Parker legt den Goldschatz frei Ein Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges Butler Parker war ...
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Parker legt den Goldschatz frei Ein Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges Butler Parker war äußerst irritiert. Er hatte gemessenen Schrittes das Obergeschoß des altehrwürdigen Fachwerkhauses erreicht und näherte sich zögernd dem Studio seiner Herrin. Lady Agatha Simpson hatte es sich vor geraumer Zeit mit allen Finessen modernster Schreib- und Bürotechnik einrichten lassen, um hier ihren schon lang geplanten Kriminal-Bestseller zu schreiben. Zu Parkers ehrlicher Überraschung war das fast schon wütende Tippen auf einer Schreibmaschine zu hören, ein Geräusch, das er bisher vermißt hatte, seitdem dieses Studio existierte. Die resolute ältere Dame schien also plötzlich und ohne jede Vorwarnung ihren Einstieg in das Manuskript gefunden zu haben. Parker, ein mittelgroßer, fast ein wenig untersetzt wirkender Mann undefinierbaren Alters, ausgestattet mit einem Pokergesicht, blieb nachdenklich stehen. Sollte er sich erkühnen, die Inspiration Lady Agathas zu stören? Hatte die Nachricht, die er überbringen wollte, nicht noch etwas Zeit? Bevor er einen Entschluß fassen konnte, öffnete sich die Tür des Studios. Agatha Simpson trat geradezu bühnenwirksam heraus, majestätisch und raumbeherrschend. Sie war eine stattliche Dame, die seit Jahren darauf verzichtete, ihren Geburtstag zu feiern, um an die sechzig herum zu bleiben, wie sie es ausdrückte. Sie besaß eine füllige, junonische Figur und ein leicht faltenreiches Gesicht, in dem die kühlen Adleraugen dominierten. Sie schien über mediale Fähigkeiten zu verfügen, denn das Hämmern ihrer Schreibmaschine war nach wie vor zu hören. »Tee, Mr. Parker«, forderte sie ungeduldig. »Ich hatte schon nach Ihnen geläutet.« »Dies muß meiner bescheidenen Wenigkeit entgangen sein«, entschuldigte sich Parker und deutete eine knappe, höfliche Verbeugung an. »Mylady mögen das entschuldigen.« »Ich glaube, ich bin in der richtigen Stimmung, mit dem Roman zu beginnen«, erklärte sie leutselig. Agatha Simpson verfügte über eine Stimme, die sich in Baß-Nähe befand. »Mylady schreiben bereits?« fragte Parker. »Ich stimme mich ein«, erwiderte sie barsch. »Ich brauche die2
ses Geräusch, aber als Laie verstehen Sie das nicht.« »Gewiß nicht, Mylady.« Parker verzog keine Miene. »Das Tippen kommt von einem Band«, fügte sie hinzu. »Damit ist Ihre nächste Frage bereits beantwortet, nicht wahr?« »Jeder Schriftsteller von Rang, Mylady, braucht sein ganz spezielles Stimulans«, antwortete der Butler in seiner gemessenen Art. »Braucht was?« Agatha Simpson war nun an der Reihe, ein wenig irritiert zu sein. »Anregungsmittel, Mylady. Ich darf in diesem Zusammenhang an einen gewissen deutschen Dichter erinnern, der in seiner Schreibtischschublade angefaulte Äpfel zu verwahren pflegte, die ihm erst das Schreiben ermöglichten.« »Seine Dichtungen müssen auch danach gewesen sein«, mokierte die ältere Dame sich. »Sie gehören zur Weltliteratur, Mylady. Es handelte sich um einen Herrn namens Schiller.« »Was hätte dieser Mann erst ohne diese faulen Apfel geschrieben«, urteilte Lady Agatha. »Also jetzt, den Tee!« »Umgehend, Mylady. Darf ich vorher den Besuch eines Professor Archibald Spelton melden?« »Archibald Spelton? Wer ist denn das?« Sie hatte sich abgewandt, drehte sich nun aber zurück zu Parker und musterte ihn stirnrunzelnd. »Ein bedeutender Archäologe, Mylady, der in Fachkreisen sogar als Koryphäe gilt.« »Als was?« Agatha Simpsons Stimme grollte. »Ein Fachgelehrter höchsten Ranges, Mylady.« »Natürlich! Ersparen Sie sich jede Belehrung, Mr. Parker! Was will dieser Ausgräber?« »Er möchte Mylady ein Ausgrabungsprojekt unterbreiten, das sich auf die sagenhafte Stadt Tartessos bezieht.« »Schnickschnack, Mr. Parker. Ich habe jetzt keine Zeit fürs Herumstochern in der Vergangenheit. Ich möchte endlich mit meinem Bestseller beginnen.« »Mylady gestatten meiner bescheidenen Person eine Bemerkung?« »Nur, wenn sie kurz ist.« »Falls ich Professor Spelton richtig verstanden habe, Mylady, dürfte es um einen Goldschatz gehen.« 3
»Um einen Goldschatz?« Agatha Simpsons Gesicht nahm einen wohlwollenden Ausdruck an. »Das klingt bedeutend besser. Was meinen Sie, Mr. Parker, ob sich hier vielleicht ein neuer Stoff für meinen nächsten Roman ankündigt?« »Solch eine Möglichkeit, Mylady, sollte man auf keinen Fall ausschließen.« »Lassen Sie diesen Mann kommen«, entschied Agatha Simpson, die passionierte Detektivin. »Für die Archäologie habe ich mich schon immer interessiert, wie Sie wissen. Laden Sie ihn zum Dinner ein! Diesem Mann soll geholfen werden!« * Diesem Mann war leider nicht mehr zu helfen! Chief-Superintendent McWarden, der Chef eines Sonderdezernats von Scotland Yard, erschien knapp eine Stunde nach diesem Gespräch im Stadthaus der Lady und machte einen sehr dienstlichen Eindruck. McWarden, etwa fünfzig Jahre alt, untersetzt, mit leichtem Bauchansatz, erinnerte an einen stets leicht gereizten Bullterrier, was seine Basedowaugen nur noch zusätzlich unterstrichen. Mit Lady Simpson und Butler Parker verband ihn eine Art Haßliebe, denn immer wieder mußte McWarden sich an dieses Duo wenden und um Unterstützung bitten, auf der anderen Seite war ihm nur zu gut bekannt, wie unkonventionell gerade Josuah Parker zu arbeiten pflegte. Der Butter interpretierte die bestehenden Gesetze nicht gerade engherzig, wie McWarden immer wieder feststellen mußte, Parker verließ sich auf seinen gesunden Menschenverstand, wenn gewisse Entscheidungen zu treffen waren. »Professor Spelton ist tot«, wieder holte McWarden noch mal. Er sah Josuah Parker an. »Darum konnte er sich auch nicht in seinem Hotel melden, wie Sie verstehen werden.« »Muß man davon ausgehen, Sir, daß Professor Spelton ermordet wurde?« erkundigte Parker sich. »Ermordet? Wie kommen Sie denn darauf?« McWarden tat sehr verwundert und wollte wieder mal besonders schlau sein. »Gibt es einen Anlaß für diese Vermutung?« »Ich muß außerordentlich bedauern, Sir.« Parker schüttelte andeutungsweise den Kopf. 4
»Es muß doch einen Grund geben, warum Sie an Mord glauben?« McWarden schob seinen Kopf vor und glich mehr denn je einem gereizten Bullterrier. »Dieser Grund, existiert in der Tat, Sir«, lautete Parkers Antwort jetzt. »Aha!« McWarden rang sich ein triumphierendes Lächeln ab. »Reden Sie schon. Mr. Parker! Lassen Sie die Katze aus dem Sack.« »Diese sprichwörtliche Katze, sind im übertragenen Sinn einzig und allein Sie.« Parkers Miene blieb ausdruckslos. »Wenn Sie diesem Haus die Ehre erweisen, um es mal so auszudrücken, Sir, dann steht in der Regel Mord im Haus, wie ein Astrologe sagen würde.« »Sie kommen doch nur immer dann vorbei, wenn Sie wieder mal in Schwierigkeiten stecken, junger Mann«, spottete die ältere Dame, die natürlich anwesend war. »Nun geben Sie’s schon zu, dieser Professor ist ermordet worden, oder?« »Okay«, schickte McWarden voraus. »Man fand ihn erschossen in einem Büro in der City.« »Das wem gehört?« fragte die Detektivin sofort. »Einem gewissen Tom Lenford«, gab der Chief-Superintendent zurück. »Machen Sie sich aber keine falschen Hoffnungen, Mylady! Dieser Tom Lenford ist seit gut einer Woche in Paris, wie wir bereits wissen. Das Opfer dürfte in sein Büro gelockt worden sein.« »Das besagt überhaupt nichts«, grollte Lady Agatha. »Sie lassen sich doch erfahrungsgemäß immer .schnell auf den Leim führen, McWarden. Wer ist dieser Tom Lenford?« »Und wie wurde das Opfer in dem erwähnten Büro gefunden?« fügte Parker hinzu. »Eigentlich durch einen dummen Zufall«, beantwortete McWarden zuerst mal die Frage des Butlers. »Lenford brauchte ein paar Unterlagen aus seinem Büro und schickte seine Sekretärin per Telefon ins Büro. Er hatte ihr eigentlich für eine Woche Urlaub gegeben. Und nun zu Ihrer Frage, Mylady: Mr. Lenford ist Finanzmakler. Sein Ruf ist tadellos.« »Wann gedachte Mr. Lenford zurück nach London zu kommen, Sir?« erkundigte Parker sich höflich. »In drei bis vier Tagen, Mr. Parker. Ohne diesen Zufall wäre der Mord solange unentdeckt geblieben.« 5
»Die Taschen des bedauernswerten Opfers wurden geleert, Sir?« Parker stellte diese Frage. »Der Professor wurde restlos ausgeplündert. Als er das Hotel verließ, hatte er eine Aktentasche bei sich. Auch sie wurde am Tatort nicht gefunden.« McWarden hob ratlos die Schultern. »Hierher zu Ihnen, Mylady, hat mich nur die Tatsache geführt, daß der Professor kurz vor seinem Weggang mit Ihnen telefoniert hatte.« »Mit mir, McWarden?« Agatha Simpson schaute den ChiefSuperintendent empört an, ihre Stimme grollte bereits: »Ich habe mit diesem Mann kein Wort gewechselt.« »Die Dame der Hoteltelefonzentrale ist anderer Meinung, Mylady. Eine Lady Simpson verlangte den Professor zu sprechen. Sie sagte dazu noch aus, daß der Professor etwa eine Viertelstunde vorher sich eine Verbindung mit Ihrem Haus geben ließ.« »Mr. Parker, was sagen wir dazu?« Die resolute Dame wandte sich an ihren Butler. »Ein Teil dieser Aussage stimmt durchaus, Mylady«, erwiderte der Butler gemessen. »Professor Spelton bat Mylady um eine Unterredung, wenn ich daran erinnern darf. Mylady haben jedoch auf keinen Fall zurückgerufen, wie ich mit Bestimmtheit erklären muß.« »Dann ist Spelton in eine Falle gelockt worden.« McWarden ging dieser Aussage nicht weiter nach. »Es stellt sich also die Frage, warum man ihn ermordete. Sie können mir nicht zufällig einen Tip geben, zu dem Sie übrigens nach geltendem Recht verpflichtet sind. Alles, was zur Aufklärung einer Straftat…« »Geschenkt, McWarden, geschenkt.« Agatha Simpson winkte gereizt ab. »Kommen Sie mir nicht immer mit diesem dummen Spruch! Sie wissen doch, daß ich mich streng an diese Verpflichtung halte, oder?« McWarden vertiefte diese Behauptung sicherheitshalber nicht. Er wußte nur zu gut, daß sie nicht stimmte. »Der Professor wurde nicht grundlos ermordet«, sagte er allerdings vorwurfsvoll. »Warum wollte er Sie sprechen, Mylady? Er muß doch irgendeine Andeutung gemacht haben.« »Dies, Sir, entspricht durchaus den Tatsachen«, schaltete Josuah Parker sich ein. »Professor Spelton wollte Mylady um einen finanziellen Beitrag für seine weiteren archäologischen Grabungen bitten, wie er am Telefon vage andeutete.« 6
»Richtig«, bestätigte die Detektivin und verzichtete ebenfalls darauf, den Goldschatz zu erwähnen. »Sie haben den Professor vorher nie gesehen oder gesprochen, Mylady?« »Niemals«, erwiderte die Hausherrin mit Nachruck. »Aber ich habe inzwischen eine Theorie, McWarden. Wollen Sie wissen, von wem er umgebracht worden ist?« McWarden unterdrückte einen Seufzer. Er kannte die kühnen Theorien der Lady Simpson nur zu gut. Sie besaß eine rege Phantasie, die an vielen gelesenen Kriminalromanen geschult war. »Professor Spelton ist von einem eifersüchtigen Konkurrenten ermordet worden«, sagte Lady Agatha bereits mit nachdrücklicher Stimme. »Man kennt das ja: Da muß es irgendeinen anderen Archäologen geben, der sich jetzt Speltons Federn an den Hut stecken wird.« »Vielen Dank für diesen Hinweis, Mylady«, rang McWarden sich gerade noch ab. »Teilen Sie Myladys Meinung, Mr. Parker?« »Dies, Sir, steht einem Butler nicht zu«, lautete Parkers reservierte Antwort. »Ich würde mir nie erlauben und verzeihen, eine Meinung Myladys zu billigen oder gar zu kritisieren.« * Sie kam nach etwa zehn Minuten zurück aus dem Hotel, in dem Professor Archibald Spelton abgestiegen war. Kathy Porter, die Sekretärin und Gesellschafterin der Lady Simpson glich einem scheuen, aber sehr attraktiven Reh. Sie war von normaler Größe, schlank und besaß all jene Rundungen, die eine Frau braucht, um sich wohl zu fühlen, Kathy Porter war fünfundzwanzig Jahre alt, hatte normalerweise kastanienrotes Haar, das sie jedoch nach ihrer jeweiligen Rolle, die sie spielte, geschickt zu manipulieren verstand. Kathy Porter, eine Meisterin in der Selbstverteidigung, war von Josuah Parker in die Kunst der Maske eingeweiht worden. Mit nur wenigen Hilfsmitteln brachte sie es fertig, sich innerhalb weniger Minuten zu verwandeln. Es blieb jedoch nicht bei diesen Äußerlichkeiten, nein, sie schlüpfte förmlich in die Haut der jeweiligen Person, die sie darstellen wollte. Stimme, Gestik und Kleidung waren dann stets perfekt. 7
Sie kam aus dem Hotel und achtete nicht auf Parkers hochbeinigen Wagen, der an der gegenüberliegenden Straßenseite stand. Sie ähnelte einer ältlichen Dame, die kurzsichtig war. Kathy Porter trug eine altmodische Brille, die sie sich auf der Nase zurechtrückte. Zögernd ging sie die Straße hinunter und verschwand wenig später in einem Buchladen. »Eindeutig, Mr. Parker«, stellte Agatha Simpson fest, die im Fond von Parkers Wagen saß. »Das Hotelzimmer ist bereits von der Polizei besetzt worden.« »Dies, Mylady, stand zu erwarten«, gab der Butler zurück. Er saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums, wie Freund und Gegner seinen Wagen bezeichneten. Es handelte sich um ein ehemaliges Londoner Taxi, das nach seinen eigenwilligen Vorstellungen und Plänen umgebaut worden war. Technisch gesehen war dieses Taxi jetzt eine gelungene Kreuzung aus einem Tourenwagen und einem robusten Geländefahrzeug. Darüber hinaus enthielt das Monstrum noch eine ganze Reihe von Zusatzeinrichtungen, die es zu einer raffinierten Trickkiste auf Rädern machten. Nach McWardens Weggang hatte Parker sich an Kathy Porter gewandt und sie gebeten, sich ein wenig im Hotel umzusehen. Nun wußte er Bescheid. Da der Chief-Superintendent kein Wort von einem Goldschatz erwähnt hatte, war davon auszugehen, daß er darüber nichts wußte. »Ob Speltons Mörder das Hotelzimmer bereits vor McWarden durchsucht haben?« erkundigte die ältere Dame sich. »Diese Tatsache sollte man unterstellen, Mylady«, antwortete der Butler. »Besagte Mörder dürften ganz eindeutig von der Existenz dieses Goldschatzes wissen.« »Dann gibt es jetzt zwei Möglichkeiten«, schloß Agatha Simpson messerscharf. »Ich hoffe, Sie widersprechen nicht.« »Dies, Mylady, würde meine Kompetenzen weit überschreiten.« »Es gibt also zwei Möglichkeiten«, wiederholte die Detektivin und wirkte ein wenig ratlos. »Nun sagen Sie schon, welche!« Sie wußte wieder mal nicht Bescheid, wie es so oft der Fall war, doch sie hätte es um keinen Preis der Welt zugegeben. »Wie Mylady bereits andeuteten, dürften die Unterlagen hinsichtlich des Goldschatzes bereits den Besitzer gewechselt haben, oder aber Professor Spelton war so vorsichtig und klug, sie vor dem Treffen mit seinem Mörder zu verstecken.« »Richtig«, bestätigte Lady Agatha wohlwollend und nickte. »Ge8
nau das meinte ich natürlich. Und für welche Möglichkeiten entscheide ich mich?« »Mylady werden den Mörder herausfordern und zwingen, das zu bekennen, was man gemeinhin Farbe nennt.« »Endlich haben Sie mich verstanden«, behauptete sie schamlos. »Es hat zwar lange genug gedauert, doch immerhin…« »Mylady mögen meine Begriffsstutzigkeit verzeihen«, gab Parker höflich zurück. »Darf ich jetzt um Myladys weitere Anordnungen bitten?« »Wieso Anordnungen?« Die Sechzigjährige grollte schon wieder, denn sie wußte nicht, was sie anordnen sollte. »Anordnungen im Hinblick auf das weitere Vorgehen, Mylady.« »Du liebe Zeit!« schickte sie voraus. »Muß ich mich denn um jedes unwichtige Detail kümmern? Sorgen Sie gefälligst dafür, daß dieser Mörder Farbe bekennt! Ich habe schließlich andere Sorgen.« Welcher Art diese Sorgen waren, sagte sie selbstverständlich nicht, doch das wunderte Butler Parker schon lange nicht mehr. Lady Agatha suchte und fand gern Ausflüchte, wenn sie konkret werden sollte. »Falls ich Mylady richtig verstanden habe, wollen Mylady den Mörder herausfordern und einem ersten Test unterziehen.« »Endlich haben Sie mich verstanden.« Die Detektivin nickte erleichtert. »Mylady hoffen auf einen Verfolger«, redete Parker weiter. »Natürlich. Falls er über den Goldschatz nichts weiß, wird er sich natürlich mit mir beschäftigen«, gab sie aufatmend zurück. Endlich war ihr klar geworden, was Parker bisher angedeutet hatte. »Vielleicht nimmt er dann an, daß ich etwas über diesen Goldschatz weiß. Warum fahren Sie nicht endlich los, Mr. Parker? Ich beginne mich bereits zu langweilen.« Schon nach wenigen Minuten wußte Parker, daß sie tatsächlich verfolgt wurden, doch er hütete sich, Mylady bereits schon jetzt zu informieren. Man befand sich immerhin noch in der City von London, und Agatha Simpson hätte sich ganz sicher nicht gescheut, bereits hier zum Angriff überzugehen. *
9
Der Fahrer am Steuer des Ford trug natürlich eine Sonnenbrille, obwohl die Stadt gerade an diesem Mittag von der Sonne nicht sonderlich verwöhnt wurde. Es war ein ziemlich kühler und trüber Tag, der das Tragen einer Sonnenbrille auf keinen Fall nötig machte. Nach Parkers Schätzung war der Fahrer des Ford etwa dreißig Jahre alt. Er folgte seit zehn Minuten beharrlich und benutzte alle Seiten- und Nebenstraßen, die Parker mit seinem hochbeinigen Monstrum befuhr. Daß dieser Mann mit Speltons Mörder in irgendeiner Verbindung stand, lag für Parker auf der Hand. Um sich mit diesem Verfolger näher befassen zu können, lockte Parker ihn unmerklich in die Nähe von Kensington Garden, wo er den Wagen vor dem Londoner Museum stoppte. Mylady protestierte augenblicklich. »Sie wollen mir doch hoffentlich nicht den Besuch eines Museums zumuten?« fragte sie grimmig. »So etwas wäre genau das, was ich jetzt nicht brauche.« »Ich möchte mir gestatten, Mylady einen ersten Verfolger zu präsentieren«, erwiderte Parker gemessen. »Verfolger? Wir werden verfolgt?« Nun klang ihre Stimme sofort freudig erregt. »Von einem relativ jungen Mann, Mylady, der einen Ford benutzt.« »Ach, den also meinen Sie!?« Sie tat so, als sei das nichts Neues für sie, obwohl sie keine Ahnung hatte. »In der Tat, Mylady. Darf ich mir die Freiheit nehmen, Mylady zu begleiten?« »Nur, wenn Sie sich nicht wieder störend einmischen, Mr. Parker.« Die resolute Dame nickte huldvoll, als Parker den hinteren Wagenschlag öffnete und dabei höflich seine schwarze Melone lüftete. Er legte sich den bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms über den angewinkelten linken Unterarm und wartete, bis Myladys Füße den Boden erreicht hatten. Während er die Wagentür schloß, sah er sich verstohlen nach dem Verfolger um. Der Dreißigjährige war ebenfalls schon ausgestiegen und trug eine dunkle Aktentasche. Er gab sich seriös und sah aus wie ein junger Bankier. Er folgte Mylady und Parker, die zum Round Pond hinüberschritten. In Anbetracht des nicht gerade heiteren Wetters war der Fuß10
weg dort hinüber zum Teich nicht übervölkert. Es gab nur wenige Spaziergänger. Parker dirigierte seine Herrin unauffällig zu einer Nische, die von mannshohen Taxushecken gebildet wurde. Er rechnete damit, daß der Verfolger seine Chance nutzte… Und wie er sie nutzte! Er war plötzlich dicht hinter Mylady und Parker und nahm seine Aktentasche unter den linken Arm. »Eine falsche Bewegung, und es wird kaum knallen«, sagte er mit scharfer Stimme. »Drehen Sie sich nicht um, gehen Sie ‘rein in die Nische!« Natürlich wandte Agatha Simpson sich um und musterte den jungen Mann, der einen ziemlich nervösen Eindruck machte. »Was soll das heißen, junger Mann?« fuhr sie ihn an. »Ist das etwa ein Überfall?« »Nicht direkt, aber ich werde schießen, wenn Sie nicht parieren!« Während er redete, hob er die Schmalseite seiner Aktentasche zusätzlich an. »Womit wollen Sie schießen?« erkundigte Agatha Simpson sich. Angst hatte sie überhaupt nicht. »Sie wollen sich mit einer alten und hilflosen Frau anlegen?« Die angeblich alte und hilflose Frau ließ ihren Pompadour pendeln. Es handelte sich um einen ansehnlichen Handbeutel, der an starken Schnüren mit ihrem Gelenk verbunden war. Dieser Pompadour, längst aus der Mode gekommen, mit Perlen bestickt, barg ein Geheimnis, nämlich Myladys »Glücksbringer«. Dabei handelte es sich um ein echtes Pferdehufeisen, das aus Gründen der Humanität immer mit Schaumstoff umwickelt war, wenngleich dieser Schaumstoff recht dünn ausgefallen war. Von diesem Geheimnis wußte der Mann allerdings nicht, er achtete auch nicht weiter auf den unmodisch aussehenden Handbeutel. »Hier in der Aktentasche steckt ein Revolver«, warnte der Verfolger mit leicht heiserer Stimme. »Und ein Schalldämpfer ist ebenfalls vorhanden. Gehen Sie schon endlich!« »Man sollte dieser Aufforderung vielleicht Rechnung tragen, Mylady«, schaltete Parker sich vermittelnd ein. »Ich führe kein Bargeld mit mir, junger Mann«, grollte Lady Agatha. »Und wie sieht es bei Ihnen aus, Mr. Parker?« »Ich könnte etwa mit zehn Pfund dienen, Mylady«, gab Parker zurück und schob sich so in die Nische, daß seine Herrin ungewollt mitkommen mußte. 11
»Ich will Ihr Geld nicht«, sagte der junge Mann. »Ich will eine Information. Und ich werde schießen, wenn ich sie nicht sofort bekomme!« »Um welche Information handelt es sich, wenn man fragen darf?« Parker zweifelte keinen Moment daran, daß der Dreißigjährige es ernst meinte. Er hatte sich die Augen des Mannes angesehen. Sie waren kalt und eisgrau. Zudem schien der Mann seine Nervosität inzwischen überwunden zu haben. »Wo sind die Unterlagen, die Professor Spelton Ihnen gegeben hat?« fragte der Mann. »Sie gehören mir – mir allein. Und ich will sie zurückhaben.« »Unterlagen, junger Mann?« die Detektivin schüttelte den Kopf. »Ich weiß von ihm, daß er sie an Sie abgeschickt hat! Er hat einen Taxifahrer damit beauftragt.« »Warum weiß ich davon nichts, Mr. Parker?« Agatha Simpson sah ihren Butler mißbilligend an. Wahrscheinlich glaubte sie an dieses Päckchen, wogegen Parker im Augenblick nichts einzuwenden hatte. »Mylady mögen meinen Fehler entschuldigen«, sagte er höflich. »In Anbetracht der Tatsache, daß Mylady sich entschlossen, der City einen Besuch abzustatten, hielt ich das Überbringen des Päckchens nicht für sehr dringend.« »Papperlapapp, Mr. Parker«, raunzte sie los. »Diese Unterlagen haben bestimmt etwas mit dem Schatz…« Sie beendete ihren Satz nicht, sondern räusperte sich scharf und schaute dann auf eine Art graue Maus, die sich auf zwei Beinen bewegte. Sie mochte eine alte, introvertierte Jungfer sein, die sich zögernd der Nische näherte und genau in Richtung des jungen Mannes steuerte, der sie ebenfalls schon bemerkt hatte. Diese alte Jungfer trug einen zu weiten und zu langen Regenmantel aus billigem Stoff, zudem eine Zumutung von Hütchen. »Sie haben etwas verloren«, sagte das späte Mädchen zu dem jungen Mann und reichte ihm einen Briefumschlag. »Ich habe es genau gesehen. Sie sollten auf Ihre Sachen besser aufpassen.« Sie reichte ihm den Brief, den er ungeduldig an sich riß. Bruchteile von Sekunden später verdrehte der junge Mann die Augen, schielte Mylady gründlich an und ließ sich zu ihren Füßen nieder. * 12
