ich dafür inachen, Laktone?" Sival Valon lachte beruhigend. Er klopfte Ole Meifert auf die Schulter. „Wir werden eine kleine Operation machen. Sie wird deine Intelligenz und Leistungsfähigkeit mindestens verdop-
peln, wahrscheinlich jedoch verzehnfachen!'' Ole Meifert setzte das Bierglas wieder ab, aus dem er den Rest trinken wollte. „Was ist das? Wollt ihr einen Supermann aus mir machen?" „So ungefähr!" lächelte Sival. „und wozu?" „Wir brauchen solche Männer für unseren Kampf gegen die Orathonen!" „Danke!" schnarrte Meifert. Er wollte sich erheben, doch der Laktone packte seinen Arm. „Das ist der Witz bei der Geschichte, Ole. Es kann Ihnen überhaupt nichts dabei passieren! Sie werden es gesund und ohne einen Kratzer überstehen!" „Und warum nehmt ihr keine Laktonen, eh?" „Weil wir dieses Experiment nur mit Terranern machen können. Mit Laktonen klappte es bisher nie!" log der Laktone. „Hm — Laktone, ich muß es mir überlegen. Was zahlt ihr dafür?" * Die gellenden Alarmsirenen rissen Dr. Sam McClude aus dem Bett. Blitzschnell streifte er sich eine Hose und ein Hemd über. Dann stürzte er aus seinem Schlat'raum. Nukleon lag noch immer bewußtlos in dem Korb. Der Tierarzt hatte gesagt, das sei die einzige Möglichkeit, das Tier zu retten. Elektronische Messungen hatten ergeben, daß Nukleon unter so starken geistigen Anspannungen stand, daß er darüber zu zerbrechen drohte. Diese Dinge gingen dem Biologen durch den Kopf, als er die Tür zum Flur aufstieß. Wie erstarrt blieb er unter der Tür stehen. Drei Meter vor ihm stand ein Mann. Es war Kuttner, einer der fünf Männer,
denen Becon eingepflanzt worden war! Die Augen des Veränderten waren blutunterlaufen. Die aufgeworfenen Lippen zuckten. Kuttner hob die Hände und ging langsam auf Sam McClude zu. Ein dumpfes Stöhnen kam aus seiner Kehle. „Kuttner! Besinnen Sie sich!" rief der Biologe mit scharfer Stimme. Kuttner lachte dumpf. Das Lachen kam tief aus seiner Kehle. Es hörte sich grausig an. Sam McClude sah sich nach einem Fluchtweg um. Doch es gab keinen. Es gab nur eine Möglichkeit! Das Narkotikum. Sam McClude fuhr herum, stürzte sich blitzschnell auf die Holzverschalung seines Holografen und riß sie auf. Fünf blinkende Knöpfe wurden sichtbar. Kuttner schrie wütend auf. Er stürzte sich ins Zimmer. Seine Faust schoß vor. Professor McClude duckte sich ebenso schnell. Die Faust zischte an seinem Kopf vorbei. Der Biologe drückte einen der fünf Knöpfe. Kuttner griff sich an den Kopf. Er taumelte. Sam McClude hatte das Gefühl, ein Felsen pralle gegen ihn. Er stemmte die Arme gegen den Veränderten. Kuttner schloß die Augen. Unendlich langsam sank er auf die Knie und fiel dann vornüber aufs Gesicht. Mit fliegenden Fingern schaltete Sam McClude am Holografen. Der Schlafraum des Veränderten Simpson erschien im Gerät. Das Zimmer bot ein Bild der Verwüstung. Simpson war nicht da. Auch Fisher war nicht in seinem Zimmer. Dieser Raum sah jedoch ordentlich aus. Nur das faustgroße Loch über dem Bett wies darauf hin, daß fürchterliche Gewalten freigeworden waren. Lester war ebenfalls nicht in seinem Zimmer. Sam McClude schaltete weiter. Nach
und nach erschienen sämtliche Räume auf dem Holografen. Doch die Veränderten waren nicht zu finden. Sam McClude sah nur Ärzte und Assistenten, Sicherheitsbeamte und Sekretärinnen, die durch die Gänge flüchteten, ziellos und voller Panik. Dann schaltete er auf den Computerraum. Das Blut gefror ihm in den Adern. Ralf Griffith stand breitbeinig vor dem Schaltpult. Lester, Simpson und Fisher kamen langsam auf ihn zu, die Fäuste zum Schlag erhoben. Griffith machte einen ruhigen, ausgeglichenen Eindruck. Er schien keine Furcht zu haben, obwohl die anderen ihn um mehr als eine Kopflänge überragten. Entschlossen drückte Sam McClude drei weitere Knöpfe herunter. Fisher, Lester und Simpson brachen wie vom Schlag getroffen zusammen. „Wie sieht es aus, Ralf?" fragte Sam McClude mit ruhiger Stimme. „Sie sehen, es ist kein Problem für mich, auch Sie auszuschalten!" Ralf Griffith lächelte. Er nickte gelassen. „Sie brauchen keine Angst zu haben, Professor. Mit mir ist alles in Ordnung. Aber mit den anderen ist etwas schiefgegangen. Wo ist Kuttner?" „Er ist bei mir. Bewußtlos!" „Und wo ist Professor Rimson?" „Er ist in Den Haag. Sir Enschko macht Schwierigkeiten. Er läßt sich nicht länger vertrösten. Er will Rex Corda und vor allem auch Latak Decimo sprechen!" Ralf Griffith runzelte besorgt die Stirn. Er wußte ebenso wie Sam Mac Clude, daß es unmöglich für Enschko war, Rex Corda zu sprechen. Der Präsident der Erde befand sich nicht auf Terra. Er war zu einer Expedition nach dem laktonischen Planeten Teckan aufgebrochen. Teckan war das Zentrum der
laktonischen Wissenschaft und Forschung. Eine Festung im All. Rex Corda wollte sie brechen, um einigen laktonischen Wissenschaftlern zur Flucht nach Terra zu verhelfen. Rex Corda hätte längst wieder auf der Erde sein sollen. Niemand auf der Erde ahnte, daß Rex Corda gerade in diesen Stunden ebenfalls mit Veränderten kämpfte. Die ersten durch Becon veränderten waren auf Swamp, einem düsteren Sumpfplaneten der Laktonen entstanden. Sie hatten ihre Fesseln ebenso gesprengt wie jetzt auf der Erde Kuttner. Fisher, Simpson und Lester. „Bringen Sie die drei Männer in die chirurgische Station. Ralf", befahl Sam McClude. „Wir werden sie wieder operieren!" Ralf Griffith nickte. Spielerisch leicht nahm er die drei Männer auf und schleppte sie aus dem Raum. Sam McClude wandte sich vom Holografen ab. Hinter ihm standen einige Sicherheitsbeamte. Der Biologe hatte sie gehört, als sie kamen, sich aber nicht um sie gekümmert, weil er mit Ralf Griffith beschäftigt war. „Bringen Sie Kuttner in die Chirurgie!" befahl er. Er ging voraus. Die Agenten schleppten den Veränderten hinterher. Der Chefarzt der Chirurgie kam ihnen schon entgegen. Er machte ein besorgtes Gesicht. Seine Station war nur sehr klein und speziell für die Operation an diesen Männern eingerichtet. Sam McClude sorgte dafür, daß die vier Veränderten, die unter dem Einfluß des Becon den Verstand verloren hatten, sofort auf den Operationstisch kamen. Blitzschnell liefen die Vorbereitungen ab. „Ich verstehe das nicht", flüsterte Ralf. „Bei mir ist alles in Ordnung. Warum? Becon ist Becon! Oder nicht?" "Natürlich, Ralf", nickte der Biologe. „Es kommt nur darauf an. das Becon
richtig mit den einzelnen Nervenfasern zu verbinden. Ganz offensichtlich haben wir bei den anderen Fehler gemacht. Bei Ihnen scheint wirklich alles okay zu sein. Wie fühlen Sie sich?" „Danke, Professor, gut. Aber wenn ich die vier hier sehe, könnte mir schlecht werden!" Kuttner war der erste, der operiert werden sollte. Sam McClude, der ebenso wie Ralf Griffith im Raum bleiben durfte, rückte seine Atemmaske zurecht und trat dichter an den Operationstisch heran. Der Chirurg strich die Haare zur Seite, welche die noch unbehaarte Operationsnarbe überdeckten. Er setzte das Skalpell an und zog es langsam über die bloße Haut des Veränderten. Sam McClude stöhnte auf. Unwillkürlich preßte er die Hände vors Gesicht. Der Chirurg fluchte leise. Er warf das Skalpell zur Seite und nahm ein anderes. Wieder versuchte er, die Haut zu durchschneiden. Vergeblich! Kuttner war unverletzbar! Auch in der Narkose! Sam McClude sah auf seine Uhr. In genau 27 Minuten würde Kuttner aufwachen. Und dann konnte er nicht mehr gefällt und narkotisiert werden, weil kein Narkotikum mehr in seinem Kopf war! * Der Mond tauchte aus dem Atlantik und überschwemmte den Palmengarten mit silbernem Licht. Kim blieb vor dem massigen Betontor stehen. Seine Blicke wanderten hinauf zu den Geschütztürmen. Dort oben standen schwere Energiebatterien bereit, jeden Angreifer zu vernichten, der versuchen sollte, diese Festung zu stürmen. Kim Corda lächelte zu den schwei-
genden Agenten hinauf, die ihn von allen Seiten umgaben. „Warum eigentlich dieser Aufwand?" fragte er. „Was ist denn schon dran an dieser Nadel?" Er erntete schweigendes Lächeln. Sie führten ihn durch das Tor zu dem großen quadratischen Hof. Kim blieb stehen, als er die Nadel sah. Sie stand genau im Zentrum der Anlage. Sie war sieben Meter hoch. Sie wirkte außerordentlich schlank und biegsam. Kim hörte ein seltsames Raunen und Pfeifen. Für einen Augenblick fühlte er sich in eine Märchenwelt versetzt, in der geheimnisvolle Mächte flüsternd aus der Tiefe heraufstiegen. Kim grinste. Er strich sich mit beiden Händen über das Gesicht und krauste die Nase. Er hatte auf keinen Fall vor, sich beeindrucken zu lassen. „Gehen wir hinüber?" fragte er. Die Agenten blieben stumm. Ihre Augen glänzten im Schatten unter den Brauen. Sie alle fühlten mit dem angeborenen Instinkt, der sie für ihren schweren Beruf geeignet machte, daß Gefahr heraufzog. Von der Nadel ging etwas Eigenartiges aus, das niemand beschreiben konnte. Doch jeder fühlte sich beeinflußt. Sie beeilten sich, dem Jungen zu folgen, der pfeifend durch das Gras zu der Nadel hinüberwatete. Kim legte seine Hand an die Nadel. Erschreckt zog er sie wieder zurück. Sein Pfeifen verstummte. Er stieß die Luft leise durch die Lippen. Und wieder tasteten sich seine Finger vor. Sie berührten das seltsame Material der Nadel und glitten ganz leicht darüber hin. Das war kein Fels, nichts Lebendes. Kim hatte so etwas niemals zuvor gefühlt. Diese Nadel bestand aus einem Material, daß noch kein Mensch je gesehen oder berührt hatte. Leise summend kreisten die großen Scheinwerfer, die das Gelände in der
Umgebung der Anlage ständig aus dein Dunkel rissen. Die großen Radarschirme kontrollierten den Raum über der Nadel mit rastloser Stetigkeit. Kims Blicke glitten an der Nadel hoch. Je höher seine Blicke sich tasteten, desto rauher und unebener wurde die Nadel, bis schließlich ganz oben an der Spitze tiefe Einbuchtungen und Kerben zu erkennen waren. Kim bemerkte, daß die Spitze leicht schwankte. Für einen Augenblick glaubt er, ein fluoreszierendes Licht gesehen zu haben. Plötzlich — ohne daß er eine Veränderung spürte — schob sich das Bild eines springenden Delphins vor die Spitze der Nadel. Kim hielt den Atem an. Wabash! Der Delphin schien ihn anzusehen. Jetzt sah es gar nicht mehr so aus, als ob Wabash lachte. Der Delphin strahlte das Gefühl einer furchtbaren Gefahr aus. Kim fühlte, wie das Blut in seinem Kopf hämmerte. Vor seinen Augen flimmerte es. Die Spitze der Nadel begann zu kreisen. Immer schneller und schneller wurde die Bewegung, die nur Kim sah. Darüber leuchteten die Sterne auf. Kamen da nicht Raumschiffe? Hunderte? Tausende? Zielte ihr Flug nicht auf die Erde? Kim schrie auf. Er preßte seine Hände an den Kopf. Er stürzte zu Boden. * Ritchie, der Schimpanse, krümmte sich vor Schmerz zusammen. Er preßte seine Hände gegen den Leib, um den Magen zu beruhigen. Gleichzeitig kämpfte er gegen das Hämmern und Bohren in seinem Kopf. Seitdem es dunkel geworden war, war es schlimmer geworden. Der Ruf, dem er folgte, wurde drängender und
lauter. Ritchie verlor für Minuten jede Orientierung. Er ließ seinen Gleiter stehen und rannte wie von tausend Furien gehetzt durch die weiten Orangenplantagen. Es hatte nichts genützt, daß er riesige Mengen von Bananen verschlungen hatte. Er fühlte sich stärker, viel stärker sogar, aber nicht gesättigt. Ritchie merkte es nicht, wenn er gegen Bäume rannte. Er sprengte eine breite Gasse der Zerstörung durch die Piantage. Dann gellten die wahnwitzigen Schreie in seinem Kopf. Tausend Stimmen wollten ihn niederbrüllen. Ritchie konnte nicht mehr. Schlagartig wurde es dunkel vor seinen Augen. Er brach zusammen und verlor das Bewußtsein. Er kam wieder zu sich, als blendend helles Licht ihn überschwemmte. Zögernd erhob er sich vom Boden. Er sah sich um. Er stand mitten auf einem Highway, Zwei Autos lagen brennend unter den Bäumen an der Seite der Straße. Sie hatten ihn angefahren, ohne daß er es gemerkt hatte. Ritchie stöhnte laut. Er ertrug die Schmerzen kaum noch. Wieder und wieder krümmte er sich zusammen. Es mußte doch eine Möglichkeit geben, satt zu werden! Über den Palmenwipfeln schwebten mehrere Gleiter und ein großer Diskus. Von ihm kam das gleißende Licht, das ihn festhielt. Ritchie fletschte die Zähne und starrte böse zu dem Gleiter hinauf. Langsam kroch er rückwärts. Er rutschte von der Straße herunter. Der Dißkus folgte ihm. Die starken Scheinwerfer gaben ihn nicht frei. Die Gleiter überholten ihn zu beiden Seiten. Sie flogen ganz niedrig. Ritchie sah die Köpfe der Männer in den Fahrzeugen gegen den hellen Nachthimmel. Sie sahen alle zu ihm herunter. Ritchie machte einen ärgerlichen
Überschlag und rannte dann auf allen Vieren über die weißen Dünen. Vorsichtig wich er einigen Palmen aus. Er wollte nicht zerstören. Er blieb unsicher stehen, als sich vor ihm das Meer öffnete. Das Mondlicht spiegelte sich silbern auf den schwarzen Wellen. Ritchie sah etwas Weißes, das sich aus dem Wasser schnellte und in weichem Bogen zurückfiel. Er wußte nicht, was ein Delphin war. Er fühlte nur eine seltsame Verbindung zu dem springenden Wesen im Meer. Er fühlte sich zu ihm hingezogen. Er sah die zahlreichen Gleiter nicht mehr, die ihn eingekreist hatten. Er achtete auch nicht mehr auf den Diskus. Wie benommen starrte er zu dem weißen Delphin hinaus. Unsichtbare Bande lockten ihn zu den Fluten hin. Er begriff nur ganz dunkel, daß der Delphin ihn rief. Er erfaßte nicht voll, was geschah. Er fühlte sich nur emotioneil angesprochen. Und seine Gefühle sagten ihm, daß die schwarze Flut ihn von allen Qualen befreien werde. Wieder krümmte er sich zusammen. Wieder preßte er seine Hände auf den schmerzenden Magen. Er ertrug den bohrenden Hunger nicht mehr. Langsam setzte er sich in Bewegung. Der weiße Delphin sprang hoch aus den Wellen. Die Scheinwerfer aus dem Diskus huschten über das Wasser. Sie erfaßten den Delphin. Deutlich sah Ritchie, daß das freundliche Wesen, das sich so spielerisch leicht im Wasser bewegte, zu ihm herübersah. Ritchie stöhnte laut auf. Er entblößte seine Zähne, um seiner Freude Ausdruck zu geben. Aber es wurde eine Grimasse des Grauens. Die Männer im Diskus mißverstanden ihn. Als der Schimpanse sich nach vorn stürzte, um in das Wasser zu laufen, schwenkten die mächtigen Hitzeprojektoren blitzschnell auf ihn ein. Ein ent-
schlossener Finger senkte sich auf einen roten Knopf! Armdicke Glutstrahlen fauchten aus den Projektoren. Die sonnenheißen Hitzewellen krachten auf den kleinen Schimpansen herab. Ritchie blieb stehen. Er riß die Augen auf und starrte blind in das grauenvolle helle Licht, das ihn überschwemmte. Er preßte die Hände vor das Gesicht, während das warme Feuer ihn mit neuer Kraft erfüllte. Der Boden zu seinen Füßen brodelte. Der Sand wurde glutflüssig. Ritchie merkte, daß er darin versank. Er erschrak und sprang mit einem weiten Satz quer über den Strand. Von allen Seiten schossen sie auf ihn. Jaulende Kugeln schossen an seinem Kopf vorbei. Hochenergetische Strahlen knallten in seinen Leib. Aber nichts vermochte ihn zu töten. Er saugte die ihm zugeführte Energie wie ein Schwamm auf. Die Schmerzen verschwanden. Er fühlte sich befreit. Es gefiel ihm sogar, daß die Männer auf ihn schossen. Doch dann feuerten sie nicht mehr auf ihn, sondern nur noch auf den Sand zu seinen Füßen. Blitzschnell brodelte der Boden auf. Ritchies Füße versanken in der Glut. Und wieder sprang er heraus. Er begriff, was sie vorhatten. Sie wollten ihn in einem Glutsee ertränken. Heißer Zorn wallte in ihm auf. Ernüchtert beobachtete er seine Jäger. Jetzt wußte er, daß sie nicht gekommen waren, um ihn von seinen Qualen zu befreien. Sie wollten ihn vernichten. Es genügte ihnen nicht, ihn in den Käfig zurückzuholen. Sie wollten ihn vernichten! Ritchie jagte mit einem Riesensatz unter die Palmen. Wie ein huschender Schatten raste er unter den Bäumen dahin. Niemand konnte ihn so schnell verfolgen. Niemand sah überhaupt, wohin er so rasch verschwand.
