Fanal des Blutes von Doreen deVert
… und der Himmel wird in flüssiges Feuer getaucht sein, und der Menschen Blut wird ...
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Fanal des Blutes von Doreen deVert
… und der Himmel wird in flüssiges Feuer getaucht sein, und der Menschen Blut wird sich über die sündige Erde ergießen. Wer aber solchen Regen berührt oder davon berührt wird, der ist verderbt und verdammt noch vor dem Ende, noch bevor die Alte Welt im Chaos versinkt. Blutrot ist das Zeichen, das des Menschen Dämon aus der Taufe hebt. Gewaltige Ströme werden vom Himmel regnen, und dies wird das fünfte Zeichen sein von sieben, ehe sich die Weissagung in all ihrem Schrecken erfüllt und der Mensch sein Haupt beugen muß vor den neuen Herrschern … Fragment der dritten Weissagung
Was bisher geschah … Wie aus dem Nichts erscheint am 28. September 2000 ein mysteriöses Haus an der Paddington Street in Sydney. Der Polizeipathologe Darren Secada findet darin die Halbvampirin Lilith Eden, die zwei Jahre lang dort schlief, nach ihrem großen Kampf gegen die Mächte der Finsternis in Jerusalem. Secada bringt sie in seine Wohnung, verfolgt von Seven van Kees, einer Reporterin des Sydney Morning Herald. Diese wird Zeuge, wie zwei unheimliche Gestalten in die Wohnung eindringen – und von Lilith, die sich in eine Fledermaus verwandelt, zur Strecke gebracht werden. Es sind Vampire! Doch dies ist eigentlich unmöglich. Lilith weiß, daß Gott selbst die Alte Rasse vom Antlitz der Erde getilgt hat. Darren stellt fest, daß diese Wesen seit Jahren tot sind; sie verschwanden damals aus ihren Gräbern. Und nun setzt sich der aufgehaltenen Verwesungsprozeß fort. Was ist geschehen in den zwei Jahren, die Lilith schlief? Lilith und Darren ziehen in das Haus in der Paddington Street. Doch Lilith bleibt keine Zeit, Atem zu holen. Sie entdeckt über dem Sydneyer Zoo einen magischen Wirbel, und als sie das Phänomen untersuchen will, wird sie von aus Tierteilen zusammengesetzten Chimären angegriffen. Zwar bleibt sie Sieger, doch wer die Untat begangen hat, ist ungewiß. Für Seven van Kees ist das Leben mittlerweile zur Hölle geworden. Sie hat sich Hals über Kopf in einen Fremden verliebt – um, nachdem sie mit ihm geschlafen hat, festzustellen, daß er längst tot war und nun seinen zweiten, diesmal endgültigen Tod findet! Sie vertraut sich Darren Secada an. Gleichzeitig merkt sie, wie sich irgend etwas in ihr verändert. Und erfährt schließlich … daß sie schwanger ist! Lilith wird unterdessen die Einladung eines Sydneyer Multimillionärs überbracht. Max Beaderstadt steht hinter der Gruppe, die für
die Chimären im Zoo verantwortlich zeichnet – und er möchte Lilith für seine Ziele gewinnen. Als sie sich weigert, will er sie töten. Das aber verhindert der Angriff eines Konkurrenten; bei dem Kampf kann Lilith entkommen. Zuvor aber erweckt Beaderstadt steinerne Gargoyles zum Leben und hetzt sie auf die Angreifer. Was ist das Geheimnis um diesen Mann …? Das erfährt vorerst nur der Leser: die Geschichte der »dritten Weissagung« nämlich, die eine Vampirin namens Irina 1978 aus dem Vatikan raubte. Es handelt sich um das unter Verschluß gehaltene dritte Geheimnis von Fatima, das für den Jahrtausendwechsel Schreckliches prophezeit. Die Erfüllung hängt von sieben Zeichen ab, die über die Menschheit kommen sollen. Das erste war die Zerstörung Jerusalems; das Auftauchen der Chimären war bereits das vierte. Irina dient der Weissagung, die sich in einem Pergament manifestiert hat und jeden übernimmt, der das Blatt oder einen Teil davon berührt – so auch Max Beaderstadt. Durch diese Übernahme verändert, ist Irina die Vernichtung ihrer Rasse entgangen. Als sie nun von einer weiteren überlebenden Vampirin erfährt, ist klar, daß sie ihrer habhaft werden muß …
Blutrot versank die Sonne zwischen Liliths Brüsten. Zumindest sah es für Darren Secada, der unter der Halbvampirin lag, so aus. Wohlig erschöpft von ihrem ausgedehnten Liebesspiel, für das sie sich eine versteckte Mulde abseits des belebten Teils des Sydneyer Strandes gesucht hatten, hatte sich Lilith lang auf ihm ausgestreckt. Ihr Kopf, weit in den Nacken gelegt, ruhte neben seinem im Sand, Strähnen ihres nachtschwarzen Haares breiteten sich über sein Gesicht. Das Gewicht der Frau nahm er kaum wahr, wohl aber den angenehmen Druck ihrer festen Pobacken auf seinem flachen Bauch. Fasziniert betrachtete Darren die von hellem Gelb über dunkles Gold zu leuchtendem Rot verlaufenden Farben des abendlichen Himmels, vor dem sich dunkel die Rundungen von Liliths Brüsten abhoben, zwei perfekt geschwungenen Zwillingshügeln gleich, genau zwischen ihnen der glühende Sonnenball. Unwillkürlich hob er seine Hände ein wenig, strich mit den Fingerspitzen langsam über die noch schweißnasse Haut ihrer Oberschenkel, machte einen Bogen, bis sich die Finger an ihrem Nabel trafen, und ließ sie dann noch langsamer als zuvor wieder nach unten wandern. Er grinste, als sich ein leises, dunkles Schnurren ihrer Kehle entrang und die Brustwarzen sich aufrichteten. Ein wenig nur bog Lilith den Rücken durch – und die rote Sonne verschwand gänzlich hinter den sich hebenden Brüsten. Dann plötzlich bedeckte eine Flut schwarzen Haars Darrens Gesicht und versperrte ihm die Aussicht. Doch er kam nicht eine Sekunde dazu, Bedauern zu verspüren. Mit einer geschmeidigen Bewegung hatte Lilith sich umgedreht. Waren damit auch die festen Rundungen seinem Blick entzogen, so empfand er ihre Berührung auf seiner Brust dafür um so reizvoller. Unwillkürlich stöhnte er auf, doch Lilith erstickte den Laut mit ihren Lippen und ihrer Zunge, die ihn in Sekundenschnelle zum
Wahnsinn treiben wollte. Seine Hände krallten sich in ihre Pobacken, sein Unterleib bäumte sich ihr entgegen. Sie löste ihren Mund von seinem. Mit einem rauhen Lachen rutschte sie bereitwillig in die richtige Position, und während die Sonne malerisch im Pazifik versank, explodierte in seinem Innern die Leidenschaft in einem Farbspektakel, welches das Naturschauspiel am Horizont noch übertraf. Als sie beide wieder zu sich kamen, ihr stoßweises Atmen nach und nach in gemäßigteren Rhythmus übergegangen war, hatte sich der Himmel zu einem samtigen Blauschwarz verdunkelt. Hier und da blitzten erste Sterne auf. Vom offenen Meer wehte eine frische Brise herüber, die ihre erhitzten Leiber angenehm abkühlte. »Ah!« Lilith räkelte sich an seiner Seite. Er wußte, wie gut ihr das Dämmerlicht tat. Denn der gleißende Sonnenschein, dem sie den Tag über ausgesetzt war, war ihrem Naturell nicht gerade zuträglich. Eine Halbvampirin, fuhr es durch Darrens Kopf. Halb Mensch, halb Bestie. Faszinierend … Ebenso einzigartig wie das schwarze Geflecht, das bislang wie ein breiter Gürtel um ihre Taille gelegen hatte, sich in diesem Augenblick aber regte und fürsorglich als federleichte Decke über beide Körper ausbreitete. Der Symbiont. Ein »lebendes Kleid«, das auf Liliths Befehl hin jede erdenkliche Form annehmen konnte. Darren verzog das Gesicht. Der Anblick von Liliths stellenweise mit Sand panierter, alabasterfarbener Haut hatte ihm besser gefallen als der des schwarzen Tuches, das ihre aufregenden Körperformen nur erahnen ließ. Vorsichtig versuchte er seine Hand unter den Stoff zu schieben, darauf gefaßt, daß Liliths merkwürdiger Begleiter ihm den begehrten Zugang unter Umständen schmerzhaft verwehren würde. Doch nichts dergleichen geschah. Bereitwillig ließ sich das Tuch an einer Stelle anheben. Erfreut legte Darren seine Hand auf Liliths flachen
Bauch. Sein kleiner Finger berührte ihre seidigen Schamhaare. Wie von selbst begann er verspielt in ihnen zu kraulen. Lilith seufzte behaglich auf. Doch dann mischte sich ein anderer Ton in ihr Seufzen: ein enervierendes Schrillen, das erst ganz sacht vom Wind über das Meer herangeweht wurde, bald aber wie ein Dröhnen über dem Strand lag und die Sonne zu verfinstern schien. Darren blinzelte – und das Licht erlosch, von einem Moment zum anderen. Plötzlich war es stockdunkel. Er brauchte Sekunden, um sich von dem Schrecken zu erholen und in die Wirklichkeit zu finden. Er lag in seinem Bett. In dem Haus an der Paddington Street. Und das Liebesspiel am Strand … war nichts weiter gewesen als ein erotischer Traum. Darren fühlte Enttäuschung in sich aufsteigen, zusammen mit der Wut über den Anrufer, der ein Zusammensein mit Lilith zerstört hatte, wie es in Wirklichkeit nie (noch nicht!) stattgefunden hatte. Sie kannten sich erst zu kurz, und was Darren über Lilith erfahren und mit eigenen Augen gesehen hatte, war auch nicht dazu angetan, daß er seine Bemühungen forciert hätte. Daß er sich im Grunde seines Herzens trotzdem nach ihr sehnte, bewies ihm nicht erst dieser Traum. Es war eine verrückte Situation, hin- und hergerissen zwischen Verlangen und Abscheu. Darrens Hand tastete nach seinem Mobiltelefon, das auf dem Beistelltisch neben ihm lag, fand es aber nicht gleich. Das grelle Klingeln war derart penetrant, daß er sich einmal mehr verfluchte, sich nicht ein Handy mit einem angenehmeren Signalton angeschafft zu haben. Er hatte weiß Gott keine Lust, aufzustehen und das Gespräch anzunehmen, aber er war nun mal an diesem Wochenende zum Bereitschaftsdienst in der Pathologie eingeteilt. Wie spät war es eigentlich? Er versuchte die Digitalanzeige seiner
Armbanduhr zu erkennen, doch obwohl sich seine Augen mittlerweile halbwegs an das im Zimmer herrschende Dämmerlicht gewöhnt hatten, konnte er die Uhrzeit nicht erkennen. Fluchend schaltete er die Nachttischlampe ein – und kniff die Augen zusammen, als das Licht ihn blendete. Dann schnappte er sich das Handy, drückte die Annahmetaste und sah gleichzeitig ein zweites Mal auf die Uhr. 6:30 Uhr in der Früh. Er zerbiß einen weiteren Fluch zwischen den Zähnen. Das konnte nur Arbeit bedeuten. »Secada«, raunzte er, in der Befürchtung, daß man ihn »so schnell wie irgend möglich« ins Pathologische Institut beordern würde, wo irgendeine blutverschmierte, häßliche Leiche auf ihn wartete. Der Kontrast zu dem Traumbild hätte nicht größer sein können. Doch dann atmete Darren erleichtert auf, als der Anrufer seinen Namen nannte, und seine Laune stieg um ein paar Grade. »Hi, Darren!« quäkte es aus den Lautsprecherschlitzen. »Ich bin’s: Winston Furcher!« »Winston!« rief er in die Sprechmuschel. »Lange nichts von dir gehört. Aber mußt du mich ausgerechnet zu dieser unchristlichen Zeit anrufen?« Sein Gesprächspartner schwieg einen Moment; offenbar sah er jetzt erst auf die Uhr, denn er ließ ein verlegenes »Upps« hören und fügte dann hinzu: »Sorry, alter Knabe. Du weißt ja, wie das ist, wenn man sich den Nachtdienst um die Ohren schlägt. Ich hätte gewettet, es wäre schon nach acht. Hier unten in den Katakomben haben wir ja nicht mal Fenster.« »Schon gut«, wiegelte Darren ab und log: »Ich wollte eh gleich aufstehen. Also, schieß los, was hast du auf dem Herzen? Der pure Bedarf nach einer Plauderstunde unter alten Kollegen wird’s ja wohl nicht sein.« Winston Furcher begann zu erzählen, und jedes seiner Worte alarmierte Darren mehr. Längst hatte er die letzten Überreste des Schla-
fes abgeschüttelt und saß stocksteif auf der Bettkante. Als er das Gespräch schließlich beendete, dachte er nicht mehr an romantische Liebesspiele am Strand. Sorgenfalten hatten sich in seine Stirn gekerbt. Es ging weiter! Und es erstreckte sich über Sydney hinaus! Er mußte mit Lilith sprechen …
* »Völlig blutleer, sagst du?« wiederholte Lilith Darrens Worte. »Vier in den letzten zwei Wochen?« Mit ernster Miene nickte er zu Lilith hinüber, die ihm am Küchentisch gegenübersaß. Küchentisch! Fast hätte Darren bitter aufgelacht angesichts der Karikatur eines Tisches, die er statt dessen vor sich sah, während er selbst auf der Karikatur eines Stuhles Platz genommen hatte. Alles in diesem Haus wirkte für ihn seltsam unecht – als wären es nur die Ideen von Möbeln, die aber noch keine endgültige Form angenommen hatten. Mein Gott, er haßte dieses Haus. Aber es war nun einmal unzweifelhaft der sicherste Ort hier in Sydney. Zumindest, wenn man von Vampiren verfolgt wurde … Lilith Eden trug ein nachtblaues Negligé, dessen fließender, hauchdünner Stoff interessante Durchblicke ermöglichte. Trotzdem war Darren nicht nach Erregung zumute. »Winston ist Pathologe in Maitland«, sagte er. »Ich habe schon mit ihm gearbeitet, und er weiß, daß sonderbare Fälle auf meinem Tisch landen. Als jetzt mehrere völlig blutleere Leichen bei ihm abgeliefert wurden, dachte er gleich an mich.« »Und du denkst, es sind Vampiropfer.« »Hast du eine bessere Erklärung?« In Darrens Magen hatte sich ein dicker Klumpen aus Eiseskälte gebildet, und in seiner Kehle war ein
unangenehmer metallischer Geschmack. »Ich müßte mir die Toten einmal ansehen.« Darren seufzte. »Das dachte ich mir. Wir fahren gegen Mittag, okay?« Lilith sah ihn fragend an. »Warum so spät?« Darren zuckte mit den Schultern. »Ich habe noch etwas zu erledigen, bevor ich die Stadt verlasse. Erst einmal muß ich mich um eine Vertretung für den Bereitschaftsdienst kümmern … und dann will ich noch nach einer Bekannten sehen.« Er wich Liliths Blick aus, als wolle er etwas vor ihr verbergen. »Du willst zu Seven, richtig?« erkundigte sie sich hellsichtig, obgleich es wirklich nicht schwer war, auf diese Spur zu gelangen. Er war ehrlich erstaunt. »Du weißt von ihr?« »Ich bin nicht blind.« Aber es war mehr als das. Obwohl Lilith die maisblonde Journalistin bislang nur kurz gesehen und nicht einmal mit ihr gesprochen hatte, wußte sie mehr über sie, als Darren ahnen konnte. Seven van Kees: ein schmaler, biegsamer Körper. Lockende Bewegungen. Ein unbeschreiblicher Duft. Geschürzte Lippen, die mit rauchiger Stimme rüde Worte wisperten. Ein voller, samtweicher Busen … Es war ein Wissen tief in Lilith. Eine Erinnerung, die nicht die ihre war, sondern von Beth MacKinsey stammte, deren Geist sie in sich aufgenommen hatte, vor einigen Monaten im Korridor der Zeit, und der mit ihrem eigenen Selbst verschmolzen war.* Seven war Beth’ Geliebte gewesen, damals, bevor Lilith bei der Reporterin des Sydney Morning Herald aufgetaucht war und Beth sich in sie verliebt hatte. Aber Lilith spürte – ob nun mit ihrer eigenen oder Beth’ Intuition –, daß es sich bei Darrens Verhältnis zu Seven um keine Liebesbeziehung handelte. Sie hatte sich nicht eingemischt, obwohl sie spürte, daß ein dunkles Geheimnis Seven van Kees umgab. Darren würde *siehe VAMPIRA T39: »Die Reise nach Uruk«
von sich aus reden, wenn er glaubte, daß es an der Zeit wäre. Im Moment aber reagierte er wie jeder andere Mann, der sich ertappt fühlte – auch wenn es gar keinen Grund für diese Reaktion gab. Selbst wenn er mit Seven liiert gewesen wäre – Lilith hatte eine ganz eigene Auslegung, was Treue anging. Sie selbst legte sich da immerhin auch keine Regeln auf. »Ich habe noch etwas mit ihr zu besprechen, unter vier Augen«, raunzte er. »Das ist alles.« »Ja, ja, natürlich!« Lilith hob besänftigend die Hände. »Nichts dagegen einzuwenden. Laß dir ruhig Zeit. Ich werde in aller Ruhe duschen und mir etwas Hübsches zum Anziehen ausdenken« – sie grinste flüchtig – »und stehe um Punkt zwölf Uhr zur Abreise bereit. Ist das okay?« »Sicher.« Seine Stimme klang schon wieder versöhnlich. Als Lilith sich umwandte und die Küche verließ, begann der Symbiont bereits damit, sich zur Gürtelform zurückzuziehen. So erhaschte Darren noch einen überaus sehenswerten Blick auf ihre wohlgeformte Kehrseite, bevor sie um die Ecke verschwand …
* Eine Viertelstunde später hatte er Sevens Loft-Wohnung erreicht. Dreimal mußte er läuten, bevor sie ihm öffnete. »Himmel, warum machst du denn nicht –« Der Rest des Satzes blieb ihm im Halse stecken. Seven sah furchtbar aus. Ihre Augen waren verquollen, das Gesicht aufgedunsen, die schulterlangen Haare hingen ihr strähnig um dem Kopf, und ihr Atem roch derart nach Whisky, daß Darren erst einmal tief Luft holen mußte. »Seven, was hast du getrunken?« Er war drauf und dran, sie kräftig durchzuschütteln. Sie zuckte nur mit den Schultern und wies mit einer fahrigen Ges-
te auf den Tisch, der von überfüllten Aschenbechern, leeren Gläsern und aufgerissenen Keks- und Zigarettenpackungen überquoll, mittendrin eine zu drei Vierteln geleerte Flasche Whisky. »Bist du verrückt geworden? Du holst dir noch eine Alkoholvergiftung!« »Mir doch egal!« Im nächsten Moment schlang sie beide Arme um seinen Hals und begann jämmerlich zu schluchzen, daß es ihm schier das Herz im Leibe zusammenzog. »Ich kann das … das Balg in mir nicht … ausstehen, Darren.« Ihre Stimme klang weinerlich, sie lallte leicht. Ihre Tränen durchnäßten Darrens Hemd. »Kannst du … kannst du dir vorstellen, wie das ist … das Kind eines …« Sie holte tief Luft, verdrängte für Sekunden die Alkoholnebel, die ihren Geist umfangen hielten, und preßte dann hervor: »… das Kind eines Monsters im Bauch zu haben, das schon tot war, als es mit mir geschlafen hat? Kannst du dir das vorstellen? Nein, das kannst du nicht!« Ihre Stimme war immer lauter geworden. Die letzten Worte hatte sie verzweifelt herausgeschrien. Darren schwieg betroffen. Natürlich konnte er sich das nicht vorstellen – und er wollte es auch nicht. Davon zu wissen reichte schon völlig aus, einen eiskalten Schauer über seinen Rücken zu jagen. »Seven, hör auf, dich da hineinzusteigern.« Er strich ihr über den Rücken, als habe er ein weinendes Kind im Arm. »Du mußt deine Nerven und deinen Verstand beieinander halten, um entscheiden zu können, was nun zu tun ist.« Seine eigenen Worte kamen ihm entsetzlich altväterlich vor, aber er hatte auch weiß Gott keine Erfahrung mit hysterischen Schwangeren, die zudem allen Grund zur Hysterie hatten. »Dann … sag mir, was … was ich … tun soll!« Sie bekam die Worte nur noch undeutlich heraus. Der Alkohol tat seine Wirkung. Ihr Kopf sackte gegen Darrens Schulter, die Arme sanken schlaff herunter. Sie wäre zu Boden gefallen, wenn Darren sie nicht festgehalten hätte.
