Fritz Klocke · Wilfried König Fertigungsverfahren 3
Fritz Klocke · Wilfried König
Fertigungsverfahren 3 Abtragen, Generieren Lasermaterialbearbeitung
4., neu bearbeitete Auflage
Mit 226 Abbildungen
13
Professor Dr.-Ing. Fritz Klocke Professor em. Dr.-Ing. Dr. h.c. mult. Wilfried König † RWTH Aachen Lehrstuhl für Technologie der Fertigungsverfahren Steinbachstr. 19 52074 Aachen
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isbn-10 3-540-23492-6 Springer Berlin Heidelberg New York isbn-13 978-3-540-23492-0 Springer Berlin Heidelberg New York 4. Auflage Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2007 Printed in Germany Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Buch berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Sollte in diesem Werk direkt oder indirekt auf Gesetze, Vorschriften oder Richtlinien (z. B. din, vdi, vde) Bezug genommen oder aus ihnen zitiert worden sein, so kann der Verlag keine Gewähr für die Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität übernehmen. Es empfiehlt sich, gegebenenfalls für die eigenen Arbeiten die vollständigen Vorschriften oder Richtlinien in der jeweils gültigen Fassung hinzuzuziehen. Einbandgestaltung: medionet AG, Berlin Satz: Digitale Druckvorlage des Autors Gedruckt auf säurefreiem Papier 68/3020/m
-543210
Vorwort zum Kompendium „Fertigungsverfahren“
Verfahrensauswahl und Verfahrensgestaltung sind sowohl in der Industrie als auch im Handwerk Schlüsselfunktionen für die wirtschaftliche Herstellung hochqualitativer Produkte. Die Technologie der Fertigungsverfahren gehört zum elementaren Rüstzeug eines jeden Betriebsingenieurs, aber auch Konstrukteure müssen sich in diesem Bereich orientieren, da bei ihnen eine hohe Verantwortung für die Herstellungskosten liegt. Der Studierende und der um seine Fortbildung bemühte Praktiker stehen mittlerweile gleichermaßen vor einer Fülle von Literatur, die nur schwer zu überschauen ist. Das vorliegende Kompendium hat die Intention, dem interessierten Leser zu einem guten Überblick des Gebiets zu verhelfen und den noch unentschlossenen Studierenden davon zu begeistern, physikalische Wirkzusammenhänge zu erkennen und diese durch den geschickten fertigungstechnischen Einsatz erfolgreich für die Industrie nutzbar zu machen. In diesem Sinne ist es mein Anliegen, über die Beschreibung der einzelnen Verfahrensprinzipien hinaus, vor allem grundsätzliche Einblicke in die ihnen zugrunde liegenden Wirkmechanismen zu vermitteln. Die Aufteilung des umfangreichen Stoffs der spanenden Fertigungsverfahren erfolgte auf zwei Bände. Die umformenden Fertigungsverfahren, Massivumformung und Blechumformung, wurden in einem eigenständigen Band zusammengeführt. Den Fertigungsverfahren des Urformens wurde in einem weiteren Band ein angemessener Umfang eingeräumt, da die Herstellung der Halbzeuge für alle anderen Verfahren eine wichtige Rolle spielt. Die Aufteilung der Reihe „Fertigungsverfahren“ liegt damit wie folgt vor: Band 1: Drehen, Fräsen, Bohren Band 2: Schleifen, Honen, Läppen Band 3: Abtragen, Generieren und Lasermaterialbearbeitung Band 4: Umformen Band 5: Urformen
VI
Vorwort zum Kompendium „Fertigungsverfahren“
In jedem Band werden Verfahrensgruppen mit ähnlichem Wirkprinzip zusammengefasst. Im ersten Band ist ein verfahrensübergreifender Abschnitt zur Fertigungsmesstechnik und Werkstückqualität dem weiteren Inhalt vorangestellt. Innerhalb der einzelnen Bände wurde Wert darauf gelegt, eine enzyklopädische Verfahrensauflistung zu vermeiden. Dies gelang durch eine logische Struktur, die sich am Wirkprinzip orientiert. Besonders aus didaktischen Gründen hat sich diese Vorgehensweise in der Hochschulpraxis bestens bewährt. Daran schließt sich die Ableitung der Werkzeugbeanspruchung und die einsatzgerechte Gestaltung von Werkzeugen an. Abschließend werden die einzelnen Verfahrensvarianten im Detail diskutiert. Das Kompendium richtet sich an Ingenieure und Studenten der Ingenieurwissenschaften der Bereiche Produktionstechnik, Fertigungstechnik sowie Konstruktion und Produktentwicklung. Dem Betriebsingenieur soll das Kompendium zur Auffrischung und Erweiterung seiner Kenntnisse unterstützend und hilfreich zur Seite stehen. Ich wünsche den Lesern, dass dieses Buch ihnen Ausgangspunkte und Wege bietet, auf denen sie durch ingenieurmäßiges Denken zu erfolgreichem Handeln geführt werden. Aachen, Mai 2006
FRITZ KLOCKE
Vorwort zum Band 3 „Abtragen, Generieren und Lasermaterialbearbeitung“
Im Mittelpunkt des vorliegenden dritten Bands des Kompendiums "Fertigungsverfahren" steht die Darstellung der Verfahrensgrundlagen und der prozesstechnischen Zusammenhänge für die abtragenden Fertigungsverfahren und die Lasermaterialbearbeitung. Im Hinblick auf die Geschichte der Fertigungstechnik handelt es sich bei beiden um relativ junge Verfahren, die sich erst in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts etabliert haben, da erst zu dieser Zeit die technologischen Grundlagen geschaffen wurden. Darüber hinaus werden weitere Fertigungsverfahren, die aufgrund des Verfahrensprinzips bzw. einer ähnlichen fertigungstechnologischen Aufgabenstellung ebenfalls hier eingeordnet werden können, vorgestellt. Dies sind die Galvanotechnik, das Hochdruckwasserstrahlschneiden und das Ultraschallschwingläppen. Im Gegensatz zur 3. Auflage wurden die generierenden Fertigungsverfahren (Layer Technologies) aus diesem Band herausgenommen und in den neuen Band 5 Urformen integriert. Dafür wurde die Galvanotechnik aufgrund des zur elektrochemischen Metallbearbeitung sehr ähnlichen physikalischen Wirkprinzips erstmalig in diese Neuüberarbeitung des Bandes aufgenommen. Hierbei wird insbesondere auf die Einsatzgebiete dieser Technologie für die Werkzeugherstellung eingegangen. Ebenfalls neu integriert wurde der Aspekt der Mikrobearbeitung bei den verschiedenen Fertigungsverfahren. Der Leser soll insgesamt einen Einblick in die Fertigungsverfahren erhalten und somit zu einem grundlegenden Verständnis gelangen, welches Voraussetzung für einen anwendungsgerechten Einsatz ist. Das Buch wendet sich dabei sowohl an den Studenten der Ingenieurwissenschaften als auch an den in der Praxis tätigen Ingenieur. Als Basis für dieses Buch dienen die Vorlesung „Fertigungstechnik I und II“ und die dazugehörigen Übungen. Zur weiteren Verbesserung des Verständnisses werden viele aktuelle Anwendungsbeispiele aus der Praxis herangezogen.
VIII Vorwort zum Band 3 „Abtragen, Generieren und Lasermaterialbearbeitung“
Für die vollständige Überarbeitung und Neustrukturierung dieser vierten Auflage möchte ich mich bei meinen Mitarbeitern, Frau Dipl.-Ing. S. Kamenzky und den Herren Dipl.-Ing. G. Antonoglou, Dipl.-Ing. O. Auer, Dipl.-Ing. S. Bausch, Dipl.-Ing. A. Castell-Codesal, Dipl.-Ing. D. Donst, Dipl.-Ing. T. Gläser, Dipl.-Ing. A. Klink, Dipl.-Ing. M. Kordt, Dipl.-Phys. P. Senster, H. Schumacher, Dipl.-Ing. A. Weber, Dipl.-Ing. T. Wehrmeister sowie Herrn Dipl.-Ing. D. Thomaidis, der auch für die Koordination der Arbeiten an diesem Buch verantwortlich war, bedanken. Ferner gilt mein Dank auch den ehemaligen Assistenten, die bei der Erstellung der vorhergehenden drei Auflagen mitgewirkt haben und jetzt leitende Positionen in der Industrie einnehmen. Aachen, Mai 2006
FRITZ KLOCKE
Inhalt
Inhalt........................................................................................................ IX Formelzeichen und Abkürzungen ...................................................... XIII Einleitung.................................................................................................... 1 2 Funkenerosives Abtragen (EDM).......................................................... 3 2.1 Grundlagen ....................................................................................... 3 2.1.1 Physikalisches Prinzip ............................................................... 3 2.1.2 Prinzipieller Aufbau von Funkenerosionsanlagen..................... 7 2.1.3 Verfahrensvarianten................................................................. 17 2.1.4 Modelle zur Funkenerosion ..................................................... 27 2.2 Technologie .................................................................................... 37 2.2.1 Funkenerosives Senken ........................................................... 37 2.2.2 Funkenerosives Schneiden mit ablaufender Drahtelektrode ... 47 2.2.3 Oberflächenbeschaffenheit ...................................................... 63 2.3 Elektrodenmaterialien und Elektrodenherstellung.......................... 77 2.4 Arbeitssicherheit und Umweltschutz .............................................. 83 2.4.1 Arbeitssicherheit...................................................................... 83 2.4.2 Umweltschutz .......................................................................... 85 2.5 Anwendungsbeispiele ..................................................................... 86 2.5.1 Senken ..................................................................................... 86 2.5.2 Schneiden ................................................................................ 95 2.5.3 Funkenerosives Abrichten von Schleifwerkzeugen............... 100 2.6 Mikrofunkenerosion ..................................................................... 103 2.6.1 Mikrosenken .......................................................................... 103 2.6.2 Mikrodrahterosion ................................................................. 109 3 Chemisches Abtragen ......................................................................... 127 3.1 Ätzabtragen................................................................................... 127 3.2 Thermisch-chemisches Entgraten ................................................. 128
X
Inhalt
4 Elektrochemisches Abtragen (ECM) ................................................ 133 4.1 Grundlagen ................................................................................... 133 4.1.1 Prinzip der anodischen Metallauflösung ............................... 134 4.1.2 Aufbau von EC-Senkanlagen ................................................ 142 4.2 Technologie .................................................................................. 146 4.2.1 Maschinenparameter.............................................................. 147 4.2.2 Elektrolyte ............................................................................. 152 4.2.3 Werkstoffe ............................................................................. 153 4.2.4 Gepulste EC-Bearbeitung ...................................................... 156 4.2.5 Bahn-EC-Bearbeitung ........................................................... 158 4.3 Arbeitssicherheit und Umweltschutz............................................ 159 4.4 Anwendungsbeispiele für das elektrochemische Senken ............. 161 4.5 Sonderverfahren der elektrochemischen Bearbeitung .................. 167 4.5.1 EC-Endbearbeitung funkenerodierter Bauteile...................... 167 4.5.2 Elektrochemische Bohrverfahren .......................................... 168 4.5.3 Elektrochemisches Entgraten ................................................ 171 4.6 Elektrochemisches Oberflächenabtragen...................................... 173 4.7 EC-Abrichten feinkörniger Schleifwerkzeuge.............................. 178 4.7.1 Electrolytic In-Process Dressing (ELID)............................... 178 4.7.2 Electrochemical In-Process Controlled Dressing (ECD)....... 182 4.7.3 Electro Chemical Discharge Machining (ECDM)................. 183 4.8 Elektrochemische Mikrobearbeitung............................................ 184 5 Galvanotechnik ................................................................................... 187 5.1 Grundlagen ................................................................................... 187 5.2 Technologie .................................................................................. 190 5.2.1 Anlagentechnik...................................................................... 190 5.2.2 Sonderverfahren .................................................................... 191 5.3 Arbeitssicherheit und Umweltschutz............................................ 192 5.4 Anwendungsbeispiele................................................................... 193 5.4.1 Galvanisch beschichtete EDM-Drähte .................................. 193 5.4.2 Galvanisch gebundene Schleifscheiben................................. 194 5.4.3 Werkzeugherstellung mit dem LIGA-Verfahren................... 198 6 Lasermaterialbearbeitung.................................................................. 201 6.1 Grundlagen der Bearbeitung mit Lasern....................................... 202 6.1.1 Erzeugung und Charakterisierung von Laserstrahlung.......... 202 6.1.2 Laserstrahlquellen.................................................................. 216 6.1.3 Aufbau von Laseranlagen...................................................... 229 6.2 Sicherheitsmaßnahmen bei der Lasermaterialbearbeitung ........... 239 6.2.1 Gefahr für Auge und Haut ..................................................... 239
Inhalt
XI
6.2.2 Schutzmaßnahmen................................................................. 243 6.3 Technologie .................................................................................. 246 6.3.1 Laserstrahlschneiden ............................................................. 246 6.3.2 Laserstrahlfügen .................................................................... 252 6.3.3 Laserstrahloberflächenbehandlung ........................................ 258 6.3.4 Laserstrahlabtragen................................................................ 263 6.3.5 Laserunterstützte Bearbeitung ............................................... 269 6.4 Anwendungsbeispiele ................................................................... 280 6.4.1 Laserstrahlschneiden ............................................................. 280 6.4.2 Laserstrahlfügen .................................................................... 283 6.4.3 Laserstrahloberflächenbehandlung ........................................ 288 6.4.4 Laserstrahlabtragen................................................................ 292 6.4.5 Laserunterstützte Bearbeitung ............................................... 296 6.5 Entwicklungstendenzen ................................................................ 301 7 Materialbearbeitung mit Elektronenstrahlen (EBM) ..................... 305 7.1 Grundlagen ................................................................................... 305 7.1.1 Physikalisches Prinzip ........................................................... 305 7.1.2 Elektronenstrahlanlage .......................................................... 306 7.2 Leistungsfähigkeit und Einsatzbereiche ....................................... 308 7.2.1 Kunststoffbearbeitung mit dem Elektronenstrahl .................. 308 7.2.2 Elektronenstrahlhärten........................................................... 309 7.2.3 Umschmelzveredeln .............................................................. 309 7.2.4 Elektronenstrahlschweißen .................................................... 311 7.2.5 Perforieren, Bohren, Fräsen, Gravieren................................. 314 7.2.6 Polieren.................................................................................. 315 8 Materialbearbeitung mit Hochdruckwasserstrahl .......................... 321 8.1 Grundlagen ................................................................................... 321 8.1.1 Wirkmechanismen des Wasserstrahlschneidens.................... 321 8.1.2 Systemkomponenten.............................................................. 322 8.2 Technologie .................................................................................. 326 8.3 Anwendung und Einsatzgebiete ................................................... 328 8.4 Entwicklungstendenzen ................................................................ 331 9 Ultraschallschwingläppen .................................................................. 333 9.1 Grundlagen ................................................................................... 333 9.1.1 Verfahrensbeschreibung und Abtragprinzip.......................... 333 9.1.2 Aufbau von USM-Anlagen.................................................... 335 9.2 Technologie .................................................................................. 338 9.2.1 Prozessparameter ................................................................... 338 9.2.2 Läppmittel.............................................................................. 342
XII
Inhalt
9.2.3 Formzeug............................................................................... 344 9.2.4 Prozessüberwachung mittels Acoustic Emission................... 350 9.2.5 Prozessvariante – Ultraschallbahnbearbeitung ...................... 352 9.2.6 Werkstoffe ............................................................................. 353 9.3 Bearbeitungsbeispiele................................................................... 356 Literatur ................................................................................................. 361 Normen, Richtlinien und Internetadressen ......................................... 381 Sachwortverzeichnis .............................................................................. 383
Formelzeichen und Abkürzungen
Großbuchstaben 2D
-
zweidimensional
3D
-
dreidimensional
A
%
Absorptionsgrad
A
mm2
Elektrodenfläche
A
mm2
Querschnittsfläche
AE
-
Acoustic Emission
AFM
-
Atomic Force Microscope
Al2O3
-
Aluminiumoxid
B
m
Breite
B4C
-
Borkarbid
BAT
-
Biologische Arbeitsplatzkonzentration
BPP
mm·mrad
Beam Parameter Product
C
kg/100 l H2O
Elektrolytkonzentration
C
F
Kapazität
CAD
-
Computer Aided Design
CAM
-
Computer Aided Manufacturing
CDL
F
Doppelschichtkapazität
CFK
-
kohlenstofffaserverstärkter Kunststoff
CH
-
kohlenstoffbasiert
XIV
Formelzeichen und Abkürzungen
CNC
-
Computerised Numerical Control
CO2
-
Kohlenstoffdioxid
D
mm
Rohrdurchmesser exzentrisch
E E
J oder eV
Energie, Energieniveau
EP
J
Pulsenergie
ǻE
J oder eV
Energiebandbreite
EBM
-
Electro Beam Machining
ECD
-
Electrochemical In-Process Controlled Dressing
ECDD
-
Electro Contact Discharge Dressing
ECDM
-
Electro Chemical Discharge Machining
ECHSM
-
Expanding Circular Heat Source Model
ECF
-
Elektrochemisches Feinbohren
ECM
-
Electro Chemical Machining
Ed
kJ/kg
Energiedichte
EDM
-
Electro Discharge Machining
EDT
-
Electro Discharge Truing
EDX
-
Energy Dispersive X-ray
EKA
-
Expositionsäquivalent für krebserzeugende Arbeitsstoffe
ELID
-
Electrolytic In-Process Dressing
EMM
-
Electro Chemical Micro Machining
ESD
-
Electro Steam Drilling
EZ
-
Eigenspannungszone
Formelzeichen und Abkürzungen
F
A s/mol
Faradaykonstante
F
N
Umformkraft
Fc
N
Schnittkraft
FD
N
Drahtvorspannkraft
FEntl
N
Entladungskraft
Ff
N
statische Vorschubkraft
FRück
N
Rückstellkraft
GS
XV
Oberflächenglanz
H
m
Höhe
HDL
-
Hochleistungsdiodenlaser
HIG
-
Hochdruck-Inertgas Schneiden
HK
kN/mm²
Knoophärte
HIPSN
-
Hot Isostatic Pressed Silicon Nitride bzw. heiß-isostatisch gepresste Siliziumnitridkeramik
HRC
-
Rockwellhärte
HV
-
Vickershärte
I
A
Arbeitsstrom, Stromstärke
I
W/cm²
Intensität
IS
A
Strahlstrom
IEDD
-
In-Process Electro Discharge Dressing
IR
-
Infrarot
J
A/mm²
Stromdichte
JK
A/mm²
Korrosionsstromdichte
JKnick
A/mm²
Stromdichteschwelle, an der der Reaktionsmechanismus wechselt
XVI
Formelzeichen und Abkürzungen
K
-
Strahlqualitätskennzahl, normierte Strahlqualität
KF
µm
Formzeugkonizität
KIC
MN m-3/2
Risszähigkeit
L
m
Länge
L
Henry
Induktivität
L1
Henry
Induktivität im Aufladekreis
Le
Henry
Induktivität im Entladekreis
LBM
-
Laser Beam Machining
LMB
-
Lasermaterialbearbeitung
M
g/mol
Molmasse
M²
-
Beugungsmaßzahl
Mi
g/mol
Molmasse des Legierungselements i
Men+
-
Metallion mit der Ionenladung n+
MAK
mg/m3
maximale Arbeitsplatzkonzentration
MZB
W/cm2
maximal zulässige Bestrahlung
N
-
Lastspielzahl
Nd:YAG
-
Neodymionen-dotiertes YttriumAluminium-Granat Laserkristall
Nd:YVO4
-
Neodymionen-dotiertes Yttrium Vanadat Laserkristall
NA
-
Numerische Apertur
NC
-
Numerical Control
NE
-
Nicht-Eisen (Metalle)
NVEBW
-
Non Vacuum Electron Beam Welding
O
-
orbital
Formelzeichen und Abkürzungen
XVII
OT
-
Oberer Totpunkt
Ox
-
Oxidationsmittel
P
W
Leistung
PL
W
Laserausgangsleistung
PL
W
Mittlere Laserausgangsleistung
Pm
W
Mittlere Leistung
PECM
-
Pulsed Electro Chemical Machining
PEM
-
Precise Electro Chemical Machining
PHSM
-
Point Heat Source Model
PKD
-
Polykristalliner Diamant
Pth
W
hydraulische Leistung
Q
As
elektrische Ladungsmenge
QW
mm3/min
Zeitabtragvolumen
R
-
Radius, Radius der Linsenoberflächenwölbung
R
-
Reflexionsgrad
R
:
Widerstand
R1
:
Widerstand im Aufladekreis
Ra
µm
arithmetischer Mittenrauwert
Re
N/mm²
Streckgrenze
Re
:
Widerstand im Entladekreis
Rm
N/mm²
Zugfestigkeit
Rmax
µm
maximale Rautiefe nach DIN 4768
Rp
N/mm²
Dehngrenze
Rp
µm
Radius Plasmakanal
Rt
µm
Rautiefe nach DIN 4768
XVIII
Formelzeichen und Abkürzungen
Rz
µm
Gemittelte Rautiefe. Die gemittelte Rautiefe wird seit 1998 nicht mehr nach DIN genormt. Um Verwechslungen mit der größten Höhe des Profils Rz auszuschließen (DIN EN ISO 4287), wird die gemittelte Rautiefe mit R z symbolisiert.
Red
-
Reduktionsmittel
REM
-
Rasterelektronenmikroskop
RWS
-
Remote-Welding-System
RZ
-
Randzone
S
W/(cm²·mrad)
Strahldichte
SiC
-
Siliziumkarbid
SiSiC
-
Siliziuminfiltriertes Siliziumkarbid
Si3N4
-
Siliziumnitrid
SPP
mm·mrad
Strahlparameterprodukt
STEM
-
Shaped Tube Electrolytic Machining
T
h
Erodierzeit
TS
°C oder K
Schmelztemperatur
Tliq
°C oder K
Liquidustemperatur
TaC
-
Tantalkarbid
TiC
-
Titankarbid
TiN
-
Titannitrid
TEM
-
Thermische Entgrat-Methode
TEM
-
Transversal-Elektro-Magnetische Schwingungsmode
TEM00
-
Gauß- oder Grundmode
TRK
mg/m3
Technische Richtkonzentration
Formelzeichen und Abkürzungen
XIX
U
V
Arbeitsspannung
UT
-
Unterer Totpunkt
'U
V
Polarisationsspannung
UB
V
Beschleunigungsspannung
Uel
V
Spannungsabfall in der Elektrolytlösung
Upol An
V
Polarisationsspannung an der Anode
Upol Kat
V
Polarisationsspannung an der Kathode
Us
V
Sollwertspannung
Usoll
V
Sollwertspannung
USM
-
Ultrasonic Machining
UV
-
Ultraviolett
UZ
-
Umwandlungszone
V
-
Vertikal, Vanadium
V
mm³
abgetragenes Materialvolumen
VE
mm³/min
Verschleißrate
VEe
mm³
Verschleiß je Entladung
Veff
mm³/(A min)
effektives spezifisches Abtragvolumen
Vm
mm³/(A min)
Steigerung der Abtraggeschwindigkeit-Stromdichte-Kennlinie
Vsp
mm³/(A min)
spezifisches Abtragvolumen
Vw
mm³/min
Abtragrate
Vw
mm²/min
Schnittrate
VWbez
-
Abtragrate auf die Einkanalbearbeitung bezogen
XX
Formelzeichen und Abkürzungen
VWe
mm³
Abtragrate je Entladung
VBm
µm
mittlere Verschleißmarkenbreite
VC
-
Vanadiumkarbid
We
J
Entladeenergie
WEDG
-
Wire Electro Discharge Grinding
WC
-
Wolframkarbid
WJC
-
Water Jet Cutting
WS
-
Werkstoff
WSt
-
Werkstück
WZ
-
Werkzeug
X, Y, Z
mm
Koordinate
Yb:YAG
-
Ytterbium:Yttrium-AluminiumGranat (Laserkristall)
ZrO2
-
Zirkonoxid
Kleinbuchstaben ae
µm
Zustelltiefe pro Überlauf
ae,ges
µm
Gesamtzustellung
ap
mm
Schnitttiefe
b
µm
Bauchung
b
mm
Schnittfugenbreite
bR
µm
Breite der Randzone
bS
mm
Schmelzspurbreite
bU
µm
Breite der Umwandlungszone
cBN
-
kubisches Bornitrid
c
m/s
Vakuumlichtgeschwindigkeit mit c = 2,998·108 m/s
Formelzeichen und Abkürzungen
XXI
cw
-
continuous wave mode
d
mm
Durchmesser
d
mm
Formzeugwandstärke
dF,a
mm
Formzeugaußendurchmesser
dR
µm
Risstiefe
e
-
Eulersche Zahl mit e = 2,718
f
mm
Brennweite, Vorschub pro Werkstückumdrehung
f
Hz
Frequenz
fe
Hz
Entladefrequenz
fe
µm
Ebenheitsfehler
fe
Hz
Resonanzfrequenz
fp
Hz
Impulsfrequenz
fz
mm
Vorschub pro Zahn
h
J·s
Planck’sches Wirkungsquantum mit h = 6,625·10-34 J·s
h
mm
Werkstückhöhe, Werkstückdicke
ie
A
Entladestrom
i(t)
A
zeitlicher Stromverlauf
îe
A
maximaler Entladestrom
ie (t)
A
zeitlicher Verlauf des Entladestromes
ie
A
mittlerer Entladestrom
l
-
Anzahl der azimutalen Nullstellen der Feldstärkeverteilung bei polarsymmetrischen Systemen
lc
m
Schnittweg
XXII
Formelzeichen und Abkürzungen
¨l
µm
Formzeuglängenverschleiß
th m
g/s
theoretischer Massenstrom
m
g
abgetragene Masse
m
-
Anzahl der Nullstellen der Feldstärkeverteilung in x-Richtung bei kartesisch symmetrischen Systemen
n
-
Anzahl der Nullstellen der Feldstärkeverteilung in y-Richtung bei kartesisch symmetrischen Systemen
n
min-1
Formzeugdrehzahl
n
-
Brechungsindex
p
-
Anzahl der radialen Nullstellen der Feldstärkeverteilung bei polarsymmetrischen Systemen
p
MPa
Druck
pa
bar
Austrittsdruck
pab
MPa
Absaugdruck
pe
bar
Eintrittsdruck
pe
bar
Unterdruck der Supensionsabsaugung
pi
%
Legierungsanteil i in Massenprozent
pL
N/mm2
Läppdruck
pPAD
MPa
statischer Auflagedruck
pw
-
pulse wave mode
q
mm³/s
Durchflussmenge
q
-
Anzahl der axialen Nullstellen der Feldstärkeverteilung
qo
mm³/s
obere Durchflussmenge
Formelzeichen und Abkürzungen
XXIII
qu
mm³/s
untere Durchflussmenge
r
mm
Radius
r
mm
Planetärradius
rA
mm
Außenradius
rI
mm
Innenradius
rg
µm
Brennfleckradius
s
µm
Arbeitsspalt
s
mm
Blechdicke
s
mm
Düsenabstand
s
mm
Eindringtiefe
s
µm
Elektrodenabstand
s
µm
Spaltweite
s
mm
Umformweg
s90
µm
Stirnspalt
sĮ
µm
Normalspalt
sek
µm
Stirnspalt zwischen Erosion und Kurzschluss
sF
µm
frontaler Arbeitsspalt
sL
µm
lateraler Arbeitsspalt
sm
mm
mittlere Schnittspur
smax
mm
maximale Spaltweite
smin
mm
minimale Spaltweite
so
mm
obere Schnittspur
su
mm
untere Schnittspur
t
s
Bearbeitungszeit
t
s
Reaktionsdauer
XXIV
Formelzeichen und Abkürzungen
t
mm
Materialwandstärke, Schweiß(naht)tiefe
t0
µs
Pausendauer
td
µs
Zündverzögerungszeit
te
µs
Entladedauer
ti
µs
Impulsdauer
ti opt
µs
optimale Impulsdauer
toff
µs
Ausschaltdauer
ton
µs
Einschaltdauer
tp
µs
Periodendauer
ǻt
s
Zeitdauer
u
mm/min
Strömungsgeschwindigkeit
uc
V
Kondensatorspannung
ud
V
Durchbruchspannung
u, v
mm
Auslenkung der oberen Drahtführung
u(t)
V
zeitlicher Spannungsverlauf
ue
V
Entladespannung
ue
V
mittlere Entladespannung
ue(t)
V
zeitlicher Verlauf der Entladespannung
ûi
V
Leerlaufspannung
v
m/s
Geschwindigkeit
vA
mm/min
Abtraggeschwindigkeit
vA
mm/min
mittlere Abtraggeschwindigkeit
va
mm/min
Abtraggeschwindigkeit
vc
mm/min
Schnittgeschwindigkeit
Formelzeichen und Abkürzungen
XXV
vD
m/min
Drahtvorschubgeschwindigkeit
vf
mm/min
Vorschubgeschwindigkeit
vfa
mm/min
axiale Vorschubgeschwindigkeit
vfq
mm/min
Quervorschubgeschwindigkeit
vfmax
mm/min
maximale Vorschubgeschwindigkeit
vth
m/s
theoretische Strahlgeschwindigkeit
w0
mm
Strahltaillenradius
w0*
mm
Strahltaillenradius nach Strahlformung durch eine Linse (Fokussierung)
w
mm
Strahlradius
xa
µm
Schwingungsamplitude des Formzeugs
xe
µm
Schwingungsamplitude des Schallwandlers
z
-
elektrochemische Wertigkeitsänderung
z
mm
Abtragtiefe
z
mm
Abstand von der Strahltaille
zA
mm
Schichttiefe
zH
mm
Einhärtungstiefe
zi
-
elektrochemische Wertigkeitsänderung des Legierungselementes i
zR
mm
Rayleighlänge
zS
mm
Einschmelztiefe
zT
mm
Wärmeeinflusstiefe
XXVI
Formelzeichen und Abkürzungen
Griechische Buchstaben D
°
Konturneigungswinkel, Konizität
GR
µm
Risstiefe
HFlade
V
Fladepotential
K
%
Wirkungsgrad, Stromausbeute
N
S/m
spezifische elektrische Leitfähigkeit
N
µS/cm
Leitwert
O
nm
Wellenlänge
O
%
Frequenzverhältnis
-
%
relativer Verschleiß
T0
mrad
Fernfelddivergenz
T0*
mrad
Fernfelddivergenz nach Strahlformung durch eine Linse (Fokussierung)
T0, SA
mrad
Fernfelddivergenz in Slow-Axis Richtung
T0, FA
mrad
Fernfelddivergenz in Fast-Axis Richtung
Ta
°C
Elektrolyttemperatur am Strömungsaustritt
Te
°C
Elektrolyttemperatur am Strömungseintritt
ʌ
-
Kreiszahl mit ʌ = 3,142
U
g/cm³
Dichte
ULeg
g/cm³
Dichte der Legierung
Uw
g/cm³
Dichte des Wassers
Va
N/mm²
Spannungsausschlag
Formelzeichen und Abkürzungen
XXVII
ıij
N/mm²
Eigenspannungen tangential zur Oberfläche
V
N/mm²
Eigenspannung
W
-
Tastverhältnis
WR
-
Zeitkonstante
W
s
Ladezeit
ijA
rad
Akzeptanzwinkel
ijT
rad
Grenzwinkel für Totalreflexion
ȍ
rad
Öffnungswinkel des Strahlkegels
Einleitung
Die Leistungsfähigkeit spanender Bearbeitungsverfahren wird durch die mechanischen Eigenschaften des zu bearbeitenden Werkstoffs und durch die komplizierten geometrischen Formen am Werkstück begrenzt. Aufgrund der mechanischen Eigenschaften der zu bearbeitenden Werkstoffe lassen sich z. B. hoch vergütete Stähle, Superlegierungen, wie sie im Triebwerksbau eingesetzt werden, Hartmetalle oder Hochleistungskeramiken nur unter Schwierigkeiten bearbeiten. Aufgrund des örtlich begrenzten Angriffs der Schneide verlangen komplizierte geometrische Formen am Werkstück ein reihen- bzw. schichtweises Abtrennen des Werkstoffs. Daraus ergeben sich lange Bearbeitungszeiten, aufwendige Bearbeitungsmaschinen und oftmals teure Handarbeiten. Aus den genannten Gründen werden in diesem Band vorwiegend Fertigungsverfahren behandelt, in denen thermomechanische und chemische Wirkprinzipien dominieren. Nach DIN 8580 werden diese Verfahren in der Hauptgruppe 3 unter „Trennen“ eingeordnet. DIN 8590 unterscheidet nach dem jeweiligen Abtragprinzip das thermische, chemische und elektrochemische Abtragen, Abb. 1.1. Den thermischen Abtragverfahren ordnet DIN 8590 neben dem funkenerosiven Abtragen auch die Elektronen- und Laserstrahlbearbeitung zu. Das Ultraschallschwingläppen ist zwar der DIN 8589 „Spanen mit geometrisch unbestimmter Schneide", Teil 15 „Läppen“ zugeordnet, wird aber aufgrund einer der funkenerosiven und elektrochemischen Bearbeitung vergleichbaren Aufgabenstellung in diesem Band ebenfalls behandelt. Noch keiner DIN zugeordnet ist das Wasserstrahlschneiden. Das Abtragprinzip erlaubt jedoch gleichfalls die Einordnung in diesen Band.
2
Einleitung Hauptgruppe 3
Trennen nach: DIN 8580 Gruppe 3.4
Abtragen nach: DIN 8590
Untergruppe 3.4.1
Untergruppe 3.4.2
Untergruppe 3.4.3
Thermisches Abtragen
Chemisches Abtragen
Elektrochemisches Abtragen
Abb. 1. 1. Einteilung der abtragenden Fertigungsverfahren nach DIN 8580 bzw. DIN 8590
Obwohl die Galvanotechnik nicht zu den abtragenden, sondern zu den generierenden Verfahren gehört, wurde sie auch in diesen Band integriert. Die kathodische Metallabscheidung aus einem wässrigen Elektrolyten ist das Pendant zur anodischen Metallauflösung des ECM-Verfahrens. Beiden gemeinsam ist das physikalische Wirkprinzip der Elektrolyse.
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
2.1 Grundlagen 2.1.1 Physikalisches Prinzip Bei der Funkenerosion, kurz EDM (Electro Discharge Machining) genannt, wird das physikalische Phänomen eines Materialabtrags als Folge elektrischer Entladungen zwischen zwei elektrisch leitenden Werkstoffen technisch genutzt. Der Abtragprozess findet in einer elektrisch nichtleitenden (dielektrischen) Flüssigkeit statt. Werkstück und Werkzeug werden so in Arbeitsposition gebracht, dass zwischen beiden ein Arbeitsspalt verbleibt. Wird nun an die Elektroden eine elektrische Spannung angelegt, so kommt es nach Überschreiten der Durchschlagfestigkeit des Arbeitsmediums - vorgegeben durch den Elektrodenabstand und die elektrische Leitfähigkeit des Dielektrikums - zur Bildung eines energiereichen Plasmakanals. Abb. 2.1 zeigt das generelle Verfahrensprinzip. Die physikalischen Vorgänge, die zur Bildung des Funkens und darüber hinaus zum Werkstoffabtrag führen, sind noch nicht vollständig geklärt. Sie lassen sich während der Entladung in drei aufeinander folgende Hauptphasen aufteilen, die zusammen mit dem Strom- und Spannungsverlauf der Funkenentladung in Abb. 2.2 dargestellt sind. Dies sind die Aufbau-, Entlade- und Abbauphase [Zolo57, Miro65, Kurr72, Eckh76]. Während der Aufbauphase, die alle zur Bildung des Entladekanals führenden Vorgänge umfasst, liegt eine große zeitliche Strom- und Spannungsänderung vor. Die Stromcharakteristik verursacht nach Durchschlagen des Arbeitsmediums einen Stromfluss, der fast ausschließlich auf der Mantelfläche des Entladekanals stattfindet. Dabei wird die Anode durch Elektronenbeschuss teilweise schon vor der eigentlichen Bildung des leitenden Plasmakanals abgetragen, während die Kathode weitgehend unbeeinflusst bleibt.
4
2 Funkenerosives Abtragen (EDM) Werkzeug Dielektrikum Impulsgenerator
Werkstück
elektrische Entladung
+
-
Zeit t
-
Zeit t
--
++
Zeit t
Strom i
Zeit t
Zeit t
Strom i
Strom i
Zeit t
+ - + +-+ Anode + -- +- + -+ -+ - +++ + --+ Kathode -++- ++-++ -+ -+
Spannung u
Spannung u Zeit t
Zeit t
Strom i
Strom i
Zeit t
Spannung u
Spannung u
Spannung u
Abb. 2.1. Abtragprinzip bei der Funkenerosion
--
Zeit t
--
++ + +
+ +
+ -+ + - +++ -- + +- +- --- +- - + - ++ - + + - +- + - + -+ - + +- +++ -- + +- -+ -+ - +-+-+ ++- ++-+++- + -+- + -+ +- + +- + +- -+
Durchbruchvorgang Aufbauphase
Entladephase
Abbruchvorgang
Abb. 2.2. Funkenerosives Senken - Darstellung der Phasen einer Funkenentladung
2.1 Grundlagen
5
In der Entladephase konzentriert sich der zeitlich konstante Strom auf einen kleinen Querschnitt. Die sich aus der zugeführten elektrischen Energie ergebenden Wärmeübertragungsvorgänge bewirken ein Schmelzen bzw. ein Verdampfen bestimmter Materialvolumen, wodurch sich eine ständig vergrößernde Gasblase ausbildet. Während der Abbauphase, die mit dem Abschalten der Stromzufuhr beginnt, brechen Gasblase und Plasmakanal zusammen und das teils verdampfte, teils flüssige Material wird ausgeschleudert. Zur Beschreibung der Abtragvorgänge hat sich die von Lazarenko [Laza44, Laza47] und Zolotych [Zolo55, Zolo57] entwickelte „elektrothermische“ Theorie weitgehend durchgesetzt. Sie geht davon aus, dass die durch die elektrische Entladung erzeugte Wärme die Elektrodenoberfläche im Bereich der Kanalfußpunkte aufschmilzt und dass der Werkstoffabtrag durch Ausschleudern des schmelzflüssigen Metalls bzw. durch Verdampfen erreicht wird. Erst der ungleiche Werkstoffabtrag an Anode und Kathode aufgrund der unterschiedlichen Aufteilung der Entladeenergie ermöglicht die wirtschaftliche Nutzung der Funkenerosion. So wird, nachdem die Entladestrecke eine elektrisch leitende Verbindung zwischen den Elektroden hergestellt hat, der Abtrag auf den Elektrodenoberflächen weitestgehend durch die Aufteilung der elektrischen Energie auf die Kanalfußbereiche bestimmt. Die Anode gewinnt dabei Energie aus der kinetischen Energie und der Austrittsarbeit der negativ geladenen Elektronen, während die Kathode die kinetische Energie und die Austrittsarbeit der positiv geladenen Ionen aufnimmt. Die aufgrund der ungleichen Massen unterschiedlichen Beschleunigungen der Elektronen und der Ionen führen zu einem zeitlich und quantitativ ungleichmäßigen Abtrag an der Anode bzw. Kathode. Der relativ niedrige Anodenabtrag setzt unmittelbar nach dem Zünden der Entladung ein, wogegen der höhere Kathodenabtrag erst allmählich mit der Entladedauer ansteigt [Hens84, Sieg94a]. Bei der Funkenerosion stehen im Hinblick auf den Abtragmechanismus thermische Mechanismen im Vordergrund. Gestützt wird diese Aussage durch zahlreiche Phänomene, deren Deutung auf die thermische Natur des Abtragmechanismus führt, wie z. B. die Form des Einzelentladekraters in Abb. 2.3 oder die kugelförmigen Abtragprodukte, wie sie z. B. bei der Bearbeitung von Stahl anfallen. Dabei weisen zum Teil vorhandene Hohlräume in den Abtragpartikeln auf verdampftes Metall hin [Jutz82]. Auch die Gefügeveränderungen der Elektrodenwerkstoffe sowie die meist auftretenden Zugeigenspannungen und Mikrorisse in der Werkstückoberfläche beweisen den thermischen Charakter des Abtragens. Im Querschliff der Abb. 2.3 ist die Randzone, auch „weiße Schicht“ genannt, deutlich zu
6
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
erkennen. Die Kraterform in Abb. 2.3 zeigt, dass der Abtragvorgang nicht nur durch thermische Vorgänge, sondern auch durch andere Energiearten (möglicherweise Feldenergie) hervorgerufen wird [Wert75a]. Im Allgemeinen ist bei spröden Materialien mit hoher Schmelz- und Verdampfungstemperatur der am Abtragvorgang beteiligte mechanische Anteil wesentlich größer als bei Materialien mit hoher Zähigkeit und niedriger Schmelztemperatur. Prinzipiell sind alle Werkstoffe unabhängig von ihrer Härte und Festigkeit funkenerosiv bearbeitbar. Die einzige Voraussetzung ist das Vorhandensein einer bestimmten elektrischen Mindestleitfähigkeit. So ist es auch möglich, einige Hochleistungskeramiken mit Hilfe der Funkenerosion zu bearbeiten [Pant90]. Das am Werkzeug und Werkstück aufgrund einer Entladung abgetragene Werkstoffvolumen hängt von der Polarität und den physikalischen Eigenschaften der Elektrodenmaterialien sowie von der Entladedauer und dem Entladestrom ab. Bei geeigneter Wahl des Werkzeugelektrodenwerkstoffs und durch Verändern der Einstellparameter kann eine bedeutende Asymmetrie des Elektrodenabtrags (z. B. 99,5 % Erosion an der Werkstückelektrode) erzielt werden. In Abschnitt 2.1.4 wird genauer auf die physikalischen Vorgänge eingegangen.
20 µm Randzone im Querschliff
Erosionsprozess
10 µm Einzelentladung
erodierte Oberfläche
20 µm
100 µm Abtragpartikel
Abtragpartikel im Detail
30 µm
Abb. 2.3. Funkenerosive Bearbeitung: Oberflächenausbildung und Abtragpartikel
2.1 Grundlagen
7
2.1.2 Prinzipieller Aufbau von Funkenerosionsanlagen Eine Funkenerosionsanlage, hier am Beispiel einer funkenerosiven Senkanlage gezeigt, besteht prinzipiell aus vier Bauelementen, Abb. 2.4, und zwar: x x x x
dem Generator, der Regelung, der Maschine und dem Aggregat für das Arbeitsmedium.
Zusätzlich können die Anlagen mit automatischen Werkzeug- und/oder Werkstückwechseleinrichtungen ausgestattet werden. Zur Impulsspannungserzeugung kommen in der Praxis zwei Generatortypen zum Einsatz: x der Speichergenerator (Relaxationsgenerator) und x der statische Impulsgenerator. Die anfänglich eingesetzten Speichergeneratoren arbeiten nach dem Schwingkreisprinzip. Heute werden sie hauptsächlich in der Mikrofunkenerosion eingesetzt, da diese kleinere Entladeenergien als Impulsgeneratoren liefern können. Pinole
Dielektrikumbehälter
Regeleinrichtung
Pumpe
WZL EDM
Elektrode
Tdm
Filter Werkstück Maschinengestell
Abb. 2.4. Maschinenschema für funkenerosive Anlage
Generator
8
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
Die Aufladung des Kondensators C erfolgt schwingend, solange der Widerstand im Ladekreis R1 < 2 L1 C ist. Wird R1 jedoch größer, so geschieht die Aufladung exponentiell mit der Zeitkonstanten WR = R1·C. Wenn der Strom i = 0 A ist, entspricht die Spannung u am Spalt der Kondensatorspannung uC. Erreicht uC die Durchbruchspannung uD, so wird die Speicherenergie im Entladeschwingkreis verbraucht (Abb. 2.5). Die Entladefrequenz fe beträgt nach der allgemeinen Bedingung für Reihenresonanz
1
fe
2S Le C
,
(2-1)
Spannung U
sofern die Dämpfung durch den Widerstand im Entladekreis Re und die Spaltimpedanz unberücksichtigt bleibt. Die Funkenstrecke selbst steuert den Entladeverlauf und die Spannung am Kondensator uC. Einerseits muss der Widerstand im Aufladekreis Rl so groß gewählt werden, dass bei hoher Leitfähigkeit im Spalt keine stationären Entladungen auftreten. Anderseits aber wird hierdurch eine Verringerung der Entladefrequenz bewirkt. Mit diesem Generator kann nur ein kleines Tastverhältnis erreicht werden. Der Bautyp des statischen Impulsgenerators hat sich heutzutage durchgesetzt. Es werden zwei Bauarten von statischen Impulsgeneratoren unterschieden, die Strom- und die Spannungsquelle. Die statischen Impulsgeneratoren weisen gegenüber den früher häufig verwendeten Speichergeneratoren (Relaxationsgeneratoren) einen wesentlichen Vorteil auf.
Relaxationsgenerator
Rl
Le
Re
Ll uc
C
u
Strom I
I
Zeit t
Abb. 2.5. Funkenerosive Bearbeitung: Relaxationsgenerator
2.1 Grundlagen
9
Bei ihnen ist es möglich, die den Energiegehalt einer Entladung bestimmenden Kenngrößen Impulsdauer ti, Entladestrom ie sowie Pausendauer t0 fest vorzugeben (Abb. 2.6). Aufgrund der Variationsbreite der Einstellparameter ist durch den Einsatz von Impulsgeneratoren die Lösung von verschiedenen Bearbeitungsproblemen möglich. Bei der Verfahrensvariante „Funkenerosives Senken“, die durch eine verhältnismäßig lange Impulsdauer und eine kurze Pausendauer gekennzeichnet ist, werden die statischen Impulsgeneratoren zumeist als Stromquelle aufgebaut. Beim „Funkenerosiven Schneiden mit ablaufender Drahtelektrode“ werden sie aufgrund der hier vorliegenden kurzen Impulsdauer bei langer Pausendauer in der Regel als Spannungsquelle aufgebaut. Statische Impulsgeneratoren können aufgrund der Variationsbreite ihrer Einstellparameter den verschiedensten Bearbeitungsproblemen gerecht werden. So lässt sich die Impulsdauer ti im Allgemeinen zwischen 0,5 und 2000 µs verändern. Die elektrischen Parameter Generatorleerlaufspannung Spannungs- und Stromverlauf (schematisch)
Spannung U
Statische Impulsgeneratoren
Spannungsquelle Schaltelement Ri
Werkzeug Innenwiderstand Spannungsquelle Werkstück
ui ue td
U = const
Strommessung und Steuerung
Schaltelement
Schaltelement I = const Induktivität Werkzeug Stromquelle
Diode Werkstück
te
Strom I
Stromquelle
ti tp t0
ie ie
Zeit t ti te tp td t0 ûi ue ie îe
: Impulsdauer : Entladedauer : Periodendauer : Zündverzögerungszeit : Pausendauer : Leerlaufspannung : mittlere Entladespannung : mittlerer Entladestrom : maximaler Entladestrom
Abb. 2.6. Funkenerosive Bearbeitung: Statische Impulsgeneratoren
10
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
und Impulsstrom sind in der Regel in den Grenzen ûi | 60 bis 300 V und îe | 1 bis 300 A wählbar. Die Form der Impulse dieser Generatoren ist nahezu rechteckig. Allerdings wirken sich bei sehr hohen Frequenzen der Strombegrenzungswiderstand wie auch die Leitungskapazitäten und Leitungsinduktivitäten auf die Steilheit der Impulsflanken nachteilig aus. Der Polaritätseffekt, der zu einem unterschiedlichen Abtrag an der Werkzeug- bzw. der Werkstückelektrode führt, wird durch die unipolaren Impulse des statischen Impulsgenerators voll ausgenutzt [Kurr72]. Funkenerosionsmaschinen werden im Allgemeinen im unbeaufsichtigten Mehrschichtbetrieb eingesetzt. Mit Hilfe der Regeleinrichtungen werden die Impulsparameter ständig den Bedingungen im Arbeitsspalt angepasst, um so ein optimales Erodierergebnis zu erhalten. Bei der funkenerosiven Bearbeitung sind die elektrischen Vorgänge an der Entladestrecke durch charakteristische Spannungs- und Stromverläufe [u(t), i(t)] gekennzeichnet. Für statische Impulsgeneratoren sind in Abb. 2.7 die jeweiligen Spannungs- und Stromverläufe entsprechend dem Arbeitszustand gezeigt. Außer der normalen Funkenentladung treten auch Entartungen auf, die den Abtrag bzw. Verschleiß deutlich beeinflussen und die hier schematisch als Einzelvorgänge dargestellt sind: x x x x x
ein Leerlaufimpuls (Arbeitsspalt zu groß), eine Spätzündung, ein Erosionsimpuls (optimale Größe des Arbeitsspalts), eine Fehlentladung (Arbeitsspalt zu klein) und ein Kurzschlussimpuls (Arbeitsspalt gleich Null).
Die als Einzelvorgang gezeigten Spannungs- und Stromverläufe treten im Allgemeinen in einer stochastischen Folge auf, da sich die Bedingungen im Arbeitsspalt ständig ändern. In Abhängigkeit von den Impulsparametern, die von den Regelsystemen der Maschine überwacht werden, wird zwischen isofrequenter und isoenergetischer Impulsfolgesteuerung unterschieden. Bei der isofrequenten Arbeitsweise werden die Impulsdauer ti, während der die Spannung am Spalt anliegt, und die Pausendauer t0, welche die Zeitdauer für die Deionisierung des Dielektrikums im Arbeitsspalt bestimmt, konstant gehalten.
2.1 Grundlagen Art der Entladung Ergebnis
Spannungsverlauf
Stromverlauf
Erosion
Fehlentladung
Kurzschluss
0 0
gering gering
hoch gering
hoch hoch
0 0
WZ
WZ
WZ
WSt
WSt
WSt
WZ WSt
WZ WSt
Strom I
Stromverlauf
Spätzündung
Spannung U
Spannungsverlauf
Leerlauf
Strom I
isoenergetisch
isofrequent
schematische Darstellung der Spaltweite s
Spannung U Spaltweite s
Abtrag Verschleiß
11
Zeit t
Abb. 2.7. Darstellung unterschiedlicher Entladungen mit ihren Auswirkungen auf Abtrag und Verschleiß
Im Gegensatz dazu werden bei der isoenergetischen Arbeitsweise die Entladedauer te und die Pausendauer t0 konstant gehalten, jeder Impuls bringt daher den gleichen Energieanteil in den Arbeitsspalt ein [Slom89, Waße92]. Um den Erosionsprozess zwischen dem Kurzschluss und dem Leerlauf zu halten (stabil), muss ein Spaltweitenregler die Spaltweite ständig an die sich verändernden Spaltbedingungen anpassen, indem das Werkzeug relativ zum Werkstück bewegt wird [Dehm92]. Bei isofrequenter Impulsfolgesteuerung zündet eine Normalentladung nach der Zündverzögerungszeit td, die von der lokalen Leitfähigkeit im Arbeitsspalt und der Spaltweite abhängt. Bei zu hoher lokaler Leitfähigkeit im Spalt oder zu geringer Spaltweite entstehen Fehlentladungen, die bereits zu Impulsbeginn zünden, bevor die Leerlaufspannung ûi erreicht wurde. Die sogenannten Lichtbogenentladungen weisen dabei im Gegen-
12
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
satz zu den anderen Entladungsformen einen rauschfreien Spannungsverlauf auf und zünden immer am Ort der vorangegangenen Entladung [Dehm92]. Daraus ergibt sich die Gefahr, dass sich eine Partikelbrücke zwischen Werkstück und Werkzeug aufbaut, die zu Beschädigungen an beiden Elektroden führt. Sowohl Fehlentladungen als auch Lichtbogenentladungen gelten als verschleißintensiv. Ein Kurzschluss bildet sich bei Berührung der Elektroden oder bei einer Brückenbildung durch abgetragene Partikel. Weder am Werkzeug noch am Werkstück findet Materialabtrag statt, allerdings besteht die Gefahr einer mechanischen Beschädigung der Elektroden und der Vorschubeinheit der Maschine. Liegen große Spaltweiten oder geringe lokale Leitfähigkeiten vor, treten Spätzündungen mit großen Zündverzögerungszeiten td auf. Spätzündungen sind solche Entladungen, die erst kurz vor dem Impulsende zünden, also sofort wieder abgeschaltet werden. Ist der Spalt nicht leitfähig genug, beziehungsweise der Abstand der Elektroden zu groß, zündet keine Entladung, es liegt ein Leerlaufimpuls vor. Bei isofrequenter Impulsfolgesteuerung können somit bei fest eingestellter Impulsdauer ti infolge unterschiedlicher Zündbedingungen im Arbeitsspalt unterschiedliche Entladedauern te auftreten [Dehm92, Waße92]. Demgegenüber wird bei der isoenergetischen Impulsfolgesteuerung die Entladedauer te konstant gehalten, so dass sich die Impulse lediglich in der Zündverzögerungszeit td unterscheiden. Auch hier dient die Pausendauer t0 dazu, dass ein Folgeimpuls nicht an der gleichen Stelle durchschlägt wie der vorangegangene [Waße92]. Spätzündungen können nicht auftreten. Nach der Pausendauer t0 wird der folgende Spannungsimpuls angelegt, wobei die elektrische Entladung an der Stelle zündet, die durch die größte Leitfähigkeit, beziehungsweise die geringste Durchschlagfestigkeit des Arbeitsmediums im Spalt gekennzeichnet ist. Der Ort der Entladung wird daher durch eine Vielzahl von Einflussgrößen bestimmt. Feste Abtragpartikel sind im Dielektrikum suspendiert und verändern lokal die elektrische Leitfähigkeit. Die Gasblase, die sich während der vorangegangenen Entladung gebildet hat, wandert durch den Spalt, bis das verdampfte Material wieder kondensiert und verändert lokal die Bedingungen [Hock64, Dehm92]. Die geometrisch kleinste Spaltweite wird durch lokale Rauheitsspitzen bestimmt und ändert sich dementsprechend bei Folgeentladungen mit jeder Entladung. Dadurch liegen für jeden Impuls neue Randbedingungen vor, selbst wenn das Werkzeug nicht bewegt wird [Slom89]. Die Beeinflussung der lokalen Leitfähigkeit führt zu einem stochastischen Prozessverlauf, wobei einerseits der Ort der folgenden Entladung und andererseits auch die Entladungsform nicht vorhersagbar sind [Sieb94]. Anhand von Abb. 2.6 lassen sich einige für die Kennzeichnung und Beurteilung des Prozessverlaufs wichtige Kenngrößen
2.1 Grundlagen
13
herleiten und entsprechend der VDI Richtlinie VDI 3402 [VDI3402] definieren: x Die Entladedauer te ist die Zeit des Stromflusses während der Entladung. x Die Zündverzögerungszeit td ist die Zeit vom Einschalten des Spannungsimpulses bis zum Durchzünden der Entladestrecke, d. h. bis zum Stromanstieg. Diese Zeit wird zum Aufbau des Entladekanals benötigt und ist somit vom Zustand des Arbeitsspalts abhängig. x Die Impulsdauer ti ist die Zeit des eingeschalteten Spannungsimpulses (am Generator einstellbar). Sie ist gleich der Summe von Entladedauer und Zündverzögerungszeit: ti = te + td .
(2-2)
Bei isofrequenten Generatoren können somit bei fest eingestellter Impulsdauer - infolge unterschiedlicher Zündbedingungen im Arbeitsspalt - unterschiedliche Entladezeiten auftreten. x Die Pausendauer t0 ist das Zeitintervall zwischen zwei Spannungsimpulsen (am Generator einstellbar). Während dieser Zeit wird die Entladestrecke der vorangegangenen Entladung deionisiert, so dass die folgende Entladung an einer anderen Stelle zünden kann. x Die Periodendauer tp ist die Zeit vom Einschalten eines Spannungsimpulses bis zum Einschalten des folgenden Spannungsimpulses. Sie ist gleich der Summe der Impulsdauer ti und der Pausendauer t0: tp = ti + t0 .
(2-3)
x Das Tastverhältnis IJ ist das Verhältnis von Impulsdauer ti zu Periodendauer tp: IJ
ti . tp
(2-4)
x Die Impulsfrequenz fp ist die Anzahl der je Zeiteinheit eingeschalteten Spannungsimpulse: fp =
1 . tp
(2-5)
Da sich die Bedingungen im Arbeitsspalt ständig ändern, handelt es sich beim Erosionsprozess i. Allg. um eine stochastische Folge der gezeigten
14
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
Spannungs- und Stromverläufe. Entsprechend werden die folgenden Kenngrößen definiert: x Die Entladefrequenz fe ist die Anzahl der je Zeiteinheit in der Entladestrecke tatsächlich gezündeten Funkenentladungen. x Das Frequenzverhältnis Ȝ ist das Verhältnis von Entladefrequenz fe zur Impulsfrequenz fp: Ȝ=
x
x
x x
fe fp
.
(2-6)
Diese Größe kann als aussagekräftiger Wert zur Beurteilung der Güte des Erosionsprozesses herangezogen werden. Die Leerlaufspannung ûi tritt an der Entladestrecke als Höchstwert auf, wenn kein Strom fließt. Sie ist meist in mehreren Stufen am Generator einstellbar und bestimmt u. a. die Spaltweite, bei der eine Entladung zünden kann. Die Entladespannung ue tritt an der Entladestrecke auf, wenn die Entladung gezündet hat und der Strom fließt. Da diese Größe zeitabhängig ist, wird meist die mittlere Entladespannung nje angegeben. Die Höhe der mittleren Entladespannung nje ist von der eingesetzten Werkstoffpaarung abhängig und liegt bei den meisten Anwendungsfällen zwischen 15 und 30 V. Die Arbeitsspannung U ist der arithmetische Mittelwert, der während der Bearbeitung an der Entladestrecke anliegenden Spannung. Der Entladestrom ie fließt während der Entladung durch die Entlade-
strecke. Auch von dieser Größe wird meist der mittlere Entladestrom ie angegeben. Er ist durch die Leistungsfähigkeit der Generatorendstufe begrenzt und lässt sich am Generator in Stufen einstellen. x Der Arbeitsstrom I ist der arithmetische Mittelwert des während der Bearbeitung durch die Entladestrecke fließenden Stroms. Die Arbeitsspannung U und der Arbeitsstrom I sind zwei Messgrößen, die zur Einstellung und Überwachung des Erosionsprozesses herangezogen werden. x Die Entladeenergie We ist die in der Entladestrecke während einer Entladung umgesetzte Energie. Es gilt: We
³ u (t) i (t) dt | u e
te
e
e
ie t e .
(2-7)
2.1 Grundlagen
15
Durch die Entladeenergie wird das Volumen der einzelnen Entladungen und die Ausbildung der erodierten Oberfläche bestimmt. x Der Abtrag pro Entladung VWe ist das durch eine Entladung abgetragene Werkstückvolumen. x Der Verschleiß pro Entladung VEe ist das je Zeiteinheit abgetragene Werkzeugelektrodenvolumen. x Die Abtragrate VW ist das pro Zeiteinheit abgetragene Werkstückvolumen. x Die Verschleißrate VE ist das pro Zeiteinheit abgetragene Werkzeugvolumen. x Der relative Verschleiß - ist das Verhältnis von Verschleißrate VE zur Abtragrate VW:
-=
VE . VW
(2-8)
x Zur Beurteilung der Oberflächengüte werden der arithmetische Mittenrauwert Ra und die gemittelte Rautiefe R z herangezogen. Um einen guten Erosionsprozess zu gewährleisten, sind im Arbeitsspalt Entladebedingungen zu schaffen, die das Auftreten von Kurzschlüssen, Fehlentladungen und Leerlaufimpulsen möglichst ausschließen. Da die Bedingungen im Arbeitsspalt nach jeder Entladung durch veränderte Eigenschaften des Dielektrikums, wie Verschmutzung, Temperatur usw., die z. B. die elektrische Leitfähigkeit verändern sowie durch den Abtrag variieren, müssen Funkenerosionsmaschinen mit einer geeigneten Vorschubregelung ausgerüstet sein. Die Vorschubregelung hat die Aufgabe, die Werkzeugelektrode entsprechend dem Abtrag, dem Verschleiß und den jeweiligen Spaltbedingungen so nachzuführen, dass möglichst keine Kurzschlüsse, Fehlentladungen oder Leerlaufimpulse auftreten. Als Regelgröße dient die Zündverzögerungszeit td, die eine zum Arbeitsspalt proportionale Größe ist. Sie wird entweder mit Komparatoren, die den Spannungsverlauf analysieren oder über die Auswertung von Spannungs- und Stromanstieg ermittelt. Über eine rechentechnische Auswertung der Signale und die Weiterverarbeitung durch Regelalgorithmen wird ein entsprechendes Ausgangssignal an die Stellsysteme weitergeleitet. Als Stellsysteme haben sich elektromechanische Systeme bewährt.
16
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
Ein allen funkenerosiven Anlagen gemeinsames Bauelement ist das Aggregat für das Arbeitsmedium, da das Erodieren üblicherweise unter flüssigen Dielektrika stattfindet. Das Dielektrikum hat folgende Hauptaufgaben: x x x x x
die Einschnürung des Entladekanals zur Erhöhung der Energiedichte, die Entfernung der Abtragpartikel aus dem Spalt, die Kühlung der Bearbeitungsstelle, die Ionisation des Arbeitsspalts und die Isolation von Werkzeug- und Werkstückelektrode.
Als Dielektrikum werden aus wirtschaftlichen Gründen beim funkenerosiven Senken hauptsächlich Kohlenwasserstoffverbindungen in Form von Mineralöl- oder Syntheseprodukten eingesetzt, die eigens auf die speziellen Anforderungen bei der funkenerosiven Bearbeitung zugeschnitten sind. Neuerdings werden auch zur Senkerosion Dielektrika auf Wasserbasis eingesetzt, die im Wesentlichen aus Wasser und unterschiedlichen organischen wasserlöslichen Substanzen bestehen. Derartige Arbeitsmedien lassen sich vorteilhaft beim abtragintensiven Schrupperodieren mit Graphitelektroden einsetzen, da hier deutliche Abtragratensteigerungen bei gleichzeitig verbesserten Oberflächengüten im Vergleich zu herkömmlichen Kohlenwasserstoffdielektrika möglich sind [Sieb94]. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass diese Medien bei geeigneter Zusammensetzung nicht entflammbar sind und ein geringeres Gefährdungspotential für Mensch und Umwelt besitzen. Im Bereich der Drahterosion werden hauptsächlich wasserbasierte Dielektrika eingesetzt. Zur Reinigung des Arbeitsmediums von Abtrag- und Zersetzungsprodukten ist eine Filter- oder eine Zentrifugieranlage und bei Maschinen, die mit Wasser arbeiten, zur Konstanthaltung der Leitfähigkeit des Arbeitsmediums zusätzlich ein Deionisiergerät im Dielektrikumaggregat vorhanden. Als Filtermedien werden Anschwemmfilter, Kiesfilter oder Papierfilter verwendet. Je nach Arbeitsaufgabe kommt eine Druck- oder Saugspülung, eine Kombination aus beiden Formen oder eine Bewegungsspülung durch Abheben der Elektrode in Intervallen zum Einsatz. Abb. 2.8 zeigt ausgewählte Möglichkeiten des Spülens beim funkenerosiven Senken und Schneiden mit ablaufender Drahtelektrode.
2.1 Grundlagen funkenerosives Senken
17
funkenerosives Schneiden Spülung axial zur Drahtablaufrichtung
Spülung von oben Druck
Spülstrahl
Spülung durch die Elektrode Druckspülung bzw. Saugspülung Spülung axial zum Draht und im Dielektrikumbad Spülung durch Abhebebewegung
Dielektrikumbad
Spülstrahl
Abb. 2.8. Spülmethoden beim funkenerosiven Senken und Schneiden
Die seitliche Spülung lässt sich beim funkenerosiven Senken nur bei flachen Gesenken wirkungsvoll einsetzen. Die meisten Bearbeitungsaufgaben erfordern eine Saug- oder Druckspülung bzw. eine Kombination beider Spülungen. Bei schwierigen Bearbeitungsaufgaben wird die Spülung zusätzlich durch eine abhebende Bewegung der Elektrode unterstützt. Beim funkenerosiven Schneiden mit ablaufender Drahtelektrode wird zumeist von oben und unten axial zum Draht gespült. Zusätzlich kann die Bearbeitung auch im Dielektrikumbad stattfinden. Da die Spülung die Abtrag- und Verschleißkennwerte sowie die Prozessstabilität maßgeblich beeinflusst, muss die Durchflussmenge bzw. der Eintrittsdruck des Arbeitsmediums der Bearbeitungsaufgabe entsprechend eingestellt werden. 2.1.3 Verfahrensvarianten
Schon früh, d. h. bei der 1954 beginnenden industriellen Einführung der funkenerosiven Bearbeitung, wurde erkannt, dass dieses Verfahren durch seine Eigenschaft, mit elektrischen Entladungen Material in beliebiger
18
2 Funkenerosives Abtragen (EDM) Funkenerosive Bearbeitung
Senken Gravieren
Verfahren
Schneiden Bohren
ablaufende Blattelektrode Drahtelektrode Varianten
Mehrkanal- Planetärerosion erosion
Bahnerosion
Schnellschneiden
FeinKonischModifikationen schneiden schneiden
Stand der Technik Früher
Abb. 2.9. Verfahrensvarianten und -modifikationen der funkenerosiven Bearbeitung
räumlicher Richtung abzutragen, kinematisch sehr flexibel ist [Schu66]. Die heute gebräuchlichen Verfahrensvarianten der Funkenerosion gliedern sich in Senken und Schneiden (Abb. 2.9). Das Hauptanwendungsgebiet liegt im Werkzeug- und Formenbau. Bei dem funkenerosiven Senken wird die Herstellung von Gravuren und Durchbrüchen mit einer entsprechenden Formelektrode erreicht. Beim funkenerosiven Schneiden hat sich die Variante mit ablaufendem Draht durchgesetzt. Sie wird im Folgenden kurz als funkenerosives Schneiden bezeichnet. Mit dem Draht werden Prismen bzw. Durchbrüche mit beliebigen zylindrischen bzw. konischen Konturen durch Relativbewegungen zwischen dem Werkzeug und dem Werkstück erzielt. Bei den jeweiligen Verfahrensvarianten haben sich einige Verfahrensmodifikationen etabliert. Beim funkenerosiven Senken sind es die Bearbeitung mit Mehrkanalerosion, die eine höhere Abtragrate ermöglicht, die Bearbeitung mit Planetärerosion, die eine erhöhte Formenvielfalt zulässt und die Bahnerosion, die die Elektrodenanzahl und -komplexität verringert. Beim funkenerosiven Schneiden haben das Schnell-Schneiden mit dem Ziel einer hohen Schnittrate, das Fein-Schneiden zur Erzielung hoher Oberflächengüten und das Konisch-Schneiden, um komplexe Geometrien zu fertigen, als Modifikationen Bedeutung erlangt. Das Konisch-Schneiden kann mit den beiden Erstgenannten auch kombiniert werden (Abb. 2.10).
2.1 Grundlagen w
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v u obere Drahtführung Werkzeug (Draht)
Werkstück
untere Drahtführung
z
y x
Abb. 2.10. Bewegungsüberlagerung beim konischen Schneiden
Funkenerosives Senken
Die Herstellung von Raumformen und Durchbrüchen wird mit Hilfe des funkenerosiven Senkens durchgeführt. Beim klassischen Gravieren bildet sich eine Werkzeugelektrode mit einer dem zu erzeugenden Istprofil entsprechenden Form äquidistant im Werkstück ab. Die Information über die Werkstückgeometrie liegt folglich im Werkzeug. Die Vorschubbewegung wird hierbei im Allgemeinen in der Z-Achse durch die an der Pinole befestigte Werkzeugelektrode ausgeführt. Beim Gravieren mit Hilfe der Bahnerosion liegt hingegen die Geometrieinformation in einem NCProgramm. So wird es möglich, mit einfachen Werkzeuggeometrien komplexe Werkstückgeometrien zu erzeugen. Bei der Herstellung von Durchbrüchen ist oftmals ausschließlich eine schnelle Bearbeitung, z. B. als Startlochbohrung, erwünscht, so dass die erzeugte Geometrie nur von untergeordneter Bedeutung ist. Jedoch gibt es auch Anwendungsfälle, bei denen eine bestimmte Geometrie erzeugt werden muss, z. B. eine Schraubengeometrie.
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
isolierte Halterung
Vorschubantrieb
Elektrodensegmente
Generator
Werkstück
5
Regeleinrichtung
bez. Abtragrate Vw
20
4 3 2 1
0
Versuchsbedingungen: WSt: 55NiCrMoV7 WZ: Cu (+) ûi: 100 V W 0,96
2 4 Zahl der Kanäle
6
_ ie / A fp / kHz O%
120 35 18
0,5 2,9 11,9
95 80 40
Abb. 2.11. Mehrkanalerosion - Bezogene Abtragrate in Abhängigkeit von der Kanalzahl
Mehrkanalerosion
Die Mehrkanalerosion wird eingesetzt, wenn bei Anwendung der Funkenerosion, z. B. bei der Herstellung von Werkzeugen für die Blechumformung mit Bearbeitungsflächen bis zu mehreren Quadratmetern, eine Steigerung der Abtragrate notwendig ist. Da der Abtrag je Entladung von der Entladeenergie, d. h. in erster Linie vom Entladestrom und von der Entladedauer, abhängt, kann der Abtrag je Entladung nur über die Vergrößerung dieser beiden Werte gesteigert werden. Hieraus resultiert jedoch unmittelbar eine Erhöhung der Oberflächenrauheit. Eine Steigerung der Abtragrate bei gleichbleibender Oberflächengüte erfordert den Einsatz der Mehrkanaltechnik. Die Werkzeugelektrode wird dazu in elektrisch gegeneinander isolierte Segmente aufgeteilt, die mit entsprechenden Leistungseinheiten des Generators verbunden sind. So kann auf jedem Segment gleichzeitig eine Entladung zünden. Eine Vervielfachung der Anzahl der Kanäle bedeutet jedoch keine proportionale Zunahme der Abtragrate, da alle Segmente der Mehrkanalelektrode an eine Vorschubeinrichtung montiert sind und somit bei Prozessstörungen an einem Segment Rückwirkungen auf die anderen Segmente eintreten (Abb. 2.11).
2.1 Grundlagen
21
Planetärerosion
Die sogenannte Planetärerosion erweitert das Anwendungsgebiet der Funkenerosion erheblich und kann gegenüber dem konventionellen Senken zu deutlichen Kosteneinsparungen führen. Kennzeichnendes Merkmal dieser Technik ist eine räumliche Translationsbewegung der Elektrode, die der konventionellen, geradlinigen Einsenkbewegung überlagert wird (Abb. 2.12). Daraus ergeben sich Fertigungsmöglichkeiten, die in der konventionellen Senkerodiertechnik, wenn überhaupt, nur durch mehrfaches Umspannen des Werkstücks und den damit verbundenen Genauigkeitsverlusten zu realisieren sind. Dazu gehören z. B. die Herstellung von Hinterschneidungen und konischen Durchbrüchen. Die Idee, die der Entwicklung der Planetärerosion zugrunde liegt, leitet sich aus den Verhältnissen bei der Schlichtbearbeitung ab (Abb. 2.13). Nach dem Schruppen ist es notwendig, das Elektrodenuntermaß zu verkleinern, und zwar entsprechend der bei Schlichtbedingungen mit niedriger Entladeenergie geringeren Spaltweite. Durch die translatorische Auslenkbewegung wird das Elektrodenuntermaß der jeweils vorhergehenden Bearbeitungsstufe kompensiert, die Elektrode scheinbar vergrößert. Grundbewegung der Planetärerosion
V - vertikal E - exzentrisch O - orbital
Anwendungsbeispiele
Aufweiten
Konisch-Erodieren
Ecken erodieren Erodieren von Innen-Nuten
Abb. 2.12. Grundbewegung und Anwendungsbeispiele bei der Planetärerosion
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2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
wärmebeeinflusste Zone
Schlichten (planetär)
Schruppen durch Verschleiß nicht abgetragenes Volumen
Schlichten (konventionell)
d2
Auswirkung des Verschleißes (schematisch)
s1 d1
d1 = Schruppelektrode d2 = Schlichtelektrode d3 = d1 s1 = Schruppspalt s2 = Schlichtspalt
d3
Vorteile durch Planetärtechnik 1. Schruppen und Schlichten mit einer Elektrodengeometrie 2. Verbesserte Spülbedingungen dürch "Rührbewegung" 3. Schnellere Spaltausregelung bei Fehlentladungen 4. Kompensation des Verschleißes durch Planetärauslenkung
s2
Abb. 2.13. Vorteile durch den Einsatz der Planetärbewegung beim funkenerosiven Senken
Unterschiedliche Maße brauchen also bei der Fertigung der Elektroden für die einzelnen Schlichtstufen nicht berücksichtigt zu werden. Damit reduzieren sich die Elektrodenherstellkosten, insbesondere dann, wenn mit einer einzigen oder zumindest mit einer geringeren Anzahl an Werkzeugen fertigbearbeitet werden kann. Unabhängig von Funkenspalt und Elektrodenuntermaß können somit hochgenaue Formen erodiert werden, zumal durch die einstellbare exzentrische Bewegung Korrekturen des Endmaßes sehr einfach auszuführen sind [Schu80]. Durch die Kinematik der Planetärbewegung entstehen weitere Vorteile in technologischer Hinsicht. Bei der Umlaufbewegung ergibt sich automatisch aufgrund der sich ständig ändernden Spaltweiten eine wechselnde Saug-Druck-Spülung, die abgetragene Partikel sehr gut aus dem Arbeitsbereich entfernt. Das erreichbare Tiefen-/Durchmesserverhältnis ist infolge dieser verbesserten Spülbedingungen auch ohne zusätzliche Spülhilfen deutlich erhöht. Dementsprechend verbessert sich die Prozessstabilität, was sich letztlich in kürzeren Bearbeitungszeiten und kleineren Endrauheiten bemerkbar macht. Da an allen Bearbeitungsflächen die gleichen Prozessbedingungen vorliegen, ist die Voraussetzung für eine gleichmäßige Oberflächenausbildung an Stirn- und Seitenflächen gegeben. Ein wesentlicher Vorteil ist in der gleichmäßigen Verteilung des Elektrodenverschleißes besonders beim Schlichten zu sehen, da durch die
2.1 Grundlagen
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Translation innerhalb der geschruppten Einsenkung auf einer größeren Fläche erodiert wird, so dass sich der Verschleiß auf die gesamte Elektrodenmantelfläche verteilt [Schu80]. Nachdem die ersten Einrichtungen zur Realisierung der Planetärbewegung als mechanische Zusatzgeräte konzipiert wurden, sind die verschiedenen Bewegungskombinationen heute in der Regel in die Maschinensteuerung fest integriert. Dazu gehören neben der üblichen kreisförmigen Orbitalbewegung auch eckige Auslenkgeometrien und das sternförmige Aufweiten, um gegebenenfalls scharfe Ecken frei zu erodieren. Bahnerosion
Die Modifikation des funkenerosiven Senkens mit der höchsten kinematischen Flexibilität ist die Bahnerosion (Abb. 2.14). Für die Bahnerosion müssen die erforderlichen Raumachsen der funkenerosiven Senkanlage mit der Vorschub- und Spaltweitenregelung verbunden sein. Hinsichtlich der Steuerungskonzeption ist zu berücksichtigen, dass der eigentlichen Bahn ein geregelter Vorschub abhängig von den jeweiligen Spaltbedingungen überlagert werden muss, der einen Rückzug der Elektrode auf der bereits gefahrenen Bahn erlaubt.
Position
Formgebundenes Planetär-Aufweiten kreisförmig konisch kugelförmig
Möglichkeiten zur flexiblen Formerzeugung durch mehrachsiges Erodieren mit einfacheren Elektrodengeometrien Bahnerodieren in der x-/y-Ebene z.B. Anspritzkanäle in Spritzformhälften Verknüpfung der Rotationsachse mit linearen Achsen z.B. Abrollen einer ebenen Fläche auf einer Zylinderfläche
Nachbearbeitung dreidimensionaler Werkstückgeometrien mit rotierender Stiftelektrode
Abb. 2.14. Senkerodieren heute - ein nicht nur rein abbildendes Verfahren (nach AEG, Charmilles, Hansen, Deckel)
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2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
Hierdurch wird der regelungstechnische Aufwand deutlich erhöht. Die mehrachsige Bearbeitung erlaubt die Herstellung eines weiten, komplexen Teilespektrums aus dem Werkzeug- und Formenbau. Der Hauptvorteil liegt in den einfacheren und damit kostengünstig herstellbaren Elektroden. So lassen sich mit dem Bahnerodieren die verschiedensten Bearbeitungsprobleme lösen, vom Einbringen der Anspritzkanäle in Spritzformhälften über die Abrollbewegung von ebenen Flächen auf gekrümmten Flächen bis hin zur Nachbearbeitung dreidimensionaler Werkstückgeometrien mit rotierender Stiftelektrode. Gerade am letztgenannten Beispiel werden aber auch die derzeitigen Grenzen dieser Technik deutlich. Dazu ist auf die gegenüber spanenden Verfahren relativ geringe Abtragleistung der Erosion hinzuweisen. Hinzu kommt, dass einfachere Elektrodengeometrien in der Regel auch geringere Eingriffsflächen bedeuten und damit die Leistungseinbringung reduziert werden muss. Aus gleichem Grund ist der Verschleiß besonders zu berücksichtigen [Waße92]. Funkenerosives Schneiden mit ablaufender Drahtelektrode
Diese Verfahrensvariante hat sich für die Herstellung zylindrischer bzw. konischer Durchbrüche in der industriellen Praxis weitestgehend durchgesetzt. Besonders der Schnittwerkzeugbau ist durch die Drahterosion geradezu revolutioniert worden, da es möglich ist, Stempel und Matrize ohne Teilungen aus einem gehärteten Halbzeug zu fertigen. Den schematischen Aufbau einer modernen Schneiderosionsanlage zeigt Abb. 2.15. Die Maschine besteht im Wesentlichen aus dem Gestell mit den Drahtführungen und -kontaktierungen, dem Drahtantrieb und dem auf einem Kreuztisch angeordneten Arbeitsbehälter mit den Befestigungsmöglichkeiten für das Werkstück. Durch die Ansteuerung der Elektromotoren erfolgt eine Bewegung des Werkstücks relativ zum Draht, so dass durch die Überlagerung der Bewegungen in X- und Y-Richtung beliebige zylindrische Konturen erzeugt werden können. Der Generator ist bei diesem Maschinenbeispiel eine separate Maschinenkomponente. Mit ihm werden Spannungen bis zu 400 V und elektrische Ströme bis ca. 1000 A erzeugt.
2.1 Grundlagen
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Drahtantrieb Werkzeug (Draht) Drahtbremse Werkstück Dielektrikumaggregat
Generator und Steuerung
Abb. 2.15. Schematischer Aufbau einer Drahterosionsanlage
Während bei älteren Anlagen Relaxationsgeneratoren zur Impulserzeugung verwendet wurden, haben sich bei heutigen Anlagen statische Impulsgeneratoren durchgesetzt. Für die in der Drahterosion eingesetzten Generatoren gilt im Unterschied zu den Generatoren an Senkanlagen die Forderung nach einer kleineren Impulsenergie, da aufgrund des geringen Leitungsquerschnitts des Werkzeugdrahts dieser nicht beliebig hoch beansprucht werden kann. Daher wird bei Impulsgeneratoren die Impulsdauer auf wenige Mikrosekunden (0,2 bis 4 µs) begrenzt und die Pausendauer auf das Zehn- bis Zwanzigfache dieses Wertes ausgedehnt, so dass trotz eines hohen Entladestroms der Arbeitsstrom nur wenige Ampère beträgt. Die Entladeenergie wird dem Draht nach Möglichkeit in unmittelbarer Nähe des Arbeitsplatzes über Schleifkontakte in den Drahtführungen zugeleitet, um die elektrische Verlustleistung so gering wie möglich zu halten. Beim funkenerosiven Schneiden wird zumeist deionisiertes Wasser als Arbeitsmedium eingesetzt. Neben den aufgeführten Anlagekomponenten Maschine, Regelung und Generator ist noch das zur Dielektrikumversorgung dienende Flüssigkeitsaggregat mit Pumpe, Filter und Ionentauscher zu nennen. Die Versorgung der Bearbeitungsstelle bzw. die Aufbereitung des Wassers übernimmt das Dielektrikumaggregat. Es hat die Aufgabe, die Abtragpartikel auszufiltern, die elektrische Leitfähigkeit mittels Ionentauscher konstant zu halten und das deionisierte Wasser zu speichern und zu kühlen. Die spezifischen elektrischen Leitwerte des
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2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
deionisierten Wassers liegen dabei üblicherweise im Bereich von 2 bis 100 µS/cm. Alternativ können kohlenwasserstoffbasierte Dielektrika eingesetzt werden, bei denen kein Ionentauscher notwendig ist. Die Spülung erfolgt entweder durch Freistrahlen von oben und unten oder zusätzlich im Bad. Die letztgenannte Verfahrensweise hat jedoch infolge der trotz geringer elektrischer Leitfähigkeit des deionisierten Wassers vorhandenen Streuströme eine höhere Verlustleistung zur Folge. Der Vorteil ist indes, dass durch Konstanthaltung der Wassertemperatur die thermischen Schwankungen am Werkstück gering sind und ein Wasserbad bessere Dämpfungseigenschaften besitzt [Schö93, Sieg94a]. Schnell-Schneiden
Beim Schnell-Schneiden steht die Erzielung einer möglichst hohen Schnittrate im Vordergrund. Die erzeugte Oberflächengüte ist dabei von untergeordneter Bedeutung. Bei dieser Verfahrensmodifikation des funkenerosiven Schneidens wird der Draht aufgrund der hohen Impulsenergie, die übertragen werden muss, thermisch hoch belastet. Der Leistungsschnitt, auch Voll- bzw. Hauptschnitt genannt, dient oft nur dazu, die gewünschte Kontur zu erzeugen. Daher wird üblicherweise an den Leistungsschnitt eine Feinschnittoperation angeschlossen. Fein-Schneiden
Das Fein-Schneiden dient zur Erzielung hoher Oberflächengüten. Der Draht wird beim Feinschnitt lateral zur mit dem Leistungsschnitt erzeugten Kontur geführt. Dabei befindet sich der Draht nicht mehr mit vollem Umfang im zu bearbeitenden Werkstück. Meist werden mehrere dieser sogenannten Nachschnitte benötigt, um eine bestimmte Oberflächengüte zu erreichen, wobei sowohl die Impulsenergie als auch die laterale Zustellung zur Kontur von Schnitt zu Schnitt verringert werden. Dabei werden bis zu sechs Nachschnitte eingesetzt. Konisch-Schneiden
Die Überlagerung der X-, Y-Achsen der unteren Drahtführung mit den U-, V-Achsen der oberen Drahtführung dient zur Erzielung schräger Schnitte, wie sie z. B. bei der Herstellung von Freiwinkeln an Schnittwerkzeugen erforderlich sind. Die meisten Anlagen besitzen Vorrichtungen, die eine numerisch gesteuerte Schrägstellung des Drahts gestatten. Wie in Abb. 2.16 erkennbar, wird der Winkel durch Verschiebung einer Drahtführung (U- und V-Achse) realisiert.
2.1 Grundlagen Bewegung des Werkstücks
obere Drahtführung
Konstante Konizität (Kegelecken)
untere Drahtführung
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Scharfkantige Ecken
Isoradiale Ecken
Variable Konizität (stetig oder unstetig)
Programmierbare Radiusdifferenz oben/unten
Abb. 2.16. Bewegungsüberlagerung und geometrische Alternativen beim konischen Schneiden (nach AGIE)
Die andere Drahtführung bleibt ortsfest. Beim Schneiden komplizierter Konizitäten wird eine Überlagerung der Auslenkbewegung der Drahtführung mit der Bewegung des Werkstücks in der X-Y-Ebene erforderlich. Dem Verfahren eröffnen sich bei realisierbaren Konizitätswinkeln bis etwa 30° Anwendungsbereiche im Extrudierwerkzeugbau, Formenbau und bei der Herstellung von Sintermatrizen sowie Profilzerspanungswerkzeugen. 2.1.4 Modelle zur Funkenerosion
Um die Vorgänge während der Entladung, die zu dem unterschiedlichen Abtragverhalten führen, erklären zu können, wurde seit der industriellen Einführung der funkenerosiven Senkbearbeitung intensiv versucht, den Prozess zu modellieren. Dabei wurden bis in die sechziger Jahre vor allem Einzelentladungen betrachtet, bevor in den siebziger Jahren begonnen wurde, auch die den realen Bedingungen entsprechenden Folgeentladungen zu modellieren [Jenn84, Deke88]. Es zeigte sich jedoch immer, dass es nicht gelang, ein generell gültiges mathematisches Modell zu entwickeln [Kard01]. Daher bestand ein Ansatz darin, den EDMProzess durch statistische Methoden abzubilden [Dauw85, Raju90]. Diese
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2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
sogenannten Data Dependent Systems basierten auf der Grundannahme, dass ein diskretes, gemessenes Eingangssignal immer von den vorangegangenen Werten des Eingangssignals abhängig sein muss. Diese Systeme berücksichtigten jedoch keine physikalischen Zusammenhänge des Prozesses. In der Praxis konnten sich diese Systeme nicht durchsetzen, da einerseits der Rechenaufwand sehr hoch war, so dass eine Echtzeitverarbeitung erschwert wurde, und andererseits die physikalischen Grundlagen nicht berücksichtigt wurden. Weil exakte mathematische Beschreibungen der Vorgänge nicht vorlagen, wurde in den siebziger Jahren ebenfalls begonnen, sogenannte adaptive Kontrollsysteme zu entwickeln, die nicht auf expliziten mathematischen Modellen beruhten, sondern basierend auf empirischen Erfahrungswerten selbständig den Prozess optimierten [Krut79]. Eine typische Anwendung war die Maximierung des Wirkungsgrads, der die erreichte Abtragrate durch die Optimierung der Pausendauer und des Sollwerts der Spaltspannung bewertet. Problematisch waren diese auf mathematischen Algorithmen aufgesetzten Systeme aufgrund von Instabilitäten und Schwierigkeiten, lokale Maxima zu erkennen. In den achtziger und neunziger Jahren wurden diese adaptiven Kontrollsysteme alternativ als Expertensysteme ausgelegt, da diese Systeme besser geeignet waren, Erfahrungswissen des Bedieners abzubilden [Copp95, Dauw95]. Expertensysteme beruhen auf einer Wissensbasis, die experimentell oder heuristisch erarbeitet wurde. Bis heute werden Senkerodiermaschinen mit Expertensystemen, teilweise ergänzt um Fuzzysysteme, ausgestattet, um den Prozess zu optimieren. Arbeiten auf dem Gebiet der Prozessregelung für das funkenerosive Senken zeigten, dass Fuzzysysteme sinnvoll anwendbar sind, da ein gewünschtes Systemverhalten mit einfachen Wenn-Dann-Regeln beschrieben werden kann. Jedoch setzt dies eine genaue Kenntnis über den Prozess voraus. Hierdurch hat die Fuzzytechnologie auch ihre Grenzen, da das Systemverhalten nur unzureichend linguistisch beschreibbar ist [Raab99]. Bisher veröffentlichte Modelle zu den elektrischen Entladungen bei der funkenerosiven Bearbeitung beschreiben drei unterschiedliche Phasen in Abhängigkeit von den Strom- und Spannungsverläufen [Zolo57, Wert75]. Während der Aufbauphase kommt es, nachdem die Durchschlagspannung des Arbeitsmediums durch die angelegte Spaltspannung überschritten wurde, zur Bildung des Entladekanals. In der Entladephase konzentriert sich der zeitlich konstante Strom auf einen kleinen Querschnitt. Der Entladestrom fließt aufgrund der hohen elektrischen Leitfähigkeit des Entladekanals. Die Spaltspannung fällt auf die Entladespannung ab. Während der Abbauphase, die mit dem Abschalten der Stromzufuhr beginnt, bricht der Entladekanal zusammen.
2.1 Grundlagen
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Aufbauphase
In den neunziger Jahren wurden für elektrische Entladungen unter flüssigen Dielektrika eigenständige Modelle entwickelt. Dazu wurden zunächst entsprechende Aufnahmen der Entladungen ausgewertet [Fors90, Chad91]. Um die Entladungen an einem bestimmten Ort zünden und aufnehmen zu können, wurden die Entladungen zwischen einer spitzen und einer flachen Elektrode gezündet, wobei der Elektrodenabstand 5 bis 25 mm betrug und die Leerlaufspannung entsprechend im Bereich von 10 kV gewählt werden musste. Die Verwendung sowohl spitzer als auch flacher Elektroden in Grundlagenuntersuchungen ist zulässig, da es sich bei dem Durchbruch einer elektrischen Entladung um einen Vorgang in einem inhomogenen elektrischen Feld handelt [Fors90, Chad91]. Die Flüssigkeiten waren entweder einfache Kohlenwasserstoffe oder komplexere technische Fluide wie Transformatorenöle. Die eingesetzte Technik umfasste Schatten- oder Schlierenfotografie entweder mit Einzelaufnahmen oder High Speed Framing Cameras. Die Lichtemission wurde mit Fotomultipliern oder Streifenkameras aufgenommen [Fors85]. Bei Flüssigkeitsentladungen wird der Entladekanal während der Durchbruchphase allgemein als Streamer bezeichnet. Aufnahmen zeigen, dass die Kanalentstehung immer an der spitzen Elektrode beginnt [Feli88, Fors90, Chad91]. Dabei ergeben sich unterschiedliche Formen abhängig davon, ob der Entladekanal von der Anode oder der Kathode ausgeht. Damit ist es bei Flüssigkeitsentladungen im Gegensatz zu Gasentladungen offenbar möglich, zwischen positiven Streamern, die an der Anode entstehen, und negativen Streamern, die an der Kathode entstehen, zu unterscheiden. Dabei konnte festgestellt werden, dass die Ausbreitung von positiven Streamern unabhängig von der kinematischen Viskosität der eingesetzten Öle ist, die negativen Streamer jedoch stark durch die Viskosität des Dielektrikums beeinflusst werden. Die positiven Streamer wachsen mit zunehmender Spannung und Zeitdauer faserartig in den Spalt vor, wobei nur wenige Fasern mit geringer Verzweigung zu beobachten sind. Bei kinematischen Viskositäten zwischen 0,65 und 10 mm²/s, wie sie übliche Dielektrika aufweisen, erscheint der negative Streamer buschförmig mit starker Verästelung. Nachdem etwa vier Fünftel des Spalts überbrückt sind, erfolgt der komplette Durchschlag mit erhöhter Vorwachsgeschwindigkeit. Die unverzweigten positiven Streamer sind deutlich schneller. So erreicht unter identischen Bedingungen (kinematische Viskosität 10 mm²/s, Leerlaufspannung 12 kV) der positive Streamer gemittelte Vorwachsgeschwindigkeiten von etwa 2 km/s, der buschartige negative Streamer lediglich 75 m/s [Chad91].
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2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
Negative Streamer wachsen von der Kathode ausgehend in das Dielektrikum hinein [Hebn82, Hebn85]. Dabei kann für negative Streamer gezeigt werden, dass aufgrund der hohen notwendigen Mobilität der Ladungsträger Elektronen in dem Streamer vorliegen müssen [Feli88]. Es kann angenommen werden, dass es aufgrund der angelegten Spannung an einigen, zufällig ausgewählten Stellen der Kathodenoberfläche zu einer feldinduzierten Elektronenemission kommt [Fors90]. Bei negativen Streamern sind die kathodenseitigen Austrittsstellen der Elektronen durch 100 bis 500fache lokale Feldüberhöhungen des elektrischen Felds charakterisiert, die durch Verschmutzung des Dielektrikums oder lokale Rauheitsspitzen verursacht werden können. Bei anhaftenden Verschmutzungspartikeln können austretende Elektronen zunächst in dem Partikel leitfähige Kanäle bilden, wodurch sie Energien von mehreren Elektronenvolt aufnehmen, bevor sie in das Dielektrikum selbst gelangen. Der Austrittsvorgang beruht auf dem sogenannten Tunneleffekt, wobei die Elektronen eine Barriere vor der Elektrodenoberfläche überwinden müssen. Der Strom ergibt sich aus der Addition der Einzelströme an den einzelnen Austrittsstellen [Fors90]. Entladephase und Abbauphase
Die Entladungen der Funkenerosion sind physikalisch vergleichbar mit drei anderen Phänomenen: Den Gasentladungen, dem unerwünschten Durchschlag in Flüssigkeiten bei elektrischen Transformatoren sowie den Unterwasserexplosionen [Euba93]. Ähnlich wie bei vielen Gasentladungen wird hierbei ein konstanter Strom durch ein Plasma geleitet, allerdings sind die Impulszeiten im Allgemeinen kürzer, und der Einsatz eines flüssigen Dielektrikums mit höherer Dichte führt zu anderen Plasmaeigenschaften hinsichtlich Druck, Abmessungen und Temperatur, wodurch erst der hohe Abtrag an den Elektroden ermöglicht wird. Bei Unterwasserexplosionen wird die gesamte Energie zu Beginn bereitgestellt, während in der Funkenerosion die Energie bei konstantem Strom kontinuierlich während der Entladedauer eingekoppelt wird. Das erste umfassende Modell zu der Entladephase, die nach dem elektrischen Durchschlag und der Bildung des Entladekanals beginnt, wurde von van Dijck entwickelt [Dijc73]. Die elektrisch leitfähige Plasmasäule besteht demnach aus einer Mischung aus verdampftem Dielektrikum und Elektrodenmaterial in molekularem, atomarem und ionisiertem Zustand. Der Materialabtrag beruht auf der Umwandlung von elektrischer in thermische Energie. Die Temperaturen in der Plasmasäule werden durch die Gaszusammensetzung, den Entladestrom und den Druck beeinflusst [Dijc73]. Mit Hilfe von Temperaturmessungen durch die Aufnahme der
2.1 Grundlagen
31
Intensität der vom Plasma emittierten Spektrallinien wurde die Temperatur auf 8000 bis 10000 K bestimmt [Albi95, Desc05]. Die Temperaturzunahme in den Elektroden aufgrund von Joulescher Erwärmung kann vernachlässigt werden, da die Stromdichte mit zunehmendem Abstand von der Elektrodenoberfläche stark abfällt. Der Gesamtstrom an der Kathode setzt sich aus dem Elektronenstrom der emittierten Elektronen und dem Ionenstrom der auftreffenden Ionen zusammen. Die Austrittsarbeit der Elektronen aufgrund von thermischer Elektronenemission bewirkt eine Kühlung der Kathode [Dijc73]. Die Emission von Ionen an der Anode kann vernachlässigt werden [Cobi58]. Das Modell von van Dijck unterscheidet die Kathoden-, die Anodenund die Plasmaregion [Dijc73]. Die Festlegung der Kathodenregion erfolgt durch die freie Weglänge eines Elektrons. Die Energie der Elektronen in dieser Region ist kleiner als die Ionisierungsenergie. Die Entladespannung während einer Entladung setzt sich aus dem Spannungsabfall an der Anode, dem Spannungsabfall im Plasma und dem Spannungsabfall an der Kathode zusammen. Der Spannungsabfall im Plasma wird zu Null gesetzt, da dieses Modell voraussetzt, dass im Plasma keine Leistung umgesetzt wird. Das Modell beruht auf der Theorie der thermischen und feldinduzierten Emission von Elektronen. Die Elektronenstromdichte kann berechnet werden, wenn das elektrische Kathodenpotential und die Kathodentemperatur bekannt sind. Nach Mackeown lässt sich dann eine Beziehung zwischen den Potentialgradienten, dem Elektronen- und dem Ionenstrom herstellen [Mack29]. Mit den Potentialgradienten und über das Verhältnis von Elektronen- zu Ionenstrom an der Kathode wird das Leistungsverhältnis zwischen Anode und Kathode berechnet. Der Plasmakanal wird als zylindrische Wärmequelle mit zeitabhängigem Radius und zeitabhängigem Wärmefluss auf einem halb unendlichen Zylinder angesehen. Mit zunehmender Entladedauer weitet sich der Plasmakanal radial auf, so dass die Stromdichte sinkt und sowohl das Verhältnis von Elektronen- zu Ionenstrom als auch das Verhältnis von Anoden- zu Kathodenleistung abnehmen. Das unterschiedliche Abtragverhalten zwischen Kathode und Anode wird somit über diesen Polaritätseffekt erklärt. Die theoretische Leistungsverteilung wird an das experimentell ermittelte Abtragverhalten angepasst, so dass sich ein empirisch ermittelter mathematischer Zusammenhang zwischen dem Verhältnis der Abtragvolumina an Werkzeug und Werkstück und der Leistungsverteilung zwischen Anode und Kathode ergibt. Der Abtrag an den Elektroden erfolgt am Ende der Entladedauer, wenn in der Abbauphase der Druck im Plasmakanal plötzlich abfällt und die über die Siedetemperatur bei Normaldruck erhitzte Schmelze schlagartig verdampft. Durch die schnelle Bildung von Dampfblasen werden auch Flüssigkeitstropfen ausgeschleudert. Das
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2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
Sieden findet in einem Metallvolumen statt, das durch die Elektrodenoberfläche und die Siedepunktisotherme bei Normaldruck begrenzt wird. Gerade am Ende des Impulses, wenn das maximal mögliche Volumen geschmolzen wurde, stellt dieser Evakuierungsprozess den einzigen Mechanismus dar, der beträchtliche Mengen von Metall abtragen kann. Damit kann der Abtrag pro Impuls durch die Berechnung des überhitzten Metalls mit Hilfe des Wärmeleitungsmodells bestimmt werden. Neben diesem Abtragmechanismus, der auf den hohen herrschenden Drücken im Plasmakanal beruht, könnten weitere Prozesskräfte zu einem Materialabtrag führen, indem aus dem Schmelzbad Tropfen abgeschnürt würden. Das Formen dieser Tropfen benötigt Energie, da die Oberflächenspannung ansteigt. Ein Vergleich der für diese Vorgänge notwendigen Kräfte mit den in dem Prozess auftretenden Kräften zeigt jedoch, dass sowohl elektrostatische als auch elektromagnetische, hydrodynamische und aerodynamische Kräfte keinen Abtrag verursachen können, da diese Kräfte viel zu klein sind [Dijc73]. Das vorgestellte Modell beruht nach Eubank [Euba93] auf der Annahme, das Plasma unterliege lediglich adiabaten Zustandsänderungen, Strahlung sei also ausgeschlossen. Außerdem wird für das Plasma die Wärmekapazität eines idealen Gases angenommen, die latente Wärme für Verdampfung und Ionisierung wird nicht berücksichtigt. Aus diesem Grund wird die Plasmatemperatur auch nicht betrachtet. Das Modell widerspricht auch Messungen von Siebers zur Aufteilung der elektrischen Generatorleistung beim Erodieren mit unterschiedlichen Arbeitsmedien und Elektrodenwerkstoffen [Sieb94]. Demnach wird der größte Teil der elektrischen Generatorleistung über das Arbeitsmedium abgeführt, daneben werden durch die Werkstück- und Werkzeugelektroden Leistungsanteile aufgenommen. Der durch die anodisch gepolten Kupferund Graphitwerkzeugelektroden abgeführte Leistungsanteil ist, unabhängig von dem jeweils verwendeten Dielektrikum, höher als der durch das metallische Werkstück abgeführte Leistungsanteil. Dabei wird jedoch nicht geklärt, welche Leistungsanteile zum Aufschmelzen und Verdampfen des Materials führen und welche Leistungsanteile durch Wärmeleitung abgeführt werden. Dibitonto et al. [Dibi89a, Dibi89b] und Eubank et al. [Euba93] entwickelten für die Entladephase getrennte Modelle für die Anode, die Kathode und das Plasma, wobei die Vorgänge während der Durchbruchphase nicht betrachtet werden. Grundsätzlich wird angenommen, dass zeitgleich nur eine Entladung stattfinden kann. Das Plasma strahlt demnach Energie auf die Elektrodenoberflächen ab, was lokal zum Aufschmelzen und später zum Ausschleudern von Material aufgrund von Überhitzung führt. Unter Überhitzung wird die bei Druckabfall eintretende plötzliche
2.1 Grundlagen
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Expansion von Material verstanden, das auf Temperaturen über dem Siedepunkt bei Normaldruck erhitzt wurde. Dabei kann das Elektrodenmaterial bis annähernd zum Siedepunkt unter dem herrschenden Überdruck erhitzt werden. Während der Entladephase wird aufgrund des hohen Überdrucks im Kanal kaum Material durch Verdampfung abgetragen. Sowohl die theoretischen Betrachtungen als auch experimentelle Daten beruhen auf anodisch gepolten Kupferelektroden und kathodisch gepolten Stahlelektroden. Bei den Berechnungen wurde als Dielektrikum deionisiertes Wasser gewählt. Die thermophysikalischen Eigenschaften der Elektrodenmaterialien sind von der Temperatur abhängig. Um die Modelle einfacher zu gestalten, wurden jedoch Mittelwerte benutzt, die wiederum aus der arithmetischen Mittelung mehrerer Mittelwerte aus Temperaturintervallen im Temperaturbereich von 298 K bis zum Schmelzpunkt des Materials gewonnen wurden. Für das unterschiedliche Abtragverhalten an Anode und Kathode wird die Aufteilung der eingekoppelten elektrischen Energie als entscheidend angesehen. Unabhängig von der Entladedauer und dem Entladestrom wird angenommen, dass während der Entladedauer zeitlich konstante Anteile von 18 % der gesamten eingekoppelten elektrischen Leistung an der Kathode und von 8 % an der Anode umgesetzt werden und zu Materialabtrag führen. Diese Leistungsanteile werden nur durch den Elektrodenwerkstoff und das Dielektrikum beeinflusst. Der Rest der eingekoppelten Energie wird benötigt, um die Masse und die Abmessungen des Plasmakanals zu Lasten des umgebenden flüssigen Dielektrikums zu vergrößern. Damit wird aber im Gegensatz zu dem Modell von van Dijck vorausgesetzt, dass auch im Plasma ein Spannungsabfall auftreten muss. Die elektrische Leistung wird aus dem Produkt der Entladespannung und des Entladestroms berechnet, die Entladespannung wird unabhängig von dem Entladestrom mit 25 V angenommen, wobei das Modell für beliebige Entladeströme zwischen 1 und 1000 A gültig sein soll. Es wird nicht zwischen Anoden-, Kathodenund Plasmaregion unterschieden, so dass auch die Entladespannung nicht in Anoden- und Kathodenfall sowie in den Spannungsabfall in dem Plasma aufgeteilt werden muss. Zur Energieübertragung zwischen Entladekanal und Dielektrikum bzw. zwischen Entladekanal und Elektroden wird nur Strahlung und Partikelbeschuss angenommen, da aufgrund der Impulsdauern im Bereich von Mikrosekunden sowohl Wärmeleitung als auch Konvektion vernachlässigt werden können. Die Abtragvorgänge an den Elektroden beruhen jedoch auf Wärmeleitung. Im Gegensatz zu anderen Modellen wird die Masse des Kanals nicht als konstant angenommen, sondern es wird während der gesamten Entladedauer kontinuierlich in jedem Zeitinkrement durch Strahlung aus dem Plasma eine dünne Schicht des umgebenden flüssigen Dielektrikums
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2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
verdampft und ionisiert. Der Plasmakanalradius nimmt aufgrund des hohen Drucks, der das flüssige Dielektrikum hoher Dichte zurückdrängt, und der Umwandlung von flüssigem Dielektrikum in Plasma, ständig zu. In diesem vereinfachenden Modell werden die makroskopischen Eigenschaften des Plasmas, Druck und Temperatur, als räumlich konstant angesehen. Der reale Plasmakanal ist weder kugel- noch zylinderförmig, aus Gründen der Vereinfachung wird jedoch die letztgenannte Geometrie angenommen, wobei aufgrund einer Einschnürung der Radius im Bereich der Kathode viel kleiner ist als im Bereich der Anode. Die radiale Aufweitung des Plasmakanals als Funktion der Entladedauer wird durch die Kontinuitätsund Bewegungsgleichungen für den Plasmakanal, den Energiesatz, die Strahlungsgleichung sowie die thermodynamische Zustandsgleichung beschrieben. Für vorgegebene Impulsparameter, d.h. Entladespannung, Entladestrom, Impulsdauer und Spaltweite, können die Ausgangsgrößen Plasmakanalradius, Temperatur, Druck und Masse numerisch bestimmt werden. Der Plasmakanal weitet sich demnach gemäß der Größengleichung: Rp
k p te0,75 ; Rp / µm, te / µs,
(2-9)
auf, wobei der Vorfaktor kp sich nicht wesentlich mit dem Entladestrom ändert, aber abhängig von der Entladedauer ist. An der Kathode setzt der Abtrag erst mit zeitlicher Verzögerung ein, da die positiv geladenen Ionen eine im Vergleich zu den Elektronen geringe Mobilität aufweisen. Da außerdem an der Kathode Elektronen emittiert werden, bleibt der Plasmakanal eingeschnürt. Der Plasmakanalfußpunkt auf der Kathode, der sogenannte Brennfleck, wird deshalb als punktförmige Wärmequelle mit einem Radius kleiner 5 µm betrachtet (Point Heat Source Model, PHSM). Dabei beruht die Schätzung des Kanalradius auf Messwerten für Plasmakanäle in Kerr-Zellen, die bei Spaltweiten von 6 mm bis 5 cm in Wasser von Robinson et al. beobachtet wurden [Robi73]. Um die entsprechenden Werte für die funkenerosive Bearbeitung zu erhalten, wurden die Radien entsprechend den angenommenen Spaltweiten von 40 µm skaliert. Die Temperatur der Wärmequelle liegt deutlich über der Verdampfungstemperatur des Elektrodenmaterials bei Normaldruck, wobei das zu Beginn der Entladung abgetragene Elektrodenmaterial vernachlässigt werden kann. Der Materialabtrag beruht auf dem Aufschmelzen des Materials aufgrund von Wärmeleitung. Damit kann ausgehend von der partiellen Differentialgleichung für dieses Wärmeleitungsproblem für jeden Zeitpunkt der Entladung die Position der Schmelzisothermen bestimmt werden. Entsprechend dem zeitlich konstanten Anteil der eingekoppelten
2.1 Grundlagen
35
elektrischen Leistung wird pro Zeitinkrement ein Volumeninkrement des Elektrodenmaterials aufgeschmolzen, wobei die durch Wärmeleitung in die Elektrode dem Abtragprozess entzogene Energie nicht berücksichtigt wird. Der Leistungsanteil von 18 %, der für die Kathode gilt, ist aus dem Vergleich der theoretisch berechneten sowie der experimentell bestimmten abtragoptimalen Impulsdauer ermittelt worden. Im Gegensatz dazu wird an der Anode eine sich ausdehnende, kreisrunde Wärmequelle angenommen (Expanding Circular Heat Source Model, ECHSM). Dabei gilt für den Brennfleckradius rg die Größengleichung: rg
0,788 te0,75 ; rg / µm , te / µs.