Plötzlich war er weg. Doch man glaubte jetzt, seine allgemeine Fluchtrichtung zu kennen. Ritchies Weg führte zur Nadel. UNITER befahl den Rückzug zur Nadel. Dort sollte der letzte Kampf stattfinden. Die große Chance, die Wabash vorbereitet hatte, war vertan. * Ole Meifert blieb zögernd unter der Tür stehen. Er sah zu den Männern hinüber, die an den langen Tischen saßen. Ihm fiel sofort auf, daß sie ihm alle ein wenig ähnlich waren. Sie waren groß und kräftig wie er. Und sie alle hatten jenen herben Zug um den Mund, der von Enttäuschung und Resignation sprach. In den Mundwinkeln verriet sich Skepsis und Hoffnung zugleich. Sie alle hatten irgendwo versagt — wie er. Sie alle tasteten vorsichtig die Chance ab, die die Laktonen ihnen jetzt boten — wie er auch. Ole Meifert trat zur Seite, um dem Laktonen Sival Valon Platz zu machen. „Kommt jetzt", sagte der Laktone. . Wir werden einen kleinen Ausflug machen!" In gespenstischer Lautlosigkeit erhoben sich die Männer. Sie folgten dem Laktonen, der durch eine Tür im Hintergrund des Raumes nach draußen ging. Ole Meifert erkannte einige große Gravo-Gleiter. Sie stiegen ein. Er saß direkt hinter dem Laktonen. Er hatte den etwas herben Geruch, der so typisch für die Laktonen war, in der Nase. Er wußte, daß der Laktone erregt war. Er preßte die Hände ineinander und lehnte sich in die Polster zurück. Er hörte das schwere Atmen der Männer hinter sich. Er wußte nicht, was geschehen würde. Er hoffte nur, daß es bald soweit war. „Wir sind uns noch nicht ganz einig,
Laktone", sagte er. „Wie hoch ist die Belohnung, die ich bekomme?" Der Agent entblößte lächelnd seine Zähne. „Was Sie wollen, Ole", antwortete er. „Hätten Sie Lust, auf einen anderen Planeten zu gehen, der so ähnlich ist wie Terra. Wo sie einen ganzen Kontinent für sich allein haben. Wo Roboter Ihnen die Arbeit abnehmen. Wohin Sie sich mitnehmen können, wen Sie wollen. Wo Sie Ihren eigenen Staat aufmachen können. Auf dem Sie Herr sind? Sie könnten Ihre eigene Raumyacht haben, damit Sie ganz nach Belieben zu anderen Planeten reisen können, auf denen Sie die Zivilisation vorfinden, die Sie wünschen!" „Das kann ich haben?" fragte Meifert skeptisch. „Valon, das ist ein hoher Preis! Meine Leistung muß sehr groß sein, wenn ich das bekommen soll!" „Ihre Leistung ist hoch, Ole. Aber nicht zu hoch. Es ist kein Risiko für Sie dabei!" Der Gleiter jagte in kaum hundert Meter Höhe über das flache Land. In der Ferne konnte Ole Meifert die Nordsee erkennen. Der Morgen zog im Osten herauf. „Wohin fliegen wir?" „Zu einem Bergwerk. Es ist hier in der Nähe. Wir sind gleich da!" Ole Meifert legte sich in die Polster zurück. „Ich bekomme das schriftlich? Machen wir einen Vertrag?" fragte er. Er hörte den Laktonen leise lachen. „Natürlich Ole!" antwortete Sival Valon. Der Gleiter landete. Ole Meifert sah, daß mehrere Gleiter hinter ihnen waren, die jetzt ebenfalls herunterkamen. Minuten später schon führten die Laktonen sie zu dem kleinen Gebäude, das sich an den Berghang kauerte. Trübes Licht brannte in den engen Räumen. Im Hintergrund öffnete sich
ein dunkles Loch in der Rückwand. Ole Meifert sah den nackten Fels. Sival Valon, der laktonische Agent, ging auf das Loch zu und trat über die Kante im Boden hinaus. Unwillkürlich hielt Ole Meifert den Atem an. Er stieß die Arme vor, um den Laktonen zu halten. Doch Sival Valon stürzte nicht in die Tiefe. Er sank ganz langsam nach unten. Er lächelte Ole Meifert zu. „Kommen Sie, Ole!" Meifert begriff, daß Valon sich in einem Antigravitationsfeld nach unten bewegte. Entschlossen trat er über die Kante. Er fürchtete, abzustürzen. Doch auch er glitt langsam nach unten. Für einen Augenblick hatte er ein unangenehm leeres Gefühl im Magen. Doch das gab sich rasch. Ole Meifert lächelte. Er empfand es als angenehm, so schwerelos dahinzugleiten. Er bedauerte, daß es so rasch vorbei war. Er sank auf festen Boden und trat in eine große Felshalle ein, die von primitiven Holzstempeln getragen wurde. Im Hintergrund lagen zwei metallene Ungetüme. Es waren zwei Riesenleiber, die aussahen wie Raketenstümpfe. „Was ist das, Valon?" fragte Ole Meifert bestürzt. Der Laktone entblößte seine rötlichen Zähne. "Diese Fahrzeuge sind auf der Erde unter dem Namen Terra-Jet bekannt geworden, Ole", erklärte er. „Sie wissen doch, daß der Präsident der Erde, Rex Corda, mit so einem Jet gegen die Supertransmitter der Orathonen geflogen ist?" Ole Meifert starrte bleich auf die Metallungetüme. Lähmende Furcht stieg in ihm auf. * Nackte Furcht überfiel den Mann, für den es keine Furcht geben konnte. Ralf Griffith wußte, daß es für ihn vorläufig
noch keine echte Gefahr gab. Doch die Menschen in der Forschungsstation Will Rimsons bei Salt Lake City hatten nur noch sehr geringe Chancen! Die Männer im Operationssaal sahen sich schweigend an. Es würde nicht mehr lange dauern, bis Kuttner aufwachte. Niemand konnte sagen, was dann passieren würde. „Es muß eine Möglichkeit geben, die Entwicklung zu stoppen", sagte Sam McClude dumpf. „Was wollen Sie tun?" fragte der Arzt „Sie können Kuttner vielleicht vergiften, aber nicht mehr operieren!" Er sah Ralf Griffith an. Der Agent nahm ein Skalpell und drückte es sich auf den Handballen. Sofort schoß Blut aus der winzigen Wunde. „Ralf!" rief der Biologe. „Was bedeutet. . .?" Der Agent lächelte milde. Wieder setzte er das Messer an. Für Professor Sam McClude veränderte sich nichts. Doch diesmal glitt das Skalpell wirkungslos ab, obwohl Ralf Griffith es sehr fest auf seine Hand drückte und mit sägender Bewegung eine Wirkung zu erzielen suchte. „Bei mir ist es davon abhängig, ob ich will oder nicht", erklärte er lächelnd. Er legte das Skalpell zur Seite. „Ich nehme an, daß es bei Kuttner ähnlich ist. Er baut vermutlich einen unbewußten Widerstand auf. den wir nicht durchbrechen können." „Was können wir tun?" forschte Mac Clude drängend. „Versuchen Sie es mit irgendeinem starken Ataraktikum. Vielleicht können Sie damit die unbewußte Willensbarriere durchbrechen. Kuttner müßte darauf ansprechen!" sagte Ralf Griffith. der Mann, der über die gleichen körperlichen Konstitutionen verfügte wie der Bewußtlose. Der Arzt führte einen dünnen Schlauch durch den Rachen des Be-
wußtlosen ein, um das Präparat direkt in den Magen zu befördern. „Sie sehen skeptisch aus, Ralf!" bemerkte der Biologe. „Ich fürchte, daß Kuttner auch dagegen eine Maßnahme ergreifen wird." „Wie sollte er das tun?" „Ich weiß es nicht, Professor", antwortete der Veränderte. „Und was passiert, wenn er nicht darauf anspricht?" fragte der Arzt. Ralf Griffith hob die Achseln. „Niemand kann das sagen!" Er beobachtete, wie der Arzt das Präparat durch den Schlauch in den Magen Kuttners preßte und dann hinausging, um es auch bei den anderen Veränderten zu machen. Er hoffte, daß das Präparat den psychischen Widerstand der Bewußtlosen beseitigte. Wenn es nicht gelang, dann war die Katastrophe nicht mehr aufzuhalten. „Haben Sie schon wieder etwas. von Professor Rimson gehört?" fragte er den Biologen. Sam McClude schüttelte den Kopf. „Nichts", sagte er. „Ich hoffe, daß er die Laktonen täuschen kann. Sie dürfen nicht erfahren, daß Rex Corda nicht auf der Erde ist." „Wo sind Bekoval, Percip und GaVenga?" „Sie begleiten Rimson nach Den Haag, weil sich dort entscheiden wird, ob sie Terraner werden oder nicht." „Ich dachte, das wäre bereits klar!" „Wenn es nach Rimson geht, dann ja", lächelte Sam McClude. „Aber wir benötigen die Zustimmung anderer Stellen. Das ist nicht ganz so einfach." „Was macht Kim Corda?'" wechselte der Veränderte das Thema. „Ist er nicht auf der Suche nach dem Delphin Wabash? " „Er hat Erfolg gehabt, Ralf. Er hat den Delphin gefunden. Aber es sind da einige Dinge passiert, die ich nicht ganz begreife. Die Nadel in Florida macht
uns Sorgen. Irgend etwas stimmt da nicht. Ich glaube, daß sie uns eine Nachricht von den Zeitlosen übermitteln will." „Versteht keiner die Nadel?" fragte Ralf Griffith erstaunt. „Nur Rex Corda versteht, was die Nadel aussendet", seufzte der Biologe. „Niemand sonst." Der Arzt kam herein. Er ging zu Kuttner und griff nach seinem Puls. Sam McClude sah, daß die Finger des Arztes tiefe Gruben in den Arm Kuttners drückten. Erregt kam er näher. Der Arzt sah ihn mit fiebernden Augen an. Er griff zu einem Skalpell. Auch Ralf Griffith kam näher. „Es hat geklappt!" sagte der Arzt. „Der Transquilizer hat den Widerstand gebrochen!" Er zog das Skalpell mit leichter Bewegung über den Handrücken Kuttners, um sich davon zu überzeugen, daß er jetzt operiert werden konnte. Doch erschreckt hielt er den Atem an. Sam McClude trat unwillkürlich einen Schritt zurück. Das Skalpell hatte die Haut eingedrückt, aber nicht verletzt! „Geben Sie ihm ein sehr starkes Narkotikum, das ihn für einige Stunden außer Gefecht setzt!" sagte Ralf Griffith hastig. „Und den anderen auch. Schnell — sonst ist es zu spät!" Kuttners Augenlider zuckten. „Schnell!" rief Sam McClude atemlos. „Beeilen Sie sich!" Der Arzt hastete zu dem Schrank hinüber, in dem seine Präparate lagerten. Kuttner schlug die Augen auf. Er starrte Ralf Griffith an. Der Veränderte trat einen Schritt zurück. Unwillkürlich ballte er die Hände. Nie hatte er einen Blick gesehen, der so voller Haß und Wahnsinn war!" „Schnell, Doktor!" rief er. Der Arzt stand schon vor Kuttner. Er griff nach dem Schlauch, der noch
immer bis in den Magen führte. Kuttner entblößte die Zähne grinsend. Er biß den Schlauch durch. Mit einer zornigen Bewegung schleuderte er die leichte Decke zur Seite. Dann sprang er vom Operationstisch. Die Plastikstreifen, mit denen er gefesselt war, platzten wie dünnes Papier. Hinter Ralf Griffith flogen die Türen auf. Fisher. Simpson und Lester taumelten in den Operationsraum. In ihren Augen entdeckte Ralf Griffith das, was er auch bei Kuttner gesehen hatte. Haß — Wahnsinn — Zerstörungswut! * Als Kim Corda zu sich kam, wußte er nicht, was geschehen war. Verstört sah er um sich. Er lag in einem dunklen Raum auf dem Bett. Links neben sich entdeckte er das helle Viereck eines offenen Fensters. Die Sterne funkelten auf samtener Schwärze. Kim strich sich müde über die Stirn. Er fühlte sich müde und zerschlagen. Langsam erhob er sich. Unter der Tür entdeckte er gelbes Licht. Nebenan sprach jemand leise. Kim wußte, daß er in Sicherheit war. Die Agenten wachten über ihn. Er ging zum Fenster. Er sog die kühle Nachtluft tief in sich ein. Vom Ozean her kam ein kühler, erfrischender Wind. Kim konnte die Nadel sehen. Jetzt wurde ihm alles wieder bewußt. Die Nadel hatte etwas ausgesandt. Sie hatte ihm etwas sagen wollen, aber er hatte sie nicht verstanden. Nur eines wußte er. Eine unermeßlich große Gefahr zog herauf. Sie hatten Angst davor! Kim hielt überrascht den Atem an. Er griff sich an den Kopf. Sie? Wer waren sie? Wer hatte Angst vor dem, was geschah oder geschehen würde?