»Seven!« Nun schüttelte er sie doch, aber sie hob nur kurz die Lider. »Seven, du mußt dich zusammennehmen«, redete er auf sie ein. »Du kannst das Kind doch abtreiben lassen. Ich werde mich nach einem Arzt umhören, der das diskret übernimmt, okay? – Hörst du mir überhaupt zu?« Nein, wahrscheinlich nicht. Ihr Blick ging ins Leere, und ihr Oberkörper schwankte, als würde sie jeden Moment umkippen. Darren seufzte. Kurzerhand hob er die schlanke Gestalt auf seine Arme und trug sie ins Schlafzimmer. Unter anderen Umständen hätten ihn die schwarzglänzende Bettwäsche und die verwirrend vielen Spiegel in dem dunklen, nur von zwei kleinen, golden schimmernden Lampen erhellten Raum sicher in eine andere, erfreulichere Stimmung versetzt. Aber jetzt hatte er keinen Sinn dafür. Er bettete Seven auf die Kissen. Dann machte er sich daran, ihr die enge Jeans und das hautenge rote Top auszuziehen. Beides saß unbequem stramm. Als er Seven jetzt nackt bis auf die Unterwäsche vor sich in den schwarzen Laken liegen sah, konnte er nicht widerstehen. Sacht ließ er seine Fingerspitzen über die seidenweiche Haut ihres Bauches gleiten, doch es war eher eine zärtliche als eine leidenschaftliche Berührung, und gleich darauf zog er seine Hand auch schon wieder zurück in dem Bewußtsein, daß er sich etwas stahl, das er sich eigentlich als freiwillige Gabe ersehnte. Schließlich breitete er die leichte Decke über Seven aus. Sie atmete jetzt tief und gleichmäßig. Wahrscheinlich würde sie die Nacht durchschlafen bis zum nächsten Morgen. Die beiden Lampen ließ er brennen, als er ins Wohnzimmer zurückkehrte. Er brachte Aschenbecher und Gläser in die Küche und goß den restlichen Whisky aus der Flasche in die Spüle. Dann riß er ein Blatt aus seinem Notizbuch und kritzelte ein paar Zeilen darauf. Daß er ausgerechnet jetzt die Stadt verließ, da sie ihn offensichtlich
brauchte, gefiel ihm gar nicht. Aber er hatte keine Wahl, wollte er endlich mehr Klarheit in die mysteriösen Leichenfunde bringen. Hoffentlich kommt sie bald wieder soweit zu Verstand, dachte er, als er die Wohnungstür hinter sich zuzog. In diesem Zustand ist sie eine Gefahr für sich selbst! Wie recht er mit dieser Beurteilung hatte, sollte er erst viel später erfahren. Daß die größte Bedrohung für Seven allerdings nicht in ihrer abgrundtiefen Verzweiflung lag, sondern sozusagen »von innen kam«, konnte er nicht ahnen …
* »Wird sie auch nicht umfallen?« Winston Furcher, dessen distinguiertes Äußeres kaum jemanden auf seine grauslige Profession hätte schließen lassen, warf einen skeptischen Blick auf Lilith. Darren konnte seine Zweifel durchaus verstehen. Lilith hatte den Symbionten ein kurzes weißes Hängerkleidchen nachbilden lassen, in dem sie zwar unbestreitbar süß, aber irgendwie auch unangemessen mädchenhaft aussah. »Das wird sie bestimmt nicht!« versicherte Darren dem Kollegen und lachte rauh auf. »Sie ist härter gesotten, als sie wirkt.« Mit einiger Mühe verdrängte er die Erinnerung daran, wie er Lilith unter der Dusche gesehen hatte – als sie Ströme von Blut von ihrem Körper wusch. Der Anblick hatte ihm einen Schock versetzt, von dem er sich nur langsam erholte. Bei allem Liebreiz: Diese Frau war kein Mensch, jedenfalls nicht vollständig. An die Bestie in ihr würde er sich nie gewöhnen können, das wußte er schon jetzt. Auch wenn seine Träume und heimlichen Wünsche ihm eine andere Lilith vorgaukeln mochten. »Also, was ist nun?« Lilith, die ein paar Schritte vorausgegangen war, drehte sich zu den beiden Männern um. »Wir kommen schon, Gnädigste.« Winston deutete beflissen eine
Verbeugung an. »Es ist … nun, etwas gewöhnungsbedürftig, daß eine junge Frau so darauf drängt, Zugang zur Leichenhalle zu erhalten.« Lilith erwiderte nichts darauf. Winston Furcher mit seinen gelackten schwarzen Haaren, dem eleganten grauen Anzug und den übertrieben untadeligen Umgangsformen war nicht ihr Geschmack – im wahrsten Sinne des Wortes. Er war zu glatt, zu höflich … kurzum: zu langweilig. Zu dritt ging es hinab in die Kellertiefen des Pathologischen Instituts. Die Kälte in dem trist gekachelten Arbeitsraum machte Lilith nicht viel aus, doch das Ambiente schlug sogar ihr aufs Gemüt. Erstaunlich, daß man hier nicht nach der ersten Nachtschicht schwermütig wurde. Mit geübten Griffen öffnete Winston Furcher eine der entfernt an Kühlschränke erinnernden Türen an der längeren Raumseite und zog schwungvoll einen Wagen heraus. Lässig entfernte er das gelbliche Tuch, das darüber lag. Mit professioneller Neugier trat Darren näher. Ohne Zögern folgte ihm Lilith. Bei dem Toten handelte es sich um einen alten Mann. Er hatte sicher mehr als siebzig Lebensjahre auf dem Buckel gehabt, bevor er einem alkoholumnebelten Autofahrer zum Opfer gefallen war. Seine Haut war unnatürlich bleich, farbloser noch und durchscheinender als eben »leichenblaß«. Sie spannte sich über die Knochen, wirkte eigenartig pergamenten, so als sei jegliche Flüssigkeit gleichsam aus ihr herausgegerbt worden. »Ein Obdachloser«, erklärte Furcher. Er wies auf das zerknitterte, von weißen Stoppeln bedeckte Gesicht des Alten. Daß Liliths und Darrens Blicke gleichzeitig zur Halsschlagader des Toten wanderten, bemerkte er nicht. Doch die beiden erkannten sofort, daß dort nicht das geringste zu sehen war. Kein Abdruck von Vampirzähnen, weder ein frischer
noch ein verheilter, auch keine Wunden, die einen Biß hätten kaschieren können. Nichts. Der runzlige Hals des Alten bot sich ihnen unverletzt dar. Dennoch mußte ihm jemand das Blut aus dem Leib gesaugt haben. Denn seine wüsten Verletzungen im Bauch- und Beckenbereich waren zwar schwer, und bestimmt hatte er furchtbar geblutet, aber daß jemand bis auf den letzten Tropfen auslief, kam einfach nicht vor. »Hast du Einstiche gefunden?« wollte Darren wissen, während er den ganzen Körper aufmerksam betrachtete. »Natürlich!« Winston zuckte mit den Schultern. »Einstichspuren in beiden Armbeugen. Aber schon Jahre alt. Viele dieser Landstreicher haben als Fixer angefangen, bevor sie abgerutscht sind. Der hier hatte aber vermutlich mehr Alkohol im Blut als irgendwas anderes.« »Hm, bei den verheerenden Verletzungen dürfte es kein Problem gewesen sein, ihm Blut abzuzapfen, ohne auffällige Spuren zu hinterlassen.« Darren wies auf den offenen Bruch an der Hüfte. »Sofern man über die nötigen anatomischen Kenntnisse und entsprechende Vorrichtungen verfügt.« Winston Furcher schüttelte befremdet den Kopf. »Du meinst wirklich, jemand hätte sich an ihm zu schaffen gemacht, um an sein Blut zu kommen?« Seine Miene ließ keinen Zweifel, welche Gefühle ihm diese Vorstellung bereitete. »Und wozu? Um es zu verkaufen?« Er schüttelte den Kopf. »Kein Krankenhaus würde dafür auch nur einen Dollar herausrücken.« »Und was, wenn es gar nicht für medizinische Zwecke gebraucht würde?« schaltete sich Lilith in das Gespräch ein. Der Pathologe wollte schon leichthin abwinken, doch dann stoppte er die begonnene Bewegung. »Meinen Sie etwa, in Maitland gäbe es Leute, die für irgendwelche abstrusen Rituale Blut sammeln?« Er lachte auf, aber es klang nicht besonders vergnügt. »Himmel, diese Kleinstadt ist das Ödeste und Bürgerlichste, das man sich denken kann. Ich glaube wirklich nicht,
daß sich hier etwas derart Geschmackloses zutragen könnte.« »Geschmacklos?« Darren hätte über diese Formulierung wahrscheinlich amüsiert aufgelacht, hätte er nicht geahnt, daß hier ganz andere Mächte am Werk waren als ein paar ungefährliche Spinner, die sich Blut für ihre verrückten Spielereien besorgten. »Was ist mit den anderen blutleeren Leichen, von denen du gesprochen hast?« fragte er stattdessen. »Können wir sie sehen?« Furcher schüttelte den Kopf. »Leider nein, ich mußte sie inzwischen für die Beerdigung freigeben.« »Was waren die Opfer von Beruf?« erkundigte sich Lilith. »Moment mal …« Furcher griff nach einem Klemmbrett und blätterte mehrere Seiten zurück. »Ah, hier: Der erste war einer der Wanderarbeiter, die jedes Jahr durch Maitland ziehen. Er ist in eine Sägewerksmaschine geraten und war gräßlich zugerichtet. Nummer zwei war eine Prostituierte, die von ihrem Zuhälter zusammengeschlagen worden war. Das dritte Opfer war ein Tramper auf der Durchreise. Die Polizei hat ihn bislang nicht identifizieren können, weil sein Kopf fehlte. Und schließlich der Obdachlose hier.« »Also alles Menschen, nach denen wahrscheinlich kein Hahn kräht«, murmelte Darren. »Hast du das in deinen Berichten erwähnt?« »Selbstverständlich! Aber wer liest die schon, wenn man die Akten möglichst bald schließen will? Du weißt doch, daß man unsereins gleich für profilneurotische Spinner hält, wenn wir mal auf etwas Außergewöhnliches hinweisen, das den Damen und Herren Ermittler nicht in den Aktenkram paßt.« »Stimmt.« Darren kannte diese Erfahrung zur Genüge. Einen Moment lang dachte er nach. »Wie kamen die Toten her?« erkundigte er sich dann. »Dieser hier und der Tramper waren bereits tot, als man sie fand. Der Arbeiter kam mit dem Notarztwagen, aber da war auch nichts mehr zu machen.«
»Und die Frau?« wollte Lilith wissen. »Hm, ich glaube, die wurde aus irgendeinem Krankenhaus hergebracht. Man hat wohl noch versucht, sie zu operieren, aber es war schon zu spät.« »Welches Krankenhaus war das?« Wieder blätterte Winston Furcher in seinen Papieren. »Die Archibald Green-Klinik«, gab er dann Auskunft. »Eine kleine, aber sehr renommierte Privatklinik. Der Leiter, Professor Conen, ist eine Koryphäe auf dem Gebiet der Nierentransplantation.« »Na bitte, immerhin ein Hauch von einer Spur.« Darren Secada nickte seinem Kollegen zu. »Dort werden wir uns mal ein bißchen umsehen.« »Meinst du denn wirklich, den Toten wäre von ausgebildetem medizinischen Personal das Blut abgezapft worden?« Ungläubige Entrüstung spiegelte sich Winstons Miene wider. Wären seine gelackten Haare nicht so unbarmherzig am Schädel festgeklebt gewesen, hätten sie sich vermutlich vor Empörung gesträubt. »Das habe ich nicht gesagt.« Darren klopfte dem Studienfreund beruhigend auf die Schulter. »Aber mich interessiert nun mal jede Fährte, und sei sie noch so weit hergeholt. Kümmere dich nicht weiter darum. Miss Eden und ich werden der Sache nachgehen.« »Gut!« Winston schien erleichtert zu sein. Detektiv zu spielen war seine Leidenschaft nicht. Schon gar nicht, wenn es um Verrückte ging, die Blut stahlen, um wer weiß was damit anzustellen. Da war ihm seine Routinearbeit hier unten in dem gekachelten Raum entschieden lieber. Denn die verursachte ihm längst keine Alpträume mehr …
* »Na, wie geht’s uns denn heute Abend?« Wenn die Schwestern der Station Janet Brucemans ölige Stimme
gehört hätten, wären sie wohl ziemlich perplex gewesen. Es war nämlich sonst ganz und gar nicht die Art der Oberärztin, in diesem vereinnahmenden Pflegerinnen-Ton mit den Patienten zu sprechen. Im Gegenteil reagierte Janet in der Regel ausgesprochen allergisch, wenn sie mitbekam, daß ihre Untergebenen so redeten. Jetzt jedoch schien es ihr Spaß zu machen, sich selbst dieses Tonfalls zu befleißigen. Darüber hinaus schmunzelte sie übers ganze Gesicht, während sie sich über den Patienten beugte, der es sich mit Zeitung, Bier und einer Tüte Chips im Bett recht gemütlich gemacht hatte. »Oh, oh, Frau Doktor, schlecht geht’s mir.« Mit gequälter Miene hob er den linken Arm, der von oben bis unten eingegipst war. »Ich habe solche Schmerzen!« Dann plötzlich wechselte er vom quäkenden Jammerton zu einem rauhen Lachen. »Mir fehlt nämlich jemand, den ich im Arm halten kann.« Im nächsten Moment fand sich Janet gepackt und auf das Bett gezogen. Mit erstaunlicher Kraft hielt der Gipsarm sie fest, während sie die rechte Hand des Mannes über ihren Po gleiten fühlte. »Bist du verrückt? Laß mich sofort los!« Sie strampelte mit den Beinen, daß ihre flachen weißen Schuhe quer durch den Raum flogen. »Aber warum denn?« Er grinste anzüglich. Es machte sie rasend. »Findest du nicht, daß es hier im Krankenzimmer einen besonderen Reiz hat? Gib zu, das wolltest du immer schon mal ausprobieren.« Die blauen Augen in dem markanten Gesicht funkelten. »Das gefällt uns doch, nicht wahr, Frau Doktor?« Janet registrierte, daß er ihren weißen Kittel zielstrebig hochschob. Wütend trommelte sie mit den Fäusten auf seiner Brust herum, was jedoch, da sie nicht recht zum Schlag ausholen konnte, ziemlich wirkungslos blieb. »Paul, du elender Kindskopf!« fauchte sie. »Doch nicht hier, nicht jetzt! Du verdirbst noch alles mit deiner … deiner … Was ist, wenn
jetzt jemand reinkommt?« »Dann mußt du sofort schreien, das ist dir doch klar, nicht wahr? Aber bis dahin …« Seine rechte Hand gab keine Ruhe, und zu allem Überfluß näherten sich nun auch noch seine Lippen ihrem Mund. Sie war verloren, wenn er sie küßte. Dieses Wissen gab Janet die Kraft, sich aufzubäumen und mit einem energischen Ruck aus dem Klammergriff zu befreien. »Schluß!« Eilig sprang sie vom Bett, suchte ihre Schuhe zusammen und ordnete ihre Kleidung und die zerzausten kupferroten Haare. Vorsichtshalber blieb sie in einiger Entfernung vom Bett stehen. Es war einfach nicht gut, sich in die Reichweite dieses Kindskopfs zu begeben. »Och, komm!« Mit schuldbewußter Miene klopfte er neben sich auf die Decke. »Ich verspreche auch, daß ich mich zurückhalte.« »Pah!« Sie dachte gar nicht daran, näher zu treten. Paul Perkinson war, weiß Gott, nicht der Typ, dem man solche Zusicherungen abnehmen konnte. Aber war sie nicht gerade deshalb mit ihm zusammen? Im Bett ließ er keinen ihrer Wünsche offen … Im Moment allerdings hatte sie keine Wünsche, in denen ein Bett oder eine andere Liegestatt irgendeine Rolle spielten. »Wann fängst du denn nun an?« fragte sie ungeduldig. Seufzend schwang Paul die Beine aus dem Bett. »Gleich, meine Liebe! Je eher ich diesen Laden wieder verlassen kann, desto besser.« Er hob den Arm, den Janet erst vor ein paar Stunden eigenhändig eingegipst hatte. »Und je eher ich diesen Ballast loswerde, um so schneller können wir zwei beiden uns wieder ungehindert unseren speziellen Vergnügungen zuwenden.« Janet verzog das Gesicht. »Keine Witze jetzt, dafür ist die Sache zu ernst. Also, die Schlüssel hast du, den Lageplan auch. Es ist ziemlich ruhig im Haus. Wenn du dich nicht allzu auffällig verhältst, müßtest du dich gut überall umsehen können.« Paul warf ihr einen strafenden Blick zu, während er einen scheuß-
lichen, blaugrau gestreiften Morgenmantel über den dunkelgrünen Pyjama zog, der ebenfalls ein Ausbund an vertrauenerweckend anständiger Kleidung war. »Schnüffeln ist mein Beruf, vergiß das nicht.« Er fuhr mit den Füßen in ausgetretene braune Hauslatschen. Janet konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. »Darauf allerdings käme man nie, wenn man dich so sieht. Spießig bis zum Gehtnichtmehr!« Paul hob gleichmütig die Schultern. Sein Job als Privatdetektiv hatte ihm schon schlimmere Tarnungen beschert. »Hauptsache, jeder, der mich sieht, hält mich für einen harmlosen Patienten.« Unternehmungslustig rieb er sich die Hände. »Also dann los.« Bevor Janet die Tür öffnen konnte, gab er ihr noch schnell einen Klaps auf das Hinterteil, dessen reizvolle Rundungen zu seinem Bedauern unter dem züchtig heruntergezogenen Kittel nur noch zu ahnen waren. »Wir werden dem Herrn Professor schon das schmutzige Handwerk legen!« »Hoffentlich! Wenn er wirklich verantwortlich ist für das Verschwinden dieser Unmengen von …« Ein Piepsen in ihrer Kitteltasche unterbrach sie. Seufzend holte Janet den Sender heraus und drückte einen Knopf. »Ja?« »Bitte kommen Sie sofort in die Notaufnahme, Frau Doktor«, ertönte eine blecherne Stimme aus dem Gerät. »Ein Mann mit ziemlich üblen Magenkrämpfen ist gerade eingeliefert worden.« »Okay! Bin gleich da!« Professionelle Konzentration im Blick, nickte sie Paul kurz zu und eilte dann den langen Flur hinunter, während er gemächlich in die andere Richtung schlurfte, professionelle Schläfrigkeit im Blick und um den Mund ein dümmliches Grinsen, das Inspektor Columbo alle Ehre gemacht hätte.
*
Darren lieferte offenbar eine bühnenreife Schau. Sein Stöhnen war bis in den kleinen Vorraum zu hören, in den man Lilith abgeschoben hatte. Hoffentlich schneiden sie ihm nicht gleich den Bauch auf, um nachzusehen, was ihn so entsetzlich plagt, ging es ihr durch den Kopf. Aber offenbar wußte Darren seine »Schmerzen« gut zu dosieren. Denn nun öffnete sich die Tür, ein Krankenbett wurde hindurchgeschoben. Hektisch sprang Lilith auf und stürzte darauf zu. »Darren, Liebling, geht es dir besser?« Auch ihr hysterischer Tonfall war bühnenreif. Sie zupfte die rothaarige Ärztin, die die fahrbare Trage begleitete, aufgeregt am Ärmel. »Was machen Sie mit ihm? Was hat er denn bloß? Können Sie mir schon etwas sagen?« Janet Bruceman widerstand nur mühsam der Versuchung, Liliths Hand wie ein lästiges Insekt abzuschütteln. Diese überdrehten Weiber im Gefolge von erkrankten Männern oder Kindern waren eine furchtbare Plage. »Ich kann Ihnen leider noch nicht viel sagen. Wir bringen Ihren Mann jetzt erst mal zum Röntgen«, erklärte sie. »Ach, mein Armer!« Lilith griff nach Darrens Hand und drückte sie mitfühlend. »Mach dir keine Sorgen, Darling«, flüsterte er ihr tapfer zu, während er bereits überlegte, wie er einen möglichst großen Teil des diensthabenden Klinikpersonals am besten beschäftigen konnte, ohne zu riskieren, daß er unvermittelt auf dem Operationstisch landete. »Aber es wird ein Weilchen dauern.« Janet Bruceman bemühte sich um ein freundliches Lächeln, als sie der Schwarzhaarigen in dem dezenten Kostüm zunickte. »Wir müssen ihm erst ein Kontrastmittel verabreichen, bevor wir ihn röntgen können. Am besten gehen Sie inzwischen in die Cafeteria und trinken etwas, Mistress …« »Millert«, half Lilith mit einem falschen Namen aus. »Miss Diana Millert.«
»Also, Miss Millert, haben Sie ein wenig Geduld«, riet die Ärztin. »Und versuchen Sie sich zu beruhigen.« »Ja, Frau Doktor, das werde ich tun.« Lilith nickte folgsam. Dann, als Janet das Bett mit Darren in einen Aufzug geschoben hatte, machte sie sich auf den Weg. Natürlich suchte sie nicht die Cafeteria, sondern wandte sich dem Untergeschoß zu, wo in den meisten Kliniken die Labors lagen. Sollte sie jemand ansprechen, konnte sie immer noch vorgeben, sich verlaufen zu haben. Erfreulicherweise war der endlos lange Flur im Keller nur schwach beleuchtet. Das deutete darauf hin, daß hier selten Betrieb herrschte. Dennoch blieb Lilith wachsam, horchte und betrachtete jeden Türschlitz, ob ein verräterischer Lichtschein zu sehen war. Doch alles blieb ruhig. Dann hatte sie die Tür zum ersten Labor auf der linken Seite erreicht, schob sich hinein und zog die Tür leise wieder hinter sich ins Schloß. Nur durch das Schlüsselloch drang ein dünner Lichtstrahl in den fensterlosen Raum, sonst war es stockfinster. Doch das bereitete Lilith keine Schwierigkeiten. Das Erbe ihrer vampirischen Mutter ermöglichte ihr, die spärliche Einrichtung deutlich wahrzunehmen, wenngleich alles wie in einen rötlichen Schimmer getaucht aussah. Vor ihr in der Mitte des Raumes befand sich ein schäbiger alter Schreibtisch mit einem Drehstuhl davor. An den Wänden rundum reihten sich graulackierte Metallschränke, und unmittelbar hinter ihr … … stand plötzlich wie aus dem Nichts gewachsen eine hochgewachsene Gestalt! Eine Hand legte sich auf ihren Mund, und ein kräftiger Arm, der sich unnatürlich hart anfühlte, schlang sich um ihre Taille und drückte ihren linken Arm gegen den Leib, während der rechte von der freien Hand des Angreifers mit festem Griff gepackt wurde. Zugleich fühlte sich Lilith hochgerissen. Ihre Füße pendelten plötzlich
eine halbe Handbreit über dem Boden. »Sei still!« zischte eine dunkle Stimme. »Dann passiert dir nichts.« Lilith war still – schon in ihrem eigenen Interesse –, doch sie dachte gar nicht daran, auch stillzuhalten. Blitzschnell spannte sie ihre Beinmuskeln an und trat mit aller Kraft gegen die Schienbeine des Mannes. Der stöhnte auf; gleichzeitig lockerte sich der Griff der Hände. Im nächsten Augenblick hatte die Halbvampirin sich befreit, wirbelte herum und setzte den Angreifer mit einem gezielten Tritt in seine empfindlichste Stelle außer Gefecht. Stöhnend sank er zusammen. Während er sich am Boden krümmte, knipste Lilith die Lampe auf dem Schreibtisch an und zog sich den Drehstuhl heran. Sie ließ sich darauf nieder und wartete, bis der unverhoffte Angreifer sich wieder halbwegs erholt hatte. Daß er einen häßlichen, blaugrau gestreiften Morgenmantel über einem dunkelgrünen Pyjama und den linken Arm in Gips trug, hatte sie längst registriert. Daß es sich um einen harmlosen Patienten handelte, der sich verlaufen hatte, nahm sie jedoch keinen Moment lang an. Er sah nicht einmal schlecht aus. Sein markantes Gesicht war braungebrannt und gutgeschnitten. Und wie er vorhin zugepackt hatte, das ließ auf einen kräftigen, durchtrainierten Körper schließen. Unwillkürlich fuhr Lilith sich mit der Zunge über die Lippen. Fast bedauerte sie, sein bestes Stück so malträtiert zu haben. Nach diesem herben Schlag sein Blut in Wallung zu bringen, würde fast unmöglich sein. »Also, wer bist du und was tust du hier?« fragte sie. Paul Perkinson war ein harter Bursche und hatte sich schon aus so mancher Klemme gerettet, in die ihn seine Nachforschungen gebracht hatten. Er scheute nicht Tod und nicht Teufel und war sonst durchaus in der Lage, Lügenmärchen als die reine Wahrheit zu verkaufen. Zumindest hatte er das bis jetzt gedacht.
Nun jedoch fühlte er sich von dem Blick dieser grünen Augen wie aufgesogen. Als würden seine Gehirnwindungen von einer unwiderstehlichen Macht einzeln aus seinem Kopf gezogen, spürte er plötzlich eine entsetzliche Leere darin. »Paul Perkinson, Privatdetektiv«, hörte er sich selbst mit tonloser Stimme antworten. »Ich bin auf der Suche nach Beweisen.« »Beweise wofür?« »Handel mit Blutkonserven. Hier unten werden sie aufbewahrt.« Tief in seinem Innern spürte Paul den Wunsch, einfach den Kopf abzuwenden, um dem Blick der Schwarzhaarigen zu entgehen. Doch zugleich wußte er, daß es unmöglich war. Diese Augen würden ihn festhalten, so lange sie wollte. Lilith horchte auf, als das Wort Blutkonserven fiel. Ob das in einem Zusammenhang mit den blutleeren Leichen stand? »Erzähl mir davon«, verlangte sie. »Janet Bruceman, meine Freundin, ist Oberärztin hier in der Klinik. Sie hat vor einiger Zeit entdeckt, daß an der Buchführung über die Blutkonserven manipuliert wurde. Es sind viel mehr angekauft worden, als in den Krankenhausunterlagen verzeichnet ist. Janet vermutet, daß jemand schwunghaften Handel damit treibt, und hat mich gebeten, einige Nachforschungen anzustellen.« »Und deshalb hat sie dir den Arm eingegipst und dir ein Krankenzimmer zugewiesen«, schlußfolgerte Lilith. »Habt ihr jemand Bestimmten in Verdacht?« »Conen«, sagte er. »Professor Doktor Jonathan Conen.« »Der Leiter der Klinik?« »Ja.« Paul nickte. »Alles deutet auf ihn hin. Nur er hat Zugang zu allen Unterlagen. Nur er könnte so etwas in Szene setzen und zugleich vertuschen. Für ihn wäre es relativ leicht, die Konserven beiseite zu schaffen und über Mittelsmänner woanders wieder zu verkaufen.« Daß dies das wahre Motiv des Mediziners war, glaubte Lilith zwar
nicht, aber warum sollte sie Paul ihre Zweifel auf die Nase binden? »Was weißt du von Conen?« hakte sie nach. »Nicht viel. Er hat vor einem halben Jahr seine Frau und die beiden Töchter verlassen und lebt seitdem auf einer Farm am Stadtrand. Kein Mensch weiß, was ihn eigentlich dorthin getrieben hat, denn früher war er ein ausgesprochener Stadtmensch und bei jedem kulturellen oder gesellschaftlichen Ereignis von Maitland präsent. Seit der Trennung von seiner Familie kapselt er sich völlig ab.« Lilith beglückwünschte sich selbst, daß sie Paul Perkinson hier unten im Labortrakt über den Weg gelaufen war. So erübrigten sich weitere, zeitraubende Nachforschungen in der Klinik, und sie würde Darren früher von seinem Patientenstatus erlösen können. Eine Frage hatte sie allerdings noch. »Hast du von blutleeren Leichen gehört, die in Maitland gefunden wurden?« »Davon weiß ich nichts.« »Gut!« Lilith wußte selbst nicht, ob das noch ihre Antwort war oder sich bereits auf den Entschluß bezog, den sie gerade gefaßt hatte. Aber, das zu unterscheiden war auch nicht weiter wichtig. Wichtig war dagegen das Ziehen in ihren Eingeweiden, das sich nach dem vielen Gerede von Blut und angesichts der so verlockend kräftig pulsierenden Halsschlagader des jungen Mannes beim besten Willen nicht mehr mißachten ließ. Die vampirische Seite in ihr verlangte unerbittlich ihr Recht. Und da sie Paul ohnehin den hypnotischen Befehl würde geben müssen, diese Begegnung zu vergessen, konnte sie die Gelegenheit auch gleich beim Schopfe packen. Lächelnd rutschte sie von dem Drehstuhl zu ihm hinunter auf den Boden. Ungläubig riß der junge Mann die Augen auf, als er sah, daß das schlichte Kostüm der Schwarzhaarigen auf wundersame Weise einem spitzenbesetzten, dunkelroten Body gewichen war, dessen Dekolleté mehr sehen ließ, als es verhüllte.
Dann jedoch, während Lilith sich über ihn beugte, malte sich Entsetzen auf seinen Zügen, als er sah, was aus den Eckzähnen der jungen Frau geworden war …
* Als Paul um zwei Uhr immer noch nicht wieder in seinem Zimmer war, beschlich Janet ein unangenehmer Verdacht. Etwas mußte schiefgegangen sein! Vier Stunden war er nun schon unterwegs, hatte sich zwischendurch nicht bei ihr gemeldet. Das konnte nicht mit rechten Dingen zugehen. Janet machte sich auf die Suche. Sie brauchte eine Stunde, bis sie ihn fand. Denn dort, wo sie ihn schließlich entdeckte, hätte sie ihn am allerwenigsten vermutet: Er lag, zusammengerollt wie ein kleines Kind und leise vor sich hin schnarchend, in einem ausrangierten Krankenhausbett, das im Keller abgestellt worden war. »Paul! Paul, wach auf!« Außer sich rüttelte sie an seinen Schultern und schlug ihm endlich, als das nichts half, rechts und links ins Gesicht. »Was ist denn los?« Mühsam öffnete Paul die Augen. »He! Was schlägst du mich?« »Was tust du Trottel hier unten im Bett?« fauchte Janet. »Bist du verrückt geworden?« »Wieso … Was … Wo bin ich überhaupt?« Paul setzte sich auf und blickte sich ratlos um. »Im Keller, verdammt! Was tust du hier?« »Das … das weiß ich nicht!« Er schien völlig verwirrt. »Wie komme ich hierher?« »Du weißt es wirklich nicht?« »Nein!« Das letzte Wort hatte er geschrien. »Alles, an was ich mich erinnere, ist, daß ich die Treppe in den Keller hinunterging. Danach … Verdammt, ich weiß nicht, was dann passiert ist.«
Entnervt ließ sich Janet neben ihn auf das Bett sinken. »Das gibt es doch nicht!« Ungläubig starrte sie ihn an. »Hat dich jemand niedergeschlagen?« »Um mich anschließend fürsorglich hier ins Bett zu packen?« spottete er. Vorsichtshalber betastete er seinen Kopf, fand jedoch keine Beule. Es tat ihm auch nichts weh. Nein, eigentlich fühlte er sich pudelwohl. Vage erinnerte er sich an einen sehr anregenden Traum. Eine Schwarzhaarige mit heller Haut und aufregenden Ideen war darin vorgekommen. Aber das war nichts, was er Janet in diesem Moment erzählen würde. Wozu auch? Zur Lösung ihres Problems würde es wahrhaftig nicht beitragen. »Hast du denn wenigstens irgendwas herausgefunden?« erkundigte sie sich in beschwörendem Ton, als könne das den befürchteten Mißerfolg ihrer Aktion doch noch abwenden. Paul schüttelte den Kopf. Beide schwiegen und hingen ihren verwirrenden Gedanken nach. »Ist etwas Besonderes vorgefallen heute Abend?« wollte Paul schließlich wissen. »Nein. Nur ein Spinner mit psychosomatischen Magenkrämpfen und seine Begleiterin haben uns eine Weile auf Trab gehalten. Du weißt, einer von der Sorte, die erst alle verrückt machen und so tun, als müßten sie sterben, und die dann, wenn man definitiv nichts Organisches gefunden hat, kleinlaut den Schwanz einziehen.« Sie lachte unfroh auf. »Der hier war besonders kraß. Du hättest mal sehen sollen, wie der sich anstellte, als er fürs Röntgen das Kontrastmittel schlucken sollte!« Paul schüttelte nachdenklich den Kopf. Eigentlich war an dem Geschehen nichts Geheimnisvolles – und doch regte sich bei ihm sein detektivischer Instinkt. Irgend etwas war faul an der Sache, das spürte er. »Ich möchte ihn mir mal anschauen«, sagte er deshalb kurzentschlossen. »Du könntest mich auf sein Zimmer legen lassen.«
Janet schüttelte den Kopf. »Geht nicht. Nachdem die ganze Prozedur nichts ergeben hat, ging es ihm schlagartig besser. Typisch Hypochonder! Wir haben ihn auf eigenen Wunsch nach Hause entlassen.« »Was?« In Paul schrillten die Alarmsirenen; sein Verdacht verdichtete sich. Er schob Janet von der Bettkante und schlug die Decke zurück. »Habt ihr wenigstens die Personalien?« »Ja, natürlich. Ich glaube, er und seine Freundin waren bloß auf der Durchreise und wohnten in irgendeinem Hotel.« »Dann besorg mir ganz schnell Namen und Adresse. Die Leute muß ich mir näher ansehen.« Ein wenig blaß im Gesicht, aber mit neuem Schwung, als sei er nach dem ausgiebigen Schlummer voll frischer Energie, zog er Janet über den Krankenhausflur. Trotz der verwirrenden Phantasiegebilde, die ihm aus dem Tiefschlaf ins Bewußtsein gefolgt waren, war er voller Tatendrang. Er hatte gewissermaßen Blut geleckt – obwohl das die Wahrheit ein wenig verdrehte …
* »Hören Sie, ich zahle gut und im voraus!« Die grauhaarige Sprechstundenhilfe hinter dem Rezeptionstresen schaute nicht einmal von dem Terminkalender auf, in dem sie geblättert hatte. »Davon gehen wir selbstverständlich aus«, erwiderte sie maliziös. »Trotzdem haben wir erst in fünf Wochen wieder einen Termin frei.« Seven hätte ihr an die Kehle springen mögen. Fünf Wochen! Bis dahin war sie verrückt geworden – oder die Mutter eines Monsters, das es gar nicht geben durfte, falls die Naturgesetze noch ihre Gültigkeit hatten. Aber Seven zweifelte schon längst daran, daß sie noch galten. Wie
sonst war es zu erklären, daß sie von ihrer Schwangerschaft schon wußte, obwohl seit der Zeugung erst ein paar Tage vergangen waren? »Hören Sie, ich bin in Not!« Das kam so gepreßt heraus, daß es einem etwas weniger dickfelligen Menschen als dieser Sprechstundenhilfe zumindest einen mitfühlenden Blick wert gewesen wäre. Aber Fehlanzeige. »Das sagen alle«, meinte sie nur. Die Miene, mit der sie Sevens schmale Taille musterte, war nach wie vor ausgesprochen unfreundlich. »Außerdem sehe ich keinerlei Anzeichen einer Schwangerschaft.« »Würden Sie die Diagnose vielleicht lieber einem Arzt überlassen?« murmelte Seven – und war sich im gleichen Moment darüber klar, daß sie es sich damit wohl endgültig verscherzt hatte. »Liebe junge Frau!« Die Stimme der Sprechstundenhilfe troff vor Verachtung. »Sind Sie denn überhaupt sicher, daß Sie schwanger sind?« Eine Antwort bekam sie nicht. Seven hatte sich auf der Stelle umgedreht und war aus der Praxis gestürmt. In ihrem Wagen zündetet sie sich mit zitternden Fingern eine Zigarette an. Verdammt, das war bereits die dritte Arztpraxis gewesen, die sie erfolglos aufgesucht hatte! Wieso kam sie mit ihrem Anliegen bloß nicht zum Zuge? Irgendwie schien sich alles gegen sie zu verschwören. Was heißt verschwören? Man vertröstete sie, wimmelte sie einfach ab, knallte ihr die Tür vor der Nase zu, vertrieb sie durch bissige Bemerkungen – und sie nahm es hin! War ihr etwa ihre sonstige Dreistigkeit abhanden gekommen, mit der sie sonst ans Ziel gelangte? Himmel und Hölle, als gestandene Reporterin des Sydney Morning Herald war sie doch wahrlich geübt darin, sich auch gegen Widerstand durchzusetzen, wenn sie etwas ganz Bestimmtes erreichen wollte. Und das wollte sie, mehr als alles andere.