(2-10)
Der Vorfaktor wurde aus experimentellen Ergebnissen, der Exponent aus Betrachtungen von Robinson et al. [Robi73] zur „Explosion“ von Drähten in Wasser gewonnen. Innerhalb dieses Brennfleckradius herrscht eine gleichmäßige Strahlung, die einen Wärmefluss mit Gaußverteilung bewirkt. Die Temperaturverteilung lässt sich für diese instationäre Wärmeleitung durch eine partielle Differentialgleichung beschreiben. Um jedoch eine analytische Lösung dieser Gleichung zu ermöglichen, wird vereinfachend ein äquivalenter gleichmäßiger Wärmefluss angenommen, dessen Temperaturverteilung nach Carslaw and Jaeger berechnet werden kann [Cars59]. Aus der Superposition der Temperaturverteilung unterschiedlicher Wärmequellenradien nach van Dijck [Dijc73] ergibt sich die resultierende Temperaturverteilung, so dass die Position der Schmelzisothermen berechnet werden kann. Die Temperatur der Wärmequelle liegt auch anodenseitig über der Verdampfungstemperatur des Elektrodenmaterials bei Normaldruck. Das zu Beginn der Entladung abgetragene Elektrodenmaterial kann vernachlässigt werden. An der Anode wird direkt zu Beginn der Entladung Material aufgeschmolzen, da hier zunächst die sehr beweglichen, schnellen Elektronen auftreffen, absorbiert werden und damit ihre kinetische Energie abgeben. Nach einer bestimmten Entladedauer erstarrt das Material jedoch zumindest teilweise wieder. Dadurch wird für einen Entladestrom von 2,34 A ein maximaler Krater bei Entladedauern von 1 µs, für einen Entladestrom von 68 A entsprechend bei Entladedauern von 80 µs erreicht. Dieser Effekt wird durch die radiale Aufweitung der Wärmequelle und die daraus abgeleitete Abnahme der Leistungsdichte des Wärmeflusses erklärt, da der an der Anode wirkende Anteil der Gesamtleistung als zeitlich konstant angesehen wird. Aufgrund der sich aufweitenden Wärmequelle weisen die Schmelzisothermen an der Anode nicht die Form einer Halbkugel, sondern einer halben Ellipse auf. Mit diesen Annahmen lässt sich eine Differentialgleichung aufstellen,
36
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
deren numerische Lösung die Berechnung der Schmelzisothermen ermöglicht. Die Abhängigkeit des Plasmakanalradius Rp und des anodenseitigen Brennfleckradius rg von der Entladedauer te ist konstant, was sich in dem gleichen Exponenten der jeweiligen Gleichungen niederschlägt, Abb. 2.17. Allerdings sind die absoluten Abmessungen des Brennflecks geringer. Dabei entwickelt sich der Brennfleck unabhängig von dem gewählten Entladestrom. Sowohl der Plasmakanalradius als auch der Brennfleckradius nehmen mit der Entladedauer zu, so dass bei einem Entladestrom von 68 A Plasmakanalradien von etwa 10 mm erreicht werden. Das Verhältnis zwischen Plasmakanalradius und Brennfleck erreicht Werte von 98 für den Entladestrom von 68 A respektive 90 für den Entladestrom von 2,34 A. Um diese Werte auf plausiblere Werte zu reduzieren, müsste nach Eubank an der Anode ein höherer Anteil der Gesamtleistung und im Plasma ein reduzierter Anteil der umgesetzten Leistung angenommen werden. Im Gegensatz zu den vorgestellten Modellen stellen Kunieda et al. [Kuni92] in ihrem Modell fest, dass sich der Fußpunkt des Plasmakanals an der Anode mit fortschreitender Entladedauer nicht aufweitet, sondern eingeschnürt bleibt und kreisförmige Bewegungen an der Anode beschreibt. Diese Ergebnisse wurden durch die Vermessung von Entladekratern erarbeitet. Diese Entladungen wurden bei Anliegen eines Magnetfeldes gezündet. Die Anodenkrater bildeten längliche Kavitäten, da der Fußpunkt nicht mehr kreisförmig wanderte, sondern in Richtung der Magnetfeldlinien abgelenkt wurde. Entladestrom 2,34 A
Entladestrom 68 A
1000
10000
kp t
Rp
0,75 e
Radius / µm
Radius / µm
Rp
1000
100 10 1
0,788 t
rg
0,75 e
0,1
k p t 0e,75
100 10
rg
1
0,788 t 0e,75
0,1
0,01
0,01 0
1
2
3
4
5
Entladedauer te / µs
6
0
100 200 300 400 500 600
Entladedauer te / µs
Abb. 2.17. Plasmakanalradius Rp und Brennfleckradius rg (nach [Euba93])
Schönbeck hat für Nadelimpulse, die üblicherweise in der Drahterosion eingesetzt werden, die resultierenden Temperaturfelder berechnet
2.2 Technologie
37
[Schö93]. Dabei ist er von der Grundannahme ausgegangen, dass während der Entladedauer eine konstante Stromdichte in der Wärmequelle erhalten bleibt, da der Entladestrom und die Fläche des Entladekanalfußpunkts proportional zunehmen. Diese Grundannahme kann auf die Senkerodierbearbeitung nicht übertragen werden, da der Entladestrom konstant ist und der Plasmakanalradius bzw. der Wärmequellenradius jedoch zunimmt. Außerdem werden bei Schönbeck nur sehr kurze Entladedauern von maximal 4 µs betrachtet. Bei einer zusammenfassenden Wertung der bisher bekannt gewordenen Theorien und Modelle zeigt sich, dass die der funkenerosiven Bearbeitung zugrunde liegenden physikalischen Grundlagen bislang nicht eindeutig geklärt werden konnten und die vorgestellten Modellvorstellungen sich teilweise widersprechen.
2.2 Technologie Zur wirtschaftlichen Anwendung der Funkenerosion ist eine umfassende Kenntnis der Technologie nötig. Es gilt, die Zusammenhänge zwischen den prozessbeeinflussenden Parametern und dem Arbeitsergebnis zu kennen. 2.2.1 Funkenerosives Senken Einflüsse der Einstellparameter auf die Abtragkennwerte
Der Funkenerosionsprozess lässt sich über eine Variation der Generatorparameter, der Vorschubregelungseinstellung und der Spülbedingungen beeinflussen. Den größten Einfluss auf die Abtrag- und Verschleißkennwerte übt die Entladeenergie We aus, die durch Verändern des mittleren Entladestroms ie sowie durch Verändern der Entladedauer te variiert werden kann. Der Entladestrom kann je nach Maschinentyp und Bearbeitungsfall zwischen 1 und 500 A und die Entladedauer im Bereich von 1 – 2000 Ps eingestellt werden. Abtragraten bis 3000 mm3/min sind realisierbar. Wie Abb. 2.18 zeigt, wächst die Abtragrate bei konstanter Impulsdauer mit steigendem Entladestrom überproportional. Dies ist auf ein Ansteigen
2 Funkenerosives Abtragen (EDM) Abtragrate VW / (mm³/min)
38
1000 500
ie = 100 A
Versuchsbedingungen: ti opt
ie = 60 A
100
WSt W WZ
: 55NiCrMoV7 : 0,94 : Cu ( + )
50 ie = 20 A 10 5
rel. Verschleiß - / %
50 ie = 100 A 10 5 ie = 20 A
ie = 60 A
1 0,5 10
50
100
500
1000
5000
Zeit / µs
Abb. 2.18. Abtragrate und relativer Verschleiß beim funkenerosiven Senken
des für den Abtrag nutzbaren Energieanteils zurückzuführen [Wert75a]. Ebenso steigt, zumindest beim Einsatz von Kupfer als Elektrodenwerkstoff, der relative Verschleiß mit dem Entladestrom. Mit der Verlängerung der Impuls- bzw. Entladedauer steigt die Abtragrate zunächst an, durchläuft ein Maximum und nimmt dann wieder leicht ab. Dieser Verlauf der Abtragkurve lässt sich wie folgt erklären: Mit steigender Impulsdauer dehnt sich der Entladekanal aus. Nach Erreichen eines optimalen Kanaldurchmessers nehmen die Energieverluste durch die Wärmeableitung in den Elektroden und im Arbeitsmedium sowie durch die Strahlung so zu, dass die Abtragrate mit weiter steigender Impulsdauer sinkt. Der relative Verschleiß wird mit wachsender Impulsdauer bei konstantem Entladestrom kleiner. Man nimmt an, dass am Anfang einer Entladung ein wesentlicher Verschleiß durch Verdampfung aufgrund der größeren Energiedichte eintritt. Mit wachsendem Entladekanal wechselt der Erosionsmechanismus, so dass im weiteren Verlauf einer Entladung der Abtrag vorwiegend am Werkstück stattfindet. Hieraus kann gefolgert werden, dass
2.2 Technologie
39
die Verschleißabnahme mit der Verlängerung der Impulsdauer einhergeht, da der Verschleißanteil je Entladung abnimmt [Peul81]. Eine weitere Einstellgröße, die den Prozessverlauf und somit auch das Arbeitsergebnis wesentlich beeinflusst, ist die Pausendauer t0, die an den Maschinen direkt oder durch das Tastverhältnis IJ indirekt eingestellt werden kann. Eine große Pausendauer bzw. ein kleines Tastverhältnis bedeutet eine verminderte zeitliche Ausnutzung der verfügbaren Energie und damit eine Verringerung der Abtragrate Abb. 2.19 [Barz76]. Die Pausendauer sollte daher nur so lang gewählt werden, wie es für eine genügende Deionisierung des Entladekanals im Sinne eines stabilen Prozessverlaufs notwendig ist. Bei zu kurzer Pausendauer bzw. bei zu hohem Tastverhältnis steigt der Leitwert infolge zunehmender Verschmutzung des Arbeitsspalts sehr stark an. Der Spalt wird nicht ausreichend deionisiert. Es entstehen Fehlentladungen und die Gefahr einer Lichtbogenbildung steigt. Weiterhin beeinflusst die Spaltweitenregelung den Prozessverlauf und damit das Arbeitsergebnis. Zu Beginn haben sich Proportionalregler für den Vorschub bewährt, da diese hinreichend schnell auf Prozessänderungen reagieren können. Als Eingangsgröße dient eine der Arbeitsspannung proportionale Sollwertspannung, mit der indirekt die Spaltweite geregelt werden kann. Neuere Regler basieren auf der Auswertung der 50
500
400
40
300
30
200
20
100
10
rel. Verschleiß -
Abtragrate VW / (mm³/min)
Versuchsbedingungen: WSt : WZ : ui : ti :
55NiCrMoV7 Cu 40/8 ( + ) 130 V 200 µs
ie
VW
-
100 A 45 A
0 0
0,4
0,6
0,8
1,0
Tastverhältnis W 300
133
50
10 5
Pausendauer t0 / µs
Abb. 2.19. Abtragrate und relativer Verschleiß als Funktion der Pausendauer
40
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
Zündverzögerungszeiten. Dies hat zum Vorteil, dass unterschiedliche Leitwerte des Dielektrikums bzw. der Materialien keinen störenden Einfluss auf das Regelverhalten besitzen. Bedingt durch das stochastische Verhalten des Funkenerosionsprozesses und der durch das Antriebssystem erforderlichen Regelzykluszeiten, korreliert der Mittelwert aus aufeinanderfolgenden Zündverzögerungen t d mit der Spaltweitenänderung durch den Antrieb [Dehm92]. Durch einen zu kleinen Reglersollwert treten vermehrt Kurzschlüsse und Fehlentladungen, und bei zu hohem Sollwert häufiger Leerläufe auf. Der Spaltweitenregler bestimmt somit die mittlere Arbeitsspannung. Abb. 2.20 zeigt, wie die Abtragrate von ihrem Maximum bei einer Arbeitsspannung von 25 bis 30 V mit abnehmender Arbeitsspannung schnell und mit zunehmender Arbeitsspannung langsamer abfällt. Bei zu kleinem Reglersollwert kommt es infolge des kleinen Spaltbereichs sEk vorwiegend zu Kurzschlüssen und Fehlentladungen. Dies hat kleine Abtragraten und einen hohen relativen Verschleiß zur Folge [Kurr72]. Unter Spaltbereich sEk ist der zwischen Erosion und Kurzschluss verfahrbare Weg der Pinole zu verstehen.
100
Versuchsbedingungen WSt : 55NiCrMoV7 WZ : Cu 40/8 (+) ie : 51 A ti : 1000 µm W : 0,88 ûi : 100 V
16
60
sEK VW 30
8
Spaltbereich sEK / µm
200
90
24
rel. Verschleiß -
Abtragrate VW / (mm³/min)
300
0
0
0
20
40
60
80
100
Arbeitsspannung U / V
Abb. 2.20. Spaltbereich und technologische Kenngrößen als Funktion der Arbeitsspannung
2.2 Technologie
41
Mit steigender Sollwert- und Arbeitsspannung wird ein Abtragmaximum bei übermäßig abfallenden Verschleißwerten erreicht. Eine weitere Erhöhung der Sollwertspannung führt über eine Zunahme des Spaltbereichs zu Entladungen mit überlangen Zündverzögerungszeiten. Hierbei wird die Entladeenergie wegen der Verkürzung der Entladedauer vermindert, die wiederum eine Abnahme der Abtragrate bewirkt. Schließlich wird der Spalt zwischen Werkstück und Werkzeug so groß, dass nur noch Leerlaufimpulse anliegen und keine Entladungen mehr zünden können. Der Prozess kommt zum Erliegen. Der Einstellung der Leerlaufspannung, die die Spaltweite mitbestimmt, kommt eine große Bedeutung zu, da sie die Beschleunigung der Ionen im Dielektrikum beeinflusst. Während des Schruppbetriebs, also beim Erodieren mit hoher Entladeenergie, ist die Spaltweite in der Regel aufgrund der energiereichen Funkenentladung auch bei kleiner Leerlaufspannung so groß, dass Prozessentartungen ohne Überschwingungen der Elektrode in den Leerlauf oder in den Kurzschlussbereich ausgeregelt werden. Mit abnehmender Entladeenergie, also beim Übergang in den Schlicht- und Feinschlichtbereich, wird der Erosionsspalt kleiner. Bis zum Erreichen einer "kleinsten Spaltweite" arbeitet der Prozess noch stabil, obwohl erodierte Partikel immer schwieriger aus der Bearbeitungszone zu entfernen sind. Unterhalb dieser Grenze, die von der Leistungsfähigkeit der Vorschubregelung bestimmt wird, können Prozessentartungen nicht mehr ausgeregelt werden. Hier kann durch Erhöhung der Leerlaufspannung der Erosionsspalt wieder vergrößert werden, so dass sich der Prozess stabilisiert. Einen weiteren Einfluss auf das Abtrag- und Verschleißverhalten übt die Polung aus. Um ein günstiges Abtragverhalten zu erreichen, polt man das Werkzeug gewöhnlich anodisch. Eine kathodische Polung ist nur bei der Bearbeitung mit extrem kurzen Entladezeiten (Größenordnung te < 5 µs), wie z. B. bei der Bearbeitung bestimmter Werkstückwerkstoffe, wie Hartmetall, Titanlegierungen oder Keramik und beim funkenerosiven Polieren sinnvoll. Außer den elektrischen Einstellparametern beeinflusst auch die Spülung den Erosionsprozess. Eine Zwangsspülung durch die Werkzeug- oder Werkstückelektrode oder alternativ die Bewegungsspülung durch periodische Abhebebewegungen ist bei tieferen Einsenkungen zum Abtransport der Abtragpartikel und auch zur Prozessstabilisierung nötig. Den Zusammenhang zwischen den technologischen Kenngrößen und der Durchflussmenge des Arbeitsmediums durch den Arbeitsspalt bei der Zwangsspülung zeigt Abb. 2.21.
42
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
500
50
100
10
50
5 Versuchsbedingungen WZ : Cu 40/8( + ) WSt: 55NiCrMoV7 ûi : 100 V ti : 500 µs W: 0,5
10 5
ie
VW
-
1
rel. Verschleiß-
100
Abtragsrate VW / (mm³/min)
1000
0,5
110 A 40 A 10 A
1 0,02
0,05
0,1
0,5
1
5
0,1 20
Durchflussmenge Q / (cm³/s)
Abb. 2.21. Einfluss der Durchflussmenge auf die technologischen Kenngrößen
Allgemein ergibt sich daraus, dass eine Verbesserung der Abtragkenngrößen grundsätzlich dann festzustellen ist, wenn möglichst wenig Dielektrikum im Spalt fließt. Allerdings besteht eine untere Grenze insofern, dass bei einer zu geringen Durchflussmenge der Abtragprozess zum Erliegen kommt, weil die Abtragprodukte nicht mehr aus dem Spalt entfernt werden können [Barz76]. Da die Druck- oder Saugspülung zu nicht reproduzierbaren Arbeitsergebnissen führen kann, wird sie immer häufiger durch eine reine Bewegungsspülung ersetzt, die jedoch zwangsläufig durch die periodischen Abhebebewegungen der Pinole zu einer Verlängerung der Bearbeitungszeit führt. Prozesssteuerungs- und Prozessüberwachungseinrichtungen
Eine Eigenschaft des Erodierprozesses ist sein zum großen Teil stochastischer Charakter, der durch die sich ständig ändernden physikalischen Verhältnisse im Bearbeitungsspalt bedingt ist. Abweichungen vom erwarteten Arbeitsergebnis sind dabei zum einen auf Maschineneinstellungen zurückzuführen, die den Anforderungen der Bearbeitungsaufgabe nicht genügen oder nicht an den Arbeitsfortschritt angepasst werden. Zum anderen kann der Prozess bei fester Maschineneinstellung von rasch auftretenden Störungen begleitet sein, die sich in Fehlentladungen oder Leerlauf ausdrücken. In die Maschinensteuerung integrierte
2.2 Technologie
43
Prozessregelungs- und Prozessüberwachungseinrichtungen sollen den Prozess in einem optimalen Arbeitsbereich halten bzw. bei nicht zu eliminierenden Störungen den Prozess beenden (Abb. 2.22). Wesentliches Kriterium ist dabei die Erfassung von Störgrößen durch geeignete Prozesskenngrößen zur Beurteilung des momentanen Prozesszustandes. Verschiedene Strategien, die unterschiedliche Zielfunktionen beinhalten können, führen dann zu einer entsprechenden Nachführung der Stellgrößen an der Maschine. Abb. 2.23 zeigt ein adaptives Optimiersystem, das die hohe Flexibilität von digitalen Prozessrechnern bei der Erstellung und beim Testen von Regelungs- und Optimierungsstrategien nutzt. Sensoren erfassen über eine Prozessbeobachtung den aktuellen Spaltspannungs- und Stromverlauf. Die über Komparatoren ermittelten Zündverzögerungszeiten einzelner Entladungen charakterisieren das Abtragund Verschleißverhalten des Erosionsprozesses. Abtrag und Verschleiß können online berechnet werden. Der Prozessrechner verarbeitet die Sensorsignale entsprechend einer vorgegebenen Strategie, die unterschiedliche Zielfunktionen, wie z. B. bei der Schruppbearbeitung hoher Abtrag bei einem vorgegebenen konstanten relativen Verschleiß oder bei der Schlichtbearbeitung die Minimierung von Prozessschwankungen und Störgrößen Werkstück-/ Werkzeugmaterialinhomogenitäten Abtragprodukte Verschmutzung Temperatur Strömungsverhältnisse aktuelle Eingriffsfläche
Maschine
LK
Prozesskenngrößen Erosionsprozess
Entladespannung Entladestrom Zündverzögerungszeit Spaltweite Leitfähigkeit Durchflussmenge Prozessdaten
Arbeitsergebnis Verschleiß Abtrag Oberfläche Randzone
Stellgrößen Impulsdauer Pausendauer Entladespannung Vorschubregelung Leerlaufspannung Durchflussmenge
Regelungsstrategien Zielfunktion: Abtragmaximierung Verschleißminimierung hohe Oberflächengüte geringe Randzonenbreite Sicherheit vor Prozessentartung
Abb. 2.22. Möglichkeiten zur adaptiven Regelung beim funkenerosiven Senken
44
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
Vermeidung von Fehlentladungen, verfolgt. Bei Prozessabweichungen werden die prozessbestimmenden Einstellgrößen über ein Stellsystem dem jeweiligen Prozesszustand angepasst. Die Optimierung der Schruppbearbeitung erfolgt nach folgender Strategie: Zuerst wird mit einem hohen Spaltsollwert anerodiert. Der Reglersollwert wird schrittweise solange erniedrigt, bis ein vorgegebener, relativer Verschleiß erreicht wird. Anschließend werden die getrennten Reglerverstärkungen für die Vorwärts- und Rückwärtsbewegung so angepasst, dass für diesen relativen Verschleiß die höchstmögliche Abtragrate erreicht wird. Falls nur die Abtragrate zu maximieren ist, kann der Sollwert so weit erniedrigt werden, dass gerade keine Lichtbogengefahr auftritt [Dehm92]. In bisherigen Optimiersystemen arbeiteten verschiedene Regler für die Spaltweite und für die adaptive Anpassung der Generatorparameter meistens unabhängig voneinander, so dass diese sich oft gegenseitig negativ beeinflussten. Eine optimale Auslastung der Maschine auch bei extremen Bearbeitungssituationen war bedingt nur mit Hilfe eines Bedieners aufgrund seiner umfangreichen Erfahrung möglich. Der Einsatz der Fuzzy-Logik ermöglicht hier durch das Formulieren von Regelwerken eine Integration der Bedienererfahrung und außerdem die Kombination verschiedener Einzelregler zu einem Mehrgrößenregelsystem [Raab94]. Ein wissensbasiertes Regelungssystem kann den Maschinenbediener bei der Lösung seiner Bearbeitungsaufgabe unterstützen.
Online-Prozessvisualisierung
Fuzzy-Regler
Sollwertspannung Servoantriebe Generator
Lage-Istwerte
Monitor
Prozessbeobachtung Digitale Vorauswertung
FuzzyProzessorkarte
Grafikkarte Grafikprozessor VME-BUS
Prozesskenngrößen
Spaltspannung Entladestrom Leitwert
Reglerentwicklung/Optimierung
Achsregelung
shell: login username: LK password: roc kt
Intelligenter Achscontroller
Steuerung PC Zünd-, Arbeitsstrom, Leerlaufspannung, Impulsdauer, Pausendauer, Spüldruck
Terminal
Master-CPU
Abb. 2.23. Adaptives Optimiersystem für das funkenerosive Senken
2.2 Technologie
45
Daher werden Systeme entwickelt, bei denen der Maschinensteuerung lediglich Materialpaarung, gewünschte Endrauheiten und Geometriekennwerte mitgeteilt werden müssen, so dass die Steuerung geeignete Maschinenparameter vorwählt und diese während des Prozessverlaufs adaptiv anpasst (Abb. 2.24). Unbekannte Bearbeitungsfälle, bei denen die Maschinenparameter nicht aus Technologietabellen gewonnen werden können und die bisher nur durch umfangreiche Technologieversuche realisierbar sind, erfordern lernfähige Systeme. Hier kommen Neuronale Netze zum Einsatz, die in der Lage sind, durch ständiges Trainieren neue Regeln zu erlernen und zu optimieren und so durch Anpassung der Maschinenparameter an den jeweiligen Prozesszustand zum gewünschten Arbeitsergebnis führen [Dauw95]. Datenbanken Werkstückdaten
Materialpaarung Rauheit Geometriekennwerte
? Maschinenbediener
EDMDaten
Abtrag Verschleiß max. Arbeitsstrom Reglerparameter
Technologie Prozessoptimierung Bedienererfahrung
Datenspeicher FuzzyOptimiersystem FuzzyOptimierung Spaltweitenregelung Generator Spülung Optimierung der Reglerparameter
Neuro-Fuzzy Neuronale Netze Erweiterung der Regelbasen Erlernen unbekannter Bearbeitungsfälle
Abb. 2.24. Wissensbasierte Optimierung des funkenerosiven Senkprozesses
Einflüsse des Werkstückmaterials auf das Abtragverhalten
Obschon die Erodierbarkeit eines Werkstoffs von dessen mechanischen Eigenschaften unabhängig ist, haben die chemische Zusammensetzung, und damit zusammenhängend bestimmte physikalische Eigenschaften, einen erheblichen Einfluss.
46
2 Funkenerosives Abtragen (EDM) 500
Abtragrate VW / (mm³/min)
Sn
Pb Zn
100
Al
50
Fe Ni Co
10 5
1 0,5
0,1 100
Versuchsbedingungen WZ: Cu ûi: 150 V ie: 16 A ti: 100 µs
Ag Ti Cu Zr
Nb
W0,74 WZ (+): WZ (-) : 200
Mo Ta W
500
1000
2000
5000
Schmelztemperatur T / °C
Abb. 2.25. Abtragverhalten einiger Reinmetalle
So sind vor allem die thermischen Kenngrößen, wie die Schmelz- und Verdampfungstemperatur bzw. -energie sowie die Wärmeleitfähigkeit und -kapazität, aber auch die elektrische Leitfähigkeit, die atomare Bindungsenergie und die Dichte eines Werkstoffs für dessen Erodierbarkeit maßgebend. Weiterhin können nichtleitfähige Partikel, wie beispielsweise Wolframkarbid in Hartmetallen oder Diamanten, zu einer Veränderung der Erodierbarkeit führen. Daher ergeben sich bei unterschiedlichen Werkstoffen verschiedene Abtragraten und Oberflächenkennwerte. Bei Reinmetallen ist allgemein eine Abnahme der Abtragrate mit steigender Schmelztemperatur festzustellen (Abb. 2.25). Die Abweichung einiger Elemente, wie z. B. Kupfer oder Silber, von diesem Verhalten ist darauf zurückzuführen, dass das Abtragverhalten nicht ausschließlich von einer Materialeigenschaft abhängt. Trotz zahlreicher Untersuchungen ist es bisher nicht gelungen, die Erodierbarkeit aller Reinmetalle lückenlos bestimmten physikalischen Eigenschaften zuzuordnen [Pala56, Long68, Wert75a, Wert75b, Jutz76]. Ebenso wenig existiert für Legierungen eine eindeutige Zuordnung zwischen den Legierungselementen und der erosiven Bearbeitbarkeit. Aus Untersuchungen ist ebenfalls bekannt, dass verschiedene Elektrodenwerkstoffe bei gleichen Werkstückwerkstoffen und Einstellparametern aufgrund eines unterschiedlichen Abtrags je Entladung verschiedene Abtragraten erbringen und sich vor allem in ihrem Verschleißverhalten unterscheiden [Köni74, Jutz76, Hens81, Hens82,
2.2 Technologie
47
Jutz83, et al.]. Als Werkzeugelektrodenwerkstoffe kann man prinzipiell alle elektrisch leitenden Werkstoffe einsetzen; am häufigsten werden derzeit Graphit und Elektrolytkupfer (Kupfer mit hohem Reinheitsgrad >99,5 %) verwendet. Arbeitsmedien
Die funkenerosive Bearbeitung findet in einem Arbeitsmedium statt, das einen erheblichen Einfluss auf den Abtragprozess und seine Wirtschaftlichkeit ausübt. Bislang werden für das funkenerosive Senken Arbeitsmedien auf Ölbasis eingesetzt, die jedoch eine schlechte Umweltverträglichkeit besitzen. Eine ökologische und zugleich ökonomische Alternative zu herkömmlichen Dielektrika auf Ölbasis sind wässrige Arbeitsmedien, die aus Wasser und einer organischen, wasserlöslichen Komponente bestehen (Abb. 2.26) [Sieb94]. Das Arbeitsmedium dient zur Einschnürung des Entladekanals, zur Reinigung und zur Kühlung des Arbeitsbereichs. Im Kühlvermögen unterscheiden sich ölhaltige und wässrige Arbeitsmedien erheblich, weil von der Wasserkomponente eine starke Kühlwirkung durch Verdampfungsvorgänge ausgeht. Der Arbeitsbereich wird daher so intensiv gekühlt, dass bereits kleine Elektrodengeometrien mit einem hohen Strom beaufschlagt werden können. Um den Bereich der Entladung bildet sich zudem weniger Gas, so dass höhere Prozesskräfte entstehen. Der durch die thermische Wirkungsweise der Funkenentladung aufgeschmolzene Werkstoff wird deswegen mit einem hohen Wirkungsgrad aus dem Entladekrater entfernt. Es werden kürzere Erodierzeiten erreicht, die sich bei der Fertigung von großvolumigen Formwerkzeugen in deutlichen Zeitvorteilen beim Schruppen und Vorschlichten niederschlagen [Sieb91, Dünn92, Köni92]. 2.2.2 Funkenerosives Schneiden mit ablaufender Drahtelektrode Die Technologie beeinflussende Verfahrenscharakteristika
Die im vorherigen Kapitel für das funkenerosive Senken beschriebenen grundlegenden Zusammenhänge zwischen Impulsparametern, Abtrag, Verschleiß und Oberflächenbeschaffenheit gelten auch weitgehend für das funkenerosive Schneiden, da beide Verfahrensvarianten auf dem selben Abtragprinzip beruhen. Die Schneiderosion weist jedoch spezielle Eigenschaften auf, die sich in einer eigenständigen Technologie ausdrücken. Die
48
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
Konturerzeugung erfolgt zum einen durch Abbildung der Drahtelektrode, zum anderen jedoch insbesondere durch Abbildung der programmierten Schnittbahn im Werkstück. Der thermischen und mechanischen Beanspruchbarkeit der Drahtelektrode sind durch ihren geringen Querschnitt (Durchmesser von 0,02 - 0,33 mm) Grenzen gesetzt. Zur Vermeidung von Drahtbruch, dessen Hauptursache in einer gleichzeitigen räumlichen und zeitlichen Konzentration von Entladungen zu suchen ist [Deke88], wird daher einerseits der erosionsbedingte Verschleiß am Draht durch eine kontinuierliche Drahterneuerung kompensiert. Andererseits findet die Drahterosion im Vergleich zur Senkbearbeitung auf einem deutlich geringeren Entladeenergieniveau statt.
Abb. 2.26. Gegenüberstellung unterschiedlicher Arbeitsmedien für die Funkenerosion
2.2 Technologie
49
Diese geringen Entladeenergien resultieren hauptsächlich aus sehr kleinen Impulsdauern (ca. 0,1 - 4 µs), die aufgrund der begrenzten thermischen Belastbarkeit der Drahtelektrode sowie zur Gewährleistung einer ausreichenden Spülung des relativ schmalen Arbeitsspalts notwendig sind. Da der anodenseitige Abtrag pro Entladung im Bereich der für die Drahterosion genutzten Impulsdauern (Größenordnung te < 4 µs) über dem kathodenseitigen Abtrag liegt, ist die Elektrode im Unterschied zu den meisten Fällen der Senkbearbeitung negativ gepolt und gewährleistet so eine höhere Leistungsfähigkeit des funkenerosiven Schneidens [Köni90a, Sieg94a]. Ein weiteres charakteristisches Merkmal des funkenerosiven Schneidens stellt in den meisten Fällen die Verwendung von deionisiertem Wasser als Dielektrikum dar. Hierfür sind im Wesentlichen zwei Ursachen zu nennen: Erstens führen die Polarisierbarkeit und die im Vergleich zu Kohlenwasserstoffverbindungen höhere elektrische Leitfähigkeit des Wassers zur Ausbildung eines größeren Arbeitsspalts [Sieg94a]. Hierdurch reduziert sich die Kurzschlussgefahr durch Berührung zwischen Draht und Werkstück, und die Spülung wird einhergehend mit dem Prozessverlauf verbessert. Darüber hinaus sind die Abtragpartikel beim Einsatz von Wasser als Arbeitsmedium kleiner [Hens84]. Als zweiter Grund ist zu nennen, dass von Wasser aufgrund seiner besseren Wärmeleit- und Wärmespeichereigenschaft eine stärkere Kühlwirkung auf die Elektrode ausgeht [Schu75]. Kohlenwasserstoffbasiertes Dielektrikum dagegen ermöglicht kleinere Arbeitsspalte, so dass es zum funkenerosiven Schneiden von Konturen mit sehr kleinen Innenradien weiterhin verwendet wird. Außerdem können durch den Einsatz von kohlenwasserstoffbasierten Dielektrika die Korrosionserscheinungen bei der Bearbeitung von Hartmetall und PKD vermieden werden. In Abb. 2.27 sind zusammenfassend die den funkenerosiven Schneidprozess beeinflussenden bzw. charakterisierenden Größen dargestellt. Technologische Kenngrößen
Zu den Zielgrößen bei der Drahterosion zählen einerseits die Maximierung der Abtraggeschwindigkeit sowie andererseits hohe Genauigkeit, gute Oberflächen- und Randzoneneigenschaften. Als Leistungskenngröße wird beim funkenerosiven Schneiden die sog. Schnittrate Vw herangezogen. Zur Vergleichbarkeit der Abtragleistungen bei unterschiedlichen Werkstückhöhen wird die Vorschubgeschwindigkeit vf des Drahts senkrecht
50
2 Funkenerosives Abtragen (EDM) Werkzeug (Draht): Kernmaterial Beschichtungsmaterial Durchmesser Gefüge des Kerns und der Beschichtung Festigkeit elektrische Leitfähigkeit Oberflächentopographie
Generator: Entladestrom Impulsdauer Polarität Impulsfrequenz Leerlaufspannung Impulsform C, L, R des Entladestromkreises
Maschine: Drahtführung- und Transportsystem NC - Achsantriebe Arbeitsmedium (Leitwert) Spülung Drahtvorspannkraft Drahtablaufgeschwindigkeit Drahtvorschubgeschwindigkeit laterale Drahtzustellung Arbeitsmedium: Viskosität Dichte Zusammensetzung Wärmeleitfähigkeit Wärmekapazität elektr. Leitfähigkeit
Werkstück: Material Gefüge (Korngröße) Höhe magnetische Eigenschaften
EDM Schneidprozess
Prozesskenngrößen: Zündverzögerungszeit Entladedauer Leerlaufanteil Entladespannung Entladeenergie
Umgebung: Hallentemperatur Hallentemperaturschwankung Schwingungseinleitung in die Maschine Technologische Kenngrößen: Schnittrate Gefügebeeinflussung Rauheit Konturgenauigkeit Spaltweite Drahtverschleiß
Abb. 2.27. Den funkenerosiven Schneidprozess beeinflussende bzw. charakterisierende Größen
zur Ablaufrichtung mit der Werkstückhöhe h multiplikativ verknüpft: VW
vf h.
(2-11)
Die Schnittrate besitzt daher im Gegensatz zur Abtragrate beim Senken die Dimension einer Fläche pro Zeiteinheit. Beim Leistungsschnitt (Hauptschnitt) kommt dem Elektrodenverschleiß nur im Hinblick auf einen Drahtbruch Bedeutung zu. Im Schlichtbetrieb (Nachschnitte) fällt er meist so gering aus, dass kaum Einfluss auf die Maßgenauigkeit des Werkstücks besteht. Die Genauigkeit beim funkenerosiven Schneiden ist in erster Linie durch die Geometrie der Schnittspur gekennzeichnet (Abb. 2.28). In Abhängigkeit von Drahtwerkstoff, -durchmesser, -vorspannung, Werkstückhöhe sowie Entlade- und Spülbedingungen bilden sich unterschiedliche Schnittspuren und Bauchungen aus. Bei sog. Nachschnitten befindet sich die Drahtelektrode nicht mehr mit ihrem
2.2 Technologie
51
ganzen Durchmesser im Eingriff, so dass in solchen Fällen die laterale Spaltweite sl herangezogen wird. Als Kenngröße zum Vergleich verschiedener Schnittspalte dient die mittlere Schnittspur, welche das arithmetische Mittel aus oberer und unterer Schnittspur darstellt:
so su . 2
sm
(2-12)
Das Vermessen der Schnittspuren gestattet es weiterhin, die Konizität des Schnittspalts zu bestimmen, die infolge schlechter Spülverhältnisse oder einer ungünstigen Lage des Werkstücks auftreten kann:
tan
Į 2
s o su . 2h
(2-13)
Die Oberflächen- und Randzonenausbildung bei der Schneiderosion wird analog zur Senkbearbeitung durch eine Reihe von Kenngrößen charakterisiert: Während Rauheitskennwerte und Oberflächenwelligkeit die Morphologie der erodierten Oberfläche kennzeichnen, beziehen sich Gefüge, Härte und Eigenspannungszustand der Randzone sowie Messschrieb eines Profiles:
Drahtablaufgeschwindigkeit vD
Werkstück
D Bauchung b
Werkstückoberkante
Werkstückhöhe h
obere Schnittspur so
untere Schnittspur su
Drahtdurchmesser d
frontaler Arbeitsspalt sF
Werkstück
laterale Zustellung 'y
Vorschubrichtung des Werkzeuges Hauptschnitt
Nachschnitt
Werkstückunterkante
laterale Arbeitsspalt sL
Abb. 2.28. Geometrie der Schnittspur beim funkenerosiven Schneiden
52
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
Dauerfestigkeit des Bauteils auf die mechanischen und chemischen Eigenschaften der Randschichten. Verfahrenseinflüsse auf die Schnittrate
Die Schnittrate wird bei vorgegebenem Drahtmaterial und -durchmesser in erster Linie von den elektrischen Parametern Entladeenergie und Impulsfrequenz bestimmt. Bei konstanter Entladeenergie und Erhöhung der Impulsfrequenz nimmt die Schnittrate aufgrund der je Zeiteinheit wachsenden Anzahl der Entladungen zu (Abb. 2.29). Eine Erhöhung der Entladeenergie bei konstanter Impulsfrequenz führt ebenfalls zu einer Schnittratensteigerung, die auf einen wachsenden Abtrag je Entladung zurückzuführen ist. Wie aus Abb. 2.29 weiter hervorgeht, sind einer Erhöhung der Impulsfrequenz aufgrund der thermischen Belastbarkeit des Drahts sowie der unzureichend kurzen Pausendauern zur Spülung des Arbeitsspaltes Grenzen gesetzt. Auch ist erkennbar, dass mit optimierter Technologie höhere Schnittraten möglich sind. Durch spezielle Hochleistungsdrähte ist jedoch immer noch ein Potential zur Erhöhung der Schnittrate vorhanden. Heute sind Schnittraten von maximal 500 mm²/min erreichbar. Einen weiteren deutlichen Einfluss auf die Schnittrate besitzt die Werkstückhöhe (Abb. 2.30). Mit wachsender Werkstückhöhe ist zunächst eine Zunahme der Schnittrate verbunden, für die verschiedene Ursachen in Betracht kommen. Schnittrate Vw / (mm²/min)
120
Draht Kernmaterial: CuZn20 Beschichtung: CuZn50 Messingdraht CuZn20 Messingdraht CuZn37
110 100 90
Messingdraht CuZn37 neue Generatortechnologie: 100% Generatorleistung 70% Generatorleistung 50% Generatorleistung
80 70 60 50 50
: Drahtbruch
Werkstück : X210CrW12 Höhe : 30 mm Impulsdauer : 1,4 µs
40 30
40
50
60
70
80
90
Impulsfrequenz f / kHz
Abb. 2.29. Die Schnittrate in Abhängigkeit von der Impulsfrequenz und der Drahtelektrode
2.2 Technologie
53
Die größere Drahteingriffslänge bei steigender Werkstückhöhe führt zu einer Zunahme der prozessstabilisierenden Kontamination des Arbeitsmediums. Daneben erhöht sich auch die Wärmeleitung durch das Werkstück. Die bei dickeren Werkstücken entstehende, breitere Schnittspur verbessert die Spülverhältnisse und somit die Kühlwirkung des Arbeitsmediums auf den Draht. So liegen in Abhängigkeit von den Arbeitsbedingungen bei einer bestimmten Werkstückhöhe optimale Spaltbedingungen und damit einhergehend ein Schnittratenmaximum vor. Bei einer weiteren Steigerung der Werkstückhöhe wird die Spülung zunehmend erschwert. Die Folge ist eine Anhäufung von Prozessstörungen, die sich in einem Absinken der Schnittrate niederschlagen. Nachteilig auf den Prozessfortschritt wirkt sich auch das infolge einer verbreiterten Schnittspur größere abzutragende Materialvolumen aus. In Hinblick auf die Erzielung möglichst hoher Schnittraten kommt auch der Wahl der Drahtelektrode eine wesentliche Bedeutung zu. Um eine weitgehend verlustfreie Übertragung der elektrischen Energie zum Arbeitsspalt zu gewährleisten, sollte der Drahtwerkstoff eine hohe elektrische Leitfähigkeit besitzen. Weiterhin sollte der elektrische Übergangswiderstand an den Stromzuführungen möglichst gering sein, was sich durch eine oxidfreie und glatte Oberfläche erzielen lässt. Dahingegen haben Untersuchungen gezeigt, dass sich mit aufgerauten Drähten
Schnittrate Vw / (mm²/s)
: m ittlere Schnittspur s m : Schnittrate V W 120 330 110
ûi = 300 V fp = 35 kHz ti = 4 x 3 µs FD= 15 N vD= 200 mm/s
100
90
320
Werkstück : X210Cr12 Werkzeug : CuMg 0,4/Zn/Zn0 310
80 0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
Werkstückhöhe h / mm
Abb. 2.30. Einfluss der Werkstückhöhe auf das Arbeitsergebnis
100
mittlere Schnittspur sm / µm
340
130
54
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
höhere Schnittraten erzielen lassen. Dies resultiert in der verbesserten Benetzung mit dem Dielektrikum und der gleichmäßigeren Zündbedingungen [Hens84]. Der Elektrodenwerkstoff besitzt darüber hinaus Einfluss auf die Bedingungen im Arbeitsspalt. So haben sich vor allem Messinglegierungen und der Einsatz zinkbeschichteter Drähte durchgesetzt, da durch das leicht verdampfbare Zink eine gleichmäßige Spaltkontamination eingestellt werden kann (Abb. 2.29) [Köni74, Hens84]. Näheres über den Aufbau von Drahtelektroden ist in Kap. 2.3 beschrieben. Der Durchmesser der Drahtelektrode stellt einen weiteren wichtigen Einflussparameter auf die Schnittrate dar. Aufgrund der Tatsache, dass die Strombelastbarkeit des Drahtes mit dem Quadrat des Durchmessers steigt, während das Abtragvolumen lediglich linear wächst, sind mit größeren Durchmessern höhere Schnittraten erreichbar [Schu75]. Die Einstellparameter Drahtvorspannung und Drahtablaufgeschwindigkeit müssen der gewählten Drahtelektrode so angepasst werden, dass ein verschleißbedingtes Reißen des Drahtes unterbunden wird. Dabei besitzt die Drahtvorspannung die Aufgabe, Drahtschwingungen zu kompensieren, welche durch die prozessbedingten, am Draht angreifenden Kräfte ausgelöst werden. Der Einfluss des Werkstückwerkstoffs auf die Schnittrate ist im Wesentlichen durch seine thermischen und elektrischen Kenngrößen, aber auch durch seine Dichte und Gefügezusammensetzung gekennzeichnet (vgl. Kap. 2.2.1). So können z. B. nichtmetallische Einschlüsse im Gefüge ab einer gewissen Größenordnung einen gleichmäßigen Prozessverlauf stark behindern. Der Vergütungszustand eines Werkstoffs hingegen ist für die erzielbare Schneidleistung nicht von Bedeutung [Förs79, VDI3400]. Verfahrenseinflüsse auf die Konturgenauigkeit
Wie in Abb. 2.28 dargestellt, lässt sich die Genauigkeit beim funkenerosiven Schneiden anhand von Schnittspur, Bauchigkeit und Konizität beschreiben. Dabei wird die Schnittflächenkontur nachhaltig vom Ausmaß der Drahtschwingungen bestimmt, welche durch die verschiedenen am Draht angreifenden Kräfte hervorgerufen werden [Pans74, Schu75, Förs79, Sieg94a]. Hierbei sind zu nennen: x x x x x
die Drahtvorspannkraft, spülungsbedingte Kräfte, elektrostatische Kräfte, elektromagnetische Kräfte und entladungsbedingte Kräfte infolge des Gasdrucks im Entladekanal.
2.2 Technologie
55
Bei steigender Werkstückhöhe bzw. Einspannlänge des Drahts nimmt die Steifigkeit des eingespannten Drahts ab. Hierdurch werden Schwingungen begünstigt, so dass Schnittspur und Bauchigkeit zunehmen. Abb. 2.31 zeigt die Abhängigkeit der lateralen Bauchung von der Werkstückhöhe. Der Übergang von einer konvexen zu einer konkaven Bauchungsform deutet darauf hin, dass in diesem Fall ab einer Werkstückhöhe von 40 mm die Drahtelektrode eine ausgeprägte Saitenschwingung ausführt [Sieg94a]. Eine Erhöhung der Entladeenergie bewirkt ebenfalls eine Zunahme der Spaltweite bzw. der Schnittspur. Ursache hierfür ist zum einen die mit der Entladeenergie steigende Kontamination des Arbeitsspaltes, welche die Durchschlagfestigkeit sinken lässt [Sieg94a]. Zum anderen bewirkt der Anstieg der entladungsbedingten Kräfte die Ausbildung einer größeren Spaltweite. Höhe des Werkstücks / mm
Laterale Bauchung bl / µm
Form der Bauchung
Ra / µm
10
0,85
0,293
20
1,25
0,300
30
1,75
0,293
40
-2,10
0,297
50
-2,30
0,325
Draht
Versuchsbedingungen Wst: WSt:
HS6-5-3
WZ:
CuZn37 d = 0,2 mm
Einstellparameter:
îe = 0,7 A te = 0,4 µs vf = 1,67 mm/min FD = 14 N
Werkstück
Bauchung
Abb. 2.31. Einfluss der Werkstückhöhe auf die Form und die Größe der lateralen Bauchung
56
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
Weiterhin ist die Breite des Arbeitsspalts in gewissen Grenzen durch die Sollwertspannung beeinflussbar. Auf diese Weise werden über die Vorschubregelung günstige Entlade- und Spülbedingungen eingestellt. Die Drahtelektrode beeinflusst die Schnittspurbreite einerseits über ihren Durchmesser und andererseits über die Materialzusammensetzung in der Außenschicht, die Auswirkungen auf die Kontamination und damit auch auf die Breite des Arbeitsspalts besitzt. Die Konizität der Schnittspur resultiert zumeist aus falsch gewählten Spülbedingungen oder einer ungünstigen Lage des Werkstücks. Neben der Beeinflussung der Schnittflächenkontur führen statische Drahtauslenkungen infolge der oben genannten Kräfte zu Abweichungen von der programmierten Bahn, wie in Abb. 2.32 dargestellt [Schu91]. Beim Richtungswechsel des Vorschubs entsteht bei spitzen Winkeln am Draht eine senkrecht zur Kontur verlaufende Kraftkomponente (Entladungskraft). Der zweite Vektor ist eine Rückstellkraft, die aus statischer Drahtauslenkung und Drahtvorspannkraft resultiert. Er weist Schnitt im spitzen Winkel
Schnitt im stumpfen Winkel
Soll-Kontur Ist-Kontur
Entladungskraft
Draht
Kräfteverhältnisse beim Schneiden eines spitzen Winkels
Rückstellkraft resultierende Kraft
Fres = FEntl + FRück Fres = resultierende Kraft FEntl = Entladungskraft FRück = Rückstellkraft
Abb. 2.32. Konturfehler beim Schneiden durch statische Drahtlagefehler
2.2 Technologie
57
vom Drahtmittelpunkt in Richtung der Position der voreilenden Drahtführungen in der X-Y-Ebene. Seine Richtung wird durch die vorgegebene Schnittbahn bestimmt. Aus diesen beiden Kräften ergibt sich eine resultierende Kraft, die die rückweichende Schnittkontur verursacht. Eine Möglichkeit der Abhilfe besteht in der Reduzierung der Schnittgeschwindigkeit im Kurvenbereich. Dadurch wird der Schleppfehler kleiner, die Bauteilgenauigkeit steigt, aber die Bearbeitungszeit erhöht sich. Verfahrenseinflüsse auf die Oberflächen- und Randzonenausbildung
Insbesondere im Werkzeugbau spielt die erzielbare Oberflächen- und Randzonenausbildung eine entscheidende Rolle, da gerade funkenerosiv geschnittene Bauteile häufig die hochbelasteten Aktivelemente des Werkzeugs darstellen. In Anwendungsfällen, wo die nach dem funkenerosiven Schneiden mit maximal möglicher Schnittrate zurückbleibende Oberflächengüte den Anforderungen nicht gerecht wird, hat sich die Mehrschnitt- bzw. Nachschnitttechnologie durchgesetzt. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass im Anschluss an einen konturerzeugenden Hauptschnitt in mehreren aufeinanderfolgenden Nachschnitten mit sukzessive reduzierter Entladeenergie die Randschicht der vorausgegangenen Bearbeitung nachgearbeitet wird. Hierbei wird neben der Erzielung einer bestimmten Oberflächenrauheit und Form- und Maßgenauigkeit eine Verringerung der Dicke der thermisch beeinflussten Randzone angestrebt. Dies dient in erster Linie einer Verbesserung der dynamischen Bauteileigenschaften. In Abb. 2.33 ist exemplarisch die Oberflächenausbildung mit den dazugehörigen Rauheitskennwerten sowie der Dicke der weißen Randzone für die Bearbeitungsstufen Hauptschnitt bis fünfter Nachschnitt dargestellt. Hierbei ist zu beachten, dass sich lediglich bis zum dritten Nachschnitt eine völlig neue weiße Randzone ausbildet. Ab dem vierten Nachschnitt werden nur noch die Rauheitsspitzen abgetragen bzw. eingeebnet [Sieg94b].
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
Hauptschnitt
3,45
23,47
9,6
1. Nachschnitt
1,94
14,31
5,5
2. Nachschnitt
1,38
8,52
4,1
3. Nachschnitt
0,67
5,29
2,5
4. Nachschnitt
0,53
4,01
1,8
5. Nachschnitt
0,35
3,07
1,4
Schliffbild 20 µm
Werkzeug: CuZn37, d = 0,25 mm
BearbeitungsRa / µm Rz / µm dR / µm stufe
Werkstück: HS6-5-3
58
Abb. 2.33. Randzonenausbildung beim Hauptschnitt und bei den ersten fünf Nachschnitten
Abb. 2.34 verdeutlicht, dass eine Erhöhung der Entladeenergie über den Entladestrom einen Anstieg der Oberflächenrauheit zur Folge hat. Ursache hierfür ist die mit dem Entladestrom zunehmende Kratertiefe, welche unmittelbar die Oberflächenrauheit bestimmt. Die Erhöhung der Entladeenergie über eine Verlängerung der Entladedauer führt gleichfalls zu einem Anstieg der Oberflächenrauheit [Sieg94a].
2.2 Technologie 0,6
59
4,5
4,0
0,5 Rz 0,4
3,5
Versuchsbedingungen
0,3 vD FD 'y N qo qu
0,2
= 90 mm/s = 17 N = 1 µm = 2,1 µS/cm = 30 l/h = 30 l/h
0 0,5
1,0
1,5
WSt WZ h d te fp vf 2,0
3,0
: HS6-5-3 : CuZn37 = 30 mm = 0,25 mm = 0,4 µs = 60 kHz = 2 mm/min 2,5
2,5
gemittelte Rautiefe Rz / µm
arithmetischer Mittenrauwert Ra / µm
Ra
3,0
maximaler Entladestrom îe / A 0
2,7
5,3
8,0
10,7
16,0
Entladeenergie We / µJ
Abb. 2.34. Einfluss des Entladestroms auf die Oberflächenrauheit
Mit wachsender Impulsfrequenz ist eine Abnahme der Oberflächenrauheit zu verzeichnen, die auf die steigende Wahrscheinlichkeit der Einebnung noch vorhandener Rauheitsspitzen infolge dort stattfindender Entladungen zurückzuführen ist (Abb. 2.35). Mit modernen Anlagen kann ein arithmetischer Mittenrauwert von 0,04 µm erreicht werden. Ein Einfluss auf die Oberflächenausbildung geht ebenfalls von den mechanischen Einstellparametern, wie Drahtvorspannkraft, Drahtablaufgeschwindigkeit, Vorschubgeschwindigkeit und den Spülströmen aus. Die Drahtvorspannkraft sollte zur Erzielung eines gleichmäßigen Prozessverlaufs ohne starke zeitliche Spaltweitenschwankungen so hoch wie möglich eingestellt werden. Die Drahtablaufgeschwindigkeit ist so zu wählen, dass die Rauheit des sich im Eingriff befindlichen Drahts trotz seines verschleißbedingten Rauheitsanstieges nicht deutlich über der geforderten Werkstückrauheit liegt [Jörr89].
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
arithmetischer Mittenrauwert Ra / µm
0,350
3,50
3,25
0,325 Ra
3,00
0,300 Rz 0,275
Versuchsbedingungen
0,250
WSt : ASP23 h = 30 mm WZ : CuZn37 d = 0,25 mm îe = 0,7 A = 0,4 µs te = 2 mm/min vf
0
15
30
2,75
vD FD 'y N qo qu
= 90 mm/s = 17 N = 1 µm = 2,1 µS/cm = 30 l/h = 30 l/h
45
60
gemittelte Rautiefe Rz / µm
60
2,50
75
90
Impulsfrequenz fp / kHz
Abb. 2.35. Einfluss der Impulsfrequenz auf die Oberflächenrauheit
Die Vorschubgeschwindigkeit muss für Nachschnitte, bei denen sich kein zur Vorschubgeschwindigkeitsregelung ausreichend großer Stirnspalt ergibt, fest vorgegeben werden. Dabei steigt die Oberflächenrauheit mit einer Anhebung der Vorschubgeschwindigkeit, da ähnlich wie auch bei sinkender Impulsfrequenz die Wahrscheinlichkeit abnimmt, noch vorhandene Rauheitsspitzen einzuebnen. Die Spülströme müssen in Hinblick auf die Erreichung hoher Oberflächenqualitäten optimiert werden: Zu große Spülströme führen zu einer Verschlechterung der Zündbedingungen, und die an der Drahtelektrode angreifende spülungsbedingte Kraft wächst an. Zu niedrig gewählte Spülströme hingegen verursachen eine zu hohe Kontamination des Arbeitsspalts und somit einen ungünstigen Prozessverlauf. Die Drahtelektrode übt im Wesentlichen über ihre Zusammensetzung sowie ihre Oberflächenbeschaffenheit Einfluss auf die erzielbare Werkstückoberflächenqualität aus. Neben glatten, oxidfreien Oberflächen der Drähte hat sich ein leicht verdampfbarer Zinkanteil, der zu einer prozessstabilisierenden Spaltkontamination beiträgt, als vorteilhaft erwiesen [Sieg94a].
2.2 Technologie
56 / 91
arithmetischer Mittenrauwert Ra / µm
20 µm
61
21 / 91 ( 1883 / 91 )
137 / 91
127 / 91
1449 / 93
Werkstück: h = 30 mm Werkzeug: Zn (CuZn37) d = 0,25 mm Entladeparameter: îe = 0,7 A te = 0,4 µs fp = 60 kHz
0,40 0,35 0,30 0,25 0,20 55NiCrMoV7
HS6-5-3 (SM)
X155CrVMo12-1
HM K 40
HS6-5-3 (PM)
Abb. 2.36. Oberflächenausbildung bei verschiedenen Werkstückstoffen im 6. Nachschnitt
Abb. 2.36 zeigt die Abhängigkeit der erzielbaren Oberflächenausbildung vom bearbeiteten Werkstoff. Anhand der Schliffbilder wird deutlich, welche Gefügeeigenschaften für die entstehende Oberflächenrauheit verantwortlich sind. So kommt es beispielsweise bei dem Kaltarbeitsstahl X155CrMoV12-1 aufgrund der großen Mischkarbide mit ihrem relativ hohen Schmelzpunkt verstärkt zu Oberflächendefekten. Augenscheinlich wird dieser Zusammenhang ebenfalls am Beispiel des Schnellarbeitsstahls HS6-5-3: Bei der pulvermetallurgisch hergestellten Variante liegt eine weitaus gleichmäßigere Verteilung und insgesamt kleinere Korngröße der Karbide vor, so dass ein stetiges Abtragverhalten ermöglicht wird. Die beste Oberfläche ist an dem Hartmetallwerkstück erzielbar. Dies liegt zum einen an den kleineren Entladekratern infolge der gegenüber Stahl höheren Schmelz- und Verdampfungsenthalpie und zum anderen an der selbst im Vergleich zu HS6-5-3 (PM) kleineren Korngröße und noch besseren Homogenität des Hartmetallgefüges [Sieg94a]. Entscheidend ist jedoch in allen Fällen, dass der Werkstoff über sein Gefüge bzw. seine Zusammensetzung die Oberflächenausbildung erst dann merklich beeinflusst, wenn gefügebedingte Oberflächendefekte die Größenordnung der geforderten Oberflächenrauheit überschreiten.
62
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
Beim Erodieren von Werkstoffen mit unterschiedlichem elektrochemischen Auflösungsverhalten der Gefügebestandteile, wie beispielsweise Hartmetall, kommt es bei einem hohen Leerlaufspannungsanteil aufgrund der vorwiegend anodischen Werkstückpolung zu einem elektrochemischen Abtrag der Bindephase in deionisiertem Wasser [Köni74]. Dies bewirkt z.T. ein Herauslösen ganzer Karbidkörner aus dem Verbund und führt somit zu entsprechend rauen Oberflächen. Dieser Effekt wird darüber hinaus durch eine hohe Restleitfähigkeit des Dielektrikums sowie eine lange Verweildauer im Wasserbad verstärkt. Die Randzonenausbildung bei der funkenerosiven Bearbeitung ist allgemein in Kap. 2.2.3 beschrieben. Wie bereits aus Abb. 2.33 hervorgeht, nimmt die Tiefe der durch rasches Aufschmelzen und Wiedererstarren gekennzeichneten weißen Randschicht mit sinkender Entladeenergie ab. Damit einhergehend reduzieren sich auch die Größe und Eindringtiefe der Zugeigenspannungen, solange es beim Nachschnitt zur Ausbildung einer völlig neuen Randzone kommt [Sieg94a]. Prozessoptimierung beim funkenerosiven Schneiden
Im Bereich der Prozessregelung und -optimierung existieren mittlerweile eine ganze Reihe unterschiedlicher Systeme, die zum Teil auf eine Steigerung der Schnittrate und zum Teil auf eine Verbesserung der Oberflächenrauheit abzielen [Sieg94b]. So gibt es heute adaptive Regler, die die Generatorparameter und die Charakteristik des Vorschubreglers auf die jeweils zu bearbeitende Werkstückhöhe und den aktuellen Prozessverlauf abstimmen. Hierdurch wird es möglich, den Prozess mit ständig angepassten und somit optimierten Parametern zu betreiben. Auch dient heute schon die aktuelle Werkstückhöhe als Referenzwert für einen automatisch gewählten Spüldruck. Weiterhin gibt es Maschinen, die mit sogenannten Höhenkompensationen ausgerüstet sind. Ziel ist es dabei, die Biegung des Drahtes infolge der äußeren Prozesskräfte durch Überlagerung einer Gleichspannung (elektrostatische Kraft) zu vermeiden oder aber zumindest zu minimieren. Beim Leistungsschnitt besteht die Gefahr eines Drahtbruchs infolge mehrerer Entladungen, die direkt nacheinander an einer Stelle zünden und somit zu einer lokalen thermischen Überlastung der Drahtelektrode führen. Um dieser Gefahr entgegen zu wirken, gibt es Sensoren, die mit Hilfe der Höhe des über den oberen bzw. unteren Stromkontakt fließenden Entladestroms die örtliche Position einer Entladung bestimmen können. Somit ist
2.2 Technologie
63
Stromkontakt I1 Auswerteeinheit
Werkstück
I ges
Drahtführung
Steuerung
I2
Iges
Generator
Abb. 2.37. Sensor zur Detektierung des Funkenüberschlagorts
es z. B. möglich, bei einer gewissen Zahl aufeinander folgender Entladungen einige Impulse auszublenden, um einen Drahtbruch zu vermeiden (Abb. 2.37). Gleiches wird auch verwendet, wenn scharfe Kanten hergestellt werden sollen, um lokal übermäßigen Abtrag zu verhindern. 2.2.3 Oberflächenbeschaffenheit Allgemeines
Unter dem Begriff Oberflächenbeschaffenheit ist die Beschreibung sowohl der geometrischen Gestalt der Oberfläche als auch der metallphysikalischen und chemischen Eigenschaften der unmittelbar unter der Oberfläche liegenden Werkstoffbereiche zu verstehen (Abb. 2.38). Der Oberflächenbeschaffenheit funkenerosiv bearbeiteter Werkstücke kommt besondere Bedeutung zu, da der Erosionsmechanismus auf thermophysikalischen Vorgängen beruht und daher das Festigkeitsverhalten eines Bauteils nachteilig beeinflusst werden kann.
64
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
Topographie
Die Topographie funkenerosiv bearbeiteter Oberflächen ist charakterisiert durch die Aneinanderreihung und Überlagerung einzelner Entladekrater. Die Oberflächengestalt ist daher als narbig oder muldig zu bezeichnen, sie weist keine gerichteten Bearbeitungsspuren auf. Die Beschreibung der Topographie stützt sich in der Regel auf die Erfassung von Rauheitskennwerten mittels Tastschnittgeräten. Zur schnellen, überschlägigen Beurteilung der Rauheit wurde vom Verein Deutscher Ingenieure (VDI) ein Oberflächennormal geschaffen, mit dessen Hilfe erodierte Oberflächen hinreichend genau verglichen und klassifiziert werden können (Tabelle 2.1). Die Rauheit der Oberfläche wird durch die Größe der einzelnen Entladekrater und damit im Wesentlichen durch die Entladeenergie bestimmt (Abb. 2.39). Mit zunehmender Entladeenergie wird mehr Material erschmolzen, so dass größere Erosionskrater zu einer höheren Rauheit führen. Hierbei wirkt sich eine Steigerung der Entladeenergie über den Entladestrom stärker auf die Rauheitszunahme aus als eine Energieerhöhung über die Impulsdauer. Für die Rauheitskennwerte Ra und R z gilt bei funkenerosiv erzeugten Oberflächen nahezu unabhängig von der Werkstoffpaarung und den Einstellparametern der Zusammenhang: (2-14)
R z = (5 – 7) Ra.
Tabelle 2.1. Oberflächennormal für funkenerosiv bearbeitete Oberflächen (nach VDI) VDIKlasse Ra / µm
12
15
18
21
24
27
30
33
36
39
42
45
0,4 0,56 0,8 1,12 1,6 2,24 3,15 4,5 6,3 9,0 12,5 18,0
2.2 Technologie
Topographie der Oberfläche
65
Metallurgie der Randschichten
Oberflächenrauigkeit Mittenrauwert Mittlere Rautiefe Welligkeit Oberflächengestalt Kraterbildung Makrorisse
Metallphysikalische Vorgänge Phasenumwandlungen Änderung der chem . Zusamm ensetzung Diffusion Rekristallisation, Kornwachstum plastische Verformung Resultierende Eigenschaften Mikro- und Makrorisse Restspannungen Verfestigung, Härteänderung
Oberflächenbeschaffenheit funkenerosiv bearbeiteter Werkstücke Korrosionsbeständigkeit Reibverhalten wärmephysikalisches Verhalten
Festigkeit Lebensdauer
Abb. 2.38. Oberflächenbeschaffenheit erodierter Werkstücke
Metallurgische Veränderungen der Randschichten
Im Verlauf einer Funkenentladung wird an den Fußpunkten des Plasmakanals eine extrem hohe Energiedichte induziert, die zum Schmelzen und Verdampfen des Materials in der bereits dargestellten Weise führt. Der eigentliche Abtrag findet beim Abschalten der Entladung durch Herausschleudern eines Teils des schmelzflüssigen Metalls statt, während die restliche Menge des geschmolzenen Materials in Kontakt mit dem bearbeiteten Werkstoff bleibt. Aufgrund der hohen Temperaturen treten in diesem Bereich metallurgische Veränderungen auf. Es können auch weitere Abtragmechanismen, wie z. B. bei der funkenerosiven Bearbeitung von leitfähigen Keramiken oder Hartmetallen auftreten. So ist hier ein Materialabtrag durch Thermoschock oder durch Abplatzen von wiedererstarrtem Material möglich. Auch das Abtragen der Bindephase kann zum Herauslösen von Gefügekörnern führen. Als thermisch beeinflusste Zone wird allgemein der Bereich zwischen der Werkstückoberfläche und dem unbeeinflussten Gefüge bezeichnet. Dieser Bereich umfasst, wie in Abb. 2.40 schematisch dargestellt, drei Bereiche:
66
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
x Die Randzone. Sie wird, da sie von herkömmlichen Ätzmitteln kaum angegriffen wird, häufig auch als weiße Schicht bezeichnet [Rüdi60, Schu66, Schm73]. Der Werkstoff der Randzone wird durch die Funkenentladungen in dem jeweiligen Entladekrater aufgeschmolzen und bei Entladungsabbruch schlagartig abgeschreckt. Durch Materialübertragungsvorgänge kann in die Schmelze Werkstoff der gegenüberliegenden Werkzeugelektrode eindringen. Entsprechend der Ausbildung der Oberflächentopographie ist die Breite der Randzone meist sehr unregelmäßig; stellenweise kann die Randzone unterbrochen sein. Beim Erodieren mit hohen Entladeenergien entstehen Mikrorisse, deren Eindringtiefe bei duktilen Werkstoffen die Breite der Randzone jedoch nur unter anormalen Erodierbedingungen überschreitet. Poren und Mikrorisse sind als Schwachstellen in der Oberfläche anzusehen. 100
Rz 10
10
5
5
Ra 1
1 Werkstück: Werkzeug: Leerlaufspannung: Entladungsstrom:
0,5
0,1
1
10
55NiCrMoV7 Cu ûi = 120...180 V ie = 1...90 A
100
1000
Entladeenergie Energie We / mJ
Abb. 2.39. Oberflächenrauheit in Abhängigkeit von der Entladeenergie
0,5
0,1 10000
Rautiefe Rz / µm
Mittenrauwert Ra / µm
100
2.2 Technologie Risse
67
Pore RZ UZ EZ
Grundgefüge
200 µm
Randzone / µm
HV 0,025
900 600 300
0
50
100
Abstand der Eindrücke vom Rand / µm
Legende:
120 80
EZ : Eigenspannungszone RZ : Randzone UZ : Umwandlungszone bR : Breite der Randzone bU : Breite der Umwandlungszone
bR + bU
40 bR 0
4
8
Entladeenergie We / J
Abb. 2.40. Ausbildung der Oberflächenrandschicht beim funkenerosiven Senken
x Die Umwandlungszone. Diese liegt unterhalb dieser Randzone, ist von dieser durch die Schmelzisotherme scharf abgegrenzt und meist nur bei Stählen sichtbar. In diesem Bereich haben Phasenumwandlungen bei Temperaturen unterhalb des Schmelzpunkts des betreffenden Werkstoffs stattgefunden. Aufgrund der hohen Wärmespannungen können hier, abhängig von der Kristallstruktur, Gleitlinien, Zwillingsbildung und Korngrenzenrisse auftreten [Lloy65, Wert75a]. x Die Eigenspannungszone. Sie reicht noch tiefer in das Grundgefüge hinein. Lichtmikroskopisch ist das Gefüge unterhalb der Umwandlungszone nicht vom unbeeinflussten Grundgefüge zu unterscheiden. Untersuchungen haben gezeigt, dass die durch den thermischen Erosionsprozess induzierten Eigenspannungen weiter in das Grundgefüge eindringen. Der funktionale Zusammenhang von Eigenspannungen und Eindringtiefe ändert sich, wie auch die mittlere Breite der Rand- und Umwandlungszone mit der Entladeenergie (Abb. 2.41). Während sich die maximalen Zugeigenspannungen, die bei geschlichteten Werkstücken nur an der Oberfläche und bei geschruppten innerhalb der Randzone liegen, nur unwesentlich unterscheiden, nimmt die Eindringtiefe der Zugeigenspannungen mit der Entladeenergie erheblich zu. Die Breite der Rand- und Umwandlungszone steigt mit zunehmender Entladeenergie nahezu linear an. Dabei ist der Einfluss einer verlängerten Entladedauer kleiner als eine Erhöhung des Entladestroms, da mit
Eigenspannung V / (N/mm²)
68
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
Versuchsbedingungen: WZ : Cu (+) WSt : 55NiCrMoV7 Streckgrenze Re : 480 N/mm² Zugfestigkeit Rm : 784 N/mm²
500
ie / A
7
7
60
ti / µs
17
230
280
W We / mJ
0,65 0,65 3
35
0,8 370
300
100 0 -100 0
100
300
500
700
Eindringtiefe s / µm
Abb. 2.41. Eigenspannungsverlauf in Abhängigkeit von der Eindringtiefe
wachsender Entladedauer nur eine Vergrößerung der Kraterfläche, aber keine wesentliche Vertiefung der thermisch beeinflussten Zone eintritt [Köni76]. Ebenfalls bedingt durch die thermischen Entladevorgänge ändert sich die Härte der Randschichten [Obri61]. In Abb. 2.40 wurde bereits gezeigt, dass in den Randschichten bestimmter Werkstückwerkstoffe Mikrorisse auftreten können, deren Entstehung auf Zugeigenspannungen zurückzuführen ist [Fiel72, Schm73]. Abb. 2.42 zeigt den Verlauf der tangentialen Restspannung in Abhängigkeit von der Entladeenergie. Diese Tangentialspannungen können Radialrisse verursachen, die sich unter Last tiefer und breiter ausdehnen. Trotz der sehr unterschiedlichen Bearbeitungsbedingungen unterscheiden sich die maximalen Zugeigenspannungen über dem gesamten Bereich der Entladeenergie nur wenig, da in der einmal aufgeschmolzenen Zone vergleichbare Spannungszustände herrschen müssen. Der unerhebliche Abfall bei sehr großen Entladeenergien ist auf Mikrorissbildung zurückzuführen. Diese Mikrorisse gehen von der Oberfläche aus und entlasten dadurch die Zonen größter Zugspannungen [Schm73]. Die Eindringtiefe der Zugspannungen und der plastischen Verformungen nimmt mit steigender Entladeenergie deutlich zu. Zur Rissbildung kann es besonders bei Hartmetall, Keramiken oder „wärmeempfindlichen“ Legierungen kommen. Den Zusammenhang zwischen den elektrischen Kenngrößen und der maximalen Risstiefe zeigt
2.2 Technologie
69
Eigenspannung VWmax / (N/mm²)
900
600 WSt: 55NiCrMoV7 WZ : Cu (+) 400
600
VTmax 300
200
s 0
Eindringtiefe der Zugeigenspannungen s / µm
Abb. 2.42 nach der Bearbeitung der Hartmetallsorte G20 mit Kupferelektroden. Die Risstiefe wird dabei mit längerer Impulsdauer und höherem Entladestrom größer. Die gestrichelt gezeichnete Gerade in Abb. 2.42 zeigt die unter den angegebenen Bedingungen maximal auftretenden Risstiefen, d. h. bis zu dieser Tiefe muss ein erodiertes Werkstück mechanisch nachpoliert werden, wenn alle Risse erfasst werden sollen. Eine weitere negative Beeinflussung der Randzone ergibt sich dann, wenn der Erosionsprozess durch eine ungünstige Wahl der Spülbedingungen und/oder der Impuls- und Pausenzeiten mit verstärkter Lichtbogentendenz arbeitet.
0
Risstiefe dR / µm
1000
s Ris ale m i x ma
100
e tief
Versuchsbedingungen: 10
ie / A
3,3 10 70 120
WSt: WZ : ûi : W :
HM-G20 Cu (-) 60 V 0,5
1 10
100
1000
10000
Entladeenergie We / mJ
Abb. 2.42. Eigenspannungen und Rissbildung als Funktion der elektrischen Kenngrößen
70
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
Dabei reicht dann die zwischen den Impulsen verbleibende Pausenzeit nicht mehr aus, um die Entladestrecke ausreichend zu deionisieren, so dass die aufeinanderfolgenden Impulse an einer Stelle zwischen Werkzeug und Werkstück zu einer „stehenden Entladung“ führen. Durch die punktförmig eingebrachte, entsprechend der Summe der Entladungen vergrößerte Wärmemenge wird die Werkstückoberfläche an dieser Stelle vermehrt aufgeschmolzen. Dies hat eine Verbreiterung der Randzone und immer Rissbildungen zur Folge. Außer den Einstellparametern und den eingesetzten Werkstoffen beeinflusst auch das Arbeitsmedium die Oberfläche und deren randnahe Schichten. Die Viskosität des Arbeitsmediums bestimmt wesentlich die Ausdehnung des Entladekanals und damit die Ausbildung des Entladekraters. Die Zusammensetzung beeinflusst dagegen den Abschreckvorgang. Die sehr hohen Temperaturen begünstigen das Eindiffundieren von Kohlenstoff in die Randzone. Der zu einer solchen Aufkohlung benötigte elementare Kohlenstoff wird zusätzlich zum Wasserstoff frei, wenn Kohlenwasserstoffverbindungen mit Temperaturen belastet werden, wie sie beim Erodieren auftreten [Schu78]. Er kann aber auch vom eingesetzten Werkzeugwerkstoff eingebracht werden, wenn beispielsweise mit Graphit erodiert wird. Abb. 2.43 zeigt die Ergebnisse qualitativer Vergleichsmessungen zur Kohlenstoffkonzentration. Der Kohlenstoffgehalt wurde dabei durch Punktanalysen bestimmt. Bei dieser wird der Elektronenstrahl auf einen unter dem Lichtmikroskop auszuwählenden Punkt fixiert und die Impulse des zu analysierenden Elementes werden von einem elektronischen Zählwerk registriert. Durch Vergleichen der Intensität der charakteristischen Strahlung des betrachteten Elements in der Probe mit der von Standardproben (Proben unterschiedlicher Graphitkonzentration) kann die Konzentration des Elements in der Probe berechnet werden. Erwartungsgemäß ergibt sich eine Abstufung des Kohlenstoffgehalts entsprechend dem jeweils vorhandenen Kohlenstoffangebot. Das höchste Kohlenstoffangebot liegt vor, wenn mit Graphitelektroden in Kohlenwasserstoffdielektrikum erodiert wird (Kurve C1). Hier erreicht deshalb auch der in der Randzone nachgewiesene Kohlenstoff seine höchste Konzentration. Durch einen Wechsel der Werkzeugelektrode von Graphit auf Kupfer wird der Kohlenstoffgehalt auf etwa die Hälfte reduziert (Kurve C2). Die Randzone enthält jetzt zusätzlich Kupfer.
2.2 Technologie
WSt : ûi : : ie ti : W:
C1
D-Fe 120 V 40 A 220 µs 0,8
Kurve WZ (+) Arbeitsmedium KohlenC1 C WaserstoffC2 Cu Dielektrikum
C2
C3 C4
C demineralisiertes D-Fe Wasser
C3
50
Untergrundstrahlung auf D-Eisen
100
Versuchsbedingungen:
Untergrundstrahlung auf Platin
Impulszählrate / (Imp/s)
150
71
C4
0 -10
0
20
40
60
80
100
Eindringtiefe s / µm
Abb. 2.43. Einfluss von Arbeitsmedium und Werkzeugstoff auf den Kohlenstoffgehalt
Wird in deionisiertem Wasser mit Graphitelektroden erodiert, ist eine weitere Verminderung der Kohlenstoffkonzentration festzustellen (Kurve C3). Im Fall der Bearbeitung mit D-Eisen-Elektroden in deionisiertem Wasser fällt die Impulszählrate vom Wert der Untergrundstrahlung auf Platin, gegen das die Probe im Schliffhalter eingebettet ist, auf den Wert der Untergrundstrahlung auf DEisen ab, da weder das Arbeitsmedium noch die Werkzeugelektrode Kohlenstoff enthält. Die Aufkohlung der Werkstückrandzone wird demnach sowohl durch die Wahl des Werkzeugstoffs als auch des Arbeitsmediums bestimmt [Jutz82]. Festigkeit erodierter Bauteile
Die durch den Funkenerosionsprozess hervorgerufenen Eigenspannungen und Mikrorisse in den oberflächennahen Schichten beeinflussen das Festigkeitsverhalten erodierter Bauteile sowohl bei statischer als auch bei
72
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
dynamischer Belastung. Es hat sich gezeigt, dass bei statischer Zug- und Biegebelastung an spröden Werkstoffen Festigkeitseinbußen zu verzeichnen sind, die bei duktilen Werkstoffen unter gleicher Belastung nicht so ausgeprägt sind. Bei dynamischer Belastung werden auch bei duktilen Werkstoffen häufig Festigkeitsminderungen beobachtet. So ist die dynamische Festigkeit funkenerosiv bearbeiteter Bauteile häufig geringer als bei solchen, die spanend bearbeitet wurden. Das Arbeitsergebnis der funkenerosiven Bearbeitung ist abhängig von vielen verschiedenen Parametern, wie z. B. Arbeitsmedium, Elektrodenwerkstoff und Entladeenergie. Diese Parameter beeinflussen die Randzone des Werkstücks auf verschiedene Weise und verändern die Festigkeit erodierter Bauteile. Für die Lebensdauer dynamisch belasteter Bauteile ist deren Oberflächenbeschaffenheit von erheblicher Bedeutung, da die Rissbildung in der Regel von der Oberfläche ausgeht. Für das Entstehen eines Bauteilschadens unter dynamischer Belastung ist daher das Zusammenwirken der Oberflächentopographie, der Eigenspannungen in der Randzone und deren Härte ausschlaggebend. Die durch die Rauheit der Oberfläche erzeugte Kerbwirkung wirkt sich besonders bei spröden Werkstoffen aus. Durch die funkenerosive Bearbeitung von legierten und hochlegierten Werkzeugstählen kann die Härte in den oberflächennahen Randzonen ansteigen. Hierfür können unterschiedliche Phänomene verantwortlich sein, die sich auch gegenseitig beeinflussen. Insbesondere bei massiven Bauteilen ist der Wärmeabfluss in das Werkstoffinnere sehr groß. Es treten hohe Abkühlgeschwindigkeiten auf, durch die sich Hartphasen bilden können (Härteeffekt). In Abhängigkeit vom Grundmaterial und vom Dielektrikum wurde auch beobachtet, dass Kohlenstoff in die Oberfläche des Werkstücks diffundiert. Dies hat Einfluss auf kritische Abkühlgeschwindigkeiten, die den zuvor genannten Härtemechanismus verstärken oder sogar erst ermöglichen. Modellrechnungen von Nöthe zeigen, dass unter bestimmten Annahmen Akühlungsgeschwindigkeiten über 106 K/s an der Oberfläche auftreten [Nöth01]. In diesem Fall steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das erschmolzene Metall nicht mehr kristallin erstarrt. Es können amorphe Oberflächenschichten entstehen, die als metallisches Glas bezeichnet werden und die auch experimentell nachgewiesen werden [Barg04]. Der funkenerosiven Bearbeitung liegt ein rein thermischer Abtragmechanismus zugrunde. Aus der Bearbeitung resultierende Eigenspannungen sind deshalb immer Zugeigenspannungen. In spanenden Fertigungsprozessen überlagern sich mechanische und thermische Wirkmechanismen. Welcher Art die entstehenden Eigenspannungen in diesem Fall sind, ist ohne Kenntnis der Verfahrensbedingungen deshalb nicht
2.2 Technologie
73
24
20
R
12,5
50
2
6
30
6
generell vorhersagbar. Häufig gelingt es in spanenden Fertigungsprozessen, Druckeigenspannungen in der Oberfläche zu erzeugen. Allgemeingültig kann man dies aber nicht voraussagen. Unter der Voraussetzung, dass funkenerosiv bearbeitete Bauteile Zugeigenspannungen aufweisen, elektrochemisch bearbeitete Oberflächen nahezu spannungsfrei sind und durch spanende Verfahren Druckeigenspannungen erzeugt werden, liegt die Dauerfestigkeit (Wöhlerkurve) funkenerosiv bearbeiteter Werkstücke unter denjenigen von ECM und spanend bearbeiteten Bauteilen. Zur Beurteilung der Dauerfestigkeit und des Verlaufs der Zeitfestigkeit werden Wöhlerdiagramme auf der Basis von Flachbiegeschwingversuchen nach den Normen DIN 50100 und DIN 50142 erstellt (Abb. 2.44). Dabei wird eine reine Wechselbelastung auf die Proben aufgebracht. Die Verwendung unterschiedlicher Elektrodenwerkstoffe hat einen Einfluss sowohl auf das Eigenspannungsniveau als auch auf die Oberflächenrauheit. Durch die Verwendung von Kupfer bei der Senkerosion lässt sich zwar eine geringere Oberflächenrauheit erzeugen, aber gleichzeitig
25 65 Werkstoff: HS6-5-3 (59 HRC)
90
Abb. 2.44. Geometrie der Biegewechselfestigkeitsproben Tabelle 2.2. Arbeitsergebnis in Abhängigkeit vom Werkzeugwerkstoff Elektrodenwerkstoff Maximale Eigenspannung Rauheit Dauerfestigkeit
Kupfer 400 MPa Ra = 1,1 µm R z = 8 µm 465,5 MPa
Graphit 320 MPa Ra = 2,0 µm R z = 12 µm 536,7 MPa
74
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
werden höhere Eigenspannungen induziert. Daher ist die Dauerfestigkeit niedriger als die von Bauteilen, die mit Graphitelektroden hergestellt werden (Tabelle 2.2) [Kard01]. Durch den Einsatz ölbasierter Dielektrika in der Senkerosion lässt sich eine geringere Oberflächenrauheit bei ebenfalls geringerem Eigenspannungsniveau erzielen als es in der Bearbeitung unter wasserbasiertem Dielektrikum möglich ist. Dadurch stellt sich eine höhere Dauerfestigkeit ein [Kard01] (Tabelle 2.3). Tabelle 2.3. Arbeitsergebnis in Abhängigkeit vom Dielektrikum Dielektrikum Maximale Eigenspannung Rauheit Dauerfestigkeit
Wasserbasiert 410 MPa Ra = 2,1 µm R z = 15 µm 509,4 MPa
Ölbasiert 320 MPa Ra = 2,0 µm R z = 12 µm 536,7 MPa
Werden Strom, Impulsdauer und Leerlaufspannung verringert, wird dadurch die in das Werkstück eingebrachte Energie gesenkt und eine geringere Oberflächenrauheit und ein niedrigeres Eigenspannungsniveau erzielt, was eine entsprechende Steigerung der Dauerfestigkeit zur Folge hat. Die Prozessenergie wird durch die Variation der Parameter Entladungsstrom, Impulsdauer und Leerlaufspannung eingestellt [Kard01]. Dabei werden zur Schruppbearbeitung die folgenden Parameter verwendet: Strom ie = 4 A; Impulsdauer ti = 8 µs; Leerlaufspannung U0 = 200 V. Die Schlichtbearbeitung wird mit niedriger Energie und den folgenden Einstellungen durchgeführt: Strom ie = 0,8 A; Impulsdauer ti = 0,4 µs; Leerlaufspannung U0 = 180 V. Die entsprechenden Ergebnisse sind in Tabelle 2.4 dargestellt. In Abb. 2.45 werden die Ergebnisse einer Biegewechselfestigkeitsuntersuchung von senkbearbeiteten Proben aus dem Warmarbeitsstahl 55NiCrMoV7 dargestellt. Dabei werden die Auswirkungen des Elektrodenwerkstoffs, des Dielektrikums und der Bearbeitungsenergie untersucht [Kard01]. Darüber hinaus wird die Auswirkung der Vor- und Nachbehandlung des Werkstücks dargestellt [Jutz82]. Durch eine Vergütung des Werkstoffs vor der Bearbeitung und einen nachgeschalteten Nitrierungsschritt lässt sich die Dauerfestigkeit erheblich steigern. Dabei führt das Nitrieren über die Stickstoffdiffusion zu einer leichten Volumenzunahme in der Randzone. Diese führt zu Druckspannungen in der Randzone, welche eine Steigerung der Festigkeit bewirken.
2.2 Technologie
75
Tabelle 2.4. Arbeitsergebnis in Abhängigkeit von der Bearbeitungsenergie Bearbeitungsenergie Maximale Eigenspannung Rauheit Dauerfestigkeit
Niedrig 110 MPa Ra = 0,28 µm R z = 2,8 µm 647,3 MPa
Hoch 320 MPa Ra = 2,0 µm R z = 12 µm 536,7 MPa
Beim funkenerosiven Drahtschneiden lässt sich durch den Einsatz der Nachschnitttechnologie die Randzonendicke verringern, das Eigenspannungsniveau senken und die Oberflächenrauheit verbessern. Dadurch werden ähnliche Rauheitswerte wie beim Schleifen realisiert. Versuche zeigen, dass vom Hauptschnitt zum dritten Nachschnitt sowohl Oberflächenrauheit als auch Eigenspannungsniveau sinken, während durch drei weitere Nachschnitte hauptsächlich eine zusätzliche Verbesserung der Oberflächenrauheit erreicht wird (Tabelle 2.5) [Sieg94a]. Abb. 2.46 zeigt das Ergebnis der Biegewechselfestigkeitsuntersuchung von drahtgeschnittenen Bauteilen aus dem pulvermetallurgischen, vergüteten Schnellarbeitsstahl ASP 23 (HS6-5-3). Diese werden mit 1200
1: Kupfer-Elektrode vor der Erosion vergütet nach der Erosion badnitriert
1100
Ausschlagspannung Va / MPa
1000 2: Graphit-Elektrode Öl-Dielektrikum; I: 0,8 A ti: 0,4 µs ûi: 180 V
900 800 1 700 2 600 3 4
500
5 400
5 10 4 2
5 104 2
5 104 2
5 10 4 2
Schwingspielzahl N
Abb. 2.45. Wöhlerdiagramm für senkerodierte Proben
3: Graphit-Elektrode Öl-Dielektrikum; I: 4 A ti: 8 µs ûi: 200 V 4: Graphit-Elektrode Wasser-Dielektrikum I: 4 A; ti: 8 µs ûi: 200 V 5: Kupfer-Elektrode Öl-Dielektrikum; I: 4 A ti: 8 µs 5 ûi: 200 V
76
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
solchen verglichen, die elektrochemisch bearbeitet oder geschliffen werden. Eine Verbesserung der dynamischen Beanspruchbarkeit funkenerosiv bearbeiteter Bauteile ist letztendlich nur möglich, wenn die Zugeigenspannungen in der Randzone abgebaut und Mikrorisse vermieden oder beseitigt werden. Als naheliegende Maßnahme bietet sich ein Nacharbeiten durch Schlichterodieren bei der Senkerosion bzw. weitere Nachschnitte beim Drahtschneiden an. Tabelle 2.5. Arbeitsergebnisse unterschiedlicher Bearbeitungstechnologien Max. EigenSpannung Randzonendicke Rauheit R z Längs Rauheit R z Quer Dauerfestigkeit
Hauptschnitt 610 MPa
3. Nachschnitt 180 MPa
6. Nachschnitt 200 MPa
Schleifen
10 µm
4 µm
2 µm
24,64 µm
4,69 µm
2,76 µm
0,53 µm
24,55 µm
4,68 µm
2,50µm
1,93 µm
270 MPa
450 MPa
600 MPa
810 MPa
1000 1: EC-Bearbeitung
Ausschlagspannung Va / MPa
900 1 2
800 700 600
3
500 4 400
300 5
200
5 10 4
2
5 105 2
5
10 6
2
5 10 7
Schwingspielzahl N
Abb. 2.46. Wöhlerdiagramm für drahtgeschnittene Proben
2
2: Schleifen 3: Draht-EDM 6. Nachschnitt I: 0,7 A te: 0,4 µs Einzelimpuls 4: Draht-EDM 3. Nachschnitt I: 4 A te: 0,4 µs 16 fach Impuls 5: Draht-EDM Hauptschnitt I: 44 A te: 2,6 µs 4 fach Impuls 5
2.3 Elektrodenmaterialien und Elektrodenherstellung
77
Hier sind jedoch Grenzen gesetzt, da die Abtragraten mit kleiner werdender Entladeenergie bei gleichzeitig zunehmendem Verschleiß stark abnehmen. Aufgrund der Fortschritte in der EDM-Generatortechnologie in den letzten Jahrzehnten konnten die dauerfestigkeitsmindernden Zugspannungen in der Randzone verringert werden. Diese sind allerdings aufgrund des thermischen Abtragprinzips nicht ganz zu vermeiden. Eine wesentlich wirkungsvollere Steigerung der dynamischen Beanspruchbarkeit wird mit einer Änderung des Eigenspannungszustands sowie der Randzoneneigenschaften durch mechanische Entfernung der Eigenspannungszone, Induzierung von Druckeigenspannungen durch Kugelstrahlen und metallurgische Umwandlung der Randzonen durch thermische oder thermomechanische Nachbehandlung der Werkstücke erreicht [Jutz82].
