Farbe – Kommunikation im Raum
Meerwein
Rodeck
Mahnke
Farbe – Kommunikation im Raum
Birkhäuser Basel • Boston • Berlin
Wir danken den Firmen création baumann, Kvadrat, DLW und Ruckstuhl AG für die Bereitstellung von Materialien. Ganz besonders danken wir der Ruckstuhl AG auch für die Unterstützung zur Drucklegung.
Titel der deutschen Originalausgabe: Mensch – Farbe – Raum. Grundlagen der Farbgestaltung in Architektur, Innenarchitektur, Design und Planung Gründliche Neubearbeitung von Text und Bildteil erfolgte durch G. Meerwein und B. Rodeck. Dieses Buch ist auch in englischer Sprache erschienen: Colour – Communication in Architectural Space, ISBN 3-7643-7596-5. Die Durchsicht der Übersetzung ins Englische besorgte F. H. Mahnke. Cover: Nadine Rinderer, Basel. Als Grundlage für die Covergestaltung diente eine Fotografie der Agentur Panama in Stuttgart. Architektur: zipherspaceworks; Farbgestaltung: Stefan Gabel.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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Originalausgabe 1998 4., überarbeitete Ausgabe 2007 © 2007 Birkhäuser Verlag AG Basel • Boston • Berlin Postfach 133, CH-4010 Basel, Schweiz Ein Unternehmen von Springer Science+Business Media Gedruckt auf säurefreiem Papier, hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff, TCF Printed in Germany ISBN-10: 3-7643-7595-7 ISBN-13: 978-3-7643-7595-9 987654321 http://www.birkhauser.ch
∞
INHALT
Einleitung
9
6 Licht und Farbe
39
Lichttechnische Grundlagen – Größen und 1 Der Mensch – Zentrum der Gestaltung 2 Die Sinne als Kommunikationsinstrumente
10 13
Einheiten
40
Lampen und ihre Eigenschaften
42
Aspekte visueller Ergonomie
44
Struktur des Auges 3 Farbe – Element der Umwelt Farbe – Kommunikation im Raum
16
Augenmuskeln
17
Blendung und Glanz Leuchtdichteunterschiede und Flächenfarbe
4 Mensch und Farbe
18
Was ist Farbe?
18
Farbensehen
18
Farbwahrnehmung
19
Farberleben/Farbwirkung
19
Farberlebnisraum
20
Biologische Wirkung des Lichts 7 Material und Farbe
50
8 Architektonische Aspekte des Raumes
56
Aspekte der Wahrnehmung
56
Biologische Reaktion auf einen Farbstimulus
Aspekte des Gestaltungsprozesses
56
Kollektives Unbewusstes
Was bedeutet Gestalten?
57
Bewusste Symbolik und Assoziationen
Eigenschaften von Elementen
58
Kulturelle Eigenart
Beziehungen zwischen Elementen
61
Trends, Mode, Stile
Beziehungen zwischen Elementen und dem wahrnehmenden Menschen
Persönliche Faktoren Physiologische und neuropsychologische Aspekte
62
22 9 Kommunikation Mensch – Farbe – Raum
Reizarmut – Reizüberflutung
63
Optische Muster
Interdisziplinäre Aspekte
Physiologische Wirkungen
Gestaltungsrelevante Bedürfnisse des
Psychologische Aspekte
Menschen
65
Aspekte der Farbwahrnehmung im Raum
68
Synästhesien Symbolik der Farben
63
28 10 Praxis der Farbgestaltung 32
Aspekte innenarchitektonischer Farbgestaltung
Grundmerkmale der Farbe
33
Bezug der Farbe zum Menschen
Farbkreis und Farbordnungssysteme
33
Physiologische Anforderungen
Wirkung von Farbkontrasten
35
Psychologische Anforderungen
5 Gestaltungsgrundlagen der Farbe
Hell-Dunkel-Kontrast
Bezug der Farbe zur Gebäude- und Raumfunktion
Bunt-Unbunt-Kontrast
Bezug der Farbe zum Raum und seinen
Bunt-Kontrast
Elementen
Gegenfarben-Kontrast
Orientierung
Intensitäts-Kontrast
Umwelt- und gesundheitsverträgliche Materialien
Quantitäts-Kontrast
und Farben
Flimmer-Kontrast
Ästhetische Qualität
70 70
Raum als sinnesanregendes Milieu
76
Simultan-Kontrast
Methodik
77
Sukzessiv-Kontrast
Semantisches Differenzial
78
Physiologische Kontrastphänomene
6
47
37
2
INHALT
11 Gestaltungsfelder
83
Anmutung und Visualisierung
Bildungsstätten
83
Farb- und Materialgestaltung wesentlicher
Kindergarten
84
Funktionsbereiche
Schulen
86
Therapeutische Einrichtungen für Langzeit-
Seminarräume/Erwachsenenbildung
90
aufenthalte
124
Personenkreise
90
Psychiatrische Kliniken
125
Kleinkinder
Personenkreise
126
Schüler/Kinder und Jugendliche
Bewohner
Erwachsene in Weiterbildung
Betreuer
Pädagogen
Anmutung und Visualisierung
Anmutung und Visualisierung
92
Farb- und Materialgestaltung wesentlicher Funktionsbereiche Sportstätten
Wellness-Einrichtungen
117
127
Farb- und Materialgestaltung wesentlicher Funktionsbereiche
128
Seniorenheime
130
Anmutung und Visualisierung
133
93 94
Farb- und Materialgestaltung wesentlicher
Anmutung und Visualisierung, Farb- und Materialgestaltung
116
95 95
Funktionsbereiche
133
Alternativkonzepte
135
Häusliche Pflege
135
Hospize
137
Anmutung und Visualisierung, Farb- und Materialgestaltung
97
Anmutung und Visualisierung, Farb- und Arbeitsstätten
97
Umweltpsychologische Aspekte
97
Materialgestaltung
137 137
Büroarbeitsplätze
101
Kinderhospize
Großraumbüros
103
Anmutung und Visualisierung, Farb- und
Einzel- und Kombibüros
103
Materialgestaltung
139 140
Anmutung und Visualisierung, Farb- und Materialgestaltung
105
Restaurants
Bildschirmarbeitsplatz
106
Anmutung und Visualisierung, Farb- und
Gewerbliche Arbeitsplätze
107
Anmutung und Visualisierung in Arbeitsräumen
107
Kompensation und Konsonanz
Materialgestaltung
142
Wohnung/Wohnhaus
145
Anmutung und Visualisierung, Farb- und Materialgestaltung
145
Schlussbemerkung
147
Farbe als Information Sicherheits- und Ordnungsfarben Maschinenfarben Zusammenfassung der wichtigsten Gesichtspunkte guter Arbeitsplatzgestaltung
113
Therapeutische Einrichtungen
115
Anhang
148
Literaturverzeichnis
148
Fotonachweis
151
Therapeutische Einrichtungen für Kurzaufenthalte
116
7
EINLEITUNG
„Farbe – Kommunikation im Raum“ ist die aktualisierte, über-
An dieser Stelle danken wir allen, die uns bei der Arbeit an die-
arbeitete Ausgabe von „Mensch – Farbe – Raum“, welche 1998
sem Buch unterstützt haben:
erstmals erschienen ist. Professor Dr. Renate Gebeßler: sie hat uns mit ihren AufsätDiese revidierte Fassung hebt verstärkt den kommunikativen
zen im Verständnis der großen Gesamtzusammenhänge sehr
Stellenwert der Farbe im Raum hervor. Dabei werden vor al-
bestärkt,
lem physiologische und psychologische Aspekte sowie die Zusammenhänge der visuellen Ergonomie ins Blickfeld gerückt. Farbmoden und Farbtrends sollen ausgeklammert werden, substanzielle Hinweise zur Farbgestaltung in Architektur und Innenarchitektur hingegen stehen im Zentrum dieser Publikation. Ein wichtiger neuer Gesichtspunkt stellt dabei die Bedeutung des Materials in der Farbgestaltung dar. Das Buch soll den Blick für differenzierte architektonische und innenarchitektonische Aufgabenstellungen schärfen; es will ein grundlegendes Wissen über Wesen und Wirkung der Farbe sowie an-
Professor Werner Spillmann für seine kritischen Anmerkungen im Bereich der Farbsysteme, Herrn Dipl. Physiker Ulrich Radzieowski für seine fundierte Beratung zum Thema Licht, Frau Véronique Hilfiker Durand für ihr aufmerksames Lektorat, Frau Muriel Comby für ihre einfühlsame Gestaltung des Layouts, Frau Petra Becker und Frau Solenn Borchers für ihre geduldige Ausarbeitung des grafischen Materials.
gewandte Farbenpsychologie vermitteln. Prägende RaumMilieus der wesentlichen Lebensbereiche des Menschen wer-
Gerhard Meerwein
Bettina Rodeck
Frank Mahnke
den analysiert. In den Kapiteln 1–10 vermittelt „Farbe – Kommunikation im Raum“ allgemein gültiges Wissen als Grundlage für jede Gestaltungsaufgabe mit Farbe; im Kapitel 11 werden Beispiele aus der Praxis beschrieben. Das Buch wendet sich vor allem an Architekten, Innenarchitekten und Farbdesigner sowie auch an Studierende und engagierte Praktiker. Kommunale Baubehörden, Entscheidungsträger, Pädagogen, Psychologen und Mediziner finden hier für ihre Arbeit ebenfalls wertvolle Anregungen.
9
1 DER MENSCH – ZENTRUM DER GESTALTUNG
Der Mensch steht im Zentrum der Gestaltung. Um Umwelt menschengerecht zu gestalten, bedarf es eines ganzheitlichen
Die leibliche Dimension umfasst alle körperlichen Prozesse
Menschenbildes. Es bedarf ebenso der Kenntnis über Entwick-
organischen Zellprozesse
lungs- und Lebensphasen wie über die Lebensbereiche des
biologisch-physiologischen Körperfunktionen und die damit
Menschen einschließlich seiner damit verbundenen Umwelt-
verbundenen chemischen und physikalischen Prozesse.
bedürfnisse. Ein ganzheitliches Menschenbild findet sich in
Diese Dimension ist aktives Zentrum für die Entfaltung physi-
den anthropologischen Grundpositionen der Humanistischen
scher, materieller Handlung. Sie bezieht sich auf die physi-
Psychologie. Danach ist der Mensch ein Leib-Seele-Geist-We-
sche, materielle Wechselwirkung mit der Umwelt.
sen, eng verbunden mit den materiellen und immateriellen Komponenten seiner Lebenswelt. Lebenswelt bedeutet die
Die seelische Dimension umfasst
Gesamtheit der menschlichen Lebensbedingungen. Sie ist
Emotionen, Gefühle und Stimmungen
synonym für Umwelt im Sinne eines ganzheitlichen Lebens-
intellektuelle Begabungen
raumes mit biologischen, physikalischen, physiologischen,
Instinkte, Triebe, Affekte und Gewohnheitsmuster
psychologischen, sozialen und ästhetischen Grundlagen.
soziale Prägungen und erworbene Verhaltensmuster.
Auch Viktor E. Frankl, international bekannter Begründer
Diese Dimension ist Erlebniszentrum für das, was wir körper-
der Existenzanalyse und Logotherapie, betrachtet den Men-
lich und seelisch erleben. Sie bezieht sich auf die seelische,
schen als dreidimensionale Einheit, bestehend aus Leib, See-
qualitative Wechselwirkung mit der Umwelt.
le und Geist. Das bedeutet, dass der Mensch immer ganzheitlich agiert und reagiert. Alle drei Dimensionen Leib, Seele und Geist sind in der Beziehung zwischen Mensch und Umwelt aktiv beteiligt.
Die geistige Dimension umfasst selbstständige und freie Willensentscheidungen sachliche und künstlerische Interessen schöpferisch-visionäre Einstellungen, gerichtet auf die menschliche Entwicklung humanes Verstehen und ethische Kompetenz.
Modulor-Konstruktion, Le Corbusier
10
>
1
DER MENSCH – ZENTRUM DER GESTALTUNG
Diese Dimension ist Zentrum für Erkenntnis, innere Weisheit,
Humane Gestaltung
Humanität und Bewusstheit. Sie bezieht sich auf die geistige,
ist sinnvoll und verantwortlich
sinnfindende und erkenntnisbetonte Wechselwirkung mit der
berücksichtigt emotionale und funktionale Aspekte.
Umwelt. Humane Gestaltung Aufgrund seiner geistigen, spezifisch humanen Dimension ist
ist ein interaktiver Prozess, der Kommunikation, Zusammen-
der Mensch seinem Wesen nach wert- und sinnorientiert. Er ist
arbeit und einen lebendigen Dialog erfordert.
reflektierendes, Stellung nehmendes und entscheidendes Sein, verantwortlicher Mitgestalter seiner Existenz und Um-
Humane Gestaltung
welt. Mit Leib, Seele, Geist und allen Sinnen kommuniziert
ist ein interdisziplinärer Prozess, der humanwissenschaftli-
der Mensch mit der Umwelt. Als Individuum und soziales We-
che, naturwissenschaftliche und gestalterische Disziplinen in-
sen befindet er sich in lebendiger Interaktion mit ihr.
tegriert.
Auf der Grundlage eines ganzheitlichen Menschenbildes klassisch-humanistischer Vorstellungen begreifen wir den
Humane Gestaltung
Menschen als Maß für den ihn umgebenden Raum, seine ar-
hat soziale Qualität
chitektonische und innenarchitektonische Gestaltung mittels
zeigt Einfühlungsvermögen
Form, Material, Licht und Farbe.
fördert Gesundheit und Wohlbefinden.
Im Hinblick auf humane Gestaltung lassen sich folgende Thesen entfalten: Humane Gestaltung bezieht sich auf den ganzen Menschen als Leib-Seele-GeistEinheit dient dem Menschen und seinen Umweltbedürfnissen.
11
Bedeutungsraum
Handlungsraum
Tastsinn
Ich-Sinn
Gedankensinn
Vitalitätssinn Behagenssinn
te
tnis Sin beton te ne
tier
erk
e
Gleichgewichtssinn
anmutungsbetonte Sinne
Hörsinn Proportionssinn
Bewegungssinn
ont
enn
ntie orie
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Gei
blic
rte
Lei
han
Sprachsinn
Seelisch orientierte Wärmesinn
Sehsinn
Geruchssinn
Geschmackssinn Qualitätssinn
>
Anmutungsraum
12
Spektrum der Sinne
2 DIE SINNE ALS KOMMUNIKATIONSINSTRUMENTE
Unsere Sinne sind die Kommunikationsinstrumente, die uns
Vitalitätssinn/Behagenssinn:
die Beziehung zur Umwelt ermöglichen. Sie vermitteln uns In-
Der Vitalitäts- oder Behagenssinn gibt Aufschluss über unse-
formationen und wirken mit bei der Aneignung der Umwelt
re Befindlichkeit und die Qualität unseres Lebensgefühls. Er
durch Sinneseindrücke und Sinneserfahrungen: Wir können
regt sich oft erst dann, wenn im Organismus Symptome von
uns selbst und die Umwelt wahrnehmen, erleben, erkennen,
Unwohlsein wahrnehmbar sind. Ein sensibilisierter Vitalitäts-
beurteilen und gestalten. Jedes Sinnesorgan hat spezifische
sinn führt dazu, dass der Mensch unmittelbar spürt, was sein
Strukturen, welche ihm die Aufnahme spezifischer Sinnesrei-
Wohlbehagen fördert und was nicht.
ze ermöglichen. Der Mensch-Umwelt-Beziehung liegen nach der neueren Sinnesphysiologie und Sinnesphänomenologie
Bewegungssinn:
zwölf Sinne zugrunde. Diese beziehen sich auf drei Raumka-
Der Bewegungssinn lässt uns die Bewegungen des eigenen
tegorien: den Handlungsraum, den Anmutungsraum und den
Leibes empfinden; er wirkt als Kontrollorgan für unsere Bewe-
Bedeutungsraum.
gungen und Bewegungsabläufe sowie für alle Bewegungsarten, -formen und -prozesse in der Umwelt. Er aktiviert den
Zur Aktivität und Bedeutung der einzelnen Sinne:
Willen, aus einer Motivation heraus, ein Ziel zu setzen und dieses in angemessener Bewegungsdynamik zu erreichen.
Die vier leiblich orientierten Sinne – Tastsinn, Vitalitäts-
Bewegung ist Leben, Aktivität, Dynamik, Veränderung. Allen
sinn/Behagenssinn, Bewegungssinn und Gleichgewichtssinn
Bewegungsabläufen liegt ein ständiger Rhythmus von Ge-
– sind willens- und handlungsbetont.
staltung und Wandlung zugrunde, der mit dem Bewegungssinn wahrnehmbar ist.
Tastsinn: Der Tastsinn ist der elementarste Sinn: Durch ihn kommen
Gleichgewichtssinn:
wir leiblich unmittelbar in Kontakt mit der Umwelt – mit an-
Durch den Gleichgewichtssinn ist der Mensch in der Lage, auf-
deren Lebewesen und der Materie von Gegenständen. Beim
recht zu stehen und sich aufrecht zu bewegen. Der Gleichge-
Tasten erleben wir die Grenze und Trennung zwischen dem
wichtssinn ermöglicht, einen unabhängigen, eigenen Stand-
eigenen Leib und der Außenwelt. Diese Erfahrung ist grund-
punkt im Raum zu finden. Er ist grundlegend für unser
legend für das Gewahrwerden und die Gewissheit der eige-
räumliches Orientierungsvermögen. Er sucht nach Balance
nen Existenz.
und Ordnungsstruktur.
13
Die vier seelisch orientierten Sinne – Geruchssinn, Ge-
die Vielfalt sichtbarer Umweltqualitäten. Empfindungen des
schmackssinn/Qualitätssinn, Sehsinn und Wärmesinn – sind
sichtbaren Schönen, Wohltuenden, Harmonischen oder auch
einfühlungs- und anmutungsbetont.
des Hässlichen, Unbehaglichen, Disharmonischen sind Empfindungen des Behagens, die mit der visuellen Wahrnehmung
Geruchssinn:
vernetzt sind.
Der Geruchssinn vermittelt uns Informationen über die Substanzen der Umwelt und das Wesen der Materie. Er gibt Auf-
Wärmesinn:
schluss über feinste Nuancen und Qualitäten der Inhaltsstof-
Mit dem Wärmesinn nehmen wir unsere Körperwärme und
fe. Gerüche beeinflussen unmittelbar die Atmosphäre. Darauf
Temperaturen in der Außenwelt wahr. Mit Empfindungen des
reagiert der Mensch spontan mit Behagen oder Unbehagen,
Wärmesinns verbinden sich eng körperliches und seelisches
Sympathie oder Antipathie.
Erleben – Sympathie und Antipathie, Behagen und Unbehagen. Zu seinem Wohlbefinden benötigt der Mensch einen ihm
Geschmackssinn/Qualitätssinn:
entsprechenden Grad an Wärme. Dieser bezieht sich auf die
Geruchs- und Geschmackssinn sind eng verbunden. Der Ge-
Temperatur, auf die Anmutungsqualität von Räumen, sowie
schmackssinn gibt Aufschluss über die chemische Zusam-
auf soziale Beziehungen. Wärme schafft Nähe, Kälte schafft
mensetzung und Komposition der Geschmacksnuancen wie
Distanz.
auch über die Qualität der Nahrung, die wir aufnehmen. Er aktiviert unsere Wahrnehmung für Echtes und Natürliches sowie
Die vier geistig orientierten Sinne – Hörsinn, Sprachsinn, Ge-
für Unechtes und Künstliches. Im übertragenen Sinne akti-
dankensinn und Ich-Sinn – sind erkenntnisbetont.
viert er unsere Wahrnehmung für Ästhetik, Qualität und Angemessenheit.
Hörsinn/Proportionssinn: Der Hörsinn umfasst all das, was wir an Geräuschen, Tönen
Sehsinn:
und Klängen aufnehmen können. Dem Hörsinn wird vermit-
Von allen Sinnen ermöglicht uns der Sehsinn die umfassend-
telt, was dem Auge verborgen bleibt. Mitunter geben Tonfall
sten Wahrnehmungen. Er wirkt mit den anderen Sinnen unter-
und Klang der Stimme eines Menschen besser Auskunft über
stützend und ergänzend zusammen. Mit dem Sehsinn können
sein Befinden und seine seelische Verfassung als sein Aus-
wir alles Sichtbare wahrnehmen, Formen und Bewegungen vi-
sehen. Auch die inneren Qualitäten von Gegenständen und
suell nachvollziehen, Formen und Materialien visuell abtas-
Beschaffenheit von Materialien werden im Klang hörbar.
ten, Sichtbares ordnen. Der Sehsinn erschließt uns die Welt
Hans-Jürgen Scheurle zufolge kann das Tonempfinden gleich-
des Lichtes und der Farbe bis in die feinsten Nuancen sowie
bedeutend mit dem Empfinden für Proportion verstanden
14
2
DIE SINNE ALS KOMMUNIKATIONSINSTRUMENTE
werden, das auch mit dem Empfinden für Harmonie zu tun
Antipathie. Der Ich-Sinn ist das Sinnesinstrument für die zwi-
hat.
schenmenschliche Begegnung. Seine Betätigung ist von herausragender sozialer Bedeutung. Durch Tätigsein des Ich-
Sprachsinn:
Sinns im Dialog mit dem anderen lassen sich Missverstehen
Nimmt der Hörsinn das akustische und musikalische Element
und Befremden überwinden und Verstehen aufbauen.
der Sprache wahr, vermittelt uns der Sprachsinn die Wahrnehmung vom Wesen der Sprache, ihrer Ausdrucksform und Ge-
Alle Sinne sind miteinander vernetzt, sie arbeiten interaktiv,
staltung, ihrer Klarheit und Prägnanz. Jede Sprache hat ihre
ergänzen sich und unterstützen einander. Auch sind alle Sin-
eigene Architektur und Klangfarbe. Die jeweilige Klangquali-
ne mit Erkenntnisgehalt, Gefühlsgehalt und Behagensempfin-
tät lässt Mentalität und Stimmung mitschwingen und durch
dungen verbunden.
den Sprachsinn erfassen. Auch nonverbale Ausdrucksformen – Gestik und Mimik –, Elemente der Körpersprache sind dem Wahrnehmungsgebiet des Sprachsinns zuzurechnen.
Die Entfaltung und Pflege der Sinne sind grundlegend zur Sensibilisierung und Differenzierung der Wahrnehmung Entdeckung von Neuem
Gedankensinn:
Anregung des Gefühlslebens
Der Gedankensinn bezieht sich auf das Wahrnehmen der ge-
Vertiefung der Erlebnisfähigkeit
danklichen Sprachinhalte, auf die tieferliegende Bedeutung
Stärkung des Urteilsvermögens
des Gesagten, auf das Entdecken hintergründiger oder ver-
Stärkung der Entscheidungskraft
steckter gedanklicher Intentionen und Botschaften. Das
Bewusstheit im Denken, Fühlen und Handeln.
Wahrnehmen von Gedanken erfordert Einfühlsamkeit und Intuition. Gedanken lassen sich auch auf nonverbale Weise
Die Entfaltung und Pflege der Sinne sind ebenso
vernehmen – durch die Sprache des Körpers, durch Gestik und
grundlegend für
Mimik. Mit dem Gedankensinn suchen wir die innere Wahrheit
die Entwicklung der Kreativität
zu ergründen.
eine schöpferische, sinnerfüllte Lebensgestaltung die Bildung unserer Persönlichkeit
Ich-Sinn:
unsere zwischenmenschlichen Beziehungen
Mit dem Ich-Sinn erfasst der Mensch das Ich eines anderen,
die Gestaltung unserer Lebenswelt.
seine Individualität, seinen Wesenskern. Die Tätigkeit des IchSinns erfordert wache Distanz, Abstand vom eigenen Ich zu nehmen, sich zu befreien von Vorurteilen, von Sympathie und
15
3 FARBE – ELEMENT DER UMWELT
Farben sind elementare Bestandteile unserer visuellen Wahr-
lenken die Aufmerksamkeit
nehmung und Umwelterfahrung; sie sind auch Erlebnisin-
tragen zur Ordnung und Unterscheidung bei
halte unserer Umwelt. Wohin wir auch sehen, begegnen und
bezeichnen besondere Funktionen
umgeben uns Farben: Sie begleiten uns in vielfältigen Erschei-
sind geographisches, ethnisches und kulturelles Merkmal
nungsweisen, stets verbunden mit Licht und beeinflusst von
sind Mode- und Stilmerkmal
Licht in der natürlichen und vom Menschen gestalteten Um-
sind persönliches sowie gruppenspezifisches Identitätsmerk-
welt. In der Natur erscheint uns Farbe im Licht des Himmels,
mal
beim Anblick von Gewässern und Landschaften. Wir erblicken
sind Imagefaktor und Statussymbol
sie an Hölzern und Gesteinen, Pflanzen, Früchten und Blüten.
sind Marketingfaktor
Wir begegnen Farben in vielfältigen Kombinationen im Tier-
zeigen stilistische Tendenzen und Designtrends an
reich: an den Häuten, Panzern, Trachten, Gefiedern und Fellen
sind Indikator und Ausdruck des Zeitgeistes, der dem Wandel
der Tiere. Auch die Haut, Augen, Haare und Kleidung der Men-
unterworfen ist
schen haben verschiedene Farben. Die vom Menschen gestal-
beeinflussen entscheidend die Aussage, Wirkung und Akzep-
tete Umwelt ist farbig: Straßen und Geschäfte, Gebäude und
tanz von Gegenständen und Räumen.
Räume. Wir erblicken Farben in aller Vielfalt an den unterschiedlichsten Gegenständen und kulturellen Erzeugnissen.
Farbe ist weitaus mehr als eine ästhetische Aussage: Sie ist
In allen Bereichen sind Farben von wesentlicher Bedeutung.
Teil lebensspendender und lebenserhaltender Vorgänge. Sie
Sie erfüllen zahlreiche unterschiedliche Funktionen. Farben
ist Teil der Bedingungen, unter denen der Mensch lebt und er-
dienen der Information, der Kommunikation und der Gestal-
lebt: Neben anderen Sinneswahrnehmungen orientiert sich
tung. Sie
der Mensch mittels optischer Signale und lernt durch visuelle
16
vermitteln symbolische Botschaften
Botschaften. Somit ist Farbe für die Deutung der Umwelt wie
signalisieren
auch für das Zusammenwirken des Menschen mit der Umwelt
dienen der Tarnung und Abschreckung
von tragender Bedeutung. Das, was uns die Farbigkeit unse-
leisten Orientierungshilfe
rer Umwelt offenbart, das, was uns Farben mitteilen, berührt
3
FARBE – ELEMENT DER UMWELT
immer auch unsere Emotionen. Wir alle werden von Farben beeinflusst und befinden uns in einer lebendigen Beziehung zu ihnen. Farben wirken auf uns ein und sprechen unsere Gefühlswelt an, auch dann, wenn wir sie nicht bewusst wahrnehmen.
FARBE – KOMMUNIKATION IM RAUM Kommunikation erfolgt personal im Austausch von Informationen in zwischenmenschlichen Beziehungen wie auch nicht personal durch Symbolgehalte der Umwelt. Farbe ist ein wesentliches Medium visueller Kommunikation in der Mensch-Umwelt-Beziehung: Sie vermittelt dem Menschen symbolische Botschaften und ästhetisch-atmosphärische Informationen.Wesentliche Aspekte der Farbe in der Architektur beziehen sich auf die Kommunikation zwischen Mensch und Raum und auf die darin stattfindenden Interaktionen. Raum ist Rahmen für soziale Beziehungen und menschliche Aktivitäten. So liegt ein grundlegender Aspekt in der Funktion der Farbe als Kommunikationsfaktor verbunden mit ihrer interaktiven Eigenschaft. „Farbe existiert an sich, sie verbindet die Dinge miteinander und die Dinge mit dem Menschen“ (Pieter Uyttenhoven).
17
4 MENSCH UND FARBE
Um die komplexen Zusammenhänge der Beziehung zwischen
FARBENSEHEN
Mensch und Farbe verstehen zu können, werden zu Beginn des
Farbensehen ist ein Sinneserlebnis, das von folgenden Vo-
folgenden Kapitels die drei Parameter Farbensehen, Farbwahr-
raussetzungen abhängig ist:
nehmung, Farberleben/Farbwirkung detailliert betrachtet.
von der Existenz des Lichtes von der Fähigkeit des Auges, Farbreize aufzunehmen und wei-
WAS IST FARBE?
terzuleiten
Alle Farberscheinungen entstehen aus dem Zusammenwirken
vom Vermögen, die vermittelten Farbreize als visuelle Sinnes-
von sichtbarer Strahlung und Materie. Einer allgemein gülti-
empfindung wahrzunehmen und zu verarbeiten.
gen Definition zufolge ist Farbe die Bezeichnung für eine spezifische visuelle Empfindung, die durch sichtbare Strahlung,
Das Auge ist ein optisches System, das die Aufgabe hat, sicht-
den so genannten Farbreiz, ausgelöst wird. Ein Farbreiz ent-
bare Strahlung auf die Netzhaut zu richten. Auf dieser befin-
steht dann, wenn sich das Licht einer natürlichen oder künst-
den sich die einzelnen Rezeptoren, die Stäbchen und Zapfen,
lichen Lichtquelle an einem Gegenstand oder an Staubteil-
die den physikalischen Reiz entschlüsseln und in eine physio-
chen bricht. Dabei werden die auffallenden Lichtstrahlen je
logische Erregung umwandeln. Während die Stäbchen der
nach der Beschaffenheit der Materie unterschiedlich absor-
Unterscheidung von Hell und Dunkel dienen und nur die Hel-
biert oder reflektiert. Das heißt, es werden aus dem Farbspek-
ligkeitswerte der Farben registrieren, dienen die Zapfen der
trum des Lichts Teile herausgefiltert, während die Reststrah-
Unterscheidung von Farben. Sie reagieren auf die unter-
lung als Farbreiz in unser Auge gelangt. Trifft zum Beispiel das
schiedliche spektrale Zusammensetzung des Lichts. Die
Gesamtlicht auf eine blaue Fläche, so werden alle Spektralan-
Young-Helmholtz-Theorie geht davon aus, dass es bei den
teile des Lichts außer dem blauen absorbiert und lediglich das
farbempfindlichen Zapfen drei verschiedene Typen für kurz-,
Blau reflektiert. Die farbige Erscheinung von Gegenständen
mittel- und langwellige Lichtstrahlen gibt, die blauempfind-
ist aber abhängig von der Lichtart: vom Tageslicht oder von
lich, grünempfindlich und rotempfindlich sind. In der Wissen-
verschiedenen künstlichen Lichtarten. Farben verändern sich
schaft gibt es auch Verfechter der Hering’schen Theorie, die
durch unterschiedliche Lichtqualität.
von vier Rezeptortypen ausgeht, zwei antagonistischen Sys-
Hypophyse
Ganglienzelle Amakrinzelle Bipolarzelle Horizontalzelle
Netzhaut
Stäbchen Zapfen
Licht
Netzhaut
Schnitt durch die Netzhaut
18
>
Sehnerv
4
MENSCH UND FARBE
temen Gelb-Blau und Rot-Grün. Die Rezeptoren der Netzhaut
gleiten die Farbwahrnehmung. Nicht nur die augenblickliche
– Stäbchen und Zapfen – leiten die Erregung über Nervenfa-
visuelle Empfindung ruft einen bestimmten Farbeindruck her-
sern in den Sehnerv und von diesem an das Gehirn weiter, wo
vor, unsere gesamte Erfahrung, das Gedächtnis und das Den-
die Erregung schließlich in bewusstes Sehen umgewandelt
ken beteiligen sich daran.
wird. Durch einen komplexen Vorgang physiologisch-psychologischer Datenverarbeitung wird der von uns aufgenomme-
FARBERLEBEN/FARBWIRKUNG
ne Farbreiz in Farbensehen und Farbwahrnehmen umgesetzt.
Farbe wahrzunehmen bedeutet, sie zu erleben und sich ihrer bewusst zu werden, sie trägt immer auch sinnhafte Bedeutun-
FARBWAHRNEHMUNG
gen. Dabei spielen eine Vielzahl bewusster und unbewusster
Farbensehen ist ein Akt sinnlicher Wahrnehmung. Farbe neh-
Faktoren mit. Jedem objektiven Farbreiz, den wir aus der Au-
men wir hauptsächlich als ein Charakteristikum der uns um-
ßenwelt aufnehmen, entspricht eine subjektive Reaktion in
gebenden Gegenstände wahr. Neben Form, Beschaffenheit
unserer Innenwelt. Das Farberleben und die Reaktion des
der Oberfläche, Geruch und Geschmack ist Farbe eine der Ei-
Menschen auf Farbe sind ebenso vielschichtig wie der Mensch
genschaften, nach denen Objekte bestimmt, beurteilt oder be-
selbst. Farberleben, Farbwirkung und Reaktion des Menschen
wertet werden können. Der Mensch, der eine Farberscheinung
auf Farbe lassen sich daher nicht ohne weiteres verallgemei-
wahrnimmt, hat bereits eine bestimmte Anzahl Erfahrungen
nern. Zunächst ist davon auszugehen, dass wir Farbe subjek-
und Vorstellungen in seinem „genetischen Gedächtnis“ ge-
tiv erleben und damit individuell auf Farbe reagieren. Dabei ist
speichert, die seine Farbwahrnehmung beeinflussen. Die
anzumerken, dass unsere persönlichen Farberlebnisse, Reak-
Farbwahrnehmung wird beispielsweise mit Assoziationen
tionen auf Farbe und Bewertungen der Farbe auch stets einen
und früheren Erlebnissen verbunden, bei denen Farbe eine
Teil des „Kollektiven“ beinhalten, das in unserem „geneti-
Rolle spielte, und sie wirkt nicht zuletzt mit der psycho-physi-
schen Gedächtnis“ gespeichert ist. Die Wirkung der Farbe auf
schen Verfassung des Menschen zum Zeitpunkt der Aufnahme
den Menschen erklärt sich aus dem Zusammenspiel physiolo-
farbiger Reize zusammen. Auch kulturelle und gesellschaftli-
gischer und psychologischer Ereignisse, dem physikalischen
che Faktoren, wie beispielsweise Erziehung und Umwelt, be-
Prozess des Farbensehens und der Datenverarbeitung unse-
Sehfeld des linken Auges
<
19
res Gehirns. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Farbe Ein-
Biologische Reaktion auf einen Farbstimulus
fluss auf die kortikale Aktivierung (Hirnstromwellen) hat, auf
„Sehen“ ist nicht der einzige Zweck des Zusammenwirkens
Funktionen des vegetativen Nervensystems und auf hormo-
von Licht, Auge und Gehirn. Neben der „optischen“ Sehbahn
nale Aktivitäten.Wir wissen auch, dass Farbe bestimmte emo-
gibt es auch die „energetische“ Sehbahn, welche die einfallen-
tionale und ästhetische Assoziationen hervorruft.
den Licht- und Farbreize direkt zum Zwischenhirn leitet und
Die energetische Wirkung der Farben erfasst unseren ge-
von dort aus den Stoffwechsel und die Organfunktionen be-
samten Organismus. Sie beeinflusst körperliche Vorgänge.
einflusst. Dies erklärt, warum zum Beispiel beim Menschen
Damit verbunden wirkt Farbe auf unsere Psyche, auf unser
unter einem Rotstimulus der Pulsschlag steigt und unter ei-
Fühlen, Denken und Wollen. Farbe vermittelt Anmutungsqua-
nem Blaustimulus abfällt. Biologische Reaktionen finden auf
litäten und hat Einfluss auf unsere Emotionen. Aufgrund ganz-
rein physiologischer Ebene statt. Sie sind unabhängig davon,
heitlicher Verbindungen und Mitempfindungen innerhalb un-
wie der Mensch über eine Farbe oder Farbkombination denkt,
serer Sinnesorganisation erregen Farben nicht allein den
wie sie ihn anmutet oder wie er sie ästhetisch bewertet.
Sehsinn, sondern auch andere Sinnesorgane. Dabei spielen die Intensität von Farbreizen und der gesamte Kontext, in dem
Kollektives Unbewusstes
sie wahrgenommen werden, eine entscheidende Rolle.
Das kollektive Unbewusste ist der Teil unserer Psyche, der nichts mit den bewussten Reaktionen zu tun hat, die wir
FARBERLEBNISRAUM
durch persönliche Erfahrungen in unserem Leben gesammelt
Die Vielschichtigkeit, die unser Farberleben beeinflusst und zu
haben. Das kollektive Unbewusste spiegelt Urprägungen, Ur-
einer Reaktion führt, kann schwer in einem Modell erfasst
erlebnisse und Urerfahrungen wider. Die Neuroinformatik be-
werden. Grundsätzlich dürfen wir jedoch annehmen, dass
legt, dass der Mensch das Wissen von Jahrmillionen Evoluti-
sechs miteinander wirkende Faktoren Einfluss auf unser Farb-
on im genetischen Bauplan seines Gehirns gespeichert hat.
erleben haben. Diese Faktoren sind im „Farberlebnisraum“
Indem er lernt, verfeinert der Mensch diesen Bauplan. Für un-
aufgezeigt. Ihr Zusammenspiel wird in diesem räumlichen
ser Farberleben und unsere Reaktion auf Farbe ist somit auch
Modell veranschaulicht.
die archetypische, die allgemein urbildliche Bedeutung der
< Persönliche Faktoren
Trends, Mode, Stile Symbolik und Assoziation
Kulturelle Eigenart
Kollektives Unbewusstes
Biologische Reaktion Farberlebnisraum
20
4
MENSCH UND FARBE
Farbe zu berücksichtigen. Sie bezieht sich auf jene Zeit der
Trends, Mode, Stile
Entwicklungsgeschichte, in welcher der Mensch noch unmit-
Fast jedes Jahr gibt es weltweit neue Farbtrends, besonders
telbar mit der natürlichen Umwelt verbunden war. Neben dem
in der Mode und bei Konsumgütern. In der Architektur und In-
kollektiven Unbewussten könnte auch das „persönlich Unbe-
nenarchitektur entwickeln sich Farbtrends etwas langsamer.
wusste“ berücksichtigt werden. Das würde heißen, ein per-
Auch wenn sie kurzlebig sind, so beeinflussen sie doch unse-
sönliches Erlebnis, das mit Farben verbunden ist und das in
re Farbbeurteilung und können vorübergehend neue Assozia-
das Unbewusste verdrängt wurde, beeinflusst auch die per-
tionen wecken.Werden Mode- und Konsumgütertrends für die
sönliche Reaktion auf Farbe. So kann zum Beispiel Rot als
Wirtschaft planerisch vorbereitet, so sollte diese Entwicklung
Symbol des Blutes nach einem Unfall abgelehnt werden.
für die Architektur und Innenarchitektur nicht gelten. Ein Farbtrend wird den Bedürfnissen nach sinnvoller Farbgestaltung
Bewusste Symbolik und Assoziationen
auf der Grundlage angewandter Farbenpsychologie nicht ge-
Es gibt zahlreiche Beispiele von Farbeindrücken, Farbsymbo-
recht. Kurzlebige Gestaltungswechsel im Bereich der Innenar-
len und Farbassoziationen, die von den meisten Menschen
chitektur entsprechen einer unüberlegten Wegwerfmentalität
gleich gedeutet werden. Zum Beispiel werden Gelb mit Son-
und widersprechen seriösen und grundsätzlichen Gestal-
ne und Licht, Rot mit Blut und Feuer, Blau mit Himmel und
tungsüberlegungen.
Wasser, Grün mit der Natur verbunden. Die Erfahrungen des Menschen in der Natur führten zu Grundassoziationen, von
Persönliche Faktoren
denen im Laufe der Evolution auch andere Assoziationen ab-
Das Gesamterlebnis Farbe umfasst vor allem auch persönliche
geleitet wurden. Zum Beispiel steht Rot für Blut und Feuer,
Faktoren; es spielen dabei eine Rolle:
Aggression, Revolution, Krieg, aber auch Leben, Liebe. Es wird
persönliche Grundveranlagung
oft in Frage gestellt, ob psychologische Aspekte, besonders im
Persönlichkeitsstruktur und Temperament
Bereich der Assoziationen, nicht wertlos sind, da das kulturel-
körperliche und psychische Verfassung
le Erbe, die intellektuelle und ästhetische Bildung des Einzel-
Alter und Geschlecht
nen verschieden sind. Forschungen mit unterschiedlichen
Sensibilität bezogen auf Farbe.
Gruppen von Menschen zeigen jedoch, dass es kollektive und individuelle Reaktionen zu Farbassoziationen gibt, die mehr-
Beachtenswert ist ebenso, wie lange farbige Reize auf den
heitlich übereinstimmen: Kulturübergreifende Untersuchun-
Menschen einwirken, in welchem Gestaltungszusammen-
gen und Vergleiche haben diesbezüglich erstaunliche Gemein-
hang Farben stehen und wahrgenommen werden. Unser Farb-
samkeiten gezeigt.
erleben und unsere Reaktion auf Farben wie auch unsere Vorliebe für bestimmte Farben und Farbabneigungen sind
Kulturelle Eigenart
keineswegs immer gleichbleibend. Sie sind ebenso wenig sta-
Auch wenn es universelle Reaktionen auf Farben gibt, ist nicht
tisch wie unser persönlicher Entwicklungsverlauf und die äu-
auszuschließen, dass es kultur- und gruppenspezifische Asso-
ßeren Einflüsse. Unser Farberleben und unsere Reaktion auf
ziationen und Symbolwerte gibt. Diese können besondere
Farben werden somit von der Dynamik unserer Innen- und Au-
Farbaussagen eines Kulturkreises oder Volkes in Religion, Phi-
ßenwelt mitbestimmt. Es ist zu betonen, dass die verschiede-
losophie und Tradition sein und nur hierfür einen besonderen
nen Parameter des Farberlebnisses nicht getrennt zu betrach-
Stellenwert einnehmen.
ten sind, sondern mehr oder weniger zusammenwirken.
21
PHYSIOLOGISCHE UND NEUROPSYCHOLOGISCHE
der Erregbarkeit, auch Weckreaktion genannt. Sie kann zur
ASPEKTE
bloßen Erhöhung der Aufmerksamkeit oder zu sichtbaren Ver-
Verantwortlich für das gesamte menschliche Verhalten ist das
haltensweisen führen. Die Formatio reticularis versucht, einen
Zentralnervensystem bestehend aus Gehirn und Rückenmark.
Zustand der Normalität im Erregungszustand zu erhalten. Die
Alle Impulse und Reize, welche die höheren Zentren des Zen-
Stressforschung hat gezeigt, dass bei Überreizung, aber auch
tralnervensystems erreichen, werden durch die im Hirnstamm
bei sensorischem Mangel, Fehlfunktionen auftreten können.
liegende „Formatio reticularis“, die eine Reglerstation für alle
Dieser Zusammenhang wird meistens von den Gestaltern un-
Stimulationsarten ist, geschleust. Die anregende Qualität von
beachtet gelassen. Daher ist eine der wichtigsten gestalteri-
Farbe ist in einer Aktivierung des retikularen Systems zu be-
schen Grundregeln, Abwechslung und Anregung, eingebun-
greifen. Ein Farbstimulus ist somit auch immer mit anderen
den in eine visuelle Ordnung, einen Ausgleich zwischen
Stimulationsquellen verknüpft. Die Formatio reticularis be-
Reizarmut und Reizüberflutung zu schaffen.
einflusst den Bereitschaftszustand des gesamten Nervensystems. Sie wirkt somit auch an der Steuerung von Aufmerk-
Reizarmut – Reizüberflutung
samkeit und Wachheit mit. Die Stimulation der Formatio
Reizarmut und Reizüberflutung sind zwei gegensätzliche Po-
reticularis durch äußere und innere Reize bestimmt den Grad
le, zwischen denen eine bestimmte wahrgenommene Infor-
Schnitt durch das Gehirn Großhirnrinde (Cerebrale Cortex) Das Großhirn liegt unter der Großhirnrinde
Kleinhirn (Cerebellum) >
22
Thalamus
Formatio reticularis
Hypothalamus
Hirnanhangdrüse (Hypophyse)
4
MENSCH UND FARBE
mationsmenge, zum Beispiel ein Raumerlebnis, beurteilt wer-
behauptet, Weiß, Grau und Schwarz seien in der Raumge-
den kann. Extreme Reizarmut (Monotonie und sensorischer
staltung neutral. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass auch
Mangel) kann zu einer Unterstimulation führen, während ex-
diese unbunten Farben psycho-physiologische Auswirkungen
treme Reizüberflutung zu einer Überstimulation führen kann.
haben.
Überstimulation kann Veränderungen physischer oder psychischer Art hervorrufen. Im physischen Bereich können Atem-
Optische Muster
und Pulsfrequenz beeinflusst werden, auch Blutdruck und
Um die „Erregbarkeit“ durch Muster zu erforschen, wurde
Muskelspannungen können sich erhöhen. Im psychischen Be-
eine Reihe von Versuchen durchgeführt. Dabei spielen Fak-
reich können Reaktionen unterschiedlichster Art hervorgeru-
toren wie Größe, Farbe, Kontrast und Intensität bei Mustern
fen werden. Studien haben ergeben, dass Personen, die einer
eine Rolle. Berlyne und McDonnell fanden heraus, dass vielfäl-
Unterstimulation ausgesetzt wurden, Anzeichen von Ruhelo-
tige, disharmonische und chaotische Muster einen Anstieg
sigkeit und Reizbarkeit, Konzentrationsschwierigkeiten und
des Erregungsgrades bewirken. Das heißt, dass in der Ge-
Wahrnehmungsstörungen zeigten. Solche Studien wurden
samtwahrnehmung intensiv farbige und grafisch komplexe
zum Beispiel von Rikard Küller (Universität Lund, Schweden)
Muster als Überinformation zu Überstimulation führen kön-
in unterschiedlich farbigen Räumen durchgeführt. Oft wird
nen.
