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Wir diskutieren . . . Die Seite für unsere SF-Leser
Liebe SF-Freunde! Gleichzeitig mit dem heutigen TERRA-Roman erscheint in TERRA-EXTRA, unserer Schwesterreihe, in der ausschließlich längst vergriffene SF-Bestseller deutscher oder anglo-amerikanischer Autoren aufgelegt werden, Band eins der HURRICANE-Serie von Clark Darlton. Da Clark Darlton (alias Walter Ernsting) diese seine Serie, die bislang aus acht Romanen besteht, fortzusetzen gedenkt — ein TERRA-Doppelband mit einem neuen HURRICANE-Abenteuer ist bereits in der Vorbereitung! — nehmen wir das Erscheinen von TERRA-EXTRA-Band 61 (UTOPIA STIRBT . . .), der identisch mit TERRABand 49 ist, als Anlaß dafür, dem Autor, der viele begeisterte Leser hat, die es bedauern, daß man in letzter Zeit so wenig von ihm in TERRA hört, in eigener Sache das Wort zu erteilen. Clark Darlton äußert sich zu seiner HURRICANE-Serie wie folgt: „Eine für alle gültige Definition des Begriffes „Science Fiction“ zu finden, ist nahezu unmöglich. Jeder stellt sich etwas anderes darunter vor, und jeder hat auf seine Weise recht. Der eine bevorzugt die soziologische Utopie, der andere das Abenteuer in der Zukunft. Das eine muß nicht unbedingt schlechter sein als das andere. Beide können gut, beide können schlecht gemacht sein. Ich stimme jedoch A. E. van Vogt und Frederik Pohl zu, die der Auffassung sind, daß ein SF-Roman durchaus auf einer uns unmöglich erscheinenden wissenschaftlichen Grundidee aufgebaut sein darf; aber der Autor hat dann auch die Pflicht, diese Unmöglichkeit bis zur letzten Konsequenz zu durchdenken und Folgerungen für die Handlung zu ziehen. Wenn die SFLiteratur sich nur an die bestehenden Erkenntnisse hielte, würde sie bald langweilig werden und keine Leser mehr finden. Ich wurde gefragt, warum ich die HURRICANE-Serie schrieb. Dazu ist zu bemerken, daß mir die Idee kam, lange bevor PERRY RHODAN geboren wurde. Es fehlte eine Serie mit einem Helden, der dem Leser vertraut war. Doch wie immer der Leser auch darüber denken mag, für den Autor ist es reizvoll, eine von ihm geschaffene Figur weiterleben zu lassen, statt sie nach einem Manuskript wieder zu vergessen. Doch das allein war nicht der Beweggrund. Ich wollte einen gewissen Zeitabschnitt der Zukunft in einem größeren Rahmen festhalten und die Abenteuer zweier Männer schildern, wie es sie zweifellos einmal geben wird. Ein Raumschiff und zwei Männer — sie sind der Ausgangspunkt jedes HURRICANE-Romans, jedes Abenteuers und jeder darin enthaltenen Thematik. Diese Serie soll in erster Linie unterhalten, sie soll spannend sein und in dem Leser die gleichen Gefühle erwecken, wie ich sie beim Schreiben verspürte. Kurz: die HURRICANE-Romane entstanden aus Freude am Schreiben, aus der Lust am erdachten Abenteuer und aus dem Wunsch heraus, andere an diesem Erleben teilhaben zu lassen. Ich muß gestehen, daß ich keine hochtrabenden Ziele dabei verfolgte. Ich wollte lediglich spannende Unterhaltung schreiben.“
3 Und das ist dem Autor ausnehmend gut gelungen, wie uns viele Leser bereits bestätigt haben. In diesem Sinne verbleiben wir bis zum nächstenmal!
Die SF-Redaktion des Moewig-Verlages Günter M. Schelwokat
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Band 380 Ein deutscher Erstdruck
Finale auf Esre von H. G. Ewers 1. Leutnant McBlaine verzog das Gesicht. Der diskusförmige Raumaufklärer vibrierte unter dem schlagartigen Einsatz aller für die Fahrtverzögerung verwendbaren Triebwerke. Das Tosen des Spiralzyklotrons wurde von den Außenmikrophonen des Helmes ungedämpft übertragen. Aber McBlaine konnte weder drosseln noch abschalten. Alle seine physische und psychische Konzentration richtete sich auf die Schaltungen und Kontrollen der Manuellsteuerung. Nun setzte auch noch das schrille Heulen der automatisch ansprechenden Warnanlage ein. McBlaine brüllte mit voller Lungenkraft der Ortungsdaten in das Mikrophon. Ortersergeant Walasek verfluchte im stillen seinen geschlossenen Druckhelm, der es nicht zuließ, den in die Augen rinnenden salzigen Schweiß von der Stirn zu wischen. Mit zorniger Gebärde riß er den schmalen Stanzstreifen aus dem Ortungsgerät, warf einen flüchtigen Blick auf den Radarschirm und drehte sich zu seinem Vorgesetzten um. „Genau dreihundertvierundzwanzig Einheiten, Sir. Die Form ist spindelförmig, die Längenmaße liegen zwischen neunzig und hundertacht Meter. Der Kurs weist unverändert zu Einundsechzig-Cygni, Geschwindigkeit beträgt achtundneunzig-Kommavier-drei-eins unter Licht, ansteigend.“ „Das sind sie!“ erwiderte McBlaine. „Danke, Sergeant!“ Er wandte den Kopf ein wenig nach links. „Funker! Geben Sie mir die B-vier, Captain Bobadilla!“ Ungeduldig wartete der Leutnant auf die Verbindung. Nur einen einzigen Blick warf er auf den Frontschirm. Vor dem Bug der A-1 lagen die schwarzen Abgründe des interstellaren Raumes. Nur knapp einen Lichtmonat war die heimatliche Erde entfernt — trotzdem hätte man sie vergeblich zwischen den Sonnen gesucht. Ihr mattes Planetenlicht reichte nicht so weit hinaus; und die Sonne Sol war nur noch ein weißgelbes Sternchen unter Tausenden. Wenn man die Sternbilder im Kopf hatte, wußte man, daß der helle Stern in der linken oberen Ecke des Schirmes das Zentralgestirn des Schwanes war — Deneb, ein Stern zweiter Größe. Dicht dabei, aber viel näher, funkelte das Objekt, das in den Sternkarten mit „61-Cygni“ bezeichnet wurde: ein Doppelstern mit den scheinbaren Helligkeiten 5, 6, und 6,3. Richtete man das Elektronenteleskop dorthin, vermochte man den wechselnden Widerschein eines Pulks winziger Silbernadeln zu erspähen. Sie glichen einem Heringsschwarm, den man aus großer Meerestiefe mit einem Scheinwerfer anstrahlt. Es waren die 324 spindelförmigen Raumschiffe, die das Ortungsgerät registriert hatte. Gleichzeitig mit dem Aufleuchten des Telekomschirmes kam die Stimme des Funkers.
5 „Verbindung hergestellt, Sir.“ McBlaine schaltete die eigene Bild-Ton-Übertragung ein. „A-eins ruft B-vier! Bitte melden!“ Auf dem Telekomschirm entstand das Gesicht Bobadillas. Seine kohlschwarzen Augen schienen sich in die des Leutnants zu bohren. „Hier B-vier, Captain Bobadilla. Bitte kommen!“ McBlaines Haltung versteifte sich unwillkürlich. „Hier Leutnant McBlaine, Sir. Wir haben die Flotte der fliehenden Invasoren in unseren Meßgeräten. Wie erwartet, ist die Bewegungsrichtung unverändert.“ „Danke, Leutnant“, erwiderte Bobadilla ruhig. „Halten Sie die derzeitige Distanz, und geben Sie die genauen Koordinaten durch!“ Nachdem McBlaine den Stanzstreifen des Ortungsgerätes in den Impulsübermittler geschoben hatte, war er auf die Antwort gespannt. Aber Bobadilla nickte nur leicht. „Es ist gut, Leutnant. Schalten Sie Ihren Spezialstrukturtaster ein, und behalten Sie den Kurs bei. Weitere Meldungen sind nur bei grundlegender Änderung der Lage erforderlich — Ende!“ Mit schwachem Klicken erlosch die Verbindung und ließ einen unzufriedenen Leutnant des Ghost Ship Command, einer Sondereinheit der noch jungen terranischen Raumflotte, zurück. McBlaine zerbrach sich vergebens den Kopf darüber, weshalb man die Silberspindeln so unbehelligt fliehen ließ, obwohl sie doch vor vier Wochen noch eine Invasion der Erde versucht hatten. Aber das Oberkommando ließ sich nicht in die Karten sehen. McBlaine lächelte. Seine Versetzung von der hypermodernen Crux auf einen kleinen Aufklärer mit begrenzter Reichweite war offiziell die Strafe für einen Disziplinarverstoß während des Kampfes mit den Invasoren — inoffiziell war die gleichzeitige Verwendung für einen wichtigen Sondereinsatz eine Belohnung für sein Verdienst, das Admiralsschiff der Invasoren in die Hand Terras gebracht zu haben. Unvermittelt wurde McBlaine aus seinen Gedanken gerissen. „Geschwindigkeit des feindlichen Pulks erreicht die Lichtgrenze!“ schrie Sergeant Walasek. „Sie steigt immer noch, Sir!“ McBlaine kannte die Bedeutung dieser Meldung. Aber bevor er befehlen konnte, hatte sein Funker bereits selbständig gehandelt und die Verbindung zur B-4 Bobadillas hergestellt. McBlaine nahm sich keine Zeit für Formalitäten. „Flotte beschleunigt auf Transitionsgeschwindigkeit!“ rief er Bobadilla zu. Dieses Mal konnte der Captain seine Erregung nicht verbergen. Das Aufleuchten seiner Augen verriet, daß er auf diesen Augenblick seit langem gewartet hatte. „Danke, Leutnant. Ich veranlasse das Nötige. Denken Sie an die Strukturordnung . . . und auch an sich selbst!“ Noch während der Telekomschirm verblaßte, handelte McBlaine. Er wies den Orter der A-1 an, den speziell für diesen Einsatz konstruierten Strukturorter laufend zu überwachen. Dann gab er höchste Alarmstufe, legte die Hände auf die Notschaltungen des Aufklärers — und wartete. Nach genau vier Minuten und siebzehn Sekunden zuckte dort, wo sich eben noch der Pulk silbriger Spindeln gegen das Sternbild des Schwans abhob, eine blauweiße Energieentladung auf. Sie war viel zu schwach, um dem Aufklärer etwas anhaben zu können. Aber ihre eigentliche Wirkung entfaltete sich erst im fünfdimensionalen Kontinuum des Hyperraumes und erreichte ohne Zeitverlust den darauf ansprechenden Strukturorter. Die A-1 wurde von gewaltigen Kräften zwischen Hyperraum und Normalraum hin- und hergerissen. Ein buntschillerndes Entladungsgewitter tobte in der kleinen Zentrale des Aufklärers.
