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Seewölfe 171 1
Davis J.Harbord 1.
Thomas Milford, Hauptmann der königlichen Hofgarde, war genau der Typ, dessen Erscheinung allein schon genügte, um die Seewölfe rot sehen zu lassen. Und mehr als einer fragte sich, wer eigentlich dafür verantwortlich zeichnete, einen solchen Mann Offizier der Garde werden zu lassen — jener Truppe, die bereit sein mußte, bei Gefahr für Ihre Majestät die Königin sich in Stücke hauen zu lassen, aber keinen Schritt zu weichen. Vielleicht war da durch schmutzige Hände schmutziges Geld geflossen. Vielleicht auch gehörte dieser Milford zu jenen Kerlen, die nach oben zu buckeln und nach unten zu treten verstanden, kräftig die Ellbogen benutzten und andere Kameraden in die Pfanne hauten. Bei der Royal Navy gab's solche Typen — warum nicht auch bei der königlichen Garde? Jedenfalls war es ausgerechnet Hauptmann Milford, den man unter den Offizieren der Garde dazu auserwählt hatte, den Transport der „Isabella“-Beute in die Towergewölbe zu leiten. Wer etwas „leitet“, braucht nicht unbedingt selbst mit anzupacken. Schließlich mußte ja jemand die Übersicht behalten. Für die Arbeit waren dem Hauptmann sechzehn Soldaten der Garde unterstellt worden, die es zu beaufsichtigen galt - wir werden sehen. Die „Isabella“-Beute! In Jahren wilder Raids und tollkühner Unternehmungen auf allen Meeren der Erde hatten die Seewölfe sie zusammengetragen und mehr als einmal dabei Kopf und Kragen riskiert. Sie hatten sich durchgebissen - um Ihrer Majestät der Königin ein „kleines Geschenk“ - wie sie es nannten - zu überreichen. Vorgestern mittag hatte die Königin diesen Schatz an Bord der „Isabella“ besichtigt und Philip Hasard Killigrew zum Ritter geschlagen. Das war der Höhepunkt all der Jahre ihrer Weltumsegelung gewesen: ihr Kapitän zum Ritter geschlagen!
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Das Begeisterungsgebrüll der Seewölfe, nachdem die Königin den Ritus mit dem Staatsschwert vollzogen hatte, war ohrenbetäubend gewesen. Die Londoner Bürger hatten zitternd und bebend gedacht, der Weltuntergang sei nahe. Am Vormittag des nächsten Tages war Hasard zur Audienz nach Schloß Whitehall gebeten worden. Er hatte vor der Königin und hohen Mitgliedern der Regierung über die Weltumsegelung berichtet, aber auch seine Ansichten über die politische Lage geäußert und seiner Überzeugung Ausdruck gegeben, daß der bewaffnete Konflikt mit Spanien unmittelbar bevorstünde. Die Übernahme einer führenden Position in der Royal Navy, wie sie von der Königin vorgeschlagen worden war, hatte Hasard mit dem Hinweis abgelehnt, seine Männer und er seien Einzelkämpfer und würden sich niemals in die Royal Navy einordnen. Stattdessen hatte er um einen Kaperbrief gebeten und ihn erhalten. Aber eine unliebsame Überraschung hatte es am Abend desselben Tages gegeben. Hasard war von der Königin zum Hofball auf Schloß Whitehall eingeladen worden. Unter den Gästen hatte sich ein Mann befunden, der Hasard und die Seewölfe glühend haßte: John Doughty, jener Mann, der an dem Profos der „Isabella“, Edwin Carberry, einen Mordversuch unternommen hatte. Das war zur Zeit der Weltumsegelung Kapitän Drakes gewesen. Damals hatte Hasard eine harte Bestrafung Doughtys verlangt, die von Drake verweigert worden war. Daraufhin hatten Hasard und seine Männer Drake den Gehorsam aufgekündigt. Dieser Mann nun hatte es gestern abend gewagt, Hasard vor der Königin und der gesamten Hofgesellschaft auf die infamste Weise zu beleidigen. Hasard hatte Doughty daraufhin zum Zweikampf gefordert, ihn mit Hieben der Degenklinge bis auf die Unterbeinkleider ausgezogen - in brillanten Fechtparaden - und ihm dann mit der flachen Klinge den Hintern verdroschen.
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Mit einem Fußtritt hatte er ihn schließlich aus dem Festsaal befördert. Die scharfe Frage der Königin, warum er Doughty nicht getötet habe, hatte Hasard mit der Antwort zurückgewiesen, John Doughty sei ein Fall für das Henkersschwert, nicht für das Schwert eines Ritters, dessen Klinge sauber zu bleiben habe. Immerhin hatte die Hofgesellschaft einen kämpfenden Seewolf erlebt, einen Ritter ohne Furcht und Tadel. Und so manchem der blasierten Lordschaften war der kalte Schauer über den Rücken gelaufen. Sie hatten die Nase gerümpft über diesen „Gast“ der Königin, der in seiner einfachen Gewandung zum Hofball erschienen war, aber als er den Degen gezogen und sich zum Duell gestellt hatte, da war ihnen das blanke Entsetzen unter die Perücken gestiegen. Dieser Sir Hasard führte eine Klinge, wie sie es noch nie gesehen hatten. Das war Fechtkunst in höchster Vollendung. John Doughty, Höfling, blasierter Lebemann, Intrigant und Anhänger der spanienfreundlichen Hofclique, war vor aller Augen zu einem winselnden Nichts deklassiert worden. Er hatte keine Schramme davongetragen, aber Hasard hatte die sogenannte Ehre dieses Mannes im wahrsten Sinne des Wortes zerfetzt nur die lächerlichen Unterhosen waren übrig geblieben. Tödlicher im moralischen Sinne konnte kein Mann erniedrigt werden. Hasard hatte Doughty wie ein Stück Dreck vom königlichen Hof gewischt. Für Hasard war das alles schon nicht mehr wichtig. Er hatte dem Kerl eine Lektion erteilt. Sollte er sich rächen wollen, würde er dem schon zu begegnen wissen. Jetzt ging es darum, die „Isabella“ zu entladen. Es war eine umfangreiche, zeitraubende Prozedur - nicht wegen des Transports aus den Laderäumen der Galeone in die Towergewölbe, sondern wegen der genauen und exakten Registrierung der Truhen und Kisten sowie ihres Inhalts. Die einzelnen Maßnahmen dazu hatte Hasard vorher mit Lord Burghley, dem
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Schatzmeister der Königin, und mit Admiral John Hawkins, dem Schatzmeister der Royal Navy, besprochen. Aus Sicherheitsgründen hatte Hasard veranlaßt, daß seine Crew - denn auf die konnte er sich absolut verlassen - die einzelnen Teile der Ladung in einen Raum des Towers transportierte, wo sie registriert und listenmäßig protokolliert wurde. Erst danach sollte sie von dort in die Towergewölbe gebracht werden, und zwar jetzt von den Soldaten der Garde unter dem Kommando des Hauptmanns Milford. Hasard wollte keine Fremden an Bord und in den Laderäumen der „Isabella“ haben. Lord Burghley und Admiral Hawkins waren mit diesem Verfahren einverstanden gewesen. Für den Transport von Bord bis in den Towerraum waren also die Seewölfe verantwortlich. Nach Übernahme und Registrierung der Schatzbeute war alles weitere Sache der Krone und ihrer verantwortlichen Personen. So war der Towerraum gewissermaßen der Umschlagplatz für Gold- und Silberbarren, Perlen, Edelsteine, Diamanten sowie diverser Schmuckstücke bis hin zum weißen Gold Afrikas - dem Elfenbein. Alles das wanderte über die wuchtigen, riesigen Tische, hinter denen im Towerraum die Schreiber der beiden Schatzmeister saßen und ihre Listen ausfüllten. Dort auch fand die Verteilung statt, denn ein Viertel der gewaltigen Schatzbeute - damit hatten sich die Seewölfe einverstanden erklärt - sollte in die Schatzkasse der Royal Navy fließen. Das regelten Lord Burghley und Admiral Hawkins unter sich, denn sie waren in dem Raum ebenfalls anwesend. Für Hasard war das ein Quell unerschöpflichen Amüsements, weil die beiden wie zwei Pferdehändler miteinander schacherten, und oft genug mußte Hasard als der ehrliche Makler zwischen ihnen entscheiden, was die Königin und was die Royal Navy erhalten sollte. Dabei hielt er es für richtiger, der Royal Navy einen im Verhältnis größeren Anteil an Gold- und Silberbarren zu übereignen, der vom Wert
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her besser zu bestimmen und zu taxieren war als Perlen und Edelsteine. Um neun Uhr am Vormittag war mit dem Transport der Ladung begonnen worden. Es würde ein arbeitsreicher Tag werden, bis die Laderäume der „Isabella“ entleert waren. Und es stellte sich sehr schnell her- aus, daß die Schreibarbeit an den Tischen umständlich und zeitraubend sein würde. Aber es ging nicht anders. Hasard wollte sich nicht noch einmal vorwerfen lassen, er betrüge die Königin und begehe Unterschlagungen - wie sie von seinen Gegnern 1580 als Gerüchte in Umlauf gesetzt worden waren, um ihn zu vernichten. Natürlich waren er und seine Männer nicht mittellos, wenn die riesige Schatzladung in den Towergewölben verschwunden war. Schließlich stand jedem Kapitän, der als Kaperfahrer unterwegs gewesen war, ein gerechter Anteil der Beute zu. Aber die Seewölfe waren ja freiwillig nach England zurückgekehrt, um ihrer königlichen „Bessy“ die Ausbeute ihrer Kaperfahrten zu übergeben. Sie hätten ja auch in der Karibik bleiben können, für immer. Aber noch etwas hatte sie nach England zurückgetrieben - ihr Wissen um die bevorstehende Auseinandersetzung mit Spanien. Wenn es soweit war, wollten sie dabeisein und auf ihre erprobte Weise den Dons das Fürchten beibringen. Das waren sie ihrem Land und der ,Bessy“ schuldig. Sie waren über die sieben Weltmeere gefahren - vagabundierende Abenteurer in der grenzenlosen Freiheit der See, aber Patrioten waren sie dennoch geblieben. Und wenn sie etwas für England taten, dann freiwillig und niemals unter Zwang. Umso weniger schmeckte es ihnen, daß dieser Gockel von Hauptmann in Generalspose auf der Pier herumstolzierte und offensichtlich meinte, sie als Kulis oder minderes Volk betrachten zu müssen. Der Ärger begann damit, daß sich dieser Kerl dann direkt an der Gangway zur „Isabella“ aufbaute, als habe er persönlich den Transport der Kisten und Truhen von Bord zu überwachen. Dabei ging ihn dieser
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Transportweg einen Dreck an. Im übrigen schleppten die Seewölfe im gewissen Sinne ihren eigenen Besitz in den Towerraum. Erst dort wechselte er in den Besitz der Königin und der Schatzkasse der Royal Navy über. Also war die Anwesenheit dieses Hauptmanns total überflüssig. Thomas Milford, Hauptmann der königlichen Garde, schleppte an seiner Seite einen Degen mit einem riesigen Korb als Handschutz mit sich herum, außerdem ein Reitstöckchen, das er lässig und unentwegt gegen seine Stulpenstiefel klatschte. Dabei trug er eine Miene zur Schau, als sei der Anblick der Pier, der „Isabella“ und besonders der Männer dieses Schiffes eine Beleidigung für seine blaßblauen Augen oder ein schlechter Geruch für seine fleischige Nase. Seine Miene wurde noch überheblicher, als Batuti, der riesenhafte Gambia-Neger, mit einer Kiste auf der Schulter, die er mit beiden Händen festhielt, über die Gangway zur Pier balancierte. Batuti ging an ihm vorbei, ohne ihn zu beachten. „He, Nigger!“ rief Hauptmann Milford. Batuti kümmerte sich nicht darum. Er hieß nicht „Nigger“. Im übrigen waren in der Kiste Goldbarren gestapelt. Er hatte keine Lust, sich aufhalten zu lassen. Die Kiste war schwer genug, um von zwei Männern getragen zu werden. Milford stieß einen grunzenden Wutlaut aus, sprang hinter Batuti her und fetzte ihm das Reitstöckchen über den rechten Oberschenkel. „Bleib stehen, Nigger!“ schrie er. „Wenn du an einem Hauptmann der Garde Ihrer Majestät; der Königin vorbeigehst, hast du zu grüßen, verstanden?“ Batuti war bei dem unvermuteten Hieb etwas zusammengezuckt. Langsam drehte er sich um, die Kiste immer noch auf den Schultern, und blickte den Hauptmann an. Ruhig sagte er: „Nix verstanden, Mistah. Warum soll Batuti grüßen. Nix dich kennen, also auch nix grüßen, savvy?“ „Was – was ...“ Milford keuchte. „Du schwarze Mißgeburt wagst es, einem
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Hauptmann die Grußpflicht zu verweigern.“ Das Stöckchen in seiner Hand zitterte. Langsam setzte Batuti die Kiste ab. Als er sich aufrichtete, wuchs er um gut zwei Köpfe über Milford heraus. „Mistah“, sagte er, immer noch ruhig. „nenn Batuti nicht schwarze Mißgeburt. Batuti dich auch nicht weißer Bastard nennen. Eine Haut so gut wie andere, schwarz genauso gut wie weiß .. „ „Du dreckiger Niggerlümmel!“ brüllte der Hauptmann und hob das Stöckchen, um es Batuti ins Gesicht zu schlagen. „Dir werd ich ...“ Er brach ab. Eine Faust, hart wie ein Schraubstock, umklammerte sein Handgelenk und drückte seinen Arm nach unten. Milford warf sich herum. Vor ihm, wie ein granitener Klotz, stand ein Mann mit zernarbtem Gesicht, einem wüsten Rammkinn und schiefergrauen Augen, in denen ein gefährliches Licht glimmte. Hinter ihm tauchten andere Männer auf mit Mienen, die allerlei versprachen, nur nichts Gutes. Der Narbenmann zog mit der anderen Hand das Stöckchen aus der Hand Milfords, betrachtete es kopfschüttelnd, zerbrach es in zwei Teile und warf sie verächtlich weg. „Hier wird nicht geschlagen, Mister“, sagte er grollend. „Dieser Nigger hat mich beleidigt!“ schrie der Hauptmann schrill und rieb sich das rechte Handgelenk. „Und Sie werden mir sofort meinen Reitstock ersetzen! Wer sind Sie überhaupt?“ „Edwin Carberry, Profos der ,Isabella', Mister.“ „Für Ihresgleichen bin ich mit ,Sir` anzureden!“ schrie der Hauptmann. Carberry schloß seine rechte Hand zur Faust, betrachtete sie und streichelte mit der Linken darüber. Dann fixierte er den wutbebenden Hauptmann. „Hör zu, du Gardewürstchen“, sagte er. „Erstens: Niemand, auch du nicht, hat das Recht, Batuti, einen Mann der ,Isabella`Crew, anzupöbeln oder ihn zu schlagen.
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Zweitens: Deinen Zahnstocher kannst du dir selbst ersetzen. Drittens: Mit ,Sir' rede ich nur Personen an, die diesen Titel auch verdienen. Hampelmänner wie dich rede ich überhaupt nicht an, die lasse ich allenfalls an dieser Knospe riechen.“ Er hielt dem Hauptmann die rechte Faust unter die Nase. „Oder ich ramme sie durchs Deck, daß sie auf dem Kielschwein reiten können.“ Er stieß sein Rammkinn vor. „Oder ich wring sie aus und häng sie zum Trocknen an die Großrah.“ Carberrys Stimme wurde tückisch. „Oder wär's dir lieber, wenn ich dir die Haut streifenweise von deinem Affenarsch ziehe und an unser Kombüsenschott nagele?“ Dem Hauptmann der königlichen Garde Thomas Milford stand der kalte Schweiß auf der Stirn. Zögernd wich er vor Carberry zurück. Dieses fürchterliche Monster schien vor nichts zurückzuschrecken. Und die anderen Kerle hinter ihm sahen aus wie ein Rudel mordlüsterner Wölfe. „Buh!“ machte Carberry und sprang vor. Milford zuckte zusammen, warf sich herum, und dann rannte er, als sei eine alles verschlingende Sturmflut hinter ihm her. Aber nur das Gelächter der Seewölfe verfolgte ihn. Er hörte es bis in den Towerraum, wo die Schreiber mit ihren Federkielen über die Pergamente kratzten. Lord Burghley hob stirnrunzelnd den Kopf, als der Hauptmann in den Raum keuchte. „Was ist denn mit Ihnen los, Milford?“ fragte er unwillig. „Empörend - es ist empörend!“ stieß der Hauptmann hervor. „Was ist empörend?“ „Das Benehmen dieses - dieses Gesindels!“ Der Hauptmann zeigte mit dem Daumen in die Richtung, in der die „Isabella“ an der Pier lag. Lord Burghley lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Sprechen Sie von den Männern der ,Isabella`, Mister Milford?“ fragte er. „Genau von denen, Mylord“, erwiderte der Hauptmann keuchend. Hasard fuhr herum. Er hatte den Zwischenfall zunächst gar
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nicht beachtet und leise mit Admiral Hawkins gesprochen. Jetzt musterte er Milford und knurrte: „Was sagen Sie da?“ Lord Burghley winkte ab. „Lassen Sie nur, Sir Hasard, das erledige ich.“ Er wandte sich wieder dem Hauptmann zu. „Darf ich erfahren, was Sie an dem Benehmen der ,Isabella`-Crew stört, Mister Milford?“ „Dieser - dieser Nigger weigerte sich, mich zu grüßen!“ Der Hauptmann schnaufte empört. „Er ging an mir vorbei, als sei ich Luft für ihn.“ „So? Ging an Ihnen vorbei? Trug er...“ In diesem Moment betrat Batuti den Raum, die Kiste mit den Goldbarren auf den breiten Schultern. Er mußte sich ducken, um mit der Kiste nicht gegen den oberen Türrahmen zu stoßen. Dann durchquerte er den Raum und setzte die Kiste auf einem der Tische ab. Er grinste Hasard zu und verließ den Raum, ohne Milford weiter zu beachten. „Mister Milford“, sagte Lord Burghley, „würden Sie bitte so freundlich sein, die Kiste auf den Tisch dort hinten zu stellen. Es macht Ihnen doch sicherlich nichts aus, nicht wahr?“ „Natürlich nicht, Mylord, selbstverständlich. Das war übrigens der Nigger.“ Er ging zu dem Tisch, auf dem die Kiste stand. Lord Burghley und Hasard wechselten einen stummen Blick. Hasard lächelte jetzt. Er wußte, warum Burghley so freundlich tat. Milford ruckte indessen die Kiste mit beiden Händen hin und her, bis sie am Rand des Tisches stand. Dann wollte er sie anheben. Eine Daumenbreite kriegte er sie hoch — ihre vordere Kante —, dann krachte sie wieder auf die Tischplatte. Er ächzte und versuchte es noch einmal, hochrot vor Anstrengung. Auf seiner Stirn schwollen die Adern. Dieses Mal schaffte er noch weniger als eine Daumenbreite. Fast klemmte er sich die Finger, als die Kiste wieder auf die Tischplatte prallte. Lord Burghley lächelte maliziös, aber das sah Milford nicht, weil er ihm den Rücken zudrehte.
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Mit ein paar Schritten war Hasard neben ihm, schob ihn zur Seite, ging in die Hocke, wuchtete sich die Kiste auf die Schultern, richtete sich mühelos auf, trug die Kiste zu dem be- zeichneten Tisch und setzte sie dort ab, als bestehe ihr Inhalt aus Daunenfedern. Hauptmann Milford hatte Glotzaugen und schluckte krampfhaft. Lord Burghley räusperte sich und sagte: „Diese Kiste trug also ein Mann der ,Isabella' an Ihnen vorbei, und Sie verlangten von ihm, er solle Sie grüßen. War es nicht so, Mister Milford?“ „J-jawohl, Mylord.“ „Ich muß mich doch sehr wundern, Mister Milford.“ Lord Burghley schüttelte den Kopf. „Sie sind noch nicht mal in der Lage, eine solche Kiste anzuheben, geschweige denn zu tragen, und da halten Sie es für angebracht, einen Mann, der die Kiste an Ihnen vorbeiträgt, damit anzuöden, daß er Sie zu grüßen habe. Sind Sie noch bei Trost?“ Lord Burghleys Stimme wurde plötzlich sehr scharf. „Nehmen Sie zur Kenntnis, Hauptmann, daß Sie dort draußen auf der Pier bei der ,Isabella' überhaupt nichts zu suchen haben. Nehmen Sie weiterhin zur Kenntnis, daß die Männer der ,Isabella' ausschließlich Kapitän Killigrew unterstehen, das heißt, Sie haben von diesen Männern überhaupt nichts zu verlangen, schon gar keine Grußpflicht. Eher müßte es umgekehrt sein, denn alle diese Männer, ob schwarz oder weiß, verdienen die Achtung ganz Englands, weil sie unter mehrfachem Einsatz ihres Lebens für die Krone und für unser Land eine ungeheuerliche Leistung vollbracht haben, eine Leistung, die Ihre Majestät die Königin dadurch ehrte, daß sie Kapitän Killigrew stellvertretend für alle seine Männer zum Ritter schlug. Stellvertretend, Hauptmann Milford, auch für den Schwarzen, den Sie mit Gesindel zu bezeichnen wagten. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?“ „Ich — ich wurde bedroht“, stammelte Hauptmann Milford.