Kim wußte genau, daß die Nadel von irgend jemandem gesprochen hatte. Von wem, das wußte er nicht. Er wußte nur, daß die Nadel nicht von sich selbst gesprochen hatte. Es stand jemand dahinter. Er war es. der sich bedroht fühlte. Aber wer war das? Kim runzelte die Stirn. Er schwang die Beine über die Fensterbank und setzte sich ins Fenster. Nachdenklich sah or zur Nadel hinüber. Sie war jetzt ganz still. Kein Impuls ging von ihr aus. In seinem Kopf war Ruhe. Kim wußte, daß Wabash vor der Küste war. Er wunderte sich darüber, daß er es wußte, und daß er so sicher war. Es gab jetzt eine geheimnisvolle Verbindung zwischen ihm und dem weißen Delphin. Kim schüttelte den Kopf und kratzte sich intensiv hinter dem Ohr. Es waren viele Dinge passiert, zu denen ihm ein greifbarer Kontakt fehlte. Es war zuviel geschehen, das er nicht verstand, obwohl er ganz sicher war, daß sie alle zueinander eine ganz bestimmte Beziehung hatten. Es war offensichtlich, daß Wabash, der Delphin, sie zu der Nadel gelenkt hatte. Warum? Verstand er, was die Nadel mitteilen wollte? Wußte er, um was es ging? Kannte er den Hintergrund der Drohung, die auf die Erde herabkam? Kim hatte die Nachrichten gehört, in denen von jenem seltsamen Schimpansen berichtet wurde. Ritchie nannten sie ihn. Sie hatten ihn als Ungeheuer bezeichnet. Kim glaubte nicht, daß Ritchie ein Ungeheuer war. Er konnte es nicht glauben. Ritchie sollte unverletzbar sein. Man hatte versucht, ihn zu töten. Es war nicht gelungen. Kim sah nicht ein, daß es unbedingt notwendig war, Ritchie zu töten. Kim glaubte nicht daran, daß der Affe böse war. Er wußte, daß der Affe aus Salt Lake City gekommen war. Es sah so aus, als
ob auch er zur Nadel wollte. Rief die Nadel ihn mit den Impulsen? Kim fuhr zusammen. Salt Lake City? Niemand hatte genau gesagt, woher der Affe kam, und woher er seine Eigenschaften und Fähigkeiten hatte. Salt Lake City — das konnte nur bedeuten, daß er aus der Forschungsstation Professor Rimsons kam. Kim wußte, womit Will Rimson sich beschäftigte. Und plötzlich wußte er auch, was Ritchie so mächtig hatte werden lassen. Becon — das Vermächtnis Walter Becketts! Kim pfiff leise durch die Zähne. Das war es also! Er schwang die Beine wieder zurück und wollte vom Fensterbrett steigen, als er eine kleine dunkle Gestalt über die hohe Mauer fliegen sah. Der Kleine prallte dumpf auf den Rasen, überschlug sich mehrmals und richtete sich dann auf. Kim riß die Augen auf, um besser sehen zu können. Er konnte kaum glauben, was er gesehen hatte. Die Mauern erhoben sich in eine Höhe von über zehn Metern! Die dunkle Gestalt war mühelos darüber hinweggesprungen! Und sie hatte sich scheinbar nicht verletzt! Kim beobachtete, wie der Kleine mit watschelnden Schritten zu der Nadel ging. Er umkreiste sie einige Male, seufzte so laut, daß Kim es hören konnte, und sah sich dann suchend um. Kim hustete leise. Erschreckt preßte er die Hand vor den Mund. Aus dem dunklen Hof leuchteten zwei gelbe Augen zu ihm herauf. Der Kleine hüpfte in grotesken Sprüngen bis zu ihm heran. Kim zog sich atemlos zurück. Er wollte das Fenster zuschlagen. Doch es war zu spät! Der Dunkle hüpfte mit einem raschen Sprung zu ihm herauf. Geschickt landete er auf dem Fensterbrett. Kim stöhnte leise. Er versuchte, die Tür zu erreichen. Doch er wußte, daß es
sinnlos gewesen wäre. Der Dunkle wäre viel schneller gewesen als er. Kim konnte die Umrisse der kleinen Gestalt gegen den helleren Nachthimmel genau erkennen. Es konnte keinen Zweifel geben. Dies war ein Affe! * „Das Ziel ist eine kleine Forschungsstation in Salt Lake City, Ole", erklärte der Laktone. „Wir werden sie angreifen, um dort die Experimente zu machen. " „Und dann?" „Dann werden wir wahrscheinlich die Erde für einige Zeit verlassen, Ole!" Ole Meifert löste sich aus der Gruppe. Er ging zu den metallenen Ungetümen hinüber, die der Laktone als TerraJet bezeichnet hatte. Er hatte von diesen Jets gehört. Er wußte, daß Rex Corda mit so einem Terra-Jet die Orathonen angegriffen hatte. Die besondere Stärke der Jets war eben, daß sie unterirdisch angreifen konnten. Gegen einen Angriff aus der Erde gab es noch keine wirksamen Waffen. Dennoch hatte Ole Meifert Angst. Er wußte aus Filmberichten über Rex Cordas Einsätze Bescheid. Er wußte, daß die Terra-Jets noch nicht ausgereift waren. Rex Corda hatte mit ungeheuer viel Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt. Corda hatte Glück gehabt. Der Terra-Jet flog trotz aller Schwierigkeiten immer weiter. Was aber geschah, wenn der Terra-Jet einmal in der Erde steckenblieb. Ole Meifert fragte den Laktonen. „Sie brauchen keine Angst zu haben, Ole! Die Terra-Jets versagen nicht. Vergessen Sie bitte nicht, daß wir unter anderen Bedingungen fliegen als Rex Corda! Der Präsident mußte seinerzeit einen großen Teil der Bordelektronik auseinandernehmen. Hier ist alles viel einfacher", behauptete der Laktone Sival Valon. „Die Hitzeprojektoren am
Bug der Jets vergasen jegliches Material innerhalb einer Nano-Sekunde. Das Gas wird eingesogen, stark verdichtet und wieder ausgestoßen. Die Terra-Jets bewegen sich deshalb in einer Glutblase." „Dann gibt es keinen Tunnel?" „Natürlich nicht, Ole", lächelte Valon. „Es wird ja kein Material verbrennen. Es wird nur der Aggregatzustand verändert. Hinter den Jets schließt sich die Erde wieder. Es kann nichts passieren. Wir sind zu zweit. Falls doch Schwierigkeiten auftreten, kann einer dem anderen immer helfen." „Okay", nickte Ole Meifert. „Ich bin einverstanden. Wann geht's los?" "Jetzt! Die anderen gehen schon an Bord!" Ole Meifert wandte sich um. Er legte seinen Wintermantel ab und warf ihn über eine herumstehende Karre. Hier unten war es warm. Von winterlichen Temperaturen war nichts zu bemerken. Ole Meifert stieg in den Terra-Jet. Ein sehr schmaler Gang führte zu der kleinen Kabine, in der schon vierzehn Männer warteten. Sie saßen auf kleinen Sesseln, die nicht sehr bequem waren. Knallend flogen die Schotts zu. Ole Meifert ließ sich auf den letzten freien Sessel fallen. Er sah sich um. Überall die gleichen entschlossenen Gesichter. Männer, die ihre vielleicht letzte Chance wahrnehmen wollten. Das Risiko mochte hoch sein — sie waren bereit es einzugehen. Ein dumpfer Donner rollte durch die schweren Maschinen. Der Boden zitterte unter den Füßen der Männer. Die Lippen preßten sich zusammen. Keiner sagte noch etwas. Ole Meifert sah auf Sival Valon, der hinter den blitzenden Kontrollen saß. Irgendwo fauchten heiße Gase. Es gab einen kleinen Ruck. Ole Meifert hatte das Gefühl, in bodenlose Tiefe zu stürzen.
Der Terra-Jet flog durch die Erde! Das Sturzgefühl legte sich. Nur noch leichte Vibrationen kamen durch. Sie mochten von den mächtigen Motoren im Heck des Terra-Jet kommen. Ole Meifert zupfte sich nervös an den Ohren. Er verstand immer noch nicht genau, wie es möglich war, daß diese großen trichterförmigen Fahrzeuge durch die Erde fliegen konnten. Der Laktone hatte gesagt, daß sie sich den Weg förmlich freifraßen, indem sie alle Materie vor sich vergasten und in sich hineinsogen. Ole Meifert hatte das alles genau verstanden. Er hatte es auch in Filmberichten gesehen. Aber verstehen können und sich etwas vorstellen können, das ist etwas ganz anderes. Ole Meifert fühlte, daß auch die anderen Männer unruhig wurden. Vereinzelte Stimmen wurden laut. Sival Valon verließ seinen Platz an den Kontrollen. Er stand auf und drehte sich zu den Männern um. „Wir fliegen jetzt mit einer Geschwindigkeit von annähernd vierhundert Stundenkilometern durch feste Materie", erklärte er schmunzelnd. Er fühlte sich überlegen. Er wußte, daß es für die Terraner schwer war, seinen Worten zu folgen. Er kostete das Gefühl der Überlegenheit voll aus. „Wir haben den europäischen Kontinentalsockel schon verlassen. Wir bewegen uns in einer Tiefe von etwa fünftausend Metern unter der Meeresoberfläche. Wir werden unter der Forschungsstation in Nordamerika anhalten und die Station von unten her angreifen. Es ist selbstverständlich, daß Sie mir dabei helfen. Es wird keinen großen Widerstand geben. Sobald wir die Station in der Hand haben, werden die Operationen beginnen. Unsere Chirurgen sind im anderen Jet. Sie werden Ihnen allen ein kleines Stückchen eines neuentwickelten Stoffes einpflanzen. Das ist alles!"
„Sie können uns doch nicht so abspeisen!" empörte sich Ole Meifert. „Was geschieht dann mit uns?" „Sie werden unüberwindlich werden, Ole! Man wird Sie nicht töten können. Sie werden unbesiegbar sein!" Ole Meifert grinste ungläubig. * Kim schaltete blitzschnell das Licht an. Er ertrug es nicht, mit dem Affen im Dunkeln allein zu sein. Ritchie sprang vom Fensterbrett herunter auf den Boden. Er entblößte die Zähne und ließ ein dumpfes Grollen in der Kehle hören, das jedoch nicht bösartig klang. "Bist du... Ritchie?" fragte Kim. Der Affe schlug sich mit komischer Gebärde auf den Hinterkopf. Dann schloß er das Fenster und ließ die Jalousien herunter. Geschickt ließ er die Lamellen kippen, so daß kein Lichtschimmer mehr nach draußen drang. Kim schüttelte wie benommen den Kopf. Er konnte es nicht fassen, mit welcher Sicherheit und Überlegung der Schimpanse handelte. Ihm fiel auf, daß Ritchie alle Bewegungen äußerst behutsam durchführte. Dennoch konnte er nicht verhindern, daß ein Plastikknopf der Jalousiensteuerung unter seinen Fingern zerplatzte. Kim hatte keine Angst. Er fühlte eine seltsame Kraft, die von Ritchie ausging. Plötzlich wurde er sich bewußt, daß er immer an Wabash, den weißen Delphin, dachte. Er hätte sich umdrehen mögen, weil er das Gefühl hatte, Wabash müsse unmittelbar hinter ihm sein. Aber er wollte den Affen nicht aus den Augen lassen. Ritchie watschelte zu dem Bett hinüber. Er knickte in den Knien ganz leicht ein. Er wollte aufs Bett springen. Doch diesmal vergaß er seine Kraft für einen Augenblick. Er stieß sich zu blitzschnell bis zur Decke hoch, krachte
mit dem Schädel gegen die Wand, prallte ab und fiel schwer auf das Bett zurück. Er knallte mit dem Handgelenk gegen den Kunststoffrahmen des Bettgestells. Es gab einen ohrenbetäubenden Lärm, als das Bett zersplitterte. Ritchie riß die Augen auf und starrte Kim verstört an. Die Tür flog auf. Zwei UNITERAgenten stürzten in den Raum. Sie trugen Reeling-Guns in der Armbeuge. Kim schrie. Zu spät. Sie schossen ganze Serien auf den Affen ab, der sich mitten in den Trümmern des Bettes zusammenkauerte. Die Doppelkegel jaulten als Querschläger gegen die Wände und schlugen faustgroße Löcher. Kim stürzte sich auf die Agenten. Er fiel ihnen in die Arme. „Nicht schießen!" schrie er. „Hören Sie doch auf!" Die Beamten stellten das Feuer ein. Langsam zogen sie sich zur Tür zurück. Sie zogen Kim mit sich. „Das mußt du uns schon überlassen, mein Junge!" sagte der größere der beiden Leibwächter Kims. Es war ein Leutnant, wie Kim wußte. „Es ist doch sinnlos!" schrie Kim. „Sie können ihn nicht verletzen!" „So — und was ist mit seinen Zähnen? Siehst du nicht, daß wir ihm einen Reißzahn weggeschossen haben?" „Ein doller Erfolg!" lachte Kim selbstsicher. Er riß sich los und sprang so schnell zu Ritchie hinüber, daß die beiden ihn nicht mehr aufhalten konnten. Er stellte sich vor den Affen. „Lassen Sie das Schießen!" bat er. Eine rauhe Hand schloß sich um sein Handgelenk. Kim sah an sich herunter. Es war Ritchie, der ihn hielt. Die Hand war hart. Der Griff tat etwas weh. Kim versuchte, ihn durch leichtes Muskelspiel ein wenig zu lockern. Es ging nicht. Die Hand war stärker als Stahl. „Es wäre besser gewesen, du hättest das nicht getan!" sagte der Leutnant.