»Sie sind wieder mal etwas voreilig gewesen, Kindchen«, tadelte Agatha Simpson die alte Jungfer, doch ohne sonderlichen Nachdruck. Kathy Porter, die selbstverständlich mit dem späten Mädchen identisch war, nahm im Grund die Stellung einer leiblichen! Tochter der älteren Dame ein. »Ein korrekt und gut geführter Schlag«, kommentierte Josuah Parker und schaute auf den jungen Mann hinunter, der sich inzwischen wohlig ausgestreckt hatte und ein Schläfchen hielt. »Wenn Mylady gestatten, werde ich mich jetzt mit dem Tascheninhalt des Mannes beschäftigen.« »Schauen Sie vor allen Dingen in der Aktentasche nach«, warf Agatha Simpson ein. »Ich möchte doch wissen, ob er da wirklich einen Revolver eingebaut hat.« Er hatte! Die Schußwaffe war geschickt festgeklammert worden. Die Mündung befand sich dicht vor einem kleinen, kreisrunden Einschnitt im Leder der Tasche. Der Stecher war mit einem Stück Stahlband verlängert worden, das unten aus dem Taschenboden ragte. Der Verfolger hätte also ohne weiteres abdrücken können und wäre mit Sicherheit dabei nicht beobachtet worden. Auf dem Lauf des Revolvers befand sich ein moderner Schalldämpfer, der jedes unnötige Geräusch verschluckt hätte. »Diesen Flegel werden wir mit nach Hause nehmen«, entschied Lady Agatha grimmig. »Er kann sich auf einiges gefaßt machen!« Butler Parker ging auf diese Feststellung nicht ein. Er durchsuchte jetzt die Anzugtaschen des Verfolgers, wurde jedoch nicht fündig, womit er bereits gerechnet hatte. Dieser junge Mann hatte vor seiner Verfolgung alle Taschen gründlich geleert, um im Fall eines Falles nicht identifiziert werden zu können. Man hatte es also durchaus mit einem Profi zu tun, der die Gesetze seiner Branche kannte. Und ob er Profi war! Er war inzwischen wieder zu sich gekommen, doch er zeigte es nicht. Er blieb regungslos liegen und wartete den günstigsten Zeitpunkt ab. Plötzlich aber sprang er hoch und legte sich ausgerechnet mit Lady Simpson an. Er wollte sie mit dem Kopf rammen, zur Seite werfen und dann auf die weiten Rasenflächen flüchten. Es zeigte sich jedoch, daß die zur Fülle neigende Dame keines13
wegs unbeweglich war. Sie wich geschickt aus und entging dem harten Kopfstoß. Der junge Mann, der mit Widerstand gerechnet hatte, geriet leicht aus dem Gleichgewicht, stolperte, raffte sich wieder auf und rannte dann los. Er entwickelte dabei ein beachtliches Tempo, wie Butler Parker feststellte. Kathy Porter wollte sofort die Verfolgung aufnehmen, doch Agatha Simpson schüttelte energisch den Kopf. Sie wollte diese Flucht wieder mal nach ihrer sehr persönlichen Vorstellung beenden. Sie bewegte den perlenbestickten Pompadour wie eine südamerikanische Bola über ihrem Kopf, nahm Maß und ließ dann die Schnüre los. Der Pompadour löste sich aus ihrer Hand, zischte durch die Luft und flog hinter dem jungen Mann her, der bereits fünfzehn Meter gewonnen hatte. Er hielt sich zuerst an die geplante Flugbahn, taumelte dann jedoch ein wenig, beschrieb einen leichten Bogen und rauschte dicht am Kopf des Flüchtenden vorbei, der von dieser Bedrohung bisher nichts bemerkt hatte. Die seitliche Flugbahnverschiebung des Pompadours nahm zu. Myladys »Glücksbringer« schien geradezu magnetisch von einem Mann angezogen zu werden, der hinter einem Strauch aufgetaucht war und sich um den Flüchtenden kümmern wollte. Dieser Mann hatte die Absicht, dem jungen Mann den Fluchtweg abzuschneiden. Es blieb bei dieser Absicht! Der Pompadour, inzwischen an seinem Ziel angekommen, schlug ein. Der Mann, der helfend und klärend eingreifen wollte, machte zwar im letzten Moment noch eine Art Abwehrbewegung, doch er konnte den Pompadour nicht mehr stoppen. Getroffen am Kopf, vollführte der Hilfsbereite einen halben Salto vorwärts und klatschte dann auf den Rasen. »Was für ein Dummkopf!« Myladys Stimme klang entrüstet. »Haben Sie gesehen Mr. Parker, wie er den Pompadour gebremst hat?« »Gewiß, Mylady.« Parkers Gesicht blieb unbeweglich. »Ich hätte diesen Gangster nämlich noch erwischt«, behauptete die ältere Dame. »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Mylady«, übertrieb Josuah Parker höflich. »Ich werde diesen Saboteur zur Rechenschaft ziehen«, räso14
nierte Agatha Simpson. »Ich wette, Mr. Parker, daß er sich absichtlich in die Flugbahn geworfen hat.« »Man sollte auch diese Möglichkeit nicht außer acht lassen.« Parkers Gesicht zeigte noch nicht mal die Andeutung eines etwa ironischen Lächelns. Er sah dem Flüchtenden nicht weiter nach der inzwischen den Round Pond erreicht hatte und sofort hinter Sträuchern verschwand. Parker hielt es jedoch für anspracht, sich um den Getroffenen zu kümmern, der gerade Anstalten traf, um versuchsweise aufzustehen. Sein Pflichtgefühl als Untertan der Krone trieb ihn dazu, einem Mitbürger zu helfen der wahrscheinlich zum Sonderdezernat eines gewissen Chef-Superintendent McWarden gehörte. * Butler Parker hatte das bedauernswerte Opfer richtig eingeschätzt, wie sich bald herausstellte. Der von Myladys Glücksbringer Getroffene machte noch einen leicht benommenen Eindruck, als Parker ihm auf die Beine half. »Was… Was ist passiert?« fragte er mit belegter Stimme. »Diese Frage beschäftigt auch Mylady und meine bescheidene Wenigkeit«, schwindelte der Butler. »Sie fühlten sich aus irgendeinem, mir unerfindlichen Anlaß sportlich motiviert, wie ich es ausdrücken möchte.« »Aha!« Der Getroffene verstand kaum etwas von dem, was Parker gesagt hatte, griff dafür aber nach der Stelle, wo ihn der Pompadour voll erwischt hatte. »Mich… Mich muß etwas getroffen haben.« »Möglicherweise ein Stein«, schlug Parker vor. »Möchten Sie sich mit Ihrer Dienststelle in Verbindung setzen?« »Mit… Mit meiner Dienststelle?« Der Getroffene tat ahnungslos. »Ich möchte unterstellen, Sir, daß Sie einer Polizeibehörde angehören.« Parker reichte dem Mann ein kleines Funksprechgerät und den Polizeiausweis. Beide Gegenstände waren auf fast geheimnisvolle Art und Weise in seinen Besitz geraten. Nun, Josuah Parkers Fingerfertigkeit hatte schon häufig Profis der Taschendiebstahlbranche in Erstaunen versetzt. Auch in diesem Fall hatte er sich ein wenig versucht und natürlich auch Erfolg gehabt. Er wußte inzwischen, daß er es mit einem Sergeant 15
der Detektivabteilung zu tun hatte. »Wo… Woher haben Sie denn das?« staunte der Getroffene. »Dies muß Ihnen aus diversen Taschen gefallen sein, Sir«, gab Parker höflich zurück. »Darf ich fragen, ob Sie den Park dienstlich aufgesucht haben?« »Dazu… Dazu kann ich mich nicht äußern.« Der Mann hatte endlich wieder die Übersicht zurückgewonnen und wurde mißtrauisch. »Dann sollten Sie aber auf jeden Fall Chief-Superintendent McWarden verständigen«, sagte Parker. »Ähem«, lautete die etwas vage Antwort des Mannes. Er schaltete das kleine, aber leistungsstarke Funksprechgerät ein, ging ein paar Schritte zur Seite und setzte seinen Funkspruch ab. Diskret, wie Parker es nun mal war, ging er inzwischen zu Lady Simpson und brachte ihr die Wurfwaffe zurück. »Hat dieser Unglücksrabe sich wenigstens entschuldigt?« wollte die Detektivin wissen. »Entschuldigt, Mylady?« Parkers Stimme drückte leichte Überraschung aus, was schon recht ungewöhnlich war. »Er hat immerhin meinen Pompadour abgelenkt«, gab Lady Agatha grollend zurück. »Ohne seine Ungeschicklichkeit hätte ich den Gangster noch gut erwischt.« »Der Detektiv-Sergeant, Mylady, steht noch unter einer leichten Schockeinwirkung«, erklärte Parker, der dieses Thema auf keinen Fall vertiefen wollte. »Mylady sollten ihm diese Unhöflichkeit vielleicht ein wenig nachsehen.« »Ich bin nicht rechthaberisch oder nachtragend«, behauptete Lady Agatha mit unschuldiger Miene. »Keiner weiß das besser als Sie, Mr. Parker. Also, Schwamm drüber!« »Eine weise Entscheidung, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf.« »Warum stehen wir hier noch herum?« fragte Agatha Simpson unternehmungslustig. »Inzwischen müßten Speltons Unterlagen ja zu Hause abgeliefert worden sein.« »Wie Mylady meinen.« »Sie glauben etwa nicht an die Existenz dieser Unterlagen?« Sie sah ihn scharf an. »Daß Sie sie nicht haben, war mir natürlich klar, aber es muß sie geben, denke ich.« »Es muß sie in der Tat geben, Mylady.« »Dieser Satz klingt nach einer Einschränkung.« 16
»Professor Spelton dürfte sie auf keinen Fall einem Taxifahrer oder der Post anvertraut haben, Mylady. Dazu sind sie zu wichtig.« »Dann hat er seinen Mörder also belogen?« »Mit letzter Sicherheit, Mylady.« »Aber die Gangster glauben jetzt, daß ich sie habe, nicht wahr?« Während die Detektivin noch sprach, funkelten ihre Augen. Sie machte einen unternehmungslustigen und animierten Eindruck. Mylady witterte wieder mal jene Aktivität, die sie so sehr schätzte. »Ob es sich um einen oder gar um mehrere Gangster handelt, Mylady, läßt sich zur Zeit leider nicht beantworten«, schickte Parker voraus. »Aber Mylady dürften in das Blickfeld speziellen Interesses gerückt sein, da man bei Mylady die gesuchten Unterlagen vermutet.« »Das sage ich doch die ganze Zeit, Mr. Parker!« Sie seufzte. »Sie wissen natürlich was wir jetzt tun werden, oder?« »Ich erlaube mir, es zu erraten, Mylady.« »Dann besorgen Sie Flugtickets«, entschied Parkers Herrin energisch. »Wohin wir auch fliegen werden, die Gangster und Mörder werden uns folgen.« »Damit ist allerdings fest zu rechnen, Mylady. Man wird mit allen Mitteln versuchen, an die Unterlagen heranzukommen.« »Das hört sich sehr erfreulich an.« Sie nickte zufrieden. »Was ich noch sagen wollte, Mr. Parker, wohin geht der Flug eigentlich? Wo, sagten Sie, soll dieser Goldschatz liegen?« »In Tartessos, Mylady.« »Aha.« Sie nickte verständnisvoll. »Griechenland, also!« »Südspanien, Mylady«, korrigierte der Butler höflich. »Hierzu wäre anzumerken, daß die Lage dieser sagenumwobenen Stadt noch unbekannt ist.« »Ersparen Sie mir unwichtige Details«, raunzte die Detektivin. »Dann werden wir dieses Tartessos eben finden. Kümmern Sie sich darum!« * Kathy Porter hatte sich wieder mal gründlich verwandelt. Am Steuer des Mini Cooper, der einem Ford folgte, saß eine 17
junge, lebenslustig aussehende Frau, die honiggelbes Haar hatte, das bis auf ihre Schultern herabfiel. Diese junge Frau trug eine bunt gestickte Jeans-Weste und einen Rock. Kathy Porter hatte sich gleich nach der Flucht des Gangsters an die Verfolgung gemacht und war in weitem Bogen zurück zum Parkplatz des Museums gefahren, wo ihr Mini Cooper stand. Sie war schneller gewesen als der Gangster, der erst einige Minuten nach ihr neben seinem Ford eingetroffen war. Die Verfolgung dauerte schon eine Viertelstunde. Der Gangster, der Mylady und den Butler bedroht hatte, kurvte durch die Straßen der City und schien sich Zeit zu lassen. Kathy Porter sorgte natürlich dafür, daß sie nicht auf Anhieb als Verfolgerin erkannt wurde. Sie ließ immer wieder andere Wagen überholen und hielt auf den richtigen Abstand. Dennoch wußte sie nicht zu sagen, ob der Gangster sie bereits als Verfolgerin ausgemacht hatte. Nun schien der Fahrer des Ford sich aber für ein Ziel entschieden zu haben. Er überquerte die Themse und steuerte eindeutig Waterloo-Station an. Hier hielt er in einer engen Seitenstraße vor einer einfachen Hotelpension und stieg aus. Kathy Porter fuhr selbstverständlich weiter und bog in eine Seitenstraße ab. Erst hier hielt auch sie an und streifte sich einen einfachen Trenchcoat über. Nachdem sie sich ein buntes Kopftuch umgebunden hatte, war sie erneut in eine andere Haut geschlüpft und nicht mehr wiederzuerkennen. Sie schlenderte zurück zur Hotelpension, entrollte dabei ein Einkaufsnetz und war nur noch Hausfrau, die einige Einkäufe tätigen wollte. Sie betrat wie selbstverständlich die winzig kleine Empfangshalle der Hotelpension und benutzte noch mal ihren altbewährten Trick. Sie wandte sich an den muffig aussehenden Portier, der hinter einer etwas zu hohen Empfangstheke saß. »Hier ist gerade ein Mann ‘reingegangen, der was verloren hat«, sagte sie und hielt einen leeren Briefumschlag hoch. »Wo kann ich ihn finden?« »Meinen Sie Les Paulsen?« fragte der Portier ohne viel Interesse. »Das weiß ich doch nicht. Ich weiß nur, daß der junge Mann aus ‘nem Ford geklettert und hier ‘reingegangen ist.« »Geben Sie ihn her, ich bring ihn ‘rauf oder so.« Der Portier streckte seine Hand nach dem Briefumschlag aus. »Nee, is’ nicht.« Kathy Porter benutzte einen leichten Slang und 18
lachte ironisch. »Damit Sie die Belohnung kassieren, wie?« »Zweite Etage, Zimmer 34«, sagte der Portier lakonisch. »Geh’n Sie selbst ‘rauf, is’ mir zu hoch.« Kathy nickte und ging zur Treppe, die ins Haus führte. Sie war eng und steil. Die Tapeten an den Wänden schrien förmlich nach Hausputz oder gar nach einem Umtausch gegen neue. Kathy erreichte die zweite Etage und fand gleich neben der Treppe das angegebene Zimmer. Sie legte ihr Ohr gegen die Türfüllung und horchte. Sie hörte zwei Männerstimmen, konnte jedoch kein Wort verstehen. Die beiden Männer aber, die sich miteinander unterhielten, schienen äußerst schlechter Stimmung zu sein. Ihre Stimmen klangen gereizt. Kathy Porter ließ es darauf ankommen. Sehr vorsichtig bewegte sie den Türknauf und schob millimeterweise die Tür auf. Sie hatte Glück, denn die Tür war nicht verschlossen, die Türangeln waren sogar gut geschmiert. Nachdem sie das Türblatt um etwa einen Zentimeter aufgedrückt hatte, legte Kathy eine kleine Wartepause ein. Sie war daran interessiert zu erfahren, was die beiden Männer sich zu sagen hatten. »… mir bloß nichts vom Pferd«, hörte sie eine rauhe Stimme. »Du hast dich ‘reinlegen lassen, Les. Die Story von dem Karatemädchen nehm ich dir nicht ab!« »Und ob’s die gibt, Bill.« Les Paulsens Stimme klang empört. »Ich spür ja jetzt noch den Schlag. Warum sollte ich dir was vormachen?« »Weil du Mist gebaut hast und es nicht zugeben willst. Darum!« »Du wärst genauso auf sie ‘reingefallen, Bill.« »Ich?« Der Mann, der Bill hieß, lachte spöttisch. »Die Frau, die mich ‘reinlegt und umhaut, die Frau muß erst noch geboren werden.« Kathy hatte die Tür wieder geschlossen und klopfte jetzt sehr dienstlich und energisch an. Gleichzeitig behauptete sie, sie sei das Zimmermädchen und bringe frische Handtücher. Sie hörte Schritte, die sich der Tür näherten. Dann wurde diese Tür aufgerissen, und Kathy sah sich einem untersetzten, breitschultrigen Mann gegenüber. Dieser Mann wußte eine Sekunde später, daß die Frau, von der er gesprochen hatte, bereits geboren worden war…
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* Sie stieg über den am Boden liegenden Bill hinweg und richtete den Lauf der Pistole auf Les Paulsen, der Kathy Porter entgeistert anstarrte. Die Waffe stammte aus Bills Schulterhalfter. Kathy Porter hatte sich selbst bedient. »Wer sind Sie?« fragte der junge Mann mit belegter, fast heiserer Stimme. »Die Frau, die Bill Ihnen nicht glauben wollte«, erwiderte Kathy Porter freundlich. »Nein, bitte, Mr. Paulsen, machen Sie keine unbedachten Bewegungen.« »Sie… Sie sind…?« »Die junge Frau aus dem Park«, antwortete Kathy. »Ich bin sicher, daß Sie sich erinnern werden.« »Und ob!« Les Paulsen nickte. »Was… Was wollen Sie?« »Ich möchte mir Ihr Gepäck ansehen«, gab sie zurück. »Drehen Sie sich um, bitte!« »Was haben Sie vor?« Er hatte seine erste Überraschung inzwischen verdaut und bemühte sich um Arglosigkeit, doch seine Augen redeten eine erheblich andere Sprache. Diesmal wollte er sie hereinlegen. Er war fest entschlossen, eine gewisse Scharte auszuwetzen. Kathy Porter ließ sich nur zu gern auf dieses kleine Spiel ein, um einige Dinge schnell hinter sich zu bringen. Sie tat ebenfalls arglos, doch sie war so geschickt, ihre Augen daran zu beteiligen. Sie schien keinen Angriff zu erwarten, der umgehend erfolgte. Les Paulsen glaubte an seine Chance und warf sich vor. Nun wollte er einen Handkantenschlag anbringen. Er war sich seiner Sache derart sicher, daß er noch nicht mal fingierte. Er holte aus und durchtrennte mit seinem Schlag die Luft. Er wurde nach vom gerissen und passierte dabei Kathy Porter, die elegant zurückgewichen war. Sie benutzte zuerst ihren linken Ellbogen, dann die Hand. Les Paulsen schnaufte unterdrückt, japste dann wie ein Hund und streckte sich anschließend auf dem abgetretenen Teppich aus. Er war so höflich, sich neben seinen Partner Bill zu legen. Kathy Porter benahm sich anschließend reichlich unkonventionell. Sie befaßte sich mit den Hosen der beiden Männer und zerrte sie ihnen von den Beinen. Sie trug sie an eines der beiden 20
Fenster und… warf sie hinunter auf ein sich ans Gebäude anschließendes Flachdach. Anschließend ließ sie den an sich spärlichen Inhalt des Kleiderschrankes folgen, in dem die beiden Männer je einen weiteren Anzug aufgehängt hatten. Sie arbeitete schnell und präzise. Kathy Porter durchsuchte die Innentaschen der Jacketts der beiden Gangster, stopfte einige gefundene Dinge in einen schwarzen Aktenkoffer, der am Fußende des Doppelbettes lag, und öffnete die Schublade einer Kommode, fand hier aber nichts, um dann anschließend zur Tür zu eilen. Die beiden Männer rührten sich bereits und kamen wieder zu sich. In der halb geöffneten Tür blieb sie stehen und wartete, bis die beiden Gangster endgültig wieder wach waren. Sie stöhnten zwar noch ein wenig, richteten sich aber auf und entdeckten Kathy in der Tür. Sie wirkte aufreizend. Die beiden Männer brachten sich noch auf die Beine und übersahen in ihrem wilden Eifer, daß sie hosenfrei waren. Sie hatten nur den einen Wunsch, sich noch mit ihrer Besucherin zu befassen. Wahrscheinlich wollten sie sie erwürgen, wie es vor allen Dingen Gangster Bill recht deutlich ausdrückte. Kathy Porter stieß einen schrillen Schrei aus, als fürchte sie sich zu Tod, wandte sich um und ergriff die Flucht. Sie sorgte selbstverständlich immer für den richtigen Abstand zu ihren Verfolgern, denn sie hatte das Gefühl, daß der Wunsch nach ihrem Erwürgen keineswegs nur als Drohung gemeint war. Der Portier im Erdgeschoß hatte ihren spitzen Schrei gehört und erwartete Kathy Porter an der Treppe. »Zwei Wahnsinnige«, keuchte Kathy, als sie den irritierten Mann passierte. Sie lief hinüber zur Eingangstür und hörte hinter sich ein Scheppern und Krachen. Sie legte eine kleine Wartepause ein, drehte sich um und entdeckte den Portier inmitten der Trümmer und Scherben einer großen Bodenvase. Die beiden Verfolger aber rannten auf sie zu, gewannen an Boden und dampften förmlich vor Wut und Rache. Kathy Porter schlüpfte ins Freie und warf hinter sich die Glastür zu. Dadurch gewann sie etwas an Vorsprung, blieb auf der Straße stehen und setzte sich erst wieder in Bewegung, als die beiden hosenlosen Verfolger auf die Straße stürmten. Genau das hatte sie gewollt. 21
Kathy produzierte weitere spitze und grelle Schreie, rannte an verdutzten und teilweise auch amüsierten Passanten vorbei, deren Verblüffung mit den beiden Verfolgern zusammenhing. Sie sahen aber auch wirklich neckisch aus. Mit flatternden Hemden und nackten Beinen und auf Socken präsentierten sie sich einem staunenden Publikum. Die Londoner, die normalerweise auf keine Extravaganz zu reagieren pflegen, kratzten diesmal allerdings am Lack ihres Rufes: Sie blieben nicht nur stehen, sie kommentierten diese Verfolgung sogar mit meist unpassenden oder auch ironischen Bemerkungen. Bis ein ahnungsloser Bobby auf der Bildfläche erschien. Er kam aus einer Seitenstraße und rieb sich die Augen. Dann warf er sich zwischen Kathy Porter und die beiden hosenlosen Verfolger. Er hätte es besser nicht getan. Der gute Mann wurde geradezu überrannt, nahm das sichtlich übel und trillerte auf seiner Signalpfeife, bevor er sich seinerseits an die Verfolgung machte. Er rief den beiden Männern energisch zu, sie sollten möglichst umgehend und sofort stehen bleiben, doch diese Aufforderung wurde nicht zur Kenntnis genommen. Angefeuert von Passanten, die höflich eine Art Fluchtweg oder Gasse bildeten, hetzte der Bobby hinter den Hosenlosen her, seinerseits verfolgt von einigen jüngeren Leuten, die den Anschluß nicht verpassen wollten. Zuerst lief Kathy Porter, dann folgten die beiden Hosenlosen, dann der Bobby und schließlich eine Gruppe von leichtfüßigen und jungen Sprintern, deren Zahl ständig anschwoll. Nach oberflächlicher Schätzung betrug sie inzwischen über ein gutes Dutzend, und diese Zahl nahm ständig zu. Inzwischen hatten die beiden Gangster natürlich bemerkt, daß man ihre Kleidung nicht gerade als korrekt bezeichnen konnte. Sie genierten sich plötzlich und versuchten dem allgemeinen Interesse zu entgehen. Sie bogen in einen kleinen Park ab und suchten den Schutz der Sträucher, was aber nichts einbrachte. Weitere Bobbys waren erschienen, trillerten und jagten mit. Es kam zu einer Art Kesseltreiben im Park, bis die beiden Hosenlosen endlich gestellt werden konnten. Sie ergaben sich nach kurzen Kampf und baten keuchend um schützende Tücher oder Decken, womit die Uniformierten aber im Augenblick nicht dienen konnten. 22
Kathy Porter zerrte sich im Schutz eines parkenden Lastwagens den Trenchcoat vom Leib, riß das Kopftuch ab und setzte sich eine Sonnenbrille auf. Sie wartete, bis die sie verfolgenden Passanten in einer Nebenstraße verschwunden waren. Dann schlenderte sie zurück in Richtung Park, wo inzwischen zwei Streifenwagen der Polizei standen. Die beiden Gangster wurden gerade in einem Wagen verstaut, wogegen Kathy nichts einzuwenden hatte. Ihr Plan war ja schließlich voll und ganz geglückt: Die beiden Gangster landeten jetzt erst mal in einer Zelle und hatten wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses mit weiteren Schwierigkeiten zu rechnen. Sie konnten für die nächsten vierundzwanzig oder achtundvierzig Stunden auf keinen Fall mehr aktiv werden. * »Ich komme zufällig vorbei«, behauptete Chief-Superintendent McWarden wieder mal, als er von Butler Parker in den Salon des Hauses geführt wurde und sich grüßend vor Lady Simpson verbeugte. »Sie hatten hier in der Gegend zu tun, nicht wahr?« Lady Agathas Stimme klang ironisch. »Setzen Sie sich! Mr. Parker könnte Ihnen einen kleinen Sherry servieren, wenn Sie unbedingt darauf bestehen.« »Ich könnte einen gebrauchen«, meinte McWarden und nahm in einem der alten, tiefen und bequemen Ledersessel Platz. »In den vergangenen Stunden hat sich nämlich allerlei getan, finden Sie nicht auch, Mylady?« »Tatsächlich?« Agatha Simpson biß nicht an. »Sie haben den Mörder dieses Professor Spelton schon gefunden?« »Es sind brauchbare Spuren vorhanden, Mylady«, meinte McWarden ausweichend. »Sie hätten den Mörder des Professors längst haben können«, meinte die ältere Dame grimmig, während Parker den Sherry servierte. Lady Simpson warf einen schnellen, prüfenden Blick auf das Glas und räusperte sich nachdrücklich und mißbilligend. Ihrer Ansicht nach war der Inhalt etwas zu üppig ausgefallen. »Ich hätte den Mörder längst haben können?« McWarden nippte an dem ausgezeichneten Sherry. »Wenn nicht einer Ihrer superintelligenten Mitarbeiter das ver23