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7 Diesmal schaltete McBlaine die Außenmikrophone seines Helms sofort ab — keinen Augenblick zu früh. Die A-1 wurde von einer unsichtbaren Faust durchgeschüttelt, vereinzelt lösten sich Aggregate und flogen, Geschossen gleich, durch die Zentrale, zertrümmerten Bildschirme und bedrohten das Leben der Besatzung. Die größte Gefahr aber drohte von einer anderen Seite. Nur schleierhaft vermochte McBlaine die Kontrollen des Spiralzyklotrons wahrzunehmen. Die Zeiger vollführten einen irrsinnigen Tanz, und das urweltliche Grollen des durchgehenden Plasmaerzeugers drang selbst durch die vorzügliche Isolierung des Helmes. Ohne Zögern drückte McBlaine die rote Taste des Notschaltbrettes nieder. Neunzig kombinierte Rak-Sprengsätze, in ihrer Wirkung exakt aufeinander abgestimmt, zerlegten die A-1 im Bruchteil einer Sekunde in ihre Einzelteile. Das gefährliche Zyklotron und eine Unzahl anderer Aggregate stoben mit proportional anwachsender Fluchtgeschwindigkeit radial in den Weltraum. Zurück blieb eine knapp sechs Meter durchmessende Kugel. Darin befanden sich der Strukturorter sowie drei leblos in den Haltegurten hängende Menschen. Die Stelle im Raum jedoch, an der sich vor Sekunden noch 324 Spindelschiffe befunden hatten, war leer. 2. Wie ein Leuchtfeuer blinkte Pluto in den Steuerbordschirmen der Taurus, als das vierhundert Meter durchmessende Kugelraumschiff die Bahnebene des Eisplaneten schnitt. In der geräumigen Zentrale summte es wie in einem Bienenschwarm. Nur zwei Männer schienen von der allgemeinen Erregung nicht berührt zu werden. Scheinbar unbeteiligt saßen sie hinter dem hufeisenförmigen Leitstand und rauchten. Nur ein geübter Beobachter hätte vielleicht bemerkt, daß jedesmal, wenn ihre Blicke sich auf dem Wege zum Telekom kreuzten, ein verhaltenes Funkeln im Hintergrund ihrer Augen aufglomm. Einer der beiden war Frank O’Hara, der wegen seines todesmutigen Einsatzes gegen die Invasoren erst kürzlich zum Generalleutnant ernannt worden war. Er beobachtete unter gesenkten Lidern hervor den gebeugten Rücken des zierlich wirkenden Colonels Mitsuro Hata, des Kommandanten der eben erst von der Werft gekommenen Taurus. Der Japaner gab soeben zum drittenmal den Befehl, die neuprogrammierte Transition zu verschieben. Damit wurden natürlich alle erarbeiteten Daten hinfällig. O’Hara drückte seine Zigarette aus und warf dem neben ihm sitzenden Gordon Scott einen schrägen Blick zu. „Ich möchte nur wissen, wie lange Hata das Theater noch mitmacht, ohne zu platzen!“ Der General und Oberbefehlshaber des Ghost Ship Command lachte leise. „Er wird nicht platzen, verlaß dich darauf. Ich habe ihn nicht umsonst von der Surveyor weggeholt.“ Übergangslos wurde er wieder ernst. „Aber ich bin sicher, am längsten hat es gedauert. In den nächsten zehn Minuten muß die Meldung kommen.“ Mit mechanischen Bewegungen zündete er sich die nächste Zigarette an. Dann lehnte er sich in seinem Kontursitz zurück und ließ die Gedanken einen Monat in die Vergangenheit wandern. Die „Herren des Universums“, wie sich die Invasoren aus einer fremden Galaxis nannten, waren nach einem verzweifelten Husarenstück O’Haras aus ihrem Mondstützpunkt heraus und in die Flucht geschlagen worden. Dabei hatte ihr Admiral einen entscheidenden Fehler begangen. Um die Schiffskommandanten seiner Flotte zum bedingungslosen Gehorsam zu zwingen, blockierte er durch eine Simultanschaltung vom Flaggschiff aus alle Strukturumformer der Spindelschiffe. Das
8 war der Grund, warum seine Flotte einen Monat lang an der Ausführung einer Transition gehindert war und sich mit nur knapp Lichtgeschwindigkeit vom Sol-System entfernte. Das beschädigte Flaggschiff des Admirals aber geriet in die Gewalt der terranischen Flotte, wodurch für den Feind keine Möglichkeit mehr bestand, die Simultanschaltung rückgängig zu machen. Die irdischen Wissenschaftler und Techniker gewannen damit eine unbedingt notwendige Frist, in der sie einen dem Feind nachgebauten superstarken Strukturfeldumformer in die Taurus einbauen konnten. Als vorläufig einziges Schiff der terranischen Flotte vermochte die Taurus nunmehr mit unvorstellbar energieverschlingenden Transitionen andere Galaxien zu erreichen. Jetzt kam es nur noch darauf an, den Transitionsein- und austritt der Invasionsflotte exakt anzumessen und nachzuvollziehen. Es war Scott nicht leichtgefallen, seinen Plan beim Ministerium für Galaktische Angelegenheiten durchzusetzen. Der Mensch war zu plötzlich in die Tiefen des Weltraumes vorgestoßen, als daß sein Geist sich auf das Denken in völlig neuen Horizonten ebenso schnell umzustellen vermochte. Aber selbst die konservativsten Geister hatten einsehen müssen, daß ein direkter Angriff auf die in ihrer Feuerkraft immer noch haushoch überlegene Invasionsflotte einem Selbstmord gleichkäme. Scott überzeugte sie außerdem davon, daß man das Übel an der Wurzel packen müsse, um eine Erneuerung der Bedrohung zu verhindern. Das hieß mit anderen Worten: der fliehenden Flotte in ihre Heimatgalaxis zu folgen und ihre Zentralwelt zu suchen. Scotts größte Sorge war, daß jemand im Ministerium auf den seinen Argumenten innewohnenden Widerspruch stoßen und die „Aktion Finale“ abblasen könne. Deshalb fieberte er genauso wie O’Hara der entscheidenden Meldung Bobadillas entgegen. Nur, er zeigte es nicht. Die rote Signalscheibe über dem Bildschirm des Telekoms flackerte in hastigen Intervallen. Scott drückte die Schaltplatte nieder. Das Gesicht von Captain Bobadilla erschien auf dem 3-D-Schirm. „Bitte!“ „Hier B-vier, Captain Bobadilla. Sir, Leutnant McBlaine meldet Beschleunigung der Invasionsflotte auf Transitionsgeschwindigkeit!“ „Welches Beschleunigungs Verhältnis?“ fragte Scott kalt. „Drei zu neuntausend, Sir.“ „In Ordnung, Captain. Behalten Sie McBlaine im Auge! Die ganze Aktion steht und fällt mit dem Strukturorter der A-eins. „Glauben Sie, daß er . . .?“ Scott ging nicht auf die besorgt klingende Frage ein. „Geben Sie Kurzimpuls, sobald die Strukturerschütterung abgeklungen ist — Ende!“ Er unterbrach die Verbindung und blickte zum Chronographen des Leitstandes. „Hm! Etwa noch fünf Minuten. — Hata!“ Der Colonel fuhr von seinen Kontrollen auf. „Ja, Sir . . .?“ „Alles vorbereiten zur Transition auf in fünf Minuten ablaufende Positionsbestimmung!“ „Aye-aye, Sir!“ Hatas Stirn bedeckte sich übergangslos mit Schweiß. Scotts Befehl verlangte schier Unmögliches von ihm. Aber er zögerte keine Sekunde, sondern gab unverzüglich seine detaillierten Anweisungen an die Männer hinter den Quantengehirnen und den Triebwerks-Kontrollstationen. O’Hara rieb sich die feucht gewordene Handflächen an den Knien trocken. Zu lange hatte er auf diesen Augenblick gewartet, als daß er nun seine Erregung verbergen
9 konnte. Seine fiebrig glänzenden Augen verengten sich, als er hörte, wie Scott den Befehl gab, den Fernaufklärer Nummer Elf startbereit zu machen. „Hattest du FA-elf gesagt?“ fragte er den Freund. „Seit wann hörst du schwer?“ fragte Scott lächelnd zurück. „Also doch!“ O’Hara schluckte. Der Fernaufklärer Nummer elf war kein Serienfahrzeug. Die Numerierung diente lediglich der Täuschung Unbefugter. Sein Äußeres unterschied sich zwar nicht von einem normalen Fernaufklärer, aber während jene für achtzehn Mann Besatzung eingerichtet waren, gab es auf FA-11 nur Platz für 4 Personen. Dafür verfügte er über kostspielige Spezialeinrichtungen und Ausrüstungsgegenstände. Nur wenige Eingeweihte wußten, daß FA-11 ein „Fahrzeug zur direkten geheimen Erkundung fremder Welten“ war — in geläufigem Englisch ausgedrückt also Transportmittel und Operationsbasis für kosmische Agenten! O’Hara zog hörbar die Luft durch die Nase. „Also wollen wir mit der Schnüffler-Schaukel den Herren des Universums den Zahn ziehen?“ Scott verzog das Gesicht. „Du drückst dich wieder so ordinär aus wie die Fischweiber von Billingsgate.“ „Schon gut“, winkte O’Hara respektlos ab, „aber bist du dir klar darüber, daß wir uns dabei in die gleiche Lage begeben wie eine Fliege, die sich direkt auf die Fliegenklappe setzt?“ „Schon einmal“, belehrte ihn Scott sanft, „habe ich dir gesagt, daß eine Fliege, die nicht geklappt sein will, sich am sichersten auf die Klappe selbst setzt. Das und nichts anderes habe ich vor.“ O’Hara stöhnte in komischer Verzweiflung. „Das ist Wahn . . .“ Er stockte und riß die Augen in plötzlichem Begreifen weit auf. „Was sagtest du eben? Hast du vor . . .? Bin ich eigentlich dein Freund oder nicht?“ „Eben!“ erwiderte Scott ernst. „Deshalb will ich dir auch das Kommando über das Ghost Ship Command übertragen, sobald ich in den entscheidenden Einsatz gehe. Vergiß bitte nicht, daß du nebenbei auch mein Stellvertreter bist und . . .“ Das Signal des Telekoms unterbrach den Disput. Ungeduldig starrte Scott auf den warmwerdenden Bildschirm. Aus dem Lautsprecher tönten knatternde Störgeräusche, dann kam die vor Erregung bebende Stimme Bobadillas. „Sir! Sie sind weg!“ „Ich erwarte eine korrekte Meldung!“ sagte Scott eisig. „Was ist übrigens mit Ihrem Aufnahmegerät los, Captain? Bei mir kommt kein Bild an.“ „Sir!“ keuchte Bobadilla. „Meldung von B-vier, Captain Bobadilla. Die Invasorenflotte ist in die Transition gegangen. Verbindung mit A-eins ist unterbrochen. Wahrscheinlich mußte Leutnant McBlaine die Katastrophenschaltung betätigen. Eine Ortung von hier aus ist leider unmöglich, da Totalausfall sämtlicher Ortungspeiler. Außerdem Defekt im Ringmischer der Telekom-Optik, Sir.“ „Aber Ihre Position ist unverändert, nehme ich an?“ „Jawohl, Sir.“ „Danke, Captain. Wir kommen.“ Scott schaltete den Telekom aus und verständigte Hata. Der Colonel teilte mit, daß die Transition in vierzig Sekunden erfolgen würde. Aufatmend lehnte Scott sich zurück und schnallte sich in seinem Kontursitz fest. Den Kommandanten der Taurus durfte er jetzt nicht mehr stören, dtas wußte er. Es ging um Sekunden. Wenn es McBlaine nicht gelungen war, rechtzeitig die Notschaltung zu betätigen und damit die abgekapselte Zentrale seines Aufklärers zu retten, war auch der Strukturorter verloren und mit ihm die Aufzeichnungen über den Sprung der Spindelschiffe.
10 Genau wie alle anderen Besatzungsmitglieder überprüfte Scott seinen Raumanzug, als Hatas Stimme über die Rundsprechanlage die letzte Warnung durchgab. Dann riß der Schock der Kurztransition den Atem aus seinen Lungen und warf ihn in die Zeitlosigkeit des Hyperraumes. * Als der Astronaut wieder zu sich kam, blickten die Sternbilder unverändert von den Bildschirmen der Panoramagalerie. Was war auch schon ein Lichrmonat im Vergleich zu den Entfernungen des Universums! Nur die Astrogatoren des Kugelschiffes waren in der Lage, die neue Position exakt zu bestimmen. Fast schlagartig setzte in der Zentrale eine hektische Tätigkeit ein. Scott und O’Hara verfolgten von ihrem Platz im Hintergrund die Durchsagen des Orterstandes. Als der Orter die Werte des freien Plasmas angab, das sich dort befand, wo eigentlich der Nahaufklärer McBlaines hätte stehen müssen, war es mit O’Haras Ruhe vorbei. „Wir müssen Alarm für die Beiboote geben!“ brüllte er. „McBlaine . . .“ Scott deutete mit unerschütterlicher Ruhe auf die Instrumentenbühne, vor der Mitsuro Hata mit seinem Team saß. Über einer Reihe von Leuchtschaltbildern befand sich eine Ansammlung gläserner Platten, von denen eine nach der anderen in rascher Folge rot aufleuchtete. „Die Suchschiffe werden bereits ausgeschleust“, bemerkte Scott, „und Hata leitet die Aktion. Ich sehe für uns keinen Grund zum Eingreifen. Oder vertraust du Hata nicht mehr?“ O’Haras Gesicht lief rot an. „Entschuldige, Gordon. Natürlich vertraue ich Hata voll und ganz. Aber ich habe McBlaine auf dieses Himmelfahrtskommando geschickt, und ich fühle mich für sein Schicksal verantwortlich !“ Das Gespräch wurde vom Interkom unterbrochen. „Meldung von A-dreiundzwanzig, Sir“, sagte Hata ruhig. „Metallisches Objekt wurde geortet in Phi siebzehn, Theta neununddreißig, Rho sechzig. Objekt ist von einer Sauerstoff-Helium-Wolke umgeben.“ „Dann ist die Wandung gerissen“, stellte Scott fest. „Was haben Sie unternommen, Hata?“ „Beiboot Dreizehn, Vierzehn und Fünfzehn halten das Objekt mit Traktorstrahlen fest. B-sechzehn bereitet sich auf Einschleusung vor, Sir.“ „Gut so“, erwiderte Scott. „Lassen Sie einen Hangar der Taurus für die Rettungsaktion ausrüsten!“ „Jawohl, Sir.“ Scott wandte sich an O’Hara. „Und wir, mein Freund, erwarten die B-sechzehn mit den Überresten der A-eins ebenfalls im betreffenden Hangar! Ich hoffe, es ist nicht ganz so schlimm wie es aussieht“, fügte er leiser hinzu. * Sie kamen vor der Hangarschleuse an, als Beiboot Sechzehn gerade eingeschleust wurde. Deshalb mußten sie warten. In dieser Zeit versammelte sich hinter ihnen eine Menschengruppe, das medizinische und das technische Team. Dann wurde die Schleuse freigegeben. Alles stürmte in den Hangar. Die B-16 stand reifbedeckt auf ihren hoch nachfedernden Teleskopstützen mitten in der geräumigen Halle. Soeben öffnete sich eines ihrer Schleusentore.