<
Optische Muster Memphis Design, Vitra Museum, Weil
<
Trotz hochwertiger Materialisierung führt die Reduktion auf Schwarz, Weiß, Grau zu einem reizarmen Ambiente Deutsche Post, Bonn Architektur Helmut Jahn
Reizüberflutung durch Überlagerung optischer Muster
<
Spiegel-Kantine, Hamburg Innenarchitektur Verner Panton
23
Physiologische Wirkungen
Menge und Lage der Farben im Raum
Ob Rot, Blau, Grün, Gelb oder Violett – jeder Farbton sendet
Farbe und Raumfunktion
spezifische, messbare physikalische Schwingungen aus, die
zeitliche Einwirkung der Farben im Raum.
unser Auge als Farbreiz aufnimmt. Die Farbreize werden durch die energetische Sehbahn zum Zwischenhirn geleitet und zur
Es ist ein Irrtum anzunehmen, in der Raumgestaltung gezielt
Hypophyse, die bestimmte Funktionen der übrigen Hormon-
Farbe einsetzen zu können, um spezifische physiologische
drüsen des Körpers reguliert. Die Hormonausschüttung arbei-
Wirkungen zu erreichen, wie zum Beispiel eine Senkung des
tet im Zusammenspiel mit dem Nervensystem und steuert die
Blutdrucks für einen Hypertoniker. Solche Reiz-Reaktions-Ex-
Organe.
perimente sind physiologisch und psychologisch nicht haltbar. Forschungsergebnisse zu physiologischen Wirkungen von
Wie das Schwingungsmuster der einzelnen Farben wirkt, ist
Farbreizen zeigen, dass körperliche Reaktionen nicht gleich-
häufig Gegenstand wissenschaftlicher Forschungen. Eine ver-
bleibend anhalten. Nach einem anfänglichen Anstieg, zum
breitete Meinung ist, dass Rot erregt und dadurch Herz und
Beispiel durch Rotlicht, normalisiert sich der Blutdruck wieder
Kreislauf schneller arbeiten, Puls und Atemfrequenz beschleu-
oder zeigt sogar eine Gegentendenz an. Es kommt leider vor,
nigt werden und der Blutdruck steigt. Umgekehrt wird ange-
dass Gestalter Untersuchungen zur physiologischen Farbwir-
nommen, dass Blau den Blutdruck senkt und die Nerven beru-
kung falsch interpretieren. So werden oft nur Schlagzeilen
higt. In verschiedenen Versuchsanordnungen bestätigten sich
wie: Rot erregt, Blau beruhigt, berücksichtigt. Dadurch entste-
diese Grunderfahrungen. So ist im allgemeinen der Theorie,
hen falsche Farbgestaltungen, deren angestrebtes Ziel sich
dass bestimmte Farben eine physiologisch messbare Erre-
nicht verwirklichen lässt oder sogar das Gegenteil bewirkt.
gung oder Beruhigung verursachen, zuzustimmen. Es sollen
Aus der Praxis diene das Gestaltungsbeispiel eines psychiatri-
aber keine falschen Schlüsse daraus gezogen werden.
schen Krankenhauses, das vorwiegend in Blaunuancen gehal-
Menschliche Reaktionen auf Farben im Raum hängen von so verschiedenen Faktoren ab, wie Buntton und Nuance
ten wurde, um die Patienten zu beruhigen. Dieses Ziel wurde nicht erreicht: Es entstanden uniforme, monotone Räume. Daraus ist zu schließen, dass entspannende, beruhigende oder
Rot und seine kühlen Nuancen
> Blau und seine warmen Nuancen
>
24
4
MENSCH UND FARBE
stimulierende Raummilieus nur unter Berücksichtigung neu-
se in der Umweltgestaltung. Sie ist interdisziplinär und um-
ropsychologischer Aspekte, also den Gesetzen angewandter
fasst Aspekte der Physiologie, Psychologie, Psychosomatik,
Farbenpsychologie zu erzielen sind.
Neuropsychologie, visuellen Ergonomie und Psychologie der Architektur.
Psychologische Aspekte Psychologie ist die Wissenschaft, die sich mit bewussten und
Für den Physiker ist zum Beispiel Rot ein äußerer Reiz der
unbewussten seelischen Vorgängen und dem Verhalten des
Wellenlängen zwischen 628 –720 Nanometer. Für den Psycho-
Menschen befasst, einschließlich seiner Gedanken, Gefühle
logen ist Rot ein innerer Vorgang, der abhängig oder auch un-
und Träume – mit allem, was ein Mensch erlebt. Farbe ist ein
abhängig von einem physikalischen Ereignis sein kann. Mit
wesentliches Element der Psychologie, da ihre Wirkung auf
unabhängig ist gemeint, dass Farbe auch ohne äußeren Reiz
bewussten und unbewussten Vorgängen beruht. Farbe ist
gedacht werden kann: Wir brauchen nur die Augen zu schlie-
auch ein Erlebnis, das auf das Verhalten Einfluss hat. Während
ßen und uns eine Farbe vorzustellen, um diese Tatsache nach-
sich der Physiker mit der Farbe als Wellenlänge des sichtbaren
vollziehen zu können. Das heißt, Farbe ist nicht nur abhängig
Lichts befasst, beschäftigt sich der Psychologe mit der Farbe
von einem Reiz der Außenwelt, sondern auch von der Vorstel-
als Sinnesreiz und dessen Wirkung auf den Menschen. Farben-
lungskraft unseres Inneren. Farbeindrücke, die wir aus der Au-
psychologie befasst sich mit dem Wesen, mit den Erlebnisqua-
ßenwelt aufnehmen, sind sinnlich-seelische Erlebnisse und
litäten der Farbe und ihrer Wirkung auf den Menschen. Aspek-
Empfindungen, die Gedächtnis- und Erkenntnisprozesse in
te der Farbenpsychologie sind:
Gang setzen. Ein grüner Farbreiz kann Gedanken über die Na-
das Farberlebnis des Menschen
tur auslösen, vielleicht an einen Spaziergang im Grünen erin-
die emotionale Wirkung der Farben
nern oder an ein bestimmtes Erlebnis. Dabei arbeiten die Ge-
die synästhetische Wirkung der Farben
danken weiter und können in Bereiche der Erinnerung führen,
die Symbolik der Farben und ihre assoziativen Wirkungen.
die am Ende nichts mehr mit dem auslösenden „Grünreiz“ zu
Angewandte Farbenpsychologie befasst sich mit der Umset-
tun haben. Farben haben einen kognitiven und emotionalen
zung der aus der Farbenpsychologie gewonnenen Erkenntnis-
Inhalt. Das gleiche Phänomen finden wir bei anderen Sinnes-
warm
>
kühl
> leicht
>
schwer
>
25
wahrnehmungen wie Geruch oder Gehör. Wie oft werden wir
Intensität und Helligkeit, beziehungsweise von Buntton und
emotional ergriffen beim Hören von Musik oder der Wahrneh-
Nuance: In der Regel als warm geltende Farbtöne können küh-
mung eines Duftes. Alle menschlichen Wahrnehmungen füh-
ler empfunden werden, so zum Beispiel stark verweißlichtes
ren zu Reaktionen. Farbwahrnehmung spricht die Bereiche
Rot; andererseits können normalerweise als kühl geltende
des Fühlens, Denkens und Wollens an und weckt gleichzeitig
Farbtöne als warm empfunden werden wie zum Beispiel
Erinnerungen. Der Farbpsychologe Faber Birren erklärte, dass
Ultramarin. Der Eindruck von Kühle und Wärme ist ebenso ab-
der gesamte Mensch, sein Leib, seine Seele und sein Geist, ei-
hängig von Oberflächenbeschaffenheiten wie matt, stumpf,
ne koordinierte Einheit darstellt, einen Mikrokosmos, und
glänzend oder brillant. Gewichtsempfindungen sind im We-
dass Farbe all diese Dimensionen durchdringt.
sentlichen vom Grad der Sättigung und vom Grad der Helligkeit abhängig. So können dunkle Farben in Aufhellung leicht
Synästhesien
wirken (helles Violett = Lila); helle Farben hingegen in Verdun-
Synästhesie bedeutet Verknüpfung verschiedener Sinnes-
kelung schwer (dunkles Gelb = Braun). Bei Synästhetikern
empfindungen, auch Erregung eines Sinnes, die sich anderen
kann der Farbreiz über sensorische Kanäle zu deutlich ande-
Sinnen mitteilt (griechisch: synaisthanomai = zugleich wahr-
ren Sinneswahrnehmungen führen, wie Farben hören, fühlen
nehmen). Farben sprechen nicht nur den Sehsinn an, sondern
oder schmecken.
erregen auf Grund ganzheitlicher Verbindungen und Mitempfindungen auch unsere anderen Sinne, wie den Tastsinn, Ge-
Farben werden in der Regel in der oberen Farbkreishälfte als
ruchssinn, Geschmackssinn, Temperatursinn, Hörsinn. So
leichter als in der unteren beurteilt. Bei gleicher Helligkeit und
werden bestimmte Farbnuancen und Farbkombinationen als
Intensität, wie zum Beispiel bei Rot und Grün, wirken warme
hart oder weich, frisch oder muffig, süß oder sauer, warm oder
Farben schwerer. Farben lösen beim Tastsinn sehr unter-
kalt empfunden.Wird ein Rot als schwer und süßlich beschrie-
schiedliche Empfindungen aus. Synästhetische Verknüpfun-
ben, so hat es neben dem Sehsinn drei weitere Sinne mit an-
gen zwischen Farbe und Oberflächenempfindung sind abhän-
gesprochen, den Tastsinn (Gewicht) sowie den Geruchs- und
gig von der Bunttonqualität und ihrer Nuance sowie ihrer
Geschmackssinn. Synästhetische Wirkungen der Farbe lassen
Verschiebung im Bereich der Temperaturempfindung. So hat
sich auf vielfältige Weise zunutze machen. In der Raumgestal-
beispielsweise Tasten auch etwas mit Empfindungen von Tem-
tung können sie die Wahrnehmung von Raumdimensionen
peratur zu tun. Geruch und Geschmack sind Empfindungsbe-
beeinflussen und besondere Belastungen am Arbeitsplatz
reiche, welche die Raumwahrnehmung beeinflussen können.
kompensieren, zum Beispiel am Industrie-Arbeitsplatz. Aus-
Dabei sind die Geruchswahrnehmungen in Verbindung mit
sagekraft und Wirkung einer Farbe sind immer abhängig von
Temperaturwahrnehmungen häufiger vorkommende Kombi-
deren jeweiligem Farbton, verbunden mit dessen Sättigung,
nationen.
26
4
MENSCH UND FARBE
weich / hart
>
frisch / muffig
>
süß / sauer
>
leise / laut
>
27
SYMBOLIK DER FARBEN
emotionalen Symbolebene. Letztere ist auch als psychologi-
Ein Symbol ist ein Sinnbild, das für etwas steht. Es repräsen-
sche Ebene zu bezeichnen. Diese drei Ebenen greifen ineinan-
tiert etwas und deutet etwas an. Es ist Medium, das der Ver-
der, sie haben jedoch ihre eigene Wesentlichkeit und Aussage.
mittlung von Botschaften dient. Vieles kann Symbol sein – ein
Lassen sich gewisse Verallgemeinerungen im Sinne einer „Ob-
Wort, eine Geste, eine Farbe.
jektivierbarkeit“ von Farben treffen und in symbolische Botschaften übertragen, so ist dabei auch immer das individuelle
Wie ist die Symbolik der Farben zu verstehen?
Farberlebnis eines Menschen in Betracht zu ziehen. Wenn-
Es ist davon auszugehen, dass sich die Symbolik der Farben
gleich viele Bedeutungen identisch sind, so gibt es auch kul-
aus dem ursprünglichen Farberleben des Menschen entfaltet
turelle Unterschiede. Grün ist für Wüstenvölker die Farbe des
hat. Für die Entwicklung der Farbsymbolik, ihre Vielseitigkeit
Lebens, sie gilt im Islam als heilige Farbe, als Farbe des Para-
und Mehrdeutigkeit, ist die gesamte Erfahrungsbreite, die der
dieses, als Zeichen aller materiellen und spirituellen Güter. Bei
Mensch im Verlauf seiner Evolution gemacht hat, in Betracht
Urwald- und Dschungelvölkern wird Grün ebenso als lebens-
zu ziehen. Die „Urerfahrungen“ des Menschen mit den Farben
spendend erfahren, gilt zugleich aber auch als „verschlingen-
in der Natur sind als gemeinsame, kollektive Grunderfahrun-
de Übermacht“. Der Symbolgehalt einer bestimmten Farbe
gen, als Urbilder und Archetypen, in unserem „genetischen
kann von Personen, die aus unterschiedlichen Kulturkreisen
Gedächtnis“ gespeichert. Sie wirken in unserem persönlichen
stammen, daher sehr verschieden gedeutet werden.
Erleben der Farbe mit. Die Symbolik der Farben entstand aus
Die symbolische Bedeutung einer Farbe wie auch ihre psy-
der Verallgemeinerung emotionaler Farbwirkungen und der
chische Wirkung sind abhängig von der Nuance eines Bunt-
Überlieferung von Farbbedeutungen. Symbolische und psy-
tons. Bereits relativ geringe Abweichungen können den Sym-
chologische Wirkungen der Farben stehen daher in engem
bolwert und die Wirkung einer Farbe entscheidend ändern.
Zusammenhang. Heimendahl differenziert zwischen der kulti-
Ebenso definiert der Kontext, in dem wir eine Farbe wahrneh-
schen Symbolik, der Brauchtumssymbolik und der ästhetisch-
men, ihre Wirkung und Bedeutungszuschreibung. Eine we-
Bezogene Farbe Universität Cambridge, Mass., MIT State Center: Bibliothek Architektur Frank O. Gehry
<
28
4
MENSCH UND FARBE
sentliche Rolle spielt des Weiteren die Materialisierung einer
Farben wirken immer auch im Zusammenhang mit den Objek-
Farbe: Die gleiche Farbe, verbunden mit verschiedenen Mate-
ten und ihren unterschiedlichen Gestaltmerkmalen: Die glei-
rialien, führt zu unterschiedlichen Anmutungen und Wirkun-
che Farbe, verbunden mit verschiedenartigen Gegenständen,
gen. Auch wäre es vermessen, Behauptungen aufzustellen,
kann daher zu völlig entgegengesetzten Anmutungen und
wie beispielsweise, dass Grün beruhigt. Es muss jeweils die
Wirkungen führen und unterschiedliche Bedeutungen erlan-
Art und die Ausdrucksweise des Grün und seiner Nuancen be-
gen. Die Wirkung der Farbe ist polyvalent.
achtet werden. So kann ein kraftvolles, gesättigtes Grün erre-
So verschieden subjektive Reaktionen auf Farben ausfal-
gen, ein sanftes Pastellgrün als entspannend erlebt werden.
len können, lassen sich gleichwohl im Falle spezieller Ge-
Jede Farbe, als Bereich oder als Begriff erlebt, ist in mehrfacher
staltungsaufgaben Farbkonzepte entfalten, die, auf einer all-
Beziehung wirksam. Das Grün reicht vom lichten Maigrün bis
gemeiner gültigen Ebene, bestimmten Anforderungen und
zum dunklen Blaugrün. Der Gelbbereich liegt zwischen dem
Nutzergruppen entsprechen. Eine objektivierende Auseinan-
sanften Goldgelb und dem lauten Zitronengelb; Blau zwischen
dersetzung mit emotionalen menschlichen Bedürfnissen,
dem kalten Eisblau und dem wärmeren Ultramarin; Rot zwi-
funktionalen Anforderungen und der Wirkung der Farbe ist da-
schen dem zarten Rosa und dem erregenden Rot.
bei unumgänglich. In der Umweltgestaltung ist die tatsächli-
Bei der symbolischen Wirkung und Aussage von Farben
che Wirkung der Farben in hohem Maße von ihrer konkreten
muss man auch berücksichtigen, ob es sich um eine unbezo-
Materialisation abhängig, verbunden mit den übrigen aktiv
gene oder bezogene Wirkung handelt. Farbwirkungen lassen
wirkenden Umweltfaktoren.
sich in zwei wesentliche Kategorien gliedern: in die absolute oder unbezogene Wirkung der Farben – auf
Folgende Aufstellung zeigt experimentelle und phänomenolo-
Farbe als Licht und Strahlung
gische Gefühlsbestimmungen, die sich auf die Hauptfarben
in die bezogene Wirkung der Farben – auf Farbe als Bestand-
beziehen. Sie stellt keine dogmatische Festschreibung der
teil der dinglichen Umwelt.
sinnbildlichen Bedeutung der Farben dar.
Unbezogene Farbe
<
29
SINNESEMPFINDUNGEN
30
Eindrücke
Botschaften
sanft, umgebend, sonnig
Zartheit, Helligkeit, Behaglichkeit
heiter, strahlend, anregend
Kommunikation, Offenheit, Aktivität
schlammig, feucht, erdig
Müdigkeit, Vergänglichkeit
weich, wärmend, fruchtig
Anregung, Gemütlichkeit
laut, aufdringlich, vordergründig, hitzig
Unruhe, Überforderung, Geschwindigkeit
stabilisierend, natürlich, tragend
Sicherheit, Tradition, Verwurzelung
aromatisch, fruchtig, appetitlich
Lust, Anregung
aufreizend, feurig, lebendig
Leidenschaftlichkeit, Dynamik, Lebensfreude, Aggression
stabilisierend, natürlich, tragend
Sicherheit, Tradition, Verwurzelung
mädchenhaft, zart, duftig
Verspieltheit, Schwärmerei, Romantik
dominant, stark, aktiv, warm
Herrschaftlichkeit, Vitalität, Repräsentation, Festlichkeit
exklusiv, tragend, zelebrierend
Wertschätzung, Hochwertigkeit, Respekt
süßlich, parfümiert, billig
Kurzlebigkeit, Aufdringlichkeit
würdig, erhaben, pompös, narkotisch
Ritual, Macht, Pracht
majestätisch, getragen, feierlich
Würde, Eleganz, Besonderheit
blumig, ältlich
Künstlichkeit, Vergänglichkeit
exklusiv/ wertvoll, schwer, weihevoll, vertiefend
Mystik, Kontemplation, Extravaganz
würdig, erhaben, pompös
Ritual, Macht, Pracht
entspannend, leise, zurückhaltend
Beruhigung, Ausgleich
ruhig, tief, konzentriert, entspannend
Sammlung, Beruhigung, Kostbarkeit
tief, entfernend, unfassbar
Positionslosigkeit, Haltlosigkeit, Tradition
4
MENSCH UND FARBE
Eindrücke
Botschaften
kühl, luftig, leicht
Ferne, Erweiterung, Öffnung
fern, kalt, beruhigend, zurückhaltend
Sicherheit, Konzentration, Ernst, Distanziertheit
grundlos, zurücktretend, schwer
Seriosität, Tiefe, Sicherheit
wässrig, eisig, sphärisch
Offenheit, Leichtigkeit, Frische
erfrischend, kühl, hygienisch
Zurückhaltung, Unnahbarkeit, Sauberkeit
dunkel, schwer, vertiefend
Unnahbarkeit, Eleganz, Seriosität
frisch, leicht, weitend
Öffnung, Belebung, Kühlung
ausgleichend, natürlich, beruhigend
Gleichgewicht, Einfachheit, Sicherheit, Lebendigkeit
bergend, natürlich
Tradition, Stabilität
frühlingshaft, unbekümmert
Leichtigkeit, Verspieltheit
laut, aufdringlich, vordergründig, unernst
Schnelllebigkeit, Jugendlichkeit, Lebensfreude
moosig, herbstlich
Natürlichkeit, Tradition
erfrischend, heiter
Leichtigkeit, Belebung
aufreizend, leuchtend, belebend
Exaltiertheit, Leichtsinn, Wachheit
sumpfig, altmodisch, giftig
Traditionalismus, Konservativismus
offen, weit, leicht, neutral
Reinheit, Freiheit, Leere, Unentschiedenheit
fest, fein, still, zurückhaltend
Unaufdringlichkeit, Eleganz, Reserviertheit, Vorsicht
schwer, hart, bestimmend, edel
Unverrückbarkeit, Vornehmheit, Festigkeit, Belastung
kostbar, festlich, strahlend, warm
Luxus, Prunk, Repräsentation, Macht
edel, kühl, vornehm, technisch
Distanziertheit, Eleganz, Klarheit, Status
31
5
>
GESTALTUNGSGRUNDLAGEN DER FARBE
32
Farbkreis Gerhard Meerwein
5
GESTALTUNGSGRUNDLAGEN DER FARBE
GRUNDMERKMALE DER FARBE
leitungen für seine Farbentheorie (1810) wurden überall in Eu-
Jede Farbe ist nach folgenden Merkmalen zu bestimmen:
ropa mit ganz unterschiedlichen Herangehensweisen Farb-
dem Buntton (Farbton), der die Empfindungseigenschaften ei-
systeme entwickelt. Um einige Ansätze zu nennen: Um 1867
ner Farbe beschreibt, wie zum Beispiel gelb, rot, blau, grün;
schloss der Physiker Hermann von Helmholtz seine Theorien
der Nuance, welche die Intensität eines Bunttons beschreibt,
einer Dreifarbenlehre mit den Parametern Farbton, Sättigung
zum Beispiel seine Weißlichkeit, Schwärzlichkeit oder Anteile
und Helligkeit ab. Der Chemiker Michel Eugène Chevreul ver-
in Farbmischungen.
öffentlichte 1839 seine Farbentheorie und speziell die Zusammenhänge des Simultankontrastes. Der Maler Philipp Otto
Diese Grundmerkmale der Farbe nehmen wir immer in ihrem
Runge veröffentlichte 1810 seine „Farbenkugel“. Sie stellt ein
Zusammenhang als ganzheitliche visuelle Empfindung wahr.
weitgehend
Verwandte Farben lassen ihre Beziehung zu einem bestimm-
(1810) stellte der Philosoph Arthur Schopenhauer in einer klei-
ten Buntton erkennen, wie gelbliche oder bläuliche Rotnuan-
nen Schrift „Über das Sehen und die Farbe“ Zusammenhänge
cen, sowie differenzierte Abstufungen eines bestimmten
von kompensativen Mengen dar. 1878 erläuterte der Physiolo-
Bunttons durch Verdunkelung mit Schwarz oder Aufhellung
ge Ewald Hering in der Schrift „Das natürliche System
mit Weiß (siehe farbtongleiches Dreieck). Die im Farbkreis ne-
der Farbempfindungen“ seine physiologische Vier-Farben-
beneinander liegenden Farben sind verwandt, da sie gemein-
Theorie.
ausgearbeitetes
Farbsystem
dar. Zeitgleich
same Bunttonanteile haben. Die dem Buntton nach unähnlichsten Farben bezeichnet man als Gegenfarben. Sie liegen
Den eigentlichen Durchbruch der Entwicklung brachte aber
sich auf dem Farbkreis diametral gegenüber: Gelb-Violett,
das 20. Jahrhundert. Günter Wyszecki stellte in seinem 1960
Orange-Blau oder Rot-Grün.
erschienenen Buch „Farbsysteme“ die wesentlichen Systeme in drei Gruppen vor:
FARBKREIS UND FARBORDNUNGSSYSTEME
Farbsysteme auf der Grundlage der additiven Farbmischung:
Seit es Geschichtsschreibung gibt, finden wir Aussagen zu
Ridgeway-System und Ostwald-System sowie als internatio-
einzelnen Farben und Farbgruppen von Philosophen und
nale Norm das CIE-Norm-Valenz-System;
Künstlern. Dennoch setzen die Versuche, die wahrnehmbare
Farbsysteme auf der Grundlage der subtraktiven Farbmi-
„Farbenwelt“ räumlich zu ordnen und zu systematisieren,
schung: als Pigmentmischungen das Plochere-System und
spät ein. Leonardo da Vinci begann Farben in Bezügen zu be-
den Colorizer, als Rasterdruck die Farbordnung Hickethiers,
greifen: Gelb-Blau, Rot-Grün als polare Paare auf einer Ebene,
den Villalobos-Farbenatlas und das Willson-Farbsystem;
und Schwarz-Weiß an den Enden einer senkrechten Achse.
Farbsysteme auf der Grundlage der empfindungsmäßigen
Diese Ansätze, mit denen er Leon Battista Alberti aufgreift, lie-
Gleichabständigkeit: das Munsell-System, die DIN-Farbenkar-
ßen schon eine Doppelpyramide oder einen Doppelkegel er-
te und den Hesselgren-Atlas (Vorläufer des NCS-Systems) so-
kennen. 1611 aber veröffentlichte der Finne Sigfrid Aron Forsi-
wie das RAL-Design-System.
us erstmals ein Farbsystem in seinem Buch „Physica“, in dem er einen Farbenkörper und seine Systematik als Globus vor-
Farbsysteme sind Ordnungssysteme, die das Ziel verfolgen,
stellt.
zu einer eingeführten Anzahl von Farbnuancen zu gelangen,
Einen Durchbruch in der Entwicklung der Systematisierung
die in einem erkennbaren Ordnungszusammenhang stehen.
der Farben schafften allerdings erst das 19. und 20. Jahr-
Es wären theoretisch viele Systeme denkbar, die dieser Be-
hundert. Neben den Naturstudien Goethes und seinen Ab-
schreibung entsprechen. Ein entscheidender Bestandteil ei-
33
nes jeden Farbsystems sind die Farbstandards, das heißt die
Bei ihm sitzen diese Vollfarben am Umfang der Basisfläche der
sichtbaren und verwendbaren Farbmuster. Durch sie kann im
beiden Kegel. Ostwald beschreibt eine Farbe generell mit drei
System eine Ortung und eine Kennzeichnung vorgenommen
Parametern: dem Farbton, dem Weißanteil und dem Schwarz-
werden. Ein System soll auf einen Blick eine möglichst gute
anteil. Die international gebräuchlichen Bezeichnungen heute
und schnelle Übersicht über die Nuancierung einer Vollfarbe
sind Buntton, Helligkeit und Buntheit (entsprechend H. von
ermöglichen. Farbsysteme basieren meistens auf Farbkreisen,
Helmholtz: Farbton, Helligkeit, Sättigung). Wenn Ostwald an
die an sich schon ein erstes Ordnungsprinzip darstellen. Die
einem Farbton seines Farbkreises einen Schnitt in den Dop-
Anzahl und die gewählte Folge der zugrunde gelegten Farbtö-
pelkegel legt, so trifft er im Zentrum auf eine Grauachse, wel-
ne können sehr unterschiedlich sein. Heute gebräuchliche
che die Pole Weiß und Schwarz miteinander verbindet. Eine
Farbsysteme sind in Doppelkegel- oder Zylinder-Figuren ein-
solche Schnittfläche bezeichnet er als farbtongleiches Drei-
beschrieben.
eck. Ostwald kreiselt die Nuancen dieser Fläche mit Schwarz
Die Systematik Ostwalds soll hier stellvertretend und pro-
und Weiß aus. Parallel zur Linie Farbton-Weiß verlaufen
duktneutral erläutert werden. Sein Grundsystem basiert auf
schwarzgleiche Reihen, parallel zur Linie Farbton-Schwarz
einem 24-teiligen, additiv gemischten, ausgekreiselten Farb-
verlaufen weißgleiche Reihen. Ostwald bezieht in seinem Sys-
kreis. Die Farben des Kreises sind Vollfarben, das heißt als Pig-
tem keine Position zwischen der Eigenhelligkeit des Farbtons
mentmischung haben sie in Bezug zu ihrer spektralen Wellen-
und dem Hellbezugswert auf der Grauleiter.
maximale
Bei der Verwendung von Farbsystemen ist zu beachten,
Sättigung und Reinheit, auch Buntheit genannt. Die Farben
dass der gesamte Farbtonbereich der komplementären Farb-
der „warmen“ Farbkreishälfte wurden aus je zwei Vollfarben
mischungen aus dem System ausgefiltert wurde. Farbe wird
gekreiselt und annäherungsweise, empfindungsmäßig und
immer nur zwischen Schwarz oder Weiß und Buntton entwi-
gleichabständig geordnet. Die Farben der „kalten“ Hälfte wur-
ckelt. Heinrich Frieling untersuchte in seinem Color-Aktiv-
den jeweils kompensativ entwickelt und gegenübergestellt.
Fünfeck die Möglichkeiten der Darstellung und Realisierung
Ostwald strebte hier ein Prinzip der „inneren Symmetrie“ an.
von komplementären/kompensativen Farbfeldern. Viele gro-
länge
und
ihren
Positionen
im
CIE-System
W W
V V
V V
S S
>
34
Farbsystem in Zylinderform (Munsell, RDS, ACC)
>
Farbsystem in Doppelkegelform (Ostwald, NCS, Müller, Ridgeway)
5
GESTALTUNGSGRUNDLAGEN DER FARBE
ße Farbenhersteller bedienen sich eines Farbsystems. Sie ha-
WIRKUNG VON FARBKONTRASTEN
ben häufig ihre Systeme selbst entwickelt oder benutzen fir-
Die Kenntnis der Farbkontraste trägt entscheidend dazu bei,
menneutrale (NCS, RDS, Munsell, Color-Harmony). Aus diesen
Farbwirkungen vorauszusehen und einer Gestaltungsaufgabe
Systemen werden jeweils Farbkollektionen in Farbfächern für
entsprechend anzuwenden. Bei Farbkombinationen sind
die Praxis zusammengestellt. Sie stellen eine Auswahl dar
meist mehrere Kontraste wirksam. Ein Farbkontrast liegt
nach Mode oder Trendkriterien und werden von Zeit zu Zeit
dann vor, wenn zwischen zwei oder mehreren zu vergleichen-
umgestellt. In der Systematisierung der Kennziffern wird
den Farben deutliche Unterschiede feststellbar sind. Kontrast-
meist erkennbar, dass auch weitere Farbtöne möglich sind.
wirkungen bestehen zwischen objektiven Farbeigenschaften,
Das ist für den Gebrauch dieser Hilfsmittel notwendig. Neben
aber auch zwischen subjektiven Farbwirkungen.
diesen Farbkollektionen sollte man auch noch auf die verbreitet verwendete RAL-Karte verweisen. Sie entstand als Sammlung von Einzelfarben aus dem Bedarf von Großabnehmern (Militär, Bahn, Post, Feuerwehr). Sie ist nicht auf der Basis eines systematischen Ordnungsbezuges entwickelt. Dies leistet erst das RAL-Design-System. Farbkollektionen, Farbsammlungen, Farbsysteme können eine erste Entscheidungshilfe für eine Farbauswahl sein. In letzter Konsequenz sollte man sich als Gestalter die individuelle Entwicklung eines Farbtons im Atelier oder mit dem Ma-
Man unterscheidet folgende Kontraste: Hell-Dunkel-Kontrast Bunt-Unbunt-Kontrast Bunt-Kontrast Gegenfarben-Kontrast Intensitäts-Kontrast Quantitäts-Kontrast Flimmer-Kontrast und physiologische Kontrastphänomene wie:
ler vor Ort offen halten, um der industriell publizierten, seriel-
Simultan-Kontrast
len Qualität die Qualität des Originals entgegenzusetzen.
Sukzessiv-Kontrast
W
arz
g
eh
el
ön
e
Tön
e
eT
Grauleiter
hw Sc
ch lei
ar lkl
V
We
ißg
lei
che
dun
kel
kla
re
S
>
Farbtongleiches Dreieck nach Ostwald
35
Hell-Dunkel-Kontrast
der künstlichen Zeichenwelt zum Beispiel bei Piktogrammen
Der Hell-Dunkel-Kontrast zeigt sich in der Verschiedenheit der
eine wichtige Rolle als Signal. Der Bunt-Unbunt-Kontrast ist
Farben bezogen auf deren Helligkeit. Er zeigt sich am ausge-
ein häufig angewandtes Prinzip in der Raumgestaltung. Be-
prägtesten in der Kombination der unbunten Farben Schwarz,
sonders Weiß- und Graunuancen werden dabei als neutralisie-
Weiß, Grau. Hell-Dunkel-Kontraste lassen sich aus Kombina-
rende Elemente in Verbindung mit Bunttönen verwendet.
tionen von bunten Farben entwickeln, aber auch aus Farben eines gleichen Bunttons, jedoch mit unterschiedlichen Hellig-
Bunt-Kontrast
keitswerten. Diesen Kontrast bezeichnen wir als Nuancen-
Der Bunt-Kontrast entsteht aus der Kombination bunter Far-
Kontrast. Helligkeits-Kontraste sind zur räumlichen Differen-
ben. Er ist am deutlichsten erkennbar, wenn drei oder mehre-
zierung sehr gut geeignet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass
re rein bunte, hochgesättigte Farben zusammentreffen. Je un-
sowohl sehr starke, als auch sehr schwache Helligkeitsunter-
ähnlicher die Bunttöne sind, desto ausgeprägter und stärker
schiede im direkten Blickfeld bei langandauernder Einwirkung
wirkt er. Eine größtmögliche Unähnlichkeit und damit stark
das Auge anstrengen und ermüden können (laut-leise). Mittle-
ausgeprägte Kontrastwirkung ergibt sich aus Kombinationen,
re Helligkeitsunterschiede wirken angenehm und sind physio-
die im Farbkreis weit auseinander liegen, wie Gelb, Rot und
logisch empfohlen.
Blau. Bunt-Kontraste aus reinen Farben wirken sehr auffällig, lebhaft und kraftvoll. Sie lenken die Aufmerksamkeit auf sich.
Bunt-Unbunt-Kontrast
In den Bereichen der Raumgestaltung, vor allem in Langzeit-
Treffen bunte und unbunte Farben aufeinander, so entsteht ein
Aufenthaltsräumen eignen sich Bunt-Kontraste nur in kleinen
Bunt-Unbunt-Kontrast. Bunte, besonders reine und hochge-
Mengenverhältnissen, zum Beispiel als Akzente. Eine Reiz-
sättigte Farben erzeugen im Zusammenspiel mit unbunten
überflutung durch zu laute Kontrastierung wirkt sich nachtei-
Farben intensive Eindrücke und erregen unwillkürlich Auf-
lig auf den Organismus aus.
merksamkeit. Dabei ist der Grad der Auffälligkeit bei Bunt-Unbunt-Kontrasten abhängig von der Intensität des Bunttons
Gegenfarben-Kontrast
und vom Helligkeits-Kontrast. In einer Farbkombination
Der Gegenfarben-Kontrast zeigt sich in der Beziehung zweier
schwächt Weiß die Leuchtkraft der Farben ab, wohingegen
Farben, die von größtmöglicher Verschiedenheit sind. Jede
Schwarz die Leuchtkraft der Farben steigert. Der Gegensatz
Farbe hat nur eine Gegenfarbe. Diese Beziehung der Gegen-
von Bunttönen hoher Intensität und unbunten Farben spielt in
farben lässt sich am deutlichsten bei den reinen und hochge-
>
Bunt-Kontrast >
Bunt-Unbunt-Kontrast >
Gegenfarben-Kontrast >
Hell-Dunkel-Kontrast
36
5
GESTALTUNGSGRUNDLAGEN DER FARBE
sättigten Farben des Farbkreises erkennen. Sie stehen sich
wirken. Verändert man in einer Farbkombination die Mengen-
diametral gegenüber und ergeben bei der Ausmischung mitei-
verhältnisse, so entstehen im Vergleich untereinander sehr
nander einen neutralen Grauton. Jedes Gegenfarbenpaar hat
verschiedene Farbwirkungen. Der Quantitäts-Kontrast spielt
Besonderheiten. Gelb – Violett zum Beispiel enthält nicht nur
daher auch für die Raumgestaltung eine bedeutende Rolle.
den Gegenfarben-Kontrast, sondern auch den stärksten Hell-
Die Farbproportionen im Raum tragen entscheidend zur
Dunkel-Kontrast, Orange – Blau enthält außerdem den stärks-
Raumanmutung und damit ebenso zur Raumwirkung bei.
ten Kalt-Warm-Kontrast. Der Gegenfarben-Kontrast in abgeschwächten Nuancen eignet sich für eine ausgewogene
Flimmer-Kontrast
Raumgestaltung, er schließt monotone Raumwirkungen und
Werden intensive Farben gleicher Helligkeit beziehungsweise
Farberlebnisse aus.
Dunkelheit angewandt, so entsteht oft ein so genannter Flimmer-Kontrast. Sehen wir lange darauf, breitet sich eine verwir-
Intensitäts-Kontrast
rende Überreizung aus. Der Flimmer-Kontrast lässt sich durch
Als Intensitäts-Kontrast bezeichnet man den Gegensatz un-
Verdunkeln oder Aufhellen einer Farbe ausschalten. Beim
terschiedlicher Farben in verschiedener Sättigung. Er erreicht
Flimmer-Kontrast wird deutlich, dass sinnvolle Kontrastierun-
seine stärkste Wirkung, wenn zwischen großflächig ausge-
gen zwischen Figur und Grund nicht berücksichtigt wurden.
dehnten, trüben Farbtönen eine reine Farbe in kleinerer Men-
Der Flimmer-Kontrast muss im Bereich räumlicher Gestaltung
ge als Akzent auftritt. Diese einzelne Farbe wird zu einem
im Sinne einer Reizüberflutung vermieden werden.
wichtigen Element im Zusammenspiel der Farben und erregt besondere Aufmerksamkeit. Im räumlichen Kontext bietet der Intensitäts-Kontrast ein gutes Instrumentarium für Farbdomi-
PHYSIOLOGISCHE KONTRASTPHÄNOMENE
nante, Farbsubdominante und Farbakzent. Eine besondere Form des Intensitäts-Kontrastes ist der bereits erwähnte Nu-
Simultan-Kontrast
ancen-Kontrast.
Der Simultan-Kontrast zeigt die gleichzeitig-wechselseitige und dauernde Beeinflussung von Farben durch ihr farbiges
Quantitäts-Kontrast
Umfeld. Gleiche Farben erscheinen auf unterschiedlich farbi-
Der Quantitäts-Kontrast bezieht sich auf die Mengenverhält-
gen Grundflächen und in unterschiedlichen Nachbarschaften
nisse oder auch Proportionen der Farben und ihr Zusammen-
jeweils verschieden. Ihre Veränderung resultiert aus Reflexi-
Intensitäts-Kontrast
>
Flimmer-Kontrast
>
Quantitäts-Kontrast
>
Simultan-Kontrast
>
37
on. Die wahrnehmbaren Veränderungen sind nicht wirklich
sieht man die physiologische Gegenfarbe, in diesem Falle ein
vorhanden, sondern sie entstehen als Farbempfindung beim
lichthaftes Grün. Aus dieser natürlichen Veranlagung des Men-
Betrachter. Sie können sowohl den Buntton als auch die Hel-
schen ist zu erkennen, dass alle Farbwahrnehmung relativ ist.
ligkeit und die Sättigung betreffen.
Jede Farbe erscheint subjektiv im Kontext ihrer Umgebungsfarben. In unten stehender Abbildung können Sie selbst tes-
Sukzessiv-Kontrast (Sukzessiv-Effekt)
ten, welches Nachbild Sie auf einen Farbreiz wahrnehmen. Be-
Der Sukzessiv-Kontrast ist die physiologische Voraussetzung
trachten Sie isoliert einen der zentralen Farbtöne, zum
für den Simultan-Kontrast. Prägt sich ein farbiger Reiz länge-
Beispiel Gelb. Decken Sie die anderen Farben ab. Fokussieren
re Zeit ein, so entsteht ein so genanntes farbiges Nachbild in
Sie die Farbfläche und schauen Sie mit gleichem Fokus nach
den Gegenfarben (physiologische Gegenfarben). Dieses Phä-
geraumer Zeit auf die schwarze oder weiße Fläche nebenan.
nomen lässt sich wie folgt demonstrieren: Fixiert man zum
Sie werden in der Regel eine Farberscheinung wahrnehmen,
Beispiel das Zentrum einer roten Fläche so lange, bis das Au-
die zudem abhängig von der Farbe beziehungsweise Hellig-
ge ermüdet ist und schaut daraufhin auf eine weiße Fläche, so
keit der Projektionsfläche erscheint.
>
Farbiges Nachbild auf Schwarz
38
Sukzessiv-Kontrast
Farbreiz
Farbiges Nachbild auf Weiß
6 LICHT UND FARBE
Licht und Farbe sind untrennbare Partner im Wahrnehmungs-
Farbempfindungsqualitäten. Die plastischen Eigenschaften
vorgang. Sie werden zusammen mit der Formwahrnehmung
des Raumes, die Farbtonqualität und der Nuancenklang hän-
zum Gesamtbild.Wie die Farbe und ihre Wirkung auf den Men-
gen ebenfalls davon ab. Im Zuge bewusster ökologischer Pla-
schen, so ist auch das Licht mit vielen Wissenschaften und
nung gewinnt das Tageslicht heute mehr und mehr an Bedeu-
Fachgebieten verknüpft und geht „Wirkungsverbindungen“
tung für die Belichtung von Arbeitsplätzen und Räumen mit
ein. Es greift ein in das Gebiet der Psychologie und Physiolo-
besonderen Dimensionen. Am Arbeitsplatz erhält die biologi-
gie, der Biologie und visuellen Ergonomie, der Medizin und
sche Versorgung des Organismus durch das volle Spektrum
Chemie, der Elektrotechnik und Physik; es formuliert Architek-
des Lichts immer mehr Beachtung. Bei weiten, hohen oder
tur aus und verknüpft sich synästhetisch mit Empfindungen
tiefen Räumen können Umlenk- und Linsensysteme längere
des Schalls und direkt oder indirekt mit jenen des Klimas.
Nutzungszeiten des Tageslichts ermöglichen und den Nut-
Licht kommt zunächst natürlich als Sonnenlicht, aber auch in
zungsausgleich mit künstlichem Licht verringern. Beleuch-
Form vielfältiger künstlicher Leuchtmittel vor. Das natürliche
tungsanlagen mit künstlichem Licht sind nur dann gut, wenn
Tageslicht bildet das gesamte sichtbare Spektrum elektro-
bei der Planung und Ausführung alle Wechselwirkungen be-
magnetischer Strahlung von ungefähr 380 bis 780 Nanometer
rücksichtigt werden. Sehr häufig beschränkt man sich bei der
gleichmäßig ab. Die Qualität der Raumbelichtung hängt vom
Planung jedoch auf rein technische und wirtschaftliche Zu-
Verhältnis der Größe der Lichtöffnung zum Raum, deren Lage
sammenhänge; oft sind solche Anlagen physiologisch und ge-
im Raum, der Lage zur Himmelsrichtung, der Verteilung des
stalterisch dementsprechend fehlerhaft und unbefriedigend.
Lichts im Raum und von den atmosphärischen Bedingungen
Gründe dafür liegen darin, dass
ab. Das Licht stellt die zentrale Qualität der Mensch-Umwelt-
fehlerhaftes Licht nur selten bewusst wahrgenommen wird,
Interaktion dar.Während des Tagesverlaufs ändern sich mit der
Beschwerden sich meistens erst nach längerer Zeit und nur
Lichteinfallsrichtung die Lichtqualität und damit auch die
sehr langsam einstellen,
> V’λ Nacht
Tag Vλ
1,0 0,8 0,6 0,4 0,2 0,0 400 Spektrale Hellempfindlichkeit
UV A/B/VC
500
600
Spektrale Hellempfindlichkeit
700
nm Infrarot
>
Spektrum aus dem Goethehaus in Weimar
39
Klagen oft allgemeiner Art sind und nicht auf das Licht bezo-
LICHTTECHNISCHE GRUNDLAGEN –
gen werden,
GRÖSSEN UND EINHEITEN
Energiesparmaßnahmen bei der Beleuchtung oft Qualitäts-
Zur Beurteilung von künstlichem Licht und bei der Planung
minderungen in den Farb-Wiedergabe-Eigenschaften verursa-
von Beleuchtungsanlagen begegnen wir im Wesentlichen vier
chen.
Begriffen: Lichtstrom (gemessen in Lumen, lm)
In Zukunft wird es immer wichtiger, Licht, Farbe und Material
Lichtstärke (gemessen in Candela, cd)
ausgewogen zu planen. Vor allem in Fällen, in denen
Beleuchtungsstärke (gemessen in Lux, lx) Leuchtdichte (gemessen in Candela pro Meter 2, cd/ m2).
die geistige Beanspruchung des arbeitenden Menschen steigt; die Toleranzgrenze gegenüber Störeinflüssen sinkt;
Der Lichtstrom ist die abgegebene physikalische Strahlungs-
die Oberflächenreflexe (Spiegelungen, glänzende Materialien
leistung. Sie wird mit der Helligkeitsempfindlichkeitsverteilung
an Bildschirmen) Störungen in der Wahrnehmungsgenauig-
vλ bewertet. Der Lichtstrom ist ein Maß für die im sichtbaren
keit verursachen;
Strahlungsbereich abgegebene Lichtmenge (sichtbares Licht).
das Kunstlicht immer noch vorwiegend das Tageslicht erset-
Die Lichtstärke ist der abgestrahlte Lichtstrom in eine be-
zen muss;
stimmte Richtung des Raumes. Eine Lichtstärkeverteilung ist
außerdem in Räumen, die kein oder fast kein Tageslicht haben,
die dreidimensional räumliche Verteilung dieser Lichtstärke.
bei zu kleinen Tageslichtöffnungen und anderem mehr.