hindert hätte«, stellte Lady Agatha klar. »Dieser Mann hat meinen Pompadour wahrscheinlich absichtlich eingefangen.« »Ach das!« McWarden verzog das Gesicht. »Darüber wollte ich mit Ihnen und mir Mr. Parker reden.« »Darum also sind Sie zufällig vorbeigekommen, wie?« »Sie wurden im Kensington Park überfallen, Mylady?« »Wurden wir das, Mr. Parker?« Die Detektivin wandte sich Butler Parker zu, der höflich und abwartend vor dem kleinen Wandtisch stand, auf dem die Karaffe mit dem Sherry sich befand. »Dieser Versuch, Sir, falls es sich um einen solchen handelte, blieb bereits im Ansatz stecken«, lautete Parkers ausweichende Antwort. »Jener junge Mann, der von Ihrem Mitarbeiter wohl eindeutig beobachtet wurde, kam nicht mehr dazu, gezielte Fragen zu stellen.« »Weil Miß Porter auftauchte.« McWarden wußte Bescheid und nickte. »Wieso haben Sie mich eigentlich beschatten lassen?« wollte Agatha Simpson in diesem Augenblick wissen. »Es war keine Beschattung, Mylady«, erklärte McWarden. »Das geschah zu Ihrer Sicherheit.« »Wie rührend, junger Mann. Müssen oder sollen mir gleich die Tränen kommen?« Hohn lag in Myladys Stimme. »Mylady, ich bin kein junger Mann, sondern immerhin gut und gern fünfzig Jahre alt!« Chief-Superintendent McWarden ärgerte sich. »Hat dieser Kerl, der von Miß Porter niedergeschlagen wurde, irgendwelche Andeutungen gemacht? Er muß doch was gesagt haben! Ich bestehe darauf, daß ich alles erfahre, Mylady.« »Ich war viel zu aufgeregt, um auch nur ein Wort zu verstehen«, lautete die Antwort der älteren Dame. »Sie wissen doch, junger Mann, wie schnell ich es mit der Angst zu tun bekomme.« »Angst?« McWarden verdrehte die Augen. »Das nehme ich Ihnen nicht ab, Mylady.« »Das klingt ja fast nach einem Kompliment, McWarden. Vielen Dank für Ihre gute Meinung.« Sie lächelte spöttisch. »Mr. Parker, was wollte dieser Bursche von Mylady?« McWarden wandte sich dem Butler zu. »Er hatte Zeit genug, um Fragen zu stellen. Das weiß ich von meinem Mitarbeiter.« »Er sprach von einem Goldschatz, Sir«, erwiderte Parker höflich. »Ziehen Sie mich nicht auf. Goldschatz! Wenn ich so was schon 24
höre! Darunter tun Sie’s wohl nicht, wie?« »Die Ermordung des Professors, Sir, scheint tatsächlich im Zusammenhang mit einem Goldschatz zu stehen.« »Gut, ich höre, daß Sie nicht reden wollen.« McWarden, der den Sherry ausgetrunken hatte, erhob sich abrupt. »Ich höre, daß Sie mit mir nicht zusammenarbeiten wollen. Gut, man wird sich das merken. Mylady, ich empfehle mich.« »Mr. Parker sagt die Wahrheit und nichts als die Wahrheit«, erklärte Agatha Simpson in einem Tonfall, der eigentlich genau das Gegenteil ausdrückte. »Mylady!« McWarden deutete eine mehr als knappe Verbeugung an und ließ sich von Parker zur Haustür bringen. Er sagte kein Wort, als er nach draußen ging. Er hatte die Wahrheit erfahren, doch er glaubte sie nicht. »Der gute McWarden scheint sauer zu sein«, vermutete Agatha Simpson, als Parker in den Salon zurückkehrte. »Die Wahrheit, Mylady, wird in den meisten Fällen nicht geglaubt«, erwiderte Josuah Parker gemessen. »Daraus ließ sich im anstehenden Fall das schlagen, was man Kapital nennt.« »Haben Sie den Flug bereits gebucht, Mr. Parker?« »Wie Mylady es wünschten.« Parker verneigte sich knapp. »Sobald Kathy zurück ist, werden wir aufbrechen«, entschied die Detektivin. Sie erkundigte sich nicht weiter nach dem Ziel, denn für sie kam es darauf an, etwas zu tun. Mylady war in Fahrt gekommen und eigentlich nur noch durch ein Naturereignis mittlerer Katastrophengröße zu stoppen. »Myladys Einverständnis voraussetzend, habe ich mir erlaubt, einen kleineren Privatjet zu mieten«, berichtete der Butler. »Das möchte ich mir auch ausgebeten haben, Mr. Parker. Ich reise nicht gern in Touristen-Jumbos.« Für sie war der Fall erledigt, Kosten spielten für sie keine Rolle. Sie war eine immens reiche Frau, die sich solch einen Luxus mit der linken Hand leisten konnte. Hinzu kam, daß sie keine Kosten scheute, wenn es um einen ihrer Ansicht nach interessanten Kriminalfall ging. »Ich brauche jetzt wohl doch eine kleine Erfrischung«, sagte sie. »Sehen Sie mir nicht an, wie mein Kreislauf langsam zusammenbricht?« Parker ging auf diese Frage nicht näher ein, zumal seiner Herrin äußerlich wirklich nichts anzusehen war. Der Butler servierte Lady Agatha einen uralten französischen Kognak, den sie mit Genuß 25
und Sachverstand über die Zunge gleiten ließ. »Die Flugreise wird mich mit Sicherheit anstrengen«, wußte sie bereits im vorhinein und deutete auf die Kognakflasche. »Vergessen Sie nicht, davon ein paar Tropfen mitzunehmen, Mr. Parker. Ich möchte nicht irgendwo in einem Krankenhaus herumliegen.« »Mylady können sich ganz auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen«, antwortete parker und überlegte, wie viele Flaschen Kognak er sicherheitshalber mitnehmen sollte. * Die Flugreise wurde tatsächlich sehr anstrengend, doch im Gegensatz zu Myladys Voraussage für Parker und Kathy Porter. Lady Algatha, in die Technik verliebt, interessierte sich ungemein für das Cockpit des sechssitzigen Jet. Sie hielt sich für eine hervorragende Pilotin und konnte sogar eine Lizenz vorweisen, die sie allerdings mal in grauer Vorzeit erworben hatte. Daß diese Lizenz längst verfallen war, interessierte sie überhaupt nicht. Sie übersah auch die Tatsache daß sie ihren Flugschein in jener grauen Vorzeit noch auf einem drahtbespannten Doppeldecker erworben hatte. Parker beobachtete seine Herrin mit einigem Mißtrauen. Man war am frühen Morgen von London aus gestartet und befand sich inzwischen längst über dem Kontinent, wie Agatha Simpson als gute Britin das europäische Festland nannte. Es ging in Richtung Süden, doch diesem Detail schenkte sie kaum Beachtung. Sie war nach vorn zu den beiden Piloten gegangen und zwängte sich gerade durch die schmale Tur ins Cockpit. Parker seufzte auf, leise zwar, doch unüberhörbar. Er wußte aus einschlägiger Erfahrung womit bald zu rechnen war. Die beiden Piloten würden früher oder später dem unwiderstehlichen Charme der älteren Dame erliegen und ihr gestatten, für ein paar Minuten den Jet zu fliegen. »Man sollte sich tunlichst anschnallen, Miß Porter«, empfahl er seiner Begleiterin. »Ist bereits geschehen, Mr. Parker«, lautete Kathy Porters Antwort. »Hoffentlich versucht Mylady nicht wieder, Loopings zu drehen.« »Damit sollte man rechnen, Miß Porter.« 26
»Beim letzten Flug, Mr. Parker, übte Mylady Sturzflüge«, erinnerte sich Kathy Porter. »Und davor studierte Mylady die Techniken des sogenannten Konturenflugs«, warf Parker ein und verspürte augenblicklich den Schauder, der über seinen Rücken fuhr. »Ob es Fallschirme an Bord gibt, Mr. Parker?« »In der Regel nicht, Miß Porter.« Parker bedauerte es sehr, sich um diesen Punkt nicht ausreichend gekümmert zu haben. »Mr. Parker, ob man Mylady vielleicht gleich ein leichtes Schlafmittel verabreichen könnte?« Kathy Porter, normalerweise nicht sonderlich ängstlich, hatte längst Schwitzhände bekommen. »Etwa mit Gewalt, Miß Porter?« Parkers Stimme klang noch nicht mal mißbilligend, eher nachdenklich. Der Vorschlag an sich schien ihm zu gefallen. »Man könnte das Mittel in den Tee oder in den Kognak geben, Mr. Parker.« »Mylady könnten dies als einen Akt versuchter Körperverletzung betrachten, Miß Porter.« »Für uns wäre das ein Art des Selbstschutzes, Mr. Parker!« »In der Tat, Miß Porter!« Parker freundete sich mit Kathy Porters Vorschlag immer mehr an, doch Sekunden später wußte er nur zu deutlich, daß die Lage nicht mehr zu ändern war. Mylady hatte es geschafft! Der Jet, übrigens zweistrahlig, bohrte seine spitze Nase in das Blau des Himmels und kratzte aufgeschreckte Lämmerwölkchen nachhaltig an. Dann vollführte er eine, eckige Rolle und drehte sich um seine Achse. Parker hielt sich mit dem Bambusgriff seines Universal-Regenschirms die schwarze Melone auf dem Kopf fest, was schon fast einem artistischen Akt glich. Kathy Porter schnaufte und schloß ergeben die Augen. Dir Magen revoltierte nachdrücklich, was sie aber schnell wieder vergaß, als die schmale Tür zum Cockpit sich fast explosionsartig öffnete. Einer der beiden Berufspiloten, der seinen Sitz für Mylady geräumt hatte, war durch heftige Fliehkräfte in die Kabine gedrückt worden. Der Mann blieb benommen zu Parkers Füßen liegen. »Darf ich mir erlauben, Ihnen einen Kognak anzubieten?« erkundigte Parker sich. Der Mann wollte mit Sicherheit positiv auf dieses Angebot eingehen, doch er war nicht in der Lage, zustimmende Worte zu artikulieren. Mylady zeigte dem zweiten Piloten gerade, wie man 27
einen kühnen Looping zu drehen hatte. Der Pilot, eben noch zu Parkers Füßen, entschwebte nach oben zur Kabinendecke und stieß einen markerschütternden Schrei aus. Dann klatschte er wie eine flügellahme Ente auf einen freien Sitz. Parker zog eine flache, lederbezogene Flasche aus einer der Innentaschen seines schwarzen Zweireihers und schraubte hastig den Verschluß ab, der als Trinkbecher diente. Nach dem dritten Kognak stabilisierte sich sein Kreislauf ein wenig, und er reichte die Taschenflasche an Kathy Porter weiter, deren Gesichtsfarbe eine pikante Mischung aus kalkigem Weiß und Dottergelb zeigte. * »Das war wieder mal ein Erlebnis«, verkündete Agatha Simpson nach der Landung. »Gelernt ist gelernt, finden Sie nicht auch, Mr. Parker.« »Eine Spruchweisheit, deren Wert zeitlos ist, Mylady.« »Ich habe diesen beiden Anfängern mal gezeigt, wie man fliegt.« »Ein Flug, den man so schnell nicht vergessen wird.« Parker schaute äußerst besorgt zu den beiden Piloten hinüber, die aus der Maschine taumelten und einen angeschlagenen Eindruck machten. Sie hielten sich am Rumpf des Jet fest und knickten in den Knien ein. In ihren Augen flackerte aufkeimender Irrsinn. »Sehr unhöfliche Leute«, grollte Lady Agatha und musterte die beiden Piloten. »Ich hätte große Lust, sie zur Ordnung zu rufen.« »Mylady haben Anlaß zur Beschwerde?« »Diese Burschen weigerten sich, mir die Landung zu überlassen.« Agatha Simpson schickte erneut einen grimmigen Blick auf die Piloten, die zusammenzuckten. »Und dabei wäre die Landung dann mit Sicherheit erheblich anders ausgefallen.« »Ich möchte mir die Freiheit nehmen, mich Myladys Ansicht anzuschließen«, erwiderte Parker, doch er hütete sich weiter zu sagen, wie er über die dann erfolgte Landung dachte. Die beiden Piloten hatten inzwischen eindeutig erkannt, daß sie sich den Unwillen der älteren Dame zugezogen hatten. Sie schwankten auf unsicheren Beinen um das V-Leitwerk des Jet 28
herum und wurden immer schneller. Schließlich pfiffen sie auf jede Tarnung ihrer Gefühle und sprinteten auf bereits sicheren Beinen zum Tower hinüber. Sie dachten nur daran, eine möglichst große Distanz zwischen sich und Lady Simpson herzustellen. »Nun ja«, meinte die Detektivin. »Ich werde sie später zur Ordnung rufen. Wo sind wir eigentlich, Mr. Parker! Das hier sieht ein wenig exotisch aus.« »Wie Mylady inzwischen längst festgestellt haben, befindet man sich in Sevilla«, gab Parker zurück. Er wunderte sich keine Sekunde darüber, daß seine Herrin gar nicht wußte, wo sie gelandet waren. Solche Kleinigkeiten interessierten sie nicht. »In Sevilla? Das ist doch Spanien, oder?« Sie schaute sich mißtrauisch nach allen Seiten um. »Südwestspanien, Mylady, wenn ich diese Ortsangabe ein wenig präzisieren darf.« »Was wollen wir in, Sevilla?« Sie rümpfte die Nase. »Wollte ich nicht nach Tartusa oder so ähnlich?« »Nach Tartessos, Mylady.« »Und warum sind wir dann in Sevilla? Ich halte nicht viel von diesen Spaniern, Mr. Parker.« »Mylady hegen eine Antipathie gegen Spanien und seine Bewohner?« »Haben Sie Gibraltar vergessen?« Sie schüttelte verärgert den Kopf. »Diese Spanier, maßen sich doch an, Gibraltar für sich zu beanspruchen! Eine unerhörte Frechheit. Warum sind wir also nicht in Tartessos?« »Tartessos, Mylady, müßte erst noch gefunden werden«, erläuterte der Butler höflich. »Es handelt sich um eine sagenumwobene Stadt aus dem Altertum, beziehungsweise der Vorzeit. Die genaue Lage dieser Stadt konnte bisher leider noch nicht ermittelt werden.« »Das ist eine Schlamperei«, entrüstete die ältere Dame sich. »Eine Stadt kann doch nicht verlorengehen wie eine Handtasche.« »Wie Mylady meinen.« Parker war nicht zu erschüttern. Nach dieser Flugreise hatte er sich wieder fest in der Hand. »Darf ich Mylady darauf verweisen, daß Tartessos vor schätzungsweise zweitausendfünfhundert Jahren seine Blütezeit hatte?« »Das ist kein Argument, Mr. Parker.« Sie grollte und sah Parker gereizt an, als habe er die Stadt verschwinden lassen oder ver29
schlampt. »Irgendwo muß es doch Spuren geben.« »In der Tat, Mylady!« Parker deutete eine höfliche Verbeugung an. »Man vermutet sie im Mündungsgebiet des Guadalquivir.« »Guter Gott, Mr. Parker, was ist denn das für ein Zungenbrecher?« »Ein nicht unansehnlicher Fluß, Mylady, der sich in den Atlantik ergießt. Mylady werden sich an Ort und Stelle vom Stand der bisherigen Ausgrabungen überzeugen können.« »Ich glaube, ich werde augenblicklich zur Insel zurückfliegen«, erwiderte Lady Agatha. Sie deutete auf den Jet. »Wir brauchen nur einzusteigen, Mr. Parker. Den Start schaffe ich mit leichter Hand.« »Mylady interessieren sich nicht weiter für den Goldschatz, von dem Professor Spelton sprach, bevor er ermordet wurde?« »Wahrscheinlich Hirngespinste«, entschied die Detektivin. »Und sie hängen mit der Hitze zusammen, die hier herrscht. Ich glaube, Mr. Parker, mein Kreislauf bricht zusammen. Ich bin diesem Klimawechsel nicht gewachsen.« Butler Parker wollte ihr umgehend einen Kreislaufbeschleuniger in Form eines alten französischen Kognaks servieren, doch in diesem Moment pfiff ein unheimliches Insekt dicht an Mylady vorbei und landete klatschend im Rumpf des Jet. * »Sehen Sie sich das an!« Myladys Stimme war nur noch Empörung. Sie zeigte auf das Einschußloch, das knapp neben ihr im Rumpf der Maschine zu sehen war. »Gerade jetzt wollen Sie zurückfliegen, Mr. Parker? Ich weiß wirklich nicht, was ich dazu sagen soll.« »Mylady sollten sich vielleicht ein wenig in Deckung begeben«, schlug der Butler vor. »Mit weiteren Schüssen ist durchaus zu rechnen.« Parker hatte bereits reagiert, denn der Abschuß war nicht zu hören gewesen. Man hatte mit Sicherheit einen Schalldämpfer verwendet, um die Position des Schützen nicht zu verraten. Parker schob sich sicherheitshalber vor seine Herrin und drängte sie höflich, aber dennoch energisch zur Seite. Gleichzeitig warf er einen kurzen Blick auf den Kugelschreiber, von dem er sich gera30
de getrennt hatte. Dieses Schreibgerät lag auf dem Beton des Abstellplatzes und zeitigte jetzt seine Wirkung. Plötzlich schoß eine Art Nebelsäule hoch und breitete sich unwahrscheinlich schnell aus. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis Mylady und der Jet vom Flughafengebäude aus nicht mehr zu sehen waren. Die dichten Nebelschwaden hüllten alles ein. Parker arbeitete gern mit seinen Spezialitäten, die er in seinem Labor ersann und baute. In den vielen Taschen seiner Weste befanden sich weitere Kugelschreiber, die es in sich hatten. »Wollen Sie mich umbringen?«, fragte Lady Simpson empört. Sie schlug mit den Händen auf den dichten Nebel ein, der sie umwallte und ihre ausgeprägten Konturen verschwimmen ließ. »Genau das Gegenteil, Mylady, ist meine erklärte Absicht«, versicherte Parker seiner Herrin. »Miß Porter ist bereits unterwegs, um Ausschau nach dem Schützen zu halten.« »Das Kind soll sich nur nicht in Gefahr bringen«, erwiderte Lady Agatha besorgt. »Spanier sollen Frauen gegenüber nicht gerade zurückhaltend sein.« Parker enthielt sich jeglichen Kommentars. Er hatte es inzwischen geschafft, Mylady hinter den Jet zu bugsieren. Hier befand sie sich erst mal in Sicherheit. Er beobachtete die Nebelschwaden, die vom leichten Wind erfaßt und abgetrieben wurden. Parker sorgte dafür, daß Mylady zusammen mit den Nebelschwaden in Bewegung blieb. Er war ernstlich besorgt. Mit einem so schnellen und gezielten Mordanschlag hatte er nicht gerechnet. Der Empfang hier im Süden war schon dramatisch zu nennen. »Die beiden Subjekte, die Miß Porter ausgespielt hat, können doch unmöglich schon hier sein«, sagte Agatha Simpson. »Sehr wohl, Mylady.« Parker teilte die Ansicht der Lady. »Die beiden Gangster müssen Zeit und Gelegenheit gehabt haben, sich mit ihren Freunden oder Auftraggebern hier in Spanien in Verbindung zu setzen.« »Ein dritter Mann in London, den das gute Kind übersehen hat?« Lady Simpson war nun voll bei der Sache. »Dann müßte dieser dritte Mann noch in der vergangenen Nacht eine Linienmaschine benutzt haben, Mylady.« »Stellen Sie das bei Gelegenheit fest«, sagte sie grimmig. »Diesem Flegel muß das Handwerk gelegt werden.« »Mylady können sich auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen.« Parker hielt andere Dinge zwar für wichtiger, doch er sparte 31
sie jetzt und hier aus, um Lady Simpson nicht zu einer längeren Diskussion zu verleiten. Er dachte über den Schuß nach. Warum hatte man auf seine Herrin geschossen? Hatte man sie töten wollen? Wollte man sie nur warnen? Sollte sie dazu gebracht werden, Spanien wieder umgehend zu verlassen? Eines stand für Parker mit Sicherheit fest: Der Schütze oder sein Auftraggeber wußten inzwischen genau, wie aktiv und dynamisch Agatha Simspon war. In London war dies noch nicht der Fall gewesen, wie der Versuch eines Überfalls in Kensington Garden bewiesen hatte. Die Dinge spitzten sich eindeutig zu, und mit weiteren bösen Überraschungen war ab sofort fest zu rechnen. * Die Nebelschwaden hatten dem an sich leichten Wind nicht lange standgehalten. Die füllige Figur der Lady wirkte gegen die nun dünnen Nebelschleier wie ein Schattenriß. Dies war auch nicht dem heimtückischen Schützen entgangen. Dicht neben Agatha Simpson schrammte ein Geschoß auf den Beton, prallte ab und jaulte hinaus auf das Flugfeld. Die ältere Dame fuhr unwillkürlich zusammen, bevor sie einen leichten, fast graziös zu nennenden Hüpf er machte. »Das ist doch eine unerhörte Frechheit«, sagte sie dann und musterte gereizt das Flughafengebäude, die Hangars, den Tower und den Abstellplatz für die Sportflugzeuge. Natürlich konnte sie den Schützen nicht ausmachen, doch wahrscheinlich befand sie sich bereits wieder im Visier dieses potentiellen Mörders. Parker war in größter Sorge. Er schob Lady Agatha nachdrücklich hinter einen hier erfreulicherweise stehenden Service-Wagen einer Fluglinie, kümmerte sich nicht weiter um ihre Proteste und deutete auf eine geöffnete Tür hinter dem Fahrerhaus. »Dort dürften Mylady sicherer sein«, hoffte er und betrat die kleine vierstufige Holztreppe, die zur Tür führte. Sie war vom Personal hier abgestellt worden, um das Entladen des Wagens zu erleichtern. »Was soll denn das, Mr. Parker?« Lady Agatha war wütend. »Lassen Sie mich sofort los! Sie sollen mich nicht schubsen!« 32
Parker überhörte die Einwände. Er drückte die füllige, ältere Dame über die Stufen in den Service-Wagen, dessen beide Längsregale mit fertig verpackten Bordgerichten vollgestopft waren. Kaum war die Lady im Mittelgang verschwunden, als Parker auch schon die Tür zuwarf und von außen sicherte. Er wollte Agatha Simpson jede Fluchtmöglichkeit nehmen. Sie tobte ein wenig, wie draußen zu hören war, und hämmerte mit ihren Fäusten, dann mit dem Pompadour samt Glücksbringer gegen die geschlossene Tür, doch Parker kümmerte das nicht. Er hielt es für seine erklärte Pflicht, Lady Simpson erst mal aus der Schußlinie zu schaffen. Parker setzte sich ans Steuer des Wagens, dessen Zündschlüssel an der richtigen Stelle saß. Er ließ den Motor an, kuppelte den ersten Gang ein und fuhr los. Zwei Männer in weißen Overalls liefen ihm entgegen und fuchtelten mit den Händen in der Luft herum. Parker, ein höflicher Mensch, winkte andeutungsweise zurück, kurvte um die beiden Angestellten und nahm Kurs auf die Hangars. Im Rückspiegel beobachtete er die beiden Angestellten, die noch ein Stück nachgerannt waren, jetzt aber aufgaben. Parker zuckte zusammen, als die Windschutzscheibe plötzlich von feinen Haarrissen durchzogen und dann sehr milchig wurde. Rechts von ihm war ein kleines, kreisrundes Loch in der Scheibe zu sehen: Der Mordschütze hatte also noch mal abgedrückt. Parker ließ sich jedoch nicht beeindrucken. Er hielt seinen Kurs, kurvte um einige abgestellte Sportmaschinen herum und erreichte die Deckung der Hangars, wo er anzuhalten gedachte. Der Zufall aber spielte inzwischen freudig mit und wies dem Butler ein geöffnetes Drahttor, das auf eine Art Umgehungsstraße führte. Butler Parker zögerte nicht einen Moment, sie zu benutzen. Er hoffte, von dem Mordschützen verfolgt zu werden. Falls das geschah, konnte er endlich den Spieß umdrehen und sich seinerseits mit diesem heimtückischen Mann befassen. Die Umgehungsstraße führte in ein hügeliges Gelände, hier war man also unter sich. Während Parker fuhr, kreisten seine Gedanken wieder um einen ganz bestimmten Grund. Warum, so fragte er sich, wurde geschossen? Eine tote Lady Simpson war doch gar nicht in der Lage, etwas über den Goldschatz zu berichten. Und genau das hatten doch die beiden Männer in London vermutet! 33
