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Frank Moorfield
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Seewölfe 493 1
Frank Moorfield
FEUER FREI!
Viele Dinge haben ihre eigene Gesetzlichkeit, wenn sie einmal ins Rollen geraten sind. In der Bucht von Batabano waren es fünf mörderische Kerle, die den Anfang machten und etwas auslösten, was niemand mehr aufhalten konnte. Sie desertierten von Bord der „Trinidad“, und der erste Tote war der Ankerposten, den sie mit einem Messerstich erledigten, um von Bord verschwinden zu können. Ungesehen schwammen sie an Land und stiegen zum Ziel ihrer gierigen Wünsche hoch – zu dem Wasserfall, hinter dem sich der Eingang zu den Schatzhöhlen des Don Antonio de Quintanilla befand. Ja, dort konnten sie in Gold baden und sich als Millionäre fühlen. Doch dieser Traum verblaßte, als an Bord der „Trinidad“ der Tote gefunden wurde... Die Hauptpersonen des Romans: Don Gaspar de Mello – der Kommandant der „San Sebastian“ stellt erstaunliche Tatsachen fest. Don Alonzo de Escobedo – fühlt sich betrogen und verrennt sich in Widersprüche. Diego Machado – der Kapitän der „Trinidad“ desertiert von seinem eigenen Schiff. Felipe Gutierrez – der Zweite der „Trinidad“ verklart seinem Kapitän, wer das Sagen hat. Philip Hasard Killigrew – muß mit seinen Männern lauern und viel Geduld aufbringen.
1. Noch während sein höhnisches Gelächter durch die Bucht dröhnte, verwandelte sich das Gesicht Diego Machados in eine teuflische Grimasse. Seine hinterhältigen Augen blitzten triumphierend, und auf seinen Zügen lag beißender Spott. Seiner Meinung nach war das Gelächter die einzig richtige Antwort auf die Warnung Don Gaspar de Mellos, der damit gedroht hatte, das Feuer auf die „Trinidad“ eröffnen zu lassen. Von leeren Drohungen aber ließ sich Machado nicht beeindrucken, denn seinem Empfinden nach war er als profitierender Dritter aus den Auseinandersetzungen der letzten Stunden hervorgegangen. Er war jetzt „am Drücker“, und er dachte nicht im geringsten daran, klein beizugeben. Um seinem überlegenen Lachen Nachdruck zu verleihen, vollführte der verschlagen aussehende Kapitän der „Trinidad“ eine verächtliche Geste in Richtung der „San Sebastian“. Dann wandte er sich wieder seinen verluderten Kerlen zu. „Weitermachen!“ befahl er. „Der Anker wird gehievt. Wir lassen uns
durch die Lackaffen da drüben nicht aufhalten.“ Die Schnapphähne quittierten den Befehl ihres Kapitäns mit beifälligern Grinsen. Kaum einer von ihnen war jetzt noch in der Lage, klaren Gedankengängen zu folgen. Sie alle waren nur noch besessen von der Gier nach den erbeuteten Schätzen, die sich unter Deck in den Laderäumen befanden. Diego Machado nahm die Warnung des Kapitäns der „San Sebastian“ in der Tat nicht ernst Mochte Don Gaspar sich ruhig darüber entrüsten, daß man „den König von Spanien bestohlen“ hatte – er würde sich dennoch hüten, die „Trinidad“ beschießen zu lassen. Als Offizier durfte er auf keinen Fall ein Schiff von Landsleuten angreifen, o nein, an so etwas durfte ein so linientreuer Mann wie de Mello noch nicht einmal denken. Zudem gab es noch einen weiteren Umstand, der Don Gaspars Drohungen in den Augen Machados als Bluff erscheinen ließ: Die „Trinidad“ hatte - wie der Kommandant der Kriegsgaleone immer noch glaubte -Schatzgüter für den König an Bord, und niemand durfte wagen, das
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Eigentum Seiner Allerkatholischsten Majestät durch einen Angriff zu gefährden - selbst, wenn es durch einen hinterhältigen Schachzug erbeutet worden war. Diego Machado kalkulierte kaltblütig und berechnend, wie er es als Kapitän einer Handelsgaleone gewohnt war. Daß es sich bei den vermeintlichen königlichen Schätzen im Bauch des Schiffes in Wirklichkeit um Reichtümer Don Antonio de Quintanillas, des früheren Gouverneurs von Kuba, handelte, die der feiste Halunke im Laufe seiner Amtszeit zusammengerafft und in der westlich von Batabano gelegenen Bucht hinter einem Wasserfall versteckt hatte - das wußten nur er und der geldgierige neue Gouverneur, Alonzo de Escobedo. Doch Machado und seine Horde zeigten an irgendwelchen Eigentumsrechten ohnehin herzlich wenig Interesse. Ihnen kam es jetzt nur noch darauf an, mit dem Teil, den man bereits an Bord geschafft hatte, zu verschwinden. Diego Machado ließ den Anker weiterhieven, bis er kurzstag stand und aus dem Grund brach. „Adios, Freunde!“ rief er voller Hohn zur „San Sebastian“ hinüber, und einer seiner Schnapphähne fügte hinzu: „Ein Hoch den Klunkerchen des Königs!“ Der Wind aus Nordosten setzte den wuchtigen Rumpf in Bewegung. Die „San Sebastian“ ankerte nur fünfzig Yards entfernt an Backbord der „Trinidad“. Capitan de Mello und seine Seesoldaten registrierten mit ohnmächtiger Wut, daß Machados Schiff mit Ruderlage Backbord und backgestellter Fock achteraus sackte. Gleichzeitig drehte es den Bug nach Steuerbord und beschrieb dabei einen Halbkreis, bis es vor dem Wind lag und mit zunehmender Fahrt dem Ausgang der an der Südküste Kubas gelegenen Bucht zustrebte. Don Gaspar de Mello, ein schlanker, drahtiger Mann mit scharfen Zügen, stand am achteren Steuerbordschanzkleid und ballte die Hände zu Fäusten. „Dieser Mensch kennt keine Skrupel!“ stieß er wütend hervor. „Aber mit uns kann er das nicht machen. Nein, zum Teufel, mit
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uns nicht!“ Don Gaspar war bei seinen Seesoldaten sehr beliebt und galt als ein gradliniger und korrekter Mann, der auch vor der Obrigkeit nicht kuschte. So achtete er auch jetzt nicht auf das Gezeter des aufgeputzten Gouverneurs von Kuba, der sich an Bord befand. Alonzo de Escobedo, ein früherer Hafenkapitän von Havanna, starrte zähneknirschend zur „Trinidad“ hinüber. „Schweine sind das! Schweine, die der Teufel holen soll!“ jammerte er händeringend. „Man sollte sie alle aufhängen und zwar jeden einzeln.“ „Anders ist das auch kaum möglich“, gab de Mello knurrend zurück. Dann wandte er sich an seine Leute, die längst die schweren Culverinen der Steuerbordseite besetzt hatten. „Feuer frei!“ lautete sein Befehl. Don Gaspar war kein Mann leerer Versprechungen. Die Warnung, die er dem Kapitän der „Trinidad“ zugerufen hatte, war durchaus ernst gemeint, und wenn Machado an einen Bluff glaubte, dann hatte er die Rechnung eben ohne den Wirt gemacht. Die Seesoldaten, die grimmig entschlossene Gesichter zeigten, reagierten sofort auf den Befehl ihres Kommandanten. Sie fieberten förmlich danach, diesen Schurken von der „Trinidad“ was auf den Pelz zu brennen. Rasch drückten sie die flackernden Luntenstöcke auf die Zündkanäle der schweren Geschütze, und das Feuer fand blitzschnell seinen Weg. Die gußeisernen Rohre waren auf Anweisung des Kommandanten schon vorher auf das Rigg der Handelsgaleone ausgerichtet worden, und das sollte sich als äußerst nützlich erweisen. Innerhalb weniger Augenblicke brach in der idyllischen Bucht, in deren Wasser sich an jenem Morgen des 25. Mai 1595 die Sonne spiegelte, die Hölle los. Ein gewaltiger Ruck erschütterte die Verbände der „San Sebastian“. Im selben Moment spien die Kanonen mit ungeheurer Wucht ihre zerstörerische Ladung hervor. Rollender Donner überlagerte die Bucht,
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als die Kettenkugeln, mit denen man die Rohre geladen hatte, in einem höllischen Wirbel durch die Luft rasten. Die Geschütze rumpelten schwerfällig in ihren Holzlafetten zurück, während die Geschosse fauchend und zischend in das Rigg der „Trinidad“ schlugen. Die Richtkanoniere hatten in der Tat sauber gezielt, denn auch in ihnen kochte die Wut über die Strolche, die mit den königlichen Schatzgütern verschwinden wollten - und über den Tod ihrer sechs Kameraden, die beim Wasserfall Wache gehalten hatten und aller Wahrscheinlichkeit nach von den Deserteuren, die sich jetzt dort oben im zerklüfteten Gestein verschanzt hatten, ermordet worden waren. Die Kettenkugeln, die man speziell zur Zerstörung des Riggs einzusetzen pflegte, zeigten eine ungeheure Wirkung. Im Handumdrehen wurde die „Trinidad“ im wahrsten Sinne des Wortes abgetakelt. Das hämische Grinsen Machados und seiner verlotterten Kerle verwandelte sich in jähes Entsetzen, als urplötzlich die Rahen nach unten krachten und das Deck verwüsteten. Ein Hagel von zertrümmerten Holzteilen wirbelte zusammen mit Segeltuchfetzen durch die Luft. Am schlimmsten aber erwischte es den Fockmast. Er zerbarst mit einem häßlichen Krachen und Splittern und kippte dann über Bord. Dabei hieb er eine Schneise in das Steuerbordschanzkleid und riß zwei Männer außenbords, die nun brüllend und fluchend im Wasser herumhampelten. Einige weitere Kerle waren von den niederstürzenden Spieren erheblich verletzt worden und krümmten sich stöhnend auf den Planken. Innerhalb von wenigen Augenblicken glich die „Trinidad“ mit ihren zerfetzten Segeln und dem weitgehend verwüsteten Rigg einem Schiff, das durch einen schweren Sturm zum Wrack geworden war. In der Tat - das Verschwinden der Handelsgaleone war erfolgreich verhindert worden, denn in ihrem jetzigen Zustand war an ein Weitersegeln nicht mehr zu denken.
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Diego Machado schäumte vor Wut. Das Lachen war ihm längst vergangen, und er mußte wohl oder übel einsehen, daß er sich gründlich in de Mello getäuscht hatte. Der Kommandant der „San Sebastian“ hatte keine leeren Drohungen ausgestoßen, wie er zunächst angenommen hatte. Diese bittere Erkenntnis untermauerte er mit einigen wilden Flüchen. Seine Augen blitzten haßvoll zu der Kriegsgaleone hinüber, und angesichts der schlanken Gestalt de Mellos, die dort noch immer am achteren Steuerbordschanzkleid verharrte, hob er mit einer üblen Verwünschung die Fäuste. Dann erst wandte er sich dem Chaos zu, das an Deck seines Schiffes herrschte. „Hört mit dein Gebrüll auf!“ schrie er die Verletzten an, und den Kerlen, die mit ratlosen Gesichtern über die Trümmer stiegen, warf er böse Blicke zu. „Was steht ihr tatenlos herum?“ herrschte er sie an. „Packt lieber zu und setzt den Anker wieder. S können wir unmöglich weitersegeln.“ Das leuchtete selbst dem Dümmsten an Bord ein. Die „Trinidad“ war nicht am Sinken, denn ihr Rumpf war unversehrt geblieben, aber an Deck glich sie einem riesigen Trümmerhaufen. So hatte sich das keiner von ihnen vorgestellt, und sie hatten sich voll auf den Spürsinn ihres Kapitäns verlassen, der de Mellos Warnung für Bluff gehalten hatte. Nun aber waren sie alle eines Besseren belehrt worden, als ihnen die Fetzen um die Ohren geflogen waren. Notgedrungen befolgten sie den Befehl Machados und warfen erneut den Anker. Um die Verletzten oder die Kerle, die im Wasser schwammen, kümmerte sich niemand. Jeder an Bord der „Trinidad“ war sich selbst der Nächste, und die einzige Sorge Machados und seiner Männer galt jetzt der eigenen Haut und den Reichtümern im Bauch der Galeone. Nur davon wurde das Denken dieser Beutegeier beherrscht, als der Anker noch vor dem Ausgang der Bucht faßte und das Hinaustreiben des Schiffes verhinderte.
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Schon in den frühen Morgenstunden breitete sich flirrende Hitze über Kuba aus. Über den tropischen Wäldern und Palmenhainen der südlichen Küstenregion bildete sich eine Dunstglocke, die wenig von der schwachen Brise aus Nordosten beeinflußt wurde. Schon jetzt war abzusehen, daß der noch junge Tag einen beachtlichen Tribut an Schweiß fordern würde. Edwin Carberry, der Profos der „Isabella IX.“, wischte sich mit dem Handrücken über die zernarbte Stirn. „Das hat einen ganz schönen Haufen Kleinholz gegeben“, sagte er sachlich, nachdem unten in der Bucht die Geschütze der „San Sebastian“ aufgebrüllt hatten. „Deshalb brauchst du aber nicht zu schwitzen“, erwiderte Dan O'Flynn grinsend. „Schließlich hast du nichts dazu beigetragen.“ „Was willst du blaukarierter Zackenbarsch damit sagen, he?“ Reflexartig schob Ed das mächtige Rammkinn vor. „Daß du dir schon wieder den Schweiß aus dem zarten Engelsgesicht wischst, obwohl du seit Stunden faul auf dem Bauch herumliegst.” Dan lächelte hintergründig. „Wie wir übrigens auch“, fügte er dann hinzu. Der kritische Blick Edwin Carberrys, dem das stundenlange untätige Ausharren auf dem Beobachterposten mächtig auf den Geist ging, entspannte sich wieder. „Ich dachte schon, du seist wild auf einen niedlichen klitzekleinen Stunk, um die verflixte Langeweile zu verscheuchen“, sagte er. „Aber da du deinen eigenen dürren Bauch mit eingeschlossen hast, werde ich in echt christlicher Langmut deine hinterfurzigen Reden ertragen.“ Seufzend schaute er zur Bucht hinunter. Dan O'Flynn verbiß sich ein Lachen. „Es ist schon verdammt hart, dich so in christlicher Ergebenheit leiden zu sehen“, sagte er schließlich. „Aber die Aufgaben von Beobachtern erfordern nun mal eine gehörige Portion Geduld. Im Moment könnten wir höchstens einige Steinchen in
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die Bucht kullern lassen, um die verrückten Dons da unten zu erschrecken. Sonst gibt es nichts für uns zu tun.“ „Wenn die trüben Tassen wenigstens zurückschießen würden“, sagte Edwin Carberry. „Aber die hüpfen ja nur wie Flöhe herum und brüllen sich gegenseitig an.“ „Zurückschießen geht nicht“, sagte Dan. „Das Schiff ist in seinem jetzigen Zustand völlig manövrierunfähig. An einen Einsatz der Geschütze ist da nicht zu denken.“ „So ist es“, entgegnete der Profos nickend. „Kaum ist mal was los, da ist es auch schon wieder vorbei. Und unsereiner hockt hier in den Felsen herum und zupft an seinem eigenen Geduldsfaden.“ Die beiden Männer und Batuti hatten sich, als die Suchtrupps der Spanier losgezogen waren, ein Stück von Philip Hasard Killigrew sowie von Siri-Tong und Edmond Bayeux zurückgezogen, die ebenfalls auf der Lauer lagen und die Ereignisse beobachteten. Die Seewölfe hatten sich hinter mächtigen Felsen verschanzt, von wo aus sie alles überblicken konnten, ohne Gefahr zu laufen, selbst entdeckt zu werden. „Dem Koch der ,Trinidad' wird es in nächster Zeit nicht an Brennholz mangeln“, bemerkte Batuti, der am Boden kauerte und den breiten Rücken gegen einen Felsbrocken lehnte. Auch dem muskulösen Schwarzen war anzusehen, daß es ihn einige Geduld kostete, untätig auf dem Beobachterposten auszuharren. Er begann leise durch die Zähne zu pfeifen. Edwin Carberry warf ihm einen schrägen Blick zu. „Soll das vielleicht die Ballade von der rothaarigen Mary sein?“ Batuti grinste und entblößte dabei eine Reihe perlweißer Zähne. „Nein. Das Lied handelt von der schwarzen Kissi - dem schönsten Mädchen der Mandingos.“ „Egal“, erklärte Carberry. „Es wird auch nichts von Weibern gepfiffen -weder in Rot noch in Schwarz. Außerdem kriege ich davon Zahnschmerzen.“
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„Aha“, sagte Batuti, während er von einem Ohr bis zum anderen grinste. „Zum Teufel, gebt jetzt Ruhe!“ sagte Dan O'Flynn. „Da unten tut sich wieder was.“ „Endlich!“ Ed atmete auf. „Und was?“ „Der Hundesohn Machado gibt nicht auf“, berichtete Dan, der das Spektiv auf die „Trinidad“ gerichtet hatte. „Jetzt will er wohl die Jolle ab-. fieren lassen, sofern sie noch heilgeblieben ist. Ich bin wirklich gespannt, was er vorhat. Vielleicht will er die Ladung im Boot verstauen und sich damit verdrücken.“ „Dann wäre er echt verrückt“, sagte Edwin Carberry. „Die plattfüßigen Heringe auf dem Kriegsschiff würden bestimmt nicht lange zusehen.“ Dan zuckte mit den Schultern. „Nun“, sagte er, „wir werden ja sehen, was der saubere Kapitän der 'Trinidad' unternehmen wird. Eins steht fest: Wenn er auf dem schwer angeschlagenen Schiff bleibt, sitzt er in der Falle. Und so, wie es aussieht, wird er einiges riskieren.“ Die Aufmerksamkeit der drei Seewölfe konzentrierte sich voll auf das Geschehen in der Bucht. 2. „Bewegt euch!“ brüllte Diego Machado den Männern zu, die damit begonnen hatten, Trümmerstücke von der einzigen Jolle zu räumen, die sich noch an Bord der Handelsgaleone befand. Er hoffte, daß das Boot noch zu gebrauchen war. Die beiden anderen großen Jollen befanden sich an Land. Mit ihnen waren jene Kerle zum Strand gepullt, die den Transport der Schatzgüter fortsetzen sollten, doch sie waren dabei in das Massaker geraten, das die Deserteure sorgfältig vorbereitet hatten. An Bord der „Trinidad“ herrschte hektische Eile. Den Männern glänzte der Schweiß auf den sonnengebräunten Gesichtern. Und in all die emsige Betriebsamkeit mischte sich die Frage, ob Don Gaspar de Mello den Beschuß fortsetzen würde. „Die werden uns versenken, ohne daß wir was dagegen tun können!“ rief ein junger,
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schmalbrüstiger Bursche mit ängstlichem Gesicht. „Das werden sie nicht tun“, fauchte Machado und schleuderte ein Holzstück, über das er beinahe gestolpert wäre, über Bord. „Wir sollten die Hundesöhne nicht mehr unterschätzen, Capitan“, fuhr der junge Decksmann fort. „Wir haben es schon einmal getan und gesehen, wohin es führte. Die können uns jederzeit einige Löcher in den Rumpf pusten, wenn wir ...“ „Willst du wohl das Maul halten und mit zupacken?“ schrie ihn Machado an. Sein Gesicht war rot vor Wut. Er sprang auf den Mann zu und holte zu einem gewaltigen Tritt aus. Es gelang dem schmalbrüstigen Kerl nicht mehr, voll auszuweichen. Die Stiefelspitze Diego Machados erwischte ihn noch am Achtersteven. Eine Sekunde später fand er sich mit ausgebreiteten Armen inmitten der zertrümmerten Holzteile wieder. „Für dummes Geschwätz ist keine Zeit!“ rief Machado. „Wer nicht zupackt, kriegt Ärger.“ Er hob drohend eine Faust. „Manuel, sorge dafür, daß alle verfügbaren Schußwaffen sowie genug Pulver an Bord geschafft und in der Jolle verstaut werden.“ Mit einem Aufatmen hatte er festgestellt, daß das Boot so gut wie unbeschädigt war. Er würde also seinen riskanten Plan weiterverfolgen können. Manuel, ein stiernackiger Kerl mit nacktem, muskulösem Oberkörper, wirbelte herum. „Jawohl, Capitan!“ rief er. Dann winkte er einige Männer herbei und verschwand mit ihnen unter Deck. In fieberhafter Eile wurden die Musketen, Tromblons und Pistolen nach oben geschafft. Auch Hiebund Stichwaffen wurden nicht vergessen. Nachdem man die Jolle an der Steuerbordseite zu Wasser gelassen hatte, bemannte Diego Machado sie mit sechzehn ausgesuchten Kerlen. Die langen Gesichter, die es auf der Seite jener gab, die nicht mehr in das Boot paßten, hatte er einkalkuliert. Entsprechende Fragen sowie die Bitten der Verletzten, um die sich nach
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wie vor niemand kümmerte, beantwortete er mit einem Schulterzucken. „Haut ab, wenn ihr Lust habt“, sagte er höhnisch. „Ihr werdet nicht mehr gebraucht.“ Einen Augenblick sahen sich die Kerle betroffen an, dann kapierten sie. „Das ist eine elende Schweinerei!“ brüllte ein älterer Mann wütend. „Ihr könnt doch nicht einfach abhauen und uns auf diesem Wrack zurücklassen. Der Gouverneur wird uns hängen lassen.“ „Sollen wir vielleicht ans Ufer schwimmen und riskieren, daß uns die Haie fressen?“ fragte ein anderer erregt. „Macht, was ihr wollt“, erwiderte Machado unwirsch. „Ihr seht selber, daß auf der Jolle kein Platz mehr ist.“ Die Männer begannen zu fluchen und zu drohen, auch einige der Verletzten stießen üble Verwünschungen aus. „Ihr Hunde wollt euch alles alleine unter den Nagel reißen!“ schrie Rodrigo, ein kleiner, dicklicher Kerl mit einem dünnen Oberlippenbart. Machados Gesicht war immer noch zu einem höhnischen Grinsen verzogen. „Irrtum“, erwiderte er, „ich lasse euch als reiche Leute zurück. Ihr könnt das ganze Zeug, das sich an Bord befindet, haben, ich nehme es nicht mit. Ich begnüge mich mit dem, was noch drüben an Land ist.“ Er lachte gemein. Für Rodrigo war das zuviel, der kleine, dickliche Kerl drehte durch. Er bückte sich blitzschnell und griff nach einer Holzlatte. Aber Diego Machado hatte mit einer solchen Reaktion gerechnet. Er kannte die Kerle nur zu gut. Er sprang mit einer Gewandtheit, die man ihm bei seiner Körperfülle nicht zugetraut hätte, vor und hieb Rodrigo die Faust unters Kinn, noch bevor dieser mit der Latte zum Schlag ausholen konnte. Aus dem Mund Rodrigos drang ein dumpfes Röcheln, während sein Körper durch die Wucht des Hiebes zurückgeschleudert wurde und gegen das Backbordschanzkleid der Kuhl krachte. Mit einer raschen Bewegung zog Machado eine Pistole aus dem Gürtel. Das hämische