Die Beleuchtungsstärke ist das Maß für den Lichtstrom, der auf die Fläche eines Körpers oder Raumes trifft. Die Beleuch-
Der Architekt, Innenarchitekt und Farbdesigner muss mit dem
tungsstärke ist heute immer noch die Grundlage für die meis-
Lichtplaner nicht nur die technischen und wirtschaftlichen
ten Lichtplanungen, ist jedoch kein Maß für den Helligkeits-
Seiten der Planung lösen, sondern vor allem auch die Zusam-
eindruck. Die Leuchtdichte ist die einzige lichttechnische Größe, die
menhänge von Licht-Mensch-Raum und Licht-Material-Farbe.
ein Maß für den visuellen Helligkeitseindruck einer Fläche darstellt. Die Wirkung und der visuelle Eindruck einer Beleuchtungsanlage können nur durch Beurteilung aller Leuchtdich-
>
40
oben: Lichtstrom unten: Lichtstärke
6
LICHT UND FARBE
ten im Blickfeld erfolgen. Die Leuchtdichte ist das Maß der Re-
In unten stehender Liste sind einige typische Richtwerte von
flexion des auftretenden Lichts, also des reflektierten Lichts
Lichtausbeuten üblicher Lampen aufgeführt.
ins menschliche Auge. Man geht hierbei immer von einem difBedauerlicherweise gerät hinter diesen ingenieurtechnischen
fusen Reflexionsverhalten aus. Von diesen vier lichttechnischen Werten ist in der Planungs-
und kaufmännischen Überlegungen die Lichtqualität aus dem
praxis des beratenden Ingenieurs heute immer noch der
Blickfeld. Für die Farb-, Material- und Raumqualität sind die
Lux-Wert, also die Beleuchtungsstärke, der rechnerisch be-
Farb-Wiedergabe-Eigenschaften einer Lichtart wie auch das
deutendste Faktor. In der EN 12464-1/ DIN 5035 sind für ver-
Maß der Leuchtdichte (cd/m2) entscheidend. Nur diese Größe
schiedene Raumnutzungen verbindliche Mittelwerte vorge-
beschreibt den Helligkeitseindruck, sie definiert den Kontrast.
schrieben. In Bezug zur Arbeitsaufgabe sind zwei Bereiche zu
Die Leuchtdichte hat in den Beleuchtungsberechnungen lei-
beachten: die Zone der direkten Sehaufgabe und deren unmit-
der immer noch nicht die Beachtung, die ihr visuell zukommt,
telbare Umgebung. Für diese Bereiche sind Werte der Beleuch-
weil sie schwierig zu messen und zu berechnen ist. Räumlich
tungsstärke (Em) vorgegeben, die immer erreicht werden
entscheidend ist die Spannweite der verschiedenen Leucht-
müssen. Typische Werte von Beleuchtungsstärken liegen im
dichten im Raum zur so genannten Adaptionsleuchtdichte,
Arbeitsbereich zwischen 20 und 5000 Lux. Für Sehaufgaben
womit jene Empfindlichkeit gemeint ist, an die sich das Auge
im Büro (Schreiben, Lesen, Datenverarbeitung) ist eine Be-
als Mittelwert im Gesichtsfeld angepasst hat.
leuchtungsstärke von 500 Lux (0,75 Meter über Boden) festgelegt. Die Lichtausbeute ist ein Maß für die Wirtschaftlichkeit einer Lichtquelle. Die Lichtausbeute gibt an, wie viel Leistung notwendig ist, um eine bestimmte Menge Lichtstrom (sichtbares Licht) zu erzeugen. Sie wird in Lumen pro Watt (lm/W) angegeben. Hohe Lichtausbeuten der Lampen und hohe Wirkungsgrade der Leuchten garantieren kostengünstige Beleuchtungsanlagen meistens auf Kosten der Gestaltung und der visuellen Qualität.
Allgebrauchsglühlampen Halogenlampen Leuchtstofflampen
oben: Beleuchtungsstärke unten: Leuchtdichte
>
10-25 lm/W bis 105 lm/W
Kompaktleuchtstofflampen
50-75 lm/W
Halogen-Metalldampflampen
60-90 lm/W
Natriumdampf-Hochdrucklampen
>
10-15 lm/W
50-130 lm/W
Quecksilberdampf-Hochdrucklampen
60-70 lm/W
Leuchtdioden
15-30 lm/W
Diffuse Reflexion nach Materialbeschaffenheit
41
LAMPEN UND IHRE EIGENSCHAFTEN
Viellinienspektrum der Halogenide ergänzt und aufgefüllt
Die Antwort auf die Frage, was Licht ist, lässt sich technisch
(Halogen-Metalldampflampen).
wie folgt formulieren: „Was wir als künstliches Licht wahrneh-
Licht kann auch Folge von Lumineszenz sein, wenn das ultra-
men, ist das Ergebnis eines physikalischen Prozesses. Ob
violette Licht der Quecksilber-Niederdruckentladung Leucht-
Licht nach der Quantentheorie als Teilchen oder nach der Wel-
stoffe zur Emission von Licht anregt.
lentheorie als elektromagnetische Strahlung betrachtet wird – in jedem Fall geht es von Elektronen aus, die innerhalb einer
Nach diesem Prinzip arbeiten die Leuchtstofflampen. Hier
Lichtquelle angeregt werden.“ (H. J. Hentschel) Im Wesent-
können Lichtfarben von glühlampenähnlichem Warmweiß bis
lichen ist dies auf drei Arten erreichbar:
zu tageslichtähnlichem Kaltweiß hergestellt werden. Glühlampen finden heute immer noch breite Verwen-
Elektronengas in Festkörpern strahlt bei hohen Temperaturen
dung im privaten Wohnbereich. Diese Temperaturstrahler
ein kontinuierliches Spektrum aus. Das beste Beispiel hierfür
sind nicht sehr wirtschaftlich. Daher lösen immer häufiger
ist das Sonnenlicht. Der gleiche Prozess findet in der Glüh-
Kompaktleuchtstofflampen die Glühlampe ab. Allerdings
lampe statt.
ist der Farbwiedergabeindex beider Lampen extrem unter-
Hüllenelektronen in Gasen und Metalldämpfen senden bei
schiedlich.
elektrischer Entladung eine für das Element charakteristi-
nutzen
die
elektrische
sche, meist linienspektrale Strahlung aus. Fügt man diesen
Energie schon besser aus. Sie werden zur Akzentuierung, für
Gasentladungen Halogenide seltener Erden bei, so wird das
repräsentative Beleuchtungen im kommerziellen Bereich und
Linienspektrum zum Beispiel des Quecksilbers durch das
auch zunehmend im privaten Wohnbereich eingesetzt. Mit so
>
42
Halogen-Niedervolt-Glühlampen
oben: Tageslicht unten: Glühlampenlicht
>
oben: Lichtfarbe 11-860 LUMILUX-Tageslicht unten: HQI/D Halogen-Metalldampflampe
6
LICHT UND FARBE
genannten Kaltlichtreflektoren kann die Temperaturstrahlung
penarten mit mäßigen oder eingeschränkten Farbwiederga-
um etwa 66 Prozent reduziert werden. Das erhöht nicht nur die
beeigenschaften wie Quecksilberdampf- und Natriumdampf-
Lebenszeit dieser Lampen (2000 Brennstunden), sondern verän-
Hochdrucklampen werden vor allem bei Außenbeleuchtungen
dert auch die Farbtemperatur. Leuchtstofflampen werden heute
und bei Industrie- und Gewerbebauten eingesetzt. Mit „Licht-
in verschiedenen Leistungen und Durchmessern angeboten und
farbe“ ist die Farbe des „Aussehens“, der Ausstrahlung einer
sind in verschiedenen Weißnuancen erhältlich. Die Lichtfarbe
Lampe gemeint. Bei der Farbplanung sollte man anhand der
wird auch als Farbtemperatur bezeichnet. Sie ist kein Maß für
Spektraldiagramme der Lampenhersteller die Farbtempera-
die Qualität der Farbwiedergabe. Der Einsatz einer bestimmten
tur und den Farbwiedergabeindex prüfen. Die Farb- und Mate-
Lichtfarbe ist abhängig vom persönlichen Geschmack, kulturel-
rialbemusterung für einen Raumentwurf sollte daher unter
len Einflüssen und einem individuellen Farbempfinden und
der entsprechend gewählten Lichtart überprüft und getestet
kann als gestalterisches Element verwendet werden.
werden. Auf dem Markt gibt es drei große Bereiche weißer
Halogen-Metalldampflampen
sind
Quecksilberdampf-
Lichtarten:
Hochdrucklampen mit verbesserter spektraler Zusammen-
Tageslichtweiß (tw, 5400 – 6500 Kelvin)
setzung durch Halogene. Es sind Lichtfarben von Tageslicht-
Neutralweiß (nw, um 4000 Kelvin)
weiß bis Warmweiß realisierbar. Die Lichtausbeute dieser
Warmweiß (ww, 2700 – 3000 Kelvin)
Lampen ist sehr hoch und die Farbwiedergabeeigenschaften sind recht gut. Die Lampen finden Verwendung im Messe- und
Die Farbwiedergabe ist ein Maß, verschiedene Farben zu
Ladenbau, in Verkaufsräumen, Industrie, Ausstellungs- und
erkennen und zu unterscheiden. Sie wird durch den Farb-
Sporthallen (Scheinwerfer und Flutlichtanlagen). Andere Lam-
wiedergabeindex (Ra) beschrieben. Die Anforderungen an die
>
oben: SOX Natriumdampf-Hochdrucklampe unten: Lichtfarbe 31–380 LUMILUX +/ Warmton
43
Sehaufgabe definieren einen entsprechenden Farbwiederga-
ASPEKTE VISUELLER ERGONOMIE
beindex (Mindestanforderungen sind in Normen festgelegt).
Etwa 90% der Sinneseindrücke werden über das Auge aufge-
Die Lampe sollte eine korrekte Farbwahrnehmung (wie beim
nommen. Sehen und Beleuchtung dienen dazu, Informationen
Tageslicht) ermöglichen. Der Farbwiedergabeindex wird mit
zu vermitteln. Die Licht- und Sehbedingungen haben einen
einer Testpalette von acht ungesättigten Tönen, vier gesättig-
entscheidenden Einfluss auf Konzentrationsfähigkeit, Leis-
ten, einem besonderen Blattgrün und einem Hautton geprüft.
tungsfähigkeit, Reaktionsvermögen und allgemeines Wohlbe-
Vergleichslichter sind einmal das Glühlampenlicht und das
finden. Die optimale Funktionsfähigkeit des Auges steht in di-
Licht des blauen Nordhimmels.
rektem Verhältnis zu Licht- und Raumbedingungen. Beide
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass gute Beleuch-
müssen sich den physiologischen Gesetzmäßigkeiten des Au-
tung drei Merkmalsbereiche berücksichtigen muss:
ges anpassen.
Sehleistung (Beleuchtungsniveau, Blendungsbegrenzung); Sehkomfort und Farbwiedergabequalität (harmonische Hel-
Farbergonomie/visuelle Ergonomie
ligkeitsverteilung);
sucht Ausgleich zwischen extremen Wahrnehmungs-
Visuelles Ambiente (Schattigkeit, Lichtfarbe, Lichtrichtung).
zuständen; überwindet Monotonie und Reizüberflutung durch subtile
Aus den Sehaufgaben und den Stimmungserwartungen leiten
Stimulation;
sich die Anforderungen an die Qualität der Beleuchtung ab.
schont Augen und Organismus;
R1
altrosa
R5
türkisblau
R2
senfgelb
R6
himmelblau
R3
gelbgrün
R7
asterviolett
R4
hellgrün
R8
fliederviolett
Testpalette des Farbwiedergabeindexes
Zusätzliche gesättigte Testfarben R9
rot
R12
blau
R10
gelb
R13
hautfarben
R11
grün
R14
blattgrün
<
Farbwiedergabeeigenschaft
Farbwiedergabestufe
Farbwiedergabeindex (Ra)
Lampenbeispiele
sehr gut
1A
90
Halogenglühlampen, Lumilux de lux-Leuchtstofflampen, HQI.../ D
1B
80-89
Lumilux-Leuchtstofflampen, HQI.../ NDL oder WDL
gut
2A
70-79
Standardleuchtstofflampen 10 und 25
2B
60-69
Standardleuchtstofflampen 30
genügend
3
40-59
HQL
ungenügend
4
39
Na-Hochdruck- und Niederdruckentladungslampen
44
6
LICHT UND FARBE
dient präziser Wahrnehmung;
Empfänger und Netzhautverbindungen. Hier erfolgt eine
schafft Ordnung;
höchst komplexe Umwandlung von Lichtenergie in Nervenim-
leistet Orientierungshilfe;
pulse. Die Empfänger (Licht- und Farbrezeptoren) unterscheiden
fördert Konzentration; verringert Fehlleistungen;
sich in zwei Typen: Zapfen und Stäbchen. Die Zapfen (ungefähr
begünstigt das Wohlbefinden;
sechs bis sieben Millionen in einem Auge) sind farbsehtüchtig
verlangt gestalterische Disziplin.
und nur bei hohen Leuchtdichten wirksam. In der Sehgrube befinden sich ausschließlich Zapfen, sie ist deshalb der Ort der besten Farbwahrnehmung und Sehschärfe.
Struktur des Auges Im Wesentlichen besteht das Auge aus Hornhaut (Cornea), Re-
Stäbchen, die viel zahlreicher (ungefähr 120 bis 130 Millio-
genbogenhaut (Iris), Linse und Netzhaut. Die klar durchsichti-
nen pro Auge) und besonders in der peripheren Netzhaut vor-
ge Hornhaut schließt das Auge nach außen hin ab und bewirkt
handen sind, ermöglichen kein Farbsehen, sondern sind nur
durch ihre Krümmung den größten Teil der Brechkraft, durch
hell- und dunkelempfindlich. Mit ihnen sehen wir bei schlech-
die auf der Netzhaut ein Bild der Umwelt erzeugt wird. Der
ten Lichtverhältnissen, zum Beispiel in der Dämmerung und
Lichteintritt durch die Hornhaut führt weiter durch die Pupil-
bei Nacht.
le, der Öffnung im Zentrum des Auges, zur Linse, welche die
Jede Stäbchenzelle und Zapfenzelle erzeugt, vom einfallen-
Brechkraft der Hornhaut ergänzt, um ein klares Bild auf die
den Licht erfasst, durch komplizierte fototechnische Reaktio-
Netzhaut zu projizieren. Die Iris ist ein Ring von Muskeln, wel-
nen elektrische Impulse, eine Verwandlung von Lichtenergie
che die Menge des Lichteinfalls kontrollieren. Die Netzhaut,
in elektrische Energie. Die Energie wird zuerst durch das kom-
die innere Fläche des Auges, enthält die lichtempfindlichen
plexe Zellsystem der Netzhaut, anschließend durch Nervenfa-
Bindehaut Hornhaut
Linse
Netzhaut
Fovea
Glaskörper
Blinder Fleck
Sehnerv
Iris
Ciliarmuskel Pupille Kammerwasser Querschnitt durch das Auge
>
45
100
sern der Sehnerven, dann durch die Sehnervkreuzung zu den höheren Sehbahnen bis hinauf zur Sehrinde des Hinterhaupthirns transportiert. Erst dann fängt der Mensch an zu sehen.
90
Augenmuskeln Das Auge hat innere und äußere Muskeln. Die äußeren Muskeln sind für die Augenbewegung verantwortlich. Die inneren Muskeln kontrollieren die Pupillengröße und die Krümmung
80
der Augenlinse (Veränderung der Linsendicke). Durch Veränderung der Linsendicke stellt sich das Auge auf unterschiedliche Sehentfernungen ein, um Gegenstände in verschiedenen Entfernungen auf der Netzhaut scharf abzubilden. Diese
70
Fähigkeit wird als Akkommodation bezeichnet und beteiligt die Ciliarmuskeln. Während dieses Vorganges ändert sich die Stellung der Augenachsen zueinander. Beide Mechanismen erfordern Muskelarbeit. Bei häufiger Akkommodationsänderung besteht die Gefahr, dass die Augenmuskulatur überbe-
60
ansprucht wird. Aber auch eine Arbeit, die eine konstante Entfernung und fixierte Blickrichtung beansprucht, führt zu einer Ermüdung, wie das bei jeder statischen Muskelbelastung der Fall ist. Durch die kleinen Muskeln in der Iris wird die Pupil-
50
lengröße eingestellt, um sich auf sehr unterschiedliche Leuchtdichten einstellen zu können. Diese Eigenschaft wird als Adaption bezeichnet. Dem gesunden Auge bleibt diese Fähigkeit lange erhalten, nimmt aber im hohen Alter deutlich 40
ab. Blendung und Glanz Blendung ist die häufigste Ursache für beleuchtungsbedingte Sehbeschwerden. Alles Licht, das von einer Lichtquelle direkt
30
oder über spiegelnde bzw. glänzende Flächen indirekt ins Auge fällt, bewirkt Blendung. Die Blendlichtquelle erzeugt dann im Glaskörper des Auges Streulicht, das sich wie ein Schleier auf die Netzhaut legt. Reflexblendung wird oft durch Spiege20
10
0 Helligkeitsreflexion in % – Reihe zum Vergleich von Farben > und Materialien
46
6
LICHT UND FARBE
lungen oder Glanz polierter und hochglänzender Flächen oder
BIOLOGISCHE WIRKUNG DES LICHTS
Körper verursacht. Blendempfindlichkeit nimmt mit dem Alter
Ein Großteil unseres Lebens – Wohnen, Lernen, Arbeiten, Re-
stark zu, weil sich der Glaskörper immer mehr trübt und des-
generieren – findet in Gebäuden statt: in künstlich gestalteten
halb mehr Streulicht entsteht. Direktblendung durch zu hohe
Räumen und unter künstlichem Licht. Diese Art der Beleuch-
Leuchtdichten oder falsch positionierte Leuchten beeinträch-
tung ist im Gegensatz zum natürlichen Tageslicht konstant
tigt das Wohlbefinden (psychologische Blendung) und setzt
und verändert sich nicht mit den Tageszeiten und dem Wech-
die Sehleistung herab (physiologische Blendung). Sie muss
sel der Jahreszeiten. Zudem ist die Zusammensetzung des
unbedingt vermieden oder begrenzt werden. Reflexblendun-
künstlichen Lichts nicht identisch mit der des natürlichen
gen sind meist Störungen durch Tageslichtöffnungen oder
Lichts. Obwohl es Lampen mit leistungsfähigen Ausstrahlun-
Leuchten. Sie beeinträchtigen vor allem die Kontraste im Seh-
gen gibt, die reine Sehaufgaben gewährleisten, weisen diese
feld. Häufig lässt sich durch bessere Leuchten und Leuchten-
doch beträchtliche Qualitätslücken in der Farbwiedergabe des
anordnung Reflexblendung vermeiden. Tageslichtöffnungen
gesamten Spektrums auf.
sollten helligkeitsregulierbar sein (zum Beispiel durch die Anbringung von Jalousien).
Tageslicht ist das ausgewogenste weiße Licht, weil Sonnenlicht gleichmäßig jeden Farbtonbereich des Spektrums reflektiert. Dieses Licht hat allerdings nie eine gleich bleibende
Leuchtdichteunterschiede und Flächenfarbe
Eigenfarbe. Es kommt darauf an, wie es in der Erdatmosphäre
Extreme Kontraste zwischen Hell und Dunkel im Raum sind
reflektiert und gebrochen wird. Auf diese Art und Weise ändert
zu vermeiden. Bei Leuchtdichteunterschieden im Gesichtsfeld
sich die Lichtfarbe während des Tages, sie ändert sich auch
ändert sich beim Blickwechsel der Adaptionszustand des Au-
nach geographischer Lage und im Verlauf der Jahreszeiten.
ges. Während dieser Anpassung ist die Sehleistung reduziert.
Während der letzten Jahrzehnte wurde zunehmend deut-
Bei zu hohen Leuchtdichteunterschieden oder Kontrasten im
lich, dass Sonnenlicht eine tiefgreifende Wirkung auf den
Umfeld wird der Muskel der Iris stärker beansprucht, was zu
menschlichen Organismus hat. Rikard Küller formuliert in
Augenermüdung führt. Studien ergaben, dass angemessene
seinem Dokument „Non-visual Effects of Light and Colour“:
Leuchtdichteunterschiede physiologische Ermüdung verhin-
„Grund dafür ist erstens, dass Sonnenstrahlung für die Ent-
dern und (Seh-)Leistungen erhöhen. Ebenso sind auch zu
wicklung des Lebens an sich notwendig ist, dass es eigentlich
schwache Kontraste zu vermeiden, weil diese die dreidimen-
ohne Licht kein Leben gibt. Der zweite Grund ist der, dass die
sionale Wahrnehmungsqualität herabsetzen. Für den Sehkom-
Entwicklung höheren Lebens, vor allem des Menschen, bis
fort in Innenräumen ist also auf eine harmonische Helligkeits-
heute unter dem konstanten Einfluss von Sonnenstrahlung
verteilung zu achten. Sie hängt mit einer guten Lichtrichtung,
geschah, deren Einwirkung auf lebendes Gewebe, von der ein-
Lichtführung und daraus entstehenden Schattigkeit im Raum
zelnen Zelle der Haut bis hin zum angepassten lichtempfind-
zusammen. Nur helle Räume mit ausschließlich diffusem
lichen Auge. Somit sind die Menge, die Qualität, die Verteilung
Licht ohne Schattenbildung wirken monoton. Lichtrichtung,
und die Variation des Lichtes zwischen Tag und Nacht, zwi-
Schattigkeit und Lichtfarbe bestimmen das räumliche Am-
schen Winter und Sommer fest verbunden mit der Entwick-
biente.
lung des Menschen.“
47
Sichtbares Licht sowie das angrenzende Ultraviolett und
Strahlung. Einer davon ist die Synthese von Calciverol oder Vi-
Infrarot sind für die Gesundheit des Menschen erforderlich.
tamin D2, die den Stoffwechsel von Phosphor und Kalzium
Sie wirken auf den menschlichen Organismus durch Strah-
fördert. Untersuchungen deuten auch darauf hin, dass ul-
lung auf die Haut und durch Lichteintritt in das Auge. Die
traviolette Strahlung allgemeine physiologische Wirkungen
Wahrnehmung über das Auge beschränkt sich nicht nur auf
verursacht, wie zum Beispiel einen reduzierten Pulsschlag,
die Funktion des Sehens. Das Licht wird über zwei Nervenbah-
abfallenden Blutdruck, Änderungen in der Hauttemperatur,
nen zum Gehirn geführt, den optischen Anteil der Sehbahn,
Beschleunigen des Stoffwechsels, kürzere Reaktionszeiten
der das Sehen ermöglicht, und den energetischen Anteil der
und Widerstandsfähigkeit gegenüber Infektionen. Die Wärme-
Sehbahn, der die Zirbeldrüse (Epiphyse) und Hirnanhangdrü-
strahlung des Infrarots auf der Haut verursacht Gefäßerweite-
se (Hypophyse) stimuliert. Diese Drüsen regulieren die Pro-
rungen und beeinflusst die Körpertemperatur. Dies wiederum
duktion und Freigabe von Hormonen und somit die Körper-
beeinflusst die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit. Viele Wissenschaftler stellen daher die Frage, ob künstli-
chemie. Über diese Funktionswege wirkt das Licht auch auf die cir-
ches Licht, als ein leistungsfähiger optischer Ersatz, auch ein
cardiane Periodik, den biologischen Rhythmus, der sich in ei-
Ersatz für natürliches Licht im physiologischen Sinne sein
nem 24-Stunden-Zyklus wiederholt. Das circardiane System
kann. Diese Frage ist berechtigt, und es sprechen zwei Grün-
ist ein Netzwerk von Körperzellen, Gewebestrukturen und
de dafür.
Flüssigkeiten. Es wird durch das Tageslicht synchronisiert und
Viele der standardisierten Leuchtstofflampen unterschei-
steuert zeitgerecht den 24-Stunden-Zyklus von Tag und Nacht.
den sich erheblich in ihrer spektralen Zusammensetzung vom
Diese „innere Uhr“, die viele komplizierte psychologische und
natürlichen Licht, und nur sehr wenige Lampen beinhalten ein
biochemische Reaktionen auslöst, wird vom Hormon Melato-
ausgewogenes Maß ultravioletter Strahlung.
nin geregelt. Licht drosselt die Produktion von Melatonin, und
Untersuchungen belegen, dass es biologische Auswirkun-
Dunkelheit aktiviert sie. Der gesamte Organismus wird somit
gen hat, wenn der menschliche Organismus ständig dem
müde oder wach, aktiviert oder gedämpft durch das Licht.Ver-
standardisierten Kunstlicht ausgesetzt ist. Wenn Sonnenlicht
schiedene Prozesse, die in der Haut vor sich gehen, sind ab-
als „normal“ bezeichnet wird, so bedeutet das künstliche
hängig von den fotochemischen Wirkungen der ultravioletten
Licht eine Einschränkung.
Optische und energetische Sehbahn nach Hollwich
Optische Sehbahn
Großhirn
Lateraler Kniehöcker Zwischenhirn
Auge
Sehrinde
Kleinhirn Energetische Sehbahn Hypophyse
>
48
Verb. zum Rückenmark
6
LICHT UND FARBE
Hollwich und seine Mitarbeiter fanden heraus, dass Licht
ne ultraviolette Strahlung besitzt. Mehrere Hersteller ver-
hoher Beleuchtungsstärke, dessen spektrale Zusammenset-
markten seitdem „Vollspektrum-Lampen“. Bei manchen fehlt
zung von natürlichem Licht abweicht, bei Versuchspersonen
jedoch der ausgewogene UV-Zusatz. Auch bezüglich visueller
stressgleiche Mengen von ATCH und dem Stresshormon Corti-
Aspekte sind Lampen mit einem hohen Farbwiedergabeindex
sol produzierte. Hollwich leitete unter anderem davon ab, dass
(über 85) zu empfehlen. Hughes und Neer wie auch viele an-
hyperaktives Verhalten von Kindern in der Schule, die fast den
dere Lichtwissenschaftler erklären, dass diese Art von Lam-
ganzen Tag künstlicher Beleuchtung ausgesetzt sind, davon
pen zu einer besseren visuellen Wahrnehmung beitragen. Es
beeinflusst sein könnte. Seine Vermutungen wurden seitdem
stellt sich somit die Frage, ob ein ausgewogener ultravioletter
durch viele andere Studien bestätigt. Mayron und seine Kolle-
Strahlungsanteil angesichts der positiven gesundheitlichen
gen demonstrierten schon 1974, wie Vollspektrumlampen hy-
Wirkung nicht eine Notwendigkeit ist. Besonders bei langen
peraktives Schülerverhalten verringern. Neuere Untersuchun-
Einwirkungszeiten wie bei bettlägerigen Patienten oder an In-
gen, wie zum Beispiel diejenige von G. Grangaard (1993),
nenräume gebundenen Personen (Pflegeheim, Ganztagesun-
erbrachten gleiche Resultate. Einen Hinweis auf Langzeitwir-
terricht) und Menschen mit unzureichender, einseitiger Ernäh-
kung ergaben die Versuche an Matrosen und Offizieren, die auf
rung wurde dieser UV-Mangel festgestellt. Positive Wirkungen
Polaris-U-Booten der USA dienten und während sechs Mona-
von UV-Gaben lassen sich bereits durch Strahlungsmengen
ten kein natürliches Sonnenlicht erblickten. Bei ihnen traten
von 1/10 bis 1/2 einer Tagesmenge erreichen (8 Std./ Tag), wel-
Symptome wie Schlafstörungen, Fettsucht, Schwächung des
che die geringste Wahrnehmung von Hautröte verursachen
Immunsystems, Depressionen, Herz- und Kreislaufschwächun-
würde (Thorington 1973). Somit ist dies nicht vergleichbar mit
gen, Muskel- und Gelenkerkrankungen und anderes mehr auf.
starker UV-Strahlung der Sonne und deren möglichen ge-
Von der Firma Durotest in New Jersey, USA, wurde eine
sundheitsschädigenden Wirkungen, wie vorzeitiges Altern der
Leuchtstoffröhre mit dem Namen Vita-lite entwickelt, die in
Haut, Hautrötung, Hautkrebs, Grauer Star et cetera. Für Säug-
Europa unter der Bezeichnung True-Light bekannt ist. Die
linge wäre zurzeit noch von Beleuchtungen mit UV-Zusatz ab-
Leuchtstoffröhre wird als Vollspektrumlampe bezeichnet, da
zuraten, da weder exakt erforscht ist, wie viel UV-Strahlung
sie mit einem Farbwiedergabeindex von über 90 dem Spek-
ein Neugeborenes gefahrlos über die Augenlinse absorbieren
tralbereich des Sonnenlichts entspricht und eine ausgewoge-
kann, noch welche Menge für die Haut ungefährlich ist.
Zumtobel, Lemgo Architektur Bolles und Wilson
Zumtobel, Raummodulation durch Lichtregie
>
>
49
7 MATERIAL UND FARBE
Neben dem Licht und der architektonischen Form sind Mate-
tion. Sie beeinflussen sich gegenseitig, steigern sich oder
rial und Farbe die entscheidenden visuellen Parameter der
werten sich ab. Alle Elemente einer Wahrnehmung wirken auf-
Raumwahrnehmung und des Raumerlebnisses. Während in
einander ein: Sie werden als eins gesehen. Im besten Falle ist
asiatischen Kulturen seit Jahrhunderten ein hochentwickeltes
ihr Charakter etwas Neues und Anderes als lediglich die Sum-
Materialgefühl in Verbindung mit einem sensiblen Konstrukti-
me von Teilen.Von daher hat ein Material und eine Farbe für ei-
onsverständnis zu beobachten ist, lässt sich in Europa seit
nen Menschen immer erst zusammen eine Aussage. Zur
Beginn des 19. Jahrhunderts eine kontroverse Diskussion um
sprachlichen Genauigkeit ist es empfehlenswert, sich der Ter-
die Einschätzung des Wertes von Material und Farbe in Archi-
minologie von Lászlo Moholy-Nagy zu bedienen. In seinem
tektur und Innenarchitektur verfolgen. Architekten und Desig-
1929 am Bauhaus erschienenen Buch „Von Material zu Archi-
ner wie Jakob Ignatz Hittorff in Frankreich, John Ruskin in
tektur“ differenziert er zwischen Struktur, Textur und Faktur.
England und Gottfried Semper in Deutschland wiesen nach,
Er führt aus:
dass die „weiße“ griechische Klassik ursprünglich stark farbig gefasst war. Dieser „Polychromiestreit“ mit dem Archäologen
Struktur ist die unveränderbare Aufbauart des Materialgefüges,
Joachim Winckelmann führte in der Folge zu den verschie-
zum Beispiel die kristallinische Struktur der Metalle,
densten Strömungen im 19. und 20. Jahrhundert. John Ruskin
die Zellstruktur des Holzes oder die Faserstruktur des
meinte: „Die Materialien können die einzigen Farben in der Ar-
Papiers.
chitektur sein“. Semper sprach von „Material-Farb-Beklei-
Textur
ist die organische Abschlussfläche jeder Struktur, aber
dung“ als wichtigstem Merkmal, dem „Urmotiv“ der Raumge-
auch die Oberfläche von Verarbeitungen. In diese Grup-
staltung. Um 1900 knüpfen hier der Jugendstil und die Neue
pe fällt das Schnittbild und die Fladerung eines Holzes,
Sachlichkeit um den Deutschen Werkbund an. Die abstrakte
die Granulattextur eines Granits, die Bänderung eines
Malerei des 20. Jahrhunderts veränderte zudem das Form-
Marmors, die Gewebetextur eines Stoffes, eines Ge-
und Farbempfinden in der Architektur. Der holländische Neo-
flechtes oder Gespinstes, die Fasertextur einer Span-
Plastizismus (De Stijl, Piet Mondrian) und die Theorien des Bauhauses fanden im Haus Schröder von Gerrit Rietveld in Ut-
platte. Faktur
ist der wahrnehmbare Niederschlag von Materialbear-
recht ihren klarsten Niederschlag. Zeitgleich entwickelte sich
beitung. Hier gibt es bei den unterschiedlichsten Mate-
aber auch in Russland eine radikale Avantgarde um Künstler
rialien oft abgestufte Arbeitsschritte mit jeweils unter-
und Architekten wie K. Melnikow, El Lissitzki, W. Tatlin und
schiedlichen Fakturen, zum Beispiel:
K. Malewitsch. Der malerischen Auffassung von Raum wie bei De Stijl und Bauhaus stand hier eine skulpturale Auffassung
Stein
Holz
Metall
der Rohes Barcelona-Pavillon und seinem Materialstil deutlich
brechen
sägen
gießen
wird. Wir finden sie auch im „New Bauhaus“ von Chicago un-
spitzen
schruppen
ziehen
ter Walter Gropius und Mies van der Rohe wieder. Beiden Po-
stocken
hobeln
drücken
sitionen begegnen wir heute noch und es ist Ziel dieses Bu-
flammen
sandeln
schmieden
ches, zwischen beiden zu vermitteln. Material und Farbe
scharrieren
bürsten
hämmern
haben dienende Funktion. Sie müssen den Ansprüchen der Er-
grob schleifen
grob oder fein schleifen
biegen
gonomie, der Optik, der Ästhetik und des Gebrauchs genü-
spachteln
Poren füllen
schleifen
gen. Materialien als Farbträger und farbige Anstrichflächen
fein schleifen
mattieren
polieren
sind häufig Elemente ein und derselben Wahrnehmungssitua-
polieren
polieren
von Architektur gegenüber, wie sie beispielsweise in Mies van
50
7
2MATERIAL WEIT HINTEN, UND FARBE HINTER DEN WORTBERGEN
51
2
WEIT HINTEN, HINTER DEN WORTBERGEN
53
54
7
MATERIAL UND FARBE
Ferner können Materialien in ihrer Eigenfarbe verändert
ausgelösten Assoziationen. Zu der Bilderwelt der Materialien
werden. Die Renaissance kannte das Natursteinfärben. Diese
kommt die der Farben hinzu und unterstreicht, schwächt ab
Technik ist des großen, farbigen Marktangebotes wegen heu-
oder stellt eine neue Position daneben – dominant, gleichwer-
te ungebräuchlich. Im Kunststeinbereich werden häufig Binde-
tig, unterordnend oder akzentuierend.
mittel und Zuschlagstoffe gefärbt. Hölzer werden gebeizt, la-
Farben sind in ihrer Wirkung auch abhängig von der Verar-
siert oder unterschiedlich deckend lackiert. Bei Keramik und
beitungstechnik und den Materialuntergründen, auf denen sie
Steinzeugmaterial finden wir Färbungen und Glasuren unter-
aufgetragen werden. Die vielfältigen Aspekte der Beschich-
schiedlicher Oberflächenbeschaffenheit: glatt bis strukturiert
tungstechniken werden hier behandelt. Zu technologischen
und matt bis hochglänzend. Metalle können galvanisch behan-
Fragen gibt es eine Fülle von Fachliteratur.
delt und veredelt, wie zum Beispiel verchromt, vernickelt, ver-
Farben – das sind Anstriche auf Wänden, an Decken und Bo-
messingt oder eloxiert, aber auch emailliert oder mit Expoxyd-
denflächen sowie an Objekten, auf unterschiedlichsten Mate-
harz beschichtet werden. Jede dieser Oberflächen hat eine
rialien wie Holz, Metall, Putz, Mörtel, Mauerwerk, Beton,
ganz andere Anmutungsqualität. Von der Aufgabe und der Ver-
Kunststoff, Glas, Gewebe, Papier.
wendung in der Raumgestaltung hängt es ab, ob ein Material
Saugfähigkeit und Relief der Oberfläche (Textur und Faktur)
sich selbst repräsentiert oder als Akzent in einer Komposition
sind für die Wahrnehmung einer Farbe von Bedeutung. Ähn-
steht, als Dominante in einem Ensemble wirkt oder als Mit-
lich wie bei den Materialien ist der Flächeneindruck in Verbin-
glied in einem „Chor“ klingt, wo es lediglich eine Stimme dar-
dung mit dem Farbton selbst und seiner Position im Farben-
stellt. Materialien können in Textur und Farbe natürlich-cha-
klang der Wert, der Image-Eindruck. Bis vor wenigen Jahren
rakteristisch oder bearbeitet und grundlegend verfremdet
galt lediglich der „makellose“ flächige, opake Anstrich als ar-
werden. Mit seinem jeweils eigenen Charakter und seiner Ei-
chitekturgemäß. Mit steigendem ökologischem Bewusstsein
genfarbe, aber auch mit seiner Textur steht jedes Material für
rücken auch wieder traditionelle Materialien und Verarbei-
ein anderes Image. Dieses Eigen-Image eines Materials, der
tungstechniken in den Vordergrund. In Verbindung mit natür-
„Erscheinungswert“, die „Ästhetik über dem Gebrauchswert“,
lichen Pigmenten und Bindemitteln werden Lasuranstriche
kann durch die jeweilige Bearbeitung verändert werden. Die
„hoffähig“. Alte Wachsspachteltechniken (Enkaustik) und
Ausstrahlung auf den Einzelnen, die atmosphärische Anmu-
Lackspachtelflächen mit interessanten Farbmischungsmög-
tung, Wärme oder Kälte, Behaglichkeit, Wohlhabenheit, Herr-
lichkeiten verschieden farbiger Schichten führen zu rhyth-
schaftlichkeit hängt von der Sozialisation des Einzelnen ab.
misch texturierten schwingenden Oberflächen.
Entsprechend wird das Material zum „Bedeutungsträger“. Das Material wird aber nicht nur einfacher einer Imageaussage gerecht als ein Farbton, sondern es spricht unvermittel-
Die Palette, zwischen Farbflächen und Naturmaterialien, zwischen Farbauftrag und Materialoberfläche Spannungen im Raum aufzubauen, ist breit.
ter synästhetische Empfindungen an. Schmecken, Riechen,
Im Interesse der jeweiligen Raumfunktion und der Atmo-
Hören und Tasten werden als begleitende Empfindungen zum
sphäre, die erzeugt werden soll, ist mit der Fülle der Anmu-
Sehen animiert. Wir begreifen Materialien, wie Kükelhaus
tungsmöglichkeiten diszipliniert umzugehen. Oft wird dem
sagt, ganzheitlich mit allen Sinnen, wir begreifen Raum mit al-
Eigenwert einer Fläche mehr Beachtung durch ein ruhiges
len Sinnen. Material beeinflusst Geschmack, Duft, Akustik und
Umfeld erwiesen. Faktur- und Texturvielfalt werten oft Einzel-
die Erinnerung an Früh-Gefühltes, Begriffenes und die damit
nes ab und sind optisch aufdringlich.
55
8 ARCHITEKTONISCHE ASPEKTE DES RAUMES
ASPEKTE DER WAHRNEHMUNG
das mentale Konzept einer objektiven Welt auf. Mit diesen
Mit sich ändernder Erscheinung der Umwelt ändert sich auch
Synthesestrategien werden auch erlernte Korrekturprozesse
die subjektive Empfindlichkeit. Die Physiologen unterschei-
sichtbar, so genannte Konstanzmechanismen. So nehmen wir
den zwei Modelle der Wahrnehmung, die in der Reaktion auf
in der Regel die Seherfahrung einer Farbe in der veränderten
die Umwelt zusammenwirken: ein Reiz-Antwort-Modell und
Erscheinung durch eine Sonnenbrille nicht wahr.
ein so genanntes Look-up-Modell. Christoph Schierz von der
Jeder Reiz hat eine rationale und eine emotionale Eigen-
ETH Zürich (2005) legt dar: „Beim Reiz-Antwort-System wird
schaft. Farbzusammenstellungen belegen wir mit einer ge-
ein äußerer Reiz über ein Netz ,innerer Schalter’ gesteuert
fühlsbetonten Bedeutung. Wir sprechen von aggressiven oder
oder kontrolliert und führt zu einer Antwort. Bei der Look-up-
beruhigenden, von warmen respektive kalten Farben, von mo-
Wahrnehmung liegen mentale Konzepte möglicher Umwelt-
notonen oder überreizten Ensembles. Formale, dreidimensio-
gestaltungen bereits als ,Seherfahrung’ vor“.
nale Konstrukte werden ebenso als harmonisch oder unhar-
Mentale Konzepte sind im eigenen Kulturkreis erlernte und
monisch bewertet.
im persönlichen Umfeld sowie im Laufe der Evolution und der Entwicklung nach der Geburt erworbene Erfahrungen. Die mentalen Konzepte stellen die Wahrnehmungskonstanz si-
ASPEKTE DES GESTALTUNGSPROZESSES
cher. Die subjektive Welt der mentalen Konzepte beinhaltet
Hugo Kükelhaus sagt: „Das, worauf es ankommt, ist ein Da-
nicht nur das Aussehen (als Mustererkennung), auch eine
zwischen.“ Neben dem Repertoire der farblichen Gestaltungs-
emotionale und affektive Färbung des Wahrgenommenen ist
mittel, wie es bis hierher dargelegt wurde, ist es notwendig,
damit untrennbar verbunden. Auf einer höheren Ebene findet
auch ein Grundrepertoire der architektonischen Gestaltungs-
eine gedankliche Attribuierung statt.
mittel kennen zu lernen und zu berücksichtigen. Zur Beurtei-
In diesem Sinn machen wir uns „ein Bild vom Raum“ als
lung einer räumlichen Vorgabe und deren gestalterischer Qua-
mentales Raumkonzept. Es müssen vor allem die im Kontext
lität, eventueller Probleme, gestalterischer Angebote oder
wichtigen Merkmale und Muster, sowie deren Verknüpfung
Herausforderungen muss man den „Stoff“, aus dem die Räu-
gespeichert sein. Archetypische Muster sind Linien, Kreu-
me sind, kennen. Ein Repertoire besteht immer aus mehreren
zungspunkte,Winkel, Endpunkte von Linien, Kontrast und Far-
Elementen und bestimmten Gesetzmäßigkeiten ihrer Verwen-
be. Mit erlernten Synthesestrategien bauen wir unbewusst
dung. Eine Sprache besteht im Vergleich dazu aus Buchsta-
>
Barcelona-Pavillon, Grundriss Ludwig Mies van der Rohe, räumlich organisierte Form
56
8
ARCHITEKTONISCHE ASPEKTE DES RAUMES
ben, die zu Wörtern gereiht und nach den Gesetzen der Gram-
Versteht man also unter räumlichem Gestalten den Entwurf
matik zu Sätzen gefügt werden können.
einer Wechselbeziehung zwischen dem Menschen und dem
Räumliches Gestalten ist ein Prozess, das heißt ein syste-
Raum, so ist zu unterscheiden zwischen
matischer Aufbau einer Gestalt. „Gestalt“ wird im übergeord-
dem formalen Aspekt des Raumes (dieser betrifft Farbe im
neten Sinn für positives oder negatives Volumen verwendet
Hinblick auf ihren ästhetischen Wert sowie Farb- und Materi-
(Innenraum/ Architekturform). Gestalten bedeutet für uns im-
alwahl)
mer die Umsetzung eines Programms, einer Aufgabenstellung
dem funktionalen Aspekt des Raumes (hier spricht die Far-
in eine räumlich organisierte Form sowie in eine psychisch
be zum Beispiel pädagogische, therapeutische, psychologi-
und physisch wahrnehmbare Form.
sche, sakrale und andere Gesichtspunkte an).
Ziel des Gestaltungsprozesses muss es sein, die gestalteri-
Die formalen Merkmale definieren den Raum wie er ist, seine
schen Mittel, das Repertoire zur problemgerechten Lösung
architektonische Struktur. Die funktionalen Merkmale definie-
menschlicher Lebensprozesse einzusetzen. Die gesellschaftli-
ren den Raum in Bezug auf die Aufgabe, die er zu erfüllen hat,
che Relevanz, der Wert der Gestaltung, liegt in der Wechselbe-
also seine Leistung und Wirkung.
ziehung zwischen Nutzer und Raum. In dieser Interaktion löst
Wir haben es bei den Merkmalen der architektonischen
die Raumwahrnehmung und das Raumerlebnis „Verhalten“ im
Struktur mit objektiven, quantifizierbaren Faktoren zu tun.
Menschen aus.
Leistung und Wirkung eines Raumes hingegen hängen vorwiegend von subjektiven Zielvorstellungen, persönlichen Er-
WAS BEDEUTET GESTALTEN?
fahrungen und Erwartungen seiner Nutzer ab. Dieser Gestal-
Gestalten ist das Verwirklichen einer geistigen Konzeption, ei-
tungsbereich lässt sich daher schwieriger objektiv planen und
ner Idee. Wenn wir das griechische „eidos“ übersetzen, kom-
darstellen. Die Leistung eines Raumes lässt sich nach Ge-
men wir mit dem Begriff „Bild“ im Sinne von „Ur-Bild“ oder
sichtspunkten der Benutzung beschreiben, wie
„Vor-Bild“, dem Sinn des Wortes schon recht nah. Die Idee im
Organisation von Handlungsabläufen
Sinne des „Inneren Bildes“ von etwas bedarf natürlich der ge-
Zuordnen von Tätigkeiten und Weglängen
eigneten Ausdrucksmittel. Für unsere Ideen bedarf es zeichne-
Bedingungen der Beleuchtung und Belichtung, des Schalls,
rischer, malerischer und modellhafter, räumlicher Darstellungsmittel während des Planungsvorganges.
Barcelona-Pavillon, Innenhof, psychisch-physisch wahrnehmbare Form
des Klimas und so weiter. Die Wirkung eines Raumes, der „Wahrnehmungsraum“, die
>
57
emotionalen Aspekte der Erscheinung, das Milieu, lassen sich
rungen, Loch, Lochreihen und Lochgruppen können in der Ar-
mit Begriffen beschreiben wie
chitektur eine flächengliedernde oder akzentuierende Aufga-
Image
be haben. Eine „punktuelle“ Belegung und Fixierung des Rau-
Identifikationsmöglichkeit
mes hat häufig mit einer „Überhöhung des Raumes“ zu tun.