Darrens Nachricht, die er in ihrer Wohnung hinterlassen hatte, hatte ihr, nachdem sie aus ihrem Rausch erwacht war, endlich klargemacht, daß sie etwas unternehmen mußte. Ich muß für ein paar Tage weg, hatte er geschrieben. Ich melde mich, sobald ich zurück bin. Bis dahin benutze gefälligst deinen klugen Kopf und laß dich nicht so hängen. Oder sollte ich mich so in dir getäuscht haben? Also hatte sie ihren Restvorrat an Alkohol in den Ausguß gekippt und eine Entscheidung getroffen: Sie würde das Kind (das Geschöpf!) in ihrem Bauch nicht bekommen! Eine Abtreibung würde das Problem lösen. Von dem Moment an war es ihr besser gegangen, und gleich heute Morgen hatte sie sich auf den Weg gemacht, ihren Entschluß in die Tat umzusetzen. Daß sie jetzt hier in ihrem Wagen am Straßenrand hockte, wie ein Schlot qualmte und verzweifelt gegen die erneut aufsteigende Panik zu kämpfen hatte, demoralisierte sie mehr als alles andere zuvor. Was war ein Vorsatz wert, den man nicht in die Tat umsetzen konnte, weil sich alles gegen einen verschwor? Wütend drückte sie die Zigarette im Aschenbecher aus und drehte den Zündschlüssel herum. Eine Adresse hatte sie noch. Das Viertel, in dem sie lag, ließ nicht gerade auf eine feudale Unterbringung hoffen, deshalb hatte Seven sie eigentlich auch gar nicht aufsuchen wollen. Aber nun blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als doch hinzufahren.
* »Also, Leute, folgende Einteilung gilt bis Sonntag einschließlich. Matt übernimmt den Bürodienst, Rupert und Chick die Streife, Jank und ich wechseln uns bei der Conen-Farm ab, bis Flemming aus dem Urlaub zurück ist.« Sheriff Marc Trilsh hatte seine Leute sonst gut im Griff. Sie schätzten ihn als erfahrenen, umsichtigen und fairen Boß und waren im
allgemeinen ohne weiteres bereit, seinen Anordnungen Folge zu leisten. Diesmal jedoch meldete Jank, ein junger Polizist, der erst seit einem Jahr bei der Truppe war, Widerspruch an. »Mensch, Marc, wie lange willst du die Conen-Farm denn noch beobachten?« murrte er. »Vier geschlagene Wochen schleichen wir nun schon darum herum, und was haben wir entdeckt? Daß sich dort ein paar Leute zusammengefunden haben, die eine Art Wohngemeinschaft bilden und sich auf Kosten dieses Professors durchs Leben schlagen. Das mag zwar deiner bürgerlichen Moral gegen den Strich gehen, aber strafbar ist es ja nun auch nicht. Was soll das Ganze also?« »Er hat recht, Marc«, pflichtete Rupert, mit seinen fünfzig Jahren der älteste im Revier, ihm bei. »Ich schätze zwar, es geht dem guten Jank vor allem darum, am Wochenende frei zu haben, damit er sich ausgiebig seiner Helen widmen kann. Es ist zweifellos reizvoller, mit ihr im Bett als mit dir auf der Lauer zu liegen.« Er grinste zu Jank hinüber, der prompt rot anlief und sich verlegen seinen Schnauzbart zwirbelte. »Aber was er sagt, ist trotzdem richtig. Sieh endlich ein, daß die Observation der Farm eine Schnapsidee war, die unsere Kräfte inzwischen einfach viel zu stark bindet.« Marc schüttelte energisch den Kopf. »Nein, Leute, da stimmt was nicht«, behauptete er. »Conen hat sich in Maitland nie als Wohltäter hervorgetan. Wenn er jetzt sechs Leute durchfüttert, die den ganzen Tag mehr oder weniger auf der Farm herumlungern, aber keinen einzigen Schritt vor das Grundstück setzen, dann ist da was faul! Und wenn er außerdem niemanden sonst auf seine Farm läßt und alle Türen und Fenster verrammelt hält, dann ist es sogar oberfaul.« »Vielleicht feiern sie dort Orgien«, warf Matt feixend ein. »Diese halbwüchsige Göre mit dem Unschuldsblick und den knappen Höschen könnte ich mir ganz gut bei so was vorstellen …« Marc warf ihm einen tadelnden Blick zu. Mit Matt ging leicht die
Phantasie durch, vor allem, wenn sich die Gelegenheit zu solchen Phantasien bot – und Matt bot sich eigentlich immer eine solche Gelegenheit. »Nein, Leute, ich hab’s in der Nase, daß wir da noch unser blaues Wunder erleben werden«, beharrte er. »Ich bleibe dabei.« Die anderen seufzten ergeben. Wenn ihr Boss seine berühmte Nase ins Spiel brachte, halfen keine Argumente mehr. Aber schließlich war es tatsächlich sein Näschen gewesen, das ihm seine Karriere ermöglicht und ihm Erfolge beschert hatte, die ihn zu ihrem Vorgesetzten gemacht hatten, obwohl er gerade mal dreißig war. Seit zwei Jahren war er verantwortlich für sämtliche Polizeiaktivitäten hier draußen im nördlichen Randgebiet von Maitland, und in den zwei Jahren waren sie mit ihm nicht schlecht gefahren. Deshalb würde ihm – trotz seines nervenden Steckenpferdes »Conen-Farm« – ihre Loyalität erhalten bleiben. Daß er auch ein Näschen für die Bedürfnisse seiner Kollegen hatte, bewiesen seine nächsten Worte. »Na gut, Jungs. Ihr sollt nicht leiden, weil ich mir was in den Kopf gesetzt habe.« Er grinste schief. »Am Wochenende übernehme ich allein den Dienst bei der Farm, Jank. Ich will’s mir schließlich nicht mit Helen verderben.« »Spitze, Marc, danke!« Jank sah aus, als wäre er dem Sheriff am liebsten um den Hals gefallen, aber das wäre denn doch zu weit gegangen. So knuffte er ihn nur in die Seite. »Ich werd’s dir nicht vergessen!« »Ja, ja, schon gut!« Überschwengliche Zuneigungsbezeugungen waren Marcs Sache nicht. So scheuchte er seine Männer aus dem Büro. Seufzend machte er sich dann über den Papierkram her, den er – Feierabend hin, Feierabend her – noch zu erledigen hatte. Er mußte sich ranhalten, denn am Wochenende würde er ja wieder mal keine Zeit dafür finden. Beinahe wünschte er schon selbst, das »Projekt Conen-Farm« aufgeben zu können. Aber ein untrüglicher In-
stinkt hinderte ihn daran. Er sollte noch bitter bereuen, nicht auf seine Leute gehört zu haben …
* Ein scharfer Schmerz fuhr durch Sevens Unterleib. Sie bäumte sich auf, dem Schmerz entgegen, der wie mit tausend Messern in ihr wütete, dann plötzlich abriß und durch ein schmatzendes Saugen ersetzt wurde, weniger schmerzhaft zwar, dafür aber so widerwärtig, daß ihr ein erstickendes Würgen in die Kehle stieg. Mit letzter Kraft richtete sie sich auf, um die ekelhafte Masse, die ihren Mund füllte, auszuspucken. Da sah sie zwischen ihren nackten, weit gespreizten Beinen die Blutlache und mitten darin die abscheulich verformte Gestalt, die dem Innern ihres Leibes entrissen worden war. Ein Schrei des Entsetzens erstickte gurgelnd in dem roten Brei, der aus ihrem Mund hervorschoß und sich mit dem Blut auf ihrem Bauch vermischte, und ein neuerlicher Schmerz – – ließ sie abrupt erwachen. Sevens Herz raste. Aufrecht saß sie im Bett. Kalter Schweiß bedeckte ihre Stirn, und ein flaues Gefühl im Magen ließ sie krampfhaft schlucken, bis der Würgereiz sich gelegt hatte. Es war stockdunkel im Zimmer. Sie hatte die Rolläden ganz heruntergelassen, die laute, ahnungslose Welt draußen ausgesperrt, um endlich schlafen zu können, dem nächsten Morgen entgegen, der ihre ganz persönliche Katastrophe beenden würde. Sevens Kinn sackte auf die Brust, der Alpdruck des Traumes lastete noch auf ihr wie eine bleierne Decke. Ihr Kopf fühlte sich entsetzlich schwer an, schwer und im Innern dumpf, als sei die Geschwindigkeit aller Gehirntätigkeiten auf Zeitlupentempo reduziert. Mühsam suchte sie die Erinnerung an den letzten Nachmittag zu-
sammen. Doch der vor ihrem inneren Auge ablaufende Film schien neu geschnitten worden zu sein. Keine Szene paßte zur anderen. Das verwirrende Konglomerat, in das sich lange zurückliegende Erinnerungen und schreckliche Traumbilder mischten, drohte ihren Verstand zerbersten zu lassen. Mo Marxx in seinem karg eingerichteten Büro. Beth MacKinsey, die sich in schwarzer Bettwäsche flegelte. Sevens sechs Geschwister bei einer fröhlichen Geburtstagsparty. Ein Knäuel von sechs verwesenden Leibern, die sich langsam, aber unaufhaltsam auf die schwarzhaarige Frau in ihrer Mitte zuschoben. Dazwischen Szenen banalsten Alltags in wahnwitziger Mixtur. Halt, da war ein Bild, das sie gesucht hatte. Angestrengt klaubte sie die einzelnen Fetzen aus dem Irrsinnscocktail heraus und versuchte sie zu einem sinnvollen Ganzen zusammenzusetzen. Ein heruntergekommenes Haus in einem heruntergekommenen Viertel Sydneys, das sie ohne Not nicht betreten hätte, eine Art Arztpraxis, die wahrscheinlich in keinem offiziellen Verzeichnis auftauchte. Eine ältere, kräftig gebaute Frau mit einem Pferdegesicht, hart, kalt, geschäftstüchtig, die Seven ohne große Rückfragen und ohne jede Gemütsbewegung einen Termin für den folgenden Tag gegeben hatte – nachdem eine erkleckliche Summe Geldes die Besitzerin gewechselt hatte. Seven seufzte schwer, aber keineswegs erleichtert. Sie knipste eine der vergoldeten Lampen an und griff nach ihrer Armbanduhr. Zwei Uhr vierzig. Sie hatte noch keine vier Stunden geschlafen! Langsam ließ sie sich in die Kissen zurücksinken und schloß die Augen. Sie hatte noch gut fünf Stunden Zeit, bis sie aufstehen mußte. In der Greenwich-Road wurde sie erst um neun erwartet. Vier, fünf Stunden, hatte die pferdegesichtige Frau gesagt, dann würde sie sich nach Hause bringen lassen können. In zwölf Stunden also hatte sie alles hinter sich. Dieser Gedanke durchblitzte Seven noch, während sie schon wieder wegzudämmern begann.
An der Wohnungstür schepperte es. Kurz bevor sie endgültig in dumpfen Schlaf hinübergleiten konnte, drang der metallische Klang in Sevens Bewußtsein. Jeffrey Carter, der Hausmeister der Wohnanlage, mußte die tägliche Post eingeworfen haben. Es war sein besonderer Service, daß er die Sendungen, die unten bei ihm abgegeben wurden, nicht einfach in den Briefkästen im Eingangsbereich verteilte, sondern sie bis zu den einzelnen Wohnungen brachte. Aber Moment mal … Warum tat er das mitten in der Nacht? Oder hatte jemand anders ihr eine Nachricht durch den Briefschlitz geschoben? Darren vielleicht? Dann wäre er ja schon wieder zurück … Der Gedanke machte Seven munter. Sie schwang die Beine aus dem Bett und tappte zur Tür. Das helle Tageslicht erschlug sie förmlich. Wie erstarrt blieb sie stehen. Die Augen hatte sie im ersten Reflex geschlossen und wagte kaum, sie nun wieder zu öffnen. Im Wohnzimmer war es hell, nicht vom Schein der Lampen, sondern sonnenhell! Um Viertel vor drei Uhr nachts? Konzentriert lauschte Seven. Durch die geschlossenen Fenster und Jalousien drangen dumpf die üblichen Geräusche des Straßenverkehrs – des Straßenverkehrs, wie er tagsüber vor dem Haus herrschte. Übelkeit stieg in ihr auf. Ihre Beine begannen unkontrolliert zu zittern. Seven ließ sich auf das Sofa sinken. Kein Zweifel, sie hatte den wichtigsten Termin des Jahres verschlafen! Sie, die sonst mit sechs Stunden Schlaf auskam, sie, die noch nie zuvor das Schrillen eines Weckers überhört hatte, hatte sechzehn Stunden am Stück geschlafen! Unwillkürlich sah Seven auf ihren Bauch hinab, in dessen Innerem sich in diesem Augenblick etwas … zu regen begann! Seven wich das Blut aus dem Kopf. Für einen Moment fühlte sie
sich schwerelos, einer Ohnmacht nahe. Wenn es eines letzten Beweises bedürft hätte, daß dieses Kind nichtmenschlich war, so wäre es dieser gewesen. Wie sonst hätte das Balg eines Toten nach einer knappen Woche so sehr anwachsen können, daß sie es bereits spüren konnte …? Übelkeit wallte in Seven auf, kroch ihre Speiseröhre hinauf. Doch sie rührte sich nicht einmal, als es aus ihrem Mund hervorquoll und sie besudelte.
* »Es kann nicht mehr weit sein.« Lilith Eden hatte es sich auf dem Beifahrersitz bequem gemacht, die Füße gegen das Armaturenbrett gestemmt. Mit feinem Lächeln hatte sie während der Fahrt registriert, daß Darren Secada ein ums andere Mal verstohlen auf ihre nackten Beine geschielt hatte. So ganz kalt ließ sie ihn wohl doch nicht … Nach dieser Geschichte in der Kirche außerhalb von Sydney, wo Lilith einmal mehr ihrem vampirischen Ich, ihrer bestienhaften Seite freien Lauf gelassen hatte, schien Darrens letztes Fünkchen Interesse an ihr erloschen gewesen zu sein. * Was sie getan hatte, hatte ihn zutiefst entsetzt, mehr noch: regelrecht angeekelt und abgestoßen! Und daraus hatte Darren keinen Hehl gemacht. Inzwischen schien er es zumindest soweit vergessen zu haben, daß er in Lilith auch wieder die Frau sehen konnte. Liliths Lächeln vertiefte sich. »Bist du sicher?« fragte Darren, ohne den Blick von der Straße zu nehmen. Links und rechts zogen sich Strauchgürtel hin, aus denen vereinzelt dürre Bäume aufragten. »Dieser Typ aus dem Krankenhaus sagte, daß die Farm am Stadt*siehe VAMPIRA T54: »Über den Tod hinaus«
rand liegt. Und das ist der Stadtrand, oder?« gab Lilith zurück. Sie wies mit unbestimmter Geste zum Fenster hinaus. »Seit einer ganzen Weile schon«, brummte Darren. Die letzten Häuser Maitlands lagen längst hinter ihnen. Die Klimaanlage fauchte ihm zwar den Schweiß aus dem Gesicht, ließ aber zugleich seine Augen brennen. »Bieg dort rechts ab«, sagte Lilith. Sie deutete nach vorne. »Sicher?« Lilith nickte. »Ich habe nicht nur diesen Privatdetektiv ausgehorcht.« Sie lächelte. »Der Typ an der Rezeption in unserer Pension ist auch ein recht gesprächiger Bursche …« »Liegt wohl daran, daß du weißt, wie man mit Leuten redet«, meinte Darren spöttisch. Er spielte auf Liliths hypnotisches Talent an. »Manchmal ist es recht nützlich«, erwiderte sie. »Zumindest das mußt du zugeben, oder?« »Ich find’s schlimm genug, zugeben zu müssen, daß ich dich kenne«, sagte Darren. Aber er lächelte dabei. Immerhin … Er setzte den Blinker und ließ den Wagen um die von Lilith bezeichnete Kurve rollen. Eine schmale Straße führte durch die Büsche und dahinter ins Niemandsland. Staub wölkte hinter dem Fahrzeug auf, davor flirrte die Luft vor Hitze. »Wie weit noch?« wollte Darren wissen. Lilith hob andeutungsweise die Schultern. »Weiß nicht genau. Nicht mehr weit, vermute ich.« »Okay.« Darren ließ den Wagen am Straßenrand ausrollen. »Was soll denn das jetzt werden?« fragte Lilith verwundert. »Aussteigen«, kommandierte Darren knapp. »Willst du dich mit mir in die Büsche schlagen?« Liliths Ton war anzüglich. Darren grinste säuerlich. »Wir sind nicht zum Vergnügen hier.«
»Oh, du weißt nicht, was dir da abgeht.« Lilith lächelte verrucht. »Könntest du dir vorstellen, daß ich es gar nicht wissen will?« Darren öffnete die Tür. Lilith tat ganz kurz, als überlege sie. »Nein.« Ihr Lächeln war entwaffnend. Und Darren zwang sich, nicht an den Traum zu denken, in dem er Lilith am Strand … »Komm endlich«, knurrte er und stieg aus. Er ging zum Heck, öffnete den Kofferraum und zerrte dann einen Kanister hervor. Triumphierend reckte er ihn hoch. Eine steile V-Falte erschien über Liliths Nasenwurzel. »Ach, und jetzt?« fragte sie. »Wir haben kein Benzin mehr«, erklärte Darren, lausbubenhaft grinsend. »Hast du das nicht gemerkt?« Lilith verzog spöttisch die Lippen. »Oh, mit so alten Tricks arbeitest du also, um die Mädchen ‘rumzukriegen?« Darren verdrehte die Augen. »Kannst du auch mal an was anderes denken?« Wie kurz zuvor gab sich Lilith den Anschein, als müsse sie über die Antwort nachdenken. Doch Darren kam ihr zuvor. »Ich weiß«, winkte er ab. »Nein.« »Stimmt.« Darren stapfte los. »O Mann, womit hab’ ich das verdient?« Lilith folgte ihm. »Das Schicksal liebt dich eben.« »Was treibt das Schicksal dann erst mit denen, die es haßt?« grunzte Darren. »Das willst du nicht wissen.« Darren nickte ergeben. »Das will ich nicht wissen …«
*
Paul Perkinson konnte sich nur beglückwünschen. Wenn Janet auch gemurrt hatte und es lieber gesehen hätte, daß er in der Klinik weitere Nachforschungen betrieb – jetzt zeigte sich, daß es richtig gewesen war, diesen eingebildeten Kranken und seine Freundin im Auge zu behalten. Denn die Straße, in die ihr Wagen nun eingebogen war, führte in die nördlichen Randgebiete von Maitland, und Paul hätte die Einnahmen eines ganzes Monats darauf gewettet, daß die beiden unterwegs zur Conen-Farm waren. Je weiter sie sich vom Zentrum der Stadt entfernten, desto dünner wurde der Verkehr. Paul mißfiel das. Wahrscheinlich waren Secada und Millert Profis. Sie würden bald entdecken, daß ihnen ein grüner Rover folgte – wenn sie es nicht schon längst gemerkt hatten. Kurzerhand bog er in die nächste Seitenstraße ein und trat aufs Gaspedal. Gut, daß er das Gebiet hier kannte. So war es ihm ein leichtes, durch das Gewirr von Wohnstraßen einen Bogen zu schlagen und den letzten direkten Zufahrtsweg zur Farm in kürzester Zeit zu erreichen, bevor der Wagen des Pärchens hier auftauchte. Den Rover ließ er abseits hinter dichtem Gebüsch stehen. Dann machte er sich zu Fuß auf in Richtung Farm, nicht ohne einen leeren Benzinkanister mitzunehmen. In seinem Job wußte man zu schätzen, was eine gute Tarnung wert sein konnte.
* Jank Merding, der in gebührender Entfernung seine zum Sterben langweiligen Beobachtungsrunden zu Pferd drehte und sich nun von der Seite her der Straße näherte, sah den Mann mit dem Benzinkanister mit hängendem Kopf auf das Farmgelände zutrotten. Er grinste schadenfroh. Benzin würde der arme Kerl von Conens Leuten nicht bekommen. Sie würden ihm allenfalls eine Tracht Prügel androhen, falls er nicht schleunigst die Beine in die Hände nahm und den Rückweg antrat.
Jank hatte sich gerade eine Zigarette gedreht und wollte sie anzünden, als er einen Wagen die Straße entlangkommen sah. Zu seiner Überraschung wurde der jedoch gleich darauf an den Straßenrand gefahren. Ein Mann und eine Frau stiegen aus, beide in kurzen Hosen und T-Shirts. Der Mann ging um den Wagen herum, wühlte im Kofferraum herum – und holte einen Benzinkanister heraus. Dann gingen die beiden weiter in Richtung Farm. »Da brat’ mir doch …« Jank zerkrümelte die Zigarette zwischen seinen Fingern. »Wenn die tatsächlich alle keinen Sprit mehr haben, freß’ ich ‘nen Besen.« Er mußte der Sache nachgehen! Erfreut über die Unterbrechung der eintönigen Beobachtungsrunden, gab er seinem Gaul die Sporen.