11 O’Hara steckte die Finger in die Ohren, als hinter ihm drei laute Pfeifsignale ertönten. Schwere Stiefel polterten eilig über den Plastikmetallbelag, surrend glitt die fahrbare Deckenkabine heran. Über der B-16 verhielt sie. Der von einem Trichter geschützte Antigrav-Projektor richtete sich auf das runde Objekt, das die B-16 in ihrem Leib barg. Wieder ertönte ein Pfeifsignal, dann ein dröhnendes Summen. Eine sechs Meter durchmessende Kugel schwebte, wie von Geisterhänden getragen, aus dem Schleusentor des Beibootes und senkte sich auf ein vom technischen Team inzwischen montiertes Felderzeugungsgitter herab. Eine plumpe Maschine rumpelte heran, streckte einen metallischen Arm aus und fuhr damit über die geschwärzte, von zahlreichen feinen Rissen überzogene Kugelwandung. Ein greller Blitz blendete die Augen der Menschen, dann stürzte ein Teilstück weg, während die Maschine zurückwich. Männer vom medizinischen Team stürmten in die aufgeschnittene Zentrale der A-1 — denn nichts anderes war der Rest der geborgenen Kugel. Gleich darauf wurden drei mit Raumanzügen bekleidete Gestalten zu den herangefahrenen Krankentransportboxen getragen. Scott trat an einen der Ärzte heran. „Können Sie schon etwas über den Zustand der Besatzung der A-eins sagen?“ Der Arzt lächelte leicht. „Sie leben alle drei noch, Sir. Die Raumanzüge haben dichtgehalten. Ich glaube kaum, daß jemand ernsthaft verletzt ist.“ Scott trat aufatmend zurück. „Danke, Doc!“ Er wandte sich zur Seite. „Hallo, Bergson! Was macht der Strukturorter?“ Bergson war der Leiter des technischen Teams, das mit der Bergung des empfindlichen Strukturorters der A-1 beauftragt war. Er stand bei einer Gruppe von Ingenieuren, die den Vakuum-Schutz des Aggregates gelöst hatten. „Keine äußerlichen Schäden, Sir. Aber ob innen alles in Ordnung ist, kann erst die Auswertung der Meßdaten zeigen. Ich denke, in einer halben Stunde sind wir soweit.“ Scott nickte ihm freundlich zu. „Wenn es soweit ist, kommen Sie bitte sofort zu mir in die Zentrale!“ Er schaltete sein Armbandgerät ein und hob es an den Mund. „Hier Scott. Ich rufe Colonel Hata. Bitte kommen!“ „Hier Hata!“ schnarrte es aus dem kaum sichtbaren Empfänger. „Wo ist die B-vier mit Bobadilla?“ „Kehrt eben in ihren Hangar zurück, Sir.“ „Okay, Hata. Schicken Sie dem Captain den Befehl, zur Besprechung in die Zentrale zu kommen!“ Er schaltete ab und winkte O’Hara herbei, der nachdenklich auf die beschädigte Kugel starrte, die einmal die Zentrale eines Raumaufklärers gewesen war. „Komm mit, Frank! Ich schätze, wir haben noch viel Arbeit vor uns, bevor es soweit ist.“ „Bevor was soweit ist?“ fragte O’Hara. Als er keine Antwort bekam, murmelte er: „Nun gut, wollen wir hoffen, daß alles nach Plan geht, wenn du dir auch nicht in die Karten sehen läßt. Aber nicht ich bin der Chef, sondern du . . .“ „Was ein wahrer Segen für die Menschheit ist!“ ertönte eine spöttische Stimme aus dem Hintergrund. O’Hara fuhr herum. „Was tun denn Sie hier, Ojun?“ Katschikaat Ojun, parapsychologisch begabter Chef der psychologischen Abteilung der terranischen Abwehr, hatte die Daumen hinter den Hüftgurt seiner Kombination gesteckt und wippte auf den Zehenspitzen vor und zurück. Er war nicht dem Ghost
12 ship command unterstellt, sondern Scott für besondere Aufgaben beigeordnet worden. Seit dem Unternehmen im Plejadensektor herrschte zwischen Scott, O’Hara und Ojun die Atmosphäre einer distanzierten Kameradschaft — nach außen hin. In Wirklichkeit waren die drei Männer längst Freunde geworden. Jetzt spie der Sibirier seinen völlig zerkauten Zigarrenstummel aus und setzte den Fuß darauf. „Ich wollte nur einmal hören, welche Aufgabe Sie mir bei der Aktion Finale zugedacht haben, Chef.“ Scott lächelte nachsichtig. „Haben Sie etwa in meinen Gedanken spioniert, Ojun?“ „Was denken Sie von mir! Brauchte ich sonst zu fragen?“ „Schon gut“, sagte Scott, „es war nur, weil ich Sie gleich anrufen wollte. Aber das ist ja nun nicht mehr nötig. Melden Sie sich bitte sofort bei Professor Olenius und setzen Sie gemeinsam mit ihm den transportablen Psi-Verstärker zusammen. Anschließend nehmen Sie Ingenieur Mollenheim und überprüfen die Anschlüsse der Kommunikatoren in der FA-elf!“ Ojun schlug grinsend die Hacken zusammen. „Okay, Chef, wird gemacht!“ O’Hara schaute dem Parapsychologen kopfschüttelnd nach, wie er mit seinen krummen Beinen zur Tür schaukelte. „Und da hatte ich immer gedacht, alle Sibirier wären große stämmige Kerle mit roten Gesichtern und breiten Schultern . . .“ Er wurde durch den in der Hangarwand eingebauten Lautsprecher unterbrochen. „Achtung! Hier Colonel Hata an General Scott. Die Auswertung des Strukturorters ist beendet. Captain Bobadilla und Leutnant McBlaine sind zur Berichterstattung erschienen!“ Scott drehte sich wortlos um und hastete auf die Hangarschleuse zu. O’Hara folgte ihm. „Gott sei Dank!“ seufzte er erleichtert. „Also hat McBlaine den Einsatz heil überstanden.“ Scott erwiderte nichts, und nach fünf Minuten betraten die beiden Männer die Zentrale der Taurus. Scott lauschte dem Bericht der beiden Offiziere. Danach schloß er sekundenlang nachdenklich die Augen. „Also mit einer Galaxis vom Sa-Typ haben wir es zu tun. NGC-dreizehn-zwei-sechsundneunzig ist die Bezeichnung im erweiterten New General Catalogue . . .?“ „Jawohl, Sir“, berichtete Bobadilla, „und diese Galaxis gehört nicht einmal mehr zur lokalen Gruppe. Nach neuesten Schätzungen beträgt die Entfernung rund neunhundert Millionen Lichtjahre — also mehr als doppelt so viel wie zu Bootes oder Ursa Major Zwei.“ Scott nickte. „Haben Sie die Orterdiagramme mit?“ „Jawohl, Sir.“ Bobadilla reichte ihm die drei Magnetfolien über den Tisch. Scott prüfte sie eingehend, dann nickte er und gab sie dem Captain zurück. „So, das wäre es“, sagte er. „Ich danke Ihnen, meine Herren.“ Als die beiden Freunde wieder allein am Leitstand saßen, musterte O’Hara Scott von der Seite mit einem fragenden Blick. „Worauf wartest du noch, Gordon?“ Scott holte tief Luft. „Ja, worauf warte ich eigentlich noch?“ Er erhob sich und schritt langsam zur Instrumentenbühne hinüber. Dort setzte er sich neben Hata, um mit ihm zusammen die Transitionsdaten zu überprüfen und die
13 Struktur-Umformer zu programmieren. 3. War schon eine Großraum-Transition innerhalb der eigenen Galaxis ein Wagnis, das äußerste Genauigkeit aller Berechnungen erforderte, so bedeutete der unvorstellbar weite Sprung zu einer anderen Galaxis ein Wagnis auf Leben und Tod. Zweierlei Hauptursachen konnten zum Mißlingen führen. Da war erstens die Verschätzung in der Krümmungsstruktur des zu durchquerenden Raumes. Hierbei konnte man überall und nirgends in den Normalraum zurückkehren — und dann standen die Aussichten, die Position des Schiffes ‘ zu bestimmen, eins zu dreihundert Milliarden. Zweitens — und das war die größere Gefahr, beruhten die Entfernungsangaben zwischen den Galaxien auf Mittelwerten, die man den in den Welteninseln beobachteten Novae zugrunde gelegt hatte. Keiner dieser Werte konnte für sich in Anspruch nehmen, völlig exakt zu sein. Meist lagen die Schwankungen sogar zwischen einer halben bis sechs Millionen Lichtjahren. Da man nie im voraus wußte, ob der wahre Wert höher oder niedriger als der geschätzte war, mußte man den Austrittsort der Transition so weit vorverlegen, daß er sich auf .. alle Fälle noch außerhalb der Zielgalaxis befand. Diese Vorsichtsmaßnahme hatte ihre Ursache in den in jeder Galaxis unterschiedlichen Schwerefeldern, die man nur aus nächster Nähe ausmessen konnte — und mußte, weil ein Sprung in die Galaxis ohne Berücksichtigung dieser Werte Selbstmord bedeutet hätte. Der erste Hypersprung brachte die Taurus ein halbes Lichtjahr aus dem Bereich der eigenen Galaxis hinaus. Das war viel, wenn man bedachte, daß zur Galaxis auch die äußeren Kugelsternhaufen zählten — und die standen in Wirklichkeit zwischen zwanzig und dreihundert Lichtjahren weit im Nichts des intergalaktischen Raumes. Scott hatte keine Zeit, die heimatliche Milchstraße aus der völlig neuen Perspektive zu betrachten. Nur die automatischen Kameras liefen und hielten das Bild fest, ein Bild, wie es Menschenaugen noch nie erblickt hatte. Zum letztenmal wurden die Transitionsdaten überrechnet, dann tauchte die Taurus endgültig in das Niemandsland zwischen den Welteninseln ein. Als der unvermeidbare Schock des Transitionsaustritts verebbte und Scott wieder in der Lage war, sich auf den Frontalbildschirm zu konzentrieren, verschlug es ihm den Atem. Nichts mehr war von der heimatlichen Galaxis zu sehen. Auf der Taurus gab es auch kein so starkes Teleskop, mit dem man sie optisch hätte erreichen können. Die einzige Möglichkeit, jemals wieder zurückzufinden, bestand in der peinlich genauen Speicherung der Kursdaten. Die Sinne des Astronauten wurden aber schnell von der Schönheit des neuen Bildes gefangengenommen. Mitten im undurchdringlich finsteren Nichts schwebte in strahlender Pracht eine blau-weiß leuchtende Sternenellipse, umgeben von einem Ring dunkler Gas- und Staubmassen, die gleichsam einen Gürtel um den galaktischen Äquator bildeten. Das war die Welteninsel NGC 13296. Scott bemerkte, daß das Ungewohnte den Verstand seiner Leute wie eine Flut überschwemmen wollte. Energisch riß er sich von dem Augenblick los und schlug mit der Faust auf den Interkomschalter. „Hier Scott! Colonel Hata, bitte geben Sie mir die genauen Positionskoordinaten in bezug auf die neue Galaxis. Veranlassen Sie außerdem die Überprüfung des Spektrums, die Ausmessung der Schwerefelder sowie sämtlicher beim Sprung beteiligten Fusionsmeiler und anderen Aggregate. Anschließend lassen Sie die Speicherbänke für die nächste Transition aufladen!“ „Aye-aye, Sir“, kam es zurück. Schnell hatte der Japaner begriffen, worum es ging.