Originalität
Der Altar im Schnittfeld von Lang- und Querhaus, das Taufbe-
Symbolwert
cken im Baptisterium christlicher Religionen stellen in ihrer
Atmosphären, wie repräsentativ, behaglich, rustikal,
Funktion Überhöhung, Theatralisierung und Mystifizierung
wohnlich, festlich, sakral.
her. Sie werden Herrschaftssymbol. Die Linie ist geometrisch die Verlängerung eines Punktes in
Es besteht die große Gefahr, dass der Planungsteil der archi-
einer Richtung. Lineare Elemente kennen wir als Stützen,
tektonischen Form rational am leichtesten gelingt. Der „Ge-
Pfeiler, Unterzüge, Träger, Balken, Fachwerke, Mauervorlagen
fühlswert“ des Raumes bleibt oft auf der Strecke, da man sich
(Lisenen), Kamine und dergleichen. Diese sind in aller Regel
hier als Planer und Gestalter mit subjektiver Auffassung, so-
konstruktive Bauteile. Gitter, Friese, Fugenbilder, Sockelleis-
zialem Hintergrund, psychologischer Empfindungswelt und
ten, Tür- und Fensterrahmen, Stukkaturen, Maßwerke, Kanne-
physiologischer Struktur von Nutzern zu beschäftigen hat.Wir
lüren stehen oft im Zusammenhang mit Stilmerkmalen einer
wollen hier kurz einen geeigneten Ausschnitt aus dem kom-
bestimmten Epoche und sind meist dekorativ eingesetzte Bau-
plexen Repertoire architektonischer Gestaltungsmittel be-
teile. In der zeitgenössischen Architektur werden konstruktive
leuchten:
Bauteile oftmals dekorativ ausgebildet und räumlich einge-
Eigenschaften von Elementen
setzt. Paul Klee hat in seinem „Pädagogischen Skizzenbuch“
Beziehungen von Elementen
(1925) und seiner Lehre am Bauhaus die Unterscheidung von
Beziehungen zwischen Elementen und dem wahrnehmen-
aktiver, medialer und passiver Linie eingeführt. In seinen Aus-
den Menschen.
führungen entsprechen vor allem „die aktive Linie zwischen Punkten“ und die „mediale Linie“ Situationen im Raum. Die
Als Grundkategorie menschlicher Dimensionswahrnehmung
die Linie zwischen Punkten streckenbeschreibende. Passive
kennen wir Punkt, Linie, Fläche und Körper. Punkt, Punktie-
Linien ergeben Flächeneindrücke und Oberflächentexturen.
Eigenschaften der Dimension. Linie, Fläche, Körper
58
>
mediale Linie hat format- und flächenbeschreibende Funktion,
>
EIGENSCHAFTEN VON ELEMENTEN
Beziehungen von Elementen, Kunstmuseum Stuttgart, Architektur Hascher und Jehle
8
ARCHITEKTONISCHE ASPEKTE DES RAUMES
Die Fläche ist geometrisch das durch sich kreuzende Linien
raumumschließenden Flächen. Innenwandflächen begrenzen
gebildete Feld. Räume werden in aller Regel durch Flächen ge-
Räume. Ihre optischen Eigenschaften Farbe, Textur und Mate-
bildet. Wir erleben sie als Wände, freie Elemente im Raum,
rial, ihre Beziehungen untereinander, Größe, Verteilung, die
Decken, Böden, Scheiben, Platten, abgehängte Flächen, Zwi-
Öffnungen und Durchbrüche bestimmen die Qualität des Rau-
schenebenen, Podeste, Paravents. Flächige Bauteile sind in ih-
mes und die Beziehungen zu anderen Räumen. Wandflächen
rer Wirkung abhängig von ihrer Lage im Gesichtsfeld. Nach
können „nahtlos“ in Boden- oder Deckenflächen übergehen
Francis D. K. Ching sind Umrisse und Randlinien die hervorste-
oder als besondere Flächen betont werden. Sie wirken selbst
chendsten Identifikationsmerkmale von Flächen. Die opti-
oder als neutraler Hintergrund für andere Raumelemente.
schen Besonderheiten einer Fläche, ihrer Farbe, ihrer Textur
Wandflächen sind undurchsichtig oder transparent, Blick-
beeinflussen ihr visuelles Gewicht und geben den Eindruck
punkt oder Lichtquelle. Zum Flächeneindruck einer Innen-
von Stabilität. In der Architektur umgrenzen Flächen dreidi-
wand gehört zum Verständnis ihrer Erscheinung auch ihre Ma-
mensionale Formen und Räume. Die Eigentümlichkeiten einer
terialstärke. Sie wird an Durchbrüchen, Fenstern und Türen
Raumform, die visuellen Qualitäten eines Raumes, werden
deutlich. Wände können einengen und ausweiten – sie ver-
durch die formalen Merkmale der Flächen definiert (Größe,
mitteln „Privatheit“ oder „Öffentlichkeit“. Zu Fußboden und
Proportion, Farbe, Material, Textur) sowie durch die topologi-
Wandflächen hat man physischen Kontakt. Deckenflächen
schen Beziehungen zueinander bestimmt. Grundsätzlich spie-
hingegen erlebt man fast nur visuell, wegen ihrer größeren
len drei Flächenarten bei der Raumbildung eine Rolle – die
Entfernung. Sie sind der Schirm eines architektonischen Rau-
Bodenfläche, die Wandfläche und die Deckenfläche. Die Bo-
mes. Deckenflächen können als Geschossdecke flach oder in
denfläche ist physisch und visuell Fundament baulicher
Korrespondenz zu einer Dachkonstruktion geformt sein. Sie
Formen. Sie sollte sichernd und haltgebend sein, da sie als
können auch in freier Form lose im Raum hängen. Der Körper
Grundlage menschlicher Tätigkeiten innerhalb eines Gebäu-
als Raumelement ist geometrisch in allen Richtungen ähnlich
des gesehen wird. Form, Farbe,Textur und Musterung bestim-
dimensioniert und hat optisch ein klar ablesbares Volumen. Elementen angelehnt sein, aber auch frei im Raum stehen. Die
und Härte regeln die Empfindungen beim Gehen. Die Wandflä-
Möblierung des Raums gehört größtenteils zum Bereich kör-
chen sind die visuell aktivsten der raumbildenden und
perhafter Elemente im Raum, aber auch Bauteile wie Treppen,
Beziehungen zwischen Elementen und dem wahrnehmenden Menschen Kunstmuseum Stuttgart, Architektur Hascher und Jehle
>
Körperhafte Elemente können an linearen oder flächigen
grund für andere Raumelemente in Erscheinung tritt. Textur
>
men, ob der Boden als sichere Raumgrenze oder als Hinter-
Mediale Linien in der Architektur, La Tourette, Le Corbusier
59
Aufzüge in Hallen, freie Kamine, freistehende räumliche Ein-
Relative Maße stehen im Gegensatz dazu. Maß- und Propor-
bauten gehören dazu. Zur räumlichen Beurteilung von Grö-
tionsverzerrungen liegen vor, die keine konkrete Wahrneh-
ßen, Entfernungen und Proportionen bedient sich der Mensch
mung zulassen und in Menge und Größe zum Raum, sowie
gerne der Vergleichsmaßstäbe. Pierre von Meiss verweist auf
zur Länge, Breite und Höhe in schwer oder nicht bewertba-
den Symbolwert des Menschen als Maßstab:„In unserer sub-
rem Bezug stehen.
jektiven Vorstellung von der Ordnung des Universums […] ist unser Körper das wichtigste Bezugselement. Im Vergleich zu
Unabhängig von linearer, flächiger oder körperhafter Dimensio-
ihm bestimmen wir groß und klein, geometrisch und amorph,
nierung gibt es verschiedene Erscheinungsarten von Formen.
hart und weich, eng und weit, stark und schwach usw.“
Zunächst fallen uns einfache Formen auf, die wir als kontinuier-
So wurde in der Geschichte häufig die menschliche Figur als bekanntes Proportionselement zur Bewertung von Raum
lich empfinden. Diese Formen nehmen wir unverkürzt, ganzheitlich wahr:
eingesetzt: Le Corbusier hat dieses Hilfsmittel, den von ihm
gerade Flächen, Platten, Wände, Scheiben, Stützen, Balken
entwickelten Modulor, gerne an seinen Großbauten benutzt.
gebogene oder gekrümmte Elemente wie Kuppeln, Tonnengewölbe, Wellenformen.
In diesem Zusammenhang sollten wir zwei Begriffe getrennt betrachten: absolute und relative Maße.
Im Gegensatz dazu betrachten wir diskontinuierliche Formen
Absolute Maße stehen in direktem Bezug zu geeichten Maß-
wie Fachwerk- und Dachkonstruktionen, abgeknickte und ab-
einheiten wie Zentimeter, Meter, Zoll und Inch. Zu solchen
gewinkelte Wände, gotische Gewölberippen; diese sind unter-
absoluten Maßen zählen wir auch bekannte Normmaße und
brochen und werden oft nur ausschnitthaft wahrgenommen.
Maße der Ergonomie wie Tischhöhe, Sitzhöhe, Höhe der
Beide Begriffe – kontinuierlich und diskontinuierlich – charak-
Fensterbrüstung und Türmaße (häufig 76 x 200 oder
terisieren vorrangig Flächen und lineare Bauteile. Körperhafte Bauteile wie Würfel, Kugel, Zylinder, Pyramide
88,5 x 200 cm). An diesen „erlernten“ Maßen können wir Beurteilungen und
bezeichnen wir als regelmäßige, geometrisch leicht zu defi-
Vergleiche herstellen, wenn sie nicht perspektivisch verfrem-
nierende Formen. Dazu zählen schlichte Möbelformen und
det sind.
Einbauten. Unregelmäßige Formen sind geometrisch schwer
<
Zusammenspiel von Linie, Fläche und Körper La Tourette, Le Corbusier
60
<
Zusammenspiel von Linie, Fläche und Körper Opernhaus St. Pölten, Architektur Kada
8
ARCHITEKTONISCHE ASPEKTE DES RAUMES
oder gar nicht beschreibbar. Wir kennen solche Formen aus
BEZIEHUNGEN ZWISCHEN ELEMENTEN
der organischen Architektur oder der Formensprache anthro-
Beziehungen zwischen architektonischen Elementen sind to-
posophischer Bauten und des Art Déco. Eine gute Vorstellung
pologische Lagebeziehungen im Raum. Es geht in der Regel
davon vermitteln zum Beispiel das Repertoire von Antonio
um die Frage qualitativ beschreibbarer Nachbarschaftsbezie-
Gaudí oder eine Plastik von Henry Moore. Architektur sucht
hungen wie Zuordnen, Durchdringen, Umschließen.
meist nach Ausgewogenheit und ausbalancierter Spannung.
Zuordnen ist die einfache Addition von Elementen in losen
Die Axialsymmetrie früherer Epochen ist jedoch nicht mehr al-
Beziehungen, wie nebeneinander, aufeinander, untereinan-
leiniges Schönheitsideal. Die Kunst des 20. und 21. Jahrhun-
der, angrenzend an, in der Nähe von liegen; Gruppenbildun-
derts hat unsere Sehgewohnheiten erweitert und wir sind ge-
gen, Stapelungen, Reihungen, Häufungen. Lose Beziehun-
wohnt, auch labile Auspendelungen von unterschiedlichen
gen können bis zu Kontakten in Kanten und Flächen führen.
Gewichtungen und Elementcharakteren als gleichgewichtig
Durchdringen heißt verzahnen, verschmelzen, verbinden,
zu sehen. Neben dem Begriff der Materialstruktur von Lászlo
überlappen, die Volumen greifen ineinander.
Moholy-Nagy sprechen wir auch im Aufbau von Architektur
Umschließen heißt enthalten sein in, Bestandteil sein von,
und Raum von Struktur. Sie lässt sich nach verschiedenen
umhüllt sein von. Diese metrischen Beziehungen sind quali-
Merkmalen betrachten, den:
tativ beschreibbare Lagebeziehungen, die an ihren Abmes-
konstruktiven Merkmalen des Zusammenfügens von Teilen
sungen, Distanzen, Winkeln, Radien bewertbar sind. Bezie-
statischen Merkmalen des Kräfteflusses
hungen zwischen Elementen im Raum sind entscheidend
bauphysikalischen Merkmalen des Schalls, des Wärmeflusses
abhängig von ihrer Lage im Gesichtsfeld. Diese Abhängigkeit
historischen und stilistischen Merkmalen einer Epoche
allein stellt schon in der Raumkomposition Hierarchien her.
ästhetischen Merkmalen eines Proportionsverhältnisses,
Aber Hierarchien, wie Pierre von Meiss darlegt, entstehen
zum Beispiel des goldenen Schnittes, des Modulors von Le
auch bei gleichwertigen Elementen, bei Axialsymmetrien; Do-
Corbusier oder dem japanischen Ken (Mattenmaß der Tata-
minanz-, Subdominanz- und Akzentwert eines Elements sind
mi-Matte).
im Kontext aller raumschließenden Elemente selbst zu sehen.
>
oben: Diskontinuierliche Formverläufe, Phaeno-Science-Center, Wolfsburg Architektur Zaha Hadid
Kontinuierliche Formverläufe, Schweiz-Pavillon, Expo 2000 Architektur Peter Zumthor
<
unten: Regelmäßige und unregelmäßige Formen, DZ-Bank, Berlin Architektur Frank O. Gehry
61
BEZIEHUNGEN ZWISCHEN ELEMENTEN UND DEM
Die Entwicklungspsychologie zeigt auf, dass das räumliche Wahrnehmungsvermögen in drei Etappen ausgebildet wird:
WAHRNEHMENDEN MENSCHEN Die Bedeutung von Architekturelementen im Raum hängt für
topologische Erfahrungen des Kindes im räumlichen Kontakt
den Menschen entscheidend von seiner Raumerfahrung ab
zur Mutter
und damit von ihrer absoluten oder relativen Menge zu ande-
projektive Erkenntnisse von Raumtiefe, Vordergrund und Hin-
ren Flächenmengen im Raum und zur Qualität mentaler Kon-
tergrund
zepte.
euklidische Erkenntnisse, geometrisch prägnant in rechten
Frontal nehmen wir Flächen, Linien oder Körper in konkre-
Winkeln, Parallelitäten und Radien zu sehen.
ten Dimensionen wahr. In „Seitenlage“ nehmen wir Wände, Platten, Paravents, Stützenreihen als leitende, führende oder
Meisenheimer vertritt die Auffassung, dass die Suche des Men-
trennende Bauteile wahr. Sie haben relative Proportionen und
schen immer nach einfachen euklidischen Grundmustern stre-
Dimensionen wie bei den beiden nächsten Lagebeziehungen
be, nach Symmetrieachsen und Mittelpunkten. Selbst der Um-
auch. In „Unterlage“ nehmen wir Bodenflächen, Podeste,Trep-
gang mit diskontinuierlichen und unregelmäßigen Elementen,
pen, Bodenabsenkungen, Bühnen, Zwischenebenen (Zwi-
mit Schrägen, Kurven, freien Formen werde als ästhetische
schengeschosse) wahr. In „Oberlage“ sehen wir Deckenflä-
Spannung und als Abweichung nur im Kontext regulärer Ord-
chen, Baldachine, Pergolen, Balkone und Galerien, Plafonds,
nungssysteme „verstanden“. Somit wird die Blickfolge das
abgehängte Decken und Dächer. Diese relativen Maßbezie-
„kompositorische Prinzip“ der architektonischen „Partitur“.
hungen im Gesichtsfeld liegen aber nun nicht statisch fest,
Räumliche Wahrnehmung ist ähnlich der Farbwahrnehmung
sondern sie hängen in ihrer Bedeutung vom Standortwechsel
ein subjektiver Prozess. Beim räumlichen Sehen bilden beide
und von der Blickrichtungsänderung des Betrachters ab. Die
Augen das Gesichtsfeld des „Objektraumes“. Blicken wir unbe-
Wahrnehmungsgeschwindigkeit, das heißt die Aufnahme der
wegt geradeaus, so kann man für beide Augen zusammen ho-
Informationsmenge pro Zeiteinheit, macht die subjektive Be-
rizontal einen Winkel von 180 bis 200 Grad, vertikal nach oben
deutung für den Betrachter aus.
einen von ca. 55 Grad und nach unten einen von 76 Grad erfas-
Raumerfahrung setzt sich also reportageartig zusammen, sie wird visuell und kinästhetisch aufgenommen.
sen. Dennoch ist das Zentrum scharfen Sehens fast auf einen zentralen Punkt reduziert und nimmt zur Peripherie eines Fixa-
Meisenheimer sagt: „Ein Weg ist eine Reihe von Orten, die
tionsfeldes ab. Je punktueller wir fokussieren, desto schärfer
nacheinander zu betrachten sind. Es reihen sich Stationen
sehen wir. Dabei ist zu berücksichtigen, dass unser Farbense-
verschiedener Erlebnisqualität aneinander und markieren
hen in einem wesentlich kleineren Wahrnehmungsraum statt-
Stationen unterschiedlicher Handlungen. Wege können vom
findet und wir in peripheren Winkelbereichen ständig im Wech-
Boden, von den Wänden oder der Decke bestimmt werden.“
sel zwischen Hell-/Dunkelempfindungen und Farbensehen
Architekturraum ist Verhaltensraum, zu dessen Raum-Mo-
wahrnehmen. Für räumliche Positionierungen von Farben
dell der Ort, der Weg, das Feld, die Zone, das Gebiet und die
kann dies ein wichtiger Aspekt sein (zum Beispiel bei einge-
Grenze gehören.
schränktem Raumerlebnis wie im Krankenzimmer).
55º 50º 90º–110º
70º 76º
<
62
30º 50º
Sehfeld des Hell-DunkelSehens
30º
30º
<
Sehfeld des Farbensehens
9 KOMMUNIKATION MENSCH – FARBE – RAUM
INTERDISZIPLINÄRE ASPEKTE
dernd wie hemmend auf menschliche Lebensbeziehungen.
Raum – materiell und immateriell – ist eine wesentliche Grund-
Ein bedeutender Gesichtspunkt des „gelebten Raumes“ ist
lage für das Sein, die Entwicklungs- und Entfaltungsmöglich-
die von ihm ausgehende Atmosphäre und Anmutungsquali-
keiten des Menschen. Er bildet die äußere Hülle, in der sich
tät, welche die psychologische Beziehungsebene zwischen
Leben in allen Varianten vollzieht. Unmittelbar und untrennbar
Mensch und Raum betrifft. Aufgrund seiner Gestaltung kann
ist der Mensch mit dem ihn umgebenden Raum verbunden. Auf
Raum beispielsweise kühl, distanziert, streng, festlich, heiter
die enge Verbindung von Mensch und Raum verweist der
erscheinen. Solche Stimmungscharaktere und Anmutungs-
von O. F. Bollnow stammende Begriff „gelebter Raum“. Der
qualitäten sprechen die Gefühle an. Sie vermitteln dem Men-
Lebenszyklus des Menschen, von seinem Entstehen im Mut-
schen im Raum Botschaften, die sich wiederum auf Fühlen,
terleib bis hin zu seinem Sterben und Tod, vollzieht sich in un-
Denken und Wollen, Verhalten und Handeln auswirken.
terschiedlichsten räumlichen Umwelten, unter deren spezifi-
Obgleich der Mensch durch den Raum und die von ihm
schen Konditionen, in Beziehung zu ihnen und im Austausch
ausgehende Stimmungsqualität beeinflusst wird, so ist zu be-
mit ihnen – in der wechselseitigen Beziehung zwischen dem
rücksichtigen, dass damit keine einfache Stimmungsübertra-
Menschen, seiner sozialen und materiell-räumlichen Umwelt.
gung erfolgt. Es ist immer in Betracht zu ziehen, dass Men-
Die Raumqualitäten zählen zu den Lebensbedingungen, die
schen auch subjektiv auf räumliche Umgebungen reagieren
Entwicklungsverlauf, Lebensqualität und Menschsein in den
und in unterschiedlichem Maß für Raummilieus empfänglich
verschiedenen Lebensphasen und Lebensbereichen beeinflus-
sind. Sind Atmosphären einerseits eng mit Formen, Materia-
sen. Die gestalterische Aussage, symbolische Wirkung und An-
lien, Licht und Farben verbunden, so sind Möglichkeit und
mutung des architektonischen Raumes sind mitbestimmend
Intensität ihrer Einflussnahme ebenso vom Menschen und
dafür, wie sich der Mensch darin befindet, inwieweit er sich da-
dessen persönlicher Stimmungslage im „Hier und Jetzt“ ab-
von angesprochen fühlt, sich damit identifiziert, aber auch wie
hängig.
er sich diesen Raum anzueignen vermag, wie er sich zu ihm
Mit psychosomatischen Aspekten der Raumerfahrung hat
und in ihm verhält, individuell und sozial handelt. Raum ist im-
sich Hugo Kükelhaus befasst. Ihm zufolge ist der Mensch
mer auch immateriell-geistiger Raum. Er umfasst sowohl die
durch seine Leiblichkeit auf durchformte, gebaute und ausge-
atmosphärisch-erlebnismäßige als auch die sozial-kommuni-
staltete Lebenswelt angewiesen und bedarf biologischer
kative Dimension zwischenmenschlicher Begegnungen und
Spannungsfelder, kontrastierender Elemente, der Anregung
Beziehungen. Mit der Bedeutung des Raumes hinsichtlich sei-
durch Abwechslung. Durch das Fehlen biologischer Span-
ner Wirkung auf den Menschen haben sich verschiedene wis-
nungsfelder treten nach Kükelhaus Fehlregulationen als Folge
senschaftliche Disziplinen befasst.
von Reizarmut auf, beispielsweise durch schattenlose Hellig-
Nach O. F. Bollnow, Philosoph und Pädagoge, wird der
keit (fehlende Leuchtdichte-Unterschiede), gleichbleibende
Mensch in seinem Wesen durch seinen Umraum bestimmt,
Thermik, strukturlose Raumflächen. Eingeschränkte Bewe-
auch wandelt sich sein Wesen je nach dem Charakter seines
gungsmöglichkeiten sowie monotone Material- und Farbwahl
Umraums. „Der erlebte und gelebte Raum“ wirkt ebenso för-
können genauso zu Fehlregulationen führen.
63
„Was uns erschöpft, ist die Nichtinanspruchnahme der
Bruno Bettelheim hat die Entwicklung eines Wohn- und
Möglichkeiten unserer Organe, ist ihre Ausschaltung, Unter-
Lebenskonzeptes in einer Psychiatrischen Klinik für Kinder
drückung … Was aufbaut, ist Entfaltung, Entfaltung und Aus-
und Jugendliche beschrieben. Er bezieht eine seiner wesent-
einandersetzung mit einer mich im Ganzen herausfordernden
lichen Erfahrungen aus seiner psychiatrischen Arbeit auf die
Welt, ist das Bestehen der Welt“ (Kükelhaus).
Tatsache, dass jeder Mensch einen „Freiraum“ für sich benö-
Nach Sune Lindstrom (zitiert in Hesselgren) führt jede Architektur zu einer spontanen emotionalen Reaktion, die für
tigt, in den er sich zurückziehen kann, wie auch einen „Spielraum“ für eigene Entscheidungen.
uns von Wichtigkeit ist. Aufgrund wissenschaftlicher Ergeb-
Aus medizinischer Sicht wird den Einflüssen der Umweltge-
nisse der Psychosomatik ist bekannt, dass Seele und Körper
staltung auf den Menschen, besonders auch auf die Entwick-
wechselseitig aufeinander wirken. So können physische Lei-
lung und Gesundheit von Kindern, Beachtung beigemessen. Es
den psychisch bedingt sein wie auch umgekehrt. Gefühle be-
besteht kein Zweifel daran, dass die individuellen und konsti-
einflussen den Körper: Stress kann Kopfschmerzen verursa-
tutionellen Momente, die als Grundlage bei der Entstehung ve-
chen, Angst lässt das Herz schneller schlagen, Ärger drückt
getativer und psychischer Störungen eine Rolle spielen, erst
auf den Magen. Eine psychosomatische Krankheit, die durch
durch die Umwelt zur Entwicklung gebracht werden. Umwelt-
psychische Faktoren entsteht, kann beispielsweise Bluthoch-
gestaltung wird demnach als primäre Prävention im vegetati-
druck sein.
ven und psychischen Bereich gesehen. Aus sozial-ökologischer
Die Psycho-Neuro-Immunologie geht davon aus, dass Ge-
Sicht ist Raum ein wesentliches Prinzip der Sozialisation und
fühlsregungen sogar unsere Immunabwehr beeinflussen. Bio-
hat mit Menschenwürde zu tun. Raum muss so beschaffen
chemiker und Immunologen entdeckten Netzwerke von Ner-
sein, dass er emotional besetzbar und aneigenbar wird.
venfasern und molekulare „Brücken“, die Körper und Seele in
Für die Beziehung zwischen Mensch und Raum sind folgen-
ständiger Verbindung halten. Immer deutlicher stellt sich he-
de miteinander zu verbindende Komponenten von wesentli-
raus, dass Gefühlsregungen oft bis in die letzte Zelle des Or-
cher Bedeutung, die im weitesten Sinne immer auch bei der
ganismus hineinwirken und damit die Körperabwehr stärken
Entwicklung von Farbkonzeptionen für den architektonischen
oder schwächen. Der Neurobiologe David Felten verweist da-
Raum in Betracht zu ziehen sind:
rauf, dass die Interaktion zwischen Seele und Körper „in dem
Anmutungsqualität
Moment [einsetzt], wo wir beginnen, sensorische Reize wahr-
Aufforderungscharakter
zunehmen.“
Prägnanz
Aus psychotherapeutischer Sicht ist Raum ein Rahmen von
Aneignung.
therapeutischer Bedeutung. Dabei werden Raum und Einrichtungsobjekte durch die Botschaften, die sie vermitteln, als we-
Anmutungsqualität bezieht sich auf die psychologische Be-
sentliche Stützfaktoren des therapeutischen Geschehens
ziehung zwischen Mensch und Raum, auf das psychische, ge-
betrachtet, als Stützfaktoren zur Wiederherstellung von
fühlsmäßige Erleben des Raumes. Von den Anmutungen der
Selbstanerkennung und Selbstachtung sowie auch sozialer
Umwelt gehen tiefgreifende psychische Wirkungen aus. Sie
Beziehungen.
beeinflussen nachhaltig unser körperliches und seelisches Wohlbefinden.
64
9
KOMMUNIKATION MENSCH – FARBE – RAUM
Der Aufforderungscharakter ist dadurch bestimmt, wie sich
entwickeln, dass der Mensch in diesen Umwelten unter wei-
die Energie und Qualität des Raumes unmittelbar auf Akzep-
testgehend optimalen Bedingungen lebt, ist eine vorrangige
tanz oder Ablehnung des Raumes auswirken. Aufforderungs-
Aufgabe sinnvoller Gestaltungspraxis. Das bedeutet für die
charakter signalisiert auch bestimmte Handlungsmöglichkei-
Entwicklung von Farbkonzeptionen:
ten. Durch kognitive Bewertung seitens der Nutzer führt er zu
Ganzheitliches
einer Förderung oder auch Verhinderung von Handlungen.
Mensch – Farbe – Raum
Denken
und
Analysieren
bezogen
auf
Prägnanz ist ein wesentlicher Faktor funktionsbezogener
fundierten Kenntnissen wissenschaftlicher Forschungsergeb-
Farbgestaltung. Prägnanz bezieht sich darauf, wie klar der ar-
nisse zum Thema „Farbe“ und ihrer Randgebiete Beachtung
chitektonische Ausdruck die funktionale Bedeutung des Rau-
zu schenken, empirischen Erkenntnissen mit Offenheit zu be-
mes widerspiegelt. Prägnante Gestaltung veranschaulicht
gegnen
klar, spezifisch und charakteristisch die funktionalen Ziele und
diese mit Intuition, Kreativität, ästhetischem Empfinden so-
Absichten.
wie professionellem „Know-how“ zu vereinen.
Aneignung ist aus umweltpsychologischer Sicht ein Mechanismus, der sämtliche Handlungsmöglichkeiten umfasst,
Mit Hesselgren lassen sich für eine positive Beziehung zwi-
die der Ergreifung oder der Inbesitznahme des Raumes dienen.
schen Mensch und Raum folgende Anforderungen zusammen-
Aneignung bezieht sich auf die Identifikation mit dem Raum
fassen:
aufgrund persönlicher Bedürfnisse, denen der Raum entge-
Die bei der Raumwahrnehmung ausgelösten Emotionen müs-
genkommt. Der einzelne Mensch kann sich mit dem Raum
sen positiv sein.
identifizieren, wenn er seine persönlichen Bedürfnisse berück-
Raum muss als schön und interessant erfahren werden durch
sichtigt. Art und Weise der Raumaneignung sind vielfältig. Sie
die Erfüllung formal-ästhetischer Anforderungen.
reichen von Versuchen des Säuglings, seine Umwelt zu begrei-
Der architektonische Ausdruck muss aus ethischer Sicht als
fen, sie mit Hilfe der Sinne zu erforschen, bis hin zu Aktivitäten
wahr erfahren werden.
des Menschen, seine räumliche Umgebung zu personalisieren,
Raum muss funktional zufrieden stellen.
um sich emotional zu identifizieren und wohlfühlen zu können. Aneignung ist nicht nur ein persönlicher Akt, sondern
GESTALTUNGSRELEVANTE BEDÜRFNISSE
ebenso ein sozial-kommunikativer. Auch Gruppen, wie bei-
DES MENSCHEN
spielsweise Schulklassen, eignen sich einen gemeinsamen
Neben der Erfüllung seiner physiologischen Bedürfnisse wie
Raum dadurch an, dass sie ihn möglicherweise mitgestalten,
Licht, Luft, Nahrung, Schlaf, Sexualität hat der Mensch weite-
um ihn zu ihrem Raum zu machen.Von Ausnahmen abgesehen,
re Grundbedürfnisse, die auch im Blick auf Raumgestaltung
kann sich im privaten Raum, wie Wohnhaus und Wohnung, der
von Interesse sind. Eines der elementarsten Grundbedürfnis-
persönliche Raum am ehesten und besten behaupten. Aneig-
se bezieht sich auf das Erleben der eigenen Existenz, der Er-
nung erreicht dort, sofern sie den wahren Bedürfnissen der
fahrung: „Ich bin.“ Durch Berührung und Kontakt macht der
Raumbenutzer entspricht, ihre stärkste Ausprägung.
Mensch die wesentliche Erfahrung der Abgrenzung des eige-
Der moderne Mensch verbringt in der Regel mehr als 80 %
nen Leibes von der Materie der Außenwelt und erlebt dadurch
der Zeit in geschlossenen Räumen. Ein Bewusstsein dafür zu
sich selbst. Diese Erfahrung wird ebenso gestützt durch die
65
Begrenzungen, Objekte und Materialien des Raumes. Ein wei-
der frühesten Kindheit, gefolgt von einer Erziehung, die Initia-
teres Bedürfnis ist das nach Orientierung: nach Orientierung
tive, Aktivität, autonomes Verhalten und Handeln, verbunden
im Raum wie auch nach Orientierung in der Lebensgestaltung.
mit Wertschätzung unterstützt. Einschneidende Erlebnisse
So kann Gestaltung, die sich am Menschen orientiert, Sinn
und Veränderungen führen mitunter zu Erschütterungen der
vermitteln und Wert bilden. Zum Bedürfnis nach Orientierung
Identität, der mit Unterstützung von außen und durch eigene
zählt das Bedürfnis nach Kontrolle. Kontrolle bedeutet Bewäl-
Aktivität begegnet werden kann.
tigung von Situationen, wie auch Durchsetzung und Verwirk-
Es ist wichtig, Räume zu gestalten, die Vertrauen vermitteln
lichung von Zielen. Verbunden mit dem Streben nach Kontrol-
und in ihrem Ausdruck verstanden werden, die dazu anregen,
le ist das Streben nach Handlungsspielraum. Die gestaltete
sich mit den Objekten zu befassen und die ebenso für soziale
Umwelt kann hierzu wichtige Rahmenbedingungen schaffen,
Beziehungen offen sind und ihnen Raum geben.
die Menschen bei der Bewältigung ihrer Situation unterstüt-
Im Prozess der Mensch-Umwelt-Beziehung spielt das Ge-
zen. Etwas zu verstehen ist „ein erster, wichtiger Schritt auf
samtsystem unserer Sinne die tragende Rolle. Die Psycholo-
dem Weg zur Kontrolle“ (Wolfram Kurz).
gie betrachtet dabei drei Bedürfnisarten als wirksam:
Das Bedürfnis nach Kontrolle zeigt sich Lenelies Kruse zufolge besonders in Kontrolle über
Das Impressionsbedürfnis: sich von der Umwelt beeindrucken zu lassen
den Informationsfluss
Das Expressionsbedürfnis: sich zum Ausdruck zu bringen
die Stimulation durch Umweltreize (Sinneswahrnehmungen)
Das Explorationsbedürfnis: die Umwelt zu erkunden und zu
soziale Interaktionen.
verstehen.
Ein weiteres Grundbedürfnis ist das nach Kommunikation. Es beinhaltet sowohl das Bedürfnis nach sozialer Bindung und
Darüber hinaus sucht der Mensch aus archetypischer Veranlagung nach Harmonie und Schönheit.
Beziehung zu den Objekten der Umwelt als auch das Bedürf-
Zur Sensibilisierung bieten wir einen Katalog an Bedürfnis-
nis nach Identität. Identität bildet sich auf dem Fundament
sen und Anforderungen an die soziale und räumliche Umwelt
der Erfahrung von Geborgenheit, Sicherheit und Vertrauen in
an:
Abwechslung
66
Achtung
Anerkennung
Angenommensein
Aktivierung
Anregung
Anreize
Aufmerksamkeit
Auseinandersetzung
Ausgleich zur virtuellen Welt
Austausch
Atmosphäre
Behaglichkeit
Beheimatung
Berührung
Dynamik
Echtheit
Eigenständigkeit
Entfaltungsfreiheit
Eroberungsdrang
Entspannung
Förderung
Freiheit
Freundlichkeit
Führung
Geborgenheit
Grenzen
Harmonie
Herausforderung
Hygiene
Identitätsförderung
Klarheit
Kommunikation
Kontakt
Konzentration
Kreativität
Lebensfreude
Licht
Materialqualität
Mitgestaltung
Nähe
Natürlichkeit
Natur
Offenheit
Ordnung
Orientierung
Privatheit
Respekt
Rituale
Ruhe
Schönheit
Schutz
Sicherheit
Spielraum
Stabilität
Struktur
Selbstverwirklichung
Selbstbestimmung
Spiritualität
Toleranz
Trost
Umweltverträglichkeit
Vor-Ordnung
Vitalität
Wärme
Wohlbefinden
Zärtlichkeit
Zuwendung
KOMMUNIKATION MENSCH – FARBE – RAUM
Farbwirkungen im Raum
nah
fern
eng
weit
hoch
niedrig
>
9
67
ASPEKTE DER FARBWAHRNEHMUNG IM RAUM
Innerhalb eines Bunttonbereiches wirkt die hellere Nuance
Den genannten physikalisch-optischen Grundlagen entspre-
leichter als die gesättigte (Rosa wirkt leicht, Rot dagegen
chend ergibt sich ein Prinzip perspektivischer Farbwahrneh-
schwer). Allerdings ist die Wirkung von schwer und leicht im
mungen im Raum:
Raum eindeutiger, wenn man Wand- und Deckenfarben ver-
In den Vordergrund treten: warme, bunte und helle Farbtöne (Orange, Ocker, Sandgelb). Im Mittelfeld stehen: Farben ohne deutliche Kalt-Warm-Position (Grün, Violett, Purpur).
gleicht. Hellblau an einer Decke ist an sich noch nicht leicht, wenn ihm eine weiße Wand zugeordnet ist. Diese Farbe wirkt aber leicht auf einer sandfarbigen oder neben einer dunkleren Holzwand. Die räumlichen Wirkungen satter, bunter Farben
In den Hintergrund treten: kühle und helle Farben (Hellblau,
werden im räumlichen Gestalten selten verwendet. In der ar-
Lindgrün), ebenso dunkle warme und dunkle kühle Farben
chitektonisch-innenräumlichen Realität kommen vielmehr
(Dunkelbraun, Dunkelblau).
verhülltere Nuancen zur Anwendung (Aufhellungen und Ab-
Entscheidend für die Farbraum-Illusion ist das Verhältnis
dunklungen). Wir verweisen darauf, dass die Farbwirkungen
von Figur und Grund. So kann zum Beispiel Schwarz vor Weiß
im Raum, an Boden, Wand und Decke immer abhängig sind
stehen, wenn Schwarz mehr Figurwert hat. Sonst steht Weiß
von der Helligkeit und der Sättigung einer Farbe.
vor Grau und dieses vor Schwarz, wobei wiederum die Proportionen der Flächen eine Rolle spielen.
Jede Farbe relativiert sich über die Nuance und das Material, mit dem sie verbunden ist.
Farben können bedeutungsmäßig nach den Regeln der Farb-Perspektive eingesetzt werden. Sie können generell zur
In der folgenden Tabelle sind Grundempfindungen von Farb-
Beeinflussung der Wirkung von Raumproportionen verwen-
wirkungen im Raum aufgezeigt, die Erfahrungen aus mehre-
det werden, wie beispielsweise weit, eng, hoch, niedrig. Hier
ren Jahrzehnten der Lehre im Fachbereich Innenarchitektur
spielt die zwischensinnliche (intermodale) Erlebnisqualität
und der Ausbildung von Farbdesignern zusammenfasst. Ab-
leicht/schwer eine Rolle. Als leicht werden helle, als schwer
weichende Empfindungen sind auf der Grundlage individuel-
dunkle Farben erlebt.
ler Erfahrungen natürlich denkbar.
Bei gleich hellen Bunttönen wirken: passive Farben, zum Beispiel Grün, Grünblau leichter und aktive Farben, zum Beispiel Rot schwerer.
68
9
KOMMUNIKATION MENSCH – FARBE – RAUM
Boden
Wand
Decke
sandig, leicht
wärmend, weitend
leicht, schließend
nicht tragend, motorisch erregend
erregend bis irritierend
leuchtend
tragend, erdig, trittsicher
bedrückend, einengend
lastend
pudrig, leicht, weich
wärmend, anregend
leicht, schließend
erregend bis irritierend, aufreizend, grell
leuchtend, wärmend bis hitzig, aggressiv
aufregend, irritierend
tragend, trittsicher, vertraut
erdrückend, einengend
abschließend, drückend bis lastend
fremd, labil, lieblich
zart, parfümiert, blumig
drückend, warm
festlich, majestätisch
dominant
verschließend, lastend
edel, aufwertend, kostbar
bestimmend
bombastisch, eingreifend
grundlos, lieblich
duftig, blumig
zart, parfümiert
wertvoll, majestätisch
mystisch, künstlich
geheimnisvoll
luxuriös
magisch, geheimnisvoll
verschlossen
schwebend, eisig
kühl, zurückweichend, beruhigend
himmelartig, kühl bis luftig
zurückweichend, wässrig
kalt, fremd, distanziert
schwer, unräumlich
vertiefend, grundlos
beengend, distanziert
kühlend, lastend, mächtig
schwebend
weitend
neutral, schließend
natürlich, sicher
eingrenzend
schließend, drückend
trittsicher, fest
bestimmend
bedrückend
grundlos, fremd, leer
neutral, frei
offen, weit, leicht
vertiefend, abstrakt
einengend
drückend, lastend
trittsicher, neutral, fest
beengend, massiv
abdeckend, drückend
69
10 PRAXIS DER FARBGESTALTUNG
Die farbliche Gestaltung der Raumelemente, das Beziehungs-
zu vermitteln. Gleichwohl lassen sich grundlegende Aspekte
gefüge und Zusammenwirken der Farben im Raum ist von tra-
zur Entwicklung von Farbkonzeptionen aufzeigen, die auch
gender Bedeutung. Farbgestaltung ist nicht Selbstzweck; ihre
als Anregung zu einer vertiefenden Auseinandersetzung zu
Aufgabe erfüllt sie nur, wenn alle Elemente der Raumgestal-
begreifen sind.
tung aufeinander abgestimmt sind und sich gegenseitig unterstützen. Farbgestaltung erfordert grundsätzlich eine fach-
ASPEKTE INNENARCHITEKTONISCHER
lich qualifizierte Auseinandersetzung mit der Wirkung von
FARBGESTALTUNG
Farben im räumlichen Kontext unter Berücksichtigung phy-
Damit Farbe sinnvoll zur Anwendung kommt, das heißt dem
siologischer, ergonomischer, psychologischer, funktionaler
Menschen, dem architektonischen Raum, seinen Funktionen
und ästhetischer Anforderungen. Das farbige Erscheinungs-
und Elementen entsprechend, sind folgende, miteinander ver-
bild des Raumes, in dem sich der Mensch aufhält und tätig ist,
bundene Aspekte von wesentlicher Bedeutung:
ist ein maßgebender, ihn ganzheitlich beeinflussender Faktor.
Bezug der Farbe zum Menschen
Es muss daher gewissenhaft analysiert und geplant werden.
physiologische Anforderungen
Die sinnlich wahrzunehmende und zu erlebende Ganzheit
psychologische Anforderungen
muss im Blickfeld farbgestalterischer Überlegungen stehen. Nur so ist eine dem Menschen gemäße Gestaltung zu ver-
Bezug der Farbe zur Gebäude- und Raumfunktion
wirklichen. Eine Umwelt, die raumfunktionsbezogene Infor-
Bezug der Farbe zum Raum und seinen Elementen
mationen vermittelt, persönlichen Freiraum lässt und zu
Orientierung
Erlebnisqualitäten beiträgt, führt zu Wohlbefinden, mensch-
Umwelt- und gesundheitsverträgliche Materialien und Farben
lichem Verhalten und Handeln.
Ästhetische Qualität
Dieser Zusammenhang gilt in allen Bereichen der
Bezug der Farbe zum Menschen
Raumgestaltung:
Im Zentrum der Gestaltung steht der Mensch. Der wesentliche
in Bildungsstätten,
Aspekt bezieht sich somit auf ihn und sein Empfinden von
in Sport- und Freizeiteinrichtungen,
Harmonie im Raum. Lassen sich beispielsweise bei der Gestal-
in Arbeitsstätten,
tung privater Lebensbereiche wie Wohnhaus oder Wohnung
im Gesundheitswesen und Pflegebereich,
individuelle Entscheidungen treffen und persönliche Bedürf-
in Senioreneinrichtungen,
nisse erfüllen, so verlangt die Gestaltung öffentlicher Gebäu-
in der Gastronomie,
de und Räume den Bezug zu heterogenen Gruppen von Be-
im privaten Wohnbereich
wohnern und Nutzern. Diese sind im Einzelfall einer
sowie in hier nicht behandelten Feldern wie Kultureinrichtun-
gestalterischen Aufgabe mittels einer Personenkreisanalyse
gen und Sakralräumen.
zu erfassen. Dabei sind Gemeinsamkeiten von Umweltbedürfnissen zu analysieren, die als Gestaltungsgrundlage in Be-
Diese unterschiedlichen Gestaltungsfelder stellen aufgrund
tracht zu ziehen sind.
ihrer spezifischen Funktionen und Nutzerschaften sowie in-
Die gestalterische Konzeption muss so angelegt sein, dass
nen- und außenräumlichen Bedingungen auch sehr unter-
sie, bezogen auf den einzelnen Menschen, möglichst optima-
schiedliche Anforderungen an die Farbkonzeption. Folglich
le, visuell störungsfreie Bedingungen schafft. Dies erfordert
sind dafür weder Dogmen noch einfache Regeln oder Rezepte
gleichwohl eine objektivierende Auseinandersetzung mit
70
10
PRAXIS DER FARBGESTALTUNG
Nutzerwünschen und Vorstellungen von Entscheidungsträ-
Psychologische Anforderungen
gern. Es erfordert den Dialog, Bereitschaft zur Kommunikati-
Verbunden mit den physiologischen sind die psychologischen
on und Kooperation sowie Distanz von subjektiven Farbvor-
Anforderungen. Sie beziehen sich auf die psychischen Wirkun-
stellungen auf Seiten von Beratern und Gestaltern bei der
gen des Farbmilieus, auf die symbolischen Botschaften, Asso-
Lösung einer Gestaltungsaufgabe. Anforderungs- und Akzep-
ziationen, Anmutungen und auf das atmosphärische Gesamt-
tanzprofile sind im Gestaltungsprozess hilfreiche Mittel zur
klima. Die Anmutungsqualität der visuellen Oberflächen
Unterstützung und Überprüfung von Farbkonzeptionen, ge-
bestimmt entscheidend die persönliche Akzeptanz. Farbe ist
gebenenfalls auch die Gestaltung von Musterräumen im Falle
im Zusammenspiel mit der räumlichen Organisation auf der
umfangreicher Projekte.
subjektiven Ebene des Wohlbefindens wirksam.