Es konnte nur so sein, daß sich hier eine zweite Gruppe in das Spiel einschaltete, eine Gruppe, die um jeden Preis verhindern wollte, daß Agatha Simpson überhaupt den Ort der Ausgrabungen erreichte. Parker warf einen prüfenden Blick in den großen Rückspiegel. Er sah einen Citroen älterer Bauart, der die Verfolgung aufgenommen hatte, schnell aufholte und dann Feuer spuckte. Im Ausschnitt des geöffneten Schiebedachs stand ein Mann, dessen Maschinenpistole auf höchsten Touren arbeitete. * Lady Simpson war ergrimmt. Sie hielt sich an einem der Pfosten der Regale fest und ließ sich durchschütteln. Sie haßte ihren Butler in diesen Minuten. Er hatte sie gegen ihre erklärten Proteste einfach wie ein Stück Ware in den Kastenaufbau gestoßen. Wäre er jetzt hier gewesen, sie hätte ihm wahrscheinlich den Pompadour um die Ohren geschlagen. Dann hörte sie plötzlich Schüsse und sah einige Einschläge in der hinteren Wagentür. Die ältere Dame, leichtsinnig wie immer, konnte der Versuchung natürlich nicht widerstehen. Sie hangelte sich von Pfosten zu Pfosten nach hinten zur Tür und sah durch das inzwischen zertrümmerte Fenster den Citroen samt Schützen im geöffneten Schiebedach. Ihr Grimm und Zorn fanden damit ein Ausweichziel. Konnte sie sich schon nicht mit Butler Parker befassen, dann wenigstens mit diesen Flegeln, die sich nicht genierten, auf sie zu schießen. Lady Agatha sah sich nach einer geeigneten Waffe um, denn von ihrem Pompadour wollte sie sich im Moment nicht gern trennen. Ihr Blick fiel auf die verpackten Fertiggerichte. Ihre Phantasie entzündete sich. Eine Lady Simpson hatte schon immer zu improvisieren gewußt. Sie langte nach einem Karton, riß den Plastikdeckel auf und begutachtete das Fertiggericht. Es handelte sich um knusprig gebratene Hähnchenschenkel, die ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen ließen. Die resolute Dame vergaß für einen Moment ihre Absicht, holte einen dieser Hähnchenschenkel hervor und knabberte daran. Sie nickte anerkennend. Aussehen und Geschmack deckten sich. Ein weiteres Geschoß rief sie zur Ordnung. Es zwitscherte dicht 34
an ihrem Busen vorbei und landete klatschend in einem Karton. Lady Agatha nahm den angeknabberten Schenkel in die rechte Hand und… schleuderte ihn durch das zerbrochene Fenster nach draußen. Der Schütze mit der Maschinenpistole duckte sich unwillkürlich, als dieses eigenartige Wurfgeschoß sich auf ihn zubewegte. Dadurch jagte der nächste Feuerstoß hoch in die Luft, wo er kein Unheil anrichten konnte. Agatha Simpson fand, daß Hähnchenschenkel nicht die geeignete Waffe seien. Die Trefferwahrscheinlichkeit war zu gering. Die Detektivin brauchte etwas Flächendeckendes. Sie sah kurz zu dem Citroen hinaus, der sich etwas zurückfallen ließ. Mit Wurfgeschossen hatten die Insassen des Wagens wohl nicht gerechnet. Die Lady prüfte weitere Fertiggerichte. Sie entschied sich für Kalbsmedaillons mit jungen Erbsen, für einen Waldorfsalat, wählte dann eine legierte Champignoncremesuppe und fand eine appetitlich aussehende Paella und Krabben in einer pikant aussehenden, roten Sauce. Sie entdeckte auch einen Puter, doch den wollte sie nicht sofort opfern. Sie legte ihn erst mal zur Seite, stapelte ihre Abwehrwaffen handlich in einem Regal und wartete, bis der Citroen erneut aufschloß. Lady Agatha war eine sportliche Dame. Sie spielte Golf mit Leidenschaft. Ihre Oberarmmuskeln konnte man daher nicht gerade als unterentwickelt bezeichnen. Darüber hinaus wußte sie geschickt mit dem Sportbogen umzugehen. Als sie ihr Bombardement begann, saß Kraft hinter den Würfen. Die Kalbsmedaillons prasselten gegen die Windschutzscheibe des Citroen, glitten ab und wurden vom Fahrtwind dem Schützen entgegengewirbelt. Der Mann mit der Maschinenpistole war verständlicherweise irritiert, als er mit diesen Köstlichkeiten eingedeckt wurde. Er schnappte nach Luft, als dann die feinen jungen Erbsen an der Reihe waren. Wie Hagelkörner droschen sie auf ihn ein, wobei einige Erbsen sich in seinen Mund verirrten. Der Mann spuckte und hustete, vergaß seine finsteren Absichten, zumal ihm jetzt bereits der Waldorfsalat um die Ohren flog. Hinzu kam, daß der Fahrer des Citroen gewisse Unsicherheiten zeigte. Der Wagen geriet ins Schaukeln, schlingerte über die Straße und geriet dabei mehrmals gefährlich in die Nähe der beiderseitigen Gräben. Dieses seltsame Fahrverhalten hing eindeutig 35
mit der legierten Champignoncremesuppe zusammen, die von Agatha Simpson inzwischen auch schon eingesetzt worden war. Die Paella und die Krabben in pikanter roter Sauce vollendeten das Werk. Der Fahrer sah plötzlich im wahrsten Sinn des Wortes rot und sonst nichts mehr, während die Paella im Gesicht des Maschinenpistolenschützen landete. Der Fahrer verriß das Steuer und hielt schnurgerade auf den linken Straßengraben zu. Er hatte seine Maschinenpistole verloren und wischte sich die Paella aus dem Gesicht. Sekunden später wurde er aus dem Wagen katapultiert, flog in hohem Bogen durch die Luft und landete unsanft im Maschendrahtzaun, der auch hier das Flugfeld einzäunte. Dieser Maschendraht wirkte wie ein Fangnetz, vernichtete die überschüssige Energie dieses Freifluges, dellte dabei erheblich ein. Der Mann wagte keine Bewegung, aber vielleicht war er dazu im Moment auch gar nicht fähig. Der Citroen hatte inzwischen längst den Straßengraben erreicht, tauchte tief ein, schrammte mit der Unterseite über Geröll und Steine, erhob sich dann fast stolz wie ein startender Vogel, krachte zurück auf den Boden und rollte im Zeitlupentempo über einen sanften Hang hinunter in eine kleine Vertiefung. Agatha Simpson, die das alles mitverfolgt hatte, nickte zufrieden. Sie hatte den Puter nicht einzusetzen brauchen. Sie merkte, daß Parker die Geschwindigkeit des Wagens minderte, kurz hielt und dann rückwärts wieder Fahrt aufnahm. In der Höhe des am Boden liegenden Mannes stoppte er dann. »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit begeistert«, sagte er, nachdem er die seitliche Tür geöffnet hatte. »Mylady haben sich wieder mal übertroffen.« »Papperlapapp, Mr. Parker«, erwiderte sie streng, während sie sich herunterhelfen ließ. »Sie wollen bloß ablenken. Sie haben sich mir gegenüber unmöglich benommen.« »Aus reiner Sorge, Mylady, wie ich versichern darf.« »Ich habe deutlich mitbekommen, daß es Ihnen Spaß gemacht hat, mich in den Wagen zu werfen.« »Mylady sehen mich zerknirscht.« »Ich glaube, ich habe mir bei der verrückten Schaukelei ein paar blaue Flecken geholt.« »Dies, Mylady, würde ich zutiefst bedauern.« »Zudem ist mein Kreislauf zusammengebrochen.« 36
»Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit bestürzt.« Parker holte die flache, lederbezogene Taschenflasche hervor und schraubte den kleinen Silberbecher ab. »Mylady werden sich in wenigen Minuten bereits mit den beiden Männern befassen können, wie ich andeuten darf.« »Diese Lümmel können was erleben!« Sie nahm den gefüllten Becher entgegen und kippte den Inhalt gekonnt. Sie reichte den Becher zurück. »Noch ein paar Tropfen, Mr. Parker! Und glauben Sie nur ja nicht, daß ich Ihr Verhalten vergessen werde. Ich bin sehr nachtragend.« * »Mylady, die Polizei muß gleich hier sein«, warnte Kathy Porter, während sie aus dem Wagen stieg. »Viel Zeit bleibt nicht mehr.« »Gutes Kind.« Die ältere Dame nickte anerkennend. »Auf Sie kann man sich wenigstens verlassen.« »Sie haben die Verfolger ausgeschaltet, Mylady?« Kathy Porter lächelte unwillkürlich, als sie den total lädierten Citroen weit unterhalb der Böschung sah. »Es war mir ein Genuß«, meinte die Detektivin. »Schauen Sie sich diese Galgenvögel an, Kindchen! Typische Verbrechergesichter…« Kathy Porter kam dem Wunsch ihrer Chefin nach, betrachtete die Gesichter der beiden Männer, die von Butler Parker mittels einer privaten Handschelle aneinandergeschlossen worden waren. Sie redeten ununterbrochen und gaben sich sehr temperamentvoll. »Falls diese beiden Lümmel mich beschimpfen, werde ich ihnen Manieren beibringen«, schickte die ältere Dame voraus. Der Pompadour pendelte bereits verdächtig an ihrem linken Handgelenk. »Können Sie nicht Spanisch, Mr. Parker?« »Es gelingt meiner bescheidenen Wenigkeit, mich hin und wieder in dieser Sprache verständlich zu machen«, antwortete Parker in üblicher Bescheidenheit. »Und was sagen diese Galgenvögel?« »Sie behaupten seit einigen Minuten, der Sonderabteilung der Kriminalpolizei von Sevilla anzugehören, Mylady.« »Wie… Wie war das?« Agatha Simpson stutzte nun doch ein 37
wenig. »Es sind auf keinen Fall die Männer, die auf Mylady geschossen haben«, schaltete Kathy Porter sich ein. »Diesen Schützen konnte ich ein paar Minuten lang verfolgen, aber dann war er plötzlich wie vom Erdboden verschwunden.« »Sie behaupten erneut, der Polizei anzugehören«, ließ Parker sich wieder vernehmen. »Vielleicht sollte man den Herren Glauben schenken, Mylady.« »Und warum haben Sie auf mich geschossen? Warum mit einer Maschinenpistole? Warum wollten sie völlig harmlose Touristen ermorden?« »Weil sie die Benutzung des Service-Wagens offensichtlich mißverstanden, Mylady«, erklärte Parker. »Das gibt ihnen immer noch keine Berechtigung, einfach zu schießen. Aber das ist doch wieder mal typisch für diese Herren.« »Mylady, die uniformierte Polizei wird gleich hier sein«, erinnerte Kathy Porter. »Dann tun Sie endlich was, Mr. Parker!« Mylady war ein wenig ratlos, zeigte es natürlich nicht. Sie sah Parker grimmig an. »Was für eine Suppe haben Sie mir da wieder eingebrockt…« »Es zeichnen sich meiner bescheidenen Meinung nach zwei Möglichkeiten ab«, gab Parker höflich zurück. Er hielt es für unnötig, noch mal genau zu erklären, warum er diese Suppe laut Mylady eingebrockt hatte. »Und welche ist die bessere, Mr. Parker?« »Man könnte den Wagen Miß Porters benutzen und sich einer weiteren Verfolgung erst mal entziehen!« »Das wollte ich gerade vorschlagen. Ich will mit der spanischen Polizei nichts zu tun haben.« Agatha Simpson marschierte auf den Wagen zu, mit dem Kathy Porter gekommen war. Es handelte sich um einen älteren Fiat, der aber erfreulicherweise vier Türen aufwies. Weder Kathy Porter noch Butler Parker waren schnell genug, um das Steuer des Fiat zu besetzen. Als sie schalteten, saß ihre resolute Dame bereits vor dem Lenkrad und ließ den Motor an. Das Röhren des Anlassers war zwar laut, doch nicht laut genug, um die Sirene eines sich nähernden Polizeifahrzeuges zu übertönen. Die beiden Kriminalisten, noch immer mit der Handschelle innig verbunden, belegten Lady Simpson inzwischen mit ausgesuchten 38
Schimpfworten, die Parker selbstverständlich nicht übersetzte. Es bestand sonst die akute Gefahr, daß sie noch mal ausstieg und den Herren doch noch beibrachte, was sie Manieren nannte. Endlich sprang der Motor an. Mylady, die die Sirene natürlich gehört hatte, wendete kurz entschlossen auf der Straße, was sogar auf Anhieb gelang, und preschte dann dem Polizeifahrzeug entgegen. Parker, in solchen Fällen Fatalist, enthielt sich jeder Frage. Hinzu kam allerdings auch die passende Gelegenheit, denn das Fahrzeug der Polizei war jetzt bereits deutlich zu sehen. Mylady schien es auf die Hörner nehmen zu wollen, denn sie steuerte den Fiat direkt in Richtung des entgegenkommenden Wagens. Kathy Porter stieß einen leichten Schrei aus, Parker schloß ergeben die Augen. Ihm war bekannt, daß man seinem Schicksal nicht entgehen konnte. Er zuckte ein wenig zusammen, als das Kreischen von Blech zu vernehmen war, das diskrete Splittern von Glas und dann ein Hupton, der nicht mehr endete. »So macht man das«, hörte er dann Myladys Stimme, in der Triumph mitschwang. »Nehmen Sie sich daran ein Beispiel, Mr. Parker!« Parker drehte sich halb um und sah das Polizeifahrzeug im Straßengraben. Drei Uniformierte kletterten gerade aus dem Fahrzeug und hoben drohend die Fäuste. »Diese Leute haben keine Nerven«, meinte die Lady kopfschüttelnd. »Ich bin von diesen angeblich so stolzen Spaniern sehr enttäuscht.« »Spanier, Mylady, sind keine potentiellen Selbstmörder«, warf Parker ein. »Papperlapapp, Mr. Parker, keine Entschuldigungen! So, und jetzt möchte ich wissen, wie ich in die Stadt komme. Wir werden uns dort ein paar Hotelzimmer mieten.« »Hinter dem Hügel dort, Mylady, scheint eine autobahnähnliche Straße zu verlaufen. Leider kann ich allerdings keine Zufahrt ausmachen.« »Was brauche ich eine Zufahrt?« Agatha Simpson sah ihren Butler ausgiebig und kopfschüttelnd an. »Braucht man denn immer einen roten Teppich? Man muß auch mal improvisieren können.« Parker machte sie diskret darauf aufmerksam, daß man Gefahr lief, in einem der beiden Straßengräben zu landen. Mylady sah 39
nämlich immer noch ihn, hingegen aber nicht die Fahrbahn an. Nachdem er das zur allgemeinen Zufriedenheit gerade noch im letzten Moment positiv geregelt hatte, bewies die Detektivin ihr Improvisationstalent. Sie bog abrupt von der Straße ab, benutzte einen äußerst schmalen Karrenweg und ließ den Fiat dann von dort aufs flache Feld hüpfen. Was scherte es sie, daß dabei zwei Stoßdämpfer ihren Geist aufgeben und die Federung demoliert wurde? Sie war eine Frau, die, wenn es sein mußte, auch auf Komfort verzichten konnte. * »Wie sah dieser Kerl aus, Kindchen, der mich auf dem Flugfeld erschießen wollte?« fragte Lady Simpson später im Hotel. Parker hatte eine Suite gemietet, in deren Salon es recht gemütlich war. »Er dürfte etwa dreißig Jahre alt gewesen sein, Mylady«, berichtete Kathy Porter. »Er war mittelgroß, schlank und eindeutig der Schütze.« »Sie sahen sein Gewehr, Miß Porter?« erkundigte Parker sich. Es kam ihm immer noch wie ein Traum vor, daß sie gesund in einem Hotel waren. Die Fahrt über Geröll und Äcker war mehr als ein strapaziöses Erlebnis gewesen. »Er schoß von einem Bürofenster aus«, erwiderte Kathy Porter. »Ich habe es mir später angesehen. Unter einem der beiden Schreibtische fand ich diese beiden Patronenhülsen.« Während sie noch sprach, öffnete sie ihre Tasche und zeigte dem Butler die beiden Hülsen. »Winchester«, urteilte Parker sachverständig. »Sie konnten dieses Subjekt nicht erwischen, Kindchen?« Agatha Simpson nickte Kathy bereits wohlwollend und verzeihend zu. »Dann hätte ich schießen müssen, Mylady.« Kathy Porter hob die Schultern. »Wegen der vielen Menschen vor dem Flughafengebäude konnte ich das aber nicht.« »Nun ja, Kindchen, Sie sind eben leider nicht so sicher mit der Waffe wie ich«, meinte die Detektivin entschuldigend. »Aber das wird im Lauf der Jahre bestimmt noch werden. Ich hätte natürlich geschossen, verlassen Sie sich darauf, aber Mr. Parker hatte mich ja entführt.« 40
Sie hätte sich mit Sicherheit auf dieses Thema näher eingeschossen, wenn nicht angeklopft worden wäre. Parker verbeugte sich knapp in Richtung seiner Herrin, ging zur Tür und öffnete sie. Er sah sich einem großen, schlanken Herrn gegenüber, der etwa fünfzig Jahre alt war und einen dunklen Maßanzug trug. Das Hemd war aus Seide, die Krawatte ebenfalls. Der Schnauzbart des Mannes war beachtlich. »Carlos de Santa Lenguados«, stellte er sich knapp vor. »Würden Lady Simpson mir die Ehre erweisen, mich zu empfangen?« Sein Englisch war ausgezeichnet, seine Manieren ebenfalls. Er verbeugte sich tief, als die ältere Dame in sein Blickfeld geriet, um sie dann beim Aufrichten bewundernd anzusehen. Seine pechschwarzen Augen schossen ein wahres Feuerwerk ab. »Ich bin stolz, glücklich und fühle mich ausgezeichnet, Mylady«, rief er ihr zu und passierte den zurücktretenden Butler. »Von solch einer Begegnung habe ich noch nicht mal zu träumen gewagt.« »Nun, nun«, sagte Agatha Simpson, die sichtlich beeindruckt war. »Eine so hervorragende Detektivin, Mylady. Ihr Ruhm, das darf ich offen sagen, hat unsere ärmlichen Diensträume schon vor vielen Jahren erreicht.« »Dienststuben?« Agatha Simpson errötete unter dem Feuerwerk der glutvollen Blicke. »Ich bin Kriminaldirektor, Mylady«, erklärte Carlos de Santa Lenguados. »Meine schwachen Kräfte und Dienste stehen voll und ganz zu Ihrer Verfügung. Ich darf doch hoffen, daß Sie nicht nur als Touristin in unser herrliches Land gekommen sind?« »Woher wissen Sie von meiner Ankunft, mein Lieber?« fragte Lady Simpson. »Der Tower des Flughafens informierte mich«, antwortete der Kriminaldirektor. »Ganz zu schweigen von ein paar unwichtigen Beamten, die Kontakt mit Ihnen aufnehmen durften.« »Es gab da einige Mißverständnisse, Sir«, schaltete Parker sich ein. Ihm war natürlich klar, daß dieser Mann Bescheid wußte. »Sie meinen den lädierten Service-Wagen samt Ladung?« Carlos de Santa Lenguados lächelte verzeihend, fast amüsiert. »Sie meinen die beiden Beamten, die sich Handschellen anlegen ließen? Sie meinen den Citroen, der nicht mehr zu verwenden ist? Sie denken etwa an das Streifenfahrzeug der uniformierten Poli41
zei?« »Der Fahrer dieses Wagens muß ein Anfänger gewesen sein«, warf Agatha Simpson ein. »Vollkommen richtig, Mylady, vollkommen richtig!« Carlos de Santa Lenguados nickte und strahlte die ältere Dame an. »Ich werde diesen Mann zur Rechenschaft ziehen. Der Wagen ist übrigens schrottreif, doch das nur am Rand. Ich bin sicher, daß Sie die Kleinigkeiten großzügig erledigen werden.« »Natürlich, mein Bester.« Agatha Simpson nickte. »Mr. Parker, erinnern Sie mich daran.« »Ich werde mir gestatten, noch heute einen diesbezüglichen Scheck auszuschreiben«, antwortete Parker. »Darf ich übrigens darauf verweisen, Sir, daß auf Mylady ein Mordanschlag verübt wurde?« »Sie entsetzen mich!« Carlos de Santa Lenguados brach fast zusammen, um Mylady dann mit seinen mitfühlenden Blicken zu liebkosten. »Darf ich Sie herzlich bitten, Mylady, mir alles zu erzählen? Dieser Mordanschlag muß doch einen ganz speziellen Grund haben.« * »Ein bemerkenswerter Mann«, sagte Agatha Simpson, als Carlos de Santa Lenguados gegangen war. »Ein Herr von Welt, Mr. Parker. Seine Höflichkeit ist bestechend.« »Äußerst bemerkenswert«, erwiderte Parker. »Mylady dürften einen wichtigen Verbündeten gewonnen haben.« »Wie elegant dieser Mann über den kleinen Zwischenfall am Flugplatz hinweggegangen ist«, schwärmte die ältere Dame weiter. »Kein Wort des Vorwurfs. Ich bin froh, daß ich mich ihm anvertraut habe, Mr. Parker.« »Die Existenz eines Goldschatzes war ihm neu«, fügte Parker hinzu. »Warum haben Sie eigentlich so getan, als habe Professor Spelton mir diese Unterlagen zugespielt?« wollte Lady Agatha ein wenig grollend wissen. »Dieser bemerkenswerte Mann hätte die ganze Wahrheit erfahren müssen.« »Ein letzter Rest an Vorsicht«, gab Josuah Parker zurück. »Die hiesige Polizeibehörde soll nicht in die Lage versetzt werden, den 42
ganzen Fall an sich zu ziehen.« »So etwas würde ein Gentleman nie tun«, versicherte die ältere Dame. »Im Gegensatz zu Ihnen, Mr. Parker, bin ich Menschenkenner. Dieser Mann verkörpert für mich das edle Spanien. Ich sagte Ihnen ja gleich nach der Landung, daß ich dieses Land liebe.« Bevor Parker auf die schamlose Behauptung eingehen mußte, wurde erneut angeklopft. Parker girig zur Tür, öffnete sie und sah sich einem kleinen, offensichtlich sehr temperamentvollen Spanier gegenüber, der ein Choleriker zu sein schien. Er überschüttete den Butler mit einer Flut von Worten und wollte sich in den Salon schieben. »Wen darf ich melden?« Parker blieb wie ein Fels stehen. »Kommissar Morella«, stellte der Temperamentvolle sich vor. »Und ich komme in offizieller Mission.« »Setzen Sie diesen Flegel an die frische Luft«, rief Agatha Simpson, die kein Wort verstanden hatte. Der Mann störte ihre Träume, die sich auf Carlos de Santa Lenguados bezogen. »Kommissar Morella, Mylady«, meldete Parker. »Es ist möglicherweise ratsam, ihn anzuhören.« »Nun gut«, sagte sie. »Aber er soll sich kurz fassen. Sein Kriminaldirektor weiß doch inzwischen, was passiert ist.« »Kriminaldirektor?« Kommissar Morella war der englischen Sprache mächtig, wenn auch nicht bis in die geschliffenen Feinheiten, die der Kriminaldirektor gezeigt hatte. »Kriminaldirektor? Hier muß ein Irrtum vorliegen. Sind Sie Lady Simpson?« »Wieso Irrtum?« Die Detektivin sah den kleinen, drahtigen Mann kriegerisch an. »Mr. Parker, wie hieß er noch, dieser vollendete Gentleman?« »Carlos de Santa Lenguados, Mylady.« »Den gibt es nicht«, sagte Morella wegwerfend. »Sie sind an einen Gauner geraten.« »Wiederholen Sie das noch mal!« Agatha Simpsons Augen verengten sich. »Ich habe eben mit Ihrem Kriminaldirektor gesprochen, junger Mann. Und der war im Gegensatz zu Ihnen ein Muster an Höflichkeit.« »Dieses Muster an Höflichkeit war ein Gauner, Mylady«, erwiderte Kommissar Morella wegwerfend. »Hoffentlich vermissen Sie nicht Ihre Handtasche? Haben Sie sich seinen Dienstausweis zeigen lassen?« 43
»Mr. Parker, haben Sie?« Agatha Simpson sah ihren Butler streng an. »Ich muß gestehen, Mylady, daß ich es versäumte.« »Typisch, Mr. Parker, typisch!« Lady Agatha runzelte die Stirn und schaltete sofort um. »Ich habe ja gleich gespürt, daß mit diesem Subjekt irgend etwas nicht stimmt.« »Mylady ließen das in der Tat deutlich erkennen«, antwortete Josuah Parker. »Gut, daß Sie wenigstens das zugeben, Mr. Parker.« Sie nickte zufrieden. »Dieser Mann war mir gleich unsympathisch. Diese übertriebene Höflichkeit! Sie konnte nicht echt sein.« »Über diesen Gauner werden wir uns später unterhalten«, schlug Kommissar Morella vor. »Jetzt aber zuerst mal zu den Vorfällen, die sich am Flugplatz abgespielt haben. Sie werden mit einigen Anklagen rechnen müssen, Mylady.« »Moment mal, junger Mann!« Agatha Simpson war eine Idee gekommen. »Zeigen Sie mir erst mal Ihren Dienstausweis! Vielleicht sind auch Sie ein Schwindler!?« Kommissar Morella lief rot an, kämpfte seinen cholerischen Anfall jedoch gnadenlos nieder und langte in eine seiner Taschen, dann in andere. Schließlich durchsuchte er wütend-verzweifelt seinen ganzen Anzug. »Hinaus«, grollte Lady Simpson und deutete auf die Tür, als diese Suche kein Ergebnis brachte. »Hinaus, junger Mann! Und wagen Sie es nicht, mir noch mal unter die Augen zu treten! Ich hätte große Lust, Sie der Polizei zu übergeben!« »Ich bin von der Kriminalpolizei, Mylady!« »Erst, wenn Sie einen Dienstausweis haben, junger Mann. Mr. Parker, befreien Sie mich von diesem lästigen Subjekt!« Parker erledigte das mit Takt und Höflichkeit. Als er die Tür hinter Morella geschlossen hatte, sah er seine Herrin fragend an. »Natürlich ist er von der Polizei«, sagte sie sofort und schmunzelte. »In der Tat, Mylady!« »Darum werden wir sofort losfahren«, ordnete Lady Agatha an. »Dieser Mann kann unangenehm werden.« »Mit letzter Sicherheit, Mylady.« »Wir fahren nach Tartessos, Mr. Parker. Erledigen Sie die Einzelheiten! Wo steckt denn Kathy?« »Ich war so frei, Mylady, sie auf Senor Carlos de Santa Lengua44