14 Er gab mit sicherer Stimme die Anweisungen an die einzelnen Schiffssektionen. Die Arbeit half der Besatzung, den psychischen Schock zu überwinden. Bald summte die Zentrale der Taurus vor hektischer Betriebsamkeit. Immerhin war sie mit über vierzig Mann besetzt. Leistungsfähige Quantengehirne unterstützten die Arbeit der Menschen und schufen überhaupt erst die Möglichkeit, alle komplizierten Berechnungen noch zu Lebzeiten der Besatzung auszuführen. Nach acht Stunden waren die Vorbereitungsarbeiten beendet. Scott führte in der Offiziersmesse eine Beratung in kleinem Kreis durch. Zuerst gab er einen Überblick. „Vor uns liegt die Galaxis der ,Herren des Universums’. Nach den Berechnungsautomaten befinden sich in dieser Sternenellipse etwa achtzig Milliarden Sonnen. Da die Invasoren menschenähnliche Intelligenzen sind und ohne technische Hilfsmittel unter Erdbedingungen leben können, müssen sie von einer erdähnlichen Welt stammen. Wir dürfen also nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung fünfundsiebzig Milliarden Sonnen aus unseren Nachforschungen ausklammern. Die verbleibenden fünf Milliarden könnten allesamt über erdähnliche Planeten verfügen. Aber nur einer von ihnen kann die Hauptwelt der Invasoren sein. Theoretisch wäre unsere Aufgabe demnach unlösbar.“ Scott zog eine Magnetfolie hervor. „Um etwas zu sieben, haben wir uns an absolute Sol-Typen gehalten, also an Sterne, die im Hertzsprung-Russel-Diagramm die gleiche Stellung auf der Hauptlinie ihrer Entwicklung einnehmen wie unsere Sonne, und die vom gleichen Typ sind. Damit wurde der Kreis der zu durchforschenden Systeme auf sechsundvierzig Millionen eingeengt. In jedem dieser Systeme müßte es einen Planeten mit Terrabedingungen und — wenn wir die Gesetzmäßigkeiten des Kosmos zugrunde legen — mit intelligenten Rassen geben, die mit der Raumfahrt zumindest schon begonnen haben.“ „Sechsundvierzig Millionen!“ stöhnte Ojun niedergeschlagen. „Das ist purer Wahnsinn! Selbst wenn wir unser ganzes Leben dafür opferten, könnten wir nicht den Bruchteil eines Prozents gründlich untersuchen!“ „Ganz recht“, erwiderte Scott, „gründlich untersuchen können wir dieses Sternenmeer niemals. Nur, diese Galaxis unterscheidet sich insofern von unserer eigenen, als sie nicht in unzählige Spiralarme zerrissen ist. Die in Frage kommenden Sonnen konzentrieren sich ausnahmslos innerhalb einer Schicht, die sich gleich einer Haut in viertausend Lichtjahren Entfernung um den dichteren Kern der Galaxis legt.“ Jetzt war es mit O’Haras Beherrschung vorbei. Er schlug mit der Faust auf den Tisch. „Bei allen Teufeln des Universums! Wollen wir denn diese ,Haut’ systematisch absuchen?“ Scott lächelte und musterte die Gesichter der anderen. „Ich sehe, Sie denken alle ähnlich wie Generalleutnant O’Hara. Aber wir haben es ja gar nicht nötig, jedes einzelne System anzusteuern!“ Erregtes Gemurmel erhob sich unter den Offizieren. Scott brachte es mit einer Handbewegung zum Verstummen und beugte sich vor. „Was suchen wir denn! Eine Rasse, die bereits den Verkehr von Galaxis zu Galaxis beherrscht, also sicher große Teile der eigenen Galaxis erforscht hat. Dann aber unterhält sie bestimmt Kontakte zu anderen Rassen, die sich im Stadium der interstellaren Raumfahrt befinden, also Transitionen ausführen. Wir haben nichts weiter zu tun, als die ,Haut’ der Sol-ähnlichen Sterne in großen Sprüngen zu durcheilen und in den Pausen nach Entladungen zu forschen, die von Raumschifftransitionen herrühren. Es sollte möglich sein, auf diese Art und Weise Verbindung mit Rassen zu bekommen, die uns auf der Suche nach den Herren des Universums weiterhelfen können!“ Scott ließ einige Minuten der Besinnung verstreichen. Befriedigt beobachtete er, wie
15 die Skepsis auf den Gesichtern seiner Offiziere einem neuen Hoffnungsschimmer Platz machte. Dann räusperte er sich. „Colonel Hata! Die Distanz zur Galaxis haben Sie. Sie beträgt null-Komma-vier Millionen Lichtjahre. Zur Vermeidung jeglichen Risikos führen wir die nächste Transition nur über null-Komma-drei durch, dann sehen wir weiter!“ * Als der Schock der letzten — vorläufig letzten — Transition abklang, stand die Taurus am Rande eines Sonnensystems. Sie war nach dem geglückten Teilsprung in die Sol-Typ-Schicht vorgestoßen. Sofort begannen die Orterstationen zu arbeiten. Die Spektralanalytiker saßen in stummer Konzentration vor ihren Geräten. Das Gesamtergebnis aller Untersuchungen ergab ein System von acht Planeten, von denen sowohl der dritte als auch der vierte günstige Bedingungen für organisches Leben aufwies. Allerdings schwiegen die Strukturtaster beharrlich, obwohl sie einen Aktionsradius von mehr als tausend Lichtjahren besaßen. Der nächste Sprung brachte die Taurus anderthalbtausend Lichtjahre weiter. Doch auch hier war die Suche vergeblich. So vergingen zwölf nervenzermürbende Transitionen. Nach dem zwölften Sprung befahl Scott jedoch, die Taurus in die Bahnebenen des nächsten Planetensystems zu steuern. Nicht, weil hier Transitionen festgestellt wurden, sondern weil der Treibstoff des Schiffes zur Neige ging. „Na endlich!“ seufzte O’Hara. „Nun werden wir einmal neue Gesichter zu sehen bekommen!“ „Wie kommst du darauf?“ verwunderte sich Scott. O’Hara überhörte die Ironie. „Das hier ist ein Stern vom Typ unserer Sonne. Seine zwölf Planeten weisen nicht nur die gleichen Bahnen auf, wie die unserer Sonne, sondern haben auch annähernd die gleiche Masse. Wenn die Spektralanalytiker sich nicht getäuscht haben, ist Planet Drei eine Welt vom Terra-Typ. Die Schlußfolgerung ist ganz einfach.“ „Ja, ganz einfach“, spöttelte Scott. Mit einem Anflug von Bitterkeit in der Stimme fuhr er fort: „Nichts würde ich lieber tun, als den Intelligenzen dieses Planeten einen Besuch abzustatten. Dazu aber brauchen wir Zeit — die wir leider nicht haben.“ „Aber wir müssen doch sowieso auftanken!“ protestierte O’Hara. „Oh ja!“ erwiderte Scott trocken. Er stellte eine Interkomverbindung mit Hata her. „Hata, nehmen Sie Kurs auf den sechsten Planeten!“ „Aye-aye, Sir! Sozusagen auf ,Saturn-Zwei’, nicht wahr?“ Scott lachte. „Erraten. Nur fehlt hier, im Unterschied zu unserem Saturn, das Ringsystem. Es ist anzunehmen, daß wir dafür mehr Trabanten finden. Auf dem mit der für unsere Zwecke geeignetsten Methan-Atmosphäre landen wir und füllen unsere Tanks auf!“ „Aye-aye, Sir, habe verstanden.“ O’Hara machte ein brummiges Gesicht. „Wir sollten wenigstens für die Zeit der Treibstoffübernahme beim dritten Planeten rekognoszieren!“ Scott blickte ihn nachdenklich an. Dann nickte er. „Also gut! Nimm dir Nahaufklärer Nummer Drei und zwei Mann Besatzung. Aber auf keinen Fall hältst du dich länger als sechs Stunden auf. Außerdem solltest du vermeiden, dich in die Angelegenheiten eines anderen Planeten zu mischen. Vielleicht ist es besser, man bemerkt gar nichts von dir. Wir bleiben unterdessen in Richtfunkverbindung, Frank.“ „Okay!“ rief O’Hara von der Tür zurück. Dann war er verschwunden.
16 Inzwischen hatte Mitsuro Hata die Taurus auf den neuen Kurs gebracht. Beim Anflug auf den sechsten Planeten bewahrheiteten sich die Voraussagen der Spektralanalytiker. Der Himmelskörper, dem man unterdessen den Namen ,Saturn II’ auch offiziell gegeben und ihn darunter in die neuangelegte Sternenkarte eingetragen hatte, besaß die ungefähre Größe und Masse des heimatlichen Saturn. Vierzehn unterschiedlich große Monde umkreisten ihn auf weit auseinander stehenden Bahnen. Der größte von ihnen verfügte über einen Umfang, der mit dem des Merkur konkurrieren konnte. Er war von einer dichten Methan-Atmosphäre umgeben, die aus unerfindlichen Gründen einen ringförmigen Lichthof besaß. Dieser „Hof“ war der Grund, weshalb man den Satelliten „Halo“ taufte. Noch bevor die Taurus auf Halo landete, verabschiedete O’Hara sich von Scott. Die A-3 schoß aus ihrem Hangar in die Schwärze des Alls. Nur der glühende Schweif ihrer Triebwerke war noch einige Zeit als kometenhafte Spur zu sehen. Die Taurus tauchte in den kalten Methanozean ein und sank allmählich tiefer, während schwach grünlich gefärbte, durchsichtige Flüssigkeit sie glucksend und verdampfend umhüllte. Dann setzten die breiten Auflageteller der Teleskopstützen sanft auf. Sofort gingen die Techniker des Schiffes an die Arbeit. Das Auftanken war eine unkomplizierte Angelegenheit, da das Methan keine unerwünschten Beimengungen aufwies und so, wie es von der Natur geliefert wurde, in die Verdichtungskammern gepumpt werden konnte. Trotzdem würde der ganze Vorgang etwa sieben Stunden beanspruchen, denn die Treibstoffbehälter der Taurus besaßen wegen der Spezialaufgabe des Schiffes ein immenses Fassungsvermögen. Etwa eine Stunde nach seinem Start übermittelte O’Hara die erste Meldung. Obwohl Scott damit gerechnet hatte, überflutete ihn bei den Worten des Freundes doch ein Gefühl der Freude. O’Hara hatte ein primitives Raumschiff geortet, das vom dritten Planeten zu kommen schien und Kurs auf den vierten Planeten nahm. Demnach gab es auf Nummer Drei intelligente Wesen, die sich am Beginn des Raumfahrtzeitalters befanden. Scott änderte jedoch seinen Plan nicht. Er suchte eine Rasse mit interstellarer Raumfahrt und durfte sich nicht durch Sentimentalitäten aufhalten lassen. Erst, als weitere Nachrichten vom Aufklärer ausblieben, wurde er unruhig. Er kannte den Freund gut genug, um zu wissen, daß er — so oft er seinem etwas skurrilen Humor auch die Zügel schießen ließ — ihn, Scott, nicht beunruhigen würde, jedenfalls nicht in Situationen wie dieser! 4. O’Hara hatte als Begleiter für seinen Abstecher zwei ehemalige Besatzungsmitglieder der Crux gewählt, des Raumkreuzers, der es auf dem Mond mit einer ganzen Flotte der Invasoren aufgenommen hatte und der nur durch das überraschende Eingreifen Scotts vor der Vernichtung bewahrt worden war. Leutnant Bruce Low und Sergeant Pentti Nikula gehörten zu den wenigen damals nur leicht verwundeten Leuten der Crux. Beide hatten während zweier Jahre auf einem Patrouillenschiff innerhalb des Solarsystems Dienst getan, waren danach fünf Jahre lang auf der Schule für Flottenoffiziere geschult worden und hatten keinen Augenblick gezögert, sich für die todgeweihte Crux zu melden, als die Invasoren vom Mond aus die Existenz der Menschheit bedrohten. Nun saßen sie neben O’Hara in der engen Zentrale des kleinen, diskusförmigen Aufklärers, der in das unbekannte Sonnensystem einer fremden Galaxis hineinraste. Unaufhörlich beobachtete jeder die ihm zugewiesenen Instrumente und Kontrollen. Nach einer Stunde meldete der als Orter fungierende Low: „Unbekanntes Objekt in Sicht, Sir.