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Lachen in seinem Gesicht war verschwunden, seine Augen zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen. „Der Nächste empfängt eine Kugel in den Bauch“, sagte er mit schneidender Stimme. „Auch wenn ihr das nicht kapieren wollt ich bin fair zu euch. Ich überlasse euch das Schiff und die wertvolle Ladung. Auch einige Blankwaffen werdet ihr noch vorfinden. Daß nur noch eine Jolle zur Verfügung steht, kann ich nicht ändern.“ „Dann kommt zurück und holt uns!“ forderte einer der Verletzten, der die blutverschmierten Hände auf seinen linken Oberschenkel preßte. Jetzt begann Machado wieder zu grinsen. „Wer weiß, vielleicht tue ich das sogar“, erwiderte er. „Das wird ganz von der Lage der Dinge abhängen.“ Natürlich dachte er nicht im entferntesten daran, sich auf ein solches Risiko einzulassen, denn er konnte bereits von Glück sagen, wenn es hm überhaupt gelang, unbehelligt den Strand zu erreichen. Diego Machado verlor keine weitere Zeit. Nachdem die Männer in der olle vorsichtshalber ihre Musketen in Richtung Steuerbordschanzkleid in Anschlag gebracht hatten, verließ er sein Schiff. Augenblicke später legte die Jolle ab. Die unflätigen Flüche und Drohungen, die den Schnapphähnen von ihren zurückgebliebenen Kameraden und von den Verletzten nachgebrüllt wurden, quittierten sie mit einem schadenfrohen Lachen. Machado ging eiskalt aufs Ganze. Er dachte nicht daran, auf der „Trinidad“ zu bleiben und auf seine Gefangennahme durch die Seesoldaten der „San Sebastian“ zu warten. O nein, ein Mann wie er gab nicht so schnell auf. Wenn er schon auf die Schatzgüter in den Laderäumen seines Schiffes - notgedrungen - verzichtete, dann wollte er sich zumindest an dem, was noch an Land vorhanden war, gütlich tun. Die Höhlen waren ja noch immer voll von den Reichtümern, die Don Antonio de Quintanilla zusammengerafft hatte. Er würde es schon schaffen, sich mit den Deserteuren an Land zu verbünden, wenn
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er bereit war, deren Schlagkraft zu verstärken. Diego Machado wußte, daß die Höhlen kaum zu stürmen waren. Wenn es Don Gaspar de Mello trotzdem versuchte, dann mußte er sich zwangsläufig die Zähne ausbeißen, denn insgesamt würden dann vierzig bewaffnete Kerle zur Verfügung stehen, die die Höhlen verteidigten. Wenn er es so betrachtete, standen seine Chancen gar nicht schlecht, noch ein besonders großes Stück von dem heißbegehrten „Kuchen“ zu ergattern. * Auf der „San Sebastian“, deren Steuerbordgeschütze inzwischen nachgeladen worden waren, wurde die Flucht Machados erst bemerkt, als die Jolle bereits am Strand landete. Die nahezu abgetakelte „Trinidad“ lag so in der Bucht, daß sie die Sicht nach Südosten versperrte. Während Don Gaspar de Mello die Meldung des Ausgucks zunächst schweigend zur Kenntnis nahm, begann der hagere Alonzo de Escobedo zu fluchen wie ein Fuhrknecht. Ja, Seine Exzellenz, der Gouverneur von Kuba, der von seinem Vorgänger, dem beleibten Don Antonio de Quintanilla, ins Amt berufen worden war, benahm sich wie das, was er früher einmal gewesen war: ein kleiner devoter Hafenkapitän, der nur durch die Gunst seines Vorgängers zunächst Hafen-, dann Stadtkommandant und schließlich Gouverneur geworden war. Aber an Qualitäten für dieses hohe Amt mangelte es de Escobedo ganz offensichtlich, denn das, was über die erlauchten Lippen sprudelte, paßte ganz und gar nicht zu dem blütenweißen Rüschenhemd, der eleganten Kürbishose und den kostbaren Schuhen mit Silberschnallen. Von dem mit Brokat besetzten Wams und dem Federhut gar nicht zu reden. „Verdammte Höllenbrut!“ keifte de Escobedo. „Scheißkerle! Lumpenpack! Räudige Hunde!“ Der Erlauchte war außer sich vor Wut und ballte sogar die mit
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kostbaren Ringen besetzten Finger zur Faust, um damit angriffslustig in die Luft zu schlagen. „Machado, dieser elende Hurensohn, erdreistet sich, mich übers Ohr zu hauen!“ brüllte der Gouverneur. „Dafür wird das Schwein hängen und wenn ich ihn eigenhändig hochziehen muß. Der Kerl gibt sich nicht einmal mit den Schätzen zufrieden, die bereits an Bord sind, er will noch mehr holen. Verdammt, das soll er büßen.“ Don Gaspar de Mello kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Nicht nur, daß er sich über die wenig vornehme Ausdrucksweise de Escobedos wunderte es war vielmehr das, was der Gouverneur ausdrückte, was ihn aufmerksam werden ließ und das Mißtrauen, das er schon seit geraumer Zeit gegenüber diesem Mann hegte, wieder wachrief. „Ich glaube nicht, daß er noch mehr von den Schatzgütern auf die ‚Trinidad' holen will“, sagte Don Gaspar ruhig. „Natürlich will er das!“ keifte Alonzo de Escobedo und stampfte dabei wie ein trotziger Junge mit dem Bein auf die Planken. „Der Mistkerl will alles haben. Alles - verstehen Sie?“ „Offen gesagt - nein“, erwiderte de Mello ungerührt. „Was hätte er denn davon, wenn er noch weitere Schätze auf sein Schiff bringen würde? Die Galeone ist ein halbes Wrack und uns völlig ausgeliefert. Er könnte unmöglich mit seiner Beute davonsegeln, wie er das ursprünglich vorgehabt hat.“ „Was wollen Sie damit sagen, Don Gaspar?“ Auf der Stirn des Erlauchten standen dicke Schweißperlen. „Ich will damit sagen, daß gerade die derzeitige Nutzlosigkeit der ‚Trinidad' der Grund für seine Flucht ist. Er ließ alles im Stich, suchte sich so viele Leute aus, wie er brauchte, und wird sich höchstwahrscheinlich an Land mit den Deserteuren verbünden. Offenbar hat er sich große Chancen ausgerechnet, auf diese Weise doch noch an das große Geld zu gelangen.“
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Das schien auch dem aufgebrachten Gouverneur einzuleuchten, aber es verhinderte nicht, daß er einen neuen Tobsuchtsanfall erlitt. Und wieder sprach er davon, daß ihn das Schwein Machado übers Ohr hauen“ wollte. Der Kommandant der Kriegsgaleone begriff mehr und mehr, was die Glocke geschlagen hatte. Was meinte der Erlauchte ständig mit „übers Ohr hauen“? Warum war er es, der übers Ohr gehauen wurde? Gehörten die Schatzgüter nicht Seiner Majestät, dem König von Spanien? Nach Don Gaspars Meinung ließ diese Redewendung erkennen, daß zwischen beiden Senores eine Art Kumpanei bestand. Richtigerweise hätte die Formulierung zum Ausdruck bringen müssen, daß Machado den König übers Ohr gehauen hatte, aber nicht ihn, de Escobedo. Oder hatten am Ende Machado und der Gouverneur ein „Geschäft“ miteinander vorgehabt, und der eine fühlte sich nun vom anderen übers Ohr gehauen? Don Gaspar überlegte scharf. Die Wangenmuskeln in seinem Gesicht zuckten. Seine Augen musterten de Escobedo sehr genau. Das Misstrauen ihm wuchs ganz gewaltig. In sein Gedächtnis kehrten Situationen zurück, die ihn schon vor einiger Zeit argwöhnisch gestimmt hatten. Er erinnerte sich daran, wie er den Gouverneur noch in Havanna nach der Art der Schiffsladung befragt hatte, die er in seiner Eigenschaft als Kommandant eines Kriegsschiffes schützen sollte. Nach einer Reihe von ausweichenden Erklärungen war ihm klipp und klar gesagt worden, das gehe ihn nichts an. Wäre er nicht ein Mann gewesen, der es wagte, sich auch gegen den Gouverneur zu behaupten, hätte er wohl heute noch nicht gewußt, um welche Art „Ware“ es sich handelte, die er gemäß den Worten de Escobedos „bis zum letzten Blutstropfen“ verteidigen sollte. Schon da hatte ihn das seltsame Gebaren beider Männer - sowohl de Escobedos als auch Machados - stutzig werden lassen. Aber erst, als zufällig eine
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Kiste aufbrach, hatte er erfahren, was für eine Ladung übernommen worden war. Aber das war noch nicht alles. Es gab noch eine Reihe weiterer Punkte, die ihn nachdenklich stimmten. Warum, zum Beispiel, hatte man den Seeweg zu jener westlich von Batabano gelegenen Bucht gewählt, wenn doch der Landweg sehr viel kürzer war? Und seit wann versteckte man solche Mengen von königlichen Schatzgütern unbewacht in irgendwelchen einsam gelegenen Höhlen? Ob er wollte oder nicht - Don Gaspar de Mello sah in Alonzo de Escobedo immer weniger den Gouverneur und immer mehr eine zumindest zwielichtige Person. Es wird Zeit, daß ich diesem Mann einmal auf den Zahn fühle, dachte er. Don Gaspar wurde in seinen Gedankengängen unterbrochen, denn Alonzo de Escobedo ließ eine neue Schimpfkanonade vom Stapel und malte mit hochrotem Gesicht aus, was er alles mit dem „Lumpenpack“ anfangen würde, wenn er erst einmal die Gelegenheit hätte, die Kerle am Schlafittchen zu packen. Don Gaspar unterbrach ihn mit ruhiger, aber fester Stimme. „Wir hätten die Flucht Senior Machados wahrscheinlich verhindern können“, sagte er sachlich, „wenn wir sofort nach unserem Beschuß mit einem Teil der Soldaten die ‚Trinidad' geentert hätten.“ Der Gouverneur sah ihn unwirsch an. „Fangen Sie nicht schon wieder damit an!“ fauchte er. „Wir müssen die Höhlen stürmen, das ist viel wichtiger. Lernen Sie endlich einmal, Prioritäten zu setzen!“ „Genau das versuche ich ja schon die ganze Zeit“, sagte de Mello ungerührt. „Es wären genug Seesoldaten auf der ,San Sebastian' zurückgeblieben, um während dieser Zeit die Felswände zu beobachten und mit unseren Drehbassen in Schach zu halten.“ De Escobedo schluckte und wollte mit seinem wütenden Gezeter fortfahren, doch bevor er zu weiteren Reden ansetzen konnte, dröhnte plötzlich die Stimme des Mannes im Großmars über die Decks.
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„Auf der ‚Trinidad' scheint sich etwas anzubahnen!“ lautete die zunächst recht spärliche Meldung, die sowohl de Mello als auch den Gouverneur veranlaßte, das Spektiv ans Auge zu führen. 3. Während die Sonne höher und höher stieg und die Luft aufheizte, ritt der Teufel die auf der „Trinidad“ verbliebenen wüsten Kerle. Ausdrücklich ihres Heuervertrages entbunden, hatten die Schlitzohren der Rest-Crew begriffen, daß es auch für sie an der Zeit war, aus der unangenehmen Situation das Beste herauszuholen und ihr Schäfchen ins Trockene zu bringen. Und dies sofort, noch bevor das Schiff von der „Scheiß-Marine“ besetzt wurde. Rodrigo, der dickliche Kerl, der von Machado niedergeschlagen worden war, eilte zusammen mit Alfredo, dem Schiffszimmermann, zu den Laderäumen. „Da liegt das ganze Zeug“, sagte er, und seine Augen funkelten gierig. „Ab sofort gehört es uns. Machado, der Hund, hat ja freiwillig darauf verzichtet.“ „So ist es, Rodrigo“, entgegnete der Schiffszimmermann - ein hagerer Bursche mit hervorstehenden Wangenknochen. „Greifen wir zu, bevor die Senores von der ,San Sebastian' den ganzen Reichtum beschlagnahmen.“ Alfredo hatte einige Werkzeuge zur Hand. Es war ein Kinderspiel, die Schotten, die zu den Laderäumen führten, damit aufzubrechen. Mit erwartungsvollen Blicken betraten sie schließlich die dunklen Räume im schwachen Schein einer mitgebrachten Tranlampe. Obwohl die Kerle von den Reichtümern wußten, gingen ihnen die Augen über, als sie die erste Kiste gewaltsam geöffnet hatten. „Schau dir das an, Alfredo!“ rief der dickliche Rodrigo begeistert. „So viele Klunkerchen hast du noch nie auf einem Haufen gesehen. Ja, schau dir das an.“ Er hob die Tranlampe hoch, damit ihr Lichtschein die Kiste ausleuchten konnte.
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Die Augen des Mannes glänzten. Die schmerzende und immer noch etwas blutende Schramme, die Machados Faust in seinem Gesicht hinterlassen hatte, war längst vergessen. Der Schiffszimmermann, der das Brecheisen auf eine andere Kiste gelegt hatte, brachte vor Erregung kaum ein Wort heraus. Er starrte wie gebannt auf den Inhalt der Holzkiste, der im Lichtschein verführerisch funkelte. Dann begann er zu kichern wie ein Greis und wühlte mit beiden Händen in den Bergen von Münzen und Schmuckstücken herum. Wie Getreidekörner ließ er die Geldstücke durch die gespreizten Finger rieseln.. Das leise Klirren des Edelmetalls rief in seinem Gesicht Verzückung hervor, als höre er die himmlische Heerscharen singen. „Gold“, hauchte er. „Berge von Geld!“ Die beiden Kerle wurden urplötzlich von der Gier übermannt. Wie Verrückte fingen sie damit an, sich die Taschen vollzustopfen. Als diese bereits überflossen, packten sie das Zeug in die offenen Hemden. Ganz besonders hatte es Rodrigo eine goldene Kette angetan. Mit einem verrückten Lachen, als sei er eine verliebte Senorita, wickelte er die Kette um den Hals. „Säcke!“ stieß Alfredo plötzlich hervor. „Wir brauchen Säcke für den Abtransport.“ „Vielleicht findet sich etwas Passendes“, entgegnete Rodrigo. Dann kletterten die beiden eilig an Deck. Dort fanden sie zwar keine Säcke, dafür aber brachten sie eine Lawine ins Rollen, und im Handumdrehen war an Bord der Teufel los. Der Anblick ihrer prallgefüllten Hemden und Hosentaschen sowie die Kette, die Rodrigo um den Hals trug, entfachte bei ihren Kumpanen eine Art Goldrausch. Keiner war mehr zu bremsen. „Die Schätze!“ brüllte einer laut, und das wirkte wie ein Alarmruf. Alle stürmten zu den Laderäumen, etliche jubelten vor Begeisterung -trotz der schier ausweglosen Situation, in der sich die „Trinidad“
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befand. Doch zur Zeit dachte keiner von ihnen an seine mißliche Lage. Die Gier griff auch auf die Verletzten über. Zwei von ihnen rührten sich seit geraumer Zeit nicht mehr. Offenbar waren sie tot. Die anderen, die wegen ihrer Verwundungen an dem Sturm auf die Laderäume nicht teilnehmen konnten, begannen fürchterlich zu fluchen und zu brüllen. Alfredo, der hagere Schiffszimmermann, irrte mit flackernden Augen an Deck herum, immer noch auf der Suche nach Säcken. Aber er fand keine. „Verdammter Mist!“ schrie er. „Wir können das Zeug doch nicht in Fässer packen. Oder etwa doch? He, Rodrigo! Wie wär's mit den leeren Weinfässern?“ Rodrigo hielt nicht viel davon. „Wie willst du damit an Land gelangen?“ fragte er zurück. „Ich habe eine bessere Idee.“ Er hielt bereits einige großflächige Segeltuchfetzen in den Händen. „Dieses Zeug läßt sich leicht zu einem Bündel zusammenschnüren, und es ist einfacher zu transportieren.“ Alfredo war ihm dankbar für diese Idee, und nachdem sie genügend Verpackungsmaterial beisammen hatten, stürmten sie wieder zu den Laderäumen, um sich dort mit den anderen um die Schätze zu balgen. „Bringt mir wenigstens ein paar Goldstücke mit!“ rief ein grauhaariger Mann, der den Oberkörper gegen eine Taurolle gelehnt hatte, aber offensichtlich unfähig war, seine verletzten Beine zu bewegen. „Nur eine Handvoll!“ Rodrigo grinste gönnerhaft. „Hier hast du was, Amigo.“ Er hängte dem Verwundeten kurzerhand eine Silberkette um den Hals, die er zusammen mit anderen Schmuckstücken in sein Hemd geschoben hatte. In den Laderäumen prügelten sich bereits vier Kerle um ein Kästchen mit wertvollen Ringen. Sie hörten erst auf, als die Schmuckstücke über die Planken kullerten. Jetzt aber fielen die Schnapphähne auf die Knie und grapschten nach der heißbegehrten Beute.
FEUER FREI!
Rodrigo und der Schiffszimmermann bahnten sich rücksichtslos einen Weg zu den Truhen und Kisten, und als sie kurz darauf mit prallgefüllten Bündeln auf die Kuhl zu rückkehrten, wurden sie nur noch von dem einen Gedanken beherrscht: mit ihren Schätzen von der „Trinidad“ abzuhauen - weit weg, und zwar noch bevor die Soldaten der „San Sebastian“ das Schiff enterten. „Wir werden schwimmen müssen“, schnaufte Alfredo. „Bist du wahnsinnig?“ Rodrigo sah ihn entgeistert an. „Es gibt hier Haie.“ „Und wenn schon“, beharrte Alfredo. „Wir können hier nicht bis auf den Jüngsten Tag warten. Wenn wir auf diesem Kahn bleiben, werden wir alles wieder verlieren. Man wird es uns einfach wegnehmen, und dann sind wir genauso beschissen dran wie vorher. Kapierst du das?“ „Ja, ja“, keuchte Rodrigo mit irren Augen. „Du hast recht. Und Machado, dieser Mistkerl, denkt nicht im Traum daran, uns eine Jolle zu schicken. Wir müssen schon selber sehen, wie wir verschwinden. Trotzdem -Schwimmen geht nicht, schon gar nicht mit den schweren Münzen und Goldstücken.“ „Zum Teufel, das habe ich nicht bedacht!“ Der Schiffszimmermann zog ein besorgtes Gesicht. „Ich hab's!“ rief Rodrigo plötzlich. „Wir brauchen ein Hilfsfloß.“ Die beiden Kerle begannen sofort damit, ein schweres Schott aus den Angeln zu heben. „Wir müssen es an Steuerbord ins Wasser werfen“, sagte Rodrigo. „Dort hängt nämlich noch die Jakobsleiter.“ Sie waren fest davon überzeugt, daß auch noch der Rest ihres Vorhabens gelingen würde. Doch es gab noch einen wesentlichen Faktor, den sie nicht einkalkuliert hatten den Neid. Gerade als sie dabei waren, vollbepackt mit ihrer Beute, abzuentern, wälzte sich einer der Verwundeten, der sich bereits die Seele aus dem Leib gebrüllt hatte, herum und kroch mühsam auf allen vieren zum Schanzkleid. Mit schweißüberströmten und
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schmerzverzerrtem Gesicht fingerte er sein Messer aus dem Gürtel und kappte die Taue der Jakobsleiter. „Zur Hölle!“ schrie Rodrigo. Im selben Augenblick verloren beide den Halt und stürzten mit ihrer kostbaren „Ladung“ in das tiefblaue Wasser der Bucht. Das enorme Gewicht der Beute zog sie sofort in die Trotz des Goldrausches, in dem sie sich befanden, begriffen sie, daß sie sich von ihren Schätzen trennen mußten, wenn sie nicht hilflos ertrinken wollten. Mit all dem Raffgut hatten sie keine Chance, jemals wieder die Wasseroberfläche zu erreichen. Also befreiten sie sich schweren Herzens von dem heißgeliebten Ballast - fest entschlossen, oben noch einmal nachzufassen. Doch es sollten noch weitere Schwierigkeiten auftreten, mit denen sie nicht gerechnet hatten. Nachdem sie wieder aufgetaucht waren und prustend nach Luft schnappten, bemerkten sie, daß ein anderer Kerl, der sich offensichtlich an einem Seil nach unten gehangelt hatte, auf ihr Schott zuschwamm. Wußte der Teufel, wo er die beiden Ledersäcke, die um seinen Hals hinaufgetrieben hatte. Mühevoll versuchte der Mann, sich auf das Schott zu ziehen, und er schaffte es. „Besorgt euch ein neues Floß!“ rief er Rodrigo und dem Schiffszimmermann zu. „Du, Alfredo, kannst mit deinen Werkzeugen ja eins bauen!“ Er unterstrich seine Worte mit einem höhnischen Lachen. Die beiden Kerle, die wegen ihrer verlorenen Beute ohnehin dicht vor einem Nervenzusammenbruch standen, jaulten vor Wut und schwammen sofort auf das Schott zu, um den unverschämten Burschen herunterzuholen. Daß er bei dieser Gelegenheit auf die beiden Ledersäcke verzichten mußte, war bereits beschlossene Sache. Rodrigo und Alfredo erreichten das Schott ohne besondere Mühe, denn sie waren gute Schwimmer und hatten außer einigen Münzen in den Hosentaschen keinen Ballast mehr bei sich.