* Auf den ersten Blick wirkte die Farm wie verlassen. Keine Menschenseele war auf den Freiflächen zwischen den Gebäuden zu sehen, kein Laut zu hören, vom Sirren der Grillen abgesehen. Selbst die leichte Brise, die Lilith und Darren auf dem Weg hierher noch den Schweiß von der Haut gefächelt hatte, schien einen Bogen um das Farmgelände zu schlagen. An den Bäumen, die hier und da standen, bewegte sich kein Blatt. Dennoch war die Ruhe, die über dem Szenario lag, von ganz eigener, beinahe widernatürlicher Art. Eine eigentümliche und geradezu spürbare Spannung wob alles ein; als halte die Natur zwanghaft den Atem an, seit einer ganzen Weile schon, und als sei nun fast der Punkt erreicht, an dem sich alles lösen mußte. Lilith schauderte unwillkürlich, und Darren schien es um keinen Deut anders zu ergehen. »Geh weiter«, mahnte er sie dennoch. »Wir müssen unauffällig wirken. Wie Touristen eben, denen der Sprit ausgegangen ist.«
»Ich war noch keine Touristin, der der Sprit ausgegangen ist …«, meinte Lilith. »Wie verhält man sich da?« »Na…«, setzte Darren zu einer Erwiderung an, erkannte dann aber, daß sie ihn nur auf den Arm nehmen wollte. »Mein Gott, nun laß die blöden Sprüche«, zischte er. »Wir müssen zerknirscht aussehen, weil uns das passiert ist. Und wir freuen uns, daß wir diese Farm gefunden haben. Klar?« »Klar.« Lilith gaukelte Erschöpfung vor. Von einem Lidschlag zum nächsten. Überzeugend. »Du solltest nach Hollywood gehen«, meinte Darren, der sie mit einem Seitenblick beobachtet hatte. »Um die Hauptrolle in einem Film über mein eigenes Leben zu spielen?« fragte sie. Sie grinste flüchtig. »Nette Vorstellung. – Dazu ließen sich auch hübsche Actionpüppchen verkaufen …« »Die auf Knopfdruck die Beine breitmachen, oder wie?« schoß Darren eine Spitze ab. »Ich kann dir gerne mal vorführen, was ich auf Knopfdruck mache«, gab Lilith mit unangenehm rauhem Unterton zurück. »Danke, verzichte«, wehrte Darren ab. Mittlerweile hatten sie den Zaun, der das Gelände weiträumig umlief, erreicht. Ein Tor verwehrte den weiteren Weg. Ein faustgroßes Vorhängeschloß verhinderte, daß es von Unbefugten geöffnet werden konnte. Darüber hinwegzuklettern würde allerdings niemanden vor ernsthafte Probleme stellen. »Sollen wir?« fragte Lilith. »Als ob du das nötig hättest«, meinte Darren in Anspielung auf ihre Gabe, sich in eine Fledermaus zu verwandeln, von der er natürlich wußte; so wie er von viel zu vielem über Lilith wußte … »Na ja, das wäre ein bißchen arg auffällig, nicht?« fand sie. »Schön, daß du so einsichtig bist.« »Also, was nun?«
Darren sah über den Zaun, ließ langsam den Blick über das Farmgelände schweifen. Nichts rührte sich, niemand ließ sich blicken. »Okay«, sagte er dann nur, schwang das Bein hoch, stellte den Fuß auf eine der mittleren Querlatten und wollte gerade hochsteigen – – als ein Schuß krachte! Darren schrie auf, kippte nach hinten und stürzte in den Staub! Der Kanister wirbelte davon und schlug zu Boden. »Darren!« Lilith fiel auf die Knie und warf sich neben Darren flach zu Boden. Derweil suchte ihr Blick den versteckten Schützen, eine Sekunde lang jedenfalls; dann galt ihre Aufmerksamkeit einzig Darren Secada. »Darren«, wiederholte sie, »bist du … ich meine …« »Nein«, stieß er hastig hervor. »Alles in Ordnung. Die Kugel hat den Zaun getroffen –« »Diese Kugel hat den Zaun getroffen. Bei der nächsten wäre ich mir da nicht so sicher.« Synchron sahen Lilith und Darren auf. Sie hatten den anderen beide nicht kommen hören. Lautlos wie ein Geist mußte er zum Tor gehuscht sein. Und wie ein Gespenst sah er auch aus. Hager, von wächserner Blässe und undefinierbarem Alter. Der Kerl konnte ebenso Anfang zwanzig wie Mitte vierzig sein. Was zumindest in diesem Moment aber vollkommen bedeutungslos war – von Belang war nur der doppelläufige Schießprügel, den er in seinen knöchernen Fäusten hielt und auf Lilith und Darren herabstarren ließ. »Geht man hierzulande so mit Gästen um?« wagte sich Darren zu beschweren, während er sich vorsichtig aufrichtete. »So gehen wir mit Gästen um«, erklärte der andere. »Weil wir keine Gäste mögen.«
»Das kann man aber auch anders kundtun«, entrüstete sich Darren. »Könnte man«, nickte der Bewaffnete. »Muß man aber nicht.« »Hören Sie«, schaltete sich jetzt Lilith in das Gespräch ein. »Wir möchten ja gar nicht bleiben oder so. Wir sind ein Stück von hier mit unserem Wagen liegengeblieben und wollten nur fragen, ob –« Der Galgenvogel stieß das Gewehr drohend in ihre Richtung. »Hier gibt’s weder Antworten noch sonst was, verstanden?« Lilith warf Darren einen kurzen Blick zu, der auf den anderen wie zufällig wirken mußte. Tatsächlich aber bedeutete er: Soll ich …? Und Darren verstand. Aber er schüttelte ebenso unmerklich den Kopf. Es half ihnen womöglich nicht, wenn Lilith den Typen hier hypnotisierte, so daß sie Zutritt zur Farm erhielten. Unter Umständen gerieten sie in der Folge nur in noch größere Schwierigkeiten, liefen vielleicht geradewegs ins offene Messer. Immerhin hatten sie mit ziemlicher Sicherheit herausgefunden, daß die Leute hier etwas zu verbergen hatten. Worum es sich dabei handelte, das galt es noch zu ergründen. Und über das Wie wollte Darren sich in aller Ruhe den Kopf zerbrechen. Liliths Blick signalisierte zwar alles andere denn Zustimmung, aber sie fügte sich. Vielleicht auch nur, um Darren nicht noch mehr gegen sich aufzubringen … »Okay, Mister, lassen Sie es gut sein«, sagte Darren und zwang etwas wie ein Lächeln auf seine Lippen. Die Hände hielt er halb erhoben, während er auf den Kanister zuging, ohne den anderen aus den Augen zu lassen. »Wir gehen, und es tut uns leid, daß wir Sie gestört haben, okay?« Der andere verfolgte Darren mit dem Gewehrlauf, und als der Pathologe sich langsam bückte, um den Kanister aufzuheben, spuckte die Flinte ein weiteres Mal Feuer und Blei! Der Kanister sprang daraufhin aus Darrens Reichweite wie von einem Tritt getroffen, was den schrägen Typen zu einem Grinsen ver-
anlaßte, das ihn noch häßlicher machte. »Meine Fresse, wie konnte Ihre Mutter Ihnen nur die Brust geben, ohne zu kotzen? In ein Gesicht wie Ihres möchte man doch höchstens ein Zäpfchen stecken!« meinte Lilith kaltschnäuzig. »Paß bloß auf, du Schnepfe!« fuhr der andere sie an. Die Flinte schwang in ihre Richtung. Lilith zuckte mit keiner Wimper. Und doch tat sie etwas … … das den anderen veranlaßte, die Doppelmündung der Waffe in seinen Schritt zu richten und – »Nein! Hör auf!« schrie Darren. – abzudrücken! Die Hähne der Flinte schlugen klickend ins Leere. Der Galgenvogel sackte trotzdem von Angstschweiß überströmt in die Knie, stöhnend und wimmernd. »Verdammt!« fuhr Darren die Halbvampirin an. »Bist du irre?« Sie zuckte die Schultern. »Ich wußte doch, daß die Knarre nur zwei Schuß hat.« »Ach? Bist du neuerdings auch Waffenexpertin?« »Na gut, sagen wir: Ich hab’s mir gedacht.« Lilith lächelte unschuldig. »Ich halt’s nicht mehr aus!« »Ach, vergiß es«, sagte Lilith, aber sie sagte es in Richtung des schießwütigen Kerls. Und der gehorchte ihr aufs Wort …
* Paul Perkinson grinste unwillkürlich, als er das Pärchen aus dem Wagen steigen sah, und beobachtete, wie der junge Mann dort einen Benzinkanister aus dem Kofferraum holte, ehe sich beide auf den Weg zur Farm machten. Gute Ideen waren eben keine Einzelanfertigungen … Dennoch, diese Beobachtung war nur von sekundärer Bedeutung,
denn sehr viel interessanter war … sie. Die junge Frau. Schwarzhaarig, gut gebaut, rassig im allerbesten Sinne. Und irgendwie vertraut. Denn Paul Perkinson glaubte sie zu kennen! Aus einem … Traum? »Das gibt’s doch nicht«, murmelte er, im Schatten und Schutz einer Strauchgruppe kauernd, von wo aus er einen großen Teil der Zufahrtsstraße zur Farm im Auge behalten konnte. Trotzdem, die Schwarzhaarige dort drüben sah genau so aus wie das rassige Teufelsweib, von dem er geträumt zu haben glaubte, bevor er im Keller des Krankenhauses aufgewacht war! Der Privatdetektiv mußte sich regelrecht zu der Einsicht zwingen, daß es sich um eine zufällige Ähnlichkeit handelte. Aber so verblüffend …? »Jetzt reiß dich zusammen!« mahnte er sich selbst. Dann endlich machte er sich, abseits der Straße, an die Verfolgung des jungen Paares. Daß ihm trotzdem fortwährend durch den Kopf ging, was die Schwarzhaarige in seinem Traum mit ihm angestellt hatte, daran konnte er jedoch nichts ändern … Diese Gedanken vergingen ihm erst, als am Tor zur Farm der erste Schuß krachte! Aus sicherer Entfernung beobachtete Paul Perkinson das Geschehen. Angestrengt lauschte er der kurzen Unterhaltung zwischen dem Schützen und dem Pärchen – – und dann verschlug es ihm schier den Atem, als der Typ von der Farm seine Waffe gegen sich selbst richtete! Unfähig, sich zu rühren, starrte Perkinson hinüber. Und dann war ihm, als würde Eiswasser durch seine Knochen gespült, als er das Klicken der Waffenhähne hörte! Aber keinen Schuß … Perkinson entspannte sich. Ein wenig zumindest. Den kurzen Streit, der daraufhin zwischen dem jungen Mann und
seiner Begleiterin entstand, vermochte Perkinson zwar nicht nachzuvollziehen, aber er spürte mit jenem sechsten Sinn, den er im Laufe seiner Karriere als Detektiv entwickelt hatte, daß mit den beiden etwas nicht stimmte – ganz und gar nicht! Und worum es sich bei diesem Etwas handelte, das wollte Paul Perkinson herausfinden. Er mußte es herausfinden. Weil besagter sechster Sinn ihn geradezu dazu nötigte! Kurzum, Paul Perkinson würde das seltsame Paar im Auge behalten. Weil er ahnte, daß die beiden ihm den Weg weisen konnten. Denn ihr Ziel mochte durchaus auch das seine sein …
* Als Darren und Lilith zum Wagen zurückkehrten, sahen sie zu ihrem Erstaunen einen jungen Polizisten daran lehnen. Die Zügel seines Pferdes hatte er an der hinteren Stoßstange befestigt. »Gibt’s Probleme?« erkundigte er sich höflich. »Oh, Sergeant, Sie sind unsere Rettung!« Darren stellte sich blitzschnell auf die neue Situation ein und schwenkte den immer noch leeren Benzinkanister – so, daß der Deputy das Einschußloch nicht sehen konnte, denn das hätte nur weitere Fragen nach sich gezogen. »Wir haben uns verfahren, und dann ist uns auch noch der Sprit ausgegangen. Die Leute auf der Farm dort hinten waren wenig hilfreich.« Er schnaubte verächtlich. »Sie waren nicht einmal bereit, meiner Freundin ein Glas Wasser zu geben. Dabei ist ihr von der holprigen Fahrt ganz schlecht geworden.« Zärtlich strich er Lilith über die Wange. »Geht’s dir inzwischen wieder besser, Liebes?« Sie lächelte ihn ein wenig leidend an. »Ich werd’s überleben.« »Ja, ja, das sind schon komische Leute!« Jank band den Gaul los. »Ich habe Schüsse gehört. Hatten Sie damit zu tun?« »Wir? Nein.« Lilith schüttelte ihre schwarze Mähne. »Die kamen
von jenseits der Farm. Wahrscheinlich irgendein Sonntagsjäger, der auf Karnickel schießt.« Der Deputy schien mit der Antwort zufrieden. »Wenn Sie wollen, können Sie bei uns auf dem Revier Benzin bekommen«, bot er an. »Aber es ist eine Viertelstunde zu laufen … beziehungsweise zu reiten.« Er sah zu Lilith hin. »Sie können gern hinter mir aufsitzen, Ma’am. Das heißt, wenn Sie reiten können.« »Kein Problem.« Lilith schenkte dem jungen Mann ein dankbares Lächeln und kletterte mit seiner Hilfe auf den lammfrommen Fuchs. Und während Darren mit leicht säuerlicher Miene nichts anderes übrig blieb, als die Beine in die Hand zu nehmen, schnalzte Deputy Merding mit der Zunge, und der Braune setzte sich in Bewegung.
* Es kam Seven vor, als irre sie schon seit Stunden in diesem elenden Viertel umher. Alle Straßen sahen gleich verlottert aus, die heruntergekommenen Häuserzeilen ähnelten sich in ihrer Tristesse wie ein Ei dem anderen. Sogar die Menschen, denen sie begegnete, schienen immer dieselben zu sein. Die zahnlose Alte am Kiosk war vorhin schon dabei gewesen, ihr Geld zu zählen, als Seven diese Straße entlanggegangen war, vor einer Stunde oder zwei oder drei. Seven hatte jedes Zeitgefühl verloren. Und dort, die junge Schwarze, die auf den Treppenstufen vor einem graugestrichenen Mietshaus saß und mit dem kleinen Kind im verwaschenen roten Kleidchen spielte, bei der hatte sie sich bereits vor geraumer Zeit nach der Greenwich-Road erkundigt. Sie hatte auch eine recht genaue Antwort von ihr erhalten, die Straße aber dennoch nicht gefunden. Es war, als renne sie ständig darum herum, ohne ihr wirklich näher zu kommen. Fast schien es, als würde die Greenwich-Road sich ihr entziehen wollen. Seven lachte rauh auf, als ihr dieser Gedanke durch den Kopf
schoß. Seit wann entzogen sich Straßen den Menschen? Sie kämpfte das Gefühl, langsam aber sicher verrückt zu werden, nieder. Vermutlich war sie einfach überreizt, fertig mit den Nerven, am Ende ihrer Kräfte, daß sie es nicht fertigbrachte, die schäbige Arztpraxis wiederzufinden, in der sie gestern noch mit der pferdegesichtigen Frau gesprochen hatte. Zuerst hatte sie vorgehabt, dort anzurufen, um zu versuchen, einen neuen Termin zu bekommen. Doch überrascht hatte sie festgestellt, daß die Praxis gar keinen Telefonanschluß besaß. Also hatte sie sich aufgerappelt und war erneut hergefahren. Den Wagen hatte sie wie am Tag zuvor auf einem großen freien Platz geparkt, an dessen Rand ein paar kümmerliche Verkaufsstände versuchten, den Eindruck geschäftigen Markttreibens zu erwecken. Dann hatte sie sich zu Fuß auf den Weg zur Greenwich-Road gemacht – und sie einfach nicht gefunden. Müde stolperte Seven vorwärts. Ihre Füße taten weh, ihre Kehle war trocken, ihr war heiß und übel. Das Kleid, das sie trug, hatte sie völlig durchgeschwitzt; es klebte unangenehm auf ihrer Haut. »Entschuldigen Sie, Sie haben mir doch vorhin erklärt, wie ich zur Greenwich-Road komme«, wandte sie sich an die Schwarze auf den Stufen. »Ich konnte sie aber leider trotzdem nicht finden. Würden Sie’s mir bitte noch mal erklären?« »Greenwich-Road?« Die Frau kaute den Namen wie Kaugummi. »Kenn’ ich nicht. Soll die hier in der Gegend sein?« Seven schluckte den Kloß, der ihr würgend in die Kehle stieg, krampfhaft herunter. »Aber Sie haben mir doch vorhin erklärt, wie ich hinkomme«, krächzte sie. »Hab’ ich das?« Die Frau musterte Seven von oben bis unten. Offenbar zweifelte sie an deren Verstand. Und Seven zweifelte beinahe selbst daran. »Tut mir leid, aber ich hab’ Sie noch nie im Leben gesehen, Miss, und von einer Greenwich-Road hab’ ich noch nie gehört.«
»Aber …« Seven verstummte. Es hatte keinen Zweck. Einen Moment lang betrachtete die Schwarze sie noch mißtrauisch, dann erstarrte ihr Blick plötzlich, als habe sie etwas gesehen, das Seven entgangen war. Hastig stand sie auf, schnappte sich das Kind, das protestierend zu brüllen anfing, und stürzte ins Haus. Die Tür fiel krachend ins Schloß. Gehetzt sah Seven die Straße hinauf und hinunter, aber da war nichts, was diese Reaktion der Frau hätte provozieren können. Seven fühlte, wie ihre Kräfte sie verließen, als rännen sie unaufhaltsam aus ihr heraus, um im Boden zu versickern. Im Moment hätte sie nicht einmal mehr gewußt, wie sie zu ihrem Wagen zurückfand. Vor ihren Augen begann sich alles im Kreis zu drehen. Mit letzter Kraft torkelte sie weiter, auf den Kiosk zu. Sie erreichte ihn gerade noch, dann sank sie im Zeitlupentempo an der Bretterwand entlang auf den staubigen Weg. Die Betreiberin des Büdchens wuchtete ihre Leibesfülle aus dem winzigen Verschlag heraus und blickte mißtrauisch auf das hilflose Bündel Mensch zu ihren Füßen hinab. »Was’n mit dir los, Kindchen?« dröhnte ihre herbe Stimme. »Helfen … Sie mir«, stöhnte Seven noch, dann wurde es dunkel um sie her …
* »Hey Marc, hier habe ich zwei Typen, die sich ziemlich auffällig für die Conen-Farm interessiert haben.« Der nette junge Polizist, der Lilith gerade noch zuvorkommend vom Pferd geholfen hatte, änderte urplötzlich sein Verhalten. Kaum hatten Lilith und Darren das Büro betreten, fiel die Maske der Höflichkeit von ihm ab. »Sie wollten mir weismachen, sie hätten kein Benzin mehr«, fuhr er fort, »dabei ist ihr Tank mindestens zu zwei Dritteln voll. Ich
hab’s überprüft. Und auf dem Weg hierher hat er fortwährend versucht, mich über die Farm auszuhorchen.« Er deutete mit dem Daumen auf Darren. »Vergeblich natürlich!« Demonstrativ lehnte er sich gegen die Tür. Seine Beute sollte nur ja nicht glauben, sie habe auch nur die geringste Chance, zu entkommen. »Also, was sagen Sie zu den Anschuldigungen?« Mit einer Handbewegung bot Trilsh seinen Besuchern Stühle an. Seine Miene ließ nicht erkennen, was er von der etwas rüden Vorgehensweise seines Untergebenen hielt. »Ich heiße übrigens Marc Trilsh. Wenn ich um Ihre Namen bitten dürfte …?« Darren unterdrückte einen Seufzer. Warum konnten Lilith und er nicht einmal in Ruhe gelassen werden? Nicht nur, daß wiedererweckte Tote an ihren Fersen hingen, jetzt mußten sie sich auch noch mit Vorstadtsheriffs herumplagen. »Darren Secada, Miss Diana Millert.« Darren kramte seinen Polizeiausweis aus der Hosentasche und schob ihn dem Sheriff nicht ohne ein schadenfreudiges Grinsen über den Tisch. »Vielleicht erklärt Ihnen das einiges – und veranlaßt Sie, Ihren übereifrigen Hilfssheriff während unseres Gesprächs mit einer anderen Aufgabe zu betrauen, zum Beispiel, unseren Wagen herzuholen.« Er hob die Hand und ließ den Autoschlüssel provozierend hin und her baumeln. Trilsh brauchte nur drei Sekunden, dann scheuchte er Jank wie eine lästige Fliege aus dem Büro. »Du hast gehört, was er gesagt hat. Tu es!« Als die Tür – ein wenig zu laut – hinter dem verdutzten Jank ins Schloß gefallen war, wandte Trilsh sich wieder Darren zu. »Was führt Sie aus Sydney her?« Während Darren ihm einen präzise klingenden Bericht über den vermuteten Handel mit Blutkonserven servierte, betrachtete Lilith ihn in aller Ruhe. Der Sheriff war ein attraktiver junger Mann, groß und sehnig, mit breiten Schultern, einem männlich herben, braungebrannten Gesicht und schmalen Händen, die sicher fest zupacken
konnten. »Blutkonserven! Das würde natürlich einiges erklären.« Trilsh stand auf und begann in seinem Büro umherzuwandern. »Die Farm und ihre Bewohner kamen mir schon lange verdächtig vor, aber ich hatte keine Vorstellung, was dahinterstecken könnte.« Das hast du auch jetzt noch nicht, dachte Darren. Aber er hatte nicht vor, den Sheriff einzuweihen, daß höchstwahrscheinlich Vampire die Drahtzieher dieses blutigen Geschäfts waren. Deshalb erwähnte er auch mit keinem Wort die drei blutleeren Leichen, die auf Winstons Tisch gelandet waren. Sollte der Sheriff ruhig von einem banalen Kriminalfall ausgehen; das ersparte es ihm und Lilith, unglaubwürdige Erklärungen abzugeben. »Und was wollen Sie jetzt unternehmen?« Marc stützte die Hände auf seinen Schreibtisch und blickte Darren fragend an. »Nun, ich schlage vor, wir arbeiten zusammen«, bot der Pathologe an. »Sie beobachten weiter die Farm und informieren uns, wenn sich etwas tut, und wir halten Sie über unsere Ermittlungen in der Klinik auf dem laufenden.« Von draußen war das Motorengeräusch eines vorfahrenden Wagens zu hören. Darren grinste und stand auf. Er hielt dem Sheriff die offene Hand hin. »In Ordnung, Sheriff?« »Nennen Sie mich Marc!« »Okay, Marc. Unsere Namen kennen Sie ja schon.« »Dann also auf gute Zusammenarbeit, Darren.« Trilsh schlug ein und hielt dann Lilith die Hand hin. »Miss Millert …« »Diana!« verbesserte sie. »Diana.« Er reichte ihr lächelnd den leeren Benzinkanister.
* Das hier konnte unmöglich der Himmel sein! Obwohl die Unterlage himmlisch weich war und die Laken sauber
dufteten, konnte es nicht der Himmel sein. Jedenfalls paßte es nicht zu Sevens Vorstellung von Himmel, ein bräunliches, runzliges Gesicht mit äußerst wach blickenden blaßblauen Augen über sich zu sehen, das von einem merkwürdig steifen Gebilde aus schwarzem Stoff umgeben war. »Wo bin ich?« murmelte sie. »Im St. Mary’s Hospital der Bedürftigen Schwestern«, antwortete die runzlige Alte. »Und es ist alles in Ordnung, Kindchen. Machen Sie sich keine Sorgen.« »Oh!« Seven versuchte sich zu erinnern. Das letzte Bild, das sie zu fassen bekam, war der Anblick einer kugelrunden Frau vor einem Kiosk. »Wie … wie komme ich hierher?« Sie versuchte sich aufzusetzen. Hilfsbereit wollte die Nonne sie stützen, doch Seven zuckte vor der Berührung zurück, als erwarte sie einen tödlichen Stromstoß. »Danke nein, es geht schon!« stieß sie hastig hervor. Die Nonne hob gleichmütig die Schultern. »Ma Laker, die Kioskbesitzerin, hat Sie hier abgeliefert. Sie sagt, Sie wären auf der Straße zusammengebrochen, einfach so.« Sie griff hinter sich, zog einen Stuhl heran und setzte sich neben das Bett. Wieder spürte Seven einen unerklärlichen Widerwillen, daß die Nonne ihr nahe kam. Übelkeit stieg in ihr auf. Die Gefühle mußten ihr deutlich anzusehen sein, denn die Schwester runzelte besorgt die Stirn. »Geht es Ihnen nicht gut? Sind Sie krank? Wir haben bereits einen Arzt kommen lassen, während Sie ohnmächtig waren, aber er hat nichts feststellen können.« Seven schluckte die Übelkeit herunter und zwang sich zu einem knappen Lächeln. »Danke, nein, schon gut. Alles in Ordnung.« Die Nonne blickte skeptisch drein, stand aber ohne Kommentar auf und wandte sich zur Tür. »Nun ruhen Sie sich erst mal aus. Später bringe ich Ihnen etwas zu essen.« Sie hatte die Türklinke schon in der Hand, da drehte sie sich noch einmal um. »Es ist wirklich alles in Ordnung«, sagte sie mit warmer Stimme.
»Machen Sie sich keine Gedanken. Ihr Kind – Sie haben es nicht verloren!« Seven stöhnte auf, ihre Hand fuhr zu ihrem Bauch. Wie hatte sie nur so naiv sein können, insgeheim zu hoffen, dieses Problem habe sich von selbst erledigt, während sie geschlafen hatte? Wieder stöhnte sie auf. Die Nonne hob erstaunt die Augenbrauen. »Freuen Sie sich denn nicht?« »Oh, doch, natürlich!« beteuerte Seven eilig. »Ich bin sehr erleichtert.« Es war unmöglich, der Nonne zu sagen, daß sie das Geschöpf in ihrem Bauch aus tiefster Seele haßte und alles zu tun bereit war, um es loszuwerden. Beruhigt verließ die Schwester das Zimmer. Seven schwang die Beine aus dem Bett. Sie mußte hier raus! So schnell wie möglich! Doch als sie aufstand, fühlten sich ihre Beine wie eine wabbelige Puddingmasse an, und sie sank auf das Bett zurück. Nach einer Minute versuchte sie es erneut, und diesmal ging es schon besser. Sie wußte nicht, was sie trieb, aber sie spürte ein unwiderstehliches Verlangen, diesen Ort zu verlassen. Es kam ihr vor, als würde ihr die Luft hier knapp. Was ihr vorhin beim Erwachen so himmlisch erschienen war, bereitete ihr nun von Sekunde zu Sekunde wachsendes Unbehagen und drohte ihr den Atem zu nehmen. Aus allen Poren dieses Raumes quoll ihr etwas so Sauberes …. Gläubiges entgegen, daß sie meinte, es keinen Augenblick länger ertragen zu können. Das schlichte Nachthemd, das sie anhatte, ekelte sie plötzlich. Mit zitternden Händen streifte sie es ab, zog ihr verschwitztes Kleid über, das über einem Stuhl hing, und schlüpfte in die Schuhe. Dann verließ sie fluchtartig den Raum. Während sie durch die endlos langen Flure schlich, immer den
Richtungspfeilen nach, die zum Ausgang wiesen, wurde ihr bewußt, daß es keineswegs ihr eigener Impuls war, der sie aus diesem Gebäude forttrieb. Es war das … Monster in ihrem Leib. Es war dabei, ihren Willen auszuschalten und die Herrschaft über ihren Körper zu übernehmen!
* »Es ist okay, Jank. Du kannst Feierabend machen.« »Aber Marc, ich konnte doch wirklich nicht ahnen, wer die beiden sind!« Jank sah ausgesprochen unglücklich aus. »Nein, konntest du nicht.« Marc kam um seinen Schreibtisch herum und schlug Jank auf die Schulter. »Es ist wirklich okay, Junge. Kein Mensch macht dir einen Vorwurf. Also hör auf, dich zu rechtfertigen, und hau endlich ab. Helen wartet doch sicher schon auf dich.« Er schob den Jüngeren mit Nachdruck zur Tür. »Du bist wirklich nicht sauer auf mich?« »Nur, wenn du jetzt nicht sofort verschwindest.« Endlich war Jank draußen. Marc Trilsh ließ sich auf seinen Drehstuhl sinken. Er mußte nachdenken. Kaum fünf Minuten brauchte er, dann hatte er einen Entschluß gefaßt. Er tauschte die Uniform gegen seine Zivilkleidung, dann machte er sich auf den Weg. Es erschien ihm nicht ratsam, die Zufahrtsstraße zu benutzen. Also schlug er einen großen Bogen, um sich der Conen-Farm von der entgegengesetzten Seite zu nähern. Die Dämmerung wartete er, hinter Büschen verborgen, geduldig ab. Erst als es dunkel geworden war, schlich er sich an die Wirtschaftsgebäude heran. Handel mit Blutkonserven, hatte der Pathologe aus Sydney gesagt. Jetzt, wo er wußte, wonach er suchen mußte, würden sich gewiß Beweise finden lassen. Aber Trilsh beabsichtigte nicht, einen Ermitt-
lungserfolg mit den beiden anderen zu teilen, dazu war er schon zu lange an der Sache dran. Fehlte gerade noch, daß zwei Stubenhocker aus der Stadt herkamen und ihm ins Handwerk pfuschten! Er allein würde die Sache vorantreiben, und er allein würde den Erfolg dafür verbuchen. Zu seinem Erstaunen war es gar nicht schwer, in die Scheune zu gelangen, die sich seitlich vom Wohnhaus hinter den alten Ställen befand. Die kleine Tür neben dem großen Scheunentor war nicht einmal abgeschlossen. Doch was Trilsh dann in dem dunklen Raum zu sehen bekam, war es auch nicht wert, verborgen zu werden. Eine geräumige Propellermaschine stand da, ein älteres Modell, wie es auf vielen Farmen eines gab. Diese Flugzeuge wurden benutzt, um schnell in die entlegeneren Ecken des Farmgeländes zu gelangen, oder für Besuche bei den Nachbarn. Außerdem waren die meisten mit Sprühvorrichtungen versehen, um Pestizide auf den Feldern zu verteilen. Wahrscheinlich hatte Professor Conen dieses Flugzeug als Teil des Inventars ganz einfach miterworben. Routinemäßig wollte Marc Trilsh gerade überprüfen, ob die Maschine überhaupt startklar war, als er von der Tür her ein Geräusch hörte. Gehetzt blickte er sich um. Bis auf das Flugzeug war die Scheune leer, und sie bot kaum eine Möglichkeit, sich zu verstecken. Wenn jetzt jemand Licht machte, war er geliefert. Er hatte die Tür der Maschine bereits ein Stück weit geöffnet. Mit dem Mut der Verzweiflung schob er sich geräuschlos durch die schmale Öffnung, wagte es aber nicht, die Tür hinter sich zuzuziehen. Im Dunkeln blieb er hocken und lauschte. Und traute seinen Ohren nicht! Denn was er zu hören bekam, hatte er hier nicht unbedingt erwartet. Ein helles Kichern, und das dunkle Brummen einer Männerstimme. »Ah, komm, du willst mich doch. Ich hab’ es dir doch angesehen, seit du das erste Mal hier aufgetaucht bist.« Das mußte diese halb-
wüchsige Göre sein, die stets in knappesten Shorts und hautengen Tops hier herumstreifte. Es gab keine andere Frau unter den Farmbewohnern. Aber was hieß Frau? Die Göre mochte gerade mal fünfzehn, sechzehn sein, aber den Teufel hatte sie im Leib. Das sah man ihr aus hundert Metern Entfernung an. »Und was ist mit Bruce?« fragte die Männerstimme. Trilsh tippte auf den schlanken Gene Shotsman, der um drei Ecken mit Conen verwandt war. Neben dem Professor war er, wie Marc herausgefunden hatte, der einzige, der einer geregelten Beschäftigung nachging. Er war Sanitäter in einem Notarztwagen. Jetzt schien er äußerst animiert zu sein. Seine Stimme klang rauh. »Du bist doch mit ihm zusammen, oder?« »Vergiß Bruce. Jetzt bist du da, und du willst mich.« Sie kicherte anzüglich. »Oh, und wie du da bist!« Ein Schnurren erklang. »Jetzt fühl, wie ich da bin. Nein, richtig sollst du fühlen, hier. Gib mir deine Hand, ich zeig’s dir.« Marc Trilsh hörte Rascheln und Scharren, dann ein dunkles Stöhnen und ein obszönes Lachen, das einer Hure mit langjähriger Berufserfahrung eher angestanden hätte als diesem halbwüchsigen Lolita-Verschnitt. Unbehaglich rutschte er ein wenig hin und her. Nicht daß es ihm etwas ausmachte, das Pärchen unfreiwillig zu belauschen. Aber daß ihn die unmißverständlichen Geräusche gegen seinen Willen stimulierten, das war ihm irgendwie peinlich. Aber es half nichts. Sein Körper reagierte, obwohl sein Verstand damit nicht einverstanden war – und es blieb ihm nichts anderes übrig, als abzuwarten, bis die beiden fertig waren. Das waren sie aber noch lange nicht. Die Göre kannte offenbar eine Menge Tricks, um einen Mann langsam, aber sicher um den Verstand zu bringen. Und den Lauten nach zu urteilen, die sie dabei ausstieß, hatte sie ein enormes Vergnügen daran. Trilsh fühlte Schweiß seinen Rücken herunterrinnen. Er wußte kaum, wo er seine Hände lassen sollte. Tapfer versuchte er sich die
Ohren zuzuhalten. Vergeblich! Erstens ließen sich die Bilder, die sein Gehirn produzierte, nicht ausblenden, und zweitens erreichten die beiden nun ein Stadium der Lust, das sich nicht mehr gedämpft abspielte. Das Vokabular, über das die Göre verfügte, versetzte Marc in ungläubiges Erstaunen – und leider verfehlte es seine Wirkung auf ihn nicht. Resigniert ergab sich der Sheriff in sein Schicksal. Draußen ertönte jetzt ein langgezogenes Wimmern, dann ein spitzer Schrei und ein gewaltiges, dunkles Stöhnen. Die folgende plötzliche Stille traf Trilsh wie einen Hammer. Mühsam unterdrückte er sein eigenes Keuchen. Dann rieselte unvermittelt ein eisiges Frösteln über seine eben noch hitzige Haut. »Wieso ist die Tür da auf?« Die Göre hatte offenbar blitzschnell umgeschaltet. Ihre Stimme klang kühl, sachlich, wachsam. »Wo ist die verdammte Taschenlampe?« Instinktiv preßte Marc sich in die dunkelste Ecke des Flugzeuginnenraums und tastete nach seiner Waffe. Zu spät! Sekunden später blinzelte er in den hellen Strahl einer Taschenlampe. Dann sah er in der Türöffnung das grinsende, sommersprossige Gesicht der Göre, darunter üppige nackte Brüste, die bei jeder Bewegung aufreizend wippten. Und den Lauf einer Waffe, die auf ihn gerichtet war. »Hey, Gene, komm her. Hier hockt ein Spanner. Wir sollten ihn zu den anderen bringen.« Marc wußte, daß er keine Chance hatte. Resigniert kletterte er aus der Maschine. Triumphierend sah ihm die Göre dabei zu, während Gene, inzwischen angezogen, nun ebenfalls einen Revolver auf ihn richtete. Mit routinierten Griffen tastete das Girl Marc Trilsh ab, etwas zu ausgiebig, wie er fand. Denn seine Waffe im Schulterholster hatte sie natürlich sofort entdeckt und an sich genommen. Die Göre schien keine Eile zu haben. Betont langsam streifte sie Shorts und Top über, es sichtlich genießend, daß der Sheriff seinen
Blick nicht von ihr wenden konnte.