dos anzusetzen.« »Wie war das?« Agatha Simpson starrte ihren Butler entgeistert an. »Ich erlaube mir die Hoffnung zu nähren, Mylady, daß der Gentleman den Mordschützen vom Flugplatz aufsuchen wird.« »Sie haben ihm von Anfang an nicht getraut?« »Ich hegte eine gewisse Reserve ihm gegenüber«, lautete Parkers Antwort. »Darum schürte ich auch den Glauben, Mylady verfüge über detaillierte Unterlagen des Professor Spelton, die sich auf den Goldschatz beziehen.« Mylady war ein wenig sprachlos und suchte nach einer passenden Antwort, die sich jedoch nicht einstellen wollte. * Bei Las Cabezas hatten sie die gute Straße verlassen, die von Sevilla nach Cadiz führte. Der fluchtartige Aufbruch aus dem Hotel hatte dank Butler Parker reibungslos geklappt. Vor der Rückkehr des Kommissar Morella saß man bereits in einem gemieteten Wagen und durchfuhr inzwischen das weite Mündungsgebiet des Guadalquivir, eine Landschaft von urwüchsiger Schönheit. Die Herrschaften schienen sich in einer anderen Welt zu befinden. Weite Weideflächen wechselten ab mit Feuchtgebieten und kleinen Mooren. Die Straße, die durch dieses Gebiet führte, war schmal und wurde kaum befahren. Zu beiden Seiten waren hin und wieder Rinderherden zu sehen, die ohne jede Aufsicht weideten. Butler Parker saß am Steuer des gemieteten Wagens. Es handelte sich um einen VW-Bus, den die ältere Dame zuerst äußerst mißtrauisch in Augenschein genommen hatte. »Sie wissen nicht genau, wo das Grabungsgelände sich befindet?« fragte sie. »Südlich von Sanlucar de Barrameda, Mylady.« »Und wo liegt das nun wieder?« Sie sah ihn mißbilligend an. »Eine kleine Hafenstadt an der Küste des Atlantik, Mylady«, erwiderte Parker. »Dort in der Nähe vermutet man Tartessos.« »Eine Stadt, die einmal existierte, kann doch nicht einfach von der Bildfläche verschwinden«, räsonierte sie. 45
»Diese Stadt, Mylady, hatte ihre Blütezeit etwa sieben- bis fünfhundert vor Christus«, erläuterte Parker. »Genauere Angaben gibt es nicht.« »Glauben Sie an diesen Goldschatz?« »Durchaus, Mylady! In den vergangenen Jahrzehnten konnten immer wieder wichtige Funde gemacht werden, darunter auch Gefäße und sonstige Gegenstände aus Gold.« »Eine Stadt kann nicht verschwinden«, sagte die ältere Dame noch mal. »Darf ich mich erkühnen, Mylady, an die Ausgrabungen im Mittelmeerraum zu erinnern?« Parker mußte bremsen, da eine Gruppe von Rindern sich auf der Straße niedergelassen hatte. »Ich möchte mir erlauben, an die Städte Troja oder Mykenä zu erinnern. Jahrtausende lang waren sie dem suchenden Auge verborgen. Im Falle Tartessos sprechen einige Archäologen von einer riesigen Flutwelle, die die Stadt dem Erdboden gleichmachte. In diesem Zusammenhang sollte ich noch erwähnen, daß andere Wissenschaftler vermuten, daß Tartessos und das sagenumwobene Atlantis identisch sind.« »Atlantis, Mr. Parker? Es soll wirklich existiert haben?« »Laut Platon in der Tat, Mylady.« »Und warum unternimmt man nicht Ausgrabungen im großen Stil? Wo etwas war, muß doch noch etwas sein.« »Diese Bemühungen scheiterten bisher an den finanziellen Mitteln, Mylady.« »Schlamperei«, urteilte Lady Agatha. »Hoffentlich haben Sie einen Spaten mitgenommen. Wahrscheinlich werde auch ich etwas graben lassen. Sie haben mir Appetit darauf gemacht.« »In Sanlucar werde ich mich sofort um passendes Ausgrabungsgerät kümmern, Mylady.« Parker verzog keine Miene und hupte nachdrücklich, um die widerkäuenden Rinder von der Straße zu scheuchen. Sie reagierten nicht. »Denen werde ich Beine machen.« Lady Agatha war froh, aktiv werden zu können. Sie hörte zwar, daß Parker noch etwas sagte, aber sie kümmerte sich nicht weiter darum. Sie hatte den Wagen bereits verlassen und marschierte auf die Rinder zu, die sie interessiert beäugten und dann aufstanden. Mylady schwenkte ihren perlenbestickten Pompadour und brei46
tete weit die Arme aus. Sie wähnte sich offensichtlich auf einer englischen Weide und glaubte, es mit harmlosen Rindern zu tun zu haben. Dies war jedoch keineswegs der Fall. Die Wiederkäuer fühlten sich provoziert und wurden ebenfalls aktiv. Sie senkten ihre massigen Köpfe samt Hörnern und nahmen die ältere Dame kurz entschlossen an. Agatha Simpson blieb wie versteinert stehen, als etwa vier bis sechs dieser Rindviecher auf sie zustürmten und dabei ihre Hörner senkten, um ihre vermeintliche Gegnerin in die Luft zu schleudern oder aufzuspießen. Butler Parker rettete die prekäre Situation. Er war hastig ausgestiegen und opferte einen seiner PatentKugelschreiber. Er warf ihn ohne jede Vorwarnung zwischen Lady Simpson und die anstürmenden Rinder. Bruchteile von Sekunden später schien eine kleine Sonne zu explodieren: Ein greller, fast weißer Lichtblitz blendete sowohl die Rinder als auch Lady Simpson. Agatha Simpson blieb weiterhin wie versteinert stehen. Die Rinder hingegen vollführten ohne Ausnahme eine Art Notbremsung und drehten dann seitlich ab. In wilder Panik rasten sie hinaus ins Buschgelände und suchten das Weite. »Was soll denn das, Mr. Parker?« Agatha Simpsons Stimme klang verärgert. »Hätten Sie mich nicht warnen können?« »Dazu blieb keine Zeit mehr, Mylady.« »Schnickschnack«, sagte sie gereizt. »Haben Sie etwa gedacht, ich würde mit diesen Kühen nicht fertig werden?« »Stiere, Mylady, Stiere«, korrigierte der Butler höflich. »Mylady müssen meine diesbezügliche Warnung beim Aussteigen überhört haben.« »Stiere?« Ihre Stimme klang nun doch ein wenig brüchig. »Das Mündungsgebiet des Guadalquivir gilt als Zuchtgebiet für Kampfstiere«, erläuterte Parker höflich. »Und diese Stiere gelten in Fachkreisen als besonders sensibel und nervös.« »Diese Bestien wollten mich angreifen?« »Das war die erklärte Absicht der Stiere, Mylady.« »Warum haben Sie dann nicht geschossen?« Ihre Augen hatten den grellen Lichtblitz inzwischen verdaut. Sie maß jetzt Parker mit einem empörten Blick. »Der Trick mit dem Lichtblitz hätte ja nicht klappen können.« 47
»Dies, Mylady, war meine Befürchtung.« »Ein scheußliches Land«, fand die Detektivin und eilte schnell zurück zum Bus. »Ich werde mich bei meinem Botschafter beschweren. Es ist unerhört, was einem hier zugemutet wird: Stiere auf einer Straße, die Jagd auf friedliche Touristen machen!« Parker enthielt sich wieder mal jeglichen Kommentars. Er setzte sich zurück ans Steuer und war im Grund eigentlich froh, daß wenigstens nicht auf sie geschossen worden war. Damit rechnete er nämlich. Bisher war seiner Meinung nach alles nur Vorspiel gewesen. Die eigentliche Auseinandersetzung mit den Mördern des Professors stand ihnen noch bevor. * »Unser Camp«, stellte Dr. Layton vor, ein mittelgroßer, schlanker Mann von etwa vierzig Jahren, der eine Brille trug. Dr. Layton, der Stellvertreter Professor Speltons, zeigte auf drei große Campingwagen und einige Zelte, die unter Bäumen standen. Dr. Layton wußte schon, daß der Professor in London ermordet worden war. Lady Simpson hatte ihm diese schreckliche Neuigkeit mitgeteilt, und Dr. Layton stand noch sichtlich unter dem Eindruck dieser Nachricht. »Und wo wird gegraben?« erkundigte sich die Lady neugierig. Das Camp reizte sie nicht sonderlich. »Dort drüben, Mylady, hinter dem Wall und den Bäumen.« »Darf ich fragen, Sir, ob Sie jetzt die Ausgrabungen leiten werden?« schaltete Josuah Parker sich ein. »Darüber kann ich überhaupt noch nichts sagen, Mr. Parker.« Dr. Layton zuckte die Achseln. »Die Entscheidung darüber liegt beim Kuratorium der Stiftung.« »Sie arbeiten nicht für eine Universität, Sir?« »Für eine Stiftung, aus der wir finanziert werden«, erklärt Dr. Layton. »Um genau zu sein, diese Stiftung wird von einer Mineralölfirma finanziert, die später einen Film über die Ausgrabungen drehen wird.« »Wer, außer Ihnen, Sir, hat noch zusätzlich eine leitende Stellung inne?« »Dr. Grolman und Dr. Finch, Mr. Parker, Archäologen wie ich.« »Kommen wir gleich zur Sache, junger Mann«, schickte Agatha 48
Simpson voraus, direkt wie immer. »Was wissen Sie von einem angeblichen Goldschatz; den es hier geben soll?« »Goldschatz, Mylady?« Dr. Layton lächelte unwillkürlich. »Wer hat Ihnen denn diesen Bären aufgebunden?« »Professor Spelton«, erwiderte Parker kühl. »Das kann ich mir nicht vorstellen, verzeihen Sie! Das halte ich für unmöglich.« »Es gibt Beweise für diesen Goldschatz«, warf die Detektivin ein, um dann sehr geschickt ärgerlich-verlegen zu werden. Man sah ihr an, daß sie gegen ihren erklärten Willen zuviel gesagt hatte. Sie versuchte, eine Korrektur anzubringen, verhaspelte sich, schwieg wieder und tat erneut verwirrt. »Dennoch, Mylady, von einem Goldschatz ist mir nichts bekannt«, wiederholte Dr. Layton. »Ich könnte mir allerdings vorstellen, daß Professor Spelton damit, sagen wir, einen Trick anwenden wollte, um zusätzliche Gelder für die Ausgrabungsarbeiten zu bekommen.« »Sind die denn notwendig?« wollte Agatha Simpson wissen. »Die Überweisungen der Stiftung sind in letzter Zeit drastisch gekürzt worden«, berichtete Dr. Layton. »Die Mineralölfirma finanzierte zusätzlich Grabungen in Mexiko. Bei uns hier reichte es vorn und hinten nicht mehr. Darum wollte er Sie ja auch aufsuchen, Mylady. Wir alle hier wissen, daß auch Sie gewisse Projekte finanzieren.« »Ihnen und Ihren Kollegen wäre ein Goldschatz nicht verborgen geblieben?« erkundigte Parker sich. »Das hätten wir gemerkt, Mr. Parker. Heimlichkeiten gibt es hier draußen nicht, glauben Sie mir.« »Hat Professor Spelton sich vor seiner Reise nach London ein wenig sonderlich verhalten?« Parkers nächste Frage klang kühl und beherrscht wie die vorherigen. »Er hatte Sorgen«, räumte Dr. Layton ein. »Diese Grabungen waren sein Lebensinhalt. Tartessos! Das muß man sich mal vorstellen!« »Was haben Sie bisher gefunden?« Die Detektivin wollte endlich die eigentlichen Ausgrabungen besichtigen. »Können Sie denn schon etwas vorweisen?« »Einige sehr interessante Fundamente, die auf einen Tempel hindeuten. Möchten Sie sie sehen?« »Ich warte darauf schon die ganze Zeit.« Sie folgte Dr. Layton, 49
der vorausging und auf den natürlichen Erdwall zuhielt, der mit Strauchwerk bewachsen war. Er benutzte eine Art Trampelpfad, der sich durch das dichte Unterholz schlängelte. Parker war mißtrauisch. Er ließ sich ein wenig abfallen, um die Lage besser überschauen zu können. Sein Universal-Regenschirm hing korrekt über dem angewinkelten linken Unterarm. Knapp unterhalb des Schirmgriffes hatte er eine der Beutewaffen griffbereit angebracht. Sie war wegen der faltigen Schirmseide nicht zu erkennen. Diese Pistole, die er bereits entsichert hatte, gehörte einem der beiden Männer, die den Service-Wagen am Flugplatz verfolgt und beschossen hatten. Für Parker stand es längst fest, daß man es mit zwei verschiedenen Gruppen zu tun hatte. Eine Gruppe war nur daran interessiert, Lady Simpson und ihn auszuschalten, die zweite Gruppe hingegen wollte von Lady Agatha in Erfahrung bringen, wo der Goldschatz sich befand. Mitglieder beider Gruppen hatten aller Wahrscheinlichkeit nach ihre Verbindungsleute oder gar Auftraggeber hier im Camp. Nun, es tat sich überraschenderweise nichts. Man hatte den Erdwall erreicht und blieb hoch oben auf ihm stehen. Zu ihren Füßen war das Ausgrabungsfeld deutlich zu überblicken. Es gab hier lange Gräben, die sich schnurgerade durch das Feld zogen, die teilweise aber bereits mit Grundwasser gefüllt waren. Dann gab es viereckige und rechteckige Gruben, aus denen tatsächlich mächtige, zyklopenhafte Grundmauern emporragten. Etwa zwei Dutzend Arbeiter waren damit beschäftigt, diese Grundmauern freizulegen oder die Gruben mittels Pumpen vom Grundwasser freizuhalten. Als Parker ein fremdartiges Zirpen hörte, dachte er keinen einzigen Moment an eine Grille. Er rempelte seine Herrin sehr nachhaltig an und brachte sie aus der Schußlinie, während bereits ein zweites Zirpen zu vernehmen war. »Was soll denn das?« fauchte die ältere Dame. »Schallgedämpfte Schüsse, Mylady«, meldete Butler Parker, während er höflich seine schwarze Melone lüftete. »Mylady erfreuen sich eines schon ungewöhnlichen Interesses, wenn ich es so ausdrücken darf.«
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* Dr. Grolman, fünfzig Jahre, klein, untersetzt, hatte ein gerötetes Gesicht und roch penetrant nach Whisky. Er schüttelte Lady Simpson sehr nachhaltig die Hand und stellte dann den dritten wissenschaftlichen Mitarbeiter vor. Dr. Finch war eine Frau, die laut Parkers Schätzung Mitte vierzig sein mußte. Alles an ihr war eckig und spitz, weibliche Rundungen ließen sich kaum ausmachen. Sie machte einen verkniffenen Eindruck und schien nur aus Mißtrauen zu bestehen. »Goldschatz? Das ist doch Humbug«, sagte sie scharf. »Das ist unwissenschaftlich, Mylady! Wir graben hier nicht nach Gold, sondern nach Zeugen der Vergangenheit.« »Natürlich gibt es hier Gold«, widersprach Dr. Grolman lärmend und lächelnd. »Der ganze Boden steckt voll davon, wenn Sie mich fragen. Man muß nur die richtige Stelle finden.« »Wurde sie gefunden, wenn man fragen darf?« warf Butler Parker ein. »Um es noch mal zu wiederholen: Hätte Professor Spelton ohne Ihr Wissen solch einen Goldschatz entdecken können?« »Unsinn«, zischte Dr. Finch und verzog ihr Gesicht zu einer verächtlichen Grimasse. »Das hätten wir gemerkt.« »Nichts hätten wir gemerkt, aber auch rein gar nichts«, widersprach Dr. Grolman und nahm dann erst mal einen Schluck aus seinem Whiskyglas. »Macht euch doch nichts vor, Herrschaften! Wer war denn in den vergangenen Wochen kaum ansprechbar? Wer hatte Geheimnisse? Wer sonderte sich ab und grub an Stellen, die wir überhaupt nicht kennen: Professor Spelton!« »Sie sind betrunken, Grolman«, sagte Dr. Finch spitz und maß ihren Kollegen mit einem verächtlichen Blick. »Ihr Benehmen ist unerträglich!« »Darf ich höflichst fragen, Dr. Layton, ob die Angaben Dr. Grolmans richtig sind?« Parkers Gesicht glich dem eines ausgebufften Pokerspielers. »Nun ja, in einem gewissen Sinn hat Grolman schon recht«, antwortete Dr. Layton widerwillig. »Abgesondert hat der Professor sich tatsächlich. Er hat auch auf eigene Faust Stichgrabungen vorgenommen.« »Weil er unter schrecklichem Zeitdruck stand«, verteidigte Dr. Finch ihren Professor, den sie wohl sehr verehrt haben mochte. 51
»Er mußte doch Ergebnisse vorweisen, um auch weiterhin Geld zu bekommen.« »Sind seine privaten Grabungen bekannt?« stellte Parker seine nächste Frage. »Alle«, antwortete Dr. Finch schnell und hastig. »Ich könnte sie Ihnen zeigen.« »Nicht alle«, widersprach Dr. Grolman erneut und nahm noch einen Schluck aus dem Glas. »Fragen Sie doch mal den Vorarbeiter, der mit ihm losgezogen ist.« »Und wer ist das, Sir?« Parker nahm den ihm zugespielten Ball gern auf. »Der Mann heißt Manuel Huesca, aber den werden Sie nicht fragen können, Mr. Parker«, schaltete sich Dr. Layton ein. »Manuel ist, nun ja, ist verschwunden.« »Gleich nach der Anreise des Professors«, sagte Dr. Grolman und nickte zögernd. »Sein Verschwinden können wir uns nicht erklären, denn er nahm hier eine Sonderstellung ein und wurde gut bezahlt.« »Bei seiner Familie ist er bisher nicht aufgetaucht«, fügte Dr. Finch hinzu. »Das habe ich erst vor zwei Stunden in Erfahrung bringen können.« »Er wohnt hier in der Nähe?« »In einem kleinen Küstenstädtchen, Mr. Parker«, erwiderte sie. »Chipiona heißt der Ort. Ich kenne die Familie recht gut, alles sehr anständige Leute. Mylady, wenn Sie Beweise für den Goldschatz haben, wie Sie sagten, warum legen Sie sie nicht einfach auf den Tisch?« fragte jetzt Dr. Layton. »Beweise?« Dr. Finchs Nase wurde noch spitzer. »Nee, sagen Sie bloß!« Dr. Grolman vergaß, den geplanten Schluck aus seinem Glas zu nehmen. Er sah die ältere Dame ungläubig an. »Der Professor hat Ihnen Beweise für die Existenz des angeblichen Goldschatzes vorlegen können?« Dr. Finch hüstelte vor Erregung. »Schriftliche Aufzeichnungen über Lage und Ort«, sagte Parker gemessen. »Das ist ja so sagenhaft wie Tartessos selbst«, lärmte Dr. Grolman und holte dann den vergessenen Schluck schleunigst nach. »Wo befinden sich denn die Unterlagen?« fragte Dr. Layton, wobei seine Stimme leicht belegt klang. 52
»An einem sicheren Ort«, erwiderte der Butler und faßte scheinbar unbewußt nach dem Sitz seiner Brieftasche. Er hoffte, daß der Köder fett genug war, um angenommen zu werden. * Sie hatte durchblicken lassen, daß sie weitere Ausgrabungen möglicherweise finanzieren würde. Damit hatte Agatha Simpson das Übernachtungsproblem elegant gelöst. Selbstverständlich war ihr daraufhin der kleinste der drei Campingwagen zur Verfügung gestellt worden. Butler Parker hingegen hatte Quartier im VW-Bus bezogen, den er nicht ohne Grund in Sevilla gemietet hatte. Dieser Wagen stand ein wenig abseits vom Camp und kontrollierte die schmale Zufahrtstraße zu den Zelten und Wohnwagen. Obwohl es auf Mitternacht zuging, war Butler Parker wach und angekleidet. Er saß auf der schmalen Sitzbank und beobachtete durch eines der Fenster den Wohnwagen, in dem seine Herrin schlief. Nachdem er den fetten, appetitlichen Köder ausgelegt hatte, war mit Überraschungen zu rechnen. Parker hatte mehrmals versucht, sich mit Kathy Porter per Funksprechfunk in Verbindung zu setzen, doch bisher hatte es nicht geklappt. Der Butler machte sich deswegen zwar keine übertriebenen Sorgen, doch er mußte natürlich immer wieder an Kathy Porter denken. Gewiß, sie war geschickt und wußte sich selbst in scheinbar ausweglosen Situationen zu helfen, doch hier befand man sich in fremdem Land. Er hatte sie auf den angeblichen Kriminaldirektor angesetzt, der sich Carlos de Santa Lenguados genannt hatte. Sie sollte herausfinden, wer dieser Mann war und mit wem er zusammenarbeitete. Parker hegte den Verdacht, daß dieser Carlos de Santa Lenguados der Chef jener beiden Gangster war, die von Kathy Porter in London außer Gefecht gesetzt worden waren… Parkers Aufmerksamkeit wurde alarmiert. Er sah die Lichter eines Fahrzeugs, das sich langsam dem Camp näherte. Besonders verdächtig sah der Wagen nicht aus, sonst hätte der Fahrer wohl auf das Licht verzichtet. Dennoch, Parker erhob sich von der schmalen Sitzbank und ließ den Wagen nicht aus den Augen, der ihn passierte und Kurs auf die Campingwagen 53
nahm, um dann hinter ihnen zu verschwinden. Die Neugier des Butlers war zusätzlich geweckt worden. Sein Instinkt sagte ihm, daß Gefahr in der Luft lag, Gefahr für Lady Simpson. Parker hielt es für angebracht, zu ihrem Campingwagen hinüberzugehen. Er öffnete die Schiebetür des VW-Bus und erlebte eine mehr als peinliche Überraschung. Die Tür war von außen verschlossen worden. Parker bearbeitete vergeblich den Türgriff, erkannte die Nutzlosigkeit seiner Bemühungen und stieg erstaunlich geschmeidig über die Sitzbank nach vorn ins Fahrerhaus. Es wunderte ihn kaum, daß auch hier beide Türen verschlossen waren. Er ärgerte sich, auf solch simple Art und Weise überlistet worden zu sein, holte mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms aus und zertrümmerte die Frontscheibe des VW-Bus. Dies erwies sich als recht zeit- und kraftraubend. Zwischendurch schaute er immer wieder hinüber zu den Campingwagen, konnte jedoch nichts erkennen. Mühte er sich sinnlos ab? Hatte er sich den inneren Alarm nur eingebildet? Die Frontscheibe war endlich zertrümmert. Parker entfernte oberflächlich die Reste der Scheibe und stieg dann nach draußen. Es wunderte ihn übrigens, daß das Klirren der Scheibe und die harten Schläge gegen sie nicht gehört wurden. Parker ordnete seinen schwarzen Zweireiher, rückte sich die Melone auf dem Kopf zurecht und legte den Griff seines Regenschirms korrekt über den angewinkelten linken Unterarm. Dann schritt er schnell, aber dennoch beherrscht und ohne Hast zu den Campingwagen hinüber. Plötzlich heulte ein Motor auf. Um einen der Campingwagen kam ein Auto herum, an das der kleinste Campingwagen angekoppelt war. Parker zog die Schußwaffe aus seinem Regenschirm, um Bruchteile von Sekunden später das nahe Erdreich aufzusuchen. Aus dem Auto wurde eine Serie von Geschossen auf ihn abgefeuert, die lebensgefährlich gut lagen. Parker mußte es zulassen, daß Auto samt Campingwagen Fahrt aufnahmen und dann in der Dunkelheit verschwanden. Dies geschah sehr schnell, da der Fahrer des Wagens das Licht ausgeschaltet hatte, um kein Ziel zu bieten. Butler Parker erhob sich und griff nach der kleinen Kleiderbürste in einer seiner Taschen. Fast pedantisch säuberte er seinen 54
schwarzen Zweireiher und wunderte sich erneut darüber, daß sich im Camp nichts rührte. Man schien hier in einen Tief schlaf gefallen zu sein. * Lady Agatha war erzürnt. Man hatte sie aus dem Schlaf geschreckt und fuhr nun mit ihr und dem Campingwagen durch die Nacht. Man fuhr sehr schnell und machte es ihr so unmöglich, den Wagen zu verlassen. Was sie ohnehin nicht getan hätte, denn sie wußte natürlich, daß sie entführt worden war. Und nun wollte sie herausfinden, wer diese Subjekte waren. Sie hielt sich an einem Deckenfach fest, schob die Gardine zur Seite und beobachtete die Landschaft. Die Lichtverhältnisse waren jedoch schlecht und schürten zusätzlich noch ihren Unwillen. Sie machte Buschgelände aus, Weiden, kleine Wasserläufe und Seen, doch das alles sagte ihr nichts. Sie nahm auf dem Kastenbett Platz und wartete auf das Ende der Fahrt. Das ließ jedoch auf sich warten. Agatha Simpson wurde von Minute zu Minute immer nachhaltiger durchgeschüttelt. Ein fester Weg schien das nicht mehr zu sein. Mylady prüfte das erst gar nicht nach. Sie war schon eine ungewöhnliche Frau und ergab sich keineswegs in ihr Schicksal, wie man vielleicht hätte glauben können. Nein, sie entspannte sich und sammelte Kraft für spätere Auseinandersetzungen. Sie überprüfte ihre >Notausrüstung<. Sie stammte von Josuah Parker und war in seinem Speziallabor zusammengestellt worden. Da gab es erst mal eine Hutnadel, die völlig harmlos und wie selbstverständlich in dem Gebilde steckte, das Lady Simpson als Hut bezeichnete. Diese Nadel sah unverdächtig aus, hatte es jedoch in sich. Die Spitze war chemisch präpariert und befand sich in einem winzigen Köcher innerhalb des Hutes. Stach man mit dieser Nadel zu, wurde der Getroffene von einem geradezu wilden Schlafbedürfnis erfaßt. Dann verfügte die ältere Dame über eine Lorgnette, über eine altmodisch aussehende Stielbrille also. Die eigentliche Brille konnte man wegklappen und im Stiel verschwinden lassen, der ebenfalls ein raffiniert getarnter Köcher war. Zog man die Brille aus 55