2.3 Elektrodenmaterialien und Elektrodenherstellung Senken
Prinzipiell lassen sich beim funkenerosiven Senken alle leitenden Werkstoffe als Elektrodenmaterial einsetzen. Die Auswahl gut geeigneter Werkstoffe muss sich jedoch an verschiedenen Anforderungen orientieren. So bedingt die Erzielung einer hohen Abtragrate bei gleichzeitig niedrigem Verschleiß aufgrund des Abtragprinzips eine hohe elektrische Leitfähigkeit und Wärmeleitfähigkeit sowie einen hohen Schmelzpunkt des Werkzeugwerkstoffs. Eine ausreichende Festigkeit ermöglicht erst die Erzeugung auch komplexer, feiner Konturen, wie z. B. lange, schlanke Stege. Nicht zuletzt bestimmt die thermische Ausdehnung der Werkzeugelektrode die Genauigkeit des erodierten Werkstücks. Vor dem Hintergrund der Abbildungsgenauigkeit kommt den Fertigungs- und Einspanntoleranzen erhebliche Bedeutung zu. Sollen z. B. Werkstücke mit geometrischen Fehlern < 0,01 mm hergestellt werden, so ist es erforderlich, dass die Elektrodenfertigung noch genauer, zumindest aber mit der gleichen Präzision vorgenommen wird. Mithin sind vom Elektrodenwerkstoff ebenfalls gute Bearbeitungseigenschaften zu fordern. Als gebräuchlichste Elektrodenwerkstoffe ergeben sich aus diesen Anforderungen vorwiegend Elektrolytkupfer und Graphit. Die Auswahl beruht neben den Werkstoffkosten in erster Linie auf den unterschiedlichen Einsatzeigenschaften der beiden Werkstoffe. Eine Besonderheit gegenüber metallischen Werkstoffen weist Graphit im Verschleißverhalten auf. Während der relative Verschleiß von Kupfer mit steigendem Entladestrom bei konstant gehaltener Impulsdauer wächst, nimmt er bei Graphit-
78
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
elektroden ab (Abb. 2.47) [Sasa90]. Aufgrund dieser Eigenschaft eignet sich Graphit vorzugsweise für die Schruppbearbeitung bei hohem Entladestrom und langer Impulsdauer. Kupfer weist dagegen bei der Schlichtbearbeitung mit kleinem Entladestrom und kurzer Impulsdauer signifikante Vorteile auf. Die geringe Wärmeausdehnung von Graphit (ca. 25 % von Kupfer) ermöglicht eine höhere Bearbeitungsgenauigkeit als beim Einsatz von Kupferelektroden. Die bedeutend geringere Dichte von Graphit macht sich besonders bei großvolumigen Elektroden bemerkbar [Weiß78, Sasa90]. Kommen Feinstkorngraphite (Korngröße < 3 Pm) zum Einsatz, können unter angepassten Prozessparametern gute Oberflächenwerte mit Ra t 0,8 Pm erreicht werden. Zur verschleißarmen Bearbeitung, besonders beim Erodieren von Hartmetall und Keramiken, haben sich Sinterlegierungen aus Wolframkupfer bewährt. Die Anwendung von Werkzeugelektroden aus Aluminiumlegierungen, Messing oder Stahl beschränkt sich wegen des hohen Verschleißes auf einige Einzelfälle. In Sonderfällen werden zur Elektrodenherstellung auch Verbundmetalle, wie z. B. Wolframkupfer oder kupferimprägnierte Graphite eingesetzt. Die einzelnen Werkstoffeigenschaften bestimmen letztlich die Auswahl wirtschaftlicher 100 Werkstück: Stahl (-)
relativer Verschleiß - / %
50 WZ: Cu; ti = 50 µs
10 WZ: Cu; ti = 200 µs
5
WZ: C; ti = 50 µs 1 0,5 WZ: C; ti = 200 µs 0,1 0
20
40
60
80
100
mittlerer Entladestrom ie / A
Abb. 2.47. Verschleißverhalten von Kupfer- und Graphitelektroden (nach: AGIE)
2.3 Elektrodenmaterialien und Elektrodenherstellung
79
Fertigungsverfahren zur Elektrodenherstellung. Grundsätzlich lassen sich dazu die allgemein bekannten Verfahren wie Gießen, Schmieden, Drehen, Bohren, Fräsen und Sägen heranziehen. Das bevorzugte Fertigungsverfahren zur Herstellung komplexer 3D-Elektroden ist das NC-gesteuerte Mehrachsfräsen. Die spanende Bearbeitung eignet sich weniger für Kupfer, da es sehr weich ist, als vielmehr für Graphit, da hier nur relativ geringe Schnittkräfte auftreten. Allerdings ist dabei die erhebliche Staubentwicklung bei der Bearbeitungs- und Maschinenauslegung zu berücksichtigen. Als Sonderverfahren zur Fertigung von Graphitelektroden ist das sogenannte Formenschleifen zu erwähnen (Abb. 2.48). Aus einem Graphitblock wird die gewünschte Elektrodenform durch eine kreisende (nicht rotierende) Bewegung eines Schleifwerkzeuges, das die Negativform der herzustellenden Elektrode beinhaltet, herausgearbeitet. Dieses Schleifwerkzeug wird entweder, wie im Bild dargestellt, ausgehend von einem Gesenkmodell oder aber auch von einem Produktmodell in mehreren Verfahrensschritten durch Abgießen hergestellt [Ullm80]. Den Schleifeffekt erzeugt ein in Kunststoff gebundenes Schleifmittel (Korund). Das aus der kreisenden Bewegung resultierende Untermaß der Graphitelektrode muss entweder durch
Gesenkmodell
Abgießen des Elektrodenmodells
Vorschub
Nachsetzen der verschlissenen Elektrode
Schlichterodieren auf Sollmaß mit Planetärbewegung
Abgießen des Formenschleifwerkzeugs (Gießharz, Korund) Vorschub
Senkerodieren mit oder Formenschleifen der Elektrode ohne Planetärbewegung
fertiges Gesenk
Abb. 2.48. Formenschleifen von Graphitelektroden (nach Grafon)
80
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
eine bei der Erosion überlagerte Planetärbewegung ausgeglichen oder aber bereits bei der Herstellung des Schleifwerkzeugs berücksichtigt werden. Als wesentliche Vorteile des Formenschleifens sind die kürzere Herstellzeit der Elektrode bzw. der geringere Aufwand für das Nachsetzen verschlissener Elektroden zu nennen. Dies gilt wiederum nur dann, wenn Umformwerkzeuge in größeren Stückzahlen anfallen, wie es z. B. in der Gesenkschmiedeindustrie sowie in der Spritz- und Druckgießerei der Fall ist. Nachteilig gegenüber dem NC-Fräsen wirkt sich jedoch eine geringere erreichbare Genauigkeit aus. Zudem lassen sich Feinstkorngraphite, die heute für den Feinschlichtbereich bis zu einer Korngröße < 1 µm hergestellt werden, wegen ihres dichten Gefüges nicht wirtschaftlich formenschleifen [Förs87]. Abschließend sei noch erwähnt, dass auch durch funkenerosives Schneiden mit ablaufender Drahtelektrode Formelektroden für die funkenerosive Senkbearbeitung erzeugt werden können. Drahterosion
Die Drahtelektrode stellt das Werkzeug beim funkenerosiven Schneiden dar. Sie besitzt einen deutlichen Einfluss auf Schnittrate, Genauigkeit und Oberflächengüte und bestimmt darüber hinaus auch die Automatisierbarkeit des Erosionsprozesses mit. Hieraus resultiert eine Vielzahl an Anforderungen an die stoffliche Zusammensetzung und die geometrische Gestalt des Drahts (Tabelle 2.6). In der Anfangsphase der Drahterosion kamen in erster Linie Kupferdrähte zum Einsatz, da diese aus dem Bereich der Elektrotechnik verfügbar und außerdem preiswert waren. Dem Vorteil eines hervorragenden elektrischen Leiters steht jedoch nachteilig gegenüber, dass Kupfer eine niedrige mechanische Festigkeit besitzt und die Abtragpartikel im Erosionsspalt zu nichtleitendem Kupferoxid reagieren können und somit die Zündbedingungen verschlechtern. Der heute weltweit am meisten verbreitete Elektrodenwerkstoff ist Messing (CuZn37). Die wesentlich schlechtere elektrische Leitfähigkeit und Wärmeleitfähigkeit gegenüber Kupfer hat nur untergeordnete Bedeutung, da das Zink entscheidenden Einfluss auf die Spaltbedingungen ausübt. Es verdampft sehr leicht während der Entladung und kondensiert darauf im Dielektrikum. Aufgrund der hohen Sauerstoffaffinität des Zinks bildet sich rasch ein Oxidfilm, so dass die Partikel weder aneinander haften noch sich auf der Werkstückoberfläche absetzen können. Des Weiteren fördern die sehr kleinen und fein verteilten Zinkpartikel die Zündfähigkeit im Erosionsspalt. Hierdurch ist es möglich, mit höheren Entladefrequenzen zu arbeiten, die zu einer Schnittratensteigerung führen. Die verbesserten Zündbedingungen haben außerdem eine Spaltver-
2.3 Elektrodenmaterialien und Elektrodenherstellung
81
größerung und damit eine Senkung der Kurzschlussgefahr zur Folge. Messingdraht der Zusammensetzung CuZn37 lässt sich aufgrund seines D-Gefüges gut kaltverformen. Es sind Zugfestigkeiten von über 1000 N/mm² erreichbar. Tabelle 2.6. Wesentliche an die Drahtelektrode gestellte Forderungen und Möglichkeiten zu deren Erfüllung Forderungen kleiner elektrischer Widerstand
Kleiner elektrischer Übergangswiderstand Hohe mechanische Festigkeit
Kleine herstellbare Innenradien Gleichmäßige Spaltkontamination Guter Wärmeübergang zum Dielektrikum Keine Drahtmaterialablagerung am Werkstück
Mögliche Maßnahmen Drahtwerkstoff mit hoher spezifischer elektrischer Leitfähigkeit Großer Drahtdurchmesser Oxidfreie, glatte Drahtoberfläche Drahtwerkstoff mit hoher spezifischer mechanischer Festigkeit Großer Drahtdurchmesser Kleiner Drahtdurchmesser Auswahl des Drahtwerkstoffs unter Berücksichtigung der eingesetzten Entladenergie Mikrostrukturierte Drahtoberfläche Geeignete Werkstoffauswahl
Aus den unterschiedlichen Randbedingungen von Bearbeitungsaufgaben ist die Entwicklung speziell auf bestimmte Zielvorgaben abgestimmter Drahtelektroden hervorgegangen. Dem Zweck einer möglichst optimalen Spaltkontamination sowohl bei hohen als auch niedrigen Entladeenergien tragen heute sogenannte Hochleistungsdrahtelektroden Rechnung, die sich durch einen erhöhten Zinkanteil in der Randschicht auszeichnen. In Abb. 2.49 sind die Querschliffe zweier Hochleistungsdrahtelektroden dargestellt.
82
2 Funkenerosives Abtragen (EDM) 50 µm
Feinschneidelektrode Durchmesser : 0,25 mm Kernmaterial : CuZn37 Mantelmaterial : Zn Festigkeit : 900 N/mm²
50 µm
Schnellschneidelektrode Durchmesser : 0,2 mm Kernmaterial : CuZn20 Mantelmaterial : CuZn50 Festigkeit : 800 N/mm²
Abb. 2.49. Querschliffe moderner zinkbeschichteter Drahtelektroden
Der linke Bildteil zeigt eine Messingelektrode mit einer galvanisch aufgebrachten, i. Allg. nur wenige Mikrometer starken Zinkschicht (vergleiche Kapitel 5.4.1). Das bei diesen Drähten in reiner Form an der Oberfläche liegende Zink verdampft leicht und führt bereits bei geringen Entladeenergien zu einer guten Spaltkontamination. Daher werden diese Drahtelektroden speziell für die Feinbearbeitung eingesetzt. Im Leistungsschnitt verdampft das Zink bei dieser Elektrode so schnell, dass die Beschichtung schon vollständig verdampft ist, bevor der Draht – infolge der Drahtablaufbewegung – das Werkstück verlässt. Aus diesem Grund kommen für den Leistungsschnitt Drahtelektroden zum Einsatz, die nach der Beschichtung mit Zink einem Glühvorgang unterzogen werden. Ziel dieser thermischen Behandlung ist es, die Beschichtung des Drahts derart zu modifizieren, dass der Draht einen hoch zinkhaltigen Mantel besitzt, aus dem das Zink jedoch nur langsam verdampft. Bezüglich dieser Forderung hat sich ein Mantel aus E-Messing (CuZn50) als optimal erwiesen, wie im rechten Teil von Abb. 2.49 dargestellt ist. Bei diesen Schnellschneidelektroden mit einem relativ dicken Mantel aus E-Messing verdampft das Zink selbst bei Impulsen hoher Entladeenergie nur so schnell, dass die Beschichtung des Drahtes auch beim Verlassen des Werkstücks nicht vollständig abgetragen ist. Zu den weiteren Spezialisierungen zählen Drähte mit einer hohen Dehnbarkeit, um den Anforderungen bei konischen Schnitten (> 7°) gerecht zu werden. Diese Drähte eignen sich allerdings nur bedingt für den Betrieb
2.4 Arbeitssicherheit und Umweltschutz
83
auf Anlagen mit automatisierter Drahteinfädelung. Hierfür sind gerichtete Drähte erforderlich, welche die zum Einfädeln erforderliche Steifigkeit und Geradheit aufweisen müssen. In Anwendungsfällen, wo aufgrund der filigranen Konturen sehr geringe Drahtdurchmesser notwendig sind, reicht die Festigkeit von Messinglegierungen nicht mehr aus, so dass hier Drähte aus Stahl, Wolfram oder Molybdän zum Einsatz kommen. Die Herstellung von Nichteisen-Drahtelektroden erfolgt durch Gleitziehen aus kaltgewalztem und weichgeglühtem Stangenmaterial, das zur Vereinfachung des Walzprozesses statt einer runden Form ein Achteckprofil besitzt. Ein moderner Mehrfachziehprozess ist dabei in der Regel in die drei Ziehstufen Grobzug, Mittelzug und Feinzug unterteilt. Zwischen den Ziehstufen wird der Draht aufgrund der Kaltverfestigung weichgeglüht. Im Falle von Hochleistungselektroden findet die Beschichtung vor dem Feinzug statt. Soll der Draht außerdem diffusionsgeglüht werden, so ist der Glühvorgang zwischen dem ersten und zweiten Feinzug angeordnet. Nach dem Feinzug wird der Draht gerichtet, bevor er schließlich auf die für Erosionsanlagen verwendbaren Spulen gebracht wird. Die Durchmesser von Drahtelektroden für die Schneiderosion liegen im Bereich von 0,02 bis 0,35 mm.
2.4 Arbeitssicherheit und Umweltschutz Die Wirtschaftlichkeit der Produktionssysteme ist zunehmend von deren Umweltverträglichkeit abhängig. Daher ist es für die Hersteller und Betreiber von Funkenerosionsanlagen unerlässlich, neben der Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Verfahren Fortschritte im Bereich der Emissionsreduzierung, Abfallvermeidung und der Arbeitssicherheit anzustreben. 2.4.1 Arbeitssicherheit
Maßnahmen zum Schutz des Maschinenbedieners konzentrieren sich zum einen auf den Kontakt mit spannungsführenden Teilen und dem Dielektrikum und zum anderen auf die Emission von Rauchen, Dämpfen und elektromagnetischer Strahlung. Der Zugang zu spannungsführenden Teilen, wie Werkzeugelektrode, Werkstück oder Aufspanntisch, wird durch eine entsprechende Kapselung der Bearbeitungsstelle verhindert. Stromschläge an EDM-Anlagen sind aufgrund der auftretenden Spannungen (bis ca. 300 V) und Impulsfrequenzen stets als lebensgefährlich einzustufen.
84
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
Einen weiteren Gefahrenpunkt stellt die Entflammbarkeit kohlenwasserstoffhaltiger Dielektrika dar. Nach VDI-Richtlinie 3400 dürfen Substanzen mit einem Flammpunkt unter 21°C (Gefahrenklasse A I) nicht in Funkenerosionsanlagen verwendet werden [VDI3400]. Die meisten der heute eingesetzten Dielektrika besitzen einen Flammpunkt oberhalb 55°C und zählen damit zur Gefahrenklasse A III. Dielektrika mit Flammpunkten über 100°C werden als nicht feuergefährlich eingestuft. Kohlenwasserstoffhaltige Dielektrika müssen während und nach ihrem Gebrauch bezüglich ihrer Hautverträglichkeit als kritisch betrachtet werden. Aufgrund der enthaltenen Abtrag- und Zersetzungsprodukte können bei Kontakt Hauterkrankungen, wie Allergien oder Entzündungen, hervorgerufen werden. Daher sind bei häufigem Kontakt mit dem Arbeitsmedium vorbeugende Maßnahmen zum Hautschutz durch Handschuhe oder Schutzmittel sowie sorgfältige Hautreinigung erforderlich. Die Emission von Gefahrstoffen an Funkenerosionsanlagen ist in ihrer Zusammensetzung von Werkstück-, Elektrodenwerkstoff und Dielektrikum und in ihrem Ausmaß von der Abtragleistung abhängig [Bomm83, Pfei85, Busa89]. Die VDI-Richtlinie 3402 schreibt eine Überdeckung der Erodierstelle von 40 mm vor, damit der größte Teil der Dämpfe im Dielektrikum kondensieren kann. Da beim heutigen Stand der Untersuchungsmethoden nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei der Funkenerosion durch katalytische Effekte und extrem hohe Temperaturen krebserzeugende Stoffe entstehen können, insbesondere wenn die verwendeten Werkstoffe krebserregende Legierungselemente enthalten, fordern die Berufsgenossenschaften eine Absaugung der Rauche und Dämpfe an der Bearbeitungsstelle. Die abgesaugten Erodierdämpfe dürfen nicht mehr ohne vorherige Filtration in den Arbeitsraum zurückgeführt werden. Eine Absaugung ohne anschließende Filtration und Ableitung in die Umwelt stellt keine zufriedenstellende Lösung des Problems dar, da so nur eine Verlagerung von der Emission zur Immission erfolgt. Absauganlagen mit nachgeschaltetem Filtersystem an Erodiermaschinen sind daher unumgänglich [Kutz90, Rebr94]. Sie bestehen im Wesentlichen aus den Baugruppen: x Vorabscheider zur Filterung des Staubs (> 3 µm), x Elektrostatfilter oder mechanische Feinfilter aus Zellulosefaser zur Abscheidung der Schwebeteile im Rohgas (0,01 - 3 µm) und x Chemiefilter zur Abscheidung gasförmiger Komponenten. Beim funkenerosiven Schneiden sind aufgrund der Verwendung von deionisiertem Wasser als Arbeitsmedium einerseits und der geringen Abtragmengen andererseits weder eine Überdeckung der Erodierstelle noch eine Absaugung erforderlich.
2.4 Arbeitssicherheit und Umweltschutz
85
Die zum Arbeitsschutz bzw. zur Rauch- und Schadstoffentsorgung bei der Funkenerosion gültigen Rechtsvorschriften sind die "Gefahrstoffverordnung" (GefStV) [GeSV04], das "Bundesimmissionsschutzgesetz" (BImSchG) [BISG02] sowie die Liste der maximalen Arbeitsplatzkonzentrationen (MAK) und der biologischen Arbeitsplatztoleranzwerte (BAT) [DFGe06]. Über die gesundheitsschädliche Auswirkung magnetischer und elektrischer Felder bestehen bislang keine abgesicherten wissenschaftlichen Beurteilungen. Dennoch lässt sich eine Beeinträchtigung biologischer Systeme nicht mit Sicherheit ausschließen. Maßnahmen zur Reduzierung der Störaussendung bestehen grundsätzlich in Entstörung und Störschutz. Als Lösungsansatz bei leitungsgebundener Störung (Störimpulse, überlagerte Störspitzen) kommen Einzel- und Sammelentstörung durch den Einsatz von Netzfiltern in Betracht. Bei elektromagnetischen Feldern sind Abschirmungen in Form von Teil- oder Vollabschirmung möglich [Cord92, EMVE92]. 2.4.2 Umweltschutz
Die bei der Filtration des Arbeitsmediums zurückbleibenden Abfälle werden als Erodierschlamm bezeichnet. In diesen Abfällen sind neben Abtrag- und Verschleißpartikeln auch Filterstoffe und Filterhilfsmittel sowie Dielektrikum und dessen Zersetzungsprodukte aufzufinden. Weitere Abfallstoffe, die bei der Funkenerosion anfallen, sind verbrauchte Filterhilfsstoffe (z.B. Papierfilter), ölhaltige Betriebsmittel und im Fall der Wassererosion Deionisierharze. Die fachgerechte Entsorgung dieser Abfälle regelt das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz. Durch dieses Gesetz wird eine nachhaltige Abfallwirtschaft angestrebt, die die natürlichen Ressourcen durch Abfallvermeidung und Verwertung schont bzw. die umweltverträgliche Abfallbeseitigung sichert. Dem Kreislaufwirtschaftsund Abfallgesetz sind weitere Richtlinien und Verordnungen zugeordnet, die das Gesetz entsprechend ergänzen. So regelt beispielsweise die Abfallverzeichnisverordnung die richtige Bezeichnung und Einstufung der Abfälle nach ihrer Überwachungsbedürftigkeit. Die Abfälle der Funkenerosion sind danach stofflich oder energetisch zu verwerten (Verbrennung) oder umweltverträglich (Sonderabfalldeponierung) zu beseitigen. In diesem Fall bietet sich die Zusammenarbeit mit einem anerkannten Entsorgungsfachbetrieb an [KWAG94, AVV02, Bmud05].
86
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
2.5 Anwendungsbeispiele 2.5.1 Senken
Seit der Einführung der Funkenerosion in die industrielle Anwendung haben die verfahrensbedingten Vorteile in Verbindung mit einer zunehmenden Beherrschung der Prozesstechnologie sowie weiterentwickelter Erosionsanlagen zu einer deutlichen Ausweitung des Einsatzgebiets geführt. Anhand ausgewählter Beispiele aus der Praxis werden im Folgenden einige verfahrenscharakteristische Anwendungen vorgestellt. Der Einsatzschwerpunkt bei der Funkenerosion liegt im Bereich der Einzel- und der Kleinserienfertigung, z. B. im Werkzeug- und Formenbau. Abb. 2.50 zeigt die Druckgussform eines Zylinderdeckels für einen Zweitaktmotor. Die Schwierigkeit bei der Herstellung solcher Formen beruht auf dem großen Tiefe-/Breiten-Verhältnis der erforderlichen Kühlschlitze. Problematisch ist für diese Bearbeitungsfälle die Elektrodenherstellung, da oft die gleichen Fertigungsprobleme aufgrund der komplizierten Geometrie auftreten wie beim Werkstück selbst. Allerdings sind Elektrodenwerkstoffe wegen ihrer günstigeren mechanischen Eigenschaften einfacher spanend zu bearbeiten als die Werkstückwerkstoffe. Werkstück
Elektrode
Abb. 2.50. Funkenerosive Bearbeitung: Druckgussform für Zylinderdeckel (nach AGIE)
2.5 Anwendungsbeispiele
87
Die in Abb. 2.50 gezeigte Elektrode veranschaulicht, dass sich die Fertigung der komplizierten Elektrodenform durch eine Aufteilung der Elektrode in einzelne, den Kühlschlitzen entsprechende Segmente wesentlich erleichtern lässt. Nach der spanenden Bearbeitung der einzelnen Segmente können diese in einer Spannvorrichtung zu einer kompletten Werkzeugelektrode montiert werden. Ein weiteres Beispiel für den Einsatz des funkenerosiven Senkens ist das in Abb. 2.51 gezeigte Druckgusswerkzeug für einen Zylinderkopfkompressor. Die Schrupp- und Schlichtelektroden werden mittels Hochgeschwindigkeitsfräsen aus Feingraphit gefertigt. Diese können wegen geringem Verschleiß mehrfach eingesetzt werden. Die Erodierzeit des Druckgusswerkzeugs beträgt 40 Stunden. Dabei wird eine Rauheit von VDI 29 erreicht. Bei dieser Oberflächenqualität ist nur eine kurze Polierzeit nötig. Dieses Druckgusswerkzeug erreicht eine Standzeit von 100.000 Teilen. Abb. 2.52 enthält ein Anwendungsbeispiel aus dem Bereich der kunststoffverarbeitenden Industrie. Das für die Herstellung von Kunststoffflaschen mit 1,5 l Inhalt benötigte, zweigeteilte Spritzgießgesenk aus Stahl wird nach einer spanenden Vorbearbeitung (Bohrung mit 50 mm Durchmesser) mit je einer Graphitelektrode zum Schruppen und Schlichten funkenerosiv fertigbearbeitet. Die hierbei erreichte Oberflächenrauheit beträgt Ra = 1,3 µm bei einer Gesamtbearbeitungsdauer von 50 Stunden im vollautomatischen Betrieb ohne manuelle Überwachung. Graphitelektrode
Zylinderkopf (Aluminium-Legierung)
Druckgusswerkzeug (X37CrMoV5-1)
Abb. 2.51. Druckgusswerkzeug und Graphitelektrode für Zylinderkopf (nach AGIE)
88
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
Ein weiterer Einsatz von Graphitelektroden wird in Abb. 2.53 gezeigt. Hier wird mittels funkenerosivem Senken eine Schmiedegesenk für PKW Felgen gefertigt. Für den Fall, dass glattere Oberflächen gefordert sind, kann das funkenerosive Polieren vorteilhaft eingesetzt werden. Mit diesem Verfahren können schwer zugängliche, schmale und tiefe Einsenkungen für Rippen ebenso wie strukturierte Flachgravuren in Prägewerkzeugen auf allen Seiten gleichmäßig bis zum Polierglanz vollautomatisch und formgenau geglättet werden. Als Beispiel hierzu ist in Abb. 2.54 eine komplexe Geometrie einer Spritzgießform für Rohrklammern dargestellt, die funkenerosiv poliert wurde. Am Glanz der erzeugten Form wird die Qualität der Oberfläche deutlich. Beim Polieren ergibt sich durch den räumlich in allen Richtungen wirksamen Erodiervorgang ein besonderer Vorteil dadurch, dass auf diese Art Hinterschnitte nicht entstehen können. Es lassen sich Oberflächenrauheiten bis R z = 1,2 µm bzw. Ra = 0,2 µm und teilweise noch darunter reproduzierbar herstellen. Dies gilt jedoch nur für niedrig gekohlte, hochlegierte Stähle, wobei die Wärmebehandlung hier ohne Einfluss auf die erzielbare Oberflächenrauheit bleibt. Demgegenüber sind Stähle mit hohem Kohlenstoffgehalt ebenso wenig wie Leicht-, Hart- und Buntmetalle zum funkenerosiven Polieren geeignet.
Abb. 2.52. Graphitelektroden und Spritzgießform für Kunststoffflasche (nach Charmilles Technologies)
2.5 Anwendungsbeispiele
Felge
89
Graphitelektrode
Abb. 2.53. Graphitelektrode und Fertigbauteil PKW Felge (nach SGL Carbon)
Abb. 2.54. Funkenerosiv polierte Spritzgießform für Rohrklammern (nach AGIE)
Die maximale Fläche für ein wirtschaftliches Polieren ist auf ca. 100 cm² begrenzt, da mit anwachsender Erodierfläche aufgrund des Kondensatoreffekts eine zunehmend raue und matte Oberfläche entsteht. Die Bearbeitungsdauer beträgt je nach Form und Größe der Einsenkung 15 bis 60 min/cm2 Eingriffsfläche.
90
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
Gerade bei der Herstellung komplexer und filigraner Geometrien kann die Funkenerosion aufgrund der abbildenden Formerzeugung und der relativ niedrigen Prozesskräfte vorteilhaft eingesetzt werden. Um hierbei die Herstellung einer einzigen, zwangsläufig komplexen und daher sehr aufwendig zu fertigenden Formelektrode zu umgehen, kann eine Aufgliederung der Form in einfache Elementargeometrien vorgenommen werden. Die dann einfach zu fertigenden Teilelektroden können mit Hilfe eines automatischen Elektrodenwechslers die geforderte Form schrittweise erzeugen.
Elektrodensammlung
Lastschutzschalter
Vierfacher Formeinsatz
Abb. 2.55. Spritzgusswerkzeug für einen Lastschutz-Schalter (nach BRAUN Formenbau)
2.5 Anwendungsbeispiele
91
Ein Beispiel für eine derartige Formaufgliederung der Elektroden stellt die in Abb. 2.55 enthaltene, mit über 220 Teilelektroden erodierte vierfache Spritzgießform mit Tunnelanguss für ein zweiteiliges Sicherungsautomatengehäuse dar. Beide Gehäusehälften enthalten für die automatische Montage der Innenteile zahlreiche Rippen, Stege, Bohrungen und Durchbrüche. Viele Maße sind mit r0,01 mm toleriert. Die Konstruktionszeit der Spritzgießwerkzeuge beträgt rd. 150 h. Zum Anfertigen der Elektroden werden etwa 1400 h benötigt. Das fertige Spritzgießteil verdeutlicht die Komplexität der Bearbeitungsaufgabe. Einen weiteren beeindruckenden Anwendungsfall zeigt die in Abb. 2.56 dargestellte Spritzgießform für ein Kunststoffuhrengehäuse. Zum Senken der Schalenaußenformen, inklusive der Gravur, werden verschiedene Schrupp- und Schlichtelektroden aus Kupfer eingesetzt. Für die Schaleninnenformen kommen in den Schlichtdurchgängen hauptsächlich Hartmetallelektroden zum Einsatz. Hierbei sind einzelne Formsegmente zu einem Halter gebündelt, wobei die verschiedenen Höhen durch Verschieben der Segmente abstimmbar sind. Die einzelnen Segmente werden mit Drähten der Durchmesser 0,03 - 0,1 mm schneiderodiert. Die Formpräzision beträgt r0,005 mm. Die Kavitäten der Spritzgießform bestehen aus hochlegierten Warmarbeitsstählen die Stammformen aus Kaltarbeitsstählen. Der Fertigungsaufwand für 4 Kavitäten mit festen und beweglichen Seiten beträgt ca. 3500 h. Innen- und Außenform werden TiN-beschichtet, so dass eine Werkzeugstandzeit von ca. 1,5 Mio. Schuss erzielbar ist. Die Präzision der Spritzgussteile beträgt r0,01 mm. Beim funkenerosiven Senken großer Werkstücke wird der Nachteil einer kleinen Abtragrate gegenüber anderen spanenden und abtragenden Verfahren zumindest teilweise durch den Einsatz der Mehrkanaltechnik kompensiert.
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2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
Form
Fertiges Kunststoffprodukt
Vierfacher Formeinsatz
Abb. 2.56. Spritzgusswerkzeug für Uhrengehäuse aus Kunststoff (nach ETA)
Abb. 2.57 links zeigt sowohl einen der 16 Formeinsätze auf der Auswerferseite als auch die mittels Drahterosion hergestellte Senkelektrode zur Fertigung der Außen- und Innenkontur im Halter. Der Halter der Innenkonturenelektroden wurde ebenfalls drahterodiert. Abb. 2.57 rechts zeigt das 16-fache Spritzgießwerkzeug zur Herstellung eines Gehäuses einer Lampenfassung aus Polycarbonat (PC).
2.5 Anwendungsbeispiele Kupferelektrode
93
Fertiges Bauteil
Formeinsatz
16facher Formeinsatz
Abb. 2.57. Funkenerosive Bearbeitung: Spritzgießwerkzeug für Lampenfassung (nach Vossloh-Schwabe)
Ein weiteres Anwendungsbeispiel zeigt Abb. 2.58. Das Spritzgusswerkzeug wurde funkenerosiv hergestellt. Das Fertigbauteil (rechts in Abb. 2.58) ist ein sog. "Tropfer", ein Bauteil zur Regulierung des Wasserdurchflusses in Bewässerungsanlagen. Der Werkzeugeinsatz dazu besteht aus dem legierten Qualitätsstahl X190CrVMo20. Die benötigten Kupferelektroden wurden mittels Drahterosion hergestellt. Ein Satz einer Elektrodenform, jeweils bestehend aus Schrupp-, Vorschlicht- und Schlichtelektrode, ist nach etwa vier Kavitäten verschlissen. Bedingt durch die filigranen Konturen können nur relativ kleine Entladeenergien eingesetzt werden. Die Bearbeitungszeit pro Kavität beträgt daher ca. 22 Stunden bei einer Senktiefe von umlaufend ca. 2 mm und einer Endrauigkeit von VDI 27, das entspricht einem Ra-Wert von 2,24 µm. Eine weitere charakteristische Anwendung des funkenerosiven Senkens besteht in der Fertigung des Kunststoffspritzgusswerkzeugs für Handyschalen (Abb. 2.59). Die Möglichkeit, eine bestimmte Endrauheit gezielt mit geeigneten EDM-Parametern zu erzeugen, ist ein großer Vorteil der Funkerosion gegenüber anderen Verfahren im Werkzeug- und Formenbau. Die raue Oberfläche z.B. von Ra = 6,3 µm (VDI-Klasse 36) sorgt für eine gute Haptik und Optik.
94
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
Formeinsatz
Fertiges Kunststoffprodukt
Abb. 2.58. Spritzgusswerkzeug für ein Tropferbauteil einer Bewässerungsanlage (CFK Erodierzentrum)
Abb. 2.59. Kunststoffspritzgusswerkzeug für Handyschale (nach Charmilles Technologies)
2.5 Anwendungsbeispiele
95
2.5.2 Schneiden
Seit seiner Einführung in die industrielle Praxis im Jahre 1969 hat das funkenerosive Schneiden in einigen Produktionsbereichen, zum Beispiel dem Werkzeugbau, eine geradezu monopolartige Stellung erworben. Die Möglichkeit, härteste Werkstoffe nahezu kräftefrei zu bearbeiten, in Verbindung mit hoher Präzision und Gestaltungsfreiheit, begründen diesen Erfolg. Darüber hinaus haben die kontinuierliche Erhöhung der Schneidleistung, zusammen mit Entwicklungen zur verbesserten Maschinenautonomie, wie z. B. von Vorrichtungen zum selbständigen Einfädeln des Drahts nach einem Drahtbruch, dazu geführt, dass sich das Verfahren neben dem Werkzeugbau teilweise auch in der Serienfertigung - in Einzelfällen bis hin zur Großserie etablieren konnte [Maso90, Maso93]. Abb. 2.60 verdeutlicht die vielfältigen Möglichkeiten des funkenerosiven Schneidens auch außerhalb des Werkzeugbaus. Einen Anwendungsschwerpunkt des funkenerosiven Schneidens stellt der Schnittwerkzeugbau dar. Es können hierbei nicht nur sehr filigrane Details und große Formeinzelheiten bearbeitet sowie konische Ausfallteile nach einer zylindrischen Stanzpartie gestaltet werden, sondern auch durch Seitenspaltkorrektur äquidistante Konturen für Stempel und Matrizen erzeugt werden. Des Weiteren sind der Bau von Extrudier- und Strangpresswerkzeugen sowie die Herstellung von Spritz- und Druckgussformen in Sandwich-Bauweise wirtschaftliche Anwendungsbereiche. Abb. 2.61 zeigt die funkenerosive Schneidbearbeitung eines 526 mm hohen Spritzgussformeneinsatzes. Dieser ist aufgrund seiner Konik und seines hohen Aspektverhältnisses nur durch Drahterosion herstellbar. Dabei lässt er sich sowohl an den Außen- wie an den Innenflächen präzise und mit hoher Oberflächengüte bearbeiten und ist nach oben aus dem Gesamtwerkstück entformbar.
96
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
Protoypen
Vorserien
Kleinserien
Ersatzteile
Werkzeuge
Schablonen
Elektroden
Abb. 2.60. Anwendungsbereiche des funkenerosiven Schneidens
Oberer Kopf
Fertiges Werkstück Werkstück
Unterer Kopf
Abb. 2.61. Spritzgussformeneinsatz (nach CFK Erodierzentrum)
2.5 Anwendungsbeispiele
97
Abb. 2.62. Funkenerosives Schneiden von Kegelrädern (nach CFK Erodierzentrum)
In Abb. 2.62 ist das funkenerosive Schneiden von Kegelrädern dargestellt. Dabei ist das Werkstück auf einem schräggestellten Rundtisch aufgespannt, so dass immer ein einzelner Zahn komplett mit Vor- und Nachschnitten bearbeitet werden kann. Dieses Verfahren findet im Prototypenbau oder in der Zahnradfertigung von Formel 1-Wagen Anwendung.
Geschnittene Werkzeugkontur
Gesenkte Werkzeugkontur
Fertiges Bauteil
Abb. 2.63. Gehäusewerkzeug (nach Vossloh-Schwabe)
98
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
Kleine Durchbrüche und Konturen in Spritzgusswerkzeugen werden auch mit Hilfe der Drahterosion hergestellt. Dieses wird in Abb. 2.63 gezeigt. Ein weiteres Beispiel für den Einsatz der Drahterosion in der Serienfertigung sind die in Abb. 2.64 dargestellten Scherköpfe für Rasierapparate. Die funkenerosive Erzeugung der Schlitze in den Scherköpfen erfolgt aus wirtschaftlichen Gründen auf einer Sondermaschine, die mit fünf Drahtelektroden simultan arbeitet. Eine noch größere Gestaltungsfreiheit bei gleichzeitig hoher Oberflächengüte wird durch den Einsatz der elektrochemischen Metallbearbeitung (ECM) bei der Herstellung von Scherköpfen für Rasierapparate erreicht. Darüber hinaus ermöglicht die elektrochemische Bearbeitung ein sehr hohes Serienfertigungspotential (vgl. Kap. 4). Der Einsatz des funkenerosiven Schneidens ist auch für die Elektrodenfertigung zum funkenerosiven Senken möglich. Abb. 2.65 zeigt die Herstellung eines Fräsers mit Evolventenprofil durch funkenerosives Senken, wobei die Kupferelektrode durch funkenerosives Schneiden gefertigt wurde. Der Fräserrohling besteht aus gehärtetem Stahl. Die erzielte Genauigkeit beträgt r5 µm bei einer Oberflächenrauheit von 1,2 µm Ra. In der Formel 1 eingesetzte Bauteile werden teilweise funkenerosiv bearbeitet. Die aus Titan bestehende Radnabe der Abb. 2.66 enthält Rippen, die früher zusammengeschweißt wurden. Um Gewicht zu sparen, werden die Rippen ohne Bauteilfestigkeitsreduzierung dünner hergestellt. Die Bereiche zwischen den Rippen werden in insgesamt 17 Stunden funkenerosiv entfernt.
Abb. 2.64. Scherköpfe für Rasierapparate (nach Philips)
2.5 Anwendungsbeispiele
99
Abb. 2.65. Kombiniertes funkenerosives Senken und Schneiden eines Fräsers mit Evolventenprofil (nach Charmilles)
Abb. 2.66. Radnabe aus Titan für die Formel 1 (nach Charmilles)
100
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
2.5.3 Funkenerosives Abrichten von Schleifwerkzeugen
Schleifscheiben mit hochharten Schneidstoffen aus cBN oder Diamant haben einen großen Einsatzbereich in der zerspanenden Bearbeitung (siehe Fertigungsverfahren Band 2 Schleifen, Honen, Läppen). Insbesondere mit metallischen Bindungssystemen ergeben sich eine hohe Profilstandhaltigkeit und Verschleißfestigkeit bei gleichzeitig hoher Zerspanleistung. Die Einsatzgebiete solcher Schleifscheiben liegen in der Bearbeitung schwer zerspanbarer Stahlwerkstoffe und von Hartmetallen oder nichtmetallisch anorganischen Werkstoffen, wie Glas, Naturstein und Keramiken. Die hohe Verschleißfestigkeit metallgebundener Schleifscheiben wird dann zum Nachteil, wenn die Schleifscheiben abgerichtet werden müssen. Grundsätzlich müssen durch das Abrichten zwei Aufgaben erfüllt werden: x Erstellen der geforderten Makrogeometrie (Profilieren) und x Erzeugen eines ausreichenden Kornüberstands (Schärfen). Aufgrund der elektrischen Leitfähigkeit der Bindung eignen sich für das Abrichten mehrschichtiger, metallgebundener Schleifscheiben elektrounterstützte abtragende Verfahren, wie die Funkenerosion. Wegen des hohen apparativen Aufwands findet das funkenerosive Abrichten aber meistens beim Werkzeughersteller statt. Bei den elektrounterstützten abtragenden Abrichtverfahren kann man zwischen der Funkenerosion und elektrochemischen Verfahren unterscheiden. Es sind auch Anwendungen bekannt, in denen beide Wirkmechanismen miteinander kombiniert werden, vgl. Kapitel 4. Die elektrochemischen Verfahren werden vorwiegend zum Schärfen verwendet. Häufig findet das Schärfen der Schleifscheiben auch durch rein chemische Verfahren (Ätzen) statt. Durch Funkenerosion werden Schleifscheiben auch in ihrer Makrogeometrie nachprofiliert. Die funkenerosiven Abrichttechnologien lassen sich in zwei Verfahrensgruppen einteilen (Abb. 2.67): x Funkenerosives Profilieren und Schärfen mit Drahtelektrode und x Funkenerosives Profilieren und Schärfen mit Scheiben- oder Senkelektrode.
2.5 Anwendungsbeispiele
a)
Schleifscheibe
b)
Draht
101
Spindel
Belag
Belag
Schleifscheibe Profilierte Scheibenelektrode
Abb. 2.67. Funkenerosive Abrichtverfahren
Neben diesen beiden Grundvarianten sind Weiterentwicklungen und Sonderanwendungen bekannt geworden, wie das kontakterosive Konditionieren [Falk98, Töns00, Denk04] und das ECDM-Verfahren (vgl. Kap. 4). Das funkenerosive Profilieren und Schärfen mit Draht-, Scheiben- oder Senkelektrode ist im Prinzip in Abb. 2.67a und Abb. 2.67b gezeigt. Bei beiden Verfahrensvarianten rotiert die Schleifscheibe. Die Funkenerosionsmaschine muss deshalb mit einem geeigneten Drehantrieb für die Schleifscheibe (das Werkstück) ausgerüstet werden. Bei der Drahterosion wird das Profil über die numerische Steuerung der Achsen in die Schleifscheibe übertragen. Beim Arbeiten mit profilierter Scheibenelektrode muss zusätzlich ein Drehantrieb für die Werkzeugelektrode vorgesehen sein. Die Werkzeugelektrode überträgt das Profil durch Senken auf die Schleifscheibe. Um später mit den profilierten Schleifscheiben arbeiten zu können, müssen an der Schleifscheibe entsprechende Ausricht- oder mitlaufende Kontrollbunde vorgesehen werden. Über die Kontrollbunde wird die Schleifscheibe auf der Maschine bezüglich des Rundlaufs ausgerichtet. Es sind auch Lösungen üblich, bei denen komplette Schleifspindeleinheiten mit aufgeflanschten Schleifscheiben in die Abrichteinheiten integriert werden. Beim Drahtprofilieren wird durch Programmieren der Verfahrwege in der Tischebene das Profil in die Schleifscheibe übertragen. Beim Profilieren mit Scheiben- oder Senkelektrode muss das Negativprofil vorher in die Elektrode eingebracht werden. In beiden Fällen muss die Geometrie der Elektroden um den prozessbedingten Arbeitsspalt korrigiert
102
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
werden. Als Elektrodenwerkstoffe werden bei der Senkerosion vorwiegend Wolfram-Kupfer Sinterwerkstoffe verwendet. Vorteil der rotierenden Scheibenelektrode gegenüber der Flachelektrode ist eine höhere Profilgenauigkeit über eine längere Zeit, da sich der prozessbedingte Werkzeugverschleiß über den Umfang aufteilt. Alle genannten Verfahrensvarianten lassen sich grundsätzlich auf konventionellen, handelsüblichen Funkenerosionsmaschinen durchführen. Eine Variante, die insbesondere bei Schleifscheibensätzen angewandt wird, ist das Ein- und Auswechseln eines komplett auf der Schleifspindel montierten Schleifscheibensatzes. Diese Variante muss dann angewandt werden, wenn einzelne Schleifscheiben zueinander mit hoher Rundlaufgenauigkeit positioniert sein müssen und die Bearbeitung nur in einer Aufspannung möglich ist. Ein Beispiel hierfür ist das Profilieren von Kantenverrundungsscheiben für die Siliziumwaferbearbeitung. Grundsätzlich wird die Aufspannproblematik dann umgangen, wenn die Abrichtverfahren direkt in die Schleifmaschine integriert werden. Auch hierzu sind Lösungen bekannt. Dabei werden die Schleifmaschine und die Funkenerosionsmaschine in einem Bearbeitungszentrum zusammengeführt. Neben dem zusätzlichen Generator und den für die Elektroden notwendigen Einrichtungen ist insbesondere die Dielektrikumversorgung ein besonderer Punkt, auf den geachtet werden muss. Dieses Prinzip ist nur dann technologisch umsetzbar, wenn die Kühlschmierstoffflüssigkeit für den Schleifprozess und das Dielektrikum identisch sind. Wenn hier mit unterschiedlichen Medien gearbeitet werden muss, sind sehr hohe Aufwendungen zum Trennen der beiden Arbeitsmedien vorzusehen. Häufig werden aber metallisch gebundene Schleifscheiben zum Schleifen von Keramik eingesetzt. Diese Prozesse kommen ohne den Einsatz von Kühlschmierstoff aus. In diesem Fall wäre nur der Dielektriumkreislauf zu realisieren. In diesem Anwendungsfeld sind auch integrierte Schleif-/Senkerosionsbearbeitungszentren bekannt geworden. Beim funkenerosiven Profilieren von Schleifscheiben findet der Funkenüberschlag zwischen der Werkzeugelektrode (Draht, Scheibenelektrode, Senkelektrode) und dem Schleifbelag statt. Hierdurch wird der Abtrag realisiert. Durch Steuerung der Entladeenergien kann ganz gezielt auch Einfluss auf den Kornüberstand, d. h. die Schärfe der Schleifscheibe, genommen werden. Da die Abrasivkörner, Diamant und cBN, elektrisch nicht bzw. kaum leitfähig sind, bilden sich die Entladekanäle der Funkenerosion vorwiegend zwischen der Gegenelektrode und der elektrisch leitfähigen Bindephase der Schleifscheibe aus. Bei hohen Entladeenergien ist nicht auszuschließen, dass insbesondere beim Profilieren von Diamantschleifscheiben auch der Diamant thermisch geschädigt wird. Beim Vor-
2.6 Mikrofunkenerosion
103
profilieren und Einbringen der Grobkontur wird dies häufig in Kauf genommen. Zum Herstellen der Endkontur und auch zum Herstellen des notwendigen Kornüberstandes ist dann durch Steuerung der Abrichtbedingungen dafür zu sorgen, dass sich der Abtrag auf die Bindung konzentriert und so vorwiegend der Kornüberstand realisiert wird. In der internationalen Literatur wird das funkenerosive Abrichten bzw. Profilieren von metallisch gebundenen Schleifwerkzeugen oft auch als Electro Discharge Truing (EDT) bezeichnet [Suzu87, Ogum99]. Der Funkenerosionsprozess kann auch als In-Prozess Abrichtverfahren (InProcess Electro Discharge Dressing, IEDD) eingesetzt werden [Leee00].
2.6 Mikrofunkenerosion Für wachstumsstarke Branchen, wie die Informations- und Elektronikindustrie, werden neue Produkte zunehmend durch die Verwendung komplexerer Baugruppen realisiert. Diese zeichnen sich in starkem Maße durch hochpräzise Strukturen und kleinste Abmessungen aus. Die Vorteile mikrotechnischer Produkte sind eine höhere Funktionsdichte und ein geringeres Bauteilgewicht sowie eine höhere Leistungsfähigkeit. Diese Entwicklungen zeichnen sich derzeit neben der Automobilindustrie in zahlreichen anderen zukunftsträchtigen Bereichen, wie z. B. in den Kommunikationstechnologien, der Medizin- und Haustechnik, der chemischen Reaktor- und Analysetechnik sowie in der molekularbiologischen Verfahrenstechnik ab [Wilk00, VDE02, Kelc02, Flei04]. Die Funktionsträger und Prinzipien der Bauteile werden vielfach aus den konventionellen Anwendungen übernommen und auf Mikro-Baugrößen herunterskaliert. Die Fertigung klein skalierter Strukturen ist eine Herausforderung an die Fertigungstechnologie, da sich das Prozesswissen und die Maschinentechnik nicht ohne weiteres von großen Abmessungen auf kleine Abmessungen übertragen lassen. Da die Funkenerosion insbesondere bei der Einzel- und Kleinserienfertigung wirtschaftlich eingesetzt werden kann, eignet sie sich neben der Primärstrukturierung von Mikrobauteilen insbesondere zur Herstellung von Mikrowerkzeugen und -formen. 2.6.1 Mikrosenken
Die Mikrosenkbearbeitung eröffnet die Möglichkeit, nicht durchgängige Geometriebereiche, wie Bohrungen oder Nuten, sowie Freiformflächen zu erzeugen. Der Herstellung der Elektroden kommt hierbei eine besondere
104
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
Bedeutung zu, da diese grundsätzlich kleiner als der bearbeitete Formeinsatz sind. Limitierend für die herstellbaren Strukturgrößen ist dabei oftmals nicht der Prozess der Senkerosion, sondern das Design und die Herstellung geeigneter Werkzeugelektroden. Zur Zeit werden für die Strukturierung der Senkelektroden die LIGA-Technik, die Mikrozerspanung (Drehen, Fräsen) und die Mikrodrahterosion eingesetzt [Holl00, Mich00, Uhlm01, Weul01]. Lithographische Verfahren, wie die LIGA-Technik, liefern beliebig geformte, submikrometer genaue Mikrostrukturen mit vielen Quadratzentimetern Gesamtfläche. Durch galvanisches Abscheiden von Werkstoff in die belichteten und entwickelten Resiststrukturen entstehen für das Senken geeignete Elektroden. Allerdings wurden wegen relativ hoher Einmalkosten und Prozessdurchlaufzeiten von mehreren Wochen LIGA-Elektroden bisher nur für Forschungszwecke genutzt [Mich01]. Durch die zusätzlichen Prozessschritte und Handhabungsvorgänge wird es bei kleineren Strukturen immer schwieriger, die Toleranzen sicherzustellen und kleinste Konturelemente zu erzeugen. Die Elektroden können auf ±1 µm genau positioniert werden. Die Konturabweichung (zum Beispiel wegen Funkenspaltschwankungen) liegt zusätzlich bei ±1 µm, beim Senken tiefer Strukturen aufgrund des Elektrodenverschleißes bei ± 2 µm. Sicher beherrscht werden für beide Abweichungen jeweils ±5 µm [Mich01]. Hauptmerkmal der Mikrofunkenerosion ist, neben der miniaturisierten Elektrode und der Fertigungskontur, die gegenüber der konventionellen Funkenerosion geringere Entladeenergie unterhalb von 100 PJ pro Einzelentladung [Uhlm01]. Daraus resultieren sehr kleine Funkenspaltweiten von 3 Pm bis 5 Pm. Moderne Feinstschlichtgeneratoren mit Arbeitsströmen von 0,01 A bis 2 A und Entladedauern von 0,2 Ps können dabei minimale Entladeenergien von nur 0,3 PJ pro Einzelentladung erzeugen. Die Mikrosenkerosion mit strukturierten Formelektroden wird hauptsächlich zur Herstellung von Mikrospritzguss- und Prägewerkzeugen für die Serienfertigung mikrotechnischer Bauteile eingesetzt. Es besteht jedoch auch die Möglichkeit, direkt hochpräzise Bauteile aus hochharten oder extrem warmfesten Legierungen herzustellen. Abb. 2.68 zeigt Umlenkprofile und eine zweistufige Getriebewelle, die in der warmfesten Kobaltbasislegierung CoCr20W15Ni (Werkstoff-Nr. 2.4967) hergestellt wurden. Die Elektroden für die in Abb. 2.68 dargestellten Bauteile wurden durch Mikrodrahterosion mit einem 50 µmDraht aus Kupferblech für die Umlenkschaufeln und mit einem 25 µmDraht aus Kupferblech für die Getriebewelle hergestellt.
2.6 Mikrofunkenerosion
2 mm
105
900 µm
Abb. 2.68. Mikrogesenkte Umlenkprofile und zweistufige Getriebewelle in einer warmfesten Co-Legierung
Im Gegensatz zur konventionellen Senkerosion ist bei der Mikroerosion generell ein höherer Elektrodenverschleiß zu beobachten. Aus diesem Grund kommen bei der Mikrosenkerosion vorzugsweise verschleißfeste Elektrodenmaterialien, wie Wolframkupfer oder Hartmetall zum Einsatz. Technologische Fragestellungen ergeben sich bei der Mikrosenkerosion hauptsächlich aus der Vorschubregelung bei kleinsten Arbeitsspalten und den ungünstigen Spülbedingungen. Neben der direkten Fertigung von Mikrokomponenten kann die Mikrofunkenerosion auch für die Erzeugung von Mikrostrukturen, die auf einem Abformwerkzeug großflächig verteilt sind, angewendet werden. Derartige Werkzeuge können beispielsweise für das Heißpressen von Glaskomponenten von Flat Panel Displays eingesetzt werden [Thie00]. Die in Abb. 2.69 dargestellten Mikrodurchbrüche für die Spritzdüsen eines Tintenstrahldruckers oder eines Mikromessgerätes können wegen der Werkstofffestigkeit kaum mit anderen Fertigungsverfahren hergestellt werden. Die hierzu erforderlichen Senkelektroden sowie die abgebildete Stellachse eines Mikroventils sind aus 125 µm dünnen Wolframdrähten durch funkenerosives Schneiden gefertigt (s. Kap. 2.6.2).
106
2 Funkenerosives Abtragen (EDM) Senken
Schneiden
Spritzdüsen für Tintenstrahldrucker Werkstoff: INOX Dicke: 50 µm Loch-Ø: 50 µm
Mikroelektrode Werkstoff: Durchmesser: Länge:
Mikromessgerät Werkstoff: Dicke: Loch-Ø:
Stellachse für Mikroventil Werkstoff: Wolframkupfer Durchmesser: 22 µm Länge: 300 µm
INOX 50 µm 60 µm
Wolframkupfer 20 µm 200 µm
Abb. 2.69. Mikrofunkenerosion (nach Charmilles Technologies)
Die prozess- und maschinenseitigen Herausforderungen sind in Abb. 2.70 am Anwendungsbeispiel eines Formeinsatzes aus Stahl für das Schnappelement eines Mikrogreifers dargestellt [Holl00]. Dieser Greifer weist sehr komplexe 3D-Freiformflächen auf, die sich derzeit nur durch das Mikrosenkerodieren herstellen lassen. An den beiden Schnappelementen muss am Bauteil eine Hintergrifftiefe von 54 Pm bei kleinsten Eckradien von lediglich 8 Pm realisiert werden. Die Wandstärke des Bauteils beträgt minimal 120 Pm.
2.6 Mikrofunkenerosion
107
© Zumtobel Werkzeugbau
Abb. 2.70. Herstellung eines Mikroformeinsatzes für ein Schnappelement (nach Zumtobel Werkzeugbau)
Für den gesamten dargestellten Schnappbereich wird nur ein Formeinsatz verwendet, um alle Funktionsflächen zu erzeugen. Für diesen Formeinsatz sind insgesamt drei Elektroden aus Kupfer erforderlich, von denen jede einzelne gefräst und versatzfrei positioniert werden muss. Dies stellt außerordentlich hohe Anforderungen an die Elemente der Prozesskette, beginnend bei der CAD-Aufbereitung und der Auslegung des Elektrodenuntermaßes sowie der Abstimmung der Prozesstechnologien Fräsen und Erodieren. Fast ohne Alternative ist auch der Einsatz der Funkenerosion bei der in Abb. 2.71 dargestellten Turbinenschaufel, in deren Abströmkante Kühlbohrungen mit einem Durchmesser von 50 µm erodiert wurden. Die Schwierigkeit bei der Herstellung besteht in dem hohen Durchmesser-/ Tiefen-Verhältnis der beschriebenen Bohrungen. Als Werkzeug kommen Drahtelektroden aus Wolframkupfer zum Einsatz. Durch die Kühlung der Schaufeln wird deren Lebensdauer verlängert (eine Temperaturverminderung von nur 50°C kann eine Verdoppelung der Lebensdauer erzielen). Die erodierte Bohrung hat infolge der muldenförmigen
108
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
50 µm
Abb. 2.71. Funkenerosive Bearbeitung - Kühlbohrungen in Turbinenschaufeln (nach Charmilles)
Mikrostruktur eine größere Oberfläche und somit eine bessere Kühlwirkung als eine zerspante oder elektrochemisch hergestellte Bohrung. Eine weitere erfolgreiche industrielle Applikation ist das Einbringen von 100 µm bis 200 µm großen Bohrungen in Dieseleinspritzdüsen [Mich01]. Durch Rotation der zylindrischen Senkelektrode werden Kreisformabweichungen minimiert. Durch Nutzung einer mit 2000 min-1 drehenden „Schnellläuferspindel“ wird die Spülung verbessert. Letzteres wird auch mit Röhrchenelektroden, durch die zusätzliches Dielektrikum mit bis zu 60 bar gedrückt wird, erreicht. Röhrchenelektroden in guter Qualität und
2.6 Mikrofunkenerosion
109
mit mehreren Zentimetern Länge sind bis zu einem Durchmesser von 100 µm beziehbar. Sie werden durch direkt über dem Werkstück positionierte Keramikhülsen geführt. 2.6.2 Mikrodrahterosion
Das funkenerosive Schneiden mit ablaufender Drahtelektrode hielt aufgrund der fehlenden Verfügbarkeit der notwendigen NC-Technik erst Ende der 60er-Jahre Einzug in die industrielle Praxis. Die ersten serienmäßigen Anlagen, die mit dünnen Drähten bis zu d = 30 µm betrieben werden konnten, standen zu Beginn der 80er-Jahre zur Verfügung [Nöth01]. Die anfänglichen Anwendungen waren vor allem Formeinsätze zur Herstellung von Mikrozahnrädern für die Uhrenindustrie, Schnittwerkzeuge zum Stanzen von Elektronikbauteilen, Spinndüsen für die Textilindustrie sowie Ziehprofile für die Schmuckindustrie [Levy85, Stut98, Chri99]. Minimale Innenradien von 20 µm und Oberflächen mit arithmetischen Mittenrauwerten Ra von 0,2 - 0,5 µm werden als Leistungsmerkmale des Verfahrens in dieser Zeit angegeben. In jüngster Zeit wird die Feindrahterosion vermehrt auch zur direkten Herstellung von Prototypen und Produkten, wie z. B Instrumenten für die Medizintechnik und im Schnitt-, Press-, und Extrusionswerkzeugbau eingesetzt. Die geringen Prozesskräfte und die Unabhängigkeit von der Materialhärte ermöglichen die Herstellung komplexer Geometrien mit höchster Genauigkeit und Oberflächenqualität in hochfesten Werkstoffen, welche durch spanende Verfahren nicht realisierbar sind. Aufgrund der kontinuierlichen Weiterentwicklung von Maschinen, Generatoren, Elektroden und Technologie lassen sich zusätzlich zu den hohen Genauigkeiten und Oberflächenqualitäten auch hohe Abtragleistungen erreichen. Dadurch ist das funkenerosive Schneiden ein geradezu prädestiniertes Verfahren für die Mikrobearbeitung – s. Tabelle 2.7. Durch seine außergewöhnliche Flexibilität bietet sich das funkenerosive Schneiden mit ablaufender Drahtelektrode besonders für die Klein- und Mittelserienfertigung an. Infolge der zunehmenden Miniaturisierung von Bauteilen und Produkten sind auch die Anforderungen an die Filigranität der Werkzeugaktivelemente gestiegen. Durch Verkleinerung der Drahtdurchmesser und Anpassung der Maschinen auf den Einsatz der Dünndrähte (d < 0,1 mm) ließ sich das Mikrobearbeitungspotential des Verfahrens steigern.
110
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
Tabelle 2.7. Anforderungen und Eigenschaften der Funkenerosion hinsichtlich der Mikrobearbeitung Anforderungen an die Fertigungstechnologien in der Mikrotechnik - Großes herstellbares Formenspektrum - Wirtschaftlichkeit auch bei der Kleinund Mittelserienfertigung - Hohe Präzision und Oberflächenqualität - Breite bearbeitbare Werkstoffpalette
Vorzüge der Drahterosion
- Hohe Gestaltungsfreiheit und hohe Präzision - keine Werkzeugelektrodenfertigung notwendig - Sehr geringe Prozesskräfte - Alle el. leitfähigen Werkstoffe bearbeitbar - Bearbeitung unabhängig von mech. Werkstoffeigenschaften
Prozess, Anlagen, Generatoren
Im Vergleich zum konventionellen funkenerosiven Schneiden ist der Einfluss der Prozesskräfte auf die Elektrodenauslenkung bei den dünnen Drähten der Mikroerosion größer. Am bedeutendsten hierbei sind die Entlade- und die elektrostatischen Kräfte. Bei hohen Spüldrücken haben auch spülungsbedingte Kräfte einen großen Einfluss auf die Elektrodenauslenkung. Beim Schneiden von Radien und Ecken entstehen aufgrund der Prozesskräfte Konturfehler. Die Entladekraft ist hierbei von der Entladeenergie abhängig. Bei der EDM-Mikrobearbeitung wird mit kleinen Entladeenergien (< 5 µJ) gearbeitet. Daher müssen die zeitlichen und elektrischen Eingangsgrößen der einzelnen Entladungen für den Prozess reduziert werden und an die Erfordernisse der Mikrobearbeitung angepasst werden. Es werden deutlich geringere Werte für den Entladestrom und die Entladedauer gefordert, da andernfalls die Werkzeugelektrode der auftretenden thermischen Belastung nicht standhalten könnte [Uhlm03]. Zu den Eingangsgrößen zählen jedoch nicht nur die maschinenseitigen Parameter, sondern auch die Prozessrandbedingungen, wie z. B. die Wahl eines geeigneten Dielektrikums. Es muss die originären Aufgaben Potentialtrennung, Kühlung, Abtragabtransport, Ionisierfähigkeit und Plasmakanalaufbau auch bei geringen Spaltweiten erfüllen. Der Art der Spülung bzw. der Spülstrategie fällt eine wichtige Rolle zu, da sie das Arbeitsergebnis entscheidend mitbestimmt. Die Abtragpartikel
2.6 Mikrofunkenerosion
111
müssen durch Spaltbreiten unter 5 µm abgeführt werden können, ohne dass die Spülströmungen die Elektrode und das Werkstück auslenken. Eine Funkenerosionsmaschine hat die Aufgabe, die geforderten Positioniergenauigkeiten reproduzierbar zu erreichen. Die Anforderungen an die zu erreichende Genauigkeit in Bezug auf die Positionierung sind bei Mikrometerstrukturen sehr hoch. Mitentscheidend für den Arbeitserfolg ist bei Funkenerosionsmaschinen die Energiequelle, der Generator. Zur Erzeugung der gewünschten elektrischen und zeitlichen Parameter sind spezielle Generatoren notwendig. Sie müssen in der Lage sein, die geringen Werte für die Entladedauer und geringe Ströme zu liefern. Für die Feindrahterosion stehen heute zum einen Anlagen zur Verfügung, die zunächst für die Präzisions- und Oberflächenfeinstbearbeitung mit Standarddrahtdurchmessern entwickelt wurden und zusätzlich mit einem für Durchmesser unter 0,1 mm angepassten Drahttransport- und Drahtführungssystem ausgerüstet sind. Zum anderen existieren Anlagen, die von vornherein für die Feinbearbeitung kleiner Werkstücke mit dünnen Drähten konzipiert wurden. Diese Maschinen besitzen einen dementsprechend reduzierten Arbeitsbereich und kleinere Verfahrwege im Bereich von 100 - 220 mm. Darüber hinaus verfügen Mikrodrahterosionsanlagen einiger Hersteller über Linearantriebe. Linearantriebe erlauben höhere Maschinenachsendynamik und spielfreie Positionierung mit hoher (< 1 µm) Genauigkeit. Ausserdem sind sie durch eine sensible Vorschubregelung, hohe Positioniergenauigkeit sowie Antriebssysteme mit einer Achsauflösung im Submikrometerbereich gekennzeichnet. Als weitere Besonderheit bei einigen Anlagen lässt sich der Einsatz keramischer Komponenten, z. B. für Maschinengestell, Spannrahmengestell und Drahtführung, hervorheben. Hierdurch sollen die thermische Stabilität erhöht und Streukapazitäten, die zu unerwünscht hohen Entladeenergien führen, minimiert werden. Zur Vermeidung von Korrosion und weiteren elektrochemischen Reaktionen am Werkstück, insbesondere bei WC/Co-Hartmetallen, wird auch kohlenwasserstoffbasiertes (CH) Dielektrikum eingesetzt. Deionisiertes Wasser weist eine zu hohe elektrische Restleitfähigkeit auf. Die infolge der höheren Durchschlagfestigkeit reduzierten Spaltweiten bei CHDielektrikum ermöglichen darüber hinaus kleinere Innenradien. Oberflächenausbildung
Zum erfolgreichen Schneiden mit dünnen Drähten reichen die maschinenund werkzeugseitigen Vorraussetzungen allein nicht aus. Die bei Standarddraht verwendeten Technologien sind aufgrund der veränderten Prozessrandbedingungen auf die Feindrahterosion nicht übertragbar. Die
112
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
geringere thermische und mechanische Belastbarkeit der dünnen Drähte sowie die hohen Anforderungen an die Oberflächengüte in der Mikrobearbeitung erfordern den Einsatz sehr geringer Entladeenergien, was sich in einem veränderten Prozessverhalten niederschlägt. Darüber hinaus kommt die thermische Beeinflussung infolge des größeren Verhältnisses von Oberfläche zu Volumen bei Mikrostrukturen stärker zur Geltung. Für die EDM-Mikrobearbeitung sind sehr kurze Impulsdauern erforderlich (Senken: ti < 5 µs, Schneiden: ti < 0,5 µs). Die Oberflächenrauheit ist unter anderem auch durch die Abmessungen der Entladekrater festgelegt. Diese werden mittels Rasterkraftmikroskopie (Atomic Force Microscope, AFM) gemessen. Mit diesem Verfahren werden Oberflächen aus beliebigen Werkstoffen mit Hilfe einer scharfen Spitze aus Siliziumkarbid, die ca. 200 µm lang ist und deren Spitzenradius weniger als 10 nm beträgt, untersucht. Die Spitze befindet sich am freien Ende eines Federarms, der eine Länge von 100 bis 200 µm hat. Ein Detektorsystem misst die Auslenkung des Federarms, während die Spitze über die Oberfläche des Untersuchungsobjekts gerastert wird. Die gemessene Auslenkung entspricht der Oberflächeninformation und wird in einer parallel laufenden Bildverarbeitung quantitativ ausgewertet und als dreidimensionales Bild dargestellt. Die maximale Auflösung des Verfahrens liegt unterhalb von 0,05 nm. HS6-5-3(PM)
HM K40
We: 2,4 µJ ûi: 140 V
We: 1,1 µJ ûi: 40 V
Abb. 2.72. AFM-Bilder von Einzelentladekratern an Schnellarbeitsstahl und Hartmetall bei unterschiedlichen Entladeenergien [Nöth01]
2.6 Mikrofunkenerosion
113
Die Darstellung der Topographie kann sowohl als 3D-Abbildung, Höhenliniendarstellung als auch in Form von ausgewählten Linescans erfolgen, an welchen beliebige Messungen in Breiten- und Höhenrichtung möglich sind. Die anhand der AFM erhaltenen dreidimensionalen Darstellungen der Einzelentladekrater sind in Abb. 2.72 wiedergegeben. Die minimale Tiefe der Krater beträgt 0,2 - 0,4 µm bei Durchmessern von 3 - 5 µm. Die Kratertiefe resultiert vornehmlich aus dem Kraterwall. Die Kratermuldentiefen sind verhältnismäßig gering. Es zeigen sich Abweichungen von der Kreisform, die aus einer ungleichmäßigen Ausbildung des Kraterwalls resultieren. Als Grund hierfür kann zum einen das sehr geringe aufgeschmolzene Materialvolumen genannt werden, das erstarrt, bevor es sich gleichmäßig über dem Kraterumfang verteilen kann. Zum anderen wirken sich bei der geringen Größe der Krater offenbar stochastische Asymmetrien in der Druckverteilung über dem Krater während und nach der Entladung stärker aus. Insgesamt liegen bei den Hartmetallkratern die stärkeren Abweichungen von der idealen Kraterform vor, was durch die sehr unterschiedlichen thermophysikalischen Kennwerte Schmelzpunkt, Dichte und elektrische Leitfähigkeit der wesentlichen Phasen zu begründen ist. So ist z. B. die Kraterinnenfläche, im Gegensatz zu den Stahlkratern, meistens mit schmalen Einzelvertiefungen versehen. Ferner sind der im Vergleich zu Stahl hohe Schmelzpunkt und die hohe Dichte der Wolframkarbidphase als Ursachen zu nennen. Bei gleicher Entladeenergie wird bei Hartmetall weniger Werkstoff aufgeschmolzen. Auch der kleinste wählbare Entladestrom führt zur Entstehung von Kratern. Daraus folgt, dass die Ausbildung eines Entladekraters vom Entladestrom beeinflusst wird. Um die Prozessstabilität zur Erzielung feinster Oberflächen zu gewährleisten, müsste also ein Stromimpuls mit möglichst geringer Entladedauer und einem gerade ausreichend hohen Entladestrom gewählt werden. Untersuchungen zur Oberflächenausbildung im Nachschnitt haben auch gezeigt, dass Entladestrom und –dauer den größten Einfluss haben. Die minimal durch den Nachschnitt erzielbare Rauheit hängt jedoch auch von der durch den vorangegangenen Nachschnitt verursachten Rauheit ab. Die minimal erzielten Ra-Werte betragen beim Schnellarbeitsstahl ca. 0,1 µm in Vorschub- und 0,07 µm in Drahtablaufrichtung. Unterschiede in den Rauheitskennwerten von Schnellarbeitsstahl und Hartmetall sind kaum vorhanden. Die laterale Bauchung der Werkstückschnittkanten liegt bei den sehr geringen Entladeenergien deutlich unter 1 µm. In Schliffuntersuchungen (Abb. 2.73) wurde festgestellt, dass die Randzonenbreiten
114
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
feinsterodierter Schnellarbeitsstahl- und Hartmetallproben deutlich weniger als 1 µm betragen. Die Oberflächenrauheit nach dem Hauptschnitt kann durch Einsatz geringer Entladeenergien auf Ra-Werte unter 0,5 µm reduziert werden. Eine Erhöhung der Impulsfrequenz hat einen nur mäßigen Anstieg der Rauheit zur Folge. Entladeenergien oberhalb von 30 µJ führen bei Hartmetall zur Entstehung von Mikrorissen. Gleichsam ist durch eine geringe Entladeenergie eine Begrenzung der mittleren Dicke der weißen Randschicht auf ca. 1 µm möglich. Durch die relativ geringen Oberflächenrauheiten und Randzonenbreiten nach dem Hauptschnitt kann im ersten Nachschnitt bereits mit konstantem Vorschub und auf geringem Energieniveau gearbeitet werden. Daneben erfordert die Vermeidung von Drahtriss auch im Nachschnitt eine Begrenzung von Vorspannkraft, Entladeenergie und Impulsfrequenz. Das hiermit verbundene Prozessverhalten bedingt die Anpassung weiterer Parameter, wie Spannungsamplitudendifferenz, laterale Drahtzustellung und Vorschubgeschwindigkeit. We / µJ
dr / µm
15
1/1
31,5
1,5 / 1,2
63
2 / 1,5
Versuchsbedingungen
HS6-5-3 (PM)
HM K40
10 µm
h: 10 mm WZ: W d: 0,05 mm
ûi: îe: te:
200-270 V 10,5 A 0,3-0,6 µs
fp: 71,4 kHz td: 34%*ti FD: 1,5 N
v D: ps: N:
96 mm/s 1 bar 2 µS/cm
Abb. 2.73. Randzonenausbildung im Hauptschnitt in Abhängigkeit von der Entladeenergie
2.6 Mikrofunkenerosion
115
Mit messingbeschichtetem Stahldraht sind beste Oberflächenqualitäten möglich. Dabei muss allerdings eine sehr hohe Impulsdichte gewählt werden. Beim Einsatz von Wolframdraht erfordern geringe Rauheiten hingegen eine Senkung der Impulsdichte. Mit optimierten Einstellungen und sehr geringen Entladeenergien sind bei Schnellarbeitsstahl und Hartmetall in nur zwei Nachschnitten Ra-Werte im Bereich von 0,1 µm erzielbar. Die reduzierten Vorspannkräfte und größeren Drahtschwingungen bei Dünndraht stellen somit nicht zwingend eine Beeinträchtigung der Oberflächenqualität dar. Einer Verbesserung der Oberflächenqualität durch weitere Senkung des Entladestroms sind aufgrund der stark abnehmenden Prozessstabilität, die aus der gleichzeitigen Senkung der Leerlaufspannung resultiert, Grenzen gesetzt. Die laterale Bauchung kann im Feinstschlichtbereich auf deutlich unter 1 µm reduziert werden. Dabei zeugt das konkave Schnittprofil von den Drahtschwingungen in Richtung des Werkstücks. Die Randzonenausbildung ist bestimmt durch Art und Ausmaß der thermischen Beeinflussung sowie durch das Arbeitsmedium und den Elektrodenwerkstoff. Die thermische Beeinflussung wird dabei von der Entladeenergie vorgegeben. Die Menge an aufgeschmolzenem und wiedererstarrtem bzw. umgewandeltem Material ist ein direktes Indiz für die thermische Beeinflussung. Daher kann die Dicke der weißen Randschicht
10 µm
10 µm 2. NS
HS
10 µm 1. NS
We / µJ
31,5
2,4
1,4
Ra / µm
0,48
0,18
0,1
Randzonenbreite / µm
1
0,5
0,3
Versuchsbedingungen: WSth : HS6-5-3 (PM) h : 10 mm ie : var. : var. ûi : 3µm ǻy vD : 57 mm/s : 2 µs/cm ț
WZ : CCA te : var. FD : 3,8 N
d fp ps
: 0,1 mm : var. : 0,2 bar
Abb. 2.74. Randzonenausbildung bei Schnellarbeitsstahl im Bereich sehr kleiner Entladeenergien
116
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
als primäre Beurteilungskenngröße für die Randzonenausbildung herangezogen werden. Abb. 2.74 zeigt die lichtmikroskopisch erfassten Randzonen für HSS bei drei verschiedenen Entladeenergien. Während bei einer Entladeenergie von 30 µJ das wiedererstarrte Material in Form der weißen Randschicht bei 1000facher Vergrößerung deutlich zu erkennen ist, bildet es im Feinstschlichtbereich nur noch einen äußerst dünnen Saum, der an vielen Stellen ganz verschwindet. Anhand der Schliffuntersuchungen ist die thermische Beeinflussung als sehr gering einzustufen, da Randzonenbreiten von deutlich weniger als 1 µm erzeugt werden können. Darüber hinaus ist lichtmikroskopisch keine Rissbildung feststellbar. Es können jedoch noch Eigenspannungsänderungen bis zu einer größeren Eindringtiefe vorliegen. Geometrie
Die durch funkenerosives Schneiden herstellbare Geometrie ist in ihrer Genauigkeit makroskopisch von der Elektrodenauslenkung und mikroskopisch von der Oberflächenrauheit abhängig. Die erodierte Oberfläche wird durch die Aneinanderreihung und Überlagerung einzelner Entladekrater gebildet. Die Abmessungen der Entladekrater bestimmen somit, welche Genauigkeit und Oberflächenqualität bei der EDM-Mikrobearbeitung erreicht werden können. Somit wirkt sich die Entladeenergie direkt auf die Kratergröße aus, d. h. je geringer die Entladeenergie desto kleiner die Krater und besser die Oberfläche. Mit sinkender Entladeenergie im letzten Nachschnitt kann die Rauheit nur soweit vermindert werden, wie die Energie zur optimalen Einebnung der Ausgangsoberfläche ausreicht. Beim Schneiden von Radien und Ecken entstehen durch die Elektrodenauslenkung Konturfehler. Die Elektrodenauslenkung wird durch die während des Prozesses am Draht angreifenden Kräfte verursacht. Diese wirken sich beim Mikrodrahtschneiden aufgrund des geringeren Drahtdurchmessers stärker aus. Die Drahtelektrode kann auch durch das Drahttransportsystem verursachten Störanregungen unterliegen. Eine stabilisierende Wirkung auf die Drahtelektrode üben lediglich die Drahtvorspannkraft sowie die flüssigkeitsreibungsbedingte Kraft aus. Die Drahtvorspannkraft sollte aufgrund ihres großen stabilisierenden Einflusses so groß wie möglich gewählt werden. Auch eine Anhebung der Impulsfrequenz hat einen Anstieg der Schwingungsamplitude zufolge, da die eingesetzten Impulsfrequenzen wesentlich höher als die Grundschwingfrequenzen der Drähte sind. Die laterale Bauchung liegt mit ca. 1 µm im letzten Nachschnitt im Bereich der
2.6 Mikrofunkenerosion
117
mittleren Rautiefen. Mit steigender Impulsfrequenz und steigender Entladeenergie erhöht sie sich. Die wesentlichen Wirkmechanismen bei der Konturgebung lassen sich anhand einer getrennten Betrachtung der drei unterschiedlichen Strukturelemente Stege, Ecken und Radien ableiten (Abb. 2.75). Bei der Erzeugung schmaler Stege haben die induzierten Eigenspannungen einen entscheidenden Einfluss auf die erzielbare Konturgenauigkeit. Sie bewirken eine plastische Deformation oder einen Bruch in Abhängigkeit von der angestrebten Stegbreite, der Entladeenergie und der Werkstoffeigenschaften. Durch Minimierung der Entladeenergie im Hauptschnitt sind Stegbreiten unter 20 µm herstellbar, ohne dass größere Verformungen auftreten. Es bestätigt sich der Zusammenhang zwischen räumlichen Temperaturgradienten und Zugeigenspannungen, da bei konstanter Entladeenergie ein geringer Strom und eine lange Entladedauer zu kleineren Stegkrümmungen führen.
Bewegungsrichtung
100 µm
100 µm Variation Steglänge b = 50 µm l = 200 - 1600 µm
Variation Stegbreite b = 5 - 80 µm l = 200 µm
100 µm
100 µm Variation Winkel ijc = 30° / 60° / 90° l = 200 µm
Variation Radius r = 50 µm / 200 µm (innen u. außen) Versuchsbedingungen WSt: HS6-5-3 (PM) WZ: W HM K40 d: 50µm h: 1 mm We: 13 - 31,5 µJ
Abb. 2.75. Gewählte Geometrien für die Untersuchungen zur Mikrostrukturierung
118
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
Beim Schneiden von Ecken und Radien wird die Genauigkeit durch verschiedene Mechanismen beeinträchtigt. Bei rechtwinkligen Ecken besitzt der Schleppfehler einen hohen Anteil an der Gesamtabweichung. Hingegen dominiert aufgrund von Feldstärkeüberhöhungen an der Spitze sowie aufgrund einer ungleichmäßigen Entladungsverteilung bei kleineren Winkeln der übermäßige Abtrag. Die ungleichmäßige Entladungsverteilung ist beim Schneiden kleiner Radien dafür verantwortlich, dass der Abtrag am Innenradius zu gering und am Außenradius zu groß ist. Eine Variation des Sollwerts für den Leerlaufanteil führt nur bedingt zu einer Steigerung der Konturgenauigkeit. Die Abweichungen sind aber insgesamt auf etwa 2 - 3 µm begrenzbar. Die Bestimmung von Kenngrößen, wie Schwingungsfrequenz und Amplitude, die die Schnittflächenkontur beeinflussen, kann mit Hilfe eines Laservibrometers erfolgen. Das Vibrometer besitzt einen He-Ne-Laser und basiert auf dem Prinzip eines Mach-Zehnder-Interferometers unter Ausnutzung des Doppler-Effekts. Die Auflösung des Geräts liegt bei den erwarteten Amplituden- und Frequenzbereichen unter 10 nm. Abb. 2.76 zeigt eine Versuchsanordnung zur Schwingungsmessung. Der durch ein Glasfaserkabel mit dem Interferometer verbundene Messkopf lässt sich mit Hilfe einer entsprechenden Vorrichtung flexibel positionieren, so dass Messungen quer und parallel zur Vorschubrichtung sowie in unterschiedlichen Höhen möglich sind. Bei der Messung der Drahtschwingung ist zu erkennen, dass mit zunehmendem Entladestrom die Schwingungsamplitude ansteigt. Mit steigender Drahtvorspannkraft ergibt sich eine Verringerung der Schwingungsamplitude bei dicken Drähten und eine geringe Verringerung bei dünnen Drähten (Abb. 2.77).
2.6 Mikrofunkenerosion
119
Höhenverstellung
Kreuztisch
oberer Kopf Laserstrahl
Gehäuse
Werkstück
Draht
Glasfaserkabel Messkopf
unterer Drahtkopf
Abb. 2.76. Versuchsanordnung zur Messung der Drahtschwingungen mit einem Laservibrometer
Schwingungsamplitude A / µm
Versuchsbedingungen WSt : HS6-5-3 (PM)
16 14
h
: 5 mm
WZ d
: CuZn37 Stahldraht (MS) : 50 u. 100 µm
ûi
: 70 V
îe
: 2,3 A
te
: 0,055 µs
12 10
MS, d = 50 µm MS, d = 100 µm
8 6
tsw/tp : 1
4
'y
: var.
2
vD
: 30 mm/s
0
vf 0
1
2
3
4
Drahtvorspannkraft FD / N
5
6 ps N
: 1,6 mm/min : 0,2 bar : 2 µS/cm
Abb. 2.77. Einfluss der Drahtvorspannkraft und des Drahtdurchmessers auf die Schwingungsamplitude im Nachschnitt
120
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
Drahtelektrode
Als Dünndrähte kommen heute vorwiegend hochfeste Drähte aus Wolfram (Rm | 2500 N/mm²), Molybdän (Rm | 1400 N/mm²) und beschichtetem Stahl (Rm | 2000 N/mm²) zur Anwendung. Die aus dem Standardbereich bekannten messing- und kupferbasierten Drähte gestatten aufgrund ihrer relativ geringen Zugfestigkeit (Rm = 500 - 1200 N/mm²) meist nur bis zu einem Durchmesser von 70 µm eine ausreichende Prozesssicherheit. Der minimal verwendete Drahtdurchmesser beträgt 20 µm. Den Vergleich eines Standarddrahts (0,25 mm) mit einem Dünndraht (0,024 mm) zeigt Abb. 2.78. Entscheidend für die thermische Belastbarkeit ist die Querschnittsfläche des Drahtes. So betragen die maximalen Schnittraten der kleineren Durchmesser deutlich weniger als 50 % gegenüber dem nächsthöheren Durchmesser. Dabei ist die Verringerung der Schnittrate nicht proportional zum Querschnittsflächenverhältnis der Drähte, weil mit einem geringeren Durchmesser auch das abzutragende Materialvolumen sinkt. Dies zeigt, dass die Energieübertragung bei kleineren Drahtdurchmessern mit höheren Verlusten behaftet ist. 0,25 mm Menschliches Haar
0,065 - 0,08 mm
0,10 mm 0,07 mm 0,05 mm 0,024 mm
0,03 mm
Abb. 2.78. Drahtdurchmesser 0,024 mm zu 0,25 mm (nach Christmann)
2.6 Mikrofunkenerosion
121
In Abb. 2.79 ist die Schneidleistung unterschiedlicher Drahtsorten in Abhängigkeit von der Entladeenergie und des Werkstückstoffs festgehalten. Bei allen untersuchten Kombinationen steigt die Schnittrate. Wie anhand der thermophysikalischen Eigenschaften der Werkstoffe (Schmelztemperatur, Wärmeleitfähigkeit, Dichte etc.) zu erwarten ist, erzielt Wolframdraht (W) in Stahl die höchsten Schnittraten, während die Schneidleistung von messingbeschichtetem Stahldraht (MS) bei Hartmetall am geringsten ausfällt. Für das mäßige Abschneiden des Molybdändrahtes bei höheren Entladeenergien konnte keine Ursache gefunden werden. Bei gleichem Werkstückstoff liegen die Schnittraten von messingbeschichtetem Stahldraht (MS) und Molybdändraht mit 20 - 50 % stets deutlich unter der von Wolframdraht. Die Leistungsunterschiede beruhen nicht auf dem Einfluss der Drahtsorte auf die Schnittspurbreite. So ist z. B. bei einem Durchmesser von 50 µm die Schnittspur von messingbeschichtetem Stahldraht nur etwa 1 - 2 µm breiter als von Wolframdraht. Bei allen eingesetzten Drähten (d = 50 µm) kommt es ab Entladeenergien über 80 µJ zu einem erhöhten Drahtbruchrisiko. In diesem Zusammenhang ist ergänzend anzumerken, dass sich 30 µm-Drähte beim Schneiden von Hartmetall als besonders empfindlich gegenüber Drahtbruch zeigen. Es kommt offenbar beim Schneiden von Hartmetall vermehrt zu Entladungskonzentrationen, die auf dem unterschiedlichen Abtragverhalten von Karbid und Bindephase beruhen. Hier ist ein sicherer 10
Schnittrate Vw / (mm²/min)
Versuchsbedingungen
W/HSS MS/HSS W/HM MS/HM
9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 0
20
40
60
80
100
Entladeenergie We / µJ
120
140
WSt : HS6-5-3 (PM), HM K40 h : 10 mm WZ : W, MS d : 0,05 mm ûi : 200-300 V îe : 5-14 A te : 0,3-0,85 µs fp : 71,4 kHz td : 34% * t i FD : 1,5 N vD : 96 mm/s ps : 1 bar
N
: 2 µS/cm
Abb. 2.79. Schnittrate von 50 µm-Drähten in Abhängigkeit von der Entladeenergie und des Werkstückstoffs
7 6
2 Funkenerosives Abtragen (EDM) MS d=0,1 mm W d=0,05mm
5 4 3 2
Versuchsbedingungen:
MS d=0,05 mm kein Drahtriss
max. Vorspannkraft F D,max / N
122
bei Erosion S/4*d2*Rm
Mo d=0,05 mm
W d=0,03 mm
MS d=0,03 mm
1
d / mm: WSt: h: ûi: îe: te: fp: td: vD: ps: N:
0,05-0,1 HS6-5-3 10 mm 260 V 10 A 0,6 µs 71,4 kHz 34%*ti 96 mm/s 1 bar 2 µS/cm
0,03
240 V 9A 0,35 µs
0
Draht bzw. Durchmesser
Abb. 2.80. Einfluss von Drahtsorte und –durchmesser auf die maximale Drahtvorspannkraft im Hauptschnitt
Prozess erst ab maximalen Entladeströmen von 3 A möglich, so dass z. B. die Schnittrate bei Wolframdraht nur noch etwa 0,3 mm²/min beträgt. Zur Erzielung einer hohen Konturgenauigkeit ist es notwendig, die durch Prozesskräfte verursachten Drahtschwingungen zu minimieren.Dies kann durch möglichst große Drahtvorspannkräfte realisiert werden. Dargestellt ist ein Vergleich verschiedener Drahtdurchmesser und Drahtsorten (Abb. 2.80). Der 0,1 mm dicke messingbeschichtete Stahldraht (MS) erträgt mindestens 6 N Vorspannkraft. Der gleiche Drahttyp kann bei einem Durchmesser von 0,05 mm noch mit 2,5 N vorgespannt werden, ohne zu reißen. Bei d = 0,03 mm sind es lediglich noch 1,2 N. Molybdändraht mit d = 0,05 mm verhält sich ähnlich wie messingbeschichteter Stahldraht, wenngleich unterschiedliche Eigenschaften hierfür verantwortlich sind. Während der messingbeschichtete Stahldraht seine Belastbarkeit aus der hohen Zugfestigkeit bezieht, ist es bei Molybdändraht der aufgrund der thermophysikalischen Kennwerte geringere Verschleiß. Wolframdraht lässt bei d = 0,05 mm eine fast doppelt so hohe Vorspannkraft zu, da hier geringer Verschleiß und sehr hohe Zugfestigkeit zusammenkommen. Aus dem Vergleich der maximalen Vorspannkräfte bei d = 0,05 mm im Erodierbetrieb mit den maximalen Vorspannkräften nur aufgrund der Zugfestigkeit geht hervor, dass sich Wolfram- und Molybdändraht thermisch wesentlich stabiler als messingbeschichteter Stahldraht verhalten. Bei d = 0,03 mm wird dieser Sachverhalt allerdings nicht deutlich. Anwendungsbeispiele
Als alternatives Verfahren zur Elektrodenherstellung wird neben konventioneller Zerspanung, Ultrapräzisionszerspanung und dem LIGA-Ver-
2.6 Mikrofunkenerosion
123
fahren vor allem die Drahterosion genutzt. Masuzawa entwickelte das Wire Electro Discharge Grinding (WEDG). Hierbei handelt es sich um eine Verfahrensvariante, bei der das rotierende Werkstück - die zu erzeugende Elektrode oder ein Bauteil - in zwei Achsen relativ zu einer direkt an der Bearbeitungsstelle geführten, ablaufenden Drahtelektrode bewegt werden kann (s. Abb. 2.81). Die Führung des Drahts an der Bearbeitungsstelle verhindert dabei Drahtschwingungen. Gegenüber dem Abrichten am Block wird mit WEDG eine höhere Genauigkeit erreicht, da der Werkzeugverschleiß durch Drahtablauf kompensiert wird. Es lassen sich minimale Durchmesser von unter 5 µm und eine Genauigkeit von 0,5 µm erzielen. Die minimalen Entladeenergien werden wie beim Senken mit 0,1 - 1 µJ angegeben. Weitere Anwendungsbeispiele sind Formeinsätze zum Spritzgießen von Mikro-Zahnrädern für die Uhrenindustrie (Abb. 2.82) und Aktivelemente für Folgewerkzeuge zum Stanzen von Elektronikbauteilen, Abb. 2.83. Dabei zählt der Bereich der Leadframes zu den größten Einsatzgebieten des funkenerosiven Schneidens mit dünnen Drähten. Drahterosionsmaschine Werkzeugaufnahme
Drahtablaufsystem
Funktionsprinzip Draht (Hilfselektrode)
Werkstück: (Senkelektrode) Generator
Maschinentisch Drahtführung Werkstück (Senkelektrode) Drahtführung Draht (Hilfselektrode)
Herstellbare Elektrodenformen
50 µm
Elektrodendurchmesser > 15 µm
Abb. 2.81. Herstellung von Mikro-Senkelektroden durch funkenerosives Schneiden
124
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
Werkzeuggeometrie Früher: Zahnrad Ø: Technologie: Heute: Zahnrad: Technologie: Werkstück: Draht:
Teilansicht
2-5 mm Fräsen
0,6 mm Drahterosion Werkzeugstahl REM-Gesamtansicht h = 0,8 mm Wolfram d = 0,03 mm
Anforderungen: min. Radius: 25 µm Toleranz: +/- 2 µm Rauheit: Ra < 0,2 µm
2 mm
REM-Teilansicht
200 µm
Abb. 2.82. Herstellen eines Formeinsatzes zum Spritzgießen von MikroZahnrädern (nach Christmann)
Ausschnitt einer Matrize
Bearbeitung: Elektrode:
Gestanztes Bauteil
Funkenerosives Schneiden mit Nachschnitttechnologie W-Draht, d = 0,03 mm
Abb. 2.83. Schneidmatrizen für ein Folgewerkzeug zur Leadframeherstellung (nach Agie)
2.6 Mikrofunkenerosion
Abb. 2.84. Christmann)
Mikropräzisionszahnringpumpe
(nach
CFK
125
Erodierzentrum,
In Abb. 2.83 ist im linken Teil eine Matrize aus Stahl für die Leadframeherstellung dargestellt. Mit ihr und Folgeschnittstempeln wird ein Teil des rechts gezeigten Leadframes gefertigt. Hierbei werden besondere Anforderungen an die Positionierung der Stempel zu den Matrizendurchbrüchen gestellt. Die Lageabweichungen sind mit 5 µm toleriert. In Abb. 2.84 wird eine mit Mikrodrahterosion hergestellte Zahnringpumpe gezeigt, welche als Mikropumpe eingesetzt wird. Die Fertigungstoleranzen liegen bei r1,5 µm, damit die Pumpe effizient laufen kann. Die Anforderung an die Oberflächengüte wird mit Ra < 0,1 µm angegeben. Abb. 2.85 zeigt ein Mikroplanetengetriebe aus vergütetem Werkzeugstahl. Das Planetengetriebe besteht aus 3 Planetenrädern (Modul 0,06 mm, z = 15), einem Hohlrad (z = 48) und einem Sonnenrad (z = 18). Der zur Fertigung eingesetzte Wolframdraht hat einen Durchmesser von 50 µm. Das Mikrogetriebe wird zusammen mit einem Mikromotor eingesetzt, um dessen hohe Drehzahl zu senken und das Drehmoment zu erhöhen. In Abb. 2.86 werden die Komponenten eines zweistufigen Planetengetriebes gezeigt. Hier werden nach dem Funktionsprinzip dieses Getriebes Zahnräder mit unterschiedlichen nicht genormten Modulen benötigt. Mit der Mirkoerosion können sehr schnell Prototypen solcher Art hergestellt werden. Bei dieser Getriebeausführung sind je zwei Planetenräder mit unterschiedlichen Zähnezahlen auf einer Achse montiert. Da die Teilkreisdurchmesser beider Planetenräder gleich sind, muss bei einem Rad ein nicht ganzzahliger Modul angewendet werden.
126
2 Funkenerosives Abtragen (EDM)
1 mm
Abb. 2.85. Mikroplanetengetriebe mittels Mikrodrahterosion hergestellt
Gefräste Gehäuseteile
Drahterodierte Zahnräder
Abb. 2.86. Einzelteile eines zweistufigen 400:1 Planetengetriebes
3 Chemisches Abtragen
Das Prinzip des chemischen Abtragens beruht auf einer chemischen Reaktion des Werkstückwerkstoffs mit einem Wirkmedium zu einer Verbindung, die flüchtig oder leicht entfernbar ist. Die Stoffumsetzung findet durch direkte chemische Reaktion statt. Dabei ist mindestens ein Reaktionspartner, entweder das Wirkmedium oder der Werkstückwerkstoff (oder beide), elektrisch nichtleitend [DIN8590].
3.1 Ätzabtragen Das Ätzabtragen ist definiert als ein Abtragen durch direkte chemische Reaktion eines elektrisch nichtleitenden Werkstoffes mit einem flüssigen Wirkmedium [DIN8590]. Ein Beispiel für das Ätzabtragen ist das Glasätzen, mit dem Ornamente, Beschriftungen usw. durch Ätzen mit Fluorwasserstoff (HF) unter Bildung von gasförmigem Siliziumtetrafluorid (SiF4) in Glas eingebracht werden können [Frie69]. SiO2
+ 4 HF
o SiF4
Nichtleitender Reaktionspartner Glas
+
o
Wirkmedium
flüchtiges Reaktionsmedium
+ 2 H2O +
(3-1)
Wasser
Zur Vorbereitung der Ätzbearbeitung werden die Glaspartien, die nicht mit dem Ätzmedium in Berührung kommen sollen, mit einer Wachs-, Paraffin- oder Harzschicht abgedeckt, die nachher durch geeignete Lösungsmittel entfernt werden kann. Das Arbeitsergebnis ist durch die Art des Ätzmediums beeinflussbar. Bei der Ätzung mit wässriger Fluorwasserstofflösung bleiben die geätzten Glasflächen klar und durchsichtig, bei Verwendung von gasförmigem Fluorwasserstoff werden sie matt.
128
3 Chemisches Abtragen
3.2 Thermisch-chemisches Entgraten Das thermisch-chemische Entgraten (TEM: Thermische Entgrat-Methode) ist ein Bearbeitungsverfahren, bei dem Grate an metallischen oder nichtmetallischen Werkstücken in einer sauerstoffhaltigen Atmosphäre „abgebrannt“ werden [DIN8590]. Die zu entgratenden Werkstücke werden hierzu in eine hermetisch verschließbare, stabile Entgratkammer eingebracht, Abb. 3.1. Dann wird ein Mischgas aus Wasserstoff und Sauerstoff zugeführt und dieses Gemisch in der Kammer elektrisch gezündet (Knallgasreaktion): 2H2 + O2 o H2O Wärmeenergie.
(3-2)
Deshalb wird dieses Verfahren umgangssprachlich auch Explosionsentgraten genannt. Die bei dieser Reaktion entstehende Wärmeenergie (es entstehen örtliche Temperaturen von 2500 bis 3500°C) leitet die eigentliche chemische Reaktion ein, nämlich die Oxidation (Verbrennung) des Gratwerkstoffs mit dem überschüssigen Sauerstoff des Mischgases. Außer Wasserstoff kann auch Erdgas bzw. Methan als Brenngas zum Sauerstoff gemischt werden. Zündkerze Mischkammer Dosierzylinder Entgratkammer Werkstück
H2
Wirkmedien: Mischungsverhältnis: Gastemperatur: Gasfülldruck: Werkzeug: Taktzeit:
O2
Wasserstoff + Sauerstoff 1:0,5 - 1:1,5 bis 3500 °C 10 - 20 bar Nichteisen - Metalle 20 - 30 bar Stahl 30 - 60 bar hochwarmfeste Werkstoffe nicht erforderlich 20 s
Abb. 3.1. Thermisches Entgraten, Prinzip und Anlage (nach Extrude Hone)
3.2 Thermisch-chemisches Entgraten abgerundete Kanten
Fräsgrat
Fase
129
Bohrgrat
Beliebiges Gewinde
Schleifgrat
Schwimmhaut
Gießgrat bei Aluund Zinkgussteilen
scharfkantig
Rest
Abb. 3.2. Entfernung verschiedener Grate beim thermischen Entgraten
An den Graten werden die zur Verbrennung notwendigen Temperaturen erreicht, da die Wärme hier wegen des im Verhältnis zur Gratoberfläche sehr kleinen Gratvolumens nicht in das Werkstückinnere abgeleitet werden kann. Damit bleibt der Abtrag auf den Grat beschränkt. Einige Beispielgrate vor und nach dem thermischen Entgraten sind in Abb. 3.2 gezeigt. Verschiedene Größen haben dabei Einfluss auf das Entgratergebnis: x Größe und Lage des Grates, x Verhältnis Gratvolumen zu Gratoberfläche, x Zünd- und Schmelztemperatur sowie Wärmeleitfähigkeit des Werkstoffs und x Gasfülldruck und Mischungsverhältnis der Reaktionsgase. Das Arbeitsergebnis wird bei diesem Verfahren erheblich von den thermischen Eigenschaften des zu bearbeitenden Werkstückmaterials bestimmt, so u.a. von dessen Zündtemperatur, insbesondere aber von dessen Wärmeleitfähigkeit [Müll75]. Im Allgemeinen lässt sich mit abnehmender Wärmeleitfähigkeit eine Effektivitätssteigerung des Entgratprozesses bezüglich der Kantenverrundung und des Materialabtrags erzielen. Während die hier beschriebenen Einflussgrößen das Arbeitsergebnis im Hinblick auf die Entgratqualität werkstoffseitig festlegen, wird eine Steuerung des Entgratergebnisses durch die Wahl des Gasfülldrucks und des Mischverhältnisses von Brenngas und Sauerstoff von außen ermöglicht. Größe und Gleichmäßigkeit der erreichten Kantenverrundung werden darüber hinaus von der Form und zum Teil auch von der Lage des Grats beeinflusst [Leis75]. Im Gegensatz zu festen Graten werden lose Grate oder Grate, die über einen verhältnismäßig dünnen "Fuß" mit dem
130
3 Chemisches Abtragen
Grundkörper verbunden sind, in der Regel problemlos entfernt. Die Lage des Grats hat insofern einen Einfluss, als dieser während des Entgratprozesses allseitig von Gas umgeben sein sollte. So sind z.B. die von einem Gewindebohrer am Grund eines Sacklochs zusammengepressten Grate nur schlecht zu entfernen, ebenso Grate, die an einer bearbeiteten Fläche anliegen. Vor der TEM-Bearbeitung müssen die Werkstücke völlig trockene und fettfreie Oberflächen aufweisen. Beispielsweise können die sich in einer Bohrung befindlichen Flüssigkeitstropfen den Gaszutritt blockieren und damit eine Entgratung verhindern. Fett- und Ölschichten führen zur Entwicklung von brennbaren Dämpfen, die sich bereits beim Eintritt des Knallgasgemischs in die Entgratkammer infolge der hohen Fülldrücke bis zur Zündtemperatur erwärmen können. Nach dem Entgratvorgang sind die Werkstücke von einer dünnen Oxidschicht überzogen, die aus Verbrennungsrückständen des abgetragenen Materials besteht. Bei Eisenwerkstoffen können außerdem an Stellen, an denen das Material verbrannt ist, Schlackenperlen zurückbleiben. Aluminium-, Druckguss- und Kunststoffwerkstücke erfordern in der Regel nach dem Entgraten keine Nachbehandlung. Die Entgratkammer ist zweiteilig ausgeführt und besteht aus einer Kammerglocke und dem Kammerboden, der zur Aufnahme der Werkstücke dient. Auf einem Rundtisch sind mehrere Aufnahmen angeordnet. Dies ermöglicht das Be- und Entladen gleichzeitig mit dem Entgratvorgang. Hierbei können Maschinentaktzeiten in Abhängigkeit von der Prozessdauer sowie der Handhabung der zu bearbeitenden Werkstücke zwischen 20 und 30 s erreicht werden [Leis75]. Nach dem Beladen schwenkt der Kammerboden unter die Kammerglocke und wird hydraulisch angehoben, um die Druckkammer zu schließen. Der durch die Zündung ausgelöste Verbrennungsdruck ist außer vom vorgewählten Gasfülldruck auch von der Kammergeometrie abhängig. Die Kammerdurchmesser schwanken je nach maximal zulässigem Kammerdruck (Verbrennungsdruck), der rd. das 20fache der Gasfülldrücke betragen kann, zwischen 150 und 250 mm. Die Betriebskosten sind praktisch proportional zum Gasverbrauch. Bei einer Taktzeit von durchschnittlich 30 s kann man die Kosten für Elektrizität, Luft und Wasser vernachlässigen. TEM kann daher wirtschaftlich sowohl in der Serienfertigung als auch bei der Einzelfertigung eingesetzt werden. Abb. 3.3. und Abb. 3.4. zeigen einige Beispiele für das Entgraten von metallischen und nichtmetallischen Werkstücken.
3.2 Thermisch-chemisches Entgraten
Zahnrad aus Polyamid
Gelenkwelle aus Stahl
Trägerrahmen aus Alu- Druckguss
Gelenkgabel aus Stahl
131
Abb. 3.3. Bearbeitungsbeispiele (vorher - nachher) des thermischen Entgratens (nach Bosch)
Alu-Block mit Bohrungen Stahlverzahnungen Gehäuseteil aus Stahl
Abb. 3.4. Bearbeitungsbeispiele (vorher - nachher) des thermischen Entgratens (nach Extrude Hone)
4 Elektrochemisches Abtragen (ECM)
Beim elektrochemischen Abtragen, kurz ECM (Electro Chemical Machining) wird die Elektrolyse als zugrundeliegendes Wirkprinzip angewendet. Unter Elektrolyse werden dabei alle chemischen Vorgänge und chemischen Veränderungen eines Stoffes, die bei einem Stromdurchgang durch einen Elektrolyten auftreten, verstanden.