17 ,,Die Daten!“ forderte O’Hara. ,,Phi zehntausenddreihundert, Theta neunzig, Rho siebentausend. Geschwindigkeit . . . Beim Jupiter! Was ist das für ein vorsintflutlicher Apparat! . . . Fünfunddreißig Kilometer pro Sekunde . . .!“ „Sie werden noch am Beginn des Raumfahrtzeitalters stehen“, kommentierte O’Hara, während er die angegebenen Koordinaten mit der provisorischen Karte des Systems verglich. Er pfiff durch die Zähne. „Man will also zum vierten Planeten, und das mit so einem prjmitiven Gehäuse. Alle Achtung!“ „Soll ich den General anrufen?“ fragte Nikula. „Ja, geben Sie mir Scott. Es wird sowieso Zeit, daß ich etwas von mir hören lasse.“ Nach der Hyperfunkmeldung lehnte O’Hara sich zufrieden in dem einzigen bequemen Möbel der Zentrale, dem Kontursitz, zurück und zündete sich eine Zigarette an. „Gestatten Sie eine Frage, Sir?“ meldete sich Low. „Bitte!“ „Wie wäre es, wenn wir dem Raumschiff folgten?“ O’Hara winkte ab. „Falls wir uns ihrer Geschwindigkeit anpassen, vergeht die Zeit, ohne daß wir etwas erreichen. Ich halte es für vorteilhafter, den dritten Planeten in Augenschein zu nehmen. Zudem möchte ich die fremden ,Erstürmer des Alls’ nicht erschrecken, wenn wir unverhofft mit unserer ,fliegenden Untertasse’ neben ihnen auftauchen.“ Unterdrücktes Fluchen bewog ihn, sich zu Pentti Nikula umzudrehen. Der gebürtige Finne hockte vorgebeugt hinter den Schaltungen des Hyperfunkgerätes und drehte an den Verstärkerknöpfen. „Was ist los?“ fragte O’Hara. Der Sergeant sah mit blassem Gesicht auf. „Wenn ich das wüßte, wäre mir wohler, Sir. Das Gerät ist völlig in Ordnung, aber trotzdem sendet und empfängt es nichts mehr.“ O’Hara runzelte die Stirn. „Dann ist es eben nicht in Ordnung. Wir haben es doch gerade noch benutzt. Haben Sie den Umformer geprüft?“ „Nicht nur den Umformer, sondern alles, Sir — bis auf die Antennenblöcke. Aber daran kann es doch nicht liegen, sie haben keine Fehlerquelle und sind praktisch wartungsfrei, es sei denn . . .“ Schlagartig fiel die bisherige Ruhe von O’Hara ab. „Überprüfen Sie sofort die Antennenblöcke, Sergeant!“ Er wandte sich Low zu. „Was sagt die Ortung, Leutnant?“ „Nichts Neues, Sir. Der Raum ist weiterhin leer — bis auf die vorsintflutliche Rakete.“ „Die äußeren Antennenblöcke sind weg — scheinbar verbrannt!“ rief Nikula in höchster Erregung. O’Hara zögerte nur einen winzigen Augenblick. Der Ausfall der Hyperfunkanlage war beunruhigend, aber nicht tragisch, da die Taurus bei der kurzen Distanz auch über Normalfunk erreichbar war. Aber bestand diese Möglichkeit tatsächlich noch . . .? „Überprüfen Sie sofort den Telekom!“ befahl er Nikula. Es war die Tatsache, auf welche Weise die Hyperfunkanlage ausgefallen war, die O’Hara beunruhigte. Die kompakten äußeren Antennenblöcke konnten nur durch Gewalt zerstört werden — durch von außerhalb des Schiffes kommende Gewalt! „Telekom ebenfalls ausgefallen!“ schrillte Nikulas Stimme. O’Hara hatte seinen Entschluß gefaßt. Laut Dienstordnung hätte er sofort zum Mutterschiff zurückkehren müssen. Aber erstens war er als Stellvertreter Scotts berechtigt, in Einzelfällen auch gegen die Dienstordnung zu handeln, und zweitens wider-
18 strebte es seiner aggressiven Natur, vor etwas zu fliehen, das er nicht einmal kannte. „Geben Sie mir die automatischen Orteraufzeichnungen, Leutnant!“ befahl er. Low öffnete die Klappe des Speichergerätes und zog einen sechsfach gestaffelten Streifen heraus. Schweigend nahm O’Hara ihn in Empfang und überflog die aufgezeichneten Diagramme. Plötzlich stutzte er. „Sie haben außer der bewußten Rakete nichts entdeckt, was nicht in diesen Raum gehört, Low?“ Der Leutnant schüttelte den Kopf. „Hm!“ machte O’Hara nachdenklich. Noch einmal überprüfte er die Aufzeichnungen. Dann gab er sie Low und wies auf eine Zacke des Partikeldiagramms. „Sehen Sie sich das an, Low! Was, glauben Sie, könnte das bedeuten?“ „Höchstens für eine Hundertstelsekunde“, bemerkte O’Hara trocken, „und in dieser Zeit ist es geschehen. Aber ich mache Ihnen keinen Vorwurf. Sicher hätte ich das ebenfalls übersehen. Doch die Aufzeichnungen sind unbestechlich. Wir sind im hundertsten Teil einer Sekunde durch etwas hindurchgeflogen, das in seinem Effekt identisch mit einer Wolke Antimaterie ist. Die Dichte der ,Wolke’ war zu gering, als daß sie dem Schiff direkt geschadet hätte. Nur besitzen leider unter Strom stehende Antennen die Eigenschaft, Partikel anzuziehen. Bei normaler Materie hat das nichts zu sagen. Bei Antimaterie aber gibt es eine Art Fusionsentladung — und die hat ausgereicht, die Antennenblöcke wegzuschmelzen.“ „Damit hätten wir die Erklärung für den Ausfall der Funkanlage“, atmete Low auf. O’Hara blickte ihn ernst an. „Die eine Erklärung hätten wir. Jetzt müssen Sie mir noch erklären, wie Antiteilchen in ein Sonnensystem gelangen!“ Low schluckte. „Aber Antiteilchen gibt es doch überall, Sir. Es wird . . .“ O’Hara winkte ab. „Auch damit haben Sie recht. Nur sind diese Antiteilchen äußerst kurzlebig, weil sie sofort nach ihrer Entstehung mit einem Normalteilchen reagieren. In unserer Position hätte der Strahlenschauer der Sonne genügt, sie zu neutralisieren, bevor sie anderweitig wirksam werden konnten. Keinesfalls dürfte es hier eine derartige Konzentration geben !“ „Dann . . .“, keuchte Low atemlos, „. . . dann müßten die Antiteilchen eben künstlich erzeugt worden sein, Sir!“ „Genau! Jemand hat es fertig gebracht, künstlich erzeugte und projizierte Antiteilchen als Waffe zu benutzen.“ „Das fremde Raumschiff?“ warf Nikula ein. „Kaum!“ O’Hara schüttelte den Kopf. „Ihre Technik ist im Vergleich zur unseren derart primitiv, daß es mir nicht in den Kopf will, sie beherrschten die Erzeugung und Projizierung von Antiteilchen in so vollendeter Weise.“ Er seufzte. „So gern ich wissen möchte, wer uns diesen Streich gespielt hat — wir dürfen angesichts unserer eigentlichen Aufgabe kein Risiko eingehen. Wir kehren um!“ Er legte die Finger auf die Schalttastatur des Aufklärers, schaltete das Triebwerk auf Verzögerung und aktivierte die Korrekturdüsen. Gleißende Lichtfontänen brachen Vorschiffs und backbords aus den bisher im freien Fall ruhenden Triebwerksdüsen. Aber nicht für lange. Im nächsten Augenblick krachte O’Haras Faust auf den Hauptschalter, so daß er bis in die Aus-Raste zurückfiel. Die Plasmaströme krochen in die Düsenmäuler zurück — und erneut stürzte die A-3 in freiem Fall durch den Raum. „Warum . . .?“ begann Nikula. „Weil wir sonst die Gravitationsfelder der Düsen beschädigt hätten!“ O’Haras Gesicht
19 war blaß. „Was glauben Sie wohl, was für ein Feuerwerk das abgibt, wenn die lichtschnell beschleunigten Plasmapartikel mit einer Wolke von Antiteilchen zusammenstoßen !“ „Hat man schon wieder diese Waffe eingesetzt?“ fragte Low. „Jawohl, ,man’ hat!“ knirschte O’Hara. „Und wir können im Augenblick nichts anderes tun als warten.“ „Warten? Worauf?“ fragte Nikula. „Darauf, daß der oder die Unbekannten sich dazu herablassen, persönlich in Erscheinung zu treten!“ schimpfte O’Hara erbittert. Seine Finger spielten mit den Knöpfen der Waffenschaltung. Mit innerlicher Genugtuung nahm er einige Einstellungen vor. „So!“ stellte er befriedigt fest. Vielleicht hält man uns jetzt für völlig wehrlos — desto besser. ,Sie’ wissen nur nicht, daß wir die Kristall-Torpedos auch mit Preßluft starten und den Antrieb außerhalb der Antimateriewolke zünden können. Sollen sie nur kommen!“ Doch O’Haras Hoffnung erfüllte sich nicht. Niemand kam. Der unbekannte Gegner — daß es ein Gegner war, daran zweifelte niemand mehr — begnügte sich offenbar damit, den Aufklärer manövrierunfähig zu halten und von der Außenwelt abzuschneiden. Wenn man es genau betrachtete, war mehr auch nicht nötig. Die A-3 trieb in freiem Fall dem dritten Planeten entgegen und würde, wenn nicht ein Wunder geschah, wie ein Meteor in der Atmosphäre verglühen. Noch zweimal versuchte es O’Hara mit den Triebwerken, dann gab er die nutzlosen Versuche auf, denn jedesmal stießen die gebündelten Plasmapartikel auf exakt vor die Düsenöffnung projizierte Antiteilchenfelder und bedrohten durch sonnenheiße Entladungen die Gravitationsfelder der Düsen. Wenn diese zusammenbrachen, mußte die gestaute Energie die A-3 in Sekundenschnelle zu einer Gaswolke verwandeln. Nach einiger Zeit wandte Low sein blasses Gesicht O’Hara zu. „Sir, wie wäre es, wenn wir den Energieschirm einschalteten?“ „Den Energieschirm?“ O’Hara horchte auf. „Hm! Wir könnten es wenigstens versuchen. Sie meinen, das Antiteilchenfeld befindet sich nur in einem begrenzten Raum in nächster Nähe der A-drei, nicht wahr?“ „Ja, Sir.“ „Gut!“ O’Hara drückte die Schaltplatte für den Schutzschirm herunter. Die Kontrollinstrumente bewiesen den Aufbau des schützenden energetischen Feldes. Draußen tat sich nichts. O’Hara konnte sich aber denken, daß innerhalb der Energieschale noch genügend Antimaterie war, die — einmal projiziert — ihre Stellung vor den Gravitationsfeldöffnungen der Düsen unverändert beibehielt. Nachdenklich legte er die Stirn in Falten. Ihm war ein Gedanke gekommen, dessen Ausführung nicht nur drei Terraner, sondern viel, viel mehr retten sollte. Aber das ahnte selbst er in diesem Augenblick noch nicht. Er füllte die Lungen mit Luft. „Leutnant Low!“ Low schrak sichtlich zusammen. „Ja, Sir?“ „Wenn ich mich nicht irre, sind Sie auf der Offiziersschule speziell in Plasmaphysik ausgebildet worden?“ „Jawohl, Sir!“ erwiderte Low nicht ohne Stolz. „Eine meiner Arbeiten erregte solches Aufsehen, daß sie monatelang in allen Fachzeitschriften diskutiert . . .“ „Ich weiß. Der Artikel befaßte sich mit der Theorie der Plasmaprojektion über weite Strecken.“ O’Hara machte eine bedeutungsvolle Pause. „Aber wie sieht es denn mit der Plasmaprojektion über kurze Strecken aus?“ „Die Plasmaprojektion über weite Strecken wird inzwischen so angewandt, wie ich es vorschlug, Sir. Man benötigt sie für interstellare Satellitenprojekte. Aber über kurze Strecken . . .! Sir, da bisher kein Bedarf dafür bestand . . .“
20 „Das ist jetzt uninteressant!“ polterte O’Hara. „Mich interessiert lediglich, ob eine Kurzstreckenprojektion überhaupt möglich ist.“ „Ja, natürlich“, entgegnete Low gekränkt. „Sie ist sogar weit einfacher als die Langstreckenprojektion, Sir.“ O’Hara atmete auf. „Okay! Dann sollte es doch möglich sein, das verdichtete Plasma noch vor dem Austritt aus den Düsenfeldern so zu projizieren, daß es erst außerhalb eines Energieschirmes wirksam wird. Geht das?“ Bruce Low überlegte einige bange Sekunden lang. Dann leuchtete sein Gesicht in heller Freude auf. „Jetzt begreife ich erst einmal, worauf Sie hinauswollen, Sir. Ja, das ist möglich, wenn ich die Gravitationsfelder der Düsen so anordne, daß sie die Wirkung von hypergekrümmten Prpjektionslinsen besitzen. Aber . . .“, er stockte, „. . . bevor alle Felder umgeschaltet wären, sind wir längst in der Atmosphäre des dritten Planeten verbrannt.“ O’Hara lächelte überlegen. „Wer sagt denn, daß Sie alle Felder umpolen müßten? Polen Sie die drei Felder der Front-Hauptdüsen um, das genügt für eine Notlandung!“ „Notlandung, Sir?“ fragte Low. „Aber wie sollen wir dann zur Taurus zurückkommen? Wir müssen damit rechnen, daß die A-drei so stark beschädigt wird, daß ein Start mit ihr unmöglich ist.“ „Ist vielleicht eine Rückkehr zur Taurus möglich, wenn sich die A-drei in eine Gaswolke verwandelt hat? Reden Sie kein dummes Zeug, Leutnant, und gehen Sie an die Arbeit! Über die Frage der Rückkehr können wir uns unterhalten, wenn wir lebend auf Nummer Drei gelandet sind.“ * Als der dritte Planet nur noch 250 000 Kilometer entfernt war, hatte Low das Wunder vollbracht. Sofort nach der Vollzugsmeldung schaltete O’Hara die drei Hauptdüsen ein. Außerhalb des Schutzschirmes bildeten sich drei blendende Feuerbälle, die sich um so weiter zu Strahlenbündeln streckten, je langsamer der Aufklärer wurde. O’Hara betrachtete die Oberfläche des Planeten. Wenn sich die Form seiner Kontinente nicht so stark von denen der irdischen unterschieden hätte, wäre eine Verwechslung mit der Erde möglich gewesen. Das Verhältnis zwischen Land und Meer schien dem der Erde zu gleichen. Beim Näherkommen entdeckten die drei Menschen auf der Nachtseite die ersten Anzeichen einer Zivilisation — schwache, unregelmäßig verteilte Lichtpünktchen. O’Hara ließ die drei Bugtriebwerke auf Vollschub laufen. Trotzdem tauchten sie mit bedenklich hoher Restfahrt in die Atmosphäre ein. Die bislang unsichtbaren Schutzschirme leuchteten immer greller. Als ein schwaches Ticken durch die Zentrale tönte, sahen sich die Männer verständnisvoll an. „Deren Augen möchte ich sehen, wenn sie uns auf dem Radarschirm ausmachen“, sagte Nikula grinsend. „Um uns zu sehen, brauchen sie kein Radar“, entgegnete O’Hara. Er hatte recht, denn die A-3 mußte von unten den Anschein erwecken, als verglühte ein Riesenmeteorit in der Atmosphäre. Eine Vertikallandung mit nur drei Düsen durfte O’Hara nicht wagen. Er ließ den Aufklärer deshalb vom Schwerefeld des Planeten erfassen und herumreißen. Einige Sekunden schien es, als würde die A-3 wieder in den Weltraum enteilen, dann wurde der Diskus von der Gravitation in elliptischem Bogen zurückgeholt. Nur noch einmal schoß die A-3 aus der Lufthülle heraus, wurde dabei weiter abgebremst, dann raste