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„Runter mit dir, du Hund!“ brüllte Rodrigo und begann gemeinsam mit Alfredo an dem Behelfsfloß zu rütteln. Der Kerl, der flach auf dem Schott lag, gab jedoch nicht auf. Er hielt bereits ein Messer in der Hand und zögerte nicht, es gnadenlos einzusetzen. Die Klinge fuhr Alfredo, der sich gerade hochzuziehen versuchte, in die Brust. Der Schiffszimmermann stieß einen gurgelnden Laut aus. Dann verdrehte er die Augen. Seine Finger lösten sich langsam von der Kante des Schotts, danach versank er regungslos im Wasser. Der Traum vom großen Reichtum war für ihn aus. All die Münzen und Goldstücke wurden in diesem Moment für ihn bedeutungslos. Rodrigo, der das Geschehen miterlebt hatte, ohne noch rechtzeitig eingreifen zu können, kochte vor Wut und Haß. „Du Mörder!“ schrie er und stieß sich gleichzeitig vom Schott ab, denn der Kerl mit dem Messer richtete jetzt die Waffe gegen ihn. Rodrigo war sich darüber im klaren, daß er die schlechtere Ausgangsposition hatte, zumal auch sein Messer verlorengegangen war. „Willst du wohl verschwinden, du Ratte?“ Der Kerl auf dem Schott kostete seinen Sieg aus. Rodrigo wünschte ihm noch die Pest und tausend Haie an den Hals, dann schwamm er zum Schiff zurück, um sich an der Leine, die der Messerstecher zum Abentern benutzt hatte, nach oben zu ziehen. Er dachte nicht daran, aufzugeben. Seine Beute war weg, das Schott ebenfalls. Und Alfredo, nun ja, der hatte eben Pech gehabt und hätte besser aufpassen müssen. Rodrigo war jedoch fest entschlossen, neue Schätze zu holen, und irgendein Stück Holz, das ihm als Floß dienen konnte, würde er schon noch auftreiben. Die Ereignisse im Wasser bildeten jedoch nur den Auftakt zum großen Fleddern. Der Kampf ums Überleben und um den großen Reichtum hatte an Bord der „Trinidad“ inzwischen mit aller Heftigkeit eingesetzt. Kaum hatte sich Rodrigo triefendnaß über das Schanzkleid geschwungen, da flogen bereits weitere Schotten und Grätings ins
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Wasser. Auf der Kuhl tobte ein erbitterter Kampf um diese Hilfsflöße. Das Tollhaus war absolut perfekt. Auf den Gesichtern der Männer glänzte der Schweiß, denn die brütende Hitze verwandelte sich mehr und mehr in drückende Schwüle. Fast schien es, als würde sich am Himmel ein Tropengewitter zusammenbrauen. Die Männer an Bord der „Trinidad“ kümmerte das jedoch wenig. Sie alle hatten nur das Bestreben, mit möglichst viel Raffgut diesen wracken Kahn zu verlassen, egal wie. Jene, die es geschafft hatten, irgendwo Ledersäcke aufzutreiben, hatten diese randvoll gefüllt und an Deck geschafft. Aber das hieß noch lange nicht, daß sie auch im Besitz ihrer Reichtümer blieben, denn einige wollten sich die Arbeit des Einsackens ersparen und waren darauf erpicht, die gefüllten Säcke der anderen zu vereinnahmen. Im Handumdrehen tobte eine wilde Prügelei über die Kuhl. Einige Säcke mit Goldmünzen platzten auf. Der Segen rollte über die Planken, gierig erhascht von den Verwundeten, die wenigstens ein bißchen einsacken wollten. Zwei Männer hieben wie entfesselt mit zerborstenen Spieren aufeinander ein, bis einer von ihnen mit zertrümmertem Schädel auf die Planken sank. Andere gingen mit den Messern aufeinander los oder prügelten sich mit bloßen Fäusten. Wie Rodrigo mit einem raschen Blick feststellte, standen die Chancen, weitere Beute sowie eine Gräting oder ein Schott zu erhaschen, ziemlich schlecht - es sei denn, Miguel, ein drahtiger Kerl mit einem schwarzen Vollbart, würde ihm die beiden Ledersäcke abtreten, die er gerade zum Schanzkleid schleppte. Natürlich würde der als heimtückisch bekannte Bursche das nicht freiwillig tun, darüber war sich Rodrigo im klaren. Er nahm deshalb blitzschnell einem Toten das Messer weg und stellte sich Miguel in den Weg. „Darf ich dir beim Schleppen helfen, Bruder?“ fragte er lauernd. „Zwei Säcke sind für dich zu schwer. Na los, gib mir
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einen ab. Oder noch besser: gib mir beide, dann hast du es leichter!“ Die Spitze seines Messers zeigte auf den Bärtigen. Doch der dachte nicht daran, seine Schätze aufzugeben. Seine Augen blitzten - böse, als er seine Schritte stoppte. „Verschwinde, Rodrigo!“ fauchte er. „Such dir einen anderen aus. Bei mir wirst du kein Glück haben.“ „Man könnte es ja mal versuchen.“ Rodrigo gab sich überlegen. „So zum Beispiel!“ Während dieser Worte warf er sich dem bärtigen Miguel entgegen, denn noch trug dieser unter jedem Arm einen schweren Ledersack, wodurch seine Bewegungsfreiheit ziemlich eingeschränkt war. Diese günstige Situation wollte Rodrigo nutzen. Aber Miguel reagierte unwahrscheinlich schnell. Die Angst, seine Reichtümer zu verlieren, ließ ihn auf der Hut sein. Noch bevor Rodrigo ihn erreicht hatte, schleuderte er ihm einen der Säcke entgegen. „Dir werde ich's zeigen, du Beutelschneider!“ zischte er voller Wut. Rodrigo kriegte den Sack direkt vor die Füße und stolperte prompt darüber. Er konnte nicht verhindern, daß er ins Straucheln geriet und auf die Planken stürzte. Seine triefend-nasse Kleidung gab dabei ein klatschendes Geräusch von sich. Mit einem lauten Fluch wollte er sich wieder aufraffen, doch der Bärtige reagierte schneller. Noch bevor sich Rodrigo aufrichten konnte, hatte Miguel den zweiten Ledersack hochgewuchtet und ließ ihn auf den Angreifer niedersausen. Dieser wurde durch das Gewicht des Sackes hart auf den Boden geschmettert. Miguel war das jedoch nicht genug. Er hob den Sack mit Riesenkräften wieder an und schlug erneut damit zu - immer und immer wieder. Rodrigo hatte keinerlei Chance mehr, sich aufzurappeln und das Messer einzusetzen. Der Bärtige drosch mit dem Sack zu wie mit einem schweren Schmiedehammer. Und er ließ auch dann noch nicht von dem dicklichen Burschen ab, als dieser sich nicht mehr rührte.
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Rodrigo war tot. Erschlagen wie ein räudiger Hund, und zwar mit einem Geldsack. Miguel, der wie von Sinnen war, hörte erst dann mit seinen mörderischen Hieben auf, als der Ledersack zerplatzte und die Münzen - in der Sonne glitzernd - daraus hervorquollen. Sie rollten über die ganze Kuhl und verschwanden zum Teil in offenen Luken. Miguel hielt inne und stieß einen fast tierischen Schrei aus. Mit irrem Blick starrte er auf die Münzen und den zerplatzten Ledersack. Für einen Augenblick war er wie gelähmt. Das gedachte ein kleiner, kahlköpfiger Kerl auszunutzen, denn Miguel kümmerte sich im Moment nicht um seinen zweiten Sack, den er Rodrigo vor die Füße geworfen hatte. Der Kahlköpfige, der sich seitwärts herangepirscht hatte, packte den Ledersack und wollte damit zum Schanzkleid eilen. Aber da geriet wieder Leben in die starre Gestalt Miguels. Der Kahlköpfige drehte ihm den Rücken zu. Das war günstig. Blitzschnell zuckte Miguels Hand zum breiten Ledergürtel. Die Klinge seines Messers blinkte im grellen Sonnenlicht, als er die Waffe zum Wurf erhob. Bereits eine Sekunde später zischte das Messer über die Kuhl und bohrte sich in den Rücken des Kahlköpfigen, noch bevor dieser das Schanzkleid erreicht hatte. Mitten im Lauf stieß der Kerl einen wilden Schrei aus und stürzte vornüber. Mit einigen Sätzen war Miguel heran und zerrte den Sack unter dem Toten hervor. Dann gelang es ihm, damit von Bord zu hangeln und mühsam auf eine im Wasser treibende Gräting zuzuschwimmen. Ganz in der Nähe sah er einen Kerl, der auf einem Schott lag und einen kleinen Segeltuchbeutel festhielt. Auch diesem war es offenbar gelungen, mit einer verhältnismäßig geringen Beute von Bord zu verschwinden. Miguel erreichte die treibende Gräting und wuchtete als erstes den Geldsack hinauf. Er war davon überzeugt, es endgültig
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geschafft zu haben, davon zeugte das triumphierende Grinsen, das über sein Gesicht zog. In seinen Ohren dröhnte noch immer das laute Gebrüll jener, die an Bord um die Beute kämpften. Es herrschte nach wie vor ein Getümmel auf der „Trinidad“, als seien Piraten dabei, das Schiff zu entern. Jeder kämpfte gegen jeden, jeder war bereit zu töten - getrieben von der Gier nach Reichtum. Ja, alle benahmen sich wie verhungerte und verwilderte Köter, die sich wegen eines letzten Knochens gegenseitig zerfleischten. 4. „Heftige Prügelei an Bord der ‚Trinidad'!“ meldete der Mann im Ausguck der Kriegsgaleone. Don Gaspar de Mello schüttelte den Kopf. „Sind die denn alle übergeschnappt?“ Alonzo de Escobedo warf ihm einen fragenden Blick zu. Seine Augen wirkten nervös. „Eine Prügelei - was hat das schon wieder zu bedeuten?“ „Das ist nicht schwer zu erraten“, erwiderte Don Gaspar. „Der ehrenwerte Senor Machado hat sich mit einigen seiner Männer abgesetzt. Da sich mehr als ein Dutzend Männer in der gelandeten Jolle befanden, kann er logischerweise die Schatzgüter nicht mitgenommen haben. Eben das wird die Ursache dafür sein, daß es jetzt bei den Zurückgebliebenen drunter und drüber geht. Die Männer sind ohne Führung und glauben, tun und lassen zu können, was sie wollen. Vor allem, was die Ladung betrifft.“ Der Gouverneur winkte ab. „Wie dem auch sei“, verkündete er. „Wenn die Kerle nichts besseres zu tun haben, sollen sie sich ruhig gegenseitig verprügeln. Und die wertvolle Ladung können sie schließlich nicht verschlucken. Eine Flucht ohne Boot ist auch nicht möglich, also brauchen wir uns zur Zeit nicht darum zu kümmern.“ Don Gaspar legte die Stirn in Fallen. „Sicherlich kann uns die ‚Trinidad' nicht entwischen, aber andererseits können wir
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auch nicht hinnehmen, daß sich die Kerle da drüben gegenseitig totschlagen und die Laderäume plündern. Ich werde mit einem Kommando meiner Seesoldaten übersetzen, um dort für Ruhe und Ordnung zu sorgen und die Galeone meinem Befehl zu unterstellen.“ Ohne ein Antwort des Gouverneurs abzuwarten, erteilte Capitan de Mello sofort die nötigen Befehle. Das irre Flackern in de Escobedos Augen übersah er dabei. Der Erlauchte aus Havanna wurde offenbar nur noch von dem Gedanken an die Schätze beherrscht, die noch in der Höhlen lagerten. Das mochte auch der Grund für seine jetzige Reaktion sein. Alonzo de Escobedo riß mit einer jähen Bewegung seine doppelläufige und reich verzierte Pistole heraus und legte sie auf Don Gaspar an. Obwohl dessen Mißtrauen gegen den Gouverneur in den letzten Stunden ständig gewachsen war, hatte er keineswegs mit solch einer Verrücktheit gerechnet. Zitternd vor Wut und mit Schaum vor dem Mund ging der Erlauchte einen Schritt auf de Mello zu. „Diesen unsinnigen Befehl nehmen Sie sofort zurück!“ schrie er. „Außerdem unterstehen ab sofort alle Seesoldaten meinem Kommando. Da es wichtigeres zu tun gibt, als sich um das Gesindel auf der ‚Trinidad' zu kümmern, befehle ich den sofortigen Sturm auf die Höhlen. Wenn Sie sich meinen Anordnungen widersetzen, Capitan de Mello, werde ich Sie in Gewahrsam nehmen lassen und einem Kriegsgericht überstellen.“ So verblüfft de Mello im ersten Augenblick war, so klar war ihm auch, was der Gouverneur mit diesem Irrsinn bezweckte. In den Höhlen befand sich der weitaus größere Teil des gesamten Schatzes. Nur deshalb verlangte dieser aufgeblasene Kerl, daß sie gestürmt werden sollten. Daß er jetzt sogar versuchte, ihn, de Mello, als Kommandanten der „San Sebastian“ auszuschalten, erhärtete nur die Vermutung, daß er freie Hand für seine zwielichtigen Machenschaften haben
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wollte. Da aber hatte de Mello noch ein Wörtchen mitzureden, und wenn es sein mußte, auch ein ziemlich handfestes. Es gelang Don Gaspar, ein verbindliches Lächeln aufzusetzen. „Was Sie da verlangen, klingt reichlich verrückt, Senor de Escobedo“, sagte er gelassen. „Wenn Sie die Güte hätten, in diesem Moment einen einzigen Blick zum Strand hinüberzuwerfen, dann wüßten Sie auch, warum ...“ Wie auf Kommando ruckte der Kopf de Escobedos herum. Sein Blick war auf jene Stelle des Strandes gerichtet, wo Machado mit seiner Jolle gelandet war. Don Gaspar hatte de Escobedo bewußt abgelenkt und nutzte seine Chance. Er warf sich dem Gouverneur reaktionsschnell entgegen, unterlief geschickt die Hand mit der Pistole und hieb im selben Moment hart zu. Alonzo de Escobedo stieß einen erschreckten Laut aus und verzog schmerzlich das Gesicht, als ihm die Pistole aus der Hand flog und auf die Planken polterte. Zur selben Zeit war auch der Erste Offizier der „San Sebastian“ zur Stelle und wuchtete dem Erlauchten kurz entschlossen die Faust an die Schläfe. Noch während sein prunkvoller Federhut über die Achterdecksplanken segelte, quiekte der Gouverneur laut auf, dann sank er wie ein schlaffer Mehlsack in sich zusammen. „Danke“, sagte de Mello mit einem kurzen Blick zu seinem Ersten. Dieser grinste. „Gern geschehen, Senor. Capitan.“ Man sah seinem Gesicht deutlich an, daß er den Hieb in keiner Weise bedauerte. „Sorgen Sie dafür, daß dieser Mann gebunden und in einer Achterdeckskammer unter Bewachung gestellt wird“, befahl Don Gaspar. So geschah es. Dem besinnungslosen Alonzo de Escobedo wurden die Hände auf den Rücken gebunden, bevor man ihn in eine Achterdeckskammer bugsierte. Vor dem Schott zogen zwei Seesoldaten als Wachen ' auf.
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Don Gaspar hingegen ging sofort daran, sein ursprüngliches Vorhaben in die Tat umzusetzen. Er ließ zwei Jollen bemannen und übertrug für die Dauer seiner Abwesenheit dem Ersten Offizier das Kommando über die „San Sebastian“. Er war fest entschlossen, den übergeschnappten Kerlen auf der „Trinidad“ Manieren beizubringen. * Die Jollen mit den schwerbewaffneten Seesoldaten hielten zügig auf die Handelsgaleone zu. Doch erst als das Schiff ihnen nicht mehr den Blick in südöstliche Richtung versperrte, entdeckten Don Gaspar und seine Mannen zwei einsame Gestalten, die auf Behelfsflößen im Wasser trieben und wie verrückt mit den Händen paddelten. „Vermutlich sind das Männer der ,Trinidad`“, sagte de Mello. „Die Burschen müssen sich von der Steuerbordseite aus entfernt haben, deshalb konnten wir sie nicht früher sehen. Sie versuchen, das Land zu erreichen.“ „Sollen wir sie schnappen, Senor Capitan?“ fragte der Zweite Offizier. Don Gaspar nickte. „Warum sollen wir den Strolchen an Land Verstärkung gewähren? Wir nehmen die Kerle an Bord.“ Bei den Flüchtlingen handelte es sich um den bärtigen Miguel, der mit dem einen, ihm verbliebenen Ledersack auf einer Gräting lag und wie ein Irrsinniger paddelte, sowie um jenen Mann, der schon vorher mit einem kleinen Segeltuchbeutel auf ein Schott geklettert war. Natürlich hatten die beiden keine Chance mehr, das Land zu erreichen. Sie begannen laut zu fluchen, als sie Jollen, die nur geringfügig ihren Kurs geändert hatten, auf sie zuhielten. „Hört auf, wie die Hunde zu paddeln, wir werden euch an Bord nehmen!“ rief der Zweite Offizier, und sein Gesichtsausdruck wirkte beinahe belustigt. Weder ihm noch de Mel war entgangen, daß die beiden Männer „Fracht“ geladen hatten, -und sie
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konnten sich denken, welcher Art diese war. Die beiden Flöße, die sich zur Verwunderung der Seesoldaten als Schott und Gräting entpuppten, waren höchstens fünfzig Yards voneinander entfernt. Miguel paddelte weiter. Er lag mit dem Bauch auf der Gräting und dachte nicht daran, aufzugeben. „Verschwindet!“ brüllte er mit blutunterlaufenen Augen. „Haut ab und laßt mich in Ruhe! Was wollt ihr von mir? Weg mit euch! Der Teufel soll euch holen!“ Mello ließ seine Jolle dicht an das Hilfsfloß heranmanövrieren. „Das hat doch keinen Sinn!“ rief er. „An Bord mit dir!“ Miguel mußte einsehen, daß er bei einem Wettpullen den kürzeren ziehen würde, deshalb gab er notgedrungen auf und schnappte sich den Ledersack. Er hockte wie ein Häufchen Elend auf der Gräting und drückte den Sack mit beiden Armen an die Brust. Das Bild erinnerte an eine Mutter, die ihren Säugling zärtlich zu schützen versucht. Miguels Blick war verwirrt. Er leistete keine Gegenwehr, als er wenig später von den Soldaten an Bord der Jolle gezogen wurde - mitsamt dem heißgeliebten Ledersack. Dem Mann auf dem Schott erging es nicht anders. Er wurde von der zweiten Jolle, die ein Sargento befehligte, übernommen. Miguel hockte - triefend naß - auf einer Ducht, den Ledersack ließ er nicht los. „Wer bist du?“ wollte der Zweite wissen. „Und wo wolltest du hin?“ Miguel blickte zunächst schweigend und mit glasigen Augen durch ihn hindurch, bis ihn der Offizier kurzentschlossen an den Schultern packte und heftig durchrüttelte. „Antworte gefälligst, aber ein bißchen schnell!“ Der bärtige Bursche, der in einem schmuddeligen Hemd und in einer ausgefransten Segeltuchhose steckte, schien nach und nach in die Wirklichkeit zurückzukehren und seine momentane Situation zu begreifen. Jedenfalls löste sich
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jetzt ein lästerlicher Fluch von seinen Lippen, gleichzeitig fuhr er wie von einer Tarantel gestochen in die Höhe. Zwei Seesoldaten der „San Sebastian“ drückten ihn jedoch sofort wieder auf die Ducht zurück. „Nur nicht nervös werden“, sagte der Zweite. „Außerdem hast du meine Fragen noch nicht beantwortet.“ Der Bärtige zögerte noch einen Moment, sein heftiger Atem verriet seine Erregung. „Ich heiße Miguel. Miguel Fernandez“, sagte er schließlich. „Ich gehörte zur Besatzung der ‚Trinidad' und wollte wollte an Land.“ „Und was ist in diesem Ledersack?“ Miguel drückte den Sack noch fester an sich. „Der gehört mir, da sind meine persönlichen Sachen drin.“ Der Zweite lachte. „Und die sind so kostbar, daß du sie zärtlich ans Herz drückst?“ „Nein - nein“, stotterte Miguel, „aber ich wollte - ich wollte sie eben nicht verlieren.“ „Soso“, meinte der Offizier. „Du hast also versucht, zusammen mit deinen Habseligkeiten auf einer Gräting an Land zu gelangen. Mit anderen Worten: du bist in gewissem Sinne desertiert.“ Miguel horchte auf. „Desertiert? Nein, natürlich nicht. Es gibt keine Heuerverträge mehr auf der ‚Trinidad'. Capitan Machado hat diese ausdrücklich aufgehoben, als er das Schiff verließ. Ich bin also aus meinem Vertrag entlassen worden und kann tun, was ich will.“ „So ist das also“, sagte der Zweite. „Und da du schon tun und lassen konntest, was du wolltest, hast du dich zunächst ein wenig in den Laderäumen umgesehen. Dann bist du auf die Gräting geklettert, um dein Schäfchen auf eine ziemlich nasse Art ins trockene zu bringen, nicht wahr?“ „Nein!“ protestierte Miguel, und sein Gesicht wirkte jetzt ängstlich. „Nun, das läßt sich ja leicht feststellen. Öffne den Sack!“
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Miguel protestierte abermals, aber das half ihm nichts. Zwei Seesoldaten packten ihn und entwanden ihm den Ledersack. Wenig später kannte man seinen Inhalt. Miguel aber hockte jetzt wie ein Häufchen Elend auf der Ducht - offensichtlich an Leib und Seele gebrochen. Der Traum vom schnellen Reichtum war auch für ihn ausgeträumt. Er starrte auf die Planken und beantwortete apathisch die weiteren Fragen. Die Männer von der „San Sebastian“ erfuhren, was auf der „Trinidad“ vor sich gegangen war. Wie es schien, hatte Machado beim Verlassen der Handelsgaleone tatsächlich die Heuerverträge aufgekündigt, indem er den Männern erklärte, daß sie nicht mehr gebraucht würden. Ja, er hatte ihnen sogar die Schätze in den Laderäumen „überlassen“ - kein Wunder also, wenn sich die „Trinidad“ in ein Tollhaus verwandelt hatte. Don Gaspar de Mello, der die Befragung Miguels mit angehört hatte, fand seine bisherigen Vermutungen bestätigt. Machado würde sich den Deserteuren anschließen, weil es oben in den Höhlen weit mehr zu holen gab als in den Laderäumen der „Trinidad“. Kein Wunder, daß Alonzo de Escobedo, der erlauchte Gouverneur von Havanna, Feuer unter dem Hintern verspürte, wenn er die Möglichkeit erwog, daß Machado das Rennen gewinnen könnte. Auf die nächste Überraschung brauchten Don Gaspar und seine Mannen nicht lange zu warten. Nachdem die beiden Jollen dicht an die „Trinidad“ herangepullt worden waren, nahmen sie das Schiff in die Zange. Don Gaspars Boot schor an der Steuerbordseite längsseits, die zweite Jolle legte an der Backbordseite an. Als die ersten Taue, die mit Haken versehen waren, über die Schanzkleider flogen, ließen die Kerle an Bord voneinander ab und wandten sich gemeinsam gegen den neuen Gegner. Mit Messern, Säbeln und Beilen bewaffnet, wollten sie das Aufentern der Soldaten verhindern.