4.1 Grundlagen Das elektrochemische Abtragen beruht auf der Auflösung eines als Anode (positiv) polarisierten metallischen Werkstoffs in einem elektrisch leitenden Medium. Der dazu erforderliche Stromfluss kann durch eine äußere, aber auch durch eine innere Spannungsquelle (Lokalelement) hervorgerufen werden, Abb. 4.1. Elektrochemische Bearbeitung
Externe Energiequelle
Interne Energiequelle (lokales Element) - Elektrochemisches Ätzen
Elektrochemische Bearbeitung J > 10 A/cm2 - Elektrochemisches Senken - Elektrochemisches Entgraten
Elektrochemische Oberflächenbearbeitung J = 0,04 - 3 A/cm2
- Elektrochemisches Polieren
Abb. 4.1. Einteilung elektrochemisch abtragender Fertigungsverfahren [VDI3401]
134
4 Elektrochemisches Abtragen (ECM)
4.1.1 Prinzip der anodischen Metallauflösung Die Grundlagen der anodischen Metallauflösung mit Hilfe einer äußeren Spannungsquelle sind in Abb. 4.2 dargestellt. Der positive Pol einer Gleichspannungsquelle wird an den abzutragenden metallischen Werkstoff (Anode) gelegt, der negative Pol an eine ebenfalls metallische Kathode. Für den Stromtransport zwischen diesen beiden Elektroden ist ein elektrisch leitendes Medium erforderlich, in der Regel werden dazu wässrige Natriumnitrat- oder Natriumchlorid-Elektrolytlösungen eingesetzt. In Sonderfällen kommen auch saure bzw. basische Lösungen zum Einsatz [Berg77, Degn84]. Durch das Anlegen der Gleichspannung laufen an den Elektroden komplexe elektrochemische Reaktionen ab. An der Anode geht das abzutragende Metall unter Abgabe von Elektronen als Metallionen in die Elektrolytlösung über. Je nach den chemischen Eigenschaften der Metallionen und der Zusammensetzung der Elektrolytlösung bleiben die Metallionen entweder gelöst oder reagieren mit Bestandteilen der Elektrolytlösung, z. B. unter Bildung von Metallhydroxiden. Diese sind in der Elektrolytlösung nicht löslich und fallen aus, wodurch ein Entfernen der Abtragprodukte (als Hydroxide) mit Hilfe einfacher Trennverfahren (Absetzbehälter, Zentrifuge, Filterpresse) möglich ist.
U e wässrige Elektrolytlösung z.B. NaNO3 - Lösung
+ Anode
-
anodische Metallauflösung
kathodische Reduktion 2H2O+2e H2 +2OH
Me
Men+ + n e NO3 + H2O +2e NO2 +2OH Folgereaktionen, z. B.: Men+ + nOH Me(OH)n
Abb. 4.2. Grundlagen der anodischen Metallauflösung
Kathode
4.1 Grundlagen
135
An der Kathode laufen ebenfalls elektrochemische Reaktionen ab, an denen die Bestandteile der Elektrolytlösung beteiligt sind. Auf diese soll hier nicht näher eingegangen werden. Hervorzuheben ist aber, dass an der Kathode kein Abtrag erfolgt. Der Werkstoffabtrag an der Anode wird durch das Faradaysche Gesetz beschrieben, nach dem die anodenseitig abgetragene Masse m proportional zur Molmasse M des aufgelösten Materials und zur geflossenen Ladungsmenge I . t ist [Vett61]. Die mathematische Formulierung dieses Zusammenhangs lautet:
M I t . zF
m
(4-1)
Anmerkung: In Gleichung 4-1 sind m die abgetragene Masse in g, M die Molmasse in g/mol, I die Stromstärke in A, t die Bearbeitungszeit in s, F die Faradaykonstante (96487 As/mol) und z die elektrochemische Wertigkeitsänderung (z.B. für die Reaktion Fe o Fe 2 2e ist z = 2).
Unter Berücksichtigung der Dichte U berechnet sich das aufgelöste Materialvolumen V zu: V
M I t . ȡzF
(4-2)
Der das aufgelöste Materialvolumen V und die transportierte Ladungsmenge I . t verknüpfende Proportionalitätsfaktor, das spezifische Abtragvolumen V sp
M ȡzF
(4-3)
ist für eine bekannte Reaktion eine Materialkonstante, falls die elektrochemische Wertigkeitsänderung z konstant bleibt. Die Bearbeitbarkeit eines Werkstoffs hängt deshalb nur von seinen elektrochemischen Eigenschaften bzw. von dessen Reaktionsprodukten ab, nicht aber von den mechanischen Eigenschaften, wie z. B. der Zugfestigkeit. Besteht ein Werkstoff aus mehreren Legierungselementen Me1...Men mit den Massenprozentanteilen p1...pn und den Molmassen M1...Mn, so lässt sich ebenfalls das spezifische Abtragvolumen der Legierung VspLeg. durch Superposition der Einzelkomponentenabträge berechnen:
136
4 Elektrochemisches Abtragen (ECM)
VspLeg.
Mi 1 n pi . ¦ ȡleg i 1 100 z i F
(4-4)
Dieser theoretische Zusammenhang gilt jedoch nur für die Bedingung, dass ausschließlich die in diesem Ansatz vorausgesetzten Reaktionen mit den eingesetzten elektrochemischen Wertigkeitsänderungen zi ablaufen [Lind77]. Eine weitere Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Faradayschen Gesetzes ist, dass die gesamte dem Prozess zugeführte Ladungsmenge für abtragwirksame Reaktionen verbraucht wird. Im Verlauf des elektrochemischen Prozesses wird aber die Geschwindigkeit des metallischen Auflösevorgangs von den Gesetzen der elektrochemischen Kinetik bestimmt. Der bestimmende Faktor ist dabei das Elektrodenpotential. Das Elektrodenpotential wird bestimmt durch das Elektrodenmaterial (elektrochemische Spannungsreihe) und den Elektrolysebedingungen. Bei bestimmten Elektrodenpotentialen werden die Ionen des wässrigen Elektrolyten oxidiert bzw. reduziert, so dass an der Anode Sauerstoff entsteht bzw. an der Kathode Wasserstoff entwickelt wird. Ebenfalls können bereits aufgelöste Metallionen oxidiert oder reduziert werden [Maok73, Lind77]. Bei der Verwendung von Natriumnitrat-Elektrolyten werden die Nitrationen teilweise zu niedrigeren Oxidationsstufen des Stickstoffs reduziert (Nitrit, Hydroxylamin und Ammonium) [Frie73]. Somit wird ein Teil der zugeführten elektrischen Energie für abtragunwirksame Reaktionen verbraucht, wodurch der Wirkungsgrad der anodischen Metallauflösung verringert wird [Lind77]. Außer den angeführten Redox-Reaktionen bildet sich bei bestimmten Elektrodenpotentialen auf der Anodenoberfläche eine Oxidschicht aus [Vett61]. Diese behindert den Übergang der Metallionen in die Elektrolytlösung. Die Ausbildung solcher Deckschichten, auch Passivschichten genannt, wird von der Art des Elektrolyten und den vorliegenden Elektrolysebedingungen sowie von dem Anodenwerkstoff selbst beeinflusst. Letzteren kommt dabei besondere Bedeutung zu. Dieses bisher in der Elektrochemie häufig untersuchte Phänomen, das zum ersten Mal an Eisen und später auch an anderen Metallen beobachtet wurde [Schw58, Vett58, Hoar67], ist im Schrifttum unter dem Begriff Passivität bekannt. Durch die Aufnahme einer Stromdichte-Potential-Kennlinie kann die Passivität messtechnisch erfasst werden, Abb. 4.3.
4.1 Grundlagen
137
Stromdichte J
transpassiv passiv
aktiv
JK Korrosionsstromdichte
HFlade
Anodenpotential
H
Abb. 4.3. Schematische Stromdichte-Potentialkennlinie für ein passivierendes Elektrolytsystem
Nach einer mit zunehmendem Anodenpotential zunächst ansteigenden Stromdichte sinkt diese nach Erreichen einer Potentialschwelle, die nach ihrem Entdecker „Flade-Potential“ genannt wird [Hens58], auf den Betrag der „Korrosionsstromdichte“ ab. Ein erneutes Ansteigen der Stromdichte wird erst bei höheren Anodenpotentialen beobachtet, bei denen die Auflösung dann transpassiv einsetzt. Im passiven Bereich wirken sich nach einer Deckschichtbildung die elektrochemischen Eigenschaften der Metalloxidoberfläche auf den Metallabtrag aus. Dieser wird vornehmlich durch die Struktur, die Porösität und die Leitfähigkeit der Deckschicht für die Ladungsträger und die chemische Löslichkeit der Oxide beeinflusst. Die angeführten abtragunwirksamen Reaktionen, welche das Passivitätsverhalten und die ablaufenden Redox-Reaktionen bestimmen, sind potential- und damit auch stromdichteabhängig, so dass das aus den theoretischen Zusammenhängen des Faradayschen Gesetzes hergeleitete spezifische Abtragvolumen Vsp nicht immer die Eigenschaft eines konstanten Proportionalitätsfaktors hat. Vielmehr ist dieser Kennwert auch mit der Stromdichte veränderlich. Dieser veränderliche, den tatsächlichen Zusammenhang zwischen dem aufgelösten Materialvolumen und der am Umsatz beteiligten Ladung beschreibende Faktor wird als „effektives Abtragvolumen“ Veff bezeichnet. Diese Kenngröße ist mit dem Wirkungsgrad verknüpft, der die während des elektrochemischen Prozessablaufs
138
4 Elektrochemisches Abtragen (ECM)
auftretenden Abweichungen der elektrochemischen Wertigkeitsänderung und die Energieverluste durch abtragunwirksame Reaktionen berücksichtigt: V sp Ș .
Veff
(4-5)
Hiernach ist das effektive Abtragvolumen proportional dem Wirkungsgrad K und hat mithin die gleiche Aussagekraft wie die „Stromausbeute“. In der Regel wird das kathodisch gepolte Bearbeitungswerkzeug mit konstanter Vorschubgeschwindigkeit in das anodisch gepolte Werkstück eingesenkt. Zwischen Werkstück und Werkzeug bildet sich prozessbedingt ein Arbeitsspalt aus, durch den die Elektrolytlösung mit hoher Geschwindigkeit strömt und dabei die im Arbeitsspalt entstehenden Abtragprodukte sowie die durch den Stromfluss entstehende Joulesche Wärme abführt. Da sich der Werkstückwerkstoff entsprechend der Geometrie des kathodischen Formwerkzeugs auflöst, ist das Verfahren abbildend [Kube65, Pahl69, Piel86]. Die Werkstückgeometrie unterscheidet sich von der Werkzeuggeometrie um den Betrag des Arbeitsspalts. Zur Herstellung eines maßgenauen Werkstücks muss deshalb das Werkzeug um diesen Betrag berichtigt werden. Dies setzt die Kenntnis der Spaltausbildung voraus. In erster Näherung kann die Spaltausbildung mit Hilfe des Ohmschen und des Faradayschen Gesetzes berechnet werden, Abb. 4.4. Der Spannungsabfall in der Elektrolytlösung Uel berechnet sich zu RI ,
U el
(4-6)
wobei der Widerstand der Elektrolytlösung R von der spezifischen Leitfähigkeit N , der Spaltweite s und der Elektrodenfläche A abhängig ist: 1 s . ț A
R
(4-7)
Berücksichtigt man, dass die Stromdichte J J
I A
(4-8)
ist, so ergibt sich für die Spaltweite s s
U el ț . J
(4-9)
4.1 Grundlagen
139
Legende: U
Kathode
Elektroytlösung Upol Ka
Uel
+
Upol An
U
Spannung
Uel
Spannungsabfall in der Elektrolytlösung
Anode
Upol An Polarisationsspannung an der Anode
vA
Upol Ka Polarisationsspannung an der Kathode
vf A s
vA
Abtraggeschwindigkeit
vf
Vorschubgeschwindigkeit
A
Elektrodenfläche
s
Spaltweite
Abb. 4.4. Grundlagen zur Berechnung der Spaltweite
Die anzulegende Arbeitsspannung U setzt sich aus dem Spannungsabfall in der Elektrolytlösung Uel und der anodischen (Upol An) sowie der kathodischen (Upol Ka) Polarisationsspannung zusammen: U
U el U pol An U pol Ka
U el ǻU .
(4-10)
Das aufgelöste Materialvolumen V kann aus der Abtraggeschwindigkeit vA, der Elektrodenfläche A und der Bearbeitungszeit t berechnet werden: vA A t .
V
(4-11)
Nach dem Faradayschen Gesetz ist dieses Volumen von dem spezifischen Abtragvolumen Vsp abhängig: V sp I t .
V
(4-12)
Durch Kombination dieser Gleichungen erhält man unter Berücksichtigung der Stromdichte J die Abtraggeschwindigkeit vA: vA
V sp J .
(4-13)
Im Falle stationärer Senkbedingungen ist die Abtraggeschwindigkeit vA gleich der Vorschubgeschwindigkeit vf: vA
vf .
(4-14)
140
4 Elektrochemisches Abtragen (ECM)
Unter Berücksichtigung dieser Zusammenhänge berechnet sich die Spaltweite zu: s
(U ǻU) V sp ț vf
.
(4-15)
Die Spaltweite s ist damit von den Einstellparametern Arbeitsspannung U und Vorschubgeschwindigkeit vf sowie den werkstoffspezifischen Kenngrößen spezifisches Abtragvolumen Vsp und Polarisationsspannung 'U abhängig. Außerdem ist sie direkt proportional zur spezifischen Leitfähigkeit N des Elektrolyten, welche von dessen Zusammensetzung, Konzentration und Temperatur bestimmt wird. Darüber hinaus ergibt sich, dass die Spaltweite s und die Stromdichte J umgekehrt proportional sind: s|
1 . J
(4-16)
Entsprechend des Zusammenhangs zwischen der Abtraggeschwindigkeit vA und der Stromdichte J bedingen unterschiedlich vorgegebene Vorschubgeschwindigkeiten vf unterschiedliche Stromdichten J. Daraus entstehen wiederum unterschiedliche Spaltweiten, s. Abb. 4.5.
1,5
1,0
0,5
0
2,0
Abtraggeschwindigkeit vA / (mm/min)
Stirnspalt s90 / mm
2,0
Werkstoff : 55NiCrMoV7 Elektrolyt : NaCl 0,12 kg/l H2O 35 °C NaNO3 0,05 kg/l H2O 35 °C
1,5
1,0
0,5 s90
0
0,25
0,5
0,75
1,0
Stromdichte J / (A/mm²)
Abb. 4.5. Verlauf der Abtraggeschwindigkeit vA und des Stirnspaltes s90 in Abhängigkeit von der Stromdichte J bei unterschiedlichen Elektrolysebedingungen
4.1 Grundlagen
141
vA'
vA
90°
60°
45°
30°
0°
Konturneigungswinkel Į
sĮ
Anode
vf
Kathode
vAĮ Į
vA
s90 Į
vAĮ = vA sinĮ
Spaltweite s / mm
Bereich der Werkstückkontur bei flachen Gravuren
Abtraggeschwindigkeit vA (mm/min)
Abtraggeschwindigkeit vAĮ / (mm/min)
Die Abtraggeschwindigkeit vA lässt sich direkt aus der Vorschubgeschwindigkeit vf der Werkzeugelektrode schon während des elektrochemischen Bearbeitungsprozesses ablesen. Prozessbedingt wird sich bereits nach kurzer Zeit ein stationärer Gleichgewichtszustand einstellen, bei dem sich ein konstanter Arbeitsspalt s mit einer konstanten Stromdichte J bildet. Stationäre Bedingungen werden damit während der Bearbeitung an der Konstanz der Stromdichte erkannt. Die Abtraggeschwindigkeit entspricht dann der bekannten vorgegebenen Vorschubgeschwindigkeit und ist somit erfassbar. Unter der Polarisationsspannung 'U wird der Spannungsabfall an den Phasengrenzen Elektroden/Elektrolytlösung verstanden. Wird die Spaltweite s in Abhängigkeit von der an die Elektroden angelegten Arbeitsspannung U für unterschiedliche Leitfähigkeiten N oder auch Vorschubgeschwindigkeiten vf gemessen, ergeben sich Geraden, die nicht durch den Koordinatenursprung laufen, sondern die Abszisse um den Betrag der Polarisationsspannung 'U versetzt schneiden.
Spaltaufweitung smax smin s | konst
vA = vF
Stromdichte J / (A/mm²)
Abb. 4.6. Grundlagen zur Spaltausbildung bei Raumformen
142
4 Elektrochemisches Abtragen (ECM)
Dies bedeutet, dass sich erst dann eine endliche Spaltweite s ausbilden kann, wenn zwischen den Elektroden eine Spannung angelegt wird, die größer als die Polarisationsspannung 'U ist [Dege72]. Beim Einsenken von Raumformen wird die Spaltausbildung von einer weiteren Variablen, und zwar vom Neigungswinkel der Werkstückkontur, bestimmt. Wie aus Abb. 4.6 zu entnehmen ist, ändert sich die Normalkomponente der Abtraggeschwindigkeit mit dem Sinus des Konturneigungswinkels D. Setzt man diese Normalkomponente an Stelle der Vorschubgeschwindigkeit vf in die Gleichung für die Spaltweite s ein, so ergibt sich ein um so größerer Spalt, je steiler die Kontur ist. Bei zylindrischen Formen oder Durchbrüchen (zweidimensionale Geometrie) ist eine Korrektur der Werkzeugelektrode verhältnismäßig einfach, da sich hier durch die Isolierung der Werkzeugseitenwände ein nahezu konstanter Seitenspalt ausbildet. Die Werkzeugkorrektur erreicht man dabei durch eine allseitige Verkleinerung um den Betrag des Seitenspalts, der in empirischen Untersuchungen in Abhängigkeit von den Bearbeitungsbedingungen und der Werkzeuggeometrie bestimmt wird. Je nach Korrekturaufwand sind Genauigkeiten von bis zu 0,01 mm erreichbar. Bei Raumformen ist eine Werkzeugkorrektur nicht mehr so einfach auszuführen, weil der Korrekturbetrag aufgrund der unterschiedlichen Spaltausbildung entlang der Kontur variiert. Wenn die Werkstückgeometrie nur flache Konturen aufweist, kann jedoch auch schon die verhältnismäßig einfache Korrektur um einen allseitig konstanten Betrag zur Erzielung einer vergleichsweise guten Genauigkeit ausreichend sein. Wie aus Abb. 4.6 entnommen werden kann, verringert sich die Spaltaufweitung um so mehr, je größer man die Vorschubgeschwindigkeit wählt. 4.1.2 Aufbau von EC-Senkanlagen
EC-Senkanlagen bestehen grundsätzlich aus der Elektrolytversorgung, der Bearbeitungsmaschine und dem Generator, Abb. 4.7. Die eigentliche Bearbeitungsmaschine verfügt über Aufspanntische für die Werkzeug- und Werkstückelektroden. Während des Bearbeitungsprozesses wird dabei mittels einer Vorschubeinheit eine Relativbewegung zwischen Werkzeug und Werkstück hergestellt. Diese muss eine gleichförmige Bewegung der Elektrode (in der Regel die Werkzeugelektrode) gewährleisten [Gosg75], da die Vorschubschwankungen zum mechanischen Kontakt der Elektroden und damit zum Kurzschluss führen können. Die Vorschubgeschwindigkeit sollte für einen Bereich von 0,1 bis 20 mm/min stufenlos einstellbar sein.
4.1 Grundlagen
Gleichstromgenerator
Bearbeitungsmaschine
Elektrolytversorgung
Vorschub
HNO3; FeSO4; NH2SO3H ...
+
143
Werkzeug Elektrolyttank
Werkstück Elektrolytlösung H2 O
+
Anode
M
H2 O
O2 +H+ OH- + H2 , pH-Wert NO 3 Cr3+/Cr42NO2Fe2+/Fe3+ NH2OH Ni2+/Ni3+ NH4+
-
Kathode
ECM-Schlamm (zur Deponie)
Arbeitsmedium:
wässrige Elektrolytlösung z. B. NaCl, NaNO3 Werkzeug: abbildendes Formwerkzeug, kein Verschleiß Arbeitsspannung: 5 - 20 V Stromdichte: 0,1 - 4 A/mm2 Bearbeitungsspalt: 0,005 - 1 mm Abtragsgeschw.: 0,2 - 10 mm/min spez. Abtrag: ca. 1 - 2,5 mm3/A min
Abb. 4.7. Elektrochemisches Senken - Abtragprinzip und Maschinenanlage
Da zwischen den Elektroden verhältnismäßig hohe Elektrolytdrücke wirksam werden (5 bis 50 bar), hat das Maschinengestell eine große statische Steifigkeit aufzuweisen, damit Aufbiegungen nicht zu Lageveränderungen im System Werkzeug-Werkstück führen und ungenaue Einsenkungen verursachen. Weiterhin muss die Maschine in ihrem konstruktiven Aufbau eine besondere thermische Stabilität zeigen, um auch Lageveränderungen im System Werkzeug-Werkstück aufgrund von Wärmedehnungen in Grenzen zu halten. Diesem Sachverhalt ist besondere Beachtung zu schenken, da verhältnismäßig große elektrische Energien im Arbeitsspalt in Wärme umgesetzt werden und diese vom Elektrolyten abzuführen sind. Aus diesen Gründen werden EC-Senkmaschinen in vertikaler oder horizontaler Bauart mit C-förmigen Gestellen oder in Portalbauweise ausgeführt. Letztere haben sich dabei zur Kompensierung der hohen Elektrolytdrücke als besonders günstig erwiesen. Nicht zuletzt ist eine hohe Korrosionsbeständigkeit der Bearbeitungsmaschine zu erwähnen, um die korrosive Wirkung der aggressiven Elektrolytlösung am Maschinengehäuse zu verringern. Soweit die mit dem Elektrolyten in Berührung kommenden Bauteile nicht bereits aus
144
4 Elektrochemisches Abtragen (ECM)
korrosionsbeständigen Werkstoffen bestehen, sind diese mit Kunststoff beschichtet. Die zur Elektrolyse notwendige Gleichspannung liefert ein Generator, der aus einem Transformator zur Herabsetzung der Netzspannung auf eine maximale Arbeitsspannung von 20 bis 30 V und aus einem Gleichrichter besteht. Die Arbeitsspannung ist zur Beeinflussung des Arbeitsergebnisses stufenlos einstellbar und unabhängig vom Generatorstrom konstant geregelt. Außerdem verfügt ein ECM-Generator über eine Kurzschlusserfassung und eine Stromschnellabschaltung, die im Fall einer nicht immer zu vermeidenden Prozessstörung (z.B. aufgrund ungünstiger Elektrolytströmungen) Kurzschlussschäden an den Werkzeug- und an den Werkstückelektroden verhindert [Gosg75, Kell82]. Die Elektrolytversorgung und Elektrolytaufbereitung besteht im Wesentlichen aus einer Elektrolytpumpe, einem oder mehreren Elektrolytbehältern und aus einem Wärmeüberträger zur Temperaturregelung des Elektrolyten. Als Elektrolytpumpen werden vorzugsweise Kreiselpumpen mit Förderleistungen zwischen 100 und 800 l/min [Gosg75] bei Förderdrücken von 10 bis 50 bar eingesetzt. Die Elektrolytbehälter bestehen aus korrosionsbeständigen bzw. korrosionsgeschützten Werkstoffen (Edelstahl, Kunststoff u.a.). Die Temperaturregelung der Elektrolytlösung übernehmen ein Kühlaggregat, ein Temperaturregler sowie Heizelemente, die meistens im Elektrolyttank angeordnet sind. Die Kühlleistung muss auf die im Generator installierte Leistung und Pumpenförderleistung abgestimmt sein. Die in Form von Metallhydroxiden anfallenden Abtragprodukte müssen ständig aus dem Elektrolytkreislauf entfernt werden, da sie mit zunehmender Anreicherung das Wirkmedium eindicken würden. Hierzu finden vorzugsweise Separatoren, Zentrifugen und Filterpressen Anwendung, die in einem Zusatzkreislauf des Elektrolytleitungssystems angeschlossen sein können. Eine Schwierigkeit, die den Erfolg und die Fertigungskosten einer ECBearbeitung entscheidend beeinflussen kann, ist die bei diesem Fertigungsverfahren meist aufwendige Vorrichtung, die eine Reihe von Funktionen erfüllen muss, Abb. 4.8. Außer den vorrichtungsüblichen Funktionen, wie Spannen, Ausrichten und Fixieren von Werkzeug und Werkstück, übernimmt die Vorrichtung in diesem Fall Aufgaben, die für das Verfahren spezifisch sind. Hierzu gehören insbesondere die Kontaktierung der Werkzeugelektroden und vor allem der Werkstückelektroden. Bei der Auslegung der Werkstückkontaktierung muss man auf die saubere Ausführung der Kontaktflächen achten, um Übergangswiderstände zwischen Kontaktmaterial und Werkstück klein zu halten.
4.1 Grundlagen
145
Fixierung und Führung Elektrolytaustritt
Maske Dichtung Werkzeug
Elektrolyteintritt
Isolation
Zentrier- und Kontaktiereinrichtung
Werkstück
Abb. 4.8. Prinzip einer ECM-Vorrichtung
Außerdem übernimmt die für eine elektrochemische Senkbearbeitung notwendige Vorrichtung die Aufgabe, die Elektrolytlösung durch den Bearbeitungsspalt zu führen, bzw. das Wirkmedium dem zu bearbeitenden Werkstück zuzuleiten. Die Teile der Vorrichtung, die nicht kathodisch gepolt sind und zudem während der Bearbeitung mit dem Elektrolyten in Berührung kommen (besonders bei der Werkstückaufnahme), sind besonders korrosionsgefährdet, sie werden aus besonders korrosionsfesten Werkstoffen hergestellt. Als geeignete Werkstoffe bieten sich hier besonders Kupfer, Messing, Graphit, rostfreie Stähle und auch Titan, dessen Verwendung jedoch äußerst kostenintensiv ist, an. Kunststoffe, gegebenenfalls auch glasfaserverstärkte Kunststoffe (GFK), finden als Isolationswerkstoffe Anwendung. Der elektrolytische Abtragprozess kann nur dann störungsfrei ablaufen, wenn die entstehenden Abtragprodukte und die Joulesche Wärme an jeder Stelle des Arbeitsspalts ausreichend schnell abgeführt werden können. Es ist deshalb bei der Auslegung der Werkzeugelektrode darauf zu achten, dass
146
4 Elektrochemisches Abtragen (ECM) Werkzeug
Werkzeug Werkzeug
Werkstück a) innere Strömung
Maske
Maske
Werkstück b) äußere Strömung
Werkstück c) Querströmung
Abb. 4.9. Möglichkeiten der Strömungsführung im Bearbeitungsspalt
die Strömungslänge des Elektrolyten im Arbeitsspalt so kurz ist, dass ein Verdampfen der Elektrolytlösung vermieden wird (Verlust der Leitfähigkeit). Das Arbeitsmedium kann dem Arbeitsspalt auch über Bohrungen und Schlitze in der Werkzeugelektrode zufließen. In der Praxis unterscheidet man je nach Strömungsrichtung die innere und äußere Zuströmung, Abb. 4.9a und b. Bei einer inneren Zuführung der Elektrolytlösung besteht die Gefahr der Strömungsablösung und damit einer örtlichen Verdampfung des Elektrolyten. Dies kann durch eine Drosselung der Elektrolytlösung auf der Austrittseite gemindert werden. Bei kleineren Werkzeugabmessungen ist auch die Elektrolytzufuhr in der in Abb. 4.9c dargestellten Weise möglich. Man spricht dann von der Querzuströmung.
4.2 Technologie Die Entwicklung des elektrochemischen Auflösungsprinzips zu einem praxisreifen formgebenden Verfahren ist durch die steigenden Anforderungen an die Festigkeit der zu bearbeitenden Werkstoffe und die Komplexität der herzustellenden Formen gekennzeichnet. Trotz der Vorteile, die das elektrochemische Senken für die Lösung dieser Bearbeitungspotentiale bietet, blieb die Anzahl der Anwendungsfälle hinter den Erwartungen zurück. Eine der Hauptursachen ist die ungleichmäßige Spaltausbildung bei komplizierten Raumformen, welche durch Berechnungen nur annähernd erfasst werden kann. Somit muss die optimale Kontur der Werkzeugelektrode durch aufwendige Vorversuche optimiert werden. Dies lohnt sich oft nur bei der Serienfertigung oder bei Werkstücken, die durch andere Verfahren nicht herstellbar sind.
4.2 Technologie
147
4.2.1 Maschinenparameter
Um eine wirtschaftliche Fertigung und eine kontrollierte Formgenauigkeit zu gewährleisten, sind detaillierte Kenntnisse der elektrochemischen Prozesszusammenhänge zur Handhabung dieses Fertigungsverfahrens unerlässlich. Ohne Kenntnis des elektrochemischen Abtragverhaltens [Dege72, Lind77] ist eine Voraussage des Arbeitsergebnisses – gekennzeichnet durch Formgenauigkeit und Oberflächengüte - genau so wenig möglich wie eine Abschätzung der Hauptzeit und des erforderlichen Energiebedarfs. Außer diesen elektrochemisch bedingten Einflüssen wirkt sich die Geometrie des Werkstücks aufgrund komplizierter Stromdichteverteilungen an Kanten, Ecken und Radien, aber auch durch die Veränderung der lokalen Elektrolysebedingungen im Strömungsverlauf der Elektrolytlösung auf die Ausbildung der Arbeitsergebnisse aus. Weitere Einflussgrößen sind die Einstellparameter wie Spannung, Vorschubgeschwindigkeit und Elektrolyteintrittstemperatur, deren Konstanz und Einhaltung erst die Reproduzierbarkeit eines einmal erzielten Arbeitsergebnisses gewährleisten. Nicht zu vernachlässigen sind auch maschinenbedingte Einflüsse, die Lagefehler im System Werkzeug-Werkstück verursachen und damit die Formgenauigkeit ebenfalls bestimmen. Um den zur Auslegung einer EC-Bearbeitung notwendigen Aufwand an Vorversuchen zu minimieren, steht ein Normversuch zur Verfügung, der eine Ermittlung der elektrochemischen Bearbeitbarkeit in allgemeingültiger Form unabhängig von bestimmten problemorientierten Geometrien erlaubt [Beme70]. In diesem Zusammenhang wurde die elektrochemische Senkbarkeit definiert [Dege72], die als Beschreibung der im Normversuch ermittelten Eigenschaften eines Werkstoffs bei bestimmten Bearbeitungsbedingungen Angaben über das Abtragverhalten, die Spaltausbildung und Oberflächengüte enthält. Die Abhängigkeit zwischen der Oberflächengüte mit Mittenrauwert Ra und Stromdichte J wird u. a. im Normversuch ermittelt [Dege72, Lind77]. Die Grundform weist einen hyperbolischen Verlauf auf, Abb. 4.10. Dieser Verlauf bewirkt den für die EC-Bearbeitung positiven Effekt, dass die Oberflächengüte mit zunehmender Bearbeitungsgeschwindigkeit besser wird. Er bedingt allerdings auch den negativen Effekt, dass die Oberflächengüte im Seitenspaltbereich von Raumformen aufgrund der dort vorliegenden kleinen Stromdichten sehr beeinträchtigt werden kann. Wie auch Abb. 4.10 zu entnehmen ist, übt nicht die absolute Spaltweite, sondern ausschließlich die Stromdichte J den bestimmenden Einfluss auf die Oberflächengüte aus [Lind77].
148
4 Elektrochemisches Abtragen (ECM)
Abweichungen dieses Ra-J-Kennlinienverlaufs können durch die örtlich unterschiedlichen Polarisationen auf der Werkstückoberfläche auftreten. Diese können bedingt sein durch Unregelmäßigkeiten im Kristallgitter, unterschiedliche Kristallstrukturen und Orientierungen sowie durch örtlich unterschiedliche Legierungszusammensetzungen [Köni82, Neub84, Neub85]. 1,6 Werkstoff:TiAl6V4 Elektrolyt: NaCl ; 12 kg/100 l H2O ; 35°C
Mittenrauwert Ra / µm
1,4
S90 = 0,3 mm
1,2
s90 = 0,5 mm s90 = 1,0 mm
1 0,8 0,6 0,4 0,2 0 0
0,2
0,4
0,6
0,8
1
1,2
3 Werkstoff: 55NiCrMoV7 (3) Elektrolyt: NaNO3 ; 20 kg/100 l H2O ; 35°C
Mittenrauwert Ra / µm
2,5 S90 = 0,3 mm s90 = 0,5 mm
2
s90 = 1,0 mm 1,5
1
0,5
0 0
0,2
0,4
0,6
Stromdichte J /
0,8
A/mm2
Abb. 4.10. Einfluss der Stromdichte auf die Oberflächengüte
1
1,2
4.2 Technologie
Maschine Lagerfehler im System Werkzeug-Werkstück bedingt durch Wärmedehnung und Aufbiegung
Einstellparameter Spannung Vorschubgeschw. Ein-, Austrittsdruck Kathodenwerkstoff
Arbeitsergebnis Genauigkeit Oberflächengüte
Elektrolyt Art Konzentration Temperatur pH-Wert Verschmutzung
149
Werkstoff chemische Zusammensetzung Verarbeitungszust. Gefügestruktur ...
Geometrie Fläche Konturneigung Radien ...
Abb. 4.11. Einflussgrößen auf das Arbeitsergebnis
Das spezifische Abtragvolumen ist für das elektrochemische Abtragverhalten ein weiterer bedeutsamer Kennwert. Wesentlich ist, dass das Abtragverhalten des zu bearbeitenden Werkstoffs, außer von seiner chemischen Zusammensetzung (Abb. 4.11), auch von dessen Gefügestruktur und damit von der Wärmebehandlung, vom Verarbeitungszustand und von weiteren, die Struktur eines Werkstoffs bestimmenden Größen abhängt [Beme70, Dege72, Pahl73, Hümb75, Kops75, Lind77]. Das Abtragverhalten muss darüber hinaus in direktem Zusammenhang mit der Temperatur gesehen werden [Hoar69, Fran71, Maok71, Datt77, Yucy83]. Die direkte Proportionalität zwischen der Abtraggeschwindigkeit vA und der Stromdichte J leitet sich aus den Faradayschen Gesetzmäßigkeiten ab. Dieser theoretische Zusammenhang gilt jedoch nur für die Bedingung, dass die ausschließlich abtragwirksamen Reaktionen mit den angenommenen elektrochemischen Wertigkeitsänderungen ablaufen. Gerade diese Voraussetzung ist aber in der Praxis nicht immer zutreffend, da an einer Elektrode in Abhängigkeit von den vorliegenden Bearbeitungsbedingungen (z. B. Art des Elektrolyten, pH-Wert, angelegte Arbeitsspannung usw.) mehrere elektrochemische Reaktionen ablaufen, die sowohl abtragwirksam als auch abtragunwirksam sein können. Außerdem sind die unterschiedlichen elektrochemischen Reaktionen oftmals potentialabhängig und damit auch stromdichteabhängig [Lind77]. Wie erwähnt, wird die vA-J-Kennlinie durch die nicht homogene Gefügestruktur der in der Praxis eingesetzten Werkstofflegierungen beeinflusst. Diese enthalten oftmals nicht lösliche oder schlecht lösliche Partikel (z. B. eingeschlossene Zementitpartikel), die wegen der bevorzugten Auflösung des umgebenden Grundmaterials aus dem Werkstoff herausgespült werden, ohne dass hierzu elektrische Ladung verbraucht wird.
150
4 Elektrochemisches Abtragen (ECM)
Während ein linearer Zusammenhang zwischen der Abtraggeschwindigkeit vA und der Stromdichte J nach dem Faradayschen Gesetz auf einen konstanten Reaktionsmechanismus hinweist, bewirken die zuvor beschriebenen Reaktions- bzw. Abtragmechanismen ein Abknicken des Kennlinienverlaufs. Grundsätzlich können jedoch alle untersuchten Abhängigkeiten von Abtraggeschwindigkeit und Stromdichte durch Geraden oder Geradenabschnitte dargestellt werden. Eine Analyse der vorliegenden Zusammenhänge von Abtraggeschwindigkeit vA und Stromdichte J zeigt einige charakteristische Merkmale, die auf nur wenige Reaktionsmöglichkeiten hinweisen, wie in [Lind77] festgestellt wurde, Abb. 4.12. Mit dieser Klassifizierung von charakteristischen vA-J-Kennlinien besteht die Möglichkeit zur Einordnung von Werkstoffgruppen nach ihrer elektrochemischen Bearbeitbarkeit [Lind77]. Da der Kennlinienverlauf in bestimmter Weise die anodischen Reaktionsvorgänge widerspiegelt, kann ein spezifischer Kennlinientyp auf eine bestimmte charakteristische Abtragform zurückgeführt werden. Die das elektrochemische Abtragverhalten bestimmenden Einflussgrößen verdeutlichen, dass man eine Klassifizierung von Werkstoffgruppen hinsichtlich ihrer elektrochemischen Senkbarkeit nicht allein nach dem Unterscheidungsmerkmal der chemischen Werkstoffzusammensetzung vornehmen kann. Vielmehr verhalten sich Werkstoffe mit gleicher chemischer Zusammensetzung bei der Bearbeitung mit unterschiedlichen Elektrolyten völlig verschieden, so dass die Art der verwendeten Elektrolytlösung als übergeordnetes Unterscheidungskriterium vorangestellt werden muss.
4.2 Technologie
151
Typ B
Typ A
vA
vA 'vA 'J
0
Vm1
Vm2
= Vm 0
J
J Veff
Vm2 Veff
Vm Vm1 0
0
JKnick
J
J
Typ D
Typ C
vA
vA Vm1
Vm2
Vm
0
0 J
J Veff
Vm
Veff
Vm1 Vm2
0
0 JKnick
min
J
J
Typ E
Typ F
vA
vA Vm1
Vm2 Vm1
0
Vm2
0 J Vm1
J Vm2
Veff
Veff Vm1
Vm2 0
0 min
JKnick
J
min
JKnick
Abb. 4.12. Kenngrößen zur Beschreibung des effektiven Abtragvolumens
J
152
4 Elektrochemisches Abtragen (ECM)
4.2.2 Elektrolyte
Die Elektrolytlösung hat bei der Elektrolyse die Funktion, die in der Lösung vorhandenen Ladungsträger zu transportieren und an den Elektroden eine elektrochemische Umsetzung hervorzurufen. Weitere Anforderungen, die zusätzlich an die Elektrolytlösung gestellt werden müssen, sind nach [VDI3401]: x hohe chemische Stabilität, das heißt, dass die Elektrolytlösung eine dauerhafte Erhaltung ihrer Eigenschaften zeigen soll, x geringe Korrosionswirkung auf die Bearbeitungsapparatur, x physiologische Neutralität in Bezug auf das Bedienungspersonal und x Preisgünstigkeit.
Aufgrund der unterschiedlichen Bedingungen, denen eine Elektrolytlösung genügen muss, kann man keine eindeutigen Aussagen über den im Einzelfall anzuwendenden Elektrolyten machen [Yucy81, Zhus83]. Die Leitfähigkeit einer Elektrolytlösung ist direkt abhängig von: x x x x
der Art und der Zusammensetzung des Elektrolyten, der Konzentration und der Temperatur, der kathodisch entwickelten Wasserstoffmenge und der Art der Abtragprodukte.
Für gebräuchliche Elektrolytlösungen (NaCl und NaNO3) liegt die spezifische Leitfähigkeit zwischen 50 und 300 mS/cm. In der Praxis kommen vorwiegend die folgenden Elektrolytlösungen mit unterschiedlichen Konzentrationen und Temperaturbereichen zum Einsatz. Kochsalzlösungen (NaCl)
Bei Bearbeitungsprozessen mit Natriumchloridlösungen kommt es wegen der großen Adsorptionsaffinität der Chloridionen zu einer vorrangigen Adsorption dieser Ionen auf der Metalloberfläche im Vergleich zu den OH- Ionen oder den Wasserdipolen. Dadurch können die Metallionen direkt mit den Chloridionen reagieren. Meist bildet sich dabei das lösliche Metallchlorid. In einem anschließenden Hydrolysevorgang werden die Chloridionen durch (OH-)-Ionen ausgetauscht und es entsteht das in der Elektrolytlösung ausfallende Metallhydroxid. Wegen der bei hohen Stromdichten auftretenden großen Bildungsgeschwindigkeit der Metallchloride wird deren Sättigungsgrenze in der Elektrolytlösung überschritten. Dies führt zur Bildung eines viskosen Elektrolytfilms in Anodennähe, der eine Einebnung der Oberfläche bewirkt. Weiterhin zeichnen sich diese Elektrolyte bei der
4.2 Technologie
153
Bearbeitung der meisten Stähle durch hohe Stromausbeuten aus, ein Materialabtrag findet schon im unteren Potentialbereich statt. Nitratlösungen (NaNO3)
Im Gegensatz zu den Kochsalzlösungen verläuft die Metallauflösung bei der Verwendung von Natriumnitratlösungen über einen Oxidationsvorgang des Metalls im sog. transpassiven Bereich. Dabei wird in einer Nebenreaktion die bei der Bearbeitung von Kohlenstoffstählen erwünschte Passivschicht ausgebildet, welche zu einer guten Abbildungsgenauigkeit führt. Arbeitet man im unteren Stromdichtebereich, so wird nur wenig Metall aufgelöst, da nahezu die gesamte Ladungsmenge für die Sauerstoffentwicklung verbraucht wird. Säuren
Während bei den bisher genannten Elektrolytlösungen (NaCl und NaNO3) die Anodenreaktionsprodukte in der Regel als Metallhydroxide ausgefällt werden, bleiben die Abtragprodukte beim Einsatz von starken Säuren (H2SO4, HNO3, HCl) in dem jeweils verwendeten Arbeitsmedium gelöst. Um eine bei dieser Arbeitsweise mögliche Abscheidung der Metallionen auf den Kathoden in erträglichen Grenzen zu halten, kann der Elektrolyt nur jeweils so lange verwendet werden, bis eine bestimmte maximale Metallionenkonzentration erreicht ist. Dann muss man den Elektrolyten erneuern oder in einem Ionenaustauscher aufarbeiten. Ebenfalls muss der pH-Wert durch stetige Zugabe von Säure geregelt werden. Die Anwendung ist wegen der hohen Aggressivität der Säuren auf Sonderfälle beschränkt (siehe STEM-Verfahren, Abschnitt 4.5.2). Weiterhin kommen auch Mischungen der beschriebenen Elektrolyte zum Einsatz, außerdem werden je nach Bearbeitungsaufgabe Komplexbildner (Citrate = Salze der Citronensäure und Tartrate = Salze der Weinsäure) verwendet [Dege73]. 4.2.3 Werkstoffe Charakteristisches Abtragverhalten von Werkstoffgruppen bei der Bearbeitung mit NaCl-Elektrolyten
Der in Abb. 4.12 mit A bezeichnete Kennlinienverlauf beschreibt einen konstanten, von der Stromdichte unabhängigen Abtragmechanismus. Zu dieser Werkstoffgruppe kann man alle homogenen und mehrphasigen Stähle
154
4 Elektrochemisches Abtragen (ECM)
zusammenfassen, deren schlecht lösliche Phasen so verteilt sind, dass diese aus dem Grundmaterial ausgewaschen werden können. Ein im oberen Stromdichtebereich beobachtbares Abknicken der Geraden weist dagegen auf einen Wechsel des Mechanismus hin, dessen Ursache vielfältig sein kann [Lind77]: x Die Metallauflösung verläuft in Abhängigkeit von der Stromdichte mit unterschiedlichen elektrochemischen Wertigkeitsänderungen, d. h. die Metallionen gehen mit unterschiedlicher Ionenladung in Lösung. Eine Erhöhung (Verminderung) der Wertigkeitsänderung bewirkt ein Abflachen (Ansteigen) der vA-J-Kennlinie. x Das Einsetzen (Aussetzen) von Nebenreaktionen bewirkt ein Abflachen (Ansteigen) der Kennlinie.
Eine zweite Gruppe mit dem charakteristischen Abtragverhalten entsprechend des vA-J-Kennlinientyps B (Abb. 4.12) umfasst alle Werkstoffe, die sich durch einen hohen Chrom- und Nickelgehalt auszeichnen und zu denen sowohl die austenitischen Stähle als auch die hochwarmfesten Nickellegierungen zählen. Tabelle 4.1. Klassifiziertes Abtragverhalten der Werkstoffgruppen bei der Bearbeitung mit NaCl-Elektrolytlösungen. Elektrochemische Werkstoffe Senkbarkeit Typ A C110 55NiCrMoV7 54NiCrMoV6 X33CrMoV33 X12CrNiMo122 X22CrMoV12
Klassifizierende Merkmale
Typ B
X10CrNiTi18-9 X10CrNiMoTi18-10 NiCr20TiAl NiCr20Co18Ti NiCr20Co14MoTiAl NiCo20Cr15MoAlTi NiCr20Co20MoTiAl
Austenitische Stähle und Nickellegierungen, u. U. Korngrenzenkarbide
Typ C
C15 C35E C45E C60E
Stähle mit lamellarer Ausbildung des Zementits, die eine Auswaschung der schlecht löslichen Phase verhindern
Homogene oder mehrphasige Stähle, deren schlecht lösliche Phasen so verteilt sind, dass sie aus dem Grundmaterial ausgewaschen werden können. Legierungsgehalt bis 12 % Cr, 2,5 % Ni, 2,0 % Mo
4.2 Technologie
155
Die dritte Gruppe von Werkstoffen, die ein elektrochemisches Abtragverhalten gemäß des Kennlinientyps C (Abb. 4.12) aufweisen, sind Stähle mit lamellarer Ausbildung des Zementits, die eine Auswaschung der schlecht löslichen Phase verhindert. Daher erfolgt ihr Abtrag wie bei dem gut löslichen Grundmaterial auf elektrochemischem Weg. In Tabelle 4.1 sind alle Werkstoffe zusammengefasst, die bei der Bearbeitung mit NaClElektrolytlösungen ein Abtragverhalten gemäß dem Kennlinienverlauf Typ A, B oder C aufweisen [Lind77]. Charakteristisches Abtragverhalten von Werkstoffgruppen bei der Bearbeitung mit NaNO3-Elektrolyten
Der in Abb. 4.12 mit Typ D gekennzeichnete Kennlinienverlauf beschreibt das passivierende Verhalten, das aufgrund der unterhalb von Jmin abtragunwirksamen Reaktionen eine Begrenzung der Spaltaufweitung bedingt. Für die sich anschließenden linearen Zusammenhänge zwischen der Abtraggeschwindigkeit und der Stromdichte sind wieder die bereits beschriebenen Möglichkeiten der Abtragmechanismen gültig. Die bisher untersuchten Werkstoffe können bei einer Bearbeitung mit Natriumnitratelektrolyten in drei Gruppen mit charakteristischen Abtragverhalten entsprechend des spezifischen vA-J-Kennlinienverlaufs unterteilt werden. Die erste Werkstoffgruppe zeichnet sich dadurch aus, dass alle in ihr enthaltenen Werkstoffe - Stähle mit ferritischer, perlitischer und martensitischer Gefügestruktur bei einem Legierungsgehalt von etwa 12 % Cr, 1,5 % Ni und 2,0 % Mo - ein Abtragverhalten aufweisen, das dem vA-JKennlinientyp D entspricht (Passivität). Die zweite Werkstoffgruppe enthält die austenitischen Stähle, deren charakteristisches Abtragverhalten darin besteht, dass die vA-J-Kennlinien durch den Ursprung verlaufen. Im unteren Stromdichtebereich weisen sie dabei ein Übergangsverhalten auf, das dem der ersten Werkstoffgruppe entspricht. Für die beiden letztgenannten Werkstoffgruppen ist die Kennliniensteigung im oberen Stromdichtebereich (vA a J) weder von der Elektrolytkonzentration noch von dessen Temperatur abhängig. Auch zeigt die Struktur des Werkstoffs einen kaum messbaren Einfluss auf die Kennliniensteigung. Demgegenüber werden die innerhalb des Übergangsbereichs ablaufenden Reaktionsmechanismen jedoch in hohem Maße von den genannten Elektrolysebedingungen beeinflusst. Ursache hierfür ist die Ausbildung einer elektronenleitenden Deckschicht. Die dritte Werkstoffgruppe, welche die Nickellegierungen umfasst, wird durch ein Abtragverhalten charakterisiert, das dem der austenitischen Stähle entspricht. Im unteren Stromdichtebereich tritt jedoch kein Übergangs
156
4 Elektrochemisches Abtragen (ECM)
Tabelle 4.2. Klassifiziertes Abtragverhalten der Werkstoffgruppen bei der Bearbeitung mit NaNO3-Elektrolytlösungen Elektrochemische Senkbarkeit Typ D
Typ D Typ A bis D Typ A
Werkstoffe C15 Ck35 Ck45 C110 55NiCrMoV7 54NiCrMoV6 X33CrMoV33 X20Cr13 X40Cr13 X12CrNiMo12-2 X22CrMoV12 X10CrNiTi18-9 X10CrNiMoTi18-10 NiCr20TiAl NiCr20Co18Ti NiCr20Co14MoTiAl NiCo20Cr15MoAlTi NiCr20Co20MoTiAl
Klassifizierende Merkmale Stähle mit ferritischer, perlitischer, martensitischer Gefügestruktur. Legierungsgehalt bis 2,5 % Ni, 2,0 % Mo, 12 % Cr
Stähle mit lamellarer Ausbildung des Zementits Austenitische Stähle Nickellegierungen, u. U. Korngrenzenkarbid
verhalten, hervorgerufen durch Ausbildung einer elektronenleitenden Deckschicht, auf. Darüber hinaus muss der Wärmebehandlungszustand als Einflussgröße auf die Kennliniensteigung berücksichtigt werden. In Tabelle 4.2 sind die mit NaNO3-Elektrolytlösungen bearbeiteten Werkstoffe entsprechend ihres elektrochemischen Abtragverhaltens aufgelistet [Lind77]. 4.2.4 Gepulste EC-Bearbeitung Elektrisch gepulste EC-Bearbeitung
Eine Weiterentwicklung des klassischen ECM-Verfahrens mit Gleichstrom stellt die gepulste EC-Bearbeitung dar. In der Literatur wird dieses Verfahren unter der Abkürzung PECM (Pulsed Electro Chemical Machining) geführt, vgl. [Raju99]. Durch eine Verkleinerung des Arbeitsspalts wird eine signifikant höhere Abbildungsgenauigkeit erreicht, mit der auch kleinere, filigrane Strukturen mit höchster Präzision abgebildet werden können [Uhlm01]. Durch die gepulste Bearbeitung kann während der Einschaltdauer (ton) des Stroms eine höhere Stromdichte angelegt werden, die nach Gleichung 4-16 in einer reduzierten Spaltweite resultiert. Während der Ausschaltdauer
4.2 Technologie
157
(toff) kann der Elektrolyt seine ursprünglichen, idealen Prozessparameter durch Wärmeabfuhr, Entpolarisierung, Spülung von Verunreinigungen und Abtragprodukten sowie Austausch des Elektrolyten wiederherstellen [Raju99, DeSi00]. Die Periodendauer liegt dabei im Allgemeinen in der Größenordnung von Millisekunden bis Mikrosekunden. So können auch bei kleinem Arbeitsabstand (s < 100 µm) Kurzschlüsse oder Funkenüberschläge verhindert und ein stabiler Prozess betrieben werden. Die Länge und das Einschaltverhältnis (Verhältnis von Einschaltdauer zu Gesamtdauer eines Pulses) haben Einfluss auf die erzielbare Oberflächengüte. Kleine Einschaltdauern bei relativ langen Ausschaltdauern führen beispielsweise zu einer verbesserten Oberfläche bei der gepulsten Bearbeitung von Ti6Al4V, einem gängigen Material für Turbinenschaufeln [Raju99]. Mit der gepulsten EC-Bearbeitung lassen sich komplexe Formen mit einer Genauigkeit von 0,02 – 0,1 mm herstellen [Koza94]. Weitere Verbesserungen der Materialabtragrate und der Oberflächengüte lassen sich bei einigen Materialien durch die Verwendung eines zeitweise umgepolten gepulsten Stroms erreichen. Dabei wird dem anodischen Puls noch vor der Pausendauer ein kathodischer Puls vorgeschaltet, um eventuelle Ablagerungen auf der Werkzeugelektrode abzutragen [Raju99]. Zusätzliche Abhebebewegung der Werkzeugelektrode
Eine weitere Prozessvariante stellt die Verwendung einer oszillierenden Werkzeugelektrode dar. Diese als PEM-Verfahren (Precise Electro Chemical Machining) bekannte Technologie nutzt die Periode der Ausschaltdauer, um die Elektrode ein Stück vom Werkstück wegzubewegen und dadurch den Arbeitsspalt zu vergrößern. Hierdurch wird dann eine kontinuierliche und vollständige Spülung der Bearbeitungsstelle ermöglicht. Der Arbeitsspalt während der Periode der Einschaltzeit kann dadurch noch enger auf Werte im Bereich von 10 µm zugestellt werden. Eine dadurch gewährleistete sehr hohe Geometriegenauigkeit ermöglicht insbesondere die Fertigung von komplexen Mikrostrukturen [Uhlm01]. Die Ausschaltperiode kann zusätzlich zur Spaltüberwachung und Neupositionierung der Elektrode genutzt werden [Raju99]. Die Oszillationsbewegung der Elektrode wird maschinenseitig durch den Einbau von entsprechenden Piezoantrieben realisiert, die die Bewegungen mit der notwendigen Geschwindigkeit gewährleisten können. Amplituden von 100 – 400 µm bei einer Schwingungsfrequenz von f = 50 Hz stellen Beispielwerte dar, vgl. [Förs04, Wätz04]. Diese Bewegung wird der generellen Vorschubbewegung zusätzlich überlagert. Realisierte Vorschubgeschwindigkeiten liegen in der Regel zwischen vf = 0,1 mm/min und vf = 1 mm/min [Pemt04].
158
4 Elektrochemisches Abtragen (ECM)
Das gepulste ECM-Verfahren bietet gegenüber der konventionellen ECBearbeitung Verbesserungspotential bezüglich der Abbildungsgenauigkeit. Nachteilig sind die höheren Kosten für den gepulsten Stromgenerator und die geringere Materialabtragrate. Daher ist die Anwendung des Verfahrens in erster Linie bei der Mikrostrukturierung zu finden [Raju99]. EC-Abtragen mit ultrakurzen Spannungspulsen
Ultrakurze Pulse im Bereich von Nanosekunden ermöglichen bei der Mikrostrukturierung von Bauteilen eine weitere Steigerung der Abbildungsgenauigkeit bis zu lateralen Auflösungsgenauigkeiten im Submikrometerbereich. Eine Spaltaufweitung kann dabei weitgehend verhindert werden. Nicht die Stromdichteverteilung im Elektrolyt, sondern die Variation des Spannungsabfalls in der elektrochemischen Doppelschicht steuert bei diesem Verfahren die lokale elektrochemische Reaktionsrate. Zum Materialabtrag muss diese Doppelschicht, die sich wie ein Plattenkondensator verhält, während des Pulses umgeladen werden. Die Ladezeit W wird durch das Produkt aus Elektrolytwiderstand R und Doppelschichtkapazität CDL bestimmt:
W
C DL R .
(4-17)
Bei Veränderung des Elektrodenabstands bleibt die Kapazität der Doppelschicht konstant, während sich der wirksame Elektrolytwiderstand R mit der Länge des Stromlaufpfades ändert, vgl. Gleichung 4-7. Durch hinreichend schnelle An- und Abschaltung der Spannung können gezielt nur die Elektrodenbereiche wirkungsvoll umgeladen werden, die einen entsprechend kleinen Abstand zur Gegenelektrode aufweisen. Die Reaktionsrate hängt dabei exponentiell von der Umladespannung ab. Eine Ortsauflösung von 1 µm kann bei einer Pulsung bis maximal 100 ns erreicht werden. Realisierbare Abtraggeschwindigkeiten liegen in der Größenordnung von 10 µm/min [Kock03, Ecmt06]. 4.2.5 Bahn-EC-Bearbeitung
Eine weitere Verfahrensvariante ist die Bahn-EC-Bearbeitung. Hierbei wird in Anlehnung an die Bahnerosion eine einfach geformte, nicht profilierte Elektrode genutzt, um durch eine dreidimensionale Verfahrbewegung die Bearbeitung eines Werkstücks zu realisieren. Dies erspart die empirische, zeit- und kostenintensive Elektrodenentwicklung der herkömmlichen ECBearbeitung und qualifiziert die Technologie dadurch auch für Einzel- und
4.3 Arbeitssicherheit und Umweltschutz
159
Kleinserienfertigung. Die Bahn-EC-Bearbeitung kombiniert die Flexibilität der NC-Technologie mit der ECM-Technologie. Das Verfahren benötigt weniger Energie und eine wesentlich kürzere Vorbereitungszeit, hat aber auch eine wesentlich geringere Materialabtragrate. Die Form und Struktur der Elektrode haben großen Einfluss auf die Elektrolytströmung, die Ausbildung des elektrischen Feldes und den Arbeitsspalt. Zum Einsatz kommen beispielsweise zylindrisch geformte Elektroden oder Kugelkopfelektroden mit einer seitlich angeordneten Elekrolytstrahldüse, die auf das Werkstück gerichtet ist. Der Arbeitsspalt kann durch eine gepulste Bearbeitung verkleinert werden. Dieses Werkzeug fährt dann einen vorbestimmten Weg ab und erzeugt so durch elektrochemische Metallauflösung die gewünschte Form. Bahn-ECM vermeidet die Entstehung von komplexen Arbeitsspaltbedingungen wie bei der herkömmlichen EC-Bearbeitung. Es entsteht jedoch ein der Seitenspaltaufweitung ähnliches Problem entlang des bereits durch die Elektrode zurückgelegten Weges. Dort bildet sich ein elektrisches Feld aus und durch das Vorhandensein des Elektrolyten kommt es auch weiterhin zum Werkstückabtrag. Dies muss bei der NC-Wegprogrammierung entsprechend mitberücksichtigt werden. Um den Werkstoffabtrag zu lokalisieren, muss die Ausbildung des elektrischen Feldes und die Elektrolytströmung auf die Bearbeitungsstelle eingeschränkt werden [Raju99].
4.3 Arbeitssicherheit und Umweltschutz Bei den elektrochemischen und chemischen Verfahren stellen die Elektrolytlösungen bzw. Ätzmedien sowie die während des Prozesses entstehenden Abtragprodukte eine Umweltbelastung dar. Entsprechende Sicherheitsmaßnahmen für den Bediener der Anlage sind aufgrund eines gewissen Gefährdungspotentials der anfallenden Stoffe vorzusehen und die fachgerechte Entsorgung ist sicherzustellen. Die bei einer bestimmten Bearbeitungsaufgabe entstehenden Stoffe müssen im Einzelfall analysiert werden und dann ein entsprechendes Handhabungs- und Entsorgungskonzept entwickelt werden. Die Arbeitsprozesse sind nach dem Stand der Technik so zu gestalten, dass gefährliche Gase, Dämpfe oder Schwebstoffe nicht freigesetzt werden können und Arbeitnehmer nicht in Hautkontakt mit gefährlichen Stoffen kommen können. Die Beurteilung gefährlicher Arbeitsstoffe erfolgt anhand der gängigen Schwellen und Grenzwerte (MAK, TRK, BAT und EKA), bei deren Erreichen dann entsprechende Maßnahmen getroffen werden müssen. Wenn das Auftreten gefährlicher Stoffe in der Luft am Arbeitsplatz nicht
160
4 Elektrochemisches Abtragen (ECM)
sicher ausgeschlossen werden kann, müssen die entsprechenden Werte kontrolliert werden und geeignete persönliche Schutzausrüstung zur Verfügung gestellt werden [GeSV04]. Beispielsweise besteht bei der elektrochemischen Bearbeitung von legierten Stählen mit hohem Chromanteil die Gefahr der Bildung von giftigem Chrom(VI). Bei der Nutzung eines Natriumnitratelektrolyten können durch Reduktionsreaktionen an der Werkzeugkathode giftige Stickstoffverbindungen (z. B. Ammoniak, Nitrit, Hydroxilamin) entstehen. Diese giftigen Verbindungen müssen durch Zugabe geeigneter Substanzen, wie beispielsweise Eisensulfat oder Amidosulfonsäure, entsprechend entgiftet werden. Infolge der ätzenden Wirkung von Säuren und Basen müssen beim Einsatz dieser Lösungen Menschen und Arbeitsplätze durch Sicherheitsmaßnahmen, wie Spritzschutz, Gummibekleidung usw. geschützt werden. Bei der EC-Bearbeitung fallen hauptsächlich Metallhydroxidschlämme, Metallverbindungen und Metallverbindungsgemische als Abfallstoffe im Elektrolyten an. Durch die Elektrolytaufbereitung (Filterung) kann die Häufigkeit für den Austausch des gesamten Elektrolyten dabei reduziert werden. Aufgrund der entstehenden Kosten stellt die Verwertung oder Entsorgung der Abfallstoffe eine gewisse ökonomische Einflussgröße dar [Raju99, Förs04]. Im Einzelfall kann dies von einem „zusätzlichen“ Gewinn durch den Verkauf des mit wertvollen Elementen angereicherten Abfalls bis zu Kosten zur Entsorgung auf Sondermülldeponien reichen. Für die Entsorgung der bei der EC-Bearbeitung anfallenden Stoffe existiert eine Reihe von gesetzlichen Bestimmungen und Verordnungen. Grundlage bildet dabei das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz (KrWAbfG) des Bundes. Zielsetzung dieses Gesetzes ist eine nachhaltige Abfallwirtschaft durch den Einstieg in eine Kreislaufwirtschaft, die die Schonung der natürlichen Ressourcen durch Abfallvermeidung und Verwertung erreicht und die umweltverträgliche Abfallbeseitigung sichert. Vorteilhaft ist die Zusammenarbeit mit einem anerkannten Entsorgungsfachbetrieb, der sich mit den zur Zeit im Umbruch befindlichen Gesetzen und Verordnungen genauestens auskennt. Sobald bei einem Betrieb jährlich eine bestimmte Menge an überwachungsbedürftigem bzw. besonders überwachungsbedürftigem Abfall je Abfallschlüssel entsteht, muss ein Abfallwirtschaftskonzept zur Vermeidung, Verwertung und Beseitigung erstellt werden, vgl. [KWAG94, AVV02, Bmud05].
4.4 Anwendungsbeispiele für das elektrochemische Senken
161
4.4 Anwendungsbeispiele für das elektrochemische Senken Aus den verfahrensspezifischen Merkmalen des elektrochemischen Senkens ergeben sich zahlreiche Eigenschaften, die eine Vielzahl von Anwendungsmöglichkeiten eröffnen. Ein Haupteinsatzgebiet des elektrochemischen Senkens ist der Turbomaschinenbau, weil hier oft hochwarmfeste Werkstoffe (Legierungen auf Nickel-, Kobalt- und Titanbasis) bearbeitet werden müssen, die mit herkömmlichen Verfahren häufig nur schlecht bearbeitbar sind [Kell85, Pott87]. In Abb. 4.13 sind durch ECM hergestellte Verdichterschaufeln und Leitschaufeln dargestellt. Ausgangsmaterial ist ein geschmiedeter Aufmaßrohling bzw. ein rechteckiges Halbzeug mit Zapfen zum Spannen in der Maschine. Schaufelfüße und Deckband werden anschließend spanend nachbearbeitet. Bearbeitungsanlagen zur EC-Bearbeitung im Triebwerksbau sind in Abb. 4.14 gezeigt. Im linken Bild ist eine Schaufelbearbeitung zu sehen. Hierbei werden gleichzeitig 4 Werkstücke bearbeitet. Die Werkstücke werden in einen Werkstückhalter eingespannt und anodisch gepolt. Die kathodisch gepolten Werkzeuge bewegen sich vertikal nach oben bzw. unten während die Werkstücke horizontal in die Werkzeuge bewegt werden. Im rechten Bild ist eine Blisk-Bearbeitung dargestellt. Zu sehen ist das vorbearbeitete Blisk-Rad mit eingefädelten Werkzeugen. Zur EC-Bearbeitung wird die Kammer mit Elektrolyt geflutet.
Verdichterschaufeln
Leitschaufeln
Abb. 4.13. Verdichterschaufeln und Leitschaufeln durch ECM hergestellt, Kopf bzw. Fuß spanend nachbearbeitet (nach Leistritz)
162
4 Elektrochemisches Abtragen (ECM)
4fach Werkzeugelektrode
Schaufel
Werkzeugelektrode
Halter
Blisk
Elektrolyt
ECM- Schaufelbearbeitung
ECM- Bliskbearbeitung
Abb. 4.14. Bearbeitungsanlagen zur ECM Bearbeitung im Triebwerksbau (nach Leistritz Turbomaschinen Technik)
Abb. 4.15. EC-Bearbeitung Läuferwellen (nach Köppern)
von
Anwendung:
Gas- und Dampfturbinen
Vorteil:
Besserer Spannungsverlauf im Schaufelfuß als bei gesteckten Schaufeln
Werkstoff:
z. B. X22CrMoV12-1
Schaufeln,
Laufrädern
und
einteiligen
4.4 Anwendungsbeispiele für das elektrochemische Senken
163
Abb. 4.15 zeigt Anwendungsbeispiele der EC-Bearbeitung von Schaufeln, Laufrädern und einteiligen Läuferwellen für den Gas- und Dampfturbinenbau. Die entsprechenden Profile werden komplett aus dem Vollen herausgearbeitet. Es wird dabei ein besserer Spannungsverlauf im Schaufelfuß als bei gesteckten Schaufeln erreicht. Die Bearbeitungszeit liegt bei 6 Minuten pro Schaufel. In Abb. 4.16 ist die elektrochemische Bearbeitung von gekrümmten, elliptischen Kühlbohrungen in einer Hochdruckturbinenscheibe dargestellt. Die Kontur sorgt für einen idealen Spannungsverlauf im Bauteil und ist spanabhebend nicht herstellbar. Der Werkstoff ist eine Nickelbasislegierung. Die Bearbeitungszeit für die insgesamt 74 Kühlbohrungen liegt bei 20 Stunden. Weitere elektrochemisch bearbeitete Werkstücke für den Triebwerksbau sind in Abb. 4.17 und Abb. 4.18 dargestellt. Ein weiteres Anwendungsgebiet der ECM-Technologie ist die Herstellung von Formmulden in Werkzeugen. Beispiele für solche Formmulden sind Tablettenwalzen für die Pharmaindustrie sowie Formringe und Segmente von Walzen zur Brikettierung und Kompaktierung von Schüttgütern, vgl. Abb. 4.19. Der Vorteil von ECM liegt in der Mehrfachbearbeitung mit frei wählbarer Geomerie.
Turbinenscheibe Bearbeitung: Werkstoff:
Detailansicht
Schnitt in radialer Richtung
20h EC-Bearbeitung von 74 Kühlluftbohrungen Nickelbasislegierung
Abb. 4.16. EC-Bearbeitung von gekrümmten, elliptischen Kühlbohrungen in einer Hochdruckturbinenscheibe des Flugzeugtriebwerks BR715 der Firma Rolls-Royce Deutschland (nach Köppern)
164
4 Elektrochemisches Abtragen (ECM)
Elektrode
Triebwerksgehäuse
Vorschub: Spannung: Strom:
2 mm/min 20 V 15000 A
Abb. 4.17. Elektrochemisches Senken eines Profils mit schaufelförmigen Schweißenden (nach MTU-Aero Engines)
Titanblisk Werkstoff: Vorschub:
Titanbasislegierung 1,5 mm/min
Elektroden Spannung: 13 V Strom: 15000 A
Abb. 4.18. Schaufelprofile und Gaskanal eines Titanblisks durch ECM hergestellt (nach MTU-Aero Engines)
4.4 Anwendungsbeispiele für das elektrochemische Senken
165
Vorteil ECM:
Mehrfachbearbeitung von bis zu 20 Formen; Freiformflächen
Werkstoffe:
Stahl sowie pulvermetallurgisch hergestellte hoch verschleißfeste Werkstoffe
Bauteilgrößen: bis 1500 mm Durchmesser bis 2000 mm Länge
Volumina:
Abgetragen werden 0,2 cm³ bis 130 cm³
Abb. 4.19. EC-Bearbeitung von Tablettenwalzen für die Pharmaindustrie sowie Formringen und Segmenten zur Brikettierung und Kompaktierung von Schüttgütern (nach Köppern)
Ein weiteres Anwendungsbeispiel ist die Herstellung von Brenn- und Kühlkammern in Diesel-Einspritzsystemen, Abb. 4.20. Früher wurden diese Kammern auf Drehmaschinen mit speziellen Drehmeißeln kostenintensiv eingebracht. Ferner entstand bei dieser Fertigungsmethode am Übergang Hauptbohrung-Kraftstoffzulaufbohrung ein Grat, der aus strömungstechnischen Gründen entfernt werden musste. Nur durch die ECM-Technik konnten die hohen Anforderungen der Motorenbauer erfüllt werden. Durch einen bipolaren, gepulsten ECM-Prozess (TwinPulse ECM£) lassen sich filigrane Strukturen in sehr engen Toleranzen bei gleichzeitig hoher Oberflächengüte (Ra = 0,02 µm) fertigen, vgl. Abb. 4.21. Durch zeitweise Umpolung der Kathode (bipolarer Prozess) wird eine Selbstreinigung der Werkzeugelektrode erreicht. So werden heute bei der Firma Philips die Scherkappen für Rasierapparate elektrochemisch hergestellt (linkes Bild). Weitere, mit einer entsprechend gelochten Elektrode eingesenkte Feinstrukturen, sind im rechten Bild zu sehen. Die Strukturhöhe beträgt 2,5 mm.
166
4 Elektrochemisches Abtragen (ECM)
Polung
Werkstück
+ Erstellte Kontur
Brennkammer / Kühlkammer Werkstoff: Arbeitsspannung: Strom: Bearbeitungszeit: Elektrolyt:
25NiMo4 / 32CrMoV12-10 40 V / 20 - 43 V 50 - 90 A / 70 A 250 s / 450 s NaCl 17% (50 °C)
Elektrolyt
Isolation Elektrode
Kammerform: Durchmesser: Kammerhöhe:
Tropfenform / Halbkreis 14,5 mm / 24 mm 7,9 mm / 7,5 mm
Abb. 4.20. EC-Bearbeitung: Schiffsdiesel-Einspritzsystem (nach KSMA)
Miniaturisierte Strukturen (20 mm x 30 mm) Scherkappe für Rasierapparat
Abb. 4.21. EC-Bearbeitung filigraner Strukturen bei gleichzeitig hoher Oberflächengüte (nach VMB Babenhausen und Philips Applied Technologies)
4.5 Sonderverfahren der elektrochemischen Bearbeitung
167
4.5 Sonderverfahren der elektrochemischen Bearbeitung 4.5.1 EC-Endbearbeitung funkenerodierter Bauteile
Die zunehmenden Anforderungen hinsichtlich der Oberflächenqualität funkenerosiv erzeugter Bauteile und der wachsende Kostendruck haben die Entwicklung auf dem Gebiet der elektrochemischen Endbearbeitung funkenerodierter Werkstücke ausgelöst. Die langen Schlichtzeiten für die funkenerosive Bearbeitung können durch die Fertigungsfolge EDM/ECSenken reduziert werden, Abb. 4.22. Aber auch die manuelle Nacharbeit kann durch diesen Prozess substituiert oder zumindest verringert werden. Die Reproduzierbarkeit kann somit verbessert werden. Ein weiterer Vorteil ist, dass die durch die Funkenerosion erzeugte, thermisch geschädigte Werkstückrandschicht komplett entfernt werden kann. Dies geht einher mit einer erhöhten dynamischen Festigkeit des Bauteils. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass die Oberflächen nicht durch Zugeigenspannungen belastet sind, so dass ebenfalls eine gute Haftung von Hartstoffschichten erreicht werden kann. Funkenerosiv bearbeitete Oberfläche thermisch beeinflusste Randzone verminderte dynamische Festigkeit unzureichende Haftung 200µm von Hartstoffschichten Randzone thermisch beeinflusst Nachbearbeitung notwendig
Entfernung der Randzone
Elektropolieren (EP) kurze Bearbeitungszeit hohe Reproduzierbarkeit flächiger Abtrag hohe Oberflächengüte
verbesserte Oberfläche Randzone entfernt erhöhte dynamische Festigkeit Oberfläche beschichtbar
manuelle Nachbearbeitung lange Polierzeiten eingeschränkte Reproduzierbarkeit in Hinblick auf: Abtrag der Randzone, Maßhaltigkeit, Formgenauigkeit, Oberflächengüte
200µm
keine Randzonenbeeinflussung
Abb. 4.22. Nachbearbeitung von Hand und durch Elektropolieren
168
4 Elektrochemisches Abtragen (ECM)
Um Umspannfehler zwischen den einzelnen Bearbeitungsschritten zu vermeiden und Rüstzeiten zu minimieren, ist es unabdingbare Voraussetzung, dass die eingesetzte Maschine für beide Prozesse geeignet ist. Dies erfordert den Einsatz einer konventionellen EDM-Senkanlage, die durch einen ECM-Generator und eine Elektrolytversorgung und -aufbereitung erweitert wird. Durch den Einsatz eines wasserbasierten Dielektrikums für die funkenerosive Bearbeitung haben kleinste, unvermeidliche Verschleppungen der beiden Medien ineinander keine negativen Einflüsse auf die Prozessabläufe. Zwischen den beiden Bearbeitungsschritten muss das korrosionsbeständige Arbeitsbecken mit Leitungswasser gereinigt werden. Damit kombiniert diese Fertigungsfolge die Vorteile des funkenerosiven Schruppens mit wässrigen Dielektrika und der elektrochemischen Bearbeitung zur Erzeugung hoher Oberflächengüten in kurzen Bearbeitungszeiten. Die Fertigungsfolge funkenerosives und elektrochemisches Senken befindet sich zur Zeit noch in der Entwicklungsphase. 4.5.2 Elektrochemische Bohrverfahren
Mit den elektrochemischen Bohrverfahren (Abb. 4.23) lassen sich kleine Bohrungen mit hohen Aspektverhältnissen in hochfesten Werkstoffen wirtschaftlich fertigen. Diese Bohrungen können extrem schräg zur Oberfläche eingebracht werden, da bei der EC-Bearbeitung keine mechanischen Kräfte wirken. Weiterhin können mehrere Löcher unterschiedlicher Durchmesser und Formen in einem Arbeitsgang hergestellt werden. Wegen der resultierenden langen und sehr engen Spalte werden saure Elektrolyte verwendet, die das aufgelöste Metall in Lösung halten und so Ablagerungen und Verstopfungen verhindern [VDI3401]. Das Verfahren mit der Bezeichnung Shaped Tube Electrolytic Machining (STEM) eignet sich zur elektrochemischen Herstellung von Bohrungen mit hohem Aspektverhältnis von rd. 200 bei einem minimalen Bohrungsdurchmesser von 0,5 mm.
4.5 Sonderverfahren der elektrochemischen Bearbeitung
169
Elektrolyt Elektrolytzufuhr Kunststoffisolierung Metallrohr
Glasrohr
Sammler
Drahtkathode Führung Werkstück Elektrolytabfuhr
Shaped Tube Electrolytic Machining
Elektrochemisches Feinbohren
Electro Stream Drilling
Abb. 4.23. Elektrochemische Bohrverfahren nach [VDI3401]
Die Werkzeugelektrode besteht aus einem Titanröhrchen, das bis auf seine Stirnfläche von außen isoliert ist. Als Elektrolyt wird in der Regel Schwefelsäure (H2SO4) verwendet, damit die Abtragprodukte in Lösung bleiben und nicht als Schlamm die Elektrolytströmung behindern. Die Metallionen-konzentration muss ständig überwacht werden, um eine Abscheidung von Metallionen auf der Kathode in Grenzen zu halten. Gegebenenfalls muss man den Elektrolyten erneuern. Das Abscheiden von Metallionen auf dem Werkzeug lässt sich jedoch nie ganz vermeiden. Da hierdurch die Bohrungsgenauigkeit und auch die Oberflächengüten beeinträchtigt werden sowie eine erhöhte Kurzschlussgefahr entsteht, wird nach einer Senkzeit von 10 bis 20 s die Spannungspolarität kurzzeitig umgekehrt und dadurch der Metallniederschlag aufgelöst. Problematisch ist bei diesem Verfahren die Elektrolytzuführung. Sie kann Schwingungen der verhältnismäßig labilen Werkzeugelektroden hervorrufen, die wiederum zu rauen Oberflächen, ungleichen Bohrungsquerschnitten oder zu Kurzschlüssen zwischen Werkzeug und Werkstück führen können. Das Verfahren wird vorwiegend im Turbinenbau zum Einbringen von radialen Kühlkanälen in Turbinenschaufeln eingesetzt. Bei angelegten Spannungen bis zu 100 Volt können Vorschubgeschwindigkeiten bis zu 3,5 mm/min erreicht werden. Der kleinste herstellbare Bohrungsdurchmesser liegt im Bereich von 0,5 mm. Realisierbare Aspektverhältnisse liegen in der Größenordnung von bis zu 200 [Lars79, Brei84, Chry84].
170
4 Elektrochemisches Abtragen (ECM)
Abb. 4.24. ECF von Filmkühlungsbohrungen an einer Leitschaufel aus Nickelbasislegierung (nach MTU)
Das elektrochemische Feinbohren (ECF) nutzt Glasrohre, die die Elektrolytlösung zur Bearbeitungsstelle transportieren und die für den elektrochemischen Auflösungsprozess erforderlichen Kathoden in Form von Metalldrähten beeinhalten. Durch eine kontinuierliche Vorschubbewegung der Glasrohre wird der Abtragfortschritt realisiert. Zur Stabilitätserhöhung werden die Glasrohre dabei in einer Vorrichtung geführt. Durch ECF lassen sich sehr kleine und tiefe Löcher herstellen (Durchmesser im Bereich von 0,15 - 2 mm; Aspektverhältnis bis 200), wobei mehrere Bohrungen im gleichen Arbeitstakt sehr eng nebeneinander positioniert werden können [VDI3401]. Ein Beispiel für das ECF zeigt Abb. 4.24. Beim Electro-Stream-Drilling ESD besteht das Werkzeug aus Glasrohren, die aber im Gegensatz zur Geometrie beim ECF am Bearbeitungsende zu Kapillaren ausgezogen wurden. Die vergleichsweise großen Durchmesser im Schaftbereich verleihen dem Werkzeug eine hohe Stabilität, so dass keine zusätzliche Stütz- oder Führungsvorrichtung notwendig ist. Die drahtförmigen Kathoden werden von oben in das Glasrohr eingeführt und enden im Übergangsbereich zur Kapillare. Der große Abstand zwischen Kathode und Bearbeitungsstelle erzeugt einen hohen ohmschen Widerstand und macht Arbeitsspannungen im Bereich von über 300 Volt erforderlich [VDI3401].
4.5 Sonderverfahren der elektrochemischen Bearbeitung
171
4.5.3 Elektrochemisches Entgraten
Die Wirkungsweise entspricht dem elektrochemischen Senken, jedoch ohne Vorschubbewegung während der Bearbeitung. Die Elektroden werden vor dem Einschalten der Elektrolytversorgung und der Arbeitsspannung bis auf einen ausreichenden Arbeitsspalt von 0,5 bis 1 mm zugestellt. Der Abtrag bleibt durch eine entsprechende Isolierung der Werkzeugelektrode und infolge der Spitzenwirkung, die eine Bündelung der Stromlinien am Grat bewirkt, auf den Grat beschränkt [Gevo83, Thil83, Mave85, Przy87], Abb. 4.25. Insbesondere in der Großserienfertigung bereitet das herkömmliche Entgraten an schwer zugänglichen Stellen Schwierigkeit, da es kaum oder nicht zu automatisieren ist. In diesem Fall bietet das elektrochemische Entgraten große Vorteile, da x komplizierte Gratformen durch eine entsprechende Formelektrode auch an schwer zugänglichen Stellen abgetragen werden können und x das Verfahren gut zu automatisieren ist.
Aufgrund der hohen Maschinenkosten und des komplizierten und daher teuren Werkzeuges ist der Einsatz des Verfahrens nur in der Großserienfertigung sinnvoll.
1 Werkzeug
Elektrolytströmung 2
Stromlinien Grat Werkstück
+
( 1 ) Kanten verrunden: r = 0,4 mm ( 2 ) Entgraten an Stirnflächen
Kenngrößen Arbeitsmedium: Arbeitspannung: Stromdichte: Abstand Elektroden:
Bearbeitungsaufgabe
wässrige Elektrolytlösung 10 - 35 V 0,25 - 1 A/mm² 0,5 - 1 mm
Abb. 4.25. Elektrochemisches Entgraten
Bearbeitung auf vollautomatischer Transferanlage: Taktzeit: 15 s (18 Werkstücke parallel) Durchsatz: 28000 Stück/Tag
172
4 Elektrochemisches Abtragen (ECM)
Abschirmblech
Kupplung Abmessung: Werkstoff: Arbeitsspannung: Strom: Bearbeitungszeit: Elektrolyt: Temperatur:
28 x 26 mm² C15K 20 V 90 A 15 s NaNO3; 20 % 18 - 20 °C
Abmessung: Werkstoff: Arbeitsspannung: Strom: Bearbeitungszeit: Elektrolyt: Temperatur:
82 x 15 mm² Nickel 99,6 % 17,5 V 60 A 50 s NaNO3; 20 % 18 - 20 °C
Abb. 4.26. Elektrochemisches Entgraten (nach Siemens)
Vor dem Bearbeitungsprozess ist eine Vorbehandlung der Werkstücke durch intensives Reinigen und Entzundern erforderlich. So können beispielsweise anhaftende Späne zu Kurzschlüssen führen, während Zunder-, Oxid- oder Fettschichten durch ihre isolierenden Eigenschaften die Übergangswiderstände an den Kontaktstellen erhöhen. Dies hat einen ungleichmäßigen Abtrag zur Folge. Abb. 4.26 zeigt ein Bearbeitungsbeispiel, bei dem beidseitig alle Bohrungen und Langlöcher entgratet werden. Die Gesamtbearbeitungszeit beträgt 50 s je Stück in einer 20 %-igen NaNO3-Lösung. An dem in Abb. 4.27 gezeigten Kupplungsstück wird die gefräste Ausnehmung in einer Gesamtzeit von 15 s beidseitig entgratet. Abb. 4.27 zeigt weitere Bearbeitungsbeispiele für die Entgratung und Kantenverrundung mittels ECM. Es wird jeweils die Verzahnungskontur aus Stahl bearbeitet. Die Prozesszeiten liegen unter einer Minute bei einer angelegten Spannung von 20 - 30 V und einer Stromaufnahme von 11001400 A.
4.6 Elektrochemisches Oberflächenabtragen
Zahnrad: Kanten unbearbeitet
173
EC-Entgratung und -Kantenverrundung
Abb. 4.27. EC-Entgratung und -Kantenverrundung (nach VMB Babenhausen)
4.6 Elektrochemisches Oberflächenabtragen Das elektrochemische Oberflächenabtragen oder auch EC-Badabtragen ist ein Verfahren zum Abtragen von Oberflächenschichten unter Verwendung einer äußeren Stromquelle, Abb. 4.28. Die Stromdichten sind im Vergleich zum EC-Formabtragen sehr niedrig (0,01 bis 3 A/cm2). Die Bearbeitung findet ohne Formelektrode in einem Elektrolytbad statt (vergleichbar mit
174
4 Elektrochemisches Abtragen (ECM) Scheiben-Kathode
Werkstück -
+
-
-
Trommel +
Elektrochemisches Polieren (Entgraten), Elektrochemisches Entgraten (Bad-Entgraten) Entmetallisieren oder Beizen von Massenteilen in der Trommel
Abb. 4.28. Elektrochemisches Oberflächenabtragen
der Galvanotechnik, jedoch wird hier ab- und nicht aufgetragen). Als Wirkfläche ist jeweils der Flächenanteil am Werkstück festgelegt, auf den der Elektrolyt ungehindert einwirken kann. Die Elektrolytart wird auf die jeweilige Verfahrensvariante abgestimmt. Elektrochemisches Polieren
Verunreinigungen aus der Fertigung befinden sich nicht nur auf den Oberflächen der Werkstücke, sondern auch in den unmittelbar darunter liegenden Werkstoffschichten. Werkzeugabrieb, Zunder, Öle, Fette sowie Reste von Schleif- und Poliermitteln werden durch die mechanische Bearbeitung in die Oberfläche eingetragen und anschließend durch überlappendes und verzogenes Metall zugedeckt, so dass sie allen „oberflächlichen“ Reinigungsprozessen widerstehen und somit zu Störungen im weiteren Arbeitsablauf führen. Zuverlässige Abhilfe ermöglicht nur die vollständige Beseitigung der verunreinigten Werkstoffschichten, ohne dass dabei neuerlich Fremdstoffe eingeschleppt oder die Oberflächen anderweitig, etwa durch Korngrenzenangriff, geschädigt werden. Dies ist technisch und wirtschaftlich gleichermaßen befriedigend durch Elektropolieren möglich. Die oberflächennahen Werkstoffschichten werden dabei ohne mechanische und thermische Belastung auf elektrochemischem Wege abgetragen. Eine hohe Reinheit wird in der Praxis insbesondere für Bauteile von kerntechnischen Anlagen sowie für Triebwerksteile für Luft- und Raumfahrt gefordert. Ein weiteres Anwendungsgebiet dieses Abtragverfahrens ist das Einebnen von Oberflächenrauheiten zur Verminderung von Reibungsprozessen bei Zahnrädern, Wellen usw. [Faus82, Horn82, Benn83, Pieß83, Tous84].
4.6 Elektrochemisches Oberflächenabtragen
175
Elektrochemisches Badentgraten
Das elektrochemische Entgraten in Badanlagen wird (meist in Verbindung mit dem Elektropolieren) zum Entfernen kleiner Grate an Werkstückkanten eingesetzt [Schä74, Sieg74, Pram82]. Praktische Beispiele dafür sind Siebbleche, Waschmaschinentrommeln usw. Von ganz besonderer Bedeutung ist hierbei die Tatsache, dass beispielsweise alle Bohrungen während des Entgratungsprozesses auch gleichzeitig geglättet werden und somit weniger korrosionsanfällig sind. Darüber hinaus sprechen auch die wirtschaftlichen Gesichtspunkte, d. h. die mit der Erzielung eines hohen Zeitgewinns verbundene Kosteneinsparung, für den Einsatz dieses Verfahrens im Vergleich zum mechanischen Entgraten. So wurden z. B. beim EC-Badentgraten eines Siebblechs mit einer Fläche von 4,5 m2 und 300 000 Bohrungen je m2 20 min Bearbeitungszeit benötigt. Elektrochemisches Entmetallisieren
Das EC-Entmetalliseren wird vor allem in der Galvanotechnik - zum Entfernen von Metallschichten auf fehlerhaft galvanisierten Werkstücken angewendet. Mit großem Erfolg wird dieses Verfahren auch bei der Rückgewinnung von Edelmetallen aus Abfall und Schrott eingesetzt. Das Verfahrensprinzip beruht auf dem elektrochemischen Abtrag metallischer Schichten von elektrisch leitenden Grundwerkstoffen (z.B. Entchromen) [Dill72]. Als Arbeitsmedium werden bevorzugt Schwefelsäuren und Alkalinitratlösungen verwendet. Während beim Entmetallisieren von Kupfer mit Schwefelsäure bereits durch Anlegen einer äußeren Spannung von 0,35 V eine Oxidation des Kupfers ermöglicht und hiernach durch die sich ausbildende CuSO4-Schicht ein weiterer Abtrag des Kupfers verhindert wird, sind bei den gleichen Arbeitsbedingungen anhaftende Oxidschichten anderer Metalle ablösbar. Elektrochemisches Beizen
Das Abtragen oxidierter oder korrodierter Schichten sowie das Aufrauen von Oberflächenschichten metallischer Werkstoffe sind die Hauptanwendungsgebiete des EC-Beizens [Staw72]. Die Erkenntnis, dass die chemische Beizreaktion durch die Elektrolyse katalysiert oder aber auch gänzlich ausgelöst wird, hat zur Anwendung von Neutralelektrolytlösungen geführt, bei denen gegenüber den sauren oder basischen Elektrolytlösungen weniger große Abwasserprobleme auftauchen. Das EC-Beizen setzt man hauptsächlich zum Entzundern von Edelstahlbändern ein. Angewendet wird vorwiegend Gleichstrom, in Ausnahmefällen auch Wechselstrom, bei Stromdichten bis zu 10 A/dm2.
176
4 Elektrochemisches Abtragen (ECM)
Elektrochemisches Ätzen
Da die Bindungskräfte zwischen den Atomen an der Oberfläche des Metallgitters von der Struktur und der Orientierung des Kristalls abhängen und an Fehlstellen, Versetzungen oder Korngrenzen kleiner sind als im Inneren des Kristalls, sind zur Ablösung eines Metallions aus dem Gitterverband unterschiedliche Energieschwellen auf der Metalloberfläche zu überwinden. Der Stromfluss entsteht daher aufgrund von Potentialdifferenzen im Mikrobereich (Lokalelementbildung, d. h. ohne äußere Stromquelle), die einen elektrochemischen Abtrag mit ungleichmäßiger Verteilung auf der Metalloberfläche bewirken. Diese Tatsache wird bekanntlich bei der elektrochemischen (oder aber auch chemischen) Ätzung in der Metallographie zum Sichtbarmachen der Gefügestruktur genutzt [Weck86]. Zur Anwendung kommen alkalische, saure oder neutrale Ätzlösungen, und zwar in Abhängigkeit von den elektrochemischen Eigenschaften des zu ätzenden Werkstückwerkstoffs. Gegebenenfalls sind auch Mischungen anwendbar. In der Praxis verwendet man beim Ätzen gedruckter Schaltungen vorwiegend neutrale Ätzlösungen [Elst82, Alle86]. Die Abtraggeschwindigkeit liegt je nach Werkstoff und Ätzbedingungen zwischen 0,018 und 0,08 mm/min. Wesentlich wird sie von der „Badtemperatur“ beeinflusst. Mit steigender Temperatur nimmt die Abtraggeschwindigkeit zu. Um einen gleichmäßigen Abtrag zu erzielen, muss der Werkstoff in Zusammensetzung und Gefüge homogen sein. Vielfach müssen daher die Werkstücke vor dem Ätzen einer Wärmebehandlung unterzogen werden. Die Oberflächengüten geätzter Flächen werden außer von der Ätztiefe und dem verwendeten Ätzmedium wesentlich von der Löslichkeit der einzelnen Werkstoffbestandteile, ihrer Korngröße und ihrem Anteil am Gesamtwerkstoff bestimmt. Auch die Ausgangsrauheit ist von Einfluss. Bearbeitungsspuren, Riefen, Kratzer und andere Unregelmäßigkeiten sind auf der geätzten Fläche mehr oder minder „verwaschen“ zu sehen. Eine gute Ausgangsrauheit vorausgesetzt, werden im Allgemeinen Rautiefen zwischen 1 und 15 Pm erreicht. Im Hinblick auf die erzielbare Abtraggeschwindigkeit - Ätztiefe bezogen auf die Wirkzeit - und der sich daraus ergebenden Oberflächengüte werden unterschiedliche Ätzverfahren angewendet. So ist in Abb. 4.29 außer dem eigentlichen Abtragprinzip das sog. Tauchätzen und das Sprühätzen schematisch wiedergegeben.
4.6 Elektrochemisches Oberflächenabtragen Ätzmedium
Metall
Reduktionsvorgänge mit Anund Kationen des Ätzmediums
Abtragprinzip n
Me
Tauchätzen
177
Men+
Sprühätzen
Ätzmittel
Ätzmittel Werkstück
Werkstück
Maske
Abb. 4.29. Elektrochemisches Ätzen
Beim Tauchätzen werden die zu ätzenden Werkstücke in eine Wanne mit Ätzmittel eingetaucht. Die Luft- und Raumfahrtindustrie bietet vor allem große Einsatzmöglichkeiten, bei denen mit Hilfe dieses Verfahrens die Masse großflächiger, dünnwandiger oder räumlich komplizierter Bauteile verringert wird, wenn dies mit herkömmlichen Verfahren nicht oder nur in Verbindung mit einem hohen Kostenaufwand zu erzielen wäre. Ein wesentlicher Nachteil des Tauchätzens besteht in der Schwierigkeit, die Reaktionsprodukte von der Metalloberfläche zu entfernen und das durch die Reaktionswärme aufgeheizte und mit Gasblasen versetzte Ätzmedium in der Nähe der Werkstücke durch frische Flüssigkeit zu ersetzen. Beim Sprühätzen wird das Ätzmedium durch Düsen mit Druck auf das meist horizontal angeordnete Werkstück gesprüht und somit die Werkstückoberfläche gleichmäßig benetzt. Der Flüssigkeitsdruck spült die Reaktionsprodukte von der Metalloberfläche. Die Ätztemperatur ist leicht konstant zu halten, da nur kleine Mengen der Ätzlösung erforderlich sind. Zusätzlich ist von Vorteil, dass der gerichtete Strahl des Ätzmediums den Abtragfortschritt senkrecht zur Oberfläche fördert, so dass eine kleinere Unterätzung auftritt als beim Tauchätzen. Nachteilig sind die komplizierten und teuren maschinellen Einrichtungen. Darüber hinaus sind widerstandsfähigere Abdeckstoffe erforderlich, die von der mit Druck aufgesprühten Ätzlösung nicht unterspült werden. Die mit Hilfe der Ätzverfahren erzielbare Formerzeugung wird durch Abdeckmasken und zeitlich gesteuertes Eintauchen oder Herausziehen des
178
4 Elektrochemisches Abtragen (ECM)
Werkstücks aus dem Ätzmedium ermöglicht. Als Abdeckschichten kommen feste, pastöse und flüssige Stoffe in Betracht. Als feste bzw. pastöse Abdeckschichten werden Kunststofffolien, Wachse oder pechartige Stoffe, als flüssige Abdeckschichten Lacke oder flüssige Kunststoffe verwendet. Zum Abdecken und Maskieren entwickelte man eine Reihe von Maskiertechniken. Ein im großen Umfang angewendetes Verfahren besteht darin, ätzbeständige Streifen oder vollständig vorgefertigte Abdeckmasken oder Abdeckschablonen auf dem Werkstück anzubringen. Bei hohen Stückzahlen und komplizierten Konturen werden die Abdeckungen auf photographischem Wege aufgebracht. Eine andere Maskiertechnik ist das Siebdruckverfahren [Ande82, Lemb82, Viss85].
4.7 EC-Abrichten feinkörniger Schleifwerkzeuge 4.7.1 Electrolytic In-Process Dressing (ELID)
In der Präzisionstechnik, beispielsweise der optischen Industrie und Elekronikindustrie, werden Bauteile eingesetzt, die Oberflächengüten in optischer Qualität aufweisen (Ra in der Größenordnung von 1 nm). Konventionell werden sie durch eine Prozesskette „Schleifen“ und anschließendes „Polieren“ hergestellt. Das Polieren hat jedoch zwei Nachteile. Zum einen sorgt es für eine erhebliche Verlängerung der Herstellungszeit, da es ein sehr zeitintensives Verfahren ist. Zum anderen ergibt sich mit zunehmender Polierdauer eine schlechtere Formgenauigkeit, da der Prozess diesbezüglich ungeregelt ist. Um zusätzlich eine hohe Maßgenauigkeit gewährleisten zu können, muss der Polieranteil daher substituiert oder zumindest reduziert werden. Dadurch müssen die Oberflächengüten, die durch das Schleifen erreicht werden, entsprechend gesteigert werden. Hier bietet sich insbesondere für spröde Materialien, wie z. B. Keramiken, das „duktile Schleifen“ an. Die Oberfläche wird hierbei nicht mehr durch Sprödausbruch, sondern durch ein plastisches Fließen mit begrenzter Prozesskraft generiert [Bifa88, Koch91]. Hierfür werden Schleifscheiben mit sehr kleinen Körnungen und daraus resultierenden Spanungsdicken im Submikrometerbereich benötigt. Übliche Korndurchmesser von verwendetem Diamant- oder cBN Hartstoff liegen hierbei in der Größenordnung von < 3 µm bis in den Submikrometerbereich [Shor93]. Aufgrund dieser sehr kleinen Korngrößen sind diese Schleifscheiben nicht mehr „selbstschärfend“, d. h. der Porenraum des Schleifscheibenbelags setzt sich im Prozess sehr schnell mit Spänen zu, ohne neuen Spanraum wieder freizugeben. Der sich ergebende Anstieg der Prozesskraft und die erhöhte Reibung resultieren in einem starken Temperaturanstieg. Der Prozess wird
4.7 EC-Abrichten feinkörniger Schleifwerkzeuge
179
instabil und es besteht die Gefahr der thermischen Schädigung von Werkzeug und Werkstück. Um die genannten Nachteile zu vermeiden, bietet sich das Schleifen mit kontinuierlichem Abrichten an. Für metallisch gebundene Schleifscheiben kommt hier das Schleifen mit elekrolytischem In-Prozess Abrichten, das sogenannte ELID-Schleifen zum Einsatz (Electrolytic In-Process Dressing). Dabei wird mittels Elektrolyse die metallische Bindung einer Schleifscheibe während des Schleifprozesses kontinuierlich zurückgesetzt, um den Einsatz scharfer Schleifkörner für die gesamte Dauer des Schleifprozesses zu gewährleisten. Durch die vorgegebene Form der Gegenelektrode des Eletrolyseprozesses kann dabei die Schleifscheibe auch profiliert werden. Das ELID-Schleifen mit feinkörnigen Schleifscheiben wurde von Ohmori und Nakagawa in den frühen neunziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts entwickelt. [Ohmo90, Ohmo95, Limh02]. Der Aufbau des ELID-Systems besteht aus einer metallisch gebundenen Schleifscheibe, einer Gegenelektrode, einem Stromgenerator und einem Elektrolyten, vgl. Abb. 4.30. Die Schleifscheibe wird über einen Bürstenkontakt an der Schleifscheibenspindel als Anode geschaltet. Eine dem Profil der Schleifscheibe angepasste Gegenelektrode dient als Kathode. In der Regel besteht sie aus Kupfer und wird in einem Abstand von 0,1 mm bis 0,3 mm zur Schleifscheibe installiert. Als Elektrolyt dient ein Kühlschmierstoff mit entsprechend auf den ELID-Prozess eingestellten Parametern (Leitfähigkeit in der Größenordnung von 1-3 mS/cm und basischer pH-Wert von ungefähr 10). Dieser wird neben der Einbringung in die eigentliche Bearbeitungsstelle durch zusätzliche Düsen direkt in den Spalt zwischen Schleifscheibe und Gegenelektrode als Elektrolyt eingebracht. Der für die Elektrolyse benötigte elektrische Strom wird über den Generator zur Verfügung gestellt. Das ELID-Verfahren kann durch diesen Aufbau praktisch auf jeder konventionellen Schleifmaschine installiert werden [Limh02]. Das Grundprinzip des ELID-Schleifens besteht in der elektrolytischen Zurücksetzung der metallischen Bindung der Schleifscheibe. Dadurch können im Prozess die stumpfen Körner aus der Schleifscheibe herausgelöst werden und durch darunter liegende scharfe Körner ersetzt werden. Natürlich muss für eine hohe Formgenauigkeit die kontinuierliche Abnahme des Schleifscheibenbelags über die Zustellung der Schleifscheibe kompensiert werden. Der Abstand von Gegenelektrode zur Schleifscheibe wird aufgrund des sehr kleinen Abtragvolumens während eines Schleifprozesses nicht nachgeregelt.