* »Schaut, wen wir euch bringen!« Die Halbwüchsige stieß Marc Trilsh in einen Raum, der einmal als Wohnzimmer gedacht gewesen sein mochte. Jetzt hatte er mehr Ähnlichkeit mit einer tristen Trinkhalle, in die eine Horde Chaoten ihren Lebensmittelpunkt verlegt hatte. Auf zwei niedrigen Tischen lagen und standen Bierdosen herum, leere und volle, angebrochene Flaschen mit härteren Sachen und überquellende Aschenbecher. Der Fernseher in einer Ecke spulte ein Porno-Video ab, drei Männer lümmelten sich in den zerschlissenen Sesseln davor. Ein vierter, den Marc sofort als Professor Jonathan Conen identifizierte, kam jetzt aus einem Nebenraum herein. »Ich hab’ ihn in der Scheune entdeckt«, fuhr die Göre fort. »Er saß in unserer Maschine.« »So! Und was wollten Sie da, wenn ich fragen darf?« Professor Conen, ein hochgewachsener schlanker Mann Ende fünfzig, konnte seine gute Kinderstube nicht verleugnen. So elegant, wie er in seinen Edeljeans und dem Seidenhemd aussah, so ausgesucht höflich klang seine Frage. Dennoch war es eher der immer noch auf ihn gerichtete Revolver Genes, der Marc zu einer Antwort veranlaßte. »Ich hab’ einen Unterschlupf für die Nacht gesucht«, gab er vor, allerdings ohne große Hoffnung, daß man ihm glauben würde. Herumtreiber, die einen Unterschlupf für die Nacht suchten, pflegten keine Waffen im Schulterholster mit sich herumzuschleppen. »Red keinen Stuß, Mann!« Einer der drei vor dem Fernsehapparat, ein grobschlächtiger Hüne mit schwarzem Bart und Glatzkopf, war aufgesprungen und versetzte dem Sheriff einen zielgerichteten Faustschlag in die Magengegend. Stöhnend klappte Trilsh zusammen wie ein Taschenmesser, konnte sich aber gerade noch auf den
Beinen halten. »Warte mal, Bruce!« Ein hagerer Typ mit gelbstichiger Silbermähne schob sich nach vorne und legte dem Hünen eine Hand auf die Schulter. »Wenn mich nicht alles täuscht, ist das der Sheriff.« »Was?« Der Hagere musterte Marc grinsend und nickte triumphierend. »Marc Trilsh!« Er wandte sich zu Conen um. »Ich bin mir ganz sicher.« »Der Sheriff!« Conen pfiff leise durch die Zähne. »Welch ein Fang!« Er nickte der Göre anerkennend zu. »Gut gemacht, Pat!« Dann wandte er sich wieder an den Gefangenen. »Also, Mister Trilsh, was suchen Sie hier, und was haben Sie gefunden?« Erneut dieser ausgesucht höfliche Tonfall. Diesmal konnte er allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Professor eine unbefriedigende Antwort keinesfalls mit verbindlichen Umgangsformen quittieren würde. Bruces Augen funkelten bereits in erwartungsvoller Vorfreude, seine Hände spielten plötzlich mit einem Totschläger, den er aus dem Ärmel gezaubert zu haben schien. Wahrscheinlich trug einer wie er so etwas ständig mit sich herum. Marc hob die Schultern. »Ich wollte mich nur mal umsehen«, erklärte er. »So zurückgezogen, wie Sie hier leben, muß man ja Verdacht …« Weiter kam er nicht. Bruces Faust traf ihn diesmal am Kinn. Trilsh taumelte nach hinten, verlor das Gleichgewicht und landete auf dem Fußboden zu Pats Füßen. Amüsiert grinste sie auf ihn herunter. »Umsehen, ja?« höhnte Bruce und beugte sich über ihn. Offensichtlich konnte er es kaum erwarten, weitere Antworten aus ihm herauszuprügeln. »Halt, Bruce!« Der Professor hatte inzwischen nachgedacht. »Warum sollten wir uns die Finger an ihm schmutzig machen? Der Sheriff ist doch ein Mann, der es wert ist, zu uns zu gehören.« Er sah in die Runde. »Nun, da er schon mal den Weg zu uns gefunden hat,
könnte er uns äußerst nützlich werden. Was meint ihr?« Bis auf Bruce nickten alle. Letzterer sah aus wie ein kleiner Junge, dem man gerade die Schokolade weggenommen hat. »Ich hab’ nichts dagegen, mir die Hände schmutzig zu machen«, maulte er. »Nehmen wir ihn also auf in unseren Kreis!« Conen nickte Pat zu. »Hol es her!« »Klar, John!« Sie warf die rote Mähne in den Nacken und tänzelte aus dem Raum. Marc Trilsh rappelte sich auf. »Falls Sie hier in finstere Machenschaften verwickelt sind, glauben Sie doch wohl nicht im Ernst, mich auf Ihre Seite ziehen zu können!« stieß er hervor. »Ich bin weder käuflich noch erpreßbar und …« »Halt’s Maul!« zischte Bruce ihn an. Seltsamerweise meinte Trilsh aber einen Ausdruck von Furcht in seinen Augen zu sehen. Das begriff er ebenso wenig wie die Stille, die plötzlich im Raum herrschte. Die fünf anderen Männer standen stocksteif da, als seien sie mitten in der Bewegung erstarrt. Im Hintergrund produzierte der Fernseher unpassende Geräusche. Niemand schien sie wahrzunehmen. So merkwürdig absurd kam Trilsh die Atmosphäre vor, daß er einen Moment lang überlegte, die Teilnahmslosigkeit der Anwesenden auszunutzen und einfach abzuhauen. Aber Genes Revolver, der immer noch auf ihn gerichtet war, hinderte ihn daran. Dann kam Pat zurück. Auch sie wirkte eigentümlich verändert. Kein Tänzeln mehr, kein Hüftwiegen, kein koketter Augenaufschlag. Ihr Gang war gleichsam ein Schreiten, ihr Gesichtsausdruck gesammelt, ihre ganze Haltung stand in seltsamem Gegensatz zu ihrer aufreizenden Kleidung. Auf den offenen Handflächen trug sie etwas vor sich her, das Marc erst nicht erkennen konnte. Dann sah er, daß es sich um ein Stück Papier handelte, oder besser um ein Stück Pergament, offenbar ziemlich alt, bedeckt mit einer fremdartigen
Schrift. Pat trat auf ihn zu, hielt es ihm hin. »Nimm es!« Conens Stimme klang brüchig. Zögernd streckte Trilsh eine Hand aus. Er begriff nicht, was der ganze Zauber sollte. Was stierten die anderen diesen lächerlichen Fetzen Papier an, als erwarteten sie, daß im nächsten Moment eine lodernde Flamme aus ihm herausschlagen und alles im weiten Umkreis vernichten würde? Dennoch, wenn Burschen wie Bruce und dieser geschliffene, aber zweifellos gefährliche Conen derart gebannt von dem Ding waren, mußte es eine besondere Bewandtnis damit haben. Also nahm Marc Trilsh es genauer in Augenschein – und spürte mit einemmal, wie sein Blick geradezu davon aufgesogen wurde. Erschrocken versuchte er den Kopf abzuwenden. Vergeblich! Sein Denken, sein ganzes Wesen schien sich aufzulösen und in dieses merkwürdige Pergament hineinzuströmen! Entsetzt erkannte er, daß ein verheerendes Flammenmeer noch die geringste Gefahr war, die von dem Ding ausging. Ein Schauder von nie gekanntem Ausmaß überlief ihn, Schweiß trat ihm auf die Stirn. Mit äußerster Kraftanstrengung zog er seine Hand zurück. »Nimm es!« Die Stimme klang fast wie ein Schuß. Und löste die mühsam aufrechterhaltene Anspannung in ihm. Seine Hand schoß vor, grapschte nach dem Pergament. Im nächsten Moment verlosch die Persönlichkeit, die einmal Marc Trilsh ausgemacht hatte, wurde ersetzt von wirbelnden Bildern, die seinen Geist peinigten. Mit versteinerten Mienen sahen die anderen zu, wie sein Körper zu Boden stürzte und sich in qualvollen Zuckungen wand, wie er sich aufbäumte und immer wieder erneut zu Boden geschlagen wurde, bis er endlich ermattet liegenblieb. Schaum stand vor Trilsh’
Mund, seine verkrampfte Hand öffnete sich kraftlos und gab das Papier frei. Pat bückte sich, hob es auf und brachte es aus dem Raum. Erleichtert atmeten die anderen auf. Bruce beugte sich zu Trilsh nieder und reichte ihm die Hand, um ihm aufzuhelfen. Mit leeren Augen blickte der Sheriff um sich. »Ich bin bereit. Was soll ich tun?« stieß er mit emotionsloser Stimme hervor. »Du wirst nicht uns dienen, sondern dem Ziel«, antwortete Conen. »Dies ist das einzige, was von nun an zählt. Das fünfte Zeichen der Weissagung wird sich durch uns erfüllen. Zuerst erzähle uns alles, was du über die Conen-Farm erfahren hast, und ob andere davon wissen.« »Ja, natürlich.« Marc Trilsh ließ sich auf den Stuhl sinken, den der Hagere – sein Bruder im Geiste – ihm zuschob, und begann zu berichten.
* »Hallo Marc!« Wie jeden Morgen steuerten Jank, Rupert und Chick auf die Kaffeemaschine zu, um sich einen Becher des heißen Getränks zu holen. »Hallo!« Trilsh schaute von seinen Unterlagen kaum auf. »Wieso bist du schon hier? Mein Gott, wie siehst du aus? Hast du die Nacht durchgemacht?« Rupert erschrak regelrecht. Sein Chef hatte tiefe Ringe unter den Augen und dunkle Stoppeln im Gesicht. Seine Kleidung wirkte ziemlich ramponiert, als habe er darin geschlafen. Seine Augen glühten fiebrig. Marc Trilsh hob die Schultern. »Kann man sagen«, antwortete er. »Ich war draußen auf der Conen-Farm. Bin der Sache endlich mal richtig auf den Grund gegangen.«
»Und was ist dabei herausgekommen?« wollte Jank wissen. »Daß wir wahrscheinlich auf einer völlig falschen Fährte sind«, erklärte Trilsh. »Ich habe mich gründlich umgeschaut. Da gibt’s nichts – bis auf einen Haufen heruntergekommener Leute, die’s kreuz und quer miteinander treiben. Aber das ist schließlich nicht verboten.« »Und warum schotten die sich so ab?« wandte Rupert skeptisch ein. »Na, was meinst du, was passiert, wenn in Maitland bekannt wird, was für ein liederliches Privatleben der hochangesehene Professor Dr. Conen pflegt?« Marc Trilsh grinste verächtlich. »Bei aller Liberalität – Gruppensex wird einem Klinikchef auch heute noch nicht zugestanden.« »Dann können wir also endlich die Beobachtungsrunden aufgeben?« erkundigte Jank sich hoffnungsvoll. »Ja, Jungs, ihr hattet recht. Tut mir leid. Ich habe mich da in ein Hirngespinst verrannt. Ab sofort ist Schluß damit.« »Jippieh!« Jank schlug dem Sheriff auf die Schulter. Er war beeindruckt, daß sein Chef auch einmal einen Fehler zugeben konnte. Und noch großartiger fand er es, endlich von dieser elend langweiligen Observation entbunden zu sein. »Und was ist mit diesen Leuten aus Sydney?« hakte Rupert nach. »Deren Spur führte doch auch hierher.« »Ach was!« Trilsh winkte ab. »Sie haben genau wie ich die Flöhe husten hören, nur weil der Professor sich in seinem Schmerz über die gescheiterte Ehe ein wenig … äh, unkonventionell getröstet hat. In der Sache mit den Blutkonserven habe ich jedenfalls nichts, aber auch gar nichts Verdächtiges entdeckt.« »Also, ich weiß nicht …« Rupert kratzte sich am Kinn. »Und was ist mit dieser Minderjährigen? Müßten wir da nicht was unternehmen?« »Habe ich auch schon überprüft. Sie ist gerade achtzehn geworden und damit für sich selbst verantwortlich. Und jetzt Schluß damit,
verstanden?« Trilsh’ Augen funkelten. Rupert zuckte irritiert zurück. So hatte er seinen Chef noch nie gesehen. Wahrscheinlich war er von der durchwachten Nacht fix und fertig. Oder die Enttäuschung, wochenlang umsonst die Farm beobachtet zu haben, setzte ihm doch mehr zu, als er zugeben wollte. »Okay, okay«, murmelte Rupert. »Dann ist es ja gut!« Das klang so abweisend kühl, daß Rupert beinahe die Hacken zusammengeschlagen hätte. Der Alte machte, daß er aus dem Büro kam. Jank und Chick folgten ihm eilig. Vom Fenster aus beobachtete Sheriff Trilsh, wie seine Männer das Gelände verließen. Als sie endlich außer Sichtweite waren, griff er zum Telefon. Bevor Matt zum Bürodienst erschien, mußte er noch Darren Secada anrufen. Conen war nicht allzu beunruhigt gewesen, als er von seinem neuen Gefolgsmann erfahren hatte, daß zwei Leute aus Sydney hinter ihm herschnüffelten. Er hatte dem Sheriff aufgetragen, die beiden mit falschen Spuren zu beschäftigen, zumindest eine Weile noch. Der große Tag, auf den sie alle warteten, war nicht mehr fern. Bis dahin sollte es wohl gelingen, die lästigen Störenfriede auf Distanz zu halten. »Hallo Darren«, begrüßte Trilsh seinen Gesprächspartner. »Es gibt was Neues. Ich glaube, ich weiß jetzt, wohin die Blutkonserven geschafft werden. Conen ist nur ein Mittelsmann. Es scheint eine Riesenorganisation dahinterzustecken.« Er grinste, als er Darrens überraschten Ausruf vernahm. »Natürlich kann ich noch mehr dazu sagen. Aber nicht am Telefon, du verstehst. Können wir uns treffen? Irgendwo in der Stadt?« Er lauschte. »Ja, gut, in einer Stunde.« Er legte gerade in dem Moment auf, als Matt das Büro betrat. »Hey, Matt!« Er stand auf. »Gut, daß du da bist. Ich muß dringend weg. Werde wohl den ganzen Tag unterwegs sein.«
Er war ziemlich sicher, daß Darren und Diana sofort die pharmazeutische Fabrik zwischen Sydney und Maitland in Augenschein nehmen wollten, der er eine wichtige Rolle im Blutkonservenhandel anzudichten gedachte. Natürlich würde er darauf bestehen, mit dorthin zu fahren. Schließlich war es ja seine Entdeckung gewesen. Und wer weiß, welche irreführenden Spuren sich bei dieser Aktion noch legen ließen? Marc Trilsh’ kreative Kräfte waren in bisher nicht gekannter Weise aktiviert. Und er ahnte, daß dies erst der Anfang war. Die Macht der dritten Weissagung, in deren Dienst er genommen worden war, würde von nun an sein ganzes Denken und Handeln bestimmen und erweitern. Niemand würde ihn und eine Mitstreiter aufhalten können. Er war nun ein Teil jenes Geschehens, das der Welt ein neues Gesicht verleihen würde. Einer der Auserwählten …
* Seven kämpfte einen aussichtslosen Kampf, und sie wußte es. Das Geschöpf in ihrem Bauch – sie weigerte sich noch immer, es »Kind« nennen – hatte die Herrschaft über ihre Handlungen übernommen. Es zwang sie zu essen, obwohl sie nicht essen wollte. Es zwang sie zu trinken, obwohl sie bereit war, zu verdursten. Es hatte sie gezwungen, in der Redaktion anzurufen und sich krank zu melden. Und es versetzte sie immer wieder in Tiefschlaf, obwohl sich Seven verzweifelt dagegen wehrte. Sie wollte nicht schlafen, wollte nicht zur Marionette werden! Aber sie hatte keine Chance. Das Balg hatte sie aus dem Krankenhaus flüchten lassen und unerbittlich nach Hause getrieben. Seitdem hockte sie hier, aß und trank und verdöste den Tag in einem tranceartigen Dämmerzustand. Mehrmals hatte sie sich mühsam aufgerafft und versucht, Darren anzurufen. Aber sie konnte es nicht! Wann immer sie seine Handy-
nummer einzutippen begann, vertippte sie sich. Oder sie vergaß während des Wählens den Rest der Nummer! Es war wie in einem Alptraum! Nur daß Seven inzwischen jegliche Hoffnung aufgegeben hatte, jemals wieder daraus zu erwachen. Und daß sie wußte, es handelte sich nicht um einen Alptraum, sondern um die Realität! Der einzige Lichtblick in diesem Chaos war – so abartig es auch klang – ihr Wunsch, nicht weiterleben zu wollen. Im hintersten Winkel von Sevens Bewußtsein hatte sich dieser Gedanke eingenistet, und es gelang ihr, ihn dort zu halten, ein wenig verschwommen, vage, wie ein flüchtiges Traumbild, als fürchte sie, er werde von dem Lebenswillen des Monsters in ihr absorbiert werden, wenn sie ihn erst einmal ausdrücklich zu Ende gedacht und die logischen Schlüsse daraus gezogen hatte. So entwickelte Seven eine Art zweites, heimliches Bewußtsein. Zwar ahnte sie dumpf, daß diese Spaltung nicht gut war für ihre geistige Gesundheit, aber es war ihr gleichgültig. Solange sie noch einen Funken ihres Selbst der Macht des Geschöpfes entziehen konnte, war sie zu allem bereit. Schlimmer als jetzt konnte es nicht kommen. Meinte sie.
* Zwei Tage war es Marc Trilsh gelungen, Darren und Lilith mit Geschichten über eine Art Blutkonservenmafia von Conens Farm fernzuhalten. Dann war Lilith es leid. Es kam nichts dabei heraus, in der Gegend herumzukutschieren und sich wilden Spekulationen hinzugeben. Und es machte sie rasend, nichts wirklich Effektives tun zu können. Also beschloß sie, ihre ganz spezielle Art der Nachforschung zu betreiben. Und anfangen würde sie damit auf Conens Farm. Denn die Spur, die dorthin geführt hatte, war heiß gewesen, während die
Fährten des Sheriffs ihr allenfalls lauwarm vorkamen. Als Darren noch einen Schluck unten an der Hotelbar nahm, sprach sie ihm – für alle Fälle – eine Nachricht auf den Anrufbeantworter, öffnete das Fenster des Hotelzimmers und schwang sich in den dunklen Abendhimmel. Es war herrlich, durch die Dunkelheit zu fliegen, Sterne und Mond über sich, die Lichter der Stadt weit genug unter sich, auch wenn sich die Sinne, derer sie sich bediente, vollkommen von denen der Menschen unterschieden. Kaum zehn Minuten später landete sie etwas abseits der Farmgebäude in einem Baum. Die Metamorphose setzte sogleich ein, und anschließend hatte Lilith eine kurze Kletterpartie zu bewältigen, bis sie Boden unter die nun wieder menschlichen Füße bekam. Sie trug das schwarze Catsuit, das ihr in solchen Situationen immer gute Dienste geleistet hatte. Nur aus den Fenstern des Wohnhauses drangen Lichtschein und Geräusche. Die restlichen Gebäude lagen still und dunkel da. Lilith steuerte auf die große Scheune zu, betrat sie durch die kleine Seitentür, die unverschlossen war. Der Anblick des Propellerflugzeugs überraschte sie ein wenig, bis ihr einfiel, daß es auf den meisten größeren Farmen irgendwelche Fluggeräte gab. Sonst war hier nichts zu entdecken. Lilith verließ die Scheune wieder und wandte sich den ehemaligen Stallungen zu. Doch hier waren die Türen verriegelt und verrammelt. Wachsam immer zum Haus hin horchend, umrundete Lilith das Gebäude, in der Hoffnung, irgendwo auf ein offenstehendes Fenster zu stoßen. Tatsächlich entdeckte sie eines an der rückseitigen Giebelwand. Zwar befand es sich in gut zwei Metern Höhe, und der Spalt maß keine zwanzig Zentimeter, aber das stellte für eine Fledermaus kein Hindernis dar. Sekunden später tauchte Lilith ins Innere des Stallgebäudes ein –
und taumelte fast unter dem aufdringlichen Geruch, der ihr entgegenschlug und der für einen Augenblick ihre Sinne verwirrte. Der Geruch nach geronnenem Blut!