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Wie Capitan de Mello von Miguel erfuhr, gab es an Bord keine Schußwaffen mehr. Machado hatte sich und seine Kumpane damit eingedeckt. Demnach war von den „Verteidigern“ der „Trinidad“ nicht viel zu befürchten. Um die Hitzköpfe etwas abzukühlen, ließ de Mello zunächst einmal einige Musketenschüsse abfeuern. Die Kugeln rasten schräg nach oben, dicht an den Kerlen vorbei, die sich über das Schanzkleid beugten. Das schien zu wirken. Das wilde Gebrüll ebbte ab, und man hörte zu, als der Kommandant der „San Sebastian“ die Stimme erhob. „Legt die Waffen weg!“ befahl er. „Wir sind nicht hier, um euch zu verhaften, sondern um Ruhe und Ordnung an Bord wiederherzustellen. Das Schiff untersteht ab sofort meinem Kommando.“ „Aufhängen werdet ihr uns!“ brüllte einer zurück. „Oder erschießen!“ fügte ein anderer hinzu. „Es wird niemand aufgehängt oder erschossen“, erwiderte de Mello. „Ihr werdet an Bord der ‚Trinidad' gebraucht, denn wie ihr selber wißt, gibt es eine Menge zu tun, wenn das Schiff jemals wieder segeln soll. Wir haben bereits erfahren, daß die Heuerverträge mit Capitan Machado nicht mehr bestehen, demnach werden von jetzt an meine Befehle ausgeführt. Ich bin Don Gaspar de Mello, Kommandant der königlichen Kriegsgaleone ,San Sebastian`.“ „Und was ist mit dem Geld und den Klunkerchen?“ ließ sich eine fast weinerliche Stimme vernehmen. „Machado hat uns das Zeug überlassen.“ „Dazu hatte Senor Machado kein Recht“, erwiderte de Mello. „Die Schatzgüter gehören dem König. Deshalb werden sie in die Laderäume zurückgebracht.“ Er war zwar selbst längst nicht mehr davon überzeugt, daß es sich tatsächlich um das Eigentum des Königs handelte, aber er wollte auf keinen Fall weitere Verwirrung stiften, deshalb blieb er bei der offiziellen Version.
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Auch wenn seine Antwort wie eine eiskalte Dusche auf die geldgierigen Kerle wirkte, mußten sie wohl oder übel einsehen, daß es keinen Zweck hatte, weiteren Widerstand zu leisten. Don Gaspar sowie sein Zweiter Offizier und eine Anzahl Seesoldaten konnten ungehindert aufentern. Auf der Kuhl bot sich ihnen ein wüstes Bild. Von den Trümmern abgesehen, stand da ein Haufen verluderter Kerle herum. Hinzu kamen ungefähr acht Verwundete sowie einige Tote, die an verschiedenen Stellen lagen. Einer reglosen Gestalt ragte noch ein Messer aus dem Rücken. Zwischen all den menschlichen Leibern lagen Geldsäcke, Beutel und verschnürte Tücher herum. An einigen Stellen sah es aus, als sei ein Geldregen über das Deck der Galeone niedergegangen. Der Inhalt aufgeplatzter Säcke war auf den Planken zerstreut. „Hat Machado etwas von den Schatzgütern mitgenommen?“ fragte de Mello. Die Kerle schüttelten die Köpfe. „Nur die Schußwaffen hat er verladen“, sagte einer. „Der Saukerl will die Schatzhöhlen ausräumen!“ stieß ein anderer hervor und warf einen hungrigen Blick auf die herumliegenden Säcke. „Na schön“, sagte de Mello. „An Arbeit wird es von jetzt an auf diesem Schiff nicht fehlen. Meine Soldaten werden überwachen, daß alles, was an Schatzgütern hier herumliegt, gewissenhaft eingesammelt und in die Laderäume gebracht wird. Wer sich ein zweites Mal an den Schatzgütern des Königs vergreift, muß mit strenger Bestrafung rechnen.“ Die Männer warfen sich betretene Blicke zu. Doch Don Gaspar ließ sich nicht beirren. „Wo ist der Schiffszimmermann?“ fragte er. Die Männer blickten sich um. „Alfredo ist nicht hier“, erwiderte einer. „Vielleicht ist er über Bord gegangen.“ Daß der Zimmermann erstochen worden war, als er zusammen mit Rodrigo versucht hatte, das Behelfsfloß eines Kumpanen zu entern, hatten die Kerle nicht bemerkt.
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Schließlich löste sich einer aus dem Haufen und trat einen Schritt vor. „Ich bin sein Gehilfe“, sagte er. „Und von dem Handwerk verstehe ich eine ganze Menge.“ „Gut so“, sagte de Mello. „Zunächst einmal muß an Deck aufgeklart werden, dann wird das Rigg - soweit möglich wieder in Ordnung gebracht. Mein Zweiter Offizier wird mit einem zehnköpfigen Kommando bis auf weiteres diese Arbeiten überwachen.“ „Aber der Fockmast fehlt“, sagte ein älterer Mann mit einer Messernarbe auf der linken Wange. „Das habe ich auch schon gesehen“, entgegnete de Mello ungerührt. „Der neue Schiffszimmermann wird sich einige Gehilfen aussuchen und einen Notmast errichten. Als erstes erwarte ich jedoch, daß die Verletzten verarztet und die Toten drüben auf der anderen Seite der Bucht begraben werden.“ Er gab seinem Zweiten Offizier hierzu noch einige Anordnungen. In den nächsten Stunden begann sich auf der „Trinidad“ einiges zu verändern. Wenn jetzt der Schweiß in Strömen floß, dann lag das an der harten Arbeit, die geleistet wurde, und nicht an einer wilden Prügelorgie. Die Seesoldaten der „San Sebastian“ achteten darauf, daß keiner auf dumme Gedanken kam. Zwar fiel es den vom Goldfieber angesteckten Kerlen schwer, auf den erhofften und teilweise schon erkämpften Reichtum zu verzichten, aber sie mußten einsehen, daß ihnen im Moment keine andere Wahl blieb, als sich der Befehlsgewalt de Mellos zu beugen. Der Kommandant der Kriegsgaleone hatte eine eiserne Energie. Notfalls würde er es sogar schaffen, daß die „Trinidad“ wieder ein ordentliches Schiff wurde. 5. Den Beobachtern vom Bund der Korsaren blieb kaum etwas verborgen. Ihre Verstecke waren gut ausgewählt. Man konnte die Bucht und Felshänge überschauen. Die brütende Hitze nahm
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ständig zu, und die Männer sowie die eine Frau hatten Mühe, den spärlichen Schatten der Felsen auszunutzen. Nur unweit jener Stelle, an der Edwin Carberry, Batuti und Dan O'Flynn Stellung bezogen hatten, hielten sich Philip Hasard Killigrew, Siri-Tong und Edmond Bayeux auf. Der Seewolf hatte seine breiten Schultern gegen einen Felsbrocken gelehnt und fuhr sich mit der Hand durch das Haar. „Auch wenn das Herumhocken in den Felsen nicht gerade zu meinen Lieblingsbeschäftigungen gehört“, sagte er zu Edmond Bayeux, dem Kapitän der „Le Griffon II.“, „über Langeweile können wir uns wahrhaftig nicht beklagen.“ Bayeux grinste, während er auf einem langen Grashalm herumkaute. „Da hast du recht“, erwiderte er. „Es sieht nicht danach aus, als ob die Kerle da unten vorhätten, Siesta zu halten. Da wird sich mit Sicherheit noch einiges tun.“ „Nur nicht das, worauf wir warten“, ließ sich jetzt Siri-Tong vernehmen, die kleine Steinchen durch die rechte Hand rieseln ließ. „Ja, leider“, sagte der Seewolf. „Eigentlich hatten wir uns ja den Verlauf dieses Raids etwas anders vorgestellt. Bisher jedoch ist so ziemlich alles verquer gelaufen.“ Edmond Bayeux schnippte den Grashalm zur Seite. „Begonnen hat alles damit, daß fünf der Kerle von der ‚Trinidad' desertierten und damit alles in Bewegung setzten. Wie sich die Dinge bis jetzt entwickelt haben, läuft alles auf eine Konfrontation zwischen der ,San Sebastian' und den Deserteuren hinaus, die in den Höhlen festsitzen.“ Das Gesicht des Seewolfs wirkte nachdenklich. „So wird es wohl sein“, sagte er. „Eigentlich bewundere ich diesen Kapitän de Mello. Der Mann ist kein Hitzkopf; sondern geht mit Überlegung vor. Statt einen sinnlosen Angriff auf die Höhlen zu unternehmen, kümmert er sich erst einmal um die ‚Trinidad'. Das gefällt mir.“ Die Rote Korsarin und Edmond Bayeux pflichteten ihm bei. Dennoch - zufrieden
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waren sie nicht mit der Entwicklung der Dinge, die so gar nicht in ihren Plan paßten. Ausgetüftelt hatten sie diesen Raid in Havanna, wo Arne von Manteuffel, ein Vetter des Seewolfs, als Kaufmann getarnt eine Faktorei betrieb. Die Freunde in Havanna hatten beobachtet, wie de Escobedo im Arsenal zwei Schiffe ausrüsten ließ - eine Handelsgeleone und eine Kriegsgaleone. Offiziell war gemunkelt worden, diese beiden Schiffe hätten den Auftrag, eine für den spanischen König bestimmte geheime Ladung nach Spanien zu bringen. Der Seewolf war es dann gewesen, der sofort einen Plan entwickelt hatte. Seine Idee war zunächst sehr einfach und sah vor, daß man sich bei der Bucht auf die Lauer legte und abwartete, bis sich die in den Höhlen gehorteten Schätze an Bord der Gouverneurs-Schiffe befanden. Dann erst wollte man zuschlagen. Oder noch besser, falls das möglich sein sollte: Man würde die Schiffe samt Ladung als Prise nehmen und zur Cherokee-Bucht bringen. Zunächst hatte es auch so ausgesehen, als klappe der Plan Hasards. Doch inzwischen war viel geschehen, und alles war offen. Aber das warf den Seewolf und seine Freunde nicht um. Sie waren flexibel und konnten -falls nötig - im Handumdrehen ihre Pläne ändern. Jedenfalls würden sie ihr Vorhaben nicht aufgeben. Ein Knirschen im Geröll ließ die Hand des Seewolfs zum Griff der Pistole zucken. Dann aber sah er Edwin Carberry, der sich durch die Felsen heranpirschte, um den Kontakt mit der anderen Gruppe aufrechtzuerhalten. Über das sonnengebräunte Gesicht des Seewolfs huschte ein Lächeln. „Wie geht es, Ed?“ fragte er mit gedämpfter Stimme. Der bullige Profos ging in die Hocke und wiegte nachdenklich den Kopf. „Nun ja, Sir“, sagte er schließlich, man lebt, liebt und leidet.“ Alle lachten. „Wie ein Poet hast du das gesagt, Mister Carberry“, ließ sich dann Siri-Tong
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vernehmen, deren Blick ohnehin das butterweiche Herz des Profos' schmelzen ließ. „Ich habe mir auch Mühe gegeben, Madam“, sagte er und kratzte sich ausgiebig am stoppelbärtigen Kinn. „Schließlich muß sich ein Mann wie ich, der für Zucht, Ordnung und Sittsamkeit verantwortlich ist, in Gegenwart einer Lady ein bißchen gewählter ausdrücken, nicht wahr?“ „Dein Feingefühl ist wieder einmal überwältigend, Ed“, ließ sich Philip Hasard Killigrew vernehmen. „Daß du lebst und leidest, daran gibt es keinen Zweifel. Zu letzterem mag schon die Hitze ihren Teil beitragen. Aber mit der Liebe, so glaube ich, ist es zur Zeit nicht allzu weit her ...“ „Irrtum, Sir“, unterbrach ihn Ed. „Die Liebe zu einem erfrischenden Trunk, auch wenn dieser nicht vorhanden ist, ist fest in meinem Herzen verankert - selbst hier oben in diesen beschissenen Felsnestern.“ „So kann man es natürlich auch sehen.“ Edmond Bayeux verschluckte sich fast vor Lachen. „Und wie stehen die Dinge sonst, Ed?“ fragte der Seewolf. „Das übliche, Sir. Verdammte Hitze, einen wundgescheuerten Achtersteven vom vielen Herumhocken und einen Haufen Rätsel, die einem die Dons aufgeben. Können die Rübenschweine da unten nicht mal was Vernünftiges tun, was, wie?“ „Vielleicht tun sie uns noch den Gefallen“, erwiderte Hasard. „Habt ihr den Weg Machados und seiner Kerle beobachten können?“ „Aye, Sir. Die Geier sind unterwegs zu den Höhlen, das kann man mit ziemlicher Sicherheit sagen.“ „Und wie sieht es beim Wasserfall aus? Ihr habt da ja einen besseren Blick hin als wir.“ „Da ist alles mucksmäuschenstill, Sir“, berichtete der Profos. „Ich glaube, die Bastarde liegen in den Löchern und pennen. Nun ja, ich bin gespannt, welche neckischen Spielchen sich die Dons noch einfallen lassen. Gibt es eine neue Order, Sir?“
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Der Seewolf schüttelte den Kopf. „Bis jetzt nicht, Ed. Solange nichts Entscheidendes passiert, bleibt uns nur das Abwarten. Aber wenn wir davon ausgehen, daß die Spanier nicht bis zum nächsten Sommer da unten liegenbleiben wollen und die Kerle in den Höhlen auch mal wieder an die frische Luft müssen, wird sich zwangsläufig bald etwas tun.“ „Du hast recht, Sir. Ich werde mich also wieder zurückziehen, um den beiden anderen Rübenschweinen beim Warten zu helfen.“ „In Ordnung, Ed. Sehen wir die Sache als eine kleine Geduldsübung an, die sich am Ende auszahlen wird.“ „Oh, ich übe, Sir, ich übe unablässig, auch wenn das eine verdammt harte Arbeit ist, von der einem richtig die Hände wehtun.“ Mit einem Gesicht, das vom harten Schicksal des Untätigseins gezeichnet war, rieb sich Carberry die mächtigen Pranken, die wohl am meisten darunter litten, daß es zur Zeit nichts zum Zupacken gab. Carberry brach wieder auf, während sich der Seewolf mit seiner kleinen Gruppe erneut der Bucht zuwandte. Ans Aufgeben dachte niemand. Allein der Gedanke daran lag den Seewölfen und ihren Freunden völlig fern. 6. Auch bei Diego Machado und seinen sechzehn Kumpanen floß der Schweiß in Strömen. In der Flußniederung dampfte die Hitze, und das Atmen fiel schwer. Vor allem waren es die Schwärme von Moskitos, die den Männern so manchen Fluch entlockten. Schon in kurzer Zeit waren Gesichter und Arme von zahlreichen Stichen übersät. Es gab keine wirksame Methode, sich diese Plagegeister vom Leib zu halten. Vom Dickicht tönte das pausenlose Konzert eines Millionenheeres von Zikaden herüber. Das Wasser des Flusses wälzte sich vom Wasserfall aus ostwärts an der Küste entlang, knickte dann bei Batabano südwärts ab und mündete schließlich in die See.
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Bisher war Diego Machado mit seiner schwerbewaffneten Schar unbehelligt geblieben. Bei der Flucht von der „Trinidad“ hatte alles hervorragend geklappt, das Unternehmen -war auf der „San Sebastian“ erst wahrgenommen worden, als es schon zu spät dazu war, noch einzugreifen. Auch von der Landseite aus hatte man sie bis jetzt in Ruhe gelassen. Oder sollte man ihre Landung drüben am Strand gar nicht bemerkt haben? Machado grinste triumphierend. Er bereute seinen Entschluß nicht, im Gegenteil, alles lief so, wie er sich das vorgestellt hatte. Am Flußufer angelangt, stoppte er seine Schritte. „Wir werden hindurchwaten müssen“, sagte er. „Einen anderen Weg zu den Höhlen gibt es nicht.“ Die Kerle hatten gegen das bevorstehende „Bad“ nichts einzuwenden, denn bei der glühenden Vormittagshitze hatte selbst das Durchwaten eines Flusses seine angenehme Seite. Hinderlich waren dabei nur die schweren Schußwaffen, die vor der Nässe geschützt werden mußten. Ein Teil der Waffen, die sie von der „Trinidad“ mitgenommen hatten, befand sich noch in der Jolle, denn es war nicht möglich, sie alle auf einmal zu den Höhlen zu transportieren. Hauptsächlich jedoch war ihnen bei der Flucht daran gelegen gewesen, daß die Waffen nicht den Zurückbleibenden zur Verfügung standen. Wäre geschossen worden, hätte man das Vorhaben Machados auf der „San Sebastian“ höchstwahrscheinlich zu früh bemerkt. „Ich fühle mich wie ein Lastesel“, maulte Manuel, dem der Schweiß in den Augen brannte. „Hätten wir nicht ein bißchen mehr von dem Zeug in der Jolle lassen können?“ „Waffen hat man nie zuviel“, entgegnete Machado. „Bei der Verteidigung der Höhlen wird man sie gut brauchen können. Und sollte man sich wider Erwarten nicht mit uns verbünden wollen und Ärger bereiten, dann werden sie uns erst recht nützlich sein.“
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Das leuchtete den Kerlen ein. Und wie beurteilen Sie unsere Chancen, Capitan?“ fragte Manuel lauernd. „Hervorragend“, erwiderte Machado. „Bisher ist alles in unserem Sinne gelaufen, und das wird, wie ich hoffe, auch so bleiben. Für mich steht jedenfalls fest, daß wir diese verdammte Bucht nicht als arme Leute verlassen werden.“ Das war Musik in den Ohren seiner Kerle, und damit stand fest, daß er auf sie zählen konnte. O ja, Diego Machado war ein schlauer Fuchs, der sehr wohl wußte, wie man seine Leute bei der Stange hielt. Die Landschaft veränderte sich, nachdem der Fluß überquert worden war. Die Männer mußten jetzt auf der Hut sein, denn sie wußten noch nicht genau, wie ihre früheren Kumpane sie aufnehmen würden. Es war durchaus möglich, daß ihnen plötzlich Kugeln um die Ohren pfiffen. Ihre Blicke tasteten deshalb immer wieder die Gegend ab und konzentrierten sich insbesondere auf den Bereich des Wasserfalls. Auf ihrem Weg benutzten sie, wo immer sich das anbot, die Deckung von Bäumen, Sträuchern und Büschen, um sich nicht allzu sehr auf dem Präsentierteller zu bewegen. Trotz der Aussicht auf einen geradezu märchenhaften Reichtum konnten einige von ihnen nicht verhindern, daß sie zunehmend nervöser wurden. Niemand hatte Lust, sich eine Kugel aus dem Hinterhalt einzuhandeln, denn was konnte man dann noch mit all den schönen Klunkerchen anfangen? Für lange Überlegungen blieb den Kerlen jedoch keine Zeit, denn außer auf ihren Weg mußten sie auch noch auf Geräusche achten. Und das war nicht gerade einfach bei den vielfältigen Lauten, die vom nahen Urwald herüberdrangen. Einmal fuhr ihnen der Schreck durch sämtliche Glieder, als plötzlich ein ohrenbetäubendes Getöse einsetzte. Es handelte sich jedoch lediglich um das durchdringende Geschrei eines Papageienschwarms, der sich aufgescheucht von den ungewohnten Zweibeinern -in die Luft erhob.