180
4 Elektrochemisches Abtragen (ECM) Werkstück Schleifscheibe Bürstenkontakt Generator
Gegenelektrode Zufuhr von Kühlschmierstoff mit definierter Leitfähigkeit (Elektrolyt)
Abb. 4.30. Aufbau des ELID-Systems [Ohmo90]
Die metallische Bindung wird nach dem Prinzip der anodischen Metallauflösung abgetragen. Hierbei wird gezielt der Passivbereich, d. h. der Bereich, in dem sich Oxidschichten als Deckschichten auf der Anode bilden, genutzt. Das bisher am häufigsten verwendete Bindungsmaterial für das ELID-Schleifen ist aufgrund seiner hierfür guten elektrochemischen Eigenschaften das Eisen. An der Anode wird bei der Elektrolyse das Eisen zunächst in Fe2+ und Fe3+ ionisiert. Zusammen mit den an der Kathode entstehenden und im Wasser dissoziierten Hydroxidionen bildet es die Eisenhydroxide Fe(OH)2 und Fe(OH)3. Bei weiterverlaufender Reaktion an der Anode kommt es zur Bildung des Eisenoxids Fe2O3 [Kimj99, Zhan02]. Diese sich bildende Oxidschicht wirkt dabei als Isolationsschicht. Durch die Zugabe von entsprechenden Zusatzstoffen zum Elektrolyten, die zur lokalen Ausheilung von eventuell vorhandenen Defekten in der Oxidschicht führen, kann die Oxidschicht sehr geschlossen und flächendeckend ausgebildet werden. Die Zunahme der Oxidschichtdicke setzt die elektrische Leitfähigkeit der Schleifscheibenoberfläche immer weiter herab, bis die Auflösung der Anode schließlich zum Erliegen kommt. Diese Oxidschicht kann durch den abrasiven Kontakt beim Schleifen mechanisch leicht abgetragen werden. Durch den Wiederanstieg der Stromstärke wird die anodische Metallauflösung wieder in Gang gesetzt. Es ergibt sich ein selbstregelnder Abrichtprozess in einem dynamischen Gleichgewicht [Limh02, Zhan02]. Der gesamte ELID-Zyklus ist in Abb. 4.31 dargestellt.
4.7 EC-Abrichten feinkörniger Schleifwerkzeuge a) ELID Vorschärfung beginnt
b) ELID Vorschärfung beendet
Fe2+ - Ion
Oxide (Fe2O3)
vorstehendes Korn
181
ELID Kreislauf d) ELID Schleifen; Oxidschicht abgetragen
Oxidschicht entfernt
verschlissenes Korn
c)ELID Schleifen beginnt
herausgelöste Oxide
Abb. 4.31. ELID-Zyklus (nach [Ohmo90])
Zunächst wird die Schleifscheibe vor Beginn des eigentlichen Schleifens elektrolytisch vorgeschärft (a). Es bildet sich eine geschlossene Oxidschicht mit eingebetteten Schleifkörnern auf der Schleifscheibenoberfläche (b). Die aus der Bindung hervorstehenden Körner schleifen nun das Werkstück, während gleichzeitig durch die entstehenden Späne die Oxidschicht abgetragen wird (c). Durch das Abtragen der Oxidschicht kann ein erneutes elektrolytisches Abtragen der Bindung ermöglicht werden, um die im Verlauf der Zeit verschleißenden Schleifkörner freizulegen. Außerdem können abgenutzte und verschlissene Schleifkörner, die nur noch von der Oxidschicht gehalten werden, herausgelöst werden (d). Durch die anodische Bindungsauflösung und die Bildung einer neuen Oxidschicht können neue, tiefer liegende Schleifkörner freigelegt werden und der Zyklus schließt sich (b). Der Kornüberstand wird dadurch in gewissen Grenzen konstant gehalten. Aufgrund eines relativ langsamen Ablaufs dieses Zyklus wird ein großes G-Verhältnis (Verhältnis von abgetragenem Werkstückvolumen zu abgetragenem Werkzeugvolumen) des Schleifprozesses gewahrt [Ohmo90, Ohmo95, Limh02]. Der elektrische Strom wird in gepulster Form eingebracht. Üblich sind Rechteckimpulse mit Gesamtpulslängen von 10 µs. Das Einschaltverhältnis definiert dabei den Zeitanteil des Stromflusses. Ein höheres Einschaltverhältnis oder eine höhere Abrichtstromstärke erhöhen die Oberflächengüte durch die Bildung einer dickeren Oxidschicht. Diese dickere Oxidschicht gibt verschlissene Körner schneller frei als eine dünne Schicht, bei der die Körner weiterhin durch die darunterliegende Bindung gehalten werden. Dadurch sind immer sehr scharfe Körner für den Schleifprozess vorhanden. Es resultiert aber auch ein erhöhter Schleifscheibenverschleiß.
182
4 Elektrochemisches Abtragen (ECM)
Die Schleifkraftkomponenten sind aufgrund des nichtlinearen Abrichtverlaufs über der Zeit nicht konstant. Die sich auf- und abbauende Oxidschicht zeigt sich in entsprechenden Schwankungen. Verglichen mit konventionellem Schleifen ergeben sich durchweg geringere Werte für die Schleifkraftkomponenten während des ELID-Schleifens [Limh02]. Für den ELID-Prozess können auch andere metallische Bindungen genutzt werden. Bronzegebundene Schleifscheiben haben in experimentellen Versuchen ebenfalls gute Ergebnisse erzielt, vgl. [Bifa99]. Auch eine Kupfer-Kunstharz-Hybridbindung wurde bereits erfolgreich eingesetzt, vgl. [Qian01]. Im Verlauf des ELID-Schleifens können die Abrichtstromstärke und die Dicke der Oxidschicht in gewissen Grenzen variieren. Dadurch wird der Abrichteffekt verringert. Beim Optimum In-Process Electrolytic Dressing, einer Variante bzw. Weiterentwicklung des ELID-Verfahrens, wird durch eine computergestützte Regelung eine konstante Abrichtstromstärke und damit eine konstante Oxidschichtdicke über der Schleifzeit gewährleistet. Auch die sich ändernde Spaltweite zwischen Schleifscheibe und Gegenelektrode wird berücksichtigt. Durch die Einstellung einer gewissen Dicke der Schicht kann sichergestellt werden, dass alle verschlissenen Schleifkörner sehr schnell herausfallen können. Hierdurch können die Schleifkraftkomponenten weiter gesenkt und die Oberflächengüte gesteigert werden [Kimj99]. 4.7.2 Electrochemical In-Process Controlled Dressing (ECD)
Der prinzipielle Aufbau und Ablauf des Electrochemical In-Process Controlled Dressing (ECD) ähnelt dem des ELID-Verfahrens. Im Unterschied zum ELID-Verfahren benötigt das ECD-Verfahren allerdings keine Oxidschichtbildung. Der Prozess findet im transpassiven Bereich der zugehörigen Stromdichte-Elektrodenpotentialkurve statt. Die zugehörige Gleichstromquelle arbeitet galvanostatisch, d. h. die Stromstärke wird unabhängig von Veränderungen der elektrischen Eigenschaften im Elektrolysespalt konstant gehalten. Nach dem Faradayschen Gesetz ergibt sich eine über die Zeit konstante Auflösung des Bindungsmaterials. Unter Berücksichtigung des abgetragenen Werkstückvolumens kann der G-Wert (Verhältnis von abgetragenem Werkstückvolumen zu abgetragenem Werkzeugvolumen) von außen über die Stromstärke eingestellt werden. Durch die ständige Messung der Schleifkraftkomponenten während des Schleifprozesses wird der Schärfezustand der Schleifscheibe beim ECD-Prozess online überwacht und geregelt. Dazu wird der aktuelle k-Wert (Verhältnis von Normalkraft zu Tangentialkraft) ermittelt und mit vorgegebenen
4.7 EC-Abrichten feinkörniger Schleifwerkzeuge
183
Sollwerten verglichen. Über die Veränderung der Stromstärke kann so die Auflösungsgeschwindigkeit des Bindungsmaterials geregelt werden und entsprechend neue scharfe Schleifkörner schneller oder langsamer freigelegt werden [Kram99]. Durch den Arbeitspunkt des ECD-Verfahrens im transpassiven Bereich wird das Bindungsmaterial sehr stark und schnell ohne Oxidschichtbildung abgetragen. Hierdurch lassen sich sehr große Kornüberstände mit entsprechend positiven Eigenschaften für den Schleifprozess (guter Späne- und Kühlschmiermitteltransport, reduzierte thermische Belastung, hohe resultierende Abtragleistung, etc.) realisieren. Nachteilig ist der hohe Schleifscheibenverschleiß. 4.7.3 Electro Chemical Discharge Machining (ECDM)
Das Electro Chemical Discharge Machining (ECDM) stellt ein Hybridverfahren dar. Es kombiniert dabei in einem einzigen Prozessschritt ECM und EDM als Abrichtverfahren für Schleifscheiben. Das ECM-Verfahren wird dabei, wie bereits bei den anderen Verfahren beschrieben, hauptsächlich zum Schärfen der Schleifscheibe eingesetzt. Das EDM-Verfahren wird hauptsächlich zur Erzeugung sehr genauer Makrogeometrien der Schleifscheibe als Profilierungsverfahren eingesetzt. Gleichzeitig mit dem Schleifprozess eingesetzt kann das ECD-Verfahren als kontinuierliches Abrichtverfahren genutzt werden. Vom Aufbau her ähnelt es dem ELID-Verfahren. Zwischen einer Gegenelektrode und der Schleifscheibe, die über einen externen Strom- bzw. Spannungsgenerator polarisiert werden können, findet der ECD-Prozess statt. Für den EDM-Prozess muss dabei der Abstand regelbar sein. Der ECD-Prozess ist gepulst und gliedert sich dabei in zwei Intervalle innerhalb einer Periodendauer. Der EDM-Abtrag findet während der Entladedauer statt. Die Zündverzögerungszeit des EDM-Prozesses wird dabei für den ECM-Prozess genutzt. So wird die anodische Metallauflösung durch den thermischen Abtrag einer elektrischen Entladung unterstützt und erlaubt so das gleichzeitige Schärfen und Profilieren der Schleifscheibe in einem einzigen Schritt. Durch die Veränderung der Pulszeiten können ECM- und EDM-Anteile des Prozesses geregelt werden. Durch eine Verkürzung der Pulszeit unter die Zündverzögerungszeit oder die Vergrößerung des Arbeitsabstands kann der EDM-Prozess sogar ganz verhindert werden. Zu lange Impulszeiten oder zu hohe Stromdichten können das Bindungmaterial und den Abrasivstoff thermisch schädigen. Der eingesetzte Kühlschmierstoff dient gleichzeitig sowohl als Elektrolyt für den ECM-Prozess als auch als Dielektrikum für den EDM-Prozess. Die elektrische Leitfähigkeit liegt dabei im Bereich von 2 mS/cm, vgl. [Schö01].
184
4 Elektrochemisches Abtragen (ECM)
4.8 Elektrochemische Mikrobearbeitung Ein relativ junges Anwendungsgebiet des ECM-Verfahrens ist die Mikrobearbeitung von Bauteilen. Das EMM-Verfahren (Electro-Chemical Micro Machining) als Bearbeitungsverfahren der Mikrosystemtechnik weist aufgrund einiger Vorteile ein hohes Potential auf. Hierzu zählen die vergleichsweise hohe Abtragrate und eine hohe Präzision. Auch kann die Auswahl an Werkstoffen, die der Mikrosystemtechnik zugänglich sind, durch die elektrochemische Mikrobearbeitung erhöht werden. Weiterhin werden keine Eigenspannungen oder Risse in die Oberfläche induziert [Raju99, Uhlm01, Bhat03]. EMM kann für die Präzisionsbearbeitung mit Genauigkeiten im Bereich von r 1 µm bis 50 µm eingesetzt werden [Bhat04]. Wörtlich genommen bedeutet Mikrobearbeitung die Bearbeitung von Strukturen im Bereich zwischen 1 µm und 999 µm. Übertragen bedeutet es die Bearbeitung von Bauteilen, die mit konventionellen Techniken aufgrund ihrer kleinen Abmessungen nicht mehr bearbeitbar sind [Bhat03]. Im Gegensatz zum klassischen ECM-Verfahren wirken sich bei der elektrochemischen Mikrobearbeitung aufgrund der kleinen Strukturgrößen Formabweichungen und Kantenverrundungen verstärkt auf das Arbeitsergebnis aus [Koza04]. Der Einsatz klassischer Formelektroden wird hierdurch stark eingeschränkt. Es kommen vermehrt das Bahn-EC-Verfahren mit einfach geformten Elektroden oder Maskenverfahren zum Einsatz. Beim Maskenverfahren wird das Material nur an nicht durch eine Photoresistmaske abgedeckten Stellen abgetragen. Beim maskenlosen EMM muss die Auflösung des Materials sehr gut lokalisiert werden. Dies wird durch eine entsprechende geometrische Gestaltung der Elektrode, lokal sehr kleine Arbeitsspalte, partielle Isolierungen der Elektrode und sehr hohe Stromdichten, die ebenfalls in kleinen, stirnseitigen Arbeitsspalten resultieren, erreicht [Kock03]. Deshalb wird auch bei der elektrochemischen Mikrobearbeitung auf das gepulste ECM-Verfahren zurückgegriffen. Dadurch kann ein sehr kleiner Arbeitsspalt mit entsprechend hoher Abbildungsgenauigkeit eingestellt werden. Aufgrund der sehr kleinen zu bearbeitenden Flächen bei der elektrochemischen Mikrobearbeitung kommen in der Regel Stromgeneratoren mit geringerer Leistung gegenüber konventionellen ECM-Generatoren zum Einsatz. Sie müssen jedoch zusätzlich zur Anwendung der gepulsten ECBearbeitung geeignet sein. Die Spannung liegt gewöhnlich unter 10 V und die maximale Stromstärke unter 1 A. Maschinen zur elektrochemischen Mikrobearbeitung müssen die erforderlichen Genauigkeiten in den Bewegungsachsen realisieren können. Beim EMM-Prozess werden Vorschubraten im Bereich von 5 µm/min realisiert. Es werden im Allgemeinen keine
4.8 Elektrochemische Mikrobearbeitung
185
speziellen Elektrolyte gegenüber der konventionellen EC-Bearbeitung eingesetzt. Oft wird im Prozess auch nur frischer Elektrolyt eingesetzt, um geringste Veränderungen der Eigenschaften zu vermeiden, die sich im Arbeitsergebnis widerspiegeln würden. Die Strömungsgeschwindigkeit des Elektrolyten liegt bei nur wenigen m/s. Sie muss stark beschränkt werden, um Schwingungen und Vibrationen der gesamten Anlage zu vermeiden, die sich auf das Arbeitsergebnis auswirken würden [Bhat04]. Anwendungsbeispiele für die elektrochemische Mikrobearbeitung sind in Abb. 4.32 gezeigt. Im Bild oben links ist das Flow Field einer Brennstoffzelle dargestellt. Es wurde durch elektrochemisches Einsenken mit oszillierender Werkzeugelektrode in einen rostfreien Stahl (X5CrNi18-10) hergestellt. Das Bild oben rechts zeigt die elektrochemische Einsenkung einer Kugelkalotte (Durchmesser 2 mm). Mit herkömmlichen Fertigungsverfahren ist es sehr schwierig, eine derartige Struktur zu erzeugen. Im Bild links unten ist die Einsenkung eines Nadelwerkzeugs gezeigt. Während der Bearbeitung bildet sich ein konstanter Arbeitsspalt aus. Allerdings ist der Einlaufwinkel im oberen Bereich des Werkstücks vergleichsweise groß [Förs04].
100 µm
2 mm
Oben links: Strömungsfeld einer Brennstoffzelle Oben rechts: Kugelkalotte Unten links: Bohrung mit Nadelwerkzeug 500 µm
Abb. 4.32. Anwendungsbeispiele der EC-Mikrobearbeitung [Förs04]
5 Galvanotechnik
Alle Verfahren zur Oberflächenbehandlung von Metallen und Nichtmetallen, die zur Herstellung metallischer Überzüge aus Elektrolytlösungen und Salzschmelzen unter Ausnutzung eines Transports von Ionen und Elektronen dienen, werden unter dem Begriff Galvanotechnik zusammengefasst [GGG87]. Das zugrundeliegende physikalische Wirkprinzip ist die Elektrolyse. Der eigentliche Beschichtungsprozess wird als „Galvanisieren“, „galvanische Metallabscheidung“, „galvanisch Metallisieren“ oder „Elektroplattieren“ (Electroplating) bezeichnet. Eine einheitliche Begriffsdefinition hat sich bis jetzt nicht durchgesetzt. Beim Metallisieren wird beispielsweise empfohlen, den Begriff nur für das Aufbringen eines Metallüberzugs auf nichtmetallische Materialien zu verwenden [DINEN12508].
5.1 Grundlagen Die Galvanotechnik beruht auf der kathodischen Metallabscheidung aus einem wässrigen Elektrolyten. Sie stellt damit prinzipiell das Pendant zur anodischen Metallauflösung des ECM-Verfahrens dar. Es kommen jedoch andere Elektrolytlösungen zum Einsatz. In der Regel werden wässrige Lösungen von Salzen desjenigen Metalls verwendet, mit dem das als Kathode gepolte Werkstück beschichtet werden soll. ECM-Elektrolyte müssen hingegen so beschaffen sein, dass sich keine Metallionen an der Kathode abscheiden, sondern diese vorher schon auf ihrem Weg von der Anode zur Kathode als Hydroxidschlamm ausgefällt werden. Eine metallische Schicht kann nur dann aus einer wässrigen Elektrolytlösung auf einem Werkstück abgeschieden werden, wenn genügend Elektronen zur Verfügung stehen, um die vorhandenen Metallionen zu entladen. Je nach Herkunft dieser Elektronen unterscheidet man zwischen der chemischen (ohne äußere Spannungsquelle) und der elektrochemischen (mit äußerer Spannungsquelle) Metallabscheidung. Die Elektrolyte der außenstromlosen, chemischen Metallabscheidung enthalten außer den löslichen Metallsalzen noch geeignete Reduktionsmittel, deren
188
5 Galvanotechnik
Aufgabe darin besteht, die zur Entladung der Metallionen benötigten Elektronen zur Verfügung zu stellen. Ein Vorteil dieses Reduktionsverfahrens besteht darin, dass damit auch elektrisch nichtleitende Materialien, wie Kunststoffe, Glas und Keramik metallisiert werden können [Kana00]. Die wichtigsten chemischen Metallisierungsprozesse sind die chemische Vernickelung und die chemische Verkupferung [Müll03]. Die Grundlagen der elektrochemischen Metallabscheidung mit Hilfe einer äußeren Spannungsquelle sind in Abb. 5.1 dargestellt. Der negative Pol einer Gleichspannungsquelle wird an den zu beschichtenden, elektrisch (oberflächlich) leitenden Werkstoff gelegt, der positive Pol an eine ebenfalls metallische Anode. Als Elektrolyt wird in der Regel eine wässrige Lösung von Salzen des abzuscheidenden Metalls genutzt. Die Abscheidung erfolgt nach dem Faradayschen Gesetz, vgl. Kap.4. Im Allgemeinen besteht die Anode aus demselben Metall, welches auf der Kathode abgeschieden werden soll. Dadurch kann die Salzlösung ständig mit frischen Ionen des auf der Kathode abzuscheidenden Metalls versorgt werden. Die Abscheidungsgeschwindigkeit liegt in der Galvanotechnik in der Regel bei 0,2 bis 1 µm/min.
U e
+ Me1
Elektrolyt
Me2
Me1n+ + n e Me1n+ + n e
Anode
Me1
Kathode
Abb. 5.1. Schema der elektrochemischen Metallabscheidung im galvanischen Bad
Aus wässrigen Elektrolyten elektrochemisch abscheidbare Metalle sind in Abb. 5.2. dargestellt. Die Abscheidbarkeit hängt von der Stellung des
5.1 Grundlagen
189
einzelnen Elements innerhalb der elektrochemischen Spannungsreihe und der Tendenz, Überspannungen zu bilden ab. Zur Legierungsabscheidung müssen die Abscheidungspotentiale der abzuscheidenden Metalle durch Zugabe geeigneter Komplexbildner zum Elektrolyten hierzu angepasst werden [Kana00, Müll03]. Wichtige abscheidbare Legierungen sind neben Zink-Nickel-, -Kobalt- oder -Eisenschichten die Messing und Bronzeschichten [Müll03]. Mit der Galvanotechnik lassen sich reine Metall- oder Legierungsschichten von nahezu beliebiger Schichtdicke abscheiden. Die Eigenschaften solcher metallischer Schichten unterscheiden sich in der Regel von denen der metallurgisch hergestellten Metalle und Legierungen. Galvanotechnisch erzeugte Metallschichten sind beispielsweise durchweg härter als die auf metallurgischem Wege gewonnen Metalle. Die Gründe hierfür sind im mikroskopischen bzw. submikroskopischen Gefügeaufbau solcher Metallschichten zu suchen [Kana00]. Bei Verwendung von profilierten Kathoden (Geometrie eines Werkstücks) muss bei der kathodischen Metallabscheidung die Ausbildung des elektrischen Felds mit berücksichtigt werden. An Ecken und Kanten kommt es zu einer Verzerrung des elektrischen Felds (Spitzeneffekt). Die Feldliniendichte erhöht sich dort und damit kommt es zu einer verstärkten Materialabscheidung, vgl. Abb. 5.3. Diese ungleichmäßige Beschichtung kann durch konstruktive Maßnahmen (Verrundung) verringert werden. H Li Na K Rb Cs Fr
Be Mg Ca Sr Ba Ra
Aus wässrigen Elektrolyten elektrochemisch abscheidbare Elemente
B Al Sc Ti V Cr Mn Fe Co Ni Cu Zn Ga Y Fr Nb Mo Tc Ru Rh Pd Ag Cd In La Hf Ta W Re Os Ir Pt Au Hg Ti Ac
C Si Ge Sn Pb
N P As Sb Bi
Abb. 5.2. Elektrochemisch abscheidbare Elemente (nach [Kana00])
O S Se Te Pa
F Cl Br I At
He Ne Ar Kr Xe Rn
190
5 Galvanotechnik
elektrisches Feld E
galvanisch abgeschiedene Schicht
Abb. 5.3. Spitzeneffekt bei der galvanotechnischen Beschichtung
5.2 Technologie In der Galvanotechnik wird unterschieden zwischen: x Galvanostegie, bei der zum Verschleiß- und Korrosionsschutz, als Funktionsschicht (elektrische Leitfähigkeit, spezielle Härte, Reibungsund Haftungsbeeinflussung, etc.) oder zu dekorativen Zwecken beschichtet wird und der x Galvanoplastik (Galvanoformung), bei der dicke Metallschichten auf einer Negativ-Form niedergeschlagen und anschließend als selbständiger Gegenstand abgelöst werden [Schr02]. 5.2.1 Anlagentechnik Die Galvanisierung von Werkstücken erfolgt in speziellen Anlagen. Nach dem angewandten Verfahren, der Größe und der Geometrie der zu galvanisierenden Gegenstände unterscheidet man zwischen Gestell-, Massen- und Durchlaufgalvanisierung [Kana00]. Bei der Gestellgalvanisierung werden die Werkstücke auf Gestellen, d. h. in speziellen Einhängevorrichtungen befestigt und manuell oder automatisch in entsprechende Galvanikbäder abgesenkt [Kana00]. Es muss eine sehr gute Stromkontaktierung gewährleistet sein, da der zum Abscheideprozess notwendige Strom durch die Kontaktstelle zwischen Werkstück und Aufhängung fließen muss. Der Stromfluss ist aber durch den Leitungsquerschnitt auch begrenzt. Die lockere Aufhängung der Teile liefert zusätzliche Übergangswiderstände, was sich in den Stromkosten und Beschichtungszeiten niederschlägt [Müll03]. Schüttbare Massenartikel, wie Schrauben oder Muttern, die nicht ohne weiteres auf Gestelle aufgesteckt werden können, werden in einer
5.2 Technologie
191
Massengalvanisierung bearbeitet. Kleinteile, bei denen jedoch die Gefahr besteht, dass sie sich verbiegen, verkratzen oder ineinander verhaken, können so nicht beschichtet werden. Bei der Massengalvanisierung kommen Trommel- oder Glockenanlagen zum Einsatz. In der Trommelanlage dreht sich in einer Schrägstellung eine perforierte, runde oder vieleckige Trommel um ihre Rotationsachse. Diese Trommel wird nach Befüllung in das entsprechende Bad abgesenkt. Leicht abrollende und gegen intensives Umwälzen unempfindliche Kleinteile können so galvanisiert werden. Glockenapparate sind vieleckige, glockenförmige Behälter, die am Umfang und am Boden perforiert sind. In Senkrechtstellung drehen sie sich um ihre Rotationsachse. Die Behälter werden nach ihrer Bestückung zur Galvanisierung ebenfalls in die Elektrolytbäder eingetaucht. Die Glockengalvanisierung eignet sich besonders für kleinere Warenmengen. Außerdem lassen sich während des Prozesses sehr leicht Stichproben entnehmen. Bei Trommel- und Glockenanlagen erfolgt die Stromkontaktierung über Gleitlager [Kana00, Müll03]. Bänder, Drähte und Rohre werden in Durchlaufanlagen galvanisiert. Durch die einfache und kontinuierlich gleiche Geometrie kann die Ware mit hoher Durchlaufgeschwindigkeit an entsprechenden Anoden im Elektrolytbad vorbeigezogen werden. Die Expositionszeit hängt damit von der Länge des Galvanisierungsbehälters ab. Daher wird die Ware oft durch mehrere Bäder geführt oder durchläuft ein Bad mehrmals. Elektrolyte für das Durchlaufverfahren zeichnen sich durch einen hohen Metallgehalt und eine große Leitfähigkeit aus [Kana00]. 5.2.2 Sonderverfahren Die Tampongalvanik als Sonderfahren ist eine bewegliche Galvanikanlage, die man zum Werkstück bringt. Mit ihr können beispielsweise Reparaturen an Schichten ohne Ausbau der Werkstücke oder partielle Beschichtungen vorgenommen werden, ohne andere Teile des Werkstücks zu benetzen. Die Anlage besteht aus einer unlöslichen stabförmigen Anode, z. B. aus Graphit, die von einem Wattetampon umhüllt ist. Ein Hochleistungselektrolyt wird über eine Schlauchleitung dem Tampon zugeführt und durch Umpumpen ständig in Bewegung gehalten. Das Werkstück wird kathodisch kontaktiert und über einen Amperestundenzähler der angeschlossenen Gleichstromquelle wird die proportional wachsende Schichtdicke gemessen [Müll03]. In der Regel werden galvanische Abscheidungsverfahren mit konstantem Gleichstrom betrieben. Mit einem gepulsten Strom (Rechteck-
192
5 Galvanotechnik
signale, im Millisekundenbereich gepulst) lassen sich feinkristallinere und mit weniger Spannungen behaftete Beschichtungen erzeugen. Auch lassen sich sehr dünne, mikrorissfreie Schichten erzeugen. Dieses Verfahren wird Pulse-Plating genannt. Bis jetzt sind allerdings keine größeren technischen Anwendungen dieser Technologie bekannt. Schichtsysteme aus mehreren galvanisch nacheinander abgeschiedenen Elementen und Legierungen werden zur Einstellung mehrerer Oberflächenfunktionen und –eigenschaften oder zur Haftverbesserung eingesetzt. Korrosionsschutz für Aluminiumwerkstoffe wird durch die Ausbildung einer anodischen Oxidschicht auf der Oberfläche erreicht. Das Werkstück wird dazu als Anode in eine geeignete Elektrolytlösung eingebracht. An den Elektroden erfolgt eine elektrolytische Zersetzung des Wassers. Der an der Kathode entstehende Wasserstoff entweicht gasförmig. Der an der Anode entstehende Sauerstoff wird zur Bildung der künstlichen Oxidschicht, die die bereits bestehende natürliche Schicht verstärkt, genutzt [Schr02]. Die entstehende Eloxalschicht (elektrolytische Oxidation von Aluminium) mit einer Dicke von 5 µm bis 25 µm lässt sich sehr gut einfärben [Kana00]. Durch die Suspension von Feststoffpartikeln im galvanischen Bad werden diese mit in die abgeschiedene Schicht eingebaut. Das Metall erhält dabei die Funktion eines Matrixwerkstoffs, während die Eigenschaften der Schicht durch den Dispersanten bestimmt werden. Die Bäder werden ständig umgewälzt, um das Absetzen der Feststoffpartikel am Boden des Bades zu verhindern und die Teilchen in der Schwebe zu halten. Als Dispersant werden beispielsweise Hartstoffe, die als Schneidkanten in Werkzeugen fungieren, oder leicht schmierende Stoffe wie Graphit, die dann in selbstschmierenden Trockenlaufschutzschichten eingesetzt werden, verwendet [Kana00, Müll03].
5.3 Arbeitssicherheit und Umweltschutz Im Bereich Arbeitssicherheit und Umweltschutz ergeben sich ähnliche Hinweise und Vorschriften wie für das ECM-Verfahren. Die in den verwendeten Bädern anfallenden Metall-, Salz- und Säurerückstände müssen umweltfreundlich aufbereitet werden. Oft können aus den Rückständen direkt Wertstoffe wieder zurückgewonnen werden. Ansonsten gelten die folgenden Grundprinzipien zur Entsorgung [Müll03]: x Umsetzung der Giftstoffe in ungiftige chemische Verbindungen, x Umsetzung aller organischen Produkte in CO2, Wasser und N2 , x Überführung aller Schwermetallverbindungen in eine unlösliche Form,
5.4 Anwendungsbeispiele
193
x Neutralisation aller Lösungen und x Vermeidung zusätzlicher Salzfracht aus der Abwasserbehandlung.
5.4 Anwendungsbeispiele Im Folgenden wird die Anwendung der Galvanotechnik zur Werkzeugherstellung an einigen Beispielen gezeigt. 5.4.1 Galvanisch beschichtete EDM-Drähte Die galvanische Beschichtung von EDM-Drähten, wie sie bereits in Kap.2 vorgestellt wurden, erfolgt im Durchlaufverfahren, vgl. Abb. 5.4. Um eine gute Haftung der Beschichtung gewährleisten zu können, müssen einige Vorbehandlungsschritte durchgeführt werden. Eine gesamte Prozesskette zur Veredlung der Drähte sieht folgendermaßen aus: 1. Entfetten (alkalisch) 2. Spülen (kalt) 3. Dekapieren (sauer) 4. Spülen (kalt) 5. Veredeln 6. Spülen (heiß) 7. Trocknen. Die Entfettung ist ein vorgeschalteter Reinigungsprozess zur Entfernung von Fetten, Ölen, Emulsionsresten und Grobverschmutzungen. Dabei wird ein alkalisches Medium eingesetzt. Dies führt zu einer chemisch reinen Oberfläche. Veredelung
Heißspüle
Dekapage
Kaltspüle II
Kaltspüle I
Entfettung
Spuler
Ablauf
Abb. 5.4. Durchlaufanlage zur Veredlung von EDM-Drähten (nach Berkenhoff)
194
5 Galvanotechnik
Danach erfolgt die erste Kaltspülung. Beim Dekapieren wird der bei der Entfettung gebildete alkalische Film neutralisiert und Oxidreste an der Oberfläche abgetragen. Hierzu wird ein saures Medium eingesetzt. Dadurch wird die Oberfläche aktiviert, um bei der Veredelung eine gute Haftung der Beschichtung zu erzielen. Eine zweite Kaltspülung wird dem nun folgenden Veredelungsprozess vorgeschaltet. Bei der Veredelung wird die gewünschte galvanische Schicht aufgebracht. Hierzu wird der Draht durch entsprechende Kontaktwalzen kathodisch geschaltet. Der abzuscheidende Werkstoff wird als „Anodenplatte“ parallel zur Drahtablaufrichtung in das Galvanikbad gehängt. Um bei hoher Drahtgeschwindigkeit (1 - 10 m/s) trotzdem eine gewisse Schichtdicke gewährleisten zu können, wird der Draht mehrere Male durch das Bad geleitet. Aktive Beschichtungsbadlängen können im Bereich mehrerer hundert Meter Länge liegen. 5.4.2 Galvanisch gebundene Schleifscheiben In galvanisch gebundenen Schleifscheiben wird der Hartstoff durch die Einbettung in eine galvanisch abgeschiedene Metallmatrix gehalten, vgl. Abb. 5.5. Galvanisch gebundene Schleifscheiben werden allgemein in zwei Prozessschritten gefertigt. In einem ersten Schritt muss der Hartstoff zunächst auf die Oberfläche aufgebracht und fixiert werden. Dies erfolgt in sogenannten „Diamantierbädern“. Die Aufbringung erfolgt als Dispersionsschicht oder im Streu- und Setzverfahren. In den Dispersionsbädern wird durch ständige Umwälzung der beigemengte Hartstoff in der Schwebe gehalten und dadurch mit abgeschieden [Müll03]. Beim Streuverfahren werden die Körner während der Galvanisierung von oben auf die Oberfläche des sich im Elektrolyten befindlichen Grundkörpers gestreut. Beim Setzverfahren wird der Grundkörper in ein für den Elektrolyten durchlässiges „Siebkörbchen“ gesetzt. Dann wird der Freiraum zwischen Körbchen und Grundkörper mit Hartstoff aufgefüllt. Es wird so lange elektrolytisch abgeschieden, bis die Schichthöhe ca. 10 % der durchschnittlichen Korngröße erreicht hat. In diesem Zustand ist der Hartstoff gerade „angewachsen“. Überschüssiges Material kann nach Abnahme des Körbchens entfernt werden. In einem weiteren Galvanikbad kann nun bis zur endgültigen Schichtdicke beschichtet werden. Als galvanisch abzuscheidendes Matrixmetall werden meist Nickel, KobaltNickel oder Mangan-Nickel eingesetzt. Abrichtrollen zur Schleifscheibenkonditionierung werden zum Teil von Hand gesetzt. Die Körner werden durch Kleben fixiert und anschließend galvanisch eingebunden.
5.4 Anwendungsbeispiele
195
"Annickeln" im Diamantierbad Grundkörper
Komplettbeschichtung Schichtdicke (X) Einnickeltiefe (in %)
Abb. 5.5. Herstellung galvanisch gebundener Diamantschleifscheiben [Sain02]
Die aufgebrachten Schleifkörner werden normalerweise bis zur Hälfte ihres nominellen, durch die Siebung bestimmten Durchmessers (Mesh oder FEPA) in die Matrix eingebunden [Reis04]. Gängige Hartstoffgrößen im Bereich der galvanisch gebundenen Schleifscheiben liegen im Bereich von etwa 50 µm bis 500 µm Korndurchmesser [Sain02]. Bei der Herstellung von galvanisch gebundenen Schleifscheiben treten einige Besonderheiten auf, die im Folgenden kurz erläutert werden. Die Schleifkörner, Diamant oder kubisches Bornitrid, sind einschichtig auf einem metallischen Grundkörper in einer galvanisch abgeschiedenen Bindung eingebunden. Der Kornüberstand beträgt im Allgemeinen 50 % bis 70 % des mittleren Korndurchmessers. Geringe Kornüberstände werden gewählt, wenn kurzspanende, stark abrasiv wirkende Werkstoffe bearbeitet werden. Dies ist beim Zerspanen von Keramik, Hartmetall und auch Naturstein der Fall. Bei der Bearbeitung von Stahlwerkstoffen beträgt der Kornüberstand im Mittel 50 %. Der relativ große Spanraum ist gut geeignet, die langen Späne aufzunehmen und abzuführen. Wenn die Standard-Nickelbindungen keine ausreichende Verschleißfestigkeit gegenüber Abrasion besitzen, müssen die Elektrolyten so modifiziert werden, dass härtere Nickelschichten abgeschieden werden. Galvanisch einschichtig belegte Schleifscheiben verschleißen sowohl an den Schneiden als auch am Bindungsmaterial. Die Festigkeit galvanisch belegter Schleifwerkzeuge wird durch den Grundkörper bestimmt. Als Grundkörperwerkstoffe werden üblicherweise niedrig legierte Kohlenstoffstähle verwendet. Bei hohen Umfangsgeschwindigkeiten sind höhere Streckgrenzen zur Aufnahme der Fliehkraftspannungen erforderlich. In diesen Fällen werden Vergütungsstähle oder auch gehärtete und angelassene Kugellagerstähle eingesetzt. Bei der Verwendung von gehärteten Werkstoffen ist das Nacharbeiten des Grundkörpers aufwendiger. Grundkörper mit martensitischem Gefüge haben aber den Vorteil, dass bei häufiger Montage und Demontage die Genauigkeit im
196
5 Galvanotechnik
Spannbereich erhalten bleibt. Für galvanische Schleifscheiben mit großen Durchmessern und großen Breiten werden auch hochfeste Aluminiumlegierungen verwendet. Dies geschieht im Wesentlichen aus Gewichtsgründen. Mit Bezug auf das Erreichen von Festigkeitsgrenzen und maximal zulässigen Dehnungen ergeben sich zwischen Stahl und Aluminium nur geringfügige Unterschiede, weil das Verhältnis von E-Modul zur Dichte bei diesen Werkstoffen fast gleich groß ist. Die Entscheidung für Aluminium fällt deshalb im Allgemeinen aufgrund der Gewichtsersparnis. Die höchsten serienmäßig angewendeten Arbeitsgeschwindigkeiten betragen 280 m/s. In Laborversuchen, die am Fraunhofer IPT in Aachen durchgeführt wurden, wurden Umfangsgeschwindigkeiten von 500 m/s erreicht. In diesem Fall waren die Grundkörper aus einer hochfesten Aluminiumlegierung. Die Schleifscheiben besaßen darüber hinaus keine Mittenbohrung. Neben Festigkeitsgründen ist bei der Wahl des Grundkörperwerkstoffs auch die Wechselwirkung mit dem Elektrolyseprozess zu beachten. Grundsätzlich muss bei der galvanischen Abscheidung berücksichtigt werden, dass an der Kathode atomarer Wasserstoff entsteht, der in das metallische Gefüge diffundieren kann. Stahlwerkstoffe mit Neigung zur Wasserstoffversprödung, z. B. Kugellagerstahl, können hierdurch geschädigt werden. Durch geeignete Vorbehandlung der Grundkörper kann die Diffusion während der Elektrolyse unterbunden und die Wasserstoffversprödung vermieden werden. Eine gute Benetzung der metallischen Oberfläche durch den Elektrolyten ist wichtig für eine gute Belaghaftung. Deshalb werden durch Vorbehandlungsverfahren die Oberflächen entfettet, und außerdem müssen Oxidschichten entfernt werden. Um die Benetzung zu unterstützen, werden den Elektrolyten Netzmittel zugesetzt. Das galvanische Belegen von Aluminium erfordert besondere Vorbehandlungsmaßnahmen, um die Oxidschichten zu entfernen, die Oberfläche zu aktivieren und so die Voraussetzungen für eine gute Schichthaftung zu erzeugen. Belagablösungen im Schleifprozess führen im Allgemeinen sofort zum Ausfall des Schleifwerkzeugs. Galvanisch gebundene Schleifwerkzeuge können mehrfach wiederbeschichtet werden. Dazu wird der verbliebene Schleifbelag chemisch abgelöst. Im Einzelfall ist zu entscheiden, ob der Grundkörper mechanisch nachgearbeitet werden muss oder nicht. Häufig werden galvanisch einschichtig belegte Schleifscheiben zum Herstellen von Profilen verwendet. Die Profilgenauigkeit von galvanisch einschichtig belegten Schleifscheiben hängt von der Korngrößenverteilung ab. Grundsätzlich bestimmen die Kornspitzen zusammen mit der Rundlaufgenauigkeit des Grundkörpers das geometrische Hüllprofil der Schleifscheibe. Zu Beginn des Schleifens werden weit aus der Bindung herausragende Schleifkörner
5.4 Anwendungsbeispiele
197
aus dem Bindungsverband heraus gebrochen, soweit sie nicht zu fest eingebunden sind. Es stellt sich nach einem kurzen Einschleifen ein quasi konstantes Profil ein. Für hochgenaue galvanisch belegte Schleifscheiben werden die Werkzeuge nach der galvanischen Beschichtung an den Kornspitzen bearbeitet. Das Hüllprofil wird getrimmt. Dieses Verfahren ist unter dem Verfahrensbegriff „Touch-Dressing“ bekannt und wird im Kapitel Schleifen, Einsatzvorbereitung in Band 2 behandelt. Das Grundkörperprofil wird aus dem Sollprofil des Werkstücks abgeleitet, wobei Belegungskorrekturen und die Korngrößenverteilung berücksichtigt werden. Die kleinsten herstellbaren konkaven Profile werden durch die gewählte Korngröße bestimmt. Auch bei konvexen Profilen müssen Grundkörpergeometrie und die maximale Korngröße aufeinander abgestimmt sein. Das Belegen scharfer Ecken und Kanten führt grundsätzlich zu Belaghaftungsproblemen. Zur Berechnung der abgeschiedenen Schichtdicken in Abhängigkeit von den eingestellten Stromdichten können grundsätzlich die Faradayschen Gesetze angewandt werden. Der nicht zu beschichtende Bereich des metallischen Grundkörpers wird entweder mit nichtleitenden, durchschlagfesten Lacken oder durch Vorrichtungen abgedeckt. Bei der Berechnung der Schichtdicke in Abhängigkeit von der Stromdichte muss berücksichtigt werden, dass die effektiv zur Verfügung stehende Belegungsfläche kleiner als die theoretische Profil-Belegungsfläche ist. Der wesentliche Grund hierfür ist die Abdeckung der zu belegenden Profilfläche durch das anliegende Kornpaket. Außerdem ist die Stromausbeute, dies ist der Quotient aus der tatsächlich abgeschiedenen Metallmenge und der theoretischen Metallmenge, immer kleiner als eins. Verantwortlich hierfür sind an der Kathode ablaufende Nebenreaktionen, durch die Wasserstoff und Metallhydroxyde gebildet werden. Nach Erreichen einer Grenzstromdichte ist auch durch Erhöhen der Badspannung die Abscheidegeschwindigkeit nicht mehr zu steigern. Die Zusammensetzung des Elektrolyten in der Grenzfläche zur Kathode bestimmt wesentlich die Schichteigenschaften. Nach dem Abscheiden des Metalls muss die Metallionenkonzentration kontinuierlich durch Nachführen von frischem Elektrolyt ausgeglichen werden. Dies kann durch Badbewegung unterstützt werden. In der Anwachsphase können Badbewegungen allerdings problematisch sein, wenn dadurch auch das Kornpaket relativ zum Grundkörper bewegt wird. Nach dem Anwachsen, wenn die endgültige Schichtdicke hergestellt wird, kann mit höheren Stromdichten und zusätzlicher Badbewegung gearbeitet werden. Die effektiv am Grundkörper angebundenen Körner sind örtlich statistisch regellos verteilt und weisen eine vom Belegungsverfahren abhängige Korndichte auf. Größere effektive Kornabstände können durch
198
5 Galvanotechnik
das Zumischen von elektrisch nichtleitenden Füllstoffen, z. B. Glasperlen, erreicht werden. Diese wirken als Abstandhalter. Sie können vor dem Einsatz chemisch aus dem Belag herausgelöst werden, oder sie zeigen keine Schleifwirkung und werden durch den Schleifprozess relativ schnell entfernt. Der für die Genauigkeit galvanisch einschichtiger Schleifscheiben wichtigste Fertigungsschritt ist das Anwachsen der ersten Kornschicht. Hier kommt es im Wesentlichen darauf an, dass nur die direkt am Grundkörper anliegenden Körner anwachsen und möglichst wenige Körner in der zweiten Schicht eingebunden werden. Dies erreicht man durch geringe Anwachsschichtdicken (5 - 10 % des mittleren Korndurchmessers) und gleichmäßige Stromdichten über dem zu beschichtenden Profil. Das Erzeugen gleichmäßiger örtlicher Stromdichten ist das größte fertigungstechnische Problem, weil im Allgemeinen der Abstand zwischen Kathode und Anode nicht konstant ist. Das Kathodenprofil ist durch das Werkstückprofil vorgegeben, und die Anode wird aus Kostengründen häufig als zylindrische oder flache Stabanode bzw. Ringanode ausgeführt. Damit sind die vorkommenden elektrischen Feldstärken und folglich auch der elektrische Widerstand nicht konstant. Bei den kleinsten Abständen zwischen Kathode und Anode treten höhere Feldstärken auf, so dass sich hier eine dickere Nickelschicht abscheidet. Um diesen Effekt zu verringern, können, wenn möglich und wirtschaftlich vertretbar, konturangepasste Anoden verwendet werden. Kleinere Ströme, damit aber längere Galvanisierzeiten, erhöhen ebenfalls die Streufähigkeit und verringern Kanteneffekte. Außerdem kann durch Modifizieren des Elektrolyten die Streufähigkeit in Grenzen erhöht werden. Neben der Härte des abgeschiedenen Nickelbelags ist auch der Eigenspannungszustand eine wichtige Qualitätskenngröße. Um Rissbildung im Belag zu vermeiden, sind die Zusammensetzung des Elektrolyten und die Abscheidebedingungen so aufeinander abgestimmt, dass der Belag spannungsarm abgeschieden wird. Bei der Abbildung von Negativprofilen, z. B. bei der Herstellung von Abrichtrollen, werden häufig gezielt Druckspannungen im Belag eingestellt, um die Abbildegenauigkeit zu erhöhen. Bei Positivbelegungen (Schleifscheiben) sind leichte Zugspannungen im Belag vorteilhaft, weil hierdurch die Belaghaftung erhöht wird. Rissbildungen dürfen aber nicht auftreten. 5.4.3 Werkzeugherstellung mit dem LIGA-Verfahren Das LIGA-Verfahren, welches seinen Namen aufgrund der drei wesentlichen Fertigungsschritte LIthographie, Galvanoformung und
5.4 Anwendungsbeispiele
199
Abformung trägt, bietet eine äußerst kostengünstige Alternative zur Herstellung extrem präziser Mikroteile aus Metallen und Kunststoffen in etwa gleichen Dickenabmessungen. Die Prozessschritte sind in Abb. 5.6 dargestellt. Zunächst wird eine strahlenphysikalisch leicht veränderbare Resiststruktur durch hochintensive parallele Röntgenstrahlung bestrahlt. Der durch die Strahlung veränderte Resistwerkstoff kann nun mit einem geeigneten Lösungsmittel entfernt werden. Die Struktur der unbestrahlten Bereiche verbleibt als Primärstruktur. Die somit entstandenen Freiräume lassen sich nun galvanotechnisch mit Metallen, wie zum Beispiel Nickel, füllen. Nach Entfernen des Resists erhält man metallische Mikrostrukturen, die für die Kunststoffabformtechnik als Abformwerkzeuge verwendet werden können. Somit können Replikate der Primärstruktur auf kostengünstige Art und Weise in großen Mengen hergestellt werden. Neben der kostengünstigen Massenfertigung, zeichnet sich das LIGAVerfahren durch weitere Vorteile, wie Gestaltungsvielfalt, große Materialpalette, Strukturhöhen über 1 mm und hohe Präzision bis in den sub-µm Bereich, aus [Beit97, Fzkd04]. Bestrahlung
Maske Resist
Formeinsatz
Formherstellung
Grundplatte Entwicklung
Angussplatte
Abformung
Resiststruktur
Formmasse Galvanoformung
Metallstruktur Entformung
Kunststoffstruktur
Abb. 5.6. Das LIGA-Verfahren (nach [Beit97])
6 Lasermaterialbearbeitung
Bereits im Jahre 1960 prägte der amerikanische Physiker Theodore Maiman den Begriff Laser, indem er erstmalig den Lasereffekt experimentell nachwies und auf diese Weise den ersten funktionsfähigen Laser herstellte. Das nunmehr in den alltäglichen Sprachgebrauch eingegangene Wort Laser setzt sich aus den Anfangsbuchstaben der englischsprachigen Beschreibung einer besonderen Form der Lichterzeugung zusammen: Light Amplification by Stimulated Emission of Radiation (Lichtverstärkung durch stimulierte Strahlungsemission). Aufgrund der einzigartigen Eigenschaften des Laserlichts fand der Laser zunächst Verwendung in der Nachrichten- und Messtechnik. Das Potential des Lasers, Strahlungsenergie von hoher Leistung und Intensität zu erzeugen, wurde schnell erkannt, so dass nachfolgend auch Laser mit hohen Ausgangsleistungen für die Werkstoffbearbeitung entwickelt wurden. In der Materialbearbeitung werden Laser überwiegend zum Erhitzen, Schmelzen und Verdampfen von Werkstoffen eingesetzt. Sowohl die Vielfalt als auch die Anzahl gegenwärtiger Anwendungen und Prozesstechnologien mit Lasern ist daher groß. Der Fachbegriff Lasermaterialbearbeitung1 ist ein Sammelbegriff für alle Prozesstechnologien, die Laserstrahlung zur Bearbeitung von Werkstoffen einsetzen. Die Bedeutung des Lasers für die Materialbearbeitung hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen, welches auf eine überdurchschnittlich erfolgreiche Weiterentwicklung der Laserstrahlquellen und -technologien zurückzuführen ist. Nicht ohne Grund hat der Laser als Werkzeug in der Fertigungstechnik einen festen Platz eingenommen.
1
In verschiedenen Veröffentlichungen werden häufig die Abkürzungen LBM bzw. LMB verwendet. Obgleich beide Abkürzungen für denselben Fachbegriff stehen ist LBM die Abkürzung für Laser Beam Machining (engl.) und LMB die Abkürzung für Lasermaterialbearbeitung.
202
6 Lasermaterialbearbeitung
6.1 Grundlagen der Bearbeitung mit Lasern 6.1.1 Erzeugung und Charakterisierung von Laserstrahlung Erzeugung von Laserstrahlung Alle Wellenlängen der elektromagnetischen Strahlung werden im elektromagnetischen Spektrum zusammengefasst. Den sichtbaren Bereich des elektromagnetischen Spektrums mit Wellenlängen von etwa 400 – 750 nm bezeichnet man im Allgemeinen als Licht. Elektromagnetische Strahlung besitzt nicht nur Wellen-, sondern auch Teilchencharakter. Dieses Verhalten ist in der Fachwelt als Welle-Teilchen-Dualismus bekannt. Lichtteilchen werden als Photonen oder (Licht-)Quanten bezeichnet. Laserlicht zeichnet sich gegenüber weißem Licht durch einige Besonderheiten aus. Sie sind für die Wirkungsweise und für das Verständnis der Laserstrahlung von grundsätzlicher Bedeutung. Im Folgenden wird daher auf einige dieser Eigenschaften näher eingegangen. Eine charakteristische Kenngröße des Laserlichts ist die Wellenlänge O bzw. Frequenz2 f der Strahlung, da Laserstrahlung monochrom (einfarbig) ist. Die Wellenlänge des Laserlichts wird durch das laseraktive Medium bestimmt und ist ein Maß für die mit der Welle transportierte Energie. Kurzwellige Strahlung hat einen höheren Energieinhalt als langwellige Strahlung, welches aus Gl. 6-1 hervorgeht. Sie gibt die Energie eines Photons in Abhängigkeit der Strahlungsfrequenz an. Licht ist hierbei als ein Strom von Photonen zu verstehen. E Photon
h f
h
c Ȝ
(6-1)
Anmerkung: In Gl. 6-1 sind E die Energie eines Photons, h das Planck’sche Wirkungsquantum mit h = 6,63·10-34 J·s, f die Frequenz, c die Lichtgeschwindigkeit (im Vakuum ist c § 3·108 m/s) und O die Wellenlänge.
Eine weitere wichtige Eigenschaft ist der hohe Kohärenzgrad des Laserlichts. Im Idealfall sind die Wellenzüge unendlich lang und schwingen mit der gleichen Frequenz in Phase, so dass zeitliche und räumliche Kohärenz vorliegt. Anders ausgedrückt bedeutet dies: Die Wellenzüge weisen zeitlich (zur gleichen Zeit, aber in verschiedener Entfernung von der Lichtquelle) und räumlich (in gleicher Entfernung von der Lichtquelle, aber zu beliebiger Zeit) feste Phasenbeziehungen auf. Obgleich reales Laserlicht 2
Die Ausbreitungsgeschwindigkeit elektromagnetischer Strahlung ist die Lichtgeschwindigkeit c. Es gilt: c = Ȝ·f .
6.1 Grundlagen der Bearbeitung mit Lasern
203
die Voraussetzungen der Kohärenz nur zum Teil erfüllt (teilkohärente Strahlung), emittieren Laser, im Vergleich zu anderen thermischen Lichtquellen, Strahlung mit einem außergewöhnlich hohen Ordnungszustand. Eine weitere Besonderheit der Laserstrahlung ist die minimale Divergenz (Aufweitung) des Strahls. Diese ist ein Maß für die Abweichung von einer parallelen Strahlausbreitung. Der hohe Kohärenzgrad der Strahlung trägt entscheidend dazu bei, dass Laserstrahlen eine Divergenz nahe dem theoretischen Limit aufweisen. Vollständig kohärente Strahlung wird nur noch durch Beugung begrenzt. Man spricht dann von beugungsbegrenzter Strahlaufweitung. Die minimale Divergenz erlaubt den Laserstrahl mit Hilfe optischer Elemente stark zu fokussieren, so dass höchste Intensitäten erzielt werden. Da Divergenz und Intensität bei gleicher Leistung vom Strahlquerschnitt bzw. -durchmesser abhängen, empfiehlt sich hier die Verwendung der Strahldichte (Gl. 6-2). Die Strahldichte S gibt die Strahlleistung pro Fläche und Raumwinkel an und ist für eine Strahlquelle bei gegebener Leistung charakteristisch (konstant). Laserlicht zeichnet sich durch eine hohe Strahldichte aus.
S
P A:
(6-2)
Anmerkung: In Gl. 6-2 sind S die Strahldichte, P die Leistung, A der Strahlquerschnitt und ȍ der vom Strahl eingeschlossene Raumwinkel.
Es wurde bereits angedeutet, dass die beschriebenen Charakteristika des Laserlichts (vgl. Abb. 6.1) für reale Strahlquellen nicht voll zutreffen. Untersucht man die Strahleigenschaften realer Laserlichtquellen, so wird man grundsätzlich mehr oder weniger große Abweichungen (z. B. hinsichtlich der Monochromie oder Kohärenz) feststellen. Die Größenordnung der Abweichung hängt besonders von der Ausgangsleistung und damit dem Einsatzfeld des jeweiligen Lasers ab. Dennoch sind die Abweichungen im Vergleich zu den Strahlungseigenschaften gewöhnlicher thermischer Lichtquellen klein, so dass häufig vereinfachend von der Existenz einer monochromen oder kohärenten Laserstrahlung ausgegangen wird.
204
6 Lasermaterialbearbeitung
LASER bis 1000 km Eigenschaften des Laserlichts: • monochrom, Licht einer Wellenlänge bzw. Frequenz • hoher Kohärenzgrad, lange Wellenzüge • minimale Divergenz, geradlinige Ausbreitung mit geringer Aufweitung, gute Fokussierbarkeit und hohe Intensität bzw. Strahldichte
Eigenschaften des weißen Lichts: • polychrom, Licht unterschiedlicher Wellenlängen bzw. Frequenzen • geringer Kohärenzgrad, kurze Wellenzüge • hohe Divergenz, breite Streuung und Aufweitung, schlechte Fokussierbarkeit und geringe Intensität bzw. Strahldichte
µm-Bereich
Abb. 6.1. Laserlicht und weißes Licht im Vergleich
Ein Laser besteht im Wesentlichen aus den drei Komponenten: laseraktives Medium, Pumpquelle und Resonator. Lasermedien können Festkörper, Flüssigkeiten, Gase, Halbleiter oder Plasmen sein. Eine wichtige Voraussetzung zur Erzeugung von Laserstrahlung ist die Fähigkeit zur induzierten Strahlungsemission oder allgemein ausgedrückt die Verstärkung elektromagnetischer Strahlung. Deshalb wird im Folgenden auf die stimulierte Emission (oder auch induzierte Emission) näher eingegangen. Licht entsteht durch Elektronenübergänge. Durch Absorption von Energie kann ein Elektron eines Atoms oder Moleküls in einen „angeregten“ Zustand wechseln. Dabei kann die Energie dem Elektron durch elektromagnetische Strahlung, ein elektrisches Feld oder durch Zusammenstoß mit anderen Teilchen zugeführt werden. Die Anregungszustände, die ein Elektron einnehmen kann, sind diskret verteilt, so dass nur bestimmte atom- oder molekülspezifische Zustände eingenommen werden können. Im angeregten Zustand verweilt das Elektron im Allgemeinen nur sehr kurze Zeit und springt spontan in den Grundzustand zurück, da angeregte
6.1 Grundlagen der Bearbeitung mit Lasern
205
Zustände äußerst instabil sind. Die Verweilzeit beträgt nur etwa 10-9 s. Dabei wird die absorbierte Energie in Form von Wärme oder Strahlung abgegeben. Wird die Energie in Form von Strahlung freigesetzt, spricht man von einem optischen Übergang. Der für den Laser charakteristische Übergangsprozess erfolgt nun nicht spontan sondern wird durch äußere Einwirkung ausgelöst. Dementsprechend wird der Übergangsprozess als stimulierte oder induzierte Emission bezeichnet. Stimulierte Emission tritt genau dann ein, wenn auf ein angeregtes System ein Photon trifft, dessen Energie gleich der Übergangsenergie des Elektrons ist. Oder anders ausgedrückt, das angeregte System trifft auf einen Wellenzug mit der für das System charakteristischen Wellenlänge. Der optische Übergang wird dann, noch bevor der Grundzustand durch spontane Emission erreicht wird, umgehend durch Emission eines Lichtquants freigesetzt. Wellenlänge, Phasenlage und auch die Richtung des emittierten Wellenzugs sind mit der vorangehenden (stimulierenden) Welle identisch. Der stimulierende Wellenzug wird (kohärent) verstärkt (Abb. 6.2). II
I
f 21
h ·f
E0
h·f21
2·h·f21
IV
E1
E2
3·h·f21
Oberes Energieniveau (instabil)
E1
Mittleres Energieniveau (instabil)
E0
Grundniveau (stabil)
h·f21
20
h·
III E2
ǻEyx Energiedifferenz mit ǻEyx = Ey - Ex = h·fyx Energetischer Zustand des Elektrons vor dem optischen Übergang Energetischer Zustand des Elektrons nach dem optischen Übergang Vorzugsrichtung (frei definiert)
Bildbereich I:
Anregung durch Absorption von (Stoß-, Strahlungs-, elektrischer) Energie
Bildbereich II:
Spontane Emission
Bildbereich III:
Spontane Emission; Zufällig in Vorzugsrichtung emittiert
Bildbereich IV: Induzierte/Stimulierte Emission von Lichtquanten, Verstärkung des stimulierenden Wellenzugs
Abb. 6.2. Spontane und induzierte Emission von Lichtquanten
206
6 Lasermaterialbearbeitung
Laserquellen sind daher allgemein ausgedrückt technische Systeme, die elektromagnetische Strahlung durch stimulierte Emission verstärken. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass spontaner Zerfall, spontane Emission, Absorption und induzierte Emission miteinander konkurrieren. Damit eine Verstärkung der Strahlung stattfinden kann, muss daher eine weitere Voraussetzung erfüllt werden: Die Anzahl der angeregten Atome muss größer als die Anzahl der Atome im Grundzustand sein. Dieser Zustand wird Besetzungsinversion genannt. Nur Medien mit metastabilen Energieniveaus ermöglichen eine derartige Inversion, so dass ihnen als integraler Bestandteil des Lasers eine besondere Bedeutung zukommt. Das laseraktive Medium ist daher der Kern eines Lasers und verleiht den verschiedenen Laserquellen zumeist ihren Namen. Laseraktive Medien gibt es in den Aggregatzuständen gasförmig, flüssig und fest. Bei den Festkörperlasern ist das aktive Material (z. B. Nd Ł Neodym) zumeist in einen transparenten Wirtskristall eingebettet (z. B. YAG Ł Yttrium Aluminium Granat). Laseraktive Medien zeichnen sich durch die Existenz eines metastabilen Energieniveaus aus. Angeregte Elektronen können in metastabilen Niveaus relativ lange (bis zu einer Sekunde) verweilen, bevor sie wieder in den Grundzustand übergehen. Die Energiedifferenz der beiden am optischen Übergang beteiligten Energieniveaus wird allein durch das aktive Medium bestimmt. Folglich ist die emittierte Wellenlänge für jedes Medium charakteristisch. Ein metastabiles Niveau kann nur indirekt über höhere Energieniveaus erreicht werden. Hieraus folgt, dass typische laseraktive Medien mindestens drei Energieniveaus besitzen. Neben den Dreiniveausystemen (Abb. 6.3) findet man noch häufiger Vierniveausysteme. Bei einem Dreiniveaulaser ist das Laserausgangsniveau gleich dem Grundniveau, bei einem Vierniveaulaser liegt es etwas oberhalb des stabilen Grundniveaus. Vierniveausysteme benötigen im Allgemeinen eine geringere Energie, um die Elektronen in den angeregten Zustand zu überführen. Diskrete Energieniveaus existieren in der bisher angenommenen Form nicht und sind genauer als Energiebänder (vgl. Abb. 6.3) zu verstehen. Die energieniveauspezifische Bandbreite hängt dabei von der mittleren Aufenthaltsdauer des angeregten Elektrons auf dem jeweiligen Niveau ab. Die Emission der Photonen durch Übergänge von minimal unterschiedlichen Energieniveaus führt dann zu einer messbaren Unschärfe der emittierten Strahlungsfrequenz. Diese Unschärfe wird natürliche Linienbreite genannt. Die beobachtbaren Linienbreiten realer Laser sind jedoch wesentlich größer, da in komprimierten oder schnell bewegten Gasen und in Festkörpern auch andere Prozesse (elastische Stöße, Gitterschwingungen Doppler-Effekt etc.) eine zusätzliche Verbreiterung der Frequenzlinie zur Folge haben, die im Vergleich zur natürlichen Linienbreite groß ist.
6.1 Grundlagen der Bearbeitung mit Lasern
Emittiertes Frequenzspektrum
IJ 21
ǻE1 E1
IJ 20
IJ 10
h·f10
Intensität I / (W/cm²)
Energie(niveau) E / J
ǻE2 E2
207
ǻf
ǻE0 E0 f10-ǻf
E0 E1 E2
Energieband Energieniveau Laserausgangs- / Grundniveau (stabil) Metastabiles Energieniveau (metastabil) Pumpniveau (instabil)
f10
f10+ǻf
Strahlungsfrequenz f / s-1 'f t
'E 0 'E1 h
Abb. 6.3. Schema eines Dreiniveaulasers, Zusammenhang zwischen Energiebändern und emittiertem Frequenzspektrum
Das Zuführen von Energie in Form eines elektrischen Feldes oder von optischer Strahlung wird als Pumpen bezeichnet. Je größer die Bandbreite des Pumpniveaus (E2 in Abb. 6.3) ist, desto mehr Pumpenergie kann absorbiert werden. Ist die Übergangswahrscheinlichkeit ins Laserausgangsniveau (E0 in Abb. 6.3) im Vergleich zur Übergangswahrscheinlichkeit ins metastabile Niveau (E1 in Abb. 6.3) klein (Halbwertzeit IJ21 << IJ20), ist eine Besetzungsinversion möglich. Liegt eine Inversion vor, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein spontan emittiertes Photon auf ein angeregtes Elektron trifft, sehr groß. Weist das spontan emittierte Photon die für das angeregte System charakteristische Frequenz auf, erzwingt es die umgehende Abgabe eines gleich gearteten Photons (stimulierte Emission). Obgleich die Kettenreaktion zu einer ungleich schnellen Verstärkung des Effekts führt, stehen Absorption, spontane und induzierte Emission in Konkurrenz zueinander. Zudem erfolgt die beschriebene Kettenreaktion regel- und richtungslos an verschiedenen Orten und Zeiten im laseraktiven Material. Die einzelnen Kettenreaktionen sind nur von kurzer Dauer und geringer Intensität, da die Wellenzüge nach Durchlaufen des laseraktiven Materials das System verlassen.
208
6 Lasermaterialbearbeitung Pumpquelle
Nicht verstärkte Strahlung
Verstärkte Strahlung
Nutzbare Laserstrahlung
Laseraktives Material Totalreflektierender Spiegel
Resonator
Teildurchlässiger Spiegel
Abb. 6.4. Prinzipieller Aufbau einer Laserquelle
Durch Anordnung des laseraktiven Materials zwischen zwei sich gegenüberliegenden Spiegeln (Abb. 6.4), dem so genannten Resonator, verleiht man dem System eine Vorzugsrichtung. Jedes Photon, dass sich senkrecht zur Spiegelfläche ausbreitet, wird wieder in das System zurückreflektiert, wodurch weitere Emissionen in die gleiche Richtung ausgelöst werden. Die Strahlung wird in Richtung der Strahlachse bevorzugt verstärkt und es entsteht kohärentes Laserlicht von hoher Intensität und Leistung. Damit sich die Wellenzüge stets in gleicher Phase überlagern, muss der Abstand der Spiegel ein Vielfaches der halben Wellenlänge betragen. Damit die Laserstrahlung genutzt werden kann, wird ein Teil der Strahlung ausgekoppelt. Üblicherweise wird ein Resonator verwendet, der aus einem vollreflektierenden und einem teildurchlässigen Spiegel besteht. Die ausgekoppelte Laserstrahlleistung darf hierbei ein gewisses Maß nicht überschreiten, damit ausreichend Strahlung zur Stimulation der angeregten Elektronen im System verbleibt. Die Teildurchlässigkeit des Auskoppelspiegels ist daher der Laserquelle anzupassen. Charakterisierung von Laserstrahlung Die Geometrie des Resonators hat großen Einfluss auf die Intensitäts- bzw. die Leistungsdichteverteilung des emittierten Laserstrahls. Das durch das laseraktive Material mehrfach reflektierte Licht bildet eine stationär stehende elektromagnetische Welle im Inneren des Resonators.
6.1 Grundlagen der Bearbeitung mit Lasern Gauß-Laguerre-Moden p
Gauß-Hermite-Moden m I = Imax
TEM 00
TEM 10
TEM 01
TEM 11
n
209
TEM 00
TEM 10
TEM 01
TEM 11
l
I=0
Abb. 6.5. Intensitätsverteilung unterschiedlicher TEM-Moden (nach [Popr02])
Sowohl die Form (rund oder rechteckig) als auch die Abmessungen des Resonators (Abstand, Durchmesser bzw. Breite und Höhe sowie Krümmungsradien der Spiegel) im Verhältnis zur Größenordnung der Wellenlänge bestimmen hierbei maßgeblich die resultierende Verteilungen der elektrischen Feldstärke, die als (Schwingungs-)Moden bezeichnet werden. Die oft verwendete Abkürzung TEM mnq steht für Transversal-ElektroMagnetische Schwingungsmode. Die Indizes m und n geben die Anzahl der Nullstellen der Feldstärkeverteilung senkrecht, und der Index q die Anzahl der Feldstärkemaxima entlang der Achse im Innern des Resonators an. Da durch die ersten beiden Indizes die Intensitätsverteilung über den Strahlquerschnitt bestimmt wird, findet man häufig die verkürzte Schreibweise TEM mn. Neben den Indizes m und n, für kartesisch symmetrische Verteilungen, werden auch die Indizes p und l (TEM pl) verwendet, wenn polar symmetrische Verteilungen vorliegen. Von zentraler Bedeutung ist der Grund- oder Gaußmode mit TEM 00, welcher eine kontinuierliche Intensitätsverteilung in Form einer Gaußverteilung besitzt. Höhere Moden weisen aufgrund von Interferenzerscheinungen Intensitätsminima auf, wie Abb. 6.5 am Beispiel unterschiedlicher TEM-Moden veranschaulicht. Nur selten entspricht die Intensitätsverteilung realer Laserquellen einer idealen Gaußverteilung. Besonders Hochleistungslaser emittieren Strahlung mit vielen Moden unterschiedlicher Ordnung. Die Intensitätsverteilung realer Strahlen stellt sich daher als lineare Superposition modenspezifischer Intensitätsverteilungen dar.
210
6 Lasermaterialbearbeitung
Radius r / mm
Strahlkaustik eines Laserstrahls
w( z)
w ( zR )
w0
2 w0
T0
w (2 zR )
5 w0
0
Abstand von der Strahltaille z / mm z
0 z
zR
z
2 zR
Abb. 6.6. Strahlcharakteristika eines Laserstrahls
6.1 Grundlagen der Bearbeitung mit Lasern
211
Die Geometrie eines Laserstrahls wird in Abhängigkeit der Position auf der Strahlachse durch die äußere Begrenzung des Strahls senkrecht zur Strahlachse beschrieben. Als Synonym für Strahlgeometrie wird häufig, zumeist mit Bezug auf eine von der geometrischen Optik abweichende Strahlgeometrie (z. B. in der Nähe des Brennpunkts einer Linse), auch der Fachbegriff Strahlkaustik verwendet. Der Begriff Strahlkaustik bezeichnet dabei die den Laserstrahl einhüllende Fläche. Sogar die Strahlgeometrie realer Strahlen lässt sich durch wenige und gut bestimmbare Größen einfach beschreiben. Abb. 6.6 zeigt die Strahlkaustik eines zunächst parallelen, seitlich begrenzten und frei propagierenden 3 Laserstrahls. Die gezeigte Strahlcharakteristik kann nicht nur bei Austritt aus der Laserquelle, sondern auch bei Fokussierung des Laserstrahls im Brennpunkt einer abbildenden Optik beobachtet werden. Als Folge der Lichtbeugung wird der frei propagierende Laserstrahl aufgeweitet. Die Aufweitung (Divergenz) nähert sich im Unendlichen einem Grenzwert, der als Fernfelddivergenz ș0 bezeichnet wird und dem halben Öffnungswinkel des resultierenden Strahlkegels entspricht. Der Strahltaillenradius w0 4 ist der kleinste Strahlradius dort, wo der Strahl gerade parallel zur Strahlachse verläuft und die Querschnittsfläche des Strahls minimal ist. Der Abstand zur Strahltaille wird durch z beschrieben. Der entlang der Strahlachse divergierende Strahlradius w(z) (Strahlkaustik) beschreibt die einhüllende Strahlgeometrie in Abhängigkeit von der Entfernung zur Strahltaille. Aufgrund des beugungsbedingten asymptotischen Intensitätsabfalls in (axialer und) radialer Richtung muss zur Festlegung des Strahlradius eine geeignete Definition herangezogen werden. Für eine mathematisch genaue Bestimmung des Strahlradius wird für den Gaußstrahl der Abfall der Intensität auf 1/e2·I (0, z) (13,5 %) und für höhere Moden der äußerste Wendepunkt der Intensitätsverteilung verwendet, so dass Nebenmaxima mit berücksichtigt werden (siehe Abb. 6.6 unten). In der Praxis wird eine eher pragmatische Definition und für höhere Moden mathematisch fehlerhafte Definition bevorzugt: Der Strahlradius ist so groß wie eine Lochblende, die 86,5 % der emittierten Laserleistung hindurch lässt. Nur für den Gaußstrahl stimmen pragmatische und mathematisch genaue Definition überein. Legt man die mathematische Definition zugrunde, ergibt sich die Strahlkaustik eines gebeugten Laserstrahls (beliebiger Moden) zu: 3 4
Unter Propagation versteht man die Ausbreitung des Lichts in Strahlrichtung. Die Variablenbezeichnung w leitet sich vom engl. Begriff waist (dt.: Taille) ab. Obgleich in der Fachwelt grundsätzlich von (Strahl-)Radien gesprochen wird, wird bei nicht-rotationssymmetrischen Strahlgeometrien ebenfalls der Begriff Radius verwendet. Für eine rechteckige oder elliptische Strahlgeometrie unterscheidet man entsprechend zwischen den Strahlradien w0,x und w0,y.
212
6 Lasermaterialbearbeitung
2
§ z · w0 1 ¨¨ ¸¸ . © zR ¹
w( z )
(6-3)
Die Rayleighlänge zR gibt an, in welcher Entfernung von der Strahltaille sich die Querschnittsfläche des Strahls verdoppelt hat. Die doppelte Rayleighlänge wird Fokuslänge oder Schärfentiefe genannt. Im Brennpunkt einer Fokussieroptik ist die Schärfentiefe ein Maß für den Bereich mit näherungsweise paralleler Strahlpropagation. Die Rayleighlänge für einen rotationssymmetrischen Strahl ist:
zR
S w02 K . O
(6-4)
Anmerkung: Der Faktor K ist eine dimensionslose Strahlqualitätskennzahl (vgl. Tabelle 6.1). Für einen beugungsbegrenzten Gaußstrahl ist K = 1. Für höheren Moden bzw. reale Laserstrahlen ist K < 1.
Für den Gaußstrahl folgt so, in Abhängigkeit der beiden Raumkoordinaten r und z, die in Abb. 6.6 (mitte) dargestellte Intensitätsverteilung: §
r ·¸ ¸ ¨ w( z ) ¸ © ¹
2
2¨¨ I (r , z )
I (0 , z ) e
, (6-5)
2
mit I (0 , z )
§ w · I max ¨¨ 0 ¸¸ und I max © w( z ) ¹
I (0 ,0)
2 PL . 2 S w0
Anmerkung: In Gl. 6-5 sind I die Intensität in W/m² (üblich sind Angaben in W/cm²) und PL die gesamte Laserleistung in W. I(0,z) ist die maximale Intensität in der Strahlmitte im Abstand z von der Strahltaille. Imax steht für die maximale Intensität des Strahls im Zentrum der Strahltaille.
Strahltaillenradius w0 und die Fernfelddivergenz ș0 sind für die Praxis von besonderer Bedeutung, da das Produkt (Gl. 6-6), das so genannte Strahlparameterprodukt SPP (engl. BPP für Beam Parameter Product), eine konstante und charakteristische Kenngröße für die von einer Laserquelle emittierten Laserstrahlung ist:
SPP T 0 w0 .
(6-6)
6.1 Grundlagen der Bearbeitung mit Lasern
213
Anmerkung: In Gl. 6-3 sind SPP das Strahlparameterprodukt in m·rad (im Allgemeinen wird mm·mrad als Einheit verwendet), ș0 die Fernfelddivergenz in rad (bzw. mrad) und w0 der Strahltaillendurchmesser in m (bzw. mm)
Beide Größen verhalten sich dementsprechend umgekehrt proportional zueinander, so dass mit einer Verkleinerung des Strahltaillendurchmessers, z. B. zur Fokussierung des Strahls, eine Vergrößerung des Strahlkegels einhergeht. Darüber hinaus lässt sich aus Gl. 6-6 folgender Sachverhalt ableiten: Je kleiner das Strahlparameterprodukt der Strahlung desto geringer ist die Divergenz bei gleichem Strahltaillenradius. Das Strahlparameterprodukt eignet sich daher zur Verwendung als Strahlqualitätskenngröße. Für einen idealen Gaußstrahl (TEM00) wird das Strahlparameterprodukt minimal, oder anders ausgedrückt: Der Gaußstrahl ist beugungsbegrenzt. Zudem zeigt sich, dass das Strahlparameterprodukt des Gaußstrahls nur von der Wellenlänge Ȝ der Strahlung abhängt und sich dabei proportional zu ihr verhält (Gl. 6-4). Hochfrequente Strahlung erzielt also eine höhere Strahlqualität als niedrigfrequente Strahlung: SPPideal
SPPGauß
T 0 ,Gauß w0 ,Gauß
O . S
(6-7)
Reale Laserstrahlen weisen eine größere Divergenz auf und weichen daher vom idealen Gaußprofil ab, so dass das reale Strahlparameterprodukt SPP nach Gl. 6-6 durch Messen des Strahltaillenradius w0 und der entsprechenden Fernfelddivergenz ș0 ermittelt wird5. Das Verhältnis von theoretisch erreichbarem Strahlparameterprodukt SPP ideal und realem Strahlparameterprodukt SPP führt zu einer weiteren häufig verwendeten Qualitätskennzahl: der Strahlqualitätskennzahl bzw. der normierten Strahlqualität K. Der Kehrwert der normierten Strahlqualität K, die so genannte Beugungsmaßzahl M², wird ebenso als Qualitätskennzahl verwendet. Sowohl K als auch M² vergleichen die Qualität des realen Lasers mit seinem physikalischen Limit und geben daher an, um welchen Faktor der reale Laserstrahl schlechter ist (K) bzw. stärker gebeugt wird (M²) als der ideale Strahl mit gleicher Wellenlänge. Hierbei ist zu beachten, dass nur Laserstrahlquellen gleicher Wellenlänge mit den Kennzahlen K und M² verglichen werden können. Für einen wellenlängenunabhängigen Vergleich der Strahlqualität muss das Strahlparameterprodukt SPP herangezo5
Da sich das Strahlparameterprodukt nicht ändert, kann die Messung des SPP grundsätzlich an einer beliebigen Stelle des Strahls erfolgen, die eine Strahltaille aufweist. Die Messung im Fokus einer Optik vorausgesetzt bedeutet dies, dass man eine beliebige und für das Messverfahren geeignete Fokussieroptik (Brennweite) einsetzen kann.
214
6 Lasermaterialbearbeitung
gen werden. Alle Strahlqualitätskennzahlen lassen sich, wie in Tabelle 6.1 gezeigt, ineinander überführen. Abb. 6.7 veranschaulicht die Bedeutung der Strahlqualität für die Auslegung von Bearbeitungsoptiken. Tabelle 6.1. Strahlqualitätskenngrößen – Physikalische Grenzen und Formeln zur wechselseitigen Umrechnung Kenngröße
Physikalische Grenze
Gegeben: SPP real
Gegeben: K
Gegeben M²
Strahlparameterprodukt SPP
SPP t O S ; SPPideal O S
SPP
O 1 S K
O M2 S
Strahlqualitätskennzahl K
K d 1 a; K ideal 1
O 1 S SPP
K
1 M2
Beugungsmaßzahl M²
M 2 t 1; M 2 ideal 1
S SPP O
1 K
M²
a
Zudem gilt: K > 0, da SPP > 0 bzw. M² > 0
Beim Vergleich von Strahlparameterprodukten in der Praxis ist Vorsicht geboten, da die Definition der Strahltaille und des Fernfelddivergenzwinkels nicht immer konsequent befolgt wird. Vereinzelt kommt es vor, dass anstatt des Radius der Durchmesser der Strahltaille und anstatt des halben der volle Divergenzwinkel verwendet wird. Dies würde beispielsweise zu einem vierfach höheren Strahlparameterprodukt führen. Darüber hinaus existieren unterschiedliche Definitionen für den Strahlradius w(z). Neben der gängigen Definition über den Radius einer Lochblende, die 86,5 % der Laserleistung hindurch lässt, werden auch andere Definitionen verwendet, wie z. B. die FWHM (Full Width at Half Maximum) Definition: Radius w(z) bei 50 % · I(0,z). Für viele Anwendungen der Lasermaterialbearbeitung, wie z. B. dem Schneiden und Schweißen, sind besonders kleine Strahldurchmesser im Arbeitspunkt erforderlich, damit zum einen die notwendige Intensität erreicht wird und zum anderen die Schnittfuge bzw. Nahtbreite möglichst klein ist.
6.1 Grundlagen der Bearbeitung mit Lasern
215
REF
Möglichkeiten der Strahlformung bei höherer Strahlqualität
A
B
C
Strahlparameter
REF
A
B
C
Strahlparameterprodukt [mm mrad]
REF 25
ï
ï
ï
Wellenlänge [nm]
REF 1064
1064
1064
1064
Brennweite [mm] Arbeitsabstand [mm]
REF 100 < 100
100 < 100
313 < 313
100 < 100
Rayleighlänge [mm] Schärfentiefe [mm]
REF 0,625 1,250
0,200 0,400
1,953 3,906
1,953 3,906
Strahltaillenradius [mm] Fokusdurchmesser [mm]
REF 0,125 0,250
0,040 0,080
0,125 0,250
0,125 0,250
Rohstrahldurchmesser [mm] Linsendurchmesser [mm]
REF 40 > 40
40 > 40
40 > 40
12,8 > 12,8
8
= = ï ï =
Abb. 6.7. Einfluss der Strahlqualität auf die Strahlkaustik
8
= +
+ =
=
8
= =
+ =
ï
216
6 Lasermaterialbearbeitung
Zudem wird im Arbeitspunkt eine möglichst geringe Divergenz bzw. eine möglichst große Schärfentiefe gefordert, da die Aufweitung des Strahls eine Reduzierung der Intensität mit erheblichem Einfluss auf den Prozess, wie z. B. die maximal schweiß- bzw. schneidbare Materialdicke, zur Folge hat. Es wird deutlich, dass beide Zielvorstellungen miteinander konkurrieren und entsprechend der betrachteten Applikation ein Optimum ermittelt werden muss. Ist dies nicht möglich, muss ggf. eine andere Laserquelle mit einer höheren Strahlqualität bzw. einem kleineren Strahlparameterprodukt verwendet werden. 6.1.2 Laserstrahlquellen
Laserstrahlquellen (oder Lasersysteme) setzen sich aus den elementaren Bestandteilen laseraktives Medium, optischer Resonator und Pumpquelle zusammen (s. Abb. 6.4). Darüber hinaus werden ein Netzteil zur Energieversorgung der Laserpumpe und ein Kühlaggregat zur Wärmeabfuhr benötigt. Die verschiedenen Komponenten bestimmen gemeinsam die Eigenschaften der emittierten Laserstrahlung. Im Gegensatz zur Wellenlänge des Laserlichts, die allein durch die Wahl des laseraktiven Mediums bestimmt ist, resultiert die Strahlqualität aus dem Zusammenwirken aller Laserkomponenten. Da die unterschiedlichen Restriktionen bei der Auslegung der Lasersysteme miteinander konkurrieren, wird nur in wenigen Ausnahmefällen eine Strahlqualität erreicht, die dem theoretisch möglichen Optimum nahe kommt. Aufgrund der größeren thermischen Beanspruchung der optischen Laserkomponenten führt besonders eine Steigerung der Ausgangsleistung zu einer Abnahme der Strahlqualität. Dennoch zeigen aktuelle Entwicklungen, dass eine signifikante Steigerung der Ausgangsleistungen bei gleicher oder sogar verbesserter Strahlqualität möglich ist, wenn neuartige Konzepte (z. B. Scheiben- und Faserlaser) zum Einsatz kommen. Neben den systemspezifischen Aggregaten wie Steuerungseinheit, Wärmetauscherpumpen und Ventilatoren versorgt das Netzteil in seiner primären Funktion die Laserpumpe (z. B. Blitzlichtlampen) mit elektrischer Energie. Da eine umgehende Umsetzung der elektrischen Energie in Laserstrahlung erfolgt, muss das Netzteil über die elektrische Versorgung die Größe und das Zeitverhalten der Laserausgangsleistung steuern. Die Kühlung sorgt für optimale und stetige Betriebsbedingungen aller Systeme. Hierbei ist die Kühlung des laseraktiven Mediums besonders wichtig, da neben der thermischen Werkstoffschädigung auch die thermische Linsenwirkung eines inhomogen temperierten Mediums verhindert
6.1 Grundlagen der Bearbeitung mit Lasern
217
bzw. minimiert werden muss. Zur Vermeidung einer Verunreinigung oder Verstopfung der Kühlkanäle durch Ablagerungen verwenden die meisten Lasersysteme eigene Wärmetauscher und Feinfiltersysteme, die mit deionisertem Wasser betrieben werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die internen Wärmetauscher zumeist den Einsatz eines weiteren externen Wärmetauschers erfordern. Die Unterscheidung von Lasertypen erfolgt im Allgemeinen anhand eines oder mehrerer Merkmale. Typische Unterscheidungsmerkmale sind: x das laseraktive Medium (z. B. CO2-Laser oder Nd:YAG-Laser), x der Aggregatzustand des laseraktiven Mediums (z. B. Gas-, Flüssig- und Festkörperlaser), x die Art der (elektrischen oder optischen) Anregung (z. B. Gleichstrom- / Hochfrequenzangeregte CO2-Laser oder Lampengepumpte / Diodengepumpte Festkörperlaser), x die Geometrie des laseraktiven Materials (z. B. Stab-, Slab-, Scheiben- und Faserlaser) und x der Betriebsmodus (z. B. kontinuierlich/cw oder gepulst/pw betriebene Laser).
Der erste Laser, ein Rubin-Festkörperlaser, wurde im Jahre 1960 von Maiman entwickelt. Heutzutage kennt man etwa zehntausend laseraktive Medien, die Strahlung mit Wellenlängen von 10 nm bis 1.000.000 nm emittieren. Dies verdeutlicht, dass die Anzahl der kommerziell verfügbaren Systeme von einer ähnlich hohen Größenordnung ist, da insbesondere ausgereifte Lasersysteme in einer hohen Variantenvielfalt (bzgl. max. Ausgangsleistung, Strahlqualität, Betriebsmodus, etc.) von unterschiedlichen Herstellern angeboten werden. Die Ausgangsleistungen der am Markt verfügbaren Laserstrahlquellen reichen dabei von wenigen Milliwatt bis zu mehreren Kilowatt. Laser mit einer niedrigen Ausgangsleistung und hohen Strahlqualität finden zumeist bei messtechnischen Anwendungen oder in der Nachrichtentechnik zur Signalübertragung ihren Einsatz. In Applikationen der Lasermaterialbearbeitung werden überwiegend Laser mit hohen Ausgangsleistungen eingesetzt. Die für die Lasermaterialbearbeitung wichtigsten Laserstrahlquellen werden in den folgenden Abschnitten kurz beschrieben.
218
6 Lasermaterialbearbeitung
ǻ t Periode
Laserleistung PL / W
P max
ǻ t Puls EP
ǻ t Pause Pm
Legende • Periodendauer ǻt Periode in s • Pulsdauer ǻt Puls in s • Pulspause ǻt Pause in s • Pulsenergie E P in J • Pulsspitzenleistung P max in W • Mittlere Laserleistung P m in W
Zeit t / s
Abb. 6.8. Parameter des Pulsbetriebs
Vor Beschreibung der verschiedenen Lasersysteme ist grundsätzlich der Begriff „Betriebsmodus“ eines Lasers zu erläutern. Hierbei werden zwei Betriebsarten des Lasers unterschieden: der Dauerstrich- und der Pulsbetrieb. Sowohl in der Literatur als auch in der Praxis wird man oft der englischen Kurzform cw-Betrieb (cw für „continuous wave“) für den Dauerstrichbetrieb und pw-Betrieb (pw für „puls wave mode“) für den Pulsbetrieb begegnen. Im Dauerstrichbetrieb wird kontinuierlich Laserstrahlung emittiert, wohingegen im Pulsbetrieb nur Laserpulse von kurzer Dauer und hoher Leistung abgegeben werden. Für den Pulsbetrieb wurden daher weitere Betriebsparameter definiert. Die Pulsdauer bzw. -länge gibt die Zeitspanne an, über die der Laser Leistung abgibt. Die Pulsperiode ist die Zeit zwischen zwei Pulsspitzen und wird daher oft als Pulsfrequenz angegeben. Die Pulspause gibt die Zeitspanne zwischen zwei Pulsen an, in der keine Strahlung emittiert wird, so dass die Summe aus Pulsdauer und pause gleich der Pulsperiode ist. Abb. 6.8 zeigt schematisch das LeistungsZeitverhalten eines Lasers im Pulsbetrieb. CO2 - Laser
Der CO2-Laser ist ein Gaslaser und verwendet ein Gasgemisch aus Helium (He), Stickstoff (N2) und Kohlenstoffdioxid (CO2). Das Gasgemisch befindet sich zwischen den Resonatorspiegeln bei Drücken von 100 bis 250 hPa (technisches Vakuum). Lediglich die CO2-Moleküle operieren hierbei als laseraktives Medium. Die von den angeregten Molekülen emittierte Laserstrahlung hat typischerweise eine Wellenlänge von 10,6 µm. CO2-Laser erreichen Gesamtwirkungsgrade von 10 bis 13 %, können sowohl kontinu-
6.1 Grundlagen der Bearbeitung mit Lasern
219
ierlich als auch gepulst betrieben werden und erreichen Laserausgangsleistungen von 100 bis ca. 40.000 W. Die Anregung der CO2-Moleküle erfolgt entweder direkt über Elektronenstöße oder, weit häufiger, indirekt über Stöße mit schwingungsangeregten N2-Molekülen, die wiederum selbst zuvor durch eine elektrische Gasentladung angeregt wurden. Durch Emission des Lichtquants wird das untere Laserniveau erreicht. Durch Stöße mit He-Atomen, die mit 60 bis 80 % im Gasgemisch enthalten sind, werden die CO2-Moleküle wieder in das Grundniveau überführt. Die wichtigsten Unterscheidungsmerkmale der verschiedenen Bauformen sind in Tabelle 6.2 aufgeführt. Tabelle 6.2. Unterscheidungsmerkmale von CO2-Lasern Art der Anregung
Strömungsrichtung des Gasgemisches in Bezug auf die Resonatorachse
Gleichstromanregung Hochfrequenzanregung
Quergeströmt Längsgeströmt Diffusionsgekühlt (unbewegt)
Gleichstromangeregte CO2-Laser können kostengünstig hergestellt werden und erreichen unter den CO2-Lasern den vergleichsweise höchsten Wirkungsgrad. Dennoch verursacht die Wechselwirkung von Elektroden und Gasmolekülen einen Elektrodenabbrand, der sowohl eine Reinigung als auch den teilweisen Austausch des Gasgemischs erfordert. Die damit verbundenen Betriebs- und Wartungskosten für den Austausch der Elektroden mindern den Vorteil des guten Wirkungsgrades, so dass im Allgemeinen bei Laserleistungen größer als 2 kW eine hochfrequente Wechselstromanregung bevorzugt wird. Hochfrequenzangeregte CO2-Laser koppeln die elektrische Energie kapazitiv ein (Elektroden und Lasergas haben keinen direkten Kontakt) und weisen daher keinen Verschleiß auf. Daneben können hochfrequenzangeregte Laser deutliche höhere Pulswiederholraten realisieren, welches sie für eine Vielzahl von weiteren Applikationen qualifiziert. Da der Großteil der elektrischen Energie in Wärme umgesetzt wird, ist die Kühlung des Gasgemisches unerlässlich. Hierzu wird das Lasergas in Bewegung versetzt und durch Wärmetauscher geführt. Bei quergeströmten CO2-Lasern wird das Gasgemisch senkrecht und bei längsgeströmten CO2Lasern parallel zur optischen Achse des Resonators umgewälzt. Im Vergleich zeichnet sich die quergeströmte Bauform grundsätzlich durch einen höheren Wirkungsgrad und einen geringeren Gasverbrauch aus, welches sich positiv auf die Betriebskosten auswirkt. Längsgeströmte Bauformen
220
6 Lasermaterialbearbeitung
erzielen eine höhere Strahlqualität (Klängs > 0,4 und Kquer > 0,18) bei gleichzeitig höheren Ausgangsleistungen (Plängs < 20 kW und Pquer < 10 kW). Diffusionsgekühlte CO2-Laser verzichten auf eine Umwälzung des Lasergasgemischs. Damit muss die Wärme ausschließlich über Wärmeleitung abgeführt werden. Mit diffusionsgekühlten Systemen wird im Allgemeinen eine ausgezeichnete Strahlqualität (Kdiff > 0,9) erzielt. Bei sealed-off CO2Lasern wird das Lasergas in ein Rohr aus Quarzglas eingeschlossen. Trotz effizienter Kühlung der Rohrwand können so lediglich 50 W Ausgangsleistung pro Meter Rohrlänge gewonnen werden. Unter Berücksichtigung der erforderlichen Baugröße beträgt die Ausgangsleistung handelsüblicher sealed-off CO2-Laser lediglich 100 bis 600 W. Ein großer Vorteil dieser Bauweise ist, dass kein Gas verbraucht wird. Laserleistungen bis 8 kW bei gleich guter Strahlqualität erzielen die (diffusionsgekühlten) CO2Slablaser.
Abb. 6.9. CO2 -Slablaser (nach Rofin-Sinar Laser)
6.1 Grundlagen der Bearbeitung mit Lasern
221
Der Gasverbrauch bei dieser Variante ist vernachlässigbar gering. Die Hochfrequenzgasentladung findet zwischen zwei rechteckigen Kupferelektroden statt. Die großflächigen Elektroden sind wassergekühlt, so dass bei einem geringen Abstand der Platten eine ausreichende Kühlung des Gasgemischs über Wärmeleitung erfolgt. Der aufgespannte Entladungsraum ist folglich quaderförmig und besonders flach, welches den Lasern ihren Namen verleiht (engl.: Slab = dt.: Platte). Der ausgekoppelte Teilstrahl ist zunächst rechteckig und wird durch geeignete Optiken in einen rotationssymmetrischen Strahl umgeformt. Im Vergleich zu längsgeströmten CO2-Lasern ist diese Bauweise äußerst kompakt und wartungsfreundlicher. Festkörperlaser (Nd:YAG und Yb:YAG)
In Festkörperlasern wird als laseraktives Medium ein mit laseraktiven Ionen dotierter Wirtskristall (oder Glas) verwendet. Das Festkörpermedium ist transparent und im Idealfall für das Laserlicht vollkommen durchlässig. Eine äußerst geeignete Kombination ist das mit Neodymionen (Nd3+) dotierte Yttrium-Aluminium-Granat (YAG Ł Y3Al5O12,). Die Anregung der laseraktiven Ionen erfolgt ausschließlich durch Absorption von optischer Strahlung, welches den Einsatz von Lichtquellen mit geeigneten Lichtspektren als Pumpquelle verlangt. Die von den Neodymionen emittierte Laserstrahlung hat eine charakteristische Wellenlänge von 1064 nm. Neben Neodym wird auch Ytterbium (Yb) als laseraktives Material eingesetzt. Das Laserlicht der Ytterbiumionen (Yb3+) hat eine Wellenlänge von 1030 nm. Im Gegensatz zur CO2-Laserstrahlung (Ȝ § 10 µm) wird die Laserstrahlung von Festkörperlasern (Ȝ § 1 µm) von industriellen Standardgläsern, wie z. B. Quarz- oder Bor-Kronglas, kaum absorbiert. Hieraus folgt ein bedeutender Vorteil bei der Verwendung von Festkörperlasern, da ihr Laserlicht durch flexible Lichtleitfasern an die Bearbeitungsstelle geführt werden kann. Daneben ergeben sich weitere KosteneinsparungsPotentiale bei der Herstellung optischer Linsen, da günstige Glaswerkstoffe für den Linsengrundkörper verwendet werden können. Festkörperlaser können grundsätzlich kontinuierlich oder gepulst betrieben werden. Das Pulsen kann entweder durch Steuern der optischen Pumpleistung („Gain-Switching“, minimale Pulsdauern von 50 µs bei maximal 4 kHz) oder durch eine Güteschaltung („Q(uality)-Switching“) realisiert werden. Letztere Methode verwendetet ein elektro-optisches Schaltelement mit ultrakurzen Schaltzeiten und erzielt so signifikant kürzere Pulsdauern (10 bis 500 ns) bei gleichzeitig höheren Wiederholraten (bis 100 kHz). Das laseraktive Medium wird hierbei kontinuierlich gepumpt. Das Schaltele-
222
6 Lasermaterialbearbeitung
ment blockiert den Resonator und öffnet erst, wenn eine ausreichend hohe Inversionsrate erreicht ist. Aufgrund dieses Funktionsprinzips erzielen gütegeschaltete Laser neben kurzen Pulsdauern und hohen Frequenzen auch überdurchschnittlich hohe Pulsspitzenleistungen. Der Leistungsbereich handelsüblicher Festkörperlaser erstreckt sich von 20 bis 6000 W. Im Pulsbetrieb werden Spitzenleistungen bis 10 MW bei 100 kHz erzielt. Der elektrisch-optische Wirkungsgrad liegt zwischen 5 (lampengepumpter Stablaser) und 25 % (Scheiben- und Faserlaser). Die unterschiedlichen Bauformen werden entweder nach Art der optischen Anregung oder nach Geometrie des Festkörperkristalls unterschieden (Tabelle 6.3). Tabelle 6.3. Unterscheidungsmerkmale von Festkörperlasern Art der optischen Anregung
Geometrie des Festkörperkristalls
Lampengepumpte Festkörperlaser Diodengepumpte Festkörperlaser
Stablaser Slablaser Scheibenlaser Faserlaser
Kavität
Kavität
Lampengepumpter Nd:YAG-Laser - Max. Leistung 4 kW, 8 Kavitäten mit jeweils 500 W effektiver Nutzleistung - Strahlqualität 25 mm mrad (SPP) - Einkopplung in 600 µm Lichtleitfaser - Abmessungen 222 x 160 x 77 cm³
1
2
1. Doppelelliptischer Reflektor mit hochreflektierender Innenfläche 2. Stabförmiger Laserkristall 3. Stabförmige Blitzlichtlampe 4. Kühlwasser 5. Transparente Kühlröhren
Abb. 6.10. Lampengepumpter Stablaser (nach Trumpf Laser)
3
4
5
6.1 Grundlagen der Bearbeitung mit Lasern
223
Die meist verbreitete Bauform ist der Stablaser. Zum Einsatz kommen stabförmige Nd:YAG-Kristalle mit einem Durchmesser von 2 bis 8 mm und einer Länge zwischen 20 und 200 mm. Typischerweise werden die Achsen des Laserstabs und der ebenso stabförmigen Gasentladungslampe jeweils im Brennpunkt eines elliptischen Reflektors platziert. Das Funktionsprinzip mit zwei Gasentladungslampen bzw. einer doppelelliptischen Reflektorgeometrie wird in Abb. 6.10 gezeigt. Im cw-Betrieb erreicht ein Laserstab eine Leistung bis 800 W. Durch Reihenschaltung mehrerer Kavitäten kann eine effiziente Leistungsskalierung vorgenommen werden. Lampengepumpte Hochleistungslaser dieser Art erzielen Ausgangsleistungen bis 4 kW (8 Kavitäten, Wirkungsgrad ca. 4 %) bei einer Strahlqualität von 25 mm·mrad (SPP) und koppeln das Laserlicht in eine 600 µm Lichtleitfaser ein. Das ohnehin enge Absorptionsspektrum der laseraktiven Neodymionen bei 808 nm wird durch das breite Emissionsspektrum der Gasentladungslampen nur schwach angesprochen. Alternativ zu den Gasentladungslampen können auch Diodenlaser als Pumpquelle verwendet werden. Durch Abstimmen der Wellenlänge von AlGaAs-Diodenlasern wird die Pumpeffizienz derart gesteigert, dass diodengepumpte Festkörperstablaser Wirkungsgrade von 10 % erzielen. Obgleich eine Verbesserung der Strahlqualität im Vergleich zu lampengepumpten Stablasern erzielt wird (SPPdg/SPPlg = 16/25 bei 3 kW), gestaltet sich die industrielle Einführung dieser Bauform als Hochleistungslaser schwer. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Laserdioden im Vergleich zu Blitzlichtlampen teuer sind und der Anschaffungspreis des Systems entsprechend steigt. Überdies wurde nahezu zeitgleich der Scheibenlaser mit großem Erfolgspotential entwickelt. Der Scheibenlaser ist ebenfalls ein diodengepumpter Festkörperlaser. Scheibenlaser verwenden üblicherweise Yb:YAG als laseraktives Medium und erzielen Wirkungsgrade zwischen 10 und 25 % bei Laserausgangsleistungen bis 4 kW. Zudem wird bei diesem Leistungsniveau eine bemerkenswerte Strahlqualität von 8 mm·mrad (SPP) erzielt. Die außergewöhnliche Leistungssteigerung wurde durch ein neuartiges Konzept mit scheibenförmiger Geometrie des Festkörperkristalls möglich (siehe Abb. 6.11). Die Kristallscheibe hat nur eine geringe Dicke von ca. 200 µm und liegt flach auf einem Kühlkörper. Die Kontaktfläche der Scheibe ist verspiegelt. Die Spiegelfläche fungiert als Resonatorspiegel der Laserstrahlung zum einen und als Umlenkspiegel der stirnseitig einfallenden Pumpstrahlung zum anderen. Aufgrund der geometrisch idealen Wärmeleitungsverhältnisse sind die Temperaturgradienten (insbesondere in Richtung der Resonatorachse) im Laserkristall minimal.
224
1. 2. 3. 4. 5. 6.
6 Lasermaterialbearbeitung
Kühlfinger Pumpstrahl (Diodenstrahlung mit 940 nm) Retroreflektor Yb:YAG Scheibe Parabolischer Reflektor Resonatorachse
7. 8. 9. 10. 11. 12.