* Unwillkürlich hatte Pat nach Genes Hand gegriffen. Jetzt gruben sich ihre Fingernägel schmerzhaft in sein Fleisch. »Hast du … hast du das gesehen?« stammelte sie erstickt. Stocksteif standen die beiden im Schatten der Baumgruppe, aus der sie gerade herausgetreten waren. Umgeben noch von der Atmosphäre hitziger Lust, dem sie sich beide hingegeben hatten, waren sie plötzlich dem Grauen begegnet. Denn was ihre Sinne ihnen vorgegaukelt hatten, mußte ein Zerrbild der Hölle gewesen sein! Gene nickte. Einen Ton bekam er nicht heraus. Seine Kehle war wie ausgedörrt. »Die Frau … sie ist weggeflogen!« Plötzlich klang Pats Stimme ganz kindlich. »Wir müssen es Conen sagen!« Gene hatte sich endlich aus seiner Starre gelöst. Er zog das Mädchen mit sich, in weitem Bogen um den Stall herum, zum Wohnhaus hinüber. Die Anwesenden, Conen war darunter, fuhren herum, als sie in die Stube polterten. Gene rang nach Worten und mußte zweimal ansetzen, bevor er hervorstieß: »Conen, da … da ist eine Frau im Stall! Ein Ungeheuer!« Der Professor sah ihn halb alarmiert, halb irritiert an. »Was meinst du mit ›Ungeheuer‹?« »Sie … sie ist durch das hintere Fenster hinein … hineingeflogen«, ergänzte Pat. »Nachdem sie sich in eine Fledermaus verwandelt hatte!« Die Gruppe sah sich verblüfft an. Manch einer mochte am Geisteszustand der beiden zweifeln. Und doch wußten sie, daß sie sich so
eine Geschichte nicht aus den Fingern saugen würden. Conen trat auf Gene und Pat zu. »Also, was habt ihr genau gesehen?« fragte er, um einen sachlichen Ton bemüht. »Eine junge Frau so Mitte zwanzig, dunkle Haare, schlank. Sie tauchte an der hinteren Giebelwand der Stallungen auf. Wir haben beobachtet, wie sie einen Zugang suchte. Und wir wollten sie uns gerade schnappen, da … Ich weiß nicht, wie sie es gemacht hat, aber plötzlich war sie eine Fledermaus, flatterte hoch und verschwand durch ein halb geöffnetes Fenster.« Conens Blick ruhte unerbittlich auf Genes bleichem Gesicht, in dem die Augen flackerten wie erlöschende Flammen. Dann nickte er. »Okay, wenn ihr beide es gesehen habt, dann war es so.« »Du glaubst diesen Schwachsinn doch wohl nicht?« warf Bruce ein. »Doch!« Professor Conens Gesicht wirkte wie versteinert. »Denn genau so wurde die Kreatur beschrieben, auf die unsere Gruppe in Sydney traf.« »Und was soll sie sein? Etwa Graf Draculas Schwesterchen?« Bruce schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht an Vampire.« Conen lachte bitter auf. »Dann wird es vielleicht Zeit, damit anzufangen. Aber was immer diese Frau ist – sie ist äußerst gefährlich. In Sydney hat sie die Chimären des vierten Zeichens getötet und dabei gewütet wie eine Bestie.« Er wandte sich zur Tür. »Ich rufe in Moskau an. Irina wird uns sagen, was wir tun sollen.«
* Der Geruch war verwirrend. Lilith wußte nicht, ob er sie anregte oder ihr Ekel verursachte. Zweifellos war es der Duft von Menschenblut, gleichzeitig haftete ihm aber ein penetranter Gestank von Verwesung an. Sie liebte frisches Blut, das gerade noch in den
Adern seines Spenders pulsiert hatte, nicht solch morbides Zeug, wie es sich hier irgendwo befinden mußte. Lilith sah sich um. Die Boxen, in denen ehemals Pferde gestanden hatten, waren leer. Sie ging an ihnen entlang bis zu dem größeren Vorraum. Eine Unmenge Pakete waren dort gestapelt. Drei rundliche, flache Behälter lagen in der Mitte auf dem Boden. Von ihnen ging der Geruch aus. Lilith trat auf sie zu und beugte sich darüber. Die Schraubverschlüsse an den Oberseiten ließen sich leicht öffnen. Von zweien tropfte rote Flüssigkeit. Die Behälter waren bis zum Rand gefüllt, der dritte offenbar noch nicht. Eine weitere Duftnote mischte sich in das Duftkonglomerat: Chemie. Wahrscheinlich waren dem Blut Zusätze beigefügt worden, um es haltbarer zu machen. Gedankenverloren leckte Lilith sich die Finger ab, bevor sie die Behälter wieder zuschraubte, und wandte sich dann den Paketen zu. Sie riß eine der Packungen auf. Was sie zu sehen bekam, überraschte sie schon nicht mehr. Die Aufschrift war eindeutig. Blutkonserven. In rauhen Mengen. Blut wurde also hier gesammelt und aufbewahrt. Aber wozu? Gewiß nicht, um damit Handel zu treiben. Das angegammelte Blut in den Behältern war mit Sicherheit für medizinische Zwecke nicht mehr geeignet. Nachdenklich starrte Lilith auf die Pakete. Aber ihre Gedanken glitten ab, verschwammen, färbten sich blutig rot. Durst stieg in ihr auf, die unwiderstehliche Forderung ihrer dunklen Natur …
* Conen hatte den Telefonlautsprecher zugeschaltet, so daß sie alle die Anweisungen mithören konnten, die Irina, das Sektenoberhaupt im fernen Moskau, ihnen gab. »Ich will sie lebend«, klang ihre Stimme aus dem Lautsprecher. »Ihr dürft sie nur im äußersten Notfall töten, habt ihr gehört? Ich
komme und kümmere mich selbst um sie!« »Aber was ist sie?« fragte Professor Conen. »Eine Vampirin«, gab Irina zurück, ohne den Hauch eines Zweifels. »Obwohl das eigentlich unmöglich ist, aus Gründen, die ihr nicht versteht. Und darum muß ich sie unbedingt in die Hände bekommen.« »Könnten wir sie nicht einfach das Pergament berühren lassen und so zu einer von uns machen?« fragte Gene aus dem Hintergrund. »Nein!« peitschte Irinas Antwort durch den Raum. »Ich will sie unbeschadet! Ihre Existenz ist ein Rätsel, das ich lösen muß. Und vielleicht ist gerade ihr freier Wille der Schlüssel dazu.« »Wie sollen wir vorgehen?« erkundigte sich Conen. »Wenn sie hier so wütet wie im Zoo von Sydney … Unsere ganze Aktion wäre gefährdet. Dabei stehen wir kurz vor dem Ziel.« Kurzes Schweigen, dann: »Ihr müßt sie ablenken und dann überwältigen. Gebt ihr die Gelegenheit, Blut zu trinken, frisches Blut, versteht ihr? Direkt aus einem lebenden Menschen.« Einen Stöhnen ging durch die Gruppe. »Wir sollen einen von uns … opfern?« fragte Conen bestürzt. »Es dient der Sache«, sagte Irina hart. »Er stirbt für die dritte Weissagung. Könnte es ein lohnenderes Ziel geben?« Sie wußten, daß Irina recht hatte. Nicht, weil sie es logisch nachvollziehen konnten, sondern weil sie so initiiert worden waren, im gleichen Moment, da sie das Pergament der Weissagung berührt hatten. »Und sterben muß er auf jeden Fall«, fuhr Irina fort. »Denn auch wenn die Vampirin ihn nicht selbst tötet, gewinnt sie die Kontrolle über ihn! Er wäre vom gleichen Augenblick an eine Gefahr für die Gruppe und unsere Ziele. Brecht ihm also das Genick, sobald die Vampirin überwältigt ist.« Conen nickte. »Ich habe verstanden. Wie können wir sie in Schach halten?«
»Fesselt sie gut und hängt ihr ein Kreuz um den Hals. Das wird ihre Metamorphose verhindern«, wies Irina sie an. »Und nun geht und tut, was ich befohlen habe!« Conen nickte. »Wir hören und gehorchen.« Er beendete das Gespräch, dann wandte er sich an die Gruppe. »Ihr habt es gehört. Einer von uns wird sich opfern.« Er mußte nicht lange suchen. Sein Finger zeigte auf einen athletisch gebauten Mann Anfang zwanzig. »Hank, du wirst unserer Sache mit deinem Tod dienen.« Hank senkte die Augen, widersprach aber nicht. Daß die Wahl auf ihn gefallen war, erfüllte ihn im Gegenteil mit Stolz, denn er wußte, daß das Gelingen der ganzen Aktion, die Erfüllung des fünften Zeichens, nun von ihm abhing. Er würde seinen Lohn erhalten, in einer anderen Welt. »Ein Kreuz ist in der Diele«, fuhr Professor Conen fort. Es hatte schon dort gehangen, als er die Farm übernommen hatte. Er ging zu einem dunklen Eichenschrank, bückte sich und öffnete die unterste Schublade. »Und hier sind Stricke. Also – laßt uns beginnen!«
* Als Lilith das Knarren vernahm, fuhr sie herum und duckte sich instinktiv. Das große Schiebetor zur Stallung wurde geöffnet; ein schwacher Lichtkegel fiel in den dunklen Raum. Die Silhouette eines Mannes tauchte vor dem Türgeviert auf. Er schien etwas bei sich zu tragen. Lilith duckte sich tiefer in die Schatten. Jetzt konnte sie erkennen, daß es sich um einen noch jungen Kerl handelte. Er schleppte einen Kanister zu dem halbvollen Tank, beugte sich über den Verschluß und fingerte daran herum. Lilith trat lautlos vor. »Na, wen haben wir denn da?« Als er mit einem leisen Schrei herumwirbelte und sie erschrocken anstarrte, hatte sie Gelegenheit, ihn von Kopf bis Fuß zu mustern.
Und ihr gefiel, was sie sah. »Wer … wer sind Sie?« ächzte der Junge. »Wie kommen Sie hier rein? Ich werde –« »Gar nichts wirst du!« unterbrach Lilith ihn harsch. »Im Gegenteil – ich werde.« Sie sah ihm tief in die Augen, und sein Schrecken erlosch. Zusammen mit seinem Widerstand. Die Lust, die an dessen Stelle trat, hatte zwar ihren Ursprung nicht in ihm selbst, aber das minderte sie keineswegs. Noch zaghaft hob er die Linke und legte sie auf Liliths Hüfte. Kurz zuckte er zurück, als das schwarze Gewebe, das ihren Körper bislang wie ein zerfetztes Catsuit verhüllt hatte, plötzlich seine Form änderte und sich zu einem knappen T-Shirt und Shorts umbildete. Im nächsten Augenblick hatte er den unheimlichen Vorgang bereits wieder vergessen und ließ seine Hand höher wandern, unter das Shirt. Was seine Finger berührten, erregte ihn unverkennbar. Sein Atem ging schneller, er beugte den Kopf vor, legte seine Lippen in ihre Halsbeuge. Das T-Shirt schien von selbst wegzurutschen, gab die hell schimmernde, köstlich seidige Haut frei. Seine Hand umfaßte die Rundung einer üppigen Brust unter dem Stoff, sein Daumen fuhr über die Brustwarze, die sich augenblicklich verhärtete. Gleiches geschah in seiner Hose, bis sein Glied schmerzhaft nach Freiheit verlangte. Lilith erlöste ihn, indem sie seinen Gürtel öffnete und den Reißverschluß herunterzog. Er keuchte auf, als sein Penis in die Höhe sprang. Lilith drängte sich dichter an ihn, bis sich die Eichel am Symbiontenstoff ihrer Shorts rieb. Sie winkelte die Beine ein wenig ab, nahm sein bestes Stück zwischen ihre Schenkel und preßte sie wieder zusammen. Die Augen schienen ihm aus dem Kopf zu quellen, während sie ihr Becken leicht vor und zurück bewegte. Lange würde er es nicht mehr zurückhalten können. Rasch senkte Lilith ihren Kopf zu seinem Hals hinab, um sich zu
holen, was sie wirklich von ihm wollte. Ihre spitzen Eckzähne drangen sanft in seine Haut. Blut drang aus winzigen Wunden und netzte ihre Lippen … Doch da zerbarst der Zauber der Leidenschaft in einem unvermittelten Schmerz, der sie aufschrien ließ. Lilith wurde brutal an den Haaren zurückgerissen. Ein Schlag auf den Kopf lähmte ihr Reaktionsvermögen. So konnte sie nicht verhindern, daß sie von ihrem Opfer weggerissen wurde und gleichzeitig ein Streifen Klebeband ihren blutverschmierten Mund verschloß. Während sich stählerne Griffe um ihre Hand- und Fußgelenke schlossen und sie hielten, legte sich ein Strick würgend um ihren Hals, dann um den Oberkörper. Die ganze Aktion dauerte keine zehn Sekunden. Lilith blieb keine Zeit, sich darauf einzustellen, auch nur den Ansatz einer Gegenwehr zu starten. Ein zweiter, noch heftigerer Schlag auf den Kopf raubte ihr endgültig das Bewußtsein …
* »Was ist los? Ist was passiert?« Sheriff Marc Trilsh wunderte sich über die Anspannung in den Gesichtern seiner neuen »Freunde« – und über die Tatsache, daß an diesem Abend alle bis an die Zähne bewaffnet waren, sogar Pat. »Kann man wohl sagen! Sei froh, daß du erst jetzt kommst!« Gene Shotsman deutete nach unten. »Geh in den Keller und sieh dir an, was für einen Fang wir gemacht haben. Nein, warte, ich komme mit.« Er zog einen Revolver aus seinem Gürtel und entsicherte ihn. »Für alle Fälle. Dem Weibsbild ist nicht zu trauen.« Auf dem Weg hinab in den Keller berichtete Gene von den Geschehnissen des Abends. Marc schwante schon, um wen es sich bei der »Vampirin« handeln mußte – und als Gene die mit zwei Riegeln
gesicherte Stahltür endlich geöffnet hatte und er einen Blick in den fensterlosen Raum werfen konnte, fand er seine Vermutung bestätigt. Die schwarzhaarige Frau, die gut verschnürt und mit einem Klebestreifen über Mund und Kinn zusammengesunken in einer Ecke des Kellers hockte, war niemand anderes als Diana Millert. Offenbar war sie immer noch bewußtlos. Ihr Kopf ruhte bewegungslos auf ihrer Brust, dicht neben einem großen hölzernen Kreuz, das man ihr umgehängt hatte. Wie gebannt haftete Marcs Blick auf den blutverschmierten Hautpartien um ihren Mund, die nicht von Klebeband bedeckt waren. »Und du sagst, sie ist eine Vampirin?« Er konnte es einfach nicht glauben. »Frag ihn«, erwiderte Gene trocken und deutete auf einen zweiten, ebenfalls reglosen Körper, der in einer anderen Ecke des Kellergevierts lag. Hank sah allerdings nicht so aus, als ob er jemals wieder aufwachen würde. Sein Gesicht mit den weit aufgerissenen, blicklosen Augen war ihm auf den Rücken gedreht worden. Trilsh schauderte. »Das hat … sie getan?« fragte er tonlos. »Nicht ganz«, entgegnete Gene. »Wir mußten ihn selbst töten, nachdem sie ihn gebissen hatte. Sonst wäre er zu ihrem Diener geworden und hätte uns angegriffen.« Marc Trilsh schluckte schwer. Aber er akzeptierte es. So wie er alles akzeptierte, was zum Gelingen des Plans beitrug. Ganz egal, wie viele Opfer es fordern würde, auch aus den eigenen Reihen. Kurz darauf saß er mit den anderen zusammen im Wohnraum des Haupthauses. Nach Hanks Tod waren sie wieder sieben. »Wir müssen ihren Begleiter, diesen Darren Secada, ebenfalls in unsere Gewalt bringen«, meinte Trilsh, nachdem er ihnen berichtet hatte, daß die überwältigte Vampirin mit jener Diana Millert identisch war, die den Professor der Unterschlagung von Blutkonserven verdächtigte. »Das könnte ich übernehmen, wenn ich ihn im Laufe
des Tages treffe. Andererseits – wenn er über ihren nächtlichen Ausflug informiert war, wird er wahrscheinlich bald selbst hier auftauchen, um nach ihr zu suchen. Wir brauchen eigentlich nur auf ihn zu warten.« Conen nickte zufrieden. »Dann werden wir ihn freundlich in Empfang nehmen. Spiele also weiter deine Rolle als hilfreicher Gesetzeshüter.« Marc Trilsh nickte. »Kein Problem. Er vertraut mir …«
* Roberto Beringer war mächtig stolz auf seinen durchtrainierten Körper, an dem es kein Gramm Fett zuviel, dafür aber deutlich sichtbare Muskelpartien gab. Das ließ er sich was kosten. Fast sein gesamtes Geld steckte er in Trainingsstunden, fast seine gesamte Freizeit verbrachte er in Fitneßstudios. Und selbst jetzt, auf dem Heimweg vom Studio in der Chanelstreet, nutzte er die Gelegenheit für einen Langstreckenlauf. So schlug er zwei Fliegen mit einer Klappe. Er sparte das Geld für Benzin oder Busfahrkarte und tat außerdem noch etwas für seine Gesundheit. Das Stück über die Brücke, die den Port Jackson überspannte, liebte er besonders. Vor allem um diese Uhrzeit. Denn in den späten Abendstunden fuhren hier längst nicht so viele Autos wie tagsüber, wenn die konzentrierten Abgase das Atmen zu einer Qual machten. Außerdem waren kaum Fußgänger oder Radfahrer unterwegs. So konnte er die Strecke von mehr als einem Kilometer hinter sich bringen, ohne ständig ausweichen zu müssen. In gleichmäßigem Rhythmus bewegten sich seine Beine wie die Kolben eines Motors. Sein Blick glitt am Geländer entlang, das mehr als mannshoch und im oberen Drittel nach innen gebogen war. Aus gutem Grund. Wer von hier oben ins Wasser der fjordähnlichen Bucht stürzte, freiwillig oder unfreiwillig, schlug darauf auf wie auf
einen Betonklotz. Plötzlich irritierte etwas Robertos selbstzufriedenes Wohlbefinden. Eine Bewegung ein Stückweit vor ihm brachte ihn aus dem Laufrhythmus. Er kniff die Augen zusammen, um erkennen zu können, um was es sich handelte. Dann, als eine Ahnung heiß in ihm hochstieg, erhöhte er sofort sein Lauftempo. Dennoch dauerte es noch fast eine Minute, bis er die Stelle erreichte, an der ein Mensch sich an dem Geländergitter hinaufhangelte. Eine junge Frau mit schulterlangen blonden Haaren. Sie hatte sich mit unglaublicher Kraft bereits ein ganzes Stück weit hochgearbeitet, die Beine um die Streben geklammert, die Hände wie Schraubstöcke darum gelegt. Dennoch bezweifelte Roberto, daß die junge Frau die leichte Innenneigung des Gitters ohne Hilfsmittel würde überwinden können. Aber das war natürlich kein Grund, hier tatenlos herumzustehen und der Lebensmüden in aller Ruhe zuzusehen. »Hey, Miss!« Roberto brauchte sich kaum zu recken, um nach einem ihrer Füße zu greifen. »Lassen Sie das sein! Kommen Sie da runter!« Er schrak zusammen, als die Frau urplötzlich loskreischte und nach ihm trat. Sie erwischt ihn so heftig am Kopf, daß Sterne vor seinen Augen aufblitzten. Roberto hatte irgendwo mal gehört, daß man in ruhigem und festem Tonfall mit Lebensmüden reden sollte. Aber nach der unerwarteten Attacke hatte er wenig Lust dazu. Also sparte er sich das Reden und kletterte stattdessen neben der Schreienden an den Streben hoch, bis sein Kopf auf gleicher Höhe mit ihrem war. Ein Blick in ihr Gesicht ließ ihn zusammenzucken. Ihre Wangen waren aufgedunsen, ihre bleiche Haut glänzte vor Schweiß. In ihren Augen flackerte es. Und immer noch schrie sie. »Seien Sie endlich still, Miss!« brüllte Roberto sie an, aber auch das brachte sie nicht zur Vernunft. Er versuchte eine ihrer Hände von
der Strebe zu lösen – vergeblich. Lange würde er sich nicht mehr halten können. Er mußte eine Entscheidung treffen, sofort. Da schlang er von der Seite her ein Bein um ihre Mitte und schlug mit seiner Faust wohldosiert gegen ihr Kinn. Ihr Kopf flog zurück, der Mund klappte zu, ihre Hände lösten sich. Sie wäre zu Boden gestürzt, wenn Robertos Bein sie nicht fest gegen die Streben gepreßt hätte. Blitzschnell legte er einen Arm um sie, schob sie sich zurecht, um sie besser in den Griff zu bekommen, und kletterte dann langsam mit ihr nach unten. Doch das war mit der sperrigen Last im Arm nicht ganz einfach. Auf dem letzten Meter entglitt sie ihm und stürzte auf den Fußgängerweg, wo sie reglos liegen blieb. Roberto sprang hinab und kniete sich neben sie hin. Sie war bewußtlos. Betroffen starrte er auf sie nieder. Er hatte nie einen ErsteHilfe-Kursus absolviert. Was sollte er nun mit ihr tun? Sie mußte in ein Krankenhaus, am besten direkt in die Psychiatrie. Roberto schaute die Fahrbahn hinauf und hinunter. Natürlich, ausgerechnet jetzt war niemand mit dem Wagen unterwegs. Es war zum Verzweifeln! Doch nach wenigen Sekunden tauchten am Ende der Brücke die Lichter von Scheinwerfern auf. Gott sei Dank, ein Auto näherte sich! Eilig hechtete Roberto über die Abtrennung zwischen Auto- und Fußgängerweg und lief winkend mitten auf die Straße, in der Hoffnung, daß der Fahrer ihn nicht einfach über den Haufen fahren würde. Erleichtert registrierte er, daß der Wagen langsamer wurde und schließlich ein paar Meter vor ihm zum Stehen kam.
* Eine Viertelstunde später wurde Seven van Kees in der Ambulanz der Psychiatrischen Klinik von Sydney eingeliefert. Roberto Berin-
ger atmete auf, als er die Verantwortung für sie Frau an das Ambulanzteam abgeben konnte. Denn nach dem zu urteilen, was sie im Auto im Dämmerzustand vor sich hingebrabbelt hatte, war sie nicht nur lebensmüde, sondern vollkommen wahnsinnig.
* Darren war chancenlos gewesen. So vorsichtig er sich auch angeschlichen hatte, sie hatten ihn erwartet und waren zu dritt über ihn hergefallen. Dann hatten sie ihn vor sich hergestoßen und in dieses entsetzlich stinkende Gebäude geschafft, wo er nun gefesselt und geknebelt auf dem harten Boden lag, offenbar in einer leeren Pferdebox. Im trüben Schein der nackten Glühbirne, die unter der Decke schaukelte, konnte er kaum etwas erkennen. Er hörte nur, daß sich noch andere Menschen hier aufhielten, anscheinend in einem Vorraum, den er von der Box aus nicht einsehen konnte. Und nun kamen sie wieder zu ihm. Der grobschlächtige Hüne mit der Glatze, der Darren vorhin mit ausgesuchter Gemeinheit gefesselt hatte, grinste in erwartungsvoller Vorfreude. »Nun machen wir kurzen Prozeß, Freundchen.« Er hob seinen Revolver und entsicherte ihn genüßlich. »Und dann werden wir dich um einiges erleichtern. Nicht wahr, Gene?« Er wandte sich zu einem smarten jungen Mann um, der hinter ihn getreten war. »Es ist nämlich nicht so, daß du ganz nutzlos wärst, nachdem ich dich erschossen habe. Einige Literchen können wir schon noch von dir gebrauchen. Unsere Tanks sind leider noch nicht ganz voll.« Darren stockte der Atem, als er sah, was Gene in der Hand hielt. Es war eine Konstruktion aus einer mit Schläuchen und einer Kanüle versehenen Saugpumpe. Augenblicklich begriff er. Sein Blut sollte ihm abgezapft werden! Und zwar restlos, so wie dem Penner, dem Wanderarbeiter, dem Tramper und der Hure, die Winston unter
dem Messer gehabt hatte. Plötzlich wurde ihm auch klar, wonach es hier so stank. Nach geronnenem Blut! »Und mach dir keine falschen Hoffnungen, deine blutsaugende Freundin könnte dich im letzten Augenblick herauspauken«, fuhr der Hüne ungerührt fort. »Die haben wir nämlich auch in sicherer Verwahrung, verschnürt wie ein Weihnachtspäckchen im Keller.« Lilith war also hier – und noch am Leben! Obwohl diese Typen ganz offensichtlich wußten, was sie wirklich war. Was hatten sie mit ihr vor? Die Frage stand so deutlich in seinen Augen, daß Bruce hämisch grinste. »Du fragst dich wohl, was aus ihr wird«, sagte er. »Nun, sagen wir mal: Du bist besser dran. Das sollte dich trösten – irgendwie.« Er brach in schallendes Gelächter aus. Darrens Gedanken rasten, drehten sich im Kreis. Gab es keinen Ausweg mehr? Würde er sterben … hier und jetzt? Ein Gesicht tauchte vor seinem geistigen Auge auf – das Konterfei des einzigen Menschen, der ihm jetzt noch beistehen konnte: Marc Trilsh. Er hatte dem Sheriff eine Nachricht auf Band gesprochen, bevor er hierher gekommen war. Aber wann würde er sie abhören? Wann würde er hier sein können? Zu spät, schoß es Darren durch den Kopf, als der Glatzkopf seinen Revolver auf ihn richtete. Er schloß die Augen. Hoffentlich würde es wenigstens schnell gehen! Im nächsten Moment peitschte ein Schuß durch die Stille. Darren erwartete den Schmerz … … aber der blieb aus! Stattdessen brüllte ein Mann auf. Etwas polterte. Darren riß die Augen auf. Der Glatzköpfige war aus seinem Blickfeld verschwunden, und Gene hatte sich hinter einem der Bluttanks in Sicherheit gebracht. Er
blickte suchend um sich. Ein zweiter Schuß! Es klirrte blechern. »Er hat einen der Tanks getroffen!« gellte Genes Stimme, und es lag soviel Panik darin, als hinge sein Seelenheil von der Unversehrtheit des Behälters ab. Das hatte wohl auch der unsichtbare Schütze mitbekommen, denn seinem nächsten Schuß folgte wieder ein metallisches Klirren. »Nein!« Gene brüllte auf – und verließ seine Deckung! Im nächsten Moment stieß ihn eine weitere Kugel zurück. Er verschwand in einer der Pferdeboxen. Darren rollte sich herum und zerrte an seinen Fesseln. Nun konnte er auch den Hünen sehen, der sich vor ihm im Stallgang stöhnend auf dem Boden wand, mit der linken Hand sein rechtes Handgelenk umklammernd, das blutverschmiert war. Seine Waffe war nirgends zu sehen. Wahrscheinlich war sie ihm aus der Hand geschossen worden. Drüben im Vorraum herrschte Chaos. Geschrei und hektisches Gepolter drangen von dort herüber. »Das Blut! Fangt das Blut auf!« Eine helle, kreischende Mädchenstimme. Darren versuchte verzweifelt, sich zu befreien, aber die Stricke saßen zu fest. Er konnte sich kaum rühren. Da tauchte ein dunkler Schatten neben ihm auf. Im ersten Moment zog Darren den Kopf ein, in Erwartung eines gemeinen Schlags. Dann aber registrierte er erstaunt, daß jemand mit einem Ruck seine Fesseln durchschnitt und sich an seinem Knebel zu schaffen machte. »Paul Perkinson, Privatdetektiv«, hörte er seinen Retter flüstern. »Ich bin auf Ihrer Seite! Ich beobachte Sie schon lange, seit Ihrem Besuch in der Archibald Green-Klinik.« Er lachte leise auf. »Erst dachte ich ja, Sie würden mit denen unter einer Decke stecken. Aber das hat sich jetzt ja wohl erledigt.«
Die letzte Fessel fiel. Darren rappelte sich auf. Seine Beine und Arme prickelten, als das abgeschnürte Blut die Adern durchpulste. »Danke!« flüsterte er zurück. »Ich schulde Ihnen was.« »Dann sorgen Sie mal dafür, daß wir auch wieder lebend von hier wegkommen«, entgegnete Perkinson trocken und drückte Darren den Revolver des Glatzkopfs in die Hand. »Wir haben es nämlich noch nicht überstanden!«
* Conen erkannte sofort, daß Gefahr im Verzug war. Ein Blick auf die Blutlache im Vorraum des Stalles und die beiden leckgeschossenen Tanks machte ihm klar, daß sie unverzüglich handeln mußten. Und da sie Anzahl und Stärke ihrer Gegner nicht kannten, bedeutete das: »Wir verschwinden! Pat, sag Marc Bescheid, daß er die Vampirin zum Flugzeug bringen soll. Und hol das Papier«, befahl er. »Duran und Gus, ihr kümmert euch um die Tanks hier. Schafft sie ins Flugzeug, auch die Blutkonserven. Wir starten die Aktion sofort!« Bruce kam geduckt herbeigerannt. Mit jammervoller Miene hielt er seine bluttriefende Hand. »Was ist mit Gene?« fragte Professor Conen. »Tot«, knirschte Bruce wortkarg. »Okay.« Conen wies nach draußen. »Du hilfst mir, die Maschine startklar zu machen. Wir treffen uns dort in fünf Minuten. Los!«
* Darren und Paul Perkinson beobachteten die Farm aus sicherer Entfernung aus der Deckung eines verrosteten Traktors heraus. Die Flucht war leichter verlaufen, als sie gedacht hatten; offenbar kümmerte man sich gar nicht mehr um sie, sondern war damit beschäf-
tigt, hier alle Zielte abzubrechen. Dafür sprach die hektische Betriebsamkeit, die sich im Haupthaus entwickelt hatte. Dort befand sich auch Lilith, im Keller, wenn der Glatzkopf die Wahrheit gesagt hatte. »Sie sind ja verrückt!« zischte Perkinson neben Darren. »Man wird Sie schnappen!« »Ich muß es riskieren! Ich lasse Lilith nicht zurück!« »Lilith? Ich dachte, sie hieße Diana!« Darren seufzte. »Scheißegal, wie sie heißt. Wichtig ist nur, daß wir sie da rausholen!« »Wir?« echote Perkinson. Darren grinste ihn an. »Was ist denn mit ihrer Berufsehre? Gangster bekämpfen, wehrlose Frauen retten …« »Sie haben zu viele Mike-Hammer-Filme gesehen«, murrte Perkinson. »Aber ich kann Sie ja schlecht allein gehen lassen. Also okay, ich bin dabei.« Er wies auf Darrens Revolver. »Können Sie wenigstens mit dem Ding umgehen?« »Ich bin Polizeipathologe«, gab Darren zurück und erntete einen verblüfften Blick seines Kampfgefährten, »und habe die Grundausbildung absolviert. Beantwortet das Ihre Frage?« Paul Perkinson nickte knapp. »Dann los!« Sorgfältig jede Deckung ausnutzend, machten sie sich auf den Weg um das Haus herum. Immer wieder tauchten Mitglieder der Sekte in ihrem Sichtfeld auf, und sie mußten warten, bis die Luft wieder rein war, bevor sie weiterhasten konnten. Auch bei der Lagerhalle herrschte jetzt hektische Betriebsamkeit. Eben kamen zwei Männer mit einem Karren heran, auf dem die Bluttanks aufgeladen waren, und verschwanden damit durch das breite Tor. Was sich dahinter abspielte, konnten Secada und Perkinson nicht erkennen. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie das Haus umrundet hat-
ten und vor dem halboffenen Fenster anlangten, durch das schon Lilith ins Haus eingedrungen war. Nun war besondere Vorsicht geboten. Es gab hier kaum etwas, das ihnen Deckung bieten konnte. Sich jedoch flach ins Gras geduckt anzurobben, dafür fehlte ihnen die Zeit. Also entschlossen sie sich, das letzte Stück im Laufschritt zurückzulegen. Es ging gut; niemand wurde auf sie aufmerksam. Beim Fenster angelangt, stieg Darren auf Pauls verschränkte Hände und zog sich zum Fenster hinauf, dann half er seinem Kampfgefährten. Der Raum, in den sie eindrangen, war stockdunkel, doch von jenseits der Tür klangen Geräusche zu ihnen, die bewiesen, daß es im Haus zuging wie in einem Bienenkorb. Keine guten Voraussetzungen, um ungesehen in den Keller zu gelangen. Trotzdem mußten sie es versuchen. Darren lehnte sich an die Wand und öffnete die Tür gerade soweit, daß er hindurchschauen konnte. Das erste, was er sah, war ein Schatten, der nur Zentimeter entfernt an der Tür vorbeihuschte. Vor Schreck hätte Darren beinahe aufgeschrien, aber er beherrschte sich im letzten Moment. Alles klar; der Mann, der nun in Richtung Ausgang lief, hatte nichts bemerkt. Ein junges Mädchen, das einen Fetzen Papier in der Hand hielt, schloß sich ihm an; beide verließen das Haus. Die Tür fiel krachend zu.