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Völlig durchgeschwitzt erreichten sie schließlich den Bereich des Wasserfalls. Der Sims zum Höhleneingang lag auf der nördlichen Flußseite. Die der See zugekehrte Seite des Wasserfalls, bestand aus steilem, glattgeschliffenem Fels. Deshalb hatte man die bisher aus den Höhlen abtransportierten Kisten, Truhen und Fässer über einen Behelfssteg unterhalb des Wasserfalls über den Fluß hinunter zum Buchtstrand und von dort mit Booten zur „Trinidad“ bringen müssen. Von jetzt an war ganz besondere Vorsicht geboten. Machado sprach nur noch mit gedämpfter Stimme und legte immer wieder zur Ermahnung, sich still zu verhalten, den Zeigefinger auf die Lippen. Dabei wurde die Verständigung immer schwieriger, weil das Rauschen des Wasserfalls die Geräusche der Umgebung mehr und mehr überlagerte. Langsam arbeiteten sich die Männer vorwärts. Ihr Weg führte teils steil nach oben, teils über lockeres Geröll. Als sich einige Steine unter den Füßen eines Mannes lösten und nach unten sausten, warf ihm Machado einen bösen Blick zu. Nach wie vor geschah nichts, alles blieb ruhig. Je näher die Männer von der „Trinidad“ ihrem Ziel kamen, desto weniger brauchten sie darauf zu achten, leise zu sein, denn das Tosen der Wassermassen verschluckte die meisten Laute. Von einem Punkt aus, der etwas Überblick gewährte, sah Machado, daß der Behelfssteg zerstört worden war. Gut, daß wir nicht auf dieses Ding angewiesen sind, sagte er sich. Nach kurzer Zeit gab er seinen Leuten durch Zeichen zu verstehen, daß man dicht am Ziel sei. Die Beutejäger versuchten, so gut es ging, die Deckung von Felsvorsprüngen auszunutzen. Dabei achteten sie darauf, daß ihre Waffen schußbereit waren, denn der kritische Augenblick des Zusammentreffens mußte nah bevorstehen. *
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Die Kerle von der „Trinidad“ waren natürlich längst bemerkt worden. Felipe Gutierrez, der ehemalige Zweite Offizier Machados, hatte dafür gesorgt, daß sich niemand unbemerkt nähern konnte. So wäre es schon seit geraumer Zeit eine Kleinigkeit für ihn und die anderen Deserteure gewesen, Machado mitsamt seinem Anhang aus den Felsen zu pusten. Doch Gutierrez verzichtete darauf, weil Machados Flucht von der beschädigten Galeone darauf hindeutete, daß er sich den Deserteuren anschließen wollte. Ein Angriff war von Machados Seite deshalb nicht zu erwarten. Felipe Gutierrez, der schon früher die Fronten gewechselt und sich Cabral und seinen vier Kerlen angeschlossen hatte, war ein breitschultriger Mann mit kalten Augen, einem zynischen Mund und spitzem Kinn. Er kannte keine Skrupel, wenn es um Gewinn ging, und er schreckte auch vor Mord nicht zurück. Die sechs Seesoldaten von der „San Sebastian“, die auf de Mellos Befehl die Höhlen bewacht hatten, gingen auf sein Mordkonto. Gutierrez war es auch, der den Behelfssteg hatte zerstören lassen, nachdem die Drehbassen der „San Sebastian“ verstummt waren. Bei dem heftigen Beschuß der Höhleneingänge hatte es vier seiner Kumpane arg erwischt. Die Kerle lagen jetzt noch stöhnend in den Höhlen und waren zu nichts mehr zu gebrauchen. Wenn man vom Rauschen des Wasserfalls absah, herrschte eine bemerkenswerte Ruhe, dennoch war sich Felipe Gutierrez darüber im klaren, daß es die Ruhe vor dem Sturm war. Er konnte sich nicht vorstellen, daß man auf der Gegenseite klein beigeben würde. Es braute sich etwas zusammen, daran gab es keinen Zweifel. Der breitschultrige Mann nutzte die Zeit für einen Rundblick, und dabei hatte er grinsend beobachtet, was unten in der Bucht vor sich ging. Natürlich war ihm auch nicht entgangen, daß sein früherer Kapitän, der ehrenwerte Senor Machado, mit Gefolge zum Strand verholt und sich auf den Weg zu den Höhlen begeben hatte.
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Wahrscheinlich handelt er in der richtigen Erkenntnis, daß Einigkeit die Sache von Abtrünnigen nur stärken konnte, auch wenn man den Kuchen hinterher teilen mußte. Gutierrez lachte verhalten, denn er kannte die Regeln, und so würde bei der späteren Aufteilung der Beute der Spruch gelten, nach dem auch er zu handeln pflegte: Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Unter Einbeziehung dieser Lebensphilosophie hatte Gutierrez nichts dagegen, sich mit Machado zu verbünden, denn er wußte sehr wohl, daß noch eine Menge Ärger bevorstand. Eine Auseinandersetzung mit der stolzen Marine, die meinte, für ihren König kämpfen zu müssen, war unvermeidlich. Da brauchte man jede Hand und jede Waffe. Das erklärte er auch den Kerlen, die neben und hinter ihm in den Felsen lagen und gar nichts dagegen gehabt hätten, Machado eins überzubraten. Diego Machado und seine Begleiter, die ständig damit rechneten, daß es irgendwo im Gestein aufblitzte, rührten sich für kurze Zeit nicht von der Stelle. Ihre Gesichter wirkten unsicher, bei einigen war sogar deutlich Angst zu erkennen. Der Kapitän der „Trinidad“ griff schließlich unter seinen Wams und zog ein weißes Tuch hervor, das er am Lauf seiner Muskete befestigte, um etwaigen Beobachtern seine friedfertigen Absichten zu demonstrieren. Er hatte sich nicht getäuscht, denn Felipe Gutierrez erwartete ihn bereits - grinsend wohlbemerkt, denn es tat Urin gut, seinem früheren Kapitän auch mal was Nettes zu sagen und ihn spüren zu lassen, daß er, der allgewaltige Mann, jetzt nicht mehr auf dem hohen Roß saß, das er sonst an Bord der „Trinidad“ zu reiten pflegte. Gutierrez war ebenfalls schwer bewaffnet. In seinem breiten Ledergürtel steckten zwei Steinschloßpistolen. Eine davon wollte er jetzt hervorziehen, doch nach einiger Überlegung ließ er es sein, denn er hatte durch seine Komplizen genügend Rückendeckung. Schon nach wenigen Augenblicken war es soweit. Diego Machado wollte sich gerade
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mit seiner weiß beflaggten Muskete langsam um eine Felskrümmung schieben, da trat ihm Felipe Gutierrez in den Weg. „Ein herzliches Willkommen allerseits!“ rief der ehemalige Zweite, und Machado blieb wie angewurzelt stehen. Trotz des Rauschens vom nahen Wasserfall hatte er Gutierrez deutlich verstanden und brachte instinktiv seine Muskete in Anschlag. Gutierrez, der ein süffisantes Lächeln zur Schau trug, stützte beide Hände in die Hüften. „Ich schaue nicht gerne in die Mündung von Musketen“, sagte er. „Schon gar nicht, wenn ich jemanden willkommen heiße. Ich finde, wir sollten die Waffen aus dem Spiel lassen. Wenn wir, die Ehemaligen von der ‚Trinidad', feindselige Absichten hätten, gäbe es euch schon nicht mehr.“ Machado verstand und ließ sofort die Muskete sinken. Auch seinen Begleitern gab er durch eine Geste zu verstehen, daß sie seinem 'Beispiel folgen sollten. Sie taten es, wenn zunächst auch etwas zögernd. Dennoch waren sie nach wie vor bereit, notfalls sofort zu schießen. Sie wollten nicht Gefahr laufen, in eine Falle zu tappen - jetzt nicht, da sie den Schatzhöhlen so nahe waren. . Machado zwang ein Lächeln in sein Gesicht. „Es freut mich ganz besonders, gleich auf Sie zu treffen, mein lieber Gutierrez“, sagte er und troff vor Liebenswürdigkeit. „Wir sind nämlich hier, um unseren alten Kameraden von der „Trinidad' unsere Unterstützung anzubieten.“ „Das nenne ich vernünftig“; erwiderte Gutierrez, „wirklich sehr vernünftig ...“ „ ... zumal sicher bei dem Ärger, den die ,San Sebastian' noch bereiten wird, jeder Mann gebraucht wird“, fügte Machado hinzu. „Sie haben es erraten, Machado“, sagte der ehemalige Zweite. „Deshalb auch mein Willkommensgruß. Einigkeit macht stark, nicht wahr? Bis jetzt hat sich das in unseren Reihen bewahrheitet. Sie und Ihre Begleiter sind uns willkommen, aber“, jetzt wurde seine Stimme um einiges kaltschnäuziger, „ich muß gleich zu
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Beginn unserer Zusammenarbeit noch etwas vorausschicken, damit wir uns von Anfang an richtig verstehen.“ „Reden Sie“, entgegnete Machado, dem bereits ein Stein vom Herzen fiel, weil bis jetzt alles relativ gut gegangen war. „Nun“, fuhr Gutierrez fort, „wir erwarten natürlich, daß Sie sich unserer Gruppe anpassen. Wenn Sie glauben, hier Ihre alte Rolle als Capitan weiterspielen und Befehle erteilen zu können, dann sind Sie fehl am Platze.“ Diego Machado biß die Zähne aufeinander. Für einen Augenblick konnte er nicht verhindern, daß Wut in ihm hochkroch. Da stand er nun und ließ sich von seinem ehemaligen Zweiten Offizier abkanzeln wie ein kleiner Junge. Er begriff jedoch schnell, daß er sein Ziel nur erreichen konnte, wenn er zunächst mit den Wölfen heulte - schon aus rein taktischen Gründen. „Willkommen sind Sie hier nur als Gleicher unter Gleichen“, setzte Gutierrez seine Rede fort. „Deshalb ist es gut, wenn Sie Ihren bisherigen Rang schnell vergessen, zumal ja, wie Sie wissen, auch einige hier versammelt sind, die mit der guten alten ‚Trinidad' nichts mehr zu tun haben wollen.“ „Ich verstehe“, sagte Machado. „Selbstverständlich akzeptiere ich diese Bedingungen. Wäre ich dazu nicht bereit, hätte ich mich nicht mit Lesen Männern hierher begeben.“ Eine gewisse Logik war seinen Worten nicht abzusprechen. „Das freut mich“, sagte Gutierrez. „Andererseits ist hier jeder willkommen, der sich entschlossen hat, die Stellung zu halten, um hinterher auch die entsprechenden Früchte seiner Arbeit zu genießen.“ Er lächelte. „Um es gleich vorwegzunehmen, hier wird auch unter Gleichen geteilt. Und wenn das geschehen ist, soll jeder zusehen, wo er bleibt, und wie er seinen Anteil unter die Leute „Ich bin einverstanden“, sagte Diego Machado. Die sechzehn Kerle von der „Trinidad nickten zustimmend und warfen gleichzeitig ihren früheren Kameraden verstohlene Blicke zu. Manches Grinsen
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wurde ausgetauscht, aber manches Gesicht blieb auch finster und verschlossen. „Na, dann wollen wir keine weitere Zeit verlieren“, sagte Gutierrez. „Wir wissen ja nicht, wann ein neues Tänzchen beginnt. Aber wir sind darauf vorbereitet und entsprechend gerüstet. Und jetzt - mit Verstärkung - wird sich der ehrenwerte Senor de Escobedo mitsamt seinen Helfern die Zähne an uns ausbeißen.“ Die Halunken zogen sich gemeinsam in die Höhlen zurück. Die Spreu vom Weizen hatte sich wieder einmal zusammengefunden, und alle brannten voller Gier darauf, endlich ihr Schäfchen ins trockene zu bringen. 7. Die Erwartungen der Schnapphähne in den Höhlen hatten durchaus ihre Berechtigung, denn auf der Kriegsgaleone „San Sebastian“ schlief man nicht, auch wenn das imposante und gut bestückte Schiff nach außen Ruhe ausstrahlte. Capitan de Mello war, nachdem er auf der „Trinidad“ seinen Zweiten Offizier mit der Aufsicht betraut hatte, zu seinem Schiff zurückgekehrt. Der Erste Offizier empfing ihn auf dem Achterdeck und salutierte. Das schadenfrohe Grinsen im Gesicht des schlanken und schwarzhaarigen Mannes wußte Don Gaspar durchaus richtig zu deuten. „Wie benimmt sich unser durchlauchter Senor de Escobedo?“ fragte er kurz. „Oh, er scheint wieder quicklebendig zu sein, Don Gaspar“, antwortete der Erste, der ein Mann war, auf den man sich verlassen konnte. „Zumindest hält er nicht für eine Minute den Mund und droht ständig damit, uns alle aufzuhängen ...“ „Und jeden einzelnen von uns persönlich hochzuziehen“, fiel ihm Don Gaspar ins Wort. „Genauso ist es“, fuhr der Erste fort. „Möchten Sie mit ihm reden?“ Don Gaspar winkte ab. „Später“, sagte er. „Zur Zeit haben wir anderes zu tun, und dabei werden wir ihn
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nicht vermissen. Auf der ‚Trinidad' wird langsam wieder Ruhe und Ordnung einkehren. Die Schatzgüter wurden sichergestellt und erneut in den Laderäumen verschlossen. Wir können demnach unsere Aufmerksamkeit wieder voll auf die Höhlen richten, auch wenn ich entgegen dem Wunsch des Erlauchten nicht bereit bin, die schier uneinnehmbaren Höhlen zu stürmen. Das käme einem sinnlosen Verheizen meiner Leute gleich. Unsere sechs Soldaten, die man bereits ermordet hat, sind schon genau sechs zuviel.“ „Da bin ich ganz Ihrer Meinung, Don Gaspar“, sagte der Erste und verschränkte die Hände auf dem Rücken. „Außerdem haben die Deserteure jetzt durch den Kapitän der ‚Trinidad' Verstärkung erhalten, wie wohl anzunehmen ist. Wahrscheinlich will sich das Gesindel gemeinsam die Schatzgüter des Königs einverleiben.“ Don Gaspar lächelte erbittert. Die angeblichen Schatzgüter des Königs, dachte er. Jawohl, die angeblichen! Zu seinem Ersten sagte er jedoch: „Es ist völlig klar, daß da jetzt gemeinsame Sache gemacht wird. Dennoch haben wir einen nicht unerheblichen Vorteil: Die ,San Sebastian' stellt für die Kerle eine ernstliche Bedrohung dar. Solange wir in der Bucht sind, können sie die Beute nicht wegschleppen. Gewissermaßen sind sie dort oben festgenagelt, ob ihnen das paßt oder nicht. Wir können jederzeit unseren Beschuß fortsetzen. Ich denke jedenfalls nicht daran, das Kampffeld zu räumen, damit sich dieses geldgierige Pack die Taschen mit etwas vollstopfen kann, was ihm nicht gehört.“ Der Erste Offizier nickte, denn er stimmte dem Capitan zu. Aber er ahnte noch nicht, welche Gedanken Don Gaspar beschäftigten. Der nämlich grübelte noch immer darüber nach, wem die Schatzgüter gehörten, wenn es sich - wie anzunehmen war - nicht um Eigentum Seiner Majestät handelte. Aber wie dem auch sei, er mußte sich um die Reichtümer kümmern, bis diese Frage endgültig geklärt war. Allein
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schon der Verlust der sechs Seesoldaten, bei denen es sich um treue und tüchtige Männer gehandelt hatte, erforderte ein strenges Durchgreifen. Die Mörder dieser Männer gehörten vor einen Richter, daran gab es nichts zu deuteln. „Es ist schon beruhigend zu wissen, daß wir allein durch unsere Anwesenheit den Abtransport der königlichen Schatzgüter verhindern können“, meinte der Erste. „Es kann uns also niemand - selbst der verehrte Senor de Escobedo nicht - vorwerfen, daß wir das Eigentum des Königs leichtsinnig aufs Spiel setzen.“ „Vorausgesetzt, es handelt sich tatsächlich um das Eigentum des Königs“, sagte Don Gaspar. Der Erste horchte auf. „Bestehen daran etwa Zweifel?“ Sein Gesicht drückte Erstaunen aus. „Ja, daran bestehen Zweifel, und zwar ganz erhebliche“, erwiderte Don Gaspar, der dem Ersten voll vertraute. „Ich finde, es ist an der Zeit, daß Sie als Erster Offizier der ,San Sebastian' meine Bedenken kennenlernen, denn von diesen Bedenken wurde auch meine Verhaltensweise gegenüber dem Gouverneur bestimmt.“ Er erklärte dem Ersten in kurzen Worten, was ihn zu seinen Zweifeln veranlaßt hatte. Der Offizier war völlig verblüfft, aber die Argumente seines Kommandanten leuchteten ihm ein. Niemand konnte abstreiten, daß da eine Fülle von Merkwürdigkeiten und Ungereimtheiten im Spiel war. Und daß Senor de Escobedo ein Ehrenmann war, daran hatte er selbst längst gezweifelt. Letztlich waren es gerade diese Zweifel gewesen, die ihn dazu veranlaßt hatten, dem Gouverneur die Faust an den Schädel zu donnern, als dieser Don Gaspar mit der Pistole bedrohte. „Wir werden es bestimmt schaffen, Licht in diese Angelegenheit zu bringen, Don Gaspar“, sagte er. Capitan de Mello lächelte. „Das will ich meinen. Und der Erlauchte wird uns dabei helfen, ob ihm das paßt
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oder nicht. Ich werde ihm zu gegebener Zeit auf den Zahn fühlen, selbst wenn ich dabei eine Menge riskieren sollte. Vorerst aber müssen wir uns auf die Schnapphähne konzentrieren, die sich jetzt um Gutierrez und Machado scharen.“ Der Erste kniff die Augen zusammen. „Wir könnten die Burschen aushungern“, schlug er vor, „und sie auf diese Weise zu Reaktionen zwingen. Irgendwann müssen sie ja ihre Löcher verlassen.“ Auch de Mello hatte bereits über diese Möglichkeit nachgedacht. „Genaugenommen“, sagte er, „sind wir bereits damit beschäftigt. Der Hunger wird die Kerle veranlassen, etwas zu unternehmen. Die Frage ist nur, was sie tun werden. Wir müssen auf jeden Fall auf verschiedene Reaktionen vorbereitet sein und uns sowohl auf Angriff als auch auf Abwehr einstellen.“ „Wie meinen Sie das, Don Gaspar?“ „Nun, die ,San Sebastian' stellt für die Deserteure in gewissem Sinne auch ein Lockmittel dar, durch das sie sich aus ihrer mißlichen Lage befreien könnten. Es handelt sich bei den Halunken mittlerweile um rund vierzig Mann, außerdem stehen ihnen einige Jollen zur Verfügung, und wie wir von den Männern der ‚Trinidad' erfahren haben, hat Machado für einen beträchtlichen Waffennachschub gesorgt. Wir müssen also sogar damit rechnen, daß man versuchen wird, unser Schiff zu entern, um auf ihm die Schatzgüter abtransportieren zu können.“ Der Erste staunte. „Ich muß gestehen, daß ich diese Möglichkeit noch nicht in Betracht gezogen habe. Aber sie liegt durchaus im Bereich des Möglichen. Vielleicht sollte ich die Mannschaft darüber unterrichten, um die allgemeine Aufmerksamkeit zu erhöhen.“ „Veranlassen Sie das bitte“, sagte de Mello. „Vorab aber werden wir den Burschen noch ein bißchen einheizen, vielleicht beschleunigt das ihre Entscheidungsfreudigkeit etwas.“ „Sie wollen den Beschuß fortsetzen lassen?“
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„Ja“, antwortete Don Gaspar. „Zumindest werden wir ihre Nerven etwas strapazieren und ihnen vor Augen führen, daß sie ganz schön in der Klemme stecken.“ Er ließ den Stückmeister rufen. „Senor Capitan?“ Der mittelgroße, muskulöse Mann blickte Don Gaspar fragend an. „Ich möchte, daß Sie einige Steilschüsse platzieren“, begann der Kommandant ohne Umschweife. „Steilschüsse?“ „Jawohl. Veranlassen Sie, daß zwei Culverinen der vorderen Backbordbreitseite so erhöht werden, daß Schüsse in den Wasserfall möglich sind.“ Der Stückmeister wirkte überrascht. „Verzeihung, Senor Capitan, aber ...“ „Sie möchten wissen, warum Sie in den Wasserfall feuern sollen?“ unterbrach ihn Don Gaspar. „Dafür gibt es eine einfache Erklärung. Direkt hinter dem Wasserfall befindet sich der Eingang zu den Höhlen. In einen solchen Eingang zu treffen, wäre natürlich reiner Zufall, aber auch so werden den Deserteuren die Brocken um die Ohren fliegen.“ Der Stückmeister hatte verstanden und rieb sich schon erwartungsvoll die Hände. „Ich werde tun, was ich kann, Senor Capitan. Wir werden die Geschützrohre um etwa fünfunddreißig Grad erhöhen das müßte ausreichen.“ Der Mann verließ das Achterdeck und gab sofort die nötigen Anweisungen. Die Überhöhung der Rohre war kein Problem. Der angestrebte Höhenwinkel von etwa 35 Grad ließ sich mittels Keilen erzielen, die zwischen Lafette und Rohr geschlagen wurden. Danach richtete man die beiden Stücke und lud sie. Der Stückmeister überwachte die Vorgänge persönlich bis ins kleinste Detail. Erst als er sich vergewissert hatte, daß alles getan worden war, gab er das entsprechende Zeichen in Richtung Achterdeck. Don Gaspar de Mello hob die Hand. „Feuer frei!“ Augenblicke später brüllten die Culverinen auf. Die Kugeln orgelten steil nach oben auf den Wasserfall zu, verschwanden in