Eine verantwortungsvolle Farbgestaltung, welche die Material- und Lichtkonzeption einschließt, muss folgenden
Ob wir Farben und Farbkombinationen im Raum als wohltu-
grundlegenden physiologischen und psychologischen Anfor-
end oder unangenehm empfinden, positiv oder negativ
derungen genügen:
bewerten, hängt neben persönlichen Farbvorlieben und -abneigungen von folgenden grundlegenden und zusammenhän-
Physiologische Anforderungen
genden Faktoren ab, von:
Die physiologischen Anforderungen beziehen sich neben
dem Maß der Buntheit und der Kontraste,
gesundheitsverträglichen Materialien hauptsächlich auf die
den Farbproportionen,
Physiologie des Sehens, auf visuelle Ergonomie mit der
dem Verhältnis von Fläche und Farbe, Form und Farbe,
Zielsetzung, Augen und Organismus zu schonen. Lichtverhält-
der Lage der Farbflächen im Raum.
nisse und Farbgebung müssen so beschaffen sein, dass Sehstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten und Ermüdungs-
Wichtig ist, das Maß an Farbreizen (Buntheitsgrad) und Reiz-
erscheinungen vermieden werden, die beispielsweise durch
wechseln (Kontrasten), das dem Menschen zuträglich ist, in
Blendungen und Spiegelungen, durch Kontrastarmut oder
Betracht zu ziehen. Unserem natürlichen Empfinden und Le-
harte Hell-Dunkel-Kontraste, intensive großflächige Farbreize
bensrhythmus entsprechen wechselnde Eindrücke, die wir
und irritierende Muster im direkten Blickfeld hervorgerufen
aus der Umwelt empfangen. Diese Tatsache ist bei der Gestal-
werden und die bei langandauernder Einwirkung zu einer ho-
tung von Räumen unbedingt zu beachten, um den Menschen
hen visuellen Anstrengung führen. In Verbindung mit der Farb-
nicht der Eintönigkeit auszusetzen, die ihn aus dem Gleichge-
gestaltung ist die Beleuchtung von großer Bedeutung. Grund-
wicht bringt und einseitig belastet. Monotonie und Reizarmut
sätzlich sind dabei folgende Punkte zu erfüllen:
(sensorischer Mangel), beispielsweise durch schattenlose
Schutz vor störendem Glanz und vor Reflexblendung sowie
Helligkeit/ fehlende Leuchtdichte-Unterschiede, strukturlose
Direktblendung,
Oberflächen und spannungsarme Farbgebung, können eben-
angemessene Beleuchtungsstärke, wobei zu beachten ist,
so zu Fehlregulationen führen wie ein Überangebot an Um-
dass der Lichtbedarf des Menschen mit zunehmendem Alter
weltreizen (Reizüberflutung), das gefährliche Stressfaktoren
steigt,
birgt. Die Aufgabe sinnvoller Farbkonzeptionen besteht dem-
ausgewogene Leuchtdichte-Verteilung,
nach auch darin, nach Ausgleich zu suchen, nach Abwechslung
natürliche Schattigkeit,
und Anregung, eingebunden in eine visuelle Ordnung, um be-
geeignete Lichtfarbe,
lastende Wahrnehmungszustände zu vermeiden. Subtile Sti-
gute Farbwiedergabe-Eigenschaften.
mulation mittels Farbe ist ein grundlegendes Kriterium zur Überwindung von Monotonie und Reizüberflutung. In diesem
71
Zusammenhang spielen Farbverwandtschaften (das Verbin-
mäßigten Buntanteils ist zu achten. Die Farbsubdominante ist
dende) und Farbkontraste (das Unterscheidende) im Raum ei-
die ästhetische Begleitfarbe. Sie bezieht sich harmonisch auf
ne wesentliche Rolle. Kontraste vermitteln Körperlichkeit und
die Dominanzfarbe und dient zur Differenzierung. Farbakzen-
sind von wesentlicher Bedeutung für das Raumerlebnis, auch
te heben sich von den dominanten und subdominanten Farb-
für die Orientierung im Raum. Eine kontrastarme, undifferen-
flächen und Farbkörpern deutlich ab. Sie sollten nur in gesät-
zierte Farbgebung wirkt desorientierend und vermittelt kein
tigten kleinen Proportionen angewandt werden: Akzente
klares Raumbewusstsein.
erregen und lenken die Aufmerksamkeit, haben Signalwirkung und geben Impulse. Sie eignen sich zur Betonung von
Die Hauptkontraste lassen sich erzeugen durch unterschiedliche Farbtöne (Kontraste im Buntton),
Raumelementen, vor allem auch für Accessoires. Für eine ausgewogene Farbkonzeption ist das Verhältnis
unterschiedliche Sättigung (Kontraste in der Buntkraft),
von Fläche und Farbe sowie Form und Farbe ebenso zu berück-
unterschiedliche Helligkeit (Kontraste im Hellbezugswert).
sichtigen: Je größer die Fläche und je differenzierter die Formensprache, desto zurückhaltender sollte die Farbaussage
Bei Farbkombinationen in der Raumgestaltung sind meist
sein. Schließlich sollte die Farbgebung in Langzeit-Aufent-
mehrere Kontraste wirksam. Auch die Farbproportionen im
haltsräumen so dezent und dennoch ausdrucksvoll sein, dass
Raum sind zu beachten, da es nicht gleichgültig ist, in welchen
der persönliche Gestaltungsspielraum, Fantasie, Kreativität
Flächengrößen beziehungsweise Mengenverhältnissen Far-
und letztlich Freiheit der Raumbenutzer berücksichtigt sind.
ben im Raum erscheinen. Gleiche Farbkombinationen in un-
Farbe im Raum sollte den Menschen nicht überwältigen, son-
terschiedlichen Farbproportionen ergeben jeweils andere
dern ihm dienen, sollte nicht aufregen, sondern anregen. In-
Raumeindrücke und Raumwirkungen. Man unterscheidet do-
tensive, starkbunte Farbreize können ohne Nachteile auch in
minante, subdominante und akzentuierende Farbflächen. Die
großer Fläche in Räumen angewandt werden, die eine nur re-
Farbdominante (quantitativ vorherrschende Farbe) gibt die
lativ kurze Zeit genutzt werden.
räumliche Grundstimmung an. Dominierende Farbflächen
Die Lage der Farbflächen im Raum sowie deren Oberflä-
müssen für das Auge erträglich sein. Auf eine Farbgebung ge-
chenbeschaffenheit sind ebenso zu berücksichtigen. Je nach
Veränderung der Anmutung durch Hell-Dunkel-Kontraste zwischen Dominante-Subdominante-Akzent
72
10
PRAXIS DER FARBGESTALTUNG
ihrer Lage – an Fußböden, Raumwänden und Raumdecken –
spricht: die Farbe für die Decke ist eher heller und diejenige für
wirken Farben sehr unterschiedlich. Die Farbe des Fußbodens
den Boden eher dunkler als die Wandfarbe zu wählen.
empfinden und beurteilen wir vom natürlichen Bodenerlebnis
Unter Berücksichtigung der physiologischen und psycholo-
aus. Dabei ist die stoffliche Beschaffenheit des Bodens wich-
gischen Anforderungen ist darüber hinaus darauf hinzuwei-
tiger als die Farbe. Generell ist zu empfehlen, einen Fußbo-
sen, dass, von Ausnahmen abgesehen, Nuancen aus dem
denbelag nicht gleich hell oder entscheidend heller als die
Bereich der warmen als auch dem der kühlen Farben zur An-
Wände zu wählen, da dies Verunsicherungen im Raumerlebnis
wendung im Raum kommen sollten. Dadurch wird das vege-
provozieren kann.
tative Nervensystem angeregt und günstig beeinflusst. In vie-
Die Wand ist für unser Empfinden von besonderer Bedeu-
len Fällen führt die Berücksichtigung dieser Empfehlungen zu
tung: Sie kann beengend oder weitend wirken, wärmend oder
einer psychologisch richtigen Raumgestaltung. Es gibt durch-
kühlend, bedingt durch ihre Farbgebung und Materialbeschaf-
aus Raumfunktionen und Gestaltungsziele, die Abweichun-
fenheit. Nuancen aus dem Bereich der warmen Farben wirken
gen erlauben.
nähernd, Nuancen aus dem Bereich der kalten Farben hingegen distanzierend. Die Raumdecke kann je nach Buntton und Nuance leicht
Bezug der Farbe zur Gebäude- und Raumfunktion
oder schwer beziehungsweise lastend wirken. Leichter wirkt
Für vorgesehene Funktionen einen geeigneten Rahmen zu
eine Decke in Bezug zur Wandfarbe immer durch eine Aufhel-
schaffen, ist eine der wesentlichen Aufgaben sinnvoller Ge-
lung. Decken, die dunkler als die Wände sind, lassen einen
staltung: In seiner gestalterischen Gesamtheit müssen ein
Raum niedriger erscheinen.
Gebäude und seine Räume das ausdrücken und anregen, was
Diese Einzelbetrachtungen über Helligkeit und Nuancen
ihrer spezifischen Aufgabe entspricht. Aufgrund ihrer symbo-
der Farbwahl zeigen, welches die Instrumente sind, mit denen
lischen Bedeutung und assoziativen Wirkung vermögen Far-
Raumproportionen beeinflusst werden.
ben Funktionen zu versinnbildlichen und damit jeder Gebäu-
Farbgebung im Raum sollte dem Helligkeitsgefälle entspre-
de- und Raumnutzungsart eine adäquate, funktionsbezogene
chen, das den Erfahrungen des Menschen in der Natur ent-
Atmosphäre zu verleihen, die sich auf die Nutzer und die Le-
<
Ausgewogene, zurückhaltende Farbgebung eignet sich für Langzeitaufenthaltsräume, Agentur Panama, Stuttgart
<
Starkbunte Farbreize und intensive Kontraste sind nur für Kurzzeitaufenthaltsräume zu empfehlen Agentur Panama, Stuttgart
73
bensvorgänge, die sich in einem Raum verwirklichen (sollen),
Zwischen dem Menschen und seiner Umgebung kann Far-
bezieht. Nach J. Pankoke nutzt die Farbsymbolik sozusagen
be vermittelnd wirken. Dort, wo äußere Umstände und Bedin-
die Farbe als Träger unterbewusster Bedeutungsinhalte, in-
gungen belastend und aufreibend sind, kann ein betont zu-
dem sie Anmutungen und Assoziationen mit intuitiven Farb-
rückhaltendes Farbmilieu zur inneren Beruhigung beitragen.
vorstellungen verknüpft. Auf dieser Ebene kann man mit Far-
In Umgebungen, die wenig Abwechslung bieten, können sinn-
be Beziehungen zwischen dem Nutzer, seiner Tätigkeit und
voll gesetzte, wechselnde Farbimpulse anregende Eindrücke
dem architektonischen Raum herstellen. Farbe vermittelt zwi-
vermitteln.
schen diesen Faktoren und schafft damit Identifikation. Hier
Generell empfiehlt es sich bei Gebäuden mit unterschied-
greift sie besonders tief in die Physis und Psyche des Men-
lichen Raumfunktionsbereichen neben gebäudeeinheitlichen
schen ein, nimmt Einfluss auf sein Wohlbefinden, seinen „psy-
Festlegungen, im Sinne einer dem menschlichen Organis-
chologischen Komfort“. Aus einer Farbstimmung heraus wer-
mus zuträglichen Farbdynamik, farblich zu differenzieren. Das
den dem Nutzer Handlungsanweisungen übermittelt.
räumliche Ensemble wirkt dadurch insgesamt anregender
Farbe kann damit den sonst überwiegend physikalischen
und erlebnisreicher.
Faktoren des Raumklimas (wie Temperatur, Luftbewegung,
Die „Erlebnisdimension“ in der Beziehung zwischen
Luftfeuchtigkeit, Luftqualität, Licht, Schall) zugerechnet wer-
Mensch und Raum ist ein ganz wesentlicher Aspekt, der nicht
den, die gemeinsam auf das Ziel Behaglichkeit ausgerichtet
vernachlässigt werden darf. Bloßer Funktionalismus ist un-
sind. Behaglichkeit ist jener Gleichgewichtszustand, der ein-
menschlich. Er reduziert den Menschen als Ganzheit.
tritt, wenn die Gemeinsamkeit dieser Faktoren mit der auf Wohlbefinden ausgerichteten physiologischen und psycholo-
Bezug der Farbe zum Raum und seinen Elementen
gischen Reaktion übereinstimmt.
Farbe ist ein geeignetes Mittel zur visuellen Unterscheidung
Unterschiedliche Gestaltungsfelder (wie zum Beispiel pri-
oder auch Zusammenfassung architektonischer und raumbil-
vate Wohnhäuser und Wohnungen, Hotels, Bildungseinrich-
dender Elemente. Raumelemente und Einrichtungsgegen-
tungen, Arbeitsstätten, Seniorenheime, Krankenhäuser) ha-
stände mit unterschiedlichen Funktionen, die sich farblich
ben jeweils andere Funktionen. Demnach stellen sich auch
voneinander absetzen, sind für den Betrachter leichter ver-
unterschiedliche Anforderungen an die Gestaltung des Farb-
ständlich. Sie ermöglichen eine bessere Orientierung. Indem
milieus.
Gruppen von Bauwerksteilen, Raumelemente und Einrich-
>
Zusammenfassende Farbgestaltung verschiedener raumbildender Elemente, Intelligent House Solutions, Berlin
74
10
PRAXIS DER FARBGESTALTUNG
tungsgegenstände gleichen Materials oder gleicher Funktion
digen und gut lesbaren Kennzeichnung aller Wege, Orte und
untereinander farblich zusammengefasst, aber differenziert
„Adressen“ liegt. Letzteres durch eine differenzierte Gestal-
werden, kann Farbe zum Ordnungselement werden und damit
tung der verschiedenen Raumbereiche. Visuelle Orientie-
auch die „Lesbarkeit“ von Räumen erhöhen. Dies ist in kom-
rungshilfen mittels Farbe tragen dazu bei, Gebäude und
plexen Anlagen besonders wichtig. Durch das Differenzieren
Räumlichkeiten rasch und einprägsam zu erfassen.
mit Bunttönen und Nuancen ist es möglich, optische Prioritäten und Wertigkeiten zu bestimmen, Wichtiges von weniger
Umwelt- und gesundheitsverträgliche Materialien
Wichtigem zu unterscheiden, Aufmerksamkeit zu erregen, zu
und Farben
etwas hinzuführen.
Für Gebäude und deren räumliche Ausgestaltung ist bei der Ma-
Im Sinne einer solchen differenzierten Gestaltung, die auch
terial- und Farbwahl auf die Verträglichkeit für Mensch und Um-
unterschiedliche Erlebnisqualitäten vermittelt, ist darauf zu
welt zu achten. Der Einsatz von Materialien, die aufgrund ihrer
achten, dass Strukturen und Texturen verwendeter Materia-
Qualitäten das Raumklima und damit auch das Befinden des
lien und Materialfarben durch die Wahl der Oberflächenbe-
Menschen im Raum günstig beeinflussen, ist wünschenswert.
handlung nicht verloren gehen, sondern „lebendig“ erhalten
Zu einer Selbstverständlichkeit sollte inzwischen die Anwen-
bleiben. Dies gilt vor allem für natürliche Materialien. Oberflä-
dung biologisch unbedenklicher Materialien geworden sein.
chenbehandlungen verfremden, sofern sie nicht transparent
Ebenso selbstverständlich sollte die Verwendung umwelt- und
sind, Charakter, Aussage und Anmutungsqualität von Materia-
gesundheitsverträglicher Farbpigmente, Anstrichmittel, Ver-
lien.
dünnungs- und Bindemittel werden.
Orientierung
Ästhetische Qualität
Die Orientierung spielt insofern eine wesentliche Rolle, als es
Raumgestaltung sollte als Ziel eine ganzheitliche Ästhetik er-
notwendig ist, sich sowohl in größeren architektonischen An-
geben. Diese wird durch atmosphärische, informative, funktio-
lagen zurechtzufinden als auch Raumfunktionsbereiche klar
nale und ästhetische Qualitäten gebildet, durch ein logisches
voneinander unterscheiden zu können. Ersteres lässt sich
und ausgewogenes Zusammenspiel von Formen, Materialien,
durch ein entsprechendes visuelles Orientierungs- oder Leit-
Strukturen, Licht und Farben. Für eine ausgewogene und äs-
system erreichen, dessen Aufgabe in einer richtigen, vollstän-
thetische Farbkonzeption sind daher auch die Beziehungen der
<
Farbliche Differenzierung dient besserer Orientierung
75
Farbelemente von wesentlicher Bedeutung. Farbverwandt-
RAUM ALS SINNESANREGENDES MILIEU
schaften, Farbkontraste und Farbproportionen sind Gesichts-
Räume, die dem Wohlbefinden, der Anregung und Entfaltung
punkte, die dabei zu berücksichtigen sind. Sie müssen ein
der Sinne dienen, erfordern eine subtile und ausgewogene
ganzheitliches, der Gestaltungsaufgabe entsprechendes Be-
Stimulation der gesamten Sinnesorganisation.
ziehungsgefüge ergeben – bedachte Farbharmonie statt bedenkenloser, beliebiger Buntheit. Damit der ganzheitliche Charakter eines Gebäudes und sei-
Dabei sind nachfolgende auf die einzelnen Sinne bezogene Faktoren bei Gestaltungsüberlegungen und -entscheiden zu berücksichtigen:
ner Innenräume trotz gestalterischer Differenzierung erhalten
Der Anregung des Tastsinns dienen ein differenziertes Ma-
bleibt, sind daher auch gebäudeeinheitliche Festlegungen
terialangebot mit unterschiedlichen Oberflächenstrukturen,
empfehlenswert, welche die Teile, die Funktionsbereiche un-
berührungsstimulierende Formen und Stabilität vermittelnde
tereinander, ebenso die Außen- und Innenraumbereiche mitei-
Bodenbeläge.
nander verbinden.
Der Vitalitätssinn/Behagenssinn wird positiv stimuliert
Ästhetisch ausgewogene, sinnvolle Farbkonzeptionen sind
durch energiespendende Licht-, Material- und Farbwahl, durch
zeitlos und unabhängig. Sie unterliegen keinem Trend. Ästhe-
eine physiologischen und psychologischen Komfort vermit-
tische Qualität der Farbgestaltung ist auch ein Identitäts- und
telnde Atmosphäre wie auch durch gesundheitsverträgliche,
Imagefaktor in allen Bereichen architektonischer und innenar-
milieufreundliche Materialien.
chitektonischer Gestaltungen.
Dem Bewegungssinn entsprechen aktivierende Farbdyna-
Architektonische Farbgestaltung ist umso besser, je weni-
mik und Farbkontraste im Raum und in räumlichen Zusam-
ger sie von den anderen Gestaltungskomponenten isoliert
menhängen, ebenso flexible Einrichtungsobjekte und eine be-
wahrgenommen wird. Sie sollte den Menschen in allen drei
wegungsfördernde Anordnung des Mobiliars, die auch der
Dimensionen seiner Existenz ansprechen – ihn beleben, be-
Förderung sozialer Dynamik dient.
seelen und begeistern.
Der Gleichgewichtssinn verlangt nach visueller BalanceOrdnung und Ausgewogenheit zwischen abwechslungsrei-
76
10
PRAXIS DER FARBGESTALTUNG
chen, stimulierenden Eindrücken, guter Orientierung und dem
Die „Temperatur“ des Raumes wird durch die Raumfunktion
menschlichen Maßstab entsprechender Raumdimensionie-
und die Nutzerbedürfnisse bestimmt.
rung. Der Geruchsinn bedarf wohlriechender, bevorzugt natürlicher Materialien und geruchsneutraler Stoffe. Der Geschmacksinn/Qualitätssinn entfaltet sich durch
Der Hörsinn bedarf guter akustischer Konditionen durch die Materialien, angemessener Proportionen und der Herstellung von Beziehung im Zusammenklang der Gestaltungselemente zu einem harmonischen Ganzen.
hochwertige Materialqualität, ganzheitlich-ästhetische Kom-
Dem Sprachsinn dienen eine deutlich lesbare und verständ-
position, den Nutzerbedürfnissen und funktionalen Anforde-
liche Synthese und Prägnanz im Gestaltausdruck (Prägnanz
rungen entsprechend, sowie durch Echtheit und Angemessen-
der Botschaft).
heit der gestalterischen Lösung. Eine positive Anregung des Sehsinns erfordert Berücksichtigung aller physiologischen, psychologischen, ergonomi-
Der Gedankensinn sucht die Vermittlung von „wahren“ Botschaften der gestalterischen Absicht und Ziele bei Verzicht auf „Scheinwelten“ und „Illusionen“.
schen und ästhetischen Aspekte, zielgerichtete Dosierung von
Der Ich-Sinn wird gefördert durch eine Atmosphäre von Ver-
Licht und Farbe – ein stimmiges Maß an Buntheit, Kontrasten
trautheit statt Fremdheit, durch Ermöglichung von Identifika-
und Farbproportionen, eine positive Atmosphäre und sensibel
tion mit der Raumumgebung, durch eine „offene“ Atmosphä-
abgestimmte Nuancierung.
re, ein kommunikatives und emphatisches Milieu.
Der Wärmesinn verlangt, dass das psychische Klima des Raums eine bedarfsgerechte variable Balance zwischen „warmen“ und „kühlen“ Elementen (Material, Licht, Farbe) schafft
METHODIK
zur Vermittlung von
Die Vorgehensweise zur Entwicklung eines Farbkonzepts bei
Sicherheit, Vertrauen, Geborgenheit,
der Gestaltung von Gebäuden und Räumen erfolgt auf der Ba-
Ruhe, Entspannung, Konzentration,
sis eines differenzierten Leistungsprofils. Es beinhaltet fol-
Kontakt, Kommunikation und/oder
gende Arbeitsschritte:
Intensität, Dynamik …
77
Grundlagenermittlung Sichtung von Planungsunterlagen
Detail-Skizzen, Modelle, Material- und Farbkollagen Präsentation des Entwurfs
Aufnahme eventuell bereits getroffener Gestaltungsentscheidungen
Erstellung eines Raumbuchs
Bestandsaufnahme/Ist-Analyse
Das Raumbuch dient mit seiner Auflistung aller Entwurfsent-
Zusammenfassung/Fazit: Zielvorstellungen
scheidungen (Farben, Materialien, Produkte) als Arbeitsmittel im Rahmen der Projektausführung.
Analysen Funktionsanalyse (Projektfunktion)
Ausschreibungen
Personenkreisanalyse (Benutzer)
Vergabe der Leistungen
Lage-/Standortanalyse Gebäudeanalyse – außen
Bauaufsicht/Projektbetreuung
Gebäudeanalyse – innen Analysen können unter Zuhilfenahme verschiedener semantischer Differenziale durchgeführt werden.
SEMANTISCHES DIFFERENZIAL Um die Anmutungsqualität eines Raumes in seinem Ist-Zu-
Exposé
stand zu ermitteln, empfiehlt es sich, die von Osgood entwi-
Gutachten/Gutachten-Studie (bei Bedarf der Auftraggeber)
ckelte Methode des semantischen Differenzials zu nutzen. Es besteht aus Skalen von bipolaren Adjektiven. Jede dieser Ska-
Vorentwurf
len ist in 7 Messpunkte eingeteilt. Die Zahlenwerte der Skalen
Entwicklung eines Material- und Farbkonzepts
nehmen zum Zentrum (0) hin ab. Ein Wert von 3 hat somit ein
Material-/Farbkollagen und räumliche Darstellungen
höheres Gewicht als einer von 2 oder 1. Der Wert 0 in der Mit-
Präsentation des Vorentwurfs
te der Skalen bedeutet Neutralität zwischen den Polen.
Sonderleistung: Gestaltung von Musterräumen Akzeptanzanalyse (semantisches Differenzial)
Die Ermittlung der Zielvorstellung (Anforderungen) kann nach der gleichen Methode erfolgen. Hier weichen jedoch die bipolaren Adjektive zum Teil ab. Das im Folgenden aufgezeig-
Entwurf
78
te semantische Differenzial, die Checkliste und das Raumbuch
Material- und Farbplanung auf der Grundlage des Vorent-
sind beispielhaft. Anpassungen an die konkrete Gestaltungs-
wurfs
aufgabe sind vorzunehmen.
10
PRAXIS DER FARBGESTALTUNG
Semantisches Differenzial zur Abklärung räumlicher Anmutungsqualität Erhebung eines Ist-Zustandes
Projekt: Raumbezeichnung: Raumbenutzer:
3
2
1
0
1
2
3
trendy
zeitlos
luxuriös
bescheiden
spannend
langweilig
sympathisch
unsympathisch
verspielt
sachlich
schlicht
überladen
kultiviert
gewöhnlich
natürlich
künstlich
modisch
altmodisch
zurückhaltend
aufdringlich
geordnet
chaotisch
abwechslungsreich
eintönig
fröhlich
trist
gemütlich
ungemütlich
vertraut
fremdartig
eindeutig
missverständlich
heiter
ernst
beruhigend
beunruhigend
weitend
beengend
aktiv
passiv
hart
weich
hell
dunkel
laut
leise
befreiend
erdrückend
leicht
schwer
warm
kalt
luftig
stickig
79
Semantisches Differenzial zur Abklärung räumlicher Anmutungsqualität Erhebung einer Zielvorstellung
Projekt: Raumbezeichnung: Raumbenutzer:
3
2
1
0
1
2
3
trendy
zeitlos
luxuriös
bescheiden
dynamisch
verhalten
entgegenkommend
neutral
verspielt
sachlich
anregend
entspannend
schlicht
üppig
natürlich
künstlich
modern
konservativ
zurückhaltend
markant
geordnet
zufällig
persönlich
allgemeingültig
freundlich
streng
gemütlich
repräsentativ
vertraut
exotisch
eindeutig
vielschichtig
heiter
ernst
konzentrierend
lösend
beruhigend
belebend
weitend
fassend
funktional
multifunktional
hart
weich
hell
dunkel
laut
leise
leicht
schwer
warm
kalt
luftig
erdig
80
10
PRAXIS DER FARBGESTALTUNG
CHECKLISTE DER IST-SITUATION
RAUMBUCHBLATT
Projekt:
Projekt:
Raumbezeichnung:
Raumbezeichnung:
Belastungen/Situationen:
Material/Farbe:
Raumluft
Wände
feucht/trocken
Raumbegrenzungen
staubig/dunstig
bewegliche Wände
Temperatur kalt/zugig
Sichtschutzwände Schrankwände
heiß/drückend
Boden/Sockel
Beleuchtung
Decke
Tageslicht Kunstlicht
Türen/Blatt Kopfstück
Assoziationen, Geschmack/Geruch
Zarge
süß
Beschläge
sauer
Fenster/Beschläge
narkotisch Vorhänge/Verdunkelung modrig bitter Sonstiges Monotonie/Reizüberflutung Vorhandene notwendige Kennzeichnungsfarben Notwendige Hinweise
Heizung/Heizkörper Tagesbelichtung Beleuchtung Tische Sitzmöbel
Fluchtwege
Besondere Bemerkungen wie z. B.
Sicherheitsanforderungen (Explosionsgefahr etc.)
Spezialmöblierung
Visuell-ergonomische Aspekte
Maschinen Geräte
Tätigkeitsbeschreibung z. B. anstrengend, schnell wechselnd etc. Sportgeräte Altersstruktur Pausenangebot Weitere Beobachtungen
technische Anlagen Objekte Armaturen usw.
81
Die grundsätzliche Aufgabe zur Farbgestaltung von Räu-
Farben im Raum werden nicht unabhängig voneinander wahr-
men besteht zunächst in der Wahl sinnvoller Farbbereiche und
genommen. Daher sind die verschiedenen Wechsel- und Fol-
Farbkontraste bezogen auf die Nutzer, die Funktionen und
gewirkungen beim gestalterischen Umgang mit Farben, wie
spezifischen Verhältnisse. Das Verbindende, das Unterschei-
zum Beispiel der Simultankontrast, Sukzessivkontrast, Refle-
dende und die Mengenverhältnisse von Farbdominante, Sub-
xion farbiger Flächen auf andere Flächen zu berücksichtigen.
dominante und Akzent sind zu planen.
Die Voraussetzungen, Anforderungen und Randbedingungen sind im Falle einer Farbgestaltung bei jedem Projekt ver-
Zur Entwicklung eines Farbkonzepts sind auch zu beachten:
schieden und daher jedes Mal eine neue Herausforderung.
der räumliche Zusammenhang, die Lagebeziehung zu ande-
Licht, Material und Farbe sollten immer als integrierte Be-
ren Räumen (die Raumgröße, die Raumform, die Himmelsrich-
standteile eines architektonischen und innenarchitektoni-
tung des Raums),
schen Gesamtkonzepts geplant werden, ausgerichtet auf ein
die Lichtverhältnisse (Art der Belichtung und Beleuchtung),
human- und umweltverantwortliches Ziel, auf eine Synthese
die Einrichtungsgegenstände,
aus Ökonomie, Ökologie, Ergonomie und Ästhetik. Dieser An-
die verwendeten Materialien,
spruch ist am ehesten durch eine kontinuierliche, interdiszip-
die gegenseitige Wirkung der Farben im Raum.
linäre Teamarbeit von Anbeginn eines Gestaltungsprozesses zu planen und zu realisieren.
Farbige Reflexion der orangefarbenen Wand auf die umgebenden Raumelemente, Museum für Moderne Kunst, Frankfurt/M.
Mega-Plex-Kino, Wien Architektur R. Lainer, Farbgestaltung Oskar Putz
<
82
<
11 GESTALTUNGSFELDER
Im Folgenden werden einzelne Gestaltungsfelder mit ihren
lichen Anmutungsqualitäten verweisen auf das Lehr- und
möglichen Farbkonzepten gezeigt. Wir präsentieren beispiel-
Lerngeschehen in diesen Gebäuden, somit auch darauf, ob
hafte, mit Fotos illustrierte Lösungen sowie Lösungsvorschlä-
Erziehung zur Anpassung und Unterordnung oder aber Er-
ge in Form von Kollagen. Diese Farb-Material-Kollagen sind
ziehung zur Autonomie, Kreativität und Humanität zu den lei-
Anregungen aus einer Fülle von Möglichkeiten. Die Anregun-
tenden Zielen pädagogischer und gestalterischer Intentionen
gen und Hinweise aus den vorausgegangenen Kapiteln sind
zählt. Farbe als Gestaltungselement für Bildungsstätten ist
grundsätzlich bei der Lösung von Farbgestaltungen zu be-
ein Thema, in dessen Mittelpunkt der Mensch und seine päda-
rücksichtigen.
gogische Umwelt stehen. Es betrifft somit ein Aufgabengebiet, das im Sinne humaner Gestaltung höchste Verantwortung fordert. Material-Farb-Konzeptionen werden darüber
Bildungsstätten sind sichtbare Zeugnisse der pädagogi-
mitentscheiden, inwieweit die räumlichen Rahmenbedingun-
schen Kultur. Sie geben Aufschluss über philosophische Sicht-
gen dieser Einrichtungen zu anregungsreichen, fördernden
weisen und Vorstellungen vom Menschen, über Auffassungen
Lern- und Lebenswelten beitragen, Identifikation und Wohl-
von Lehren und Lernen, welche sowohl Erziehungs- und
befinden ermöglichen, individuelle und soziale Entfaltungs-
Bildungszielen als auch architektonischen und innenarchi-
prozesse sowie pädagogisches Verhalten und Handeln unter-
tektonischen Gestaltungszielen zugrunde liegen. Ihre räum-
stützen.
>
Textilien
Wände
Details, Möbel,
Akzente
BILDUNGSSTÄTTEN
Decke
Boden
Die in den folgenden Kapiteln gezeigten Collagen sind nach obigem Schema organisiert.
83
Lernprozesse sind abhängig von individuellen Lernvoraus-
lage für Emotionalität, Erkennen und Denken, für Aktivität
setzungen, vom individuellen Entwicklungsstand, der indivi-
und Kreativität, für selbstständiges, selbstverantwortliches
duellen Lern- und Leistungsfähigkeit, Bedürfnis-, Interessen-
und soziales Handeln als übergeordnete Aufgabe zu verstehen.
und Motivationslage. Es stellt sich die Frage, wie Kinder, Ju-
Zwischen der kognitiven und emotionalen Entwicklung
gendliche und Erwachsene lernen und wie sie gerne lernen.
des Kindes und der Komplexität der Umwelt bestehen bedeu-
Dabei ist die Aufmerksamkeit auf die vielen pädagogisch zu
tende Zusammenhänge. So kann ein anregungsreiches Um-
steuernden und nicht zu steuernden Lebensäußerungen (Ver-
weltmilieu für ein Kind Motivation zur Sammlung vielfältiger
halten und Handeln), Realitätszugriffe, affektiven Zuwendun-
emotionaler und intellektueller Erfahrungen sein. Findet die-
gen, Bedürfnisse und Interessen von Lernenden zu richten.
se Auseinandersetzung mit der Umwelt zunächst weitestge-
Hugo Kükelhaus begreift Lernen als Prozess, der den ganzen
hend in der Interaktion mit der Mutter oder anderen ihm nahe
Organismus in Anspruch nimmt. Der Mensch bedarf einer or-
stehenden Bezugspersonen statt, so gewinnen im 3. Lebens-
ganisch durchformten, gebauten Lebenswelt. Atmung, Kreis-
jahr für die weitere Entwicklung zunehmend eigenständige
lauf, Skelett-, Muskel-System, Sensorik sind betroffen. Dabei
Aktivitäten des Kindes beim Begreifen und Erfahren der Um-
braucht vor allem auch die Entwicklung seiner Sinnesorgane
welt an Bedeutung.
vielfältige Anregungen.
Für die kindliche Entwicklung stellt die materielle Umwelt eine „Hintergrundvariable“ dar. Ihre Wirksamkeit auf den
KINDERGARTEN
Entwicklungsprozess ist sowohl von den individuellen Dispo-
Ein Kindergarten ist Spiel-, Lern-, und Gemeinschaftsort. Er ist
sitionen des Kindes abhängig als auch von sozialen Vermitt-
eine institutionell organisierte Lebensumgebung für Kinder
lungsprozessen. Für das Kind ungünstige Umweltbedingun-
im Vorschulalter von drei bis sechs Jahren. Seine Aufgabe liegt
gen liegen in zu geringen Anregungsinhalten, wie auch in
in der Förderung der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes,
übermäßiger, überfordernder Stimulation. Erwachsenen, die
seiner Fähigkeiten und Fertigkeiten im emotionalen, kogniti-
für das noch in hohem Maße abhängige Kind verantwortlich
ven, senso-motorischen und sozialen Bereich. Dabei ist die
sind, kommt die Aufgabe zu, zwischen Kind und Umwelt eine
Förderung der Entfaltung sinnlicher Wahrnehmung als Grund-
positiv beeinflussende Ausgewogenheit zu vermitteln.
>
Detail, Waldorf-Kindergarten, Mainz Architektur M. Riker
84
11
GESTALTUNGSFELDER
<
Kindergarten, Gruppenraum 1
<
Kindergarten, Gruppenraum 2
<
Spielflur/ Gemeinschaftsraum
85
Kinder brauchen vor allem im Vorschulalter eine Umge-
schließt. Das zentrale Problem liegt darin, allen Kindern ge-
bung, die Geborgenheit und Sicherheit vermittelt, die sie für
recht werden zu können, wobei es vor allem um das Span-
Beziehungen öffnet, die Geist und Sinne anregt, Eigeninitia-
nungsfeld geht zwischen
tive und Kreativität fördert und ihnen so eine individuelle Ent-
Kindorientierung und genormten schulischen Anforderun-
faltung und selbständige Lebensgestaltung ermöglicht. Die
gen,
dabei erlebten Eindrücke beeinflussen die Identifikation des
unterschiedlichen Lernausgangslagen, zum Teil großen Dif-
Kindes mit seiner räumlichen Umgebung und wirken auf sein
ferenzen im Entwicklungsstand der Kinder zu Beginn ihrer
Wohlbefinden und seine Verhaltensweisen. Alle sicht- und be-
Schulzeit und dem für alle gemeinsamen Ziel der Bildungs-
tastbaren Oberflächen vermitteln nachhaltige Eindrücke.
grundlegung, pädagogischem Auftrag und gesellschaftlichen Anforderun-
SCHULEN
gen und Verpflichtungen.
Schulen sind soziale Institutionen, Sozialsituationen, Lernorte. Hier wird das Fundament der Ausbildung für Studium und
Die Entwicklungspsychologie verweist darauf, dass insbeson-
Beruf gelegt. Schule agiert im Rahmen gesellschaftlicher
dere Kinder der ersten Schuljahre sich ihre Welt kaum rational-
Spielräume und Grenzen. Gesellschaftliche Aspekte, Schul-
distanziert, sondern noch vorwiegend handelnd, emotional
verfassung, pädagogische Zielvorstellungen und Zielsetzun-
und unmittelbar erschließen. Das direkte persönliche Interes-
gen, Schulplanung, Schularchitektur und Schulraumgestal-
se und die gefühlsmäßige Beteiligung spielen bei den Lern-
tung sind nicht voneinander losgelöst zu begreifen.Trotz einer
prozessen eine tragende Rolle.
Besinnung auf die Humanisierung der Schule steht die gestalterische Umsetzung häufig noch aus.
Diese Herausforderungen, die sich der Schule in Schulanfängerklassen stellen, sind in höheren Klassen und weiterfüh-
Überall auf der Welt gibt es ein gestaffeltes Schulsystem –
renden Schulsystemen weniger gravierend. Auf die Schüler
es reicht vom Elementarschulbereich bis zum Gymnasium,
und deren Altersstruktur bezogen sind in Erziehungs- und Bil-
vom berufsbegleitenden Schulwesen bis zu Schulen für Son-
dungsprozessen jeweils unterschiedliche pädagogische Ein-
derförderungen. Für die Gestaltung sind vor allem die Bil-
flüsse und methodisch-didaktische Maßnahmen erforderlich.
dungsziele und pädagogischen Methoden und Intentionen von entscheidender Bedeutung.
In der Geschichte der Pädagogik wurde auf den Zusammenhang von Lernraum und Lerngeschehen mehrfach hingewie-
Zu Schulbeginn soll eine Basis für die schulische Bildung
sen, beispielsweise durch Johann Heinrich Pestalozzi, Peter
geschaffen werden, welche die Erziehungsdimension ein-
Petersen, Hermann Lietz, Claude Freinet, Maria Montessori
<
86
Aufenthaltszone Flur
11
GESTALTUNGSFELDER
<
Klassenraum 1
<
Klassenraum 2
<
Naturwissenschaften
87
88
<
Bibliothek
<
Musikzimmer
<
Lehrerzimmer
11
GESTALTUNGSFELDER
und den Anthroposophen Rudolf Steiner. Untersuchungen zu
Verhalten von Schülern wie auch auf ihr Selbstkonzept, ihre
Design und Ausstattung von Schulen (Sommer und Olsen) er-
Einstellungen gegenüber der Schule, ihren Lehrern und Mit-
gaben, dass in so genannten „Soft-Classrooms“, die mit Tep-
schülern. Allgemein ist festzuhalten: Die architektonische Ge-
pichböden, bequemen Sitzmöbeln und angenehmer Beleuch-
stalt beeinflusst Schulklima und Klassenatmosphäre,
vermitteln, vermehrte Beteiligung am Unterricht und Diskus-
psychosomatisches Befinden von Lehrern und Schülern,
sionen der Schüler untereinander festzustellen waren. Die Au-
pädagogisches Verhalten,
toren führten dieses Schülerverhalten eher auf ästhetische
individuelles Lern- und Sozialverhalten,
Qualitäten zurück als auf Veränderungen traditioneller Sitz-
gemeinsames Lernen und Handeln, soziale Verhaltensweisen
ordnungen. Gestalterische Aufwertung hat Einfluss auf das
in der Gruppe, im Umgang miteinander.
Fassade MontessoriSchule, Aachen Architektur Kasper-Klever Farbgestaltung Friedrich Schmuck
>
Mensa Montessori-Schule, Aachen
>
Klassenraum Montessori-Schule, Aachen
>
>
tung ausgestattet sind und ein wohnliches Ambiente
Mehrzweckhalle und zentrales Treppenhaus Montessori-Schule, Aachen
89
SEMINARRÄUME/ERWACHSENENBILDUNG
hierarchische Strukturen abbaut,
In der Bildungslandschaft hat das Thema Erwachsenenbildung
für den Dialog und damit für Toleranz begeistert,
einen beachtlichen Platz eingenommen. Heutzutage möchten
die Sinne anregt,
oder müssen sich Erwachsene nach ihrer beruflichen Ausbil-
aktiv entdeckendes Lernen unterstützt,
dung und/oder ihrem Studium oft kontinuierlich weiterbilden.
handlungsorientiertes Lernen fördert,
Befasst sich die Theorie der Erwachsenenbildung mehr mit me-
zur didaktischen Raumgestaltungsautonomie bei Lehrenden
thodisch-didaktischen Themen und sozialen Voraussetzungen
und Lernenden anstiftet,
von Lernprozessen, so werden die materiell-räumlichen Rah-
selbst gesteuerte Bildungsprozesse unterstützt,
menbedingungen noch immer vernachlässigt. Unzureichende
ästhetisches Bewusstsein differenzieren hilft,
Lern- und Leistungsbereitschaft, Desinteresse, Müdigkeit,
Kreativität und Phantasie entfacht,
mangelnde Konzentration sind – wie in der Schule – auch in
eine Rückbesinnung auf die ursprüngliche Bedeutung von Bil-
Räumen der Erwachsenenbildung nicht selten auf unzulängli-
dungsstätten als Orte der Muße im Sinne einer Handlungs-
che, anregungsarme Raumgestaltungen zurückzuführen. Müs-
entlastung ermöglicht (Margret Fell 1999).
sen Räume der Erwachsenenbildung durch Einrichtung und Ausstattung optimal den funktionalen Anforderungen entspre-
Ein Bildungsraum soll seinen Nutzern einen positiv gepräg-
chen, so müssen sie gleichermaßen die emotionalen Bedürf-
ten, hohen Wahrnehmungs- und Erinnerungswert vermitteln.
nisse ihrer Nutzer – der Lehrenden und Lernenden – berücksichtigen und damit auch zu einer Atmosphäre beitragen, die
PERSONENKREISE
das Wohlbefinden fördert und zur Entfaltung kreativer Poten-
Personenkreisanalysen geben Aufschluss über die Raumbe-
ziale beiträgt: Für lebenslanges Lernen muss es Räume geben,
nutzer und ihre Bedürfnisse. Die folgenden Ausführungen be-
die lebenslang Lernen angenehm machen.
ziehen sich auf allgemein gültige Erfahrungen, die im Einzel-
Margret Fell formuliert folgende Anforderungen an eine pädagogisch sinnvolle Raumgestaltung und unterscheidet dabei
fall durch konkrete Analysen der Ist-Situation zu ergänzen sind.
drei Ebenen: „Die bildungstheoretische (zielpädagogische Ebene), die bildungspraktische und als Konsequenz die raum-
Kleinkinder
didaktische Ebene“. Sie plädiert für einen flexiblen und ent-
Den Kindergarten besuchen Kinder im Alter von drei bis sechs
wicklungsoffenen Bildungsraum, der
Jahren. Sie bilden eine heterogene Gruppe mit unterschiedli-
im Sinne des Dialogischen und Demokratischen zur Zusam-
chen Lebenshintergründen und Sozialisationsverläufen. Die
menarbeit und Partnerschaftlichkeit motiviert,
Kinder unterscheiden sich in
<
90
Erwachsenenbildung Seminarraum
11
GESTALTUNGSFELDER
ihren Kommunikationsmöglichkeiten und sozialen Verhal-
sich sehr gleich, wobei im Kindergarten das spielerische Ele-
tensweisen,
ment vor dem Element der Wissensvermittlung steht. Mit fort-
ihren psychomotorischen Fähigkeiten und Wahrnehmungsfä-
schreitendem Alter unterscheiden sich die Bedürfnisse der
higkeiten,
Schüler oft erheblich. Die außerschulische Welt gewinnt zu-
ihrer Selbsterfahrung, Selbstdarstellung/Selbstbehauptung
nehmend an Interesse und steht mitunter in ausgeprägter
und Selbstständigkeit,
Konkurrenz zu den Anforderungen der Schule. Letztlich be-
ihren kreativen Verhaltensweisen,
dürfen alle Schüler einer Schulumwelt, die sie in ihrer Ge-
ihren Sacherfahrungen.
samtpersönlichkeit anspricht, die Sicherheit und Vertrauen vermittelt, die affektive Beziehungen herzustellen vermag,
Sie unterscheiden sich daher auch in ihren individuellen Be-
Identifikation ermöglicht und so Teil einer sie individuell för-
dürfnissen und Interessen. Kinder haben zunächst ein ausge-
dernden und integrierenden Lern- und Lebenswelt werden
prägtes Bedürfnis nach Zuwendung, nach Sicherheit, Schutz
kann.
und Anregung. Sie brauchen Bewegungsspielraum, Aktionsund Handlungsraum, Raum zur Ruhe und zum Rückzug. Sie
Erwachsene in Weiterbildung
brauchen ebenso Kleinraum im Großraum – Nischen, Winkel,
Erwachsene begeben sich aus Interesse und freier Entschei-
Ecken. Für ihre Entfaltung bedürfen Kinder der Möglichkeit zur
dung in Weiterbildung oder aber werden seitens ihrer Arbeit-
vielfältigen Materialerfahrung, sie brauchen ebenso Aktions-
geber dazu aufgefordert und verpflichtet. Ihre Motivationsla-
und Erlebnisraum in der Natur.
ge kann somit erheblich differieren. Es steht jedoch außer Frage, dass Erwachsene ebenso wie Kinder und Jugendliche
Schüler/Kinder und Jugendliche
am besten in einer anregenden Umgebung lernen, die ihrem
Schulen werden in der Regel im Alter von sechs bis achtzehn
Wohlbefinden zuträglich ist, ihre Interessen weckt und ihre
Jahren besucht. Mit dem Schuleintritt beginnt für Kinder ein
schöpferischen Fähigkeiten herausfordert.
neuer Lebensabschnitt; der Beginn der Schulzeit bedeutet einen tiefen Einschnitt. Er verlangt vom Kind eine Umorientie-
Pädagogen
rung, die einen Großteil seiner psychischen Energie beanspru-
Pädagogen in Kindergärten, Schulen und Einrichtungen für
chen kann. Die Schüler unterscheiden sich oft erheblich
Erwachsenenbildung stellen jeweils eine heterogene Gruppe
hinsichtlich des psychischen, kognitiven und sozialen Ent-
dar, bedingt durch Geschlechts- und Altersunterschiede,
wicklungsstandes und ihrer Lernausgangslagen. Die Bedürf-
Berufsjahre und berufliche Erfahrungen, unterschiedliche so-
nisse der Kinder im Kindergarten und zu Schulbeginn sind
ziale und familiäre Hintergründe, Persönlichkeitsstrukturen,
91
pädagogische Vorstellungen, Einstellungen und Verhaltens-
pädagogisches Verhalten positiv beeinflusst. Es ist wichtig,
weisen, Erziehungs- und Lehrmethoden.
dieser Nutzergruppe neben guten Arbeitsplatzbedingungen
Pädagogen in Kindergärten sind für Kinder neben der Fami-
auch entspannende Rückzugsmöglichkeiten zu bieten.
lie wichtige Bezugspersonen mit einem maßgebenden Einfluss auf die Entwicklung vor Schuleintritt. Neben ihrer plan-
ANMUTUNG UND VISUALISIERUNG
mäßigen Tätigkeit sind sie aufgefordert, auf viele spontane
Das farbgestalterische Konzept für Bildungsstätten ist neben
Bedürfnisse und Äußerungen der Kinder zu antworten, ein-
architekturbezogenen Farbgebungskriterien, die sich im Ein-
fühlsam zu agieren und zu reagieren, gewähren zu lassen und
zelfall voneinander unterscheiden werden, so anzulegen, dass
Grenzen zu setzen.
mittels Farbe und Material bestimmten Grundbedürfnissen
Pädagogen an Schulen ist ein hohes Maß an sozialer Ver-
entsprochen wird, wie:
antwortung für das künftige Bildungs- und Lebensschicksal
Sicherheit, Vertrautheit,
der Schüler übertragen. Sie sind großer körperlicher, vor allem
Kommunikation,
auch seelisch-geistiger Beanspruchung ausgesetzt. Nach ärzt-
Anregung, Differenzierung und Sensibilisierung der Wahrneh-
lichen Studien werden die auftretenden Stressoren oft nicht
mung,
oder nur unzureichend abgebaut.