* Der Terra-Jet raste mit unverminderter Geschwindigkeit durch die Erde. Sival Valon saß gelassen hinter seinen Instrumenten. Er strahlte die Sicherheit eines Mannes aus, der weiß, daß er ein vollkommenes Instrument führt. Ole Meifert hielt es nicht auf seinem Sitz aus. Er war ihm zu unbequem. Er erhob sich und stiefelte unsicher zu dem laktonischen Chefagenten hinüber. „He, Laktone", fragte er. „Wie orientieren wir uns eigentlich?" Valon zeigte lächelnd auf eine große kreisrunde Scheibe. Unzählige Lichtpunkte flimmerten darauf. „Sie wissen, Ole, daß die NeutrinoStrahlung feste Materie durchdringt?" „Natürlich!" murrte der Ingenieur. „Dann werden Sie es leicht verstehen. Jede Sonne, jeder Reaktor ist eine Neutrino-Quelle. Auf diesem Schirm bedeutet jeder helle Punkt eine Neutrino-Quelle. Der Punkt, der genau im Zentrum des Schirmes liegt, ist die Station von Professor Rimson. Wir brauchen nur unseren Kurs zu halten, dann kommen wir hin!" „Hoffentlich sind wir bald da!" sagte Ole Meifert. Der Laktone lachte selbstsicher. Er sah den Ingenieur spöttisch an. „Ole — Laktonen haben dieses Fahrzeug gebaut! Es kann gar nichts schiefgehen!" Ole Meifert schrie auf, als die unsichtbare Faust ihn quer über das Instrumentenpult fegte. Seine Arme klatschten über eine ganze Serie von Kipphebeln. Das Chaos brach aus. Der erste Ruck war noch harmlos gewesen. Er hatte nur wenige Männer aus den Sesseln gerissen. Doch jetzt erfolgte Schlag auf Schlag, Die großen Motoren des Jets fielen nacheinander aus. Der Terra-Jet bäumte sich auf. Sein
Antigravitationsautomat fiel aus. Das bedeutete, daß jede Erschütterung voll durchkam. Sival Valon packte den Ingenieur und schleuderte ihn zu Boden. Er versuchte zu retten, was zu retten war. Aber es war zu spät. Er konnte nur noch die restlichen Motoren stillegen und die totale Katastrophe verhindern. Der Terra-Jet kam zur Ruhe. Mit leichter Neigung blieb er im erstarrenden Gestein hängen. Die Temperaturen stiegen schlagartig, als die glutflüssigen Massen sich gegen den Jet preßten. Doch auch diesmal erfaßte Sival Valon die Lage sofort. Er zapfte die großen Energiespeicher blitzschnell an und errichtete die Schirmfelder erneut. Sie drückten die Glut zurück. „Glanzvolle laktonische Technik!" grinste Ole Meifert maliziös. „Wie schön, daß uns nichts passieren kann!" Sival Valon hatte für diese Art Humor keinen Sinn. Er beachtete den Ingenieur nicht. Er kümmerte sich nicht um die verstörten bleichen Männer, die er zu Giganten machen wollte. Er eilte aus dem Raum, um in die hinteren Maschinenräume zu klettern. Hier stieß er auf die anderen Laktonen, die zu der Einsatzgruppe gehörten und die technischen Anlagen während des Fluges überwachen sollten. Betroffen blieb Valon stehen, als er die hoffnungslosen Gesichter der Techniker sah. „Was ist geschehen?" fragte er scharf. Ein großer breitschultriger Mann, der durch seine ungewöhnlich hohe Stirn und die sehr scharf gebogene Nase auffiel, antwortete ihm. „Die Temperaturen wurden zu hoch. Irgendwo brach - eines der isolierenden Magnetfelder zusammen. Das Plasma gab zuviel Hitze im Diffusor ab. In der Folge fiel als erstes die Automatik aus. Damit war es zu spät für uns, als wir
merkten, was geschehen war!" Sival Valon wischte sich über die Stirn, um den Schweiß abzunehmen. „Dann bedeutet das, daß wir den Jet nicht wieder in Betrieb nehmen können?" fragte er. Die Techniker sahen an ihm vorbei. Der Breitschultrige nickte. Sival Valon fuhr auf dem Absatz herum und eilte in die Zentrale zurück. Er gab den Funknotruf ab, den er auf alle Fälle hatte vermeiden wollen. Der Notruf würde auch von den Terranern aufgefangen werden. Die ganze Aktion war in Gefahr! Er drehte sich langsam um und sah die Terraner an. „Der andere Jet wird uns hier herausholen!" sagte er. Ole Meifert lachte abfällig. Die Hitze war nicht viel geringer geworden. * Der eisige Nordwind fegte heulend über die Salt Lake Desert. Er brachte jedoch keinen Schnee mit. Will Rimson merkte nichts von der klirrenden Kälte. In dem Diskus herrschten angenehme Temperaturen. Der Wissenschaftler kehrte aus Den Haag zurück, wo er schwierige Verhandlungen mit Sir Enschko, dem laktonischen Botschafter gehabt hatte. Der Laktone hatte seinen Ärger unverhohlen gezeigt, als Rimson ihm bedeutet hatte, er könne den Präsidenten Rex Corda jetzt nicht sprechen. Will Rimson hatte schwierige und lange Besprechungen mit der Regierung gehabt. Sie hatten eine gemeinsame Erklärung herausgegeben, die für die Laktonen bestimmt war. Darin hieß es, daß Rex Corda zusammen mit den laktonischen Wissenschaftlern, die Enschko suchte, die Erde zu einer Expedition innerhalb des Sonnensystems verlassen habe. Dieses Unterneh-
men wurde nicht näher erläutert, damit den Laktonen keine Gelegenheit gegeben wurde, du Behauptung zu überprüfen. Dennoch war Sir Enschko nicht ganz zufrieden gewesen. Er blieb mißtrauisch. Will Rimson wußte, daß es noch erhebliche Schwierigkeiten geben würde, wenn Rex Corda zur Erde zurückkehrte. Der Pilot landete den Diskus, ein terranisches Beutestück aus der Schlacht, die zwischen den außerirdischen Mächten über der Erde getobt hatte. Bei der Forschungsstation war alles ruhig. Percip, Bekoval und Ga-Venga erhoben sich aus ihren Sitzen. Sie gingen langsam zum Ausgangsschott hinüber. Auch der Wissenschaftler stand auf. Niemand von ihnen ahnte, wie es in der Station aussah! Der Pilot landete den Diskus direkt vor dem Gebäudetrakt, in dem Will Rimson seine Räume hatte. Der Wissenschaftler trat in den eisigen Wind hinaus und stieß die Tür vor sich auf. Brüllender Lärm tobte ihm entgegen. Percip schob Rimson sanft auf den Gang hinter der Tür. Auch Bekoval und Ga-Venga flohen vor der beißenden Kälte in den Gang. Der Pilot ließ den Diskus wieder aufsteigen, um ihn hinter den Gebäuden zu parken. Will Rimson zuckte zusammen, als er die Schüsse hörte. „Schnell! Kommen Sie!" rief er. Ein gelbschwarzer Schatten schoß um die Gangecke. Nukleon, der Schäferhund Rimsons, sprang auf den Wissenschaftler zu. Er war wieder vollkommen klar. Alle Benommenheit war gewichen. Will Rimson wollte dem Kampflärm nacheilen, doch Nukleon zerrte mit den Zähnen an seinem Bein. Er knurrte wütend und scharrte mit den Füßen auf dem Boden.
Verwirrt blieb der Wissenschaftler stehen. Er wünschte, er wäre ebenso Telepath wie Nukleon. Dann hätte er ihn verstehen können. Percip und Bekoval wollten an dem Hund vorbeilaufen. Er sprang ihnen knurrend in den Weg und drängte sie zurück. „Ist es zu gefährlich für uns, dorthin zu gehen?" fragte Rimson. Nukleon konnte seine Worte nicht verstehen, aber er konnte die damit verbundenen Gedanken richtig erfassen. Er nickte heftig mit dein Kopf. „Wir müssen unbedingt dorthin!" Nukleon schüttelte den Kopf und knurrte. „Was bleibt uns sonst? Sollen wir fliehen?" Nukleon nickte heftig und bellte freudig, weil er verstanden worden war. Doch dann kauerte er sich vor Rimson hin und knurrte wieder. Rimson schüttelte den Kopf. „Ich muß wissen, was dort los ist! Laß mich vorbei, Nukleon! Kommen Sie Percip! Bekoval, Sie holen bitte den Diskus wieder. Bereiten Sie alles zur Flucht vor. Ich fürchte, unsere Versuchspersonen haben den Verstand verloren!" Nukleons lautes Bellen bewies ihm, daß er recht hatte. Er stürzte an dem Hund vorbei, der ihm knurrend folgte. Er eilte dorthin, wo es am lautesten war. Immer wieder krachten die Waffen der Kämpfenden auf. Er hörte die Stimme von Ralf Griffith heraus. „Mein Gott, Ralf! Sie auch?" keuchte er. Dicht vor ihm flog eine Tür aus den Angeln. Ralf Griffith taumelte auf den Flur hinaus. „Ralf!" schrie der Wissenschaftler. Der Veränderte fuhr herum. „Fliehen Sie, Professor! Fliehen Sie, solange Sie es noch können! Schnell!
Zögern Sie nicht!" rief er. Lester schoß wie ein Blitz durch die Tür. Er warf sich auf Ralf Griffith und schlug nach seinem Kopf. Griffith wehrte ihn mit einem geschickten Kampfgriff ab. Lester flog drohend gegen die Wand. Will Rimson wich langsam zurück, als er die Wand zusammenbrechen sah. Erst jetzt begriff er, welch phantastische Kraft hinter diesem Wurf gestanden hatte. Es war ein Kampf der Giganten, in dem ein normaler Mensch hoffnungslos unterlegen war. Lester schrie voller Wut. Er hatte Will Rimson entdeckt. Er hatte keine Augen mehr für Ralf Griffith. Er federte grinsend auf die Füße und streckte die muskulösen Arme nach dem Wissenschaftler aus. „Du warst es doch, Alterchen, der uns operiert hat, nicht wahr?" kicherte er. „Lester! Nehmen Sie sich zusammen! Die Experimente erfolgten unter Ihrer vollen Zustimmung! Haben Sie vergessen, daß Sie sich freiwillig gemeldet haben?" Die Worte rauschten wirkungslos an dem Veränderten vorbei. „Fliehen Sie, Professor! Bitte!" keuchte Ralf Griffith. Lester fuhr herum. Seine geballte Faust krachte gegen das Kinn seines Gegners. Die Wucht des Schlages riß Griffith von den Füßen und wirbelte ihn weit den Gang hinunter. Will Rimson warf sich zurück. Er floh zur Tür zurück. Nukleon warf sich Lester entgegen. Ein wildes Knurren tobte zwischen seinen blitzenden Zähnen. Doch Lester wischte den Hund zur Seite. Er stürmte hinter dem Professor her. *
„Da — sie kommen!" rief Ole Meifert. Er stürzte nach vorn. Aufgeregt zeigte er auf den kleinen blitzenden Punkt auf dem kreisrunden Neutrinoorter. „Valon — das sind die anderen doch — oder?" Sival Valon kam langsam zum Steuerpult. Er war kreidebleich. Hart preßte er die Lippen aufeinander. Er kochte vor Zorn und Empörung. Der Terra-Jet hätte nie versagen dürfen. Er hatte eich geschworen, daß er den Mann finden würde, der für diese Panne verantwortlich war. Er würde ihn zur Rechenschaft ziehen. Sival Valon verzieh es sich nie, daß es zu diesem Zwischenfall gekommen war. Er empfand das Versagen des Terra-Jet als Ungeheure Blamage. Laktonische Technik durfte nicht versagen, wenn Primitive Zeuge waren. Der Chefagent schaltete einige Male. Der blitzende Punkt wurde größer. Sival Valon hatte wenigstens dieses Gerät wieder in Betrieb nehmen können. Sonst lag die gesamte Elektronik des Terra-Jet lahm. „Sie sind es!" erklärte er knapp. Er wollte wieder ins Heck des Jet gehen, doch Ole Meifert packte ihn am Ärmel. „Moment, mein Freund!" sagte er gelassen. „Was geschieht jetzt weiter?" Der Laktone beherrschte sich nur mühsam. Er konnte es nicht ertragen, daß Ole Meifert sich jetzt gleichwertig fühlte. „Das werden Sie schon sehen. Ole!" antwortete er gepreßt. Ole Meifert lächelte wissend. Er hatte psychologisches Gespür genug, um zu erkennen, wie es in Valon aussah. Er ging langsam zu einem Sessel hinüber und ließ sich fallen. Sival Valon, der schon am Ausgangsschott stand, drehte sich zurück. „Ole — kommen Sie bitte!" Ole Meifert stand ächzend auf. Er ging hinter dem Laktonen her. Nicht zu schnell und
nicht zu langsam. Sival Valon wurde ungeduldig. Doch Ole Meifert ging nicht schneller. Sival Valon ging zu dem Schott, das nach draußen führte. Er rüttelte vergeblich daran. Erst als Ole Meifert ihm zur Hilfe kam, konnte er es öffnen. „Vorsicht!" rief er. Ole Meifert zog das Schott auf. Trokkene Hitze schwoll durch die Öffnung. Doch es war längst nicht mehr so heiß, wie Ole Meifert angenommen hatte. Das Gestein draußen glühte nur noch matt. In dem schwachen roten Licht erkannte der Ingenieur in bizarren Formen erstarrtes Gestein. Mehrere Meter trennten ihn von der Glut. Er sah nach unten. Auch hier war die Entfernung die gleiche. Der Terra-Jet schwebte im Zentrum des starken Kraftfeldes, das die Glut zurückhielt. Sival Valon schlug das Schott wieder zu. „Das ist günstig!" sagte er. „Unter diesen Umständen können wir in den anderen Jet hinüberwechseln." Er kehrte zu dem Neutrinoorter zurück. Wieder nahm er einige Schaltungen vor. Deutlich waren die Bewegungen des Lichtpunktes zu erkennen. „Sie sind ganz in der Nähe", erklärte Valon dem Ingenieur, der ihm gefolgt war, und der jetzt hinter ihm stand. Er schaltete das kleine Funkgerät ein. Dieses Gerät war von den Technikern im Maschinenraum in aller Eile zusammengebaut worden. Es hatte einen sehr niedrigen Energiebedarf. "TTT an TT", murmelte Sival Valon ins Mikrophon, „TTT an TT. Der Abstand ist klein." Es dauerte nur wenige Augenblicke, dann kam die Stimme des anderen Piloten. Sie war so leise, daß Sival Valon sich tief über das Gerät beugen mußte. Ole Meifert hörte nur, daß gesprochen wurde. Immer wieder sah Sival Valon zu dem Neutrinoschirm hinauf. Der
Punkt wurde größer und größer. Sival Valon sah auf. „Es ist soweit", sagte er. „Der Jet liegt direkt neben uns. Wir müssen versuchen, durchzubrechen." Wieder eilte er zu dem Schott. Ole Meifert half ihm, es zu öffnen. Ihm gegenüber glühte das Gestein besonders intensiv. Das Rot war wesentlich heller geworden. An einigen Stellen blähte sich die Glut ballonartig auf. „Wir müssen warten!" sagte der Ingenieur. Valon schüttelte den Kopf. „Wir haben keine Zeit! Wir müssen jetzt durch!" Er öffnete eine längere Klappe an der Seite des Schotts. Eine gewehrähnliche Waffe lag darin. Sie trug zahlreiche Höcker auf ihrem Lauf. Ole Meifert erkannte in ihr eine Reeling-Gun, von der er schon viel gehört hatte. Sival Valon richtete die Waffe auf den gegenüberliegenden Fels. Er bellte einen kurzen Befehl, der in den engen Gängen des Terra-Jet dröhnend widerhallte. Ole Meifert bemerkte nur eine kleine Veränderung, als der Kraftschirm abgebaut wurde. Die rote Glut des Gesteins erhellte sich ein wenig. An einer Stelle brach ein faustgroßes Stück Stein aus der Glut. Dumpf fiel es nach unten. Diese Bewegung war es hauptsächlich, die Ole Meifert aufmerksam, machte. Bis jetzt hatte es keine Bewegung gegeben. Sival Valon zog den Auslöser der Reeling-Gun durch. Die Geschosse jaulten auf langen Feuerbahnen aus dem Lauf. Donnernd brachen sie in das Gestein. Sie rissen metertiefe Schlünde in die noch glühende Wand. Ole Meifert hörte zahlreiche Splitter gegen den Terra-Jet prasseln. Nur fünf oder sechs Schüsse reichten aus. Dann hatte das Taumelgewehr ein so tiefes Loch in die Wand gerissen, daß der Ingenieur den anderen Terra-Jet sehen konnte.