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Lord Burghley verlor ein wenig die Kontenance. „Wohl mit Recht!“ schrie er den Hauptmann an. „Denn mit Ihrem lächerlichen Benehmen haben Sie die Männer provoziert. Außerdem hätten diese Männer das Recht gehabt, Sie, auch mit Gewalt, von der Pier zu entfernen! Ihr Aufgabenbereich ist hier im Tower, nicht dort draußen! Oder legen Sie Wert darauf, daß ich Sie wegen Unfähigkeit ablösen lasse?“ „N-nein, Mylord.“ „Dann kümmern Sie sich um Ihren Kram! Stecken Sie Ihre Nase gefälligst nicht in Angelegenheiten, die Sie nichts angehen! Passen Sie lieber auf Ihren Trupp auf — mit dem können Sie ja Grußübungen veranstalten, wenn Sie sich langweilen. Herrgott, wir haben genug zu tun, als uns mit Ihren Faxen zu beschäftigen! Verschwinden Sie!“ Der Hauptmann zog ab. Er sah aus, als sei ihm vom Feldscher ein verfaulter Backenzahn gezogen worden. 2. Wie Carberry diesen eingebildeten Affen von Gardehauptmann zusammengestaucht und verscheucht hatte, das war Hasards Zwillingen keineswegs entgangen, ganz abgesehen davon, daß ihnen selten etwas entging, was irgendwie etwas mit der „Isabella“ oder ihrer Crew zu tun hatte. Sie waren zwei drahtige, siebenjährige Bürschchen mit den eisblauen Augen ihres Vaters und dessen scharfgeschnittenem Gesicht. Hasard hatte sie für tot gehalten in all den Jahren — umgebracht von dem abgefeimten, schurkischen Baldwyn Keymis, ehemals Friedensrichter von Falmouth, den er an Bord der damaligen „Isabella V.“ hatte kielholen lassen, weil er es gewagt hatte, über Gwendolyn Bernice O'Flynn, der späteren Frau Hasards und Mutter der Zwillinge, herzufallen. Gwen lebte nicht mehr — eine Folge der Untaten dieses Friedensrichters, dessen
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schurkisches Leben im Rachen eines Hammerhais sein Ende gefunden hatte. Ein Komplice dieses Friedensrichters, der degradierte Hauptmann Burton, hatte — selbst auf dem Weg zur Hölle — als Sterbender Hasard angelogen. Aber sie lebten. Dan O'Flynn hatte die beiden in einer Gauklertruppe in Tanger erkannt. Wie sie dorthin gelangt waren, daran hatten die Zwillinge keine Erinnerung mehr. Sie meinten, immer bei den Gauklern gelebt zu haben. Für deren Vorführungen waren sie natürlich die Attraktion gewesen, weil sie sich wie ein Ei dem anderen glichen — eine hervorragende Basis für einen phantasiebegabten Magier. Hasard hatte seine Söhne regelrecht entführt. Seitdem fuhren sie bei ihm an Bord — und waren der Schrecken und der Liebling aller geworden. Keiner der Crew hätte sie mehr missen mögen. Die Seewölfe neigten gewiß nicht zur Traurigkeit, im Gegenteil. Aber mit den Zwillingen war das Leben an Bord noch heiterer geworden, jawohl, Sir. Diese pfiffigen Kerlchen waren zwei Nummern für sich. Dabei hatten sie bereits bewiesen, daß sie furchtlos waren, daß sie zu denken verstanden und das Zeug dazu hatten, erstklassige Seeleute zu werden. In den Wanten und auf den Rahen turnten sie mit der Sicherheit und Behändigkeit von Affen herum — bei den Gauklern hatten sie den Seiltanz gelernt. Sie lernten überhaupt schnell — zum Kummer Hasards leider auch die Kraftausdrücke und Flüche Carberrys. Jetzt starrten sie hinter dem flüchtenden Milford her, und Hasard Junior sagte, indem er die tiefe Stimme Carberrys nachzuahmen versuchte: „Diese triefäugige Laus!“ Philip Junior, um ein paar Minuten jünger als der Bruder, bestätigte das, fand aber noch eine Variante zu der „triefäugigen Laus“, indem er Milford als eine „plattfüßige Kakerlake“ bezeichnete. „Ha!“ sagte Hasard Junior. „Dem hat's Mister Carberry aber gegeben, was?“
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„Und wie!“ Philip kicherte. „An der Rah zum Trocknen aufhängen wollte er ihn, diesen Affenarsch!“ „Dieses Gardewürstchen!“ „Diesen Hampelmann!“ Philip stutzte. „Was ist überhaupt Garde?“ „Mir egal. Sicher was ganz Schlimmes.“ Philip nickte. „Glaub ich auch. Weil's mit Wurst zusammenhängt, nicht wahr?“ „Genau.“ Hasard spähte über das Schanzkleid, das ihm bis zum Hals ging, und sagte energisch: „Wir werden ihn ärgern.“ „Wen?“ „Das Gardewürstchen.“ Philip linste auch über das Schanzkleid. „Mann, das ist gut. Aber der kommt bestimmt nicht noch mal zurück.“ Hasard Junior grinste. „Der nicht, aber dafür gehen wir an Land — in dieses Towerdings! Mister Carberry hat vorhin gesagt, dort sei die Gardewurst zugange.“ „Hrn.“ Philip überlegte und musterte das festungsähnliche Gebäude mit den wuchtigen Ecktürmen. „Und wenn uns einer sieht?“ Hasard deutete über das Schanzkleid. „Wir entern achtern ab und klettern dort hinten bei dem einen Turm über die Mauer.“ Er blickte seinen Bruder an, als gelte es, einen Geheimbund zu gründen. „Rache für Batuti“, sagte er und hob die Faust. „Rache für Batuti“, sagte Philip dumpf und hob ebenfalls die Faust. „Tod allen Gardewürsten!“ Hasard blickte sich sichernd nach allen Seiten um — und versteifte sich plötzlich. Old O'Flynn hinkte über das Achterdeck auf sie zu. Seine Miene versprach nichts Gutes. „Wer von euch beiden hat mal wieder meine Krücken versteckt, verdammt noch mal?“ fauchte er. Hasard Junior und Philip Junior blickten sich stirnrunzelnd an und zuckten gleichzeitig mit den Schultern. „Ich nicht“, sagte Hasard Junior. „Ich auch nicht“, sagte Philip Junior. „So was tun wir nicht“, sagte Hasard Junior.
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„Nein, so was tun wir nicht“, wiederholte auch Philip Junior. Er kniff das linke Auge zusammen und kratzte sich hinter dem rechten Ohr. „Hm“, meinte er, „vorhin hab ich Arwenack mit den Krücken gesehen.“ Old O'Flynn schob mißtrauisch den eisgrauen Kopf vor. „Arwenack? Was soll denn Arwenack mit den Krücken? Kannst du mir das mal verraten, du Schiffsfloh?“ Er musterte seinen Enkel streng. „Hat Arwenack vielleicht 'n Holzbein, he?“ „Er ist damit Stelzen gelaufen“, erklärte Philip, „um größer zu sein.“ Old O'Flynn schnappte nach Luft. „Stelzen gelaufen! Um größer zu sein! Ich werd noch verrückt ...“ „Das sah vielleicht lustig aus“, sagte Philip, „so groß wie Mister Carberry war er mit den Stelzen.“ Er stellte sich auf die Zehenspitzen und reckte den rechten Arm hoch, um Old O'Flynn die neue Größe Arwenacks zu demonstrieren. „Das sind Krücken, aber keine Stelzen für diesen verdammten Affen“, sagte Old O'Flynn wild. „Ich weiß, wo die Stelzen sind“, sagte jetzt Hasard Junior. „Krücken!“ brüllte Old O'Flynn. „Und wo sind die Krücken?“ „Im Fockmars!“ Hasard Junior feixte. Old O'Flynn fuhr herum und spähte zum Fockmars hoch. Dort war Arwenack, der Bordschimpanse, gerade dabei, die beiden Krücken in die Fockstengewanten zu hängen. Was das sollte, war völlig schleierhaft. Aber Affen dachten da wohl anders. Old O'Flynn stand dicht vor einem Tobsuchtsanfall. Dabei hatte er selbst schuld, weil er die Krücken meist irgendwo abstellte, dann vergaß, wo er sie hingetan hatte, und seine Enkel verdächtigte, sie ihm geklaut zu haben. Er humpelte den Niedergang zur Kuhl hinunter und brüllte: „Arwenack, du krummer Hund! Bring sofort meine Krücken runter, du Mistvieh, du verlaustes!“ Arwenack zuckte zusammen, erspähte Old O'Flynn; balancierte über die schräg geschiftete Fockrah zum Vorstag, sauste
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daran nach unten und verschwand im Vordeck. „Los!“ flüsterte Hasard dem Bruder zu. „Wir hauen ab, jetzt merkt's keiner.“ Aber Philip war da anderer Ansicht. „Ich hol ihm erst die Krücken“, sagte er, flitzte hinunter zur Kuhl, überquerte sie, enterte in den Fockwanten hoch, schnappte sich die Krücken und brachte sie seinem Großvater. „Danke“, brummte Old O'Flynn und klemmte sich die Dinger unter die Achseln. „Alles klar?“ fragte Philip und grinste zu seinem Großvater hoch. „Alles klar, Söhnchen“, erwiderte Old O'Flynn besänftigt. Dann schüttelte er den Kopf und fügte hinzu: „Klaut dieser Affe mir die Krücken! Ist das noch zu fassen?“ „Vielleicht hast du sie irgendwo stehen lassen, Old Dad“, meinte Philip Junior, „und da hat sie sich Arwenack geholt. Sag mal, was ist Garde?“ „Garde?“ Old O'Flynn spuckte verächtlich übers Schanzkleid. „'n Haufen Dreck ist das.“ „Ganz schlimmer Dreck, wie?“ „Noch schlimmer. Wenn's kracht, haben die schon die Hosen voll.“ Das war nun wieder etwas verwirrend. Wieso „die? Und wieso „Hosen“? Aber Philip mochte nicht weiter fragen. Jedenfalls war Garde ganz schlimmer Dreck, und wenn Hosen voll waren, war das ganz schlimmer Dreck, oder? Na also. Philip trollte sich und teilte dem Bruder mit, Garde sei ganz schlimmer Dreck. „Sag ich doch“, erklärte Hasard ungeduldig und schon ziemlich kribbelig. „Wir hätten längst da drüben sein können. Paß auf, wir tun so, als ob wir achtern die Trosse klarieren, und dann verschwinden wir über die Heckgalerie, wenn keiner hersieht, klar?“ „Klar.“ Die beiden Knaben schlenderten zu der Trosse, bückten sich und mimten schwere Beschäftigung. „Jetzt!“ zischte Hasard. Sekunden später war das Achterdeck leer. Die beiden hängten sich einfach wie Klammeraffen an die Achterleine und
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hangelten zur Piermauer hinüber. Dort zogen sie sich hoch und gingen hinter den großen Pollern in Deckung. Hasard spähte an seinem Poller vorbei zur Gangway. Über die ging gerade Smoky, der Decksälteste der „Isabella“, an Land. Über jede Schulter hatte er sich einen Elefantenstoßzahn gewuchtet, die Krümmungen zeigten nach hinten unten. Die Spitzen berührten beinahe den Boden. Hasard begann zu kichern. Das sah vielleicht aus! Ein Zweibeiner mit zwei Stoßzähnen verkehrtherum! Prompt ertönte auch auf dem Deck der „Isabella“ eine Stimme — die von Matt Davies. „Smoky, das Elefantenbaby!“ schrie er. „Leute, seht euch das an!“ Hasard erkannte ihre Chance und zischte: „Ab zum Turm!“ Wie Wiesel flitzten sie über die freie Pierfläche, während die Seewölfe lachend hinter Smoky herstarrten und ihre Witze rissen. Hinter dem Turm hatten Hasard und Philip totale Deckung. Von der Pier und der „Isabella“ her konnte sie niemand mehr sehen, auch nicht von dem Gebäude her, in das die Lasten geschleppt wurden. Philip starrte an der Mauer hoch, die von dem vorgebauten Turm abgeschirmt wurde. Die schafften sie nie! Sie hatten sich von Bord aus verschätzt. Auch wenn sich der eine auf die Schultern des anderen stellte, langte er mit ausgestreckten Armen nicht an den Mauersims. „Gardedreck!“ fauchte er und blickte seinen Bruder an. „Wir hätten 'ne Leine mit Enterhaken mitnehmen sollen.“ „Da hinten steht ein Baum an der Mauer“, sagte Hasard und deutete über Philips Schulter. Philip wandte sich um und schaute zu dem Baum, von dem ein dicker Ast bis an die Mauerkrone reichte. Er nickte, und sie setzten sich an der Mauer entlang in Trab. Der Baum war für ihre Kletterkünste kein Problem, der dicke Ast erst recht nicht. Der reichte sogar ein ganzes Stück über die Mauer weg in den großen Innenhof. Auf der Mauerkrone, getarnt im Geäst, blieben
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sie zunächst hocken und sicherten nach allen Seiten. Zurück würden sie es leichter haben, wie sie feststellten. Denn direkt unter ihnen, in der Schulterhöhe eines Mannes, verlief ein Wehrweg an der Mauer entlang. Einzelne Holztreppen führten zu dem Wehrgang hoch. Das war soweit ganz in Ordnung. Fünfzig, sechzig Yards vor ihnen ragte das Towergemäuer auf, einer Zwingburg nicht unähnlich, grau, düster. Zwischen Mauer und Tower war eine freie Fläche zu überqueren. Aber rechts von ihnen erstreckte sich ein Platz, und dort war Bewegung, Kommandos tönten herüber. Hasard Junior und Philip Junior hockten ziemlich belämmert in ihrer Deckung. „Die sollen doch verschwinden!“ flüsterte Hasard wütend. Philip nickte stumm. „Was tun die da überhaupt?“ flüsterte Hasard. Das war Philip auch unklar. Exerzierende Soldaten waren für sie etwas Neues. Die rückten im Karree vor, als wollten sie etwas in den Boden stampfen, das gar nicht da war, dann schwenkten sie plötzlich, standen wie eine Mauer, vorn kniete eine Reihe, hob Musketen an die Schultern, die stehende Reihe hinter der vorderen tat das Gleiche ... „Salve — Feuer!“ brüllte eine Stimme. Sie gehörte zu einem Offizier, der mit einem Degen herumfuchtelte. Jetzt mußte es gleich krachen, aber es krachte nicht. Mit abgehackten Bewegungen wurden die Musketen abgesetzt, die kniende Reihe stand wieder auf, das Karree stampfte los. „Die spielen Krieg“, sagte Philip. „So was Blödes“, brummte Hasard. „Haben die nichts Besseres zu tun?“ „Die üben“, erklärte Philip. „Vielleicht haben sie auch Langeweile ...“ Er unterbrach sich. „Da! Jetzt marschieren sie in die Sandkuhle und drehen uns den Rücken zu!“ „Weg hier!“ stieß Hasard hervor. Und schon ließen sie sich auf den Wehrgang fallen, landeten wie kleine
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Katzen, flitzten zur nächsten Holztreppe, setzten in ein paar Sprüngen hinunter und huschten über die freie Fläche hinüber zum Tower. Gewölbte, fensterlose Kellerluken gähnten ihnen entgegen - mit Eisenstäben vergittert. Für einen Mann waren sie zum Durchschlüpfen zu eng, aber nicht für zwei Jungen, die so schlank wie die Zwillinge gewachsen waren. Sie zwängten sich mühelos hindurch, noch bevor das Karree der Soldaten wieder aus der Sandkuhle auftauchte. Muffiger Geruch drang den beiden entgegen. Sie hielten sich innen an den Gitterstäben fest und starrten in das dunkle Gewölbe. Als sich ihre Augen auf das Dämmerdunkel eingestellt hatten, sahen sie vor sich einen mit Säulen abgestützten Gang, der sich in der Dunkelheit weiter hinten verlor. Die Kellerluke, in der sie standen, befand sich etwa zwei Yards über dem Gangboden. Kurz entschlossen nickten sie sich zu, hängten sich unten an die Eisenstäbe und ließen sich fallen. Auch hier landeten sie wieder wie kleine Katzen. Zurück würde der eine auf die Schulter des anderen steigen, sich an den Gitterstäben hochziehen und den anderen mit dem Gürtel hochhieven. Für die beiden Jungen, die bei den Gauklern in die Schule gegangen waren und artistische Kniffe gelernt hatten, war das eher Spielerei. Sie grinsten sich an, der eine konnte die blitzenden Augen und die weißen Zähne des anderen sehen. Die Abenteuerlust hatte sie gepackt. Bisher hatten sie alle Widerstände überwunden, jetzt galt es, die Gewölbe zu ergründen und das „Gardewürstchen“ zu finden. um Batuti zu rächen. Wie diese Rache sein würde, darüber hatten sie sich noch nicht den Kopf zerbrochen. Aber sie würde furchtbar sein. Vielleicht hätten sie eine Dose lebender Kakerlaken mitnehmen sollen, die man dem „Gardewürstchen“ ins Hemd hätte schütten können. Noch besser wäre natürlich eine tote Ratte gewesen.
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Aber um Lösungen waren sie noch nie verlegen gewesen, diese beiden Bürschchen. Es kam auf die Situation an. Im rechten Moment würde ihnen das Richtige einfallen, dessen waren sie sicher. Auf leisen Sohlen schlichen sie hintereinander - Hasard voran - den Gewölbegang entlang. Noch gab die Kellerluke genügend Licht. Der Gang endete an einer Bohlentür. Hasard lauschte an der Tür. Von irgendwo drangen Stimmengemurmel und deutliches Tappen von Stiefeln zu ihm. War die Tür verschlossen? Hasard drückte vorsichtig die geschmiedete Klinke nach unten. Die Tür ließ sich öffnen. Das verdammte Ding knarrte zwar, aber da durfte man eben nicht hinhören. Hasard schob den Kopf vor und linste durch den Spalt. Der Gang war hier noch breiter und endete an einer eisernen Balustrade. Von dort schien eine Treppe noch tiefer in ein riesiges Gewölbe zu führen. Das Gewölbe war beleuchtet. denn flackernder Schein fiel nach oben in den Gang. Das Gemurmel und die Fußschritte waren noch deutlicher zu hören. Eine schnarrende Stimme schnauzte irgendetwas. Hasard drehte sich grinsend zu seinem Bruder um. „Die Gardewurst!“ flüsterte er. „Ich hab die Stimme erkannt!“ Ha!“ Philip strahlte vor Begeisterung. „Kannst du ihn sehen?“ „Noch nicht.“ Hasard drückte die Tür noch etwas weiter auf, ignorierte das Knarren, winkte Philip, ihm zu folgen, und pirschte geduckt über den Gang. Mit jedem Schritt konnten sie mehr von dem Gewölbe sehen, mußten aber, wenn sie weitergingen, auch von unten gesehen werden. Also rutschten sie auf dem Bauch weiter bis zu der Balustrade. Mit einem Blick sahen sie, daß sie sich genau an dem Ort befanden, wohin die Schatzbeute der „Isabella“ gebracht wurde. Kisten und Truhen stapelten sich an den Wänden. Soldaten betraten - beladen mit ihren
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Lasten - das Gewölbe durch eine Tür, die sich links unten befand, etwa dreißig Yards vom Standort der beiden Jungen entfernt. „Schneller, schneller!“ schrie das „Gardewürstchen“. „Bitte mir mehr Beeilung aus, keinen Trauermarsch!“ Die Soldaten hatten verschwitzte Gesichter und sahen keineswegs fröhlich aus. Ihren Mienen war zu entnehmen, daß sie diesem Antreiber alles mögliche an den Hals wünschten - die Pest war bestimmt dabei. Der Hauptmann der königlichen Garde, Thomas Milford, stolzierte wie ein aufgeplusterter Hahn vor den Kisten auf und ab und erteilte unnötige Anweisungen. „Hierher!“ schrie er gerade zwei Soldaten an, die gemeinsam eine Truhe schleppten. „Die wird hierher gestellt!“ „Da steht sie aber für die anderen im Weg“, sagte der eine der beiden Soldaten. „Wie bitte?“ Der Kopf Milfords ruckte vor, als habe er die Absicht, nach dem Soldaten zu hacken. „Da steht sie für die anderen Kumpels im Weg“, wiederholte der Soldat. „Das sieht man doch.“ „Wie heißt das?“ pfiff ihn Milford an. „Was?“ Der Soldat der Garde stellte sich dumm, obwohl er genau wußte, was der Hauptmann meinte. „Ich werde mit Sir angeredet, verstanden?“ schrie Hauptmann Milford. „Wie heißen Sie?“ Der andere, nicht angesprochene Soldat begann prompt zu ächzen - als Ablenkung. „Ich kann die Truhe nicht mehr halten!“ Er mimte den Zittrigen und wackelte mit den Knien. „Reißen Sie sich zusammen, Kerl!“ schrie ihn der Hauptmann an. „Mir wird auch ganz schwach“, sagte der erste Soldat. „Solange kann keiner 'ne Truhe halten.“ Sie ächzten und stöhnten gemeinsam und demonstrierten weiche Knie. Das konnten sie hervorragend. „Dann stellen Sie das Ding doch ab!“ brüllte der Hauptmann völlig außer sich. „Sind Sie zu dämlich dazu?“
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Unter „Ach“ und „Oh“ wankten die beiden weiter und stellten die Truhe dort ab, wo bereits fünf andere standen. „Faules Pack!“ murmelte der Hauptmann der Garde. Die Frage nach dem Namen des einen Soldaten hatte er bereits wieder vergessen. War ja auch unwichtig. Soldaten waren sowieso nur Nummern wenn überhaupt. Und daß die Truhe nicht dort stand, wo er es angeordnet hatte, war ebenfalls schon belanglos. Eigentlich war alles belanglos, was dieser Hauptmann sagte oder tat - bis auf das eine. Denn kaum waren die beiden Soldaten grinsend verschwunden, vergewisserte sich der Hauptmann, daß er im Moment allein im Gewölbe war, lauschte einen Augenblick zur Tür hin - und war mit drei Sätzen bei den Kisten, die rechts der Truhen standen. Diese Kisten befanden sich genau im Blickwinkel der Balustradenplattform, auf der Hasard und Philip Seite an Seite auf dem Bauch lagen und alles beobachten konnten. Der Hauptmann riß den Kistendeckel auf, griff in die Kiste und füllte sich die Taschen - es funkelte und glitzerte, was er da herausholte. Edelsteine! Das dauerte nicht länger als allenfalls drei Atemzüge, dann war die Kiste wieder zu, und der Hauptmann marschierte, die Hände auf dem Rücken, gravitätisch vor den Kisten auf und ab, als habe er den Auftrag, sie zu bewachen. Aber er klaute, dieser Rabe. Er beklaute Ihre Majestät die Königin! Er hatte Batuti angepöbelt und beleidigt - und jetzt machte er lange Finger! Hasard und Philip waren erst platt vor Staunen gewesen, dann begannen sie zu kochen. Am liebsten wären sie von der Balustrade herunter diesem Mistkerl ins Kreuz gesprungen. „Dieser Gardedreck“, flüsterte Philip erregt. „Hast du's gesehn?“ „Klar, bin doch nicht blind“, wisperte Hasard zurück, „der stopft sich die Taschen voll, und das bestimmt auch schon vorher, als wir noch
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nicht da waren. Die Kiste muß er aufgebrochen haben, der krumme Hund.“ „Vielleicht auch noch andere“, flüsterte Philip. Hasard nickte stumm. Möglich war alles. 3. Es war sogar noch mehr möglich. Und es vermittelte den beiden Söhnen Hasards, die zwar voller Schalk und liebenswürdiger Spitzbübereien, aber dennoch geradlinig waren, einen erstaunlich verwirrenden Einblick in die Welt der Erwachsenen. Zwischen Mein und Dein wußten diese beiden Kerlchen sehr genau zu unterscheiden. Die Krücken Old O'Flynns zum Beispiel - würden sie nie klauen und dann verstecken. Old Dad war auf sie angewiesen, vor allem dann, wenn er Schmerzen in seinem Beinstumpf hatte. Diese Krücken waren ein Teil von ihm. Mit den Ratten war das etwas anderes. Die gehörten keinem. Na, ein bißchen gehörten sie doch dem Kutscher, wenn er Hasard Junior und Philip Junior eine erbeutete Ratte mit Kandis vergütete und bisher stets angeordnet hatte, dieses tote Vieh nach der Kandisvergütung der See zu übergeben. Das taten sie auch, nur manchmal griff dann Hasard oder Philip - abwechselnd, damit es nicht auffiel -, achtern unter der Heckgalerie mit sicherer Hand zu und fischte die Ratte, die der Bruder außenbords, aber nie zu weit geworfen hatte, wieder auf. Und zwei Tage später, wenn die Ratte getrocknet war, wurde sie dem Kutscher zur erneuten Kandisvergütung präsentiert. Das war Sport, obwohl die beiden diesen Begriff noch nicht kannten. Spiel war es, ein bißchen gerissen und ein bißchen seitwärts von dem, was die Erwachsenen als gültige Regeln für gut oder schlecht aufgestellt hatten. Aber bei diesen merkwürdigen Regeln hatte man eben doch allen Grund, ihnen zu mißtrauen. Wie in diesem Fall. Die Geschichte verlief zunächst etwas rätselhaft, aber die beiden Jungen waren
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pfiffig und helle genug, sich einen Reim darauf zu bilden. Zwangsläufig ergab sich das aus dem, was sie hörten und sahen. Zunächst verschwand das „Gardewürstchen“ in der Tür, durch die das Gewölbe erreicht wurde. Die Zwillinge hatten schon Bedenken, daß der Kerl - mit gefüllten Taschen auf Nimmerwiedersehen verschwand. Aber dann begriffen sie, daß er nur „kontrollierte“. Das heißt, da er selbst klaute, hielt er es offenbar auch für möglich, daß das „faule Pack“ in die Vollen griff - mit langen Fingern. Dazu ergab sich die Gelegenheit während des Transports der Schatzgüter vom Towerraum, wo registriert wurde, in dieses Kellergewölbe. Das mußte ein langer Weg sein, weil die Soldaten so schwitzten und wenn auch manchmal etwas übertrieben ziemlich keuchten. Da waren natürlich auch Schlappschwänze darunter. Jedenfalls war das Gewölbe für einige Minuten leer, bis wieder zwei Soldaten, dieses Mal mit den Elefantenstoßzähnen geschultert, auftauchten und die Dinger an die Wand lehnten. Und sie verpusteten, während sie einen Dialog hielten. „Hast du's gesehen?“ fragte der eine ein bißchen lauernd. Er war groß und hager und hatte das Gesicht einer Maus. Der andere kicherte und rieb sich die Hände, wobei er auf die Kisten und Truhen starrte und sein Blick reines Entzücken verriet. „Klar hab ich's gesehen. Der lausige Bastard hat die Taschen schon so voll, daß ihm was rauskullert - 'ne Perle, wie? Du hast sie doch aufgehoben, oder? Laß mal sehn!“ Der Hagere griff in die Tasche und holte etwas Schimmerndes heraus. Es hatte die Größe eines Taubeneis. Er sagte: „Was der Hauptmann kann, können wir auch.“ Sein Blick streichelte die Truhen und Kisten, während der andere die Perle begutachtete, als wolle er sie auffressen. Als er danach grapschte, zog der Hagere die Hand schnell zurück und
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ließ die Perle wieder in der Tasche verschwinden. „Von den Kullerchen gibt's hier noch mehr“, sagte er, „so viele, daß es nie auffällt, wenn wir auch mal zulangen - wie der Hauptmann.“ Der andere kriegte ein bißchen das Keuchen - und sie langten zu. Eine blitzschnelle Prüfung der Kisten ergab, daß drei von ihnen lose Deckel hatten. Und da sackten sie ein. Zwei weitere Soldaten erschienen, überblickten die Situation - und bedienten sich ebenfalls, nachdem sie ihre Lasten abgestellt hatten. Das mußte wie ein Fieber sein. Oder etwas Ansteckendes. Dabei grinsten sie alle, hatten rote Ohren und unruhige Augen. „Der Hauptmann!“ zischte der Hagere, der inzwischen in der Nähe der Tür war. Zugleich bückte er sich und ruckte an einer Kiste herum, als stehe die nicht richtig. Zwei dieser Gardesoldaten beschäftigten sich mit den Elefantenstoßzähnen und taten so, als sei es kolossal schwierig, sie an die Gewölbewand zu lehnen. Und der vierte zerrte überflüssigerweise eine Truhe dichter an die nächste heran. Sie waren alle vier schwer in Aktion. Der Hauptmann schoß in das Gewölbe und schrie: „Wird hier etwa gebummelt?“ Der Hagere an der Tür richtete sich ächzend auf, drückte das Kreuz durch und sagte: „Aber nicht doch, Sir, wir haben jeder gerade was abgestellt, Sir. Diese fürchterlichen Stoßzähne, Sir, wo sollen die hin? Sollen wir sie legen oder stellen?“ „Stoßzähne? Was für Stoßzähne?“ herrschte ihn der Hauptmann an. „Die da, Sir.“ Der Hagere deutete zu den beiden Soldaten, die sich an den weißlich schimmernden Hauern festhielten und dümmlich grinsten. “Wenn ich mir einen Vorschlag erlauben darf. Sir, sollte man sie vielleicht besser legen, weil sie, an die Wand gelehnt, leicht umkippen können, Sir.“ „Sehr gut, sehr gut“, schnarrte der Hauptmann, „ausgezeichneter Vorschlag. Wie heißen Sie?“ „Smith, Adam Smith, Sir.“
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„Gut, gut - äh, Smith, veranlassen Sie, daß die Stoßzähne gelegt werden.“ „Jawohl. Sir“, sagte der Hagere. stiefelte zu den beiden Soldaten und „veranlaßte“, daß die Stoßzähne auf den Boden gelegt wurden. Das hätte der Hauptmann der Garde den beiden Soldaten natürlich auch sagen können, aber es wirkte immer besser, wenn man Dritten einen Befehl über einen zweiten erteilte. Das betonte den Abstand, nicht wahr! Im übrigen war der Hagere Corporal und nach Gottes und der Armee Weltordnung dazu erschaffen, Befehle zu empfangen und dann etwas zu „veranlassen-, nämlich den erteilten Befehl weiterzugeben. Die beiden auf dem Bauch liegenden, zuhörenden und beobachtenden Knaben staunten nicht schlecht. Auf der „Isabella“ wurden auch Befehle erteilt, aber weiß Gott nicht auf diese komplizierte oder besser - idiotische Art und Weise, ganz abgesehen davon, daß man doch wohl selbst entscheiden konnte, wie Stoßzähne zu lagern waren, und zwar liegend und nicht aufrecht. Dazu brauchte man keinen Befehl, das tat man, weil es richtig war, jawohl, Sir! Ausgemachter Gardedreck war das, jawohl! In den nächsten vier Minuten war der Hauptmann der Garde wieder allein - und benutzte erneut die Gelegenheit, Eigentumsveränderungen vorzunehmen, obwohl seine Taschen bereits prallvoll waren. Er funktionierte seine Stulpenstiefel in Schatzbehälter um. Die „Kullerchen“ wurden oben hineingeschüttet. Das mochte beim Gehen schmerzen, vor allem wenn die Dinger ganz nach unten rutschten und auf der Sohle eine Art Kiesbett bildeten. Aber Hauptleute mußten Schmerzen ertragen können, und es waren ja süße Schmerzen - keine, die ein pfeifender Hieb mit der Klinge oder heißes Blei erzeugt hatte. Ein bißchen stelzte er jetzt schon, der Hauptmann, aber das fiel nur dem auf, der wußte, daß des Hauptmanns Füße gewissermaßen vergoldet waren.