21 sie dem Boden entgegen. O’Hara hatte damit gerechnet, innerhalb der Atmosphäre wieder ohne Gefahr sämtliche Triebwerke arbeiten lassen zu können, denn eine Antimaterieprojektion war eine Angelegenheit, die sich nur im luftleeren Raum steuern lassen konnte. Insofern behielt O’Hara auch recht. Aber die Düsen arbeiteten so unregelmäßig, daß er sie schnell wieder ausschaltete. Wahrscheinlich waren die Feldöffnungen bereits beim ersten Zusammenprall von Plasma und Antiteilchenwolke beschädigt worden. Je mehr die Fahrt der A-3 nachließ, desto weniger gehorchte sie den unzulänglichen Steuerschüben der drei übriggebliebenen Bugdüsen. Der Aufklärer war eben nicht für aerodynamische Manöver konstruiert. O’Hara konnte nichts weiter tun, als ihn auf der Wasserfläche eines Ozeans nahe des vereisten Südpols herunterzubringen. Die A-3 würde, den Berechnungen nach, mit etwa zehnfacher Schallgeschwindigkeit unten ankommen. So war die verhältnismäßig ruhige See ihre einzige Chance. Noch einmal überprüften die Männer den Sitz ihrer Anschnallgurte. Der Diskus fegte wippend auf die graugrüne See zu und wurde wie ein flach geworfener Kieselstein abgeschleudert, als der Schutzschirm die niedrigen Wellenkämme berührte. Dann schaltete O’Hara den Schutzschirm aus. Die A-3 sackte ab, machte noch einige kilometerweite Sprünge und setzte endgültig auf. Brüllend ergoß sich die aufgewühlte See über ihren bucklig gewölbten Rücken. Die Andruckabsorber, sonst kaum zu hören, schrillten in drohendem Diskant auf. Die Außenzelle knirschte bedrohlich. Plötzlich schrie Nikula: „Ein Eisberg, Sir. . .!“ O’Hara entdeckte das weiße, aus dem Wasser ragende Gebilde im selben Augenblick. Mit zusammengebissenen Zähnen versuchte er, durch Umschalten der Frontdüsen den Zusammenstoß zu vermeiden. Aber die Geschwindigkeit des Aufklärers war noch zu hoch. Bevor die Steuerschaltung überhaupt wirksam werden konnte, war der Eisberg heran. O’Hara fühlte sich von einer unsichtbaren Faust nach vorn gestoßen. Schmerzhaft schnitten die Gurte in sein Fleisch. Instinktiv lenkte er seine Faust auf den roten Notschalter. Dann versank sein Bewußtsein in einem dröhnenden Schlag. * „Das hätte schlimmer ausgehen können!“ O’Hara schüttelte sich und musterte die bleichen Gesichter seiner beiden Schicksalsgefährten, die, wie er schweratmend auf dem Vorsprung eines kleinen Eisberges saßen. Eigentlich war es nur noch die Hälfte eines größeren Eisberges; die andere aus dem Wasser ragende Hälfte hatte der Aufklärer zerschmettert. Es hätte tatsächlich schlimmer ausgehen können — viel schlimmer sogar. Von der A-3 waren nur noch ein paar verstreute Fetzen übrig, alles andere war in der Tiefe des Meeres verschwunden. Die Besatzung verdankte ihr Leben in erster Linie O’Haras Geistesgegenwart. Er hatte im letzten Augenblick den Notschalter betätigt, der die Abschleuderung der Kabine auslöste. Dicht über die Spitze des Eisberges war das kleine Gehäuse geflogen und fünfzig Meter weiter auf die Wasseroberfläche geprallt. Allerdings mußten die Männer sofort danach aussteigen, denn an mehreren Stellen war das Wasser in dicken Strahlen eingedrungen, und keine Minute nach dem Aufprall war auch die Kabine verschwunden. In ihren hermetisch abgedichteten Raumanzügen waren die Raumfahrer zum Eisberg zurückgeschwommen. O’Hara klappte den Helm nach hinten und atmete vorsichtig die kalte Luft ein. Erleichtert stellte er fest, daß sie vom menschlichen Organismus vertragen wurde. Er drehte sich um und spähte über das Meer. „Da hinten scheint das Land zu liegen, das wir von oben aus gesehen haben.“
22 „Nordwesten“, stellte Low nach einem Blick auf seinen Kompaß fest. „Etwas weit zum Schwimmen“, versuchte Nikula zu scherzen. „Da sitzen wir ganz schön in der Tinte.“ O’Hara zog fröstelnd die Schultern ein und klappte seinen Helm wieder zu. Dann erhob er sich. „Ich nehme an, wir werden unseren Eisberg so schnell wie möglich wieder aufgeben müssen. Wie Sie sehen können, treibt er immer weiter aufs freie Meer. Sobald er in wärmere Zonen kommt, schmilzt er unter uns weg.“ „Schwimmen . . .?“ fragte Low erschrocken. „Glücklicherweise brauchen wir das nicht“, erwiderte O’Hara. „Es gibt eine zweite Strömung, noch dazu in unmittelbarer Nähe.“ Er deutete auf die Eisschollen, die schabend und knirschend an den Rändern des Eisberges entlangglitten und sich in Richtung auf das Festland entfernten. „Wir werden uns wohl oder übel einem dieser ,Rettungsboote’ anvertrauen müssen.“ „Aber können wir nicht auf unserem Eisberg warten, bis der General uns abholt?“ fragte Low zögernd. „Wir könnten es“, erwiderte O’Hara gedehnt, „denn Scott läßt uns gewiß nicht im Stich. Aber er könnte aufgehalten werden. Denken Sie an die geheimnisvolle Antiteilchenprojektion!“ „Glauben Sie, Sir, daß die Bewohner dieses Planeten an unserem Pech schuld sind?“ fragte Nikula. O’Hara schüttelte den Kopf. „Nein. Wenn sie über den Antimaterieprojektor verfügten, besäßen sie auch die technischen Mittel, uns hier aufzuspüren. In dem Falle hätten wir längst Besuch bekommen. Ich denke eher, der unbekannte Feind hatte es weniger auf uns, sondern mehr auf die Schiffe dieser Welt abgesehen. Aber wir sollten uns nicht länger aufhalten!“ Entschlossen stellte er sich an den Rand ihrer Eisinsel, wartete, bis eine besonders dicke und große Scholle vorbeitrieb und sprang hinüber. Low und Nikula folgten. Zwei Stunden später stiegen sie abermals um, diesmal auf ein unwegsames Packeisfeld. In der Hoffnung, daß es Verbindung mit dem eigentlichen Festland besaß, marschierten sie in Richtung Nordwesten los. Die Hoffnung enttäuschte sie nicht. Schon nach einer weiteren Stunde betraten sie das Gestade des Kontinents. Sein Aussehen erinnerte stark an die Küste Grönlands. Annähernd eintausend Meter hoch, schoben sich an zwei Stellen die Gletscher bis zum Meer. Dazwischen lag ein knapp ein Kilometer breiter Streifen grünen Landes. Nikula pfiff durch die Zähne. „Wir scheinen uns weiter südlich zu befinden, als wir zuerst annahmen.“ „Wieso?“ fragte O’Hara erstaunt. Nikula deutete mit der Hand nach links. „Wäre es nicht so, dürften wir hier nur Moose und Flechten finden, auf gar keinen Fall aber Nadelwald. Mir kommt es vor, als befände sich das Eis auf dem Vormarsch in bisher mildere Zonen.“ „Also eine Art Eiszeit“, murmelte O’Hara. Er zuckte mit den Schultern. „Aber wie dem auch sei, wir werden es bald genau wissen.“ Die Gefährten blickten ihn erstaunt an. Doch O’Hara deutete nur mit dem Kopf zu dem landeinwärts führenden Tal. Jetzt hörten sie alle das Geräusch. „Ein Hubschrauber?“ wunderte sich Low. „Aber das kann doch nicht . . .“ „Warum nicht?“ entgegnete Nikula. „Wir waren doch einer Meinung darüber, daß die Intelligenzen dieses Planeten eine technische Zivilisation besitzen.“ Wie um dem Finnen recht zu geben, stieß jetzt ein blinkendes Etwas aus der Türöffnung. Deutlich war das Geräusch der Düsen zu hören. Mit flirrender Luftschraube
23 steuerte der Hubschrauber auf das Packeisfeld zu. Er schien die drei Menschen nicht zu bemerken. Da riß O’Hara seinen Impulsblaster aus dem Gürtelhalfter und richtete die Mündung nach oben. Das Donnern der Entladung hallte von den Eiswänden der Gletscher wider. Ein greller Blitz schoß senkrecht in den klaren Himmel. Gelassen steckte O’Hara die Waffe wieder zurück und beobachtete den Düsenschrauber, der kurz nach dem Knall wie an einem unsichtbaren Faden in die Höhe geglitten war und jetzt unschlüssig pendelnd verharrte. Erschrocken starrten Low und Nikula auf ihren Vorgesetzten. Doch O’Hara kümmerte sich nicht darum, sondern winkte heftig mit den Armen. Es bestand kein Zweifel daran, daß man die Bewegung von Bord des Schraubers aus erkennen mußte, aber trotzdem dauerte es fast fünf Minuten, bis sich das Luftfahrzeug herabsenkte und dicht über dem Boden näher kam. 5. Scott gab Alarm und ordnete die Besetzung der B-4 an. Hata befahl er, mit der Taurus auf Halo zu warten und die Treibstoffübernahme fortzusetzen, bis er eine Nachricht gäbe. Captain Bobadilla wartete bereits in der Zentrale des kugelförmigen Beibootes. Scott gab ihm die Daten der letzten Position O’Haras und befahl eine Kurztransition. Bobadilla stellte keine Fragen. Er konzentrierte sich nach der Bestätigung des Befehls auf seine Instrumente. Leutnant Algranti, der Navigator und stellvertretende Beibootskommandant, nahm inzwischen die Klarmeldungen der Besatzung entgegen. Dann öffnete sich das Hangartor und entließ die B-4. Behutsam bugsierte Bobadilla sie durch die Methanatmosphäre des Trabanten. Danach beschleunigte er mit den höchsten Werten. Das Boot erreichte nach zwanzig Minuten die einfache Lichtgeschwindigkeit und damit die Grenze des normalen Kontinuums. Es verschwand — und tauchte drei Lichtstunden weiter wie aus dem Nichts auf. Das erste, was Scott nach der Rematerialisation vernahm, war das Jaulen der automatischen Warnanlage. Er beugte sich vor. Bobadilla aber war inzwischen auch munter geworden. „Raumschiffsortung, Sir!“ meldete er erregt. „Ein zylindrischer Körper von etwa dreißig Meter Länge in Backbord. Entfernung eineinhalb Lichtminuten, Koordinaten . . .“ Scott hörte mit halbem Ohr hin. Er glaubte zu wissen, welches Schiff da geortet war. Aber dennoch überzeugte er sich durch einen Blick auf die Projektorscheibe des Elektronenteleskops. Er fand seine Annahme bestätigt — bis auf eine Kleinigkeit. „Sehen Sie sich einmal den Kurs des Schiffes genau an!“ wandte er sich an Bobadilla. „O’Hara hatte gemeldet, es flöge mit Kurs auf den vierten Planeten. Mir scheint es allerdings, als hätten sie inzwischen ihre Absicht geändert.“ „Das stimmt, Sir“, bestätigte der Captain. „Wenn man vom Aussehen und der Geschwindigkeit auf die Art des Antriebes schließt, hätten sie vor mindestens zwanzig Minuten den Bremsvorgang einleiten müssen, um in zirka zwei Monaten von der Schwerkraft des vierten Planeten erfaßt werden zu können. Falls sie nicht doch über einen bedeutend besseren Antrieb verfügen, werden sie bei der Annäherung an Nummer Vier noch zu schnell sein und darüber hinausschießen.“ Scott nickte. Er gab dem Captain und den anderen anwesenden Offizieren eine knappe Meldung über O’Haras Verschwinden und schloß: „Da wir weder die A-drei noch eine Emissionsstrahlung anpeilen konnten, ist der Aufklärer nicht hier verlorengegangen, sondern mit unbekanntem Kurs weitergeflogen. Wir werden uns deshalb zuerst um das fremde Schiff kümmern. Gehen Sie auf Schußweite heran, Captain!“ Bobadilla richtet wortlos den neuen Kurs ein, dann wandte er sich um.
24 „Glauben Sie, die Fremden hätten etwas mit O’Haras Verschwinden zu tun, Sir?“ „Wir werden es bald wissen!“ erwiderte Scott einsilbig. Als das Beiboot nur noch zehntausend Kilometer vor dem fremden Schiff stand, befahl Scott dem Funker, nach der Frequenz des primitiven Raumfahrzeugs zu suchen. Der Mann hantierte lange an seinen Geräten. Dann blickte er ratlos auf. „Ich kann nichts hereinbekommen, Sir. Entweder funken die anderen auf gänzlich unbekannten Frequenzen, oder . . .“ „Oder . . .?“ Der Funker holte tief Luft. „Oder sie können nicht mehr funken, Sir, genau wie die A-drei.“ Scott nickte ihm ernst zu. „Vielleicht haben Sie recht. Captain, legen Sie an, und schicken Sie ein Kommando hinüber!“ Bobadillas Augen funkelten. Aber er beherrschte sich meisterhaft. Mit ruhiger Stimme gab er über Interkom seine Befehle, als wäre das Entermanöver eine alltägliche Sache. Das zylindrische Schiff rückte schnell näher. Deutlich konnte man die der Sonne zugewandte Seite mit den Platten der Thermoelemente erkennen. Das und die Tatsache, daß die Fremden sich weder zur Wehr setzten noch gegen den Traktorstrahl anzukämpfen versuchten, überzeugte Scott davon, daß die Technik dieser Wesen der Terras weit unterlegen war. Eine klirrende Schallwelle pflanzte sich durch die Innenzellen der B-4 fort, als die Außenwandungen beider Schiffe sich berührten. Magnetklammern schnappten aus ihren Schächten und fesselten das Raumfahrzeug noch zusätzlich. „Einsatzkommando fertig zum Entermanöver, Sir!“ meldete Bobadilla. „Ausführung!“ befahl Scott. „Aber die Leute sollen gegen Lebewesen nicht mit Waffengewalt vorgehen. Wenn es nötig sein sollte, dürfen nur die Schockstrahler verwendet werden!“ Der Captain gab den Befehl weiter. Für einige Sekunden entzogen sich die Geschehnisse der direkten Beobachtung. Dann blitzte es an der Wand des fremden Schiffes in grellem blauweißem Feuer auf. Die Fokalstrahler hatten die Luke des Schiffes gesprengt. Ein Schwarm silbrig schimmernder Gestalten wurde sichtbar und verschwand lautlos in dem gewaltsam geschaffenen Eingang. Dann brach die Sprechfunkverbindung ab. Scott erhob sich mit dünnem Lächeln aus seinem Kontursitz. „Ich werde mir die Bescherung einmal selbst ansehen!“ verkündete er. „Aber Sir!“ rief Bobadilla entsetzt. „Sie können doch nicht allein . . .“ „In eine Falle laufen, meinen Sie? Nun, so schlimm wird es kaum werden. Wir haben nur den einen Fehler begangen: die Fremden nach dem Stand ihrer Technik eingeschätzt, und so etwas sollte man eben nur bei Robotern tun.“ Mit dieser etwas orakelhaften Bemerkung ließ er eine ratlose Zentralebesatzung zurück. Sie vermochten sich das plötzliche Absetzen der Sprechfunkverbindung nicht zu erklären. Scott dagegen wohl, und er beeilte sich, um die Situation zu retten. Seit seinem Besuch bei den Bewohnern eines centaurischen Planeten, den ersten fremden Intelligenzen, mit denen die Menschheit Kontakt aufnahm, trug er stets einen miniaturisierten Simultan-Übersetzer, einen sogenannten Translator, mit sich. So auch jetzt. Er zog ihn, während er den kurzen Schacht des Antigrav-Lifts hinabglitt, aus einer der zahlreichen Taschen seiner Kombination und hängte ihn sich mit einer Schnur um den Hals. Danach schaltete er das kaum zigarettenschachtelgroße Gerät ein und verschloß seinen Helm. So vorbereitet, stieß er sich von der geöffneten Schleuse der B-4 ab, und schwebte hinüber zur aufgebrochenen Einstiegluke des fremden Schiffes. Mit eingeschalteter