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den Wassermassen und prallten dann mit höllischer Wucht gegen die dahinterliegende felsige Steilwand. Offiziere und Mannschaften der „San Sebastian“ blickten gebannt nach oben und sie wurden nicht enttäuscht. Steinbrocken polterten im Wasserfall nach unten, durch die Luft wirbelten gefährliche Steinsplitter. Plötzlich setzte ein lautes Gebrüll en, das bis zu der Kriegsgaleone zu hören war und den Stückmeister zufrieden grinsen ließ. Das Geschrei verriet, daß die Schnapphähne völlig überrascht worden waren. Vielleicht waren auch einige von den Steinsplittern erwischt worden. Zumindest war ihnen ein gehöriger Schrecken in die Knochen gefahren. „Sie hatten wohl mit allem möglichen gerechnet“, sagte Don Gaspar, „nur nicht damit, daß plötzlich Kanonenkugeln durch die Wasserwand rasen. Am besten, wir schicken noch eine Salve hinterher, um ihnen zu zeigen, daß wir es ernst meinen.“ Dem Stückmeister wurde der entsprechende Befehl übermittelt, und schon kurze Zeit danach hob Don Gaspar abermals die Hand. „Feuer frei!“ Der Vorgang wiederholte sich und bestätigte abermals, daß der Stückmeister und seine Mannen hervorragende Arbeit geleistet hatten. Die Rohre der schweren Geschütze lagen genau im richtigen Winkel. Wieder durchschlugen die Kugeln die graue, tosende Wasserwand und hieben mit zerstörerischer Kraft in die Felswand. Kleine, gefährliche Splitter stoben in alle Richtungen, während Brocken größeren Kalibers in die Tiefe stürzten. Das Gebrüll der Schnapphähne dauerte an, Schmerzensschreie und Flüche wurden laut, die auch das rauschende Wasser nicht zu dämpfen vermochte. Don Gaspar beorderte den Stückmeister erneut zum Achterdeck. „Das war gute Arbeit“, lobte er den Mann. „Die Kerle haben bestimmt erkannt, daß es kein Kinderspiel ist, auf das sie sich eingelassen haben. Ich möchte, daß der Beschuß stündlich wiederholt wird. Wir
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werden das Gesindel zermürben. Vielleicht gelingt es uns damit, sie zu einer unbedachten Reaktion zu verleiten.“ „Ich habe verstanden, Senor Capitan.“ Der Stückmeister nahm Haltung an. „Ab sofort stündlicher Beschuß“, wiederholte er den Befehl. Die Beutejäger waren somit dem Beschuß der Kriegsgaleone völlig ausgeliefert. Wehren konnten sie sich nicht, weil die Schußweite ihrer Musketen nicht ausreichte. Den Geiern, die sich da oben eingenistet hatten, standen harte Zeiten bevor, und manch einer von ihnen mußte einsehen, daß selbst Beutegeld mitunter hart verdient werden mußte. * In den Höhlen ging es in der Tat ziemlich turbulent zu. Zwei Männer waren von den umherfliegenden Steinsplittern erheblich verletzt worden. Bei einem klaffte eine ziemliche Wunde im rechten Oberschenkel, der andere hatte Brust- und Schulterverletzungen empfangen. Unter lautem Stöhnen wurden die beiden, so gut es ging, verarztet. Steinbrocken und Geröll waren bis in den Höhleneingang geschleudert worden, dann hatten sich dicke Staubwolken ins Innere geschoben. Der Lichteinfall wurde dadurch erheblich vermindert. Die Kerle, denen ein gehöriger Schreck in die Glieder gefahren war, begannen zu husten, denn der Staub bedeckte nicht nur ihre verschwitzten Gesichter, sondern drang auch in ihre Lungen. Wären einige von ihnen vor dem Eingang gewesen, hätte es mit absoluter Sicherheit Tote gegeben, daran zweifelte niemand. Auch Diego Machado hustete sich fast die Seele aus dem Leib. „Verdammte Schweinerei!“ stieß er hervor. „Wenn ich nur wüßte, wie man das den Kerlen heimzahlen könnte.“ „Alles zu seiner Zeit“, beschwichtigte Felipe Gutierrez. „Irgendwann kommt unsere Stunde, und dann zahlen wir das mit Zinsen zurück.“ Er lachte meckernd. „Wir dürfen uns nicht einschüchtern
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lassen, denn gerade das ist es, was die Hunde bezwecken.“ „Das mag schon sein“, erwiderte Machado, „dennoch muß man zugestehen, daß es gefährliche Einschüchterungsversuche sind. Es hätte leicht einige von uns erwischen können.“ „Nun ja“, sagte Gutierrez kaltblütig, „mit diesem Risiko müssen wir leben. Hauptsache, es wird gut bezahlt.“ Wieder meckerte der Kerl wie ein Ziegenbock offenbar, um strahlende Laune zu demonstrieren. Er wußte nur zu gut, wie wichtig die Moral in der Mannschaft war, und daß eine solche Situation auch für abgebrühte und skrupellose Burschen eine Nervenbelastung darstellte. Noch immer schnaubten die Männer wie die Ochsen und wischten sich fluchend den Staub von den Lippen. „Ich hätte nicht gedacht, daß ich heute noch Staub fressen würde“, sagte der stiernackige Manuel, der Machado bei der Flucht von der „Trinidad“ so eifrig zur Hand gegangen war. „Besser Staub als gar nichts“, bemerkte ein anderer. „So langsam knurrt mir der Magen. Ich hätte nichts dagegen, endlich mal was zwischen die Zähne zu kriegen.“ „Warum hast du eigentlich keinen Proviant mitgebracht, Machado?“ ließ sich nun ein hagerer Bursche mit dreckverschmiertem Gesicht vernehmen. Der Kerl hieß Pancho. Schon seit einiger Zeit musterte er Machado mit finsteren Blicken, und er hatte auch seine Gründe dafür. „Proviant?“ Diego Machado wandte sich um. „Wir haben wohl doch nicht vor, hier zu überwintern. Waffen schienen uns vorerst wichtiger zu sein, und wenn man sieht, was sich hier abspielt, dann haben wir uns nicht getäuscht. Wir werden die Musketen noch bitter nötig haben.“ „Aber Musketen kann man schlecht kauen“, fuhr Pancho fort, „und mit leerem Magen kämpft es sich nicht gut.“ Er warf Machado wieder lauernde Blicke zu. Auch war er ohne Umschweife zu dem vertraulichen Du übergegangen. War Machado, sein früherer Kapitän, nun Gleicher unter Gleichen, wie Gutierrez so
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schön gesagt hatte, dann konnte er ihn auch mit Du anreden. An dem Haß, den er verspürte, wenn er Machado sah, änderte das jedoch nichts. Es bereitete ihm eine tiefe Genugtuung, diesen aufgeblasenen Kerl endlich mal wie einen einfachen Decksmann behandeln zu können oder, besser gesagt, wie ein kleines Stückchen Dreck. Schließlich hatte er, Pancho, nicht vergessen, daß der Kapitän der „Trinidad“ ihn einmal hatte auspeitschen lassen zwölf mörderische Hiebe mit der Neunschwänzigen Katze waren es gewesen, und das nur, weil er sich an den Rumvorräten vergriffen hatte. Jeder, der so etwas am eigenen Körper verspürt hatte, würde ihn verstehen - zwölf Hiebe, die blutige Spuren in seinen Rücken gerissen hatten, vergaß man nicht so schnell. Auch nicht das höllische Brennen des Salzwassers, mit dem man Ausgepeitschten den Rücken abzuspülen pflegte, und danach die tagelange Qual und Bewegungsunfähigkeit. O ja, er hatte das alles noch genau in Erinnerung. Und nun stand dieser Mann, dem er schon damals blutige Rache geschworen hatte, nur wenige Schritte von ihm entfernt - greifbar nahe sozusagen. Natürlich erinnerte sich auch Machado an den Vorfall, und irgendetwas in ihm signalisierte ihm, daß dieser Kerl jetzt bewußt versuchte, ihn zu provozieren. An Bord der „Trinidad“ hätte er das nicht gewagt, jetzt aber glaubte er offenbar, freie Hand zu haben. Machado fühlte, wie die Wut in ihm aufstieg. Es fiel ihm verdammt schwer, sich von solch einem verlotterten Strolch wie seinesgleichen behandeln zu lasen. Doch er sah ein, daß es besser war, wenn er gar nicht darauf einging. Er beachtete Pancho nicht weiter und wandte sich Gutierrez zu. Pancho aber ließ nicht locker. „Na, was sagst du dazu, Machado? Musketen hatten wir schon genug. Aber du hättest ruhig ein paar dicke Schinken und Räucherwürste mitbringen können, dazu
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vielleicht einige Flaschen Rum - von dem, der in der Kapitänskammer verstaut ist.“ Machado versuchte, die Anspielung zu übergehen, aber das wollte ihm nicht recht gelingen. „Du bist ein Witzbold, Pancho. Wir haben schließlich nicht vor, hier ein Hochzeitsfest zu feiern. Außerdem wäre Rum zu diesem Zeitpunkt, an dem jeder seine sieben Sinne beisammen haben muß, nicht das richtige Getränk.“ Pancho lachte höhnisch. „Du hättest uns nach dem Saufgelage ja auspeitschen lassen können. Dieses Handwerk verstehst du doch so gut, nicht wahr?“ Die Kerle begriffen alle, was der hagere Pancho damit sagen wollte, denn sie hatten die Auspeitschung damals miterlebt. Einige grinsten still in sich hinein, denn sie gönnten Machado, der nun einer wie sie war, die Konfrontation mit Pancho, der als äußerst rachsüchtig und nachtragend galt. Diego Machado schoß erneut die Zornesröte ins Gesicht. „Laß die dummen Anspielungen beiseite, für so was ist jetzt keine Zeit.“ „Warum nicht, he?“ Pancho gab nicht auf. „Wir hocken doch eh nur in diesen beschissenen Höhlen herum und warten. Und was heißt Anspielungen? Hast du mir die Neunschwänzige verpassen lassen oder nicht?“ „Das war korrekt“, sagte Machado. „Als Kapitän mußte ich so handeln, nachdem du zum zweitenmal Rum gestohlen hattest.“ „Soso“, höhnte Pancho. „Aber jetzt bist du kein korrekter Kapitän mehr. Jetzt bist du ein kleines Würstchen, ein billiger Scheißkerl, der sich zu bücken hat, wenn es andere danach gelüstet, dir in den Hintern zu treten.“ „Reiß dich zusammen!“ herrschte ihn Machado an. „Auch wenn ich mich nicht mehr im Kapitänsrang befinde, heißt das noch lange nicht, daß ich mich von dir beleidigen lassen muß. Wenn du jetzt dein Schandmaul nicht hältst, werde ich es dir stopfen!“ Die Erregung Machados wuchs. Gleichschalten - ja, das ließ er sich
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notgedrungen, aber demütigen und beleidigen ließ er sich von einem solchen Dreckskerl nicht. Gutierrez, der als ehemaliger Zweiter Offizier der „Trinidad“ genau wußte, um was es ging, hielt sich tunlichst aus der Sache heraus. Warum sollte er wie früher Machado unterstützen? Der war kein Kapitän mehr, also sollte er zusehen, wie er mit seinen Kumpanen klarkam. Panchos Gesicht glühte jetzt vor Haß. Er erhob sich von dem Steinbrocken, auf dem er gesessen hatte, und ging langsam auf Machado zu. Dabei hob er drohend die Fäuste. „Du willst mir das Maul stopfen? Weißt du denn überhaupt, wie so etwas geht? Außer Fressen, Saufen und Herumhuren hat ein Kerl wie du doch nichts gelernt. Ich aber weiß, wie man jemandem was aufs Maul gibt, ich habe es von der Pike auf gelernt. Komm schon her, du Ratte, ich werde es dir zeigen!“ Mit diesen Worten griff er Machado wie ein gereizter Stier an und schlug übergangslos zu. Machado hatte zwar geahnt, daß sich etwas zusammenbraute, aber er schaffte es nicht mehr, dem Hieb voll auszuweichen. So traf ihn die Faust des hageren Pancho kraftvoll gegen die linke Schulter und riß ihn halb um die eigene Achse. Die schroffe Felswand verhinderte jedoch, daß er ins Taumeln geriet. Pancho wartete gar nicht erst eine Reaktion ab, sondern setzte sofort nach. Seine linke Gerade erwischte Machado am Kinn und ließ ihn hart mit dem Kopf gegen die Felswand prallen. Er blieb aber auf den Beinen, und wenn Pancho geglaubt hatte, Machado wisse sich nicht zu wehren, dann hatte er sich getäuscht. Diego Machado sah jetzt rot, und nichts konnte den wuchtigen, etwas dicklichen Mann jetzt noch bremsen. Er schnaubte wild, stieß sich flink von der Wand ab und unterlief dabei geschickt einen weiteren Hieb Panchos. Dessen Faust schoß ins Leere, dafür aber begann Machado in blitzschneller Reihenfolge auf ihn einzudreschen. Der
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ehemalige Kapitän der ‚Trinidad“ deckte seinen früheren Untergebenen mit einem solchen Wirbel von Fausthieben ein, daß diesem anderes mehr übrigblieb, als schützend die Arme vor den Kopf zu heben. Aber gerade darauf hatte Machado gewartet. Sein Gegner war jetzt unterhalb des Kopfes ungeschützt, und Machado zögerte nicht, sofort ein „Stockwerk“ tiefer zu gehen. Der Schlag, zu dem er jetzt ausholte, hätte einen Ochsen fällen können, und er wurde Pancho auch zum Verhängnis. Machados Faust fuhr wie eine Kanonenkugel in den Magen des hageren Burschen und riß ihn von den Beinen. Panchos Körper krachte gegen das Gestein, dann sank er zu Boden und blieb regungslos liegen. Diego Machado grinste böse und rieb sich die Handgelenke. „Das hätte sich der Esel ersparen können“, sagte er nur. „Gratuliere“, ließ sich jetzt Gutierrez vernehmen. „Als Kapitän wäre es unter deiner Würde gewesen, dich mit einem solchen Kerl zu prügeln. Du scheinst einiges dazugelernt zu haben.“ „Ja, das habe ich“, entgegnete Machado. „Gemäß unserem Grundsatz der Gleichheit habe ich lediglich Gleiches mit Gleichem vergolten. Ich bin nur darauf gespannt, ob unser Freund Pancho, dieser miese kleine Rumdieb, auch eine Lehre daraus gezogen hat.“ Damit war die Angelegenheit zunächst erledigt. Diego Machado stellte mit innerer Befriedigung fest, daß man trotz Aufgabe seines Ranges Respekt vor ihm hatte, und das konnte ihm nur recht sein. Da störte ihn auch die blutende Schramme am Kinn nicht. So etwas würde verheilen. Aber verlorener Respekt - der war verdammt schwer zurückzukaufen. 8. In der tropischen Hitze glich die „San Sebastian“ einem Braten in der heißen Pfanne. Vor allem die Seesoldaten
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schwitzten in ihren Uniformen. Auf hoher See, ja, da würde der Wind etwas Abkühlung bringen, aber hier in dieser einsamen Bucht vermochte die schwache Brise nur wenig auszurichten. Auch Don Gaspar de Mello standen Schweißperlen auf der Stirn, als er sich zusammen mit seinem Ersten Offizier jener Achterdeckskammer näherte, in die man Alonzo de Escobedo gebracht hatte. Der Kommandant der „San Sebastian“ fand, daß es an der Zeit war, dem Gefangenen mal ordentlich auf den Zahn zu fühlen. Die beiden Wachtposten, die vor dem Schott hockten, erhoben sich sofort, als sie ihren Kapitän erblickten. Es herrschte eine bemerkenswerte Stille. „Ist es hier immer so ruhig?“ fragte Don Gaspar mit verschmitztem Blick. Die Wächter schüttelten die Köpfe. „O nein, Senor Capitan“, sagte einer, „es handelt sich wohl nur um eine Verschnaufpause. Der Gefangene ist - nun ja, er ist ansonsten sehr gesprächig.“ „Sie haben sich doch wohl nicht mit ihm unterhalten?“ „Aber nein!“ Die Männer wehrten entrüstet ab. „Wir kennen die Vorschriften“, bemerkte einer von ihnen, „und halten uns auch daran. Aber der Gefangene schert sich keinen Deut darum und flucht wie ein ...“ Der Mann verschluckte das letzte Wort, weil ihm wohl plötzlich das hohe Amt des Eingesperrten einfiel. „Na, wie flucht er?“ wollte Don Gaspar genau wissen. „Nun ja, Senor Capitan, ich wollte sagen wie ein Fuhrknecht“, erwiderte der Soldat verlegen. Don Gaspar lächelte und erhielt im Handumdrehen die Bestätigung für den Bericht der Wachtposten. Alonzo de Escobedo hatte wohl Stimmen vernommen und legte sofort wieder los. „Wollt ihr wohl das Schott öffnen, ihr verdammten Hurensöhne!“ brüllte er. „Soll ich hier drin vielleicht ersticken? Die elende Hitze bringt selbst einen Ochsen um. Außerdem klebt mir die Zunge am
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Gaumen, ich verlange sofort eine Karaffe Rotwein.“ Don Gaspar und sein Erster Offizier warfen sich vielsagende Blicke zu, während die beiden Seesoldaten bemüht waren, unbeteiligte Mienen zur Schau zu tragen. „Öffnet das Schott!“ sagte Don Gaspar, und die Wachtposten folgten seinem Befehl. Aus der kleinen Kammer schlug ihnen dumpfe Hitze entgegen. Durch die Butzenglasscheiben des einzigen Fensters fiel spärliches Licht auf die Gestalt, die gefesselt auf einer Koje lag und vor Wut schäumte, als sie Don Gaspar erblickte. „Endlich lassen Sie sich mal sehen, Sie Piratenkapitän!“ schnaubte er. „Ich halte es für eine himmelschreiende Unverschämtheit, mich hier wie ein Verbrecher gefangen zu halten. Aber eins verspreche ich Ihnen, Sie Befehlsverweigerer - für jede Minute, die Sie mich hier schmoren lassen, werden Sie zehn Jahre in einem Kerker schmachten!“ „Machen Sie keine Versprechungen, die Sie nicht einhalten können, Senor de Escobedo“, sagte Don Gaspar ungerührt und betrat in Begleitung seines Ersten den Raum. „Rein rechnerisch gesehen, müßte ich demnach einige tausend Jahre in Ihrem Kerker verbringen. Da werden Sie mich aber verdammt lange durchfüttern müssen.“ Der Gouverneur schäumte vor Wut. „Sie haben genau verstanden, was ich meine, Sie Meuterer! Ich bin der Gouverneur von Kuba und habe die höchste Befehlsgewalt. Ich befehle Ihnen hiermit, sofort meine Fesseln zu lösen und mich aus diesem Gefängnis zu entlassen.“ „Das wäre zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht zu verantworten“, erwiderte Don Gaspar unbeeindruckt. „Sind Sie sich darüber im klaren, daß Sie Kopf und Kragen riskieren und nur meine Gnade Sie noch vor dem Galgen oder dem Erschießungskommando retten kann?“ Don Gaspar blieb kühl und besonnen. „Im Moment ist Ihre Gnade zu wenig nutze, Senor, und ich denke nicht daran,
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Sie freizulassen, nachdem Sie mich völlig ungerechtfertigt mit einer Waffe bedroht haben. Des weiteren haben Sie widerrechtlich versucht, mir das Kommando über mein Schiff zu entreißen. Bevor ich Sie wieder auf freien Fuß setze, habe ich eine Reihe von Fragen mit Ihnen abzuklären, und es mag durchaus sein, daß Ihre Antworten darauf später auch ein Kriegsgericht interessieren werden. Dabei wird derjenige zur Rechenschaft gezogen werden, der sich etwas zuschulden kommen ließ.“ „Ich protestiere!“ brüllte de Escobedo. „Was Sie da sagen, ist ungeheuerlich. Das ist Meuterei und Piraterie. Ja, es ist eine Beleidigung Seiner Majestät, des Königs von Spanien.“ „Was Sie nicht sagen!“ entfuhr es Don Gaspar. „Sind Sie der König von Spanien?“ „Spotten Sie nicht!“ Die Stimme des Gouverneurs überschlug sich fast vor unbändiger Wut. „Ich vertrete den König auf Kuba, und deshalb kommt eine Beleidigung meiner Person einer Beleidigung Seiner Majestät gleich!“ Don Gaspar schüttelte tadelnd den Kopf. „Sie haben eine sehr hohe Meinung von sich, Senor de Escobedo. Ich jedenfalls bin mir keiner Majestätsbeleidigung bewußt. Auch das hohe Amt des Gouverneurs von Kuba wird von mir und meinen Männern respektiert. Aber es haben sich erhebliche Zweifel daran ergeben, daß dieser Respekt auch auf Ihre Person übertragen werden kann.“ Alonzo de Escobedo versuchte sich aufzurichten, aber es gelang ihm nicht. Sein Hinterkopf krachte hart auf das Holz der Koje zurück. „Für diese unverschämten Reden werden Sie büßen, de Mello, das schwöre ich Ihnen. Ich werde nicht eher ruhen, bis Sie Ihre gerechte Strafe erhalten haben. Es ist einfach unglaublich, was Sie sich mir gegenüber erlauben, Sie - Sie verdammter Pirat, Sie - Sie respektloser Kerl, Sie ...“ „Danke, das reicht bereits, Senor de Escobedo“, unterbrach ihn der Kommandant der „San Sebastian“. Sie