Auskoppelspiegel Nutzbarer Laserstrahl (1030 nm) Strahlformung Faserkoppeleinheit Faserstecker Lichtleitfaser
Abb. 6.11. Aufbau eines Scheibenlasers (Rofin-Sinar Laser)
Negative Effekte wie die Entstehung einer thermischen Linse bei Stabsystemen treten daher kaum auf, welches zu der hohen Strahlqualität führt. Das Laserlicht wird üblicherweise in Lichtleitfasern mit einem Durchmesser von 150 oder 300 µm eingekoppelt. Darüber hinaus wird im Gegensatz zu den Stabsystemen das Pumplicht der Diodenlaser mehrfach in den Laserkristall eingekoppelt, so dass hohe Wirkungsgrade erzielt werden. Die maximale Ausgangsleistung einer Laserscheibe beträgt ca. 1 kW. Die Leistungsskalierung erfolgt über die Serienanordnung mehrerer Scheibensysteme. Neben den bereits beschriebenen Bauformen existieren noch weitere diodengepumpte Bauformen, wie z. B. die longitudinal gepumpten Stabsysteme oder Slablaser-Systeme. Das (mittlere) Leistungsniveau dieser Laser ist im Allgemeinen gering (10 bis 500 W). Im Vergleich zu Hochleistungslasern, die beim Schweißen und Schneiden ihren Einsatz finden, werden diese Systeme für Mikroverfahren (Mikroschweißen und -schneiden, Laserstrahlstrukturieren bzw. Beschriften oder Bohren) eingesetzt. Diese Verfahren erfordern kleinste Fokusdurchmesser und höchste Intensitäten. Hierzu wird eine entsprechend hohe Strahlqualität benötigt, die nahe oder gleich dem theoretisch Möglichen liegt (M² § 1). Die Inten-
6.1 Grundlagen der Bearbeitung mit Lasern
225
sität im Brennfleck kann um ein Vielfaches gesteigert werden, wenn Strahlungsenergie gesammelt und anschließend in kürzester Zeit emittiert wird. Dieses Verfahren wird durch eine Güteschaltung umgesetzt und findet besonders in Slablasern seine Anwendung. Auch der Faserlaser ist ein diodengepumpter Festkörperlaser und basiert auf einem vergleichsweise einfachen Prinzip. Für Faserlaser werden Stufenindex-Glasfasern verwendet, die einen mit laseraktiven Ionen (z. B. Ytterbium Yb oder Erbium Er) dotierten Faserkern besitzen. Das Pumpen erfolgt entweder durch koaxiales Einkoppeln der Pumpstrahlung in eines der beiden Faserenden oder seitliches Anspleißen von diodengepumpten (Pump-)Fasern an den transmissiven Fasermantel. Die Faserenden der dotierten Faser sind verspiegelt (ggf. teildurchlässig) und erzeugen so den Resonator. In beiden Fällen wird die Pumpstrahlung bis zur vollständigen Absorption an den Faserinnenflächen (Mantel und Enden) reflektiert. Dabei werden die laseraktiven Ionen des dotierten Faserkerns angeregt. Die Verstärkung erfolgt somit entlang der Faser, so dass am Ende der Faser das emittierte Laserlicht austritt. Aufgrund der großen Oberfläche der meterlangen Fasern kann die Abwärme an die Umgebung abgegeben werden. Fasersysteme erweitern sowohl im cw- als auch im pw-Betrieb die Leistungsgrenzen marktüblicher Lasersysteme. Je nach Leistungsklasse und Konfiguration erreichen Faserlaser im Pulsbetrieb Spitzenwerte von beispielsweise 50 kW Pulsspitzenleistung bei einer Pulsdauer von 3 ps und einer Strahlqualität M² d 1,05. Pulsdauern im Femtosekundenbereich (mit 1 fs = 10-15 s) sind ebenfalls möglich. Im Dauerstrichbetrieb werden Spitzenleistungen von 10 kW bei einer außergewöhnlichen Strahlqualität von 6 mm·mrad (SPP) und einem Wirkungsgrad von 25 % erzielt. Selbst bei diesen hohen Ausgangsleistungen ist ein Pulsbetrieb bis 20 kHz möglich. Überdies sind Faserlaser nahezu wartungsfrei. Hochleistungsdiodenlaser (HDL)
Das aktive Medium von Halbleiterlasern sind dotierte Halbleiterkristalle. Dabei werden die besonderen Eigenschaften indirekter Halbleiter in Verbindung mit unterschiedlichen Dotierungen genutzt. Für Hochleistungsdiodenlaser wird häufig das Materialsystem GaAlAs/GaAs verwendet. Die Wellenlänge der emittierten Laserstrahlung hängt von dem Mischungsverhältnis der drei- oder vierkomponentigen Halbleiter (hier: GaAlAs) ab, welches im Allgemeinen innerhalb materialspezifischer Grenzen variiert werden kann. Das GaAlAs/GaAs Materialsystem emittiert daher je nach Zusammensetzung des GaAlAs-Halbleiters eine charakteristische Wellenlänge zwischen 750 und 920 µm.
226
6 Lasermaterialbearbeitung
Diodenlaseremitter p-Kontakt
Slow-Axis Quantum Well
Wellenleiter
Deckschichten
ș0, SA Laterale Divergenz ca. 5° (Halbwinkel)
100 µm Substrat
Fast-Axis
n-Kontakt
0,5 - 2 mm
Transversale Divergenz ca. 35° (Halbwinkel)
ș0, FA
200 µm
Abb. 6.12. Aufbau eines Diodenlasers (nach [Popr02])
Im Vergleich zu allen anderen Festkörperlasern zeichnen sich Laserdioden dadurch aus, dass sie direkt durch Anlegen eines elektrischen Stroms angeregt werden können. Hierdurch entfällt die sonst übliche Umwandlung von elektrischer Leistung in optische Pumpenergie, so dass der Wirkungsgrad von Diodenlasern einen unübertroffenen Wert von 50 % erreicht. Im Vergleich mit anderen Lasermedien ist die Dichte der laseraktiven Atome in Halbleitern um ein Vielfaches höher, welches gleichermaßen eine überdurchschnittlich hohe Leistungsdichte zur Folge hat. Dennoch ist das aktive Volumen eines Emitters aus technischen und physikalischen Gründen auf kleinste Abmessungen begrenzt. Die Größe eines modernen Hochleistungsdiodenlasers (Abb. 6.12) beträgt typischerweise 1 mm (L) x 200 µm (B) x 100 µm (H). Das erhebliche kleinere laseraktive Volumen emittiert dabei einen Rohstrahl mit einer Abmessung von ca. 200 µm (B) x 1 µm (H). Moderne Hochleistungsemitter erreichen dabei eine Laserausgangsleistung von ca. 2 bis 3 W. Durch laterale Aneinanderreihung von 20 bis 30 Emittern erhält man einen so genannten Laserbarren (Abb. 6.13) mit einer Größe von ca. 1 mm (L) x 10 mm (B) x 100 µm (H) und einer typischen Ausgangsleistung von 40 bis 60 W. Dabei bestehen Laserbarren aus einer Vielzahl von Einzelemittern, die zusammenhängend auf Halbleiterwafern hergestellt werden. Da die Strahlungsemission eine starke Abhängigkeit von der Temperatur aufweist, werden die Laserbarren zur Kühlung auf Wärmesenken gelötet oder geklebt. Aufgrund der Notwendigkeit zur Kühlung durch eine Wärmesenke vergrößern sich die Abmaße des Laserbarrens um ein Vielfaches. Der Barren inklusive der Wärmesenke hat dann eine typische Größe von 30 mm (L) x 10 mm (B) x 2 mm (H). Das von einem Laserbarren ausgestrahlte Laserlicht hat schließlich die Charakteristik einer schmalen Linie.
6.1 Grundlagen der Bearbeitung mit Lasern
227
Abb. 6.13. Aufbau eines Laserstacks und -barrens aus einzelnen Emittern
Kennzeichnend für die Strahleigenschaften eines einzelnen Diodenlasers(barrens) ist die stark unterschiedliche Strahldivergenz in lateraler (entlang der Laserlinie – „Slow-Axis“) und transversaler Richtung (senkrecht zur Laserlinie – „Fast-Axis“). Aufgrund der im Vergleich zur Wellenlänge großen Emitterbreite wird in lateraler Richtung lediglich eine Strahlqualität von M² = 20 bis 30 erzielt. Der laterale Divergenzwinkel beträgt üblicherweise 5°. Da auf einem Barren 20 bis 30 Emitter mit lateralen Abständen von ca. 200 µm angeordnet sind, verschlechtert sich die effektive Strahlqualität erheblich. Nahezu umgekehrte Verhältnisse sind in transversaler Richtung anzutreffen. Trotz eines großen Divergenzwinkels von ca. 35° wird eine Strahlqualität M² = 1 erzielt. Der Strahl ist demnach in transversaler Richtung beugungsbegrenzt, was auf die minimale Größe der laseraktiven Zone in transversaler Richtung (§ Wellenlänge) zurückgeführt werden kann. Durch Kollimation (Parallelisierung) in transversaler Richtung wird die Divergenz auf ein Minimum (< 1°) reduziert, so dass die laterale Divergenz im Vergleich zur transversalen groß ausfällt. Aufgrund des großen Öffnungswinkels erfolgt die Kollimation in unmittelbarer Nähe des Emitters mit Hilfe von zylindrischen Mikrolinsen. Zur Leistungsskalierung werden die Laserbarren inklusive der adaptierten Wärmesenken und Mikrolinsen zu so genannten Diodenlaserstacks (Stack/eng. = Stapel/dt.) kombiniert. Bis zu 30 Laserbarren können zu einem Stack gestapelt werden, so dass Ausgangsleistungen über 1 kW pro Stack üblich sind. Das Geraderichten (Kollimation) des Strahls in Richtung der Slow-Axis erfolgt dann mit Hilfe einer Zylinderlinse (Abb. 6.14). Die Fokussierung erfolgt im Anschluss mit asphärisch geformten Linsen.
228
6 Lasermaterialbearbeitung
Abb. 6.14. Strahlformung beim Diodenstack
Im Vergleich zur Größe des Barrens sind die geometrischen Abmessungen der Wärmesenken groß. Daher entspricht das Strahlungsbild eines Laserstacks einer Vielzahl von schmalen Linien mit vergleichsweise großen Abständen. Zur Erhöhung der Leistungsdichte können nun die Zwischenräume mit dem Strahlungsbild eines zweiten und ggf. dritten Laserbarrens überlagert („aufgefüllt“) werden. Weitere Methoden der Leistungsskalierung sind die Überlagerung verschiedener Wellenlängen sowie die Überlagerung entgegengesetzt polarisierter Strahlen. Darüber hinaus können für einen Ausgleich der achsabhängigen Strahlqualität optische Systeme eingesetzt werden, die sich aus einer komplexen Anordnung von Treppenspiegeln zusammensetzen. Mit Hilfe der beschriebenen Techniken zur Leistungsskalierung werden Laserleistungen bis 6 kW erzielt. Beispiele für Laser dieser hohen Leistungsklasse mit Angabe der Strahlqualität und Baugröße sind in Tabelle 6.4 wiedergegeben. Tabelle 6.4. Kennzahlen verfügbarer HDL-Systeme (Direktstrahler) HDL A B C Quelle: Laserline
Baugröße L x B x H / mm³ 201 x 75 x 114 344 x 243 x 140 344 x 243 x 140
PL, max / kW 1 3 6
SPP / mm·mrad X-Achse | Y-Achse 60 | 80 60 | 200 60 | 400
Die im Vergleich zu anderen Hochleistungslasern schlechte Strahlqualität erfordert kurze Strahlwege mit der Konsequenz, dass Diodenlaser nah am Prozess geführt werden müssen. Sowohl die Baugröße als auch das Gewicht von Diodenlasern ist typischerweise klein, so dass eine prozess-
6.1 Grundlagen der Bearbeitung mit Lasern
229
nahe Führung des Lasers mit Hilfe von Robotern oder ähnlichen Anlagen gut möglich ist. Dennoch ist bei dieser Konstellation zu berücksichtigen, dass der Laser durch eine Fehlbedienung der Anlage leicht zu Schaden kommen kann. Da Diodenlaser wie Festkörperlaser Laserlicht mit einer Wellenlänge von ca. 1 µm emittieren, besteht auch hier die Möglichkeit, den Laserstrahl mit Hilfe von Lichtleitfasern zu führen. Die geringe Strahlqualität erfordert dennoch bei Leistungen über 2 kW den Einsatz von großen Faserdurchmessern mit Durchmessern von 1,0 bis 1,5 mm. Durch Einsatz einer Lichtleitfaser wird das eingekoppelte Intensitätsprofil homogenisiert, so dass schließlich eine runde Brennfleckgeometrie entsteht. Kennzahlen verfügbarer Hochleistungsdiodenlaser-Systeme können Tabelle 6.5 entnommen werden. Tabelle 6.5. Kennzahlen fasergekoppelter HDL-Systeme HDL A B C Quelle: Laserline
dFaser / mm 0,6 1,0 1,5
PL, max / kW 1,3 4,0 6,0
SPP / mm·mrad 60 100 150
Nicht nur der hohe elektrisch-optische Wirkungsgrad von ca. 50 %, sondern auch der nahezu wartungsfreie Betrieb sind die ausschlaggebenden Argumente für den Einsatz von Hochleistungsdiodenlasern. Die moderate Strahlqualität reduziert die Einsatzmöglichkeiten dennoch auf Bereiche, die keine hohe Strahlqualität erfordern. Beispiele hierfür sind das (Wärmeleitungs-)Schweißen, Härten, Hartlöten, Auftragsschweißen und Beschichten. 6.1.3 Aufbau von Laseranlagen
Für die Lasermaterialbearbeitung werden neben der Laserstrahlquelle weitere optische und technische Systeme benötigt, die in ihrer Gesamtheit als Laseranlage bezeichnet werden. Die vier elementaren Bestandteile jeder Laseranlage sind: x x x x
die Laserstrahlquelle, die Strahlführungskomponenten, die Strahlformungskomponenten und die Handhabungsanlage.
230
6 Lasermaterialbearbeitung
Im Allgemeinen versteht man unter Strahlführung das Leiten des Laserstrahls zur Bearbeitungsstelle oder über das Werkstück und unter Strahlformung die Veränderung der Strahlkaustik bzw. des Intensitätsprofils (z. B. Fokussierung oder Aufweitung). Komponenten, die zur Strahlführung und -formung eingesetzt werden, sind in Tabelle 6.6 aufgeführt. Tabelle 6.6. Primärer Verwendungszweck optischer Komponenten Optische Komponenten Keine (direkte Strahlführung) Ebene Spiegel - Statische Spiegel - Bewegte Spiegel (Scanner) Flexible Lichtleitfasern (nicht für CO2-Laserstrahlung!)
Strahlführung
Ɣ Ɣ Ɣ
Lichtdurchlässige Linsen (A) Sphärische Spiegel
Strahlformung
Ɣ
Ɣ Ɣ
Die Werkstoffe zur Herstellung von Spiegeln und Linsen müssen der Wellenlänge des Laserlichts angepasst sein. Bei der Werkstoffauswahl sind folgende Kriterien von Bedeutung: x Hoher Reflexionsgrad (Spiegel) bzw. Transmissionsgrad (Linsen) und möglichst geringer Absorptionsgrad (Spiegel und Linsen) x Minimaler Wärmeausdehnungskoeffizient zur Minimierung der thermisch bedingten Formabweichung x Hohe Wärmeleitfähigkeit für die Wärmeabführung der absorbierten Energie x Gute Verarbeitungseigenschaften zur Herstellung der ultrapräzisen optischen Oberflächen
Als Spiegelwerkstoff wird häufig Kupfer oder Aluminium und als Werkstoffe für die Linsengrundkörper Zinkselenid (CO2-Laser), Quarzund Kronglas (Festkörper- und Diodenlaser) oder Suprasil (ExcimerLaser) eingesetzt. Darüber hinaus werden die optischen Oberflächen zumeist beschichtet. Folgende Zielsetzungen werden hierbei verfolgt: Korrosionsschutz, Verbesserung der Oberflächengüte, Filterfunktion für besondere Wellenlängenbereiche, Erhöhung des Reflexionsgrads, Herstellung von teildurchlässigen Spiegeln, etc.
6.1 Grundlagen der Bearbeitung mit Lasern
231
Eine erste und nicht selten sehr komplexe Strahlführung und -formung erfolgt bereits in den Lasersystemen (vgl. Abb. 6.11). Danach muss der Anwender oder Anlagenentwickler den so genannten Rohstrahl der Laserquelle zur Bearbeitungsstelle führen. Unter Berücksichtung der Größe von modernen Hochleistungslaserstrahlquellen beträgt die Entfernung von Strahlquelle und Bearbeitungsanlage oftmals mehrere Meter. Auch Entfernungen von 100 m Länge sind in industriellen Fertigungsbetrieben keine Seltenheit. Hierin begründet liegt der bedeutende Vorteil von Festkörperlasern, da sie den Einsatz von Lichtleitfasern zur Strahlführung erlauben. Vergleichbare CO2-Laseranlagen müssen zur Strahlführung bei jeder Richtungsänderung einen Spiegel vorsehen. Aus sicherheitstechnischen Gründen ist der Strahlweg durch geeignete Vorrichtungen (wie z. B. Rohre) zu begrenzen. Des Weiteren nimmt mit der Größe der Entfernungen die erforderliche Spiegelgröße (aufgrund der Strahlaufweitung) und die Anforderungen an die Justiergenauigkeit der Spiegel zu (Positionsfehler § Winkelfehler x Weglänge). Diffusionsgekühlter CO2-Laser
Systemsteuerung Laserstrahlführung und -formung Scanner (verfahrbar) Fokussieroptik (verfahrbar)
Scanner Fokussieroptik
z y
Portal Lasersteuerung
x
Abb. 6.15. RWS - Remote Welding System6 (nach Rofin-Sinar Laser)
Der Aufwand für eine Umleitung der Strahlwege aufgrund einer betrieblichen Anforderung (z. B. Umbau/Umstellung der Bearbeitungsanlage) ist entsprechend den genannten Restriktionen groß. CO2-Laser werden daher zumeist nahe der Anlage platziert oder, sofern möglich, in die Anlage integriert (vgl. Abb. 6.15). Neben kurzen Strahlwegen werden so nur 6
Abb. 6.15 zeigt lediglich einen prototypischen Aufbau der RWS-Anlage, so dass alle wesentlichen Anlagenkomponenten sichtbar sind.
232
6 Lasermaterialbearbeitung
wenige Strahlumlenksysteme für die Strahlführung zur Bearbeitungsstelle benötigt. Strahlführung durch Lichtleitfasern
Sofern es die Anwendung erlaubt, wird bei Einsatz eines (Hochleistungs-) Festkörper- oder Diodenlasers eine Lichtleitfaser zur Strahlführung eingesetzt. Neben der nahezu beliebigen Strahlführung zur Bearbeitungsstelle/ -optik lassen sich mit Hilfe von Lichtleitfasern Konzepte zur Erhöhung des Anlagennutzungsgrads gut realisieren. Hierbei werden die Laserstrahlquellen mit einer Strahlweiche und einer entsprechend großen Anzahl von Lichtleitfasern (zwischen 2 und 6) ausgestattet. Die Strahlweiche ist ein Spiegelstellsystem. Sie koppelt das Laserlicht des Lasers je nach Anforderung in eine der Fasern ein. Damit kann dieselbe Strahlquelle in verschiedenen Anlagen für unterschiedliche Aufgaben (und ggf. Verfahren) eingesetzt werden. Die Stellzeiten sind dabei üblicherweise kurz (< 1 s), so dass beispielsweise in der Automobilserienfertigung mit Hilfe einer modernen Anlagensteuerungstechnik hohe Nutzungsgrade erzielt werden. Das Funktionsprinzip einer Lichtleitfaser (siehe Abb. 6.16) basiert auf dem physikalischen Phänomen der Totalreflexion. Umgebung mit n 0 ș0 ijA
Kern mit n K
Mantel mit n M
r/m
ijT ij
n nM
nK
n0
Abb. 6.16. Funktionsprinzip einer Stufenindex-Lichtleitfaser
Diese tritt dann ein, wenn ein Lichtstrahl von einem optisch dichteren Stoff auf die Grenzfläche zu einem optisch dünneren Stoff fällt, und der Einfallswinkel größer als der Grenzwinkel ijT ist (Gln. 6-8 und 6-9). Der Grenzwinkel hängt dabei allein von dem Verhältnis der Brechungszahlen der optischen Werkstoffe ab (vgl. Gl. 6-9). Die Lichtleitfasern bestehen daher im Wesentlichen aus einem optisch dichten Kern mit dem Brechungsindex nK und einem optisch dünneren Mantel mit dem Brechungsindex nM. Für die Lichtleitung in der Faser müssen somit folgende zwei Bedingungen erfüllt werden:
6.1 Grundlagen der Bearbeitung mit Lasern
1. Bedingung: n K ! nM , 2. Bedingung: M t M T mit M T
233
(6-8)
arcsinn M n K .
(6-9)
Die so genannte Stufenindexfaser wird zum Schutz mit weiteren Kunststoffummantelungen versehen. Zur Einkopplung wird das Laserlicht im Allgemeinen auf einen Durchmesser unterhalb des Kerndurchmessers gebündelt und auf die Stirnfläche der Faser projiziert. Der Öffnungswinkel ș0 des einfallenden Strahls darf den so genannten Akzeptanzwinkel ijA hierbei nicht überschreiten. Geschieht dies dennoch, tritt das Licht aus der Faser wieder heraus, da der Grenzwinkel in der Faser unterschritten wird. Demnach ist der maximale Austrittswinkel ebenfalls durch den Akzeptanzwinkel ijA bestimmt. Für die Lichtleitung ist also hinsichtlich der Einkopplung eine dritte Bedingung einzuhalten, damit die zweite Bedingung (Gl. 6-9) erfüllt wird: 3. Bedingung: T 0 d M A .
(6-10)
Der Akzeptanzwinkel ijA ist abhängig vom Brechungsindex der Umgebung n0, die das Faserende (Einkoppelstelle) umgibt (Gl. 6-11): MA
§ n 2 n 2 ¨ M arcsin¨ K n ¨ 0 ©
· ¸ ¸¸ ¹
§ NA · ¸¸ mit NA arcsin¨¨ © n0 ¹
2
2
n K nM .
(6-11)
Im Allgemeinen ist das Umgebungsmedium Luft mit einem Brechungsindex von nLuft § 1 (vgl. Tabelle 6.7). Die brechende Wirkung des Umgebungsmediums hat daher in der Praxis keinen bedeutenden Einfluss auf die Größe des Akzeptanzwinkels. Die Variable NA wird Numerische Apertur genannt und ist eine Eigenschaft der Faser. Mit n0 = nLuft § 1 entspricht die Numerische Apertur (nach Gl. 6-11) dem Sinus des Akzeptanzwinkels, so dass gilt: NA
2
n K nM
2
Luft
n0 sin M A
sin M A .
(6-12)
234
6 Lasermaterialbearbeitung
Tabelle 6.7. Brechungsindizes verschiedener transparenter Medien Transparentes Medium
Brechungsindex n
Vakuum
1
Luft
§ 1 (1,000292 in Bodennähe)
Quarzglas
1,46
Kronglas
1,5 bis 1,6
Flintglas
1,7 bis 1,9
Diamant*
2,47
* für den Vergleich
Bei Lichtleitfasern darf ein faserspezifischer Biegeradius nicht unterschritten werden. Erfolgt dies dennoch, wird Licht aus der Faser heraustreten, da im Innern der Faser der Grenzwinkel überschritten wird. Obgleich Glasfasern eine ausgezeichnete Flexibilität aufweisen (z. B. in Roboteranwendungen), ist bei der Handhabung grundsätzlich darauf zu achten, dass die Biege- und Torsionsbelastungen innerhalb der zulässigen Grenzen bleiben, um einem Bruch der Faser vorzubeugen. Das Intensitätsprofil beim Austritt aus der Lichtleitfaser ist bei der Strahlführung von großen Laserleistungen typischerweise ein Top-hat Profil, also konstant über der Querschnittsfläche der Faser. Dies tritt besonders dann ein, wenn der Kerndurchmesser gegenüber der Wellenlänge groß ist (Multimodefaser) und ein großer Eintrittswinkel vorliegt. Dieses vorausgesetzt, variiert die zurückgelegte Wegstrecke mit der Größe des Einfallwinkels und das Eingangs-Intensitätsprofil wird beim Faserdurchgang homogenisiert. Demnach erhält man durch scharfe Abbildung des Faserendes mit einer Fokussieroptik wieder ein Top-hat Intensitätsprofil im Brennpunkt der Linse. Im Fernfeld (z >> zR), also mit zunehmendem Abstand zum Fokus, nähert sich das Intensitätsprofil wieder einer Gaußverteilung an. Fokussierung von Laserstrahlen
Die Strahlformung erfolgt kurz vor der Bearbeitungsstelle und hat häufig die Fokussierung des Laserstrahls zum Ziel. Die Fokussierung erfolgt mit Hilfe von Spiegeln oder Linsen(-systemen) mit gekrümmten Oberflächen. In der Praxis muss zur Auslegung oder Auswahl von Optiken der Einfluss der Optik auf die Strahlkenngrößen ermittelt werden. Im Folgenden werden anhand Abb. 6.17 die wichtigsten Zusammenhänge für die Fokussie-
6.1 Grundlagen der Bearbeitung mit Lasern
235
rung eines Strahls unter Verwendung einer dünnen sphärischen Linse der Brennweite f vorgestellt. Unter Umständen ist in einem ersten Schritt die Brennweite der Linse nach Gl. 6-14 zu ermitteln: 1 f
§ 1 1 · ¸¸ , für dünne Linsen. © R1 R2 ¹
n 1 ¨¨
(6-14)
Anmerkung: Hierbei gilt folgende Konvention: R > 0, wenn der Mittelpunkt des Kreisbogens auf der optischen Achse in Propagationsrichtung liegt, z.B. Bikonvex-Linse: R1 > 0 und R2 < 0
Vorausgesetzt dass der Strahltaillenradius w0 und der Abstand der Strahltaille zur Linsenebene a vor der Fokussierung bekannt sind, lassen sich mit Hilfe der Gl. 6-15 und 6-16 der Strahltaillenradius w0* und der Abstand a* zur Linsebene nach Durchlaufen der Sammeloptik berechnen:
a*
f
f 2 a f
a f 2 z R2 w0 f
w0 *
a f 2 z R2
,
(6-15)
.
(6-16)
mit zR = ʌ·w0²·K / Ȝ (Gl. 6-5)
Für den Sonderfall, dass die Strahltaille vor der Fokussierung in der Brennebene der Linse liegt (a = f, vgl., Abb. 6.17) lässt sich Gl. 6-16 stark vereinfachen (Gl. 6-17). Gleiches gilt auch für den weitaus häufigeren Fall, dass die Fernfelddivergenz des zuvor kollimierten Strahls minimal bzw. der Strahltaillenradius des Rohstrahls groß ist. Dann ist die Rayleighlänge groß gegenüber dem Abstand zwischen Strahltaille und Brennebene (f - a << zR), so dass Gl. 6-17 als Näherung Gültigkeit erhält:
w0 *
w0 f für a = f oder zR >> a – f . zR
(6-17)
Mit Gl. 6-4 und den Umrechnungsformeln in Tabelle 6.1 folgt für den Strahltaillenradius im Brennpunkt der Linse:
w0*
f O w0 S K
f SPP . w0
(6-18)
236
6 Lasermaterialbearbeitung 2·w0 2·w0* ș0
ș0*
f
f
a
a*
Sonderfall: a = f 2·w0 2·w0*
ș0 ș0*
f=a
Typisch: zR >> a - f 2·w0
f = a*
ș0 2·w0* ș0*
f a
f a*
Abb. 6.17. Fokussierung eines Laserstrahls
Für große Rayleighlängen kann angenommen werden, dass sich der Strahldurchmesser innerhalb der Optik nicht ändert. Damit der Strahl durch die Optik nicht beschnitten wird, muss der Linsendurchmesser mindestens so groß wie der Strahldurchmesser sein. Versteht man unter DL den Strahldurchmesser des Strahls auf der Linse (DL = 2·w0) folgt die in der Fachliteratur häufig angeführte Formel zur Berechnung des Fokusdurchmessers DF (DF = 2·w0*):
6.1 Grundlagen der Bearbeitung mit Lasern
DF
4
f O DL S K
4
f SPP . DL
237
(6-19)
Etwas anschaulicher lässt sich Gl. 6-19 durch Betrachtung des fokussierten Strahlkegels in Bild 6.17 herleiten, denn es gilt: tan T 0 *
DL D bzw. T 0* | L für kleine Winkel T 0 * . 2 f 2 f
(6-20)
Wird die Fernfeldfelddivergenz ș0* mit Hilfe der Gl. 6-6 durch das Strahlparameterprodukt und den Fokusdurchmesser substituiert, folgt umgehend Gl. 6-19. Neben der Fokussierung erfüllen Strahlformungssysteme auch weitere Aufgaben, wie die Kollimation und Aufweitung des Laserstrahls. Unter Kollimation versteht man das Richten bzw. Parallelisieren der Strahlung, (z. B. nach Austritt aus der Lichtleitfaser) und unter Aufweitung das Vergrößern des Strahldurchmessers. Große Strahldurchmesser weisen eine geringere Divergenz auf als kleine, so dass sie sich zur freien Strahlführung besser eignen. Mittels Strahlaufweitung können zudem bei gleicher Brennweite kleinere Fokusdurchmesser realisiert werden (vgl. hierzu Gl. 6-19 mit DL,A > DL,B - bei gleicher Brennweite und Strahlqualität folgt DF,A < DF,B). Laserbearbeitungsoptiken und Handhabungssysteme
Die optischen Systeme zur Strahlformung erfüllen häufig weitere prozessspezifische Funktionen (z. B. Schutzgas- und Zusatzwerkstoffzuführung, integrierte Prozessüberwachung etc.), so dass im Allgemeinen von der Laser(bearbeitungs)optik oder im allgemeinen Sprachgebrauch auch von dem Laserkopf gesprochen wird. Aufgrund der Prozessnähe (z. B. 50 bis 200 mm) werden zum Schutz der teuren Linsen ebene Schutzgläser zwischen Optiken und Prozess platziert. Auch Crossjets zur Erzeugung von Luftströmungen quer zur Strahlachse dienen dem Schutz vor Verunreinigung durch den Prozess. Sie werden unmittelbar vor der Optik bzw. dem Schutzgas in den Laserbearbeitungskopf integriert. Zur Realisierung der Relativbewegung zwischen Werkstück und Laserstrahl können grundsätzlich alle bekannten Bewegungssysteme eingesetzt werden. Beispiele hierfür sind alle gängigen CNC-gesteuerten Mehrachssysteme (z. B. Koordinatentische und Portalanlagen), Roboter und Scannersysteme. Auch die manuelle Führung der Bearbeitungsoptik findet durchaus in der Praxis Anwendung. Die Anforderungen an die maschinellen Handhabungssysteme sind dabei sehr unterschiedlich und hängen
238
6 Lasermaterialbearbeitung
primär von der Gestalt des Werkstücks und der Art des Prozesses ab. Auf Basis der gesammelten Restriktionen muss ermittelt werden, welches Bewegungssystem sich am Besten eignet. Dabei können im Allgemeinen nur die in Tabelle 6.8 aufgezeigten Bewegungskonzepte zum Einsatz kommen. Tabelle 6.8. Bewegungskonzepte für die Relativbewegung zwischen Werkstück und Laser Konzept
Werkstück
Optik
1
stationär
bewegt
2
bewegt
stationär
3
bewegt
bewegt
Zur Auswahl eines geeigneten Handhabungssystems sind eine Fülle von Randbedingungen zu berücksichtigen. Kriterien, die hierbei von Bedeutung sind, können Tabelle 6.9 entnommen werden. Tabelle 6.9. Kriterien zur Auswahl von Handhabungsanlagen Geometrisch bedingte Anforderungen
Prozessbedingte Anforderungen
x Dimension der Relativbewegung x Beschränkungen hinsichtlich der Strahlzugänglichkeit x Spann- und Positionierkonzept x Schutzgasabschirmung x Länge der Verfahrwege x Materialflusslogistik (Gewicht und Größe)
x Führungsgenauigkeit x Prozessgeschwindigkeit x Strahlführungskonzept - Lichtleitfasersystem - Spiegelsystem x Richtungsabhängigkeiten - Zuführung von Zusatzwerkstoff oder Schutzgas - Verwendung von polarisiertem Laserlicht - Einsatz von Sensoren
Weiterführende Literatur zur Lasertechnik
Die dargelegten Inhalte stellen lediglich eine Kurzfassung der Lasertechnik-Grundlagen dar und haben daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Weitergehende Informationen können der entsprechenden Fachliteratur entnommen werden (z. B. [Eich03, Popr02, Popr05, Rofi04]).
6.2 Sicherheitsmaßnahmen bei der Lasermaterialbearbeitung
239
6.2 Sicherheitsmaßnahmen bei der Lasermaterialbearbeitung Für die Lasertechnik sind in Zukunft neue und erweiterte Aufgaben sowie Anwendungsfelder in der Materialbearbeitung zu erwarten. Da die speziellen Gefährdungen, die durch Laserstrahlung und ihre Anwendung entstehen, in der Regel nicht im bisherigen Erfahrungsbereich des Fertigungsund Betriebspersonals liegen, ist der Arbeitssicherheit und der Personalschulung besondere Beachtung zu schenken. Die europäische Norm Sicherheit von Lasereinrichtungen DIN EN 60 825-1 wurde für den vorschriftsmäßigen Einsatz von unterschiedlichen Lasern und Lasereinrichtungen herausgegeben [DINEN60825]. Außerdem hat die Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik BGFE zur Gewährleistung von Arbeitssicherheit und Umweltschutz eine Unfallverhütungsvorschrift „Laserstrahlung BGV B2“ ausgearbeitet [BGFE97]. Lasereinrichtungen können äußerst intensive, stark gebündelte Strahlung im Bereich des sichtbaren Lichtes oder im infraroten bzw. ultravioletten Spektralbereich erzeugen. Abhängig von Energie- bzw. Leistungsdichte, Wellenlänge, Einwirkdauer und Eigenschaften des Gewebes (Gewebeart, Pigmentierung, Durchblutung, Behaarung etc.) kann die Laserstrahlung Schädigungen durch thermische Beeinflussung, thermoakustische Wirkung oder photochemische Reaktionen erzeugen. Insbesondere für das Auge besteht die Gefahr irreparabler Schäden. 6.2.1 Gefahr für Auge und Haut
Die Wirkung von Laserstrahlung auf biologisches Gewebe beruht primär auf der Absorption der Strahlung (Abb. 6.18). Die absorbierte Energie führt in Abhängigkeit von physikalischen Parametern der Strahlungsquelle, wie Wellenlänge, Impulsdauer und Abbildungsgröße durch Erwärmung des Gewebes, durch thermoakustische Übergänge sowie durch photochemische Reaktionen zu unterschiedlichen Wechselwirkungen. Im Folgenden werden ausschließlich mögliche Gefahren aufgezeigt. Dennoch ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass in der Medizin Wechselwirkungen zwischen Laserstrahlung und organischem Gewebe durchaus gezielt eingesetzt werden. Zum Beispiel erlaubt das Schneiden oder Entfernen von krankhaftem oder fehlplatziertem Gewebe mit dem Laser ein besonders präzises Arbeiten bei gleichzeitiger thermischer Verödung der durchtrennten Blutkapillaren.
240
6 Lasermaterialbearbeitung
Absorption der Laserenergie
Umwandlung der absorbierten Energie in Wärme und deren Weiterleitung in das umgebende Gewebe
Ausbreitung der thermischen Front mit zunehmender Läison (cw-Betrieb oder lange Impulse)
Explosionsartige Verdampfung flüssiger Gewebebestandteile (kurze Impulse, hohe Intensität)
Abb. 6.18. Wirkung von Laserstrahlung auf biologisches Gewebe (nach DIN EN 60 825-1)
Bei Lasern im cw-Betrieb oder solchen mit langer Impulsdauer kann es durch den steigenden Wärmeeintrag auch im umgebenden Gewebe zu Denaturierung von Proteinen, zu Zellschäden und zu Verbrennungen kommen. Laser mit kurzen Impulsen und hoher Spitzenleistung können eine schnelle Temperaturzunahme der flüssigen Zellbestandteile bewirken, so dass diese gasförmig werden und dabei die Zellen explosionsartig zerreißen können. Die entstandenen Druckwellen können weitere mechanische Schädigungen hervorrufen [DINEN60825].
6.2 Sicherheitsmaßnahmen bei der Lasermaterialbearbeitung
241
Einige biologische Gewebe, wie z. B. die Netzhaut des Auges, können Schädigungen bei geringen Leistungen durch photochemische Prozesse erleiden, die entweder auf sehr lange anhaltende Bestrahlungsdauer oder auf kürzere Expositionen über einen längeren Zeitraum zurückzuführen sind. Das durch direkte, aber auch durch indirekte Strahlung am stärksten gefährdete Organ ist das Auge. Je nach Wellenlänge ist die elektromagnetische Strahlung in der Lage, das Auge vollständig zu durchdringen oder sie wird von den einzelnen Teilen (Hornhaut, Linse, Glaskörper, Netzhaut) in unterschiedlich starkem Maße absorbiert (Abb. 6.19). Aufgrund der fokussierenden Eigenschaften des Auges im Bereich des sichtbaren und nahen infraroten Wellenlängenbereiches kann die Leistungsdichte auf der Netzhaut um den Faktor 105 erhöht werden [Slin80]. Aus dieser Eigenschaft resultieren die höchst unterschiedlichen Gefährdungspotentiale der CO2-, der Nd:YAG- oder der Diodenlaserstrahlung. Während die Strahlung der CO2-Laser mit der Wellenlänge 10,6 µm von den vorderen Augenmedien absorbiert wird, tritt bei der Bestrahlung mit einem Dioden- (800 bis 960 nm) oder Festkörperlaser (1064 nm) der oben beschriebene Fokussiereffekt auf. Dies kann zu erheblichen, nicht heilbaren Sehstörungen bis hin zur Blindheit führen, wenn der Auftreffpunkt des Laserstrahls im Bereich der größten Sehschärfe oder der Übergangsstelle der Nervenfasern der Netzhaut zum Sehnerv liegt. Die Gefahr einer Schädigung des Auges ist aufgrund der Schwere der Folgen als wesentlich höher einzustufen als Schädigungen der Haut [Siek02]. Hautschädigungen können vom schwachen Sonnenbrand über schwere Blasenbildung bis zu Verkohlungen oberflächennahen Gewebes (bei kurzen Impulsen, hoher Energie) reichen. In Tabelle 6.10 sind die pathologischen Auswirkungen aufgrund übermäßiger Bestrahlung für das Auge und die Haut zusammengefasst [DINEN60825]. Für den Laserstrahlenschutz ist es notwendig, die Grenzen der für das Auge und die Haut noch tolerierbaren Strahlungsdosen (Schädigungsschwellen) zu definieren. Die Werte für die maximal zulässige Bestrahlung (MZB-Werte) sind für die Anwender so festgelegt, dass sie unterhalb der bekannten Gefahrenpegel liegen [Siek02]. MZB-Werte für Auge und Haut können mit Hilfe der DIN EN 60 825-1 oder der Unfallverhütungsvorschrift BGV B2 berechnet werden.
242
6 Lasermaterialbearbeitung
Gefahr droht aufgrund der hohen Intensität und Monochromie des Laserlichts im Vergleich zu diffusem Licht (z. B. konv. Lampen oder Sonnenlicht)
A
B
C
D
Im Allgemeinen keine Schädigung der Horn- Schädigung der Linse Schädigung des und Bindehaut (Katarakt) Auges (Keratokonjunktivitis)
A B C D
Strahlung
Wellenlängen -bereich / nm
Schädigung der Netzhaut
Laser(medien)
Röntgenstrahlung Ultraviolett-Strahlung UV-C
200
280
KrF (Excimerlaser)
UV-B
280
315
XeCl (Excximerlaser)
UV-A
315
400
N2
400
760
HeNe, Cr:Al2O3 (Rubinlaser)
IR-A
760
1400
Nd:YAG, Yb:YAG (Festkörperlaser), GaAlAs (Diodenlaser)
IR-B
1400
3000
Er:YAG (Festkörperlaser)
IR-C
3000
10000
CO2 - Laser
Sichtbares Licht VIS Infrarot-Strahlung
Mikrowellenstrahlung
Abb. 6.19. Absorptionseigenschaften des menschlichen Auges für elektromagnetische Strahlung
6.2 Sicherheitsmaßnahmen bei der Lasermaterialbearbeitung
243
Tabelle 6.10. Zusammenfassung pathologischer Effekte in Verbindung mit übermäßiger Lichteinwirkung nach DIN EN 60 825-1 CIE-Spektralbereich
Pathologische Schädigungen der Augen
Ultraviolett C (200 – 280 nm)
Pathologische Schädigungen der Haut
Erythem (Sonnenbrand) Photokeratitis (Hornhautentzündung)
Ultraviolett B (280 – 315 nm)
Beschleunigte Hautalterung Verstärkte Pigmentierung
Ultraviolett A (315 – 400 nm)
Photochemischer Katarakt (Grauer Star)
Sichtbares Licht (400 – 760 nm)
Photochemische und thermische Verletzung der Netzhaut
Infrarot A (760 – 1400 nm)
Katarakt, Verbrennung der Netzhaut
Infrarot B (1400 – 3000 nm)
Katarakt, wässrige Ausbuchtung, Verbrennung der Hornhaut
Infrarot C (3000 – 100000 nm)
Verbrennung der Hornhaut allein
Dunkelung von Pigmenten Photosensitive Reaktionen Verbrennungen der Haut
Verbrennungen der Haut
6.2.2 Schutzmaßnahmen
Der Laserbereich ist definiert als der Raum, in dem die maximal zulässigen Bestrahlungswerte (MZB) überschritten werden. Dieser Arbeitsbereich muss durch Laserwarnschilder sowie Warnleuchten über dem Eingangsbe-
244
6 Lasermaterialbearbeitung
reich gekennzeichnet und durch geeignete Schutzmaßnahmen gesichert werden, damit Unbefugte nicht unbeabsichtigt diesen Laserbereich betreten können [Eich03]. Eine Klassifizierung der Laseranlagen, ausgehend von den zulässigen Strahlungsgrenzwerten, soll für den Anwender die Gefährdung ersichtlich machen. Entsprechend der neuen Laserklassen schreibt die DIN EN 60 825-1 eine Beschilderung der Lasergeräte vor. Die Klassifizierung der neuen und alten Laserklassen wird im Folgenden in Tabelle 6.11 kurz beschrieben. Die apparativen, der Laserklasse entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen müssen vom Hersteller der Laseranlage durchgeführt werden. Ihr Vorhandensein sollte vom Benutzer beim Kauf einer Anlage kontrolliert werden. Bauliche und organisatorische Schutzmaßnahmen sind vom Benutzer der Anlage zu treffen. Die Gebäudewände müssen der Leistung der Laseranlage und damit der erhöhten Brandgefahr angepasst sein. Der Laserstrahl sollte grundsätzlich mit technischen Mitteln auf den vorhergesehenen Laserbereich beschränkt werden. Die für die Materialbearbeitung eingesetzten Laser werden aufgrund ihrer Leistung > 500 mW in die Klasse 4 eingeordnet. Die wichtigsten organisatorischen Maßnahmen sind die schriftliche Bestellung eines Sachkundigen als Laserschutzbeauftragten, die Unterweisung der Mitarbeiter und die Abgrenzung eines Laserbereiches. Die vertauschungssichere Zuordnung von Laserschutzbrillen in Abhängigkeit von der Wellenlänge der jeweiligen Laseranlage ist ebenfalls gefordert. Schutzbrillen für bestimmte Laser sind in der Norm DIN EN 207 klassifiziert und müssen dieser entsprechen [DINEN207]. Die Schutzbrillen müssen mit der Schutzstufe, der zulässigen Wellenlänge der Laserstrahlung sowie der erlaubten Laserbetriebsart (puls - pw oder kontinuierlich cw), gekennzeichnet werden. Da die Brille nur für die angegebene Wellenlänge schützt, ist die Verwechselung oder ein unzureichender Schutz der Augen gefährlich. Die Veranlassung zum Tragen von geeigneten persönlichen Schutzausrüstungen und deren Kontrolle gehören mit zu den organisatorischen Aufgaben. Neben den oben besprochenen anwendungsunabhängigen Schutzmaßnahmen sind bei der Lasermaterialbearbeitung weitere anwendungsspezifische Maßnahmen wie Abschirmungen oder automatische „Not-Aus“Schalter zu treffen. Diese sollen die aufgrund der hohen Laserleistungen und des Automatisierungsgrades erhöhten Gefahren wie Streustrahlung bzw. unkontrollierte Strahlbewegungen bei mehrachsigen Strahlführungssystemen herabsetzen.
6.2 Sicherheitsmaßnahmen bei der Lasermaterialbearbeitung
245
Tabelle 6.11. Aufteilung der Laserklassen nach DIN EN 60 825-1 Gefährdungsklasse
Definition der Gefährdungsklasse
Klasse 1
Die emittierte Laserstrahlung ist ungefährlich (Diese Laserklasse ist mit der alten Klasse 1 identisch)
Klasse 1M
Die Laserstrahlung ist ungefährlich, sofern keine optischen Instrumente eingesetzt werden. Hierunter fallen Laser mit divergenten Strahlen sowie mit kollimierten Strahlen mit großem Querschnitt. Das Symbol M steht für ‚Magnification’.
Klasse 2
Diese Laserklasse ist nur im sichtbaren Spektralbereich (400 bis 780 nm) definiert. Nur bei einer Bestrahlung von weniger als 0,25 s (Reaktionszeit für Lidschlussreflex) ist diese Laserstrahlung ungefährlich. (Diese Laserklasse ist mit der alten Klasse 2 identisch)
Klasse 2M
Diese Laserklasse ist nur im sichtbaren Spektralbereich definiert. Laser dieser Klasse sind bei einer Bestrahlung von bis zu 0,25 s ungefährlich.
Klasse 3R
Bei dieser Klasse sind die Ausgangswerte im sichtbaren Spektralbereich bei einer Bestrahlungszeit bis zu 25 s um Faktor 5 höher als die bei einem Laser der Klasse 2. Im nicht sichtbaren Bereich sind die Ausgangswerte bei einer Bestrahlungszeit bis zu 100 s um Faktor 5 höher als die bei einem Laser der Klasse 1. Das Symbol "R" heißt relaxiert.
Klasse 3B
Die emittierte Laserstrahlung ist gefährlich für das Auge und in besonderen Fällen auch für die Haut. (Diese Laserklasse ist mit der alten Klasse 3B identisch)
Klasse 4
Die Laserstrahlung ist sehr gefährlich für das Auge und die Haut. Auch diffuse Strahlung kann gefährlich werden. Außerdem kann die Strahlung Brand- und Explosionsgefahren hervorrufen. (Diese Laserklasse ist mit der alten Klasse 4 identisch)
246
6 Lasermaterialbearbeitung
6.2.3 Sekundäre Gefahren
Weitere GefahrenPotentiale liegen im Bereich der Verwendung von Hochspannung zur Anregung des Lasermediums (elektrische Gefahren) und durch toxische Gefährdung bei Zerstörung optischer Komponenten (Linsen). Durch direkte oder indirekte Bestrahlung feuergefährdeter Stoffe, Materialien und Bauteile besteht potenzielle Brandgefahr [Sutt89]. Die bei der Lasermaterialbearbeitung entstehenden Gase, Dämpfe und Stäube können zum einen gesundheitsgefährdend sein, zum anderen stellen diese eine Umweltbelastung dar, welche durch geeignete Maßnahmen reduziert werden soll. Im Bereich der Oberflächenbehandlung mit Laserstrahlung ist insbesondere bei Verwendung von pulverförmigen Zusatzwerkstoffen darauf zu achten, dass im Vergleich z. B. zu konventionellen Beschichtungsverfahren in der Regel feinere Kornfraktionen verwendet werden. Diese können je nach Korngröße unterschiedlich weit in die Atmungsorgane gelangen und zu Ablagerungen in der Lunge führen. Vom Atemtrakt zurückgehaltene Partikel können jedoch auch über den Nasen-Rachen-Raum in den Verdauungstrakt gelangen. Bei der Verarbeitung von Metallpulvern müssen die maximalen Arbeitsplatzkonzentrationen (MAK-Werte) und die technischen Richtkonzentrationen (TRK-Werte) berücksichtigt bzw. sicher eingehalten werden. Gegebenenfalls sind geeignete Schutzmaßnahmen (Atemmasken, Absauganlagen) zum Schutz des Bedienpersonals vorzusehen.
6.3 Technologie 6.3.1 Laserstrahlschneiden
Aufgrund der besonderen optischen Eigenschaften der Laserstrahlung nahezu parallele Ausbreitung, räumliche Kohärenz und gute Fokussierbarkeit - ist der Laserstrahl zum Schneiden unterschiedlichster Materialien geeignet. Für das Laserstrahlschneiden werden aufgrund der grundsätzlich hohen Anforderung an Strahlqualität und Laserleistungen nahezu ausschließlich CO2-Laser oder Festkörperlaser mit Laserleistungen von 1 bis 6 kW eingesetzt. Trotz einer im Vergleich zum Festkörperlaser (O § 1 µm) zehnfach längeren Wellenlänge erzielen moderne Hochleistungs-CO2Laser mit (O = 10,6 µm) aufgrund der deutlich besseren thermischen Verhältnisse (keine thermische Linsenwirkung des Wirtskristalls) eine höhere Strahlqualität als Hochleistungs-Festkörperlaser. Das dementsprechend kleinere Strahlparameterprodukt ermöglicht so eine Fokussierung
6.3 Technologie
247
auf kleinste Fokusdurchmesser bei gleichzeitig großen Schärfentiefen, so dass in der industriellen Anwendung überwiegend CO2-Laser (O = 10,6 µm) für das thermische Schneiden verwendet werden. Die Entwicklung diodengepumpter Stab-, Scheiben- und Faserlaserstrahlquellen ist verknüpft mit einer beachtlichen Erhöhung der Strahlqualität. Die damit einhergehende Möglichkeit zur Strahlführung mittels Lichtleitfaser und die bessere Absorption der kurzwelligeren Festkörperstrahlung durch metallische Oberflächen sind neben der ausreichenden Strahlqualität die wesentlichen Gründe für den verstärkten Einsatz von Festkörperlasern als Strahlquelle. Speziell für das Laserschneiden von 3D-Bauteilen können die Vorteile der Lichtleiterstrahlführung vorteilhaft eingesetzt werden. Im Vergleich zu den konventionellen thermischen Trennverfahren zeichnet sich das Laserstrahlschneiden durch eine schmale, nahezu senkrechte Schnittfuge, eine schmale Wärmeeinflusszone, eine hohe Bearbeitungsgeschwindigkeit und einen berührungslosen Schneidvorgang aus. Zudem können unterschiedlichste Werkstoffe und komplexe 3D-Konturen geschnitten werden (Tabelle 6.12). Tabelle 6.12. Merkmale des Laserstrahlschneidens Vorteile Hohe Leistungsdichte
x x x x x
Hohe Bearbeitungsgeschwindigkeit Geringe Wärmeeinflusszone Geringer Bauteilverzug Schmale Schnittfuge Kleine Radien
Berührungslose Bearbeitung
x x x
Kein Werkzeugverschleiß Bearbeitung instabiler Bauteile Einfache Werkstückhandhabung
Leichte Steuerbarkeit
x x x x
Geringe bewegte Massen Hoher Automatisierungsgrad Integration in flexible Fertigungssysteme 2D/3D – Konturbearbeitung
x x x x
Laserstrahlquelle Strahlführung und -formung Handhabung Steuerung
Nachteile Hohe Investitionskosten
Beim Zuschnitt von ebenen Bauteilen aus flächigen Halbzeugen werden in der Regel CNC-gesteuerte Schneidmaschinen mit 2-achsiger Handhabung eingesetzt. Komplexere räumliche Konturschnitte werden mit
248
6 Lasermaterialbearbeitung
3D-fähigen Bearbeitungsanlagen durchgeführt, die mindestens über 5 Bewegungsachsen verfügen. Die Fokussierung des Laserstrahls auf Durchmesser zwischen 0,1 und 0,5 mm (schematisch in Abb. 6.20 abgebildet) erfolgt im Leistungsbereich bis ca. 6 kW in der Regel durch Linsen. Spiegeloptiken sind im Vergleich zu den Fokussierlinsen thermisch und mechanisch stabiler und weisen keine so deutlichen Änderungen der Fokuslage bei raschen Leistungswechseln auf. Die aufwändige Justierung der Spiegel sowie der Astigmatismus bei der Fokussierung nicht achsparalleler Strahlung führen jedoch dazu, dass in der Schneidtechnik im Allgemeinen transmittierende Optiken zur Fokussierung eingesetzt werden. Der Schneidprozess entsteht durch die Überlagerung zweier gleichzeitig an der Prozessstelle ablaufender Teilvorgänge. Das Verfahrensprinzip beruht darauf, dass der fokussierte Laserstrahl an der Schneidfront innerhalb der Schnittfuge absorbiert wird und so die zum thermischen Trennen benötigte Energie ganz oder teilweise bereitgestellt wird. Zusätzlich wird durch die konzentrisch angeordnete Schneiddüse Prozessgas zugeführt. Das Prozessgas soll einerseits die Fokussieroptik vor Dämpfen und Spritzern aus dem Prozess schützen und andererseits den abgetragenen Werkstoff durch seine kinetische Energie aus dem Schnittspalt austreiben. In Abhängigkeit von der in der Brennebene erreichten Leistungsdichte (> 104 W/cm²) und zugeführten Prozessgasart stellen sich unterschiedliche Aggregatzustände ein. Wird der Fugenwerkstoff als Flüssigkeit, Oxidationsprodukt oder Dampf aus der Schnittfuge entfernt, sind die drei Verfahrensvarianten Laserstrahlschmelz-, Laserstrahlbrenn- und Laserstrahlsublimierschneiden zu unterscheiden [Herz93, Hüge92, Deck85, VDI93]. Die Ausbildung der Schnittfuge beim Laserstrahlschmelzschneiden erfolgt durch kontinuierliches Aufschmelzen und Ausblasen des Fugenwerkstoffs. Damit die für das Ausblasen erforderlichen hohen Strömungsgeschwindigkeiten erzielt werden, kommen besondere Aufsätze mit einer kleinen und zum Laserstrahl koaxialen Ausgangsöffnung zum Einsatz. Die Ausgangsöffnung wird kurz oberhalb des Werkstücks mit typischen Abständen in der Größenordnung von 1 mm platziert. Als Gase werden inerte oder zumindest reaktionsträge Gase verwendet, welche zur Aufgabe haben, die Schmelze auszublasen und gleichzeitig die Schnittflächen vor einer Reaktion mit dem Luftsauerstoff (Oxidation) zu schützen. Aus Kostengründen wird vorzugsweise Stickstoff, im Einzelfall aber auch ein Edelgas, wie Argon oder Helium, eingesetzt. Die Gasdrücke können Werte bis zu 20 bar (HIG-Schneiden, Hochdruck-Inertgas-Schneiden) erreichen.
6.3 Technologie Strahlführung/-formung mit Linse
vf
249
Strahlführung/-formung mit Spiegel
Laserstrahl
Laserstrahl
Fokussierlinse
Fokussierspiegel
Detailansicht D
Detailansicht D
Werkstück
Werkstück
Vorschubrichtung Laser
Vorschubrichtung Laser
vf
Detailansicht D Düse Laserstrahl vf Vorschubrichtung Laser Prozessgas Schneidfront Schmelzzone Schnittriefen Fugenwerkstoff Wärmeeinflusszone
Verfahrensvarianten Schmelzschneiden
Brennschneiden
Sublimierschneiden
Erschmelzen des Werkstoffs und Ausblasen der Schmelze aus der Fuge mittels inertem oder reaktionsträgem Gas (z. B. Aluminium)
Erwärmen des Werkstoffs auf Zündtemperatur und Verbrennen unter Sauerstoffzufuhr (z. B. Fe-Werkstoffe)
Erhitzen des Werkstoffs auf Verdampfungstemperatur und Ausblasen mittels inertem oder reaktionsträgem Gas (z. B. Kunststoffe)
Abb. 6.20. Prinzip und Verfahrensvarianten des Laserstrahlschneidens
250
6 Lasermaterialbearbeitung
Das Laserstrahlschmelzschneiden kommt vorzugsweise zum Einsatz, wenn z. B. bei Edelstählen oxidfreie Schnittkanten gefordert werden. Eine weitere Anwendung ist das Trennen von Aluminiumlegierungen und hochschmelzenden Nichteisenwerkstoffen, wie Titanlegierungen. Das Laserstrahlbrennschneiden ist das am häufigsten angewendete Laserschneidverfahren beim Trennen von Fe-Metallen. Dabei wird der Werkstoff, ähnlich wie beim autogenen Brennschneiden, auf Entzündungstemperatur erwärmt und durch Zugabe von Sauerstoff verbrannt. Es findet eine exotherme Reaktion zwischen dem Eisenwerkstoff und dem Schneidsauerstoff statt, die den Schneidvorgang in einem erheblichen Maße unterstützt, wodurch hohe Schneidleistungen realisiert werden können. Das entstehende Eisenoxid (Schlacke) wird vom Sauerstoffstrahl in flüssiger Form aus der Schnittfuge getrieben. Für die metallischen Werkstoffe kann im Vergleich zum Laserstrahlschmelzschneiden eine etwa 5- bis 10-fach höhere Schnittgeschwindigkeit erreicht werden. Bei Nichteisenmetallen reicht die Verbrennungswärme des Oxids unter Umständen nicht aus, um den Schneidprozess durch exotherme Reaktion wesentlich zu unterstützen. Darüber hinaus ist die Anwendung des Laserstrahlbrennschneidens auf die Metalle beschränkt, bei denen die Schmelztemperatur der entstehenden Oxide geringer ist als die des Werkstoffs. Nachteilig kann sich die an den Schnittflächen entstehende Oxidhaut auswirken. Trotzdem findet das Laserstrahlbrennschneiden ein breites Anwendungsfeld. Es kommt vorzugsweise beim Trennen von unlegierten und niedriglegierten Stählen, in Einzelfällen auch bei Edelstählen, zum Einsatz. Mit CO2-Laserstrahlquellen im Leistungsbereich bis 8 kW können beispielsweise un- und niedriglegierte Stähle bis zu einer Dicke von 20 mm getrennt werden. Das Laserstrahlsublimierschneiden ist durch das Verdampfen des Werkstoffs im Schnittfugenbereich und ein sofortiges Austreiben des Dampfs durch den inerten Schneidgasstrahl gekennzeichnet. Dies bedeutet, dass der Werkstoff direkt vom festen in den gasförmigen Aggregatzustand übergeht. Die hierbei entstehende - auch beim Laserstrahlschweißen zu beobachtende - Dampfkapillare ermöglicht ein tiefes Eindringen des Laserstrahls, was besonders bei Materialdicken oberhalb 2 mm zu einer Erhöhung der Schnittgeschwindigkeit beiträgt. Dieser Dampfkanal wird während der Bearbeitung entsprechend der gewünschten Kontur durch das Werkstück bewegt. Der Schneidgasstrahl hat beim Sublimierschneiden die Aufgabe, das verdampfte Material aus dem Schnittspalt zu blasen, bevor es an der Randzone wieder kondensieren kann. Gleichzeitig schützt dieser Gasstrahl - wie auch beim Laserstrahlschmelz- und -brennschneiden - die optischen Komponenten vor Materialpartikelspritzern.
6.3 Technologie
251
Das Laserstrahlsublimierschneiden umfasst im Wesentlichen die Bearbeitung von Werkstoffen, die keinen ausgeprägten schmelzflüssigen Phasenzustand besitzen wie z. B. die nichtmetallischen Werkstoffe Holz, Leder, Papier und Textilien sowie auch (homogene oder faserverstärkte) Kunststoffe [Tras91]. So hat sich zum Beispiel in der kunststoffverarbeitenden Industrie das Zuschneiden von Acrylglas mit CO2-Lasern als ein wirtschaftliches Verfahren durchgesetzt. Tabelle 6.13. Richtwerte für das Schneiden mit CO2-Lasern Werkstoff
vf /
m min
b / mm
t / mm
PL / W
1 2 4 6 8 8
1200 1200 1200 2250 2400 4000
8 5 3 2 1,6 2,2
0,15 0,15 0,25 0,30 0,35 0,40
2 4
2400 4000
6 3
0,30 0,40
6
1000
1,2
0,30
- Kupfer
2 4 4
2400 4000 4000
6 3 3
0,30 0,30 0,40
- Al2O3
6
1000
1,2
0,30
4 15 0,05 1 5 1 5 1
500 500 700 1000 500 500 1250 500
1,5 0,6 600 100 2,5 10 3,5 5
0,40 0,80 0,15 0,20 0,35 0,20 0,40 0,20
5 0,25 7
500 1250 50
4 400 1,5
0,35 0,20 0,40
Baustahl - S235JR
Rostfreier Stahl - X5CrNi18-10
Einsatzstahl - 16MnCr5
NE-Werkstoffe - Aluminium
Keramik Kunststoffe - ABS - PMMA - Folie - SFK-Aramid - GFK - CFK
Sonstige - Holz - Baumwollvlies - Karton
In Tabelle 6.13 sind t die Matetrialwandstärke, PL die mittlere Laserleistung, vf die Schnittgeschwindigkeit und b die resultierende Schnittfugenbreite.
Grundsätzlich ermöglichen industriell verfügbare CO2-Laserschneidanlagen mit Laserstrahlausgangsleistungen bis ca. 6 kW das Schneiden
252
6 Lasermaterialbearbeitung
von Stahl bis 20 mm Dicke. Der Haupteinsatzgebiet liegt jedoch im Materialdickenbereich bis etwa 8 mm. Die erreichbaren Schnittgeschwindigkeiten verhalten sich nahezu proportional zur Laserleistung und umgekehrt proportional zur Werkstückdicke. Bei zunehmendem Legierungsanteil tritt im Allgemeinen eine Abnahme der Schnittgeschwindigkeit ein. In Tabelle 6.13 sind exemplarisch einige Werkstoffe mit typischen Bearbeitungsparametern zusammengestellt. Die aufgeführten Ergebnisse wurden mit verschiedenen CO2-Laserstrahlschneidanlagen ermittelt. 6.3.2 Laserstrahlfügen
Das Laserstrahlfügen ist ein weiterer Anwendungsschwerpunkt beim Einsatz von Hochleistungslasern zur Materialbearbeitung. Aufgrund der guten Fokussierbarkeit sowie der Flexibilität können das Laserstrahlschweißen und das Laserstrahllöten gut in automatisierte Fertigungsabläufe integriert werden. Prinzipiell lässt sich das Laserstrahlschweißen in zwei Verfahrensvarianten einteilen (Abb. 6.21): das Wärmeleitungsschweißen und das Tiefschweißen. Tiefschweißen
Wärmeleitungsschweißen
Laserstrahl
Abströmender Metalldampf Laserinduziertes Plasma Dampf(plasma)kanal Schmelze Erstarrte Schmelze
Schmelze Erstarrte Schmelze
Schweißrichtung (Vorschubrichtung Laser)
Schweißrichtung (Vorschubrichtung Laser)
Abb. 6.21. Gegenüberstellung der Verfahrensvarianten: Wärmeleitungs- und Tiefschweißen
6.3 Technologie
253
Aluminium (Al) Eisen (Fe) Stahl
Absorptionsvermögen A / %
Kupfer
Diodenlaser 808, 940, 980 nm
Nd:YAG-Laser 1064 nm
CO2 -Laser 10,6 µm
30 25 20 15 10 5 0
0,1
0,2
0,4
0,5 0,8 1
2
4
6
8 10
20
Wellenlänge Ȝ / µm
Abb. 6.22. Absorptionskurven für Aluminium, Eisen, Stahllegierungen und Kupfer in Abhängigkeit der Strahlungswellenlänge [Schu98]
Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Verfahren besteht in der Strahlintensität und den daraus resultierenden Auswirkungen auf die Schweißnahtgeometrie [Clee87, Kohl88]. Eisenwerkstoffe mit technischen Oberflächen reflektieren die Laserstrahlung bis zu 95 % (Abb. 6.22). Bei Nichteisenmetallen wie Aluminium oder Kupfer ist der Reflexionsgrad noch größer (bis zu 99 %). Es wird also nur ein kleiner Teil der auftreffenden Strahlung, abhängig von der Wellenlänge, absorbiert und in Wärme umgewandelt. Bei Intensitäten im Arbeitsfleck von weniger als 106 W/cm2 ist nur ein Aufschmelzen von Werkstückoberflächen bzw. -kanten und damit ein Wärmeleitungsschweißen mit geringer Tiefenwirkung möglich. Die erreichbaren Einschweißtiefen betragen dabei ca. 0,5 bis 1 mm. Von weitaus größerer Bedeutung ist das sogenannte Tiefschweißen mit Intensitäten oberhalb von 106 W/cm2. Für die Einstellung der Prozessparameter ist hierbei von Bedeutung, dass es nach Abb. 6.23 einen kritischen Bereich gibt, den man möglichst meiden sollte. Der „Tiefschweißeffekt“ beruht darauf, dass der Werkstoff bei Intensitäten von I > 106 W/cm2 (vgl. Abb. 6.23) nicht nur lokal aufgeschmolzen, sondern auch teilweise verdampft wird.
254
6 Lasermaterialbearbeitung 3 kW (CO2 -Laser) 2 kW (CO2 -Laser) 1 kW (CO2 -Laser)
Schweißtiefe t / mm
5
Wärmeleitungs- Kritischer Tiefschweißen Übergangs- schweißen bereich
4
Vorschubgeschwindigkeit vf = 10 m/min
3 2 1 0 107
106
108
Intensität im Fokus I / (W/cm2 )
Abb. 6.23. Eindringtiefe in Abhängigkeit der Intensität im Brennfleck und der Laserausgangsleistung [Trum00]
Es entsteht ähnlich wie beim Elektronen- oder Plasmastrahlschweißen eine Dampfkapillare, die von einem Mantel aus schmelzflüssigem Material umgeben ist. Ein Verschließen der Kapillare wird durch den inneren (Metall-)Dampfdruck verhindert. Gleichzeitig bildet sich in der Kapillare ein laserinduziertes Metalldampfplasma aus, das die Laserstrahlung nahezu vollständig absorbiert und somit zu einer deutlich größeren Einschweißtiefe führt [Clee87]. Die Absorption der Laserstrahlung wird durch eine Mehrfachreflexion in der Dampfkapillare unterstützt. Zur Erzeugung einer Schweißnaht werden die zu verbindenden Teile und der Laserstrahl so zueinander bewegt, dass die Dampfkapillare entlang der Fügelinie durch den Werkstoff wandert. Hierbei wird an der Kapillarvorderseite kontinuierlich Material aufgeschmolzen und zum Teil verdampft, das an der Rückseite wieder zusammenfließt bzw. kondensiert und anschließend erstarrt. Auf diese Weise entsteht die für das Laserstrahlschweißen charakteristische schlanke Nahtgeometrie, die durch ein großes Aspektverhältnis (Tiefe/Breite ca. 5-25) gekennzeichnet ist [Clee87]. Die Vorteile des Tiefschweißens sind: schmale Schweißnähte, kleine Wärmeeinflusszonen, minimaler Bauteilverzug und gut reproduzierbare Arbeitsergebnisse [Dorn92].
6.3 Technologie
255
6,0 kW (CO2 -Laser)
Schweißgeschwindigkeit vf / (m/min)
2,0 kW (CO2 -Laser) 1,5 kW (CO2 -Laser)
20 15 10 5 0 0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
Schweißtiefe t / mm
Abb. 6.24. Zusammenhang zwischen Vorschubgeschwindigkeit und Eindringtiefe in Abhängigkeit der Laserleistung [Trum00]
Das Laserstrahlschweißen zeichnet sich gegenüber den konkurrierenden Verfahren, je nach zu verschweißender Blechdicke sind dies das WIG-, MAG-, MIG- oder UP-Schweißen, durch eine deutlich höhere Schweißgeschwindigkeit aus, die beim einlagigen Verschweißen von dicken Blechen (s > 10 mm) lediglich vom Elektronenstrahlschweißen übertroffen wird. Die in Abb. 6.24 dargestellten Prozesskennlinien zeigen die erreichbaren Schweißgeschwindigkeiten mit einem CO2-Laser in Abhängigkeit von der Blechdicke und dem Laserleistungsniveau. Der Laserstrahl wird bevorzugt zur Herstellung von Schweißverbindungen an Stumpf- (Abb. 6.25, links) und Parallel- bzw. Überlappstößen (Abb. 6.25, rechts) eingesetzt.
1 mm X5CrNi18-10 (Edelstahl)
1 mm
X5CrNi18-10 (Edelstahl)
1 mm
X5CrNi18-10 (Edelstahl)
X5CrNi18-10 (Edelstahl)
Laserleistung: 1200 W (Nd:YAG, Ȝ = 1064 nm, SPP = 25 mm·mrad), Brennweite: f = 150 mm Fokusdurchmesser: df § 375 µm, Intensität im Fokus: If § 1,25 106 W/cm2, Schutzgas: Argon
Abb. 6.25. Lasergeschweißter Stumpfstoß (links) und Parallelstoß (rechts)
256
6 Lasermaterialbearbeitung
Dabei ergeben sich aus der geringen Breite der Schmelzzone im Vergleich zu konventionellen Schweißverfahren erhöhte Anforderungen an die Nahtvorbereitung. Hierzu zählt zum einen die Einhaltung enger Toleranzen bei der Fügeteilherstellung und zum anderen die exakte Positionierung der Fügeteile zueinander. Dies ist insbesondere bei Stumpfstoßverbindungen, die in der Regel ohne Fügespalt und Zusatzwerkstoff geschweißt werden, von Bedeutung, um Schweißnahtfehler, wie Nahtrückfälle oder Kantenversätze zu vermeiden. Das Laserstrahlschweißen ist grundsätzlich zum Fügen von Bauteilen aus unlegierten, niedrig- und hochlegierten Stählen geeignet. Eine Einschränkung der Schweißeignung folgt dennoch aus der Härtbarkeit der Stähle. Sowohl das Volumenverhältnis von (heißer) Schmelze und (kaltem) Bauteil als auch der Wärmeenergieeintrag sind beim Laserschweißen minimal, so dass die Schmelze in kürzester Zeit erstarrt. Die durch Martensitbildung hervorgerufene Aufhärtung des Schmelzguts führt zu Spannungen in der Schweißnaht und im ungünstigsten Fall zur Rissbildung. Stähle mit Kohlenstoffgehalten unterhalb von 0,25 Gew.-% gelten daher als gut, Stähle mit Kohlenstoffgehalten von 0,25 bis 0,35 Gew.-% als bedingt und Stähle mit Kohlenstoffgehalten über 0,35 Gew.-% als besonders schwierig schweißbar [Trum00]. Durch eine geeignete Temperaturführung (Vorwärmung und langsame Abkühlung) beim Schweißen, das Auflegieren durch Verwendung von Zusatzwerkstoffen oder eine entsprechend angepasste Temperaturnachbehandlung (Glühen) können die Grenzen der Schweißbarkeit erweitert werden. Da verschiedene Legierungsbestandteile ebenfalls einen Einfluss auf die Härtbarkeit der Stähle haben, ist zur groben Abschätzung der Schweißeignung legierter Stähle der Kohlenstoffgehalt entsprechend der in der Literatur (z. B. in [Dilt95]) beschriebenen Formeln über das Kohlenstoffäquivalent zu bestimmen. Nichteisenmetalle wie Cobalt, Titan, Nickel und Nickelbasislegierungen lassen sich gut mit dem Laserstrahl schweißen, sofern durch einen ausreichenden Schutzgasstrom ein Werkstoffabbrand vermieden wird. Kupfer, Kupferlegierungen, Aluminium und Silber sind aufgrund ihres hohen Reflexionsgrades und ihrer guten Wärmeleitfähigkeit erst bei hohen Intensitäten (z. B. I 5·106 W/cm² für Aluminium) schweißbar [Kohl88, Schn88, Tiec89, Beye91]. In letzter Zeit wurden verstärkt Laserschweißhybridverfahren entwickelt, wobei der Laserstrahl mit einer konventionellen Schweißtechnologie, wie beispielsweise MIG zum kombinierten Einsatz kommt. Dabei werden die Vorteile beider Verfahren kombiniert und die Nachteile eliminiert. Einerseits erschließt diese Technologie neue Anwendungen, die aus den Synergieeffekten entstehen, andererseits substituiert es Anwendungen,
6.3 Technologie
257
die bisher jeweils einem der beiden Verfahren zugeordnet waren [Maie99, Wege04, Trom04]. Neben dem Laserstrahlschweißen, hält auch das Laserstrahllöten (Abb. 6.26) verstärkt Einzug in die industrielle Praxis [Bras99]. Löten ist ein thermisches Fügeverfahren, bei dem ausschließlich der Lotwerkstoff und nicht der Grundwerkstoff aufgeschmolzen wird [DIN8505a]. Es wird grundsätzlich zwischen Weichlöten (Liquidustemperatur des Lots: Tliq < 450°C), Hartlöten (450°C < Tliq < 900°C) und Hochtemperaturlöten (Tliq > 900°C) unterschieden [DIN8505b]. Sowohl artgleiche als auch artfremde Metalle können durch Auswahl eines geeigneten Lots gefügt werden. Zwischen Lot und Grundwerkstoff finden beim Hart- und Hochtemperaturlöten Platzwechselvorgänge statt, so dass atomare Bindungskräfte wirksam werden und zu festen Verbindungen führen [Dilt94]. Das Löten bietet gegenüber dem Schweißen den Vorteil, dass die Arbeitstemperatur verfahrensbedingt niedriger ist. Durch den Laserstrahl ist die Wärmeeinbringung lokal begrenzt, da die Wärmeenergie nahezu ausschließlich im Arbeitspunkt eingebracht wird. Außerdem sind mit den heute üblichen Laserleistungen (3 bis 4 kW) hohe Prozessgeschwindigkeiten möglich. Neben der verfahrensbedingt geringeren Arbeitstemperatur des Lötens wird die thermische Belastung der Bauteile gegenüber dem Schmelzschweißen reduziert. Die durch das Laserstrahllöten verursachte Werkstoffbeeinflussung sowie der Bauteilverzug ist gering und häufig können Richtoperationen völlig entfallen. Im Vergleich zu konventionellen Fügetechnologien stellt dies ein erhebliches Kosteneinsparungspotential dar [Herz93]. 1. Bauteil, Grundwerkstoff mit Ts,GW > Ts,LW
3
2. Lotdraht, Lotwerkstoff mit mit Ts,LW < Ts,GW und Drahtvorschubgeschwindigkeit vD
5
3. Drahtzufuhrdüse 4. Anstellwinkel
2
5. Laserstrahl mit IFokus < 106 W/cm2 7
4 6
8 1
6. Vorschubgeschwindigkeit (Werkstück) 7. Arbeitspunkt (schmelzflüssiger Lotwerkstoff) 8. Lötnaht (erstarrter Lotwerkstoff)
Abb. 6.26. Verfahrensprinzip des Laserstrahllötens
258
6 Lasermaterialbearbeitung
AlSi12 1 mm
1m
m
CuSi3
Stahl
AlMgSi1
Abb. 6.27. Laserstrahllötnähte: Überlappverbindung (rechts)
Aluminium-Bördelstoß
(links)
und
Stahl-
Auch beim Löten mit dem Laser werden schmale Verbindungsnähte erzeugt. Im Vergleich zum Schweißen entstehen seltener Poren, da der Prozess durch eine geringe Schmelzbaddynamik charakterisiert ist. Weniger oder keine Poren wirken sich entsprechend positiv auf die Nahtfestigkeit und -dichtigkeit aus. Die Oberfläche der Lötnähte ist typischerweise glatt mit nahezu tangentialen Übergängen zum Grundwerkstoff. Das Nahtaussehen kann daher höchsten Ansprüchen an die Optik der Verbindung genügen. Beispielsweise in der Automobilindustrie wird dieser Vorteil genutzt, da die Nähte einer zweiteiligen Heckklappe im direkten Sichtfeld des Kunden liegen [Schu04]. In Abb. 6.27 sind beispielhaft zwei durch Laserstrahllöten hergestellte Verbindungen gezeigt. Das Laserstrahlfügen stellt sowohl qualitativ als auch wirtschaftlich eine Alternative zu den konventionellen Verfahren dar. 6.3.3 Laserstrahloberflächenbehandlung
Die Verfahren der Laserstrahloberflächenbehandlung werden grundsätzlich in zwei Teilbereiche untergliedert [Heuv92]. Zu der Gruppe der thermischen Verfahren zählen das Laserstrahlhärten und -umschmelzen. Die zweite Gruppe umfasst die thermochemischen Verfahren, bei denen die Werkstoffeigenschaften nicht nur durch thermische Behandlung, sondern zusätzlich auch chemisch durch die Zugabe von Zusatzstoffen beeinflusst werden. Hierzu zählen die Verfahrensvarianten Laserstrahllegieren, -dispergieren und -beschichten. Eine Einteilung der Verfahren kann nach DIN 8580 für das Härten und Umschmelzen in die Hauptgruppe 6 „Stoffeigenschaft ändern“ und dort in die Untergruppe 6.1 „Stoffeigenschaft ändern durch Umlagern von Stoffteilen“ erfolgen. Legieren und Dispergieren sind der Untergruppe 6.2 „Stoffeigenschaft ändern durch Einbringen von Stoffteilchen“ zuzuordnen.
6.3 Technologie
259
Für das Beschichten kommen je nach Zusatzwerkstoffzufuhr die Untergruppen 5.2 „Beschichten aus dem flüssigen, breiigen oder pastenförmigen Zustand“ bzw. die Untergruppe 5.4 „Beschichten aus dem festen Zustand“ zur Einordnung in Frage [Will90]. Als Laserstrahlquellen zur Durchführung von Laserstrahloberflächenbehandlungen kommen vorwiegend CO2-, Nd:YAG- und Hochleistungsdiodenlaser der Leistungsklassen 1 bis 20 kW, 0,5 bis 4,5 kW bzw. 0,5 bis 6 kW zum Einsatz. Zum Aufheizen der Oberfläche wird der Brennfleck des Laserstrahls mit definierter Intensität und Einwirkzeit über die Werkstückoberfläche geführt. Die Laserstrahlung wird dabei abhängig von der Wellenlänge, den Materialeigenschaften und der Oberflächenbeschaffenheit des Werkstücks zu einem bestimmten Teil in den randzonennahen Bereichen der Oberfläche absorbiert. Im Brennfleck wird der Werkstoff durch die Absorption der Strahlung schnell aufgeheizt und hinter dem Brennfleck durch Selbstabschreckung über Ableitung der Wärme in das Werkstückinnere abgekühlt. Die Bearbeitung der Oberfläche erfolgt in der Regel in Bahnen, die mit oder ohne Überlappung nebeneinander angeordnet sind. Abhängig von dem angewendeten Verfahren, dem Grundwerkstoff und dem zugeführten Zusatzwerkstoff ergeben sich verbesserte Randschichteigenschaften bezüglich der mechanischen, tribologischen, thermischen und chemischen Eigenschaften der Oberfläche [Gass93]. Durch Änderung der Fokuslage und/oder der Laserleistung lässt sich die jeweils erforderliche Intensität einstellen. Die Einwirkzeit ergibt sich aus dem Fokus- bzw. Brennfleckdurchmesser und der Vorschubgeschwindigkeit. Typische Werte für das Laserstrahlhärten sind Intensitäten < 104 W/cm² und Einwirkzeiten zwischen 0,1 und 10 s. Mit Leistungsdichten >104 W/cm² und Einwirkzeiten > 0,01 s werden Stahlwerkstoffe im Oberflächenbereich aufgeschmolzen [Trep88]. Je nach Wahl der Prozessparameter kommt es zur Ausbildung einer Schmelz- und/oder Härtungszone. In Abhängigkeit vom Werkstoff und Wärmebehandlungszustand schließt sich noch eine mehr oder weniger stark ausgeprägte, wärmebeeinflusste Zone an. Die in Abb. 6.28 dargestellten Gefügeaufnahmen von Querschliffen zeigen typische Bearbeitungsergebnisse für die einzelnen Verfahren. Beim Laserstrahlhärten wird der Werkstoff bedingt durch die hohe Energiedichte des Laserstrahls schnell über die Austenitisierungstemperatur erhitzt. Die eingebrachte Wärmemenge wird anschließend in das Bauteilinnere abgeführt, wobei in der Regel die zur Martensitbildung erforderliche Abkühlgeschwindigkeit ohne Fremdkühlung erreicht wird (Selbstabschreckung) [Schm96].
260
6 Lasermaterialbearbeitung Thermische Verfahrensvarianten Härten
Umschmelzen
0,6 mm
0,6 mm
Thermochemische Verfahrensvarianten Dispergieren
Legieren
0,6 mm
0,6 mm
Beschichten
0,6 mm
Abb. 6.28. Verfahren der Laserstrahloberflächenbehandlung
Das Laserstrahlhärten kann grundsätzlich bei allen Stahl- und Gusseisenwerkstoffen angewendet werden, die einen für die Martensitbildung ausreichenden Kohlenstoffgehalt (> 0,3 %) aufweisen. Aus der Gruppe der Stahlwerkstoffe eignen sich insbesondere diejenigen Legierungen, die aufgrund ihrer Legierungszusammensetzung auch bei niedrigeren Abkühlgeschwindigkeiten noch vollständig martensitisch umgewandelt werden können. Zu den wesentlichen Vorteilen des Laserstrahlhärtens gegenüber den konventionellen Randschichthärteverfahren, wie Induktions- oder Flammhärten, gehören die verzugsarme und gut reproduzierbare Erzeugung von partiellen Härtezonen sowie die geringe thermische Belastung des Grundwerkstoffs. Hierdurch kann auf eine Endbearbeitung im harten Zustand in der Regel verzichtet werden [Schm96]. Um bei unterschiedlichen Bauteilgeometrien den Laserstrahlhärteprozess schnell einstellen zu können und reproduzierbare Ergebnisse zu erzielen, wird die Temperatur im Allgemeinen geregelt. Zur Messung der Ist-Temperatur werden Pyrometer verwendet. Die Stellgröße ist die Laserleistung. Bei temperaturgeregelten Prozessen ist auch das Härten filigraner Bauteilkonturen ohne das Anschmelzen der Oberfläche möglich. Beim Laserstrahlumschmelzen wird in der Bauteilrandschicht ein homogenes und feinkörniges Gefüge erzeugt, das sich durch hohe Festigkeit bei gleichzeitiger Zähigkeit auszeichnet. Je nach Prozessführung, insbesondere durch die Abkühlbedingung, kann das Gefüge gezielt eingestellt
6.3 Technologie
261
werden. Zur Anwendung kommt das Umschmelzen vorwiegend bei Gusswerkstoffen [Heuv92, Köni94a]. Ziel des Laserstrahllegierens ist die gezielte Veränderung der Randzone durch Legierungselemente. Wichtig ist dabei eine möglichst homogene Durchmischung von Grund- und Zusatzwerkstoff. Der Zusatzwerkstoff wird mit dem Grundwerkstoff durch Konvektions- und Diffusionsvorgänge im Schmelzbad vermischt. Als Zusatzwerkstoffe werden zur Erhöhung der Verschleißfestigkeit von Stahlwerkstoffen und Gusseisen Werkstoffe gewählt, die aufgrund ihrer Affinität zum Kohlenstoff die Karbidbildung unterstützen oder die Kaltverfestigungsneigung des Substrats erhöhen. Diese können entweder als Reinelemente, wie z. B. Cr, W, Mo, V, Mn und C, oder als Metallkarbide dem Prozess zugeführt werden. Zur Verbesserung der Warmverschleißeigenschaften werden Zusatzwerkstoffe auf Metallkarbidbasis wie z. B. WC/Co und WC/Co/Cr eingesetzt [Köni94a]. Zur Erhöhung des Korrosionsschutzes werden Cr und Ni zulegiert. Bei Aluminiumwerkstoffen können Verbesserungen der Randschichteigenschaften durch das Einbringen von Elementen erreicht werden, die intermetallische Phasen bilden. Zusatzwerkstoffe in gasförmigem Zustand werden für das Gaslegieren verwendet. So wird z. B. Stickstoff in Titan bzw. Titanlegierungen eingebracht, um eine TiN-haltige Randschicht zu erzeugen [Gass93]. Das Laserstrahldispergieren stellt eine Sonderform des Laserstrahllegierens dar. Im Gegensatz zum Legieren werden beim Dispergieren Zusatzwerkstoffe im festen Zustand dem flüssigen Substratwerkstoff zugeführt. Ziel der Behandlung ist es, die Hartstoffpartikel möglichst homogen in den Grundwerkstoff einzubringen. Übliche hochschmelzende bzw. lösungsträge Zusatzwerkstoffe zum Dispergieren sind TiC, TaC, VC, WC und SiC sowie verschiedene Oxide und Nitride [Heuv92, Gass93, Kirn95]. Zum Einsatz kommt das Laserstrahllegieren zur Verbesserung der Warmfestigkeit und Verschleißbeständigkeit von Warmarbeitswerkzeugen. Laserstrahldispergierte Schichten zeichnen sich durch einen erhöhten Widerstand gegen abrasiven Verschleiß aus. Beim Laserstrahlbeschichten besteht das Ziel darin, eine artreine, gut haftende Schicht auf dem Substratwerkstoff zu erzeugen. Hierzu wird die Prozessführung so ausgelegt, dass der Zusatzwerkstoff möglichst vollständig aufgeschmolzen wird, während der Grundwerkstoff lediglich in einer schmalen Randzone zur Erzeugung einer schmelzmetallurgischen Verbindung in die flüssige Phase überführt wird. Die Durchmischung von Grundund Zusatzwerkstoff ist beim Laserstrahlbeschichten im Idealfall äußerst gering [Heuv92]. Zum Beschichten können grundsätzlich solche Zusatzwerkstoffe verwendet werden, die auch bei der Erzeugung von Schutzschichten mit anderen Beschichtungstechniken, z. B. dem Auftragschwei-
262
6 Lasermaterialbearbeitung
ßen, zum Einsatz kommen. Hierzu zählen sowohl Hartlegierungen auf Kobalt-, Nickel- oder Eisenbasis als auch Werkstoffgemische mit hohen Hartstoffgehalten, wie z. B. Wolframkarbid-Kobalt und AluminiumWolframkarbid [Heuv92, Tang93]. Zweistufiger Prozess 1. Auftrag des Zusatzwerkstoffs 2. Einschmelzen mittels Laserstrahlung Schutzgas Auftragsarten • Plamaspritzen • Flammspritzen • Galvanik • Auflegen von Folien
Hochleistungsdiodenlaser
Laserstrahl legierte Zone
Spritzschicht
Werkstück Vorschubrichtung Werkstück Einstufiger Prozess Simultane Zufuhr des Zusatzwerkstoffs in Form von: • Pulver • Draht • Paste • Gas
Pulver (innen)
Hochleistungsdiodenlaser
Schutzgas (außen)
Laserstrahl
legierte Zone
Werkstück Vorschubrichtung Werkstück
Abb. 6.29. Prozessvarianten zum Einbringen der Zusatzwerkstoffe
6.3 Technologie
263
Die Zusatzwerkstoffe können auf zwei verschiedene Arten in den Prozess eingebracht werden (vgl. Abb. 6.29). Bei der einstufigen Prozessführung wird der gas-, draht-, pasten-, band-, oder pulverförmige Zusatzwerkstoff direkt dem vom Laser erzeugten Schmelzbad zugeführt. Wird der Zusatzwerkstoff in einem ersten Arbeitsgang beispielsweise mittels thermischer Spritzverfahren, galvanischer Beschichtungstechnik, Auflegen von Folien oder Siebdruckverfahren auf das Bauteil aufgetragen und anschließend mit dem Laserstrahl eingeschmolzen, spricht man von der zweistufigen Prozessführung [Herz92, Schm96]. Zumeist kommen aufgrund ihrer Verfügbarkeit und einfachen Handhabbarkeit pulverförmige Zusatzwerkstoffe zum Einsatz. Um unter anderem auf die Vorbeschichtung des Grundwerkstoffs mit dem Zusatzwerkstoff verzichten zu können, werden die Pulver mittels eines pneumatischen Pulverfördersystems über eine Düse in das Schmelzbad eingebracht [Heuv92, Shen94, Kirn95]. Als Trägergase kommen in der Regel Argon, Helium oder Stickstoff in Betracht. An das Pulverfördersystem werden hohe Anforderungen bezüglich der Realisierung einer reproduzierbaren, pulsationsarmen und genau dosierbaren Pulver-Gas-Strömung gestellt. Darüber hinaus ist für das Legieren und Dispergieren die Förderung sehr geringer Pulvermassenströme im Bereich von 0,1 g/min erforderlich. Die Strömungsgeschwindigkeit des Zusatzwerkstoffmassenstroms muss dabei einerseits so gering sein, dass eine zu große Streuung der Partikel sowie Turbulenzen an der Bearbeitungsstelle vermieden werden, andererseits ist eine bestimmte Geschwindigkeit der Partikel zum Durchdringen der Schmelzbadoberfläche notwendig [Herz92, Gass93, Kirn95]. Ein entscheidender Vorteil, den die Laserstrahloberflächenbehandlungsverfahren gegenüber konventionellen Oberflächenbehandlungsverfahren besitzen, ist die einfache Integrierbarkeit in bestehende Fertigungsketten und Maschinen. So kann zum Beispiel durch die Integration eines Hochleistungsdiodenlasers in eine Drehmaschine eine Komplettbearbeitung bestehend aus Weichbearbeitung, Laserstrahlhärten oder -beschichten und Hartbearbeitung in einer Aufspannung erfolgen. 6.3.4 Laserstrahlabtragen
Eine Entwicklung auf dem Gebiet der Lasermaterialbearbeitung ist das Laserstrahlabtragen. Das thermische Abtragen mit dem Laser ist nach DIN 8580 den trennenden Fertigungsverfahren zuzuordnen. Beim Abtragen mit Laserstrahlung wird Material mittels thermischer Energie von der Bauteiloberfläche entfernt, wobei das entfernte Material gleich oder verschieden vom Grundmaterial sein kann. Je nach Anwendungsgebiet und
264
6 Lasermaterialbearbeitung
verwendetem Lasersystem existieren dabei vier unterschiedliche Abtragmechanismen, welche in Tabelle 6.14 dargestellt und im Folgenden beschrieben werden. Tabelle 6.14. Verfahrensvarianten des Laserabtragens und typische Abtragraten und Oberflächenrauheiten bei Stahl Abtragverfahren
Abtragrate [mm³/min]
Oberflächenrauheit R z [µm]
Laserstrahlquelle
> 1000
50 - 100
CO2-Laser
Laserstrahloxidabtragen
> 10
20
CO2-Laser
Excimerabtragen
< 0,1
<1
Excimerlaser
Sublimationsabtragen
< 10
>1
Gepulste Festkörperlaser
Laserstrahlschmelzabtragen
Bei allen Laserstrahlabtragverfahren wird ein fokussierter Laserstrahl auf die Bauteiloberfläche gerichtet, wobei durch Absorption in der randzonennahen Oberfläche die Laserenergie in thermische Energie umgewandelt wird (ausgenommen Excimer). Der Wirkungsgrad dieser Umwandlung wird durch den Absorptionsgrad des Werkstoffs in Abhängigkeit von der genutzten Laserstrahlwellenlänge, der Oberflächenrauheit, dem Einstrahlwinkel und der Temperatur bestimmt. Durch die thermische Energie wird ein Abtragen des Werkstoffs ermöglicht. Die unterschiedlichen Abtragmechanismen werden dabei durch die Verwendung von verschiedenen Laserstrahlquellen, Strahlformen und zusätzlichen Hilfsmitteln beeinflusst. Beim Laserstrahlschmelzabtragen wird der abzutragende Werkstoff durch den an der Bauteiloberfläche fokussierten Laserstrahl erwärmt und in der schmelzflüssigen Phase durch einen über eine koaxiale Düse zugeführten Prozessgasstrom von der Bearbeitungsstelle entfernt. Dabei breitet sich das Material an der Schmelzoberfläche mit einer sehr hohen Geschwindigkeit aus, welche im Grenzfall Schallgeschwindigkeit annimmt. Durch den Verdampfungsprozess entsteht ein Rückstoß auf die Schmelzoberfläche, der zusammen mit dem Dampfdruck des Materialdampfs über der Schmelze wie ein Kolben auf die am Bohrungsgrund befindliche Schmelze drückt [Popr02]. Dadurch wird die Schmelze von der Bauteiloberfläche gedrückt. Der Druck, der dabei auf die Oberfläche wirkt, bestimmt die Effektivität des Austriebs und damit die Schmelzfilmdicke. Unterstützend wird der Bearbeitungskopf relativ zur Bearbeitungsoberfläche geneigt, um ein gerichtetes Austreiben des Schmelze von der Bearbei-
6.3 Technologie
265
tungsstelle zu erreichen (Abb. 6.30, links). Durch den Einsatz von Sauerstoff als Prozessgas wird die Stahlschmelze partiell oxidiert. Die exotherme Reaktion liefert dabei einen zusätzlichen Energiebeitrag, gleichzeitig wird der Absorptionsgrad an der Prozessstelle erhöht und die Viskosität der Schmelze erniedrigt, wodurch der Schmelzaustrieb erleichtert wird. Die Gefahr eines unkontrollierten Materialabbrands kann durch Beimischung von inerten Gasen vermieden werden. Beim Laserstrahlschmelzabtragen von Stahlwerkstoffen werden relativ hohe Abtragraten über 1000 mm³/min erzielt. Die hierbei erzeugten Oberflächen haben typischerweise eine gemittelte Rautiefe R z von 50 bis 100 µm [Beye94]. Als Nachteil ist zu berücksichtigen, dass bei diesem Prozess aufgrund von unvollständig ausgetriebenem Material Schmelzrückstände auf der Bauteiloberfläche verbleiben können, die gegebenenfalls durch einen zusätzlichen Nachbearbeitungsschritt entfernt werden müssen. Eine andere, ähnliche Variante des Laserstrahlabtragens ist das Laserstrahloxidabtragen. Hierbei wird der Stahlwerkstoff in der schmelzflüssigen Phase durch Verwendung von Sauerstoff als Prozessgas nahezu vollständig oxidiert. Die sich bildende Oxidraupe hebt sich bei geeigneter Prozessführung aufgrund der in der Abkühlphase induzierten Spannungen selbständig von der Abtragspur ab (Abb. 6.30, rechts). Ein Abtransport von schmelzflüssigem Material mittels einer gezielten, intensiven Gasströmung wie beim Schmelzabtragen ist nicht nötig. Das Laserstrahloxidabtragen eignet sich besonders für das Schlichten, wobei hier gemittelte Rautiefen von R z = 20 µm erzielt werden. Bei Stahlwerkstoffen werden typische Abtragraten von 10 mm³/min [Beye94] erreicht.
Laserstrahlschmelzabtragen
Laserstrahloxidabtragen
Abb. 6.30. Prozessbilder: Laserstrahlschmelzabtragen und Laserstrahloxidabtragen (Fraunhofer ILT)
266
6 Lasermaterialbearbeitung
Beim Laserstrahlschmelzabtragen und -oxidabtragen reichen die Dicken der abzutragenden Schichten je nach Abtragaufgabe von wenigen Mikrometern bis in den Millimeterbereich, wobei größtenteils Stahlwerkstoffe bearbeitet werden. Als Hauptanwendungsgebiet dieser beiden Verfahren ist die Bearbeitung von großen zusammenhängenden Flächen zu nennen. In diesem Zusammenhang sind beispielsweise das Entlacken von Flugzeugaußenhäuten, die Vorbehandlung von Klebeflächen oder das Entfernen von Zunderschichten und Verunreinigungen zur Verbesserung der Korrosionsbeständigkeit von Chrom-Nickel-Stählen zu nennen. Aufgrund der geforderten Strahlintensitäten und -qualitäten werden bei diesem Verfahren größtenteils CO2- und Nd:YAG-Laser eingesetzt. Beim Excimerabtragen kommt der Excimerlaser „excited dimer“ zum Einsatz, der wie der CO2-Laser als laseraktives Medium ein Gas verwendet. Excimerlaser sind Pulslaser, deren Pulsenergie und Wellenlänge von der Gaszusammensetzung abhängig sind. Es können Wellenlängen im ultravioletten Bereich erzeugt werden. Beim Excimerverfahren erfolgt der Materialabtrag nicht wie bei den anderen Laserverfahren über Absorption, sondern über eine photolytische Wechselwirkung. Dabei werden die metallischen Bindungen des Werkstücks aufgebrochen und das gelöste Material mittels zusätzlicher Gase aus der Bearbeitungsstelle getrieben. Dadurch verbleibt kaum Restmaterial an der Bearbeitungsstelle und die Werkstückoberfläche wird während der Bearbeitung kaum thermisch beeinflusst [Gedr92]. Der Bearbeitungslaserstrahl wird beim Excimerverfahren über eine Maske auf die Bauteiloberfläche projiziert (Maskenverfahren nach Abb. 6.31). Dementsprechend ist die Auflösungsgenauigkeit bzw. die minimale Strukturgröße in der Abbildungsebene sehr hoch. Daher wird der Excimerlaser bevorzugt zum Strukturieren im Mikro- und Nanobereich eingesetzt. Abbildungsebene
Maske Fokussieroptik
Laserstrahl
Abb. 6.31. Prinzip des Maskenverfahrens [Herz93]
6.3 Technologie
267
Jedoch erreichen die Excimerlaser selbst bei hohen Pulswiederholungsraten nur eine geringe mittlere Leistung, so dass beim Abtragen geringe Abtragtiefen und somit lange Bearbeitungszeiten vorliegen. Die Masken müssen für jede Struktur speziell angefertigt werden, wodurch dieses Verfahren sehr unflexibel ist. Aufgrund der hohen Anfertigungs- und Reparaturkosten der Masken und der hohen Anschaffungs- und Unterhaltskosten des Excimerlasers wird das Verfahren nur für spezielle Anwendungen, wie z. B. die Lithographie, eingesetzt. Mittels der kurzen Wellenlänge des Excimerlasers können neben den Stahlwerkstoffen auch keramische Werkstoffe und Kunststoffe bearbeitet werden. Das am häufigsten angewendete Laserstrahlabtragverfahren ist das Sublimationsabtragen, bei dem durch gepulste, fokussierte Laserstrahlung ein paraboloidförmiger Abtrag auf der Werkstückoberfläche pro Laserpuls erzeugt wird. Aufgrund der hohen Pulsspitzenleistungen wird der Werkstoff durch Sublimation von der Bauteiloberfläche entfernt, und es entsteht ein kraterartiges Näpfchen, welches dem negativen Abbild des Laserstrahlprofils weitgehend entspricht (Abb. 6.32). Die Geometrie eines Näpfchens wird hinsichtlich des Durchmessers und der Tiefe primär von den thermisch-mechanischen Eigenschaften des Materials und den gewählten Optiken sowie den Prozessparametern, wie z. B. Laserstrahlintensität, Wellenlänge und Pulslänge, beeinflusst. Durch Mehrfachpulsung an einer Stelle oder durch Zusammensetzung mehrerer Pulse nebeneinander können höherwertige, geometrische Strukturen bzw. ein flächiger Abtrag realisiert werden. +12
25 µm
0
50 µm µm
-12
Abb. 6.32. Durch Einzelpulse sublimierte Mikrostrukturen: Bild links: REMAufnahme einer vollständigen Sublimation; Bild rechts: WeißlichtinterferometerAufnahme einer unvollständigen Sublimation mit Schmelzaufwurf
268
6 Lasermaterialbearbeitung
Laserstrahl
Plasmawolke
Schmelzpartikel
Schmelzkranz
Dampf
Grundwerkstoff
Schmelze
Abb. 6.33. Prinzip des Sublimationsabtrags
Der Sublimationsabtrag lässt sich folgendermaßen beschreiben (Abb. 6.33): Der gepulste Laserstrahl wird durch ein Linsensystem auf die Bauteiloberfläche fokussiert. Der Laserstrahl wird in der randzonennahen Oberfläche absorbiert und es erfolgt eine Umsetzung der Laserstrahlenergie in thermische Energie. Somit wird der Grad der nutzbaren Laserenergie für den Materialabtrag maßgeblich durch die Absorptionseigenschaften der Bauteiloberfläche bestimmt. Bei ausreichender Strahlintensität (absorbierte Laserleistung bezogen auf den Fokusdurchmesser) erfolgt eine Phasenumwandlung des Werkstoffs direkt vom festen in den gasförmigen Zustand, wobei der Materialaustritt durch den Gasdruck des sublimierten Materials erfolgt. Die für einen vollständigen Sublimationsabtrag erforderlichen Intensitäten sind stark vom Werkstoff abhängig, wobei für die Sublimation von Eisen (Fe) eine Strahlintensität von I > 3,4·109 W/cm2 notwendig ist [Popr02]. Falls die nutzbaren Strahlintensitäten zu gering sind, erfolgt ein hybrider Materialabtrag (Kombination aus Sublimations- und Schmelzabtrag). Dieser ist durch Schmelzrückstände am Strukturrand gekennzeichnet (Abb. 6.32, rechts). Je nach Anwendungsfall müssen die Schmelzrückstände durch einen nachgeschalteten Bearbeitungsschritt entfernt werden, welches eine Erhöhung der Fertigungszeit und somit der -kosten zur Folge hat. Derzeit werden vor allem lampen- bzw. diodengepumpte Festkörperlaser für den Sublimationsabtrag eingesetzt. Diese können im Pulsmodus betrieben werden, wodurch hohe Strahlintensitäten bereitgestellt werden können. Weiterhin verfügen sie über einen TEM00 - Mode und je nach Aufbau über eine Strahlqualität mit nahezu M2 = 1. Sie besitzen eine Grundwellenlänge von 1064 nm. Durch Frequenzmodulation können auch andere Wellenlängen erzeugt werden, wodurch das zu bearbeitende Werkstoffspektrum deutlich erhöht werden kann. Stahl, Glas, Keramik und Kunststoffe lassen sich so bearbeiten. Aufgrund ihres inneren Aufbaus können Pulslängen von bis zu 5 ns und länger erzeugt werden.