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Der Hauptmann und vier seiner sechzehn Mann starken Truppe - darunter ein Corporal - hatten also den Begriff von Dein und Mein sehr großzügig ausgelegt, wobei allerdings der Ranghöchste der Gardisten, nämlich der Hauptmann. mit bösem Beispiel vorangegangen war. Böse Beispiele verderben gute Sitten - sagt man. Ob es nun Kameraderie war, oder ob die zwölf anderen Gardisten aus dem Verhalten oder den Mienen der vier Diebe gespitzt hatten, was da lief, jedenfalls wurden sie auch angeregt, ihren sowieso miesen Sold gehörig aufzubessern. Vermutlich hatte einer der vier Gardisten Klatschweiber gibt's auch unter Männern unter Hinweis auf das Beispiel ihres Hauptmanns einem Kameraden zugeraunt, daß man doch eigentlich nur zuzupacken brauche. Man wäre ja ein Schwachkopf, wenn man's nicht täte. Und der eine gab den kameradschaftlichen Hinweis an den anderen weiter, natürlich mit der Warnung strengster Geheimhaltung. Da dieser eine mit dem anderen getuschelt hatte, war ein Dritter aufmerksam geworden, hatte ein bißchen gebohrt, und schon war die Geheimhaltung keine mehr, aber das pflegt sie ja nie zu sein, vor allem, wenn sie noch extra betont wird. Die beiden Knaben nun oben auf ihrem Horch- und Spähposten erlebten, wie das böse Beispiel des „Gardewürstchens“ Früchte trug, natürlich böse Früchte. War der Hauptmann wieder auf Inspektion auf den Gängen zum Gewölbe, dann klauten die Gardisten. Waren die Gardisten nicht im Gewölbe, dann klaute der Hauptmann. Immer wechselweise lief das ab, Szene um Szene wie in einem Theaterspiel. Da war nur die Frage, wie das Stück enden würde. Die beiden heimlichen Zuschauer wußten es bereits - die Darsteller noch nicht, die schwebten im siebenten Himmel und träumten bereits davon, wie die Diebesbeute zu versilbern sei, welcher Reichtum sich ergeben und was für ein Leben man führen würde, fern des tristen Daseins als getretener Soldat der Garde. Es
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waren üppige Visionen, denen sie sich hingaben. Hasard und Philip hatten genug gesehen und gehört und traten den Rückzug an. Da brauchte es auch keiner Überlegungen mehr, ob man lebende Kakerlaken oder tote Ratten zum Objekt der Rache erwählen sollte. Das wäre ja geradezu harmlos gewesen. Heimlich und still, wie sich die beiden Knaben angepirscht hatten, so verschwanden sie wieder. Über die Kellerluke turnten sie nach draußen. Ein Blick nach links erbrachte die befriedigende Feststellung, daß die Soldaten auf dem großen Platz mit der Sandkuhle ihr Kriegspielen inzwischen eingestellt hatten. Hasard Junior vertrat die Ansicht, daß es ihnen wohl zu langweilig geworden wäre. Jedenfalls waren keine Soldaten mehr da. Philip schlug daher vor, gar nicht erst über die Mauer zu klettern, sondern gleich hier am Towergemäuer entlang zu dem Raum zu gehen, wo sich ihr Dad, Lord Burghley und Admiral Hawkins befanden. Der direkte Weg war immer der kürzeste, das fand auch Hasard. Also trollten sie sich. * Vater Hasard erspähte seine Söhne, als sie unter den Hellebarden zweier Wachposten hindurchschlüpften und sich den Teufel um deren Empörung kümmerten. Er seufzte ergeben. Nach den blitzenden Augen und roten Ohren der beiden Bürschchen zu urteilen, war mal wieder was fällig. Er wappnete sich mit Ruhe. Die beiden Kerle mit den Hellebarden gebärdeten sich, als seien die zwei Knirpse finstere Attentäter. Jetzt war es zu spät, sich die beiden noch zu schnappen, ohne die erlauchte Runde des Lords und seines Gefolges zu stören. Wären die Hellebarden nicht so hinderlich gewesen, hätten sie die Hände gerungen. „Entschuldigung, Mylord“, sagte Hasard zum Schatzmeister der Königin, der aufmerksam geworden war und die beiden
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Jungen verblüfft beäugte, Hasard anstarrte und wieder die Jungen fixierte. „Was ist das denn?“ fragte er. Dann lächelte er, bevor Hasard antworten konnte, und sagte: „Dumme Frage, natürlich zwei Killigrews, eh? Ihre Sprößlinge, Sir Hasard?“ „Jawohl, Mylord.“ „Scheint ein guter Schlag zu sein“, sagte Lord Burghley und nickte den beiden heiter zu. Hasard Junior und Philip Junior verbeugten sich artig. Das konnten sie vollendet, ohne linkisch dabei zu wirken. Gelernt hatten sie es bei den Gauklern - beim großen Magier Kaliban, der die Zwillingsähnlichkeit der beiden für seine miesen Tricks ausgenutzt hatte. „Wie gut der Schlag ist, muß sich noch herausstellen“, sagte Hasard zurückhaltend. Lord Burghley lächelte amüsiert. „Der vorsichtige Vater, wie? Aber ich habe einen Blick dafür.“ Er wandte sich wieder den Jungen zu. „Darf man fragen, was euch hergeführt hat?“ „Großes Geheimnis“, sagte Hasard Junior. „Ganz großes Geheimnis“, sagte Philip Junior noch präziser. „Ah! Und ich darf nicht eingeweiht werden?“ „Später, Mylord“, sagte Hasard Junior, „erst muß Dad es erfahren.“ „Jawohl“, sagte Philip Junior und nickte energisch. „Können Sie uns Dad solange ausleihen, Mylord? Wir verraten Dad besser das Geheimnis draußen, wo keiner lauscht. Es ist unerhört wichtig, Mylord.“ Lord Burghley gluckste vergnügt. Admiral Hawkins grinste über sein Raubvogelgesicht. Er kannte die Bürschchen ja bereits und wußte, was das für Kaliber waren. „Die Ausleihe ist genehmigt“, sagte Lord Burghley und versuchte, wieder ernst zu werden. „Ein ganz großes Geheimnis und unerhört wichtig - da bin ich jetzt schon gespannt, was sich dahinter verbirgt.“ „Sie werden staunen, Mylord“, sagte Hasard Junior.
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„Jawohl“, bestätigte Philip Junior, „und wie!“ Der Vater winkte seinen beiden Söhnen und verließ - den einen links, den anderen rechts - mit gemischten Gefühlen den Raum. Er steuerte draußen auf der Pier auf einen der Poller vor der „Isabella“ zu und ließ sich dort nieder. Stumm blickte er seine Söhne an. „Also”, sagte Hasard Junior. „Also“, sagte Philip Junior, „dich haut's glatt um, Dad.“ „Ich halte mich fest“, sagte Hasard Senior. „Ich will ja schließlich nicht ins Wasser fallen.“ Dieses Mal benutzte Philip Junior jenes unfeine und sehr vulgäre Wort, das zwar an Bord der „Isabella“ bei heiklen Situationen dann und wann ausgesprochen wurde, das Philip aber aufgrund der Antwort Old O'Flynns fälschlicherweise mit „Garde“ identifizierte. „Die Scheiße hat geklaut!“ platzte er heraus. „Wer bitte?“ fragte Vater Hasard scharf. „Der Gardedreck!“ Vater Hasard langte nach seinem Söhnchen und zog es zu sich heran. Sehr leise sagte er: „Nun mal der Reihe nach, Philip. Kannst du mir mal erklären, was du unter Gardedreck verstehst?“ „Mister Carberry hat diesen Affen, der Batuti beleidigt hat, mit ,du Gardewürstchen' angesprochen. Das haben Hasard und ich genau gehört, Dad, ehrlich!“ „Weiter.“ „Dann hab ich Old Dad gefragt, was Garde sei. Und Old Dad hat gesagt, Garde sei 'n ganz schlimmer Haufen Dreck, verstehst du?“ „Hrn. Hat er das gesagt?“ „Genau. Und 'n ganz schlimmer Haufen Dreck ist Scheiße, oder?“ Vater Hasard stieß zischend die Luft aus. Da hatte Großvater O'Flynn mal wieder schönen Mist verzapft - ohne die Frage Philips präzise beantwortet zu haben. „Hör zu, Söhnchen“, sagte Vater Hasard, „das Wort Scheiße, mit dem an Bord mal geflucht wird, werdet ihr aus eurem Sprachschatz streichen. Vergeßt es. Ein
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Gentleman benutzt es nicht, verstanden? Ihr müßt selbst ein Gespür dafür entwickeln, ob und wann ein solches Wort angebracht ist. Ich möchte, daß ihr es vermeidet, klar?“ Die Zwillinge nickten. „Also weiter“, fuhr Vater Hasard fort. „Old Dad hat Garde verkehrt erklärt. Mit Garde bezeichnet man eine Truppe, die aus besonders guten und bewährten Soldaten besteht - wie zum Beispiel die königliche Garde. Wenn Old Dad meint, die Garde sei Dreck, dann ist das seine persönliche Ansicht, aber sie stimmt nicht, auch wenn etwa ein Offizier wie dieser Hauptmann Miford in der Truppe Dienst tut. Man darf nie den Fehler begehen, die Gesamtheit einer Truppe nach einem einzelnen Mann zu beurteilen ...“ „Glaub ich nicht“, unterbrach ihn Sohn Hasard sehr bestimmt und sehr energisch. „Sie haben alle geklaut, Hauptmann und Soldaten!“ „Was sagst du da?“ fragte Hasard scharf. „Woher willst du das wissen?“ „Philip und ich haben es gesehen.“ „Wo, wann?“ „Vorhin, in dem Gewölbe, in das die Soldaten die Kisten und Truhen bringen.“ „Da wart ihr drin?“ fragte Hasard ziemlich verblüfft. Die beiden nickten stumm. Hasard räusperte sich. „Könnt ihr mir mal erklären, was ihr im Tower zu suchen hattet?“ „Wir wollten Batuti rächen“, erklärte Hasard Junior. „Jawohl“, fügte Philip Junior hinzu, „weil das Gardewürstchen so gemein zu Batuti war, deshalb. Ist die Garde nun Dreck oder nicht?“ Das war eine verdammt scharfe Frage – und sogar berechtigt, wenn das, was die Jungen beobachtet hatten, tatsächlich stimmte. Aber Hasard wußte bereits, daß es stimmen mußte. Eine solche Sache sogen sich, seine Jungen nicht aus den Fingern. Was er im übrigen von Milford zu halten hatte, das war Hasard bei der Szene in dem Towerraum klar geworden. „Wenn sie alle gestohlen haben“, sagte Hasard, „dann allerdings sind sie Dreck.“
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„Also hat Old Dad recht, nicht wahr?“ fragte Philip. „Ja und nein“, erwiderte Vater Hasard nachdenklich. „Milford ist ein übler Typ. Wenn seine Soldaten bemerkt haben, daß er etwas entwendet, dann sollte es mich nicht wundern, wenn sie gleichfalls zu Dieben werden. Das schlechte Beispiel steckt an.“ „Genauso war es“, sagte Philip erregt. „Zwei Soldaten haben eine große Perle gesehen und aufgehoben, als sie dem Gardedings aus der Tasche rollte, weil die schon so voll war. Und der eine hat gesagt, was der Hauptmann könne, das könnten sie auch. Von da an haben sie dann alle in die Kisten und Truhen gegriffen.“ „Hm, niemand hat euch gesehen?“ „Niemand“, sagte Hasard Junior. „Niemand“. bestätigte auch Philip Junior. _Dann wird es zunächst auch niemand erfahren“, sagte Vater Hasard. Er lächelte grimmig. „Für eure Rache habt ihr gute Vorarbeit geleistet. Im übrigen hat Lord Burghley den Hauptmann wegen Batuti bereits ziemlich hart zusammengestaucht.“ Die beiden Knaben grinsten, und Hasard Junior sagte: „Das hat Mister Carberry auch getan, Dad, als dieser Gardedings Batuti mit diesem blöden Stöckchen ins Gesicht schlagen wollte. Er hat ihm angeboten. ihm die Haut in Streifen von seinem Affen...“ Er verstummte, weil Vater Hasard sich nachdrücklich räusperte und dann erklärte: „Mister Carberry liebt kernige und sehr häufig recht derbe Sprüche. Söhnchen. Das ist so seine Art. Ich nehme sie ihm nicht übel, aber möchte doch darum bitten, daß ihr auch in diesem Falle Zurückhaltung übt.“ „Aye, aye, Sir“, sagte Hasard Junior. „Aye, aye, Sir“, echote Philip Junior. „Na fein.“ Vater Hasard nickte. „Jetzt würde mich nur noch interessieren, wie ihr es geschafft habt, in den Tower einzudringen. Soviel ich weiß, ist das nahezu unmöglich.“ Die beiden feixten. Hasard Junior sagte: „An der Außenmauer steht 'n Baum, Dad. Über den haben wir
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die Mauer geentert.“ „Steht der so dicht dran?“ Die beiden nickten, und Hasard Junior fuhr fort: „Alles andere war halber Kram. In den Tower sind wir durch 'ne Kellerluke eingestiegen.“ „Die Kellerluken sind doch mit Eisenstäben vergittert“, sagte Vater Hasard stirnrunzelnd. „Habt ihr etwa eine herausgebrochen?“ Sie schüttelten die Köpfe, und Philip Junior sagte: „War nicht nötig, Dad, wir konnten uns zwischen den Eisenstäben durchquetschen. Du wärst viel zu dick dafür.“ „Ah so.“ Vater Hasard hatte Mühe, ernst zu bleiben. „Würde sich denn der Kutscher hindurchzwängen können?“ Philip und Hasard überlegten. Dann sagte Hasard: „Nein, das schafft der Kutscher auch nicht, der ist ebenfalls zu dick. Ist das denn so wichtig?“ „Und ob. Schließlich befindet sich der Kronschatz im Tower. Wenn ihr eingedrungen seid, können das andere auch versuchen, die eure Figur haben. Kapiert?“ „Ach so“, sagte Hasard Junior ein bißchen erschrocken, dachte aber gleich darauf praktisch und fügte hinzu: „Dann müßte man die Eisenstäbe enger setzen oder noch welche quer anbringen, so daß nicht mal 'ne Maus durchschlüpfen kann.“ „Richtig“, sagte Vater Hasard und stand vom Polier auf. Die beiden blickten zu ihm hoch. „Klopfst du jetzt den Gardedings ein bißchen durch, Dad?“ fragte Philip gespannt. „Noch nicht“, erwiderte Vater Hasard lächelnd. „Ich lasse euch rufen, wenn's soweit ist. Aber bis dahin kein Wort zu irgendjemandem.“ „Geht klar“, sagte Philip. „Wir schweigen.“ Vater Hasard legte jedem eine Hand auf die Schulter. „Ihr habt gute Arbeit geleistet. Wie wär's heute abend mit süßen Backpflaumen? Die beiden Knaben strahlten. 4.