* Stille kehrte ein. Darren schob die Tür vorsichtig weiter auf und horchte angestrengt nach oben. Kein Laut war zu hören. Ob alle das Haus verlassen hatten? Ohne ein Geräusch zu verursachen, schob er sich in den Korridor. Perkinson folgte dichtauf. Aus einer offenen Tür nur wenige Schritte entfernt fiel Lichtschein in den Flur. Aber alles bleib ruhig.
Dann stockte Darren der Atem. Im erhellten Türrahmen erschien plötzlich eine dunkle Silhouette. Es war zu spät, um sich zurückzuziehen. Blieb nur noch eine Option. Darren hab den Revolver … … und ließ ihn wieder sinken, als er die Gestalt erkannte, die vor ihm auftauchte. »Sie sind es! Gott sei Dank! Ich dachte schon …« Sheriff Marc Trilsh war heftig zusammengezuckt, als er unvermittelt in die Mündung eines Pistolenlaufs geblickt hatte; nun entspannte er sich wieder. »Da sind Sie ja, Darren!« zischte er leise. »Ich habe schon überall nach Ihnen gesucht! Ist alles in Ordnung?«
* Lilith wußte nicht, wo sie war. Es war dunkel in dem kleinen Raum – aber nicht dunkel genug, als daß ihr vampirischer Blick versagt hätte. Sie sah gebogene Metallwände, über sich eine kunststoffverkleidete Decke, rechts eine schmale Tür mit abgerundeten Ecken. Sie brauchte ein paar Minuten, bis ihr aufging, daß sie sich im Innern eines Flugzeuges befinden mußte, wahrscheinlich in der Propellermaschine, die sie in der Scheune gesehen hatte. Ihre Hände und Füße waren gefesselt, und sie trug immer noch den Klebestreifen über dem Mund. Von ihrer Brust her kam ein unangenehmes Ziehen. Sie senkte den Blick – und mußte wider Willen lächeln. Ein Kreuz! Wahrscheinlich wollten ihre Gegner sie damit bannen, nicht wissend, daß sie nur zur Hälfte Vampir war und christliche Symbole ihr daher nur Unbehagen, aber keine Schmerzen bereiteten. Dafür sorgten schon die Blessuren, die sie sich bei dem plötzlichen Überfall im Stall zugezogen hatte. Jeder einzelne Knochen im Leib tat ihr weh, und es würde wohl noch eine Weile dauern, bis ihre
Selbstheilungskräfte alle Blutergüsse und Prellungen geheilt haben würden. Aber das war jetzt zweitrangig. Wichtig war, daß sie hier herauskam, je früher, desto besser. Die Fesseln würden sie nicht lange halten. Als Fledermaus konnte sie leicht … Lilith hatte den Gedanken noch nicht zu Ende geführt, als sich plötzlich die Tür öffnete und ein junges Mädchen, kaum fünfzehn, sechzehn Jahre alt, den Raum betrat. Sie hielt einen Revolver in der Hand, den sie auf Liliths Kopf gerichtet hielt. Die Halbvampirin sank zurück. Kein guter Zeitpunkt für eine Metamorphose. Eine Kugel ins Hirn konnte selbst ihr Leben beenden. Sie mußte warten, bis sich eine günstigere Gelegenheit ergab. Mit einem groben Ruck riß das Girl Lilith den Klebestreifen vom Mund. »Schreien brauchst du nicht«, teilte sie kühl mit. »Hier hört dich eh niemand. Aber du kannst mir ein paar Fragen beantworten, während wir auf den Start warten.« Sie ließ sich auf einem Kistenstapel Lilith gegenüber nieder. »Stimmt es, daß ihr Vampire unsterblich seid …?«
* »Marc! Himmel, bin ich froh, dich zu sehen!« Darrens Erleichterung war unüberhörbar. »Wo sind deine Leute? Habt ihr die Ganoven schon festgesetzt?« Marc winkte ab und wies auf Paul. »Wer ist er?« »Paul Perkinson, Privatdetektiv«, stellte Paul sich vor. Er steckte seine Waffe ins Schulterholster zurück und reichte dem Sheriff die Hand. »Freut mich, Sie –« Die restlichen Worte blieben ihm im Halse stecken, als Marc Trilsh seine Waffe zog und auf die beiden Männer richtete. »Die Hände über den Kopf!« befahl er. »Los, da rüber!« Er wies
auf den Durchgang zum Wohnzimmer. »Was … was soll das, Marc?« Darren rührte sich nicht von der Stelle, aber er hob langsam die Hände, Paul ebenso. Trilsh’ Miene ließ nicht darauf schließen, daß er nur einen dummen Scherz machte. »Da rüber!« Weder Darren noch Paul wagten es, Widerstand zu leisten. Sie gingen in den Wohnraum hinüber und ließen sich auf Marcs Wink hin auf zwei Stühlen nieder. Trilsh hielt Perkinson eine Rolle Klebeband hin. »Fessele ihm die Füße!« befahl er, und Paul blieb nichts anderes übrig, als dem Folge zu leisten. Dann mußte im Gegenzug Darren dem Detektiv die Fußgelenke zusammenbinden. »Jetzt die Hände auf den Rücken!« Darren und Paul spürten Metall auf der Haut, hörten es klicken. Trilsh hatte ihnen Handschellen angelegt. »Was soll das, Marc?« Darren wollte nicht glauben, was sich hier abspielte. Hatte der Sheriff den Verstand verloren? »Nun …« Marc setzte sich auf eine Tischkante und grinste sie an, seine Waffe nach wie vor auf sie gerichtet. »Man könnte sagen, ihr seid festgenommen.« »Warum, um Himmels willen?« Darren mochte die Hoffnung, daß es sich um einen entsetzlichen Irrtum handelte, immer noch nicht aufgeben. »Weil ihr uns im Weg seid!« Trilsh warf einen kurzen Blick aus dem Fenster auf den Platz vor dem Haus und nickte zufrieden, als er sah, daß das große Scheunentor nun ganz geöffnet wurde. »Wir haben eine Mission zu erfüllen«, fuhr er triumphierend fort. »Wir?« Darren konnte nur noch krächzen. Die Wahrheit über Marc Trilsh ließ sich nicht mehr leugnen, obwohl er sich verzweifelt dagegen wehrte. Der Mann war zum Verräter geworden, machte mit diesen Verbrechern gemeinsame Sache!
»Schöne Freunde haben Sie«, stellte Paul Perkinson zerknirscht fest. »Da möchte ich Ihre Feinde lieber gar nicht erst kennenlernen.« »Aber …« Darren verstummte. Es hatte keinen Zweck mehr, die Tatsache zu leugnen, daß er sich in dem sympathischen Sheriff entsetzlich getäuscht hatte. »Ich würde sagen: Pech gehabt«, höhnte Marc. »Aber Sie brauchen sich nicht lange zu grämen. Sie werden sterben. Beide.« Darren erbleichte. »Das … kann nicht Ihr Ernst sein!« »Sozusagen mein tödlichster Ernst«, gab Trilsh lakonisch zurück. Draußen rollte jetzt die Propellermaschine dröhnend aus der Scheune, vollführte eine knappe Drehung und holperte vom Haus weg auf die weite ebene Fläche zu, die sich hinter den Wirtschaftsgebäuden erstreckte. »Und wer seid ihr? Eine Bande gewöhnlicher Krimineller?« Paul Perkinson setzte auf Provokation. »Kriminelle? Aber nicht doch. Wir haben weit höhere Ziele. Wir erfüllen die dritte Weissagung. In sieben Zeichen wurde sie vorhergesagt; dies ist das fünfte.« Man hätte über Marcs kindlich stolzen Tonfall schmunzeln können, wenn nicht gleichzeitig dieses fanatische Blitzen in seinen Augen gewesen wäre – von der entsicherten Waffe in seinen Händen ganz abgesehen. »Wo ist meine Begleiterin?« fuhr Darren jetzt auf. »Was habt ihr mit ihr gemacht?« »Die Vampirin? Sie ist da drin!« Marc wies auf die Propellermaschine, die jetzt die notdürftig beleuchtete, provisorische Startbahn erreicht hatte. »Unser Oberhaupt interessiert sich für sie. Nur deshalb ist sie überhaupt noch am Leben.« Paul Perkinson starrte den Sheriff entgeistert an. Dieser Marc Trilsh war ja noch viel verrückter, als er gedacht hatte. Mitglied einer abstrusen Sekte zu sein, das war eine Sache, aber jetzt auch noch von Vampiren zu faseln … welch ein Schwachsinn! Himmel, sie hat-
ten es hier mit einer Horde gefährlicher Psychopathen zu tun! Paul atmete tief durch, um seine Fassung wiederzugewinnen. Panik konnten sie sich jetzt nicht leisten. Ein Blick auf Darren zeigte ihm, daß sein Begleiter völlig fertig war. Kein Wunder; seine Freundin war in der Gewalt dieser irren Sektierer. Womöglich würde man sie irgendeinem heidnischen Gott opfern. »Was ist das für ein … Zeichen, das ihr erfüllen müßt?« erkundigte sich Paul. Trilsh hinzuhalten war die einzige Chance, die ihnen jetzt noch blieb. Ob es etwas nutzte, würde sich zeigen. Draußen hob die Maschine torkelnd in den nächtlichen Himmel ab. Marc sah mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen zu, bis ihre Lichter zu kleinen Punkten am Firmament geworden waren. Dann erst wandte er sich wieder seinen Gefangenen zu. »Du fragst, was für eine Mission wir zu erfüllen haben? Nun gut, ihr sollt wissen, wofür ihr sterbt. Dann erkennt ihr wenigstens, daß es nicht umsonst war.«
* Lilith spürte, wie das Flugzeug vom Boden abhob. Noch immer saß ihr das Mädchen – Patricia, wie sie inzwischen wußte – gegenüber und löcherte sie mit albernen Fragen, die Lilith nur beantwortete, um Zeit zu gewinnen. Denn sie hatte sich bereits einen Plan zurechtgelegt, wie sie die Kleine überrumpeln konnte. Seit Minuten schon konzentrierte sich Lilith auf ihren Magen. Es war gar nicht so einfach, ihn revoltieren zu lassen, seinen Inhalt nach oben zu zwängen. Aber jetzt stand sie kurz davor. »Hörst du nicht?« drang die Stimme des Mädchens in ihre Gedanken. »Ich fragte: Warum kann dir das Tageslicht nichts anhaben? Soweit ich weiß, ist es doch tödlich für Vampire.« Lilith sah sie mitleidig an. »Was weißt du verschissener kleiner Hosenmatz schon von Vampiren?«
»Was …?« Pat stockte der Atem. »Wie nennst du mich, du verdammte …« Mit einem Schritt war sie bei Lilith und trat nach ihr. Lilith nahm den Tritt in ihren Bauch voll, versuchte nicht einmal auszuweichen. Im nächsten Moment riß sie den Kopf in den Nacken und begann zu röcheln. Ganz langsam kippte sie zur Seite. »He!« Pat beugte sich hastig über sie. »Das … das wollte ich nicht. Ich …« Lilith wartete, bis sie ihrem Gesicht ganz nahe war. Dann schoß ein Schwall halbverdauten Bluts aus ihrem Mund, traf das Mädchen in die Augen und blendete sie. Pat kreischte auf und taumelte zurück. Der Revolver polterte auf die Metallplatten. Lilith benötigte nur Sekunden zur Metamorphose. Die Fesseln fielen rings um sie her zu Boden, als die große Fledermaus flatternd in die Höhe stieg. Die Tür wurde von draußen her aufgerissen; ein Kopf, umrahmt von einer roten Mähne, wurde sichtbar. »Pat, alles in Ordnung? Was ist das für ein –« Wieder beendete Lilith einen belanglosen Satz, noch bevor er ausgesprochen war. Ehe Bruce die Situation begreifen konnte, hing sie an seinem Hals. Lederne Schwingen peitschten ihm ins Gesicht. Er war so perplex, daß er einen Schritt zurück tat, über die Schwelle stolperte und mit dem Hinterkopf krachend zu Boden schlug. Im nächsten Moment lag er reglos da. Lilith verwandelte sich zurück. Das Girl war noch immer blind von dem Blut in ihren Augen. »Bruce?« fragte sie. »Bruce, was ist passiert?« »Bruce hat sich schlafen gelegt«, antwortete Lilith. »Und das solltest du auch. Träum was Süßes!« Damit schlug sie die Stahltür zu und verriegelte sie von außen. Dann nahm Lilith Bruces Waffe an sich und wandte sich zum Bug
des Flugzeugs. Weiter vorn, hinter einer Wand aus aufgestapelten Paketen, hörte sie schabende Geräusche und Gesprächsfetzen. Dort warten ihre nächsten Gegner auf sie …
* »Ihr sterbt, damit die dritte Weissagung von Fatima erfüllt werden kann.« Marc sprach so salbungsvoll, als stehe er hinter einem Altar und verkünde die Mysterien einer bedeutungsvollen Religion. »Fatima? Wer soll das sein? Eine Bauchtänzerin aus dem hiesigen Bumslokal?« fragte Paul dazwischen. Das Getue des Sheriffs ging ihm gehörig auf die Nerven. Marc schlug ihm ins Gesicht. »Wie kannst du es wagen –« »Ich möchte es wissen!« beeilte sich Darren zu sagen. »Wer ist Fatima? Eine Heilige?« Einem Moment sah es noch so aus, als wolle Trilsh in seiner Bestrafung fortfahren, aber dann ließ er Perkinson doch in Ruhe. »Fatima ist ein kleiner Ort in Portugal«, begann er. »Dort hatten im Jahre 1917 drei Hirtenkinder eine Marienerscheinung. Sie empfingen drei Weissagungen, die sie dem damaligen Papst überbrachten. Zwei davon haben sich bereits erfüllt, die dritte aber wurde bislang vom Heiligen Stuhl geheimgehalten. Nicht ohne Grund, denn ihr Inhalt würde die Welt ins Chaos stürzen. Allein unsere Gemeinschaft, die den Willen der Weissagung erfüllt, weiß um ihren Inhalt. Denn unser Oberhaupt hat das Pergament, auf dem sie verzeichnet war, aus dem Vatikan gestohlen.«* »Und was hat es mit diesen Zeichen auf sich?« bohrte Darren weiter nach. »Im Text der dritte Weissagung ist von sieben Zeichen die Rede, die sich alle erfüllen müssen, bevor sie selbst wirksam werden *siehe VAMPIRA T55: »Die dritte Weissagung«
kann«, berichtete Marc Trilsh. »Wir sind hier, um das fünfte zu erfüllen.« »Und das ist …?« »Das Fanal des Blutes!« Trilsh’ Augen leuchteten in fanatischem Eifer. »Es wird Menschenblut vom Himmel regnen, zum Zeichen, daß die Zeit gekommen ist. So steht es geschrieben in der dritten Weissagung von Fatima.« Mühsam kämpfte Paul Perkinson gegen das Unbehagen an, das sich in ihm ausbreitete. Es hatte nichts mit der Todesgefahr zu tun, in der er und Darren sich befanden. Es war etwas anderes, weit Schlimmeres: die gegen seinen Willen wachsende Erkenntnis, daß es hier nicht mit rechten Dingen zuging. Daß an der Geschichte dieses Irren trotz aller Vorbehalte doch etwas dran sein mochte. »Blutiger Regen!« hörte er Darren tonlos sagen. »Dafür habt ihr also das Blut gesammelt.« »Und nichts wird uns jetzt noch aufhalten können«, bestätigte Trilsh seine Vermutung. Darren blickte zu ihm auf. »Wie lautet diese dritte Weissagung? Worauf läuft sie hinaus?« Trilsh’ Miene verschloß sich mit einemmal. »Das Geheimnis ist nicht für die Ohren Unwürdiger bestimmt«, entgegnete er. Dann zuckte ein Grinsen über sein Gesicht. »Aber fragt doch einfach den Herrn, der euch gleich in Empfang nimmt. Vielleicht gibt er euch Auskunft.« Er nahm seinen Revolver zur Hand, klappte die Trommel auf und kontrollierte die Patronenkammern. Dann klappte er ihn zufrieden wieder zu. »Macht euch bereit zum Sterben!«
* Vorsichtig schob Lilith den Kopf um die Wand aus gestapelten Paketen. Doch die beiden Männer vor ihr hätten sie ohnehin wohl
kaum bemerkt. Sie waren vollauf damit beschäftigt, drei große runde Metallbehälter an ein Leitungssystem anzuschließen. Lilith musterte die Paketwand. Sie war lediglich durch zwei breite Stoffbänder gesichert. Lilith löste die Halterungen und lehnte sich von hinten gegen die Mauer, bis sie zu kippen begann und auf die beiden Männer stürzte. Einige der Pakete platzten auf; Blutkonserven verteilten sich über den Boden. In dem folgenden Durcheinander bekam Lilith als erstes den Hageren zu fassen, der am Tor zur Farm auf sie geschossen hatte – auch wenn er selbst nicht mehr davon wußte. Höchste Zeit, sich zu revanchieren. Lilith rammte ihm ein Knie in den Bauch, packte gleichzeitig in seine strähnige Mähne und ließ seinen Kopf unsanft mit einem der Metallbehälter kollidieren. Stöhnend sank der Mann zu Boden und blieb bewegungslos liegen. Doch da war der andere schon über ihr. Gus war um einiges jünger und kräftiger als Duran, und er hatte ein paar Sekunden Zeit gehabt, sich von seinem Schrecken zu erholen. Lilith taumelte haltlos zurück und fiel rücklings hin. Die Waffe entglitt ihrer Hand. Gus kam auf ihr zu liegen und drückte sie mit seinem Gewicht zu Boden. Über sich sah sie sein Gesicht, zu einer häßlichen Grimasse verzerrt. »Hallo, Süße!« zischte er. »Bist du gekommen, um uns dein Blut zu spenden? Das ist ja wirklich nett von dir.« Er hob die Faust, um sie auf Liliths Stirn niedersausen zu lassen. Lilith kam ihm entgegen – wortwörtlich. Sie bäumte ihren Oberkörper auf und rammte Gus den Schädel gegen die Brust, so daß er haltlos von ihr herunterkippte. Eine Sekunde später hatten sich die Rollen vertauscht. Lilith nagelte ihn mit ihren Schenkeln am Boden fest. »Netter Versuch«, zischte sie. »Aber ich bin nun mal gern obenauf.« Sie beugte sich hinab, wühlte fast zärtlich in seinem Haar, daß
Gus’ Augen groß wurden. Noch größer wurden sie allerdings, als sie seinen Kopf ein wenig anhob – und ihn dann kraftvoll auf die Metallplatten zurückschmetterte. Was schon bei den beiden anderen Wirkung gezeigt hatte, funktionierte auch bei Gus. Seine Glieder erschlafften. Lilith stand auf und bahnte sich einen Weg zu dem Luk, das zum Cockpit führen mußte. Dort würde sie Conen finden. An ihn hatte sie einige dringliche Fragen.
* Als Seven van Kees diesmal erwachte, stellte sich ihr die Frage, ob sie sich im Himmel befand, nicht einmal im Ansatz. Zwar fühlten sich die Laken wieder angenehm weich an, und es duftete reinlich, aber die Tatsache, daß ihre Handgelenke in breiten Manschetten steckten, die am Gestänge des Bettes befestigt waren, sprach eindeutig dagegen. Benommen blickte Seven sich um. Bis auf das Bett, in dem sie lag, befand sich nichts, aber auch gar nichts in dem winzigen Raum, der gerade mal die Größe einer Abstellkammer hatte. Die Wände waren bis in Türhöhe gekachelt, die beiden winzigen Fenster, durch die diffuses Licht hereindrang, vergittert. Wo war sie? In einem Gefängnis? Vorsichtig bewegte Seven den Kopf hin und her. Sie fühlte sich eigenartig benebelt, als wabere eine dicke Dunstwolke in ihrem Hirn hin und her. Mühsam klaubte sie ihre Erinnerungen zusammen. Als verschwommene Traumbilder tauchten sie nach und nach vor ihrem inneren Auge auf. Einen weiten Weg hatte sie in der Nacht zurückgelegt, quer durch Sydney, zu Fuß und mit dem Bus. Die Kreatur in ihr hatte sie nicht daran gehindert. Warum auch? Bewegung an frischer Luft war ja schließlich gut für die Schwangerschaft.
Dann endlich hatte sie die Brücke über den Port Jackson erreicht gehabt. Und der Kampf mit dem Monster in ihrem Bauch hatte begonnen. Sie hatte ihn mit aller verbliebenen Kraft geführt, und es war ihr tatsächlich gelungen, das Geländer zu erklimmen. Doch plötzlich war jemand neben ihr aufgetaucht und hatte sie heruntergezerrt. Sie war gestürzt und hatte das Bewußtsein verloren. Als sie wieder zu sich gekommen war, hatte sie in einem fahrenden Auto gesessen. Sie hatte noch versucht, dem fremden jungen Mann neben ihr, der sie mit schreckgeweiteten Augen angestarrt hatte, klarzumachen, was mit ihr los war. Vergebens; sie hatte kein einziges klares Wort hervorgebracht. Wahrscheinlich hielt er sie jetzt für eine entlaufene Irre … Das Wort fand einen merkwürdigen Nachhall in Seven. War es das, wo sie sich aufhielt? Eine Irrenanstalt? Natürlich, verhinderte Selbstmörder wurden dort eingeliefert. Sichergestellt, vor sich selbst beschützt und mit Medikamenten betäubt! Entsetzt stöhnte sie auf, zerrte an den Manschetten. Sie öffnete schon den Mund, wollte zu schreien anfangen … aber dann preßte sie die Lippen schnell wieder fest aufeinander. Nein, nicht schreien! Das würde nicht helfen, im Gegenteil! Sie mußte sich ruhig verhalten, vernünftig, kooperativ. Sie mußte die Ärzte davon überzeugen, daß ihr Suizidversuch auf der Brücke lediglich eine Kurzschlußreaktion gewesen war, die sich nicht noch einmal wiederholen würde. Sonst würde sie niemals hier herauskommen. Also zwang Seven sich zur Ruhe. Sie schloß die Augen und blieb still liegen. Irgendwann würde jemand kommen und nach ihr sehen. Er würde sich wundern, sie bei vollem Bewußtsein und klarem Verstand vorzufinden. »Das ist doch auch in deinem Sinne, nicht wahr?« murmelte sie
vor sich hin. Daß sie in diesem Moment zum ersten Mal mit dem Geschöpf in ihrem Bauch geredet hatte, so wie viele werdende Mütter mit ihren ungeborenen Babys reden, wurde ihr erst viel später bewußt. Seven hatte recht gehabt. Es dauert nicht allzu lange, bis sich die Tür öffnete und eine Krankenschwester im weißen Kittel hereinkam. Überrascht sah sie, daß die Patientin wach im Bett lag. »Guten Morgen!« grüßte Seven lächelnd. »Guten Morgen. Wie geht es Ihnen?« Mißtrauen schwang in der Frage mit. »Gut. Wo bin ich hier?« »In der Hasselmann-Klinik für Psychiatrie und Neurologie.« Seven nickte. »Ich … dachte es mir schon. Ein junger Mann hat mich hergebracht, nicht wahr?« Die Schwester nickte. »Ich muß ziemlich durchgedreht gewesen sein.« »Deshalb sind Sie ja hier«, bestätigte die Schwester trocken. »Aber jetzt geht es mir wieder gut!« Seven hob den Kopf und sah sie eindringlich an. »Ich war nur so durcheinander, weil … weil mein Freund das Baby nicht will. Ich war verzweifelt. Aber jetzt habe ich eine Entscheidung getroffen. Ich trage das Baby aus – ob nun mit oder ohne ihn.« Sie bewegte die Hände in den Manschetten ein wenig. »Können Sie mir die nicht abnehmen? Es ist so … furchtbar unwürdig.« Die Schwester hob die Schultern. »Das kann ich nicht entscheiden. Das müßte der Stationsarzt anordnen.« »Ach, dann holen Sie ihn doch bitte, ja?« Ihr flehender Blick hätte einen Stein erweicht. »Also gut!« Ein paar Minuten später kam die Schwester mit dem diensthabenden Arzt, einem schmächtigen Männlein mit Nickelbrille und Halbglatze, zurück.
»Sie wirkt wieder ganz vernünftig«, berichtete sie ihm. »Das bin ich auch«, bestätigte Seven eifrig. »Bitte lassen Sie mich wieder nach Hause.« Der Arzt hob nur die Augenbrauen. Dann begann er in den Einlieferungsakten zu blättern, die die Schwester ihm gereicht hatte. »Sie haben eine Menge wirres Zeug geredet, als wir Sie unten in Empfang nahmen.« Seine Stimme klang skeptisch. »Von einem Mann, mit dem Sie geschlafen haben wollen, als er bereits anderthalb Jahre tot war. Den Sie auf seinem eigenen Grab haben sterben sehen. Von einem Monster in Ihrem Bauch, das Sie beherrscht, zu einer Marionette macht.« Seven biß sich auf die Lippen. »Das … das habe ich alles gesagt?« fragte sie leise, eine filmreife Darstellung von schamvoller Betretenheit. »Da muß ich ja ganz schön durcheinander gewesen sein.« »Eben!« Der Arzt klappte die Krankenakte zu und gab sie der Schwester zurück. »Schwangerschaftspsychose schwersten Ausmaßes«, diagnostizierte er nüchtern. »Kann bis zur Entbindung jederzeit wieder auftreten. Wir behalten Sie für’s erste hier.« »Aber sie macht doch einen ganz vernünftigen Eindruck«, wandte die Schwester ein. Der Arzt winkte ab. »Wahrscheinlich nur eine kurzzeitige Normalisierung«, meinte er lapidar. »Ich kann ihre Entlassung zu diesem Zeitpunkt nicht verantworten.« Heiße Wut stieg in Seven auf, drängte heraus, obwohl ein kümmerlicher letzter Rest ihres Verstandes ihr verzweifelt Einhalt zu gebieten versuchte. »Sie ahnungsloser Narr!« schrie es plötzlich aus ihr heraus. »Ihr alle seid Narren! Ihr wißt nicht, was vorgeht in der Welt! Ihr wißt nichts von den Toten, die unter euch leben!« Sie riß an den Manschetten, trat mit den Füßen um sich. Ihr Kopf schlug hin und her,
aber den Schmerz spürte sie nicht. Ihre Stimme überschlug sich. »Die Toten, die sich mit euch paaren, die schreckliche Kreaturen in die Welt setzen, um euch alle zu vernichten …« Entsetzt brach Seven ab. Sie sackte in sich zusammen, stierte dumpf vor sich hin. Sie hatte das nicht sagen wollen. Es war aus ihr heraus …geschleudert worden. Sie war sich selbst fremd. Mein Gott, wurde sie jetzt wirklich wahnsinnig? »Was habe ich gesagt?« Der Arzt blickte mitleidsvoll auf sie herab. »Hochgradig psychotisch! Bereiten Sie eine Injektion vor, Schwester. Wir müssen sie ruhigstellen.« Die Schwester verschwand eilig, kam aber eine Minute später zurück und reichte dem Arzt eine Spritze. »Am besten bleiben Sie bei ihr heute Nacht, Schwester«, wies er sie an, während er einen Ärmel von Sevens Nachthemd hochschob. Seven spürte den Einstich im Arm. Und kurz bevor das injizierte Medikament sie wegdämmern ließ, begriff sie entsetzt, daß alles von dem … Monster inszeniert worden war. Wie dumm war sie gewesen, anzunehmen, daß sie ihm einen Teil ihres Bewußtseins entziehen konnte? Wenn sie schon mit dem Gedanken an Selbstmord gespielt hatte – warum hatte sie sich dann nicht einfach aus dem Fenster ihrer Wohnung gestürzt? Nein, die Kreatur hatte diese Idee gar nicht erst aufkommen lassen, sondern sie stattdessen zu einem völlig unsinnigen Selbstmordversuch getrieben, der scheitern mußte. So war sie hier gelandet, wo man sie für wahnsinnig hielt. Würde sie den Rest der Schwangerschaft unter strenger Beobachtung hier verbringen, völlig hilflos, ans Bett gefesselt und unter Medikamente gesetzt? Die Erkenntnis tat weh. Genau das hatte die Kreatur beabsichtigt!