6.3 Technologie
269
Der Abtragprozess wird maßgeblich durch die zur Verfügung stehende Strahlintensität beeinflusst. Je höher die Strahlintensität ist, desto mehr Material wird abgetragen und desto geringer ist die Erzeugung von Schmelze. Durch eine Verringerung der Pulslänge und des Fokusdurchmessers bzw. durch eine Erhöhung der Laserleistung kann die Strahlintensität vergrößert werden. Da die Veränderung des Fokusdurchmessers Auswirkungen auf die erzielbaren Strukturgrößen hat, kann bei konkreten Aufgabenstellungen der Fokusdurchmesser meist nicht variiert werden. Daher muss eine Erhöhung der Strahlintensitäten durch eine Verkürzung der Pulslänge oder durch eine Erhöhung der Laserenergie erfolgen, um die Leistungsfähigkeit des Prozesses steigern zu können. Untersuchungen haben gezeigt, dass insbesondere die Pulslänge entscheidenden Einfluss auf die Erzeugung von Schmelzrückständen hat. Durch kurze Pulslängen können die Schmelzrückstände nahezu unterbunden und die thermisch bedingten Materialschädigungen im Näpfchengrund vermieden werden. Deshalb werden derzeit Laserstrahlquellen mit Pulslängen im fs- und ps-Bereich entwickelt. Aufgrund der derzeit noch verminderten Laserstrahlenergien und den daraus resultierenden geringen Abtragraten werden diese Lasersysteme meist zu Forschungszwecken eingesetzt. Das Sublimationsverfahren mit Pulslängen größer als 5 ns wird größtenteils zum definierten Mikroabtrag von geometrisch bestimmten Strukturen eingesetzt, wobei die minimalen Strukturgrößen standardmäßig in einem Bereich von 5 bis 10 µm liegen. Hauptanwendungsfelder sind das Beschriften, Strukturieren und Bohren von planaren Bauteiloberflächen. Im Werkzeug- und Formanbau werden z. B. bei der Herstellung von Werkzeuggravuren Abtragraten (Stahl) von bis zu 10 mm3/min bei einer Oberflächengüte von R z < 5 µm erzielt. 6.3.5 Laserunterstützte Bearbeitung
Neue Perspektiven für den Einsatz des Lasers in der Fertigung ergeben sich in der Warmbearbeitung. Hier werden hochfeste bzw. hochwarmfeste Legierungen auf Fe-, Co-, Ni- und Ti-Basis sowie Hochleistungskeramiken bearbeitet. Bei der laserunterstützten Bearbeitung wird Laserenergie parallel mit anderen Wirkenergien zur Formgebung verwendet. Damit werden die Formgebungsmöglichkeiten deutlich erweitert.
270
6 Lasermaterialbearbeitung
Laserunterstützte Zerspanung
Unter dem Begriff Warmzerspanen werden alle Fertigungsverfahren (Drehen, Fräsen, Stoßen/Hobeln, Bohren) zusammengefasst, bei denen der durch eine äußere Wärmezufuhr erwärmte Werkstoff spanend bearbeitet wird. Grundlegende Voraussetzung für eine erfolgreiche Warmzerspanung ist die Abnahme der Werkstofffestigkeit bei erhöhter Temperatur. Sowohl bei metallischen Werkstoffen, wie zum Beispiel Titan- und Nickelbasislegierungen, als auch bei nichtmetallischen Sinterwerkstoffen, wie Siliziumnitridkeramik, erfolgt nach Überschreiten einer bestimmten Mindesttemperatur ein maßgeblicher Festigkeitsabfall. Ähnliches gilt für hochfeste Werkzeugstähle und Hartlegierungen auf Co-Basis (Stellite). Bei der laserunterstützten Zerspanung wird der Werkstoff mit Hilfe eines Laserstrahls lokal (partiell) im Spanungsquerschnitt unmittelbar vor dem Schneidwerkzeug während der Zerspanung kontinuierlich erwärmt. Die in der Werkstückoberfläche absorbierte Energie führt zu einem raschen Temperaturanstieg in einer oberflächennahen Randzone des Werkstücks. Zielsetzung ist, die Festigkeit des Werkstoffs in der Scherebene herabzusetzen und dadurch die Zerspanbarkeit des Werkstoffs deutlich zu verbessern (Abb. 6.34). Laserstrahl Scherzone
Schneidwerkzeug
Schnitttiefe
Messpunkte 1 2
vc
Temperatur T / K
Werkstück Erwärmung
Abkühlung
Z
Tsoll 1
2
Z - Zerspanung
Bearbeitungszeit t / s
Abb. 6.34. Prinzip der laserunterstützten Warmzerspanung
Abkühlung
-
6.3 Technologie
271
Dieser Effekt führt zur Reduzierung der erforderlichen Zerspanleistung und zur Steigerung der Prozessleistungsfähigkeit im Hinblick auf Abtragraten sowie Werkzeugstandzeiten bei der Bearbeitung schwerzerspanbarer Werkstoffe. Erste Untersuchungen auf dem Gebiet der Warmzerspanung erfolgten zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Zur Erwärmung der Werkstücke bediente man sich unterschiedlicher Methoden, wie Flammen-, Reibungs- oder Widerstandserwärmung. In den siebziger Jahren wurden Versuche zum Drehen mit Plasmastrahlerwärmung durchgeführt. Gemeinsamer Nachteil der genannten Erwärmungsmethoden ist die unzureichende Leistungsdichte der Wärmequellen, die keine ausreichende partielle Erwärmung der Werkstücke ermöglichte. Mit Laserquellen (CO2-, Nd:YAG-, Diodenlaser) können die genannten Nachteile vermieden werden. Hierbei sind Leistungsdichten oberhalb 107 W/cm² erreichbar. Unterschiede zwischen den einzelnen Lasertypen ergeben sich hinsichtlich deren Handhabung. Die aufwendige Strahlführung über gekühlte Kupferspiegel und der erforderliche Bauraum schränken die Flexibilität des CO2-Lasers stark ein. Festkörperlaser bieten demgegenüber zwar die Strahlführung über eine Lichtleitfaser, besitzen jedoch einen deutlich geringeren Wirkungsgrad. Erst die Entwicklungen auf dem Gebiet der Hochleistungsdiodenlaser erschlossen durch ihre kompakte Bauweise, das geringe Gewicht und den hohen Wirkungsgrad (bis zu 35 %) neue Gestaltungsmöglichkeiten für die Integration von Lasern in Fertigungsprozesse. Eine erste kommerziell verfügbare Präzisionsdrehmaschine mit integriertem Diodenlaser ist in Abb. 6.35 dargestellt. Der Laser mit einer Gesamtleistung von 1,2 kW ist auf einem Flachrevolver drehbar angeordnet. Durch vier Linearachsen und zwei rotatorische Achsen können Werkzeug und Laser flexibel zueinander verfahren werden, so dass unterschiedliche Drehoperationen laserunterstützt durchführbar sind. Die Ermittlung der Laserstrahlfokuslage, vergleichbar mit einer Werkzeugeinmessung, erfolgt automatisch innerhalb der Werkzeugmaschine. Weiterhin sind Zusatzeinrichtungen zur Regelung der Oberflächentemperatur (Pyrometer), Kühlung von Maschinenkomponenten (Spannfutter, Spindel, Werkzeug), Absaugung der beim Drehen entstehenden Späne, Gaszufuhr zum Schutz der beim Drehen entstehenden Oberfläche vor Oxidation sowie zur Abschirmung der Maschinenumgebung vor Laserstrahlung notwendig. Erste Untersuchungen zum laserunterstützten Drehen unterschiedlicher Werkstoffe erfolgten Anfang der neunziger Jahre. Die Ergebnisse zeigten, dass beim laserunterstützten Drehen von schwerzerspanbaren metallischen Werkstoffen, wie Titan sowie Titan- und Nickelbasislegierungen die Zerspankräfte und der Werkzeugverschleiß um 20 bis 50 % gesenkt werden [Thom95].
272
6 Lasermaterialbearbeitung Integrationskonzept Diodenlaser
• vier Linearachsen • zwei Rotationsachsen • automatische Fokuslagenbestimmung • integrierte Temperaturregelung • Prozessüberwachung durch Körperschallsensorik
• Sicherheitstechnik (Schutz vor Laserstrahlung, etc.)
Technische Daten des Diodenlasers
• Lasertyp GaAs • Wellenlänge 940 nm • maximale Laserleistung 1,2 kW • Arbeitsabstand 80 mm • Brennfleckgeometrie: Linie 1,5 x 4 mm² • großer Strahlöffnungswinkel • integriertes Pyrometer Abb. 6.35. Präzisionsdrehmaschine mit integriertem Diodenlaser (Fraunhofer IPT und Carl Benzinger)
Daneben ergaben sich weitere Potentiale zur Drehbearbeitung von Siliziumnitridkeramik mit Laserunterstützung. Die Anwendung der laserunterstützten Warmzerspanung mit definierter Schneide bei keramischen Hochleistungswerkstoffen erweitert die Möglichkeiten zur Keramik-Hartbearbeitung. Im industriellen Einsatz befinden sich derzeit ausschließlich Bearbeitungsverfahren mit geometrisch unbestimmter Schneide, wie das Schleifen und Läppen. Im Hinblick auf eine möglichst flexible Geometriegestaltung und leistungsfähige Bearbeitung besteht jedoch die Notwendigkeit, weitere Verfahren zur Keramikbearbeitung zu qualifizieren. Das laserunterstützte Drehen ermöglicht eine Fertigung keramischer Bauteile mit hoher Flexibilität. Die Möglichkeit der Warmzerspanung beruht bei Siliziumnitridkeramik auf der Existenz einer Glasphase an den Korngrenzen des Keramikgefüges, die oberhalb von 1000°C ihre ursprüngliche Festigkeit verliert [Berg02]. Die mit der Erwärmung der Glasphase einhergehende Reduzierung des Verformungswiderstands erlaubt die Zerspanung mit definierter Schneide. Der Bearbeitungsvorgang beginnt daher mit einer Vorwärmphase, in der das Werkstück im Bereich des ersten Werkzeugkontakts durch den Laser
6.3 Technologie
273
100
Zerspankraftkomponenten Fc ,Ff / N
260 Werkstoff: Schneidstoff: Schnittgeschw.: Vorschub: Schnitttiefe: abgew. Drehweg:
220
Si3N4-Keramik (HIPSN) PKD vc = 50 m/min f = 10 µm ap = 2 mm lc = 10 m
80
180
60
140
40
100
60 1100
20
Schnittkraft Fc Vorschubkraft Ff Verschleißmarkenbreite VBm 1150
1200
1250
1300
1350
0 1400
mittlere Verschleißmarkenbreite VBm / µm
auf eine Oberflächentemperatur von mehr als 1100°C erwärmt wird. Nach Erreichen der notwendigen Initialtemperatur beginnt der Drehprozess. Die Schnitt- und Laserparameter sind dabei derart an die jeweilige Bearbeitungsaufgabe anzupassen, dass im Spanungsquerschnitt die notwendige Temperatur zur Entfestigung des Werkstoffs aufrecht erhalten wird. Der Einfluss der Oberflächentemperatur vor der Zerspanstelle auf die Zerspankraftkomponenten und den Werkzeugverschleiß beim laserunterstützten Drehen von Siliziumnitridkeramik im Orthogonalschnitt ist in Abb. 6.36 dargestellt. Die Oberflächentemperatur wird während des Prozesses mit einem Pyrometer erfasst und durch eine Regelung der Laserleistung konstant gehalten. Eine Erhöhung der Oberflächentemperatur führt zu einer kontinuierlichen Reduzierung der beiden Zerspankraftkomponenten Fc und Ff. Der minimale Werkzeugverschleiß tritt bei einer Oberflächentemperatur von 1300°C auf. Bei höheren Temperaturen nimmt der thermisch initiierte Werkzeugverschleiß erneut zu. Aus den Kurvenverläufen der beiden Zerspankraftkomponenten und des Werkzeugverschleißes kann ein optimaler Temperaturbereich für das laserunterstützte Drehen von Siliziumnitridkeramik abgegrenzt werden. Die durch das laserunterstützte Drehen erreichbaren Oberflächenqualitäten ( R z < 2 µm, Ra < 0,2 µm) sind mit denen vergleichbar, die beim Schleifen erzielt werden.
Oberflächentemperatur T / ˚C
Abb. 6.36. Zerspankräfte und Werkzeugverschleiß beim laserunterstützten Drehen
6 Lasermaterialbearbeitung Verschleißmarkenbreite VBmax / mm
274
konventionell vc = 60 m/min
0,3
laserunterstützt vc = 170 m/min
0,2
0,1 Werkstoff: Festigkeit: Schneidstoff: Schnitttiefe:
30NiCrMo16-6 Rm = 1800 N/mm2 Hartmetall ap = 1 mm
Härte: 58 HRC Vorschub: fz = 0,2 mm Laserleistung: PL = 3 kW
0 0
3
6
9
12
15
18
Fräszeit / min konventionell Laserunterstützt
0
1
2
3
4
5
Zeitspanvolumen/Schneide / (cm³/min)
Abb. 6.37. Prozessvorteile beim laserunterstützten Fräsen
Im Vergleich zum laserunterstützten Drehen ist die Ausbildung eines stationären Temperaturfelds vor dem Werkzeugeingriff beim laserunterstützten Fräsen deutlich schwieriger. Die notwendige Energie zur Erwärmung des Spanungsquerschnitts ist aufgrund der fehlenden Rotation des Werkstücks während eines einmaligen Überlaufs des Laserbrennflecks in das Werkstück einzukoppeln. Mit angepassten Strahlführungssystemen ist dieses aber möglich. Die Zerspanuntersuchungen zum laserunterstützten Fräsen zeigen, dass die mechanische Wechselbeanspruchung beim Schneidenein- und –austritt durch eine thermisch induzierte Entfestigung des Werkstoffs minimiert und damit der Werkzeugverschleiß herabgesetzt werden kann. Beim laserunterstützten Fräsen eines Vergütungsstahls (30NiCrMo16-6, Rm = 1800 N/mm²) können die Zerspankraftkomponenten um mehr als 60 % und der Werkzeugverschleiß um 60 bis 70 % gegenüber der konventionellen Bearbeitung reduziert werden. Weiterhin ermöglicht das Fräsen mit Laserunterstützung eine Steigerung der Zeitspanvolumina um das Dreifache (Abb. 6.37). Bei typischen im Werkzeug- und Formen-
6.3 Technologie
275
bau eingesetzten Warm- und Kaltarbeitsstählen, die auf 58 bis 62 HRC gehärtet wurden, sowie bei Kobaltbasislegierungen sind vergleichbare Ergebnisse erreichbar. Die laserunterstützte Warmzerspanung konnte sich bisher noch nicht in der industriellen Fertigung durchsetzen. Wesentlicher Hinderungsgrund ist die noch unzureichend geklärte Wirtschaftlichkeit des Verfahrens. Dabei sind sowohl der Investitionsaufwand für eine Werkzeugmaschine mit integriertem Diodenlaser als auch die laufenden Betriebskosten für die angewandte Erwärmungsmethode in die Bewertung mit einzubeziehen. Im Hinblick auf einen industriellen Einsatz des laserunterstützten Fräsens sind zudem Aufgabenstellungen, wie beispielsweise die Entwicklung geeigneter CAM-Systeme noch zu lösen. Laserunterstütztes Metalldrücken
Die wachsende Nachfrage nach hochbelastbaren Komponenten für die Luft- und Raumfahrttechnik, die Automobilindustrie, den chemischen Anlagenbau und die Medizintechnik verlangt den Einsatz leistungsfähiger Werkstoffe. So werden typische Bauteile wie Einströmringe, Behälterböden, Felgenringe oder Laborzentrifugen zunehmend aus Titan- und Nickelbasislegierungen sowie aus rost- und säurebeständigen Stählen gefertigt. Wie auch andere Fertigungsverfahren stößt das Metalldrücken bei der Bearbeitung von Hochleistungswerkstoffen an seine Grenzen. Somit ist eine zusätzliche Wärmebehandlung notwendig. In der industriellen Fertigung werden heute zwei Wärmebehandlungsverfahren eingesetzt: Rekristallisationsglühen in separaten Öfen oder simultane Erwärmung des Werkstücks mittels mehrerer Gasbrenner. Werden mehrere – oftmals handgeführte – Gasbrenner zum simultanen Erwärmen des gesamten Werkstücks eingesetzt, ist die eingebrachte Wärmemenge schwierig kontrollierbar. Wird alternativ kalt umgeformt und das kaltverfestigte Werkstück zwecks Rekristallisation in separaten Öfen mehrfach zwischengeglüht, steigen die Fertigungszeiten und -kosten. Neben Glühzeiten von jeweils zwanzig Minuten bis zu einer Stunde ist hierbei der zusätzliche Handhabungsaufwand zu berücksichtigen. Beim Einsatz von Gasbrennern ist die Qualität des Produkts hinsichtlich der mechanischen (Warm-)Festigkeit und der Korrosionsbeständigkeit nur eingeschränkt zu gewährleisten. Aufgrund der schlechten Dosierbarkeit der eingebrachten Wärmemenge treten negativ wirkende Diffusionsprozesse und Gefügeveränderungen auf. Speziell bei der Warmumformung von Titanlegierungen werden die festigkeitsmindernden Elemente Stickstoff, Wasserstoff und Sauerstoff durch die Acetylen-Sauerstoff-Flamme in die Werkstückrandzone eingebracht. Um einen Sprödbruch des Bauteils im
276
6 Lasermaterialbearbeitung
Einsatz zu vermeiden, ist ein nachgeschaltetes Diffusionsglühen im Vakuum oder in einer Schutzgasatmosphäre erforderlich [Pete02]. Bei der Kaltumformung mit zwischengeschalteten Glühstufen ist die verstellbare Geometriekomplexität aufgrund der Kaltverfestigung des Werkstoffs deutlich eingeschränkt. Die thermische Belastung der Werkzeugmaschine beim Einsatz von Gasbrennern ist hoch. Um eine Schädigung der Werkzeuge und der Hauptspindel zu vermeiden, sind umfangreiche Maßnahmen zur Isolation und Kühlung zu treffen. Bedingt durch die vergleichsweise niedrige Energiedichte einer Gasflamme wird das gesamte Werkstück, und nicht nur die für die Umformung relevanten Bereiche, erwärmt. Ein erheblicher Wärmeabfluss in die Werkzeugmaschine ist die Folge. Steuerungs- und regelungstechnisch ist die „Erwärmungseinheit Gasbrenner“ nicht mit der Werkzeugmaschine verknüpft. Mittels eines handgeführten Wärmesensors wird geprüft, wann die Gasbrenner manuell zu- oder abgeschaltet werden. Bei der Warmumformung unter Zuhilfenahme von Gasbrennern sind auch besondere Aspekte der Arbeitssicherheit zu beachten. Große glühende Werkstücke strahlen eine erhebliche Wärmemenge ab, vor der der Werker an der Maschine zu schützen ist. Dies gilt auch für die Handhabung der Werkstücke nach dem Entformen. Speziell bei der Umformung von Sonderwerkstoffen wie Molybdän und Tantal für Anwendungen im Bereich des Brenner- und Turbinenbaus sowie in der Medizintechnik ist der Werker vor gesundheitsschädigenden Emissionen zu schützen. Werden mehrere Gasbrenner unter Volllast eingesetzt, sind die gesetzlichen Lärmschutzvorschriften zu beachten. Bei Überschreiten des Grenzwerts von 75 dB muss ein Gehörschutz getragen werden. Es besteht also Bedarf an einer Methode zur gezielten, simultanen Erwärmung der Umformzone, um Hochleistungswerkstoffe in einer Aufspannung komplett bearbeiten zu können. Die Erwärmung mittels eines Laserstrahls erfüllt diese Forderung. Im Jahr 2000 wurde erstmals ein Hochleistungsdiodenlaser in eine konventionelle Drückmaschine vom Typ Leifeld PNC 75 integriert. Der Hochleistungsdiodenlaser Laserline LDL160-3000 verfügt über eine maximale Laserleistung von drei Kilowatt, welche bei einer Brennweite von 200 mm auf eine Fläche von 7,8 x 1,8 mm² fokussiert wird. Wie in Abb. 6.38 zu sehen, dient die vertikale NC-Zusatzachse der Fokussierung des Laserstrahls bei sich änderndem Werkstückdurchmesser. Über die horizontale NC-Zusatzachse wird ein axialer Vorlauf des Laserstrahlbrennflecks relativ zur Drückrollenkontaktzone realisiert. Dieser Vorlauf ist während der Umformung an die sich ändernde Werkstückgeometrie vor der Drückrolle anzupassen.
6.3 Technologie
277
Abb. 6.38. Laserintegration in eine konventionelle Drückmaschine (Fraunhofer IPT)
Der Bestrahlungswinkel wird manuell eingestellt. Zur Prozessüberwachung und -auswertung wurde eine Sensorik zur Messung der Umformkräfte in axialer und radialer Richtung sowie zur pyrometrischen Messung der Temperatur in der Umformzone in den Versuchsträger integriert. Die Kraft- und Temperatursignale werden von einem Messrechner aufgezeichnet. Die Temperaturregelung und die NC-Zusatzachsen werden über separate Steuerungen vorprogrammiert. Zur Synchronisation der Komponenten wurde die SPS der Drückmaschine modifiziert. Mittels zusätzlicher M-Befehle aus der CNC-Steuerung der Drückmaschine werden die Programme in den externen Steuerungen aufgerufen. Grundsätzlich ist das laserunterstützte Warmdrücken entsprechend dem umzuformenden Werkstoff zu unterteilen. Zum einen werden die Formgebungsgrenzen kalt umformbarer Werkstoffe erweitert. Ein Beispiel hierfür ist der rost- und säurebeständige Chrom-Nickel-Stahl X5CrNi18-10 (1.4301). Mittels Laserstrahlunterstützung kann auf die konventionell erforderlichen, zwischengeschalteten Rekristallisationsglühschritte verzichtet werden. Zum anderen wird durch die laserunterstützte Warmumformung eine technisch relevante Bearbeitung erst ermöglicht [Kloc04, Berg05]. Ein Beispiel hierfür ist die Titanlegierung TiAl6V4 (Titan Grade 5). Mit der laserunterstützten Umformung werden die Formgebungsgrenzen des universell eingesetzten Chrom-Nickel-Stahls X5CrNi18-10
278
6 Lasermaterialbearbeitung
(1.4301) erheblich erweitert. Umfangreiche prozesstechnologische Untersuchungen zum einstufigen Projizierstreckdrücken und dem stufenweisen Drücken haben gezeigt, dass die Verfestigung pro Umformstufe mittels simultaner Laserstrahlerwärmung um 40 % verringert wird. Die erreichbaren Umformgrade pro Drückstufe werden um 15 bis 25 % gesteigert. Komplexe Bauteilgeometrien lassen sich somit in einer Aufspannung realisieren. Unter Einsatz der im industriellen Drückbereich üblichen „Teach-In“-Programmierung können z. B. Ronden aus X5CrNi18-10 mit einem Ausgangsdurchmesser von 172 mm auf ein zylindrisches Drückfutter mit einem Durchmesser von 70 mm laserunterstützt gedrückt werden. Rundlauf und Rundheit der warm umgeformten Bauteile liegen im Bereich zwischen 20 und 40 µm. Bei optimierter Prozessführung werden gemittelte Rautiefen im Bereich von 0,6 bis 0,8 µm erreicht. Das realisierte Drückverhältnis von ca. 2,4 ist mittels Kaltumformung nicht ohne Zwischenglühstufen herstellbar. Wird eine gezielte Erhöhung der Bauteilfestigkeit gewünscht, kann der Laser während der letzten Drückstufen deaktiviert werden, so dass der Werkstoff hierbei kalt verfestigt. Ein weiterer Vorteil gegenüber der Kaltumformung sind die geringeren Umformkräfte, da die Fließspannung mit zunehmender Temperatur sinkt. Für die Bearbeitung großer Umformquerschnitte beziehungsweise Wanddicken sind hohe Umformkräfte nötig, die die Maximalkräfte der Werkzeugmaschine überschreiten können. Durch die laserunterstützte Umformung wird der erforderliche Kraftaufwand um 20 bis 40 % reduziert und das Anwendungsspektrum bestehender Maschinen somit erweitert. Aufgrund des hohen Streckgrenzenverhältnisses von ca. 90 % und der geringen Gleichmaßdehung von ca. 13 % ist die Kaltformgebung der zweiphasigen, universell einsetzbaren Titanlegierung TiAl6V4 auf einen engen, technisch kaum nutzbaren Bereich eingeschränkt. Als Referenz durchgeführte Kaltdrückversuche endeten mit einem duktilen Bruch (s. Abb. 6.39) der Proben und einer Beschädigung der eingesetzten Drückwerkzeuge (aufgrund der hohen Festigkeit von über 900 MPa dieser Titanlegierung). Ab einer geregelten Umformtemperatur von ca. 500°C ist eine Umformung möglich. Mittels Steigerung der Umformtemperatur auf einen Bereich zwischen 750 und 850°C werden Mikrorisse in der Werkstückrandzone vermieden und die Umformkraft beim Projizierstreckdrücken 2,2 mm dicker Ronden von ca. 12 kN auf ca. 6 kN reduziert. Die Härte des Werkstoffs wird durch die laserunterstützte Umformung nur wenig verändert. Diese beträgt 372 HV 0,1 im Vergleich zu 357 HV 0,1 des Ausgangsmaterials. Um mögliche Diffusionsprozesse der Elemente Sauerstoff, Stickstoff und Wasserstoff in die Werkstückrandzone zu untersuchen, wurden EDX-Analysen der laserunterstützt umgeformten Proben über die Wanddicke durchgeführt.
6.3 Technologie
279
17,5 17,5
15,0 15 Bruch bei Kaltumformung
Umformkraft kN Umformkraft FF/ /kN
12,5 12,5
10,0 10 Laserunterstützte Umformung bei Tsoll = 800 °C 7,5 7,5
5,0 5,0
2,5 2,0
0 0
10
20
30 30
40 40
50
Umformweg / mm Umformweg ss/ mm
Abb. 6.39. Umformkräfte beim Projizierstreckdrücken der Titanlegierung TiAl6V4
Ein Anstieg des Sauerstoff- und Stickstoffgehalts konnte nicht festgestellt werden. Dies ist auf die lokal und zeitlich begrenzte Wärmeeinwirkung beim laserunterstützten Drücken zurückzuführen. Eine neu entwickelte keramische Projizierstreckdrückrolle wurde im Rahmen der Warmumformung von TiAl6V4 erprobt. Im Vergleich zum Einsatz konventioneller Stahlrollen wurde die Oberflächenqualität der Titanbauteile um 25 bis 30 % ( R z < 0,55 µm, < 0,15 Ra µm) verbessert. Ursache hierfür ist die hohe Verschleißbeständigkeit und die fehlende Affinität der Keramik zum metallischen Werkstück.
280
6 Lasermaterialbearbeitung
6.4 Anwendungsbeispiele 6.4.1 Laserstrahlschneiden
Ein bedeutendes Einsatzgebiet des Laserstrahlschneidens ist der Karosserieprototypenbau in der Automobilindustrie. Das Laserstrahlschneiden erfüllt hier in nahezu idealer Weise die Forderung nach einer hohen Flexibilität in Bezug auf geringe Stückzahlen und hohe Variantenvielfalt. Gleichzeitig lassen sich die geringen Stückzahlen vergleichsweise kostengünstig bearbeiten. Zur Zeit werden vorwiegend mehrachsige Laserstrahlschneidanlagen mit CO2-Lasern für das dreidimensionale Schneiden eingesetzt. In Zukunft wird der Einsatz des Festkörperlasers zum 3D-Schneiden zunehmen. Hierbei ist die erheblich vereinfachte Strahlführung durch einen Lichtwellenleiter von Vorteil, wodurch der konstruktive Aufbau erheblich reduziert wird.
Abb. 6.40. 3D-Laserstrahlschneiden eines PKW-Bodenblechs mittels CO2-Laser (TRUMPF Laser- und Systemtechnik)
6.4 Anwendungsbeispiele
281
Abb. 6.40 zeigt ein PKW-Bodenblech, dessen Außenkontur mit einem CO2-Laser ausgeschnitten wurde. Die zu Befestigungszwecken bzw. zur Gewichtseinsparung zusätzlich erforderlichen Aussparungen werden ebenfalls laserstrahlgeschnitten. Die Programmierung erfolgt hierbei meist im „Teach"-Betrieb. Die Soll-Kontur wird punktweise angefahren und als NC-Datensatz Punkt für Punkt abgespeichert. Zur Reduzierung der Stillstandzeiten der Laserquelle durch Rüst- und Programmierarbeiten, insbesondere bei der Bearbeitung großflächiger dreidimensionaler Bauteile, z. B. mit Portalsystemen, werden heute vielfach Anlagen aus zwei identischen Systemen aufgebaut. Hierbei steht ein Handhabungssystem ausschließlich zur Programmierung zur Verfügung, während das zweite System zum Schneiden der Bauteile verwendet wird [Grop95]. Eine Alternative hierzu stellen Anlagen dar, die mit CAD/CAM-Systemen ausgerüstet werden. Allerdings scheitert die Erzeugung von NC-Programmen aus CAD-Daten in der Praxis häufig an einer zu starken Abweichung der SollGeometrie von der Ist-Geometrie aufgrund der unvermeidbaren Rückfederung der Bauteile nach der vorhergehenden Umformung. Ein Beispiel für die Anwendung eines Knickarmroboters in Verbindung mit einem Festkörperlaser zum Laserstrahlschneiden von PKWKarosserieteilen zeigt Abb. 6.41. Die Laserstrahlung wird verhältnismäßig einfach von der Strahlquelle zum Bearbeitungskopf mittels Lichtleitkabel geführt. Abb. 6.42 zeigt zwei zweidimensionale Schnittmuster aus dem Bereich des Brennschneidens. Die gezeigten Zahnräder müssen nach dem Trennen nicht mehr wärmebehandelt werden müssen, da die Schnittflächenrandzonen durch Wärmeleitung beim Schneiden eine Aufhärtung erfahren. Ferner werden auch scharfkantige Konturen mit spitzen Winkeln aus metallischen Werkstoffen im Materialdickenbereich < 10 mm hergestellt. Die Bearbeitung erfolgt hierbei im Pulsbetrieb, um das Abbrennen der Werkstückspitzen zu vermeiden. Im Allgemeinen werden Schnittfronten senkrecht zur Werkstückoberfläche gefordert. Durch Änderung des Einstrahlwinkels sind jedoch auch Winkelvariationen möglich. Das Laserstrahlschneiden kann als ein industriell etabliertes Trennverfahren angesehen werden. Es zeichnet sich durch eine hohe Flexibilität bei guter Schnittqualität aus. Insbesondere können komplizierte Formdurchbrüche und schmale Stege bei geringen Schnittspaltbreiten hergestellt werden. Die zu bearbeitende Werkstoffpalette reicht von Eisenwerkstoffen über Kunststoffe zu keramischen Werkstoffen, schließt aber auch Bauteile aus organischen Materialien, wie z. B. Holz oder Karton, ein.
282
6 Lasermaterialbearbeitung
Abb. 6.41. 3D-Laserstrahlschneiden eines PKW-Seitenteils mit Nd:YAG-Laser, Lichtleitfaser und Roboterführung (TRUMPF Laser- und Systemtechnik)
Abb. 6.42. Beispiele zum Laserstrahlschneiden von 2D-Konturen (TRUMPF Laser- und Systemtechnik)
6.4 Anwendungsbeispiele
283
6.4.2 Laserstrahlfügen
Das Laserstrahlschweißen bzw. -löten findet heute, trotz der vergleichsweise hohen Investitionskosten für die Strahlquelle, zunehmend Anwendung in der industriellen Produktion. Dies ist zum einen auf die verfahrensspezifischen Vorteile (Tabelle 6.15) zurückzuführen, die das Laserstrahlfügen gegenüber konventionellen Fügeverfahren bietet. Andererseits eröffnet das Laserstrahlschweißen und -löten neue Lösungswege bei der Bauteilkonstruktion, die sich mit konventionellen Schweißverfahren nicht realisieren lassen [Kohl88]. Tabelle 6.15. Verfahrenspezifische Vor- und Nachteile des Laserstrahlfügens Vorteile
Nachteile
y Berührungslose Bearbeitung: verschleißfreies Werkzeug, kraftfreie Bearbeitung, großer Arbeitsabstand, schnelle und flexible Strahlführung mittels Scanner möglich
y Enge Bauteiltoleranzen: erhöhter Vorbearbeitungsaufwand
y Schmale und tiefe Nahtgeometrien y Präzise Strahlführung: Handhabungs(Schweißen) bzw. glatte Oberflächen anlagen mit hoher Bahntreue, ggf. mit tangentialen Übergängen (Wärmesensorunterstützte Bearbeitung leitungsschweißen, Löten): hohe Nahtqualität, große Blechdicken schweißbar, geringe Nacharbeit y Geringer Energieeintrag: kleine Wärmeeinflusszone, geringe thermische Werkstoffschädigung, geringer Verzug der Bauteile y Lokal eng begrenzter Energieeintrag von hoher Intensität: Hohe Vorschubgeschwindigkeiten, kleinste Stoßgeometrien und wärmeempfindliche Bauteile fügbar y Gute Steuerbarkeit und hoher Automatisierungsgrad: Angepasster und reproduzierbarer Energieeintrag, reproduzierbare Fertigungsqualität
y Genaue Spannvorrichtungen
284
6 Lasermaterialbearbeitung
Abb. 6.43. Bild links: Lasergeschweißte Getriebekomponenten (ERLAS); Bild rechts: Laserstrahlschweißprozess (Rofin-Sinar Laser)
Das Haupteinsatzgebiet für das Laserstrahlfügen liegt derzeit in der Automobilindustrie und deren Zulieferbetrieben bei der Fertigung von Motoren- und Getriebekomponenten sowie im Karosseriebau [Kohl88, Hall03, Elsn04]. Ein Beispiel aus dem Getriebebau ist die Herstellung von Gangrädern. Hierbei wird der Synchronring durch Laserstrahlschweißen mit dem Zahnradgrundkörper verbunden (Abb. 6.43). Im rechten Teil der Abbildung ist ein Prozessbild zu sehen, wobei ein Zahnrad auf eine Welle mittels Laserstrahl angeschweißt wird. Im Bereich der Feinwerktechnik sind Fügeaufgaben, z. B. an Drehzahlfühlern für ABS-Systeme oder Sensoren für die Abgasregelung (Lambda-Sonde), weitere Anwendungsbeispiele für das Laserstrahlschweißen.
Abb. 6.44. Lasergeschweißte wärmeempfindliche Bauteile (TRUMPF Lasertechnik)
6.4 Anwendungsbeispiele
285
Hier werden Bauteilkomponenten aus unterschiedlichen Werkstoffen mit hoher Geschwindigkeit verschweißt, so dass wärmeempfindliche Teile nicht geschädigt werden [Gold87]. Abb. 6.44 zeigt eine lasergeschweißte Batterie und ein Gehäuse für optoelektronische Komponenten. Neben dem Fügen rotationssymmetrischer Teile stellt der Karosseriebau ein weiteres, wichtiges Einsatzgebiet für das Laserstrahlfügen dar. So lassen sich z. B. Falznähte an Türen, Dach- und Bodengruppen mit dem Laser schweißen. Das Laserstrahlschweißen einer Dachnaht ist in Abb. 6.45 (links) dargestellt. Wenn eine dichte Fügenaht mit einer glatten Oberfläche erforderlich ist, wie beispielsweise bei einer Dachnaht oder Kofferraumdeckel, wird diese oft hartgelötet. Die hergestellte Lötnaht ist wasserdicht, sofort lackierbar und weist zudem hohe Festigkeitswerte auf. In Abb. 6.45 (rechts) ist das Laserstrahlhartlöten von Ober- und Unterseite eines Kofferraumdeckels mit einem Knickarmroboter abgebildet. Im Gegensatz zum konventionellen Widerstandspunktschweißen entfällt bei den lasergefügten Bauteilen ein weiteres Abdichten der Schweiß- bzw. Lötnähte. Ebene, bereits verzinkte Feinbleche können mit dem Laserstrahl stumpf verschweißt und anschließend durch Tiefziehen weiterverarbeitet werden.
Abb. 6.45. Laserstrahlschweißen von Karosserieteilen (Bild links: Rofin-Sinar Laser; Bild rechts: Erlas)
286
6 Lasermaterialbearbeitung Prozesskette zur Herstellung von Tailored Blanks 1,5 St05Z: feuerverzinkt, höherfeste Güte
Blechdicke [mm] 1,0
ZStE300: kaltgewalzt, höherfeste Güte
Î
Tailored Blank
0,8 FHZ220: feuerverzinkt, höherfeste Güte Auswahl Zusammenstellung angepasster Blechgüten, -dicken, und -oberflächen
Zuschnitt Laserstrahlschneiden (von ggf. komplexen 2D-Geometrien)
Fügen Laserstrahlschweißen einfacher Stoßgeometrien mit hohen Vorschubgeschwindigkeiten
Einsatz von Tailored Blanks im Automobilbau B-Säule
Dachverstärkung
A-Säule
Heckklappe innen
Federbeinaufnahme Bodenblech Motorträger
Stoßfänger
Träger
Radkasten
Türinnenblech
Seitenteil
Abb. 6.46. Verwendung des Laserstrahlschneidens und -schweißens zur Herstellung von Tailored Blanks
Die blechebene Schweißnaht sowie die nur geringfügig reduzierte Verformbarkeit lasergeschweißter Feinbleche ermöglichen die Durchführung komplizierter Tiefziehprozesse unter Wahrung einer hohen Bauteilqualität und -sicherheit. Aufgrund der geringen Nahtbreite wird die Zinkschicht nur in einem sehr schmalen Bereich geschädigt, so dass der Korrosions-
6.4 Anwendungsbeispiele
287
schutz der Fügestelle durch die kathodische Fernschutzwirkung der Zinkschicht weiter gewährleistet ist [Schn88]. In diesem Zusammenhang werden heute funktionsangepasste Halbzeuge unter dem Namen Tailored Blanks verstärkt in der Großserienfertigung eingesetzt. Hierbei handelt es sich um Platinen, bei denen mehrere Bleche mit unterschiedlichen Stahlgüten, Oberflächenbehandlungen und/oder Dicken mittels Laserstrahl verschweißt werden (Abb. 6.46) Neben den schon skizzierten Vorteilen lasergeschweißter Verbindungen hinsichtlich der Verformbarkeit und des Korrosionsschutzes eröffnen sich nun dem Konstrukteur völlig neue Wege im Bereich tragender Konstruktionen. Dabei handelt es sich beispielsweise im Automobilbau um Türen mit integrierten Verstärkungen im Scharnierbereich, Radhäusern mit integrierten Federbeinaufnahmen sowie um vielfältig verstärkte Bodenbleche zur Realisierung eines gezielten Bauteilverhaltens etc. Die wichtigsten Vorteile dieser neuen Konstruktionsmethode sind Gewichtsreduzierung, Teilereduzierung und damit Reduzierung der Produktionsmittel und der Fertigungsschritte, was eine höhere Produktivität und eine vereinfachte Logistik mit sich bringt. Der Wegfall von punktgeschweißten Überlappverbindungen durch Fertigung mit „tailored blanks“ minimiert die Kosten für Abdichtarbeiten und -massen mit gleichzeitigen Vorteilen im immer bedeutender werdenden Recyclingprozess und im deutlich verbesserten Bauteilverhalten [Nage93, Mert03]. In Abb. 6.47 sind Beispiele für diffizile Schweißaufgaben dargestellt, u. a. ein tiefgezogenes Bauteil, das aus einem lasergeschweißten Karosserieblech hergestellt wurde. Weitere Anwendungen sind das Längsnahtschweißen von dünnwandigen Edelstahlrohren (Wanddicke: 0,25 bis 2 mm) und das Schweißen von Kernblechpaketen in der Elektrotechnik [Schn88]. Die aufgeführten Beispiele zeigen, dass das Laserstrahlfügen heute mit Erfolg in der Großserienfertigung eingesetzt wird. Hierbei ergibt sich die Wirtschaftlichkeit des Lasereinsatzes zum einen aus der großen Stückzahl und zum anderen aus den verfahrensspezifischen Vorteilen dieses Fügeverfahrens, die die Realisierung kostengünstiger Fertigungskonzepte ermöglichen. Auch in Zukunft wird insbesondere die Automobilindustrie bei der Einführung neuer Lasertypen und Bearbeitungsverfahren eine Pionierrolle spielen, denn das Potential des Lasers im Fahrzeugbau ist noch lange nicht ausgeschöpft.
288
6 Lasermaterialbearbeitung
Abb. 6.47. Einsatz des Laserstrahlschweißens zur Herstellung diffiziler Bauteile (Rofin-Sinar Laser)
6.4.3 Laserstrahloberflächenbehandlung
Unabhängig von den einzelnen Verfahrensvarianten ist die Laserstrahloberflächenbehandlung stets als eine örtliche begrenzt wirkende Technik zu betrachten, die linienförmig ausgedehnte Behandlungszonen auf dem Werkstück erzeugt. In Abb. 6.48 sind hierfür charakteristische Bauteilanwendungen dargestellt. Neben hochbeanspruchten Funktionszonen von Maschinenkomponenten (wie Laufbahnen, Gleit- und Dichtflächen) kommen für die Laserstrahloberflächenbehandlung Hauptverschleißbereiche von Produktionswerkzeugen (wie Schneiden, Gravurflächen und Gratkanten) in Betracht. Größere Flächen müssen aus Einzelspuren zusammengesetzt werden, deren Breite verfahrensspezifisch begrenzt ist. Weiterhin können aufgrund der mit entsprechenden Optiken realisierbaren Handhabung des Laserstrahls lokal auch solche Werkstückbereiche behandelt werden, die für andere Verfahren unzugänglich sind. Anwendungsschwerpunkte für das Laserstrahlhärten liegen im Werkzeug- und Motorenbau sowie in der Feinwerktechnik. Ein Beispiel ist das Härten von Schneidkanten an Kaltarbeitswerkzeugen (Messer, Sägezähne etc.). Im Motorenbau wird der Laserstrahl z. B. zum Härten von Zylinderlaufbuchsen aus Grauguss eingesetzt, wobei die auf der Lauffläche erzeugten Härtungszonen der Verschleißform angepasst werden [Amen87, Fein97].
6.4 Anwendungsbeispiele
wärmebeeinflusste Zone Grundwerkstoff
Schmelzzone Härtungszone
Einzelspuren
Zahnstange
289
Spannstelle
Schaltnocke
Werkstückkanten (Auflage-, Dichtflächen, Schneiden usw.)
überlappende Spuren
Einkerbung
Kugellaufbahn
Lagersitz
Bohrung
Abb. 6.48. Typische Anwendungen der partiellen Randschichtbehandlung mittels Laserstrahlung
Das Laserstrahlumschmelzen wird zur Oberflächenbehandlung von hochbeanspruchten Stellen an Kaltarbeitswerkzeugen, wie z. B. Schneidund Umformwerkzeugen eingesetzt, um ein feinkörniges Gefüge von hoher Härte und guter Duktilität zu erzeugen. Durch das Umschmelzen werden zugleich grobe, zeilenförmig angeordnete Karbide aufgelöst, die bei schmelzmetallurgisch erzeugten Kaltarbeitsstählen herstellungsbedingt im Gefüge vorliegen können. Diese Gefügeinhomogenitäten sind bei dynamisch hochbelasteten Bauteilen aufgrund ihrer Kerbwirkung vielfach Ausgangspunkt von Schäden in Form von Rissen oder Ausbrüchen. Ein weiteres Einsatzgebiet ist das Umschmelzen von Gusswerkstoffen zur Erzeugung sehr verschleißfester, ledeburitischer Randschichten (Abb. 6.49). Andere Anwendungsbeispiele sind u. a. im Motorenbau zu finden: Laufflächen an Kolbenringen, Kipphebeln und Nockenwellen [Amen85].
290
6 Lasermaterialbearbeitung 250 µm
Bearbeitete Oberfläche
200 µm
Umgeschmolzene Bahnen mit 200 µm Überlapp
GJS-400-15 2000 W 10° Linse 250 mm/min 0,2 mm
Ergebnis Einschmelztiefe: Oberflächenhärte: Rauheit R z : Prozesszeit:
0,45 mm 700 HV 0,05 12,4 µm 4,5 min
Vickershärte / HV 0,05
0,2 mm
Stellgrößen Werkstoff: Laserleistung: Optik: Vorschubgeschw.: Überlappungsgrad:
1000 800 600 400 200 0
0
0,5
1,0
1,5
2,0
2,5
Abstand / mm
Abb. 6.49. Laserstrahlumschmelzen von Auflageflächen
Die Hauptanwendungsgebiete für das Laserstrahllegieren liegen heute im Bereich der Schmiede- und Druckgusstechnik (Abb. 6.50). Hier wird die Oberfläche durch Auflegieren mit Zusatzwerkstoffen wie WC/Co oder WC/Co/Cr in Bezug auf Verschleißschutz anwendungsgerecht modifiziert. Es wird eine signifikant verbesserte Warmverschleißfestigkeit und Anlassbeständigkeit erreicht [Celi98, Rozs99]. Durch die Anwendung der Laserstrahloberflächenbehandlung lassen sich bei Umformmatrizen, Schmiedegesenken, Pressstempeln und Druckgießformen Leistungssteigerungen von bis zu 400 % erreichen [Köni94b]. Ein weiteres Anwendungsbeispiel ist das Auflegieren von Gusseisen mit Chrom zur Erzeugung von zunder- und hitzebeständigen Randschichten. An Bauteilen aus AlSi-Legierungen wird durch Auflegieren mit Silizium eine höhere Randschichthärte und somit eine verbesserte Verschleißbeständigkeit erzielt [Amen85].
6.4 Anwendungsbeispiele
291
Werkstück: Anwendung: Werkstoff:
Pilgerwalze Pilgerwalzwerk Stahlguss
Werkstück: Anwendung: Werkstoff:
Druckgießform Druckgießmaschine Warmarbeitsstahl
Handhabung:
Werkstück ortsfest, Laserstrahl und Pulverdüse bewegt
Handhabung:
Laserstrahl und Pulverdüse ortsfest, Werkstück bewegt
Abb. 6.50. Laserstrahllegieren von Werkzeugen
Werkstück: Anwendung: Werkstoff: Gewicht: Belastungsprofil:
Druckgießform Druckgießmaschine Warmarbeitsstahl 120 kg thermische, mechanische, chemische und tribologische Belastungen
Handhabung:
Laserstrahl und Pulverdüse bewegt, Werkstück ortsfest
Abb. 6.51. Reparatur einer Druckgießform durch Laserstrahlbeschichten
292
6 Lasermaterialbearbeitung
Mit Hilfe des Laserstrahlbeschichtens können Schutzschichten aufgebracht werden, deren Eigenschaften gezielt auf die jeweils vorliegenden Belastungen abgestimmt sind. Anwendungsbeispiele aus dem Motorenbau sind das Beschichten von Ventilen, Ventilsitzen oder auch Ventilkappen mit verschleißfesten Co-Hartlegierungen. Darüber hinaus wird das Laserstrahlbeschichten zur Reparatur kostenintensiver Werkzeuge der Umform-, Gieß-, Stanz- und Kunststofftechnik eingesetzt (Abb. 6.51). Hierbei werden zumeist Co-, Ni- und Ti-Basislegierungen als Zusatzwerkstoffe verwendet. Durch die Beimengung von Hartstoffen wie Wolframkarbid lässt sich der abrasive Verschleißwiderstand dieser Legierungen beträchtlich verbessern [Köni94b, Kirn95]. 6.4.4 Laserstrahlabtragen
Das Laserstrahlabtragen lässt sich hinsichtlich der Anwendungsgebiete in die beiden Verfahren Laserstrahlschichtabtragen – flächiger Schicht- bzw. Volumenabtrag – und Laserstrahlstrukturieren – Näpfchenabtrag bzw. Formabtrag von geometrisch bestimmten Strukturen – unterscheiden. Grundsätzlich unterscheiden sich diese beiden Verfahren durch den Abtragmechanismus und durch die Art der eingesetzten Laserstrahlung: kontinuierlich oder gepulst. Beim Laserstrahlschichtabtragen erfolgt überwiegend eine schichtweise, flächige Bearbeitung der Bauteiloberfläche, wobei das entfernte Material gleich oder verschieden vom Grundmaterial sein kann. Als Anwendungsfelder sind in diesem Zusammenhang das Reinigen und Entlacken von Oberflächen sowie das gezielte Volumenabtragen von metallischen Werkstoffen im Werkzeug- und Formenbau zu nennen. Die Abtragverfahren Laserstrahlschmelzabtragen und Laserstrahloxidabtragen eignen sich aufgrund ihrer hohen Abtragraten insbesondere für eine flächige Bearbeitung. Mit dem Laserstrahl können Oberflächen aus den unterschiedlichsten Materialien gereinigt werden: Stahl, Keramik, Kunststoff, Stein usw. Bei diesem Verfahren wird nur der zu entfernende Werkstoff von der Laserstrahlung bestrahlt, wodurch das Grundmaterial kaum thermisch beeinflusst wird. Im Werkzeug- und Formenbau können mittels des Laserstrahlschichtabtragens, wobei ein flächiger, schichtweiser Abtrag erfolgt, definierte geometrische Strukturen in das Grundmaterial eingebracht werden. Da beim Laserstrahlabtragen nicht die herkömmlichen Werkstoffparameter, wie z. B. die Härte, für die Bearbeitung entscheidend sind, sondern vielmehr die Absorptionseigenschaften des Werkstoffs, eignet sich das Laserstrahlabtragen besonders für die Bearbeitung von schwer zerspanbaren Werk-
6.4 Anwendungsbeispiele
293
stoffen wie z. B. Titan, Inconell, Keramik oder Stahl mit einer Härte von mehr als 60 HRC. Es werden vielfach geometrisch komplizierte Konturen in vergütete oder gehärtete Werkstücke eingebracht (Abb. 6.52). Hierzu zählen insbesondere schmale Stege und Schlitze, die heute überwiegend durch Fräsen oder Senkerodieren hergestellt werden. Je nach Laserleistung und Abtragverfahren werden Abtragraten zwischen 10 und 1000 mm³/min erzielt. Die erzeugte Oberflächengüte ist mit dem Senkerodieren vergleichbar. Durch Einsatz eines Tiefenreglers bei der Verfahrensvariante des Laserstrahloxidabtragens können Formabweichungen bis 10 µm und minimale Strukturgrößen bis 100 µm erzielt werden. Falls kleinere und filigranere Strukturen abgetragen werden sollen, spricht man vom Laserstrahlstrukturieren mit gepulster Laserstrahlung, wobei geometrisch bestimmte Strukturen erzeugt werden. Je nach eingesetzter Laserstrahlquelle unterscheidet man dabei die Verfahren Sublimations- und Excimerabtragen. Beim Sublimationsabtragen wird mit jedem Laserstrahlpuls Material in Form eines Näpfchens von der Bauteiloberfläche abgetragen. Durch Aneinandersetzen bzw. Überlappen von mehreren Einzelpulsen können komplexe Strukturen zusammengesetzt werden. Die Strahlablenkung und -fokussierung erfolgt dabei überwiegend über Galvanoscannersysteme. In der Praxis sind Bearbeitungsgeschwindigkeiten bis zu 3 m/s üblich, wobei je nach Lasersystem bis zu 100 000 Einzelpulse pro Sekunde realisierbar sind. Hauptanwendungen des Sublimationsabtrags sind vor allem das Beschriften/Markieren, das Gravieren im Werkzeug- und Formenbau und die Herstellung von funktionalen Oberflächenstrukturen. Dabei können unterschiedlichste Werkstoffe bearbeitet werden: Metalle, Keramiken, Aluminium, Kunststoffe usw. Aufgrund der freien Programmiermöglichkeit und des verschleißfreien Werkzeugs „Laserstrahl“ ist das Beschriften von Bauteiloberflächen Stand der Technik und wird nahezu in allen Branchen eingesetzt. In Abb. 6.53 ist ein Anwendungsbeispiel einer Lasergravur dargestellt, wobei ein fälschungssicherer Sicherheitsausweis aus Kunststoff hergestellt wurde. Die Bearbeitungszeit liegt deutlich unter 1 min. Im Werkzeug- und Formenbau wird das Laserstrahlstrukturieren insbesondere für die Herstellung von Mikrogravuren in Formen für den Kunststoffspritzguss eingesetzt, bei denen eine Bearbeitung mittels Mikrofräsen oder Mikroerodieren aufgrund der Strukturgrößen an die prozesstechnologischen Grenzen stößt.
294
6 Lasermaterialbearbeitung
Abb. 6.52. Laserstrahlformabtragen Schmiedewerkzeug (LCTEC)
von
Stahlwerkstoffen:
Maulschlüssel-
Abb. 6.53. Laserstrahlbeschriftete ID-Karte aus Kunststoff (Rofin Sinar Laser)
Eine neuartige Anwendung ist die Herstellung von funktionalen Oberflächenmikrostrukturen. Bei Bauteilkomponenten (Keramik, Aluminium und Stahl), die eine rotatorische oder translatorische Bewegungen in technischen Geräten ausführen, wie z. B. Gleitringdichtungen, Wellen, Kolben, Lager etc., wirkt sich die Oberflächentopographie von tribologisch beanspruchten Kontaktflächen wesentlich auf das Funktionsverhalten im Einsatz aus. Eine gezielte Verbesserung der tribologischen Eigenschaften kann durch Einbringen von definierten Mikrostrukturen in die Oberfläche erfolgen. Die Funktionsoberfläche besteht dann aus einem Oberflächenanteil mit Plateaucharakter und einer reproduzierbaren, regelmäßigen Anordnung von gleichförmigen Strukturen, wie z. B. Näpfchen bzw. Taschen, wobei diese Strukturen u. a. als Schmierstoffreservoir dienen. In Abb. 6.54 ist eine mittels Sublimationsabtrag hergestellte funktionale Aluminiumoberfläche dargestellt, bei der u. a. die Reibung um bis zu 20 % reduziert werden konnte.
6.4 Anwendungsbeispiele Material: Laser: Frequenz: Pulszahl: Optik:
295
Sinteraluminium Nd:YVO4, max. 40 W 10 kHz 5 Pulse pro Stelle 163 mm Brennweite
Prozessergebnis: Durchmesser: 50 µm Tiefe: 10 µm 100 µm
Abb. 6.54. Weißlichtinterferometer-Aufnahme einer mikrostrukturierten Aluminiumoberfläche zur Reibungsminimierung einer Gleitlagerpaarung
Das Excimer-Verfahren wird aufgrund der geringen Abtragvolumina und der aufwändigen Maskenverfahren überwiegend für Anwendungsgebiete eingesetzt, bei denen die Strukturgrößen im Nanometerbereich angesiedelt sind. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Elektronikindustrie zu nennen. In Abb. 6.55 ist eine REM Aufnahme eines mittels Excimerabtrags bearbeiteten Bauteils dargestellt, wobei es sich um Locharrays in Polyamid für Druckköpfe von Tintenstrahldruckern handelt. Material:
Polyamid
Wellenlänge der Laserstrahlung:
248 nm
Bohrungsdurchmesser:
ca. 40 µm
10 µm
Abb. 6.55. Bohren von Locharrays in Polyamid (Lambda Physik)
296
6 Lasermaterialbearbeitung
6.4.5 Laserunterstützte Bearbeitung
Die bisherigen Forschungsergebnisse zur laserunterstützten Bearbeitung erbrachten den Nachweis, dass die Integration eines Hochleistungslasers in eine Werkzeugmaschine (Dreh-, Fräs- bzw. Drückmaschine) im Hinblick auf eine industrielle Fertigung möglich ist. Zudem werden sowohl bei der laserunterstützten Zerspanung als auch beim laserunterstützten Metalldrücken prinzipielle technologische Vorteile erzielt. Laserunterstützte Zerspanung
Anwendungen für die laserunterstützte Zerspanung ergeben sich bei der Bearbeitung schwer zerspanbarer Werkstoffe mit definierter Schneide, die sich konventionell nur mit einem hohen Zeit- und Kostenaufwand bearbeiten lassen. Hierzu zählen hochfeste und hochwarmfeste metallische Legierungen (Fe-, Co-, Ni-Legierungen), wie sie beispielsweise im Werkzeugund Formenbau bei der Herstellung und Reparatur hochbeanspruchter Werkzeuge zum Verschleißschutz eingesetzt werden. Weitere Beispiele für den Einsatz derartiger Werkstoffe finden sich im Maschinen- und Anlagenbau, in der Luft- und Raumfahrt sowie der Energietechnik. Entscheidendes Kriterium für den Einsatz einer neuartigen Technologie sind die erreichbaren Fertigungsqualitäten. Insbesondere bei metallischen Werkstoffen sind daher bei der laserunterstützten Zerspanung Auswirkungen der Wärmeeinbringung auf die Werkstückrandzone zu berücksichtigen. Durch die Einstellung der geeigneten Prozessparameter ist zu gewährleisten, dass nur der zu zerspanende Bereich im Werkstück entfestigt wird. Dadurch lassen sich unerwünschte Anlasseffekte und Härteverluste in einer oberflächennahen Randzone und damit eine Beeinträchtigung der Funktionseigenschaften der Werkstücke vermeiden. Ideale Prozessbedingungen, die lediglich eine Erwärmung des zu zerspanenden Werkstückbereichs ermöglichen, sind jedoch kaum zu realisieren. Eventuelle Beeinträchtigungen sind daher durch geeignete Bearbeitungsstrategien zu vermeiden, wie z. B. die Aufteilung in eine laserunterstützte Schruppbearbeitung zur endkonturnahen Fertigung und eine nachfolgende konventionelle Schlichtbearbeitung des thermisch beeinflussten Aufmaßes. Dadurch lassen sich eine leistungsfähige Schruppbearbeitung schwer zerspanbarer Werkstoffe und gleichzeitig hohe Fertigungsqualitäten verbinden. Das AnwendungsPotential der Warmzerspanung beschränkt sich jedoch nicht nur auf metallische Werkstoffe, sondern bietet auch für die Zerspanung von Hochleistungskeramiken eine Ergänzung zu bestehenden konventionellen Verfahren. So ermöglicht die laserunterstützte Zerspanung eine leistungsfähige Bearbeitung von Siliziumnitridkeramik, die bisher
6.4 Anwendungsbeispiele
297
zerspanend nur mit geometrisch unbestimmter Schneide bearbeitbar ist. Siliziumnitridkeramik hat aufgrund ihrer in vielen Bereichen überlegenen Eigenschaften, wie hohe gewichtsbezogene (spezifische) Festigkeit, hohe Härte und Verschleißbeständigkeit sowie ein relativ gutes Thermoschockverhalten unter verschiedenen Abkühlbedingungen in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. So ersetzen dichte Siliziumnitridkeramiken aufgrund ihrer Eigenschaften Komponenten im Motorenbau (Ventile, Kolben, Kolbenböden, Turbolader), in der Dichtungs-, Lager- und Verschleißtechnik (Wälzringe, Kugeln, Laufrollen, Wellen, Führungselemente) oder im chemischen Anlagenbau (Ventilkegel, -sitze, Verschleißhülsen). Als Bearbeitungsbeispiel ist in Abb. 6.56 ein Lagerinnenring eines keramischen Wälzlagers dargestellt. Die vollständige Herstellung des Lagerinnenrings durch laserunterstütztes Drehen erfolgte nach einer Bearbeitungsstrategie, die unterschiedliche Drehoperationen umfasste (Fasen, Stirndrehen, Außenrunddrehen, Einstechdrehen). Eine optimierte Prozessauslegung erlaubte eine prozesssichere Schrupp- bzw. Konturbearbeitung mit Schnitttiefen von bis zu 2 mm. Dadurch konnte die Bearbeitungszeit für die Komplettbearbeitung, ausgehend von einem gesinterten Halbzeug letztlich auf 16 min reduziert werden. Die erzeugten Funktionsoberflächen besitzen Schleifqualität (Ra < 0,3 µm). Bearbeitungsprozess
Bearbeitungsstrategie
Bearbeitungsergebnis
kontinuierliche, lokale Erwärmung des Bauteils
Bearbeitungsoperationen
Bearbeitungszeit 16 min
Fasen (innen u. außen)
lokale Abnahme der Werkstofffestigkeit
Stirndrehen
Oberflächenrauheit Ra < 0,35 µm
Zerspanen des entfestigten Werkstoffs
Einstechdrehen (Laufbahn)
Außenrunddrehen
Werkzeugstandmenge > 20 Bauteile Rüstaufwand gering Kein Kühlschmierstoff
Abb. 6.56. Laserunterstütztes Drehen eines Wälzlagerinnenrings aus Siliziumnitrid-Keramik
298
6 Lasermaterialbearbeitung
Die Untersuchung geeigneter Schneidstoffe zeigte, dass die Kombination aus hoher Härte und ausreichender Warmfestigkeit die Grundvoraussetzung für eine verschleißminimale Bearbeitung darstellt. Erfüllt werden diese Forderungen am ehesten durch polykristallinen Diamant. Bei geeigneter Prozessführung konnten mehr als 20 Lagerinnenringe mit einem einzigen Werkzeug bei gleichzeitigem Erreichen der geforderten Fertigungsqualitäten bearbeitet werden. Das laserunterstützte Drehen ermöglicht damit eine flexible, wirtschaftliche Fertigung keramischer Bauteile unter vollständigem Verzicht auf Kühlschmierstoff. In ersten Untersuchungen konnte darüber hinaus bereits die prinzipielle Machbarkeit einer laserunterstützten Fräsbearbeitung keramischer Werkstoffe nachgewiesen werden. Laserunterstütztes Metalldrücken
Exemplarisch wurde die industrielle Relevanz des laserunterstützten Drückverfahrens anhand des Demonstrationsbauteils „Katalysatortrichter“ überprüft. Hierzu wurde eine Werkstoffsubstitution durchgeführt. Industriell werden Katalysatortrichter heute aus Tiefziehstählen oder rost- und säurebeständigen Stählen gefertigt. Im Rahmen der prototypischen Anwendungserprobung werden nun Titanlegierungen mit einer höheren spezifischen Festigkeit und einer besseren Korrosionsbeständigkeit eingesetzt. Die Lebensdauer der Bauteile steigt, während das Gewicht sinkt. Titanlegierungen stellen jedoch erheblich gesteigerte Anforderungen an den Fertigungsprozess. Weiterhin wurde das VerfahrensPotential zur Durchmesserreduktion von längsnahtgeschweißten Rohren aus rost- und säurebeständigem Stahl untersucht. Hierzu wurden Reduzierkomponenten für den Einsatz in der Kältetechnik laserunterstützt eingezogen. Konventionell wird diese Verfahrensvariante auch als „Engen durch Drücken“ bezeichnet. Katalysatortrichter sind Reduzierkomponenten zwischen den Abgasrohren und dem Abgaskatalysator. Im Kfz-Oberklassesegment werden schon heute Abgasanlagen aus Titan eingesetzt. Aufgrund der schlechten Verformbarkeit des Werkstoffs sind hier jedoch aufwendige Schweißkonstruktionen erforderlich. Im Jahr 2002 wurden erstmals nahtlose Katalysatortrichter aus den Titanlegierungen Ti2 (3.7035, Titan Grade 2) und TiAl6V4 (3.7165, Titan Grade 5) hergestellt. Das mikrolegierte Ti2 weist hierbei eine vergleichsweise gute Kalt-Umformbarkeit bei geringerer Festigkeit auf. Das hochlegierte TiAl6V4 erfüllt alle Festigkeitsanforderungen, ist jedoch nur unter Einsatz einer simultanen Erwärmung umformbar.
6.4 Anwendungsbeispiele
299
A
B A: Vorwärmphase
C B: Mehrstufiges Drücken (Formgebung)
Werkstoff: Laser: Optik: Fokusgröße:
TiAl6V4 3kW HDL 200 mm Brennweite 1,8 x 7,8 mm²
C: Glätten (Einstellen der Bauteilwandstärke, Erhöhung der Maßgenauigkeit, Minimierung Oberflächenrauheit)
Abb. 6.57. Laserunterstütztes Drücken eines Katalysatortrichters aus der Titanlegierung TiAl6V4
In Abb. 6.57 sind die prototypischen Fertigungsschritte zur drücktechnischen laserunterstützten Herstellung von Katalysatortrichtern aus der Titanlegierung TiAl6V4 dargestellt. Bild A zeigt hierbei die zwischen dem Drückfutter und der reitstockseitigen Andrückeinheit verspannten und in Rotation versetzte Ronde. Im Rahmen einer etwa zehn Sekunden dauernden Vorwärmphase wird das Werkstück „auf Temperatur“ gebracht. Bild A zeigt das Ende der Vorwärmphase. Während dieser Phase pendelt der Laserstrahl über das rotierende Werkstück. Im Rahmen einer Serienfertigung ließe sich diese Vorwärmzeit erheblich verkürzen oder sogar einsparen, indem temperierte Werkzeuge eingesetzt werden. In Bild B ist die zehnte von 21 Drückstufen dargestellt. Der Laserstrahl erwärmt das Werkstück hierbei gezielt im Bereich der Drückrollenkontaktzone. Mittels wechselndem Abstrecken und Rückstauchen entsteht so aus einer ebenen Scheibe ein dreidimensionales, rotationssymmetrisches Bauteil. Das Ende der Formgebung zeigt Bild C. Im chemischen Anlagenbau, der Klima- und Kältetechnik sowie in der Lebensmittelindustrie werden Rohrreduktionskomponenten eingesetzt, um Rohre verschiedenen Durchmessers zu verbinden. Anwendungen in diesen
300
6 Lasermaterialbearbeitung
A
B
C
A: Vorwärmphase
B: Mehrstufiges Einziehen des Rohrs Werkstoff: Laser: Optik: Fokusgröße:
X6CrNiTi18-10 3kW HDL 200 mm Brennweite 1,8 x 7,8 mm²
C: Fertigstellung der Rohrverjüngung
Abb. 6.58. Laserunterstütztes Einziehen eines längsnahtgeschweißten Rohrs
industriellen Sektoren erfordern den Einsatz von hochfesten und korrosionsbeständigen Werkstoffen. Das Formänderungsvermögen von Hochleistungswerkstoffen, wie z. B. rost- und säurebeständiger Stahl, begrenzt jedoch die realisierbaren Reduktionsgrade. Abb. 6.58. zeigt ein längsnahtgeschweißtes Rohr aus dem austenitischen Edelstahl X6CrNiTi18-10 (1.4541), das von einem Ausgangsdurchmesser von 48 mm und einer Wanddicke von 2 mm auf einen Enddurchmesser von 24 mm laserunterstützt eingezogen wird. Für die laserunterstützte Rohrbearbeitung wurde eine geregelte Umformtemperatur von 700°C eingesetzt. Bei Verwendung derselben Umformparameter endet die Kaltumformung in Form eines Bruchs im Bereich der Wärmeübergangszone von der Schweißnaht zum Grundwerkstoff. Ein Bruch im Durchmesserbereich zwischen 37 und 40 mm ist auch nicht durch die Verwendung von sehr geringen Umformgraden pro Einziehstufe zu vermeiden. Konventionell würden an dieser Stelle Rekristallisationsglühschritte eingesetzt. Aufgrund der Werkstoffverfestigung steigt die Härte des warm umgeformten Werkstücks von 200 HV 0,1 bei einem Anfangsdurchmesser von 48 mm auf 300 HV 0,1 bei einem auf 24 mm eingezogenen Durchmesser. Kalt umgeformte, gebrochene Werkstücke weisen eine Härte von
6.5 Entwicklungstendenzen
301
350 HV 0,1 bei einem Enddurchmesser von 37 mm auf. Ein signifikanter Unterschied in der Härte zwischen dem Grundmaterial und der Wärmeeinflusszone ist nicht feststellbar. Somit ist die primäre Ursache für den Bruch während der Kaltumformung in der innen liegenden Schweißnahtüberhöhung und der resultierenden Kerbwirkung zu sehen. Zusätzlich zur Vermeidung von Zwischenglühstufen ist der laserunterstützte Umformprozess durch eine gesteigerte Prozesssicherheit gekennzeichnet. In der industriellen Fertigung führen Chargenschwankungen von geschweißten Halbzeugen dazu, dass Fertigungsprozesse unterbrochen und auf das veränderte Werkstückverhalten angepasst werden müssen. Diese Ausfallzeiten können durch den Einsatz der laserunterstützten Umformung vermieden werden. Aufgrund der gesteigerten Prozesssicherheit können somit auch preiswerte Halbzeuge verarbeitet werden.
6.5 Entwicklungstendenzen Die zunehmende Akzeptanz in der Industrie für Laseranwendungen führt zu einem starken Anstieg der Anzahl der Applikationen und der Vielfältigkeit des Einsatzes. Das anhaltend starke Wachstum etablierter Anwendungen sowie weitere erschließbare Potentiale jenseits der Standardapplikationen bieten der Lasertechnologie auch weiterhin herausragende Wachstumsperspektiven. Bis zum Jahr 2010 wird ein weltweites Marktvolumen von mehr als 10 Mrd. Euro pro Jahr bei durchschnittlichen jährlichen Zuwachsraten von 13 % erwartet [Hein05]. Hierzu werden zwei Entwicklungsansätze verfolgt: Einerseits die weitere Optimierung bestehender Laseranwendungen und andererseits die Erschließung zusätzlicher Anwendungsbereiche unter Berücksichtigung der Entwicklung neuer Laserstrahlquellen. Treibende Kraft sind produktionstechnische Herausforderungen wie effizienter Ressourceneinsatz sowie kürzere Time-toMarket- und Produktlebenszyklen bei gleichzeitig höherer Variantenvielfalt und gestiegenen Qualitätsanforderungen. Eine erfolgreiche Etablierung der Lasertechnologie erfordert dabei die Betrachtung aller relevanten Einflussfaktoren von der Laserstrahlquelle über die Systemtechnik und die entsprechende Prozesstechnologie bis hin zur Qualitätssicherung. Das Laserstrahlschneiden und –schweißen ist in der industriellen Produktion bereits weitgehend etabliert. Derzeitige Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zielen auf das Prozessverständnis laserunterstützter Trennund Fügetechniken sowie auf höhere Prozessgeschwindigkeiten bei gleichzeitig steigender Präzision. Vermehrt werden hierbei diodengepumpte Festköperlaser eingesetzt. Die entwickelten Lasertypen – Faserlaser,
302
6 Lasermaterialbearbeitung
Scheibenlaser sowie diodengepumpte Stab- und Slablaser – sind generell durch eine höhere Strahlqualität, Wartungsunabhängigkeit und Faserkompatibilität auch bei hohen Leistungen im Vergleich zu lampengepumpten Festkörperlasern gekennzeichnet. Die Bearbeitung dreidimensionaler Strukturen erfordert zudem die Verfügbarkeit entsprechender Handhabungssysteme mit hoher Positioniergenauigkeit sowie gleichzeitig hohen Bahngeschwindigkeiten und Achsbeschleunigungen. In der Entwicklung befinden sich weiterhin entsprechende CAD/CAM-Technologien mit katalogisierten Prozessdaten und durchgängiger Datenkette vom Produktdesign bis hin zur Fertigung der dreidimensionalen Strukturen. Ein weiterer Entwicklungsschwerpunkt beim Laserstrahlschweißen ist das „Remote-Schweißen“. Beim Remote-Schweißen wird der Laserstrahl mittels einer Optik mit großer Brennweite fokussiert und anschließend über einen Scanner-Kopf an die Bearbeitungsstelle geführt. Wesentlicher Vorteil ist dabei die extrem geringe, nicht produktive Positionierzeit. Damit lassen sich beispielsweise in der Karosseriefertigung die Taktzeiten um bis zu 60 % reduzieren. Zudem ergeben sich beim Remote-Schweißen durch die Laser-Steppnähte im Vergleich zu konventionellen PunktSchweißungen Vorteile in Bezug auf die Festigkeit der Schweißnaht. Voraussetzung für das Remote-Schweißen ist jedoch der Einsatz von Laserstrahlquellen mit hoher Strahlqualität. Bisher wurden hierbei ausschließlich CO2-Laser in stationären Portalanlagen für 2½D-Bearbeitungen eingesetzt. Die Entwicklungen der diodengepumpten Festkörperlaser, insbesondere der Scheiben- und Faserlaser, ermöglichen zukünftig auch deren Einsatz in Verbindung mit Laserlichtfaser und Robotern. Damit werden auch „welding-on-the-fly“-Bearbeitungen von 3D-Strukturen ermöglicht, bei denen eine grobe Positionierung durch den Roboter, die exakte Positionierung und die Prozessbewegung jedoch durch den Scanner erfolgen. Daneben steht das Laserstrahlhartlöten an der Schwelle der industriellen Umsetzung im Pkw-Karosseriebau. Neueste Entwicklungen fokussieren hier auf die Realisierung eines flussmittelfreien Lötprozesses. Eingesetzt werden hierzu ein Diodenlaser (cw) zum Aufschmelzen des Lotwerkstoffs sowie ein Slab-Laser (pw), der unmittelbar vor dem Lotbad durch den Abtrag einer eventuellen Oxidschicht bzw. von Verunreinigungen auf dem Grundwerkstoff das Benetzungsverhalten des Lots verbessert. Zusätzlich zu den generellen Vorteilen des Lötens gegenüber dem Schweißen, wie der niedrigeren Arbeitstemperatur und dem geringeren Bauteilverzug durch thermische Spannungen, erfolgt somit eine vollständige Eliminierung der konventionell erforderlichen Flussmittel. Dadurch ist eine weitere Steigerung der Nahtqualität und eine Reduzierung der nachfolgenden Arbeitsschritte möglich.
6.5 Entwicklungstendenzen
303
Eine weitere Herausforderung für den Einsatz der Lasertechnik, insbesondere bezüglich der beiden Fügetechniken Laserschweißen und Laserlöten ist die Gewährleistung der Prozesssicherheit und -reproduzierbarkeit in der Serienfertigung. Hierzu sind spezielle Sensortechniken erforderlich, die eine Online-Prozesskontrolle der Fügenaht ermöglichen. In den klassischen Disziplinen der Mikrobearbeitung, dem Abtragen, Strukturieren und Bohren, hat die Lasertechnik eine feste Marktposition erreicht. Zukünftige Anforderungen liegen in der Übertragung der Technologien auf Freiformflächen bei höherer Präzision und geringeren Strukturgrößen. Hierzu sind entsprechende Produktionszellen mit angepasster Handhabung und CAM-Technologie sowie der adequaten Messtechnik zu entwickeln. Hinsichtlich der Strahlquellen bieten Kurzpulslaser und Extrem-UV-Strahlquellen beste Voraussetzungen zur Herstellung stetig kleinerer Strukturen. So ist beispielsweise die Mikrolithographie eine wichtige Grundlage für die Fertigung von Mikrostrukturen in der Halbleiterindustrie. Die erwartete Entwicklung der Strukturdimensionen (0,05 bis 0,01 µm) erfordert den Einsatz extrem kurzwelliger EUV-Laserstrahlung (O = 13,5 nm). Im Bereich der Laseroberflächenbehandlung etablieren sich derzeit Diodenlaser für den industriellen Einsatz. Die kompakte Bauweise, der hohe Wirkungsgrad und der geringe anlagentechnische Aufwand bieten gute Voraussetzungen für die Integration in konventionelle Produktionssysteme. Insbesondere für das Laserhärten wurde dies bereits in zahlreichen Anwendungen umgesetzt. Aktuelle Untersuchungen zielen hier auf modular aufgebaute Strahlprofile (bzw. Intensitätsverteilungen), die an die jeweilige Bearbeitungsaufgabe angepasst werden. Der Einsatz des Diodenlasers zum Laserstrahllegieren/-dispergieren bzw. zum Beschichten ist noch Gegenstand aktueller Forschungsarbeiten. Zielsetzung ist auch hier die Integration des Diodenlasers in unterschiedliche Produktionssysteme als sequenziell eingesetztes Werkzeug für additive Bearbeitungsschritte. Für Anwendungen im Werkzeug- und Formenbau erfolgt derzeit der Aufbau einer autonomen Reparaturzelle, die eine automatische Instandsetzung verschlissener Tiefzieh- und Schmiedewerkzeuge ermöglicht. Mittels Lasertriangulation wird dabei das verschlissene Werkzeug vermessen, die gewonnenen Geometriedaten (Ist-Kontur) im CAD/CAM-System mit der hinterlegten Soll-Kontur verglichen und daraus automatisch NC-Daten für das Laserauftragschweißen und die abschließende Fräsbearbeitung generiert. Das Konzept bietet dem Anwender unterschiedliche Bearbeitungsverfahren in einer Werkzeugmaschine. Rüst-, Transport- und Liegezeiten entfallen vollständig. Die zusätzlich integrierte Laserstrahlquelle kann darüber hinaus zur simultanen Erwärmung und damit zur laserunterstützten Bearbeitung genutzt
304
6 Lasermaterialbearbeitung
werden. Aktuelle Entwicklungen verfolgen die konstruktive und steuerungstechnische Verknüpfung einer Fräsmaschine mit einem Diodenlaser sowie die Prozessoptimierung zur laserunterstützten Fräsbearbeitung keramischer Werkzeugformeinsätze.
7 Materialbearbeitung mit Elektronenstrahlen (EBM)
7.1 Grundlagen 7.1.1 Physikalisches Prinzip Das Prinzip der Elektronenstrahlbearbeitung basiert auf der technischen Nutzung der Energieumsetzung beim Auftreffen eines scharf gebündelten und hoch beschleunigten Elektronenstrahls auf Materie. Die Elektronen werden beim Auftreffen abgebremst, wobei ihre kinetische Energie im Brennfleck in Wärmeenergie umgewandelt wird (vgl. Abb. 7.1a). Die Eindringtiefe der Elektronen in das Werkstück ist eine Funktion ihrer Geschwindigkeit und somit der Beschleunigungsspannung sowie der Dichte des beaufschlagten Materials. Die hohe Leistungsdichte im Brennfleck hat zur Folge, dass in diesem Bereich das Material innerhalb weniger Mikrosekunden aufschmilzt und zum Teil verdampft. Durch den entstehenden Dampfdruck wird die Schmelze in Form von kleinen Tröpfchen vom Strahlauftreffpunkt verdrängt (vgl. Abb. 7.1b). Wird der Elektronenstrahl unmittelbar nach dem Durchdringen des Werkstücks abgeschaltet, so bleibt eine Kapillare bestehen (vgl. Abb. 7.1c). Wirkt der Strahl aber weiter ein, so bildet sich am Rand der Kapillare eine immer dicker werdende Schmelzzone aus (vgl. Abb. 7.1d). Bewegt man nun den Strahl relativ zum Werkstück mit geeigneter
Strahl
Strahl Wärmefluss
a)
Werkstückbewegung
b)
c)
Erstarrungszone
Schmelzzone
d)
e)
Abb. 7.1. Phasen der Einwirkung von Elektronenstrahlen auf Metalle [Schu82]
306
7 Materialbearbeitung mit Elektronenstrahlen (EBM)
Vorschubgeschwindigkeit, so wandert die Kapillare mit. An deren Vorderseite wird das Material gleichzeitig über die gesamte Tiefe aufgeschmolzen, während es an der Rückseite zusammenfließt und erstarrt (vgl. Abb. 7.1e) [Schu82]. 7.1.2 Elektronenstrahlanlage Abb. 7.2 zeigt den typischen Aufbau einer Elektronenstrahlanlage. In der Strahlquelle emittiert eine hoch erhitzte Wolframkathode Elektronen, die mit Hilfe einer Hochspannung (ca. 150 kV) in Richtung Anode beschleunigt werden. Der Wehnelt-Zylinder steuert die Strahlstromstärke in Abhängigkeit von seiner Spannung zur Kathode. Durch Regelung dieser Spannung verändert sich die Anzahl der Elektronen, die das Potential (gegenüber der Kathode) überwinden können, und somit die Intensität des Elektronenstrahls. Die Elektronen passieren die Ringanode und werden von der Magnetlinse auf die Werkstückoberfläche zu einem Brennfleck fokussiert. Der Durchmesser dieses Brennfleckes hängt von der jeweiligen Strahlstromstärke ab und beträgt 0,1 - 1 mm. Mit Hilfe von Ablenkspulen Elektrodenkanone Isolator
Hochspannung
Kathode WehneltElektrode Ringanode Vakuumpumpe
Ventil Blende Magnetlinse
Arbeitskammer
Vakuumpumpe
Werkstück
Ablenkspule
X-,Y-Tisch
Abb. 7.2. Schematischer Aufbau einer Elektronenstrahlanlage
7.1 Grundlagen
307
kann der Strahl in einem kleinen Winkelbereich (bis etwa 5°) mit hoher Geschwindigkeit abgelenkt werden. Zur Bearbeitung größerer Bereiche bewegt man das Werkstück mit einer Positioniereinrichtung [Schu82]. Damit die Elektronen auf ihrer Flugbahn nicht durch Kollisionen mit Luftmolekülen gestreut werden, wird das ganze System evakuiert. Während für die Strahlquelle ein Druck unterhalb von 10-4 mbar notwendig ist, wird in der Arbeitskammer meist mit 10-2 bis 10-4 mbar gearbeitet. Für die Behandlung von Einzelteilen und Kleinserien haben sich die universell einsetzbaren Kammeranlagen (Abb. 7.3a) bewährt. Bei Großserien werden immer häufiger Taktmaschinen (Abb. 7.3b) eingesetzt, bei denen die Kammergröße auf die Abmessungen der zu behandelnden Werkstücke abgestimmt ist. Hierdurch lassen sich die durch den Werkstückwechsel bedingten Nebenzeiten deutlich reduzieren und somit Taktzeiten von wenigen Sekunden realisieren. Für die Behandlung von stab- und bandförmigen Halbzeugen eignen sich Durchlaufmaschinen (Abb. 7.3c). Um 1990 wurde das Elektronenschweißen an Atmosphäre NVEBW (Non Vacuum Electron Beam Welding) aufgrund vieler Entwicklungsaktivitäten an deutschen Universitäten und Instituten wiederentdeckt und gemeinsam mit der Industrie weiterentwickelt [Behr03]. Beim Elektronenstrahlschweißen in Umgebungsatmosphäre wird gegenüber dem Schweißen im Vakuum die Vakuumkammer durch ein Druckstufensystem ersetzt. Die Bearbeitung der Teile erfolgt innerhalb einer Schutzkabine (Abb. 7.3d). Die Evakuierzeit entfällt, da das Druckstufensystem und die Generatorsäule ständig unter Vakuum gehalten werden. Der Elektronenstrahl wird vom Hochvakuum über das Fein- und Grobvakuum an Atmosphäre geführt. Während beim Schweißen im Vakuum durch Umfokussieren ein großer Arbeitsabstandsbereich realisiert
Werkstück
a)
Halbzeug
b)
c)
d)
Abb. 7.3. Wesentliche Typen von Elektronenstrahlmaschinen (nach Steigerwald Strahltechnik)
308
7 Materialbearbeitung mit Elektronenstrahlen (EBM)
werden kann, werden beim Elektronenstrahlschweißen an Atmosphäre Höhendifferenzen entlang der Schweißnaht durch ein Verschieben des Elektronenstrahlgenerators und/oder des Werkstücks ausgeglichen. Der Einsatzbereich des Verfahrens ist derzeit vorwiegend in der Automobilindustrie angesiedelt.
7.2 Leistungsfähigkeit und Einsatzbereiche In der industriellen Fertigung sind heute Elektronenstrahlanlagen mit einer Beschleunigungsspannung bis zu 150 kV im Einsatz. Eine wichtige Kenngröße für diese Anlagen ist die Strahlleistung P, die sich aus dem Produkt von Beschleunigungsspannung UB und Strahlstrom IS ergibt. Die maximale Leistung einer Anlage hängt wesentlich davon ab, für welchen Einsatzbereich sie konzipiert wurde, und beträgt 1 kW bis etwa 150 kW. Durch die Fokussierung des Strahls sind im Brennfleck Leistungsdichten bis zu 109 W/cm2 zu erreichen [Schu82]. Je nach gewählter Leistungsdichte sind mit dem Elektronenstrahl verschiedene Bearbeitungsarten durchführbar (Tabelle 7.1) [Dobe72]. Tabelle 7.1. Einsatzgebiete der Elektronenstrahlbearbeitung Leistungsdichte W/cm2 102 - 103 103 4 10 - 105 105 - 106 105 – 107 107 – 109 108 >108
Anwendungsgebiet
Werkstoffgruppe
Polymerisieren Elktroresistverfahren Härten Schweißen, Umschmelzen Perforieren Bohren, Fräsen Gravieren Sublimieren
Kunststoffe Metalle
7.2.1 Kunststoffbearbeitung mit dem Elektronenstrahl Ein wichtiges Einsatzgebiet ist die Bestrahlung monomerer Lacksysteme, die durch strahlinduzierte Polymerisation innerhalb von Sekundenbruchteilen vernetzen [Mehn94]. Hierzu sind Leistungsdichten von 102 - 103 W/cm2 erforderlich. Mit ähnlich geringen Leistungsdichten
7.2 Leistungsfähigkeit und Einsatzbereiche
309
arbeitet das Elektroresistverfahren zur Herstellung von integrierten Schaltkreisen mit höchstem Auflösungsvermögen. Wird die Leistungsdichte auf ca. 104 W/cm2 erhöht, so können Kunststoffe verdampft werden. Zur Anwendung kommt dies bei der Kunstlederperforation und der Herstellung von Sieb- und Filterfolien [Dobe72]. 7.2.2 Elektronenstrahlhärten Beim Elektronenstrahlhärten werden definierte Bereiche der Oberfläche sehr rasch austenitisiert (Kurzzeitaustenitisieren) und anschließend durch Wärmeabfuhr in das kalte Werkstück ohne zusätzliches Kühlmittel abgeschreckt (Selbstabschreckung). Erwärmungs- und Abkühlgeschwindigkeiten zwischen 103 und 105 K/s sind typische Werte für das Elektronenstrahlhärten [Zenk90]. Je nach Anwendungsfall wird mit Leistungsdichten zwischen 104 - 105 W/cm2 gearbeitet, die Einwirkzeiten liegen zwischen 0,001 und 0,1 Sekunden. Um ein gleichmäßiges, reproduzierbares Härteergebnis zu erzielen, muss das Ausgangsgefüge möglichst homogen sein. Daher sind neben unlegierten und legierten Stählen nur Gusseisensorten mit perlitischer Matrix für das Elektronenstrahlhärten geeignet. Die wesentlichen Vorteile des Elektronenstrahlhärtens sind: x weitgehende Verzugsfreiheit durch geringe thermische Belastungen des Werkstücks, x exakte Geometrie der Härtezonen durch die gute Steuerbarkeit des Strahls und x extrem hohe Härtewerte durch sehr schnelle Umwandlungsvorgänge. 7.2.3 Umschmelzveredeln Bei Leistungsdichten von 105 bis 106 W/cm2 können alle Metalle aufgeschmolzen werden. Hieraus ergeben sich die Anwendungsgebiete Umschmelzveredeln und Elektronenstrahlschweißen. Beim Umschmelzveredeln wird das Material örtlich über den Schmelzpunkt erwärmt. Die Schmelze wird stark, aber nur kurzzeitig überhitzt und die beim raschen Abkühlen mit erheblicher Unterkühlung eintretende Erstarrung läuft mit sehr hoher Geschwindigkeit ab. Durch die hohe Erstarrungsgeschwindigkeit wird die Löslichkeitsgrenze fester Lösungen erweitert, die Kristallseigerungsvorgänge werden unterdrückt und es tritt eine starke Gefüge-
310
7 Materialbearbeitung mit Elektronenstrahlen (EBM)
verfeinerung ein. Dazu kommt bei umwandlungshärtbaren Stählen der martensitische Härtungseffekt hinzu. Abb. 7.4 zeigt am Beispiel eines Schnellarbeitsstahls, dass durch Umschmelzveredeln in Verbindung mit entsprechenden Anlassbehandlungen eine deutliche Härtesteigerung erzielbar ist. Im Falle der Gusseisenwerkstoffe wird ein weiteres Phänomen ausgenutzt, das durch den Dualcharakter des Systems Eisen-Kohlenstoff bedingt ist. Beim Umschmelzen von Grauguss wird der freie Graphit in der Schmelze aufgelöst. Durch die schnelle Abkühlung erstarrt die Schmelze weiß, gefolgt von einer martensitischen Umwandlung. Das so erzeugte feine Ledeburitgefüge ist verhältnismäßig zäh und weist Härtewerte über 900 HV 1 auf [Dobe72]. Das sog. Umschmelzlegieren wird vorwiegend zur Veredelung von Aluminiumwerkstoffen eingesetzt (Abb. 7.5). Bei dieser Verfahrensvariante wird der Grundwerkstoff zunächst mit den Legierungswerkstoffen, vorzugsweise Ni oder Fe, beschichtet, wobei das Auftragen in der Regel auf galvanischem Wege erfolgt. Durch das anschließende Umschmelzen wird die ursprüngliche Beschichtung von dem aufgeschmolzenen Material als Legierungskomponente aufgenommen. Somit sind in den legierten Oberflächenbereichen im Vergleich zum Grundmaterial höhere Härte- und Verschleißwiderstandswerte sowie bessere Gleiteigenschaften erzielbar [Hill81].
Vickers- Härte HV
1100
1000
Bei konventioneller Behandlung erreichte Härte
900 a) nur umschmelzveredelt
800
b) umschmelzveredelt und 1x angelassen 1h bei 500°C
700
c) umschmelzveredelt und 2x angelassen 1h bei 500°C
600 a)
b)
c)
Abb. 7.4. Härte von aufschmelzbehandeltem Schnellarbeitsstahl S10-4-3-10 (nach Steigerwald Strahltechnik)
7.2 Leistungsfähigkeit und Einsatzbereiche
311
10 mm
Abb. 7.5. Einschmelzlegierter Motorkolben (nach Steigerwald Strahltechnik)
7.2.4 Elektronenstrahlschweißen Der überwiegende Anteil industrieller Elektronenstrahlanwendungen entfällt auf das Elektronenstrahlschweißen. Mit dem Elektronenstrahl lassen sich nahezu alle Metalle verschweißen, insbesondere hochschmelzende und gasempfindliche Metalle sowie Sonderlegierungen. Verschiedene Arten des Nahtschweißens wie Stumpf-, Überlapp- und Punktschweißen sind ohne Zusatzwerkstoffe durchführbar. Geschweißt wird mit dem Elektronenstrahl im Vakuum, unter Schutzgas oder in freier Atmosphäre [Behr03]. Die geforderte hohe Genauigkeit von Werkzeug- und Werkstückführung ergibt sich aus der von der Strahlgeometrie abhängigen kleinen Fläche von weniger als 1 mm², in der die Energie an das Werkstück übertragen wird. Bedingt durch die hohe Leistungsdichte sind große Schweißgeschwindigkeiten realisierbar und große Blechdicken einlagig verschweißbar (Abb. 7.6). Das Elektronenstrahlschweißen wird rationell und qualitätssicher im Automobil-, Flugzeug- und Raumfahrzeugbau, in der Kern-, Feinwerk-,
312
7 Materialbearbeitung mit Elektronenstrahlen (EBM)
5 mm
Abb. 7.6. Querschliff einer Elektronenstrahlschweißnaht (nach ISF, RWTH Aachen)
Elektrotechnik und Elektronik sowie beim Bau physikalischer, medizinischer und anderer Geräte eingesetzt. Durch den Einsatz des Elektronenstrahlschweißens ergeben sich für den Aufbau und die Konstruktion der Bauteile größere Variationsmöglichkeiten und es vereinfachen sich oft die Herstellungsprozesse. Dadurch werden in vielen Fällen niedrigere Herstellkosten erreicht. So können z. B. komplizierte Bauteile aus mehreren Teilstücken, evtl. aus unterschiedlichen Werkstoffen, zusammengefügt werden (Abb. 7.7).
15 mm
Abb. 7.7. Anwendungsbeispiel für das Elektronenstrahlschweißen: AirbagGehäuse (nach Steigerwald Strahltechnik)
7.2 Leistungsfähigkeit und Einsatzbereiche
313
Abb. 7.8. Anwendungsbeispiel für das NonVac-Elektronenstrahlschweißen: Automobil Instrumententafelträger (nach Steigerwald Strahltechnik)
In jüngster Zeit kamen vermehrt NonVac-Elektronenstrahlschweißmaschinen zum Einsatz. Ein typisches Werkstück, das mit diesem Verfahren gefertigt wird, ist der Instrumententafelträger für einen PKW. Zwei Halbschalen aus AlMg3 mit Bördelnähten werden verschweißt. Durch die weitgehende Verzugsfreiheit - bedingt durch die schmale Naht und die kleine Wärmeeinflusszone - ist eine Nacharbeit nicht erforderlich (Abb. 7.8). Abb. 7.9 zeigt verschiedene Ausführungen von BimetallSägeblättern. Auf breite Trägerbänder aus Federstahl wurde ein schmales Schnellarbeitsstahlband mit einer Geschwindigkeit von etwa 15 m/min aufgeschweißt.
Abb. 7.9. Verschiedene Formate mittels Elektronenstrahl geschweißter BimetallSägeblätter (nach Steigerwald Strahltechnik)
314
7 Materialbearbeitung mit Elektronenstrahlen (EBM)
7.2.5 Perforieren, Bohren, Fräsen, Gravieren Wird die Leistungsdichte noch weiter gesteigert, besteht die Möglichkeit, mit dem Elektronenstrahl abtragende Bearbeitungen, wie Perforieren, Trennen und Gravieren, vorzunehmen. Insbesondere beim Perforieren dünner Bleche (für Siebdruck oder Filter) finden rechnergesteuerte Elektronenstrahlanlagen einen wirtschaftlichen Einsatz (Abb. 7.10). In der industriellen Anwendung sind heute Bohrungstiefen bis zu 7 mm und Lochdurchmesser von 0,05 bis 1 mm erreichbar. Hinsichtlich der Bohrungsgeometrie muss bei tiefen sowie bei flachen Bohrungen mit kleinen Durchmessern mit einer bestimmten Konizität gerechnet werden (Verhältnis Eingangsöffnung zur Austrittsöffnung ca. 1,5). Diese Verhältnisse können durch Steuerung der Leistungsdichteverteilung vergrößert werden (Einsatz beispielsweise in der Filtertechnik). Mit dem gegenwärtigen Stand der Ausrüstung lässt sich eine Reproduzierbarkeit der Ergebnisse bis zu einem Toleranzbereich von ± 5 % vom Durchmesser (inklusive Abweichungen von der Kreisform) erreicht werden. Im weiteren Anwendungsbereich können beispielsweise in 0,1 mm dicke Edelstahlbleche Bohrungen von 0,2 mm Durchmesser mit einer Frequenz von 3000 /s eingebracht werden (Abb. 7.12) [Schw93].
1,0
Bohrfrequenz beim EB- Bohren 10000
Bohrfrequenz / Hz
Durchmesser d / mm
Anwendungsfeld für das EB- Bohren 1,2
0,8 0,6 0,4
1000
100
10 0,2 0,0 0,1
1,0
Länge L / mm
1 0,001 0,01
0,1
1
10
Volumen einer Bohrung V / mm³
Abb. 7.10. Einsatzbereiche für das Elektronenstrahlbohren (nach Steigerwald Strahltechnik)
7.2 Leistungsfähigkeit und Einsatzbereiche
315
Der Einsatz dieses Verfahrens erweist sich immer dann als besonders wirtschaftlich, wenn sehr hohe Bearbeitungsgeschwindigkeiten erreicht werden müssen, wenn also hohe Stückzahlen oder viele gleichartige Bearbeitungen an einem Werkstück durchzuführen sind. Dies ist z. B. bei Gasbrennerdüsen, Einspritzringen für Triebwerke, Kühlbohrungen in Turbinenschaufeln, Spinnköpfen für die Glasfaserherstellung und Filtertrommeln der Fall [Hsuc91, Schw93]. Weiterhin sind Oberflächenstrukturierungen durch Sublimation mittels Ablenkung eines Elektronenstrahls möglich. Mit dieser Technik werden z. T. Bearbeitungsgeschwindigkeiten von 1 m/s erreicht. Ziel dieser Entwicklung ist es, wesentlich feinere Strukturen fertigen zu können als es mit herkömmlichen Techniken möglich ist. 7.2.6 Polieren Im Werkzeug- und Formenbau werden die Oberflächen von Metallformen nach der konventionellen Bearbeitung häufig von Hand poliert. Dieser Prozess erzeugt eine geringe Oberflächenrauheit, ist jedoch sehr zeitaufwendig und nicht genau reproduzierbar. Es besteht jedoch auch die Möglichkeit, Metallformen mittels eines Elektronenstrahls großflächig zu polieren [Okad03, Sodi04]. Das Material wird dabei bestrahlt, ohne dass der Strahl fokussiert werden muss. Der Strahldurchmesser beträgt bis zu 60 mm. Im Gegensatz zum herkömmlichen EBM-Verfahren wird der Strahl in einer mit Argon gefüllten Vorkammer erzeugt. Eine an der Außenseite der Kammer angebrachte Zylinderspule erzeugt ein Magnetfeld, welches zeitgleich zu einer an der Anode anliegenden Impulsspannung sein Intensitätsmaximum erreicht. Die dadurch erzeugte Lorentzkraft wirkt auf die in der Vorkammer befindlichen Elektronen, welche wendelförmig in Richtung der Anode beschleunigt werden. Die Argonatome werden durch Kollision mit den Elektronen stoßionisiert, wodurch in der Nähe der Anode ein Plasma entsteht. Zum Zeitpunkt der maximalen Intensität des Plasmas wird die Kathode mit einer Impulsspannung beaufschlagt.