Er atmete schwer. Die Hitze setzte ihm stark zu. Drüben öffnete sich ein Schott. Ole Meifert erkannte die Gestalt des Mannes gegen den hellen Hintergrund. „Das nenne ich eine Meisterleistung, Valon!" schrie der Mann von drüben. Ole Meifert verstand es nicht, aber der Laktone übersetzte es ihm. Die anderen Laktonen kamen jetzt mit langen Metallplastplanken, die sie aus dem Leib des Terra-Jet gerissen hatten. Damit überbrückten sie den Abgrund bis zu dem Loch im Fels. Die Laktonen drüben im anderen Jet machten es ebenso wie sie. „Gefährlich ist es nur in der Mitte, Öle", erklärte Sival Valon. „Dort berühren wir den noch glühenden Boden. Wenn wir uns beeilen, gehen nur die Sohlen unserer Schuhe drauf. Los also!" „Jch als erster?" „Es ist doch egal, wer zuerst geht!" Ole Meifert grunzte unwillig. Er war nicht ganz der Meinung wie der Laktone. Ärgerlich zog er sich seine Hüftbluse stramm. Dann marschierte er los. Der Steg war gerade so breit, daß Ole Meifert seine Füße nebeneinander setzen konnte. Immer näher kam das glühende Gestein. Meifert brannte das Gesicht. Er drückte die Hände auf die Wangen, weil ihm die Haut abspringen wollte. Er stöhnte. Die Hitze biß sich in seinen Rachen. „Los doch, Ole! Tempo!" schrie der Laktone. Ole Meifert rannte los. Seine Füße rasten in wildem Stakkato über den rissigen glühenden Fels. Seine Sohlen brannten sofort. Er fühlte die Glut durch die Schuhe dringen. Dann hatte er die andere Planke erreicht. Er stürmte in das offene Schott. Mit fliegenden Händen zerrte er sich die Schuhe von den Füßen. *
„Bitte — gehen Sie doch hinaus!" bat Kim Corda. Die UNITER-Agenten, die für seine Sicherheit sorgen sollten, standen wie gelahmt unter der Tür. Sie richteten ihre Waffen auf den kleinen Affen, der den Arm des Jungen hielt. Sie wußten, daß sie ihn nicht vernichten konnten. Es sah so aus, als wäre Kim verloren. Eine kleine, zufällige Bewegung des Affen genügte, um seinen Arm zu zerquetschen. Kim lächelte. Er neigte sich zur Seite und griff langsam nach seinem Arm. Vorsichtig versuchte er, die Hand des Affen wegzuschieben. Ritchie sah ihn an. Ein seltsames Funkeln lag in seinen Augen. Es verkündete tiefen, quälenden Schmerz. Langsam lockerte sich der Griff. Ritchie krümmte sich zusammen. Er preßte beide Hände vor den Magen. Ein furchtbarer Seufzer quoll über seine Lippen. „Er hat Hunger", sagte Kim erschrokken. „Geben Sie ihm was zu essen!" Kim sah zufällig durch das Fenster. Die Jalousien hatten sich ein klein wenig verschoben. Durch einen kleinen Spalt konnte Kim einen Diskus und mehrere Sonnengleiter erkennen, die im Innenhof landeten. Dröhnende Lautsprecherstimmen hallten über den Platz in dessen Zentrum die Nadel stand. In den Augen Ritchies flackerte es furchtsam auf. Der Affe hastete zum Fenster. Mit einem Griff riß er die Jalousien herunter. Ritchie starrte zu den Fahrzeugen hinaus. „So holen Sie ihm doch was zu essen!" drängte Kim. Einer der UNITER-Agenten sprang blitzschnell zu ihm hin und zog ihn an sich. Kim wehrte sich vergeblich. Sie zerrten ihn aus dem Zimmer. Ritchie fuhr herum. Er entblößte die Zähne und knurrte böse. Auf den Treppen wurden hastige
Schritte hörbar. Kim erkannte Boyd Clifton, den Chef der UNITER-Organisation. Clifton sah blaß und gehetzt aus. Erregt sah er zu dem Affen hin, der unter dem Fenster hockte und sich stöhnend die Hände vor den Leib preßte. „Er hat Hunger, Mr. Griffith! Geben Sie ihm doch etwas! Vielleicht ist er dann nur noch halb so gefährlich!" rief Kim. Boyd Clifton lächelte müde. „Ritchie hat gerade eben eine ganze Scheune mit Maiskolben leergefressen, mein Junge. Es hat offenbar nichts genützt. Er wurde nicht satt dadurch. Wir können ihn überhaupt nicht satt bekommen. Sein veränderter Körper nimmt die Energien auf, es fehlen aber offensichtlich lebenswichtige Elemente in seiner Nahrung. Er ist ungeheuer stark. Aber wahrscheinlich werden seine Organe bald versagen — wenn er sich uns nicht wieder anvertraut!" Ritchie sank immer mehr in sich zusammen. Aus unglücklichen Augen sah er auf die Männer, die ratlos vor ihm standen. Doch plötzlich überfiel ihn ein erschreckendes Zucken, als ob sein ganzer Körper unter heftigen Krämpfen bebe. Seine Fäuste trommelten unkontrolliert auf den Boden. Zuerst zersplitterte der dünne Plastikbelag, dann zertrümmerten die Fäuste den Beton zu Staub. Ritchie tobte! Alles, was er berührte, sank in Trümmern zusammen. Die Männer zogen sich hastig zurück. Sie schirmten Kim' ab. Aber Ritchie hatte keine Augen für sie. Er raste plötzlich zum Fenster hinüber. Er griff nur ganz leicht mit der Hand gegen den Fensterrahmen. Wie von einer donnernden Explosion getrieben, flogen die zerfetzten Teile des Fensters auseinander. Ritchie schrie wild auf. Er sprang durch das Fenster nach draußen. Ganze Serien von Schüssen peitschten durch die Nacht. Boyd Clifton eilte zum Fenster. Er beugte sich hinaus. Er
merkte gar nicht, daß Kim neben ihm stand. Der Junge hatte sich energisch losgerissen. „Nicht schießen!" brüllte der UNITER Chef. „Das ist doch sinnlos!" „Die Nadel sendet wieder!" schrie eine schrille Stimme. „Sir — die Nadel sendet!" Ritchie, der Schimpanse, tobte wie irrsinnig auf dem weiten Platz herum. Er schleuderte mit einer wilden Bewegung einen Sonnengleiter über die Mauern hinweg. Dann jedoch wurde sein Ziel deutlich erkennbar. Ritchie kämpfte sich mit aller Macht den Weg zur Nadel frei. Er fegte alles aus dem Weg, das zwischen ihm und der Nadel lag. „Machen Sie ihm den Weg zur Nadel frei!" schrie Clifton. „Johnson! So starten Sie doch schon!" Ein Sonnengleiter erhob sich jetzt. Er taumelte dicht über den Affen hinweg. Ritchie achtete nicht auf ihn. Er stürzte sich auf die Nadel, die jetzt frei vor ihm stand. Kim hörte erschauernd das Heulen und Singen des leichten Windes in den zahlreichen Kerben und Löchern an der Spitze der Nadel. Es war ein unheimliches Lied, aus dem tiefe Drohung erklang. Ritchie hatte die Nadel erreicht. Er umklammerte ihren Sockel mit beiden Armen. Er zerrte wild an der Nadel, die sich jedoch nicht bewegte. Es war, als habe Ritchie plötzlich seine ganze Kraft verloren! * Ein Adjutant kam erregt in den großen Arbeitsraum des laktonischen Beobachters auf der Erde, Sir K. Enschko. „Die Nadel sendet wieder", berichtete er hastig. „Sie sendet ihre Impulse wieder mit höchster Intensität aus. Soeben lief ein Hyperspruch aus dem Be-
zirk ZAZB 3 ein. Der Kommandant des großen Kreuzers SILAK teilt mit, daß er die Impulse empfängt. Sir, das System ist mehr als vierhundert Lichtjahre von hier entfernt! Die Nadel macht die gesamte Galaxis auf die Erde aufmerksam!" Sir K. Enschko sprang auf. Seine kalten Augen stellten die gewohnte Distanz zwischen ihm und dem Adjutanten sofort wieder her. Der Botschafter eilte in den kleinen Raum, in dem er die holografische Nachricht aus Lakton erhalten hatte, in der nachdrücklich vor Experimenten mit dem auf Terra entdeckten Material gewarnt wurde. Wieder schaltete K. Enschko das Gerät ein. Wieder hörte er sich die Warnung an. Und abermals überfiel ihn heißer Zorn, als er die Stimme des Mannes hörte, der den attraktiveren Posten bekommen hatte. Warnte auch die Nadel vor Experimenten mit dem Stoff? Es konnte keinen Zweifel geben! K. Enschko preßte die schmalen Lippen zornig zusammen. In Lakton vergaß man, daß auf der Erde die voll ausgereifte Erfindung zur Verfügung stand! Die Terraner wußten alles über das Material — Lakton nur zwei Drittel des Ganzen! K. Enschko beschloß, nichts zu unternehmen. * Wabash fühlte einen fürchterlichen Schmerz durch seinen Kopf rasen. Für einen Augenblick glaubte er, während des Schlafes von einem Hai überfallen worden zu sein. Dann jedoch merkte er, daß niemand in seiner Nähe war. Die Strahlung! Die Impulse, die vom Land kamen! Das war es! Wabash verstand nicht alles, was das Fremde auf dem Land sagte, aber doch einiges. Er erfaßte die furchtbare Drohung und
verstand die Warnung! Der Schmerz kam in grausamen harten Wellen. Es war, als bohrten sich unzählige Speere zugleich in seinen Kopf. Wabash verlor für einige Minuten völlig die Übersicht. Es wurde dunkel um ihn. Als er zu sich kam, lag er auf dem Grund der seichten Bucht. Die Atemnot trieb ihn an die Wasseroberfläche empor. Der Schmerz war nicht geringer geworden. Es gab eine Macht in den Tiefen der Galaxis. Sie wurde zeitlos genannt, weil es bisher unvorstellbar gewesen war, daß es eine größere Macht geben konnte. Von dieser Macht kam die Warnung, die von dem Fremden auf dem Land ausgestrahlt wurde. Wabash überlegte fieberhaft, wie er die Warnung übermitteln konnte. Kim verstand ihn noch nicht genug. Es würde noch lange Zeit dauern, bis Kim ihn . wirklich verstehen konnte und als Mittler zwischen ihm und den Menschen dienen konnte. Die Zeit war zu kurz. Die Warnung war so eindringlich, so ernst, daß Wabash daraus schloß, daß die schicksalhafte Wende unmittelbar bevorstand. Er versuchte, Verbindung mit Kim aufzunehmen, weil dies der einzig mögliche Weg zu sein schien. Doch die Schmerzwellen waren so intensiv, daß Wabash die notwendige Konzentration fehlte. Wabash zog sich von der Küste in tiefere Gewässer zurück, um sich vor der Vernichtung zu retten. Dabei faßte er einen festen Entschluß. Er wollte nicht länger von den Menschen getrennt bleiben. Er wollte aktiv an dem Geschehen teilnehmen, das das Schicksal auch seiner Welt bestimmte. *
In der Forschungsstation Will Rimsons tobte das Chaos! Der durch die Operation veränderte Agent Lester jagte Professor Rimson. Das Schicksal des alten Gelehrten schien besiegelt zu sein. Doch kurz bevor Lester den Wissenschaftler erreichte, erschien der Biologe Sam McClude auf der Gangbiegung. Er hielt eine schwere Reeling Gun in der Armbeuge. Auf langen Feuerzungen rasten die Geschosse aus dem Höckerlauf. Sam McClude wußte, daß er Lester nicht verletzen konnte. Das beabsichtigte er auch gar nicht. Die Kegelstumpfgeschosse peitschten in die Kniekehlen des Veränderten. Die kinetische Energie schleuderte Lester nach vorn und ließ ihn straucheln. Lester stolperte und fiel. Seine Hände konnten Will Rimson nicht mehr packen. Nukleon sprang jaulend auf. Er versuchte, Will Rimson zu erreichen. Doch ein plötzlicher Schlag ging durch seinen Leib. Der Hund drehte sich blitzschnell um sich selbst. Ein qualvolles Stöhnen entrang sich seiner Kehle. Dann brach der telepathisch begabte Hund zusammen. Lester kam wieder auf die Beine. „Lauf, Will!" schrie Sam McClude. Will Rimson raffte sich auf. Er stieß die Tür auf und eilte in die eiskalte Nacht hinaus. In diesem Augenblick flutete der Boden unmittelbar vor ihm sonnenhell auf. Will Rimson warf sich zurück. Er prallte Lester direkt in die Arme. Der Veränderte beachtete ihn jedoch nicht, sondern schleuderte ihn nur zur Seite. Ein Vulkan tat sich mitten in der Forschungsstation auf. Aus dem weißgleißenden Glutsee fauchte ein metallenes Ungetüm hervor. Es schoß in einem leichten Bogen aus dem vergasenden Erdreich und knallte dann mit einem infernalischen Krach auf den Boden. Schotten sprangen dröhnend auf.
Will Rimson sah es überall aufblitzen. Er bekam einen harten schmerzenden Schlag vor die Brust. Seine Hand tastete nach dem Herzen. Es wurde dunkel vor seinen Augen. Professor Will Rimson fühlte sich seltsam leicht. Schwerelos glitt er in die endlose Schwärze. Unmittelbar hinter ihm brachen die anderen zusammen. Lester warf die Arme hoch und krümmte die Finger, als könne er sich festhalten. Doch ihn riß es genauso um wie alle anderen in der Station. Laktonen liefen quer über den Platz. Sie hielten sich dunkle Atemmasken vor das Gesicht. Aus den offenen Schotten des Terra-Jet quoll die Masse der angeworbenen Männer. Sie alle eilten hastig zu den Gebäuden hinüber, wo Sival Valon mit angeschlagenem Strahlengewehr stand und sie an die richtigen Stellen dirigierte. Ole Meifert erreichte ihn als einer der letzten. „Was ist mit ihnen?" fragte er. Er zeigte auf die dunklen Gestalten, die überall auf dem Boden lagen. Sie zeigten nicht das geringste Lebenszeichen. Sival Valon antwortete nicht auf seine Frage. Seine Augen blitzten Ole Meifert kalt an. Meifert rückte seine Atemmaske zurecht und schwieg. Er sah sich nochmal nach den leblosen Gestalten um. Dann folgte er den anderen in die Station. Er sah noch die zahlreichen Gleiter, die sich auf die Station herabsenkten. An den Uniformen erkannte er die Laktonen. „Ein vollkommener Überfall", murmelte er. „Sie hatten keine Chance. Überhaupt keine!" * Ralf Grifflth schüttelte die Benommenheit ab, die ihn momentan überfallen hatte. Er sah die anderen zusam-
menbrechen. Er hörte die ABC-Sonde aufheulen, die nur ansprach, wenn die Station mit atomaren, biologischen oder chemischen Kampfstoffen angegriffen wurde. Er preßte die Lippen fest zusammen und drückte sich die Nasenflügel zusammen, um zu verhindern, daß das Gift in seine Atemwege eindrang. Er rannte über den langen Korridor, der von Trümmern und Bewußtlosen übersät war. Auch die anderen Veränderten lagen kampfunfähig auf dem Boden. Ralf Grifflth ahnte, daß er der letzte aktionsfähige Mann auf der Station war. Hinter ihm bellten Strahlenwerfer und Reeling-Guns auf. Er fühlte die Geschosse wie Hagelkörner gegen seinen Nacken prasseln. Sie konnten ihm nicht viel anhaben. Schlimmer, viel schlimmer war der Sauerstoffmangel, der ihm hart zusetzte. Vor seinen Augen flimmerte es. Er wußte, daß er nicht mehr lange durchhalten würde. Er mußte sich beeilen. Es waren nur noch wenige Schritte bis zu dem versiegelten Hebel, mit dem er die chemische Dusche auslösen konnte. Er hoffte, daß er die Giftgase noch rechtzeitig binden konnte. Direkt neben der ABC-Sonde lagen mehrere Atemmasken in einem kleinen Kasten. Wenn es ihm noch gelang, eine Maske aufzusetzen, dann konnten die Laktonen absolut nichts mehr erreichen. Ra]f Grifflth kämpfte sich vor. Er kam immer langsamer voran. Heftige Stiche in seiner Brust mahnten ihn. Er würgte. Der Sauerstoffmangel wollte ihn zwingen, den Mund aufzureißen. Einige Laktonen überholten ihn. Sie schossen mit Reeling-Guns auf seine Beine. Die Taumelgeschosse brachten seine Muskeln in Vibration. Sie tanzten und zuckten an seinen Beinen. Griffith kämpfte sich vor. Mit einer zornigen Bewegung wischte er die Laktonen zur Seite.
Dann stand er vor der ABC-Sonde. Seine Hand hob sich nach dem Hebel. Doch jetzt begriffen die Laktonen, was er vorhatte. Sie rissen ihre Taumelgewehre herum und feuerten direkt auf die ABC-Sonde. Das Alarmgerät verging schlagartig in pulvriger Asche. Die stumpfen Kegelgeschosse zertrümmerten das Material durch unerhört harte Vibrationen bis in die Moleküle hinein. Ralf Griffith sah, daß auch die Atemmasken in Staub verwehten. Ohnmächtiger Zorn wallte in ihm auf. Er wollte sich auf die Laktonen stürzen. Sie alle schützten sich mit Atemmasken. Die Lungen wollten ihm platzen. Um neue Kraft zu gewinnen, riß er den Mund weit auf. Er riß die Luft gierig in die schmerzenden Lungen — und brach wie ein gefällter Baum zusammen. Das Nervengift wirkte sofort. Ächzend streckte er sich auf dem Boden aus. Langsam schlossen sich seine Augen. Sein Blick fiel auf einen großen breitschultrigen Mann, der zu seinen Füßen stand. Der Mann sah aus wie ein Nordländer. Blondes Haar fiel ihm in die hohe Stirn. * Die harten Impulse, die die „Nadel" aussandte, eilten bis tief in die Galaxis hinein. Es war unvermeidlich, daß mehr Mächte auf die Erde aufmerksam wurden, als Terra lieb sein konnte. Sigam Agelon war der Vertreter einer dieser Mächte, denen die Impulssendungen als erste auffielen. Der Orathone befand sich tief im feindlichen Gebiet. Die Wachmannschaften arbeiteten mit größter Sorgfalt. Sigam Agelon rechnete durchaus damit, von Laktonen überrascht zu werden. Sigam Agelon wuchtete seinen massigen Schädel mit einem wütenden Knurrlaut herum, als der Kurier ihn mitten in der Lektüre störte.