*
Als Lilith den Vorhang beiseite schob und den kurzen Gang zum Cockpit betrat, stand ihr unvermittelt Gene gegenüber. Trotz des Motorenlärms mußte man im Cockpit auf das Getöse im Rumpf der Maschine aufmerksam geworden sein. Die Schrecksekunde beider dauerte gleich lang. Dann stürzten sie sich aufeinander, rissen sich gegenseitig zu Boden. Im hohen Bogen flog Liliths Waffe durch die Luft. Beseelt von einem unglaublichen Haß auf das unheimliche Wesen, kämpfte Gene mit einer Kraft und Rücksichtslosigkeit, die ihresgleichen suchte. Schon drohte er die Überhand zu gewinnen. Sein Arm legte sich von hinten um ihre Kehle und drückte zu! Lilith wand und drehte sich, kam aber nicht frei. »Du verdammtes Monster!« zischte Gene. »Hat dich der Teufel geschickt?« Fast hätte Lilith aufgelacht, angesichts der zurückliegenden Ereignisse in Jerusalem. Aber das Lachen blieb ihr wortwörtlich im Halse stecken. Die Luft wurde ihr knapp!
* Es gab nur noch eine Chance – die Metamorphose! Aber nicht in eine Fledermaus; mit deren Körper hätte der Rasende noch weniger Mühe gehabt. Lilith versuchte sich zu konzentrieren. Die Verwandlung, die sie anstrebte, war ihr erst einmal gelungen – im Kampf gegen die Chimären.* Gene wußte nicht, wie ihm geschah, als unter seinem Würgegriff plötzlich nicht mehr Liliths Haut war, sondern schwarzglänzendes Fell! Gleichzeitig schien ihr Körper zu schrumpfen, sich auf unmög*siehe VAMPIRA T53: »Chimären«
liche Weise zu verbiegen. Knochen knirschten, Sehnen spannten sich wie Klaviersaiten. Ihr Kopf verformte sich, die Ohren wuchsen, ihr Kiefer schob sich nach vorn … Eine knappe Sekunde später hielt er keine junge Frau mehr im Arm, sondern … einen Wolf! Der Schock war groß genug, ihn seinen Griff reflexartig lösen zu lassen. Lilith kam frei, schnellte herum. Die weit aufgerissene Schnauze, die zurückgezogenen Lefzen, die gefletschten Zähne … Mit einem Keuchen wich Gene zurück. Im nächsten Moment wurde er durch den Anprall des schweren Körpers gegen die stählerne Flugzeugwand geschleudert, rutschte daran herab und blieb reglos liegen, einen Ausdruck erstarrten Entsetzens auf dem bleichen Gesicht. Keuchend kam Lilith über ihm zu stehen und wechselte zurück in ihre menschliche Gestalt. Sie kniete kurz nieder und tastete nach seinem Hals. Ein schwaches Pochen zeigte ihr, daß er noch lebte. Weiter! Sie klaubte den Revolver vom Boden auf und wandte sich wieder zum Bug der Maschine. Fünf Schritte brachten sie zum Cockpit. Sie öffnete die Tür und schob sich hindurch. Im Pilotensessel erkannte sie Professor Conen. Er kontrollierte eben einige Anzeigen auf der Instrumententafel. »Gene?« fragte er, ohne sich umzudrehen. »Was ist da hinten –« Bevor er registriert hatte, daß nicht Gene es war, der zurückgekommen war, war Lilith bei ihm und drückte ihm den kalten Stahl des Revolverlaufs in den Nacken. »Hallo, Professor«, grüßte sie freundlich. »So sieht man sich wieder. – Na, na, keine hastigen Bewegungen. Sie wollen doch nicht den Kopf verlieren, oder?« »Wie sind Sie … Was ist mit meinen Leuten?« stammelte er. »Ersteres ist mein kleines Geheimnis, und zweitens bin ich keine
Mörderin, Conen. Ihre Leute leben, aber hoffen Sie nicht auf deren Hilfe. Und jetzt erzählen Sie mir endlich, was das alles soll. Was habt ihr mit den Bluttanks vor? Wohin fliegt ihr?« Conen schien zu resignieren. Seine Schultern sanken herab. »Faß in meine Brusttasche«, erwiderte er tonlos. »Das Dokument darin wird dir alles erklären.« Zögernd griff Lilith mit der freien Hand über Conens Schulter. Ein Dokument? Sie traute Conen nicht, aber ein Fetzen Papier konnte ihr schließlich nicht gefährlich werden. Tatsächlich ragte aus der Brusttasche seines Hemdes ein vergilbtes Stück Pergament hervor. Liliths Finger näherten sich ihm. Erreichten es. BerüPlötzlich ein ohrenbetäubender Knall, ein Schlag, der heiß in ihrer Schulter aufgrellte und sie gegen den Pilotensitz stürzen ließ. Gleichzeitig zerbarst der linke Teil des Cockpitfensters. Eiskalte Luft schleuderte ihr tausend kleine Glassplitter entgegen. Conen schrie auf. Sein Kopf flog zurück, von einem größeren Stück Glas getroffen. Blut spritzte in Liliths Gesicht. Das alles geschah innerhalb einer Zehntelsekunde, und als Lilith nun vollends den Halt verlor und rücklings zwischen die beiden Pilotensessel stürzte, erkannte sie den Auslöser für das Chaos. Gus stand in der Tür zum Frachtraum, drei Schritte entfernt, sich mit der blutverschmierten Linken am Rahmen festklammernd, in der anderen einen Revolver. Die Kugel hatte Liliths Schulter durchschlagen. Und weit mehr angerichtet, als er beabsichtigt hatte. Neben Lilith sackte Conen nach vorn – und schob damit den Steuerknüppel weiter in die Konsole. Die beiden Propellermotoren heulten protestierend auf. Die Maschine sackte ab! Gus, der bereits wieder auf Lilith angelegt hatte, verlor den Halt. Trotzdem zog er den Stecher noch durch. Dicht neben der Halbvampirin explodierte etwas. Stichflammen schlugen aus den Instrumenten. Rauch quoll hervor und wurde von
dem eisigen Luftstrom verwirbelt. Aus den Augenwinkeln registrierte Lilith ein Leuchten, dort, wo Professor Conen in seinem Gurt hing. Und obwohl sie weiß Gott Besseres zu tun hatte, irrte ihr Blick hinüber und saugte sich gleichsam an dem Pergament in seiner Brusttasche fest. Es … glühte! Es strahlte ein gelbliches Licht wie Schwefelfeuer aus. Und einen Moment später entzündete es sich! Conens Hemd stand innerhalb kürzester Zeit in hellen Flammen. Glücklicherweise spürte er davon nichts mehr – das handgroße Splitterteil war ihm in die Stirn gedrungen und hatte seinem Leben ein schnelles Ende bereitet. Wenn Lilith nicht ähnlich enden wollte, mußte sie schnellstens raus hier! Noch immer jaulten die Motoren in ungesund hohen Tonlagen. Die Schräglage der Maschine hatte längst die Toleranzgrenze überschritten. Wie lange noch bis zum Aufprall? Kurz dachte Lilith noch an Patricia, die den Absturz eingesperrt in der kleinen Kammer bei vollem Bewußtsein miterleben mußte. Aber es blieb keine Zeit mehr, sie zu befreien. Zumal Gus noch immer nicht genug hatte und sie erneut angriff. Die Pistole hatte er verloren. Stattdessen schwang er eine Eisenstange über seinem Kopf. Mit irrem Kreischen wuchtete er sich auf Lilith zu, holte aus – und schlug ins Leere. Gegen den Luftstrom ankämpfend, war Lilith aufgesprungen, umklammerte die Einfassung des zerborstenen Fensters und zog sich nach draußen. Aus tränenden Augen sah sie unter sich die Lichter einer Stadt. Maitland? Noch an die Außenseite der Maschine geklammert, ruckte ihr Kopf herum, als eine Explosion in nächster Nähe aufgrellte. Einer der Motoren hatte der Überlastung nicht mehr standgehalten! Die Druckwelle schleuderte Lilith davon. Und während sich ihr Körper zu dem einer großen Fledermaus
umformte, wischte der metallene Rumpf der Maschine vorbei und verschwand brennend in der Nacht …
* Sheriff Marc Trilsh zelebrierte das Ende seiner Opfer mit krankhafter Genüßlichkeit. Er beobachtete, wie ihnen Schweißperlen auf die Stirn traten, wie ihre Hemden feucht wurden, ihre Gesichter blaß und blasser. Er wartete darauf, daß die beiden Männer begannen, ihn anzuflehen, um Gnade zu betteln. Vielleicht ahnten Darren und Paul das. Vielleicht war es einfach letzter Stolz, der sie schweigen ließ, auch wenn sich ihre Qual Sekunde um Sekunde steigerte, weit über jedes erträglich Maß hinaus. Draußen war ein Gewitter aufgezogen, von einer Minute zur anderen. Es donnerte und blitzte in der Ferne. Trilsh hatte eine geschlagene Minute am Fenster gestanden und hinausgestarrt, und als er sich wieder umgewandt hatte, war ein zufriedenes, fast seliges Lächeln in seinem Gesicht gewesen. »Es beginnt. Jetzt!« hatte er gemurmelt. Doch was er damit meinte, hatte er nicht verraten. Jetzt stand er wieder vor dem gefesselten Darren. »Noch ein paar letzte Worte?« erkundigte er sich und hob die Waffe an dessen Kopf. Darren überkam ein Anflug von Galgenhumor, aus purer Verzweiflung geboren. »Mir ist langweilig. Können Sie sich vielleicht etwas beeilen?« »Wirklich witzig, Secada! Sie hätten Komiker werden sollen anstatt Pathologe.« Trilsh war offensichtlich enttäuscht, daß seine Psychofolter nicht so recht zu wirken schien. Mit dem Daumen spannte er den Hammer des Revolvers. Darren biß die Zähne zusammen, Blutgeschmack im Mund. Er
ahnte, daß der Punkt erreicht war. Auf keinen Fall wollte er die Augen schließen, doch die Lider gehorchten kaum noch seinem Willen. Langsam sanken sie herunter. Doch der Knall, der allem ein Ende setzte, kam nicht. Schon wieder ein gemeiner Trick des Sheriffs? Doch als Darren seine Augen öffnete, mußte er erkennen, daß sich die Situation geändert hatte. Begreifen konnte er zwar nicht, was er sah, aber es weckte wieder Hoffnung in ihm. Ohne erkennbaren Anlaß hatte Trilsh zu taumeln begonnen, die Augen weit geöffnet, einen irgendwie fassungslosen Ausdruck in den Augen. Die Mündung des Revolvers schwankte, wanderte von Darrens Stirn weg zur Schläfe und wieder zurück. »Was …«, stammelte Marc Trilsh, blinzelte ein paarmal, als wäre sein Blick plötzlich getrübt. »Was ist …« Darren glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als er in Trilsh’ Pupillen … schwefelgelbe Flammen sah! Als würde sich ein flackerndes Feuer darin spiegeln – nur gab es hier im Raum kein Feuer! Was zum Teufel ging da vor? Trilsh taumelte stärker; die Mündung beschrieb immer größere Ellipsen. Darren schwitzte Blut und Wasser. Und dann knallte es ohrenbetäubend. Heiß spürte er etwas an seiner linken Schläfe vorbeizischen. Für Sekunden war er taub. So hörte er nicht, wie in der Ferne ein Explosion aufklang, die selbst den Donner, der mittlerweile fast unaufhörlich grollte, noch übertönte. Trilsh sank in die Knie. Die Waffe war seiner Hand entglitten, sein Gesicht war verzerrt, gurgelnde Laute drangen aus seinem Mund. Dann sank er in sich zusammen und blieb verkrümmt auf dem Boden liegen. Eine fast unwirkliche Stille breitete sich im Wohnzimmer des Farmhauses aus. »Was … was war das?« stieß Paul Perkinson schließlich hervor.
»Wie?« Darren schüttelte den Kopf. Seine Ohren klingelten. Hoffentlich hatte der Schuß direkt neben seinem Kopf nicht sein Trommelfell zerfetzt. Nach einer weiteren Minute, die sie schweigend verbrachten, begann sich Sheriff Trilsh wieder zu regen. Er öffnete die Augen, stutzte und schaute um sich, als wisse er nicht, wo er sich befand. Zögernd hob er den Kopf. »Wo bin ich? Was ist passiert?« Seine Zunge schien ihm kaum zu gehorchen. Er wischte sich über die Stirn. »Mann, ich fühle mich, als hätte mich jemand durch den Fleischwolf …« Jetzt erst schien er Darren und Paul richtig wahrzunehmen. »Darren?« stöhnte er. »Was ist hier los? Und wer ist das da?« Er wies auf Paul Perkinson. »Oh, Scheiße, mein Kopf explodiert gleich!« Stöhnend setzte er sich auf. »Ich erkläre es dir, sobald du uns befreit hast«, erwiderte Darren. »Obwohl ich selbst nicht alles verstehe.« Daß dies eine gewaltige Untertreibung war, verschwieg er. Momentan war er nur heilfroh darüber, daß Marc Trilsh wieder er selbst war. Der Einfluß der Sekte schien von ihm abgefallen zu sein, von einer Sekunde auf die andere. Vielleicht wußte Lilith eine Erklärung … Lilith! In den letzten Minuten der Todesangst hatte Darren nicht mehr an sie gedacht. Nun wurde ihm mit schmerzhafter Intensität klar, daß er nicht einmal wußte, ob sie noch lebte.
* Es war eine holprige Landung gewesen. Gewitterböen hatten das kleine Flugzeug arg geschüttelt. Die Wetterfront war ganz plötzlich entstanden, und fast hätte sich der Pilot geweigert, bei diesen Verhältnissen einen Touchdown zu riskieren.
Maitland verfügte über keinen eigenen Flughafen, lediglich über ein kleines Rollfeld für Privatmaschinen. Und eine solche hatte Irina in Sydney gechartert, um auf schnellstem Wege in dieses verschlafene Nest am Ende der Welt zu kommen. Insgesamt zehn Stunden war sie unterwegs gewesen, seit sie in Moskau die brandneue Überschallmaschine von Boing, die 868, bestiegen hatte. Vor zwei Jahren hätte der Flug noch knapp die doppelte Zeit in Anspruch genommen. Und vor hundert Jahren wäre die Strecke nur mit einer wochenlangen Bahn- und Schiffsreise zu bewältigen gewesen. Das Jahr 2000 hatte durchaus seine Vorteile. Bis auf die Tatsache, daß es mit dem Jahreswechsel im vielbeschworenen Millenium endete … Es ging auf Mitternacht zu. Jetzt nur noch die Autofahrt zur Farm hinaus, dann würde sie sich in aller Ruhe mit der Vampirin befassen können, die Conen ins Netz gegangen war. Irina fühlte eine Spannung in sich, die sie seit Äonen nicht mehr gespürt hatte. Seit sie zur ersten Vollstreckerin der Weissagung geworden war. Damals im Vatikan hatte eine fremde Macht ihr bisheriges Leben ausgelöscht und ihr eine neue Bestimmung gegeben. Trotzdem hatte Irina nie ganz ihre Herkunft verleugnen können. Ihre zweite Geburt als Vampirin. Mittlerweile waren die Vampire ausgelöscht. Irina wußte weder, wie es geschehen war, noch warum sie selbst verschont worden war. Es mußte mit ihrer neuen Bestimmung zusammenhängen, mit der Tatsache, daß sie nun einer anderen, höheren Macht diente. Um so erstaunlicher war es, daß jetzt eine weitere Überlebende aufgetaucht war. Was war ihr Geheimnis? Wie hatte sie der Vernichtung entgehen können? Irina mußte es in Erfahrung bringen! »Miss Karatow …?« Sie schrak zusammen, so sehr war sie in ihre Gedanken versunken gewesen. Ein junger Mann in schmucker Uniform war von hinten auf sie zugetreten. Es dauerte eine weitere Sekunde, bis sie auf den
Tarnnamen, unter dem sie reiste, reagierte. Erst ärgerlich, daß sie sich eine Blöße gegeben hatte, nickte sie dann aber doch freundlich. Der Steward war ein wirklich nettes Kerlchen, ein bißchen jung, aber gut gebaut, möglicherweise lernfähig – und sicherlich erfrischend unschuldig. »Ja, bitte?« »Da ist ein Fax für Sie.« Der junge Mann fühlte sich unwohl unter ihren Blicken. Irina griff lächelnd nach dem Papier. Mit einem Blick sah sie, daß es erst vor wenigen Minuten aufgegeben worden war. »Wir mußten vorzeitig starten. Meide die Farm! Die Frau ist bei uns. Wir bringen sie mit zurück nach Maitland, wenn die Aktion abgeschlossen ist. Jonathan Conen«, las sie mit einigem Erstaunen. Verdammt, da mußte irgend etwas schiefgegangen sein! Ein russischer Fluch kam über ihre Lippen. Der junge Kerl neben ihr ächzte auf. Irina bedachte ihn mit einem unwilligen Blick. Doch dann sah sie genauer hin. Denn die Augen des Stewards waren nicht etwa auf sie gerichtet, sondern himmelwärts. Irina folgte seinem Blick – und erstarrte. Die Gewitterfront war nähergekommen und hatte sich in etwas verwandelt, das einer gewaltigen Windhose glich! Schwarze Schlieren aus Regen und brodelnden Wolken liefen aus allen Richtungen zusammen und vereinten sich kochend im Zentrum miteinander. Das ganze Gebilde war in ständiger wirbelnder Bewegung. Der Nachthimmel hatte sich in einen gewaltigen Mahlstrom verwandelt, in dessen Ausläufer in diesem Moment … … ein kleines Flugzeug eindrang! »Um Himmels willen!« ächzte der Steward neben Irina. »Sehen die denn nicht …« Der Rest des Satzes wurde von einem urgewaltigen Donnern verschluckt. Peitschende Böen fegten über das Rollfeld
und rissen Irina das Faxpapier aus den Händen. Das Gebilde am Himmel zog sich immer mehr zusammen und formte eine Art Schlauch, der bis in Bodennähe reichte, sich in Spiralen drehte und immer wieder Auswüchse bildete. Irina war wie betäubt. Als einziger Mensch hier konnte sie die Vorgänge am Himmel richtig deuten. Sie wußte: Es war Conens Maschine. Sie mußte es sein. Denn das Zeichen erfüllte sich! Die Störungen in der Atmosphäre waren ein Teil davon, und sie nahmen jedesmal noch an Kraft zu! Die Positionslichter des Flugzeugs waren kurz in den wirbelnden Wolken verschwunden gewesen; nun tauchten sie wieder am Himmel auf. Und sie stürzten fast senkrecht zur Erde herab! »Nein!« Irinas Schrei ließ die Luft zittern. Sie wußte nicht, was dort oben vorging, aber wenn es nicht gelang, das Blut zu versprühen, wie die Weissagung es verlangte, wäre das Zeichen nicht erfüllt! Plötzlich schlugen Flammen aus dem Cockpit der Propellermaschine! Ihre Umrisse waren jetzt erschreckend gut zu erkennen, erleuchtet von dem Feuer, das immer weiter um sich griff. Der Sturzflug ging in ein unkontrolliertes Trudeln über. Mit rasender Geschwindigkeit zog die Maschine eine diagonale Feuerspur, näherte sich unaufhaltsam dem Boden. Da blitzte eine Explosion auf! Das Feuer am Himmel spritzte auseinander, Flammen stoben nach allen Seiten. Brennende Flugzeugteile sanken torkelnd herab wie verglühende Sternschnuppen. »Mein Gott!« stieß der junge Mann hervor. Ein Donnerschlag von unglaublicher Macht zerriß die folgende Stille. Dann zuckten plötzlich ein halbes Dutzend Blitze gleichzeitig vom Himmel, so daß für einen Moment alles wie in helles Tageslicht getaucht war. Im nächsten Moment war es vorbei. Der Wirbel am Firmament lös-
te sich so schnell auf, wie er gekommen war. Der Wind flaute ab. Irina stand wie erstarrt. War alles vergeblich gewesen? Hatte sich das Zeichen nun erfüllt? Da spürte sie einen Tropfen auf dem Gesicht. Es begann zu regnen. Sie hob fahrig eine Hand und wischte die Feuchtigkeit weg. Es fühlte sich nicht wie Wasser an, sondern zähflüssig, schmierig, wie Öl. Oder wie … Irina sah hinab auf ihre Hände. An zwei Fingern klebten verwischte, dunkle Schlieren, und im nächsten Moment trafen weitere Tropfen die offenen Handflächen und färbten sie rot. Unwillkürlich führte Irina die Linke zum Mund und leckte darüber. Sie kannte den Geschmack nur zu gut. Es war Menschenblut! Und während der Steward geschockt herumfuhr und vor den blutigen Fluten floh, die vom Himmel niederregneten, stand Irina da und lachte befreit auf. Die Explosion hatte die Tanks in der Maschine zerfetzt und das Blut im weiten Umkreis verteilt. Kein Zweifel, Conen und seine Gruppe waren tot, und mit ihnen auch die geheimnisvolle Vampirin. Aber das war ein vergleichsweise geringer Verlust. Viel wichtiger war es, daß das fünfte Zeichen eingetreten war. Zufrieden hob Irina den Kopf, genoß das Blut, das ihr übers Gesicht in den offenen Mund rann. Wieder war sie ihrem Ziel einen Schritt näher gekommen. Nur noch zwei Zeichen, und die Weissagung würde sich erfüllen. Bald … ENDE
Süße Träume Leserstory von JaeMa Langsam verschwindet die Sonne hinter dem Horizont, und die Dämmerung überfällt die Stadt. Eine fast unwirkliche Stille beherrscht den Hof unter meiner Wohnung. Alles ist für seine Ankunft vorbereitet. Es ist eine warme Nacht, und mein Fenster ist weit geöffnet. Die Kerze vertreibt ein wenig von der aufsteigenden Dunkelheit. Ein Spiegel gibt mein Ebenbild wieder, das mir seit seinem ersten Besuch seltsam fremd erscheint. So übel siehst du gar nicht aus, denke ich und drehe mich vor den Spiegelglas. Die blasse Haut läßt meine grünen Augen unwirklich erscheinen, und die roten Haare – Hexenhaar! – ergießen sich über meinen Rücken. Er mag dieses Haar. Noch ganz in der Betrachtung versunken, bemerke ich seine Ankunft nicht. »Eitles Biest!« Die Stimme klingt rauh und dunkel. Ertappt wende ich mich um, und eine dunkle Röte überzieht mein Gesicht. Schnell steigt er vom Fenstersims herab, sieht mich lachend an und zieht mich an sich. Ohne ein weiteres Wort wirft er mich auf das Bett, und einen Moment später fehlt an meinem Körper jegliches Kleidungsstück. Keine Zeit zum Reden. Glut der Begierde, nicht zu zügelndes Verlangen umschließt meinen Körper wie Morgennebel. Schweiß wie Tau auf meiner Haut. Schon ist er über mir, und ich spüre, wie er langsam und genüßlich in mich eindringt. Ich bin bereit für ihn! Die Arme umschließen mich immer fester, als würden sie mich hindern wollen, wegzulaufen. Ein leises Stöhnen kommt über meine Lippen, als seine Zähne sanft meinen Hals entlangstreichen und seine Zunge über die Halsschlagader gleitet.
Von da ist es nur ein kurzer Weg. Langsam dringen seine Zähne in meinen Hals; ich explodiere in kleinen Feuerwerken. Nach einer kleinen Ewigkeit komme ich wieder zur Erde zurück. Er läßt mich los, und ich drehe mich auf den Bauch. Meine Haare gleiten durch seine Finger. Sanft streiche ich über seine Brust und beobachte ihn dabei. »Unersättlich?« fragt er. Mein Lachen ist ihm Antwort genug. Das Mondlicht strahlt sein diffuses Licht ins Zimmer und läßt unsere Körper fast unwirklich leuchten. Heile Welt für einen Augenblick. Man müßte diese Momente in Flaschen abfüllen und bei Gelegenheit wie Parfüm auf der Haut verteilen können, denke ich etwas abwesend und wende meine Aufmerksamkeit ihm wieder zu. Meine Augen und Hände wandern über seinen Körper, und er läßt mich gewähren. Er ist ein phantastischer Liebhaber – und das im wahrsten Sinne des Wortes. Ein Kind der Nacht, das seine sterbliche Geliebte beehrt. Seine Augen strahlen in der Dunkelheit, als sein Blick mich trifft. Ich will mehr. Die Nächte mit ihm sind viel zu kurz; die Zeit rennt uns davon. Meine Gedanken sind wie ein offenes Buch für ihn. Auf der Seite liegend, beobachtet er mein Mienenspiel. Und überläßt sich meinen Händen, die jetzt kühner werden. Seine Haut hat die Farbe weißen Marmors, und sein Muskelspiel ist das eines griechischen Gottes. Schönheit ist ihm eigen und unvergänglich. Ich wollte, ich wäre Maler oder Bildhauer … Ich weiß, daß er das Liebesspiel nur mir zuliebe arrangiert, trotz seiner Behauptung, daß ich dann besser schmecke. Können diese Geschöpfe überhaupt lieben? Ja: Sie lieben das Leben und heiligen es auf ihre Weise. Ich spüre, daß er auf mich wartet. Kühn beuge ich mich über ihn und beiße ihn in seinen Hals. Der überraschte Gesichtsausdruck war es wert. Keine Spielchen mehr. Sacht küßt er mich auf den Mund, und ich
kann es schmecken. Ich werde gieriger und lasse ihn, noch auf dem Bauch liegend, gewähren, warte auf den einen Augenblick. Seine Hände bemerken meine Bereitschaft; er schiebt sich ungestüm über mich, und mit einem Stoß füllt er mich aus. Ich spüre den Ruck in meinen Haaren. Mein Kopf wird nach hinten gezogen. Sein Rhythmus wird schneller, und ich merke, wie sich die Hitze an einem Punkt meines Bauches sammelt. Langsam und genüßlich senken sich wieder seine Zähne in meinen Hals. Ich überlasse mich meinem süßen Schmerz, der wie eine Woge über mir zusammenschlägt. Immer und immer wieder … Fast übergangslos schlafe ich ein. Nicht gewollt, sondern kraft seines Willens. Spüre nur noch einmal seinen Kuß und den kühlenden Luftzug. Am nächsten Morgen ist es wie ein Traum. Wären da nicht die Male am Hals und das Warten auf seinen nächsten Besuch … ENDE
Dunkle Romanze von Timothy Stahl Als Shondra Trevilane stirbt, ist ihr Dasein nicht vorüber! Eine geheimnisvolle Fremde holt sie aus dem Grab und schickt sie in die Welt der Lebenden zurück. Zu Lebzeiten war Shondra ein scheues, genügsames Mädchen. Das ändert sich grundlegend mit ihrem Tod. Er bringt die bislang verborgenen, dunklen Seiten ihres Wesens zum Vorschein – und weckt den Durst nach Blut! Shondra wird zum Fluch für die Menschen, die ihren Weg kreuzen – denn sie hat eine Mission zu erfüllen, an deren Ende ihr zweiter, diesmal endgültiger Tod stehen wird. Und neues Leben …