316
7 Materialbearbeitung mit Elektronenstrahlen (EBM)
a)
30 mm
b)
30 mm
Abb. 7.11. Anwendungsbeispiele für das Elektronenstrahlbohren (nach Steigerwald Strahltechnik) a) Spinnkopf zur Glasfaserherstellung b) Brennkammergehäuse
Die dadurch austretenden Elektronen werden durch das elektrische Feld stark beschleunigt. Mit ihnen wird nun die Werkstückoberfläche bestrahlt. Das Plasma sorgt für eine Verringerung der Coulomb-Kraft zwischen den Elektronen, wodurch die Qualität des Elektronenstrahls verbessert wird. Abb. 7.12 zeigt funkenerodierte Formen, die anschließend mittels Elektronenstrahl poliert wurden. Bei der EBM-Feinstbearbeitung spielen die Anzahl der Bestrahlungen und die Energiedichte des Elektronenstrahls eine wichtige Rolle. Abb. 7.13 zeigt den Verlauf der Oberflächenrauheit bei verschiedenen Energiedichten des Elektronenstrahls. Zuerst wird auf der Probe mit einer zylindrischen Kupferelektrode ein Kreis mit einem Durchmesser von 8 mm funkenerosiv bearbeitet. Die funkenerodierte Oberfläche besitzt vor dem Polieren eine gemittelte Rauheit von R z = 6 µm. Die Bestrahlung erfolgt in einer Folge von Impulsen, bei denen die Impulsdauer bei 2 - 3 µs und die Impulsfrequenz bei 0,2 Hz liegt [Okad03]. Es entsteht ein Strahl mit einem Durchmesser von 60 mm. Als Werkstückwerkstoff kommt Formenstahl zum Einsatz. Abb. 7.13 zeigt SEM-Aufnahmen einer mit Elektronenstrahl bearbeiteten Oberfläche bei verschiedenen Energiedichten. Zum Vergleich wird ebenso die zu polierende funkenerodierte Oberfläche dargestellt. Es wurden 30 aufeinander folgende Bestrahlungen durchgeführt. Bei kleiner Energiedichte von 1,4 J/cm² zeigen sich bereits vereinzelt aufgeschmolzene Bereiche an der Oberfläche. Bei 2,1 J/cm² verstärkt sich dieser Effekt. Die Struktur der Oberfläche nach der Bearbeitung erscheint glatter.
7.2 Leistungsfähigkeit und Einsatzbereiche
317
Vorher Vorher
Nachher
Nachher
Abb. 7.12. Anwendungsbeispiele für das Elektronenstrahlpolieren (nach Sodick)
nach Funkenerosion
w = 4,2 J/cm²
w = 1,4 J/cm²
w = 7,3 J/cm²
EDM-Parameter: I=3A, te=2µs, W=10% Werkstoff: gehärteter Stahl NAK80, N=30 Bestrahlungen
w = 2,1 J/cm²
w = 10,7 J/cm² 50µm
Abb. 7.13. Funkenerodierte Oberfläche, die mit unterschiedlichen Energiedichten mit EBM poliert wurde [Okad03]
Bei Anwendung einer hohen Energiedichte unterscheidet sich die erzielte Oberfläche deutlich von der mit Funkenerosion hergestellten Struktur. Abb. 7.14 zeigt graphisch die Rauheit und den Oberflächenglanz in Abhängigkeit von der eingebrachten Energiedichte. Die Messungen des Oberflächenglanzes wurden in Übereinstimmung mit den Spezifikationen nach JIS (Z8741) durchgeführt. Dem Oberflächenglanz eines perfekten Spiegels wird hierbei ein Zahlenwert von 1000 zugeordnet.
7 Materialbearbeitung mit Elektronenstrahlen (EBM)
500 450
6 400
z
gemittelte Rautiefe R / µm
7
gemittelte Rautiefe Rz Oberflächenglanz
5
350 300
4
N = 30 Bestrahlungen
250
3 2
200
vor der Bestrahlung
150 100
Oberflächenglanz Gs (60°)
318
1 50 0
0 0
5
10
15
Energiedichte Ed / (J/cm²)
Abb. 7.14. Veränderung der Oberflächenrauheit und des Oberflächenglanzes in Abhängigkeit von der Energiedichte Ed [Okad03]
Wie in Abb. 7.14 zu sehen ist, nimmt die Oberflächenrauheit mit zunehmender Energiedichte ab und erreicht ein Minimum von R z = 0,7 µm bei 6 – 7 J/cm². Eine weitere Steigerung der Energiedichte verschlechtert die Oberflächenqualität wieder leicht. Der Oberflächenglanz steigt mit zunehmender Energiedichte und verhält sich analog zu den Rauheitswerten. In Abb. 7.15 wird die Auswirkung der Bestrahlungshäufigkeit dargestellt. Es zeigt sich, dass die Oberflächenrauheit mit zunehmender Bestrahlungshäufigkeit abnimmt. Ein ausreichender Glättungseffekt kann durch hohe Energiedichten oder durch eine gesteigerte Anzahl an Bestrahlungen erreicht werden. Es wird deshalb vermutet, dass die erzielte Rauheit von der eingebrachten Gesamtenergie abhängt, die das Produkt aus Energiedichte und Bestrahlungshäufigkeit darstellt. Um dies zu belegen, wurden jeweils zwei unterschiedliche Energiedichten mit verschiedenen Bestrahlungshäufigkeiten kombiniert und die daraus resultierenden Oberflächenrauheiten gemessen. Abb. 7.15 zeigt die Oberflächenrauheit über der eingebrachten Gesamtenergie für Energiedichten von 4,2 J/cm² und 7,3 J/cm². Die Oberflächenrauheit sinkt mit zunehmender Bestrahlungshäufigkeit und erreicht ein Minimum bei einer Gesamtenergie von 200 - 300 J/cm² für beide Energiedichten. Der minimale Rauheitswert für eine Energiedichte von 4,2 J/cm² liegt hierbei
7.2 Leistungsfähigkeit und Einsatzbereiche
319
7
gemittelte Rautiefe Rz / µm
vor der Bestrahlung 6 w = 7,3 J/cm², N = 1-50 Bestrahlungen w = 4,2 J/cm², N = 1-99 Bestrahlungen
5 4 3 2 1 0 0
100
200
300
400
500
Gesamtenergiedichte E d / (J/cm²)
Abb. 7.15. Veränderung der Oberflächenrauheit in Abhängigkeit von der Gesamtenergiedichte Ed [Okad03]
niedriger als für 7,3 J/cm². Dies belegt, dass ein effektiver Glättungseffekt mit kleiner Energiedichte und großer Bestrahlungshäufigkeit erfolgen kann.
8 Materialbearbeitung mit Hochdruckwasserstrahl
Hochdruckwasserstrahlen werden als Werkzeug in vielen Bereichen der Industrie eingesetzt. Der Einsatz von Flüssigkeitsstrahlen, vorwiegend Wasserstrahlen zum Bearbeiten von spröden Werkstoffen, Gesteinen, Kunststoffen usw., geht bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts zurück [Loui93]. Seine Vorteile gegenüber den klassischen Verfahren liegen, neben den geringen Strahlabmessungen, in der niedrigen thermischen und mechanischen Belastung des zu trennenden Materials. Speziell für die Bearbeitung von Verbundwerkstoffen, deren Einzelkomponenten zum Teil weit voneinander abweichende Materialeigenschaften aufweisen können, kommt das Wasserstrahl- bzw. das Wasserabrasivstrahlschneiden verbreitet zur Anwendung.
8.1 Grundlagen 8.1.1 Wirkmechanismen des Wasserstrahlschneidens Im Vergleich zu den mechanischen Trennverfahren ist beim Wasserstrahlschneiden das Werkzeug eine Flüssigkeitsströmung [Wulf86]. Für den Abtrag durch stationäre Wasserstrahlen sind vorwiegend Druckkräfte verantwortlich, die normal zur Oberfläche des Werkstücks wirken. Diese wiederum resultieren aus Strahlumlenkungen mit großen Umlenkwinkeln. Kavitation und Einzeltropfenaufschlag verursachen in zeitlichen Abständen hohe Druckspitzen sowie Scherkräfte durch querströmende Flüssigkeit. Über die Größenordnung beider Anteile ist keine gesicherte Aussage bekannt. Jedoch induzieren diese Kräfte Spannungen innerhalb des Werkstoffs, welche letztlich zum Versagen der Materialbindungen und zum Ausbruch einzelner Materialpartikel führen. Generell kann man daher davon ausgehen, dass der örtliche Abtrag stets auf der Herauslösung mikroskopisch kleiner Werkstückvolumina aus oberflächennahen Bereichen beruht. Der aus der Düse austretende Flüssigkeitsstrahl stellt im Idealfall eine rotationssymmetrische Strömung dar, deren Geschwindigkeit
322
8 Materialbearbeitung mit Hochdruckwasserstrahl
über den gesamten Querschnitt konstant ist [Wulf86]. Unter Vernachlässigung von Rohr- und Düsenreibung entspricht die Strahlgeschwindigkeit am Düsenaustritt näherungsweise:
vth
2p
Uw
.
(8-1)
Für den Massenstrom und die hydraulische Leistung gelten unter der gleichen Voraussetzung:
m th Pth
U w A vth ,
(8-2)
m th 2 vth . 2
(8-3)
Maßgeblichen Einfluss auf die Strahlleistung haben Systemdruck sowie Düsendurchmesser. Im Falle des Wasserabrasivstrahlschneidens dient der Wasserstrahl als Trägermedium für den ihm zugeführten Feststoff. Das einzelne, sich mit dem Freistrahl mitbewegende Feststoffpartikel, ruft beim Aufprall auf die Werkstückoberfläche einen Materialabtrag im Mikrobereich hervor. Die Summe der Einzelergebnisse dieses Vorgangs haben den eigentlichen Abtrag zur Folge. Dieser Vorgang weist eine große Ähnlichkeit mit den Mechanismen des Abrasionsverschleißes auf und kann als hydroabrasiver Strahlverschleiß bezeichnet werden [Schm94]. Trotz intensiver Untersuchungen sind die im Einzelfall wirkenden Mechanismen, und insbesondere deren Überlagerungen, noch nicht vollständig geklärt [Blic90]. Trennleistung und Trennergebnis werden jedoch maßgeblich durch Schärfe sowie Härte des verwendeten Abrasivstoffs beeinflusst. 8.1.2 Systemkomponenten
Die zum Schneiden mit Hochdruckwasserstrahl benötigte Anlagenkonfiguration lässt sich in drei Funktionsblöcke unterteilen (Abb. 8.1): x Filterstation, x Hochdruckpumpe und x Schneidstation.
Die Filterstation dient der Entsalzung und Mikrofiltrierung des Schneidwassers. Die Qualität des Schneidwassers beeinflusst unmittelbar
8.1 Grundlagen
323
Wasseraufbereitung
Hochdruckerzeugung
Strahlerzeugung und Handhabung
• Entsalzung • Mikrofilterung
• Hydraulischer Druckübersetzer
• Hochdruckwasserdüse/ Mischkammer
• Pulsationsdämpfer (Speichergefäß)
• Handhabungssystem • Strahlcatcher
Abb. 8.1. Prinzip einer Anlage zum Wasserabrassivstrahlschneiden
die Lebensdauer der Hochdruckkomponenten sowie der den Strahl formenden Wasserdüse. Hochdruckpumpen für industrielle Schneidanwendungen arbeiten überwiegend nach dem Prinzip des hydraulischen Druckübersetzers. Hierbei erzeugt eine regelbare Hydraulikpumpe einen Ölstrom mit konstantem Druck, der mittels eines Ventils wechselseitig auf die Fläche des Übersetzerkolbens geleitet wird. Die kleinere Fläche des Hochdruckkolbens erzeugt umgekehrt zu dem Flächenverhältnis der beiden Kolbendurchmesser den Druck des Schneidwassers. Ein nachgeschalteter Pulsationsdämpfer, welcher eine Speicherfunktion übernimmt, glättet die bei der Umsteuerung des Kolbens entstehenden Druckspitzen. Mit diesen Pumpen werden Arbeitsdrücke bis zu 400 MPa und, je nach Anzahl der Druckübersetzer, Volumenströme von bis zu 10 Liter in der Minute erzeugt.
324
8 Materialbearbeitung mit Hochdruckwasserstrahl Düse Düsenstein
Elastomerdichtung
Dichtflächen
Abb. 8.2. Komponenten einer Hochdruck-Wasserdüse (nach Flow Europe)
In der Schneidstation befinden sich neben der Hochdruckwasserdüse, mit welcher der eigentliche Schneidstrahl erzeugt wird, Komponenten zur Handhabung des Werkstücks und ein Behältnis zur Aufnahme des Schneidwassers und der Schneidrückstände. Die zum Einsatz kommenden Hochdruckwasserdüsen weisen eine lichte Weite (Innendurchmesser) von 0,1 - 0,5 mm auf. Aus Gründen der Verschleißfestigkeit werden sie aus synthetischem Saphir, Rubin, oder polykristallinem Diamant hergestellt. Die Hochdruckdüse wird mittels einer Elastomerdichtung in einer metallischen Halterung zentriert (Abb. 8.2). Diese wird in der Düsenmutter mit dem Hochdrucksystem verschraubt. Die Abdichtung des Systems erfolgt über Linienberührung und über eine elastische Vorspannung der metallischen Komponenten. Im Falle des Wasserabrasivstrahlschneidens erweitert sich die Anzahl der Systemkomponenten um einen Strahlkopf (Abb. 8.3). Der durch die Hochdruckdüse geformte Freistrahl erzeugt - indem er eine Mischkammer passiert - einen Unterdruck, der zum Ansaugen eines Gemischs aus Luft und Feststoff verwendet wird. Der Hochdruckwasserstrahl dient bei dieser Variante des Wasserstrahlschneidens als Trägermedium und überträgt seine kinetische Energie auf die Feststoffpartikel. Ein aus Hartmetall bestehendes Fokussierrohr dient als Beschleunigungsstrecke für die Feststoffpartikel sowie zur Strahlformung. Die lichte Weite der eingesetzten Rohre liegt in einem Bereich von 0,5 mm bis 2,3 mm. Während im Falle des Wasserstrahlschneidens die Hochdruckdüse einem Verschleiß unterliegt, ist beim Wasserabrasivstrahlschneiden das
8.1 Grundlagen
325
Hochdruckwasser Düse Überwurfmutter
Zuführung für Abrasivmittel Mischkammer Fokussierrohr
Abb. 8.3. Mischkopf für das Wasserabrasivstrahlschneiden (nach Flow Europe GmbH)
Fokussierrohr als das eigentliche Verschleißteil zu betrachten. Die Standzeit des Fokussierrohrs hängt im Wesentlichen von der Abrasivität und dem Massenstrom des verwendeten Strahlmittels ab. Weiterhin erfordert eine solche Anlage einen Vorratsbehälter für das Abrasiv. Als Strahlmittel kommen entsprechend den Anforderungen an die Schneidleistung und Schnittqualität Materialien, wie Granatsand oder Korund, zum Einsatz. Die zur Handhabung der Werkstücke verwendeten Systeme werden in Abhängigkeit vom Anwendungsfall ausgewählt. Zur Bearbeitung ebener Bauteile kommen Portal- oder Rollbandtischanlagen zum Einsatz, (Abb. 8.4). Zur Bearbeitung von Bauteilen mit Freiformflächen werden Gelenkarm- oder Portalroboter eingesetzt. Weiterhin finden handgeführte Manipulatoren oder Anlagen, die den manuell bedienten Bandsägen ähnlich sind, Anwendung. Die als „Catcher“ bezeichneten Systeme zum Auffangen des Freistrahls dienen zur Aufnahme der Restenergie des Schneidstrahls sowie der Abtragprodukte. In Rollbandtischen, bei denen das Werkstück die Relativbewegung ausführt, werden mit Stahl- oder Keramikkugeln gefüllte Strahlfänger verwendet. Bei Anlagen, in denen der Schneidstrahl die Relativbewegung ausführt, haben sich mit Wasser gefüllte Behälter zur Energieaufnahme des Schneidwassers bewährt. Hier dienen Gitterroste als Auflage für die Bauteile. Nachteilig ist, dass es bei ungünstiger Strahllage zur Reflektion des Wasserstrahls an den Gitterstäben kommen kann. Im Falle der handgeführten Manipulatoren und Roboter kommen sogenannte Rohrfänger zum Einsatz, die in entsprechendem Abstand unterhalb des Strahlaustritts angebracht und bei der Bahnbewegung mitgeführt werden.
326
8 Materialbearbeitung mit Hochdruckwasserstrahl
Abb. 8.4. Anlage für das Wasserabrasivstrahlschneiden (nach Waterjet)
Prallplatten aus Hartmetall oder Keramik dienen zur Aufnahme der Strahlenergie. Diese Vorrichtungen dienen der Vermeidung von Beschädigungen von Anlagenkomponenten und der Reduzierung des Gefährdungspotentials des Freistrahls und sind insbesondere beim Abrasivstrahlschneiden erforderlich, da hier eine Schädigungstiefe > 1 m vorliegt.
8.2 Technologie Die beim Wasserstrahlschneiden leistungsbestimmenden Stellgrößen sind: x x x x
Pumpendruck, Düsenabstand, Düsendurchmesser und Vorschubgeschwindigkeit.
Sie bestimmen die Wirkenergie an der Auftreffstelle des Strahls. Aus ihrer Kombination resultiert - neben den werkstoffspezifischen Eigenschaften – qualitativ und quantitativ das Arbeitsergebnis. So werden z. B. für weiche Materialien möglichst kleine Düsendurchmesser verwendet. Aufgrund ihres vergleichsweise kleinen Strahlquerschnitts haben sie die geringste
8.3 Anwendung und Einsatzgebiete
327
Neigung zur Tropfenbildung am Strahlmantel. Somit lässt sich mit diesen Düsen ein optimales Schnittergebnis erzielen. Das Feld der frei wählbaren Parameter erweitert sich beim Wasserabrasivstrahlschneiden um die Stellgrößen: x x x x x
Feststoffart (Härte nach Mohs), Körnung, Feststoffmassenstrom, Fokusdurchmesser und Fokuslänge.
Der Feststoffzusatz führt zu einer breiteren Schnittfuge (lichte Weite Fokussierrohr + ca. 0,2 mm) als bei dem Schneiden mit reinem Wasserstrahl. Allerdings wird das Trennvermögen derart gesteigert, dass ein Trennen von harten und hochfesten Werkstoffen möglich wird (Tabelle 8.1). Um einen optimalen Strahlmitteldurchsatz zu erzielen, ist es sinnvoll, das Durchmesserverhältnis von Düse zu lichte Weite Fokussierrohr bei etwa 1:4 zu halten. Bei diesem Durchmesserverhältnis legt sich der Wasserstrahl optimal an die Wandung des Fokussierrohres an und erzeugt auf diese Weise einen Differenzdruck, der einen maximalen Feststoffdurchsatz ermöglicht. Tabelle 8.1. Parameter zum Schneiden unterschiedlicher Werkstoffe Wasserstrahlschneiden
Gummi Leder Papier/Karton Kunststoffe (PVC) GFK CFK Sperrholz Dämmstoffe
Dicke / mm 25 5 0,2 - 5 5 5 5 5 100
vf / (m/min) 3 3 20 - 500 2,5 0,15 0,1 5 8
Wasserabrasivstrahlschneiden Dicke vf / mm / (m/min) Stahl 25 0,5 Titan 20 0,3 Aluminium 30 0,75 FVK 5 6,0 Naturstein 50 0,075 Keramik 30 0,05 Glas 35 0,04 Beton 50 0,075
328
8 Materialbearbeitung mit Hochdruckwasserstrahl
8.3 Anwendung und Einsatzgebiete Beide Varianten des Hochdruckwasserstrahlschneidens besitzen einige Vorteile gegenüber klassischen Verfahren. Dies sind: x x x x x x
omnidirektionale Schneidwirkung senkrecht zur Strahlachse, geringe mechanische Belastung des Werkstücks, keine thermische Beeinflussung der Randzone, keine oder geringe Bildung von Schneidstaub oder Gasen, hohe Standzeit der Komponenten und schmale Schnittfuge.
Als nachteilig erweist sich die Schrägung der Schnittkante. Diese führt zu einer vergleichsweise geringen Form- und Maßgenauigkeit. Die für Strahlverfahren typischen Schnitttiefen, die sich in Abhängigkeit der Schnittparameter an der Schnittfläche abbilden, führen zu einem mittleren Rauheitswert von etwa Ra = 25 µm. Beide Verfahrensvarianten des Wasserstrahlschneidens werden überwiegend bei der Bearbeitung ebener Bauteile eingesetzt, jedoch nimmt die Anzahl der Anwendungen im 3DBereich zu (Abb. 8.5). Grenzen für eine sinnvolle Anwendung werden durch Materialdicke und Materialhärte gesetzt. Materialien geringerer Festigkeit werden vorzugsweise mit dem reinen Wasserstrahl getrennt. Die geringe Schnittkraft des Wasserstrahls ermöglicht in Verbindung mit einer geringen Schnittfugenbreite, die Konturbahnen dicht nebeneinander oder sehr nahe am Rand des Rohmaterials zu legen. Hierbei kann durch eine geschickte Konturanordnung ein hoher Rohmaterialnutzungsgrad erreicht werden. Das Anwendungsfeld der Wasserabrasivstrahlbearbeitung sind die höherfesten und sprödharten Werkstoffe, deren Trennbarkeit hauptsächlich von der Härte des verwendeten Abrasivs abhängt. Der Vorteil des Verfahrens stellt sich besonders beim Trennen von Verbundwerkstoffen und Werkstoffverbunden – z. B. CFK/Titan/CFK – heraus. Die zum Teil sehr unterschiedlichen Eigenschaften der am Verbund beteiligten Materialien, die bei der Bearbeitung mit definierter Schneide zu erheblichen Problemen führen können, haben keinen oder nur einen geringen Einfluss auf das Trennergebnis.
8.3 Anwendung und Einsatzgebiete
329
Abb. 8.5. Anlage mit 5 Achsen für das Wasserstrahlschneiden (nach Waterjet)
Der Vorteil der staubfreien Bearbeitung gewinnt bei den Werkstoffen an Bedeutung, bei denen die Gefahr einer Gesundheitsgefährdung durch Bearbeitungsstäube gegeben ist. Durch das Wasserstrahlschneiden dieser Werkstoffe, die zum Teil bei mechanischer Bearbeitung einen hohen Werkzeugverschleiß verursachen, können erhöhte Forderungen an die maximale Arbeitsplatzkonzentration (MAK) erfüllt werden. Besonders im Bereich der Kunststoffbearbeitung hat die Materialbearbeitung mit Hochdruckwasserstrahl an Bedeutung gewonnen. Die Bearbeitungsaufgaben erstrecken sich auf das Besäumen, Entgraten sowie Einbringen von Durchbrüchen. Speziell dreidimensionale Bauteile aus dem Automobilbau, wie Armaturentafeln, Innenverkleidungen, Teppichböden und Stoßfänger, werden mit integrierten Wasserstrahlschneidsystemen bearbeitet (Abb. 8.6) [Enge87].
330
8 Materialbearbeitung mit Hochdruckwasserstrahl
Abb. 8.6. Roboter für das Wasserstrahlschneiden (nach Waterjet)
Die Wahl der Verfahrensvariante wird in der Regel in Abhängigkeit von der Festigkeit des Werkstoffs und/oder seiner Dicke sowie der mindestens erforderlichen Schnittflächenqualität getroffen. Grundsätzlich sollten Kunststoffe höherer Festigkeit, wie z. B. PE, PC oder FVK, ab einer Dicke von 4 mm mittels Wasserabrasivstrahl getrennt werden, um neben einer besseren Oberflächenqualität auch eine kürzere Prozesszeit zu erzielen. Eine vergleichende Aussage zur Leistungsfähigkeit des Wasserabrasivstrahlschneidens gegenüber dem Schneiden mit reinem Wasser lässt sich anschaulich am Beispiel der Bearbeitung faserverstärkter Kunststoffe treffen [Köni87]. Der Einsatz von Feststoffen erzielt, z.B. bei der Bearbeitung eines Kohlenstofffaser-Laminats, nicht nur eine höhere Leistungsfähigkeit hinsichtlich der realisierbaren Vorschubgeschwindigkeit, sondern ebenfalls eine bessere Schnittqualität (Abb. 8.7). Die Schnittfläche wirkt insgesamt glatter.
8.4 Entwicklungstendenzen Wasser
331
Wasser-Abrasivstrahl Feststoff Körnung Massenstrom vf
v f : 50mm/min 100 µm
: Granat : Mesh 80 : 300 g/min : 2000 mm/min
Ra = 4,4 µm
Ra = 6,1 µm
Rauheitsprofil
Rauheitsprofil
Abb. 8.7. Schnittflächenausbildung und Rauheitsprofil beim Wasserstrahlschneiden von EP-C65
Ein weiterer Anwendungsbereich ist das Abtragen im oberflächennahen Bereich. Zum Entfernen von Lacken und thermisch aufgebrachten Schichten kommen - je nach Festigkeit der zu entfernenden Beschichtung beide Varianten der Technologie zum Einsatz. Der Vorteil liegt in der Vermeidung der beim Einsatz chemischer Verfahren entstehenden Lösungsmitteldämpfe sowie in der Vermeidung der beim Sandstrahlen und Bürsten in vielen Fällen auftretenden Staubemissionen, deren Zusammensetzung ein Gefährdungspotential in sich birgt [Wats93].
8.4 Entwicklungstendenzen Die Entwicklungen im Bereich des Wasserstrahlschneidens zielen in Richtung der Fertigung von dreidimensionalen Bauteilen sowie der Verbesserung von Maß und Formgenauigkeit. So lassen sich mittels Wasserabrasivstrahl Strukturen in Oberflächen metallischer oder sprödharter Materialien einbringen. Hierbei wird durch eine Überlagerung der einzelnen Kerbschnitte ein flächiger Abtrag erzeugt [Laur94]. Dieses Wasserstrahlgravieren oder -erodieren setzt neben einem entsprechenden
332
8 Materialbearbeitung mit Hochdruckwasserstrahl
maschinellen Equipment auch ein hohes Maß an Technologiewissen voraus. Um ein optimales Bearbeitungsergebnis zu erreichen, müssen die zur Bearbeitung erforderlichen Parameter genau aufeinander abgestimmt werden. Auch in die medizinische Anwendung ist die Wasserstrahltechnologie inzwischen vorgedrungen. So wurden Untersuchungen zur Qualifizierung der Wasserstrahltechnologie zum klinischen Einsatz bei der Revision von Hüftgelenkimplantaten sowie zur laparaskopischen Dissektion des Bandscheibenmaterials beim Bandscheibenvorfall durchgeführt [Honl05]. Hierzu werden Niederdrucksysteme verwendet, deren Druckbereich zwischen 1 - 15 MPa liegt. Diese niedrigen Druckbereiche ermöglichen es, Dissektionen gewebeschonend und organerhaltend durchzuführen. Der Vorteil gegenüber dem Laserstrahl ist das „kalte“ Trennen von Gewebe [Erbe05].
9 Ultraschallschwingläppen
9.1 Grundlagen 9.1.1 Verfahrensbeschreibung und Abtragprinzip Die Bearbeitung keramischer Werkstoffe erfordert die Bereitstellung leistungsfähiger Fertigungsverfahren zur Herstellung komplexer Geometrien. Insbesondere im Hinblick auf die Formerzeugung scheiden die etablierten Bearbeitungsverfahren Schleifen und Läppen vielfach aus. Für solche Anwendungen bietet das Ultraschallschwingläppen eine sinnvolle Alternative und in vielen Fällen sogar die einzige Möglichkeit der Fertigbearbeitung keramischer Bauteile. Entscheidende Vorteile des Verfahrens sind in der in weiten Bereichen freien Wählbarkeit der geometrischen Gestaltung und in der Möglichkeit zu sehen, mit nur sehr geringen Kräften zu arbeiten. Speziell dieser Aspekt versetzt den Anwender in die Lage, Einsenkungen im Durchmesserbereich unter 1 mm herzustellen bzw. dünne Substrate (< 200 µm) zu bearbeiten. Mit Hilfe des Ultraschallschwingläppens lassen sich grundsätzlich alle Werkstoffe bearbeiten, die zu einem spröden Bruchverhalten neigen. So zählen zu dem bearbeitbaren Werkstoffspektrum neben der Gruppe der Hochleistungskeramik vor allem Glas, Graphit sowie ein Teil der faserverstärkten Kunststoffe. Das Ultraschallschwingläppen ist nach DIN 8589 dem Spanen mit geometrisch unbestimmter Schneide, Teil 15, Läppen zugeordnet. Laut dieser Norm wird das Schwingläppen wie folgt definiert: Schwingläppen ist das Spanen mit losem, in einer Paste oder Flüssigkeit gleichmäßig verteiltem Korn (Läppgemisch), das durch ein im Ultraschallbereich schwingendes, meist formübertragendes Gegenstück (Läppwerkzeug) Impulse erhält, die ihm ein Arbeitsvermögen geben. Die Abtragmechanismen im Bearbeitungsspalt zwischen Profilwerkzeug und Werkstück wurden in der Vergangenheit von mehreren Autoren [Shaw56, Mill57, Nish58, Chen60, Mark62, Roze64, Ohhl70, Kain79,
334
9 Ultraschallschwingläppen
Mechanismus direkter Stoß
Mechanismus indirekter Stoß
Werkzeug
Werkzeug
Werkstück
Werkstück Kap07_04.ds4
Mechanismus Abrollen der Körner Werkzeug
Mechanismus Kornaufschleudern Werkzeug
3
Werkstück
2
1
Werkstück
Abb. 9.1. Wirkmechanismen beim Ultraschallschwingläppen
Nölk80, Grat88] beschrieben und können nach Abb. 9.1 wie folgt zusammengefasst werden. Direkter Stoß Beim direkten Stoß liegt ein unmittelbarer Kontakt zwischen Formzeug und Läppkorn sowie Läppkorn und Werkstück vor. Somit kann ein Großteil des vorhandenen Impulses direkt über das Korn in die Werkstückoberfläche eingeleitet werden, wodurch kleine Risse induziert werden, die zeitlich und räumlich aufsummiert zum Abtrag kleinster Werkstückpartikel und somit zur Abbildung des Formzeugs im Werkstück führen. Wird dieser Abtragmechanismus vorausgesetzt, ist nur die Formzeugstirnfläche für den Impulsaustausch verantwortlich.
9.1 Grundlagen
335
Indirekter Stoß / Aufschleudern der Läppkörner Beim indirekten Stoß wird die kinetische Energie zusätzlich in einem Korn-zu-Korn-Stoß übertragen. Dies führt ebenso zu Verlusten wie die Bremswirkung des Wassers im Falle des Aufschleuderns von Läppkörnern. Der Mechanismus des eigentlichen Werkstoffabtrags ist beim indirekten Stoß und beim Aufschleudern der Läppmittelkörner auf die Werkstückoberfläche gleich. Auch hierbei werden Mikrorisse induziert, die zusammenwachsen und letztendlich einen Abtrag hervorrufen. Allerdings liegt beim Abtragen durch indirekten Stoß eine geringere Energieausbeute vor. Abrollen der Läppkörner Der Mechanismus des Abrollens der Läppkörner überwiegt im Seitenspalt der Bearbeitung. Hier liegt eine Schwingung in Normalenrichtung zur Werkstückoberfläche mit geringer Amplitude vor. Das Abtragen durch Impulsübertragung zwischen Formzeug und Läppkorn ist gering gegenüber einem Läppeffekt, der durch das Abrollen der Läppkörner bei der Auf- und Abwärtsbewegung des Formzeugs im Seitenspalt hervorgerufen wird. Kavitation Bezüglich der Kavitation und deren Einfluss auf den Abtrag sind in der Literatur widersprüchliche Aussagen anzutreffen [Nish58, Roze64, Haas91, Cart93]. Allen Aussagen ist aber gemein, dass der Suspensionsaustausch und der Transport der Abtragpartikel durch die Kavitation begünstigt werden. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Abtrag beim Ultraschallschwingläppen durch ein Zusammenwirken aller beschriebenen Mechanismen hervorgerufen wird. Dabei stellt der Abtrag durch direkten Stoß den bedeutendsten Wirkmechanismus dar. 9.1.2 Aufbau von USM-Anlagen Der prinzipielle Aufbau einer Ultraschallschwingläppmaschine geht aus Abb. 9.2 hervor. Eine der wesentlichen Komponenten ist der Ultraschallgenerator. Vorwiegende Aufgabe des Ultraschallgenerators ist es, den niederfrequenten Netzstrom von 50 Hz in eine hochfrequente Wechselspannung von ca. 20 kHz umzuformen.
336
9 Ultraschallschwingläppen
An einen verfahrensgerechten Ultraschallgenerator besteht folgendes Anforderungsprofil [Haas91]: x automatische Anpassung der Ausgangsfrequenz in Abhängigkeit von Schallwandler/Formzeugkombination im Resonanzbereich, x automatische Frequenznachführung bei Resonanzverschiebung infolge des Formzeugverschleißes, x automatische / manuelle Leistungs- und Amplitudenregelung sowie x Gesamtregelung der Leistung auf vorgegebene Werte. Die vom Generator erzeugte und dem Schallwandler zugeführte elektrische Hochfrequenzenergie wird in eine mechanische Schwingungsenergie gleicher Frequenz umgewandelt. Während früher überwiegend der magnetostriktive Effekt zur Erzeugung mechanischer Längsschwingungen im Ultraschallfrequenzbereich (19 - 23 kHz) genutzt wurde, werden heute aufgrund des erhöhten Wirkungsgrads ausschließlich piezokeramische Schallwandler eingesetzt [Mata56, Haas91]. pPAD
stat. Auflagedruck vf
Vorschubgeschwindigkeit Z-Führung
Hochfrequenzgenerator
Amplitudenverlauf der Längsschwingung
Ȝ O 22
Schallwandler
Amplitude des Schallwandlers
xe Transformator Ȝ 2
Knotenpunkt Sonotrode
Ȝ 2
Suspensionsabsaugung
Amplitude des Formzeugs
Formzeug Werkstück
xa
Absaugpumpe
M
Rührwerk
Suspensionszuführung Suspensionspumpe
IPT
Abb. 9.2. Prinzipieller Aufbau einer Ultraschallschwingläppmaschine
9.1 Grundlagen
337
Die Amplitude des longitudinal mit Ultraschallfrequenz schwingenden Wandlers beträgt im Resonanzfall rund 5 µm. Da diese Amplitude für die meisten Bearbeitungsaufgaben zu klein ist, muss sie in einer nachfolgenden Einheit, bestehend aus Transformator und Sonotrode, weiter verstärkt werden. Mit Hilfe dieser mechanischen Verstärkung können Schwingungsamplituden zwischen 20 und 40 µm erreicht werden. Die Sonotrode dient als Aufnahme für das Bearbeitungswerkzeug, als Amplitudenverstärker sowie zur resonanzmäßigen Anpassung an das gesamte Schwingungssystem. An der Stirnfläche der Sonotrode befindet sich das Formzeug bzw. Profilwerkzeug, das durch eine Lötverbindung, eine Kegelpress- oder Klebverbindung mit der Sonotrode verbunden wird. Transformator, Sonotrode und Formzeug bilden mit dem Schallwandler ein Schwingungssystem. Damit diese zusammengesetzte Einheit in Resonanz schwingen kann, ist es erforderlich, jedes Teil auf die halbe Wellenlänge (Ȝ/2) bzw. n · Ȝ der Erregerfrequenz abzustimmen, um eine möglichst verlustarme Umwandlung der Schwingungsenergie verwirklichen zu können [Haas91]. Je nach Bearbeitungsaufgabe stehen bei den modernen Ultraschallmaschinen zwei Steuerungsarten zur Verfügung [Voge92, Groß93], die Bearbeitung mit konstanter Vorschubgeschwindigkeit oder mit konstanter Vorschubkraft. Bei der ersten Betriebsart erfolgt der Einsenkprozess mit konstanter Geschwindigkeit und einstellbarer Kraftbegrenzung. Dieser Modus wird bevorzugt bei Verwendung filigraner Formzeuge bzw. bei der Bearbeitung besonders kritischer Bauteile eingesetzt. Bei der zweiten Betriebsart erfolgt bei konstanter Werkzeugnormalkraft eine selbständige Regelung der Vorschubgeschwindigkeit. Ein weiterer wichtiger Anlagenbestandteil ist die Suspensionsaufbereitungsanlage. Diese besteht aus einem Rührmotor, der die Suspension in Schwebe hält, einer Pumpe zur Zuführung der Suspension über zwei Düsen sowie einer Pumpe zur Abfuhr der Suspension über den Bearbeitungsspalt. Für eine effektive Zerspanung ist ein optimaler Suspensionsaustausch erforderlich. Dieser kann, wenn es die Geometrie der zu erzeugenden Einsenkung zulässt, mit der zuvor erwähnten Absaugung realisiert werden. Dabei wird das Läppgemisch durch eine im Sonotroden-Formzeugsystem eingebrachte Zentralbohrung abgeführt. Erlaubt das Fertigungsproblem das Einbringen der Absaugbohrung nicht (z. B. Sacklochbohrung), so können gezielt gesteuerte Abhebezyklen den Suspensionsaustausch unterstützen.
338
9 Ultraschallschwingläppen
9.2 Technologie Der Prozessverlauf und das Arbeitsergebnis werden beim Ultraschallschwingläppen von vielen Größen geprägt, die sich oftmals gegenseitig beeinflussen, Abb. 9.3. Diese sind grundsätzlich in zwei Kategorien einzuteilen. Zum einen handelt es sich hierbei um Prozesskenngrößen bzw. um Stellgrößen in der Einsatzvorbereitung, die vor der eigentlichen Bearbeitung festgelegt werden und zum anderen um Prozessstellgrößen, die während des Prozesses variiert werden können [Böns92]. Einsatzvorbereitung
Prozess
z Formzeug - Schwingungsform - Werkstoff - Geometrie
z Stellgrößen - Schwingungsamplitude - Läppdruck - Formzeugdrehzahl - Suspensionszufuhr - Suspensionsabsaugung - Abhebezyklen
z Läppmittel - Kornmaterial - Korngröße - Konzentration z Werkstück - Werkstoff
Arbeitsergebnis z Werkstück - Rauheit - Risse - Ausbrüche - Ebenheit - Maßhaltigkeit
z Formzeug - Längenverschleiß - Kantenverrundung - Lokalverschleiß
z Kenngrößen - Abtraggeschwindigkeit - Prozessstabilität
Abb. 9.3. Einflussgrößen beim Ultraschallschwingläppen und ihre Auswirkungen auf das Arbeitsergebnis
9.2.1 Prozessparameter Die wichtigsten Prozessparameter bzw. -stellgrößen sind der Läppdruck, die Schwingungsamplitude und die Formzeugdrehzahl. Daneben können weitere Parameter, wie der Suspensionsdruck, der Absaugunterdruck sowie die Zeit- und Wegbedingungen der Abhebezyklen, variiert werden. Gegenüber den erstgenannten Stellgrößen haben diese aber nur eine unter-
9.2 Technologie
339
geordnete Bedeutung. Schwingungsamplitude und Läppdruck sind in gleicher Weise für einen optimal verlaufenden Prozess verantwortlich. Sowohl die Schwingungsamplitude als auch der Läppdruck beeinflussen in wesentlichem Maße die Größe des sich einstellenden Arbeitsspalts. Während eine Vergrößerung der Schwingungsamplitude direkt zu einer Vergrößerung des Arbeitsspalts führt, wird durch eine Erhöhung des Läppdrucks ein gegenläufiger Effekt erzielt. Neben der Spaltweite beeinflussen beide Parameter auch die Höhe des erreichbaren Impulses für das einzelne Korn. Während die Schwingungsamplitude die Geschwindigkeit des Formzeugs zum Stoßzeitpunkt bestimmt, kann durch den Läppdruck die statische Belastung am Einzelkorn eingestellt werden. Schwingungsamplitude Abb. 9.4 links stellt den Zusammenhang zwischen der Schwingungsamplitude xa und der Abtraggeschwindigkeit va dar. Dem Diagramm ist zu entnehmen, dass die Variation der Schwingungsamplitude einen optimalen Betriebspunkt durchläuft. Zunächst führt eine steigende Amplitude grundsätzlich zu einer Erhöhung der kinetischen Energie, die dem Abtragprozess zur Verfügung steht. Dadurch wird ein entsprechend höherer Impuls auf die Läppkörner übertragen. Dieser Impuls fördert die Rissinitiierung und erhöht damit die Abtraggeschwindigkeit. Gleichzeitig vergrößert sich mit steigender Amplitude der entstehende Wirkspalt zwischen Werkzeug- und Werkstückoberfläche. Dadurch wächst die Anzahl an Läppkörnern, die in den Wirkspalt gelangen können, wodurch die höhere Packungsdichte ebenfalls den Materialabtrag verbessert. Es gibt jedoch einen oberen Grenzbereich für die Amplitude, ab dem keine weitere Steigerung der Abtraggeschwindigkeit mehr erzielt wird. Dieser Zustand ist dann erreicht, wenn mehr als eine Kornschicht zwischen Werkstück und Werkzeug gelangen kann. Als Faustregel kann daher angeführt werden, dass eine geeignete Schwingungsamplitude ungefähr dem mittleren halben Korndurchmesser der verwendeten Körnung entsprechen sollte. Dieser Zusammenhang kann bei nahezu allen Werkstückwerkstoffen beobachtet werden. Schwingweiten, die größer sind als der Korndurchmesser führen dazu, dass sich Läppkörner übereinander schieben können. Dies hat zur Folge, dass ein Teil der zur Verfügung stehenden Energie bzw. des zur Verfügung stehenden Impulses durch Reibung bei Korn-zu-Korn-Stößen aufgebraucht wird. Aus diesem Grund kann die Abtraggeschwindigkeit durch eine weitere Erhöhung der Ultraschallamplitude nicht weiter gesteigert werden.
9 Ultraschallschwingläppen 2,5 2,0 1,5 1,0 0,5 0
0
5
10 15 20 25 30 35 40
Abtraggeschwindigkeit va / (mm/min)
Abtraggeschwindigkeit va / (mm/min)
340
2,5 2,0 1,5 Instabile Prozesse
1,0 0,5 0
0,5
1,0 1,5 2,0 2,5 Läppdruck pL / (N/mm²)
0
z Werkstoff z Formzeugwerkstoff z Formzeuggeometrie z Suspension z Absaugung z Amplitude z Läppdruck z Drehzahl
SiSiC 115CrV3 Ø 10 x 1,5 mm² B4C (F280), 25 Gew. % pab = 0,07 MPa xa = 25 µm pL = 1 N/mm² n = 3850 min-1
Abtraggeschwindigkeit va / (mm/min)
Schwingungsamplitude xa / µm
5,0 4,0 3,0 2,0 1,0 0
0
1000 2000 3000 4000 5000 Formzeugdrehzahl n / min-1
Abb. 9.4. Abhängigkeit der Abtraggeschwindigkeit von verschiedenen Prozessparametern
Läppdruck bzw. statische Vorschubkraft In ähnlicher Weise wirkt sich auch der Läppdruck zwischen Formzeug und Werkstück auf die erzielbare Abtraggeschwindigkeit aus, Abb. 9.4 rechts. Durch den Läppdruck wird die Belastung des Einzelkorns ebenfalls eingestellt. Ein zu kleiner Läppdruck bewirkt, dass zwischen Formzeug und Läppkorn kein ausreichender Impulsaustausch stattfinden kann. Diese Theorie wird durch den linken Teil der Kurve bestätigt. Ein zu hoher Läppdruck verursacht dagegen eine sehr große Einzelbelastung, die zu einem vorzeitigen Zersplittern der Läppkörner führt. Im Laufe des Prozesses hat dies eine Verringerung der Spaltweite zur Folge, bis der Wirkspalt schließlich vollkommen zusammenbricht. Hierdurch wird nicht nur die Abtraggeschwindigkeit reduziert, sondern zugleich ein instabil verlaufender Prozess hervorgerufen. Die Prozessführung wird darüber hinaus dadurch erschwert, dass der optimale Läppdruck für unterschiedliche Werkstückwerkstoffe unterschiedliche Werte annimmt. Er wird außerdem durch den Kornwerkstoff bzw. die Kornhärte sowie durch die Wechselwirkungen zwischen dem Werkstückwerkstoff und der Kornhärte beeinflusst. Bislang ist man auf
9.2 Technologie
341
eine empirische Vorgehensweise angewiesen, um eine Anpassung des Läppdrucks an die jeweilige Bearbeitungsaufgabe vornehmen zu können. Erste Ansätze zur Lösung dieses Problems werden in [Böns92] vorgestellt. Im Gegensatz zur Abtraggeschwindigkeit ist eine Abhängigkeit der Oberflächenqualität von den Prozessparametern Schwingungsamplitude und Läppdruck an der Stirnfläche der bearbeiteten Kavität nicht gegeben. Lediglich sehr hohe Drücke können aufgrund extremer Prozessinstabilitäten zu einer Zerstörung des Werkstücks führen. Die Oberflächenkennwerte werden vielmehr in erster Linie durch den bearbeiteten Werkstoff mit seinen typischen Abtragpartikelgrößen bestimmt [Böns92]. Aufgrund der unterschiedlichen Abtragmechanismen an der Mantelfläche des Formzeugs können, abweichend zur Stirnfläche der erzeugten Kavität, an der Bohrungswandung direkte Abhängigkeiten zwischen der Schwingungsamplitude und der Oberflächenrauheit festgestellt werden. Dabei führt eine Erhöhung der Amplitude zu einer Verschlechterung der Kennwerte. Die Oberflächengüte wird durch eine der Flächenerzeugung folgende Nachbearbeitung bestimmt, die sich zum einen aus dem Abrollen der Körner und zum anderen aus dem Einstoßen der Körner aufgrund von Dickenschwingungen zusammensetzt. Bei Vergrößerung der Formzeugamplitude verstärkt sich nicht nur die Relativbewegung zwischen Korn und Werkstück, sondern auch der Anteil der Amplitude in transversaler Richtung wird erhöht. Der auf diese Weise verstärkte Materialabtrag an der Mantelfläche der hergestellten Kavität bewirkt eine Verschlechterung der Oberflächenkennwerte [Böns92]. Formzeugdrehzahl Sind die Prozessparameter Schwingungsamplitude und Läppdruck optimal eingestellt, so kann die Abtraggeschwindigkeit im Falle rotationssymmetrischer Werkzeuge durch eine zusätzliche Drehbewegung weiter erhöht werden. Aus Abb. 9.4 rechts unten geht hervor, dass durch den Einsatz hoher Drehzahlen eine beträchtliche Steigerung der Abtraggeschwindigkeit erreicht werden kann. Im Falle der Bearbeitung von SiSiC konnte auf diesem Wege eine Erhöhung der optimalen Abtraggeschwindigkeit auf den doppelten Wert gegenüber dem Arbeiten ohne Formzeugrotation erzielt werden. Der im Spalt zusätzlich auftretende Läppeffekt trägt bei dieser Verfahrensvariante zu der beschriebenen Leistungserhöhung bei. Die höchste Abtraggeschwindigkeit kann bei 4000 min-1 erreicht werden. Bei weiterer Steigerung der Drehzahl fällt die Abtraggeschwindigkeit wieder ab. Die Reduzierung der Abtraggeschwindigkeit ist auf die hohen Fliehkräfte zurückzuführen, die den
342
9 Ultraschallschwingläppen
Suspensionszufluss in den Bearbeitungsspalt behindern. Mit alternativen Konzepten zur Suspensionszufuhr könnte hier Abhilfe geschaffen werden. Die Untersuchungen von Cartsburg [Cart93] bestätigen den zuvor beschriebenen Zusammenhang zwischen Abtraggeschwindigkeit und Formzeugdrehzahl. Sowohl bei der Bearbeitung von Al2O3 und HPSN als auch bei der Bearbeitung von faserverstärkten Keramiken konnte er eine deutliche Leistungssteigerung des rotationsüberlagerten Ultraschallschwingläppens gegenüber dem konventionellen Stirneinsenken nachweisen. Neben der Leistungssteigerung beobachtete er zwei weitere Phänomene: Einerseits kann mit Hilfe der zusätzlichen Drehbewegung des Formzeugs die Reproduzierbarkeit der Bearbeitungsergebnisse deutlich gesteigert werden. Andererseits kann beim rotationsüberlagerten Ultraschallschwingläppen der Einfluss der Bruchzähigkeit auf die Bearbeitbarkeit keramischer Werkstoffe stark reduziert werden. Verantwortlich hierfür sind in erster Linie die Wirkmechanismen, die überlagert auftreten. So wirken zusätzlich zu dem impulsartigen Eingriff der Läppkörner Abtrennvorgänge, die auf ein abrollendes Eingreifen von Kornspitzen sowie auf ein Ritzen der Werkstückoberfläche aufgrund temporär verankerter Läppkörner zurückgeführt werden können. 9.2.2 Läppmittel Beim Ultraschallschwingläppen stellen die Läppkörner der Suspension das eigentliche Werkzeug dar. In der Einsatzvorbereitung sind neben dem Kornmaterial auch die Korngröße und die Konzentration der Suspension zu wählen. Abb. 9.5 gibt einen allgemeinen Überblick über die Auswirkungen der Variationen in den einzelnen Bereichen [Mark62, Saur86, Voge92]. Es wird deutlich, dass sich im Falle der Glasbearbeitung die höchsten Abtraggeschwindigkeiten mit Diamantkörnungen erzielen lassen, was mit deren hoher Härte erklärt werden kann [Saur86]. Allerdings scheidet dieses Kornmaterial in den meisten Anwendungen aus Kostengründen aus. Daher sind für diesen Kornwerkstoff keine Ergebnisse bei der Bearbeitung von Hochleistungskeramik bekannt.
20 0 SiC
B4 C
Diamant
normierte Abtraggeschwindigkeit / %
Kornmaterial
140 120 100 80 60 40 20 0 F180 F400 F280 Läppmittelkörnung (B4C)
Knoophärte HK / (kN/mm²)
120 100 80 60 40
gemittelte Rauhtiefe Rz / µm
normierte Abtraggeschwindigkeit / %
9.2 Technologie
343
70 60 50 40 30 20 10 0 SiC
B4C
Diamant
Kornmaterial
25 20 15 10 5 0 F180 F400 F280 Läppmittelkörnung (B4C)
Abb. 9.5. Material und Körnung des Läppmittels beeinflussen das Arbeitsergebnis [Mark62, Saur86, Voge92]
Bei der Bearbeitung von Glas mit Borkarbid wird gegenüber Siliziumkarbid eine deutlich höhere Abtraggeschwindigkeit erreicht, welche durch den Einsatz von Diamant um weitere 10 % gesteigert werden kann. Bezüglich der Korngröße kann festgestellt werden, dass die Verwendung grober Körner eine Erhöhung der Abtraggeschwindigkeit nach sich zieht. So verdoppelt sich die Abtraggeschwindigkeit bei Einsatz der Körnung F180 gegenüber der feinen Körnung F400. Eine umgekehrte Proportionalität ist bezüglich der erzeugten Oberflächengüte zu verzeichnen. Hier gilt, dass die Wahl einer feineren Körnung bei allen untersuchten Materialien zu geringeren Rauigkeitskennwerten führt. Die wichtigste Bedingung für die Wahl der Kornmaterialien ist, dass deren Härte höher ist als die des zu bearbeitenden Werkstoffs. Weiteres wichtiges Kriterium ist die Druckfestigkeit der Läppkörner, wobei zu beachten ist, dass in Richtung größerer Körnung die Druckfestigkeit grundsätzlich abnimmt. Schließlich muss das einzelne Korn scharfe Kanten und möglichst viele Einzelschneiden aufweisen, damit ein Flächenkontakt zwischen Läppkorn und Werkstück vermieden werden kann [Mark62]. Dieses bedingt aber auch die Forderung nach einem günstigen
344
9 Ultraschallschwingläppen
Bruchverhalten des Korns, damit es sich im Laufe der Bearbeitung regeneriert und nicht zu starke Verrundungen aufweist. Diese Anforderungen führten dazu, dass heute fast ausnahmslos Borkarbid (B4C) als Kornmaterial beim Ultraschallschwingläppen eingesetzt wird [Mark62, Köni89, Köni90b]. Das Borkarbid wird in Wasser suspendiert, das sich nach Untersuchungen als günstigstes Medium erwiesen hat [Nepp56, Haas91]. Die Mischung besteht zu 25 - 35 Gew.-% aus Läppmittel, was bezüglich der erreichbaren Abtraggeschwindigkeit als optimaler Bereich für nahezu jeden Werkstückwerkstoff gelten kann [Haas91]. Bei der Korngröße sind in der industriellen Praxis nur selten Abweichungen von der etablierten Körnung F280 mit einem mittleren Korndurchmesser zwischen 30 und 40 µm vorzufinden. Diese Korngröße stellt einen günstigen Kompromiss zwischen hoher Abtraggeschwindigkeit und hoher Oberflächenqualität dar. Mit kleineren Körnern sind zwar deutlich bessere Oberflächengüten zu erzielen, dieser Vorteil wird aber mit erheblichen Einbußen in der Abtraggeschwindigkeit bezahlt [Nepp56, Nish58, Mark62, Roze64, Yous67, Haas91, Voge92]. Daher empfiehlt sich der Einsatz feiner Körnungen nur für solche Fälle, in denen besonders hohe Oberflächengüten zu erreichen sind sowie bei der Bearbeitung von Bohrungen mit extrem kleinem Durchmesser, bei denen die geringere Korngröße zu einer Verringerung des Arbeitsspalts führt und auf diese Weise eine maßgenaue Bearbeitung überhaupt erst ermöglicht wird. 9.2.3 Formzeug Die Hauptabmessungen der Formzeuggeometrie ergeben sich beim abbildenden Ultraschallschwingläppen (Ultraschallsenken) aus der Bearbeitungsaufgabe. Das Formzeug stellt die Negativform der herzustellenden Geometrie dar. Da das Formzeug der gleichen tribologischen Beanspruchung unterliegt wie das Werkstück, ist es sinnvoll, für das Formzeug einen Werkstoff zu wählen, der entweder härter als das Werkstückmaterial ist oder eine genügende Resistenz gegen Abrasion und Prallverschleiß aufweist, um so den Werkzeugverschleiß zu minimieren. Deshalb werden als Formzeugwerkstoffe vorwiegend Stahlwerkstoffe eingesetzt, bei denen der Aufprall der Läppmittelkörner überwiegend zu elastischer und plastischer Verformung führt.
9.2 Technologie
Lokalverschleiß
Seitenverschleiß
Längenverschleiß
Kantenverschleiß
Oberflächenqualität
Maßhaltigkeit zu geringe Bohrungstiefe Abweichung vom Solldurchmesser
345
Auswirkungen
Formgenauigkeit z steigende Kantenradien z höhere Bohrungskonizität z wachsender Ebenheitsfehler
z Ausbrüche bzw. Abplatzungen an der Bohrungsaustrittsseite
Wirtschaftlichkeit z häufiger Werkzeugwechsel z Nachbearbeitung erforderlich
Abb. 9.6. Formverschleiß – Formen und Auswirkungen
Der Formzeugverschleiß wird in der Literatur einhellig als ein wesentliches Problem der Ultraschallbearbeitung angesehen [Blan61, Cron61, Mark62, Roze64, Vett67, Yous67, Nölk80, Haas91, Voge92]. Infolge des abbildenden Verfahrenscharakters beeinflusst der Formzeugverschleiß die Bearbeitungsgenauigkeit entscheidend. Abhängig vom zu bearbeitenden Material kann der Verschleiß am Formzeug bis zu 50 % des gesamten abgetragenen Werkstoffvolumens betragen. Der Formzeugverschleiß setzt sich aus den Komponenten Längen-, Kanten-, Seitenund Lokalverschleiß zusammen, Abb. 9.6. Suspensionszufuhr nicht gewährleistet ist. Es ist offensichtlich, dass mit derart geschädigten Formzeugen keine qualitativ hochwertigen Bearbeitungen durchgeführt werden können. Die wesentlichen Auswirkungen des Formzeugverschleißes lassen sich Abb. 9.6 entnehmen. Die Verringerung bzw. die Kompensation des Verschleißes rückt damit in das Zentrum des Interesses notwendiger Entwicklungen, da nur eine
346
9 Ultraschallschwingläppen
Lösung in diesem Bereich eine Steigerung der Arbeitsgenauigkeit und damit letztlich auch der Wirtschaftlichkeit des Ultraschallschwingläppens verspricht. Zur Lösung dieser Probleme existieren mehrere, sich ergänzende Ansätze. Alternative Formzeugwerkstoffe Eine Möglichkeit zur Reduzierung des Formzeugverschleißes besteht in der Verwendung härterer Formzeugwerkstoffe anstelle der bisher meist eingesetzten Stahlformzeuge. Besonders vielversprechend ist der Einsatz von polykristallinem Diamant (PKD) [Nölk80, Köni91]. Durch den Einsatz von PKD-Formzeugen kann je nach Werkstückmaterial eine Verringerung des Längenverschleißes um mehrere Zehnerpotenzen erreicht werden. Auch die Kantenverrundung bleibt gering, so dass solche Formzeuge speziell bei hohen Genauigkeitsanforderungen besondere Vorteile bieten. Dem steht allerdings der hohe Preis gegenüber. Ferner ist die erreichbare Abtraggeschwindigkeit bei PKD-bestückten Formzeugen geringer als bei Stahlformzeugen. Diese Beobachtung ist technologisch dadurch zu erklären, dass aufgrund der geringeren Verformungsfähigkeit des polykristallinen Diamants und der höheren Härte gegenüber dem Borkarbid eine größere Anzahl an Läppkörnern während des Bearbeitungsprozesses bricht. Viele Körner brechen schon beim Stoß des Formzeugs auf das Korn und können daher nur noch in stark verringertem Maße abtragwirksam werden. Variation der Formzeugwandstärke Die Formzeugwandstärke übt ebenfalls einen wesentlichen Einfluss auf den Verschleiß aus [Böns92]. Die in Abb. 9.7 dargestellten Ergebnisse verdeutlichen, dass durch eine optimierte Auswahl der Formzeugwandstärke ein Kompromiss zwischen der Verringerung des Formzeugverschleißes und der erzeugten Konizität des Werkstücks
347
20
2,5 relativer Längenverschleiß / %
Abtraggeschwindigkeit va / (mm/min)
9.2 Technologie
2,0 1,5 1,0 0,5
15 10 5 0
0 0,5
1,0
1,5
0,5
2,0
z Suspension
B4C (F280), 25 Gew. %
z Absaugung
pab = 0,07 MPa
z Amplitude
xa = 25 µm
z Läppdruck
pL = 1 N/mm²
2,0
12
SiSiC
d
'l
Formzeugkonizität KF / (µm/mm)
115CrV3
1,5
Formzeugwandstärke d / mm
Formzeugwandstärke d / mm
z Werkstoff z Formzeugwerkstoff
1,0
8 6 3 0 2,0 0,5 1,0 1,5 Formzeugwandstärke d / mm
Abb. 9.7. Einfluss der Formzeugwandstärke auf das Arbeitsergebnis
gefunden werden kann. Dabei ist zu beachten, dass auch die Abtraggeschwindigkeit von dieser Wahl beeinflusst wird. Überlagerte Bewegungen Bei der Verwendung von rotationssymmetrischen Werkzeugen kann mit einer der axialen Vorschubgeschwindigkeit überlagerten Drehbewegung gearbeitet werden. Durch die zusätzliche Drehbewegung des Formzeuges ist eine Verbesserung der Arbeitsgenauigkeit zu beobachten [Cart93], der Verschleiß auf der Formzeugstirnfläche verläuft gleichmäßiger. Daher sind im Gegensatz zum feststehenden Werkzeug keine Verschleißmaxima vorhanden und die erzeugte Einsenkung weist einen wesentlich geringeren Ebenheitsfehler auf. Dieser Effekt stellt sich schon bei niedrigen Drehzahlen des Formzeugs ein. Zur Homogenisierung des Verschleißbilds genügen Drehzahlen unter 50 min-1 [FIPT88].
348
9 Ultraschallschwingläppen
Sonotrodenauslegung Neben dem Werkstoff des Formzeugs stellt vor allem die Schwingungsform eine wichtige, zu optimierende Größe dar. Bei der abbildenden Bearbeitung ist eine Longitudinalschwingung der Sonotrode und damit auch des Formzeugs anzustreben. Zusätzlich ist zu fordern, dass die Eigenfrequenz des Systems, bei der diese Longitudinalschwingung angeregt wird, einen möglichst großen Abstand von den Schwingungsmodi der Biege- und Torsionsschwingung aufweist. Darüber hinaus ist eine gleichmäßige Verteilung der Schwingungsamplitude über der Formzeugstirnfläche von Bedeutung, da nur auf diese Weise das Verschleißverhalten der Formzeuge kontrollierbar wird. Abb. 9.8 zeigt die zu erwartenden Probleme bei einer unsachgemäßen Schwingungsauslegung der Sonotroden [Sche71, Haas91, Böns92]. Diese Problematik führte in der Vergangenheit zu einer Vielzahl von Ansätzen zur Berechnung der Eigenfrequenz der Sonotroden und Formzeuge in Abhängigkeit von ihrer Form [Cron61, Vett67, Sche71, Haas91]. Allen Berechnungen dieser Art ist gemein, dass nur das Verhalten rotationssymmetrischer Körper erfasst werden kann. Darüber hinaus können diese Berechnungen keine Aussagen über Fehlschwingungen sowie über die Amplitudenverteilung über der Formzeugstirnfläche machen. Eine Berechnung des Schwingungsverhaltens mit Hilfe der Methode der finiten Elemente bietet demgegenüber den Vorteil, dass die zuvor genannten Einschränkungen berücksichtigt werden können. Durch eine geschickte Modellbildung ist es möglich, das Schwingungsverhalten der Sonotroden mit hoher Reproduzierbarkeit nachzubilden [FIPT92]. Für den praktischen Einsatz empfiehlt es sich, mit Sonotroden zu arbeiten, die eine Standardform mit bekanntem Schwingungsverhalten aufweisen. So ist es mit genügender Genauigkeit möglich, den Fehlereinfluss der Schwingungsform der Sonotroden und Formzeuge auszuschließen.
9.2 Technologie
349
Biegeschwingung
Longitudinalschwingung
Torsionsschwingung
z verringerte Abtraggeschwindigkeit z Maß- und Formfehler z Werkzeugbruch z hoher Formzeugverschleiß z Abplatzungen am Austritt
z hohe Abtraggeschwindigkeit z reduzierter Verschleiß z gleichmäßiger Verschleiß z erhöhte Maß- und Formgenauigkeit
z verringerte Abtraggeschwindigkeit z Maß- und Formfehler z Werkzeugbruch z hoher Formzeugverschleiß
Abb. 9.8. Von der Longitudinalschwingung abweichende Schwingungsformen führen zu einer Verschlechterung des Arbeitsergebnisses
Optimierte Prozessführung Da das Formzeug während der Bearbeitung einer abrasiven Beanspruchung ausgesetzt ist, wird durch die Prozessdauer der Verschleiß am Formzeug bestimmt. Untersuchungen an unterschiedlichen Werkstoffen zeigen, dass der Verschleiß in einem direkten Zusammenhang zur Bearbeitungszeit steht [Haas91, Böns92, Cart93]. Dies ist auf den abrasiven Formzeugverschleiß zurückzuführen. Für die Prozessoptimierung bedeutet dies aber, dass eine Erhöhung der Abtraggeschwindigkeit mit einer gleichzeitigen Verringerung des Formzeugverschleißes verbunden ist. Die eigentliche Optimierungsgröße ist demnach das zeitbezogene Abtragvolumen. Können hier optimale – und das heißt möglichst hohe – Werte erreicht werden, sind auch im Bereich der Bearbeitungsqualität deutlich verbesserte Ergebnisse zu erwarten. Grundlage für die Reduzierung des Formzeugverschleißes ist die Wahl geeigneter Prozessstellgrößen.
350
9 Ultraschallschwingläppen
9.2.4 Prozessüberwachung mittels Acoustic Emission Die Prozessüberwachung beim Ultraschallschwingläppen ist im Wesentlichen vom Maschinenbediener abhängig, der während der Bearbeitung regelnd auf den Prozess einwirken muss. Dies führt in der Praxis zu Schwankungen des Arbeitsergebnisses. Die Verbesserung der Fertigungsqualität und -sicherheit erfordert deshalb weitergehende Maßnahmen. Insbesondere bei der Bearbeitung großer Losgrößen ist eine automatisierte Prozessüberwachung und -regelung notwendig. Aus diesem Grunde sind erste Untersuchungen zur Acoustic Emission (AE) Signalverarbeitung durchgeführt worden [Böns92, Köni93b, Köni93c], deren Ziel eine weitgehende Automatisierung des Prozesses war. Zentrale Bedeutung bei der Prozessüberwachung haben die eingesetzten Sensoren und die Signalauswertung. Ziel dieser Untersuchungen war es, eine Korrelation zwischen dem Prozesszustand und dem AE-Signal zu erforschen. Um die notwendigen Informationen aus dem AE-Signal zu erhalten, wird eine Analyse im Zeit- und im Frequenzbereich durchgeführt. Sowohl bei der Auswertung des Frequenzbereichs als auch des Zeitbereichs des AE-Signals können Abhängigkeiten zwischen der Prozessstabilität und dem gemessenen Signal identifiziert werden. Bei Prozessparametern, die zu Prozessinstabilitäten führen, können im Frequenzbereich signifikante Überhöhungen von charakteristischen Frequenzen und im Zeitbereich deutliche Erhöhungen der Signalamplitude erkannt werden [Böns92]. Es hat sich gezeigt, dass mit Hilfe der Körperschallanalyse nicht nur eine Überwachung sondern auch eine Regelung des Ultraschallschwingläppprozesses möglich ist. Dies liegt daran, dass die gemessenen Signale auch Auskunft über den Spaltabstand geben. Im Allgemeinen kann festgehalten werden, dass ein zu kleiner Arbeitsspalt eine Erhöhung der charakteristischen Frequenzen bzw. der Signalamplitude bewirkt. Wie bereits weiter oben erläutert, ist eine ausreichende Wirkspaltgröße von entscheidendem Interesse für möglichst hohe Abtragraten. Aufgrund des Zusammenhangs zwischen der Wirkspaltgröße und dem AE-Signal bietet sich der Aufbau eines Regelsystems mit dem AE-Signal als Regelgröße und dem Läppdruck als Stellgröße an. Ziel dieser Regelung ist es, durch optimalen Läppdruck eine hohe Prozesssicherheit und eine maximale Abtraggeschwindigkeit bei gleichzeitig minimalem Werkzeugverschleiß zu erreichen. Eine derartige Regelung kann zu einer wesentlichen Verbesserung der Reproduzierbarkeit beim Ultraschallschwingläppen beitragen und stellt einen ersten und wesentlichen Schritt in Richtung der angestrebten Automatisierung dar [Köni95].
9.2 Technologie
351
5 4 3
AE-Signal / V
Abtraggeschwindigkeit va / (mm/min)
z Werkstoff z Formzeugwerkstoff z Formzeuggeometrie z Suspension z Absaugung z Amplitude z Läppdruck
Al2O3 S235JR Ø 10 x 1,5 mm² B4C (F280), 25 Gew. % pab = 0,07 MPa xa = 25 µm pL = variabel
4
AE-Signal / V
Abb. 9.9 zeigt, dass durch die Optimierung des Läppdrucks anhand des Sensorsignals die Abtraggeschwindigkeit auf den doppelten Wert gesteigert werden kann. In Prozess I wird mit einem Läppdruck von 1,2 N/mm² gearbeitet. Dieser Prozessparameter führt zu einem instabilen Prozess, der durch eine Überlastung und frühzeitiges Zersplittern der Läppkörner gekennzeichnet ist. Bei der Analyse des AE-Signals im Zeitbereich sind deutliche Überschreitungen einer oberen Schwelle zu erkennen. Setzt man nun ein geeignetes Regelsystem ein, in dem das AESignal als Regelgröße und der Läppdruck als Stellgröße verwendet wird, so kann der Zustand aus Prozess I in den Zustand aus Prozess II überführt werden. Prozess II kennzeichnet sich dadurch aus, dass mit einem reduzierten Läppdruck von 0,9 N/mm² gearbeitet wird. Dies hat zur Folge, dass ein stabilerer Prozess möglich ist, was sich auch in einem deutlich niedrigeren oberen Schwellenwert widerspiegelt [Böns92].
4 2 0,05
2
0,1
Zeit / ms 0,05
0,1
0,15
pL = 0,9 N/mm²
Zeit / ms pL = 1,2 N/mm²
2 1 0 Prozess I
Prozess II
Abb. 9.9. Prozessoptimierung durch Auswertung der AE-Signale
0,15
352
9 Ultraschallschwingläppen
9.2.5 Prozessvariante – Ultraschallbahnbearbeitung Mit Hilfe einer neuartigen Verfahrensvariante können, abweichend von dem abbildenden Prinzip, auch Bahnbearbeitungen durchgeführt werden. Im Gegensatz zu den umfangreichen Untersuchungen im Bereich der abbildenden Herstellung liegen für den erzeugenden Modus bisher nur wenige Erkenntnisse vor [Nölk80, Scha88], obwohl hiermit einerseits das Anwendungsspektrum des Ultraschallschwingläppens deutlich erweitert und andererseits auch die geometrische Gestaltungsmöglichkeit von Bauteilen bedeutend verbessert werden kann. Als vorteilhaft erweist sich neben der hohen Flexibilität dieser Prozessvariante, dass die zeit- und kostenintensive Herstellung von konturangepassten Werkzeugen entfällt. Erste Untersuchungen zeigen, dass das bahngesteuerte Ultraschallschwingläppen bei Bereitstellung einer entsprechenden Prozesstechnologie sowie pPAD
n
vs
xa
xa OT
Ruhelage t
UT
ap,ges
ap n : Formzeugdrehzahl pPAD : Läppdruck vs : Quervorschubgeschwindigkeit
xa ap ap, ges
: Schwingungsamplitude : Zustelltiefe pro Überlauf : Gesamtzustellung
Abb. 9.10. Prozessstellgrößen bei der Ultraschallbearbeitung
9.2 Technologie
353
bei Einsatz geeigneter maschinenseitiger Randbedingungen interessante Potentiale bietet. Wesentliche Voraussetzung für die Bahnbearbeitung stellt die der Schwingbewegung des Formzeugs überlagerte Rotation dar. In Abb. 9.10 sind die dominanten Prozessstellgrößen bei der Ultraschallbahnbearbeitung dargestellt. Neben den bekannten Stellgrößen Schwingungsamplitude und Läppdruck nehmen sowohl die Formzeugdrehzahl und Vorschubgeschwindigkeit als auch die pro Überlauf zugestellte Schnitttiefe einen überragenden Stellenwert ein. Dabei können Vorschubgeschwindigkeit und Abtragtiefe in weiten Grenzen frei miteinander kombiniert werden. Unter der Voraussetzung einer stabilen Prozessführung und eines konstanten mittleren Zeitabtragvolumens: QW = d ap vf,
(9-1)
können prinzipiell folgende Prozessführungsstrategien zum Einsatz kommen: x Bearbeitung mit hoher Formzeugvorschubgeschwindigkeit und geringer Zustellung (Schlichtbearbeitung) sowie x Bearbeitung mit niedriger Formzeugvorschubgeschwindigkeit und hoher Zustellung pro Überlauf (Schruppbearbeitung). 9.2.6 Werkstoffe Zu den wesentlichen Einflussgrößen beim Ultraschallschwingläppen gehört der zu bearbeitende Werkstoff. Bezüglich der Werkstoffbearbeitbarkeit durch Ultraschallschwingläppen kann eine um so höhere Wirtschaftlichkeit erzielt werden, je mehr die Materialien zu einem spröden Bruchverhalten neigen. Dies sind neben der Gruppe der Hochleistungskeramiken vor allem Glas, Graphit, Ferrit sowie ein Teil der faserverstärkten Kunststoffe und hierbei vor allem die kohlenstofffaserverstärkten Thermo- und Duroplaste [Köni93a]. Es ist daher sinnvoll, die Bearbeitbarkeit, speziell der keramischen Werkstoffe, durch Materialkenngrößen zu beschreiben. Die kritische Biegebruchspannung bzw. Risszähigkeit KIC stellt einen Werkstoffkennwert dar, der eine direkte Beziehung zwischen der Bearbeitbarkeit bzw. der erreichbaren Abtraggeschwindigkeit und dem bearbeitenden Werkstoff beim Ultraschallschwingläppen zulässt [Grat88, Haas91]. Abb. 9.11 zeigt die Abhängigkeit zwischen der Risszähigkeit KIC und der Abtraggeschwindigkeit. Mit zunehmender Risszähigkeit ist eine deutliche Verringerung der Abtraggeschwindigkeit zu registrieren. Demgegenüber lässt sich bei
354
9 Ultraschallschwingläppen
Abtraggeschwindigkeit va / (mm/min)
Werkstoffen, die einen kleinen KIC-Faktor aufweisen, schneller Material abtragen. Die benötigten Bearbeitungszeiten sind zum Beispiel in Abb. 9.12 im dargestellten Falle bei Aluminiumoxid etwa um den Faktor 5 geringer als bei Zirkonoxid. Der Grund dafür ist in der unterschiedlichen Risszähigkeit zu sehen, die Aussagen über das Bruchverhalten der Keramik macht. Während Al2O3 ein typischer Vertreter der sehr spröden Keramiken ist, verfügt ZrO2 in diesem Bereich über Eigenschaften, die innerhalb der Keramiken als duktil zu bezeichnen sind. Die zuvor beschriebenen Abtragmechanismen bauen aber gerade auf dem spröden Verhalten der Werkstoffe auf, was sich in unterschiedlichen Bearbeitungszeiten niederschlägt [Böns92]. 5 Formzeugwerkstoff Formzeuggeometrie Suspension Absaugung Amplitude Läppdruck
4
S235JR Ø 10 x 1,5 mm² B4C (F280), 25 Gew. % pab = 0,07 MPa xa = 25 µm pL = optimal
3
2
1
0 0
2
4
6
10
8
Risszähigkeit KIC / MNm-3/2 Al2O3
SiC
HPSN
Abb. 9.11. Abtraggeschwindigkeit in Abhängigkeit vom KIC-Wert
ZrO2
9.3 Bearbeitungsbeispiele
355
zeitbezogenes Abtragvolumen Qw / (mm³/min)
Dieselben tendenziellen Zusammenhänge stellte Cartsburg auch bei der Bearbeitung von faserverstärkten Keramiken fest [Cart93]. Die bessere Bearbeitbarkeit von Werkstoffen mit kleiner werdendem KIC-Faktor lässt sich dadurch erklären, dass die in der Werkstückoberfläche induzierten Risse kürzer sind. Während bei Aluminiumoxid Risse bis zu einer Länge von 20 µm erzeugt werden können, liegen typische Risslängen bei Zirkonoxid nur bei 1 bis 5 µm [Böns92, Voge92]. Demzufolge sind die abplatzenden Werkstückpartikel bei Keramiken mit einem hohen KIC-Wert deutlich kleiner, was zu einem geringeren Materialabtrag pro Zeiteinheit führt. 1000 Formzeugwerkstoff Formzeuggeometrie Suspension Absaugung Amplitude Läppdruck
900 800 700
C45 10 x 10 mm² B4C (F280), 35 Gew. % pab = 0,15 MPa xa = 35 µm pL = 1 N/mm²
600 500 400 300 200 100 0 Glas
Graphit
SiC
Al2O3
SiSiC
Saphir
Werkstoff
Abb. 9.12. Abtragraten unterschiedlicher Werkstoffe [Haas91]
HPSN
ZrO2
356
9 Ultraschallschwingläppen
9.3 Bearbeitungsbeispiele Typische Einsatzgebiete des Ultraschallschwingläppens sind in der Uhrenindustrie, Medizintechnik, im Werkzeug- und Formenbau sowie in der Glas- und chemischen Industrie zu finden [Groß93, Groß94]. Im Werkzeug- und Formenbau können mit Hilfe dieses Verfahrens Spezialelektroden aus Graphit für die Funkenerosion hergestellt werden. Ein Anwendungsfall ist die Erzeugung dünnwandiger, gitterförmiger Rippenstrukturen. Diese können durch das Ultraschallschwingläppen, im Gegensatz zu konventionellen Fertigungsverfahren, wesentlich wirtschaftlicher hergestellt werden. Darüber hinaus ermöglicht diese Technologie aufgrund ihres abbildenden Verfahrenscharakters das Abformen filigraner Konturen in Graphit, Abb. 9.13 [Groß93, Groß94].
Abb. 9.13. Mit Ultraschallschwingläppen bearbeitete Graphitelektroden zum Einsatz als Elektroden bei der Funkenerosion (nach Walter Exeron)
9.3 Bearbeitungsbeispiele
357
Abb. 9.14. Herstellung dünner Schlitze, scharfkantiger Durchbrüche und Bohrungen sowie beliebiger Konturen in Glaswerkstoffe (nach Walter Exeron)
Durch die beim Ultraschallschwingläppen erzielbare gute Kantenqualität setzt sich dieses Verfahren zunehmend auch bei der Glasbearbeitung durch. Dünne Schlitze (z. B. Pyrexdeckgläser mit dünnen Kanälen zur Kühlung von Siliziumwafern), kleine scharfkantige Durchbrüche und Bohrungen sowie Einsenkungen mit beliebiger Kontur sind gängige Anwendungen, Abb. 9.14 [Groß93, Groß94]. Ein typisches Einsatzgebiet der zuletzt genannten Anwendungsfälle ist die Sensortechnik. Für zahlreiche Sensortypen oder Mikrorelais müssen Wafer mit runden bzw. rechteckigen Löchern oder Kavernen versetzt werden. Die Wafer werden durch Vielfachwerkzeuge abbildend strukturiert, Abb. 9.15.
358
9 Ultraschallschwingläppen
Abb. 9.15. Sonotrode zur gleichzeitigen Erzeugung von 1000 Mikrobohrungen und Glaswafer mit entsprechenden Mikrobohrungen
Im Fahrzeugbereich finden sie Anwendung bei Mikrosensoren, die Glaskomponenten als Trägermaterial verwenden. Diese können zum Beispiel für Beschleunigungssensoren in Airbagsystemen oder zum Messen des Ansaugdrucks in Verbrennungsmotoren eingesetzt werden. Eine weitere Anwendung dieser Technologie ist das Einbringen einzelner Mikrobohrungen in Glasplatten. Abb. 9.16 zeigt ein einzelnes Bohrwerkzeug zur Erzeugung von zylindrischen Mikrobohrungen mit 150 µm Durchmesser. Charakteristisch für diesen Prozess ist das Auftreten von leichten Ausmuschelungen an der Bohrungsaustrittsseite. Das Auftreten dieser Ausmuschelungen kann zum einen durch eine geeignete Prozessführung und zum anderen durch entsprechende Aufspannmethoden der Glasplatten beeinflusst werden. Diese so gefertigten Bauteile werden zur Markierung in der Textilindustrie eingesetzt. Hierzu werden sie auf Druckköpfe aufgeklebt und fungieren somit als Düse für verschiedene flüssige Medien.
500 µm
Abb. 9.16. Mikrowerkzeug für die Senkbearbeitung und eine durch das Ultraschallschwingläppen erzeugte Bohrung
50 µm
9.3 Bearbeitungsbeispiele
250 µm
359
100 µm
Werkstoff
CFK-Gewebe
Werkstückdicke
1 mm
Werkzeugdurchmesser
400 µm
Suspension
B4C (F600), (25 Gew. %)
Vorschubgeschwindigkeit vf = 1 mm/min
20 µm
Amplitude
xa = 13 µm
Läppdruck
pL = 0,03 bar
Abb. 9.17. Austrittsseite einer 400 µm Durchgangsbohrung in einem CFKGewebe
Ein neues Einsatzgebiet stellt die Bearbeitung von faserverstärkten Kunststoffen dar, bei denen mit Hilfe des Ultraschallschwingläppens bisher nicht erzielbare Qualitäten erreichbar werden. Dies gilt insbesondere für die Bearbeitung von CFK-Werkstoffen [FIPT92, Köni93a]. Darüber hinaus gewinnt das Ultraschallschwingläppen im Hinblick auf die Erzeugung von filigranen Bohrungen in CFK zunehmend an Bedeutung. Abb. 9.17 zeigt die Austrittsseite einer 400 µm Durchgangsbohrung in ein CFK-Gewebe. Die bei der konventionellen Bohrbearbeitung üblicherweise auftretenden Werkstückschädigungen, wie die Ablösung der Decklagen (Delaminationen) und das Herausbrechen von Fasersträngen aus dem Verbund, werden beim Ultraschallschwingläppen aufgrund der spezifischen Abtragmechanismen vermieden.
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Normen, Richtlinien und Internetadressen
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Sachwortverzeichnis
Abbauphase 5, 30 Abbildungsgenauigkeit 77 Abdeckschicht 178 Abfallstoff 85 Abrichten - funkenerosives 100 Abrichtverfahren 102 Abscheidegeschwindigkeit 197 Abscheidung - galvanische 196 Absorptionskurven 253 Abtrag 43 - anodenseitiger 49 - elektrochemischer 62 - kathodenseitiger 49 - pro Entladung 15, 49 Abtragen 263 - chemisches 127 Abtraggeschwindigkeit 49, 139, 141, 149, 150, 176 Abtragmechanismus 5, 77, 334 Abtragpartikel 41 Abtragrate 15, 37, 38, 39, 40, 46, 77 Abtragraten 264 Abtragverhalten 45, 46 Abtragvolumen - effektives 137 - spezifisches 135, 139, 149 acoustic emission 350 Aggregat für das Arbeitsmedium 7, 16 Akzeptanzwinkel 233 Anode 31, 133, 187, 192, 198 Anodenpotential 137 Antriebssystem 40 Arbeitsabstand 215
Arbeitsergebnis 37 Arbeitsmedien 47 - ölhaltige 47 - wässrige 47 Arbeitssicherheit 239 Arbeitsspalt 3, 10, 13, 39, 49, 53, 55, 138, 157, 184 Arbeitsspannung 14, 39, 139, 144 - mittlere 40 Arbeitsstrom 14, 25 Ätzabtragen 127 Ätzen 127 - elektrochemisches 176 - Sprühätzen 176 - Tauchätzen 176 Aufbauphase 3, 29 Aufkohlung 70 Aufweitung 203, 211, 237 Austenitisierungstemperatur 259 Automatisierbarkeit 80 Badentgraten, elektrochemisches 175 Badspannung 197 Badtemperatur 176 Bahnerosion 18, 19, 23 Barren 226 Bauchung 50, 54 - laterale 115, 116 Bearbeitbarkeit - elektrochemische 150 Beizen, elektrochemisches 175 Betriebsmodus 218 - Dauerstrichbetrieb (cw) 218 - Pulsbetrieb (pw) 218, 221 Beugungsmaßzahl M² 213 Bewegungskonzepte 238
384
Sachwortverzeichnis
Bewegungssysteme 237 Bohren 314 Borkarbid 343 Brechungsindex 234 Brennweite 215, 235 CO2-Laser 218, 281 - diffusionsgekühlte 220 - gleichstromangeregt 219 - hochfrequenzangeregt 219 - längsgeströmte 219 - quergeströmte 219 - sealed-off 220 - Slablaser 220 Dauerfestigkeit 73, 74 Dielektrikum 3, 15, 16, 40, 41, 49, 54, 74, 80, 83 - deionisiertes Wasser 49 - kohlenwasserstoffbasiertes 16, 49, 84, 111 Dielektrikumaggregat 25 Diodenlaser 226 - Barren 226 - Direktstrahler 228 - fasergekoppelte 229 - Leistungsskalierung 228 - Stack 227 Divergenz 203, 211, 237 Draht 91 Drahtablaufgeschwindigkeit 54, 59 Drahtelektrode 47, 50, 53, 55, 56, 80, 82 - Beanspruchbarkeit 48 - beschichteter Stahl 120 - Drahtbruch 50, 62, 121 - Drahtdurchmesser 54, 83, 111, 120 - Kupfer 80 - Messing 80 - messingbeschichteter Stahl 121 - Molybdän 120, 121 - Oberflächenbeschaffenheit 60 - Schnellschneidelektroden 82 - spezielle Elektroden 81 - Werkstoff 54
Wolfram 115, 120, 121 Wolframkupfer 107 Drahtprofilieren 101 Drahtschwingung 115, 122 Drahtschwingungsmessung 118 Drahtvorspannung 54 Druckeigenspannung 73 Druckgussform 86 Drückmaschine 276 Druckspannung 74 Drückverhältnis 278 Durchflussmenge 41 Durchschlagfestigkeit 3, 12
-
EC-Badabtragen 173 ECD (Electrochemical In-Process Controlled Dressing) 182 ECDM (Electro Chemical Discharge Machining) 183 ECF (elektrochemische Feinbohren) 170 ECM Vorrichtung 144 Eigenspannung 67, 71 Eigenspannungszone 67 Eindringtiefe 67 Einzelentladekrater 113 - Hartmetall 113 - Stahl 113 Elektrode 22, 24, 77, 91 - Elektrodenwerkstoff 38, 73, 74, 77 - Elektrolytkupfer 47, 77 - Formelektrode 18 - Graphit 70, 77 - Graphitelektrode 16, 70, 78, 87, 88 - Hartmetall 91 - Herstellung 77, 78, 86, 104 - Hochleistungselektroden 83 - Kupfer 38, 70, 78, 93, 104 - LIGA 104 - Messing 78 - Verschleiß 22, 50, 104 - Werkzeugelektrodenwerkstoff 47 - Wolframkupfer 78, 102 Elektrodenfläche 138
Sachwortverzeichnis Elektrodenpotential 136 Elektrolyse 133, 175, 187 Elektrolyt 133, 136, 143, 152, 153, 169, 179, 183, 185, 195 Elektrolytaufbereitung 144, 160 Elektrolytdruck 143 Elektrolytlösung 134, 135, 138, 152, 153, 187, 192 Elektrolytversorgung 144, 171 Elektronenschweißen an Atmosphäre 307 Elektronenstrahlanlage 306 Elektronenstrahlbearbeitung 305 Elektronenstrahlhärten 309 Elektronenstrahlschweißen 311 Elektroplattieren 187 ELID (Electrolytic In-Process Dressing) 178, 182, 183 Emission 205 - induzierte bzw. stimulierte 205 - spontane 204 EMM (Electro-Chemical Micro Machining) 184 Energiedichte 318 Entgraten - elektrochemisches 171 Entgratkammer 130 Entgratqualität 129 Entladedauer 5, 6, 13, 37 Entladeenergie 14, 25, 37, 41, 52, 55, 57, 62, 64, 66, 67, 68, 76, 116 Entladefrequenz 8, 14 Entladekanal 3, 13, 29, 38, 47 Entladekrater 61, 64, 66, 70, 116 Entladephase 5, 30 Entladespannung 14 Entladestrecke 14 Entladestrom 6, 9, 14, 25, 37, 58, 62, 69, 77 Entladung 41 Entmetallisieren, elektrochemisches 175 Erodierbarkeit 45 Erodierzeit 47 Erosionsimpuls 10 Erosionsmechanismus 38
385
ESD (Electro-Stream-Drilling) 170 Excimerlaser 266 Expertensysteme 28 Faradaysches Gesetz 135, 137, 139, 149, 150, 188 Faserlaser 222, 225 Fast-Axis 227 Fehlentladung 10, 39, 40, 42 Feinbearbeitung 82 Fein-Schneiden 26 Feinstkorngraphit 80 Feldstärkeverteilung 209 Fernfelddivergenz 211 Festigkeit 63, 71 Festkörperlaser 221, 281 - Faserlaser 225 - Scheibenlaser 223 - Slablaser 224 - Stablaser 223 Filterstation 322 Flade-Potential 137 Flüssigkeitsentladungen 29 Fokuslänge 212 Fokussierung 234, 248 Formelektrode 90 Formenbau 27 Formpräzision 91 Formwerkzeug 47 Formzeug 344 Formzeugrotation 341, 347 Formzeugverschleiß 336, 345 Formzeugwerkstoff 344, 346 Fräsen 314 Frequenzverhältnis 14 Fuzzy-Logik 28, 44 Galvanisieren 187 Galvanoscannersysteme 293 Gasfülldruck 129 Gaußmode 209 Gaußstrahl 211, 213 Gefahrstoff 84 Generator 7, 24, 111 - Impulsgenerator, statischer 8, 25 - Relaxationsgenerator 7, 8, 25
386
Sachwortverzeichnis
Speichergenerator 7 Generatorparameter 37 Gesundheitsgefährdung 329 Glas 333 Glasätzen 127 Gleitlinien 67 Graphit 47, 70, 77, 79, 333 - Feinstkorngraphit 78 Grat 128 Gravieren 314 Gravur 88 Grenzwinkel 232 Grundmode 209 Güteschaltung 221 G-Wert 181, 182 -
Halbleiter 225 Halbleiterlaser 225 Handhabungssysteme 237 Härte 51, 68 Hauptschnitt 26, 50, 57 Hautschädigungen 241 HDL - Hochleistungsdiodenlaser 225 Hinterschnitt 88 Hochdruckpumpe 322, 323 Hochdruckwasserdüsen. 322 Hochdruckwasserstrahl 321 Hochleistungskeramik 333 Impulsdauer 9, 13, 25, 37, 49, 64, 69, 77, 112 Impulsfrequenz 13, 14, 52, 60, 83, 116 Impulsstrom 10 Intensität 248, 253 Intensitätsverteilung 209, 212 - (lineare) Superposition 209 - Gauß 209, 234 - Top-hat 234 Isolationswerkstoffe 145 Joule´sche Wärme 145 Joulesche Erwärmung 31 Joulesche Wärme 138
Kaltverfestigung 276 Kanalfußpunkt 5, 34, 36, 65 Kantenverrundung 129 Kathode 3, 31, 134, 135, 165, 169, 187, 198 Kavität 91 Kochsalzlösung 152 Kohärenz 202 Kollimation 237 Konisch-Schneiden 26 Konizität 51, 54 Konizitätswinkel 27 Kontrollsysteme,adaptive 28 Konturerzeugung 48 Konturgenauigkeit 116, 117, 122 Konturneigungswinkel 142 Korngrenzenrisse 67 Kornüberstand 102 Korrosionsstromdichte 137 Kraft - Drahtvorspannkraft 54, 56, 59, 122 - elektromagnetische 54 - elektrostatische 54, 110 - entladungsbedingte 54, 56, 110 - Rückstellkraft 56 - spülungsbedingte 54, 110 Kristallstruktur 67 Kunststoffe, faserverstärkte 333 Kupfer 69, 70, 91 Kurzschluss 11, 40 Kurzschlussimpuls 10 k-Wert 182 Ladungsmenge, geflossene 135 Laser 201 Laser(bearbeitungs)optik 237 laseraktives Medium 204, 206, 216 Laseranlage 229 Laserintegration in Werkzeugmaschinen 271, 277 Laserklassen 244 Lasermaterialbearbeitung 201 Laserstrahlabtragen 263, 292 - Excimerabtragen 266, 293, 295
Sachwortverzeichnis Oxidabtragen 265, 292 Schichtabtragen 292 Schmelzabtragen 264, 292 Strukturieren 292 Sublimationsabtragen 267, 293 Laserstrahlenschutz 241 Laserstrahlfügen 252, 283 - Löten 257, 283 - Schweißen 252, 283 Laserstrahloberflächenbehandlung 258, 288 - Beschichten 261, 292 - Dispergieren 261 - Gaslegieren 261 - Härten 259, 288 - Legieren 290 - Umschmelzen 260, 289 Laserstrahloberflächenbehandlung Legieren 261 Laserstrahlquellen 216 - CO2-Laser 218 - Excimerlaser 266 - Festkörperlaser 221 - Hochleistungsdiodenlaser 225 - Unterscheidungsmerkmale 217 Laserstrahlschneiden 246 - 2D 281 - 3D 280 - Brennschneiden 250, 281 - Schmelzschneiden 248 - Sublimierschneiden 250 Laserstrahlschweißen 252, 283 - Hybridverfahren 256 - Tiefschweißen 252 - Wärmeleitungsschweißen 252 Laserunterstützte Bearbeitung 269, 296 - (Metall-)Drücken 275, 298 - (Warm-)Umformung 275 - (Warm-)Zerspanen 270, 296 - Drehen 273, 297 - Fräsen 274 Leerlaufimpuls 15, 41 Leerlaufspannung 9, 11, 14 Leistung - hydraulische 322 -
387
Leistungsdichte 308 Leistungsschnitt 26, 50, 62 Leitfähigkeit - spezifische 138, 140 Lichtbogen 39 Lichtleitfaser 221, 229, 232 - Multimode 234 - Stufenindex 233 LIGA-Verfahren 198 Linsen - Brennweite 215, 235 - dünne 235 - Werkstoffe 230 Lokalelement 133 MAK - Maximale Arbeitsplatzkonzentration 246 Martensitbildung 260 Maschine 7 Masken 178, 184 Maskenverfahren 266 Massenstrom 322 Materialübertragungsrate 66 Materialvolumen, aufgelöstes 135, 137, 139 Mehrkanalerosion 18, 20, 91 Mehrschnitt-Technologie 57 Metallabscheidung - galvanische 187 - kathodische 187, 189 Metallauflösung - anodische 134 Mikro - Bearbeitung, elektrochemische 184 - Drahterosion 109 - Durchbruch 105 - Funkenerosion 103 - Risse 66, 68, 71, 114 - Senkerosion 103, 104 Modell 27, 29, 31, 32, 72 Molmasse 135 Monochromie 203 Multimodefaser 234 MZB - Maximal zulässige Bestrahlungswerte 243
388
Sachwortverzeichnis äußere 62 Prozessregelung 62 Prozessstabilisierung 41 Prozesssteuerung 42 Prozessüberwachung 42, 350 Pumpen 207 Pumpquelle 204, 216
-
Nachschnitt 26, 50, 57, 60, 62 Nd:YAG 221 Netze, neuronale 45 Nitratlösung 153 Normierte Strahlqualität K 213 Normversuch 147 Numerische Apertur 233 Oberflächenausbildung 57, 63, 72, 88, 113 Oberflächenqualität 264, 273 Oberflächenrauheit 75, 87, 88, 112, 114, 316 Öffnungswinkel 233 Optimiersystem 43, 44 Optimierung, wissensbasierte 45 Oxidschicht 130, 196 - anodische 192 Passivität 136, 155 Passivschicht 136, 153 Pausendauer 9, 13, 39, 70 PECM (Pulsed Electro-Chemical Machining) 156 PEM (Precise Electro-Chemical Machining) 157 Perforieren 314 Periodendauer 13 Photonen 202 Planetärerosion 18, 21 Plasmakanal 5, 31, 34 Polarisationsspannung 141, 142 Polieren 178, 315 - elektrochemisches 174 - funkenerosiv 41, 88 Polung 41 - anodische 41 - kathodische 41 Präzision 91 Profilieren - funkenerosives 101, 102 Profilwerkzeug 333 Propagation 211 Prozesskenngröße 43 Prozesskraft 47
Q-Switch 221 Quanten 202 Querzuströmung 146 Randschichteigenschaften 259 Randzone 5, 49, 51, 57, 58, 62, 65, 66, 69, 70, 72, 74, 75, 113, 114, 115, 167 Raumform 142 Rayleighlänge 212, 215, 235 Reaktionen, elektrochemische 134 Regelung 7 Regler 44 - adaptive 62 - Sollwert 40, 44 Reinmetall 46 Relaxationsgenerator 25 Resist 199 Resonator 204, 208, 209, 216 Risstiefe 68 Rohstrahl 235 Rohstrahldurchmesser 215 Säure 153, 160 Scanner 231, 237 Schärfentiefe 212, 215 Scheibenlaser 222, 223 Schleifen 178 - duktiles 178 Schleifen mit kontinuierlichem Abrichten 179 Schleifscheiben - galvanisch gebunden 194 Schleppfehler 118 Schlichtbearbeitung 43, 78 Schlichtelektrode 91 Schlichten 87 Schmelzrückstände 268
Sachwortverzeichnis Schneiden 16, 17, 24, 25, 47, 75, 80, 84, 95, 105 - Fein-Schneiden 18 - Konisch-Schneiden 18 - Schnell-Schneiden 18, 26 Schneiderosionsanlage 24 Schneidleistung 121 Schneidstation 322, 324 Schnittrate 26, 49, 52, 80, 121 Schnittspur 50, 51, 53, 54, 56 - mittlere 51 - obere 51 - untere 51 Schnittspurbreite 121 Schruppbearbeitung 78 Schruppen 87 - Schruppbearbeitung 43 - Schruppbetrieb 41 - Schruppelektrode 91 - Schrupperodieren 16 Schutzmaßnahmen 244 schwerzerspanbar 271 Schwingungsamplitude 118 Schwingungsfrequenz 118 Schwingungsmode 209 Senkanlage, funkenerosive 7 Senkbarkeit, elektrochemische 147 Senken 16, 17, 18, 19, 77 Slablaser 220, 224 Slow-Axis 227 Sollwertspannung 39, 41, 56 Sonotrode 337 Spaltaufweitung 142, 155 Spaltweite 11, 21, 22, 39, 41, 44, 51, 104, 138, 139, 140, 157 Spaltweitenregelung 23, 40 Spannungsquelle 133, 134 - äußere 187 Spiegel - Werkstoffe 230 Spritzgießform 88, 89, 91 Spülstrom 59, 60 Spülung 26, 110 - Bewegungsspülung 16, 42 - Druckspülung 16, 17 - Saug-Druck-Spülung 22
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Saugspülung 16, 42 Zwangsspülung 41 Stablaser 222, 223 Stack 227 STEM ("shaped tube electrolytic machining") 168 Strahldichte 203 Strahlformung 215, 230, 234 Strahlführung 230 Strahlgeschwindigkeit 322 Strahlkaustik 211 Strahlkopf 324 Strahlleistung 308 Strahlparameterprodukt SPP 212, 215 Strahlqualität 213, 215 - Beugungsmaßzahl M² 213 - Normierte Strahlqualität K 213 - Strahlparameterprodukt SPP 212, 215 - Strahlqualitätskennzahl K 213 Strahlqualitätskennzahl K 212, 213 Strahlradius 211 Strahltaillenradius 211 Strahlweiche 232 Streamer 29 - negativer 29 - positiver 29 Stromausbeute 138, 197 Stromdichte 138, 141, 147, 149, 150, 153, 156, 173, 183, 184, 198 - Grenzstromdichte 197 Stromdichte-Potential-Kennlinie 136, 182 Stromdichteverteilung 147 Stromverlauf 43 Stufenindexfaser 233 Suspension 335, 337 -
Tailored Blanks 286 Tastverhältnis 8, 13, 39 TEM (thermische Entgrat-Methode) 128 TEM-Moden 209 - Gauß-Hermite 209 - Gauß-Laguerre 209
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Sachwortverzeichnis
Tiefschweißeffekt 253 Tiefschweißen 252, 253 Top-hat 234 Topographie 64 Totalreflexion 232 transpassiv 137, 153, 182, 183 TRK - Technische Richtkonzentration 246 Ultraschallbahnbearbeitung 352 Ultraschallschwingläppen 333 Umschmelzveredeln 309 Umwandlungszone 67 Umweltschutz 83, 85, 159, 192 Verbrennungen 240 Verdampfung 38 Verschleiß 22, 23, 24, 38, 40, 47, 77 - pro Entladung 15 - relativer 15, 39 Verschleißbeständigkeit 261 Verschleißrate 15 Verschleißschutz 290 Verschleißverhalten 43, 46, 77, 78 Vollschnitt 26 Vorschubgeschwindigkeit 49, 59, 60, 138, 139, 142 Vorschubregelung 15, 37, 41, 56 Wärmeableitung 38 Wärmebehandlung 88 Wärmesenke 226 Warmfestigkeit 261
Wasser-Abrasivstrahlschneiden 321 Wasserbad 26 Wasserstrahlerodieren 331 Wasserstrahlgravieren 331 Wasserstrahlschneiden 331 WEDG (Wire Electro Discharge Grinding) 123 Werkstofffestigkeit 105 Werkstoffkosten 77 Werkstückhöhe 49, 50, 52, 53 Werkstückmaterial 45 Werkzeugelektrodenwerkstoff 47 Werkzeugstandzeit 91 Wertigkeitsänderung - elektrochemische 135, 149, 154 Wirkenergie 326 YAG - Yttrium-Aluminium-Granat 221 Yb:YAG 221, 223 Zeitfestigkeit 73 Zugeigenspannung 67, 68, 72, 76 Zündbedingung 80 Zündspannungsverlauf 43 Zündverzögerungszeit 11, 13, 15, 40, 43 Zusatzwerkstoff 261 Zustellung, laterale 26 Zuströmung - äußere 146 - innere 146