„Was gibt es?" brüllte er. Der Funkoffizier reichte ihm wortlos einen Plastikstreifen, auf dem die Nachricht verzeichnet war. „Ruf den Terraner!" befahl Sigam Agelon barsch. Der Bote eilte hinaus. Sigam Agelon erhob sich und ging nachdenklich im Raum auf und ab. Er fühlte sich nicht sehr gern an diesen Planeten erinnert, von dem die Botschaft auf dem Plastikstreifen sprach. Dieser Planet war der Schauplatz einer schweren Niederlage für ihn gewesen. Sigam Agelon war ein direkter Nachkomme des mächtigsten Orathonen in der Geschichte des orathonischen Reiches. Moga Agelon, sein Vater, hatte ihm gewisse private Ideen nicht verziehen. Er hatte ihn in den Kampf gegen die Laktonen geschickt. Zunächst hatte es nach einem eindeutigen Sieg der eigenen Flotte ausgesehen. Doch dann hatten die Terraner eingegriffen. Nur durch ihre Hilfe konnten die Laktonen, obwohl sie praktisch schon geschlagen waren, die orathonischen Flotten zurückschlagen. Sigam Agelon dachte voller Zorn an die Niederlage, die er hatte hinnehmen müssen. Er wußte, daß ein Versuch, die Erde wirtschaftlich zu ruinieren, um sie dann dem orathonischen Reich einzuverleiben, gescheitert war. Die Terraner hatten sich auch hier als bedeutend gefährlichere und geschicktere Gegner erwiesen als angenommen. Sigam Agelon lachte boshaft bei dem Gedanken, daß auch ein anderer Orathone eine Niederlage auf der Erde hatte einstecken müssen. Doch dann wurde sein Gesicht wieder ernst. Er würde die Erde nie vergessen können. Die Erde war ihm zum Schicksal geworden. Im Verlauf der Auseinandersetzungen mit den Laktonen und den Terranern, hatte er sich so in die Enge treiben lassen, daß er die GROSSEN GESETZE
vergaß. Er hatte sich zu Handlungen hinreißen lassen, die die Zeitlosen auf den Plan riefen. Sigam Agelon wußte, daß das Henkersschwert über ihm hing. Noch nie in der galaktischen Geschichte war den Zeitlosen jemand entkommen, der gegen die GROSSEN GESETZE verstoßen hatte. Jetzt war etwas eingetreten, das Sigam Agelon mit neuer Hoffnung erfüllte. Die orathonischen Verbände hatten einige flüchtende laktonische Wissenschaftler aufgegriffen. Sie berichteten — mehr oder minder freiwillig — von Experimenten, die die Laktonen mit Terranern auf einem kleinen Planeten unternommen hatten. Sigam Agelon war auf der Suche nach dem Planeten! Er blieb stehen, als der Terraner durch die Tür kam. Sigam Agelon verengte die Augen. Die farbigen Muster auf seinen Lidern kamen in sanfte Bewegung. Der Terraner, der sich in seiner Gefangenschaft befand, war ihm ein Rätsel. Irgendein Geheimnis umgab diesen dunkelhäutigen Mann. Es war noch immer nicht gelungen, das Geheimnis dieses Terraners zu lüften. Sigam Agelon wußte nur, daß der Dunkelhäutige über verblüffende Fähigkeiten verfügte. „Man hat dir gesagt, was geschehen ist?" fragte er. Der Terraner nickte ernst. „Was hat das zu bedeuten? Was besagen diese Impulse?" Der Dunkelhäutige lächelte harmlos. Er hob die Schultern. „Ich war lange nicht mehr auf Terra, Sigam Agelon", antwortete er ruhig. Er sprach englisch. Seine Worte wurden von dem kleinen elektronischen Dolmetscher auf seiner Brust übersetzt. „Ich habe mir die Aufzeichnungen genau angesehen. Sie sind rätselhaft. Ich kann Ihnen nur empfehlen, zur Erde zu fliegen, wenn Sie wissen wollen, was
diese Nachricht bedeutet — wenn es eine Nachricht ist!" Sigam Agelon lachte schallend. Er strich mit den dicken Fingern immer wieder durch die dichten Federn, die seinen Kopf bedeckten. „Du willst fliehen, was Terraner?" lachte er. „Dir gefällt es nicht mehr bei uns! Bilde dir nicht ein, daß ich dich laufen lasse!" Er ging zu einem kleinen Tisch, auf dem ein Glas mit einer dunklen Flüssigkeit stand. Er stürzte das Getränk in sich hinein. „Gut!" sagte er entschlossen. „Fliegen wir zur Erde und sehen uns einmal an, was da los ist!" * Sival Valon nahm den Bericht ruhig entgegen. Es überraschte ihn nicht, daß die Luft in der Station jetzt wieder einwandfrei war. So war es geplant. „Bringen Sie alle Personen dieser Station in einen der Räume und halten Sie sie dort unter Verschluß", befahl er. Er ging mit anderen Agenten in die Zentrale der Station. Ole Meifert folgte dem laktonischen Chefagenten wie ein Schatten. „Was machen Sie, Valon? Was geschieht jetzt?" fragte Ole Meifert. „Ich denke, wir sollen operiert werden?" „Die Vorbereitungen sind schon abgeschlossen, Ole. Meine Leute haben mir schon gemeldet, daß sie genügend von dem Stoff gefunden haben, den wir benötigen. Aber ich muß mehr über diesen Stoff wissen, den Rimson Becon nennt." Ole Meifert nickte verständnisvoll. Er verfolgte, wie der Laktone schmale Plastikstreifen aus dem Computer entnahm. Die Streifen enthielten unzählige kleine Zeichen, die Meifert überhaupt nichts sagten. Der Laktone erklärte ihm, daß es sich um Symbole handelte.
„Mit einem Projektor kann ich diese Zeichen in lesbarer Form auf einen Holografen übertragen", sagte Valon. Er gab Ole Meifert einen Wink, ihm zu folgen. Er zeigte auf einen kleinen Stapel eng beschriebener Notizblätter. „Professor McClude, der Biologe der Station, äußert hier die Vermutung, daß die Intensität der Wirksamkeit des Becons von der Intelligenz der Experimentalobjekte abhängig ist!" „Das könnte bedeuten, daß auch ich nach einer gewissen Zeit alle besonderen Fähigkeiten wieder verliere?" fragte Ole Meifert. Sival Valon lächelte. Der andere Laktone winkte ab. „Wenn die Berechnungen hier stimmen, dann bleiben Sie nach der Operation für 82 Terra-Jahre unbesiegbar. Reicht das nicht?" „Es reicht!" grinste Ole Meifert. „Wann geht's los?" „Man wartet schon auf Sie!" sagte Valon und wies auf die Tür. * Ritchie sank am Fuße der Nadel zusammen. Scheinwerfer beleuchteten ihn von allen Seiten. Hunderte von Augen starrten ihn an. Sie alle sahen seinen zuckenden Körper. Kim Corda flog förmlich die Treppen hinunter. Unten in der Wachstube stand eine kleine Obstschale. Kim überlegte gar nicht, als er Zugriff und sich einige Bananen nahm. Irgendetwas in ihm sagte ihm, was er zu tun hatte. Kim wußte nicht, daß der Delphin Wabash bereits einen so entscheidenden Einfluß auf ihn genommen hatte. Er wußte nicht, daß er eine schwache Verbindung zu dem Affen Ritchie hatte. Er machte sich keine Gedanken darüber. Er handelte.
„Ritchie!" rief er. Bevor einer der besorgten Agenten ihn aufhalten konnte, kniete Kim bei Ritchie nieder. Er hielt ihm die Bananen hin. Ritchie streckte ihm die Hände entgegen. Er nahm die Früchte hastig an sich und stopfte sie sich in den Mund, nachdem er blitzschnell die Schale heruntergerissen hatte. Voller Verwunderung bemerkte Kim, daß die Hände, die eben noch voller unfaßbarer Kraft waren, zitterten. „Bringt ihm noch mehr zu essen!" Das war Boyd Clifton! Kim Corda war dem UNITER-Chef dankbar, daß er ihm half. Er schluckte, als er sah, wie zufrieden die Augen Ritchies aufleuchteten. Er strich dem Affen sanft über den Kopf. Es ging ganz leicht. Ritchie wehrte sich nicht. Kim konnte fühlen, daß die Haut des Affen weich und elastisch war. Boyd Clifton näherte sich langsam. Er brachte einen ganzen Arm voller Bananen und Nüsse mit. Er schüttete su-! neben Kim aus. Zögernd griff Ritchie nach den Früchten. „Ich glaube, es ist vorbei, Sir", sagte Kim Corda leise. „Seine Haut fühlt sich ganz weich an!" Boyd Clifton kniete sich neben dem Jungen nieder. Er sah ihm in die Augen und lächelte. Das sommersprossige Gesicht Kims glühte vor Aufregung. „Es ist genauso, wie Professor Rimson vermutete", sagte Clifton. „Die Energie des Becon verbraucht sich mit der Zeit. Das geht um so schneller, je niedriger der Intelligenzquotient ist." * Nur die schwergehenden Atemzüge der laktonischen Ärzte unterbrachen die Stille im Operationsraum. Zwanzig Männer waren bereits operiert worden. Sie alle lagen noch in
tiefer Narkose. Niemand von den anwesenden Laktonen ahnte, in welch ein gefährliches Spiel sich Sir K. Enschko, der laktonische Beobachter auf der Erde, eingelassen hatte. Niemand ahnte, welch ungeheures Risiko er eingegangen war. Jetzt lag Ole Meifert auf dem Operationstisch, Der laktonische Arzt hatte seinen Schädel geöffnet. Vorsichtig verschweißte er die Beconschale mit den wichtigsten Nervenverbindungen seines Hirns. Es war das letzte Stück Becon, das sie gefunden hatten. Jetzt waren laktonische Chemiker im benachbarten Laboratorium dabei, nach den Angaben aus dem großen Computer neues Becon herzustellen. Die Laktonen fielen einem Irrtum zum Opfer, der den Ausgang des Experimentes entscheidend beeinflußte. Sämtliches Becon, das sie vorfanden und verwendeten, zeigte geringfügige Abweichungen von dem endgültigen Material. Es gab nur ganz geringe Unterschiede — aber gerade diese waren entscheidend. Als besonders schwerwiegend erwies sich jetzt, daß Will Rimson einen Teil der Becon-Formel aus dem „Gedächtnis" des Computers entfernt hatte. Fast lautlos kam ein Offizier in den Raum. Er verständigte Sival Valon mit einer knappen Geste, daß er ihn sprechen mußte. Der Chef-Agent Sir Enschkos verließ den Raum. „Was gibt es?" „Ein Teil der Operierten ist transporfähig. Die Ärzte meinen, wir sollten sie schon in den Jet bringen!" „Kommt nicht in Frage!" wehrte Sival Valon energisch ab. „Nur ein Teil der Operierten kehrt mit dem Terra-Jet zurück. Das Risiko ist mir zu hoch. Wenn alle mit dem Jet fliegen und dieser bleibt dann stecken, dann war alles umsonst! Besorgen Sie schnelle Gleiter oder am besten ein Kurierschiff, das uns nach Den Haag zurückbringt!"
Er eilte zu dem großen Raum hinüber, in dem die Bewußtlosen lagen. Hier herrschte absolute Stille. Zwei Laktonen bewachten die ausgeschaltete Besatzung der Station. Sival Valon fiel auf, daß auch ein Hund unter den Betäubten war. Er sah ihn sich kurz an. „Das ist Nukleon, der Hund des Professors", erklärte einer der Posten. „Es heißt, daß er über eine gewisse telepathische Begabung verfügt!" „In unserem Fall hat er glänzend versagt!" lachte der Chef-Agent. Die Posten stimmten in das Gelächter ein. Sie sahen Valon nach. Der Agent verließ die Gebäude und kontrollierte die Posten vor den Gebäuden. „Alles klar, Valon!" meldete ein Offizier. „Vor einer halben Stunde kam ein Gleiter an. Die Besatzung konnte überwältigt werden, bevor sie Alarm geben konnte. Fernmündliche Anrufe sind bisher nicht eingetroffen. Es verläuft alles wie geplant." Sival Valon beobachtete, daß sich ein Diskus-Raumer von der Landepiste erhob und langsam zu ihnen herüberkam. Die große Schleuse des Raumschiffs war offen. Das von den Orathonen erbeutete Raumschiff der terranischen Flotte wurde von einem Laktonen geflogen. Wenig später — der Diskus war kaum gelandet — erschienen die ersten Laktonen mit den noch narkotisierten Operierten. Sival Vaion entdeckte auch das bleiche Gesicht Ole Meiferts. Er wollte in die Station zurückkehren, als einer der Posten herauskam. „Valon — da sind Männer bei den Bewußtlosen, die den Eindruck machen, als wären sie ganz frisch operiert!" meldete er. „Operiert? Drücken Sie sich klarer aus. Wie operiert?" herrschte der Agent den Posten an. Der Laktone zeigte auf seinen Hinterkopf.
„So wie die Terraner!" meldete er. „Es scheint, als hätten sie auch Becon eingepflanzt bekommen!" „Das zeigen Sie mir! Aber schnell!" Sival Valon eilte bestürzt in die Forschungsstation zurück. Der Posten führte ihn zu dem Raum, in dem die Betäubten lagen. Fünf Männer lagen dort. Es waren Ralf Griffith, Kuttner, Simpson, Fisher und Lester. Sival Valon bückte sich. Er spannte seine Hand um die Oberarmmuskeln von Lester. Sie fühlten sich wie Stein an. Er schlug kräftig mit der Handkante darauf, erzielte aber keinen Effekt. Er hatte das Gefühl, auf Stahl geschlagen zu haben. Er wiederholte das Experiment bei Kuttner, Fisher und Simpson. Es war jedesmal das gleiche. Nur bei Ralf Griffith war es anders. Bei ihm gaben die Muskeln elastisch nach. Sival Valon pfiff nachdenklich durch die Zähne. Jetzt fiel ihm wieder ein, daß sie mit diesem Mann gekämpft hatten, ohne mit Schußwaffen einen Effekt erzielen zu können. Erst mit Gas hatten sie ihn fällen können. Die anderen waren bereits erledigt gewesen. Er grinste maliziös. „Rufen Sie einen Arzt! Schnell! Am besten den Narkosearzt!" befahl er. Er wartete bei den Bewußtlosen, bis der Arzt erschien. „Ich möchte diese fünf Männer aus der Bewußtlosigkeit holen", sagte er. „Ich weiß aber nicht, wie sie darauf reagieren werden. Deshalb werden wir dafür sorgen, daß wir sie jederzeit wieder ausschalten können. Bringen Sie eine Narkosekapsel im Rachen dieser Männer unter. Ich muß sie jederzeit durch Funkimpuls ausschalten können! Klar?" Der Arzt nickte schweigend. * Sival Valon hockte vor dem Hologra-
fen. Wenn es der Erde gelungen war, fünf unbesiegbare Männer zu schaffen, dann mußte er damit rechnen, daß es früher oder später zu einem mörderischen Kampf mit ihnen kam — wenn sie loyal zur Erde standen! Der Mann, der Kuttner hieß, richtete sich zögernd auf. Er sah sich um. Er entdeckte Ralf Griffith und stemmte sich blitzschnell hoch. Kampfbereit lehnte er sich gegen die Wand. Er ballte die Fäuste und beobachtete Griffith, als dieser langsam aufstand. Jetzt kamen auch Fisher, Simpson und Lester hoch. Sival Valon beobachtete die Szene voller Spannung. Wie auf ein geheimes Kommando stürzten sie sich auf Ralf Griffith. Kuttner packte ihn am Hals. „Ich glaube, daß die Laktonen ganz schön zahlen werden, wenn wir ihnen erzählen, was Becon ist und was man damit machen kann, Griffith!" Seine Hände schraubten sich mit unwiderstehlicher Gewalt zusammen. Sival Valon verzog keine Miene. Äußerlich völlig unberührt sah er zu, bis es vorbei war. Fisher und Simpson, die Kuttner geholfen hatten, zogen sich zuerst von Griffith zurück. Dann erst folgte Kuttner. Sival Valon drückte den kleinen Knopf. Der Funkimpuls eilte hinaus. Die drei Veränderten brachen wie vom Schlag getroffen zusammen. * Der laktonische Chef-Agent Sival Valon machte einen sehr selbstsicheren Eindruck, als er mit seinem Vorgesetzten Sir K. Enschko sprach. „Ich bin überzeugt davon, daß wir sie für uns gewinnen können", sagte er. „Schön — dann bringen Sie sie mit! Griffith bleibt, wo er ist. Er ist wirklich tot?"