Motivation,
Pädagogen in Einrichtungen für Erwachsenenbildung ha-
Aufmerksamkeit, Konzentration,
ben unterschiedlichste berufliche Hintergründe und Ausbil-
Entspannung,
dungen. Bei dieser Gruppe von Lehrenden handelt es sich um
Bewegung,
Angestellte oder freie Mitarbeiter von Institutionen und Be-
Kreativität.
trieben wie auch um selbstständige, in der Erwachsenenbildung tätige Personen. Erwachsenenbildung, die den Anspruch
Den einzelnen Raumbereichen sollten neben gebäudespezifi-
erhebt weiterzubilden, erfordert ein hohes Maß an professio-
schen Festlegungen von Material und Farbe auch Farben zu-
neller Kompetenz und Engagement, wie auch ein ausgepräg-
geordnet werden, die ihrer jeweiligen Funktion entsprechen.
tes Einfühlungsvermögen in die oft sehr unterschiedlichen ler-
Bildungsstätten müssen den Dimensionen der Nutzer ange-
nenden Erwachsenen.
messen sein. Als farbige Erlebniswelten werden sie sie dann
Zusammenfassend ist im Blick auf den Personenkreis der Pädagogen festzuhalten, dass Lehrende ebenso wie Lernende
ansprechen, wenn sie in ihrer Gesamtheit verstanden werden können und damit selbstverständlich erscheinen.
einer sie ansprechenden Umgebung bedürfen, die als Arbeits-
Das Raummilieu sollte eine insgesamt lichte und warmto-
feld ihr psychosomatisches Wohlbefinden und damit auch ihr
nige Grundstimmung ausstrahlen, die Sicherheit und Vertrau-
92
11
GESTALTUNGSFELDER
en vermittelt, freundlich und entgegenkommend wirkt. Farb-
Schülern bezogen variieren und räumliche Orientierungs- und
und Materialkonzeptionen für Bildungsstätten müssen fol-
Ordnungsfunktionen übernehmen (Mehrgeschossigkeit vi-
gendes leisten:
sualisieren). Auch lässt sich durch architektonische Elemente
die gestalterische Ordnung ist lesbar,
wie Türen und Ähnliches ein einfaches Ordnungs- und Orien-
die Raumzusammenhänge sind gut erkennbar,
tierungssystem verwirklichen.
eine rasche Orientierung ist möglich, die Atmosphäre beeinflusst das Wohlbefinden positiv.
Unterrichtsräume: Der Unterrichtsraum ist ein für Lehrer und Schüler gemeinsa-
Farb- und Materialgestaltung wesentlicher
mer Bereich, in dem sich ein wesentlicher Teil des schulischen
Funktionsbereiche
Lebens vollzieht. Er ist Lehr-, Lern- und Arbeitsraum, Rahmen
Am Beispiel einer Schule sollen Grundsätze zur Farbgestal-
für individuelles und gemeinsames Lernen und Handeln, für
tung einiger wichtiger Bereiche aufgezeigt werden:
Kommunikation und Kooperation. Seine Atmosphäre sollte Sicherheit und Vertrautheit vermitteln sowie Konzentration
Fassade/Eingangsbereich:
ermöglichen. Eine derartige Grundstimmung lässt sich bei-
Das äußere Erscheinungsbild prägt den ersten Eindruck der
spielsweise mit natürlichen Materialien wie Hölzern, Parkett,
Schule. Die städtebauliche und landschaftliche Einbindung
Korkprodukten und Textilien erreichen. Mit diesen Materialien
des Gebäudes sollte emotionale Wärme und Vertrauen ver-
werden zwischen Putz- oder Betonflächen Materialspannun-
mitteln: Es sollte einladen. Neben der Gebäudegestaltung
gen von hart bis weich erzeugt. Zwischen der Eigenfarbigkeit
spielt auch die Freiflächengestaltung eine große Rolle. Bei
der Materialien und farbig behandelten Raumflächen sollten
großen Schulanlagen (komplexen Schulzentren) ist es wich-
helle, warme Nuancen mit farblich kontrastierenden kühlen
tig, dass sie überschaubar gegliedert sind, eine gute und ein-
Nuancen in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Aus
fache Orientierung ermöglichen und nicht Anonymität aus-
Gründen visueller Ergonomie darf zwischen der Tafelfläche als
strahlen.
Blickfeld und dem räumlichen Umfeld kein zu großer Helligkeitskontrast bestehen. Intensiv farbige Sonnenschutzein-
Korridore:
richtungen verfälschen die Oberflächenfarben des Innen-
Korridore, Verkehrszonen und Verbindungsräume, aber auch
raums durch Farbreflexionen. Trotz der oben beschriebenen
Aufenthaltszonen sollten sich durch Farben voneinander un-
gestalterischen Differenzierungen sollten Unterrichtsräume
terscheiden. Farben dienen der Kennzeichnung unterschiedli-
als Langzeitaufenthaltsräume eine gewisse Zurückhaltung in
cher Funktionsbereiche, sie können auf Altersstufen von
der Farbgebung erfahren.
93
Lehrerzimmer/Verwaltung:
wicklung zur Halle verstärkte sich auch das Denken in Maß-
Lehrerzimmer und Verwaltungsräume, die in der Regel inner-
einheiten: Ranglisten, Torverhältnisse, Punktsysteme, Zeit-
halb eines Schulhauses einen in sich geschlossenen Funk-
messung etc. Die Tendenz zur Reglementierung erweckte
tionsbereich bilden, können farblich zusammengefasst be-
wiederum das Bedürfnis, Sportstätten zu perfektionieren,
handelt werden. Sie sollten sich in ihrer farblichen Anmu-
Leistungszentren mit international genormten Wettkampfbe-
tungsqualität von den Unterrichtsräumen unterscheiden. Das
dingungen in rechtwinkligen funktionsgerechten Bauten un-
Raummilieu des Lehrerzimmers sollte beruhigend, entspan-
terzubringen. Die ungezwungene spielerische Selbstentfal-
nend, energieaufbauend sein.
tung, der Müßiggang, die Freizeitbeschäftigung und Erholung
Es ist von Vorteil, wenn bei Planungsprozessen von Schul-
wurden dabei sehr oft ebenso außer Acht gelassen wie die Tat-
anlagen die verschiedenen Nutzergruppen (Schüler, Lehrer, El-
sache, dass im Sport, wie sonst nirgends, alle sozialen
tern sowie Schulträger) in kleinen Ausschüssen an dem Ent-
Graduierungen ausgependelt werden, alles gesellschaftlich
wicklungs- und Gestaltungsprozess beteiligt werden. Dieses
und sozial Trennende hinter das Gemeinsame zurücktritt.
pädagogische Prinzip stärkt die Akzeptanz und Motivation. Die Entwicklung der letzten Jahrzehnte auf dem Gebiet des
SPORTSTÄTTEN
Sporthallenbaus war von verschiedenen Faktoren beeinflusst:
In der Antike fanden Sport, Spiel und Wettkampf im freien,
dem fehlenden Angebot,
offenen Raum statt. Während er in allen alten Hochkulturen
dem zunehmenden Interesse an Hallensportarten,
seinen Platz hatte, verlor der Sport im frühen Christentum sei-
der Vergrößerung des Raumangebotes und der Trainings-
ne gesellschaftspolitische Bedeutung. Erst im 19. Jahrhundert
möglichkeiten,
erlangte er als Gegenbewegung zur Industrialisierung, als Zei-
einer verstärkten Auffächerung im Schulwesen und der Ver-
chen der Emanzipation und Aufklärung, allmählich wieder an
besserung der Möglichkeiten im Schulsport,
Bedeutung. Aus dieser Bewegung heraus entwickelte sich der
dem zunehmenden Bedarf an Gemeinschaftseinrichtungen
moderne Sport, der heute oft Hallensport ist. Mit dieser Ent-
(Vereinssport).
Sporthalle, Markt Großostheim Architektur Dierks, Blume und Nasedy
94
>
11
GESTALTUNGSFELDER
ANMUTUNG UND VISUALISIERUNG, FARB- UND
tur, die international zunehmend an Bedeutung gewinnt, um-
MATERIALGESTALTUNG
fasst die Bereiche der Badekultur, der körperlichen Aktivität
Sportstätten sind für die Sozialisation in der Gruppe von gro-
(Fitness), der Physiotherapie/Massage, Schönheitspflege, Ru-
ßer Bedeutung. Spielerisches und sportliches Verhalten in der
he und Entspannung. Viele Einrichtungen wie Hotels, Kur- und
Mannschaft fördern Körperbewusstsein, dienen dem Aggres-
Erholungsstätten haben heutzutage ihre Fitnessbereiche in
sionsabbau und dem fairen Kräftemessen, der Integration und
hauseigene Wellness-Center integriert. Wellness-Einrichtun-
der Gesundheitsförderung. Mit einer im größeren Kontext
gen, sensibel gestaltet, sind sinnliche und sinnesanregende
stehenden Farbgestaltung muss die Halle eine wesentlich hö-
Oasen, in die körper- und gesundheitsbewusste Menschen
here räumliche Erlebnisqualität erreichen. Sie muss Leichtig-
eintauchen, vom Alltag Abstand nehmen, genießen, regene-
keit ausstrahlen, Dynamik visuell unterstützen und einen syn-
rieren und Energie aufbauen können. Neben der menschlichen
ästhetischen Temperaturausgleich anbieten. Dabei empfiehlt
Zuwendung und Aufmerksamkeit des Personals spielt die
sich in der Farb- und Materialwahl eine Ausgewogenheit zwi-
räumliche Gestaltung eine wesentliche Rolle. Der Besucher
schen kühlen und warmen Nuancen. Durch eine überlegte Ver-
wünscht sich Aufmerksamkeit für Leib, Seele und Geist, posi-
netzung von Maßbezügen der vorgegebenen Gebäudestruk-
tive Lebensenergie, körperliche Aktivität, angenehme Atmo-
tur lassen sich Wandflächen spannend dynamisieren und zu
sphäre, subtile Stimulation der Sinne. Diese Bedürfnisse müs-
lebhafter Stimulanz, Freude und Spaß an der Nutzung führen.
sen beim Gestaltungskonzept berücksichtigt werden.
Es ist zu einfach, wenn man aus Unkenntnis im Umgang mit
Wellness-Kultur sollte nun aber in allen Lebensbereichen
Farben auf ihre wohltuende, erfrischende Rhythmisierung und
gepflegt werden, so auch in Schulen, an Arbeitsstätten, in the-
beflügelnde Wirkung verzichtet.
rapeutischen Einrichtungen, Seniorenheimen und nicht nur in den dafür vorgesehen Wellness-Centern.
WELLNESS-EINRICHTUNGEN Wellness bedeutet Wohlbefinden, Wohlfühlen. International wird dafür auch oft der Begriff „Spa“ verwendet (lateinisch „sanus per aquam“: Gesundheit durch Wasser). Wellnesskul-
>
Vollmersbachhalle Idar-Oberstein Architektur Pasucha, Farbgestaltung G. Meerwein
>
Schwimmbad, Bad Elster Architektur Günther Behnisch, Farbgestaltung Erich Wiesner
95
<
<
>
<
>
96
Wellness-Center, Side Hotel Hamburg Innenarchitektur Matteo Thun
11
GESTALTUNGSFELDER
ANMUTUNG UND VISUALISIERUNG, FARB- UND
Die angewandte Farbenpsychologie und die Umweltpsycho-
MATERIALGESTALTUNG
logie widmen sich den ästhetischen Kriterien und der visuellen
Die Einzelbereiche von Wellness-Einrichtungen müssen Erleb-
Ergonomie. Visuelle Störfaktoren sowie damit verbundene
nisse von hoher emotionaler Qualität vermitteln. Die wech-
physiologische und psychologische Beeinträchtigungen müs-
selnden Raumfunktionen widerspiegeln sich in der Materia-
sen verhindert werden. Arbeitsräume sind die unmittelbare
lisierung in einem spannenden Verlauf unterschiedlicher
Umgebung für Arbeitshandlungen. Sie sind Faktoren der Kom-
Erlebnisräume. Die Lichtplanung sollte differenzierte Stim-
munikation, der Beanspruchung sowie der Belastung. Im Kom-
mungen ermöglichen, Materialien vor allem differenzierte
munikationsprozess zwischen Mensch und Umwelt sind die
haptische und visuelle Eindrücke vermitteln. Hier können un-
visuellen und auditiven Sinnesmodalitäten zur Informations-
gewöhnliche Materialkombinationen gewählt werden. Das
aufnahme von vorrangiger Bedeutung. Der Informationsaus-
Raummilieu sollte „abstrakt“ bleiben und auf illusionistische
tausch zwischen Mensch und Arbeitsumgebung hat sowohl
Dekorelemente verzichten.
auf der Reiz- als auch auf der Reaktionsebene Grenzen.Werden diese Grenzen durch Überforderung (Reizüberflutung) oder durch Unterforderung (Monotonie) überschritten, so wird das Leistungsverhalten negativ beeinflusst. Nach Schmale erfolgt
ARBEITSSTÄTTEN
ein Abbau vorhandener Fähigkeiten fachlicher und kommunikativer Art, letztlich auch ein Abbau von Persönlichkeit, durch
UMWELTPSYCHOLOGISCHE ASPEKTE
kognitive und sensorische Unterforderung unter anregungsar-
Die Arbeitswelt wird durch umweltpsychologische Aspekte
men Arbeitsbedingungen. Aus ökopsychologischer Sicht ist bei
geprägt: durch räumlich-materielle wie auch soziale und orga-
der Gestaltung der Arbeitsumgebung von einem menschlichen
nisatorische. Beschäftigt sich die Arbeits- und Organisations-
Organismus auszugehen, der nicht allein auf Umweltreize rea-
psychologie vorrangig mit den Einflüssen organisatorischer
giert, sondern auch auf diese agiert. So ist immer zu bedenken,
und sozialer Bedingungen, so befasst sich die Umweltpsycho-
dass der Mensch durch seine Arbeit die Umwelt aktiv verän-
logie hauptsächlich mit räumlich-materiellen Gegebenheiten
dert, Absichten verfolgt und Bewertungen vornimmt, dass er
und Bedingungen der Arbeitsumgebung sowie deren Auswir-
seine Umwelt strukturieren will sowie auch größtmögliche
kung auf den arbeitenden Menschen.
Wahlfreiheit und Mitgestaltung seiner Umgebung anstrebt.
97
98
<
Fitnessraum für Sportgeräte
<
Massage/Ruheraum
<
Massage/exotisch-asiatisch
11
GESTALTUNGSFELDER
In den letzten Jahrzehnten ist unter sehr verschiedenen
Braun-Pharma (Architekturcollage und Farbkonzept). Heute
Aspekten Bewegung in die Diskussion und in die Umsetzung
gibt es aber auch coole, technoide Industrie- und Büroräume,
von Industrie- und Büroarchitektur gekommen, wobei auch
die durch raue Materialien, wie Stahl und Beton, ästhetizis-
ganz neue Probleme erkannt wurden (zum Beispiel ökologi-
tisch und pseudointellektuell erscheinen wollen. In Wahrheit
sche). Der Diskussion um Corporate Design und Corporate
aber sind dies sowohl ergonomische als auch psychologische
Identity und dem Anspruch einer neuen Unternehmenskultur
Fehlentscheidungen. Auch in Räumen, in denen scheinbar
versuchen viele Unternehmer mit unterschiedlichen Mitteln zu
technisch alles stimmt, werden oftmals wichtige Arbeitsplatz-
entsprechen. Industrie- und Büroarchitektur sind, wie Archi-
kriterien missachtet. In der Arbeitswelt treffen ergonomische,
tektur, Mode, Kunst, Musik auch, ein Spiegel der gesellschaft-
organisatorische, soziologische, psychologische, physiologi-
lichen Verhältnisse. Unternehmer erkennen verstärkt, dass ei-
sche, medizinische und ökologische Aspekte zusammen. Ne-
ne überzeugende Umsetzung von Unternehmenszielen in der
ben Gesichtspunkten wie Klima, Akustik und Beleuchtung sind
Gestaltung Ausdruck einer kulturellen Position ist. Im Rahmen
die visuelle Ergonomie und das Raumerlebnis die entschei-
solcher kulturell gestützten Marketingstrategien kann ein Un-
dend stimulierenden und motivierenden Kriterien. Behaglich-
ternehmen ein unverwechselbares Profil zwischen Architektur,
keit wird durch eine ausgewogene Stimulation der Sinne er-
Arbeitsplatzgestaltung und Produkt entwickeln. Es ist eine
zeugt.
Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft, den Kunden und
Die räumliche Gestaltung von Arbeitsstätten bildet den
den Mitarbeitern. Gestaltung wird damit zum Kommunika-
Rahmen für berufliche Aktivitäten. Sie qualifiziert die Arbeit
tionsmedium. Ein frühes Beispiel solcher visuellen Unterneh-
als ein wichtiges „Gut“ des Menschen. Durch zunehmende
menskultur stellt das Verwaltungsgebäude von Peter Behrens
Technisierung der Arbeitswelt steigen die geistigen Anforde-
für die Hoechst AG in Frankfurt/Main dar. Hier entstand
rungen an den Menschen. Damit sinkt dessen Toleranzschwel-
erstmals in der Industriegeschichte ein perfektes Corporate
le gegenüber störenden Umwelteinflüssen. Es ist häufig fest-
Identity-Konzept. Neuere Konzepte kennen wir von Unter-
gestellt worden, dass fehlerhafte Farbgebung am Arbeitsplatz
nehmen wie Renault (Hausfarbe), Vitra (Architekturpark),
nur selten bewusst wahrgenommen und verbalisiert werden
>
>
Detail, Verwaltung Höchst AG, Architektur Peter Behrens
Großraumbüro, Bank-Händlersaal, Frankfurt/Main Architektur JSK-Architekten
99
kann. Belastungen, die aus physiologisch-optischer Anstren-
Hyperstruktur „Plätze“ im Sinne von Arbeitsplätzen oder auch
gung resultieren, wie Sehstörungen, Konzentrationsschwie-
im Sinne einer räumlichen Dimensionierung geschaffen wer-
rigkeiten, Ermüdungserscheinungen, Kreislaufstörungen, Ru-
den. Mit Gestaltungselementen können über große Distanzen
helosigkeit und Reizbarkeit, stellen sich zumeist sehr langsam
hinweg Arbeits- und Organisationsbereiche kenntlich ge-
ein. Arbeitnehmer führen diese Dysfunktionen selten auf das
macht werden. Für die Farbdynamik empfiehlt es sich, neben
optische Raummilieu zurück. Temperatur, Klima, Luftqualität
gebäudeeinheitlichen Festlegungen unterschiedliche Funkti-
und Beleuchtung, aber auch Akustik werden neben organisa-
onsbereiche, wie zum Beispiel Erholungsbereiche, komple-
torischen Problemen des Arbeitsflusses und Arbeitstempos
mentär zum Arbeitsbereich zu gestalten. Hierdurch wird eine
meist zuerst als Ursachen genannt. Ein überlegter, planvoller
sinnvolle Differenzierung von Arbeit und Erholung erreicht.
Umgang mit Farbe ist daher unverzichtbar. Farbe ist ein wich-
Sowohl warme als auch kühle Farbnuancen sollten zur An-
tiges Mittel funktionaler Arbeitsplatzgestaltung und unerläss-
wendung kommen, um eine Anregung des vegetativen Ner-
lich in der visuellen Kommunikation während des Arbeitspro-
vensystems zu bewirken. Gestaltung von Arbeitswelten soll-
zesses. Die Farbgestaltung des Arbeitsplatzes muss dabei
te
eingebunden sein in das Gestaltkonzept des ganzen Betriebs-
Gestaltungsbereiche sind gleichwertig und beeinflussen sich
organismus, in das räumliche Umfeld, wie die inneren Wege,
gegenseitig. Farbkonzeptionen dürfen nie isoliert entwickelt
Pausenzonen, Kantinen, Sozialräume. Arbeitsräume sind un-
werden und zu Widersprüchen führen; sie müssen sich als
terschiedlich in ihrer Funktion und Größe. Ihre farbliche Aus-
Identifikationsfaktor in die Unternehmensgestaltung integrie-
sage ist demnach im Sinne der Farbdynamik zu differenzieren.
ren, dem Stil eines Unternehmens und seinen Intentionen ent-
Große Räume (Großraumbüros, Industriehallen) verlangen
sprechen. Farbkonzeptionen sind somit auch Imagefaktoren.
zur besseren Orientierung und optischen Unterscheidbarkeit
Image hat mit Ansehen und Aussehen zu tun, mit der opti-
grundsätzlich eine Raumeinteilung in kleinere visuelle Ein-
schen Qualität und Anmutung des gesamten Erscheinungsbil-
heiten. Die Makrostruktur, das heißt der Großraum, ist ge-
des, das ein Unternehmen nach außen und innen präsentiert.
stalterisch in eine Mikrostruktur zu gliedern. Mittels ent-
Es offenbart sich unmittelbar in seiner Farbkultur. Über die Zu-
sprechender farbgestalterischer Maßnahmen können in einer
mutungen im Bereich der Anmutungen werden die Qualität
eine
ganzheitliche
< >
IKB-Bank, Luxemburg Architektur RKW, Farbgestaltung Gotthard Graubner Eine anregungsreiche, vitalisierende und repräsentative Farbkomposition im Entrée führt in ein ästhetizistisches, kaltes und anregungsarmes Arbeitsmilieu.
100
Ästhetik
zum
Ziel
haben. Alle
11
GESTALTUNGSFELDER
des Zugehörigkeitsgefühls, der Beheimatung, der Leistungs-
netzung der Wirtschaft, der Wandel von einer Industriegesell-
freude und der persönlichen Wertschätzung, der Motivation
schaft in eine Wissensgesellschaft stellt neue Herausforderun-
und des Verantwortungsgefühls bestimmt. Die Aufgabe be-
gen an Führungskräfte und Mitarbeiter. Kreativität, Informa-
steht immer in einer menschenwürdigen, der Menschen wür-
tionen und Wissen sowie eine gute Zusammenarbeit sind er-
digen Sozialauffassung, die zur Motivation wie auch zur Anre-
forderlich, um erfolgreich zu sein. Wesentlicher Bestandteil
gung geistig-schöpferischer Aktivitäten des arbeitenden
des Erfolgs ist die Kreativität von Mitarbeitern. Aufgrund der
Menschen sowie einer positiven Einstellung zur Arbeit führt.
Tatsache, dass sich Kreativität am besten in einem repressi-
Neben einer sozialen Gerechtigkeit im Materiellen muss es
onsfreien Milieu entfaltet, das Selbstbestimmung und Hand-
auch eine im Visuellen geben. Qualitätsforderungen im Leis-
lungsspielraum ermöglicht und die dafür wichtigen sozial-
tungsbereich sind bei einem Qualitätsangebot in der Arbeits-
psychologischen, atmosphärischen und materiellen Voraus-
platzgestaltung glaubwürdiger zu stellen. Die Verantwortung
setzungen schafft, werden nach neuesten Erkenntnissen der
auf der Seite des Unternehmers muss sich im Interesse des
Kreativitätsforschung eigens dafür vorgesehene Bereiche,
Menschen in einer angemessenen Ästhetisierung der Arbeits-
kreative Interaktionslandschaften (interactive creativity land-
welt manifestieren. Somit ergibt sich eine Synthese aus Ergo-
scapes) eingerichtet. Hier wird besonderer Wert auf ein die
nomie, Ökonomie und Ökologie, Ästhetik und Qualität. Sie ist
Sinne anregendes Ambiente gelegt.
Ausdruck gestalteter Unternehmenskultur. Der Hamburger
Die Anforderungen an das Leistungsniveau aller Mitarbei-
Freizeitforscher Horst W. Opaschowski sagt, „wer Motivation
ter sind außerordentlich hoch. Angesichts der Tatsache, dass
von Mitarbeitern erhöhen will, muss dafür sorgen, dass sie
Gesundheit und Leistungsfähigkeit zusammenhängen, wird
schon während der Arbeit und nicht erst danach Freude am
dem „Gleichgewicht zwischen Arbeit und Freizeit“ („work-
Leben haben“.
life-balance“) in der Arbeitswelt Rechnung getragen. Dabei besinnt man sich verstärkt darauf, dass räumliche Behaglich-
BÜROARBEITSPLÄTZE
keitsfaktoren eine wesentliche Rolle für Wohlbefinden und da-
Die Büroarbeitswelt befindet sich in einem umfangreichen
mit auch für Motivation und Produktivität von Mitarbeitern
Veränderungsprozess. Die Globalisierung und weltweite Ver-
spielen. Der Wandel in der Büroarbeitswelt vollzieht sich vom
>
Entspannungsbereich
101
fixen Ort einer bereitgestellten IT-Infrastruktur zu einem Platz
zu.Wichtig ist es, ein Ambiente zu schaffen, das eine „bewuss-
des Gesprächs und der Kreation neuer Ideen in einem anspre-
te Gestaltung“ erkennen lässt und dabei einen hochwertigen,
chenden Umfeld.
repräsentativen und gepflegten Eindruck vermittelt.
Im Jahre 2002 hat das Fraunhofer Institut Stuttgart die em-
Überraschend in der Studie ist auch die Erkenntnis, dass
pirische Office 21-Studie über „soft success factors“ durchge-
die Dekoration des Arbeitsplatzes mit persönlichen Dingen
führt. Daraus sind allgemein gültige Erkenntnisse abzuleiten,
keinen signifikanten Einfluss auf das Wohlbefinden hat. Die
die deutlich machen, welche Faktoren aus Sicht der Büronut-
Studie Office 21 ergab, dass sich das beste Wohlbefinden in
zer entscheidend zur Optimierung der räumlichen Umgebung
Kombi-Büros feststellen lässt. Auch der Büroformenmix und
beitragen und wie stark diese das Wohlbefinden und die „Hu-
Einzelbüros werden überdurchschnittlich gut beurteilt.
man Performance“ bestimmen. Performance-Aspekte und
Innerhalb eines Bürogebäudes gibt es neben den eigentli-
Wohlbefinden der Büronutzer sind eng miteinander verknüpft.
chen Arbeits- und Büroräumen folgende Funktionsbereiche:
Im Zusammenhang mit der Erfassung weicher Faktoren,
Eingangsbereich, Empfang, Kontakt- und Pausenzonen, Cafe-
die im Büro für die subjektive Beurteilung des eigenen Wohl-
teria, Besprechungsräume. Diesen Funktionsbereichen schlie-
befindens von Bedeutung sind, sind im Wesentlichen zwei
ßen sich die Arbeits- und Büroräume an. Es lassen sich folgen-
Aspekte zu berücksichtigen. Zum einen resultiert Wohlbe-
de klassische Büroraumarten wie Großraumbüro, Zellenbüro
finden aus der Zufriedenheit mit der Arbeit sowie der Zusam-
(Ein- und Mehrpersonen-Zellenbüros), Gruppenbüro und
menarbeit mit anderen und der Einbindung in ein Team. Zum
Kombibüro unterscheiden. Neuentwickelte Begriffe wie zum
anderen wird es beeinflusst aus Wahrnehmungen und Schlüs-
Beispiel Action Office, Lean Office, Nomadic Office, Non-Terri-
selreizen, die aus der Gestaltung und den Bedingungen der
toriales Büro, sind keine neuen Büroformen, sondern verwei-
räumlichen Arbeitsumgebung resultieren. Der Hauptfaktor für
sen auf die Tendenz zur Flexibilisierung der Raumaufteilung
Wohlbefindlichkeit ist die Attraktivität der Büroeinrichtung.
oder zur alternativen Nutzung von Arbeitsplätzen und Ar-
Dabei kommt dem Thema „Materialität“ im Sinne von Wertig-
beitsorten. Gegenwärtig sind Großraumbüros sowie Einzel-
keit, Gepflegtheit und Attraktivität eine entscheidende Rolle
und Kombibüros die gängigsten Büroformen.
<
Unternehmensberatung Strasser, München Architektur Löffler und Weber
102
11
GESTALTUNGSFELDER
GROSSRAUMBÜROS
gel an Selbstbestimmung und Handlungsfreiheit. Es steht au-
Wurden vor Jahren Großraumbüros seitens ihrer Befürworter
ßer Frage, dass die räumlich-materielle Gestaltung der Ar-
noch zahlreiche Vorteile ökonomischer und organisatorischer
beitsumgebung umso mehr an Bedeutung gewinnt, je weni-
Art zugesprochen, so werden sie heute aufgrund zahlreicher
ger die Betroffenen ihre Arbeit beeinflussen können. Spezielle
Evaluationsstudien in Frage gestellt. Die erwarteten positiven
Einrichtungen wie Cafeteria, Pausen- und Ruhezonen, für die
Auswirkungen auf das Arbeitsverhalten, auf Kommunikation,
Arbeit notwendige Kommunikations- und Rückzugsmög-
Kooperation und positives Sozialklima haben sich weitge-
lichkeiten, wie Besprechungs- und Leseräume, gewinnen bei
hend nicht erfüllt. Angestellte, die in Großraumbüros tätig
Großraumeinrichtungen im Sinne einer humanen Arbeits-
sind, klagen vielfach über negative Einflüsse der Arbeitsumge-
platzgestaltung wesentliche Bedeutung. In Großraumbüros
bung auf Zufriedenheit, Leistung und Gesundheit. Die Kon-
sind zur Individualisierung von Arbeitszonen Diskretionsele-
zentration und damit auch die Qualität der Arbeit werden
mente einzubauen. Auf Akustik und Klima muss die Farbge-
durch Einbußen in der architektonisch-räumlichen und sozia-
staltung synästhetisch Einfluss nehmen.
len Privatheit beeinträchtigt, durch vielfache Unterbrechungen und Ablenkung, durch ständige Hintergrundgeräusche
EINZEL - UND KOMBIBÜROS
und -bewegungen. Zusätzliche Störungen entstehen durch
Im Gegensatz zu Großraumbüros haben Einzel- und Kombibü-
unklare Orientierung, wenn zum Beispiel die Wegeverläufe
ros den Vorteil, dass bereits durch die geringen räumlichen
nicht klar gekennzeichnet sind und Arbeitsplatzterritorien da-
Ausmaße sowie eine niedrigere Personendichte viele der im
durch nicht respektiert werden. Schlechte Lichtverhältnisse
Großraum anfallenden Probleme weniger stark oder gar nicht
(Mischlicht durch Tageslicht- und Kunstlichtbeleuchtung, fal-
in Erscheinung treten. Wenngleich auch hier Störfaktoren auf-
sche irritierende Schattigkeiten) und falsche Farbgestaltung
kommen können, so ist ihr Ausmaß geringer als in Großräu-
sowie problematische Klimaverhältnisse bedingen darüber
men. Privatheit und eigene Kontrollmöglichkeiten nehmen zu,
hinaus häufig somatische und psychosomatische Störungen
sofern organisatorische Maßnahmen dies nicht reglemen-
bis hin zu schweren gesundheitlichen Beschwerden. Zwei
tieren.
grundlegende Probleme gehen aus den Untersuchungen zum
In Einzelbüros lässt sich am leichtesten individuellen Be-
Großraumbüro hervor: der Mangel an Privatheit und der Man-
dürfnissen entsprechend ein Arbeitsplatz gestalten. In der Re-
>
Großraumbüro, Bauwens-Forum, Castrop-Rauxel Architektur Thomas Kesseler
103
Fassade, Braun AG, Melsungen
>
<
Einzelbüro, Braun AG, Melsungen
<
104
Besprechungsraum, Braun AG, Melsungen Architektur Sterling, Wilford, Schupp
11
GESTALTUNGSFELDER
gel ist die Nutzung eines Einzelbüros abhängig vom Status in
Verantwortliche Farbgestaltung erfordert eine fachlich qua-
der Betriebshierarchie. Dennoch steht außer Frage, dass die-
lifizierte Auseinandersetzung mit der Wirkung von Farben im
ses für konzentrationsfördernde Arbeit und vertrauliche Ge-
architektonisch-räumlichen Kontext unter Berücksichtigung
spräche strukturunabhängig die bestgeeignete Raumbedin-
ergonomischer und funktionaler Anforderungen. Eine ergo-
gung darstellt.
nomische Farbkonzeption muss folgenden grundlegenden physiologischen und psychologischen Anforderungen ent-
ANMUTUNG UND VISUALISIERUNG, FARB- UND
sprechen: Lichtverhältnisse und Farbgebung müssen so be-
MATERIALGESTALTUNG
schaffen sein, dass Sehstörungen, Konzentrationsschwierig-
Wer die Bürowelt als Lebensraum begreift, auf humane Ge-
keiten und Ermüdungserscheinungen vorgebeugt wird, die
staltung baut und Menschen damit erreichen will, muss sich
vor allem durch Blendungen und Spiegelungen, durch Kon-
mit ihren Vorstellungen, Wünschen und emotionalen Bedürf-
trastarmut, harte Hell-Dunkel-Kontraste, intensive Farbreize
nissen befassen. Entgegen grundlegender physiologischer
und irritierende Muster im direkten Blickfeld hervorgerufen
und psychologischer Erkenntnisse wird dem Gestaltungsele-
werden. Am Arbeitsplatz spielt das Verhältnis der Oberflä-
ment Farbe, vor allem seiner sinnvollen ergonomisch richti-
chenhelligkeiten eine wichtige Rolle für gutes Sehen. Daher
gen Einbindung in die Bürowelt, noch immer zu wenig Beach-
sollte die Helligkeit aller größeren Flächen und Gegenstände
tung beigemessen. Dabei ist vor allem auch vor unseriösen,
im Gesichtsfeld möglichst ähnlich sein. Von starken Hell-Dun-
verallgemeinernden Aussagen und Behauptungen zur Wir-
kel-Kontrasten, wie schwarzen Schreibtischen vor weißen
kung von Farben, verbunden mit dubiosen Patentrezepten,
Wänden und Fenstern, hellen Büromaschinen auf sehr dunklen
die zur Steigerung der Leistungsfähigkeit und Kreativität füh-
Arbeitsflächen, ist abzusehen. Die Umgebung außerhalb des
ren sollen, eindringlich zu warnen. Daraus abgeleitete – be-
direkten Blick- und Arbeitsumfeldes kann höhere Kontrastun-
denkenlose – Farbgestaltungsresultate sind ebenso verfehlt
terschiede darstellen. Bei der Beleuchtung sind die im Kapitel
wie jene Farbabstinenz, die das Office-Design der letzten Jah-
6 aufgezeichneten Gesichtspunkte zu berücksichtigen.
re prägte und heute noch maßgeblich bestimmt. Sie sind für
Die Aufgabe ergonomisch richtiger Gestaltung des Büros
den dort tätigen Menschen, der seiner Arbeitsumwelt nicht
besteht insgesamt darin, durch subtile Farbstimulation ein
kurzfristig, sondern über eine lange Zeit hinweg ausgesetzt
Raummilieu zu gestalten, welches Monotonie, aber auch Reiz-
ist, unzumutbar.
überflutung verhindert.
105
BILDSCHIRMARBEITSPLATZ
Beim Aufstellen des Bildschirms muss genauestens darauf
In Büros stellen Bildschirmarbeitsplätze eine besondere phy-
geachtet werden, dass weder Direkt- und Reflexblendung
siologische Beanspruchung dar. Ihre Einbindung in das Ar-
noch zu große Leuchtdichte-Unterschiede entstehen:
beitsumfeld bedarf der Umsetzung klarer DIN-Normen bezo-
der Bildschirm darf nicht mit Blick zum Fenster oder einer
gen auf Beleuchtung und Ergonomie. Die EU-Richtlinie für
hellen Wand stehen,
Bildschirmarbeitsplätze gibt zur Farbgestaltung folgende
seitlicher Lichteinfall ist anzustreben,
Empfehlungen ab:
Spiegelungen von rückwärtigen hellen Wänden, Leuchten
für die Raumbegrenzungsflächen:
und Fenstern sind zu vermeiden.
Farbgestaltung und Reflexionsgrad der Decke 70–85%, Farbgestaltung und Reflexionsgrad der Wände 50–65%,
Auch weiße Kleidung oder solche mit starken Kontrasten kann
sowie des Bodens im Bereich 20–40%,
sich im Bildschirm störend spiegeln.
für Arbeitsflächen, Einrichtungen und Geräte:
Ständiger Wechsel der Sehrichtung zwischen Vorlagenhal-
Reflexionsgrad im Bereich von 20–50%,
ter und Bildschirm erfordert die Einstellung des Auges auf ver-
Glanzgrad matt bis seidenmatt.
schiedene Entfernungen (Akkommodation), was zur Ermüdung führen kann. Dieses Problem wird verschärft, wenn das
Arbeit am Bildschirm verlangt erhebliche Eigenleistungen
Auge sich gleichzeitig auf unterschiedliche Leuchtdichten ein-
vom Benutzer. Er muss über die Möglichkeiten wie auch über
stellen muss (Adaption). Die Entfernung des Bildschirms soll-
die belastenden Faktoren seines Arbeitsinstrumentes infor-
te daher gleich der Entfernung der Vorlage sein:
miert werden. Eine erschwerte visuelle Wahrnehmung führt
der Vorlagenhalter (wenn vorhanden) sollte die gleiche Nei-
nicht nur zu erhöhter Beanspruchung der Augen, sondern zu
gung wie der Bildschirm haben,
unnatürlichen Körperhaltungen und damit verbundenen Mus-
die Leuchtdichte zwischen Vorlage und Bildschirm sollte so-
kelverspannungen. Unbewusst wird die Körperhaltung am
weit wie möglich aufeinander abgestimmt sein.
Bildschirm so gewählt, dass Reflexe im zentralen Gesichtsfeld unterbleiben. Die folgenden Hinweise sollen aufzeigen, wie
Ein farbiger Hintergrund auf dem Bildschirm erhöht die Bean-
seitens der Nutzer selbst zur Verbesserung ihrer Situation am
spruchung bei visueller Arbeit. Die Zeichen auf dem Bild-
Bildschirmarbeitsplatz beigetragen werden kann.
schirm sollten vorzugsweise entweder weiß, grün oder grün-
<
106
Häufige Blendungssfaktoren am Arbeitsplatz
11
GESTALTUNGSFELDER
gelb sein. Normalerweise wird nur Licht grüngelber Wellen-
hilft Farbe, indem sie Kontraste schafft und wichtige Gegen-
länge scharf auf der Netzhaut abgebildet. Für Licht roter Wel-
stände in den Vordergrund rückt.
lenlänge ist das Auge übersichtig, für Licht blauer Wellenlänge hingegen kurzsichtig. Schließlich ist darauf hinzuweisen,
ANMUTUNG UND VISUALISIERUNG IN ARBEITSRÄUMEN
dass getönte und multifokale Brillen im Allgemeinen für die
Arbeitsstätten sollten ein Raumerlebnis ermöglichen sowie
Arbeit am Bildschirm ungeeignet sind.
auch eine zweckdienliche Anmutungsqualität haben. Die Anmutung muss analytisch erfasst werden und die erkannten
GEWERBLICHE ARBEITSPLÄTZE
Werte, bestehend aus wahrnehmungspsychologischen Not-
Manche Kriterien, die für die Gestaltung von Großräumen bis-
wendigkeiten und stimmungsmäßigen, arbeitsatmosphäri-
her genannt wurden (Strukturierung, Platzbildung), treffen
schen Applikationen, müssen visualisiert, das heißt sicht- und
auch auf den gewerblichen Arbeitsplatz zu. Dabei kommt es
einsehbar gemacht werden.
nicht nur auf eine richtige Beleuchtung, sondern auch auf eine sinnvolle Farbgestaltung der Arbeitsplätze, der Arbeitsräu-
Unter anderem gelten folgende Forderungen für Arbeitsstät-
me, der Maschinen und der Arbeitsumgebung an. Farben kön-
ten:
nen der Ermüdung entgegenwirken, Stress abbauen, die
Ruhe und Konzentration vermitteln,
Motivation begünstigen und Fehlleistungen vermindern. Far-
Fantasiebetätigung bei automatisch-rigider, repetitiver Ar-
ben dienen aber auch der Orientierung und der Sicherheit. Sie
beitsweise ermöglichen,
erleichtern die Wahrnehmung, schonen die Augen und tragen
den betrieblich unvermeidlichen Belastungen entgegenwir-
ganz allgemein zu unserem Wohlbefinden bei. Durch die rich-
ken, zum Beispiel durch Ausgleich von Hitze, Lärm oder
tige Farbgestaltung werden Arbeitsvorgänge besser veran-
Schmutz.
schaulicht und negative Einflüsse der Umgebung in ihrer Wir-
Die Raum- und Arbeitsatmosphäre begünstigt ihrerseits ar-
kung gemindert. Wesentlich im Arbeitsprozess ist das
beitsgemäßes Verhalten.
Erkennen von Gegenständen. Dabei ist die Prägnanz der Figur im Bezug zum Hintergrund entscheidend: Gegenstände, die
Kompensation und Konsonanz
leicht erkannt werden sollen, dürfen daher nicht auf einem ir-
Die wichtigsten Belastungen am Arbeitsplatz können durch
ritierend gegliederten oder gemusterten Grund stehen. Dabei
Farbe teilweise subjektiv kompensiert werden. Gewisse sind
<
Maschinenfabrik Spielvogel, Kulmbach
107
mitunter aber unvermeidlich. Die nachfolgende Tabelle zeigt
Die Art der Belastung ist eines der wichtigsten Kriterien für
den verstärkenden oder ausgleichenden Einfluss der Umge-
die Wahl der Dominanzfarbe. So kann in betriebsmäßig küh-
bungsfarben bei bestimmten Belastungen.
len Arbeitsräumen durch die richtige Farbwahl (warme Farb-
Die Aufzählung erfasst natürlich bei Weitem nicht die Fülle
nuancen) das subjektive Wärmeempfinden erhöht werden.
der möglichen Belastungen. Je nach Befund einer Ist-Analyse
Analog können insbesondere auch Lärmempfindungen in be-
sind Farbtests mit den Betroffenen durchzuführen (siehe Ka-
grenztem Umfang abgebaut werden. Gewisse Dauerbelastun-
pitel 10, semantisches Differenzial), um die Entsprechungen
gen wie unangenehme Gerüche sollten wenigstens an den
von Belastungen und visuellem Eindruck zu ermitteln (Rau-
Maschinen kompensiert werden.
schen, Rattern, giftiger Gestank, Staub, gleichförmige Arbeitstakte etc.).
BEISPIELE FÜR KOMPENSATION UND KONSONANZ Sinne
Belastung
Ausgleich
Verstärkung
Tastsinn
Feuchtigkeit
sandgelb
grünlich blau
Trockenheit
blaugrün
sandgelb, ocker
Monotonie
farbig, lebhaft
grau
Dunst
klar, orange
graublau
anstrengende, schnell
beruhigende,
aufregende Farben,
wechselnde Tätigkeit
entspannende Farben
laute Kontraste
modrig
hellblau, klar
schwärzlich-grün,
narkotisch, schwer
gelbgrün, blaugrün
violett, purpur
Röstgeruch
frisches Grün
dunkelbraun
süß/ süßlich
grünblau
rot, rosa
sauer
gelb, orange
gelbgrün, grünblau
bitter
orange, rosa
gelbbraun, blau-violett
Hitze
blau, blaugrün
orange, rot
Kälte
orangerot, braun
grünblau, weiß
schrill
oliv, blau
gelb, gelbgrün
dumpf
frisches Grüngelb
oliv, grünbraun
Behagenssinn
Bewegungssinn
Geruchssinn
grünlich-braun
Geschmackssinn
Wärmesinn
Gehörsinn
108
11
GESTALTUNGSFELDER
Bestandsaufnahme
Ist-Situation
Staubentwicklung, Dunst
sauber
Temperaturverhältnisse:
Sommer: hohe Temperaturen
Hitze, Kälte
Winter: normale Bedingungen
Schall, Akustik
82 db (A)
Geräusche
Dauerrauschen
Klima (trocken, feucht)
normales Klima, 40–60% Luftfeuchtigkeit
Assoziationen – Geschmack,
künstlich, synthetisch
Geruch Reizüberflutung, Monotonie
monoton
vorhandene notwendige
für Gas, Luft, Wasser, Lacke
Kennzeichnungsfarben notwendige Hinweise
Fluchtwege, Feuerlöscher
Sicherheitsanforderungen
Hinweise auf Explosionsgefahr
Tageslicht
keines (jedenfalls nicht ausreichend)
Kunstlicht
(fast) ausschließlich, „Luxwerte“ fraglich
Tätigkeitsbeschreibung
schnell wechselnde Arbeitsrichtung, Schichtbetrieb, häufiger Standortwechsel
Altersstruktur
männlich, 25–50 Jahre
Pausenangebot
außerhalb der Halle (entlegen)
<
<
Checkliste bei Beginn einer Planung Projektbeispiel Alcatel, Drahtziehwerk
Farbdiagramm Alcatel, Drahtziehwerk, Bramsche Farbgestaltung Gerhard Meerwein
109
<
Produktion
110
<
<
Grundriss einer Produktionshalle
Produktion
11
GESTALTUNGSFELDER
Farbe als Information
Unter Colour-Engineering versteht man das Sichtbarmachen
Farben können Signal- und Aufforderungscharakter haben. So
und Verdeutlichen von Funktionen im Betrieb durch Farbe, al-
streng programmiert wie im Tierreich bekannt ist der Mensch
so weder eine rein architektonische noch eine rein ästhetische
zwar nicht, jedoch können häufig gemachte Erfahrungen zu
Gestaltung von Räumen und Geräten. Es geht vornehmlich
einer sicheren Assoziation führen, so dass eine Farbe in be-
um Einrichtungen, Maschinen und Vorrichtungen aller Art.
stimmten Situationen ohne Denkverzögerung automatisch zu
Lagersysteme, Förderungstechnik und Produktionsanlagen
bestimmten Reaktionen führt. Dafür gibt es sehr wohl psycho-
bestehen heute selten aus Maschinen eines Herstellers, son-
logische Gründe, die im Folgenden aufgezeigt werden.
dern sind fertigungstechnische Maßanzüge aus einer Vielzahl von Komponenten unterschiedlichster Zulieferer. Colour-
Gelb (RAL 1004)/Warnfarbe
Engineering muss hier die verschiedenen Herstellerfarben
lenkt die Aufmerksamkeit wie auf eine Lichtquelle. Zusammen
koordinieren und eventuell über Festlegung von Sonder-
mit Schwarz warnt es. Es spricht vorwiegend emotional an.
lackierungen einzelner Teile zu einem gestalterisch und visuell-ergonomisch zufrieden stellenden Resultat gelangen.