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brauchen wegen meiner Person keine weiteren Schimpfworte zu erfinden. Die Kostproben, die Sie bisher im Zusammenhang mit Diego Machado und seiner Mannschaft von sich gaben, haben mich bereits voll von der bemerkenswerten Vielfalt Ihres Wortschatzes überzeugt. Das Vokabular entspricht genau dem eines kleinen Hafenmeisters, aber zu einem Gouverneur Seiner Majestät paßt es mit Sicherheit nicht.“. De Escobedos Körper bäumte sich auf, dann stieß der Erlauchte einen weiteren unflätigen Fluch hervor. Aber Capitan de Mello ließ sich davon nicht beeindrucken. „Wenn Sie sich jetzt nicht wie der Gouverneur von Kuba benehmen“, sagte er schneidend, „dann werde ich mich wieder zurückziehen und das Gespräch auf einen anderen Zeitpunkt verlegen. Vielleicht haben Sie sich in einigen Tagen wieder etwas beruhigt.“ Don Gaspar legte dem Ersten die Hand auf die Schulter. „Kommen Sie, wir haben Wichtigeres zu tun“, sagte er und schickte sich an, die Achterdeckskammer wieder zu verlassen. Das wirkte. „Zum Teufel - bleiben Sie hier!“ schrie der Gouverneur. „Bringen wir das Gespräch hinter uns, damit Sie endlich einsehen, daß Sie Recht und Gesetz auf das Gröblichste verletzen. Je eher Ihnen das klar wird, desto rascher werden Sie bestrebt sein, diesen Rechtsbruch wieder gutzumachen. Ich verlange jedoch, daß man meine Fesseln löst, anderenfalls spreche ich kein Wort mehr.“ Don Gaspar lächelte. „Darauf könnte man direkt Wetten abschließen, Senor de Escobedo. Doch jetzt ist keine Zeit zum Scherzen, außerdem bin ich kein Unmensch. Ich fühle mich selber wohler, wenn ich von Angesicht zu Angesicht mit jemandem sprechen kann.“ Er winkte die Wachen herbei. „Befreien Sie den Gefangenen von seinen Fußfesseln.“
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Die Wachtposten befolgten den Befehl sofort, und de Escobedo hangelte sich mühsam in Sitzposition. „Und die Handfesseln?“ fragte er keuchend. Don Gaspar de Mello schüttelte den Kopf. „Angesichts der Tatsache, daß Sie mich, den Kommandanten eines königlichen Kriegsschiffes, widerrechtlich mit einer Pistole bedroht haben, kann ich Sie davon nicht befreien“, sagte er. „Ich befehle es Ihnen!“ kreischte der Gouverneur. „In Ihrer augenblicklichen Lage haben Sie keine Befehle zu erteilen“, lautete die Antwort Don Gaspars. „Erwarten Sie bitte keine weiteren Zugeständnisse von mir.“ Kochend vor Wut fügte sich Alonzo de Escobedo in sein Schicksal. Er spürte, daß de Mello keineswegs einzuschüchtern war, deshalb versuchte er es mit einem Ablenkungsmanöver. „Ich erwähnte bereits, daß ich durstig bin. Lassen Sie mir eine Karaffe Rotwein bringen.“ Don Gaspar wandte sich wieder an die Wachen. „Bringen Sie einen Becher Wasser für den Gefangenen.“ „Wasser? Sagten Sie Wasser?“ De Escobedos Stimme klang schrill. „Ja, ich sagte Wasser. Es ist an Bord eines königlichen Kriegsschiffes nicht üblich, Gefangene mit Wein zu bewirten.“ Diese Worte lösten bei de Escobedo einen neuen Tobsuchtsanfall aus. Der Kapitän der „San Sebastian“ und sein Erster Offizier warteten stillschweigend das Ende der Fluch- und Schimpfkanonade ab. „Da Sie fertig zu sein scheinen, würde ich gerne die Fragen mit Ihnen erörtern, die in einem engen Zusammenhang mit unserem Aufenthalt hier in der Bucht stehen“, sagte de Mello. „Von der Klärung dieser Fragen wird es auch abhängen, ob man Sie wieder auf freien Fuß setzen wird oder aber einem Kriegsgericht überstellen muß.“ „Kriegsgericht? Bin ich vielleicht ein Verbrecher?“ „Diese Frage möchte ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht
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beantworten“, sagte de Mello kühl. „Kommen wir lieber zur Sache.“ Die Blicke des Gouverneurs wurden lauernd. „Dann reden Sie endlich!“ „Es ist äußerst großzügig von Ihnen, daß Sie mir das Wort erteilen, Senor de Escobedo“, begann Capitan de Mello. „Wie Sie sich bestimmt denken können, geht es um die Schatzgüter, und ich sage Ihnen gleich im voraus, daß meiner Meinung nach an dieser Sache, ja, an diesem ganzen Unternehmen, an dem Sie mich und diesen zwielichtigen Senor Machado beteiligt haben, etwas faul ist.“ Alonzo de Escobedo stieß ein wütendes Lachen aus. „Sie hören wohl auch die Flöhe husten, mein lieber de Mello?“ „Das nicht, Senor, aber ich glaube, mir bis zum heutigen Tag einen gesunden Menschenverstand bewahrt zu haben, und der beschäftigt sich unentwegt mit einigen sehr merkwürdigen Umständen, die im Zusammenhang mit den Schatzgütern stehen. Merkwürdig war allein schon die Tatsache, daß Sie mir zu Beginn des Unternehmens nicht sagen wollten, um was es eigentlich ging. Sie verlangten von mir, eine ‚Ware' zu schützen, die ich nicht einmal kannte.“ „Das geschah aus Sicherheitsgründen!“ fauchte der Gouverneur. „Aus reinen Sicherheitsgründen. Wäre die Art der Ladung bekanntgeworden, hätte das beträchtliche Gefahren heraufbeschworen.“ „Das heißt mit anderen Worten, daß Sie mir nicht vertrauen wollten“, sagte de Mello. „Andererseits aber erwarteten Sie von mir, die Reichtümer zu schützen. Hielten Sie mich vielleicht für ein geschwätziges Weib?“ „Natürlich nicht, aber die Sache war streng geheim, und zwar gemäß einer höheren Order .. .“ „Das klingt nicht sehr überzeugend, Senor de Escobedo. Aber belassen wir es dabei. Ein dummer Zufall hat ohnehin an den Tag gebracht, welcher Art die Fracht war, die beschützt werden sollte. Eine andere Frage ist wesentlich schwerwiegender: Warum
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wählten Sie für den Abtransport der Schatzgüter den Seeweg? Der Landtransport vom Wasserfall nach Havanna beträgt ungefähr nur fünfundzwanzig Meilen. Meiner Meinung nach muß es einen triftigen Grund für diese Entscheidung geben. Oder?“ Alonzo de Escobedo wand sich und war im Augenblick dankbar, daß einer der Wachtposten mit dem Becher Wasser erschien und ihm diesen an die Lippen hielt. Auf diese Weise ergab sich eine kleine Denkpause. Aber wie es schien, fiel ihm dabei doch nichts Überzeugendes ein. „Das hat ganz einfache Gründe“, erwiderte er schließlich. „Der Landtransport wäre viel zu gefährlich. In den unüberschaubaren Urwaldgebieten gibt es für Räuber tausend Gelegenheiten für einen Überfall.“ Don Gaspar blickte ihn erstaunt an. „Glauben Sie wirklich, daß sich eine Schar Räuber zutrauen würde, einen von zahlreichen Soldaten bewachten Transport zu überfallen? Außerdem: ein Überfall ist auch auf See möglich. An Piraten fehlt es in der Karibik wahrhaftig nicht. Ihre Antwort ist demnach völlig unlogisch, Senor, und wirft bereits die nächste Frage auf. Warum, zum Beispiel, hat man nur ein einziges Kriegsschiff zur Bewachung des Transportes vorgesehen, obwohl es sich im wahrsten Sinne des Wortes um eine ungeheuerliche Schatzansammlung handelt? Solche Berge von Reichtümern ziehen in der Regel Scharen von Piraten an. Ein einziges Kriegsschiff würde da zum Schutz nicht ausreichen, und das beweist wiederum, daß der lange Seeweg noch weitaus mehr Gefahren in sich birgt als der kurze Landweg. Da man das jedoch in Kauf genommen hätte, kann man daraus folgern, daß ein ungestörtes Verschwinden mit den Schätzen erleichtert werden sollte.“ De Escobedos Gesicht wurde fuchsfeuerrot. „Was fällt Ihnen ein, de Mello? Was wollen Sie mir unterstellen - mir, dem Gouverneur von Kuba? Ich warne Sie vor voreiligen Schlußfolgerungen. Ich war
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eben der Meinung, daß ein einziges schlagkräftiges Kriegsschiff ausreichen würde, um den geheimen Transport zu schützen. Außerdem kann ich nicht alle Schiffe von Havanna abziehen und die Stadt schutzlos zurücklassen.“ „Das ist eine sehr dünne Antwort, Senor de Escobedo“, sagte Don Gaspar. „Im Hafen von Havanna lagen genügend Kriegsschiffe, so daß es kein Problem gewesen wäre, vier oder fünf als Geleitschutz heranzuziehen - ohne die Stadt zu gefährden. Ein solch mehrfacher Schutz hätte jedoch die Pläne, die gewisse Männer mit den Schatzgütern geschmiedet haben, zerstört, und das scheint mir der wahre Grund zu sein ...“ „Blödsinn!“ schrie de Escobedo zornig. „Alles Blödsinn! Sie haben eine blühende Phantasie, de Mello!“ „Sie täuschen sich”, entgegnete Don Gaspar. „Ich vermag lediglich zwei und zwei zusammenzuzählen.“ „Gar nichts vermögen Sie! Ein einziges Kriegsschiff genügt vollauf ...“ „Das sehe ich anders“, fiel ihm de Mello ins Wort, „und die Tatsachen widersprechen Ihren Worten. Immerhin wäre es Diego Machado beinahe gelungen, mit einem Teil der Schätze zu fliehen, mit jenem Teil nämlich, der bereits an Bord der ‚Trinidad' gebracht worden war. Außerdem haben wir jetzt erhebliche Schwierigkeiten mit den Deserteuren, die sich in den Schatzhöhlen festgesetzt haben.“ Der Gouverneur funkelte de Mello mit bösen Blicken an. „Das ist Ihre Schuld, Don Gaspar, ganz allein Ihre Schuld! Ich habe Ihnen befohlen, die Höhlen zu stürmen. Hätten Sie sich meinen Befehlen nicht widersetzt, wäre das Problem längst gelöst. Statt auf meine Anordnungen, die ich kraft meines Amtes erteilt habe, zu reagieren, griffen Sie mich jedoch an und ließen mich von diesem Subjekt da“, er deutete auf den Ersten Offizier, dessen Gesicht unbewegt war, „niederschlagen und in Fesseln legen. Vielleicht wird Ihnen jetzt die
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Ungeheuerlichkeit Ihres Vorgehens bewußt.“ „Befehle, die mir mit vorgehaltener Pistole erteilt werden, pflege ich nicht zu beachten“, erklärte de Mello. „Bei solchen Machenschaften handelt es sich nicht um Anordnungen, sondern eher um einen Überfall, gegen den ich mich zur Wehr setzen muß. Außerdem wäre es unsinnig, Höhlen zu stürmen, die uneinnehmbar sind. Eine solche Aktion würde dem größten Teil meiner Seesoldaten den Tod bringen.“ Alonzo de Escobedo kochte erneut. „Das muß man eben riskieren, wenn es um die Schatzgüter des Königs geht“, geiferte er. „Ich habe von Anfang an gesagt, daß die Ladung bis zum letzten Blutstropfen verteidigt werden muß. Und was tun Sie, Capitan de Mello? Sie fürchten sich vor ein paar Meuterern und Deserteuren.“ Don Gaspar ließ sich nicht provozieren. Er stützte die Hände auf die Platte des Tisches, der vor der Koje stand, und sah den Gouverneur herausfordernd an. „Sie versuchen ständig, durch dumme und haltlose Anschuldigungen und Unterstellungen vom eigentlichen Kern der Sache abzulenken“, sagte er scharf. „Der Kern der Sache aber gipfelt in der Frage, wem diese ungeheuren Reichtümer gehören, für die Sie ohne Skrupel eine beliebige Zahl treuer Seesoldaten opfern würden. Nun antworten Sie, de Escobedo! Wem gehören die Schatzgüter wirklich?“ „Dumme Frage!“ kreischte der Gouverneur. „Dem König natürlich. Das müßten Sie langsam begriffen haben.“ Don Gaspar lächelte böse. „Nein, Senor, das ist es ja gerade, was ich nicht begreife, weil es immer mehr schwerwiegende Argumente gegen Ihre Behauptung gibt. Oder können Sie mir erklären, seit wann königliche Schatzgüter in obskuren Höhlen abseits guter Häfen und entsprechender Transportmöglichkeiten gehortet werden? Selbst wenn man schon so vermessen handelte, warum wurden diese Höhlen dann nicht wenigstens bewacht?“
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„Pah!“ Alonzo de Escobedo winkte geringschätzig ab. „Ist das alles, was Ihnen als Antwort auf diese Fragen einfällt?“ fragte Don Gaspar. „Natürlich nicht“, erwiderte de Escobedo barsch. „Aber schließlich ist es die Sache des Königs, wo er sein Eigentum versteckt. Man hat diese Höhlen wohl für sicher gehalten, weil niemand etwas von ihrer Existenz wußte. Aus diesem Grund hat man eben auch keine Wachtposten für nötig gehalten. Wie Sie selber wissen, hat sich bisher auch niemand an den Schätzen vergriffen.“ „Das ist eine äußerst fadenscheinige Ausrede“, sagte Don Gaspar, „und ich bezweifle sehr, daß der König überhaupt etwas von diesen Schatzgütern weiß. Doch das ist eine Sache, die man überprüfen kann. Ich persönlich halte es für absurd, daß der König angeordnet haben soll, sein Eigentum in diesen Höhlen zu verstecken. Oder segelte Seine Majestät etwa nach Kuba, um dort drüben in der Steilwand die Höhlen aufzustöbern?“ „Nein, natürlich nicht. Man hat diese Höhlen eben vorgeschlagen.“ „Ach! Und wer hat sie vorgeschlagen?“ „Das geht Sie nichts an, de Mello. Sie sind lediglich ein kleiner Kriegsschiffkommandant. Um geheime Vorgänge auf höchster Ebene haben Sie sich nicht zu kümmern, merken Sie sich das!“ Alonzo de Escobedo konnte auf keine der Fragen eine befriedigende oder einleuchtende Antwort geben. Deshalb verfiel er immer wieder auf die Taktik, den Fragesteller durch aggressives Verhalten übertrumpfen zu wollen. Aber da war er bei Capitan de Mello an den falschen Mann geraten. Der wußte durchaus, was von den ausweichenden Antworten und an den Haaren herbeigezogenen Erklärungen de Escobedos zu halten war. „So ist das also“, fuhr de Mello fort. „Zu kümmern habe ich mich um diese hochgeheimen Vorgänge nicht, aber das, was da auf höchster Ebene verbraten worden ist, verteidigen -das darf ich. Für wie dumm halten Sie mich eigentlich,
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Senor de Escobedo? Glauben Sie wirklich, daß Sie mich mit diesem Gerede abspeisen können? Oder meinen Sie immer noch, ich kaufe Ihnen ab, daß es sich bei den Reichtümern um Schatzgüter des Königs handelt? Ich werde eine genaue Überprüfung Ihrer Behauptungen veranlassen, das verspreche ich Ihnen.“ „Gar nichts werden Sie, wenn Sie mir nicht endlich auch diese verdammten Handfesseln abnehmen und auf meine Befehle gehorchen.“ „Aber, aber Senor, schweifen wir doch nicht schon wieder von unserem interessanten Thema ab.“ Don Gaspar gab sich jovial. „Ich bin noch lange nicht fertig, denn da liegen mir noch einige Fragen auf der Seele, von denen ich überzeugt bin, daß Sie genauso wenig eine einleuchtende Antwort darauf wissen, wie auf alle bisherigen.“ „Wer gibt Ihnen überhaupt das Recht, mich hier einem Verhör zu unterziehen - mich, den Gouverneur?“ Der Erlauchte wollte von der Koje hochfahren. Der Erste jedoch drückte ihn sofort auf seinen Platz zurück. „Wer gab Ihnen das Recht, mich mit einer Pistole zu bedrohen und die Befehlsgewalt über mein Schiff an sich reißen zu wollen?“ antwortete de Gaspar mit einer Gegenfrage. „Ich bin der Gouverneur von Kuba“, verkündete de Escobedo stolz. „Haben Sie das immer noch nicht kapiert?“ „Doch, doch“, erwiderte Don Gaspar. „Hoffen wir, daß Sie es auch bleiben. Für einen Mann, der in zwielichtigen Geschäften führend vorangeht, stehen die Chancen nicht besonders gut.“ Alonzo de Escobedo wurde blaß und schluckte hart. Dann aber ging er wieder zur Offensive über. „Der Teufel soll Sie holen!“ brüllte er. „Das wird er nicht tun, solange es lohnendere Objekte für ihn gibt“, entgegnete Don Gaspar mit ruhiger Stimme. „Vielleicht holt er sich auch die Reichtümer da drüben in den Höhlen, wer weiß? Wenn sich Machado mit ihm verbündet hat, wird er ihm womöglich helfen.“
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De Escobedo, dem die unangenehmen Fragen mehr zusetzten, als er sich eingestehen wollte, wurde um eine Spur blasser. Dieser verdammte Kapitän ließ nicht locker, und so langsam begannen ihm die Felle davonzuschwimmen. Was, zum Beispiel, würde geschehen, wenn dieser Kerl alle diese Fragen vor einem Kriegsgericht erörtern würde? Dem Gouverneur wurde abwechselnd heiß und kalt. Don Gaspar unterbrach ihn in seinen Überlegungen. „Und nun, Senor de Escobedo, verraten Sie mir noch, was ein gewissenloser Schurke wie Diego Machado samt seiner Gefolgschaft von Halunken und Halsabschneidern bei einer so wichtigen, schwierigen und verantwortungsvollen Aktion wie dem Abtransport eines Millionenschatzes zu suchen hat? Warum haben Sie sich ausgerechnet einem Lumpen wie ihm für dieses Unternehmen anvertraut? Waren da nicht schon von vornherein gewisse Komplikationen abzusehen?“ Einen Augenblick schwieg de Escobedo. Seinem Gesicht war jedoch anzusehen, daß er fieberhaft überlegte. „Ich habe mich eben in ihm getäuscht“, sagte er dann. „Ich habe ihn stets für einen Ehrenmann gehalten ...“ „ ... obwohl dieser Bursche schon in Havanna als zwielichtige Gestalt bekannt war“, unterbrach ihn de Mello, „als ein Mann, der dunklen Geschäften nicht abgeneigt war. Aber da konnten Sie ja noch nicht ahnen, daß er Sie übers Ohr hauen würde, nicht wahr?“ Alonzo de Escobedo stutzte. „Was - was wollen Sie damit sagen?“ Er geriet ins Stottern. „Warum sollte er mich übers Ohr hauen? Er hat sich doch an den Schatzgütern des Königs vergriffen.“ „Sehr interessant“, sagte Capitan de Mello. „Genau die gleiche Frage habe ich mir auch schon gestellt, als Sie auf dem Achterdeck im Beisein von Zeugen wiederholt davon sprachen, daß dieser Kerl Sie übers Ohr hauen wolle! Haben Sie da
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rein zufällig Ihr Ohr mit dem Seiner Majestät verwechselt?“ Alonzo de Escobedo wurde noch bleicher, als er ohnehin schon war. Er schwieg, denn er wußte nur zu genau, daß er in seiner ohnmächtigen Wut über Machado entsprechende Äußerungen von sich gegeben hatte. Don Gaspar ließ nicht locker. „Schließen wir dieses Gespräch mit einer letzten Frage ab“, schlug er vor. „Wem gehören eigentlich diese Schatzgüter?“ Wieder herrschte Stille. Alonzo de Escobedo saß mit zusammengepreßten Lippen auf der Koje. „Na, hat es Ihnen plötzlich die Sprache verschlagen“, sagte Don Gaspar. „Ich wiederhole: Wem gehören die Schatzgüter?“ „Das ist eine geheime Staatssache“, preßte de Escobedo jetzt hervor. Seine Lippen zuckten dabei, und seine tückischen Augen irrten hin und her. Er glich einem gejagten Tier, das von einer Ecke der Falle in eine andere zu huschen versucht. „Schon wieder eine geheime Staatssache?“ höhnte Capitan de Mello. „Ich muß schon sagen, daß es hier ganz schön wimmelt vor lauter geheimen Staatssachen. Aber ich will Ihnen auch sagen, was ich davon halte: Es handelt sich eher um eine geheime Kumpanei unter Spitzbuben. Und in dieser Kumpanei - das ist mittlerweile offensichtlich - spielen sowohl Diego Machado als auch Sie, Senor de Escobedo, eine äußerst trübe Rolle. Für mich ist das Grund genug, Sie weiterhin unter Arrest zu halten, bis diese Angelegenheit geklärt ist es sei denn, Sie rücken mit der Wahrheit heraus.“ Wenn Don Gaspar und sein Erster Offizier jetzt mit einem neuen Tobsuchtsanfall, mit wilden Flüchen und Verwünschungen gerechnet hatten, dann wurden sie enttäuscht. De Escobedo schien es in der Tat die Sprache verschlagen zu haben. Er war plötzlich viel kleiner und unscheinbarer geworden, hockte mit eingesunkenen Schultern auf der Koje und biß sich auf die Lippen. Auf seiner Stirn glänzte der Schweiß. Alles in allem