„Sie haben ihn umgebracht!" bestätigte Valon. Er beendete das Gespräch. Dann ging er zu dem kleinen Raum hinüber, in dem die fünf Terraner lagen. Er beugte sich über Ralf Griffith und legte ihm die Hand auf die Brust. Erschrocken fuhr er zurück. Zögernd legte er ihm die Hand abermals aufs Herz. Es gab keinen Zweifel. Das Herz schlug zwar sehr leise und langsam, aber es schlug! Ralf Griffith war nicht tot! Sival Valon richtete sich bleich auf. Er zog seine Strahlenpistole und richtete sie auf das Herz des Terraners. Er zögerte einige Augenblicke, dann aber schoß er. Die Kleidung flackerte auf. Eine heiße Flammenfront schoß fauchend über die Brust Griffiths. Als Sival Valon den Finger vom Auslöser der tödlichen Waffe nahm, wirbelte heiße Asche über die Brust des Terraners — aber es zeigte sich nicht die geringste Verletzung auf seiner Brust! Sival Valon stieß den Strahler entsetzt aufstöhnend in den Gürtel zurück. Mit diesem Ergebnis hatte er nicht gerechnet. Er eilte aus dem Raum, erteilte den Posten den Befehl, die anderen vier Terraner in den Diskus zu bringen und lief zu den Ärzten. Die Operationen waren abgeschlossen. „Ich benötige ein unbedingt tödliches Gift!" sagte der Agent. Die Ärzte sahen ihn überrascht an. „Wozu? Wen wollen Sie umbringen?" fragte der Chefarzt, der die Operation überwacht hatte. „Geben Sie es schon her!" drängte der Agent nervös. Er ließ sich ein grünliches flüssiges Gift geben und kehrte damit zu Ralf Griffith zurück. Der frühere Agem; lag noch immer wie tot auf dem Boden. „So, mein Freund", sagte Valon. „Wenn du auf das Nervengas an-
sprichst, dann wirst du wohl auch auf dieses Gift ansprechen!" Er drehte den Kopf des Terraners ein wenig zur Seite, dann spritzte er ihm das Gift so tief in den Rachen, daß es von selbst in die Speiseröhre lief. Er wartete, bis der Herzschlag sich verlangsamte. Als schließlich nach vier Minuten Pause kein Herzschlag mehr erfolgte, stand er langsam auf und ging hinaus. Sival Valon war ungewöhnlich blaß. Hart spannte sich die Haut über seinen Jochbeinen. Valon war einer der wenigen, die in den wartenden Terra-Jet stiegen. Das Gros kehrte mit dem Diskus nach Europa zurück. * Percip, der Laktone, war der erste, der aus der tiefen Bewußtlosigkeit erwachte. Taumelnd kam er auf die Beine. Benommen übersah er den Berg von Menschenleibern, den das Überfallkommando der Laktonen in dem Raum errichtet hatte. Er schleppte sich zur Tür und stieß sie weit auf. Er öffnete auch die Türen, die nach draußen führten. Der eisige Nordwind fauchte in die Station. Nach und nach kamen alle zu sich. Nukleon bewachte den bewußtlosen Will Rimson so lange, bis der Professor sich selbst aufrichten konnte. Percip, der Laktone, reichte heißen Kaffee. Das dampfende Getränk frischte die Lebensgeister auf. Der Laktone half Will Rimson auf die Beine und führte ihn sofort zu Ralf Griffith. Der Veränderte lag noch immer reglos auf dem Boden. „Wo sind die anderen, Percip?" Simpson, Fisher und Lester?" „Sie sind nicht mehr in der Station, Professor", erklärte der auf Lithalon geborene Laktone. „Ich nehme an, daß die Laktonen sie mitgenommen haben!"
„Oh, mein Gott!" murmelte Will Rimson erschüttert. „Wie konnte das alles nur passieren?" Hinter ihnen wurden Stimmen laut. Man rief nach Will Rimson. Nukleon, der nicht von der Seite seines Herrn wich, knurrte verhalten. Er stellte sich schräg vor den Wissenschaftler, so daß dieser stehenblieb. Boyd Clifton, der Chef der UNITEROrganisation, kam über den Korridor heran. Er führte einen Schimpansen an der Hand mit, sich. „Ritchie!" rief Rimson überrascht. „Clifton — Sie bringen ihn so ohne weiteres? Es macht keine Umstände?" Boyd Clifton lächelte verzerrt. „Es ist vorbei, Professor. Ritchie hat seine Kraft verloren. Er ist jetzt ein ganz normaler Affe. Er scheint jedoch auch jetzt noch wesentlich intelligenter zu sein als vorher." Rimson berichtete jetzt in knappen Worten, was in der Station vorgefallen war. Erste Informationen hatte Boyd Clifton schon von Ga-Venga und Bekoval erhalten. „Es besteht wirklich kein Zweifel darüber, daß es Laktonen waren?" fragte Clifton. „Überhaupt keiner!" betonte Rimson. Percip bestätigte die Aussage. Will Rimson ging voller böser Ahnung in die medizinische Abteilung hinüber. Sie brauchten nicht lange zu suchen. Sie wußten sofort, was hier geschehen war. „Jetzt gnade uns Gott!" seufzte Rimson. „Die Laktonen wissen einfach nicht, was sie getan haben. Sie können die ganze Erde vernichten!" „Sie müssen sofort mit dem Beobachter Sir Enschko sprechen, Professor!" rief Clifton zornig. Will Rimson zog sich in seine Arbeitsräume zurück. Die Innentemperaturen hatten sich allmählich normalisiert. Die Luft erwärmte sich wieder. Rimson
schaltete den Holografen ein, der ihn mit der laktonischen Botschaft verband. Ein subalterner, lakonischer Beamter erschien im Bild. Er zeigte keine auffällige Reaktion, als er Will Rimson sah. „Geben Sie mir Sir Enschko!" forderte der Wissenschaftler, der Rex Corda als kommissarischer Präsident vertrat. „Seine Exzellenz ruhen. Sie können ihn nicht sprechen!" „Seine Exzellenz wird aus dieser Ruhe nicht mehr erwachen, wenn er nicht sofort mit mir spricht!" erwiderte Rimson zornig. Der Laktone lächelte herablassend. „Überlassen Sie es bitte uns, wie wir über die Sicherheit Sir Enschkos wachen", sagte er. „Also — was gibt's?" Will Rimson ließ seine Faust auf den Knopf herabfallen, der das Gerät ausschaltete. „Soli Enschko selbst sehen, wie er mit den Veränderten klarkommt!" sagie er hart. * Ole Meifert senkte den Kopf tief auf die Brust herab und starrte den Amerikaner kampfbereit an. „Niemand von euch beiden wird Präsident der Erde werden! Ist das klar?" fauchfe Sival Valon mit schneidend scharfer Stimme. „Wir haben klare Abmachungen getroffen! Ihr werdet euch an sie halten!" Kuttner schwang langsam herum. Ein böses Grinsen huschte über seine aufgeworfenen Lippen. „Vergiß eines nicht, Laktone!" sagte er. „Vergiß nicht, daß wir nicht freiwillig mitgekommen sind!" Sival Valon und sieben andere Laktonen standen mit den fünfunddreißig Veränderten in einem großen Raum zusammen. Auf einem Holografen an der Stirnwand des Raumes erschien jetzt
das Bild Sir K. Enschkos. Der Laktone trug ein zynisches grausames Lächeln auf den dünnen Lippen. „Was ist los, Valon? Gibt es Schwierigkeiten?" Kuttner griff nach einem fußballgroßen Globus. Mit einer spielerisch leichten Bewegung wischte er ihn zu Sival Valon hinüber, der mehr als vier Meter von ihm entfernt war. Es war nur eine ganz leichte Bewegung. Sival Valon sah sie deutlich. Und dennoch blieb ihm keine Zeit mehr zu einer Reaktion. Der Globus zischte auf ihn zu und klatschte ihm vor den Bauch. Die Plastikkugel verformte sich und platzte explosionsartig auseinander. Sival Valon fühlte, wie der Schutzpanzer seiner angespannten Bauchmuskeln förmlich zerschlagen wurde. Ihm wurde augenblicklich schwarz vor Augen. Er brach schlagartig zusammen. „Damit Sie klarsehen, Enschko! Hier haben nicht wir zu gehorchen, sondern Sie!" erklärte Fisher energisch, In seinen Mundwinkeln zuckte es unkontrolliert. Seine Blicke flackerten. „Nicht Sie..." „Halt den Mund! Hier rede ich!" fauchte Kuttner. Er wischte seinen früheren Freund mit einer lässigen Bewegung zur Seite. Fisher ließ es sich gefallen. Sir Enschko hatte den Eindruck, daß Fisher gar nicht richtig erfaßte, was geschah. Kuttner richtete sich hoch auf und bohrte die Daumen seiner Hände gewichtig in die Seiten. „Sie werden uns ein Raumschiff mit kompletter Besatzung zur Verfügung stellen. Enschko!" befahl Kuttner. Enschko zögerte. „Wozu?" „Das geht Sie nichts an. Wir wollen nur das Schiff, dann haben Sie Ruhe!" Verächtlich sah Kuttner zu den Männern hinüber, die in tiefe Apathie gefallen waren. Nur etwa zehn Veränderte
blieben voll aktiv. K. Enschko schwieg. Aus verengten Augen musterte er die Veränderten. Es schien so, als durchbreche die grausame Erkenntnis die Phalanx seines blinden Ehrgeizes. Der Laktone sah erschrocken aus. „Sie bekommen kein Schiff! Ich werde zu verhindern wissen, daß Sie zu den Orathonen fliegen und sich in ihren Dienst stellen!" versetzte K. Enschko mit heller, überschnappender Stimme. Kuttner lachte dröhnend. „Zu den Orathonen! Ole Meifert! Was sagst du dazu?" Ole Meifert stampfte langsam zu Kuttner heran. Er grinste das dümmliche Grinsen eines Mannes, der seinen Verstand nicht voll unter seiner Kontrolle hat. „Zu den Orathonen? Wer will zu den Orathonen! Ich will einen Planeten für mich haben! Keinen von den Gefiederten! Ich will einen Planeten von Lakton haben!" Er richtete sich hoch auf. Seine Augen blitzten. Jetzt klärte sich der Verstand Ole Meiferts. Er brüllte zu Enschko hinauf: „Hörst du. Laktone? Ich will einen Planeten! Sofort — oder ich schlage dir die ganze Bude kurz und klein!" Sir K. Enschko wandte sich um. Er gab einem Mann, der bei ihm saß, einen Wink. Ole Meifert roch das süßliche Gas sofort. Er wollte zur Tür rennen, um sie aufzusprengen. Er schaffte es nicht mehr. Seine Knie knickten ein. Langsam brach er zusammen. Ohnmächtiger Zorn erfüllte ihn. Im Fallen sah er in die haßerfüllten Augen Kuttners. Plötzlich wußte er, was er zu tun hatte! Er ballte die Fäuste. Dann wurde es Nacht um ihn. *
„Und es geht ihm wirklich gut?" fragte Kim Corda zweifelnd. Er sah Professor Will Rimson an. Das HologrammRaumbild wirkte absolut raumecht. Wer nicht wußte, daß Kim Corda vor einem Holografen saß, konnte annehmen, der Wissenschaftler Will Rimson stehe auf der anderen Seite der Wand und sehe durch ein kleines Fenster zu dem Jungen herein. Professor Rimson beruhigte den Jungen jetzt. „Es geht Ritchie wirklich gut, Kim", bestätigte er ihm. „Er hat sich weitgehend erholt. Er ist jetzt eigentlich ein ganz normaler Schimpanse — allerdings mit erstaunlich hohem Intelligenzquotienten. Er versteht jedes Wort. Du mußt ihn bald mal besuchen!" Kim Corda lächelte wehmütig. Er wußte, daß es nie eine ungezwungene Freundschaft zwischen ihm und Ritchie geben würde. Der Schimpanse würde ständig unter Aufsicht stehen. Kim verabschiedete sich von Rimson und schaltete ab. Kim nahm die Beine in die Hand und rannte zur Küste hinüber. Wenige Minuten später sprang er kopfüber in die kühlen Wellen des Golfs von Mexiko. Er stieß immer wieder helle Schreie aus, bis endlich ein silberner großer Körper schäumend aus dem Wasser schoß und einen schrillen Pfiff ausstieß. Wabash, der weiße Delphin, flog knarrend und zwitschernd heran. Kim griff nach der weichen Rückenfinne und hängte sich an den Delphin. Kim fühlte sich seltsam verbunden mit Wabash. Er verspürte einen leichten Druck im Kopf, dann verklangen die schmerzenden Impulse, die von der Nadel ausgingen. Und dann mußte Kim an tausend verschiedene Dinge denken. Es war wie im Traum. Kim durchflog in Gedanken alles, was er in der Schule je gelernt hatte. Er wußte nicht, weshalb er es
gerade jetzt tat. Bis ihm auffiel, daß er und der Delphin fast reglos im flachen Wasser dicht unter der Küste lagen. Er erschrak und sprang auf. Das Wasser reichte ihm gerade bis an die Brust. Wabash hob seinen Kopf über Wasser und sah ihn mit klugen wissenden Augen an. Kim beruhigte sich sehr schnell. „Deshalb mußte ich an all diese Dinge denken, Wabash!" sagte er nachdenklich. „Es war nur, weil du so vieles wissen möchtest von unserer Welt!" Ein bestätigender freundlicher Impuls kam von dem Delphin, der sanft durch das Wasser glitt. Kim bemühte sich, und plötzlich war alles ganz leicht. Es war, als wäre eine Schranke zusammengefallen, die ihn bis jetzt von der Gedankenwelt Wabashs getrennt hatte. Kim schwamm langsam an den Strand. Er streckte sich in dem heißen Sand aus und ließ sich durchwärmen, während Wabash immer in seiner Nähe blieb. Die Verbindung riß nicht mehr ab. Der telepathische Kontakt wurde tiefer und intensiver. Immer leichter verstand Kim Corda, was der Delphin ihm mitteilen wollte. Wabash hatte nur einen Wunsch — er wollte den Kontakt mit den Menschen nicht abreißen lassen. Er hatte begriffen, wofür Rex Corda und seine Freunde kämpften und wie unendlich groß die Schwierigkeiten waren, vor denen sie standen. Er teilte Kim Corda mit, daß er an der Seite der Terraner kämpfen wollte, wenn er konnte. Kim erfaßte einen Gedanken, den er später so formulierte: „Und wenn es sein muß, dann will ich an Bord eines Raumschiffes mit hinaus zu den Sternen fliegen!" * Im Regierungsviertel Den Haags
herrschte hektisches Treiben. Hier wuchs eine gewaltige Organisation, die die Menschen der ganzen Erde regieren sollte. Auch die höchsten Persönlichkeiten der terranischen Regierung waren vorläufig noch in provisorischen Arbeitsräumen untergebracht. Nur für den Präsidenten der Erde und seinen Stab stand bereits ein neuerbauter Gebäudekomplex, der ausreichend Raum bot. In einem der großen Konferenzsäle hatten sich die wichtigsten Männer der Regierung versammelt. Die Konferenz stand unter dem Vorsitz von Professor Will Rimson, der einen klaren und offenen Bericht der Ereignisse gegeben hatte. Als Berater nahmen an der Konferenz der „Veränderte" Ralf Griffith, der Chef der Vereinigten terranischen Nachrichtendienste, Boyd Clifton, und die Laktonen Percip und Bekoval teil. Ga-Venga, der sprachenbegabte Kynother, durfte zu seinem Leidwesen nicht im Raum sein, da er keine terranische Staatsbürgerschaft hatte. „Es kann uns nicht gleichgültig sein, wie die in der Station operierten Männer sich verhalten werden", versetzte Professor Rimson. „Ich bin fest davon überzeugt, daß sie sich alle in der laktonischen Botschaft befinden. Es kann jedoch passieren, daß die Veränderten ausbrechen und uns ins totale Chaos stürzen. Wir müssen uns mit Enschko auseinandersetzen — auch wenn er nicht will." Jetzt fand sich keine Gegenstimme mehr. Will Rimson hatte alle überzeugen können. „Ich möchte Mr. Griffith bitten, zu Enschko zu gehen und ein Gespräch mit ihm zu suchen. Er ist der einzige, der im Katastrophenfall gegen die Veränderten bestehen kann." Will Rimson lächelte unmerklich. „Außerdem dürfte es einen vielleicht heilsamen Schock für Enschko bedeu-
ten, wenn er Ralf Griffith sieht", fuhr er fort. „Meine Herren, die Laktonen haben versucht, ihn mit einem Gift zu töten. Mr. Griffith lag allerdings zehn Stunden wie tot in meinem Labor, dann hatte sein Körper das Gift verarbeitet. Er stand auf, als wenn nichts gewesen wäre." Boyd Clifton, der UNITER-Chef, stand auf. „Ich möchte Ralf Griffith begleiten." * Der Gleiter landete vor dem Gebäude der laktonischen Beobachtungsstation. Die beiden Männer stiegen aus und gingen auf den Eingang zu. Die beiden Roboter richteten ihre Waffen auf sie. Boyd Clifton schnippte leicht mit den Fingern. Ralf Griffith lächelte harmlos. „Macht Platz und meldet uns Sir Enschko", sagte er. „Sir Enschko ist für niemanden zu sprechen!" schnarrte eine metallene Robotstimme über dem Torbogen des Eingangs. Ralf Griffith sah nach oben, konnte das Aufnahme- und Lautsprechersystem jedoch nicht entdecken. Blitzschnell trat er vor. Seine herumfahrende Rechte setzte die beiden Roboter außer Gefecht. Die stahlharte Handkante schmetterte in die Seiten der Kampfmaschinen und erschütterte sie so schwer, daß die Elektronik im Inneren ausfiel. „Jetzt Tempo!" raunte Boyd Clifton. „Es dauert höchstens eine Minute, dann sind die Roboter wieder aktionsfähig!" Im Inneren des Gebäudes schrillte eine Sirene auf. Ralf Griffith drückte die Außentür auf. Sie traten in den mit verschwenderischem Luxus eingerichteten Hauptkorridor der Botschaft. Unmittelbar vor ihnen kamen Sir K. Enschko und sein Chefagent Sival
Valon durch eine Tür. Beide blieben überrascht stehen. Sival Valon griff gedankenschnell nach seiner Waffe, aber Ralf Griffith war ebenso schnell bei ihm und hielt ihm die Hand fest. „Das wollen wir doch bitte nicht tun, mein Freund", lächelte der Veränderte. „Sie wissen, daß das völlig überflüssig ist. Sie können mich nicht töten, weder mit ihrer Strahlwaffe noch mit — Gift!" Sival Valon stöhnte. Er wich schrekkensbleich zurück. „Ist das der Mann, den Sie vergiften mußten, Valon?" peitschte die schneidende Stimme Sir Enschkos durch die Stille. Sival Valon bestätigte die Frage mit einem leichten Nicken. „Er hätte tot sein müssen, Sir!" antwortete er heiser. Enschko ging furchtlos auf Ralf Griffith zu. Ganz dicht vor ihm blieb er stehen. „Was wollen Sie von uns?" „Im Grunde wollen wir Ihnen nur helfen", sagte Ralf mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen. „Ich weiß, daß Sie in Schwierigkeiten sind. Ich weiß, daß meine Freunde geistig zusammengebrochen sind. Sie dürfen Sie nicht länger verbergen. Sie wissen ja nicht, was Sie anrichten können, wenn Sie versuchen, diese Männer festzuhalten. Das Becon hat sie verändert. Sie können nicht mehr mit normalen Maßstäben gemessen werden!" „Becon?" Sir Enschko tat überrascht. „Ich verstehe nicht!" Irgendwo polterte es dumpf. Der Boden zitterte unter den Füßen der Männer. Die Farbe wich aus dem Gesicht des Laktonen. Ralf Griffith sagte nichts. Er sah Enschko nur schweigend an. Wieder gab es eine heftige Erschütterung. Dann gellte eine wilde Stimme durch das Haus.