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Um fünf Uhr am Nachmittag war die „Isabella“ entladen. Ihre Wasserlinie hatte sich erheblich verändert. Wie Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann, feststellte; war das Unterwasserschiff um nahezu einen Yard aus seinem feuchten Element gestiegen. Die Wasserlinie hob sich scharf begrenzt vom Überwasserrumpf ab. Derart geleichtert würde die „Isabella“ wieder wesentlich schneller und wendiger sein. Allein aufgrund dieser Veränderung der Schwimmlage wurde ersichtlich, wie schwer und umfangreich die „Isabella“ beladen gewesen war. Hasard hatte durch Ben Brighton, seinen ersten Offizier, die Crew auf der Pier vorm Tower versammeln lassen — bewaffnet. Auch die Zwillinge waren dabei. Die letzten Kisten waren in das Towergewölbe gebracht worden. Hauptmann Milford sah seine Aufgabe als beendet an und erschien in dem Towerraum, um sich mit seiner Truppe bei Lord Burghley abzumelden. Die Gardisten lungerten vor dem Tower herum und taten reichlich erschöpft. „Haben Mylord noch irgendwelche Befehle?“ fragte Hauptmann Milford in strammer Haltung. Der Schatzkanzler schaute auf. Die Schreiber hatten noch einiges zu notieren, aber die Übergabe als solche war beendet. „Nein“, sagte er. „Sie können abmarschieren.“ Er blickte zu Admiral Hawkins hinüber. „Oder ist für die Gardetruppe noch etwas zu tun, Sir John?“ „Von meiner Seite aus nicht“, erwiderte Admiral Hawkins. Hasard schaltete sich ein. „Ich habe noch einen kleinen Wunsch, Mylord.“ „Und der wäre?“ „Würden Sie bitte veranlassen, daß Hauptmann Milfords Truppe noch nicht abmarschiert, sondern vor dem Tower antritt? Ich kann ihm ja keine Befehle erteilen. Im übrigen handelt es sich um das Geheimnis meiner beiden Söhne, das ich Ihnen gern eröffnen möchte.“
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Lord Burghley kniff die Augen etwas zusammen und fixierte Hasard. Dessen Gesicht war undurchdringlich. Der Blick des Lords wanderte zu Milford weiter. Der schnarrte: „Wir müssen sowieso antreten, wenn wir abmarschieren. Ich weiß nicht, was das soll! Dieser Kapitän maßt sich Befugnisse an, die ihm nicht zustehen.“ Lord Burghley schüttelte tadelnd den Kopf. „Hören Sie eigentlich nicht richtig zu, Milford? Kapitän Killigrew maßt sich gar nichts an, sondern hat sehr korrekt einen Wunsch geäußert und dabei betont, daß er Ihnen ja keine Befehle erteilen kann. Ich respektiere seinen Wunsch. Lassen Sie Ihre Truppe antreten, Hauptmann Milford, Sir.“ „Jawohl, Mylord“, sagte Milford verbissen, drehte sich um und stelzte nach draußen. „Jetzt bin ich aber gespannt“, sagte Lord Burghley. „Darf ich die Gentlemen bitten, mit nach draußen zu kommen?“ sagte Hasard ruhig. „Es muß leider sein.“ „Sonderbar, sonderbar“, murmelte Lord Burghley, stand aber auf und nickte Admiral Hawkins zu. „Dann wollen wir mal, Sir John.“ Zusammen mit Hasard verließen sie den Raum. Die Soldaten waren in Dreierreihe angetreten, der hagere Corporal stand am rechten Flügel, der Hauptmann vor der Front. Das war ganz in Ordnung. Aber Lord Burghley zog die Augenbrauen hoch. War es Zufall, daß die Männer der „Isabella“ einen großen Kreis um die Truppe gebildet hatten? Und bewaffnet waren sie auch! Was sollte das? Er wandte sich zu Hasard um, etwas verwundert, aber auch etwas ungehalten. „Nun?“ fragte er knapp. Hasards Stimme klirrte. „Ich wünsche, daß diese Soldaten ihre Taschen entleeren! Sollten sie sich weigern, dann lasse ich meine Männer von der Kette. Es ist wohl überflüssig, dabei zu betonen, daß wir das Kämpfen gewohnt sind.“ In der Dreierformation angetreten standen die Soldaten sowieso still, aber jetzt
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standen sie wie vorn Donner gerührt. In ihren Mienen spiegelten sich unterschiedliche Empfindungen — Entsetzen, Bestürzung, Wut, Verwirrung, Angst. Dann standen sie nicht mehr still, sondern wurden unruhig. Ihre Blicke flogen gehetzt nach links und rechts, als suchten sie einen Ausweg. Dann starrten sie zu den Seewölfen. Die spielten gelangweilt mit Messern, Pistolen, Belegnägeln, Degen. Zwei von ihnen polierten fürchterliche Eisenhaken — Prothesen, die dem einen die linke und dem anderen die rechte Hand ersetzten. Aber blank waren diese Haken sowieso, blank und — wie es aussah — scharf geschliffen. Lord Burghley blickte Hasard an, als habe der gerade verkündet, es sei für die Menschheit besser, auf den Händen statt den Füßen zu gehen. Admiral Hawkins hingegen war von Hasard ja schon allerlei gewohnt — daß der keine Sprüche zu klopfen pflegte, wußte er. Ihm war sofort klar, daß Hasard offensichtlich einer mehr als üblen Sache auf der Spur war. Hauptmann Milford war wie versteinert. Hasard beachtete ihn überhaupt nicht. Er hatte plötzlich seine doppelläufige Reiterpistole in der Faust und richtete sie auf den Corporal am rechten Flügel. „Vorwärts!“ herrschte er ihn an. „Leeren Sie Ihre Taschen!“ Er spannte die beiden Hähne. Der hagere Corporal sah aus, als müsse er sich gleich übergeben. Mit zitternden Fingern langte er in die linke Wamstasche, seine Hand verschwand darin, erschien wieder, öffnete sich, und es wirkte wie ein kleiner Wasserfall, als Edelsteine und Diamanten blitzend und funkelnd zu Boden regneten. Diesen ersten Griff in die Tasche hatte er ganz langsam ausgeführt, als sei er betäubt und seine Hand tue etwas, das nicht von seinem Willen bestimmt war. Aber kaum war die erste Pracht zu Boden gefallen, wurden seine Bewegungen geradezu hektisch, fast irre. Er entleerte seine Taschen mit einer Geschwindigkeit,
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als seien sie mit. glühender Holzkohle angefüllt. Dabei zitterte er jetzt am ganzen Körper, sein Gesicht war verzerrt. Vor seinen Stiefeln häufte sich ein kleiner Berg an, ein Hügel aus Perlen, Edelsteinen, Diamanten und Schmuckstücken. Den Abschluß bildete eine goldene Kette, die er aus seinem Hemd zog. Er ließ sie fallen, als sei sie vergiftet und bringe bei Berührung den sofortigen Tod. Er keuchte und stierte auf den Haufen vor seinen Stiefeln. Hasard schwenkte die Pistole langsam nach rechts. Seine Stimme war kalt und verächtlich: „Braucht ihr eine Extraeinladung? Oder sollen wir etwas nachhelfen?“ Da war keiner, der aufmuckte. Der Traum vom Leben in Saus und Braus war ausgeträumt. Er hatte nicht länger als ein paar Stunden gedauert. Der Sturz war tief, sehr tief. An seinem Ende würden sie noch einmal stürzen — zum letzten Mal. Aber das war dann wohl eher ein Fall, der so kurz dauerte, wie das Henkerseil mit der Schlinge lang war. Schon für den Diebstahl von mehr als einem Schilling waren die Strafen in England der königlichen Lissy mehr als barbarisch. Niemand hätte zu sagen gewagt, das habe er nicht gewußt. Nach knapp vier Minuten war eine“ erneute Dreierformation angetreten, eine Dreierformation von fünfzehn funkelnden Hügeln mit dem Corporalhügel am rechten Flügel. Auf zwei Hügeln lagen sogar Goldbarren. Aus den Gesichtern der Gardisten waren die Mienen von Galgenvögeln geworden. Hasard ging langsam an der Front der Soldaten entlang. Sein eisblauer Blick bohrte sich in das Augenpaar jedes einzelnen Mannes. Nicht einer vermochte seinem Blick länger als ein paar Sekunden standzuhalten. Sie senkten die Köpfe oder stierten zu Boden. Dann trat er zurück, und seine Stimme hatte einen eisigen Klang, als er sagte: „Meine Männer haben gekämpft, ihr Leben eingesetzt und schwere Narben davongetragen, um das zu erbeuten, was
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mit dem heutigen Tag in den Besitz Ihrer Majestät der Königin sowie in die Schatzkasse der Royal Navy übergegangen ist. Es war dies der Entschluß aller Männer der ,Isabella`-Crew. Würden diese Männer über Sie zu richten haben — das versichere ich Ihnen —, dann würden Sie bereits jetzt an den Rahen der ,Isabella` baumeln. Sie alle sind Soldaten der königlichen Garde. Ich verbessere mich: Sie waren es. Für mich sind Sie nichts weiter als Lumpen und eine Beleidigung für die Garde Ihrer Majestät. Ein Mann der ,Isabella`-Crew sagte, Sie seien Dreck. Leider hatte er recht. Der Herr im Himmel sei Ihren Seelen gnädig.“ Hasard wandte sich langsam um, sein eisiger Blick richtete sich auf den Hauptmann der königlichen Garde Thomas Milford. Dem standen die kalten Schweißtropfen auf der Stirn. „Sie dürfen auch Ihre Taschen entleeren, Mister“, sagte Hasard kalt, „oder dachten Sie, für Sie gelte der dumme Spruch, man hänge nur die kleinen Diebe und die großen lasse man laufen?“ „Nein!“ schrie Hauptmann Milford. „Nein! Nein! Ich protestiere! Ich will nicht! Ich habe nichts getan!“ Hasard ging langsam auf ihn zu. Milford duckte sich und blickte sich gehetzt um. Dann trat er die Flucht an — in Richtung Themse. Vielleicht rechnete er sich eine Chance aus, schwimmend und mit dem Strom schneller entwischen zu können. Er lief recht eigentümlich, der Hauptmann, als habe er das Laufen verlernt. Außerdem steuerte er genau auf Batuti zu. „Aus dem Weg, Nigger!“ brüllte er und zerrte im Laufen seinen Degen aus dem Wehrgehänge. Mit vorgehaltener Blankwaffe stürmte er auf Batuti los, als habe er die Absicht, ihn aufzuspießen. Der schwarze Riese glitt elegant zur Seite und setzte den rechten Fuß vor. Milford stolperte, stürzte und schrammte der Länge nach über das Katzenkopfpflaster der Pier. Die Waffe verlor er dabei. Batuti trat sie verächtlich beiseite.
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Mit einem Griff hievte er den Hauptmann am Genick hoch, drehte ihn etwas zu sich, holte rechts aus und verpaßte dem quiekenden Mann eine schmetternde Ohrfeige. Milford flog zu seiner Truppe zurück und ging ein zweites Mal zu Boden. Beim Aufprall platzten zwei seiner Taschen auf und entleerten ihren Inhalt. Perlen von erlesenem Schimmer und größer als ein Daumennagel! Jetzt bückte sich Hasard und riß den Hauptmann hoch. Batutis Pranke zeichnete sich auf dessen Wange ab. „Weiter“, sagte Hasard mit ätzender Stimme, „Ihre Taschen sind noch längst nicht geleert, Mister, und ich gehe jede Wette ein, daß Ihre Pfoten die dreckigsten waren.“ Hasard hätte die Wette gewonnen. Vor dem Hauptmann wuchs ein größerer Hügel als bei den Gardisten. Zuletzt stand er da, ließ die Arme hängen und schlotterte mit den Knien. Die Zwillinge tauchten neben Vater Hasard auf. Laut und deutlich, mit heller Stimme, sagte Hasard Junior: „Er soll auch seine Stiefel ausziehen, Dad!“ Milford zuckte zusammen. Der Blick, den er Hasard Junior warf, war mörderisch. „Halt's Maul, du Kröte!“ zischte er und sprang auf den Jungen los. Das ging alles blitzschnell. Die Reaktion des Jungen aber war noch schneller. Im Nu war er in der Tiefhocke, und als Milford über ihn wegflog, schnellte sich der kleine, schlanke Körper mit unheimlicher Kraft hoch. Milford überschlug sich in der Luft und krachte dann auf den Rücken. Für zehn, zwanzig Sekunden blieb ihm die Luft weg. Sie genügten für die beiden Jungen, die sich wie kleine Raubtiere auf die Stiefel Milfords stürzten, Hasard links, Philip rechts, mit beiden Händen zupackten und kräftig zerrten und ruckten. Als Milford genug Luft hatte, um wieder brüllen zu können, hatten sie ihm bereits die Stulpenstiefel ausgezogen und drehten sie um.
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Richtige Wundertüten waren diese Stiefel. Ein Strom kostbarer Steine undd Perlen floß heraus. Milford schnappte über. Er wälzte sich auf dem Boden, schlug mit den Händen darauf und schrie: „Ich war es nicht! Ich bin unschuldig! Das ist Betrug, Lüge! Ich habe nichts angefaßt. Das waren diese Rotznasen — die haben mir das alles in die Taschen geschmuggelt! Ich bin das Opfer einer — einer Verschwörung!“ Plötzlich sprang er auf, deutete auf die Seewölfe und geiferte: „Jawohl, eine Verschwörung! Ihr dreckigen Hunde wollt die Garde der Königin ermorden und habt ein Komplott geschmiedet — mit dem stinkenden Nigger da fing es an ...“ Weiter gelangte er nicht. Dieses Mal schlug Hasard zu. Es reichte ihm. Milford empfing einen krachenden Hieb unter das Kinn. Das war nun keine Ohrfeige mehr, und Hasard hatte auch keine Veranlassung, jetzt noch zimperlich zu sein oder vornehme Zurückhaltung zu üben, nein, jetzt nicht mehr, das Maß war voll. Milford wurde an seiner Truppe vorbeikatapultiert und regelrecht gegen die Außenmauer des Towers geklatscht. Für Bruchteile von Sekunden sah es aus, als sei er dort festgeklebt. Dann rutschte er nach unten und fiel in sich zusammen wie ein schmutziger Scheuerlappen. Jetzt war Ruhe. „Es ist ungeheuerlich“, murmelte Lord Burghley. Ob er damit Hasards Schlag meinte oder die Tatsache, daß Männer der Garde Ihre Majestät die Königin beklauten, das war nicht ganz klar. Die Towergarde wurde herbeibeordert und erhielt den Befehl, die siebzehn Diebe in Ketten zu legen und in das finsterste Towerverlies zu bringen. Der Hauptmann mußte allerdings getragen werden. Er weilte noch in jenem Bereich, wo man keine Schmerzen empfindet - jenseits der rauhen Wirklichkeit. Zurück blieben siebzehn schmucke Hügel, jeder einzelne soviel wert, um eine Stadt wie London zu kaufen. Zurück blieb auch
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ein Paar Stulpenstiefel, aber Milford brauchte sie nicht mehr. Den letzten Gang zum Galgen trat man im Büßergewand an und barfüßig. Die Seewölfe räumten die siebzehn Hügel ab und brachten die Schätze dorthin zurück, von wo sie entwendet worden waren - in das Towergewölbe. Die verkniffene Miene Lord Burghleys lockerte sich, als er die Zwillinge betrachtete. „Das war also das ganz große Geheimnis“, sagte er. „Ihr beiden Prachtkerlchen habt es entdeckt. Die ganze Zeit überlege ich, wie ihr das geschafft habt. Ihr wußtet, daß der Hauptmann sein Diebesgut auch in die Stiefel gestopft hatte. Also müßt ihr ihn beobachtet haben. Richtig?“ „Richtig“, erklärten die beiden „Prachtkerlchen“. „Aber er war doch im Tower“, sagte Lord Burghley. „Wir auch“, sagte Hasard Junior. „Jawohl, wir auch“, sagte Philip Junior. „Soso, ihr auch.“ Der Schatzkanzler runzelte die Stirn. „Und ich dachte immer, niemand könne in den Tower ungesehen ohne Gewalt eindringen.“ „Mylord“, sagte Hasard Junior, „wir wurden nicht gesehen und haben auch keine Gewalt angewandt, Philip und ich könnten zum Beispiel heute nacht in aller Ruhe dem Schatzgewölbe einen Besuch abstatten und ordentlich was stibitzen. Allerdings hatten wir das Glück, daß eine Bohlentür nicht von innen verriegelt war. Aber das ist sie wohl jetzt auch noch nicht.“ Philip Junior grinste zu Lord Burghley hoch, der etwas blaß geworden war. „Mylord“, erklärte er, „Sie gehen jetzt in das Schatzgewölbe, und Hasard und ich besuchen Sie dort auf unserem Weg. Dann zeigen wir Ihnen, wie das funktioniert. Sie werden staunen, Mylord.“ „Ich staune jetzt schon“, murmelte Lord Burghley, „da erklären mir zwei Knaben, daß sie in der Lage seien, so mir nichts. dir nichts in den Tower spazieren zu können. In den Tower! In den bestbewachtesten und geschütztesten Bau ganz Englands!“
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„Findig muß der Seemann sein, sagt unser Dad immer.“ Hasard Junior feixte breit. „So? Sagt er das? Dann muß es wohl stimmen.“ Lord Burghley seufzte. „Da bleibt nur zu hoffen, daß es nicht noch mehr findige Seeleute gibt. Also gut, begeben wir uns in das Schatzgewölbe, Gentlemen.“ Er nickte Admiral Hawkins, Hasard und dem Towerhauptmann zu. Hasard Junior und Philip Junior flitzten um den Tower herum und zu ihrer Kellerluke. Edwin Carberry, der Profos der „Isabella“, sah ihnen, die Fäuste in die Seiten gestützt, kopfschüttelnd nach. „Möchte nur wissen, wie diese Teufelsbraten von Bord verschwunden sind“, sagte er zu Big Old Shane, der neben ihm stand. „Ich war die ganze Zeit an der Gangway, über die können sie unmöglich an Land gekommen sein.“ „Da wäre ich gar nicht so sicher“, sagte Big Old Shane, „wenn die beiden sich vornehmen, an dir vorbei über die Gangway an Land zu gehen, dann schaffen sie es auch.“ Er blickte hinüber zur „Isabella“. „Aber ich schätze, sie sind von der Heckgalerie aus an Land geturnt — über die Achterleine.“ „Ganz schön frech“, murmelte Carberry, aber das sagte er eher bewundernd. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich die beiden „Teufelsbraten“ bereits in dem Kellergewölbe und huschten durch den Gang. Wieder öffneten sie leise die Tür, schlichen weiter und legten sich hinter der Balustrade über dem Schatzgewölbe auf den Bauch. Die Gentlemen brauchten länger. Als sie erschienen, blickten sie sich suchend um. „Huuu!“ riefen die beiden und fuhren wie Kastenteufelchen hinter der Balustrade hoch. Lord Burghley und der Towerhauptmann zuckten ordentlich zusammen. Der alte Hawkins und Hasard grinsten nur. „Haben wir Sie erschreckt, Mylord?“ fragte Hasard Junior. „Ich bin ein alter Mann, mein Sohn“, sagte Lord Burghley, „da wird man schon. etwas empfindlich.“
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„Es passiert nicht wieder“, versicherte Hasard Junior. „Es ist Philip und mir so herausgerutscht, Mylord.“ Lord Burghley lächelte. „Ich bin euch nicht böse.“ Er nickte hoch. „Habt ihr von da oben aus die Kerle beobachtet?“ „Jawohl, Mylord“, erwiderte Hasard Junior. „Natürlich haben wir auf dem Bauch gelegen. Aber man hat einen guten Überblick.“ Lord Burghley ging zu der Treppe und stieg hoch. Admiral Hawkins, Hasard und der Towerhauptmann folgten ihm. „Aha“, sagte Lord Burghley, als er auf der Plattform angelangt war und die Bohlentür entdeckte. „Die war also unverschlossen.“ Er drehte sich zu dem Towerhauptmann um. „Schöne Schweinerei, mein Lieber! Hier lagern unermeßliche Schätze, und ein Zugang zum Gewölbe bleibt unverriegelt. Oder dachten Sie, die beiden Innenriegel seien dort zur Verzierung angebracht?“ „Natürlich nicht, Mylord“, erwiderte der Towerhauptmann betreten. „Ich muß gestehen, daß ich das nicht überprüft habe. Zuständig ist zwar unser Sergeant für die Türen und Tore, aber ich hätte ihn kontrollieren müssen.“ Lord Burghley grinste ihn etwas verschlagen an. „Wie gut, daß es zwei gerade gewachsene Jungen sind, die uns auf unsere Fehler und Versäumnisse hinweisen, nicht wahr, mein Lieber?“ „Jawohl, Mylord.“ „Und was wäre“, fragte Lord Burghley, „wenn nicht die Jungen, sondern windige Lumpen diese Versäumnisse entdeckt und ausgenutzt hätten?“ „Ich schätze, daß ich um eine Haupteslänge gekürzt worden wäre“, erwiderte der Towerhauptmann prompt und mit dem Mut eines aufrechten und ehrlichen Kerls. „Sehr gut“, sagte Lord Burghley und klopfte dem Towerhauptmann auf die Schulter, „eine saubere Antwort. Man könnte auch durchaus die Ansicht vertreten, daß Sie Ihr weite-. res Leben zwei Jungen verdanken. Ist das richtig? Teilen Sie diese Ansicht?“
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„Völlig, Mylord“, sagte der Towerhauptmann und erlaubte sich ein verstecktes Lächeln. „Ich möchte sogar vorschlagen, ihnen einen Orden zu verleihen - so dankbar bin ich diesen beiden Kanonensöhnen.“ „He-he! Wieso das, mein Lieber?“ „Weil sie im weiteren das beweisen werden, was ich bereits seit meinem Antritt als Kommandant des Towers quartalsmäßig bei Hofe schriftlich vorgetragen, begründet und als äußerst dringlich bezeichnet habe. Nur ist bisher in dieser Richtung nichts geschehen, gar nichts. Denn wäre es geschehen, dann hätten die beiden Kanonensöhne unmöglich bis hierher vordringen können.“ „Was soll das?“ schnappte Lord Burghley. „Wollen Sie mich verulken, Hauptmann Buchanan, Sir?“ „Keineswegs, Mylord. Lassen Sie mich, wenn ich darum bitten darf, im Sekretariat Ihrer Majestät meine Eingaben vorlegen vorausgesetzt, man hat sie nicht vernichtet, gewissermaßen als Bettelbriefe oder unnötige Belästigungen seitens eines kleinen Towerhauptmanns.“ „Eine kühne Sprache, die Sie jetzt sprechen, Hauptmann Buchanan! Seien Sie vorsichtig!“ Lord Burghley wurde richtig biestig. „Das kann Sie den Kopf kosten!“ „Ich weiß, wovon ich spreche“, sagte der Towerhauptmann. Er stand wie ein Baum und steckte um keinen Zoll zurück. „Ich werde Ihnen jetzt zeigen, wie die beiden Jungen Kapitän Killigrews in den Tower eingedrungen sind, und zwar an einer Stelle, die - wie an vierundzwanzig anderen Stellen um den Tower herum - mir die Veranlassung gab, schriftlich auf die Mängel hinzuweisen und darum zu bitten, sie zu beheben. Kapitän Killigrews Jungen mögen bestätigen, daß ich recht habe. Wenn nicht, bin ich bereit, mich hängen oder köpfen zu lassen.“ „Bitte Beweise!“ knurrte Lord Burghley. „Und hol Sie der Teufel, wenn Sie jetzt ein faules Ei ausgebrütet haben!“ „Bitte folgen Sie mir, Mylord“, sagte der Towerhauptmann ruhig. Sie gingen durch den Gang und betraten das Kellergewölbe.