dem Stiel, hatte man eine wirkungsvolle Stich- und Schneidewaffe zur Hand. Weiterhin besaß die Detektivin einen sogenannten Borgiaring. Es handelte sich um einen alten, verkratzten Ring, der keine Besonderheiten aufwies, was allerdings eine Täuschung war. Durch einen Druck auf die obere Kante sprang die Deckplatte zur Seite und gab den Weg frei für einen spitzen Dorn, der natürlich ebenfalls chemisch behandelt war. Die von diesem Dorn erwischte Person litt augenblicklich unter einem schier unerträglichen Juckreiz, der bis an den Rand des Wahnsinns trieb. Weiterhin hatte die resolute Dame eine Brosche am Halsausschnitt ihres Kostüms. Es war nichts anderes als eine getarnte Pillendose, die einige bunt gefärbte Präparate enthielt. Agatha Simpson brauchte nur zu wählen, wenn gewisse Lagen es erforderten. Da waren sogenannte Blitzbetäuber, Langzeitschlafmittel und Brechreizverursacher. Zudem pendelte am Handgelenk der Lady der perlenbestickte Pompadour mit dem »Glücksbringer« in Form eines Pferdehufeisens. Gerade damit wußte Agatha Simpson gut umzugehen. Sie freute sich schon jetzt darauf, ihn bald einsetzen zu können… Und dann war die Fahrt plötzlich zu Ende! Nach einer glatten Strecke hielt der Campingwagen. Lady Simpson schaute nach draußen und sah die weiß getünchten Mauern eines großen Anwesens. Sie entdeckte eine Art Herrenhaus, Nebengebäude und Stallungen. Und sie machte zwei Männer aus, die sich dem Campingwagen näherten. Es war soweit! Man wollte sich mit ihr befassen. Agatha Simpson kam zu dem Schluß, sich aus taktischen Gründen erst mal recht friedfertig zu geben. Zum Zuschlagen war später immer noch Zeit. Die Tür des Campingwagens wurde geöffnet. Die beiden Männer, durchschnittlich aussehend, mittelgroß und schlank, nach Lady Simpsons Meinung eindeutig Spanier, verbeugten sich höflich und baten die Insassin durch Gesten, den Wagen zu verlassen. Sie strengten sich an, die Schußwaffen nicht zu zeigen, die sie trugen. Die ältere Dame nickte hoheitsvoll, stieg aus und schaute sich genauer um. Kein Zweifel, sie befand sich auf der Rückseite des Herrenhauses, auf einem weiten Hof, der von hohen Mauern umgeben war. Sie ging voraus, als einer der beiden Spanier auf den 56
hinteren Eingang des Herrenhauses deutete. Wenig später sah sie sich ihrem »Gastgeber« gegenüber und war nun doch ein wenig überrascht. »Sie?« fragte sie. »Ich bedaure außerordentlich die ungewöhnlichen Umstände Ihrer Einladung«, erwiderte Carlos de Santa Lenguados und verbeugte sich. »Hoffentlich hatten Sie trotz der schlechten Wege eine einigermaßen gute Fahrt, Mylady.« »Sie haben mich entführen lassen!« Die Sechzigjährige grollte ein wenig, weil dieser Mann das bestimmt von ihr erwartete. »Ich muß mich wirklich zutiefst entschuldigen, Mylady.« Carlos de Santa Lenguados brach vor Schuldgefühlen fast in sich zusammen. »Ich sah leider keine andere Möglichkeit, Sie dem Einfluß Ihres Butlers zu entziehen.« »Und was versprechen Sie sich von diesem Kidnapping, junger Mann?« »Konkrete Hinweise, die einen Goldschatz betreffen, Mylady. Ich bin sicher, daß wir uns schnell und gütlich verständigen werden.« »Wollen Sie mir nichts anbieten, junger Mann? Mein Kreislauf ist völlig in Unordnung geraten.« »Wie nachlässig von mir. Unentschuldbar!« Carlos de Santa Lenguados litt förmlich Qualen. »Darf ich Sie bitten, mit mir in den Salon zu kommen, Mylady?« »Sie sind der Besitzer des Hauses?« »Der Pächter, Mylady, um genau zu sein. Ich züchte Kampfstiere.« »Diese aggressiven Bestien?« Die Lady verzog angewidert ihr Gesicht, während sie ihm folgte. »Bestien, Mylady?« Carlos de Santa Lenguados blieb stehen und sah die ältere Dame entsetzt an. »Bestien? Es sind wahre Schönheiten, Mylady. Sie dienen dem Kult des Stierkampfes, der weit in die Vorgeschichte hineinreicht. Bestien? Ebenbürtige Partner des Menschen, der mit Ihnen das Ballett des Todes aufführt.« »Ich glaube, ich brauche jetzt einen dreistöckigen Kognak«, fand Lady Agatha, die von diesen Ballettaufführungen nichts hielt. »Warum ist ein Mann wie Sie eigentlich hinter einem Goldschatz her? Reine Geldgier?« »Betriebskapital«, korrigierte Carlos de Santa Lenguados. »Ich werde meine Zucht noch vergrößern. Ich lebe und sterbe für meine Kampfstiere. Wahrscheinlich können Sie als Engländerin so 57
etwas nicht verstehen.« »Papperlapapp, junger Mann! Ich schätze Rindviecher durchaus.« Sie sah ihn kühl an. »Sie müssen mir aber in Form von Steaks serviert werden. Aber das werden wahrscheinlich Sie nicht begreifen!« * »Weg, verschwunden, wie in Luft aufgelöst«, sagte Dr. Layton und schüttelte ratlos den Kopf. »Ohne eine Nachricht zu hinterlassen«, mokierte sich Dr. Finch. Ihr Gesicht sah noch spitzer aus als sonst. »Ich wundere mich kaum«, warf Dr. Grolman wegwerfend ein. »Die Arbeiter waren einfach sauer. Denken Sie an die schlechten Arbeitsbedingungen!« Die drei Wissenschaftler hatten zusammen mit Parker die Zelte der Grarbungsarbeiter aufgesucht, sie jedoch leer gefunden. Parker war es erst nach langer Mühe gelungen, die drei Archäologen wachzukriegen. Sie machten noch immer einen benommenen Eindruck, und Parker war klar, daß man sie mit einem starken Schlafmittel behandelt hatte. Darum hatten sie auch nicht reagieren können, als Lady Simpson entführt wurde. Sie klagten über Kopfschmerzen und Brechreiz, schleppten sich zurück zu einem der Campingwagen, wo Parker ihnen einen äußerst starken Kaffee aufbrühte, den sie schluckweise, dankbar und wie ausgedurstet zu sich nahmen. »Welche schlechten Arbeitsbedingungen meinen Sie speziell, Sir?« fragte Parker höflich. »Wurden, um nur ein Beispiel zu nennen, die Löhne nicht gezahlt?« »Prompt und pünktlich«, warf Dr. Finch ein. »Bis zum Hals haben diese armen Teufel im Grundwasser gesteckt«, präzisierte Dr. Grolman. »Und dann die vielen Mücken hier im Delta. Die sind ja kaum zu ertragen.« »Ein seltsames Zusammentreffen«, sagte Butler Parker. »Ausgerechnet in der Nacht, in der Mylady entführt wurde, verschwinden auch die Arbeiter. Um einen sogenannten Zufall kann es sich unmöglich gehandelt haben.« »Was vermuten denn Sie?« Dr. Layton sah den Butler aufmerksam an. 58
»Die Arbeiter dürften eine ernsthafte Warnung erfahren haben«, erwiderte Parker. »Sie dürften das Feld nicht ganz freiwillig geräumt haben.« »Warnung? Vor was oder wem?« Dr. Finchs Gesicht wurde wieder spitz. »Gefahr für Leib und Seele, Madam«, erklärte Parker. »Diese Drohung muß sehr massiv ausgefallen sein.« »Aber sie muß doch von irgendwem stammen, Mr. Parker?« Dr. Grolman schüttelte den Kopf. »Wer soll die Arbeiter denn in Panik versetzt haben?« »Gangster, Sir, um es allgemein auszudrücken. Gangster, die hinter dem Goldschatz her sind.« »Dann… dürften auch wir hier in Gefahr sein.« Dr. Layton sah sich unwillkürlich um. »Mit Sicherheit, Sir!« Parker ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Die Gangster möchten sich hier ungestört tummeln.« »Nachdem Lady Simpson ihnen das Versteck des Goldschatzes verraten hat, wie?« Dr. Grolman lächelte vage. »Hören Sie, ich glaube kaum, daß Professor Spelton solch einen Schatz gefunden hat.« »Wir müssen die Polizei verständigen.« Dr. Finch setzte sich kerzengerade auf. »Ich kann Ihre Ruhe nicht verstehen, Mr. Parker. Immerhin ist Lady Simpson schon seit gut einer Stunde verschwunden, aber Sie tun nichts anderes als Vermutungen anstellen. Hat das nicht Zeit? Muß nicht die Polizei her? Man muß doch nach Lady Simpson suchen!« »Dies wird sofort geschehen, Madam.« Parker nickte zustimmend. »Sobald der Sonnenaufgang sich ankündigt, werde ich die Verfolgung aufnehmen.« »Hören Sie, Mr. Parker«, sagte Dr. Layton, der sichtlich nachgedacht hatte. »Hat Lady Simpson Sie eigentlich ins Vertrauen gezogen? Haben Sie wenigstens eine ungefähre Ahnung, wo dieser Goldschatz sich befindet? leb würde dann nämlich vorschlagen, daß wir diesen Schatz schleunigst heben und ihn gegen Lady Simpson austauschen.« »Hört sich nicht schlecht an«, meinte Dr. Grolman. »Das wäre eine gute und schnelle Lösung«, fand auch Dr. Finch. Sie sah den Butler abwartend an. »Falls Lady Simpson Sie eingeweiht hat, dann müssen Sie jetzt reden, Mr. Parker. Es geht um das Leben der Lady!« 59
»Ich stehe leider mit leeren Händen vor Ihnen«, schickte Butler Parker bedauernd voraus. »Mylady weihte meine bescheidene Person nicht ein.« »Aber gibt es denn keine Unterlagen über diesen Schatz?« Dr. Laytons Stimme klang ungeduldig. »Sie selbst hat doch davon gesprochen. Erinnern Sie sich?« »Es muß diese Unterlagen geben«, bestätigte der Butler und nickte. »Ich habe dieses Päckchen mit den Aufzeichnungen und Lageskizzen selbst gesehen.« »Und wo, zum Teufel, sind sie?« brauste Dr. Grolman auf. »Ich wette, daß Sie sie verwahren, Mr. Parker«, sagte Dr. Layton und deutete auf die Stelle des schwarzen Zweireihers von Parker, an der er die Brieftasche vermutete. »Schon im Interesse Lady Simpsons dürfen Sie jetzt keine falschen Rücksichten nehmen«, setzte Dr. Finch nach. »Sie haben sie also, nicht wahr?« »Dies war in der Tat der Fall«, erwiderte Parker. »Bevor Mylady sich aber zur Ruhe niederlegte, gab ich die Unterlagen an Mylady zurück.« »Damit wäre diese Chance vertan«, meinte Dr. Finch leise. »Dann sind die Unterlagen also im Campingwagen.« Dr. Grolman nagte an seiner Unterlippe. »Oder bei ihr«, schränkte Dr. Layton den Kreis der Möglichkeiten noch enger ein. »In der Tat«, erwiderte Parker sehr allgemein. »Ich erinnere jedoch an eine ganz bestimmte Einzelheit.« »Nämlich?« Dr. Layton atmete hörbar auf und schöpfte neue Hoffnung. »Mylady sprach mir gegenüber vom Grabungsfeld siebenundfünfzig, wo laut Professor Spelton der Sarkophag, des Mondgottes gefunden wurde.« »Aha«, meinte Dr. Grolman und nickte. »Immerhin eine Spur«, sagte Dr. Finch. »Wir müssen sofort nachsehen«, fügte Dr. Layton hinzu. »Da bietet sich Lady Simpson immerhin noch eine schwache Chance.« Die drei Wissenschaftler hatten es nun sehr eilig, verließen den Campingwagen und liefen dem Fahrzeug zu, wo die Grabungskarten aufbewahrt wurden. Parkers Gesicht blieb ausdruckslos. Er sah den drei Archäologen nach, die seiner bescheidenen Ansicht nach keine waren! 60
* »Darf ich jetzt zur Sache kommen, Mylady?« begann Carlos de Santa Lenguados, nachdem die ältere Dame ihren Kreislauf stabilisiert hatte. Der Stierzüchter war nach wie vor ungemein höflich. »Ich weiß, daß Professor Spelton einen Goldschatz gefunden hat. Ich weiß ferner, daß Sie im Besitz dieser Unterlagen sind. Tauschen wir sie einfach aus, Mylady, so nämlich lautet mein Vorschlag: Sie geben mir die Unterlagen, ich werde nachprüfen, ob sie echt sind, und Sie sind dann wieder ein freier Mensch.« »Nicht so hastig, junger Mann«, gab die Detektivin abweisend zurück. »Wer garantiert mir, daß Sie Ihr Wort halten werden?« »Sie können sich auf mein Wort verlassen, Mylady.« »Ich möchte von Ihnen nicht umgebracht werden wie Professor Spelton.« »Sein Tod war ein bedauerliches Versehen, Mylady, wie ich Ihnen versichern darf.« »Er geht aber auf das Konto Ihrer beiden Kreaturen Les und Bill, nicht wahr?« »Übereifrige Männer, die ich noch zur Rechenschaft ziehen werde. Mylady, ich weiß, daß Sie die Unterlagen von Professor Spelton erhielten. Übergeben Sie sie mir, bitte. Es widerstrebt mir, Gewalt anwenden zu müssen.« »Sie wagen es, junger Mann, mir zu drohen?« Ihre Stimme grollte. Sie sah den Mann empört an. »Nicht Ihnen, Mylady«, korrigierte Carlos de Santa Lenguados, oder wie er sonst heißen mochte. »Ich habe vergessen Ihnen zu sagen, daß Miß Porter mein Gast ist.« »Sie befindet sich hier im Haus?« »In einem vorerst noch sehr bequem eingerichteten Zimmer, Mylady. Sie erhält selbstverständlich ebenfalls ihre Freiheit, sobald ich die bewußten Unterlagen habe.« »Wo haben Sie das gute Kind erwischt, junger Mann?« »Als sie mich hierher verfolgte.« Carlos de Santa Lenguados lächelte etwas überheblich. »Gewiß, sie gab sich alle Mühe, unauffällig zu bleiben, aber es reichte nicht.« »Ist ihr auch nichts passiert?« »Nichts, Mylady, mein Wort darauf! Und nun die Unterlagen! Ich 61
möchte nicht noch mehr Zeit verlieren.« »Nun ja, ich werde wohl auf Ihren Vorschlag eingehen müssen.« »Ein wirklich guter Entschluß, Mylady.« »Doch vorher noch eine Frage, ja? Haben Sie auf dem Flugplatz von Sevilla auf mich schießen lassen?« »Wurden Sie getroffen?« fragte der Mann lächelnd. »Reiner Zufall, daß es nicht dazu kam. Wollten Sie mich umbringen lassen?« »Ich hätte Sie ganz gern in einem Hospital gesehen, Mylady, um offen zu sein.« »Warum denn?« Mylady war verblüfft. »Man berichtete mir aus London, daß Sie eine sehr energische Dame sind.« »Dann gab es in London also doch noch eine dritte Person?« »Was spielt das jetzt noch für eine Rolle!« Zuerst nickte Lenguados, dann lächelte er wegwerfend. »Die Unterlagen!« »Demnach haben Mr. Parker und ich es also doch nur mit einer einzigen Gangsterbande zu tun, oder?« »Sie benutzen sehr starke und harte Ausdrücke, Mylady, aber es gibt tatsächlich nur meine Gruppe.« »Jetzt möchte ich nur noch wissen, woher Sie von diesem Goldschatz erfuhren? Der Professor wird Sie doch bestimmt nicht eingeweiht haben.« »Sein Vorarbeiter Manuel gab mir den Tip, Mylady. Sind Sie jetzt zufrieden? Nein, nein, er verriet den Professor nicht. Ich sehe es Ihnen an, daß Sie diese Frage stellen wollen. Manuel Huesca mußte erst ein wenig überredet werden, bevor er redete.« »Lebt er noch?« Jetzt klang die Stimme der älteren Dame recht scharf. »Er konnte seine Chance nicht wahren«, gab Lenguados zurück. »Der Stier war schneller und gewandter.« »Welcher Stier, junger Mann?« »Der Stier, gegen den er antrat, Mylady. Aber nun die Unterlagen, sonst werde ich ungeduldig.« »Sie haben mich völlig in der Hand«, seufzte die Sechzigjährige und langte in ihren Ausschnitt. Sie wandte sich schamvoll ab, um dann eine dünne Rolle Papier hervorzuholen, die sie Lenguados überreichte. »Sehr klug und vernünftig, Mylady«, meinte Lenguados und 62
rollte das Papier auseinander. »Auch Sie werden Ihre Chance bekommen.« »Chance? Soll das heißen, daß ich…« Sie schluckte und brachte den Satz nicht zu Ende. »Das soll es heißen«, gab er süffisant lächelnd zurück. »Sie haben die Chance, einen Kampfstier in Steaks zu zerlegen, falls dieser Stier es zuläßt!« * Sie achteten nicht auf Parker, vielleicht sahen sie ihn auch gar nicht. Die drei Archäologen hatten sich über den Kartentisch gebeugt und studierten diverse Grabungskarten. Sie stritten miteinander und rissen sich die Unterlagen fast gegenseitig aus den Händen. Ihre Gier, die richtige Karte zu finden, war Parker schon fast peinlich. Er holte einen Patentkugelschreiber aus einer der vielen Westentaschen, verdrehte beide Hälften gegeneinander und entsicherte die Ladung. Dann ließ er den Kugelschreiber in das Innere des Campingwagens rollen und schloß diskret die Tür. Er stellte den Bambusgriff seines Universal-Regenschirms unter die Klinke und schob unter die Schirmspitze eine passende Kiste. Sie gehörte zu einer ganzen Reihe von großen und kleinen Behältern, die mit diversen Tonscherben gefüllt waren. Es dauerte nicht lange, bis die drei Wissenschaftler unbedingt ins Freie gelangen wollten. Sie rüttelten an der verstellten Klinke und brüllten Schimpfworte, die allerdings innerhalb weniger Sekunden schwächer wurden. Nach etwa fünfzehn Sekunden war es im Campingwagen still geworden. Butler Parker wartete noch ein paar zusätzliche Sekunden ab, bevor er die Türsperre entfernte. Als er dann vorsichtig öffnete, fiel ihm Dr. Finch entgegen. Die Wissenschaftlerin schlief fest. Butler Parker fing sie höflich auf und setzte sie auf dem Boden ab. Er langte mit dem Griff seines Regenschirms in den Wagen, den er zu diesem Zeitpunkt nicht betreten wollte. In ihm befanden sich schließlich hochwirksame Dämpfe, die aus dem Patentkugelschreiber stammten und die für den Tiefschlaf der drei Wissenschaftler verantwortlich waren. 63
Wie ein Bäcker die Brote aus dem Backofen holt, so zog Parker mittels seines Schirms die beiden anderen Wissenschaftler an das aufkommende Licht des Tages. Er setzte sie zu Dr. Finch und verband die drei Personen mit zwei Handschellen. Da er erfahrungsgemäß noch Zeit hatte, bis die Betäubten wieder zu sich kamen, untersuchte er die Fahrzeuge auf dem Parkplatz hinter den Zelten. Er entschied sich in Anbetracht des schwierigen Geländes hier draußen im Delta für einen einfachen, aber robusten Jeep, der wahrscheinlich noch aus dem Zweiten Weltkrieg stammte. Der Wagen war völlig intakt und aufgetankt. Parker setzte sich ans Steuer und fuhr mit ihm zurück zu den Campingwagen. Dr. Finch war inzwischen wieder zu sich gekommen. Sie sah ihn mit funkelnden Augen an. »In Anbetracht der allgemeinen Lage möchte ich mich noch nicht mal entschuldigen«, sagte Josuah Parker. »Was soll das?« fragte sie und nahm ihren rechten Arm hoch. Da er durch eine Handschelle mit dem linken Arm Dr. Grolmans verbunden war, hob auch Grolman seinen Arm, obwohl er noch nicht ganz zu sich gekommen war. »Wie kommen Sie dazu, uns Handschellen anzulegen?« fuhr Dr. Layton den Butler an. Er hob seinen linken Arm, worauf der rechte Dr. Grolmans sich wie grüßend hob. »Sie entsprechen nicht dem, was ich unter einem Wissenschaftler verstehe«, erwiderte der Butler höflich. »Mit anderen Worten, ich hege deutliche Zweifel daran, ob Sie sich in der Archäologie auskennen.« »Was fällt Ihnen ein?!« brauste Dr. Finch auf. »Sie protestierten mit keinem Wort, Madam, als ich vom Sarkophag des Mondgottes sprach«, gab Parker gemessen zurück. »Diesen Sarkophag gibt es nicht, wie Sie später vielleicht mal nachlesen können. Als ich mir erlaubte, ihn zu erwähnen, reagierten sie überhaupt nicht. Damit war für meine bescheidene Wenigkeit der schlüssige Beweis geliefert: Sie sind keine Archäologin! Sie geben etwas vor zu sein, was Sie nicht sind.« »Nicht schlecht«, meinte Dr. Finch und lächelte verkniffen und spitz. »Wann ist Ihnen der erste Verdacht gekommen?« »Als Mylady und meine bescheidene Person hier eintrafen, Madam, verhielt Dr. Layton sich äußerst zurückhaltend, was allgemeine Angaben über Tartessos angeht. Er schien sich schlecht 64
vorbereitet zu haben. Erfahrungsgemäß aber neigen Experten dazu, ihre Gäste mit Details und Fachbegriffen förmlich einzudecken, unbewußt, wie ich betonen möchte. Dies alles vermißte ich sehr.« »Sie wollen nicht wissen, wo die drei wirklichen Archäologen sind, Mr. Parker?« Dr. Finch lächelte spitz wie vorher, doch nun auch noch überlegen dazu. »Darf ich unterstellen, daß sie sich in der Gewalt eines Mannes befinden, der sich Carlos de Santa Lenguados nennt?« »Sie dürfen!« Dr. Finch lächelte noch intensiver und hohnvoll dazu. »Und dort befindet sich auch Ihre Lady, Mr. Parker. Und noch eine Dame, die allerdings wesentlich jünger ist.« »Sie meinen sicher Miß Kathy Porter, nicht wahr?« »Wen sonst, Parker!? Sie sehen, unsere Aussichten sind eigentlich gar nicht so schlecht.« »Ich fürchte, ich werde ein wenig nachdenken müssen«, gestand Parker und ließ erkennen, daß er beeindruckt war. »Sie werden sehr schnell nachdenken müssen«, empfahl ihm Dr. Layton, wie er sich nannte. »Ihre beiden Damen befinden sich in Lebensgefahr, wenn wir uns nicht einschalten.« »Da erlaube ich mir allerdings anderer Meinung zu sein«, widersprach Parker. »Solange der Goldschatz nicht gefunden wird, ist an Mord wohl kaum zu denken. Darf ich übrigens fragen, ob die Arbeiter von Ihnen weggeschickt wurden?« »Von wem sonst?« Layton grinste. »Diese Typen hätten hier doch nur gestört. Den Goldschatz buddeln wir auch allein aus, wetten?« »Darf man fragen, wie Senor Lenguados an die Informationen hinsichtlich des Goldschatzes gekommen ist?« »Sie wollen uns wohl aushorchen, wie?« Layton schüttelte grinsend den Kopf. »Nicht bei uns, Parker! Sie wissen schon zuviel!« »Es deuten sich zwei Möglichkeiten ab«, meinte Parker halblaut und nachdenklich. »Entweder hat der Vorarbeiter und Vertraute des Professors ungewollt oder aber absichtlich geredet. Ich neige zur zweiten Version.« »Stimmt.« Der angebliche Dr. Grolman, längst auch wieder zu sich gekommen, meldete sich nun zu Wort und nickte. »Manuel trank gern. Mehr brauche ich wohl nicht zu sagen. Lenguados ließ ihn holen und bearbeiten, bis er redete.« »Sie sprechen von ihm in der Vergangenheit, wie ich bemerke.« 65
»Vollkommen richtig«, bestätigte Grolman und schürzte verächtlich die Lippen. »Er hatte seine Chance. So ist Lenguados nun mal. Aber Manuel hat sie nicht genutzt. Sein Pech!« * »Kindchen, wie geht es Ihnen?« fragte Agatha Simpson, als die Tür sich hinter ihr geschlossen hatte. Sie ging auf Kathy Porter zu, die sich von der schmalen Couch erhob und ihr beruhigend zulächelte. »Ich ärgere mich nur«, antwortete Kathy Porter. »Wahrscheinlich habe ich mich zu sicher gefühlt. Das hätte mir nicht passieren dürfen.« »Was, um alles in der Welt, hätte Ihnen nicht passieren dürfen?« Die ältere Dame ließ sich in einem Sessel des komfortabel eingerichteten Kellerraums nieder. »Lenguados lockte mich in einer kleinen Ortschaft in einen Hinterhalt«, berichtete Kathy Porter. »Er rammte mich mit seinem Wagen und klemmte mich förmlich ein.« »Ist Ihnen auch nichts passiert, Kindchen?« »Nichts, Mylady! Wie gesagt, ich ärgere mich nur. Was wird Mr. Parker nur zu meinem Ungeschick sagen?« »Nichts wird er sagen. Er wird sich freuen, daß Sie in Ordnung sind, Kindchen. Sie kennen inzwischen alle Zusammenhänge? Sie wissen, daß wir es nur mit einer Gruppe zu tun haben, die von diesem Subjekt namens Lenguados geleitet wird?« »Das hat er mir alles bereits haarklein erzählt. Er ist sehr eitel, Mylady.« »Und gefährlich dazu«, meinte die Detektivin. »Er scheint ein besonderes Faible für seine Kampfstiere zu haben.« »Sein Hof hier ist weit und breit von Stierweiden umgeben«, sagte Kathy Porter. »Kein Wunder, Mylady, die besten Kampfstiere kommen aus dem Delta.« »Das wird ihm alles nichts nützen, Kindchen. Er wird seine verdiente Strafe erhalten. Noch ist Mr. Parker frei.« »Hoffentlich, Mylady.« Kathy Porter seufzte. »Sie wissen vielleicht nicht, daß die Wissenschaftler am Grabungsort ausgetauscht worden sind.« »Das müssen Sie noch mal wiederholen.« Agatha Simpson rich66