* Ole Meifert tauchte aus der grundlosen Tiefe der Bewußtlosigkeit auf. Er verspürte den widerlichen süßlichen Geruch in seiner Nase, und er wußte, daß das Gas noch immer in den Raum strömte. Sein Geist war überraschend klar. Er erkannte seine Macht in vollem Umfang. Er erfaßte sofort, daß sein Körper die Anfälligkeit gegen das Gift voll überwunden hatte. Auch die letzte Benommenheit wich rasch. Langsam erhob er sich. Er sah sich um. Die anderen Veränderten lagen ruhig auf dem Boden. Kuttner sah ihn mit offenen Augen an. Der Amerikaner lächelte sardonisch. „Auch schon klar, Ole?" fragte er leise. Mit einer gedankenschnellen Bewegung sprang er auf die Beine. Seine Augen waren ebenso klar wie die Ole Meiferts. Sein Geist schien sich ebenfalls geklärt zu haben. „Wohin jetzt, Kuttner?" fragte Ole Meifert. „Auf jeden Fall 'raus hier!" knirschte der Amerikaner. „Dann werden wir sehen!" Er ging zur Tür und legte seine Hand dagegen. Sie widerstand ihm. Er hob den Fuß und trat gegen die Tür. Auch das half noch nichts. Er errötete vor Ärger und warf sich mit der Schulter dagegen. Mit donnerndem Krach platzte das schwere Schott aus den Angeln. Kuttner flog, vom eigenen Schwung getragen, in den Nebenraum. „Und ich dachte schon, ich wäre schwach geworden!" grunzte er. Ole Meifert lachte schallend. Er sah sich in dem Raum um. Hier standen die schweren Pumpen, die das Gift in das Gefängnis preßten. Meifert trat an die Schalttafel heran und legte mit erstaunlicher Behutsamkeit die Hebel der Steu-
eranlage um. Der Giftstrom erlosch. „Kommt jetzt!" rief Kuttner. Er trat an die nächste Tür heran und sprengte sie ebenfalls mit den Schultern aus den Angeln. Auch dieses Panzerplastschott konnte dem Veränderten nicht widerstehen. „Sieh da! Eine ganz primitive Treppe!" sagte er verächtlich. Er stampfte die Treppe hoch. Mildes Licht überschwemmte sie und zeigte ihnen den Weg. Er stieß die Tür am Ende der Treppe auf und trat selbstsicher auf den breiten Korridor hinaus. Dann blieb er stehen. Aus verengten Augen sah er auf Ralf Griffith, der direkt vor ihm auf einem Sessel saß. „Hallo, Kuttner", lächelte Griffith. „Verschwinde!" zischte Kuttner. Der Korridor erzitterte unter den stampfenden Schritten der Kampfroboter. Ralf Griffith sprang erschrocken auf. „Enschko! Schicken Sie die Roboter weg!" brüllte er. Ein fürchterlicher Fausthieb Kuttners schmetterte ihn nieder. Ralf Griffith wurde völlig überrascht. Während er fiel, schmetterte ihm der Veränderte die Handkante ins Genick. Grölend sprang Ole Meifert aus der Tür. Er hetzte den Korridor entlang. „Hier geht's 'raus!" schrie er. Ralf Griffith kam hoch. Er konnte Kuttner nicht mehr aufhalten, der Ole Meifert folgte. Aber er konnte den anderen in den Weg treten. Doch gegen acht Gegner dieser Art war selbst ein Mann wie Ralf Griffith machtlos. Sie waren gleichwertig! Sie schleuderten ihn aus dem Weg und rannten hinter Kuttner und Ole Meifert her. Niemand beachtete Sir Enschko und Sival Valon. Sie verließen das Gebäude und sprangen in die Gleiter, die vor der Botschaft parkten. Bevor die Kampfroboter einschreiten konnten, stiegen die Gleiter
auf und verschwanden in Richtung Süden. Ralf Griffith konnte ihnen als erster folgen. Enschko und Sival Valon standen noch immer wie betäubt auf dem Korridor. Sie dachten nur an die Veränderten, die noch im Keller der Botschaft lagen. Boyd Clifton und Ralf Griffith aber glaubten, daß alle Veränderten geflohen waren. Sie konnten nicht wissen, wie groß die Zahl der übermächtigen Gegner war. * Zur gleichen Zeit traf ein Funkimpuls auf der Erde ein, der alle Menschen auf der Erde wie gelähmt verharren ließ. Der Impuls löste einen weltweiten Alarm aus. In allen Städten der Erde schrien die Sirenen auf. Die Menschen eilten auf die Straßen. Schreckensbleich starrten sie in den Himmel hinauf. Es gab nichts, wovor die Menschen der Erde sich mehr fürchteten als vor diesem Alarm! Denn das Heulen der Sirenen kündigte feindliche Raumschiffe im Terra-System an! „Sir Enschko! Was ist geschehen?" rief Clifton. Enschko drehte sich halb nach ihm um. Clifton erschrak, als er das Gesicht des Botschafters sah. Sein Blick fiel auf den großen Holografen. Das Raumbild zeigte einen Teil des terranischen Mondes. Eine riesige Flotte von hantelförmigen Raumschiffen raste an dem bleichen Trabanten der Erde vorbei. „Orathonen!" rief Ralf Griffith. „Ich schätze, es sind mindestens tausend Hantelraumer", murmelte Valon, der Chefagent. „Es sind Schiffe der Arca-Klasse!" „Und was bedeutet das?" fragte „Professor" Boyd Clifton. „Hantelraumer der Arca-Klasse sind
Schlachtschiffe größten Energiepotentials. Ihre Schlagkraft wird von unseren Raumkreuzern nicht erreicht." „Warum greift Ihre Flotte nicht an?" fragte Clifton scharf. „Wollen Sie uns den Orathonen überlassen?" Sival Valon lachte spöttisch. „Mein lieber Freund! Wir haben noch ganze fünfzig Raumschiffe in Ihrem System! Glauben Sie wirklich, wir könnten gegen diese Streitmacht der Orathonen etwas ausrichten?" Er wendete sich zu Sir Enschko. „Ich fürchte, wir werden abermals verreisen müssen, Sir!" Sir K. Enschko hob die Hand und zeigte auf einen Hantelraumer. „Sehen Sie diesen Zwerg hier, den Alakim-Raumer!" sagte er. Ralf Griffith erkannte einen kleinen Hantelraumer mitten in der angreifenden Flotte der Orathonen. Der Raumer hatte ein feuerrotes Verbindungsstück zwischen den beiden Kugeln. ,,Der Raumer hat ein rotes Verbindungsstück!" sagte er. „Und das bedeutet, daß es ein Raumschiff eines Agelons ist!" erklärte Sival Valon. „An Bord dieses Schiffes befindet sich eine der wichtigsten Persönlichkeiten des orathonischen Reiches! Jetzt frage ich mich, was an diesem verfluchten Planeten so wichtig ist, daß hier ein Agelon selbst auftaucht!" * Kuttner landete den Gleiter direkt am Rande des noch kleinen Raumflughafens. Mehrere kleine Raumschiffe standen auf der grauen Betonpiste. Zahlreiche Soldaten der winzigen terranischen Raumflotte rannten über den Platz zu den Schiffen. „'raus jetzt! Wir nehmen das kleine laktonische Kampfboot mit der roten Nase!" brüllte Kuttner. Die Veränderten brachten das Schiff
innerhalb weniger Augenblicke an sich. Kuttner betrat die Kommandozentrale. Vor dem Pilotensessel stand ein Laktone. Sein Gesicht war von wächserner Bleiche. „Was hat das zu bedeuten?" fragte er. Kuttner lachte schrill. „Starten Sie! Schnell! Bevor es wirkliche Schwierigkeiten gibt!" befahl Kuttner. „Schwierigkeiten?" schrie ein terranischer Offizier. „Wissen Sie überhaupt, was Sie tun? Orathonische Kampfschiffe greifen die Erde an! Wissen Sie, was das bedeutet? Kein terranisches Schiff darf starten, wenn wir nicht die ganze Erde vernichten wollen. Es liegen genaue Befehle der terranischen Regierung vor!" Kuttner lächelte nachdenklich. Er rieb sich das Kinn. In seinen Augen flackerte es unheimlich auf. „Orathonen, wie? Das ist ausgezeichnet! Dann haben wir eine echte Chance! Starten Sie jetzt!" sagte er. * Sigam Agelon lehnte über dem großen Bordholografen. Aus dem All beobachtete er die Aktion seiner Flotte. Sigam Agelon, der der Familie entstammte, die Herr über das orathonische Reich war, starrte aus engen Augen auf das Land hinab, das ihm die schwerste Niederlage seiner Laufbahn gebracht hatte. „Die Laktonen halten Distanz!" meldete die Ortungsstation. „Ein laktonisches Kampfschiff startet im Abschnitt 33 b!" „Fluchtrichtung?" fragte Sigam Agelon. „Innere Planeten!" „Also kein Angriff, sondern Flucht?" fragte der grünhäutige Orathone. Ein verächtliches Lächeln ging über sein breites Gesicht. „Die Ratten fliehen!"
* Kim Corda hetzte keuchend vom Strand zu der kleinen Station zurück, in der die „Nadel" bewacht wurde. Er hatte Wabash gerade die Nachricht überbracht, daß er eine Sonderkabine an Bord des Flaggschiffes, der WALTER BECKETT, erhalten würde. Jetzt tauchten überall orathonische Raumschiffe auf. Diskusraumer kamen über den Atlantik heran. Kim wollte jetzt nicht allein bleiben. Er wollte zu den UNITER-Agenten zurück, die ihm helfen konnten. Erschöpft erreichte er das kleine Fort. Die Nadel schrie! Kim fühlte die grausamen Hiebe der Impulse in seinem Kopf. Er preßte die Hände gegen die Schläfen, konnte den Schmerz jedoch nicht lindern. Die Nadel glühte auf. Die Glut ließ sie leuchtend rot erstrahlen. Und dann hob sie sich plötzlich aus der aufplatzenden Erde. Flüssige Glutmassen spritzten über den Platz und entzündeten die Wachtürme. Die Nadel aber schwebte wie von Geisterhand getragen auf eines der orathonischen Diskusraumschiffe zu und verschwand in der Schleuse. Kim hörte, wie sich die Schotten krachend schlossen. Dann war Stille. Die Raumschiffe stiegen wie schwerelos auf. Der Lärm versiegte. Schneller und schneller flogen die OrathonenRaumer. Sie rasten in das helle Blau des Himmels hinauf und verschwanden. * Die Männer standen auf dem weißen Strand an der Küste Floridas und sahen auf das glitzernde Wasser hinaus. Ein schlanker weißer Delphin schnellte sich aus den Wellen und kam bis dicht an den Strand heran. Im Wasser stand Kim Corda. Er
klatschte mit der flachen Hand immer wieder aufs Wasser, um Wabash auf sich aufmerksam zu machen. Unter den Männern auf dem Strand waren Will Rimson, Ralf Griffith und Boyd Clifton. „Ich bin froh, daß Kim sich mit ihm verständigen kann", sagte Boyd Clifton. „Sonst wären wir hilflos!" Kirn kam an den Strand zurück. „Und ich darf wirklich mit auf die WALTER BECKETT?" fragte er. „Sie werden ein Bassin für Wabash bauen, damit er mitfliegen kann?" „Natürlich", nickte Boyd Clifton. „Du mußt mit, weil wir Wabash sonst nicht verstehen können." Kim Corda grinste vergnügt. Seine Augen strahlten. Dann wurde er ernst. „Ich soll noch sagen, daß Wabash froh darüber ist, daß die Featherheads die Nadel abgeholt haben", sagte er. „Er meint, die Sendungen der Nadel seien kaum zu ertragen gewesen." „Die Nadel hat gewarnt", sagte Will Rimson. „Wovor? War es wegen der Experimente mit Becon?" Die Augen Kims verschleierten sich, als er telepathischen Kontakt mit dem Delphin suchte. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis sie sich wieder klärten. „Ich verstehe das nicht genau, was Wabash will", sagte Kim. „Er sagt, die Nadel habe eine Nachricht von den Zeitlosen gesendet. Die Zeitlosen fürchten sich vor den Experimenten, weil das galaktische Gleichgewicht zerstört wird!" Professor Rimson runzelte die Stirn. „Die Zeitlosen?" Percip, der Laktone, trat bescheiden neben den Professor. „Sir", sagte er leise. „Erlauben Sie?" „Bitte!" „Sir, die Zeitlosen sind eine Macht in der Galaxis, deren Existenz bisher noch nie nachgewiesen wurde. Es kann sein, daß Rex Corda ihnen auf der Raumfe-
stung SCHALMIRANE begegnete, auf die wir stießen, als wir gegen die Orathonen kämpften. Aber bewiesen ist das nicht." „Wer sind die Zeitlosen?" „Die Zeitlosen sind die großen Rächer der Galaxis. Es heißt, daß sie die Großen Gesetze gemacht haben. Die Zeitlosen ahnden alle Verstöße gegen diese Gesetze!" „Und was sind das für Gesetze?" fragte Rimson.
„Es gibt viele Gesetze, Professor. Eines dieser Gesetze verbietet es, innerhalb eines Sonnensystems in den Hyperraum zu gehen!" Will Rimson fuhr zusammen. Seine Augen blitzten verstehend auf. „Dann hat Sigam Agelon gegen diese Gesetze verstoßen, als er innerhalb unseres Systems in den Hyperraum ging!" sagte er. Percip nickte.
ENDE