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Hauptmann Buchanan deutete auf die Eisenstangen in der Kellerluke. „Die Jungen haben sich zwischen diesen Eisenstangen hindurchgezwängt“, sagte er. „Auf diese Weise konnten sie in den Tower eindringen.“ „Stimmt das?“ fuhr Lord Burghley Hasards Zwillinge an. „Stimmt, Mylord“, sagte Hasard Junior. „Exakt“, sagte Philip Junior. „Unmöglich!“ erklärte Lord Burghley wütend. „Hepp-hepp“, sagte Hasard Junior völlig ungerührt, stellte sich unter die Luke, verschlang die Hände ineinander, daß sie eine Art Stufe bildeten, Philip setzte den rechten Fuß hinein, schwang sich hoch, packte die Gitterstäbe, ein Klimmzug, und schon war er oben. Er ging tief in die Knie, hielt sich mit der Linken fest, reichte die Rechte nach unten, Hasard ergriff sie im Ansprung, ein Ruck, und schon landete er neben seinem Bruder. Zwei Sekunden später standen sie draußen, jenseits der Eisenstäbe, und feixten in das Gewölbe hinunter. „Mylord!“ rief Hasard Junior durch die Eisenstäbe. „Wenn Sie mit Hauptmann Buchanan gewettet hätten, dann müßten Sie jetzt ganz schön berappen. Im übrigen hat Dad auch gesagt, daß es für die Sicherheit des Towers sehr gefährlich wäre, wenn Jungen wie wir zwischen den Stäben hindurchschlüpfen könnten.“ „Jawohl, das hat er gesagt“, bestätigte Philip Junior. „Und überhaupt - der Hauptmann Buchanan ist ein feiner Kerl und nicht so ein Gardedreck wie der Affenarsch - au! Tritt mir doch nicht auf die Füße, du Idiot...“- Vater Hasard räusperte sich laut und vernehmlich. „Wie bitte?“ fragte Philip Junior durchs Gitter. „Wolltest du noch etwas sagen, Söhnchen?“ fragte Vater Hasard. „Natürlich, ich bin noch nicht fertig. Also, wenn Hauptmann Buchanan diese Eingaben geschrieben hat und das glaube ich ihm, weil er ein feiner Kerl ist-, dann wird's Zeit, daß die Rübenschweine bei Hof - laß das, oder du kriegst eine
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gefeuert! - daß diese Dingsleute also mal aus ihrem Schlaf aufwachen und sich hier an Ort und Steile davon überzeugen, wie wichtig es wäre, die Eisenstäbe enger zu setzen oder Querstangen anzubringen. Haben Sie das verstanden, Mylord?“ „O Gott“, sagte Lord Burghley, „was für ein Tag! Und jetzt kriege ich auch noch die Leviten gelesen ...“ 5. Am nächsten Tag segelten die „Victory“ von Admiral Hawkins und die „Isabella“ themseabwärts, um im Medway bei Chatham auf die königliche Werft zu gehen. Das hatte Admiral Hawkins. Schatzmeister und zugleich Baumeister der Royal Navy, mit Hasard vereinbart. Er war fasziniert von der Rumpfform der „Isabella“, ihren niedrigen Decks, ihren überlangen Masten und vor allem von der Rudereinrichtung, die ihm völlig unbekannt gewesen war. Als er an Bord der „Isabella“ themseaufwärts nach London gesegelt war, hatte er selbst am Ruder gestanden und sich von der Wirksamkeit dieser neuartigen Ruderanlage überzeugen können. Diese Ruderanlage war eine Erfindung Ferris Tuckers, des Schiffszimmermanns der „Isabella“. Auf der schlanken Galeone wurde nicht mehr mit dem ungefügen und unhandlichen Kolderstock gesteuert, sondern mit einem Speichenrad, dessen Drehungen über eine Trommel und Ketten auf das Ruder übertragen wurden. Es war eine sinnreiche und im Grunde einfache Konstruktion - wenn man es wußte. Wie alle, die diese Ruderanlage kennen gelernt hatten, hatte sich auch Admiral Hawkins gefragt, warum niemandem eine solche Lösung nicht schon lange vor Ferris Tucker eingefallen war. Zu einem Teil mochte das mit der Sturheit und dem Beharren auf der Tradition herkömmlicher Bauweisen beruhen. Was sich Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte bewährt hatte, das blieb und ließ sich kaum noch verdrängen. Und erfand jemand
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etwas Neues, dann konnte es geschehen, daß es als Teufelswerk verschrien und der Erfinder als Ketzer, von dunklen Mächten Besessener oder schlicht als Verrückter bezeichnet und angeprangert wurde. Manche hervorragende Erfindung mochte auf diese Weise wieder im Sumpf der Vergessenheit versunken sein. Der alte Pirat John Hawkins war ein nüchterner Mann und dachte realistisch. Er hatte den Auftrag erhalten, die Flotte der Königin aufzubauen. Das tat er mit der ihm eigenen Zähigkeit und Beharrlichkeit. Daß er, zusammen mit dem Lordadmiral, jeden Nickel zum Aufbau der Royal Navy buchstäblich der Königin abluchsen mußte, gehörte nahezu schon zu seinem täglichen Geschäft. Um so dankbarer war er, daß Kapitän Killigrew und die Männer der „Isabella“ beschlossen hatten, einen Viertelanteil ihrer Gesamtbeute der Schatzkasse der Royal Navy zuzuführen. Jetzt konnte er voll loslegen, ohne bei der Königin um Geld betteln zu müssen. Was ihm vorschwebte, das war der Bau einer Serie von Kriegsgaleonen vom Typ der „Isabella“, die vor ein paar Tagen bei ihrem Einlaufen in die Themsemündung mit der „Arc Royal“ des Lordadmirals, seiner „Victory“ und der „Triumph“ Admiral Frobishers Katze und Maus gespielt hatte. Das heißt, sie hatte die drei überschweren Admiralsgaleonen zu hilflosen Mäusen degradiert und hatte den Part der Katze übernommen. Allerdings war sie von Kapitän Killigrew und seinen Seewölfen hervorragend geführt und manövriert worden. Diese Kerle betrieben eine Seemannschaft, daß man vor Neid erblassen konnte, und er, Admiral Hawkins, war ja weiß Gott kein Stümper und blutiger Anfänger, was die Seefahrt betraf. Schiff, Besatzung, Kapitän — diese drei waren von einer Qualität, wie es sie zur Zeit wohl kaum in England gab. Das Schiff konnte nachgebaut werden, das würde der erste Schritt sein, den sich der Admiral vorgenommen hatte. Fehlten noch die guten Besatzungen und Kapitäne für die geplanten Schiffe. Das war eine Frage der
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elitären Auswahl und im weiteren der Ausbildung. Er brauchte noch Jahre zäher Arbeit — ob sie ihm vergönnt waren, daran mochte er nicht denken. Er konnte nichts weiter tun, als einen Schritt vor den anderen zu setzen. In Chatham, auf der königlichen Werft, so war mit Kapitän Killigrew vereinbart worden, sollte die „Isabella“ aufgedockt und von den Mastspitzen bis zum Kiel sowie vom Bugspriet bis zum Heck vermessen und berechnet werden. Das war ein umfangreiches Programm, für das Schiffsbaumeister, Werftmeister, die Schiffszimmerleute, die Segelmacher, Waffenmeister und schließlich auch die Zeichner für die Konstruktionspläne zuständig waren. Ferris Tucker würde in dieser Zeit wieder einmal der meistbeschäftigste Mann an Bord der „Isabella“ sein. Natürlich hatte Hasard dem Admiral nahe gelegt, sich mit Hesekiel Ramsgate im Rame Head bei Plymouth in Verbindung zu setzen. Denn Ramsgate hatte das Schiff entworfen und gebaut, das zur „Isabella VIII.“ geworden war. Paradox genug — die schlanke Galeone war im Auftrag der Krone gebaut worden. Aber man hatte sie Ramsgate wegen ihrer neuartigen Bauweise nicht abgenommen. Das war damals ein böser Schlag für den genialen Konstrukteur gewesen. Er wäre pleitegegangen, hätten Hasard und seine Männer nicht das Schiff gekauft. Es war schon ein Witz, daß jetzt plötzlich die Krone — vertreten durch die Royal Navy — scharf auf diesen Typ war. Hasard hatte sich ausbedungen, daß Hesekiel Ramsgate als der Schöpfer dieses Schiffes eine gehörige Abfindung oder Beteiligung am Serienbau zu erhalten hätte. Das hatte Admiral Hawkins zugesichert. Im übrigen war es Hasard durchaus recht, daß die „Isabella“ mit nach Chatham segelte. Das bot ihm die Möglichkeit, seine Armierung zu überprüfen sowie seine Munitionsbestände zu ergänzen und verschiedene neue Segel zuschneiden und nähen zu lassen.
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Am Abend erreichten sie Chatham, vertäuten in der Nähe des Docks und dockten am nächsten Tag auf. Natürlich packten die Seewölfe mit zu, aber fast mehr als Statisten, denn die königliche Werft hatte die Regie übernommen. „Die Werftgrandis kommen“, hatte Ferris Tucker seufzend erklärt. „Männer, schließt eure Schapps, Seekisten und Backspinde ab und vernäht eure Taschen. Auf Werften der Royal Navy klauen sie wie die Raben. Wir sind nicht beim ehrlichen, alten Hesekiel Ramsgate, sondern bei der Flotte, wo selbst die Ratten und Kakerlaken auf Hungerration gesetzt sind und Gott den Herrn loben, wenn sie noch Seegras aus den Kojenmatratzen zu fressen kriegen.“ Das war natürlich stark überzeichnet, aber das Gerücht verstummte nie, daß auf königlichen Werften mehr stibitzt wurde als auf privaten Werften. Und bekannte. Tatsache war, daß die Royal Navy am Hungertuch nagte. Das war sogar wörtlich zu verstehen, denn an Bord der königlichen Schiffe war Schmalhans Küchenmeister. Immerhin bewirkten Ferris Tuckers Bemerkungen über die „Werftgrandis“, daß die Seewölfe Augen und Ohren überall hatten. So sah denn bereits um die Mittagszeit der Kutscher, der im Proviantraum unter Deck eine Bestandsaufnahme vorgenommen hatte und an Deck zurückgekehrt war, wie zwei Kerle gerade die Kombüse verließen. Der eine, ein grobschlächtiger Mann mit zerbeulter Visage, trug einen Kittel, der sich verdächtig wölbte, wobei er ihn unten mit beiden Händen zusammenhielt. Der andere war dünn und hatte ein Spitzmausgesicht mit unruhigen Augen. Unter den rechten Arm hatte er sich einen prallgefüllten Segeltuchsack geklemmt. Die beiden wollten zu der Leiter gehen, die mittschiffs auf der Backbordseite von außen angelehnt und vertäut war und zum Dock hinunterführte. „Halt!“ sagte der Kutscher energisch. „Was hattet ihr in der Kombüse zu suchen?“ „Kusch dich, du Wanze“, sagte der Grobschlächtige und musterte den
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Kutscher mit einer Miene, die deutlich verriet, daß er ihn am steifen Arm verhungern lassen würde, wenn er das Maul noch weiter aufriß. Etwas schmalbrüstig war er ja, der Kutscher, der sowohl für die Kombüse als auch die Wundbehandlung der Seewölfe zuständig war. Aber keiner hätte ihm nachsagen können, er gehöre zu den Hasenfüßen und ziehe den Schwanz ein, wenn ihm jemand auf die Füße trete. No, Sir. „Ich fragte, was ihr in der Kombüse zu suchen hattet“, sagte er rabiat, „und darauf will ich eine Antwort haben, sonst gibt's Zunder!“ Und schon hatte er einen Belegnagel aus der Nagelbank gefischt – ein Hartholzdings von der Länge eines Männerunterarms. Die beiden Kerle blickten sich verblüfft an, und der Grobschlächtige sagte: „Hast du das gehört, Mac? Der droht uns Zunder an, der Zwerg. Oder hab ich mich verhört?“ Der Mausgesichtige kicherte. „Das ist einer von den Starken! Aber wenn du sie antippst, kippen sie um. Und dann geht das Geheule los.“ „Du sagst es, Mac.“ Der Grobschlächtige grinste gemein. „Soll ich ihn mal antippen, was meinst du?“ „Guter Vorschlag, aber beeil dich, bevor hier jemand aufkreuzt. Noch sind seine Macker unten im Dock mit dem Abpallen beschäftigt.“ „Halt das mal solange“, sagte der Grobschlächtige und holte unter seinem Kittel einen Kupferkessel her- vor, der aus der Kombüse stammte und jetzt mit Speck, Würsten und verschiedenen Säckchen vollgestopft war. Der Mausgesichtige namens Mac nahm den Kessel entgegen und klemmte ihn sich unter den linken Arm — vorsichtig, damit nichts hinausfiel. „Ihr habt also geklaut“, sagte der Kutscher verbittert, „in diesem verdammten England wird wohl nur noch geklaut. Aber bisher haben wir euch Gesindel und Lumpenpack noch immer erwischt.“ „Halt's Maul!“ knurrte der Grobschlächtige und rückte auf den Kutscher zu. „Uns
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erwischt keiner, und bestimmt nicht so 'ne Portion wie du.“ Über die Schulter sagte er: „Paß auf, Mac, ob jemand kommt.“ „Geht klar“, sagte Mac und stellte sich an die Leiter. „Stopf ihm sein Maul. Der redet zuviel.“ „Ha!“ sagte der Grobschlächtige und holte mit der Rechten aus — ziemlich langsam, wie der Kutscher meinte. Vielleicht dachte der Kerl, er bliebe geduldig stehen. Als die Faust losflog, tänzelte der Kutscher zur Seite und drosch dem Kerl blitzschnell den Belegnagel auf die geballte Rechte. „Au!“ brüllte der Grobschlächtige, schlenkerte die Hand und hüpfte auf einem Bein. Sekunden später brüllte er noch mehr, denn da war etwas von oben auf seinen Stiernacken gesaust, hockte da und zog ihm die Haare büschelweise aus. Arwenack, der Bordschimpanse! Der Affe fletschte die Zähne, schnitt Grimassen und keckerte wild, während er die Kopfhaut des Grobschlächtigen plünderte. „Hilfe!“ brüllte der Kerl. „Mac, hilf mir ...“ Aber Mac war selbst am Zappeln. Auf dessen Kopf war ein roter Papagei gelandet, hatte sein rechtes Ohrläppchen mit dem Krummschnabel erwischt und zerrte nun daran, als gelte es, das Ding ordentlich in die Länge zu ziehen. Der Segeltuchsack und der Kupferkessel samt Inhalt polterten auf die Planken der Kuhl. Gekreische, Keckern, Gebrüll und Gejammere tönten über die Dockanlage. Der Kutscher lachte. Die beiden Kerle führten einen Veitstanz auf. Carberry enterte als erster über die Leiter auf und sprang an Deck. Mit einem Blick übersah er die Lage, dann veränderte sich sein grimmiges Gesicht, und er begann zu grinsen. Nacheinander, als wären sie hochkatapultiert, flitzten die Seewölfe über das Schanzkleid, bereit, einzugreifen und irgendjemandem an die Gurgel zu springen. Das Gebrüll hatte sie alarmiert.
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Aber wie es aussah, war die Lage bereits in etwa bereinigt. Auch sie begannen zu grinsen, dann brauste ihr wildes Lachen über die Decks. Arwenack ließ von seinem Opfer ab und enterte in die Backbordwanten auf, die Hände voller ausgerissener Haare. Und Sir John, der Bordpapagei, flatterte auf die Großrah und schimpfte von dort aus weiter. Es waren Carberrys beste Kraftausdrücke. Hasard, Ben Brighton und Ferris Tucker sowie Big Old Shane befanden sich bei einer Besprechung heim königlichen Werftleiter, zu der Admiral Hawkins geladen hatte, um alle Einzelheiten zu regeln. Jetzt war der Profos für das Schiff verantwortlich. Er betrachtete den Segeltuchsack, den Kupferkessel mit dem verstreuten Inhalt, schüttelte den Kopf und wandte sich dem Kutscher zu. „Erzähl mal“, sagte er. „Ich war unten in der Proviantlast und stieg gerade wieder an Deck, als diese beiden Kerle die Kombüse verließen.“ Der Kutscher deutete mit dem Belegnagel auf den Grobschlächtigen und den Mann namens Mac. Die sahen ziemlich zerrupft aus. Macs Ohrläppchen begann zu schwellen und sich bläulich zu verfärben. Offensichtlich hatte Sir John seinen Schnabel auch auf Macs Stirn gewetzt, den Striemen nach zu urteilen. Des Grobschlächtigen Kopf hatte sich in ein verwüstetes Stoppelfeld verwandelt. Den Barbier konnte er sich für lange Zeit sparen, falls er den überhaupt jemals aufgesucht hatte. Sein Gesicht war auch zerkratzt und zerschrammt. Er schnitt ein Gesicht, als habe er eine Qualle verschluckt. Sehr gewählt fuhr der Kutscher fort: „Ich neigte nicht zu der Annahme, diese beiden Subjekte hätten nur an das Kombüsenschott geklopft, um nach einem Almosen zu fragen, oder die Absicht gehabt, eine Reinigung dort vorzunehmen.“
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„Aha“, sagte der Profos und blickte nun wieder grimmig drein. „Zu einer solchen Annahme neigtest du also nicht. Sondern?“ „Ich stellte diese beiden Subjekte zur Rede, weil sich mir der Verdacht aufdrängte, daß sie etwas aus der Kombüse, für die ich verantwortlich bin, entwendet hätten. Dieser Mensch dort“, der Kutscher wies auf den Grobschlächtigen, „nannte mich daraufhin eine Wanze und forderte mich auf, zu kuschen. Aber das tat ich nicht ...“ „Natürlich nicht“, unterbrach ihn Carberry grob, weil der Kutscher mal wieder ins Schwafeln geriet, „und darum hat's dann gescheppert...“ Jetzt unterbrach ihn wiederum der Kutscher. „Nein, das war anders. Also, ich ...“ „Schluß!“ fauchte Carberry und wandte sich den beiden „Subjekten zu. „Ihr habt geklaut, was, wie? Gebt's zu!“ „Wir - wir sind spazieren gegangen, sagte der Mann namens Mac, „nicht wahr, Colly?“ Colly, der Grobschlächtige, nickte nur, weil er nicht sprechen wollte. Aber auch beim Nicken tat der Kopf weh, und er verzog schmerzlich sein Gesicht. Der Kutscher wurde wieder sachlich. „Die lügen, daß sich die Rahen biegen. Der da“, Fingerzeig auf den Grobschlächtigen, „hatte den Kupferkessel unter seinen Kittel gestopft. Und der andere da“, Fingerzeig auf Mac, „trug den Segeltuchsack. Da ist bestimmt auch was aus der Kombüse drin.“ „Öffnen!“ befahl Carberry dem Mann namens Mac. Der wankte zu dem Segeltuchsack, beugte sich nieder und fummelte an dem Tampen herum, mit dem der Sack zugebunden war. Es stellte sich heraus, daß er Handtücher gemaust hatte. Aber in die Handtücher hatte er Messer, Löffel und andere Besteckteile des Kutschers gewickelt. Es war eine ganze Menge, die er sich hatte unter den Nagel reißen wollen, wahrscheinlich, um es an irgendeinen Spelunkenwirt zu versilbern. „Da hört sich doch alles auf“, sagte der Kutscher empört, „räumt dieser Mistkerl doch glatt meine halbe Kombüse aus. An
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die Rahnock sollte man diese Kerle hängen.“ „Da-das haben wir alles gefunden“, sagte Mac und zitterte ein bißchen. „Ja!“ schrie der Kutscher. „In meiner Kombüse, verdammt noch mal!“„N-nein, wo-woanders.“ „Streich die Flagge, Bastard!“ zeterte Sir John von der Großrah herunter und flatterte wild mit den Flügeln. „Fallen Anker, Smoky, krggskrggs!“ Und anschließend stieß er einen gellenden Pfeifton aus. Mac und Colly starrten entsetzt nach oben. Auch Arwenack wurde wieder rabiat. Er tanzte im Großmars herum, trommelte auf seinen Bauch und gab Grunzlaute von sich, die recht bedrohlich klangen. Dieses Schiff war des Teufels! Plötzlich hatte jeder der Männer einen Tampen in der Hand, und Mac und Colly bezogen die Dresche ihres Lebens. Sie wollten die Ringmauer der Männer durchbrechen, aber die gab um keinen Zoll nach. Hageldicht fielen die Hiebe mit den Tauenden und walkten die beiden Diebe durch. Dann öffnete sich der Ring, und sie wurden zur Leiter getrieben. Wie Affen sausten sie nach unten. „Wenn ich einen von euch Rübenschweinen noch einmal in der Nähe unseres Schiffes erwische“, brüllte Carberry hinter ihnen her, „gibt's kein Tauende mehr zu schmecken, sondern dann wickle ich euch eigenhändig um den Anker und versenke euch im Medway, ihr Bastarde!“ Die beiden rannten, als säße ihnen eine wilde Herde von Arwenacks im Genick. 6. Es wurde mit Hochdruck gearbeitet. Jetzt, Anfang Mai 1588, verdichteten sich die Meldungen der englischen Agenten in Spanien, daß man dort zum großen Schlag gegen England rüste. Was Hasard bereits bei einer Audienz in Schloß Whitehall der Königin und ihren Ratgebern vorgetragen hatte, wurde durch diese Agentenmeldungen bestätigt und im einzelnen präzisiert.
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Den Berichten nach nahm die Versammlung von Schiffen aller Größen und Typen vor Lissabon im Mündungsgebiet des Tajo einen Umfang an, der bestürzend war. Da ankerten schwere Kriegsgaleonen, westindische Handelsfahrer - kaum weniger bestückt als die Kriegsgaleonen, Kauffahrteisegler des Mittelmeers, Hulks und Proviantschiffe, und dem Vernehmen nach sollten sogar Galeassen aus Neapel dazugestoßen sein, jene Mischlingskriegsschiffe, die halb Galeone und halb Galeere waren. Da versammelte sich eine Invasionsflotte! Denn die Agenten hatten beobachtet, daß immer mehr Soldaten auf die Schiffe, vor allem auf die Kriegsgaleonen, gebracht wurden; Truppen, die für eine gewöhnliche Seefahrt völlig überflüssig und sogar hinderlich waren. Ferner übernahmen die Versorgungs- und Ausrüstungsschiffe Feldkanonen, Handwaffen aller Art, Kanonenkugeln aller Gewichte, Blei für Gewehrkugeln, Lunten und Pulverfässer und jene Vielzahl von Geräten, Werkzeugen, Nägeln, Balken und Brettern, die man zum Schanzen, für den Brückenschlag und Wegebau brauchte. Da fehlten weder Maultiere noch Pferde, noch Geflügel und Schweine, gar nicht zu reden von den Proviantmengen, den Tonnen, Fässern und Schläuchen mit Trinkwasser und Wein. Die Listen der Agenten, in denen alles aufgezählt wurde, was diese Schiffe luden, enthielten sogar die Nennung von Bratrosten, Kneifzangen, Folterbänken und Daumenschrauben, Peitschen und Ketten. Was vielleicht zunächst nur Gerüchte gewesen waren, entpuppte sich aufgrund von Aussagen der in den Lissabonner Schenken räsonierenden und herumprahlenden Seeleute und Soldaten immer mehr als glaubwürdig. Kurz und knapp zusammengefaßt verrieten diese Prahlereien, man habe nunmehr endgültig beschlossen, dieses freche England samt seiner Ketzerkönigin aufs Haupt zu schlagen.