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erinnerte er an eine in die Falle gegangene Ratte. „Nun, was haben Sie dazu zu sagen?“ bohrte Don Gaspar weiter. „Nichts? Na schön, dann lassen wir's eben. Ich habe ja in gewissem Sinne zwei Eisen im Feuer. Es bleibt mir immer noch der sehr ehrenwerte Kapitän der ‚Trinidad'. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich Machado erwische. Dann werde ich Mittel und Wege finden, diesen Burschen zum Sprechen zu bringen. Ich bin sehr gespannt darauf, was er zu diesem ganzen Fragenkomplex zu sagen hat.“ Alonzo de Escobedo wurde schlagartig klar, daß ihn Machado im Falle eines Verhörs schwer belasten konnte. Und dieser Halunke würde auch gewiß nicht davor zurückschrecken, es zu tun, wenn er erst einmal in der Klemme steckte. Diese plötzliche Erkenntnis trieb dem Erlauchten aus Havanna abermals das Blut in den Kopf. Er wurde von einer Sekunde auf die andere aus seinem momentanen Zustand der Apathie herausgerissen und mußte sich wieder einmal mit einem Schwarm der lästerlichsten Flüche Luft verschaffen. Auch an Drohungen in bezug auf Capitan de Mello fehlte es dabei nicht, zumal dieser inzwischen die Wachen herbeigewinkt hatte und ihm wieder die Fußfesseln anlegen ließ. Ja, Don Gaspar de Mello, kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. „Wären Sie eine Frau“, sagte er spöttisch, „würde ich Sie auf Grund Ihres Vokabulars für eine gewöhnliche Straßendirne halten. Wie ein Gouverneur benehmen Sie sich auf jeden Fall nicht.“ Er drehte sich um und verließ zusammen mit dem Ersten die Achterdeckskammer. 9. Dröhnte vor kurzem noch wildes Gebrüll über die Decks der „Trinidad“, so hörte man es jetzt hämmern und klopfen. Dazwischen mischte sich das Geräusch von Sägen und Äxten. Auf der Handelsgaleone wurde hart gearbeitet, dafür sorgte der Zweite Offizier
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der „San Sebastian“, der mit Unterstützung von zehn Seesoldaten während der Abwesenheit Don Gaspars das Kommando führte. Die restlichen Crew-Mitglieder der „Trinidad“, die sich kurz zuvor noch wegen der reichgefüllten Laderäume gegenseitig an die Kehlen gegangen waren, konnten sich über Langeweile nicht beklagen. Deshalb bemerkte zunächst auch niemand, was sich vorn unter der Back abspielte - sozusagen die Nachwehen zu dem wilden Geschehen um die Schatzgüter. Der Schiffskoch hantierte in der düsteren Kombüse, denn der Zweite Offizier der „San Sebastian“ hatte ihn damit beauftragt, eine kräftige Mittagsmahlzeit vorzubereiten. Vorerst gestaltete sich alles recht friedlich. Es mußte Gemüse geputzt werden, Wasserkessel wurden aufgesetzt und mächtige Stücke Räucherfleisch mußten kleingeschnitten werden. Jose, ein hochaufgeschossener, geiernasiger Bursche, ging dem Koch zur Hand. Die Kombüse war schmutzig und unaufgeräumt. Es roch nach Zwiebeln, Knoblauch und Asche. Jose ging auf ein kleines Schapp zu, um Gewürze herauszuholen. „Laß das!“ herrschte ihn der Koch an, und seine Stimme klang ungewöhnlich scharf. „Kümmere dich lieber darum, daß das Gemüse geputzt wird.“ „Das kann ich immer noch“, erklärte Jose und öffnete das Schapp, bevor es der Koch verhindern konnte. Kaum hatte er eine der beiden Türen geöffnet, fiel ihm aus dem vollbepackten Schapp ein kleines Gewürzsäckchen entgegen und prallte auf die Planken. Das war an und für sich nichts Besonderes - bis auf das metallene Klirren des Beutelinhaltes. Jose wurde stutzig, bückte sich rasch und griff danach. Aber da war der Koch, der sich an der Feuerstelle aufgehalten hatte, auch schon heran. „Gib das Zeug her!“ Die Augen des Mannes zeigten plötzlich ein gefährliches
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Glitzern. Fordernd streckte er seinem Gehilfen die rechte Hand entgegen. Jose aber, der den Beutel zwischen den Händen knetete, hatte längst begriffen, daß es sich nicht um Gewürze handelte. Der Inhalt war schwer und bestand ohne Zweifel aus Metall. Metall im Gewürzschapp? Jose ging ein Licht nach dem anderen auf. Jetzt verstand er auch, warum der Koch so nervös reagierte. Der geiernasige Bursche begann zu grinsen. „So ist das also“, erklärte er. „Du hast dir ein paar von den Klunkerchen zur Seite geschafft. Ich muß schon sagen, das war keine schlechte Idee mit dem Gewürzschapp. Auf die wäre ich nicht verfallen.“ „Halt's Maul!“ stieß der Koch hervor. „Und gib endlich den Beutel her.“ Jose grinste noch mehr. „Nun mal langsam, Freundchen. Hast du denn kein bißchen Mitleid mit einem Kameraden, der nichts beiseite legen konnte und arm ist wie eine Kirchenmaus?“ „Was soll das heißen?“ Joses Gesicht wirkte schlitzohrig. „Nun, du brauchst keine Bedenken zu haben, daß ich mit diesem Gewürzbeutel zum Achterdeck eile, um ihn dem Kerl von der ,San Sebastian' zu Füßen zu legen, o nein, ich bin ja nicht dumm. Aber einen kleinen Teil könntest du mir für meine Verschwiegenheit schon davon abgeben sagen wir, die Hälfte etwa.“ Der Koch trat noch einen Schritt näher an Jose heran, seine Augen verengten sich. „Sieh dich vor, du Hund“, sagte er gepreßt, „ich lasse mich von dir nicht unter Druck setzen. Und jetzt gib den Beutel her, sonst schlage ich dir die Zähne ein. Wenn du auch nur ein einziges Wörtchen über die Sache verlauten läßt, werde ich dafür sorgen, daß dich die Haie in Stücke reißen.“ Mit einer raschen Bewegung griff er nach dem Beutel, aber Jose wollte die Quelle, die sich so plötzlich und unerwartet aufgetan hatte, nicht verlieren. Er wirbelte herum und jagte auf den Kombüsenausgang zu. Dabei riß er eine
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gußeiserne Pfanne vom Tisch und zertrat eine Zwiebel, die aus einem Korb gekullert war. Der Koch hatte nicht die Absicht, auf die Münzen zu verzichten und eilte sofort hinterher. „Bleib stehen, du Ratte, oder ich bring dich um!“ Sein Atem ging keuchend. Jose, den die Gier erneut gepackt hatte, dachte nicht ans Aufgeben, doch die Schlamperei, die in den Gängen der Back herrschte, sollte ihm zum Verhängnis werden. Irgendjemand hatte einige Tranlampen in der Nähe des Kombüseneingangs abgestellt. Jose stolperte prompt darüber, die Tonlampen zerbrachen, und das Öl floß in alle Richtungen. Jose taumelte, rutschte schließlich in einer Öllache aus und schlug der Länge nach auf die Planken. Den prallgefüllten Gewürzbeutel ließ er jedoch trotz des Sturzes nicht los. Sekunden später war der wütende Koch zur Stelle und stürzte sich mit einem Fluch auf den geiernasigen Burschen. Im Handumdrehen kam es zu einer wilden Schlägerei, bei der niemand mehr auf Lautlosigkeit bedacht war. Die beiden Männer wälzten sich in dem stinkenden Tran der Lampen. Immer wieder rutschten sie aus und krachten auf die Planken. Dabei versuchten sie sich gegenseitig unter lautem Gebrüll den kostbaren Beutel zu entreißen. Der erbitterte Kampf blieb nicht unbemerkt. Ein Seesoldat, der sich vor der Back aufhielt, wurde als erster darauf aufmerksam. Er winkte sofort zwei Kameraden herbei, dann eilten sie zur Kombüse. Dabei brauchten sie nur den Geräuschen zu folgen. Als sie den Schauplatz erreichten, schmetterte der Koch seinen Kontrahenten gerade mit einem wuchtigen Fausthieb gegen die Wand und grapschte nach dem Gewürzbeutel, der dessen Händen entglitt. „Was geht hier vor?“ brüllte einer der Soldaten, ein junger Sargento. Der Koch warf ihm einen wilden Blick zu, doch es wurde ihm sofort klar, daß er
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gegen die Soldaten keine Chancen hatte. Also begann er - um des eigenen Vorteils willen - zu grinsen. „Nichts Besonderes“, antwortete er. „Der Kerl hier sollte mir in der Kombüse helfen, und da er stinkfaul war, habe ich ihm in den Hintern getreten. Leider sind wir dabei über die Tranlampen gestolpert, die irgendein Idiot im Gang abgestellt hat.“ „Und was ist in diesem Beutel?“ fragte der Sargento. „Oh, das ist nur ein Gewürzbeutel. Ich hatte ihn gerade in der Hand, als der Kerl anfing, herumzustänkern.“ Die Blicke der Soldaten waren skeptisch, denn es war ihnen nicht entgangen, daß Jose, der sich benommen aufzurappeln versuchte, bei ihrem Eintreffen den Beutel fest umklammert hatte. Erst bei dem wuchtigen Fausthieb des Kochs war er seinen Händen entglitten. „Gib den Beutel her!“ forderte der Sargento. Der Koch weigerte sich. „Da sind nur Gewürze drin“, behauptete er. Bevor er sich jedoch versah, hatten ihn die drei Soldaten umringt und entrissen ihm den Beutel. Der Sargento zog ein verblüfftes Gesicht, als er ihn öffnete und eine goldene Kette sowie blinkende Goldstücke darin entdeckte. „Schöne Gewürze“, sagte er trocken. „Jetzt wirst du mir hoffentlich nicht erzählen wollen, daß die für die Mittagssuppe bestimmt waren.“ „Das ist ein Mißverständnis“, begann der Koch plötzlich zu jammern. „Ich kann das alles erklären ...“ „Nicht nötig“, unterbrach ihn der Sargento. „Ihr Burschen habt euch die Sachen unter den Nagel gerissen, bevor die Schatzgüter wieder in den Laderäumen verstaut waren. Den Zweiten wird das sehr interessieren.“ „Ich habe nichts damit zu tun!“ schrie jetzt Jose, dem einer der Soldaten auf die Beine half. „Diese Ratte hier hat das Zeug im Gewürzschapp --versteckt gehalten. Mir fiel es nur zufällig in die Hände, als ich nach Pfefferkörnern suchte. Ich schwöre Ihnen, Sargento, daß ich mit der Sache nichts zu tun habe.“
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„Lüge, alles Lüge!“ brüllte der Koch und wollte abermals auf den Geiernasigen losgehen. Die Soldaten konnten ihn nur mit Mühe zurückhalten. „Hört endlich mit dem Geschwätz auf!“ befahl der Sargento. „Fest steht auf jeden Fall, daß ihr euch beide um diesen Beutel geprügelt habt.“ Zu seinen Begleitern gewandt, fügte er hinzu: „Ab mit den Kerlen. Der Zweite soll entscheiden, was mit ihnen zu geschehen hat.“ Alles Zetern und Fluchen half nichts. Jose und der Schiffskoch, die sich gegenseitig bezichtigten, die Goldstücke beiseite geschafft zu haben, wurden zum Achterdeck geführt. Der Zweite Offizier hörte sich den Bericht des Sargentos an, nahm die beiden Kerle in ein kurzes und scharfes Verhör und machte dann kurzen Prozeß. „Ihr habt gehört, was Don Gaspar gesagt hat“, sagte er. „Wer sich an den Schatzgütern vergreift, wird streng bestraft.“ Der Koch begann wieder zu jammern. „Es ist alles ein Irrtum, ein bedauerlicher Irrtum ...“ Der Zweite unterbrach ihn. „Du wirst mir hoffentlich nicht erzählen wollen, daß du rein irrtümlich Goldstücke statt Pfeffer in das Gewürzsäckchen gefüllt hast“, sagte er scharf. Dann gab er dem Sargento einen Wink. „Jeder kriegt fünf Hiebe mit der Neunschwänzigen!“ Die Bestrafung der beiden Schnapphähne wurde sofort in die Wege geleitet, denn der Zweite Offizier wollte nicht allzu viel Zeit mit dieser Angelegenheit verschwenden. Auf seine Anordnung hin wurden die beiden Kerle auf die Kuhl gebracht, wo man bereits eine der wenigen noch verbliebenen Grätings herbeischaffte und hochkant gegen die Aufbauten des Achterdecks stützte. Der Koch war kreidebleich geworden, denn er war als erster an der Reihe. „O heilige Madonna“, klagte er. „Womit habe ich nur verdient, daß mir solch bitteres Unrecht geschieht.“
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„Hör' auf zu flennen“, sagte einer der Soldaten, „du Miststück weißt ganz genau, warum du die Hucke vollkriegst.“ Der Koch wurde an den Händen und der Hüfte bäuchlings auf die Gräting gebunden, bevor man ihm das verdreckte Hemd vom Leib riß. Ein Soldat hatte bereits die Neunschwänzige herbeigeholt, die aus einem langen Holzgriff bestand, an dem neun dünne, etwa yardlange Riemen befestigt waren. Der größeren Wirkung wegen hatte man die Riemen an ihren Enden noch verknotet. Nachdem die restliche Mannschaft der „Trinidad“ angetreten war, nickte der Zweite dem als Profos amtierenden Soldaten zu. Dieser hob die Hand mit der Neunschwänzigen, dann klatschten die Riemen auf den Rücken des wimmernden Schiffskochs. Der Soldat zählte dabei laut mit. Nach dem fünften Hieb hing der Koch halb ohnmächtig an der Gräting. Über seinen Rücken zogen sich blutige Striemen. Nachdem man ihn losgebunden hatte, wurde er von einem älteren Mann, der mit den Arbeiten eines Feldsehers vertraut war, mit Salben und Tinkturen verarztet. Dann war Jose dran. Der geiernasige Kerl schlotterte vor Angst und quittierte jeden Hieb mit einem markerschütternden Schrei. Der Zweite ließ von der Querbalustrade des Achterdecks aus seine Blicke über den verluderten Haufen schweifen. „Ich hoffe, daß sich jetzt jeder darüber im klaren ist, was es mit sich bringt, wenn grob gegen die Bordregeln verstoßen wird oder man sich den Anordnungen Don Gaspars widersetzt“, verkündigte er mit strengem Gesicht. Die Männer durften ihre Arbeit wieder aufnehmen, und davon gab es noch eine ganze Menge. Fast hatte es sogar den Anschein, als würden die Kerle mit noch größerem Fleiß zupacken, nachdem ihnen verklart worden war, daß jetzt ein anderer Wind an Bord der „Trinidad“ wehte. *
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„Eine Auspeitschung an Bord der ,Trinidad`“, meldete der Mann im Ausguck, als Don Gaspar de Mello und sein Erster wieder die Planken des Achterdecks betraten. „Dann wird sie auch nötig sein“, kommentierte der Capitan die Meldung. Er wußte, daß sein Zweiter Offizier kein Mann war, der grundlos jemand bestrafen ließ. Er konnte sich durchaus vorstellen, daß es noch einige Schwierigkeiten auf der „Trinidad“ geben würde, bis die Kerle begriffen hatten, daß sie nicht mehr unter dem lockeren Zügel Diego Machados lebten. An Bord der „San Sebastian“ hatte man andere Sorgen, denn da waren immer noch die Schnapphähne, die sich in den Felsen verschanzt hatten. Und de Mello war fest entschlossen, dieses Problem zu lösen notfalls mit Gewalt, aber auf jeden Fall mit Ausdauer und Geduld. Er dachte nicht daran, sich als Verlierer aus diesem zwielichtigen Geschehen zurückzuziehen. Gerade jetzt nicht, da er den hinterhältigen Gouverneur schon ziemlich in die Enge getrieben hatte. „Darf ich mir eine Bemerkung gestatten, Senor Capitan?“ fragte der Erste plötzlich. „Natürlich“, erwiderte de Mello. „Nur heraus damit.“ Der Erste deutete zum Strand hinüber. „Dort drüben liegen die beiden Jollen der ,Trinidad`“, sagte er. „Vielleicht sollten wir diese zerstören, denn das wäre auf jeden Fall von Vorteil, wenn die Schnapphähne tatsächlich einen Enterversuch planen sollten. Vielleicht aber tragen sie sich auch mit dem Gedanken, die Jollen zur Flucht zu benutzen.“ Don Gaspar warf seinem Ersten einen verdutzten Blick zu, dann schlug er sich mit der flachen Hand an die Stirn. „Vielen Dank für den Hinweis“, sagte er. „Das ist eine hervorragende Idee, auf die ich noch gar nicht gekommen bin. Natürlich werden wir die Dinger wegpusten. Das wird die Bewegungsfreiheit der Deserteure gewaltig einschränken und die Gefahr eines
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Enterversuchs beseitigen. Wirklich, eine hervorragende Idee.“ Der entsprechende Befehl erging sofort an den Stückmeister, und nur wenige Minuten später waren die Drehbassen auf die Ziele ausgerichtet und begannen damit, ihre zerstörerische Ladung zum Strand hinüberzujagen. Die Streuwirkung dieser schwenkbaren Geschütze sorgte dafür, daß die Boote regelrecht zu Kleinholz zerhackt wurden. Einige der Schnapphähne, die sich inzwischen wieder aus den Höhlen gewagt und hinter Felsen verschanzt hatten, erlebten das Schauspiel mit. Sie erkannten sehr wohl, daß ihre Chancen durch den Verlust der Boote noch geringer geworden waren. Kein Wunder, daß sie ein lautes Wutgebrüll anstimmten. „Wie es aussieht, hocken einige der Kerle zwischen den Felsen neben dem Wasserfall“, sagte Don Gaspar. „Sie müssen wohl in der Beschußphase aus den Höhlen gekrochen sein. Am besten, wir streuen die Felsen mit einigen Drehbassenschüssen ab und jagen hinterher noch einige Culverinenkugeln in den Wasserfall.“ So geschah es auch. Der Stückmeister und seine Mannen hatten alle Hände voll zu tun. Die Drehbassen wurden erneut geladen, während die Culverinen, die für die Steilschüsse gerichtet waren, schon darauf warteten, wieder in Aktion zu treten. „Wir werden auf jeden Fall dafür sorgen, daß es dem Gesindel da oben nicht langweilig wird“, versprach Don Gaspar mit grimmigem Blick. „Sie werden vollauf damit beschäftigt sein, auf sich selber aufzupassen. An einen Abtransport der Truhen, Kisten und Fässer ist gar nicht zu denken.“ Der Erste lächelte. „Das werden sie schön sein lassen“, meinte er. „Sie hocken gewissermaßen auf einem Millionenschatz und können sogar mit den Händen darin herumwühlen, wenn es sie danach gelüstet, aber sie können nichts damit anfangen. Da oben in den Felsen
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gibt es nicht mal ein Stück Brot dafür zu kaufen.“ Don Gaspar nickte. „Nervlich wird das eine Strapaze für sie sein. Deshalb rechne ich ja damit, daß sie sich mehr und mehr zu unbedachten Handlungen hinreißen lassen.“ Der Erste rieb sich die Hände. „Vielleicht hat der ehrenwerte Senor Machado seinen Entschluß, sich den Deserteuren anzuschließen, schon bereut.“ „Da bin ich mir nicht so sicher“, entgegnete Don Gaspar. „Machado ist ein eiskalter und berechnender Bursche, der so leicht nicht aufgibt. Und bei solchen Mengen von Reichtümern ist er auch bereit, einiges zu riskieren. Nun ja, wir werden sehen.“ Der Stückmeister gab durch ein Handzeichen zu verstehen, daß die Geschütze einsatzbereit wären, und Don Gaspar hob abermals die Hand. „Feuer frei!“ Sofort begann das ohrenbetäubende Hacken und Fauchen der Drehbassen. Eisen und Blei zischten mit fürchterlicher Gewalt in die Felsen und setzte oben in der Steilwand eine Menge Gestein und Geröll in Bewegung. Staub wirbelte auf, zahlreiche Felssplitter fetzten durch die Luft. Über der „San Sebastian“ breitete sich grauschwarzer Pulverdampf aus, und über die Decks zog ein beißender Geruch.
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Mitten in das verheerende Drehbassenfeuer und in das Gebrüll der Schnapphähne hinein begannen zwei Culverinen der vorderen Backbordbreitseite aufzubrüllen. Ihre Kugeln verschwanden abermals in den grauen Wassermassen. Als die Geschütze wieder schwiegen, war das schrille Geschrei, das aus den Höhlen zu tönen schien, noch deutlicher zu hören. „Sollten wir diesmal wirklich einen Zufallstreffer in einen Höhleneingang platziert haben?“ fragte Don Gaspar. „Es hört sich fast danach an“, meinte der Erste. „Es scheint sich bei dem Gebrüll nicht nur um Wutgeschrei zu handeln. Ich vermute schon eher eine Panik.“ Die Überlegungen der beiden Männer wurden urplötzlich von einem grausigen Ereignis unterbrochen. Sie sahen deutlich, wie ein Mann ohne Kopf durch den Wasserfall flog und unten in die Fluten stürzte, die ihn mit sich fortrissen. Der Stückmeister, der wegen neuer Befehle zum Achterdeck aufgeentert war, blickte voller Grimm zu der Steilwand hinauf. „Der Spruch“, so meinte er, „daß es Unsinn sei, mit Kanonenkugeln nach Spatzen zu schießen, stimmt nicht, Senor Capitan. Jedenfalls nicht, wenn es sich bei den Spatzen um eiskalte Mörder handelt ...“
ENDE