25 Helmlampe betrat er einen im rechten Winkel abbiegenden Gang. Er war nicht überrascht, das Einsatzkommando des Beibootes dort mit erhobenen Armen an der Wand lehnen zu sehen. Etwas Ähnliches hatte er erwartet. Auch das Fehlen eines sichtbaren Gegners raubte ihm nicht die ruhige Überlegung. Er handelte, wie er es geplant hatte — nämlich vor allem sehr schnell. „Handeln Sie nicht unüberlegt. Hören Sie uns erst an!“ rief er laut, und seine Stimme wurde über die Außenlautsprecher des Helms übertragen. Natürlich gab der Translator keinen Ton von sich. Das wäre selbst dann nicht möglich gewesen, wenn er über eine Analyse der fremden Sprache verfügt hätte, denn im Vakuum des unverschlossenen Ganges könnte sich kein Schall fortpflanzen. Das wußte Scott ebenfalls — aber im Unterschied zu den anderen glaubte er eine Lösung des Problems gefunden zu haben. Seine Vermutung wurde zur Gewißheit, als eine leise Stimme an sein Ohr drang. „Sie werden aufgefordert, die Arme zu heben und jegliche Funkverbindung zu Ihrem Schiff zu unterlassen. Andernfalls sprengen wir unser Schiff und das Ihre mit.“ Scott hob gehorsam die Arme. Gleichzeitig aber sprach er weiter. „Sie können unsere Sprache verstehen. Warum also sollten wir nicht mit den Leuten unseres Schiffes sprechen und sie beruhigen? Sie hören ja mit. Wir kommen nicht als Feinde. Das hätten Sie längst erfahren können, wenn Sie auf unseren Anflug mit einem Funkruf reagiert hätten. Ich schlage Ihnen Verhandlungen vor. Wenn Sie wirklich Ihr Schiff sprengen möchten, können Sie das danach noch ebenso gut tun wie jetzt. Also . . .?“ Diesmal blieb die Stimme aus, und Scott wurde bereits ernstlich besorgt, da er die Mentalität der anderen nicht sicher einschätzen konnte. Doch da öffnete sich im Hintergrund eine schmale Luke. Ein mit einem schweren Raumanzug bekleidetes Wesen trat unbeholfen in den Gang. Es war offensichtlich menschenähnlich, zumindest, was die äußeren Formen anbetraf. Das Wesen besaß zwei Arme, zwei Beine und, unter dem Helm verborgen, einen Kopf. Jetzt hob es die Hand. „Wir sind zu Verhandlungen bereit, wenn Sie alle Ihre Leute zurückziehen und allein zurückbleiben.“ Scott überlegte nur kurz, dann nickte er. „Einverstanden!“ Er schaltete den Helmfunk ein und gab den Männern des Einsatzkommandos den Befehl, in die B-4 zurückzukehren und dort weitere Anweisungen abzuwarten. Die Männer gehorchten. „Bitte folgen Sie mir!“ sagte der Fremde, als er mit Scott allein war. Der Astronaut ging ohne weitere Fragen mit dem anderen. Nachdem sie die Luke durchschritten hatten, schloß sie sich automatisch, und Scott vernahm das typische Geräusch von Schleusenpumpen. Dann öffnete der andere seinen Helm. Scott tat es ihm gleich und stellte befriedigt fest, daß die Atmosphäre innerhalb des Schiffes für Menschen atembar war. Erst jetzt kamen die beiden Raumfahrer dazu, sich gegenseitig zu mustern. Scott blickte in ein Paar kohlschwarze Augen, die in einem breiten quittengelben Gesicht mit vorgewölbter Stirn leuchteten. Das schwarze Haupthaar war nach einer Seite gekämmt und zu einem Knoten geschlungen, der das linke Ohr völlig verdeckte. Scott neigte leicht den Kopf. „Mein Name ist Scott!“ Der Fremde sah zu ihm auf, denn er war einen guten Kopf kleiner als der Terraner. Er sagte ebenfalls einige Worte, doch der Translator konnte davon noch keine Analyse anfertigen. Folglich blieb das Gesagte unverständlich, bis auf das Wort „Yiking“. Scott vermutete, daß es der Name des anderen war. Einige Sekunden blickten sich die beiden Menschen — denn Menschen waren es, auch wenn der eine die Erde
26 noch nie gesehen hatte — ratlos an, dann verzogen sich die Gesichter zu einem ersten zaghaften Lächeln. Yiking drehte sich um und schritt durch das inzwischen geöffnete Innenschott der Schleuse. Scott folgte ihm ohne Zögern. Nach einem etwas kürzeren Gang öffnete Yiking eine Tür — und dann stand Scott in der Zentrale des fremden Schiffes. Schnell überflog er die Inneneinrichtung. Sie erinnerte an die Pionierzeit der irdischen Raumfahrt. Auf einem einzigen Bildschirm stand die dunkle Wand der B-4. Sie war eigentlich nur dadurch zu erkennen, daß sie den Ausblick ins Sternenmeer verwehrte, denn sie wurde nicht von der Sonne beschienen. Aus wuchtigen Sesseln erhoben sich nun vier weitere Fremde. Einer von ihnen schleppte ein quaderförmiges Gerät mit sich, das durch vier Kabel mit einer Schaltwand verbunden war. Jetzt schob er einen Hebel nach hinten und begann zu sprechen. Im selben Augenblick wurden seine Worte in das holperige Englisch übersetzt, das auch die Stimme im Gang gekennzeichnet hatte. „Sie wollten mit uns verhandeln. Was haben Sie zu sagen?“ Diesmal sprach Scotts Translator an, und der Astronaut registrierte befriedigt, daß die Übersetzung seines eigenen Gerätes besser war als die des Fremden. „Wir nehmen an, daß Ihre Funkanlage nicht mehr in Ordnung ist. Aus diesem und auch noch aus einem anderen Grunde wollten wir uns überzeugen, mit wem wir es zu tun haben. Ich gebe zu, daß unsere Methode etwas direkt war, aber wir mußten mit Ihnen irgendwie Verbindung aufnehmen — was ja nun auch gelungen ist.“ Scott machte eine Pause und lächelte. „Sie haben wahrscheinlich die Interkomgespräche innerhalb meines Schiffes mitgehört?“ Jetzt trat Yiking zu dem sperrigen fremden Übersetzergerät. Offenbar war er und nicht der andere Kommandant dieses Schiffes. „Das war nicht schwer. Obwohl Sie unsere Sende- und Empfangsantennen zerstörten, konnten wir, als Sie nahe genug heran waren, Ihre Bordsendungen mit den tragbaren Geräten empfangen. Unsere Gespräche dagegen waren nicht abzuhören, da wir dazu einen auf Ultraschallbasis arbeitenden Molekülschwinger benutzten.“ „So etwas hatte ich vermutet“, erwiderte Scott. Dann wurde sein Gesicht ernst. „Aber es stimmt nicht, daß wir Ihre Antennen zerstört haben. Immerhin darf ich Ihnen nach diesem Hinweis verraten, daß wir auf der Suche nach einem unserer Schiffe sind, dem wahrscheinlich das gleiche zustieß.“ In Yikings Augen blitzte es auf. „Das glaube ich Ihnen nicht, Scott. Sie stammen nicht von Ungkuo. . .“ „Nein, wir stammen nicht vom dritten Planeten“, warf Scott ein. „. . . Folglich müssen Sie vom vierten Planeten kommen“, fuhr Yiking fort, „und wir haben schon mehrere Schiffe verloren, die dorthin wollten. Mit uns aber können Sie nicht dasselbe tun wie mit unseren Vorgängern. Wenn Sie uns nicht in Frieden lassen, sprengen wir uns in die Luft. Dabei dürfte Ihr eigenes Schiff ebenfalls zerstört werden.“ „Das ist durchaus nicht sicher“, gab Scott zurück. „Außerdem sind wir nicht vom vierten Planeten, und wir haben auch nicht die Absicht, Sie an einer Erforschung dieser Welt zu hindern, wenn Sie das meinen.“ „Nicht vom vierten Planeten?“ Der Ausruf kam von allen Ungkoern zugleich. „Es gibt in unserem System aber keinen anderen bewohnbaren Planeten!“ setzte Yiking hinzu. „Wir kommen nicht aus diesem System.“ „Das ist unmöglich. Mit einem so kleinen — relativ zu den Entfernungen — kleinen — Raumschiff können Sie nicht so weit gereist sein.“ „Warum nicht?“ fragte Scott. „Wenn man schneller als das Licht fliegt, schon. Aller-
27 dings haben wir zur Überwindung der Entfernung nicht dieses Schiff benutzt, obwohl das möglich gewesen wäre. Wir sind im Innern des Mutterschiffes gereist.“ Er sagte absichtlich nicht, daß er aus einer anderen Galaxis kam. Das hätte ihn vor den Augen der Ungkoer sicher noch unglaubwürdiger gemacht. „Dann verstehe ich nicht, warum Sie uns angreifen?“ „Sie konnten das geplante Bremsmanöver nicht beginnen, nicht wahr?“ „Ja.“ Scott seufzte erleichtert. Jetzt begann er zu ahnen, was mit dem Aufklärer geschehen war. Nur wußte er nicht, daß die A-3 zur Zeit des Ausfalls ihrer Triebwerke Kurs auf den dritten Planeten gehalten hatte, sonst wäre er besorgter gewesen. Er nahm an, O’Hara trieb irgendwo antriebslos in diesem System. „Wenn Ihre Triebwerke nicht mehr arbeiten, möchte ich Ihnen meine Hilfe anbieten. Wir könnten Sie nach Ungkuo schleppen.“ „Aber wir wollen nicht nach Ungkuo zurück, jedenfalls vorläufig nicht!“ entgegnete Yiking heftig. „Unser Auftrag lautet, den vierten Planeten zu erforschen.“ Scott schüttelte den Kopf vor soviel Halsstarrigkeit. „Aber begreifen Sie denn nicht, daß Sie keine Aussicht haben, von der Schwerkraft Ihres Zielplaneten eingefangen zu werden! Sie würden hoffnungslos ins All hinaustreiben. Zudem ist, soweit wir feststellen konnten, der vierte Planet eine wüstenähnliche Welt ohne atembare Atmosphäre.“ „Sie haben recht“, sagte Yiking leise. „Es wird uns nichts weiter übrigbleiben, als ihren Vorschlag anzunehmen.“ „Gut! Aber vorher möchte ich noch eine Frage klären. Wie kam es zum Ausfall Ihrer Triebwerke und zur Zerstörung Ihrer Antennen, beziehungsweise, wie ging das vor sich?“ Yikings Gesicht verfinsterte sich. „Wir befanden uns kurz vor dem geplanten Bremsmanöver, als plötzlich die Funkverbindung zu Ungkuo aussetzte. Sente, unser Funker, stellte fest, daß die Antennenschalen weggeschmolzen waren. Dann leiteten wir das Bremsmanöver ein. Am Anfang arbeiteten die Triebwerke einwandfrei. Doch dann gab es eine heftige Explosion in den Düsenkammern, die das Schiff nur deshalb nicht zerstörte, weil die Treibstoffzufuhr automatisch unterbunden wurde.“ „Und Sie haben kein fremdes Schiff geortet?“ fragte Scott. „Nein, der Raum war völlig leer.“ „Hm!“ machte Scott nachdenklich. „Aber scheinbar sind nur Ihre Instrumente unzuverlässig, sonst hätten Sie meinen Aufklärer gesehen. Von dort aus wurden Sie mir nämlich gemeldet. Leider brach anschließend ebenfalls die Funkverbindung ab. Meiner Meinung nach stehen wir einem gemeinsamen Gegner gegenüber, Grund genug, uns zu verbünden.“ „Zu verbünden?“ fragte Yiking überrascht. „Sicher wäre meine Regierung damit einverstanden, aber soviel ich sehen konnte, verfügen Sie über eine Technik, die der unseren überlegen ist.“ „Das trifft zweifellos zu, aber nicht die Technik allein entscheidet, sondern mehr noch der Mensch, der sie beherrscht. Und daß Ihre Intelligenz der unseren nicht nachsteht, hat mir Ihr Vorgehen gegen meine Einsatzgruppe bewiesen.“ Scott streckte die Hand aus. „Schlagen Sie ein?“ Yiking betrachtete unschlüssig die dargebotene Hand. Wahrscheinlich war der Händedruck eine auf Ungkuo unbekannte Geste. Aber dann leuchtete sein Gesicht auf, und er griff fest zu. Scott atmete auf.