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Irgendwann in dieser hektischen Zeit entstand unter dem Eindruck der gewaltigen Flotte, die sich im Tajo versammelte, die Bezeichnung „La Invencible“ - die Unbesiegbare! Es war soweit! Ob der große Schlag noch jetzt im Mai oder im Juni oder gar Juli erfolgen würde, das war noch ungewiß. Gewiß war nur, daß die Auseinandersetzung bevorstand. Die Maschinerie des Krieges war nicht mehr aufzuhalten. Im August und den weiteren Monaten würde es zu spät sein. Da begannen die Herbststürme und verwandelten den Atlantik in einen tobenden Hexenkessel. Das war es. Nur das Wetter war der einzig unberechenbare Faktor in diesem Kampf auf Leben oder Tod. Zum Kriegführen brauchte man gutes Wetter, das Sterben war schon schmutzig genug. England rüstete zur Abwehr. Darum war auf der königlichen Werft in Chatham der Teufel los. Der Wettlauf mit der Zeit hatte begonnen. Natürlich konnte man nicht innerhalb von Tagen oder Wochen Schiffe aus dem Boden stampfen. Jetzt war die Ausrüstung und Armierung aller verfügbaren Schiffe wichtiger geworden. Darum wurde das Vermessen der „Isabella“ im Eiltempo vorgenommen. Am vierten Tag der Werftliegezeit, Hasard befand sich bei Admiral Hawkins im Konstruktionsoffice, wurde ein Bote der Königin gemeldet, der Kapitän Killigrew zu sprechen wünschte. Der Mann mußte wie der Teufel geritten sein. Er war staubüberpudert, Schweißbahnen hatten helle Streifen auf seinem Gesicht hinterlassen. Sporenklirrend baute er sich vor Hasard auf und überreichte ihm ein zusammengerolltes Schriftstück, das er aus einer Lederhülle gezogen hatte. „Entschuldigung, Sir“, sagte er, „Sie sind doch Kapitän Killigrew?“ „Der bin ich“, erwiderte Hasard und brach das Siegel auf, mit dem das Schriftstück verschlossen war. Er las das Schreiben und runzelte die Stirn, wortlos überreichte er es dann Admiral
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Hawkins. Der las es ebenfalls, runzelte aber nicht die Stirn, sondern lächelte. „Eine Einladung Ihrer Majestät nach Schloß Greenwich? Prächtig, prächtig! Und Sie sollen Ihre Söhnchen mitbringen.“ Sein Lächeln ging in ein breites Schmunzeln über. „Wahrscheinlich will Ihre Majestät den leiden kleinen Teufelsbraten einen Orden umhängen. Das hat sicher der alte Burghley arrangiert.“ „Orden? Wieso Orden?“ brummte Hasard ungehalten. „Wegen der Verdienste der lieben Kleinen um den Kronschatz und für die Sicherung des Towers. Haben Sie das schon vergessen?“ „Ach so. Aber das ist doch Unsinn, entschuldigen Sie, Sir. Die Jungen haben so gehandelt, wie es selbstverständlich ist. Ihnen dafür auch noch Orden umzubaumeln, davon halte ich gar nichts. Mir erscheint das ein bißchen zu üppig.“ „Das sagen Sie mal Ihrer Majestät“, erklärte der Admiral. Jetzt schmunzelte er nicht mehr, sondern grinste geradezu tückisch. „Wußten Sie noch nicht, wie dickköpfig unsere verehrte Bessy ist? Sie sind mit Ihren Söhnen bei ihr eingeladen. Wenn Sie ihr einen Korb geben, was meinen Sie wohl, was dann los ist? Da marschiert hier glatt die Leibgarde an und schleppt Sie samt Kanonensöhnchen ab!“ „Die Leibgarde“, sagte Hasard wütend, „die fehlt mir noch! Weiß die Königin nicht, daß wir hier aufgrund der angespannten Lage mit Spanien alle Hände voll zu tun haben? Und da soll ich diese beiden Knirpse nach Schloß Greenwich bringen, sie begaffen und betätscheln lassen! Wenn ich nur an die tuschelnden Perückenträger und gepuderten Hofschranzen denke, wird mir schon schlecht. Und was die beiden da erst aushecken werden — nicht auszumalen!“ „Sie nehmen die Einladung an, basta!“ sagte der Admiral energisch. „Sie haben viel erreicht und sind geehrt worden, Kapitän Killigrew, Sir. Es wäre eine Beleidigung, wenn Sie Ihre Majestät die Königin jetzt brüskieren und die Einladung ablehnen würden.“
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Hasard starrte verbissen vor sich hin. Der königliche Bote sagte: „Die Kutsche wartet bereits vor der Werft, Sir, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.“ „So? Wartet bereits?“ `sagte Hasard bissig. „Ihre Majestät denkt wohl an alles!“ „So ist es, Sir. Ihre Majestät denkt immer an alles.“ Der königliche Bote verneigte sich leicht. Hasard fand den Mann etwas zu devot, aber so wurde man wohl bei Hofe, wo ein Teil des Tages mit Verbeugungen und Kratzfüßen ausgefüllt war. „In Ordnung“, sagte Hasard ergeben. „Warten Sie bei der Kutsche, ich hole meine Söhne.“ Der königliche Bote grüßte und verließ sporenklirrend den Raum. Hasard faltete das Schreiben zusammen und versenkte es in seinem Lederkoller. „Na denn“, sagte der Admiral, und jetzt lächelte er ohne Bosheit. „Viel Spaß, Sir Hasard.“ Hasard seufzte. „Danke ergebenst, Sir John. Hoffentlich läuft mir der verdammte Doughty nicht wieder über den Weg.“ Grinsen des Admirals. „Dann ziehen Sie ihm ein zweites Mal die Hosen aus, klarer Fall.“ „Klarer Fall“, sagte Hasard und verabschiedete sich. Die hoffnungsvollen Sprößlinge waren wieder einmal nicht auffindbar. An Bord der „Isabella“ befanden sie sich jedenfalls nicht. „Gut, daß hier kein Tower ist“, bemerkte Big Old Shane sinnigerweise. „Aber dafür eine Riesenwerft mit hundert Schlupfwinkeln“, sagte Hasard und war ziemlich geladen. Ungerecht war er auch, denn er fragte giftig: „Wer paßt hier eigentlich auf die Lümmel auf, he?“ Big Old Shane blieb die Ruhe selbst. „Die Lümmel brauchen kein Kindermädchen, falls du das noch nicht wissen solltest. Außerdem hörte ich mal, daß es tatsächlich auch Väter geben soll, die auf ihre Söhne aufpassen.“ „Danke für den Hinweis“, knurrte Hasard, „ich hatte das ganz vergessen. Und wie geht's jetzt weiter? Soll ich vielleicht durch
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die Werft stolpern und nach den lieben Kleinen Ausschau halten? Schließlich muß ich mich auch waschen und etwas manierlicher kleiden.“ Big Old Shane kniff die Augen zusammen und spähte über Hasards Schulter zum Medway. „Du brauchst nicht durch die Werft zu stolpern“, sagte er. „Sie sind mit der Jolle auf dem Medway und angeln.“ „Sie angeln! Nein, wie mich das freut! Und ich such mir die Hacken ab. Ich frag mich bloß, wie sie die Jolle zum Medway bugsiert haben – und keiner hat's bemerkt! Aber es muß ihnen doch jemand geholfen haben, oder?“ „Ich dachte, du wolltest dich waschen und umziehen“, sagte Big Old Shane, „stattdessen wird hier palavert. Frag sie doch nachher selbst.“ Er ließ Hasard einfach stehen, kletterte über die Leiter von Bord und marschierte zum Medwayufer. Hasard schüttelte den Kopf und murmelte: „Das sind hier vielleicht Sitten. Da wird man noch belehrt, was man als Vater zu tun hat ...“ „Was meinst du?“ fragte Old O'Flynn. Er hatte gerade das Achterdeck betreten. „Nichts. Wußtest du, wo deine Enkel sind?“ „Natürlich.“ Der Alte nickte zum Fluß. „Dort auf dem Medway. Sie wollten angeln, und da hab ich die Jolle von ein paar Werftgrandis zum Wasser transportieren lassen. Warum siehst du denn so biestig aus? Ist was nicht in Ordnung? Warum holt Shane die Jungen zurück?“ „Weil sie von der Königin eingeladen wurden!“ fauchte Hasard. „Darum! Vor der Werft wartet bereits eine Kutsche. Und ich suche wie ein Idiot! Hättest du nicht gleich sagen können. wo die Lümmel sich herumtreiben?“ „Du hast mich ja gar nicht gefragt. Außerdem wußte ich nichts von der Einladung ...“ „Ist auch erst eine Stunde her“, sagte Hasard wild. „Seitdem suche ich.“ „Ich war in der Segellast, wie du weißt. Da bist du vorhin hineingetobt, hast dich
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umgesehen wie ein Irrer und bist wieder verschwunden. Aber von 'ner Einladung und wen du suchst, hast du nichts gesagt, verdammt noch mal! Und jetzt werde ich auch noch angestänkert. Das schmeckt mir vielleicht, verdammt, wie mir das schmeckt!“ Old O'Flynn redete sich so richtig in Wut. „Vielleicht haben Euer Ehren mal selbst die Güte, sich um die Lausebengel zu kümmern, nicht wahr! Aber auf einem alten Mann herumhacken, immer drauf, nicht wahr! Old O'Flynns Kreuz ist ja breit genug, Himmelarschundhalleluja! Hab ich vielleicht diese Rotznasen gezeugt, he?“ „Na ja“, sagte Hasard etwas erschüttert, „schätze, daß ich sie gezeugt habe. Nun steig mal wieder runter vom Mast, Old Dad. Ich hab's nicht so gemeint. Ich hatte eine Wut wegen dieser verdammten Einladung, die mir nun wiederum nicht schmeckt. Der alte Hawkins meinte, die Jungen kriegten von der Königin einen Orden wegen der Sache im Tower. Einen Orden! Was sagst du dazu?“ „So ein Quatsch!“ Jetzt war Old O'Flynn ganz Hasards Meinung und erboste sich genauso. „Jungen Orden umhängen, ha! Vielleicht noch 'n Ring durch die Nase ziehen, pudern und 'ne Perücke aufsetzen! Red das der Lissy bloß aus, Mann ...“ Er unterbrach sich. „Da sind sie ja! Wie die wieder aussehen!“ II Hasard Junior und Philip Junior sprangen, von Big Old Shane gefolgt, auf die Kuhl und enterten atemlos zum Achterdeck auf. „Dad, was ist?“ rief Hasard Junior aufgeregt. „Ich hab ihnen noch nichts gesagt“, erklärte Big Old Shane und grinste breit. „Die Königin hat uns eingeladen“, sagte Hasard. „Wen?“ fragte Philip. „Euch und mich.“ „Och!“ Das war Hasard Junior. „Aah!“ Das war Philip Junior. „Wascht euch gefälligst!“ fuhr sie Old O'Flynn an. „Und dann werden saubere Klamotten angezogen, verstanden?“ „Jetzt gleich?“ fragte Hasard Junior.
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„Was denn sonst?“ sagte Old O'Flynn grollend. „Die Kutsche wartet bereits.“ Die beiden Jungen fegten durchs Achterdecksschott. Vater Hasard folgte ihnen. Old O'Flynn und Big Old Shane grinsten sich an. „Na?“, fragte Big Old Shane. „Hat er dich auch angefaucht?“ „Natürlich. Wieso auch?“ „Weil er mich ebenfalls anranzen wollte“, erwiderte Big Old Shane, „aber ich hab ihn ein bißchen auflaufen lassen. Er meinte, jemand müsse auf die Jungen aufpassen, und ich sagte ihm, die brauchten kein Kindermädchen mehr.“ „Brauchen sie auch nicht“, sagte Old O'Flynn. „Aber ein bißchen an die. Zügel genommen werden, das müssen sie schon, sonst gibt's Wildwuchs.“ Und Old O'Flynn entwickelte seine Theorie über die Erziehung von Rackern wie den beiden Killigrew-Zwillingen. Schließlich hatte er selbst sieben Söhne und eine Tochter in die Welt gesetzt, von denen die Tochter Gwen Hasards Frau gewesen war und sein letzter, jüngster Sohn, Dan O'Flynn, als Fünfzehnjähriger seinem Alten ausgekniffen war und zur See fuhr - seit über zehn Jahren unter dem Kommando Philip Hasard Kiiligrews. Da hatte man eben seine Erfahrungen, nicht wahr? Inzwischen wußten alle Seewölfe, daß ihr Kapitän und seine beiden Söhne bei der Königin eingeladen waren, und hatten sich auf der Kuhl versammelt. Schließlich war diese Einladung ja nicht etwas Alltägliches, und im Grunde waren sie alle stolz darauf, soviel Beachtung bei der königlichen Lissy zu finden. Die beiden Jungen waren in die Crew integriert, von dem Mann, unter dessen Kommando die „Isabella“ fuhr, gar nicht zu reden. Sie waren eine verschworene Gemeinschaft, und mit der Ehrung des einen wurden alle geehrt. Als der Vater und seine beiden Söhne auf dem Achterdeck erschienen - fertig zum „Anlandgehen“ -, begannen die Seewölfe breit zu grinsen.
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Ihr Kapitän hatte noch nie schlampig ausgesehen, das gab's bei dem einfach nicht, aber die beiden Söhnchen liefen manchmal doch arg verwildert herum. jetzt waren sie wie aus dem Ei gepellt - mit blanken Gesichtern, sauber gewaschen und frisch angezogen. Carberry trat vor und sagte: „Grüßt unsere Lissy, Sir. Na, die wird staunen. Ihr seht prächtig aus, was, wie?“ Er fixierte Hasard Junior und Philip Junior, ein bißchen streng, wie es schien, obwohl seine grauen Augen ein verstecktes Lachen zeigten. „Daß mir keine Klagen kommen, verstanden, ihr Rübenschweinchen? Nicht daß dem einen oder anderen Gentleman plötzlich die Perücke fehlt oder ihr den Ladys Regenwürmer in ihre Puderbeutel stopft!“ Die beiden Knaben kicherten. „Ed“, sagte Vater Hasard sanft, „jetzt wissen sie bestimmt, was sie aushecken können. Hast du vielleicht noch mehr gute Einfälle in dieser Richtung?“ „Ach so“, murmelte der Profos etwas verdattert. „Da hast du natürlich recht.“ Und dann fuhr er die beiden Knaben an: „Es werden keine Perücken geklaut, verstanden? Und bleibt von den Puderbeuteln weg! Ein - ein Gentleman vergreift sich nicht an Puderbeuteln, klar?“ „Aye, aye, Mister Carberry, Sir!“ riefen beide Knaben im Chor und wirkten unternehmungslustig genug, Mister Carberrys Vorschläge dennoch in die Tat umzusetzen. 7. Die Karosse war wahrhaft königlich. Die Beschläge funkelten und blitzten, das Fell der vier Gespannpferde - Rappen - glänzte seidig, der Kutscher trug eine Prunkkleidung, die Hasard etwas zu aufwendig erschien. Beflissen riß der Mann die Kutschentür auf und verneigte sich tief. Der königliche Bote saß bereits wieder im Sattel. Die beiden Jungen schlüpften begeistert in die Karosse, deren Sitze mit Seidenkissen gepolstert waren.
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Hasard blieb noch am Verschlag stehen. „Wie lange rechnen Sie bis Schloß Greenwich?“ fragte er. Der Kutscher wiegte den Kopf. „Vier bis fünf Stunden, Sir.“ Er blinzelte zur Sonne hoch, die jetzt, gegen Mittag, im Zenit stand. „Gegen Nachmittag sind wir da.“ „Hrn.“ Hasard fixierte den Kutscher. Entweder blendete den Mann die Sonne, oder der liebe Gott hatte ihn mit unruhigen Augen ausgestattet. Sei's drum. Hasard nickte und stieg in die Kutsche. Der Schlag fiel zu. Kurz darauf rumpelte die Karosse los. Der königliche Bote ritt im Trab voraus. Die beiden Knaben lächelten andächtig und bestaunten die Inneneinrichtung der Kutsche. Hasard saß mit dem Rücken zur Fahrtrichtung, streckte die langen Beine aus, faltete die Hände über dem Bauch und entspannte sich. „Oh, Mann“, sagte Philip Junior ehrfürchtig. „Gefällt's euch?“ fragte Hasard. Die beiden Knaben nickten. „Fahren ist besser als laufen“, sinnierte Hasard Junior, „man sitzt einfach da und braucht nichts zu tun.“ „Aber auf die Dauer langweilig“, sagte Vater Hasard. Wenn er gedacht hatte, die beiden würden mit der Zeit zappelig werden, so sah er sich angenehm enttäuscht. An den verglasten Türfenstern zu beiden Seiten zog die Landschaft vorbei. Rechts der Kutsche, in Fahrtrichtung, wanderte ihr großer Schatten mit. Hasard döste ein bißchen, aber nach einer Stunde etwa döste er nicht mehr. Zunächst merkte er eher im Unterbewußtsein, daß etwas nicht mehr stimmte. Dann schaute er nach links hinaus. Und da fiel es ihm auf. Der Begleitschatten war verschwunden. Er beugte sich vor und schaute nach rechts aus dem Fenster, wo die Sonne hätte stehen müssen. Auch sie war verschwunden. Aber da war sie noch, nämlich genau vor der Kutsche. Die Kutsche steuerte südlichen Kurs, das war's! Und der Kurs - seemännisch
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ausgedrückt - hätte nach Greenwich etwa Westnordwest sein müssen. Ein himmelweiter Unterschied! Auf diesem südlichen Kurs würden sie Greenwich niemals erreichen. Oder folgte die Kutsche zur Zeit nur einem Weg, der aus irgendwelchen Gründen ein paar Meilen nach Süden verlief und dann wieder nach Westen umbog? Das konnte natürlich sein. Die Kutsche rollte weiter südwärts, nach einer Viertelstunde etwa immer noch und nach einer halben Stunde auch noch. Und die Landschaft draußen wurde immer einsamer. „Was ist, Dad?“ fragte Hasard Junior. Er war aufmerksam geworden. „In welche Richtung fährt die Kutsche?” fragte Vater Hasard. Hasard Junior blickte nach draußen. „Hin, in südliche Richtung, gegen die Sonne.“ „Richtig“, sagte Vater Hasard grimmig. „Nur liegt Greenwich in westnordwestlicher Richtung.“ Philip Junior riß die Augen auf. „Dann fahren wir ja ganz woanders hin.“ „Wiederum richtig. Hier ist was oberfaul. Außerdem konnte mir der Kutscher nicht gerade in die Augen sehn. Und wenn ich jetzt über sein Gesicht nachdenke, dann könnte ich nicht behaupten, daß es das Gesicht eines ehrlichen Mannes ist.“ „Ein Spitzbube?“ fragte Philip Junior aufgeregt. „So ungefähr.“ „Wir entern den Kutschbock“, erklärte Hasard Junior energisch. Vater Hasard lächelte. „Vergiß den Mann nicht, der vor der Kutsche reitet. Er könnte etwas bemerken und davongaloppieren - um vielleicht weitere Kumpane zu alarmieren. Ich wette, daß die beiden Kerle nicht allein operieren. Also, wir empfehlen uns heimlich, das heißt, wir springen ab, aber bitte vorsichtig - der Kutscher darf nichts merken, und keiner darf sich den Fuß verstauchen.“ „Geht klar, Dad“, sagte Hasard Junior. „Wir sind tolle Springer“, erklärte Philip Junior mit der gleichen Gelassenheit.
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Diese Söhnchen wurden Hasard fast ein wenig unheimlich. War er ähnlich gewesen? Da mußte er Big Old Shane mal fragen, der seine Jugend auf der Feste Arwenack behütet hatte. „Also los“, sagte er und öffnete den rechten Schlag, „Hasard zuerst.“ Das Söhnchen quetschte sich auf das Trittbrett draußen, linste kurz zum Bock hoch und sprang. Hasard sah nur einen huschenden Schatten, hörte einen kaum wahrnehmbaren Aufprall, und schon war der Schatten hinter einem Wacholderbusch verschwunden. Die vier Rappen trabten unermüdlich weiter. Auf dem Bock rührte sich nichts. Hasard nickte Sohn Nummer zwei zu und verfolgte dessen Absprung. Philip landete auf allen vieren, und zwar völlig lautlos, und rollte geschmeidig in eine Kuhle. Na denn, dachte Hasards, jetzt bin ich dran und leider ein Schwergewicht. Hoffentlich wurde das für Pferde und Kutscher nicht zu spüren, wenn die Karosse plötzlich geleichtert wurde. Er zwängte sich auf das Trittbrett, geduckt, drückte die Tür zu und spähte zu dem Kutscher. Von dem sah er nur den Kopf. Der Kopf war nach vorn gerichtet. Hasard sprang, landete, lief automatisch ein paar Schritte mit und warf sich nach rechts ins Gebüsch. Als er den Kopf hob, verschwand die Kutsche gerade hinter einem Hügel. Hasard atmete auf. Wäre er ohne die Jungen gewesen, dann hätte der Kutscher schon jetzt ein Vaterunser beten können falls er das überhaupt kannte. Und mit dem „königlichen Boten“ wäre er auch fertiggeworden. Aber sich heimlich zu verabschieden, war die bessere Lösung. Hasard und Philip durften nicht in Gefahr gebracht werden. Und bei dieser Überlegung war Vater Hasard beim Kernpunkt: Jemand hatte die Absicht gehabt, ihn und seine beiden Söhne zu entführen - zu einem Picknick bestimmt nicht. Weiter im Süden war Moorlandschaft, das wußte Hasard. Wer dort verschwand, den fand niemand mehr.