tete sich steil auf. »Lenguados hat die drei richtigen Wissenschaftler gekidnappt, Mylady. Sie befinden sich ebenfalls hier, aber ich kann nicht sagen, wo sie festgehalten werden.« »Demnach hat Mr. Parker es jetzt mit Gangstern zu tun, die sich als Wissenschaftler ausgeben?« »Leider, Mylady. Und wie soll er das durchschauen? Hoffentlich ist Mr. Parker nicht auch schon überwältigt worden.« »Ich verbiete Ihnen, Kindchen, den Teufel an die Wand zu malen. Zudem haben wir jetzt erst mal Zeit gewonnen.« »Wodurch, Mylady?« »Ich habe mich dazu durchgerungen, diesem Subjekt von einem Spanier die Unterlagen des Professors zu übergeben.« »Das wird Ihnen sicher nicht leichtgefallen sein, Mylady.« Kathy beantwortete das Zwinkern, das ihr gegolten hatte. Sie hatte sofort verstanden. Sie wußte natürlich, daß die echten Unterlagen nach wie vor verschwunden waren. Aus Gründen, der Sicherheit hatte Butler Parker jedoch vor ihrem Abflug aus London andere Unterlagen hergestellt. Sie sahen sehr echt aus und würden die Gangster nun erst mal beschäftigen. »Ich habe es zähneknirschend getan«, räumte Lady Simpson gespielt wütend ein. Sie rechnete damit, daß ihre Unterhaltung mit Kathy Porter belauscht wurde. »Was ist schon dieser Goldschatz, Mylady.« Kathy Porters Worte klangen tröstend. »Er ist ein Vermögen wert«, gab die ältere Dame zurück. »Ich denke jetzt nicht an den reinen Goldwert, der interessiert nicht. Nein, ich denke an das Geld, das Museen oder Sammler für diese Einmaligkeiten zahlen würden.« »Wie hoch, Mylady, taxieren Sie diesen Wert?« fragte Kathy Porter, auf diese Gesprächsrichtung einfühlig eingehend. »Zwei bis drei Millionen Dollar«, antwortete Agatha Simpson. »Und das ist nur grob geschätzt, Kindchen. Dafür kann, man schon einen Mord begehen, wird dieser Lümmel sich gesagt haben…« »Seine beiden Leute in London lockten den Professor mit einem Scheinanruf in dieses Büro«, berichtete Kathy Porter sofort. »Sie wollten ihn foltern und zum Reden bringen, doch Spelton erkannte im letzten Moment die Falle und wehrte sich. Dabei fiel der tödliche Schuß, zu früh für die Gangster.« 67
»Hat dieser Lenguados Ihnen das gesagt?« »Er war sehr offen zu mir, Mylady.« »Ihnen gefällt das nicht, oder?« »So offen und redselig, Mylady, kann nur ein Mensch sein, der seine Mitwisser umbringen will.« * Der Butler hatte noch eine dritte Handschelle geopfert und betrachtete durchaus zufrieden sein Werk. Die drei angeblichen Wissenschaftler, die tatsächlich Layton, Grolman und Finch hießen, wie er inzwischen genau wußte, standen mit leicht ausgebreiteten Armen um einen dickstämmigen, sehr hohen Baum, fühlten sich dabei gar nicht wohl und haderten offensichtlich mit ihrem herben Schicksal. Handschellen verbanden ihre Handgelenke miteinander. Aus eigener Kraft konnten sie sich unmöglich befreien. Entweder benötigten sie dazu die passenden Schlüssel für die Handschellen, erstklassige Stahlsägen oder eine Motorsäge, um den Baum zu fällen, was jedoch nicht ratsam schien. Parker hatte die drei Gangster tief in unwegsames Gelände geführt, wo ihre möglichen Rufe um Hilfe untergingen. Diesen zeitlichen Luxus hatte der Butler sich absichtlich gegönnt. Er wollte freien Rücken haben und auch behalten, wenn er sich mit dem Chef der Gangsterbande befaßte. Daß es sich um Lenguados handelte, war ihm bekannt, er wußte allerdings nicht, wo dieser Mann sich zur Zeit aufhielt. Seiner Schätzung nach mußte der Gangsterchef sich aber im Delta befinden, um möglichst nahe am vermuteten Goldschatz zu sein. Ja, wahrscheinlich würde Lenguados sogar bald erscheinen, um diesen Schatz zu heben. Parker ging von der Tatsache aus, daß Lenguados inzwischen im Besitz der gefälschten Unterlagen war. Lady Simpson war eine schlaue Frau, die genau wußte, wie und zu welchem Zeitpunkt sie solch eine Trumpfkarte auszuspielen hatte. Hatte sie diese Unterlagen aber herausgegeben, dann war hier im Camp mit baldigem Besuch zu rechnen. Entweder kam der Gangsterchef selbst, weil er seinen anderen Mitarbeitern gegenüber einfach mißtrauisch war, oder aber er schickte einen besonderen Vertrauten, auf den 68
er sich fest verlassen konnte. In beiden Fällen konnte man später eine vorsichtige Verfolgung aufnehmen, die zum Versteck des Gangsterchefs führte. Parker hatte den Jeep aus dem Camp geschafft und ihn, gut getarnt, in einem dichten Gebüsch zurückgelassen. Er selbst war zum Camp zurückgekehrt und wartete hier, ebenfalls gut getarnt, auf die Gangster oder gar deren Chef Lenguados. Es dauerte fast eine Stunde, bis er einen Wagen hörte. Parker richtete sich auf und mußte noch ein paar Minuten warten, bis er dann den Land-Rover, sah, der über den schmalen Weg auf das Camp zuschaukelte. Leider stiegen zwei Männer aus, die er nicht kannte. Lenguados war also nicht mitgekommen. Folgte er später? Befand er sich bereits in der Nähe? Die beiden Männer in Jeans, Baumwollhemden und Strohhüten, machten einen durchaus zivil aussehenden Eindruck, doch Parker sah mehr. Sie trugen auf ihrer nackten Haut Schulterhalfter, die ganz sicher nicht leer waren. Die beiden Männer rollten eine Karte auf dem Kühler des Wagens aus und orientierten sich. Dann richteten sie sich auf und riefen mit spanischer Betonung die englischen Namen Layton, Grolman und Finch, die natürlich nicht antworteten. Das ließ die beiden Männer stutzig werden. Einer von ihnen holte ein Funksprechgerät aus dem Wagen, schaltete es ein und setzte einen Spruch ab. Das Gerät war ihm nicht sonderlich vertraut, wie Parker sah. Der Mann schien den Funkwellen nicht zu trauen und sprach zusätzlich noch besonders laut und scharf akzentuiert. Parker, der tatsächlich gut Spanisch sprach, bekam jedes Wort mit. Der Mann, der Pedro hieß, meldete das Nichtvorhandensein der drei angeblichen Wissenschaftler und wollte anschließend wissen, wie er und Diego sich nun verhalten sollten. Die Antwort konnte Parker zwar nicht verstehen, denn sie fiel ein wenig leise und quäkend aus, doch die beiden Männer setzten sich auf keinen Fall zurück in den Wagen. Sie holten Spaten und Hacken, um dann im dichten Strauchwerk zu verschwinden. Wahrscheinlich hatten sie die Anweisung bekommen, sich nicht um die drei anderen Männer zu kümmern, sondern den Schatz zu heben. Parker beging nicht den Fehler, sein Versteck zu verlassen. Er 69
rührte sich nicht von der Stelle, denn er rechnete grundsätzlich mit der Schlauheit seiner Gegner. Er unterschätzte sie nie. Und genau diese Haltung hatte ihm in der Vergangenheit oft schon das Leben gerettet. Vielleicht standen die beiden Männer hinter einem schützenden Strauch, beobachteten ihrerseits den LandRover und warteten nur darauf, daß sich etwas tat. Parkers Vorsicht zahlte sich wieder mal aus. Nach etwa fünf Minuten, die jedem anderen als qualvoll lange vorgekommen wären, bewegten sich die Zweige eines Strauches, und die beiden Männer kamen zum Wagen zurück, die gezogenen Schußwaffen in der Hand. Sie wollten einsteigen und zurückfahren. Parkers Beutejeep aber stand weit oben am Weg, unerreichbar für ihn und eine anschließende Verfolgung. Parker änderte blitzschnell seine Absichten und hob vorsichtig die Spitze seines Universal-Regenschirms, dessen Ende er bereits weggeklappt hatte, um die Mündung des im Schirmstock befindlichen Laufs freizugeben. * Der Mann, der um den Land-Rover ging, um sich ans Steuer zu setzen, zuckte plötzlich zusammen, als sei er von einer Tarantel gestochen worden. Er blieb wie angewurzelt stehen und faßte dann zögernd und vorsichtig nach der deutlich schmerzenden Stelle in seiner linken Gesäßhälfte. Er produzierte eine Art gurgelndes Stöhnen, als seine Finger den stricknadellangen, bunt gefiederten Blasohrpfeil ertasteten. Er riß sich dieses mehr als seltsame Geschoß aus dem Fleisch und gurgelte erneut, was seinem Begleiter nicht entging. Der fragte interessiert, was denn los sei, hörte statt einer Antwort aber nur ein Wimmern. Prompt rannte der zweite Mann los, um den Wagen herum und näherte sich dann zögernd seinem Partner, der ihm, starr vor Entsetzen, den Pfeil präsentierte. Bevor der zweite Mann eine Frage stellen konnte, fuhr auch er zusammen, sprang etwa sechs bis acht Zentimeter in die Luft und faßte dann ebenfalls nach seinem Hinterteil. Als er seinen Blasrohrpfeil in der linken Hand hielt, wimmerte auch er. Parker hatte durchaus Verständnis für die beiden entsetzten Männer. Mit Blasrohrpfeilen hatten sie ganz sicher noch nie zu tun 70
gehabt. Schußwaffen waren ihnen vertrauter. Sie hatten übrigens keine Zeit mehr, dieses Phänomen zu diskutieren, denn sie wurden bereits von einer lähmenden Schwäche und Müdigkeit erfaßt, wankten wie betrunken, torkelten ein wenig im Kreis umher und nahmen anschließend auf dem Boden Platz. Einige Sekunden später rutschten sie haltlos nach hinten weg und lagen flach und regungslos auf dem Boden. Selbst jetzt noch verhielt der Butler sich abwartend. Wenn es sein mußte, verfügte er über unbegrenzte Zeit. Er brauchte nicht zu befürchten, seinen augenblicklichen Standort durch die beiden Blasrohrpfeile verraten zu haben. Die beiden ungewöhnlichen Geschosse wurden nämlich durch komprimierte Kohlensäure aus dem Lauf getrieben. Die entsprechende Gaspatrone befand sich im oberen Teil des Schirmstocks und konnte durch eine Drehung des Griffs aktiviert werden. Parker bückte sich und hob einen harten Erdbrocken, den er in hohem Bogen weit von sich in ein anderes Gesträuch warf. Falls tatsächlich noch eine dritte Person anwesend war, so mußte sie jetzt reagieren. Nichts rührte sich. Auch eine zweite Erdscholle, die an anderer Stelle landete, brachte kein Ergebnis. Butler Parker kam zu dem Schluß, daß seine Vorsicht übertrieben war und wollte gerade das Versteck verlassen, als er eine Art Schatten ausmachte, der von einem Strauch zu einem Baum huschte. Daraufhin blieb Parker natürlich in seinem Versteck. Da war also mit hoher Wahrscheinlichkeit doch noch eine dritte Person, die ebensoviel Geduld aufbrachte wie er. Sie hatte ihren bisherigen Standort gewechselt und pirschte sich, wenn auch auf Umwegen, vorsichtig an den Land-Rover heran. Parker legte den Universal-Regenschirm aus der Hand und entschied sich für eine neue Waffe. Aus der linken Innentasche seines schwarzen Zweireihers holte er eine zusammenlegbare Gabelschleuder, wie man sie in gut sortierten Waffengeschäften kaufen kann. Hier handelte es sich um eine private Konstruktion, die aus Parkers Labor stammte. Der Butler klappte sie auseinander, prüfte die Elastizität der beiden starken Gummistränge und entschied sich für eine kleine Tonmurmel als Geschoß. Mit dieser Zwille, wie die Gabelschleuder auch genannt wird, konnte er ungewöhnlich genau schießen. Die 71
Anfangsgeschwindigkeit diverser Spezialgeschosse war erstaunlich hoch und sorgte dafür, daß selbst ein starker Wind keine Richtungsschwankung vornahm. Diese dritte Person hatte sich an den Land-Rover herangepirscht und stieg an der vom Parker abgewandten Seite in den Wagen, rutschte ans Steuer und betätigte den Anlasser. Parker hingegen betätigte die Gabelschleuder. Das Wagenfenster neben dem Steuerrad war halb geöffnet. Der Butler visierte sein Ziel an, strammte die beiden Gummistränge und schickte die Tonmurmel auf die Reise. Das Resultat war frappierend. Der Mann zuckte wie unter einem unsichtbaren Fausthieb zusammen, fiel nach vorn über das Lenkrad und vergaß seine Absicht, diesen unheimlichen Ort zu verlassen. * »Sie wollen sich hoffentlich entschuldigen, junger Mann«, herrschte die ältere Dame Lenguados an, der in der geöffneten Tür stand. Sie maß ihn mit eisigem Blick, nahm aber zur Kenntnis, daß er leider nicht allein gekommen war. Hinter ihm standen zwei stämmige, handfest aussehende Männer, die Revolver trugen. Es hatte also keinen Sinn, etwa einen überraschenden Ausbruchversuch zu wagen. Solch ein Vorhaben war von vornherein zum Scheitern verurteilt. »Ich bringe Neuigkeiten«, sagte Lenguados, der sich offensichtlich nur mühsam kontrollierte. »Ihr Butler, Mylady, hat sich gemeldet.« »Ich ahnte es.« Sie nickte zufrieden, während Kathy Porter schwieg und sich abwartend verhielt. »Ihr Butler hat die Dinge unnötig kompliziert«, redete Lenguados ärgerlich weiter. »Er macht Ihnen Schwierigkeiten, nicht wahr?« Lady Simpsons Gesicht zeigte Freude. »Er hat meine Leute daran gehindert, den Goldschatz zu bergen«, bekannte Lenguados. »Das heißt, sie hätten ihn gar nicht heben können.« »Drücken Sie sich gefälligst deutlicher aus, junger Mann!« »Die Pläne, die Sie mir gegeben haben, Mylady, sind falsch!« 72
»Falsch?« Agatha Simpson tat überrascht. »Wiederholen Sie das noch mal! Woher wollen Sie das wissen?« »Von Mr. Parker.« Lenguados versuchte wieder in die Rolle des Überlegenen zu schlüpfen. »Er benutzte eines meiner Funksprechgeräte vom Grabungsfeld aus.« »Dann haben Sie eben Pech gehabt, Lenguados«, meinte die Detektivin. Dann schüttelte sie verwundert-amüsiert den Kopf. »Dieser Mr. Parker! Er hat mir die falschen Unterlagen gegeben!« »Und wird mir die richtigen bringen, Mylady.« »Natürlich wird er kommen.« Agatha Simpson nickte nachdrücklich. »Sie kennen Mr. Parker nicht, Lenguados.« »Er wird sogar sehr schnell kommen, Mylady. Er wird bald eine interessante Übertragung erleben. Ich habe sie ihm bereits per Sprechfunk angekündigt.« »Eine… Übertragung?« »Die Übertragung eines Stierkampfes, Lady Simpson. Und Sie werden darin eine Hauptrolle spielen.« »Beginnen Sie erst mit mir«, schaltete Kathy Porter sich hastig ein. Sie hatte genau verstanden, was Lenguados plante. »Sie brauche ich noch, Miß Porter«, entschied der Gangsterchef. »Nein, es bleibt bei Lady Simpson! Mr. Parker wird sich beeilen müssen, wenn er noch etwas für Sie tun will, Mylady.« »Geben Sie mir keine Rätsel auf! Was haben Sie vor?« »Sie sollen das einmalige Gefühl kennenlernen, einem Kampfstier gegenüberzustehen. Kommen Sie!« »Sie wollen, daß ich…« Agatha Simpson schnaufte nun doch ein wenig. Auch ihr war inzwischen ein Licht aufgegangen. »Kommen Sie!« Lenguados trat zur Seite und gab den Weg frei für seine beiden Kreaturen. Sie richteten die Mündungen ihrer Waffen auf die ältere Dame und zwangen sie, den Kellerraum zu verlassen. »Was Sie da planen, ist unfair«, rief Kathy Porter verzweifelt. »Mylady hat keine Chance. Und das wissen Sie sehr genau, Lenguados! Sie wollen sie nur ermorden!« »Wollen Sie sich diesen reizvollen Kampf ansehen, Miß Porter?« »Natürlich!« Sie nickte und hoffte, doch noch etwas für ihre Chefin und Gesellschafterin tun zu können. »Man wird Sie rechtzeitig holen, Miß Port. Bitte, Mylady, Ihr Gegner wartet bereits ungeduldig auf Sie!« »Ich hasse Stiere«, bekannte Agatha Simpson und dachte an 73
die Bestien, die sie von der Straße vertreiben wollte. Flankiert von den beiden Gangstern, marschierte die Detektivin aus dem Keller. Liebend gern hätte sie sich ihrer Haut gewehrt, doch die Möglichkeit dazu war äußerst gering. Mit Sicherheit hätten die beiden Gangster sie überwältigt oder sogar geschossen. »Ich habe Ihnen ein selten schönes Exemplar ausgesucht«, sagte Lenguados, der hinter ihr ging. »Dieser Stier hat sich bereits mit dem Vorarbeiter Manuel auseinandergesetzt, aber vielleicht ist er Damen gegenüber etwas höflicher.« * Er war überhaupt nicht höflich. Der fast schwarze Kampfstier, noch nicht mal sonderlich groß und massig, zeichnete sich durch Geschmeidigkeit, eine unbändige Kraft und durch Gereiztheit aus. Agatha Simpson kam sich im Rund der Stierkampfarena ein wenig verloren vor, was natürlich kein Wunder war. In einer Talsenke, etwa fünfhundert Meter vom Hof entfernt, befand sich das Oval der Arena, die beachtlich groß war. Lenguados hatte seiner Gefangenen alles genau erklärt. Die Arena hatte er vom Besitzer des Anwesens übernommen, der einiges für die perfekte Illusion einer Großstadtarena getan hatte. Mit Sicherheit hatte dieser Besitzer einen Tick gehabt und ihn konsequent umgesetzt: Leinwandprospekte, wie sie im Theater verwendet werden, zeigten auf ansteigenden Rängen begeistert winkende Menschenmassen, die allerdings nur aus Farbe bestanden. Der Bühnenbildner hatte gute Arbeit geleistet und die richtige Atmosphäre einer Corrida eingefangen. Es gab auch eine Art Ehrenloge. In ihr saßen Lenguados und Kathy Porter. Hinter ihr hatten sich die beiden Männer mit schußbereiten Revolvern aufgebaut. Lenguados rauchte eine Zigarette und genoß die Szene, Agatha Simpson weniger. Sie wich vor dem Kampfstier zurück, der mit dem linken Fuß den Sandboden kratzte, dazu schnaubte und Maß nahm. Natürlich war diese Kampfmaschine aus Sehnen, Knochen und Muskeln ein wenig irritiert. Der Gegner war immerhin ungewöhnlich gekleidet, trug ein derbes Tweed-Kostüm und ließ am Handgelenk einen 74
Gegenstand pendeln, der dem Stier fremd war. Daß es sich um einen Pompadour handelte, wußte der Kampfstier natürlich nicht. Die Lady hob den Stoßdegen, den Lenguados ihr freundlicherweise zur Verfügung gestellt hatte. Und genau das verstand der Stier. Er schnaubte lauter und nachdrücklicher, scharrte noch intensiver und setzte sich anschließend in Bewegung. Agatha Simpson wich noch weiter zurück. Sie hätte diesen Stier am liebsten in Form von Steaks oder Roastbeef zur Kenntnis genommen, und genau das schien das sensible Tier zu spüren. Nach einem erneuten Schnauben sah der Stier aus seinen blutrot unterlaufenen Augen die Lady an, brüllte und ging zum Angriff über. Hatte die ältere Dame eben noch echte Angst verspürt, so wurde auch sie jetzt wütend. Es war keine Art, sie derart zu attackieren. Sie war schließlich eine Dame! Sie wich zur Seite aus und… setzte ihren kraftvoll geschwungenen Pompadour auf die Nase des Tieres. Gut, das rechte Horn des Stieres schlitzte zwar Myladys Jackenärmel auf, Mylady nahm auch nach einem Ausrutscher im Sand Platz, doch der Stier nutzte nicht seine Möglichkeiten. Er hatte den Glücksbringer im Pompadour nachhaltig gespürt. Das Pferdehufeisen hatte eine seiner empfindlichsten Stellen getroffen. Wasser trat in die Augen des Vierbeiners, dessen Sicht dadurch leicht getrübt wurde. Lady Simpson hatte sich inzwischen erhoben und kannte nun kein Erbarmen mehr. Neben dem Stier geriet nun eine zweite, wenn auch zweibeinige Kampfmaschine in Bewegung. Sie hatte das spöttische Auflachen von Lenguados gehört, als sie im Sand gelandet war. Das reichte bereits, um bei ihr die Zündung auszulösen. Der Stier hatte noch mit den Tränen in seinen blutunterlaufenen Augen zu tun. Er kam überhaupt nicht auf den Gedanken, daß er nun angegriffen werden könnte. Er quiekte auf wie ein Ferkel, als die resolute Dame erneut mit dem Glücksbringer zulangte. Der Stier ging ein wenig in die Knie und versuchte sein Ziel aufzunehmen, konnte aber wegen der Tränenschleier nur noch vage Umrisse erkennen. Lady Agatha klatschte den Pompadour um die angeschwollene Nase ihres Gegners. Links und rechts erfolgten die Schläge, die mit einem genau gezielten Fußtritt abgeschlossen wurden. Myladys derber linker Schuh ließ den Stier aufstöhnen. Die Schuhspit75
ze hatte die Kniescheibe des Vierbeiners getroffen. Der Stier ging in die Beuge und wimmerte anhaltend. Lenguados war aufgesprungen und starrte fassungslos auf das Schauspiel. Mit solch einer Entwicklung hatte er nicht gerechnet. Die beiden Männer hinter Kathy Porter grinsten unverhohlen. Wahrscheinlich gefiel ihnen die Kampfweise der energischen Engländerin. »Lassen Sie das!« brüllte Lenguados aufgebracht, als Lady Simpson sich nach dem Stoßdegen bückte, der ihr beim Hinsetzen aus der Hand gefallen war. Lady Agatha kümmerte sich jedoch nicht um diesen Ruf. Sie begutachtete zuerst mal die Spitze des Degens und… rammte sie dann in das rechte Hinterteil des Kampfstieres. Es war grotesk, was sich daraufhin ereignete: Der Stier brüllte auf, sprang glatt drei Zentimeter senkrecht in die Luft und… trottete dann eilig zum Holztor, durch das er gekommen war. »Ich… Ich glaube es nicht«, stöhnte Lenguados und sank auf seinen Sitz zurück. »Ich habe es mit eigenen Augen gesehen, aber ich glaube es einfach nicht!« Bevor Kathy Porter ihm versichern konnte, daß seine Augen ihn keineswegs getrogen hatten, knallte Lady Simpsons Pompadour gegen Stirn und Nasenwurzel des Gangsterchefs. Vom Schwung mitgerissen, kippte Lenguados samt Stuhl nach hinten. Kathy Porter nutzte die Gunst des Augenblicks und befaßte, sich umgehend mit den beiden Leibwächtern. Sie besorgte das mit Charme und Nachdruck. * »Sie kommen natürlich wieder mal zu spät«, räsonierte die Detektivin, als Parker vor dem Herrenhaus erschien. »Ich hatte immerhin das Glück, Mylady, die Übertragung des Stierkampfes mitzuhören«, erwiderte Parker und deutete auf das Funksprechgerät in seiner schwarz behandschuhten Hand. »Die Ereignisse müssen dramatisch gewesen sein.« »Für den Stier, Mr. Parker! Das stimmt durchaus!« Kathy Porter lachte auf. »Das Tier wird eine seelische Krise durchmachen, glaube ich.« »Und auch dieses Subjekt namens Lenguados«, fügte die reso76
lute Dame grimmig hinzu. »Leider konnte er entwischen.« »Ich bin dafür verantwortlich«, räumte Kathy Porter ein. »Während ich seine beiden Leibwächter außer Gefecht setzte, stahl Lenguados sich davon.« »Keine Sorge, Kindchen, er wird zurückkommen«, meinte die ältere Dame großzügig wie sonst kaum. »Jeder macht mal einen Fehler.« »Vielen Dank, Mylady!« Kathy Porter lächelte. »Und dieser Fehler wäre nicht passiert, wenn Sie sich etwas mehr beeilt hätten, Mr. Parker.« Agatha Simpson brauchte natürlich einen Sündenbock. »Gewisse Umstände hinderten meine bescheidene Wenigkeit, noch schneller zu sein«, gab Parker zurück. »Dafür kann ich allerdings mit sechs Gangstern aufwarten, wenn ich es so ausdrücken darf.« »Nur sechs?« fragte die Lady erstaunt. »Und wo ist Lenguados?« »Er wird sich hier in der Nähe aufhalten. Wie Mylady bereits sagten, wird er zurückkehren. Der Goldschatz ist und bleibt ein starker Magnet.« Agatha Simpson trat an den Jeep heran und sah sich die drei Männer an, die von Blasrohrpfeilen und einer Tonmurmel zur Strecke gebracht worden waren. Sie regten sich schwach, stellten aber immer noch keine Gefahr dar. »Und wo sind die anderen drei Subjekte?« wollte Lady Simpson wissen. »Sie wissen, ich meine diese angeblichen Wissenschaftler.« »Sie sitzen um einen Baum herum, Mylady. Man sollte sie bei Gelegenheit aus ihrer gewiß peinlichen Lage befreien.« »Das hat Zeit«, entschied die Detektivin. »Mich interessiert nur dieser Lenguados. Wie locken wir ihn an, Mr. Parker! Ich hoffe, Sie haben sich inzwischen etwas einfallen lassen.« »Dürfte ich vielleicht erst mal die drei Herren sicher unterbringen?« Parker wies auf die drei Männer im Jeep. »Stecken Sie sie in den Keller zu den beiden Leibwächtern«, lautete die Antwort. »Und dann brauche ich eine kleine Erfrischung. Mein Kreislauf bricht langsam zusammen.« Nachdem der Buttler die drei Gangster in den Keller gesteckt hatte, in dem Mylady und Kathy Porter gefangen gehalten waren, servierte er seiner Herrin einen Kognak, den sie sichtlich genoß. 77