Rot (RAL 300)/Alarmfarbe hat den höchsten Reizwert, bewirkt Alarmstimmung und ist
Sicherheits- und Ordnungsfarben
vorwiegend emotional geprägt. Rot ist eine hoch aktivieren-
Sicherheits- und Ordnungsfarben sind zum Teil in Normen
de Farbe.
festgelegt und dienen dem Hinweis auf unmittelbare Gefahren, Ge- und Verbote. Hierfür kommen nur Farben hoher Sätti-
Blau (RAL 5010)/Ordnungsfarbe, Gebote
gung in Betracht, wie die Primärfarben Gelb, Rot, Blau und
macht bewusst, lässt überlegen und entscheiden, rationali-
Grün. Farbwirkungen können durch komplementäre Kontras-
siert unser Tun und ist vorwiegend rational geprägt. Blau stei-
te sowie Schwarz und Weiß gesteigert werden (siehe DIN
gert und fördert die Konzentration.
4818). Sicherheits- und Ordnungsfarben sind nach den Forderungen guter Figur/Grund-Kontraste anzubringen. Ihre Er-
Grün (RAL 6001)/Sicherheitsfarbe, Hinweise
kennbarkeit und leichte Auffindbarkeit im Produktionsprozess
vermittelt die Vorstellung von Sicherheit, weist, im Gegensatz
haben erste Priorität. Hintergründe und Umfelder sind also
zu Blaugrün, auf Spannungslosigkeit. Grün regt emotional
entsprechend „dienend“ zu gestalten. Eine weitere Gruppe
wie auch rational an.
von Ordnungsfarben sind Kennzeichnungsfarben nach Inhalt
111
<
112
Coca Cola Tapperierne, Fredericia Farbgestaltung Bettina Rodeck
11
GESTALTUNGSFELDER
und Durchführung. Sie geben Aufschluss über Funktionen von
ZUSAMMENFASSUNG DER WICHTIGSTEN
Rohrleitungen. Die Aufstellung unten zeigt, welche Farben
GESICHTSPUNKTE GUTER ARBEITSPLATZGESTALTUNG
nach DIN 2403 eingesetzt werden. Richtige Farbgebung Maschinenfarben
verbessert die visuelle Wahrnehmung: Durch bessere Unter-
Maschinen werden häufig von Herstellern nach eigenen,
scheidung des Arbeitsgutes werden Augen und Organismus
marktstrategischen Gesichtspunkten farblich gestaltet und
geschont;
unterliegen dem CI/CD-Konzept des Herstellers. Diese Farbig-
fördert die Konzentration und verringert Fehlleistungen:
keit entspricht selten den Gestaltungsinteressen des Nutzers.
Durch Abbau von Monotonie und Reizüberflutung werden
Maschinen als Einrichtungsobjekte am gewerblichen Arbeits-
Ermüdung und Irritation vermieden. Dabei spielt auch das
platz müssen Bestandteil der Farbkonzeption des gesamten
Licht eine wichtige Rolle;
Raumes sein. Dabei sind wichtige Funktionen klar zu definie-
schafft bessere Einsicht in das Arbeitsganze: durch korrekte
ren und zu differenzieren, bewegliche und/oder gefährliche
Visualisierung und Assoziationshilfen;
Teile besonders zu kennzeichnen. Maschinen dienen und stel-
leistet Orientierungshilfe: durch Farb- und Formzeichen als
len Werkzeuge dar. Deshalb müssen sie im Sinne visueller Er-
Medium zur Information, auch durch sinnvolle Raumgliede-
gonomie farblich richtig gestaltet sein. Zwischen Maschinen
rung in verschiedene funktionsbezogene Farbbezirke sowie
und dem zu bearbeitenden Werkstoff sollte ein ausreichender
durch Bezeichnung unterschiedlicher Funktionen an Ma-
Farb-, beziehungsweise Helligkeitskontrast gegeben sein. Zu-
schinen;
dem sollten zu viele Akzente in verschiedenartigen Farben
trägt zur Ordnung bei: Beim Arbeitsfluss, bei der Lagerung,
vermieden werden. Mit den Warnfarben muss sparsam umge-
beim Transport sind Farben ein wichtiger Faktor zur Unter-
gangen werden, damit sie signifikant bleiben.
scheidung und Ordnung;
FARBEN NACH DIN 2403 Wasser
Grün
RAL 6018
Wasserdampf
Rot
RAL 3000
Luft
Grau
RAL 7001
Brennbare Gase
Gelb
RAL 1021
oder Gelb mit Zusatzfarbe Rot
+ RAL 3000
Gelb mit Zusatzfarbe Schwarz
RAL 1021
oder Schwarz
+ RAL 9005
Säuren
Orange
RAL 2003
Laugen
Violett
RAL 4001
Brennbare Flüssigkeiten
Braun
RAL 8001
oder Braun mit Zusatzfarbe Rot
+ RAL 3000
Braun mit Zusatzfarbe Schwarz
RAL 8001
oder Schwarz
RAL 9005
Blau
RAL 5015
Nichtbrennbare Gase
Nichtbrennbare Flüssigkeiten
Sauerstoff
113
Internationales Postverteilungszentrum, Flughafen Frankfurt/Main Farbgestaltung Gerhard Meerwein, Bettina Rodeck
<
>
>
>
Verteilungszentrum Sortierplätze Farbgestaltung Gerhard Meerwein, Bettina Rodeck >
Konferenz- und Schulungszentrum Innenarchitektur/Farbgestaltung Gerhard Meerwein
114
Kantine Innenarchitektur/Farbgestaltung Gerhard Meerwein
11
GESTALTUNGSFELDER
erhöht die Sicherheit: Durch Einsatz von Sicherheits- und
Visuelle Belastungsfaktoren am Arbeitsplatz wie:
Ordnungsfarben werden Unfallgefahr und Verwechslungs-
Reizmangel oder Reizüberflutung
möglichkeiten herabgesetzt;
Monotonie oder Superbuntheit
begünstigt insgesamt die Anmutungsqualität, das atmo-
Kontrastarmut oder Kontrasthärte
sphärische Klima und damit auch die Akzeptanz der Arbeits-
mangelnde Farbunterscheidung oder mangelnde
umgebung, verbunden mit positiven Auswirkungen auf
Farbzusammenfassung
Wohlbefinden, Motivation und Leistung.
unentschiedene Kontraste oder fehlende Kontinuität sind zu vermeiden.
Visuelle Ergonomie sucht Ausgleich zwischen extremen Wahrnehmungszuständen, überwindet Monotonie und Reizüber-
THERAPEUTISCHE EINRICHTUNGEN
flutung durch subtile Stimulation, schont Augen und Organis-
Unter therapeutischen Einrichtungen verstehen wir Kranken-
mus, dient präziser Wahrnehmung, schafft Ordnung, leistet
häuser, Rehabilitationskliniken, Psychiatrische Kliniken, Be-
Orientierungshilfe, fördert Konzentration, verringert Fehlleis-
hindertenheime, Pflegeheime und Ähnliche. Ihre grundlegen-
tungen, begünstigt das Wohlbefinden und steigert die Motiva-
de Funktion besteht darin, Menschen mit physischer, psy-
tion.
chischer oder psycho-physischer Krankheit, Beeinträchtigung oder auch Behinderung aufzunehmen, kurz- oder langfristig
Wirkung und Akzeptanz eines Farbmilieus werden durch das
therapeutisch zu behandeln und zu betreuen. In therapeuti-
Maß der Buntheit, die Farbproportionen, Dominante, Subdo-
schen Einrichtungen ist der Blick immer auf die beiden we-
minante, Akzent, sowie durch das Verhältnis von Fläche und
sentlichen Personenkreise zu richten: die Patienten und die
Farbe, Form und Farbe, die Lage der Farbflächen im Raum be-
Mitarbeiter, vor allem das betreuende Personal.
einflusst. Gestaltete Unternehmenskultur ergibt eine Synthese aus Ergonomie, Ökonomie, Ökologie, Ästhetik und Qualität.
Bei der Gestaltung therapeutischer Umwelten ist zwischen Einrichtungen für Kurzaufenthalte (wie Krankenhäuser, RehaKliniken) und Einrichtungen für Langzeitaufenthalte (wie Be-
115
hindertenheime, Pflegeheime, zum Teil auch Psychiatrische
verständlich ist. Für den Patienten, dessen Wohlbefinden be-
Kliniken) zu differenzieren, um den unterschiedlichen Bedürf-
reits aufgrund seiner Krankheit beeinträchtigt ist und der sein
nissen der Nutzerkreise gerecht zu werden.
gewohntes Lebensumfeld verlassen muss, mag ein Krankenhausaufenthalt bedrohlich oder Angst erregend sein. Es sollte
THERAPEUTISCHE EINRICHTUNGEN
selbstverständlich sein, dass ein Krankenhaus diesen Belas-
FÜR KURZAUFENTHALTE
tungen durch möglichst günstige Umweltbedingungen ent-
Therapeutische Einrichtungen für Kurzaufenthalte sind Stät-
gegenwirkt. Die Einsicht, dass Krankenhäuser mehr sein
ten, in denen Behandlungs-, Heilungs- und Genesungsprozes-
müssen als „funktionalistische Heilfabriken“ beginnt sich
se erfolgen, die den Patienten eine baldige Wiedereinglie-
durchzusetzen. Auch Architektur kann zum Heilungsprozess
derung in ihre gewohnte private und berufliche Lebenswelt
beitragen – auf psychischer Ebene – als vertrauensfördernde,
ermöglichen sollen. Seitens der Umweltpsychologie werden
dem Wohlbefinden zuträgliche Umgebung für die Patienten
Genesungsprozesse im Zusammenhang mit dem Abbau nega-
und als stressarmes Arbeitsumfeld für das Personal. In der Me-
tiver Einwirkungen von Stress betrachtet. Dabei stehen Auf-
dizinforschung gibt es zahlreiche Hinweise, dass medizini-
klärung, Kontrollgewinn und Beteiligung der Patienten am
sche Erfolge nicht allein auf „harte Fakten“ therapeutischer
Geschehen in den Institutionen im Vordergrund, um „erlernter
Maßnahmen zurückzuführen sind, sondern dass auch weiche
Hilflosigkeit“ entgegenzuwirken. Kontrollgewinn und Beteili-
Parameter (soft factors) einen bedeutenden Einfluss auf den
gung der Patienten am Geschehen lassen sich beispielsweise
Genesungsprozess haben: „Inzwischen ist die ästhetische Di-
erreichen durch:
mension der Heilkunde zunehmend erkannt worden“ (Rolf
klare Informationen bei der Aufnahme,
Verres, Universitätsklinikum Heidelberg). Karl-Ludwig Resch
Aufklärung zu Diagnose- und Therapieverfahren,
verweist darauf, dass es das Sich-Wohl-Fühlen, das Ambiente
räumliche und organisatorische Bedingungen, Orientierung
ist, welches viele Patienten brauchen. Es unterstützt den Er-
in unbekannten Situationen,
folg einer medizinischen Therapie.
Ermöglichung von Privatsphäre hinsichtlich eines eigenen
Das Erscheinungsbild eines Krankenhauses soll daher nie
Territoriums und sozialer Kontakte,
eine funktionale oder technische Perfektion zum gestalteri-
Vorfinden angemessener baulicher, räumlicher und organi-
schen Image erheben. Der Mensch darf ebenso wenig als me-
satorischer Bedingungen, die den Bedürfnissen während
dizinischer „Fall“ behandelt werden. Die meisten modernen
des Aufenthaltes entsprechen.
Krankenhäuser sind hochkomplexe Einrichtungen, funktional und technisch perfekt. Ihr Erscheinungsbild vernachlässigt
ANMUTUNG UND VISUALISIERUNG
aber viel zu oft die Bedürfnisse der zu therapierenden Men-
Für viele Menschen, besonders für diejenigen, die sich zum
schen. Eine wesentliche Aufgabe ist, mittels Farbe, Material
ersten Mal als Patient in ein Krankenhaus begeben, ist dieses
und Licht ein Ambiente zu schaffen, welches das psychische
Ereignis wie der Eintritt in eine fremde Welt mit den ihr eige-
und physische Wohlbefinden der Patienten fördert und den
nen Vorschriften und mit einer Sprache, die nur Fachkundigen
Genesungsprozess unterstützt. Die psychosomatische Medi-
116
11
GESTALTUNGSFELDER
zin bestätigt, dass zwischen der physischen Reaktion auf die
FARB- UND MATERIALGESTALTUNG WESENTLICHER
chirurgische und medizinische Versorgung sowie der menta-
FUNKTIONSBEREICHE
len und emotionalen Einstellung des Patienten eine Bezie-
Eingangshalle, Rezeption:
hung besteht. Die Bedeutung der Farbe als unterstützendes
Die Eingangshalle und Patientenaufnahme ergeben nach dem
therapeutisches Mittel ist anerkannt. Daher hat professionel-
äußeren Erscheinungsbild einen weiteren wichtigen ersten
le Farbgestaltung in Einrichtungen der Krankenpflege höchs-
Eindruck. Das Ensemble der Gestaltungselemente sollte eine
te Priorität. Der kranke Mensch befindet sich in einem dishar-
persönliche und freundliche Ausstrahlung erzeugen. Aspekte
monischen Zustand. Nicht nur die Harmonie seines Leibes ist
von Geborgenheit, Aufgehobensein und perfekter Pflege lassen
gestört, sondern auch die zwischen Leib und Seele. Aus die-
durchaus ein wohnlich-repräsentatives Image zu. Es ist zu be-
sem Grund muss ihm das Gefühl vermittelt werden, nicht nur
achten, dass die gestalterische Qualität der Eingangshalle mit
medizinisch versorgt, sondern auch emotional umsorgt zu
den anderen Funktionsbereichen korrespondiert, nicht unbe-
sein. Patienten, wie auch ihre Angehörigen, verlangen von
dingt im Hinblick auf die Farbkomposition, aber in Bezug auf ei-
Krankenhäusern Höchstleistungen an Pflege und medizini-
ne qualitätvolle Ausgestaltung und Raumatmosphäre. Es wäre
scher Versorgung. Sie sind in dieser Hinsicht oft kritisch und
von Nachteil, wenn die Gestaltungsqualität der Eingangshalle
voller Befürchtungen. Ein Krankenhaus darf nicht kalt, distan-
im Missklang zu den Räumen medizinisch-technischer Versor-
ziert und unnahbar wirken. Andererseits soll auch nicht das
gung, den Pflege- und Aufenthaltsbereichen stünde.
Gegenteil eintreten: Eine Umgebung, die sich unbedacht in vielen und kräftigen Bunttönen präsentiert, irritiert nicht nur,
Korridore und Aufenthaltszonen:
sie kann auch Skepsis in Bezug auf die fachliche Kompetenz
Aufenthaltszonen dienen dem Patientenaufenthalt außerhalb
erwecken. In den Bereichen des Krankenhauses, in dem ärztli-
des Krankenzimmers, der Kommunikation zwischen Patien-
ches und anderes medizinisches Personal ihre Pflicht erfüllen
ten sowie der Möglichkeit, mit Besuchern außerhalb der Pa-
(in Operations-, Behandlungs- und Röntgenräumen, Intensiv-
tientengemeinschaft zu sprechen. Diese Zonen sind häufig Er-
und Therapiestationen, Labors), muss eine Umgebung ge-
weiterungsflächen von Korridoren: Deren Gestaltung sollte
schaffen werden, die allen Anforderungen visueller Ergonomie
eine Steigerung zu diesen darstellen. Die Atmosphäre einer
entspricht. Das Sehvermögen darf nicht belastet werden und
gewissen Privatheit sollte in der Farb- und Materialwahl sowie
es darf keine vorzeitige Ermüdung eintreten. Arbeitsbedin-
der Qualität der Möblierung erreicht werden. Im Gegenzug
gungen müssen optisch erleichtert werden. Es ist nicht nur an
sind Korridore selten nur Verkehrsbereiche, sondern auch Auf-
das Wohlbefinden der Patienten zu denken, sondern auch an
enthaltsorte. Sie nehmen einen großen Teil der Gesamtfläche
das des Personals. Der tägliche Umgang mit Kranken und ih-
des Krankenhauses ein und vermitteln so einen entscheiden-
rem Leiden erfordert viel Kraft und Geduld. Falsche Umge-
den Teil des Gesamteindrucks. Atmosphäre und Funktion ei-
bungsbedingungen überfordern das Personal und können sich
ner bestimmten Abteilung sollten sich schon in den Korrido-
letzten Endes auch auf die Arbeitsleistung und die Beziehung
ren zeigen. Zu einer Intensivpflegestation gehört ein anderes
zum Patienten auswirken.
Farbmilieu als zu einer Kinderstation. Somit werden Korrido-
117
118
>
Patientenzimmer 1
>
Patientenzimmer 2
>
Cafeteria
>
Patientenzimmer Kinderstation
11
GESTALTUNGSFELDER
re auch zur Orientierungshilfe. Falls die Möglichkeit zu einer
Hautfarbe der Patienten verändern: Die visuelle Diagnose am
differenzierten Gestaltung nicht besteht, können architektoni-
Krankenbett darf weder durch Deckenreflexionen noch Wand-
sche Elemente, wie zum Beispiel Türen, als farbliche Akzente
reflexionen zu kräftiger Farben beeinträchtigt werden (Si-
die Identifizierung der Stationen übernehmen. Ohne Farbre-
multankontrast). Bei der Beleuchtung ist darauf zu achten,
zepte geben zu wollen, sollen Lösungsansätze skizziert wer-
dass sie blendfrei ist und einen hohen Farbwiedergabe-Index
den: im Korridor der Intensivpflegestation ist ein nicht zu
hat.
stark verhülltes, eher frisches Blaugrün oder Grün denkbar, um den Eindruck von Ruhe zu vermitteln; in allgemeinen Kor-
Intensivpflegeräume:
ridoren hingegen könnte eine freundliche, warme Atmosphä-
In Intensivpflegeräumen wird Patienten eine intensive medi-
re hergestellt werden. Korridore sollten nicht Ton in Ton, son-
zinisch-technische Versorgung zuteil. Diese Patienten brau-
dern akzentuiert gestaltet werden.
chen eine umfassende Fremdversorgung und sind bei der Erfüllung
einfachster
Grundbedürfnisse
auf
fremde
Hilfe
Krankenzimmer allgemein:
angewiesen. Sie sind oft bis zur Bewegungslosigkeit einge-
Krankenzimmer dienen kürzeren oder längeren Krankenhaus-
schränkt, ihr Erlebnishorizont ist sehr begrenzt. Häufig leiden
aufenthalten. Sie werden von Menschen unterschiedlichen
diese Patienten unter starken Schmerzen. Es handelt sich
sozialen Hintergrundes, Alters und persönlicher Lebensver-
meist um Patienten, die nach Schockerlebnissen (schweren
hältnisse genutzt. Ebenso ist der Schweregrad ihrer Erkran-
Unfällen, Schlaganfällen, Infarkten) oder Operationen hier
kung verschieden. Dies führt zu diskrepanten Erwartungen an
eingeliefert werden und aus medizinischen Gründen sowie In-
das Krankenhausumfeld. Häufig treten Angstgefühle, Schlaf-
fektionsgefahr von Außenkontakten abgeschirmt werden.
losigkeit oder andere psychische Dysfunktionen auf, denen
Durch Nebenwirkungen von Medikamenten, Schlafverlust
mit gestalterischen Mitteln entgegengewirkt werden kann.
und Unterbrechung der circadianen Rhythmen können zeit-
Zur Unterstützung therapeutischer Zielsetzungen und Förde-
weise Symptome von Verwirrtheit und Halluzinationen auftre-
rung der Genesung sollte der Raum optimistisch stimmen,
ten, die zu starken Verunsicherungen führen. In Räumen der In-
freundlich wirken und behaglich sein. Bettlägerige Patienten
tensivpflege sind gedämpfte Lichtverhältnisse üblich. Diese
suchen oft im Blickfeld der Decke Halt. Sie soll daher entspre-
Räume müssen erregungsfrei sein und Ruhe vermitteln, was
chend gestaltet werden und darf leicht farbig sein. Es ist zu-
jedoch zu keiner Monotonie führen darf. Blaugrün oder ver-
dem darauf zu achten, dass keine störenden Reflexe die
hülltes Grün mit kleinflächigen Akzenten in wärmeren Farben
119
>
<
Fassade Städtisches Klinikum St. Georg, Leipzig Architektur HPP, Stuttgart/Leipzig
Rezeption
>
<
Flur
Flur
>
<
Patientenzimmer
120
Patientenaufenthalt
11
GESTALTUNGSFELDER
wären Farbgestaltungsmöglichkeiten. In Intensivpflegeräu-
Labors:
men müssen besonders klare visuelle Signale gegeben wer-
Labors sind interne Arbeitsräume, zu denen Patienten keinen
den, die ein Gefühl der Sicherheit vermitteln.
Zutritt haben. Hier müssen vor allem Kriterien der visuellen Ergonomie erfüllt werden. Die Qualität der Farbwiedergabe-
Operationsraum:
Eigenschaften der Beleuchtung ist bei der Planung vorrangig
Für viele Patienten stellt ein operativer Eingriff zunächst eine
zu berücksichtigen. Diese hat auf Farb- und Materialwahl be-
beunruhigende und beängstigende Lebenssituation dar. Der
sonderen Einfluss. Dort, wo kritische Unterscheidungen von
Patient muss sein volles Vertrauen in die ärztlichen Fähigkei-
Farbnuancen (gefärbte Präparate und so weiter) wichtig sind,
ten und die medizinisch-technischen Einrichtungen setzen.
müssen die Wände neutral – zum Beispiel grau – gehalten wer-
Seine Hemmschwelle gegenüber dem Operationsraum muss
den. Monotonie lässt sich durch Verwendung von Farbe an
durch die Vorbereitung auf die Operation und die Betreuung
Türen, Tischen, Stühlen wie auch der Arbeitskleidung des
durch Ärzte und Pflegepersonal, gegebenenfalls in geeigneten
Personals verhindern.
Vorbereitungsräumen, abgebaut werden. Im Operationsraum sind aber auch arbeitsphysiologische Gesichtspunkte in Be-
EKG- und EEG-Messräume:
tracht zu ziehen. Der Raum muss die besonderen visuellen An-
In EKG- und EEG-Messräumen werden an Patienten Messun-
strengungen des Arztes berücksichtigen. Seit Jahren werden
gen der Herz- und Hirntätigkeit vorgenommen. Diese Räume
grünliche (in den USA blau-grünliche) Abdecktücher und Kit-
müssen erregungsfrei gestaltet sein; es ist jedoch auch Vor-
tel mit einem geringen Helligkeitsgrad verwendet, um Augen-
sicht vor Monotonie geboten. Eine monotone Umgebung be-
ermüdung vorzubeugen, die durch zu große Leuchtdichte-Un-
einflusst Herzschlag und Gehirnwellen. In einer monotonen
terschiede entstehen kann. Der Reflexionsgrad (8–10%) der
Umgebung kann der Patient einen Stimulus in seiner Innen-
Abdecktücher weist dadurch ungefähr dieselbe Leuchtdichte
welt suchen, was wiederum seine physiologischen Reaktio-
wie das Wundfeld auf. Das Nachbild auf das rötliche Wundfeld
nen beeinflussen kann. Nicht nur die Farbe ist maßgebend,
wird von der grünen Umfeldfarbe neutralisiert. Wandfarben
sondern alle Elemente im Raum. So kann ein „ruhig“ gestalte-
im Operationsraum sollten den Helligkeitsgrad von 40% nicht
ter Raum einen interessanten Gestaltungsakzent aufweisen,
überschreiten (ideal sind 30–35%) und sich im Farbton den Ab-
den der Patient während der Messungen erkunden kann.
decktüchern und Kitteln annähern (Grün bis Blaugrün).
121
<
Patientenzimmer Städtisches Klinikum St. Georg, Leipzig Architektur HPP, Stuttgart/Leipzig
>
Operating theater
<
122
OP-Trakt
11
GESTALTUNGSFELDER
Kinderabteilung:
leicht die Eltern, sie erleichtern jedoch nicht die Arbeit des
Ein Krankenhausaufenthalt ist vor allem für ein Kind ein ein-
Pflegeperonals bei der Beobachtung der Neugeborenen. Gelb,
schneidendes und kritisches Lebensereignis. Kinder sehen die
Rosa, Blau und Grün wie auch Grau als Dominanzfarbe kön-
Notwendigkeit eines Krankenhausaufenthaltes oft nur sehr
nen zu einem verfälschten Aussehen führen. So kann eine gel-
schwer ein. Das Verlassen ihrer gewohnten Umgebung bedeu-
be Wand Gelbsucht simulieren; durch eine blaue Wand kann
tet für die meisten einen Eingriff, der einer guten persönlichen
die Haut der Säuglinge bläulich wirken und Zyanose vortäu-
Vorbereitung und Begleitung bedarf. Das räumlich-visuelle Er-
schen. Helle, leicht verhüllte Farben wie Beige oder Sand sind
lebnisfeld einer Kinderabteilung braucht besondere planeri-
passend, solange der Helligkeitsgrad nicht über 75% Lichtre-
sche Sorgfalt: Ein liebevolles und angstfreies Raumklima
flexion aufweist (Weiß ist also ungeeignet). Akzente können
muss geschaffen werden. Vorwiegend helle, warme und
durch farbige Türen und andere Elemente in die Umgebung ge-
freundliche, aber auch klare Farben sollen eine abwechslungs-
bracht werden.
reiche Atmosphäre ergeben, ohne verwirrend zu wirken. Die Gestaltung kann durchaus spielerisch sein, sollte jedoch nicht
Stationszimmer:
naiv und klischeehaft wirken.
Das Stationszimmer ist Arbeitsplatz und Aufenthaltsort des Pflegepersonals. Es ist Kontaktstelle für Patienten, Besucher
Entbindungsstation:
und Ärzte, aber auch Verwaltungsarbeitsplatz. Hier gelten die
Eine Entbindungsstation ist ein besonderer Bereich innerhalb
Kriterien für Büroarbeitsplätze ebenso wie diejenigen für Per-
eines Krankenhauses. Ihre Atmosphäre sollte der eines ge-
sonalräume. Das Stationszimmer, Kernstück jeder Kranken-
pflegten, wohnlichen Hotels entsprechen: Intimität und Ver-
station, sollte sich visuell von den übrigen Räumen unter-
trautheit stehen im Vordergrund. Der Raum zur Geburtsvorbe-
scheiden und durch farbliche Differenzierung gut erkennbar
reitung sollte nicht in kräftigen und zu warmen Farben
sein.
gehalten sein: Die Anmutung muss insgesamt entspannend und „lösend“ wirken. Die Korridore sollten sich farblich von
Wartezimmer:
den anderen Stationen unterscheiden. Hier darf das „freudige
Wartezimmer sind Aufenthaltsräume vor ärztlichen Untersu-
Ereignis“ visuell ausgedrückt oder farblich assoziiert werden.
chungen, Behandlungen und Beratungen. Sie werden von
Im Säuglingszimmer erfreuen Wände in Rosa oder Blau viel-
mehreren Personen in Anspruch genommen. Die Wartezeit ist
>
>
Entbindungsraum
Mutter-Kind-Raum
123
oft von Sorgen und Ängsten, aber auch von Hoffnungen und
Bodenflächen allgemein:
Erwartungen begleitet. Es ist daher eine beruhigende Umge-
Bodenflächen sollen durch ihre Farbgebung einen „trittfesten“
bung erforderlich. Trotzdem sollten genügend visuelle Stimu-
Eindruck vermitteln. Es gibt nichts Unpassenderes für einen
li und interessante Blickpunkte enthalten sein, um die Auf-
Patienten, als auf hellen, glatten, reflektierenden Böden zu ge-
merksamkeit auf das räumliche Umfeld und weg von
hen. Ein solcher „Schlittschuhbahn-Effekt“ ist irritierend und
negativen Gedanken zu lenken. Nach Möglichkeit sollte das
verunsichernd. Einsatzmöglichkeiten textiler Beläge kommen
Wartezimmer natürliches Licht bekommen und Sicht nach
verschiedenen Ansprüchen entgegen (Akustik). Ihre Nachteile
draußen bieten.
(Hygiene) müssen aber von Fall zu Fall geprüft werden.
Cafeteria:
THERAPEUTISCHE EINRICHTUNGEN
Der Besuch der Cafeteria ist eine Unterbrechung der Arbeits-
FÜR LANGZEITAUFENTHALTE
routine für das Krankenhauspersonal, eine Abwechslung für
Therapeutische Einrichtungen für Langzeitaufenthalte sind
Familienmitglieder oder für gehfähige Patienten. Mit der Ge-
Stätten, in denen Menschen mit länger dauernder Beeinträch-
staltung soll eine entspannende, einladende und freundliche
tigung oder andauernder Behinderung leben. Diese Umwel-
Atmosphäre erzeugt werden, ein Ambiente, in dem sich Licht-
ten müssen humane Lebens- und Wohnbedingungen erfüllen,
und Farbverhältnisse von den anderen Funktionsräumen des
verbunden mit einem größtmöglichen Handlungsfreiraum für
Krankenhauses unterscheiden. Eine „Restaurant-Atmosphä-
die Betroffenen.
re“ soll entstehen. Handlungsfreiraum lässt sich in vier Dimensionen unterscheiPausenräume:
den:
Pausenräume dienen der Entspannung des Personals. Auch sie
Bewegungsfreiraum: Einfluss nehmen können auf den Akti-
sollten sich in Bezug auf Licht und Farbe von den Arbeits-
onsradius im Mikro- und Makrobereich,
bereichen unterscheiden. Am vorteilhaftesten werden war-
Beziehungsfreiraum: Einfluss nehmen können auf die Regula-
mes Licht und möglichst keine Leuchtstoffröhren eingesetzt:
tion sozialer Beziehungen,
Eine wohnliche Atmosphäre ist angebracht. Ruhige Wandbe-
Tätigkeits- und Aktivierungsfreiraum: Einfluss nehmen kön-
kleidungen statt Anstriche sowie die Verwendung von Holz
nen auf Inhalt, Umfang und Abläufe von Tätigkeiten,
und Textilien in Verbindung mit bequemen Sitzgelegenheiten
Entscheidungs- und Kontrollfreiraum: Einfluss nehmen kön-
ergeben zum Beispiel Energie aufbauende, regenerierende
nen auf planerische, therapeutische, administrative und ge-
Räume.
stalterische Prozesse.
124
11
GESTALTUNGSFELDER
Das Ausmaß des Handlungsfreiraums wird bestimmt durch:
Bei der Gestaltung psychiatrischer Einrichtungen spielt die
die architektonischen und baulichen Situationen,
Ausgewogenheit zwischen Reizarmut und Reizüberflutung ei-
die organisatorischen und administrativen Bedingungen,
ne wesentliche Rolle. Psychiatriepatienten neigen häufig zu
die Einstellungen und das Verhalten der die Betroffenen um-
Halluzinationen. Eine monotone, reizarme Umgebung kann
gebenden Mitmenschen.
ebenso Halluzinationen hervorrufen wie eine Umgebung, die zu viele Reize bietet. Bei unzureichender Stimulation durch
Mit einem eigenen Raum und der Möglichkeit einer Privat-
sensorische Reize in sterilen und uninteressanten Räumen so-
sphäre wird Autonomie-orientiertes Verhalten gefördert. Am
wie mangelnden Möglichkeiten zu menschlicher Interaktion
Beispiel einer Psychiatrischen Klinik mit Wohnheim wird im
wird die bewusste Aktivität des Gehirns nicht angeregt. So
Folgenden Aufschluss zur Farb- und Materialgestaltung gege-
neigt der Mensch dazu, sich andere Quellen der Stimulation
ben.
zu suchen, in seiner Fantasie und Gedankenwelt. Bei Psychiatriepatienten kann ein solcher Prozess zu Halluzinationen füh-
PSYCHIATRISCHE KLINIKEN
ren, verbunden mit einem Rückzug in die Innenwelt. Dadurch
Für viele Patienten wird eine psychiatrische Klinik zur Wohn-
wird eine Teilnahme an der äußeren Realität erschwert. Dem-
stätte. Die durchschnittliche Verweildauer ist dort länger als in
gegenüber führen auch zu viele Reize und Informationen so-
medizinischen Einrichtungen. Ein leitendes Ziel psychiatri-
wie unklare Signale zu einem sensorischen Chaos, das der Pa-
scher Kliniken muss darin liegen, ein positiv stimmendes Am-
tient nicht verarbeiten kann. Besonders manische und
biente zu schaffen. Viele Einrichtungen für psychisch kranke
schizophrene Menschen haben Schwierigkeiten im Filtern,
Menschen wirken leider noch immer trist, monoton und depri-
Auswählen und Verarbeiten sensorischer Eindrücke. In ihren
mierend. Die Gestaltung sollte zu einer Atmosphäre beitra-
anfälligsten Krankheitsphasen können Patienten durch den
gen, die Angst und Misstrauen abbaut sowie ein Gefühl von
Aufenthalt in Räumen, die in kräftigen Farben gestaltet sind,
Schutz und guter Begleitung vermittelt. Das räumliche Um-
überfordert werden. Mitunter führen starkbunte Farbstimuli
feld und die therapeutischen Maßnahmen müssen einander
zu derart ausgeprägten synästhetischen Wirkungen, dass der
ergänzen. Damit wird auch Raum zum Therapeutikum: Licht
Patient Farben fühlt, schmeckt oder hört. Ein weiterer Um-
und Farbe beeinflussen Leib, Seele und Geist, Verhalten und
stand, der Halluzinationen auslösen wie auch zu erheblichen
soziale Interaktionen. So können sie als Mittel zur Genesung
Irritationen führen und verunsichern kann, sind optische Täu-
dienen oder zumindest dazu beitragen, Wohlbefinden zu ent-
schungen, Raumillusionen, halbtransparente Glaswände,
wickeln und zu erhalten.
Spiegelungen in Glasabtrennungen, Glastüren oder glänzen-
125
den Oberflächen. Muster, besonders Linien und Schachbrett,
hoch. Gleichwohl sind sie in besonderem Maß von Sinnesein-
können optische und kinästhetische Illusionen hervorrufen.
drücken zur Orientierung in der Umwelt abhängig. Es ist da-
Diese müssen somit auf allen Flächen vermieden werden. In-
her wesentlich, ihre Wohn- und Lebenswelt sowohl auf eine
formationen und Signale, welche die Umwelt sendet, müssen
differenzierte Sinneswahrnehmung hin zu entwerfen als auch
klar und eindeutig sein, ohne „visuellen Lärm“. Rolf Verres zu-
auf Durchschaubarkeit, Verständlichkeit und Orientierung. Die
folge sind psychisch kranke Menschen „stark auf ordnungs-
räumliche Gestaltung und Ausstattung des Wohnheims im
stiftende Wahrnehmungsangebote von außen angewiesen“.
Sinne eines Lebensraumes, der Identifikation ermöglicht, der eine beschützende und ebenso stimulierende Umgebung dar-
PERSONENKREISE
stellt, zählt zu den äußeren Rahmenbedingungen, die zur Be-
Bei den Raumbenutzern handelt es sich im Wesentlichen um
heimatung, Förderung und Aktivierung der dort lebenden
zwei Personenkreise: die Bewohner und das betreuende Per-
Menschen beitragen.
sonal. Betreuer: Bewohner:
In jeder Wohngruppe arbeiten mehrere Betreuer – Männer und
Die im Wohnheim lebenden Männer und Frauen sind eine he-
Frauen. Die an sie gestellten Anforderungen sind anspruchs-
terogene Gruppe. Das Spektrum ihrer Behinderungen und Lei-
voll und komplex. Im Mittelpunkt ihres Aufgabengebietes ste-
den ist weit gespannt. Viele leben seit Jahren im Heim. Ge-
hen die Fürsorge und Förderung der Bewohner sowie deren
meinsam ist allen, dass sie zur Bewältigung des Alltags auf
kontinuierliche Begleitung durch den Alltag. Insofern die
kontinuierliche Hilfe angewiesen sind. Dabei liegt es im Sinne
Wohngruppen konzeptionell auf familienähnliche Strukturen
therapeutischer Bemühungen, Sozialisationshilfen und akti-
ausgerichtet sind, ist damit verbunden der Anspruch an das
vierende Unterstützung zur Förderung eigenständigen Han-
betreuende Personal gestellt, ihrer Gruppe ein Zuhause zu
delns in alltäglichen Lebenssituationen zu geben. Die vielfäl-
bieten, Wärme und Geborgenheit zu vermitteln und soziale
tigen Behinderungen der Bewohner dürfen keineswegs die
Beziehungen aufbauen zu helfen. Inwieweit die betreuenden
Sicht auf deren vorhandene gesunde Anteile, persönliche Po-
Personen diese Anforderungen und Ansprüche zu erfüllen ver-
tenziale, Hoffnungen, Wünsche, Bedürfnisse und Möglichkei-
mögen, ist nicht allein von ihrer persönlichen Einstellung und
ten zur Selbstentfaltung und -verwirklichung versperren. Aus
professionellen Kompetenz abhängig, sondern auch von dem
ihren kognitiven Beeinträchtigungen dürfen wir nicht auf eine
sie umgebenden sozialen und architektonischen Klima. Das
mindere Fähigkeit ihrer Sinneswahrnehmungen schließen.
heißt: Das Personal bedarf ebenso wie die Bewohner eines an-
Der Grad ihrer Sensibilität für sinnliche Umweltreize ist oft
sprechenden Ambientes, das zu psycho-physischem Wohlbe-
126
11
GESTALTUNGSFELDER
finden beiträgt und damit auch Verhalten und Handeln positiv
ne, vollgesättigte Farbtöne, wie beispielsweise Gelb, Orange,
beeinflusst und pädagogisch-therapeutische Zielvorstellun-
Zinnoberrot sind, sofern sie nicht als Akzente sparsam gesetzt
gen und Vorgehensweisen unterstützt. Es soll auch dazu auf-
werden, auf Grund ihrer signalisierenden Wirkung für eine be-
fordern, Handlungsfreiräume zu öffnen und sich diese in
friedende Atmosphäre in Heim-Wohnräumen ebenfalls unge-
schöpferischem Sinne zu Nutze zu machen.
eignet. Die Farbkonzeption sollte folgende Grundmotive und räumlich-atmosphärische Anmutungen berücksichtigen:
ANMUTUNG UND VISUALISIERUNG
Geborgenheit, Sicherheit, Vertrautheit, Stabilisierung,
Die Ansicht, dass der Raum menschliches Befinden, Verhalten
Wohnlichkeit/Behaglichkeit, Beheimatung,
und Handeln wesentlich mitbestimmt, ist für die Farbkonzep-
Anregung, Differenzierung und Sensibilisierung der Wahr-
tion und die Materialwahl von grundlegender Bedeutung. Die
nehmung mittels unterschiedlicher räumlicher Erlebnisqua-
Wohnbereiche sollen eine insgesamt lichte atmosphärische
litäten,
Grundstimmung ausstrahlen, die den Bewohnern ein Gefühl
Kommunikation/Kontaktaufnahme mit der räumlichen und
der Geborgenheit, der Sicherheit und des Vertrauens vermit-
personalen Umwelt,
telt und damit zu deren Stabilisierung, Beheimatung und Be-
Aktivität und Kreativität,
friedung beiträgt. Steht eine warmtonige Farbgebung im Vor-
Aufmerksamkeit, Konzentration,
dergrund, so darf dadurch keineswegs eine sedierende
Ruhe, Entspannung,
Wirkung ausgelöst werden. Ermüdung bis hin zur Lethargie
Rückzug in die persönlich-private Sphäre.
wäre die Folge bei den Bewohnern in Einrichtungen für Langzeitaufenthalte wie auch beim betreuenden Personal. Daher
Dabei sollte die Frage nach dem Menschen und dessen Per-
ist bei der Wahl der Raumfarben darauf zu achten, dass neben
sönlichkeit immer im Vordergrund pädagogisch-therapeuti-
warmen Farbnuancen auch kühle bis gegenfarbige Nuancen
scher und gestalterischer Absichten stehen. Gleichwohl ist zu
zur Anwendung kommen. Eine Anregung des vegetativen Ner-
berücksichtigen, dass sich der gesamte Tagesablauf der Be-
vensystems wird damit erwiesenermaßen erreicht. An Wänden
wohner weitestgehend im gleichen Gebäude vollzieht. Eine
und Raumdecken in den Wohnbereichen sollte Weiß nicht vor-
gewisse Differenzierung der Gestaltung der Räume entspricht
herrschen, sondern eine eher neutralisierende, untergeordne-
daher einer unbedingten Notwendigkeit. Das Wohngebäude
te Rolle spielen. Weiß lässt angesichts seiner ausgeprägt wei-
als farbige Erlebniswelt wird seinen Benutzern entsprechen,
tenden Wirkung, vor allem an unstrukturierten Flächen,Wände
wenn es mit emotional ansprechenden Farben und Materia-
ungreifbar, Raumdecken ausdruckslos und leer erscheinen. Es
lien gestaltet ist und ihnen in seiner Zweckmäßigkeit und At-
negiert das Bedürfnis der Bewohner nach Geborgenheit. Rei-
mosphäre zusagt.
127
FARB- UND MATERIALGESTALTUNG WESENTLICHER
dunkler als die angrenzenden Wände zu gestalten.Wandleuch-
FUNKTIONSBEREICHE
ten an Stelle von Deckenleuchten können diese optische Wei-
Eingangsbereich und Treppenhaus:
tung verstärken. Architektonische Elemente, welche die Korri-
Der Eingangsbereich und das Treppenhaus stellen die Verbin-
dore in der Länge teilen, sollen sich in der Farbgebung von den
dung von außen nach innen her. Sie werden nach dem äuße-
Wänden unterscheiden, um eine optische Verkürzung zu errei-
ren Erscheinungsbild des Gebäudes und seiner Umgebung als
chen. Von Weiß als Wandfarbe sollte möglichst abgesehen
erste Innenraumsituation, die zu den Wohnbereichen führt,
werden. Trotz seiner aufhellenden und raumweitenden Wir-
wahrgenommen. Ein Treppenhaus sollte als verbindendes Ele-
kung mutet Weiß klinisch-steril und damit unbehaglich an.
ment auch farblich, im Sinne eines Übergangs von außen
Helle, warme Farbnuancen, vermittelnd zwischen Fußboden
nach innen, freundlich anmutend gestaltet werden. Geschoss-
und Decke, sind zu bevorzugen. Als schmückende, zum Be-
spezifische Leitfarben an den Wänden, Treppenuntersichten
trachten anregende Elemente, die zur Individualisierung der
und/oder Eingangsbereichen dienen der Differenzierung und
Eingangszonen zu den Wohn-/Schlafräumen beitragen, emp-
Orientierung.
fehlen sich Türen und Wandflächen, welche die Bewohner gestalten können.
Korridore: Die Korridore sind Verkehrs- und Verbindungszonen zu den an-
Gemeinschaftsraum:
grenzenden Räumen. Nicht selten werden sie zum „Wandeln“
Der Gemeinschaftsraum erfüllt mehrere Funktionen. Er dient
und als Aufenthaltsbereich von den Bewohnern genutzt, die
der Wohngruppe als gemeinsamer Bereich:
das Bedürfnis haben, sich zeitweise von der Wohngruppe ab-
zur Kommunikation,
zusondern und eigene Wege zu gehen. In gewissem Sinne sind
zum Gespräch, Betrachten, Beobachten,
sie Straßen innerhalb einer begrenzten Lebenswelt. Es ist da-
zum Essen,
her von wesentlicher Bedeutung, sie ansprechend und anre-
zum Ausruhen, Entspannen,
gend zu gestalten. Korridore erscheinen aufgrund ihrer räum-
zur Betätigung.
lichen Ausmaße oftmals sehr lang, schmal und hoch sowie räumlich ungegliedert. Eine Möglichkeit, sie in der Breite op-
Dementsprechend sollte er wohnlich/behaglich, kommunika-
tisch zu erweitern, besteht darin, die Raumdecke farblich
tionsfördernd und auch anregend gestaltet sein. Als anregend
128
>
Korridor
>
Patientenzimmer
>
Ruheraum
>
Aufenthaltsraum
129
kontrastierende gestalterische Elemente eignen sich Raum-
Ruheräume:
textilien (wie Teppiche, Polsterbezüge, Vorhänge) und Acces-
Ruheräume und Räume zur Isolierung von Patienten sollten ein
soires mit haptischen Materialqualitäten.