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„Doughty“, murmelte Hasard vor sich hin, als er aufstand und zurücklief. Das mußte es sein. Dieser Schweinehund hatte Mordbuben gedungen. Das Schriftstück, das die Einladung der Königin enthielt, war garantiert gefälscht worden. Hasard bezweifelte, daß John Doughty bei der Ausführung des Mordes irgendwo am Ende dieser Kutschfahrt anwesend sein würde. Dazu war der Kerl zu feige - und zu vorsichtig. „Pschtt!“ wisperte es rechts hinter ihm. Da war er doch glatt an seinen beiden Söhnen vorbeigetrabt. Die grinsten bis zu den Ohren und wuchsen aus einem Wacholderbusch heraus. Ein herrliches Abenteuer! „Hat er was gemerkt?“ fragte Hasard Junior. „Bis jetzt nicht“, erwiderte Vater Hasard, legte den Kopf etwas schief und lauschte in die Richtung, in welche die Karosse verschwunden war. Nichts war zu hören. Hasard blickte sich um: Wacholdergestrüpp, Birken, verkrüppelte Kiefern, Moos, Hügel. Hier war längst kein Weg mehr, auch kein Karrenpfad. Es war höchste Zeit gewesen, daß sie ausstiegen. Das Moorgebiet konnte nicht mehr allzu weit entfernt sein. „Und jetzt?“ fragte Philip. „Zurück nach Chatham“, erwiderte Vater Hasard. „Oder wolltet ihr hier übernachten?“ „Eigentlich nicht“, meinte Philip. „Sag mal, Dad, dann war das mit der Einladung der Königin alles Schwindel?“ „Schätze, ja.“ „Wir sollten entführt werden?“ Vater Hasard nickte stumm. „Aber warum?“ fragte nun Hasard Junior aufmerksam. „Wer hat etwas davon, dich und uns zu entführen, Dad?“ „Das kann ich nicht genau beantworten, Söhnchen“, erwiderte Hasard, „weil es nur Vermutungen wären. Ich könnte mir denken, daß ein Mann dahintersteckt, den ich zum Duell forderte, weil er mich beleidigt hatte. Das war vor ein paar
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Tagen, als ich zu dem Hofball in Schloß Whitehall eingeladen worden war.“ „Du hast den Mann nicht getötet?“ fragte Philip. „Nein, ich habe ihn meinerseits beleidigt, indem ich ihm vor aller Augen die Kleidung samt Hosen mit dem Degen zerfetzt und ihn auf diese Weise ausgezogen habe. Er war kein ebenbürtiger Gegner. Darum habe ich ihm seine Beleidigung auf meine Weise zurückgezahlt und ihn bei Hofe lächerlich gemacht.“ „Was ist das für ein Mann, Dad?“ wollte Hasard wissen. „Ein schlechter Mann“, sagte der Seewolf ernst, „ein sehr schlechter Mann. Er hat vor vielen Jahren versucht, auf heimtückische Weise Mister Carberry umzubringen.“ Philip wollte noch etwas fragen, aber da drang Hufschlag zu ihnen — von Süden. „Zurück ins Gebüsch!“ stieß Hasard hervor und zog seine Reiterpistole. Sekunden später lagen sie in der Deckung der Wacholderbüsche und seitwärts der Wagenspuren, welche die Karosse in dem Boden hinterlassen hatte. Hasard spähte durch das Gestrüpp zu dem Hügel, hinter dem die Karosse verschwunden war. Das Pochen der Hufe klang näher. Es mußten mehrere Reiter sein. Und da tauchten sie auch schon auf — fünf Reiter, einer von ihnen der „königliche Bote“. Etwas später erschien auch die Karosse. Die fünf Reiter tobten vorbei wie die wilde Jagd. Die Kleidung des „königlichen Boten“ hob sich auffällig von den Klamotten der vier anderen Reiter ab — Klamotten im wahrsten Sinne des Wortes. Diese vier Kerle waren echte Galgenstricke. Der „königliche Bote“ hatte sich seiner Rolle gemäß kostümiert. Wäre einer der vier anderen mit der Einladung erschienen, dann hätte Hasard ihn in den Hintern getreten und aus der Werft gejagt. Die Visagen der Kerle entsprachen ihrer lumpigen Kleidung. Der Kutscher in seinem Prunkkostüm war natürlich auch unecht — und die Kutsche
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war entweder entwendet oder ausgeliehen worden. Sie hatten einen Bluff versucht, aber die Veränderung der Reiserichtung hatte sie verraten. Einem Mann wie Hasard hatte das auffallen müssen. Die Wanderung der Gestirne war ihm vertraut. An Bord prüfte er tagtäglich den Stand der Sonne im Laufe der Stunden, wenn sie von Osten über Süden nach Westen ihre Bahn zog. Der Blick zu ihrem Standort am Himmel war genauso selbstverständlich wie die ständige Überprüfung der Windrichtung und die Kontrolle der Segel. Einem Seemann ging das in Fleisch und Blut über. Wer auch immer hinter dem Mordplan steckte — das hätte er einkalkulieren müssen, wenn er Erfolg haben wollte. Die Details mit der gefälschten Einladung der Königin, der Auftritt des „königlichen Boten“, seine und des Kutschers Aufmachung sowie die Prunkkutsche — alles das verriet sorgfältige Planung, nur Hasards „Navigation“ hatte der Ränkeschmied nicht bedacht oder für nebensächlich gehalten. Auch die Kutsche jagte vorbei. Der Kutscher hieb wie ein Verrückter auf die vier Rappen ein. Die Kutsche schlingerte mit gefährlichen Schlagseiten über die Vertiefungen und Rillen des Bodens. Hasard schüttelte den Kopf. Bildeten sich die Kerle ein, die drei Flüchtlinge auf diese Weise zu finden? Warum trabten sie nicht auseinandergefächert den Weg zurück und suchten nach Fußspuren? Dann fiel es Hasard ein. Die Kerle hatten es gar nicht nötig, lange nach ihnen zu suchen. Sie wußten, daß die drei Opfer ihres Mordplans nach Chatham zurückkehren würden. Also brauchten sie nur vor der Werft eine Falle aufzubauen, in der sie ihr Wild zu schnappen gedachten. An diesem Punkt seiner Überlegungen lächelte Hasard grimmig. Irrtum, ihr Halsabschneider, dachte er. Ihr werdet euch wundern! Er richtete sich auf und steckte die Reiterpistole zurück in den Gürtel. Von den Reitern und der Kutsche war nichts
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mehr zu hören. Nur eine Staubwolke trieb weiter nördlich in Windrichtung. „Marschieren wir jetzt?“ fragte Hasard Junior. „Klar“, erwiderte Vater Hasard, „aber ich schätze, daß wir bald wieder fahren werden.“ Er grinste seinen Sohn an. „Du sagtest doch, fahren sei besser als laufen, oder?“ Sohn Hasard blickte den Vater ratlos an. „Womit willst du denn fahren, Dad? Die Kutsche ist weg, und andere Kutschen gibt's in dieser Gegend nicht, hier gibt's überhaupt nichts.“ „Es muß ja nicht immer eine Kutsche sein. Söhnchen. Überleg mal. Was könnte das sein?“ Hasard Junior kaute auf seiner Unterlippe herum und legte die Stirn in Falten. Philip Junior schaute angestrengt zu seinem Vater hoch. Sie waren beide schwer am Überlegen. „Na?“ fragte Vater Hasard. „Ihr seid doch sonst solche Schnelldenker. „Hm“, sagte Sohn Hasard. „Hm“, sagte Sohn Philip. „Fahren.“ Er blickte sich um. „Auf dem Wasser kann man noch fahren, aber hier ist keins.“ „Der Medway!“ schrie Hasard Junior. „Ich hab's!“ „Der Medway.“ Vater Hasard nickte. „Richtig. Er fließt östlich von unserem Standort. Wir marschieren hin und sehen zu, daß wir ein Boot irgendwo ergattern.“ „Klauen?“ fragte Philip eifrig. „Mal sehen“, erwiderte Vater Hasard diplomatisch. Sie setzten sich in Marsch. * Knapp zwei Stunden später stießen sie auf den Fluß. Sie hatten ihn bei ihrer östlichen Marschrichtung gar nicht verfehlen können. Bis Maidstone, das wußte Hasard, floß er von Westen her in östlicher Richtung, knickte bei der Stadt aber nach einer Tasche seines Lederkollers ein Norden ab. Zwischen Maidstone und Chatham verlief er nahezu in nördlicher
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Richtung. Irgendwo zwischen diesen beiden Punkten befanden sie sich. Jetzt fehlte nur noch das Boot. Sie fanden es eine Viertelstunde später, nachdem sie am Westufer entlang weiter nordwärts marschiert waren. Es war ein Fischerkahn mit vier Riemen, einem Pfahlmast und einem dazugehörigen trapezförmigen Segel, das mit einer Spiere ausgespreizt werden mußte. Vater Hasard blickte sich um. Weit und breit war niemand zu sehen. Ein Pfad führte von dem Boot weg, das auf das flache Flußufer gezogen war, nach Nordwesten zwischen die Hügel. Sicherlich endete er an einem Gehöft oder einem kleinen Ort, aber Hasard hatte keine Lust, jetzt noch lange nach dem Besitzer des Bootes zu forschen. Allmählich ging es auf den Abend zu. Das Boot war an Land mit einer Vorleine an einem Weidenbaum vertäut. Hasard löste sie. „Also doch klauen“, stellte Sohn Philip sachlich fest. Die beiden Söhnchen zeigten noch keine Ermüdungserscheinungen. Sie waren putzmunter. „Ausleihen“, erwiderte Vater Hasard, „außerdem bezahle ich.“ „Und womit?“ fragte Sohn Hasard. „Hiermit!“ Vater Hasard zog aus Lederbeutelchen hervor. Es enthielt Goldmünzen. Er hängte es sichtbar an einen Ast des Weidenbaums, kurz über die Stelle, wo die Vorleine herumgeschlungen gewesen war. Nach den Mienen seiner Sprößlinge zu urteilen, hätten die es wesentlich spannender gefunden, den Besitzerwechsel abenteuerlicher zu gestalten. Ein Boot zu mausen, entsprach echter Freibeuterart — mit Schätzen, die der Königin gehörten, war das etwas anderes: Vater Hasard begriff, daß hier mal wieder eine erzieherische Lektion fällig war. um die Begriffe von mein und dein zu klären. „Hört zu“, sagte er. „Angenommen, der Besitzer dieses Bootes betreibt die Flußfischerei und lebt mit seiner Familie vom Erlös seines Fangs. Dann ist er auf
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dieses Boot angewiesen, wenn seine Familie nicht verhungern soll. Ich fände es ziemlich mies, ihm das Boot zu klauen, ohne einen Gegenwert zurückzulassen. Mit den Goldmünzen dort in dem Lederbeutelchen kann er sich sogar drei Boote kaufen, wahrscheinlich noch mehr. Seid ihr jetzt einverstanden?“ Sie waren es. Klauen und klauen waren eben zweierlei Dinge, je nachdem, wie man es betrachtete. „Vielleicht ist der Besitzer des Bootes sogar ein armer Mann“, fuhr Vater Hasard fort. „Dann wäre es erst recht hundsgemein von uns, ihm das Boot zu entwenden. Ist das klar?“ Es war klar. Sie wirkten jetzt sogar etwas betreten, die beiden „Rübenschweinchen“, wie Carberry sie zu nennen pflegte. „Dann packt mal mit an“, sagte Vater Hasard und deutete auf zwei Rundhölzer neben dem Boot. „Schnappt euch eins davon und schiebt es achtern unter, wenn ich das Heck anhebe.“ Minuten später hatten sie das Boot auf diese Weise ins Wasser gerollt. Hasard hängte Ruder und Pinne achtern ein, wuchtete den Bug — das Boot lag noch zu einem Viertel auf dem Sand — in den Wind und setzte das Segel. Eine stetige Abendbrise strich von Süden her über den Medway — günstiger Wind für die Flußfahrt nach Norden. Die Jungen jumpten in das Boot. Hasard schob es ganz ins Wasser und sprang hinterher. Mit einem Riemen drückte er den Bug herum, die Strömung half nach, Hasard balancierte nach achtern, packte Pinne und Schot, ging vor den Wind, und schon rauschte das Boot dahin. Jetzt verkündete Hasard Junior, daß Segeln noch besser als Kutschefahren und Laufen sei. Philip bestätigte das. Dann übernahmen sie wechselweise unter Anleitung Vater Hasards das Ruder. Was der Winddruck auf die Segel bewirkt, das wußten sie von der „Isabella“ her, aber dort hatten sie noch nicht am Ruder gestanden. Dazu waren sie noch nicht kräftig genug.
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Aber die Pinne eines Fischerbootes und die Schot des Segels konnten sie führen. Sie begriffen sehr schnell, zumal sie nicht ständig platt vor dem Wind segelten, sondern den Windungen des Medway entsprechend die Segelstellung korrigieren mußten. Anluven — abfallen — halber Wind, am Wind, raumschots, vor dem Wind, das wechselte ständig und verlangte scharfe, nicht erlahmende Aufmerksamkeit. Sie lernten ihre Lektion, einer genauso wie der andere. Die Entführung war längst vergessen. Jetzt waren sie Kapitäne und fuhren ein Schiff. Dann wurde es dunkel. Auch das störte sie nicht. Wenn es sein mußte, würden sie die ganze Nacht durchsegeln — bis ans Ende der Welt. Es waren gute Stunden für den Vater und seine beiden Söhne, sogar bessere als jene in Schloß Greenwich, wäre die Einladung echt gewesen. Vielleicht würden sie daran einmal zurückdenken und dann sagen, daß es die glücklichsten Stunden für sie gewesen wären. Etwa gegen elf Uhr nachts erreichten sie Chatham, und Hasard übernahm wieder das Ruder. Seinen Söhnen befahl er, sich flach hinzulegen. Es war fraglich, ob die Kerle auch den Medway beobachteten, aber sicher war sicher. Im übrigen würde er mit dem Boot am Werftgelände landen — in unmittelbarer Nähe der aufgedockten „Isabella“. Der Eingang zur Werft lag auf der entgegengesetzten Seite, so daß kaum anzunehmen war, daß die Kerle etwas spitzkriegten oder sie gar in der Werft empfingen. Nein, sie würden vor der Werft lauern. Hasard verließ die Flußmitte und steuerte auf die Werft zu. Auf der „Isabella“ brannten ein paar Bordlaternen. Bei der Dunkelheit wirkten sie wie Leuchtfeuer. Der Einschnitt der Dockeinfahrt war deutlich zu erkennen. Hasard bemerkte, wie er sich verschob — hier setzte die Strömung ziemlich stark. Nur ganz knapp erreichte er die Einfahrt, geriet in einen Windschatten, barg das
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Segel, legte die Riemen in die Gabeldollen und pullte die letzte Strecke. Das Boot war längst bemerkt worden. Ja, sie paßten auf, die Seewölfe. Als Hasard an einem kleinen Seitensteg anlegte, tauchte hinter einem Stapel Bauholz eine massige Gestalt auf und betrat den Steg. „Das kann. doch nicht wahr sein!“ grollte eine tiefe Stimme. Edwin Carberry! ,.Red nicht soviel, nimm die Vorleine wahr“, sagte Hasard und grinste zu Carberry hoch. Der Profos schüttelte fassungslos den Kopf, fing die Vorleine auf und belegte sie an einem Pfahl. „Die Rübenschweinchen“, murmelte er erschüttert und hievte die beiden Jungen auf den Steg. „Seid ihr vom Schloß ausgekniffen?“ „Bitte leise, Ed“, befahl Hasard. „Laß uns erst auf die ,Isabella'. Ich berichte dann.“ Die ganze Crew versammelte sich auf der Kuhl, genauso verblüfft wie ihr Profos. Hasard spähte in die Richtung, in der das Werfttor lag. Aber es war zu dunkel, um etwas zu erkennen, außerdem störte das Licht auf der „Isabella“. „Löscht die Bordlaternen“, befahl er. Eine Minute später war es dunkel um sie herum. Die hellen Flecken der Gesichter wandten sich Hasard zu. „Ich will mich kurz fassen“, sagte er. „Die Einladung der Königin war offensichtlich gefälscht. Die Kutsche steuerte nicht Kurs auf Greenwich, sondern südwärts, Richtung der Moore. Als ich es merkte, sprangen wir ab, marschierten zum Medway, fanden ein Boot und segelten hierher zurück.“ Ausrufe der Empörung wurden laut. „Ich bitte um Ruhe!“ fuhr Hasard dazwischen. „Vermutlich befinden sich die Kerle — insgesamt sechs —, die uns zu entführen und aller Wahrscheinlichkeit nach abzumurksen gedachten, vor der Werft, um uns doch noch abzufangen. Drehen wir jetzt den Spieß also um. Will Thorne und Old Donegal bleiben als Wache zurück an Bord — und natürlich meine beiden Jungen. Wir anderen
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schwärmen aus, um uns die Kerle vor der Werft zu schnappen. Keiner wird umgebracht, ich will sie lebend, um zu erfahren, wer ihr Auftraggeber ist, verstanden?“ Die Männer nickten stumm. Aber dann flüsterte Carberry erregt — nein, er zischte es: „Diese Schweine! Zwei Kinder umbringen!“ Er stutzte und schob lauernd den Kopf vor. „Steckt da vielleicht Doughty, der Drecksack, dahinter?“ „Könnte sein, Ed“, sagte Hasard ruhig. „Ich habe ihn ja schließlich schwer genug beleidigt und gedemütigt. Vorwärts jetzt.“ Wie Katzen pirschten sie über das Werftgelände, überstiegen die Umfassungsmauer und schlichen von zwei Seiten und auseinandergefächert auf die Einfahrt zu. Smoky, der Decksälteste der „Isabella“, wurde als erster fündig. Er entdeckte zwei Kerle, die mit dem Rücken zu ihm hinter einem Gebüsch hockten und zu der Straße spähten, die zur Werft führte. Smoky glitt lautlos an sie heran, packte sie an den Haaren und schlug ihre Köpfe zusammen. „Uach!“ ächzte der eine, bevor er aus der Hocke zu Boden kippte. Der andere fiel um, ohne sich zu äußern. Aber unbemerkt war Smokys Aktion nicht geblieben. Die vier anderen Kerle fuhren aus ihren Deckungen hoch, als habe sie jemand gepiekt. Es schien, als wollten sie sich auf Smoky stürzen, aber wie aus dem Boden gestampft stürmten die Seewölfe heran - eine Phalanx von Kämpfern. Deren Anblick war wohl zuviel für die Kerle. „Weg hier!“ brüllte einer von ihnen. Die vier Galgenstricke wirbelten herum und ergriffen die Flucht. Sie liefen wie die Hasen. „Halt!“ befahl Hasard, als er das Trappeln der Hufe hörte. „Es hat keinen Zweck mehr, zu Pferde sind sie schneller als wir.“ „Ich habe zwei von den Strolchen!“ rief Smoky. 8.
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„Ich - ich weiß von nichts“, stammelte der eine der beiden auf der Kuhl der „Isabella“, wohin sie die Kerle geschleppt hatten. Mit ein paar Pützen Seewasser waren sie in die rauhe Wirklichkeit zurückgekehrt. Leider tränkte das Seewasser ihre Lumpen, reinigte aber nicht ihre Seelen. Die Brühe, die sich an Deck zu ihren Füßen sammelte, war schmutzig, das war auch beim Licht der Bordlampen zu sehen, die Hasard wieder hatte entzünden lassen. „Ich - ich weiß auch von nichts“, echote der andere, ein stoppelbärtiger Kerl mit einer Messernarbe über dem Mund. Es sah aus, als hätte er vier Lippen. Er sprach auch nicht sehr deutlich. „So?“ fuhr sie Ed Carberry an. „Wolltet ihr hinter dem Busch, wo ihr erwischt wurdet, Eier legen, was, wie? Für Hühner haben wir hier beste Verwendung, die werden geschlachtet, gerupft und über Holzkohlenglut am Spieß gebraten.“ Matt Davies trat vor und schwenkte seine Hakenprothese. „Laß nur, Ed“, sagte er, „die Vögelchen nehm ich mir vor. Die Holzkohlenglut ist natürlich bestens, um den Haken hier zum Glühen zu bringen. Ich könnte ihnen damit ein schönes Bild auf den Hintern tätowieren - 'ne Seeschlange oder so, 'ne Wassernixe wäre auch nicht schlecht. Was meinst du?“ Carberry grinste teuflisch und rieb sich die Hände. „Gute Idee, Matt“, knurrte er. „Aber auf ihren Bäuchen brauchen sie auch was, hm?“ Die beiden Kerle sahen aus, als wollten sie gleich losheulen. „Auf dem Bauch?“ Matt streichelte mit der Linken den Prothesenhaken, der ihm die rechte Hand ersetzte. „Da könnte ich ihm die ,Isabella` unter vollen Segeln draufritzen, damit ihn das immer daran erinnert, daß er einmal unseren Kapitän und seine beiden Söhnchen entführen und umbringen wollte.“ „Genial!“ erklärte Carberry begeistert, drehte sich um und rief: „Kutscher! Hol das Becken mit der Holzkohlenglut!“
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„Aye, aye, Mister Carberry!“ sagte der Kutscher und eilte in die Kombüse. Erst jetzt waren diese beiden Galgenvögel weichgekocht. Daß die Seewölfe noch nie jemanden gequält hatten, konnten sie ja nicht wissen. Sie ächzten beide und kriegten das große Zittern und Beben. „Ich sage alles!“ schrie der Kerl mit der Messernarbe. „Hol die Holzkohlenglut trotzdem, Kutscher“, befahl Carberry ungerührt, „nachher denkt diese Wanze noch, sie könnte uns die Hucke vollügen, was, wie?“ „Ich – ich spreche die Wahrheit!“ Voller Entsetzen starrte der Mann zum Kombüsenschott, in dem der Kutscher mit dem rauchenden Becken erschien. Die Glut der Holzkohle strahlte ihn an, und er mußte den Kopf wegdrehen. Hasard trat auf den Kerl mit der Messernarbe zu. „Hattet ihr den Auftrag, meine Söhne und mich zu entführen und zu ermorden?“ fragte er. Der Mann nickte, sprechen konnte er nicht, weil seine Zähne aufeinander schlugen und klapperten. „Die Leichen sollten im Moor verschwinden, nicht wahr?“ Erneutes Nicken und Zähneklappern. „Wer ist euer Anführer? Einer von euch beiden?“ Sie schüttelten die Köpfe. Jetzt redete der andere. „Der das Schreiben brachte, ist unser Anführer“, sagte er. „Von wem hatte er es? Wer war der Auftraggeber?“ fragte Hasard scharf. „Ein feingekleideter Gentleman“, erwiderte der Mann. „Nur Jack Pallance, unser Anführer, kennt ihn von London her. Er hat mit ihm verhandelt und von ihm die gefälschte Einladung erhalten.“ Hasard durchbohrte den Mann mit seinem Blick. „Woher weißt du denn, daß der Gentleman feingekleidet war, Freundchen?“ „Weil's Jack Pallance gesagt hat. Er hat gesagt, ein feingekleideter Gentleman habe ihm den Auftrag gegeben, mehr brauchten wir nicht zu wissen, als wir ihn danach
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fragten. Wir wissen aber, daß Jack Pallance für den Gentleman schon mehrere Dinger gefummelt hat. Weil der Gentleman immer prompt und gut bezahlt.“ „Den Namen hat er nie genannt?“ „Nein, nie.“ Der Mann schüttelte den Kopf. Einmal hat er erwähnt, der Gentleman gehöre zu den Hofkreisen.“ Mehr wußten die beiden Kerle nicht, und Hasard war geneigt, ihnen zu glauben. Daß Jack Pallance den Namen seines Auftraggebers verschwieg, war durchaus verständlich. Es war eine reine Vorsichtsmaßnahme und begrenzte den Kreis der Mitwisser. Sie hätten diesen Pallance schnappen müssen, nicht dessen zerlumpte Kerle. Aber wer konnte das ahnen! Ein feingekleideter Gentleman, der zu den Hofkreisen gehört. Doughty? Wer sonst! Es mußte John Doughty sein. Einen anderen Mann am Hofe der Königin, der ihn, den Seewolf, haßte, kannte er nicht. Dieser Mann war damals während Drakes Weltumsegelung nicht davor zurückgeschreckt, über eine Spanierin herzufallen und zu versuchen, ihr Gewalt anzutun. Für dieses Bubenstück war er von Carberry ausgepeitscht worden. Dann hatte er Carberry nachts außenbords gestoßen hinterrücks natürlich. Carberry hatte sich noch an dem nachgeschleppten Beiboot festhalten können. Und da war die Vorleine gekappt worden. Natürlich von Doughty. Und jetzt hatte dieser selbe Doughty den Versuch unternehmen lassen, ihn und seine beiden Söhne umzubringen. Natürlich beschmutzte er sich damit nicht selbst die Finger. Für Mordaufträge benutzte man Handlanger von der Sorte der Schnapphähne, wie sie jetzt zu zweit vor Hasard standen. Es waren erbärmliche Kreaturen. Ein ihnen Unbekannter erteilte den Auftrag, zwei Kinder zu ermorden, und sie waren gewillt gewesen, diese furchtbare Tat auszuführen. Hasard biß knirschend die Zähne zusammen, und sein Gesicht wurde eisig.
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„Befördere sie in den Medway, Ed!“ sagte er hart. „Vielleicht spült sie die Flut in die See - vielleicht auch wieder an Land. Ob sie dann sauberer sein werden, bezweifele ich. Aber sie sollen einmal um ihr Leben kämpfen müssen, um ihr dreckiges Leben, vielleicht begreifen sie dann, was es heißt, anderes Leben kaltblütig auslöschen zu wollen - das Leben von Kindern!“ Carberrys Miene war zu entnehmen, daß er mit den beiden Kerlen anders verfahren wäre. Er hätte ihnen dazu verholfen, den Weg zur Hölle sehr schnell anzutreten. Auch die Mienen der Seewölfe verrieten ähnliche Gedanken. Aber keiner widersprach. Hasards Wort war Gesetz, vor allem in Dingen, die einen Richtspruch bedeuteten. „Vorwärts!“ knurrte Carberry die beiden Galgenstricke an. „Das Bad wartet auf euch!“ Vielleicht waren sie froh, so davongekommen zu sein. Stumm schlichen sie über die Kuhl und folgten dem Profos, der bereits abgeentert war. Auf dem Weg zum Medway versuchten sie es noch einmal. Carberry hatte direkt darauf gewartet. Als sie sich umdrehten, um sich auf ihn zu stürzen, zuckten Carberrys Pranken hoch und wiederholten - der Einfachheit halber - Smokys erprobtes Verfahren. Zum zweiten Male innerhalb einer knappen Stunde schlossen die Köpfe der beiden Kerle innige Bekanntschaft. Carberry setzte allerdings noch mehr Schwung und Kraft ein. Der Erfolg war dementsprechend. Darum konnten sie auch nicht weiter zu Fuß gehen. Der bullige, kraftstrotzende Carberry schnappte sich die Kerle am Schlafittchen, den einen links, den anderen rechts, und schleppte sie wie abgeschossene Hasen zum Flußufer. Er wünschte ihnen eine angenehme Reise und beförderte sie schwungvoll in den Medway. Jetzt war es durchaus möglich, daß sie absoffen. Hätten sie ihn nicht angegriffen, wären sie noch bei Bewußtsein und hätten nun bereits schwimmen können, um ihr schmutziges
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Leben zu retten. Mitleid war da nicht am Platze. Ihre Körper trieben flußabwärts. Carberry spähte ihnen aus schmalen Augen nach, bis sie nicht mehr sichtbar waren. Dann ging er zur „Isabella“ zurück und enterte auf. Hasard nickte ihm stumm zu. Für den Rest der Nacht ließ er doppelte Wachen aufziehen. * Hasard erstattete am nächsten Morgen Admiral Hawkins Bericht über das, was geschehen war, und verschwieg auch seinen Verdacht bezüglich Doughtys nicht. Der alte Pirat war entsetzt. Da hatte er über Doughty noch gewitzelt, als Hasard sich verabschiedet hatte. Und auch die beiden kleinen Teufelsbraten hatten umgebracht werden sollen? Eine verdammte Sache. Der Admiral ließ seine Verbindungen spielen. Auch die „Einladung“ wurde überprüft. Am nächsten Tag bereits erschien ein Beauftragter Sir Francis Walsinghams, des Staatssekretärs der Königin, der ein ausgezeichnetes Spitzel- und Agentennetz aufgebaut hatte. Der Beauftragte berichtete, Sir John Doughty habe vor zwei Tagen London mit unbekanntem Ziel verlassen. Natürlich sei das Schreiben unecht gewesen. Die Königin hatte Sir Hasard und seine beiden Söhne gar nicht eingeladen und weilte auch nicht auf Schloß Greenwich, sondern befand sich wegen der angespannten Lage mit Spanien in London. Weiterhin habe man das Schriftstück prüfen lassen und zum großen Entsetzen des Staatssekretärs feststellen müssen, daß das königliche Siegel nicht gefälscht, sondern echt war. Diesbezügliche Untersuchungen seien im Gange, hätten bisher aber noch zu keinem Erfolg geführt. Sir Francis Walsingham sei explodiert — eine undichte Stelle im Staatssekretariat! Hasard und Admiral Hawkins konnten sich denken, was das bedeutete.