Sie hielt sich im großen, sehr luxuriös eingerichteten Wohnraum des Herrenhauses auf und fühlte sich sichtlich wohl. »Ist ihnen inzwischen etwas eingefallen?« wollte sie wissen. »Senor Lenguados, Mylady, ist von diesem Goldschatz förmlich besessen«, schickte Parker voraus. »Er hat dafür bereits zwei Morde begangen und dürfte auch vor weiteren Taten dieser Art nicht zurückschrecken.« »Das genügt! Wir müssen nun endlich den Burschen zur Strecke bringen«, erwiderte Agatha Simpson kriegerisch. »Man sollte nach diesem Goldschatz graben«, redete Parker weiter. »Man sollte eine kleine private Grabung durchführen und Senor Lenguados dadurch anlocken.« »Genau das wollte ich gerade vorschlagen.« Die Detektivin nickte zustimmend und gnädigst. »Sie haben meine Gedanken wieder mal erraten, Mr. Parker.« »Dabei sollte nicht übersehen oder unterschätzt werden, daß Senor Lenguados sich durch eine ungewöhnliche Brutalität auszeichnet, Mylady. Mit Überraschungen ist also durchaus zu rechnen.« »Ich liebe Überraschungen«, sagte sie. »Und wenn ich diesen Lümmel erwischt habe, werde ich ihn in die Arena schicken. Dann darf er sich mit einem seiner Lieblinge auseinandersetzen! Auf diese Vorstellung freue ich mich schon jetzt!« * Butler Parker schaute wohlgefällig auf sein Werk. Auf einem langen Tisch in der Küche des Herrenhauses stapelte sich ein Goldschatz, der fast schon die Augen blendete. Da gab es flache Schüsseln, mit vorzeitlichen Motiven bemalt, Krüge, Schalen und Trinkbecher. Das alles schien geradezu von innen beleuchtet eu werden. Parker öffnete die Tür, als er die energischen Schritte seiner Herrin hörte. Er hatte Kathy Porter zu ihr geschickt und sie heruntergebeten. Sie betrat jetzt die Küche und blieb wie angewurzelt stehen. »Der Goldschatz«, vermeldete Parker und deutete eine Verbeugung an. »Gütiger Himmel«, erwiderte Lady Simpson, um sich dem 78
»Schatz« dann sehr vorsichtig zu nähern. »Das ist ja überwältigend.« »Mylady sind zufrieden?« »Wann haben Sie den Goldschatz geborgen?« wollte die resolute Dame wissen. »Er befand sich hier in der Nähe des Hauses?« »Unmittelbar, Mylady. Genauer gesagt, er befand sich hier in der Küche des Hauses.« »Das ist ausgeschlossen und unmöglich. Warum hat Lenguados ihn dann nicht gefunden?« »Weil er zu diesem Zeitpunkt noch nicht existierte, Mylady.« »Was soll denn das schon wieder heißen?« Sie sah den Butler mißtrauisch an und beugte sich dann über die antiken Kostbarkeiten. Als sie einen der kleinen Krüge aufheben wollte, schob Parker seine Hand vor. »Vielleicht sollten Mylady noch ein wenig warten, bis die Farbe endgültig getrocknet ist«, schlug er vor. »Farbe?« Agatha Simpson räusperte sich scharf. »Eine Mischung aus Knochenleim, Messingpulver und Kreide«, erläuterte Parker höflich. »Ich war so frei, diese Mischung anzurichten und einige Gebrauchsgegenstände hier aus der Küche damit anzustreichen. Mylady scheinen zufrieden zu sein, wie ich hoffen darf?« »Das… Das ist gar kein Goldschatz?« »Es handelt sich um banale Töpferware«, erwiderte Parker. »Das sieht man natürlich sofort, falls man Kenner ist«, gab sie prompt zurück. »Sie haben mich nicht einen Moment lang täuschen können, Mr. Parker.« »Natürlich nicht, Mylady.« »Obwohl ich zugeben muß, daß ich für eine Sekunde fast etwas unsicher gewesen bin.« »Vielen Dank, Mylady!« »Lenguados wird mit Sicherheit auf diesen Goldschatz hereinfallen. Woher hatten Sie das Messingpulver?« »Es war vor einer Stunde noch ein Wasserhahn«, sagte er. »Mittels einer feinen Feile zerrieb ich ihn zu diesem goldähnlichen Pulver.« »Nun ja.« Sie räusperte sich wieder. »Lenguados wird auf diese billige Imitation hereinfallen.« »Dies ist auch meine erklärte Hoffnung, Mylady.« »Und wann wollen wir den Goldschatz heben?« 79
»Vielleicht bei Anbruch der Dunkelheit, Mylady? Ich würde alles weitere für diesen Zeitpunkt vorbereiten.« »Sehr schön«, murmelte sie und beugte sich noch mal über den Goldschatz. »Äh, ich meine, recht ordentlich. Man soll ja nicht immer gleich übertreiben.« »Sehr, wohl, Mylady!« Parkers Gesicht blieb unbeweglich. Innerlich amüsierte er sich ein wenig über seine Herrin, die ihre Verblüffung noch immer nicht überwunden hatte, es jedoch nicht zeigen wollte. »Werden wir die drei echten Wissenschaftler mitnehmen?« warf Kathy Porter ein. Sie waren in einem anderen Kellerraum gefunden worden und erholten sich oben im Haus. Bis auf ein paar leichte Blessuren war ihnen nichts passiert. Lenguados hatte wahrscheinlich schnell eingesehen, daß die drei Männer nichts, aber auch gar nichts von einem Goldschatz wußten. Diese Archäologen – übrigens zwei Männer und eine Frau – hießen Layton, Grolman und Finch. Die drei Gangster, die sich als Wissenschaftler ausgaben, hatten sich dieser Namen nur für den Fall bedient, daß Professor Spelton sie Mylady oder dem Butler gegenüber erwähnt hatte, als er in London gewesen war. »Man sollte die Wissenschaftler mitnehmen«, schlug Parker vor. »Sie könnten hier sonst noch mal in die Hand des Gangsterchefs gelangen und zu wertvollen Geiseln werden.« Da Lady Simpson im Augenblick nichts einfiel, enthielt sie sich jeder Kritik. Parker war allerdings sicher, daß die Detektivin früher oder später etwas finden würde. Sie wäre sonst nicht Lady Agatha Simpson gewesen. * Als die Sonne sich neigte, war man unterwegs. Lenguados hatte sich bisher nicht gezeigt. Wahrscheinlich lag er draußen im Gelände auf der Lauer und wartete darauf, sich wieder ins Spiel bringen zu können. Man benutzte zwei Wagen. Im Jeep, der vorausfuhr, saß Parker am Steuer, neben ihm Lady Simpson, die ununterbrochen an seinem Fahrstil mäkelte. Parker überhörte ihre Mahnungen und Einwände, schaute immer wieder in den Rückspiegel und vergewisserte sich, daß Kathy dichtauf 80
folgte. Sie steuerte einen Fiat, in dem die drei echten Wissenschaftler saßen, die nur zögernd diese Fahrt mitmachten. Ihr Bedarf an Abenteuern war hinlänglich gedeckt. Sie fürchteten weitere Zwischenfälle und wären am liebsten sofort zurück nach Sevilla gefahren und hätten die Behörden alarmiert. Auch Kathy Porter sah immer wieder in den Rückspiegel. Sie wollte herausfinden, ob sie von Lenguados verfolgt wurden, aber von einem dritten Wagen war weit und breit nichts zu sehen. Nach einer halben Stunde war das verlassene Camp erreicht. Parker hielt, stieg aus und ging zu dem inzwischen ebenfalls stehenden Fiat zurück. »Nichts«, meldete Kathy Porter achselzuckend. »Dies hat nichts zu besagen, Miß Porter«, antwortete der Butler. »Senor Lenguados kennt sich im Gelände mit Sicherheit gut aus. Er wird einen anderen, uns noch nicht bekannten Weg benutzt haben.« »Die drei Wissenschaftler sind nervös, Mr. Parker«, warnte Kathy Porter leise. »Sie könnten später in Panik geraten.« »Darauf muß man es in dieser Situation leider ankommen lassen«, gab der Butler zurück. »Wir sollten jetzt zu Fuß weitergehen. Sichern Sie das Ende der Kolonne, Miß Porter, wenn ich höflichst bitten darf!« Die drei Wissenschaftler weigerten sich zuerst, in die Abenddämmerung hinauszumarschieren. Sie hätten sich am liebsten in einem Campingwagen verschanzt. Parker gelang es jedoch, sie von der Gefahr solch einer Handlungsweise zu überzeugen. Widerwillig schlossen sie sich also Lady Simpson, Kathy Porter und dem Butler an. Dr. Finch – das sei am Rande gesagt – war übrigens das genaue Gegenteil der angeblichen Miß Finch. Sie war eine schon etwas ältere Dame von etwa fünfzig Jahren, sehr rundlich und kurzatmig. Parker hatte die Führung übernommen, umging das Grabungsfeld und hielt auf jene Stelle zu, wo er die drei falschen Wissenschaftler zurückgelassen hatte. Er zeigte sich ihnen allerdings nicht, sondern bog ab und steuerte einen Hügel an, der auf ihn einen interessanten Eindruck machte. Nachdem die drei richtigen Wissenschaftler sich in die ihnen zugewiesene Deckung begeben hatten und von Kathy Porter unter 81
Sichtkontrolle gehalten wurden, nahm Parker einen der Spaten in die Hand und ging zusammen mit seiner Herrin auf den kleinen Erdhügel zu. Hier angekommen, entrollte sie eine Papierrolle und fuchtelte mit der freien Hand aufgeregt in der Luft herum. Parker warf ebenfalls einen Blick auf das angebliche Grabungspapier und… stieß den Spaten in das erfreulicherweise lockere Erdreich. »Wir werden doch hoffentlich bereits beobachtet, wie?« fragte sie nach wenigen Minuten ungeduldig. »Mit Sicherheit, Mylady«, gab der Butler zurück. »Mylady werden die auffliegenden Reiher gesehen haben. Sie wurden nicht durch uns aufgeschreckt.« »Von Lenguados?« »Gewiß, Mylady. Es wäre jetzt an der Zeit, die Imitationen unauffällig aus- und umzulagern.« Das war nicht sonderlich schwer, denn der Jeep stand dicht neben dem Erdhügel. Gedeckt von der majestätischen Fülle ihres Körpers, hob die ältere Dame den Goldschatz aus dem Wagen und drapierte ihn malerisch um die Grabungsstelle. »Was ist denn?« fragte sie, als der Butler sich plötzlich überrascht aufrichtete. »Mylady«, sagte Parker mit einer Stimme, die innere Bewegung erkennen ließ, »Mylady, ich fürchte, auf einen wirklichen Fund gestoßen zu sein.« »Schnickschnack, Mr. Parker, das kann doch unmöglich sein!« »Wenn Mylady sich vielleicht überzeugen wollen?« Parker deutete mit dem Spaten auf einen dicken Klumpen, der aus rostigem Eisen und verbackenem Erdreich bestand. Er schürfte sehr vorsichtig an diesem Klumpen und nickte. »Bronze«, sagte er dann. »Vielleicht sollte man einen der Wissenschaftler konsultieren, Mylady.« Irgendwie schienen sie das bereits mitbekommen zu haben. Sie stürmten auf Lady Simpson und den Butler zu, warfen sich förmlich über den Erdklumpen und behinderten sich dabei gegenseitig. Sie redeten durcheinander, verwendeten Fachbezeichnungen, die wie eine fremde Sprache klangen und führten sich auf wie beschenkte Kinder. Parker ging ein paar Schritte zurück, wollte Kathy Porter zu sich heranwinken und… vermißte sie. Sie war nicht mehr zu sehen. Sie reagierte auch nicht, als Parker laut nach ihr rief. Sie schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein…
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* Lenguados stand in der Loge seiner privaten Stierkampfarena und genoß seinen Triumph. Er hielt sich ein wenig hinter Kathy Porter verborgen, deren Hände gefesselt waren. Sie hatte keine Möglichkeit, ihre Lage zu ändern, zumal Lenguados ihr die Spitze eines Stoßdegens gegen das Genick preßte. »Ich wußte, daß Sie kommen würden«, rief der Gangsterchef nach unten und lächelte. »Hoffentlich haben Sie den Schatz mitgebracht, Mr. Parker?« »Überzeugen Sie sich, Mr. Lenguados«, entgegnete Parker. Er trat zur Seite und deutete auf die Imitationen, die auf dem Rücksitz des Jeeps lagen. Die Sonne war bereits untergegangen, doch ihr Widerschein erhellte noch den Himmel. Es war die genau richtige Beleuchtung, um die Imitationen geheimnisvoll strahlen zu lassen. Echtes Gold hätte nicht wirkungsvoller sein können. »Sehr schön.« Lenguados nickte zufrieden. »Einer der Wissenschaftler soll den Jeep aus der Arena fahren. Sie werden bleiben, Mr. Parker. Und Sie ebenfalls, Mylady.« Die drei Wissenschaftler, die am schweren Holztor der Arena standen, redeten leise miteinander, dann ging der richtige Dr. Layton zögernd auf den Jeep zu, setzte sich ans Steuer und wollte den Motor anlassen. Er wartete damit noch einen Moment, als Lenguados’ Stimme wieder zu hören war. »Sie und Ihre beiden Kollegen werden den Jeep zum Herrenhaus bringen«, befahl der Gangsterchef. »Dort werden Sie auf mich warten. Wagen Sie nur ja keine Flucht, sonst bringe ich Sie um, mein Wort darauf! Das ist keine leere Drohung!« Dr. Layton nickte nervös, ließ jetzt den Motor an und fuhr den Jeep durch das Tor nach draußen. »Mylady, jetzt brauche ich Ihre Hilfe«, rief Lenguados, dessen Stimme wieder triefend freundlich klang. »Wollen wir doch sehen, wie Mr. Parker mit einem Kampfstier fertig wird.« Er sagte ihr, was sie zu tun habe, und Mylady gehorchte notgedrungen. Sie schloß das schwere Tor, um dann auf eine schmale Bohlentür zuzugehen, hinter der es verdächtig schnaufte. »Öffnen Sie«, rief Lenguados. »Sie möchten doch wohl nicht, 83
daß ich Miß Porter umbringe, nicht wahr?« Das wollte die ältere Dame nicht, also öffnete sie die schwere Bohlentür und… wurde förmlich zurückgeworfen, als ein erster Stier gereizt und wütend herausbrauste. Lady Simpson ging unwillkürlich hinter der Bohlentür in Deckung. Parker sah hinauf zur Loge. Lenguados hatte Kathy Porter fast behutsam über die Brüstung der Loge geschoben und ließ jetzt los. Bevor Parker eingreifen konnte, landete sie im Sand. Mit ein par überraschend schnellen Schritten war er bei ihr und hörte einen Warnruf der älteren Dame. Parker fuhr herum und sah sich dem Kampfstier gegenüber, der ihn unbedingt auf die Hörner nehmen wollte. »Bleiben Sie still liegen«, rief er Kathy Porter zu, wich zur Seite aus und lockte das Tier von ihr weg. »Ihre Capa«, rief Lenguados ironisch und warf dem Butler ein rotes Tuch zu. »Und für den Stier die Banderillas!« Lenguados traf haargenau. Zwei lange Holzstäbe, die mit bunten Papierbändern geschmückt waren, steckten plötzlich im Nacken des Stieres, der das verständlicherweise nicht gern hatte und nur noch gereizter wurde. Parker hätte liebend gern mit seinem Universal-Regenschirm hinauf zu Lenguados gezielt, doch der Stier ließ ihm keine Ruhe. Die rote Capa in Parkers Hand war für ihn das Ziel, das er unbedingt auf die Hörner nehmen wollte. »Viel Vergnügen«, war Lenguados’ Stimme zu hören. »Sehr überzeugend wirkten Sie bisher nicht, Mr. Parker!« Er war plötzlich verschwunden und hatte die Loge geräumt. Doch weder Parker noch Lady Simpson konnten das rettende Tor öffnen. Zwei weitere Stiere, die die schmale Bohlentür passiert hatten, blockierten es. Parker schwenkte die Capa – und wurde nun kühl bis ans Herz. * Parker war Tierliebhaber. Er brachte es einfach nicht übers Herz, diesen an sich unschuldigen Kampfstier zu töten, obwohl das möglich gewesen wäre. Er bediente sich allerdings einer recht ungewöhnlichen Methode, um 84
den Stier zur Ordnung zu rufen. Parker hatte den kräftigen Nasenring entdeckt und… hakte den bleigefütterten Griff seines Schirms in diesen Ring. Nach einer leichten Drehung fand der Stier, daß weiterer Widerstand eigentlich recht sinnlos sei. Er brüllte dumpf auf, ging ein wenig in die Knie und ließ sich dann von Parker in Richtung Bohlentür abführen. Die beiden anderen Stiere, die sich gerade zu einem gemeinsam geführten Angriff entschlossen hatten, deuteten das Brüllen ihres Artgenossen vollkommen richtig und sahen der Szene ziemlich verdutzt zu. Parker hatte die Bohlentür erreicht und hakte seinen Regenschirmgriff aus dem Eisenring. Mit dem schweren Griff klatschte er auf das Hinterteil des Stieres, der einen entsetzten Sprung nach vorn und damit zurück in seinen Pferch tat. Die beiden übrigen Stiere taten es freiwillig ihrem Vorgänger nach. Sie trotteten, wenn auch verwirrt, zur Bolentür und hasteten dann zurück in ihren rettenden Verschlag, der anschließend von Butler Parker geschlossen wurde. »Nicht gerade stilgerecht, Mr. Parker«, mäkelte Lady Simpson prompt, als die Lage bereinigt war. »Aber wenigstens keine Schlächterei«, meinte Kathy Porter, die inzwischen aufgestanden war. Sie ließ sich von Parker die Handfesseln durchschneiden und nickte dankbar. »Lenguados kann was erleben«, schwor Lady Simpson. »Es hat mich zum zweiten Mal in den Sand geworfen. Ich werde ihm jetzt die Flötentöne beibringen.« Sie wandte sich ab und marschierte energisch auf das große Holztor zu. Der Pompadour an ihrem Handgelenk pendelte unternehmungslustig. Sie war derart ungeduldig, daß sie das Tor allein öffnete. »Was soll denn das heißen?« fragte sie scharf, als sie sich den drei echten Wissenschaftlern gegenübersah, die alle einen sehr aufgekratzten Eindruck machten. »Dieser Vandale«, sagte der richtige Dr. Finch. Die Wissenschaftlerin deutete auf den Bronzeklumpen in ihrer Hand. »Er warf ihn einfach zu Boden«, beschwerte sich Dr. Layton. »Man soll es nicht glauben.« »Das konnten wir nicht zulassen«, fügte Dr. Grolman hinzu. »Und Sie haben was getan, Sir?« fragte Parker, der zusammen 85
mit Kathy Porter zu Lady Simpson aufgeschlossen hatte. »Dr. Finch hat ihm den Krug um die Ohren geschlagen«, antwortete Dr. Grolman. »Hoffentlich ist ihm nichts passiert«, sorgte sich Dr. Layton. »Dem Krug«, schloß Dr. Finch und drückte den Klumpen an ihre sehr gerundete Brust. »Und wo befindet sich Lenguados jetzt?« »Wir… Wir haben ihn in die Zisterne geworfen«, sagte Dr. Grolman. »Hoffentlich ist das nicht zu hart gewesen, oder?« »Er ist auf jeden Fall nicht allein«, tröstete sich Dr. Layton. »Dort sitzen ja bereits seine Partner.« Was stimmte. Bevor sie zum Camp hinausgefahren waren, hatte Josuah Parker die beiden Leibwächter und die drei Gangster in die Zisterne herabgelassen. Gefahr für Leib und Seele bestand nicht. Die Gangster standen nur bis zu den Knien im Wasser. »Sie haben die Situation durchaus gemeistert«, stellte Parker fest. »Hoffentlich haben Sie auch richtig zugehauen, meine Liebe«, sagte Agatha Simpson und nickte Dr. Finch anerkennend zu. »Das weiß ich nicht«, gab sie zurück und errötete. »Er ging allerdings sofort zu Boden.« »Bleiben noch diese drei falschen Wissenschaftler«, redete Lady Simpson weiter. »Mr. Parker, wir sollten sie ebenfalls in die Zisterne stecken.« »Ein Vorschlag, Mylady, den ich sofort aufgreifen werde.« Parker lüftete höflich die schwarze Melone. »Falls dazu noch Zeit bleibt, wie ich hinzufügen muß.« »Wieso? Was ist denn?« »Die Polizei, Mylady.« Parker deutete auf zwei Streifenwagen der Polizei. Und er deutete wenig später auf einen kleinen Mann, der gereizt wie ein Kampfstier wirkte: Kommissar Morella. * »Ich bin entzückt, Mylady«, sagte Morella, als er Lady Simpson erreicht hatte. Er applizierte ihr einen gekonnten Handkuß und verbeugte sich ungewöhnlich tief. »Sind Sie gesund?« erkundigte Lady Agatha sich verblüfft. 86
»Ich bin begeistert«, erklärte der Kommissar. »Ich hatte in Sevilla ja keine Ahnung, mit wem ich es zu tun hatte. Inzwischen aber weiß ich von meinen Londoner Kollegen, wer uns die Ehre gibt.« »Wir haben ein paar Gangster für Sie eingesammelt«, sagte Agatha Simpson. »Einzelheiten erfahren Sie von Mr. Parker. So, und jetzt werde ich erst mal meinen Kreislauf stabilisieren.« Sie ging zusammen mit den drei Wissenschaftlern ins Haus, während Parker dem Kommissar in Stichworten berichtete, was sich zugetragen hatte. »Diese drei falschen Wissenschaftler werde ich sofort abholen lassen«, versprach Morella begeistert. »Sie haben ganze Arbeit geleistet.« »Dies ergab sich so, Sir«, antwortete der Butler. »Fragen Sie Lenguados übrigens, wie er so schnell an die Gangster herankam. Ich möchte annehmen, daß er bereits eine kriminelle Vergangenheit hat und sich nur alter Verbindungen zu bedienen brauchte.« »Dies liegt nahe, Mr. Parker.« Kommissar Morella nickte zustimmend. »Überlassen Sie das ruhig mir und meiner Dienststelle.« »Darf ich erfahren, Sir, wie Sie hierher gefunden haben?« »Einer der Grabungsarbeiter hat uns alarmiert«, antwortete Morella. »Ihm sind da einige Dinge verdächtig vorgekommen. Er ließ sich von gewissen Drohungen nicht einschüchtern wie seine Freunde.« »Ein braver Mann, dem eine Belohnung aus Myladys Privatschatulle sicher ist«, erwiderte Parker. »Aus dieser Privatschatulle wird die Lady ja auch wohl den Schaden ersetzen, der entstanden ist?« »Großzügig, wie es Myladys Art entspricht.« Parker verbeugte sich. Er wollte noch ein paar Höflichkeiten hinzufügen, doch in diesem Moment erschien seine Herrin wieder auf der Bildfläche, begleitet von Kathy Porter und den drei Wissenschaftlern, die einen geradezu euphorischen Eindruck machten. »Ich habe einen Entschluß gefaßt, Mr. Parker«, verkündete sie. »Damit war zu rechnen, Mylady.« »Wir werden noch ein wenig bleiben. Ich werde die weiteren Grabungen mitfinanzieren.« »Dies, Mylady, erlaubte ich mir bereits zu ahnen.« »Einen Goldschatz hat es nie gegeben«, redete die ältere Dame 87
weiter. »Professor Spelton wollte sich mit dieser Behauptung nur einen schnellen Zutritt zu mir verschaffen. Der arme Mann! Hätte er von Bronzevasen gesprochen, würde er wahrscheinlich noch leben.« »Und sein Vorarbeiter Manuel ebenfalls«, sagte Dr. Finch. »Der arme Manuel ahnte nicht, daß Professor Spelton diesen Goldschatz nur erfunden hatte.« »Wir werden also graben«, entschied Lady Simpson. »Und diese drei hervorragenden Archäologen sind der Meinung, daß Sie der richtige Mann sind, Mr. Parker, weitere Fundstellen aufzuspüren.« »Ich fühle mich ein wenig geehrt, Mylady.« »Gleich bei Tagesanbruch werden Sie für weitere Funde sorgen«, ordnete die Detektivin an. »Und ich bitte mir aus, daß Sie etwas finden!« »Mylady können sich auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen«, sagte der Butler und unterdrückte einen Seufzer. »Haben die Herrschaften vielleicht spezielle Wünsche, damit ich mich darauf einrichten kann?« Parker sah zwar das Schmunzeln Kathy Porters, die sich wieder mal gründlich amüsierte. Die drei Wissenschaftler aber bestürmten den Butler bereits mit speziellen Wünschen. »Vielleicht wartet ein neuer Fall in London auf Mylady«, sagte der Butler hastig in Richtung Lady Simpson. »Papperlapapp«, entschied sie. »Richtig, Mr. Parker, Sie wissen ja noch nicht, daß ich an einem Kriminalroman nicht mehr interessiert bin.« »Mylady lassen meine bescheidene Wenigkeit stutzen.« »Ich werde ein Sachbuch über die sagenumwobene Stadt Tartessos schreiben«, sagte sie wie selbstverständlich. »Besorgen Sie mir sämtliche Literatur darüber, stellen Sie mir einen Zettelkasten zusammen! Sie wissen, diese unwichtigen Vorarbeiten würden nur meinen Schwung hemmen.« »Gewiß, Mylady.« Parker schaffte es gerade noch im letzten Moment, nicht die Augen zu verdrehen. »Die Fachwelt wird aufhorchen«, verkündete die in Ekstase geratene Dame. »Dieser Bestseller wird den Markt sprengen.« »Wie Mylady meinen und wünschen.« Parker lüftete höflich die schwarze Melone und hatte das dringende Bedürfnis, seinen Kreislauf ebenfalls zu stabilisieren. Das Leben mit Lady Simpson konnte manchmal schon recht anstrengend sein… 88
-ENDE-
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