Gefühl von Zuflucht, Schutz und Erholung vermitteln. Wenn ein Patient von den übrigen abgesondert werden muss, sollte er in
Wohn-/Schlafräume:
einen behaglichen, einladenden Raum geführt werden. Dieser
Wohn- und Schlafräume sind persönliche Bereiche. Damit man
ist sparsam und verletzungssicher möbliert. Die Entspannung
sich dort auch gerne tagsüber aufhält, ist die Gestaltung einer
kann durch kühle Farben wie Grün- oder Blaugrün-Nuancen un-
freundlichen und wohnlichen Atmosphäre wichtig. Die Aneig-
terstützt werden. Die Farben müssen sorgfältig ausgewählt
nung des Raumes wird davon beeinflusst, inwieweit persönli-
werden, damit sie weich erscheinen und unter keinen Umstän-
ches Mitwirken bei der Ausgestaltung möglich ist. Es empfiehlt
den „institutionell“ wirken.
sich auch hier, Anregungen zur Betätigung zu geben. Dabei muss eine behutsame Koordination mit dem Rahmenkonzept
Bäder:
der Farbgestaltung erfolgen. Auf farblich abgestimmte Raum-
Es besteht die Gefahr, den Bäderbereich sehr kühl und sachlich
textilien (Vorhänge, Polsterbezüge und Teppiche) ist Wert zu le-
anmutend zu gestalten. Wärmere, lichte Farben mit frischeren
gen. Eine wohnliche Raumstimmung bedeutet für den Bewoh-
Akzenten sollten einer anregenden Aufenthaltsatmosphäre die-
ner Heimat. Einzel-, Zweibett- und Dreibettzimmer sind unter
nen und zu erweiterndem Körperbewusstsein motivieren.
gleichen Gesichtspunkten zu gestalten. Abschließend ist zu bemerken, dass in jeder konkreten Therapieräume:
Situation abzuwägen ist, wie viele allgemeingültige Gestal-
Auch die Therapieräume sollen mit den Wohnbereichen korres-
tungsmaßnahmen getroffen werden und wie groß der Spiel-
pondierend gestaltet sein. Eine Sicherheit vermittelnde, anre-
raum für individuelle Gestaltung der einzelnen Gruppenmit-
gende und kreativitätsfördernde Räumlichkeit ist für jeden ein-
glieder ist.
zelnen Menschen, der sich dort aufhält und tätig ist, von mittragender Bedeutung und hat hohen therapeutischen Stel-
SENIORENHEIME
lenwert. Die Atmosphäre der Therapieräume ist mit einem viel-
Seniorenheime sind Einrichtungen für ältere, nicht pflegebe-
seitigen Angebot zur Betätigung, verbunden mit persönlicher
dürftige Menschen, die ihren Haushalt nicht mehr selbststän-
Zuwendung, fachlicher Begleitung und individueller Förderung
dig führen können oder wollen. Seniorenpflegeheime bieten
seitens der betreuenden Personen für die Entwicklung gestalte-
ständige Pflege, jedoch keine konstante ärztliche Behand-
rischer Selbstständigkeit und für die persönliche Entfaltung der
lung. Beiden Einrichtungen kommt eine zentrale Bedeutung
Bewohner entscheidend.
für die Versorgung alter und vor allem hochbetagter Men-
130
11
GESTALTUNGSFELDER
schen zu. Die Übersiedlung von der eigenen Wohnung in ein
mit der Ausgestaltung ein stimulierendes Umweltmilieu
Seniorenheim stellt ein kritisches Lebensereignis dar, welches
schaffen, welches anregend und aktivierend wirkt,
oft mit Gefühlen von Verunsicherung, Entwurzelung, Ausge-
den Bewohnern die Möglichkeit zur Regulierung ihrer Pri-
setztsein, Hilflosigkeit verbunden ist, vor allem dann, wenn
vatsphäre bieten.
der ältere Mensch eine Konfrontation mit komplett veränderten räumlichen und sozialen Umweltbezügen vorfindet. Ein
Analysen, welche die Abhängigkeit des alten Menschen von
solcher biographischer Einschnitt kann einerseits zu erhebli-
fördernden und hemmenden Umweltbedingungen identifi-
chen Krisen führen, andererseits aber auch positive Entwick-
zierten, ergaben, dass durch eine stimulierende Umweltaus-
lungsprozesse in Gang setzen. Die persönliche Einstellung,
gestaltung die Reservekapazitäten des Organismus aktiviert
der bisherige Lebenskontext, freie Entscheidungsmöglich-
werden und sich dadurch mehr Vitalität und Autonomie ein-
keiten, die Art der Vorbereitung des Übergangs in die neue
stellen kann als in anregungsarmen Umgebungen. Daraus
Lebenssituation spielen dabei eine wesentliche Rolle. Die Re-
lässt sich schließen, dass alte Menschen eine „Reservekapazi-
aktionen der betroffenen Menschen auf die Milieuveränderun-
tät“ besitzen, die oft ungenutzt bleibt. Umweltbedingungen
gen sind in jedem Fall abhängig von subjektiven, per-
in Seniorenheimen, die weder den alten Menschen anregen
sönlichkeitsspezifischen Faktoren, aber auch von äußeren,
noch besondere Anforderungen an ihn stellen, tragen dazu
umweltbedingten Faktoren, wie den räumlich-architektoni-
bei, dass dieses vorhandene Potenzial verkümmert. Apathie,
schen Charakteristika, der sozialen Organisationsstruktur,
Unwohlsein, bis hin zu Lebensmüdigkeit sind daher oft die
dem Personal und den Bewohnern des Seniorenheims sowie
Folge. Darüber hinaus steht außer Frage, dass alte Menschen
dem sozialen Klima im Heim (R. H. Moos und S. Lemke). Wie
neben dem Bedürfnis nach Aktivität und sozialen Kontakten
die Gerontologie belegt, sind Umweltkontrolle und Autono-
gleichwohl der Ruhe und Entspannung, der Privatheit, mitun-
mie von tragender Bedeutung für das psychische Wohlbefin-
ter auch eines ausgeprägten Rückzugs in ihre Innen- und Ei-
den der Bewohner. Seitens der ökologischen Psychologie wird
genwelt bedürfen, je nach Biografie. Allen unterschiedlichen
auf die Erkenntnisse zur Gestaltung von Umwelten für ältere
Bedürfnissen ist Rechnung zu tragen und Raum zu geben. Die
und alte Menschen hingewiesen. Saup erachtet zum Beispiel
biologische Tatsache des Alterns ist begleitet von körperlichen
bei Planungsvorhaben zur Verbesserung der Wohnqualität die
Abbauerscheinungen wie beispielsweise Beeinträchtigung
Verwirklichung folgender Zielvorstellungen für besonders
der allgemeinen Leistungsfähigkeit und Beweglichkeit, Ver-
sinnvoll:
minderung des Seh- und Hörvermögens, der Gedächtnisleis-
Kontrollmöglichkeiten für Heimbewohner schaffen (zum
tung und des Orientierungssinnes. Bei der Gestaltung von
Beispiel durch die Verfügbarkeit eines Hausschlüssels),
Umwelten für ältere Menschen sind diese Probleme daher zu
Verzicht auf eine Ausstattung der privaten Zimmer mit stan-
berücksichtigen. Sensorische Defizite führen zu Veränderun-
dardisierten Heimmöbeln,
gen der Wahrnehmung und beeinträchtigen das Wohlbefin-
131
den, oft verbunden mit Gefühlen starker Unsicherheit. Durch
nimmt auch die Empfindlichkeit gegenüber Blendungen er-
eine adäquate Lebensraumgestaltung muss so weit wie mög-
heblich zu, wobei durch Blendungen ebenso die Wahrneh-
lich für eine Kompensation dieser Mängel gesorgt werden.
mung von Kontrasten beeinträchtigt wird. Alle sichtbaren
Veränderungen im Seh- und Hörvermögen sind die häufigsten
Oberflächen sollten daher glanzarm und blendungsfrei sein.
sensorischen Beeinträchtigungen älterer Menschen. Die Linse
Fußböden sollten unpoliert und matt erscheinen. Spiegelnde
des Auges verdichtet sich mit zunehmendem Alter und wird
Bodenbeläge vermitteln den Eindruck von Glätte und Rutsch-
undurchsichtiger. Der „Graue Star“ ist ein im Alter häufig auf-
gefahr, der zu Unsicherheit führt und die Angst zu stürzen er-
tretendes Problem; es verursacht fragmentarisches und un-
höht. Elementare Bedürfnisse des alten Menschen sind auf
scharfes Sehen. Menschen mit grauem Star leiden auch an
seine veränderte Empfindungsfähigkeit von Außenweltreizen
Schwächen der Tiefenwahrnehmung: Es ist für sie schwierig
und deren psychische Wirkungen, oft begleitet von gewissen
zu unterscheiden, ob Gegenstände im Vorder- oder Hinter-
körperlichen Beeinträchtigungen, zurückzuführen. Insbeson-
grund liegen. So sind beispielsweise großgemusterte Boden-
dere die Sinnesorgane und Zentralempfindungen sind ge-
beläge für Treppen zu vermeiden, damit Höhen und Kanten der
schwächt, so dass das Bedürfnis nach einer Kompensation
einzelnen Stufen gut unterschieden werden können. Das mit
von außen her besteht. Für alte Menschen spielen des Weite-
dem Alter auftretende Vergilben und Trüben der Augenlinse
ren Erinnerungen eine tragende Rolle. Erinnerungen umfassen
beeinträchtigt auch das Farbensehen. Violett, Blau und Grün
als Grundstimmung das Empfinden des alten Menschen. Da-
werden zunehmend verblasst wahrgenommen. Bei Anwen-
durch entstehen Bedürfnisse des Sich-nach-außen-hin-Mittei-
dung von Violett, Blau und Grün können daher kräftigere Nu-
lens, zugleich aber auch nach Anregung des Erinnerungsver-
ancen gewählt werden. Zur Erleichterung der visuellen Wahr-
mögens. Aus Letzterem ergibt sich die Notwendigkeit, alten
nehmung (Sehaufgabe) bedürfen ältere Menschen auch
Menschen Möbelstücke und andere Gegenstände aus ihrer
stärkerer Kontraste als jüngere (3,5-mal mehr als im Alter von
ehemals gewohnten Umgebung bei der Übersiedlung in ein
20 bis 30 Jahren). Dies ist besonders bei der „Figur-Grund-Un-
Seniorenheim zu lassen. Neue, von anderen ausgewählte und
terscheidung“ zu beachten, zum Beispiel beim Erkennen eines
installierte Einrichtungsobjekte im privaten Bereich sind für
Gegenstandes in seinem unmittelbaren Umfeld. Zur leichte-
alte Menschen weitgehend befremdend und werden eher
ren Erkennbarkeit von Gegenständen müssen sich diese daher
negativ aufgenommen. Die Bedürfnislage der Menschen in
deutlich von ihrem Umfeld abheben. Mit zunehmendem Alter
Seniorenheimen lässt sich wie folgt zusammenfassen: Grund-
132
11
GESTALTUNGSFELDER
sätzlich ist von einem Bedürfnis nach Daseinssicherung und
diesen durch bewusste Materialwahlen, die haptische Wahr-
Verwurzelung, verbunden mit dem Wunsch nach Vertrautheit,
nehmungen und Erfahrungen ermöglichen, anzusprechen und
Geborgenheit, Ruhe und Sicherheit, Schutz vor Angst und
anzuregen. Wichtig ist eine klar erfassbare und durchschau-
Störung in der neuen Umgebung auszugehen.Wesentlich sind
bare innere Organisationsstruktur des Gebäudes. Die einzel-
ebenso die Möglichkeit nach menschlichen Kontakten, die
nen Funktionsbereiche, wie Korridore, Aufenthaltsräume,
Öffnung für soziales Zusammensein, gemeinsame Aktivitäten
Speiseräume, Wohnbereiche, Pflegebereiche, sind zu differen-
wie auch Rückzugsmöglichkeiten in die Privatsphäre. Unter-
zieren. Sie müssen einfach aufzufinden sein und mensch-
schiedlichen Bedürfnissen nach Anregung, Anteilnahme, Akti-
lichen Dimensionen entsprechen. Es gilt, ein Umwelt-Milieu
vitäten und geistigen Beschäftigungen, aber auch Wünschen
zu gestalten, in dem sich Menschen zu Hause fühlen können –
nach Ruhe und Entspannung, nach Raum zum Sicherinnern,
eine Umwelt, die „Wohnen“ und nicht „Untergebrachtsein“
zur Rückbesinnung, ist Rechnung zu tragen.
bedeutet.
ANMUTUNG UND VISUALISIERUNG
FARB- UND MATERIALGESTALTUNG WESENTLICHER
Einrichtungen für alte Menschen sollten atmosphärisch Si-
FUNKTIONSBEREICHE
cherheit, Ruhe und Behaglichkeit vermitteln, andererseits
Eingangsbereich:
auch vitalisierende Anregung und Abwechslung bieten sowie
Der Eingangsbereich dient dem Empfang, der Begegnung und
zur Förderung von Kommunikation beitragen. Kein Bereich
Kontakten. Das Raummilieu ist demzufolge einladend, Kon-
eines Seniorenheimes darf Uniformität und Monotonie aus-
takt fördernd, freundlich-entgegenkommend und anregend zu
drücken. Entgegenkommen, Freundlichkeit, Sicherheit wie
gestalten. Dies ist mit vorwiegend warmtonig kontrastieren-
auch Lebendigkeit sollten bereits im äußeren Erscheinungs-
den Nuancen, verbunden mit akzentuierenden kühlen Farb-
bild anklingen. Idealerweise überwiegen freundlich anmuten-
elementen zu erreichen.
de, ruhige, jedoch nicht kühl wirkende Farbkombinationen. Das visuelle Kontaktbedürfnis alter Menschen ist ausgeprägt.
Korridore:
Daher muss ihnen die Umwelt auch etwas zum Schauen und
Korridore sind Bewegungsbereiche, auch Zonen der Begeg-
Beobachten bieten. Beachtenswert ist, dass bei alten Men-
nung, der unverbindlichen Kontaktnahme, des Gespräches
schen der Tastsinn im Vergleich zu den anderen Sinnesempfin-
und des Verweilens. Sie können zu „Erlebniszonen“ werden.
dungen oft noch am besten intakt ist. Es empfiehlt sich daher,
Durch Fenster mit Aussicht in die Natur, Sitzgruppen, Pflan-
>
A
B
C
A
Durch Altersfehlsichtigkeit wird der Farbton A vergraut – wie in B dargestellt – wahrgenommen. Wenn man A annähernd real abbilden möchte, müsste eine Steigerung der Buntheit – wie in C aufgeführt – gewählt werden.
133
134
<
Seniorenheim Korridor
<
Seniorenheim Pflegezimmer
<
Seniorenheim Mehrzweck- und Speiseraum
11
GESTALTUNGSFELDER
zen, differenzierte Licht-, Material- und Farbwahl lässt sich
freundlich anmutenden Restaurants entsprechen, das zum
dies erreichen. Korridore in unterschiedlichen Etagen und
Wohlfühlen und Verweilen einlädt. Mit vorwiegend warmto-
Funktionsbereichen sollten sich durch Farbwechsel voneinan-
nigen Nuancen und weichen Materialien sowie dazu kontras-
der unterscheiden, was die Orientierung wesentlich erleich-
tierenden Akzenten wird eine derartige Raumstimmung er-
tert.
reicht. Es empfiehlt sich auch, größere Räume zu unterteilen, so dass sich kleine Tischgemeinschaften bilden können.
Wohnräume: Wohnräume sind private Bereiche. Die Bewohner sollten so-
ALTERNATIVKONZEPTE
weit wie möglich ihren persönlichen Bereich mit eigenem Mo-
In vielen Ländern werden Alternativen zum traditionellen Se-
biliar einrichten und nach persönlichen Vorlieben gestalten
niorenheim diskutiert und erprobt. Für eine überwiegende
können. Die Wohnräume in einem Seniorenheim dürfen nicht
Mehrheit heißt „Wohnen im Alter“: Wohnen in den eigenen
alle gleich gestaltet sein. Sie müssen vielmehr Raum für Indi-
vier Wänden. Hier sind die Bedingungen für ein Alt-Werden oft
vidualität, für Persönliches, für ein „eigenwilliges Ambiente“
unzureichend. Vor allem wenn die Notwendigkeit häuslicher
lassen, das dem „Wohlfühlen“ und „Zuhause-Sein“ dient.
Pflege eintritt, zeigen sich die Mängel kleinlicher Investorengrundrisse oder der Normierungen im sozialen Wohnungsbau.
Aufenthaltsräume:
Dieser Lebensabschnitt bedeutet eine Zeitspanne von zwan-
Bei Aufenthaltsräumen ist zwischen Bereichen, die der Ruhe,
zig, dreißig und mehr Jahren. Es ist deshalb notwendig, einen
und solchen, die der Unterhaltung wie auch der Beschäftigung
Wohnungsstandard für ein ganzes Leben zu definieren. Wohn-
dienen, zu unterscheiden. Entsprechend differenziert ist das
modelle von „betreutem Wohnen“ bis zu „kleinen Betriebsein-
Farbmilieu zu konzipieren: Für Räume zum Ruhen empfehlen
heiten“, Wohngemeinschaften und andere mehr müssen eva-
sich eher gedämpfte Farbnuancen, für Räume zur Unterhal-
luiert werden.
tung eine eher anregende, kommunikationsfördernde Atmosphäre in helleren, warmtonigen, auch kräftigeren Nuancen.
HÄUSLICHE PFLEGE Häusliche Pflege erfordert neue Grundrisse. Flexible Gesamt-
Speiseraum:
flächen müssen im Laufe eines Lebens mit kleinen Eingriffen
Mahlzeiten bedeuten für viele alte Menschen ein wichtiges
den jeweiligen Lebensbedingungen angepasst werden. Die
Tagesereignis. Es darf mit Freude erwartet werden. Das Am-
Gerontologie befasst sich mit den zunehmend differenzierte-
biente des Speiseraums könnte dem eines gediegenen und
ren Krankheitsbildern im Alter. Damit muss auch die Subtilität
135
<
>
Bad
Schlafen
Schlafen
Kochen Gast
Wohnen
Pflegerin, Gast
Häusliche Pflege Architektur/Farbgestaltung Otto Steidle, Gerhard Meerwein
Häusliche Pflege, Demenz
<
Grundrissschema
136
11
GESTALTUNGSFELDER
der Gestaltung des Lebens- und Pflegeumfeldes zunehmen.
ANMUTUNG UND VISUALISIERUNG, FARB- UND
Wir stellen hier einen Vorschlag für die Pflege eines Alzheimer-
MATERIALGESTALTUNG
Patienten vor: Im Grundriss sind zunächst nur zwei Versor-
Das Raummilieu eines Hospizes muss gepflegt gestaltet sein
gungsstränge fixiert. Es wird dann eine Raumfolge mit mög-
und Wohlbefinden vermitteln. Alle Funktionsbereiche sind
lichst vielen Bewegungsmöglichkeiten entwickelt (ideal wäre
gleichwertig zu behandeln. Der Gast braucht das Gefühl der
die Endlosschleife). Die Wohnung lässt sowohl die Unterbrin-
Sicherheit, der Geborgenheit wie auch der Kontrolle über das
gung von Pflegepersonal oder Familienangehörigen zu als
Umfeld. Es sind Räume zu schaffen, die Angst und Anspan-
auch die Fortbewegung im Rollstuhl. Studien in Tageskliniken
nung lösen und Stress lindern, die Energie aufbauend und vi-
belegen, dass Alzheimer-Patienten zuletzt vor allem taktil und
talisierend wirken. Darüber hinaus muss es Raum für Intimi-
olfaktorisch sensibel sind: Neben Düften und verschiedenen
tät, Ruhe und Stille geben. Eine sinnliche, subtil stimulierende
natürlichen Materialien wurden Vorlieben für zarte, nicht sehr
Farbgebung mit vitalisierenden Elementen ist zu empfehlen.
laute oder kontrastreiche Farbstimmungen wie altrosa und
Es sollen natürliche Materialien verwendet werden. Der Bezug
abricot beobachtet.
zur Natur ist zu ermöglichen.
HOSPIZE
KINDERHOSPIZE
Bereits im Mittelalter gab es Hospize. Als Orte der Gastfreund-
Neben Hospizen für Erwachsene gibt es seit etwa 20 Jahren
schaft dienten sie der Beherbergung von Pilgern und Reisen-
Hospize für Kinder. Großbritannien nimmt, bezogen auf deren
den wie auch der Aufnahme betreuungsbedürftiger Men-
konzeptionelle Entwicklung und Qualitätsmerkmale, eine in-
schen. Die Hospize der Gegenwart verstehen sich als
ternational führende Rolle ein. In Kinderhospizen werden un-
„Zuhause“ für schwerstkranke und sterbende Menschen, de-
heilbar kranke Kinder mit stark verkürzter Lebenserwartung
ren Betreuung und Pflege im eigenen Zuhause oder in einem
aufgenommen, die keine intensivmedizinische Versorgung
Krankenhaus nur noch zeitweise oder nicht mehr erfolgen
benötigen. Gemeinsam mit ihren Eltern und Geschwistern
kann. Es sind Orte, wo Sterben als selbstverständlicher Teil
können sie ein Hospiz während des Krankheitsverlaufes
des Lebens verstanden wird, wo Prozesse des Abschiedneh-
mehrmals aufsuchen. Aufenthalte können nur wenige Tage bis
mens einfühlsam begleitet werden. Im Mittelpunkt der Hos-
zu zwei Wochen dauern. Da sich ein Hospiz vor allem als Wohn-
pizbetreuung steht die Lebensqualität. Hier findet der Mensch
einrichtung versteht, werden jeweils nur acht bis zehn Kinder
Raum für Individualität und Gemeinschaft, erfährt Aufgeho-
mit ihren Angehörigen aufgenommen. Letztere wohnen in ei-
bensein, Begleitung und Ruhe.
nem dem Hospiz angeschlossenen Bereich. So haben sie die
137
<
> <
>
Hotel Haeckenhaus, Ramsen Architektur, Farbgestaltung Richter, Naumann, Stuttgart Die hier gezeigten Abbildungen eines Hotels in landschaftlich ruhiger Lage entsprechen von ihrem Charakter den Bedingungen, die für Hospize erwünscht sind.
138
11
GESTALTUNGSFELDER
Möglichkeit, mit ihrem Kind oder Geschwister zusammen zu
keiten auf unterschiedlichste Weise angesprochen, bestehen-
sein wie auch bei Bedarf sich zurückzuziehen. Die wichtigste
de Ressourcen gefördert und soziale Kontakte ermöglicht wer-
Funktion eines Kinderhospizes besteht neben der Betreuung
den. Die Aufgaben, die ein Kinderhospiz erfüllt, sind an eine
von Kindern in ihrer „finalen Krankheitsphase“ in der Unter-
außerordentlich gute personelle und materielle Ausstattung
stützung, Stabilisierung und Entlastung der Angehörigen. Das
gebunden. Ist auf Seiten des Personals ein hohes Maß an pro-
Angebot richtet sich an die gesamte Familie; es umfasst Anlei-
fessioneller Kompetenz erforderlich, so muss sich diese eben-
tung und Beratung zur häuslichen Pflege, Unterstützung bei
so in der Gestaltung der Räumlichkeiten widerspiegeln.
der Bewältigung psychischer Belastungen wie auch bei der Lö-
Peter Schmieg von der Universität Dresden verweist da-
sung innerfamiliärer Probleme. Geschwister der kranken Kin-
rauf, dass Beobachtungen in amerikanischen Kinderhospizen
der erhalten die Möglichkeit, ihre Ängste und oft ambivalenten
ergaben, „dass in einer räumlich optimalen Umgebung Krank-
Gefühle ihrem Alter gemäß zu bearbeiten. Die Erkrankungen
heits-Symptome in geringerer Zahl auftreten und besser zu
der Kinder sind schwerwiegend und komplex: Oft treten kör-
kontrollieren sind. Ein Kriterium ist hierbei eine kommunikati-
perliche Beschwerden, seelische Probleme und geistige Beein-
onsfördernde Umgebung.“
trächtigungen gemeinsam auf. Der Lebensalltag der Kinder ist geprägt von schmerzhaften Phasen und Ängsten. Bereits er-
ANMUTUNG UND VISUALISIERUNG, FARB- UND
lernte Fähigkeiten, wie sprechen, sich selbstständig bewegen,
MATERIALGESTALTUNG
können älteren Kindern während des Krankheitsprozesses ver-
An die Raumgestaltung stellen sich folgende Anforderungen:
loren gehen. Sinneswahrnehmungen werden zum Teil erheb-
Verknüpfung funktionaler Bedürfnisse mit Wohnkomfort,
lich beeinträchtigt und damit auch viele Erlebnis- und Aus-
Berücksichtigung kindlicher Bedürfnisse,
drucksmöglichkeiten; dies kann soweit führen, dass die
Ausgestaltung der Kinderzimmer unter besonderer Berück-
betroffenen Kinder von Umwelteindrücken nahezu isoliert
sichtigung der eingeschränkten Wahrnehmung und Mobili-
bleiben. Das Bedürfnis nach emotionaler Wärme und Zuwen-
tät der Kinder,
dung, nach sich angenommen, sicher und geborgen fühlen, ist
unauffällige Integration medizinisch-pflegerischer Ausstat-
für die Kinder von herausragender Bedeutung. Der Grad ihrer
tung,
Feinfühligkeit gegenüber der Umwelt ist hoch: Sie reagieren
kindgerechte räumliche Umgebung und Beschäftigungsan-
äußerst sensibel auf das Verhalten ihrer Bezugspersonen.
gebote,
Klaus Wingenfeld zufolge versucht das Hospiz, Kindern einen
Angebot an akustischen, visuellen, taktilen Reizen,
Erfahrungsraum zu bieten, in dem ihre Wahrnehmungsfähig-
Snoezelenraum.
139
Snoezelen lässt sich definieren als „ein Konzept für eine vor-
RESTAURANTS
wiegend in Innenräumen gestaltete Umgebung, in der durch
Ob ein Restaurant erfolgreich sein wird oder nicht, entschei-
steuerbare Reize Wohlbefinden ausgelöst wird. In den speziell
det eine Kombination vieler Faktoren: die Qualität der Küche
dafür eingerichteten Räumen wird eine Vielfalt sensorischer
und der Bedienung, der Preis und das Angebot an Speisen und
Anregungen geboten. Der Benutzer kann auf eine Entde-
Getränken. Sind diese Kriterien erfüllt, dann ist das Erfolg ver-
ckungsreise durch die Welt der Sinne gehen, indem er die Ein-
sprechende Restaurant jenes, das auch einladend und attrak-
zelwirkung beziehungsweise einzigartige Kombination von
tiv gestaltet ist. Studien aus den USA belegen, dass außer der
Musik,Tönen, Klängen, Lichteffekten, taktiler Stimulation und
Küche, der Bedienung und dem Preis auch Gerüche, Geräu-
Düften erlebt.“ (Deutsche Snoezelen Stiftung 2000)
sche, Lichtverhältnisse sowie Komfort, Raumausstattung und
Das Raummilieu muss eine das Wohlbefinden fördernde
Farbgestaltung sowie eine angemessene Privatatmosphäre
Umgebung sein. Durch eine differenzierte Gestaltung ist eine
ausschlaggebend für eine positive oder negative Wertung des
subtile Anregung der gesamten Sinnesorganisation zu ermög-
Gesamtambientes sind. Diese Wertungen sind von der Erwar-
lichen. Zur Vermittlung einer Atmosphäre von Vertrauen,
tung, Vorstellung und Erfahrung jedes einzelnen Gastes ab-
Sicherheit,Wärme und Geborgenheit sind neben der Farbwahl
hängig. Daher besteht eine unterschiedliche Toleranzbreite
und Beleuchtung die Erlebnisqualitäten der Materialien von
innerhalb der Faktoren verschiedener Gaststätteneinrichtun-
tragender Bedeutung, wobei natürliche Materialien zu bevor-
gen. Der Aufforderungscharakter umfasst ein soziales und ein
zugen sind. Die Farbkomposition sollte eine insgesamt
physisches Ambiente. Unter dem sozialen Ambiente versteht
freundlich anmutende, warmtonige Grundstimmung ergeben.
man, wie der Gast das Restaurant erlebt, und zwar in Bezug
Kräftige Farbnuancen können als Akzente gesetzt werden
auf andere Gäste (überfüllt, laut, wenig privat) und das Verhal-
oder auch in Kurzzeitaufenthaltsbereichen zur Anwendung
ten des Bedienungspersonals (freundlich, unfreundlich, kom-
kommen. Die unterschiedlichen Funktionsbereiche sollten,
petent, inkompetent). Das physische Ambiente umfasst die
neben gebäudeeinheitlichen Festlegungen, farblich differen-
Beleuchtungsqualität, das Klima, den Sitzkomfort und die Ge-
ziert werden, um eine anregende, vitalisierende Farbdynamik,
samtgestaltung von Mobiliar, Material, Farbe und anderen
gute Orientierung und abwechslungsreiche Raumerlebnis-
prägenden Gestaltungselementen. Diese Elemente stellen ei-
qualität zu erreichen. Sehr wichtig ist auch hier, durch eine gut
nen wesentlichen Beitrag zum Gesamteindruck und Gesamt-
angelegte Innenraum-Außenraumbeziehung den Bezug zur
erlebnis dar. Die Summe aller Elemente muss ein Erschei-
Natur zu ermöglichen.
nungsbild ergeben, das die Mehrheit der Kundschaft positiv
140
11
GESTALTUNGSFELDER
Restaurant elegant-klassisch
>
Restaurant exotisch-ethnisch
>
Restaurant puristisch
>
141
anspricht. Psychologische Wirkungen entscheiden über das
aus angebracht, gestalterische Verbindungen zwischen den
Empfinden und Verhalten der Gäste: Zufriedenheit mit der
angebotenen Speisen und dem Raummilieu herzustellen. In
Gastronomie, Behaglichkeit, Komfort und Verweildauer sind
ethnisch geprägten Restaurants werden Elemente aus der
die ausschlaggebenden Merkmale, an die man sich erinnert.
Folklore jedoch oft übertrieben plakativ eingesetzt, obwohl
Gestaltungsüberlegungen umfassen folgende Aspekte:
behutsame und abstrahierende Stilmerkmale überzeugender
Räumliches Angebot (Imbissstube, Bistro/Cafe, Bier- oder
einen atmosphärischen Bezug herstellen könnten. Ein mexi-
Weinstube, Speiserestaurant, First Class Restaurant; Sonder-
kanisches Restaurant beispielsweise würde mit wenigen sig-
formen sind Tanzgaststätten, Hotelrestaurants, Bars und Fa-
nifikanten Farbklängen auskommen, statt mit Kakteen und
milienrestaurants),
Sombreros überhäuft zu werden. Eine Gestaltungsauffas-
Gastronomisches Angebot (Schnellimbiss, gutbürgerliche Kü-
sung, wie bei Luis Barragán, würde die Besonderheiten mexi-
che, Haute Cuisine, nationale und internationale Spezialitä-
kanischer Küche (heiß, würzig) außerhalb des eigenen Kultur-
ten),
kreises glaubwürdiger symbolisieren.
Atmosphärisches Angebot (ethnisch geprägt, rustikal, bürgerlich, gemütlich, vornehm, elegant, luxuriös).
ANMUTUNG UND VISUALISIERUNG, FARB- UND MATERIALGESTALTUNG
Es steht außer Frage, dass die verschiedenen Arten von Res-
Gestaltungslösungen sind so vielfältig wie die Restaurants.
taurants auch jeweils andersartige Gefühle und Verhaltens-
Im Allgemeinen ist darauf hinzuweisen, dass die assoziativen
weisen hervorrufen. Die spezifische Eigenart des Restaurants
Wirkungen und die symbolische Aussagekraft der Farben ein
sollte durch seine Atmosphäre unterstrichen werden. Soziales
gewünschtes Raummilieu unterstreichen können. Wird eine
und physisches Ambiente definieren den Einklang aus visuell
heitere, gesellige Atmosphäre gewünscht, so dürfen auch hei-
atmosphärischem und gastronomischem Angebot. Als Leit-
tere und etwas kräftigere Farben im Umfeld erscheinen. Eine
motive für Restaurants mit Spezialitätenküche ist es durch-
ruhige, elegante und gedämpfte Atmosphäre hingegen wird
Neobar, Chemnitz Architektur Jan Piechulla
142
11
GESTALTUNGSFELDER
am besten durch ruhige, elegante und gedämpfte Materialien
Farbtonbereich von Rotorange und Orange gesehen. Oft
und Farbnuancen erreicht. Folgende Planungskriterien müs-
werden sie durch Blaugrüntöne gesteigert.
sen berücksichtigt werden:
Abgelehnt werden Farben wie gelbgrün, senfgelb sowie stark verschmutzte Farben.
Art des Restaurants/gastronomisches Angebot, Zielgruppe der Gäste, Raummilieu/Größe/Lage,
Im Wahrnehmungsumfeld eines Esstisches ist es von großer
Image,
Bedeutung, die Qualität der Speisen wie Frische, Würzung, Ei-
Lichtgestaltung,
gengeschmack, aber auch Geschmackswechsel und Ge-
Material- und Farbgestaltung.
schmacksverbindungen durch geeignete Kontrastierungen zu unterstreichen. Hier ist der Komplementärkontrast besonders
Die angewandte Farbenpsychologie gibt Hinweise auf geeig-
geeignet: Zwischen Porzellan, Tisch und Speise soll ein anre-
nete synästhetische Anmutungen von Farben und Farbgrup-
gender Kontrast bestehen. In diesem Kontext hat die Qualität
pen. Stellungnahmen in älterer Literatur spiegeln aus heuti-
des Lichtes einen entscheidenden Einfluss: Frische und Appe-
ger Sicht oft Aspekte des damaligen Zeitgeistes wider. Im
titlichkeit, aber auch das eigene Aussehen und das anderer
Folgenden stellen wir einige Untersuchungsergebnisse zu
Gäste werden durch kaltes oder warmes Licht sowie falsche
Farbanmutungen vor (siehe dazu Heinrich Frieling, Institut für
Mischlicht-Verhältnisse negativ, respektive positiv beein-
Farbenpsychologie, Marquartstein, „Gesetz der Farbe“, Mus-
flusst. Die Modulation des Raumes durch gerichtete und ak-
ter-Schmidt 1990):
zentuierende Beleuchtung ist somit von großer Bedeutung.
Warme Rotnuancen, warmes Gelb oder auch frische Grün-
Für die psychologische Gesamtwahrnehmung ist es notwen-
und Blaugrünnuancen gelten als appetitanregend. Diese
dig, private Inseln zu bilden und langweilige, gleichförmige,
können in Tönen wie Kürbis, Pfirsich, Koralle, Flamingo, Zin-
flache Ausleuchtungen zu vermeiden. Der Raum muss leben-
nober, Mint und Türkis erscheinen. Betonungen werden im
dig und freundlich wirken. Die Qualität der Speisen und des
>
Restaurant Centre Pompidou, Paris Architektur Jakob und Mac Farlane Futuristisches Image
>
Side-Hotel, Hamburg Innenarchitektur Matteo Thun Die Raumstimmung ist variierbar über Beleuchtung.
143
144
<
wohnlich-streng
<
jung-verspielt
11
GESTALTUNGSFELDER
Raumambientes müssen sich zu einem kongruenten Gesamt-
nisse auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Der Mensch
erlebnis verbinden. Neben der reinen Funktion des Essens er-
wird seine persönliche Umgebung, sein Haus oder seine Woh-
füllen Restaurants und Gaststätten auch folgende Bedürfnis-
nung nur dann als wohltuend empfinden, wenn sich eine har-
se der überwiegenden Mehrzahl der Besucher: Gast sein, sich
monische Beziehung zwischen ihm und dem Raum einstellt.
Darstellen, Sehen und Gesehen-Werden, Repräsentieren,
Dies geschieht vor allem dann, wenn er seine private Umge-
Kommunizieren, Genießen und Entspannen. Restaurants wer-
bung selbst geschaffen hat oder in Kooperation mit verant-
den oft als „Gegenwelt“ zum eigenen Wohnen aufgesucht.
wortungsbewussten Beratern, unabhängig davon, ob ein Mi-
Wohnliche Arrangements können sich dennoch für Restau-
lieu barocker Fülle oder zenhafter Einfachheit angestrebt
rants gut eignen.
wird. Beide sind Ausdruck persönlicher Wohnbedürfnisse und Wohnkultur, die sich im Laufe unserer persönlichen Entwick-
WOHNUNG/WOHNHAUS
lung wandeln können. Je nach Seins-Zustand gestalten wir unseren Raum verschieden. In diesem Prozess können außen-
ANMUTUNG UND VISUALISIERUNG, FARB- UND
stehende Berater bei der Umsetzung persönlicher Vorstellun-
MATERIALGESTALTUNG
gen zur Raumfunktion und deren Anmutungsqualität behilf-
Für die Farbgebung im Wohnbereich gibt es kaum allgemein-
lich sein. Wir können uns in unseren privaten Räumen nur
gültige Regeln. Gewisse Kriterien sollten dennoch metho-
wohlfühlen, wenn sie uns entsprechen – in ihrer Zweckmäßig-
disch angegangen werden. Auch hier gelten die Gesetzmäßig-
keit und Atmosphäre. Die Gestaltung eines Wohnraumes
keiten harmonischer Farbkontrastierungen, die sich nach
muss den Bewohnern, deren gegenwärtiger Lebenswelt und
Ausgewogenheit von Dominanz, Subdominanz und Akzent
Lebensstil angepasst sein. Sie muss sich auf ihre Persönlich-
bewerten lassen. Die Entwicklung eines dem Bewohner und
keit, ihre Vorstellungen, Wünsche und Bedürfnisse beziehen,
seinem persönlichen Umraum angemessenen Farbkonzeptes
damit eine Verbindung zwischen dem Menschen und seiner
erfordert eine intensive Auseinandersetzung mit Mensch und
Wohnwelt entstehen kann, zusammen mit einer Innenwelt-
Raum. Eine Raummilieu-Gestaltung wird dann optimal, wenn
Umwelt-Synthese, der Integration von Mensch und Raum. Je
sie sowohl auf die Mentalität des Bewohners/der Bewohner
länger der Mensch sich in Haus und Wohnung aufhält, desto
und deren Vorstellungen als auch auf die Architektur des Rau-
größer ist auch die Wirkung der Wohnraumgestaltung. Das Zu-
mes und die Raumverhältnisse abgestimmt ist. Raumgestal-
sammenwirken von Licht, Farben, Materialien und Formen be-
tung hat gerade im Wohnbereich auch die Aufgabe, Korrespon-
einflusst das Wohlbefinden des Menschen und kann somit,
denzen
sofern
sinnvoll und richtig angewandt, auch zur Regeneration, Ent-
Menschen nicht alleine leben: zwischen Lebenspartnern, El-
spannung und Erholung beitragen. Vielen Menschen ist das
tern und Kindern. Hier sind verschiedene individuelle Bedürf-
natürliche Gefühl für eine ihnen entsprechende Gestaltung
zwischen
den
Bewohnern
herzustellen,
145
des persönlichen Wohnbereiches abhanden gekommen, vor
Mode- und Farbtrends, von denen gerade auch der Einrich-
allem in Bezug auf die Verwendung von Farbe. Es besteht oft
tungssektor betroffen ist. Es ist die wesentliche Aufgabe kom-
große Unsicherheit und Verunsicherung. Einrichtungsberater,
petenter Beratung und Gestaltungspraxis, die Wohnqualität
Architekten und Innenarchitekten werden täglich mit diesen
und damit verbunden auch Lebensqualität vermitteln möchte,
Problemen konfrontiert. Die vielen optischen Eindrücke, die
das Anliegen des Menschen im Blick auf die Gestaltung seiner
Reizfülle, welche die heutige Zivilisation in allen Bereichen
Wohnumgebung zu ergründen, einfühlsam zu interpretieren
der Umwelt bietet, sind kaum angetan, den Farbensinn zu
und erst dann in ein gestalterisches Konzept umzusetzen, an-
sensibilisieren und die Farbwahl zu erleichtern, ganz abgese-
hand dessen sich klare Vorstellungen der Raumkonzeption ge-
hen von den in immer kürzeren Zeitabständen wechselnden
winnen lassen bis hin zu deren Verwirklichung.
>
>
Villa Laroche, Paris Architektur Le Corbusier 1924 Klassisch-modernes Image >
Living X, Leinfelden-Echterdingen Architektur G.A.S. Sahner
146
SCHLUSSBEMERKUNG
Der Mensch hat bis ins hohe Alter einen wechselnden Sinn für
Auskünfte zur Aus- und Weiterbildung sowie Projektberatung
Ästhetik und Qualität. Deshalb erfordert gutes Farbdesign ei-
erteilen:
ne sensible Wahrnehmung, fundierte Kenntnisse zur Bedeutung und Wirkung der Farbe, professionelle Kompetenz in der
Prof. Gerhard Meerwein
Anwendung von Farbe in der Architektur und Innenarchitektur
Augustinerstrasse 32
verbunden mit ganzheitlichem Denken, Bewusstsein im Um-
D-55116 Mainz
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Gutes Farbdesign ist im Zusammenwirken von Architektur, Innenarchitektur, Materialien und Licht ein wesentlicher Fak-
Dr. Bettina Rodeck
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len Lebensbereichen; es ist kulturelle und soziale Verantwor-
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[email protected] AICCE – American Information Center for Color and Environment 3621 Alexia Place San Diego, California 92116, USA Tel.: (+1) 619-2830062 Fax: (+1) 619-6400768
[email protected]
147
ANHANG
LITERATURVERZEICHNIS Albers, Josef: Interaction of Color, Grundlegung einer Didaktik des Sehens, Du Mont, Köln 1970 Ali, M. R.: Pattern of EEG Recovery under Photic Stimulation by Light of Different Colors. Electroencephalography and Clinical Neurophysiology 33 (1972): 332–35 Beral, Valerie, et al.: Malignant Melanoma and Exposure to Fluorescent Lighting at Work. The Lancet (August 1982), 200–293 Berlyne, D. E.; McDonnell, P.: Effects of Stimulus Complexity and Incongruity on Duration of EEG Desynchronization. Electroencephalography and Clinical Neurophysiology 18 (1965): 156–61 Bettelheim, Bruno: Der Weg aus dem Labyrinth, Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1975 (Deutscher Taschenbuchverlag, München 2/1990) Birren, Faber: Color and Human Response, Van Nostrand Reinhold Co., New York 1978 Birren, Faber: Light, Color and Environment, rev. ed. Van Nostrand Reinhold Co., New York 1982 Bollnow, Otto Friedrich: Mensch und Raum, Kohlhammer, Stuttgart 5/1984 Dantsig, N. M.; Lazarev, D. N.; Sokolov, M. V.: Ultra-Violet Installations of Beneficial Action. International Commission of Illumination, Publication CIE No. 14 A, Bureau Central de la Commission (1968): 225–31 Deutsche SNOEZELEN Stiftung (Hrsg.): Snoezelen. Eine Einführung in die Arbeit der Deutschen Snoezelen-Stiftung, Eigenverlag, Königslutter 2000 Ewers, Michael; Schaeffer, Doris (Hrsg.): Am Ende des Lebens.
148
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Chartwell-Bratt Ltd., Bickley 1987
ANHANG
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149
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150
ANHANG
FOTONACHWEIS
S. 84
Waldorf-Kindergarten, Mainz Dieter Leistner, artur
Cover
Agentur Panama, Stuttgart
S. 89
S. 23
Spiegel-Kantine, Hamburg
S. 94
Deutsche Post, Bonn
S. 95
Bibliothek, Universität Cambridge
S. 96
Farbkreis, Gerhard Meerwein, Stefan Enders
S. 49
Zumtobel, Christian Richters, Münster Zumtobel
S. 58–59
Jürgen Henkelmann, artur Agentur Panama, Stuttgart
S. 74–75
Intelligent House Solutions, Berlin
Zooey Braun, Stuttgart Klaus Frahm, artur S. 82
S. 100
IKB-Bank, Luxemburg Michael Reisch, Düsseldorf
S. 102
Unternehmensberatung Strasser, München Müller-Naumann, München
S. 103
Großraum, Bauwens-Forum Tomas Riehle, artur
DZ-Bank, Berlin
S. 73
Großraum, Bank Händlersaal, Frankfurt/Main Barbara Staubach, artur
Phaeno-Science-Center, Wolfsburg Michael Rasche, artur
S. 61
S. 99
Kunstmuseum, Stuttgart Roland Halbe, artur
S. 61
Wellness-Center, Side Hotel, Hamburg Klaus Frahm, artur
Roland Halbe, artur S. 32
Schwimmbad, Bad Elster Reinhard Goerner, artur
Dieter Leistner, artur S. 28–29
Sporthalle, Markt Großostheim Dieter Leistner, artur
B. Grimmenstein, artur S. 23
Montessori-Schule, Aachen Jörg Hempel, Aachen
Zooey Braun, Stuttgart
S. 104
Braun AG, Melsungen Monika Nikolic, artur
S. 112
Coca Cola, Fredericia Lars Brandi Christensen, Klampenborg
S. 114
Internationales Postverteilungszentrum,
Museum für Moderne Kunst, Frankfurt
Flughafen Frankfurt/Main
Dieter Leistner, artur
Lars Brandi Christensen, Klampenborg
151
ANHANG
S. 114
S. 114
S. 120–122
Sortierplatz, Internationales Postverteilungs-
Alle nicht angeführten Fotos und grafischen Abbildungen
zentrum, Flughafen Frankfurt/Main
stammen von Gerhard Meerwein, die Collagen von Gerhard
F. Busam, Dortmund
Meerwein und Bettina Rodeck.
Kantine Konferenz- und Schulungszentrum,
Wir haben uns bemüht, für alle Abbildungen die Urheberrech-
Internationales Postverteilungszentrum,
te ausfindig zu machen und aufzuführen. Wo dies nicht der
Flughafen Frankfurt/ Main
Fall ist, ist es uns nicht gelungen, die Autoren zu kontaktieren.
Lars Brandi Christensen, Klampenborg
In diesem Fall bitten wir die Urheber, sich mit dem Verlag in
Städtisches Klinikum St. Georg, Leipzig
Verbindung zu setzen.
Jochen Stüber, Hamburg S. 138
Hotel Haeckenhaus, Ramsen Zooey Braun, Stuttgart
S. 142 u. r.
Neobar, Chemnitz Laszlo Toth, Chemnitz
S. 142
Neobar, Chemnitz Jan Piechulla, Giffhorn
S. 143
Restaurant Centre Pompidou, Paris Archiv Archipress, artur
S. 143
Side-Hotel, Hamburg Klaus Frahm, artur
S. 146
Villa Laroche, Paris Frank Eustache, Archipress, artur
S. 146
Living X, Leinfelden-Echterdingen Roland Halbe für Caparol
152