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Aber es blieb ihnen keine Zeit, darüber weiter lange Überlegungen anzustellen. Die Ereignisse überrollten einander. Neue Agentenmeldungen waren in London eingetroffen. Mit absoluter Gewißheit sei in Kürze mit dem Auslaufen der Armada zu rechnen. In der letzten Maiwoche erging von Lord Howard, dem Lordadmiral, der Befehl an alle gefechts- und segelklaren Schiffe der Royal Navy, auszulaufen und Plymouth als Sammelhafen anzusteuern. Die „Isabella“ verließ das Dock. Sie war noch einmal mit Hochdruck überholt worden. Sie hatten Proviant, Pulver und Kugeln übernommen und die neuen Segel probeweise angeschlagen. Die „Isabella“ war besser denn je ausgerüstet. Zusammen mit der „Victory“ Admiral Hawkins verließen sie Chatham, um zum Sammelpunkt in der Themsemündung vor Sheerness zu segeln. Dort befanden sich bereits Admiral Frobishers „Triumph“, Lord Howards „Arc Royal“, die königliche „Elizabeth Bonaventura“, die „Golden Lion“, die „Rainbow“ und wie sie alle hießen. Es waren große und kleine Galeonen, Karavellen, Karacken, Einmaster, Zweimaster, Dreimaster, Viermaster. Nicht nur die Schiffe der Royal Navy hatten sich vor Sheerness versammelt. Auch die Handelsfahrer waren angetreten, um ihr Land zu verteidigen. Bislang hatten sie gemurrt, gemeckert und geschimpft. Das alles galt nichts mehr. Jetzt ging es um ihrer aller Existenz - und sie waren bereit, ihr Leben in die Schanze zu schlagen. Lord Howard hatte durch die Linien geben lassen, er erwarte, daß die Kapitäne auf Biegen und Brechen nach Plymouth segelten. Eile sei geboten. Das war den englischen Kapitänen und ihren Mannschaften gerade recht. Da würden sie es dem verdammten Kommandanten der Royal Navy mal ordentlich geben und diesen Schlickratten zeigen, wie gesegelt wurde. Und die Kommandanten der Kriegsschiffe dachten, daß sie den hochnäsigen Handelsfahrern mal was
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geigen würden, die wurden sowieso jeden Tag pampiger und frecher. Der listige Lordadmiral wußte genau, warum er diese Order gegeben hatte. Sie stachelte den Ehrgeiz aller Kommandanten und Kapitäne an, schneller zu sein als der andere - mit dem frommen Nutzen. daß sie während der Langfahrt nach Plymouth ausgiebig Zeit hatten, Schiffe und Mannschaften zu trimmen. Der Start von über hundert Schiffen begann mit dem Segelsetzen auf dem Flaggschiff des Lordadmirals. Vor Sheerness war der Teufel los. Kommandos dröhnten über die Reede, Ankertrossen wurden gehievt, die Segel entfalteten sich an den Spieren und Rahen. Eine Phalanx von Schiffen setzte sich schwerfällig in Bewegung - nach Osten in Richtung Margate, um Englands Südostspitze zu runden. Bereits in den ersten fünf Minuten verschlug es sämtlichen Admiralen, Kapitänen und Mannschaften die Sprache. Nur einem Kapitän und seinen Männern nicht! Sichtbar für alle stieß eine schlanke Dreimastgaleone aus dem Riesenpulk heraus und setzte sich ab, das heißt, sie zeigte sämtlichen anderen Schiffen ihr Heck. Kapitän Killigrews „Isabella VIII.“! Sie ging auf und davon, bei halbem Wind mit vollen Segeln. „Das ist doch nicht zu fassen!“ brummte Admiral Hawkins. „Und ich Idiot habe mit Kapitän Killigrew noch gewettet, wer von uns beiden als erster in Plymouth sein würde. Dabei wußte ich, daß dieses Schiff unheimlich schnell ist.“ Er lächelte seinen ersten Offizier schief an. „Warum haben Sie dann mit ihm gewettet, Sir?“ fragte der Erste. „Ich hoffte auf schweres Wetter, da muß die ,Victory` einfach schneller sein als die kleinere ,Isabella`.“ „Sind Sie sicher, Sir?“ „Jetzt schon nicht mehr, verdammt! Es bläst nämlich bereits junge Hunde, und das kümmert diese Teufelsbraten da vorn einen Dreck!“ Er setzte das Spektiv ans Auge und peilte voraus. „Die liegt geschmeidig
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wie ein Aal im Wasser“, brummelte er. „Ich glaube, ich habe die Wette jetzt schon verloren.“ Er verlor sie, und zwar mit Pauken und Trompeten. Und er verlor zehn Fässer Rum, um die hatten sie nämlich gewettet. Die Seewölfe würden sich zehn Tage lang einen Vollrausch antrinken können - wenn es sie juckte. Zur Zeit juckte sie gar nichts mehr, höchstens der Übermut. Sie zeigten der gesamten Flotte die Hacken und waren total aus dem Häuschen. Nun wurde manchmal durchaus eine Wettfahrt bereits beim Start gewonnen, und zwar einfach deshalb, weil es einem gelungen war, sich aus der Abdeckung der anderen Segel zu lösen und damit schneller laufen zu können, aber die Fahrt war erst in Plymouth zu Ende. Und bis dahin konnte noch viel passieren. Aber es passierte nichts – höchstens das, daß die Seewölfe ihren Vorsprung Meile um Meile ausbauten und wirklich dem Teufel sämtliche Ohren absegelten. Als sie Dover passierten und den westlichen Kurs absetzten, war hinter ihnen an der Kimm kein Schiff, geschweige denn eine Mastspitze mehr zu sehen. Einsam pflügte die „Isabella“ durch die See. Ja, sie hatte neue Segel und ein tadelloses Unterwasserschiff. Sie war das beste Schiff Englands. Ob sie auch besser als die spanischen Schiffe der Armada sein würde, das würde sich herausstellen. Sie segelten rund um die Sanduhr. Der Sturm aus Westen kümmerte sie nicht, und das Umspringen des Windes ließ sie kalt. Sie nahmen es, wie es kam und setzten ihren Mut, ihr Können und ihre Zähigkeit dagegen. Sie nutzten die Gezeitenströmungen aus, und sie riskierten keinen Kreuzschlag, der sie „auf die Dörfer führte“, wie Carberry es nannte. No, Sir, das taten sie nicht. Anderthalb Tage vor Frobishers „Triumph“ und Hawkins „Victory“, die als dritte folgte, liefen sie in Plymouth ein. Und in Nathaniel Plymsons „Bloody Mary“ flogen noch am selben Abend die Fetzen. Als die Frobishers und dann die
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Hawkins die „Bloody Mary“ aufrollen wollten, hatte der dicke Plymson den Eingang bereits vernagelt, um zu renovieren. Aus dem Fenster über dem Eingang brüllte er nach unten, die verdammten Seewölfe hätten ihm mal wieder alles kurz und klein geschlagen, und seine Perücke sei auch verschwunden. Die Perücke kümmerte die Frobishers und Hawkins einen Kehricht, aber daß die Seewölfe ihnen auch hier voraus gewesen waren, ging ihnen doch unter die Jacke. „Was sind das bloß für Kerle“, murmelte der Profos der Frobishers, „segeln uns einfach davon und lassen uns auch in der verdammten ,Bloody Mary' das Nachsehen.“ „Das sind eben Kerle“, sagte der Profos der Hawkins sinnig. „Idiot!“ sagte der Profos der Frobishers. „Das hab ich doch gerade gemeint!“ Fast hätten sie sich noch geprügelt. 9. Am 2. Juni 1588 waren alle Schiffe des Lordadmirals mit Ausnahme des östlichen Kanalgeschwaders unter Lord Henry Seymour, das den Wachdienst in der Straße von Dover zu versehen hatte, in Plymouth versammelt. Aber dann, merkwürdig genug, verging Woche um Woche, in denen der Lordadmiral zweimal mit seiner Flotte auslief und nach Süden vorstieß, um den Gegner vor die Rohre zu kriegen – umsonst. Erst später erfuhr man, daß das Auslaufen der Armada wegen der Stürme mehrmals abgebrochen worden war. Als Lord Howard beim zweiten Mal wegen eines heftigen Südsturms seinen Vorstoß abbrach und am 22. Juli Plymouth wieder erreichte, war dies genau der Zeitpunkt, an dem Don Alonso de Guzman Gel Bueno, Herzog von Medina und von Philipp II. zum Generalkapitän der Ozeanischen Meere ernannter Befehlshaber der Armada endgültig La Coruna verließ, wo er mit
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seiner Flotte Schutz vor den Stürmen gesucht hatte. Der große Zug nordwärts hatte begonnen. In dieser ganzen Zeit hatte Lord Howard die „Isabella“ aufgrund ihrer Seetüchtigkeit, ihrer Schnelligkeit und ihrer hervorragenden Schiffsführung als Aufklärer weit vor der Flotte eingesetzt. Er wußte, daß er sich auf Kapitän Killigrew verlassen konnte. Der Seewolf selbst hatte sich zu dieser Aufgabe bereit erklärt — freiwillig, ohne dazu einen Befehl erhalten zu haben. In dieser Zeit wurde die „Isabella“ mit ihrem Kapitän und ihrer Mannschaft bei den englischen Schiffen zur Legende. In der Fahrt nach Plymouth hatte sie alle anderen Segler ob groß oder klein abgehängt. Das mochte — der Meinung einiger Kapitäne nach — Zufall oder Glück gewesen sein. Aber sie wurden eines Besseren belehrt. Mit Staunen sahen sie das Ein- und wieder Auslaufen der „Isabella“ während ihrer Zeit als Aufklärer. Dieses Schiff und seine Männer waren nicht kleinzukriegen. Dabei waren die anderen Schiffe weiß Gott nicht mit Stümpern oder Landratten, sondern mit salzdurchtränkten Seefahrern besetzt. Aber diese Seewölfe waren noch besser. Die kümmerte es den Teufel, welcher Wind wehte und wie hoch die See ging. Sie karrten ihr Schiff durch jedes Wetter. Sie liefen ein, verproviantierten sich kurz, ihr Kapitän gab seine Meldungen beim Lordadmiral ab — und schon liefen sie wieder aus, unermüdlich, Woche um Woche. Nichts schien diese Kerle umbringen zu können. Und wenn sie zwischendurch noch ein paar Stunden Zeit hatten, dann rappelten die Wände in der „Bloody Mary“, und der dicke Plymson suchte seine fünfundvierzigste Perücke. So war das auch am 23. Juli. Am Vormittag lief die „Isabella“ ein, am Nachmittag ging sie wieder hinaus in See. Als am 27. Juli ein Westnordwest über den Atlantik tobte, wußten die Leute in Plymouth, daß sich mit diesem Monster die Seewölfe herumbalgten. Und so mancher im Hafen erschauerte.
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Zu diesem Zeitpunkt hatte die Armada die Ile de Quessant hinter sich gebracht und steuerte Nordkurs auf Kap Lizard zu. Und am Nachmittag dieses 27. Juli sichtete die „Isabella“ die Mastspitzen einer ungeheuerlichen Formation, die sich über die ganze Südostkimm zu erstrecken schien. Hasard lief sofort ab, hielt Fühlung und beobachtete. Die Seewölfe hatten schon viel gesehen, aber dieses Mal verschlug es ihnen die Sprache. Es war gigantisch, was die Spanier aufgeboten hatten. Sie segelten in der Formation einer riesigen Mondsichel — als wollten sie alles überrollen, was sich ihnen in den Weg stellte. Und von Westnordwest fegte der Sturm, jaulte und pfiff über die See, peitschte die Wellen zu Brechern, jagte Gischtschleier vor sich her. Die Seewölfe kannten ihren Kapitän als einen Mann kurzer Entschlüsse. Was er aber jetzt wieder ausheckte, grenzte schlicht ans Verrückte. Oder war es deshalb so gut? „Ben“, sagte Hasard grinsend, „je früher wir den Dons einen überbraten, desto besser — wegen der Kampfmoral und so, verstehst du?“ Ben Brighton schwieg. Das Ei gibt's gar nicht, das der nicht ausbrütet, dachte er nur. Mit Entsetzen hörte er zu. „Al Conroy und ich besetzen die Jolle“, sagte Hasard. „Dann lassen wir uns in die Armada sacken, von einem der Kästen aufnehmen — und den jagen wir dann in die Luft!“ Aha, dachte Ben Brighton verbissen, du bist total verrückt, Sir Hasard! „Al und ich mimen schiffbrüchige irische Fischer, die ihren Kahn in dem Sturm verloren haben und sich noch in die Jolle retten konnten“, erklärte Hasard weiter. „Wie findest du das?“ „Ihr habt nicht die Absicht, mit in die Luft zu fliegen?“ erkundigte sich Ben Brighton vorsichtig. „Wir haben doch die Jolle. Die müssen die Dons achtern anhängen — sie ist doch
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unser einziger Besitz, klar? In die verholen wir uns, bevor es rumst.“ „Na ja“, sagte Ben Brighton lahm, „da bleibt ihr uns ja hoffentlich erhalten.“ „Natürlich“, sagte Hasard. „Und ihr werdet zeigen, was ihr könnt! Nämlich unter Vollzeug nach Plymouth segeln und den Lordadmiral alarmieren, daß die Dons im Anmarsch seien.“ „Amen“, sagte Ben Brighton, „und was erkläre ich deinen beiden Söhnen, wenn sich ihr Vater zusammen mit dem Waffenmeister Al Conroy bei den Engelchen versammelt hat?“ Hasards Söhne waren nämlich für die Dauer der Atlantikunternehmungen bei Sir Freemont in der Nähe von Plymouth untergebracht worden. Sie hatten zwar in guter alter Carberry-Manier geflucht, aber da war Hasard unerbittlich gewesen. Im übrigen kannte Doc Freemont die Zwillinge. Er hatte bei ihrer Geburt ärztliche Hilfe geleistet und hatte sie betreut, als sie entführt worden waren. Fast war es, als seien sie seine eigenen Söhne. Hasard runzelte die Stirn und blickte seinen Ersten strafend an. „Eine dämliche Frage. Al und ich versammeln uns eben nicht bei den Engelchen.“ „Natürlich“, sagte Ben Brighton bissig. „Natürlich“, sagte Hasard. „Sonst alles klar, Mister Brighton?“ „Völlig klar.“ „Dann sag Al Bescheid. Er soll Lunten und den ganzen Kram fürs Feuerwerk mitbringen. Wir gehen in den Wind und setzen die Jolle aus. Hopp-hopp, Mister Brighton!“ An der Grenze der Sichtweite und in der Deckung von Regenschwaden lief die „Isabella“ nach Nordwesten gestaffelt vor der Armada her. Dan O'Flynn, der Mann mit den besten Augen an Bord, beobachtete vom Großmars aus und mit dem Spektiv bewaffnet, wie die winzige Jolle tatsächlich bei einer riesigen Viermastkaracke längsseits ging. Mindestens achthundert Tonnen mußte dieser Kasten haben.
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Und aufatmend sah Dan O'Flynn, daß die Jolle achtern an die Karacke angehängt wurde. Sie hatten es geschafft. Er enterte ab und kletterte zu Ben Brighton aufs Achterdeck. „Alles klar“, sagte er nur. „Sie sind an Bord dieser Viermastkaracke.“ Ben nickte und ließ die Marssegel wieder setzen. Die „Isabella“ stob nach Norden davon. Im Morgengrauen stieß sie auf die alte „Golden Hind“, mit der Drake um die Welt gesegelt war. Jetzt fuhr sie unter Kapitän Thomas Fleming und versah ebenfalls Vorpostendienst. Ben Brighton ging bis auf Rufweite an die „Golden Hind“ heran, nahm das Sprachrohr, das stets im Ruderhaus hing, und brüllte zu Kapitän Fleming hinüber: „Feind in Sicht! Steuert Nordkurs auf Kap Lizard zu. Wir haben ihn gestern nachmittag gesichtet, da hatte er sie Ile de Quessant bereits hinter sich gelassen! Bitte alarmieren Sie den Lordadmiral, Fleming!“ „Aye, aye!“ brüllte Kapitän Fleming zurück. „Wo steckt denn Kapitän Killigrew?“ „An Bord einer Viermastkaracke der Dons - die will er in die Luft jagen. Er hat sich als irischer Schiffbrüchiger aufnehmen lassen - zusammen mit unserem Waffenmeister!“ „Jesus Maria“, murmelte Kapitän Fleming, aber das konnte Ben Brighton nicht hören. Ben Brighton rief: „Ich bleibe an der Armada dran, um wenn möglich unseren Kapitän und unseren Waffenmeister aufzufischen!“ „Verstanden! Viel Glück!“ brüllte Kapitän Fleming. Sie winkten sich zu. Die „Golden Hind“ segelte nordwärts, die „Isabella“ nach Süden. Am 29. Juli lief die „Golden Hind“ in Plymouth ein, und Kapitän Fleming übermittelte dem Lordadmiral die Meldung Ben Brightons. Als die Schiffe des Lordadmirals dem Feind entgegensegelten, wußte jeder Kapitän, daß an Bord einer spanischen Viermastkaracke zwei Engländer aufgenommen worden waren: Kapitän Killigrew und sein Waffenmeister. Lord
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Howards Befehl lautete: Bei Gefechtsberührung mit Viermastkaracken kein Angriff! * Die Viermastkaracke hieß „San Salvador“ und gehörte zu dem Geschwader der baskischen Provinz Guipuzcoa, das unter dem Befehl Miguel de Oquendos stand. Die Karacke war das Vizeflaggschiff des Geschwaders und nahm in der Formation der Mondsichel den rechten, achternen Flügel ein. Ja, sie hatten es geschafft, die beiden, und mimten erfolgreich schiffbrüchige irische Fischer. Ein Dolmetscher mußte geholt werden, der die Fragen des Kapitäns der „San Salvador“, Juan de Villaviciosa, den beiden „Iren“ übersetzte. Natürlich verstanden Hasard und Al Conroy die spanische Sprache und konnten sich auf die Fragen rechtzeitig einstellen. „Also Iren“, meinte der Kapitän und rieb sich die Hände. „Sagen Sie den Kerlen, daß wir sie als Lotsen in diesem verdammten Gewässer gebrauchen können. Wir haben ihnen das Leben gerettet — dafür können sie jetzt etwas für uns tun, verstanden?“ Der Dolmetscher nickte und übersetzte. Hasard schüttelte brummig den Kopf. „Wir wollten eigentlich nur Trinkwasser haben; weil wir seit drei Tagen ohne Wasser waren. Geben Sie uns Trinkwasser, Senor, dann verschwinden wir wieder. Mit dem Krieg zwischen Spanien und England haben wir nichts zu tun, wir sind arme irische Fischer und haben genug um die Ohren, um unsere Familien nicht verhungern zu lassen.“ Der Dolmetscher palaverte los, und Hasard bemerkte, wie der spanische Kapitän wütend wurde. Hasard mußte sich ein Grinsen verkneifen. Al Conroy ging es genauso. „Der ist wohl übergeschnappt, der Kerl!“ tobte der Kapitän. „Trinkwasser! Hier geht's um andere Dinge! Was interessieren mich arme irische Familien!“
Feind in Sicht
Der Dolmetscher wagte einen Einwand: „Wir sind mit den Iren gewissermaßen verbündet, Senor Kapitän, ich bitte das zu bedenken.“ „Quatsch!“ wurde er abgefertigt. „Die Kerle bleiben an Bord und stehen dem Steuermann zur Verfügung. Wenn sie sich weigern, werden sie über Bord geworfen! Sagen Sie ihnen das!“ Hasard und Al Conroy vernahmen die Antwort des Dolmetschers, begannen zu jammern und willigten schließlich ein. Zusammen mit dem Dolmetscher wurden sie zu dem Lotsen der „San Salvador“ „abgestellt“, einem etwas schläfrigen Portugiesen, der noch schläfriger wurde, als er vernahm, daß er nunmehr zwei sachkundige Helfer hatte, denen er Verantwortung zuschieben konnte. Daß es Iren waren, interessierte ihn nicht. Von ihm aus hätten es auch Muselmanen sein können, Hauptsache, er hatte weniger zu tun. Insofern spielte er auch nicht den Wachhund. Dazu war er viel zu träge, und von Mißtrauen hielt er wohl auch nicht viel. So übernahm denn Hasard die Aufgabe, dem Lotsen wort- und gestenreich die finstersten Geschichten über Gezeitenströme, Klippen und Untiefen zu erzählen, während Al Conroy dadurch die Gelegenheit erhielt, unauffällig auf die Pirsch zu gehen. Merkwürdigerweise funktionierte das besser, als er gedacht hatte. Man hielt diese beiden Iren für etwas beschränkt und war weit davon entfernt, in ihnen einen Feind zu wittern. Warum auch? Wohlwollend hatte der Dolmetscher gestattet, daß sich der eine „Ire“, Al Conroy, ein wenig auf dem Schiff umsah. Diese Iren kannten ja nur ihre Fischerkähne. Jetzt sollten sie mal das große Staunen kriegen, was für herrliche Schiffe für Philipp II. und Spanien segelten, jawohl. Auf diese Weise gelangte Al Conroy, der sich sattsam auf Schiffen aller Typen auskannte, in die achterne Pulverkammer. Und dort ging er sofort ans Werk. Solange kein Engländer gesichtet war und Pulver
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gemannt werden mußte, hielt sich niemand in den muffigen unteren Schiffsräumen auf. Offenbar fühlten sich die Spanier auch sicher und schienen die Ansicht zu vertreten - wie da und dort zu hören gewesen war -, daß man mit den Engländern kurzen Prozeß machen würde. Al Conroy hatte sich die Luntenschnur um den Leib gewickelt. Jetzt enttörnte er sie und führte sie in ein Pulverfaß, das etwa in der Mitte der riesigen Pulverkammer stand. Er legte sie so, daß sie in der Kammer selbst zwischen den anderen Fässern verschwand. In einer Ecke der Kammer entdeckte er oben unter den Decksbalken ein Loch, das wohl dazu diente, die Pulverkammer mittels Schläuchen zu fluten, falls irgendwo ein Brand ausbrach. Durch dieses Loch fieselte er die Lunte. Auf dem Deck über der Pulverkammer setzte er sein Werk fort. Auch dort war oben wiederum ein Loch. Und darüber wieder eins. Zu Ende waren alle diese Zugänge in einer Nische auf der Backbordseite eines Ganges des obersten Decks, wo sich die Kapitänsund Offizierskammern befanden. Hier mußte Al Conroy verdammt vorsichtig sein. Mit schnellen Griffen verklemmte er mit kleinen Holzkeilen das Ende der Lunte im obersten Loch. Dann schlenderte er zum Ruderhaus zurück. In einem unbeobachteten Moment verständigte er Hasard, daß alles klar zur Sprengung sei. Und dann warteten sie. Vier Tage später prallten die bei den Flotten südlich von Plymouth aufeinander. Es war gegen neun Uhr vormittags. Die ersten Plänkeleien begannen. Die Gegner
Feind in Sicht
tasteten sich ab. Auffallend war, daß die englischen Schiffe die riesige Viermastkaracke mieden. Kapitän de Villaviciosa vertrat die höhnische Ansicht, den Engländern flattere bereits beim Anblick seines stolzen Schiffes das Herz und sacke ihnen in die Hosen. Jetzt waren die Offiziere alle oben auf dem Achterdeck. Hasard nickte Al Conroy zu, und der verschwand unauffällig. Fünf Minuten später stand er wieder neben Hasard und grinste. Dann verzogen sie sich nach achtern. Niemand achtete mehr auf sie. Die „Iren“ waren überflüssig geworden. Das fanden Hasard und Al Conroy auch. Sie enterten ab, jumpten in die Jolle, kappten die Vorleine und ließen sich achteraus sacken. Die Karacke rauschte davon. Sie war etwa achthundert Yards von ihnen entfernt, da bog sich ihr Achterdeck auf, platzte auseinander, eine riesige Stichflamme schoß in den Himmel, und dann rollte der Donner einer gewaltigen Explosion über die See. Es war, als hielte alles den Atem an. Ein Paukenschlag hatte die Schlacht eröffnet. Eine Stunde später fischte die „Isabella“ die Jolle auf. Um die Mondsichel der „Unbesiegbaren“ tobte das Inferno. Sie war nicht unbesiegbar. Eins ihrer schönsten Schiffe war bereits in die Luft geflogen. Hasard kletterte an Deck und sagte zu Ben Brighton. der breit grinste: „Die Engelchen wollten uns nicht haben. Melde mich gehorsamst zurück an Bord ...“
ENDE