28 „Meine Zeit ist knapp, deshalb kann ich Ihnen jetzt keine technischen Erklärungen geben. Nur soviel: Die beiden Raumschiffe bleiben gekoppelt und werden auch so auf Ungkuo landen. Vielleicht ist es gut, wenn Sie, Yiking, mit hinüberkommen und uns zu Ihrem Landefeld lotsen.“ „Ich komme mit!“ erwiderte Yiking knapp. Mit gedämpfter Stimme gab er seinen Gefährten Anweisungen. Dann drehte er sich um. „Fertig!“ Scott klappte seinen Helm zu. „Dann kommen Sie!“ * Die Schleuse der B-4 wimmelte von Männern in Raumanzügen. Die Läufe der schweren Desintegratoren blitzten im Lampenschein. Scott nickte ihnen zu. „Sie können wieder auf Ihre Plätze zurückkehren. Die Fremden sind unsere Verbündeten geworden.“ Als er mit Yiking die Zentrale betrat, atmete Captain Bobadilla hörbar auf. „Gott sei Dank, Sir! Viel länger hätte ich nicht gewartet.“ Scott erwiderte nichts darauf, sondern stellte Yiking vor und gab einen kurzen Bericht über die neue Situation sowie den Befehl, das andere Schiff nach Ungkuo zu schleppen. Dann trat er zum Hyperfunkgerät, um die Taurus anzurufen und alle Beiboote zur Suchaktion nach dem vermißten Aufklärer einsetzen zu lassen. Aber der Ruf ging nicht hinaus. Eine Überprüfung der äußeren Antennenblöcke ergab, daß sie zerstört waren, zerstört durch die gleiche geheimnisvolle Kraft, die an diesem Tage bereits einmal zugeschlagen hatte. Scott sagte nichts dazu. Er stellte sich nur neben Bobadillas Kontursessel und beobachtete die Instrumente, während der Captain die Fusionsmeiler auf Leistungsabgabe schaltete. Scotts Befürchtung bestätigte sich. Kaum schossen die ersten gebündelten Plasmastrahlen aus den Feldöffnungen der Düsen, als rings um die B-4 ein grelles Feuerwerk aufflammte. Mit einem Hieb stellte Scott die Triebwerke ab. Er beachtete Bobadillas bleiches Gesicht nicht, sondern wandte sich über Interkom an die Orterkabine. „Geben Sie mir sofort das Diagrammbild der Materieortung!“ Nach wenigen Augenblicken sah er auf dem kleinen Übertragungsschirm die gleiche Zacke, die O’Hara so erschreckt hatte. „Antimaterie!“ stellte er lakonisch fest. „Captain, wir müssen eine Transition aus dem freien Fall durchführen. Gehen Sie so dicht wie möglich an Ungkuo heran!“ Bobadilla wurde noch etwas blasser. Aber er führte den Befehl ohne Widerrede aus. Scott wandte sich an Yiking. „Kommen Sie! Wir müssen Sie festschnallen. Zwar werden Sie keinen Andruck verspüren, doch das Gefühl der überlichtschnellen Fortbewegung läßt sich im Sitzen leichter ertragen.“ „Überlichtschnelle Fortbewegung!“ flüsterte Yiking. „Aber was wird dann mit der Tsischin?“ . „Mit Ihrem Schiff? Da machen Sie sich nur keine Sorgen, Yiking. Es macht die Transition mit. Ihre Leute werden nicht mehr auszustehen haben als meine und ich selbst.“ „Fertig, Captain?“ „Fertig, Sir! Strukturumformer laufen.“ „Dann — los!“ Abrupt steigerte sich das Wummern des Strukturumformers und überlagerte alle anderen Geräusche. Dann zerflossen die Konturen der Umgebung. Ein fünfdimensional wirkendes Energiefeld hüllte das Beiboot ein und machte es —
29 für nicht meßbare Zeit — zu einem Bestandteil des rätselhaften Hyperkontinuums. Damit wurde es den Kräften des Normalraumes entrückt. Als die Umgebung wieder klar wurde, war keine Zeit vergangen. Trotzdem hatte sich das Bild auf den Rundsichtschirmen grundlegend geändert. Wie eine schwarze Gruft verdeckte die Nachtseite des Planeten Ungkuo die Sicht auf die Sterne. Nur vereinzelte Lichtpünktchen zeigten an, daß es dort unten große Städte gab. Die Minuten bis zum Eintauchen in die Atmosphäre waren mit Spannung geladen. Noch konnte der Gegner zuschlagen, noch konnte er seine heimtückische Waffe anwenden. Scott atmete auf, als der Schutzschirm aufglühte. In der Atmosphäre war die Anwendung von projizierter Antimaterie nicht möglich. Nun kümmerte er sich wieder um Yiking, der verhältnismäßig rasch den ungkuoischen Raumhafen fand und die B- 4 hinablotste. Nur zwanzig Minuten der geglückten Transition senkte sich das Beiboot behutsam auf das Landefeld hinab. Auf den Panoramaschirmen war eine flache Wüste zu sehen, deren Oberfläche im Schein der drei Monde Ungkuos kristallen glitzerte. Undeutlich hoben sich in der Ferne die Umrisse flacher Gebäude und eines hohen Turmes ab, an dessen Spitze ein grünes Licht rhythmisch zuckte. „Sie geben das Signal für Landeerlaubnis !“ flüsterte Yiking. „Dabei können sie doch gar nicht wissen, wer wir sind und was wir hier wollen . . .!“ Scott stutzte. Aber nur kurz. Dann verzog sich sein Gesicht zu einem befreiten Lächeln. „Vielleicht doch .. .“ Er äußerte sich nicht weiter, aber er wechselte einen schnellen Blick mit Bobadilla. Die Spannung wuchs, als sich ein Helikopter mit blinkenden Positionslichtern näherte und wenige Meter neben dem Beiboot aufsetzte. Die Mitteltür des leicht gebogenen Luftfahrzeuges öffnete sich, und ein Mann in der Uniform des Ghost Ship Command sprang heraus. Ihm folgten zwei gleich gekleidete Gestalten sowie ein Ungkoer. Scott erkannte O’Hara, Low und Nikula. Er gab den Befehl zum Öffnen der Bodenschleuse. Eine halbe Minute später begrüßten sich die Freunde in der Zentrale. Doch sie hielten sich nicht mit überflüssigen Redensarten auf. Scott stellte Yiking vor, berichtete von der Bergung der Tsischin und dem erneuten Überfall des unsichtbaren Gegners. Dann bat er O’Hara um Meldung. Der nahm zuerst die ihm angebotene Zigarette. Dann räkelte er sich gemütlich und zufrieden in seinem Sessel. „So gut wie euch ist es uns allerdings nicht gegangen, da der Aufklärer keinen Hyperantrieb besitzt. So konnten wir uns weder mit einer normalen Transition noch mit einer Halbtransition aus der Affäre ziehen. Dafür hatte ich einen guten Physiker an Bord, Low, der in der Galgenfrist, die uns verblieb, drei Hauptdüsen umbaute . . .“ Als O’Hara geendet hatte, nickte Scott nachdenklich. „Abgesehen von der Gefahr, in der ihr geschwebt habt, war eure Notlandung auf Ungkuo ganz nützlich. Ich weiß nicht, ob die Ungkoer auf das Erscheinen der B-vier so günstig reagiert hätten wie auf das Auftauchen dreier Schiffbrüchiger. Vielleicht hätten sie uns für Angreifer gehalten. Aber daß du ihnen sogar ankündigtest, wir würden ihr Raumschiff im Schlepp mitführen, zeugt schon fast von hellseherischen Gaben.“ O’Hara winkte ab. „Ich kenne dich; ich wußte genau, was du tun würdest. Zum Beispiel könnte ich dir sogar verraten, was du als nächstes unternehmen wirst.“ „Und das wäre?“ lächelte Scott. „Dem vierten Planeten einen Besuch abstatten, was sonst?“
30 „Wie kommst du darauf?“ „Hat dir das Yiking nicht erzählt?“ fragte O’Hara zurück. „Sie haben schon drei Expeditionen nach Nummer vier, den sie Koong nennen, gestartet und von keiner je wieder etwas gehört.“ „Hm! Yiking sagte so etwas.“ Scott blickte den Ungkoer an. Yiking nickte. „Das stimmt, und ich glaube auch, daß die Bewohner Koongs etwas damit zu tun haben.“ Scott schüttelte langsam den Kopf, während er sich eine Zigarette anzündete. „Koong ist, soviel wir bisher feststellen konnten, eine marsähnliche Welt. Eine intelligente Rasse könnte zwar darauf existieren, wenn sie die nötigen technischen Hilfsmittel besitzt, aber sie kann sich dort nicht entwickelt haben.“ „Aber woher sollen die bisherigen Angriffe gekommen sein, wenn nicht von Koong!“ sagte Yiking. „Das ist eine andere Frage!“ Scott erhob sich. „Wir werden uns an Ort und Stelle davon überzeugen, was an den Vermutungen dran ist. Zuerst aber müssen wir die Taurus herbeirufen. Die Treibstoffübernahme sollte inzwischen beendet sein.“ „Aber ich denke, die Funkanlage des Beibootes ist ebenfalls zerstört?“ fragte O’Hara. „Die Antennen sind zerstört“, berichtigte Scott ihn. „Aber wir brauchen nicht zu warten, bis die Reparatur beendet ist, denn im Hangar der B-4 steht ja noch ein Nahaufklärer — und dessen Funkanlage funktioniert.“ 6. Obwohl die Ungkoer von Scott darauf vorbereitet worden waren, brachte sie der Anblick der feuerspeiend landenden Taurus beinahe um ihren Verstand. Die Wachmannschaften des Raumhafens suchten in panischer Flucht das Weite und kehrten erst wieder an ihre Plätze zurück, als der Kugelkreuzer ruhig auf seinen Stützbeinen stand und die aufgewirbelten Sand- und Staubwolken sich verzogen hatten. Scott weilte bereits wieder in der Zentrale der Taurus. Mitsuro Hata berichtete, daß sich weder vor noch nach der Transition etwas Verdächtiges gezeigt hätte. Allerdings war die Taurus nicht so nahe an Koong herangekommen wie die anderen Schiffe. Damit wurde der wahrscheinliche Aufenthaltsort der geheimnisvollen Macht in der Tat auf den vierten Planeten oder dessen unmittelbare Umgebung beschränkt. Unterdessen traf eine Regierungsdelegation des Planeten Ungkuo ein. Scott gelang es, die Sorgen der Abgeordneten über mögliche Herrschaftsansprüche der Terraner zu zerstreuen. Er machte ihnen aber auch klar, daß, falls Koong wirklich von einer intelligenten Rasse bewohnt würde, er diese Rasse nicht angriffe, sondern lediglich zwischen ihnen und Ungkuo zu vermitteln versuchen wollte, denn — so fügte er hinzu — allen intelligenten Wesen stehe das Recht zu, uneingeschränkt über ihre eigene Welt zu bestimmen. Als die Delegation den Kugelkreuzer wieder verlassen hatte und die Tsisching aufsuchte, um mit Yiking und der übrigen Mannschaft zu sprechen, sah Scott bedeutsam auf seine Uhr. „Ich denke, wir werden in spätestens einer Viertelstunde nach Koong aufbrechen, Alter!“ „Die Umpolung der Düsenfelder der Taurus ist erst in zwei Stunden beendet“, wandte O’Hara ein. „So?“ lächelte Scott. „Wer hat denn gesagt, daß wir den Kreuzer nehmen? Die FA-elf jedenfalls ist schon lange fertig.“ O’Hara fuhr hoch. „Die FA-elf? Den kleinen Fernaufklärer? Da gehen doch nur vier Mann hinein! Soll das vielleicht heißen, daß ich zurückbleiben muß?“
31 „Nein! Das ist nur vorgesehen, wenn wir gegen die ,Herren des Universums’ vorgehen. Der Einsatz auf Koong ist nur eine Begleiterscheinung unserer eigentlichen Aufgabe. Allerdings eine vielleicht ganz nützliche Begleiterscheinung, denn wenn meine Vermutung stimmt, befindet sich auf dem vierten Planeten der Stützpunkt einer Rasse, die aus einem anderen Sonnensystem kommt . . .“ „Und die demnach den interstellaren Raumflug beherrscht“, ergänzte O’Hara. „Ganz recht. Aber nun könntest du McBlaine und Ojun Bescheid geben, daß sie sich fertigmachen sollen. Die beiden werden uns begleiten.“ Die FA-11 war das Raumfahrzeug, das O’Hara einmal pietätlos als „Schnüfflerschaukel“ bezeichnet hatte, also ein Fernaufklärer für kosmische Agenten. Als solcher war er als erster Aufklärertyp, ja überhaupt als erstes Schiff der terranischen Flotte, mit dem neuen Schulze-Hammerschmidt-Schirm ausgerüstet, einem energetischen Absorberfeld gegen vier- und fünf-dimensionale Ortungsimpulse. Als die FA-11 nach dem Transitionsaustritt über der dünnen Lufthülle von Koong schwebte, gab es für einen möglichen Gegner keine Chance, das festzustellen. Scott hatte selbst die Steuerung übernommen. Mit Hilfe der relativ schwachen Feldgeneratoren lenkte er den Aufklärer in einen spiralenförmigen Orbit um den Planeten. O’Hara und McBlaine überwachten die automatischen Kameras und Detektoren, während Ojun mit geschlossenen Lidern im Sessel vor den Waffenschaltungen saß. Die Auswertung der Beobachtungsergebnisse faßte O’Hara in wenige Sätze: „Koong besitzt nahezu absolut marsgleiche Beschaffenheit, sowohl was die Größe als auch die Schwerkraft anbetrifft. Die Temperatur liegt an den Polen etwas höher, am Äquator niedriger. Das ist auf Koongs andere Achsenstellung zurückzuführen. Ansonsten kalte Sandwüsten mit kümmerlicher Vegetation und an den Polen teilweise von Staubschichten verdecktes Eis.“ „Nicht viel Neues“, erwiderte Scott. „Mal sehen, was die Mikrowellenortung bringt!“ Leutnant McBlaine legte die Folien vor sich auf den Rand des Schalttisches. „An und für sich registrierten die Geräte nur die erwarteten Erzadern, Sir. Aber . . .“ „Aber . . .?“ drängte Scott. McBlaine zuckte mit den Schultern. „Es gibt vier kleinere Lagerstätten fast reinen Tantal-Iridiums.“ „Tantal-Iridium?“ stieß Scott erregt hervor. „Wo?“ „Je zwei an den Polen und am Äquator, die sich jeweils genau gegenüberliegen.“ O’Hara pfiff durch die Zähne. „Allerhand! Was macht Ihre Gedankenleserei, Ojun?“ Der Parapsychologe schüttelte den Kopf. „Nichts. Dabei wette ich, daß mir keine Gedankenimpulse intelligenter Wesen entgangen wären.“ Scott lächelte O’Hara zu. „Du fragst doch nicht ohne Grund! Ich nehme an, du hattest die Antwort erwartet.“ O’Hara nickte bestätigend. „Aber sie befriedigt mich nicht. Das Vorhandensein von Tantal-Iridium deutet mit ziemlicher Sicherheit auf Robotgehirne hin. Da aber Ojun keine Gedankenimpulse empfing, frage ich mich, wo die Wesen sind, die die Robotgehirne bauten.“ „Hm!“ machte Scott. „So ganz kann ich mich deiner Meinung nicht anschließen, Frank. Aber wir werden ja sehen.“ Erneut konzentrierte er sich auf die Steuerung. Der Fernaufklärer tauchte vom Südpol her in die tieferen Schichten der Planetenatmosphäre ein. Allerdings äußerst langsam, denn sie wagten nicht, den Impulsantrieb zu benutzen, da die PlasmaEmission sie trotz des Ortungsschutzes verraten hätte. McBlaine nannte Scott die Positionsdaten der Tantal-Iridium-Konzentrationen. Je mehr sie sich diesen Stellen näherten, desto deutlicher wurden die Ausschläge der Mikrowellenortung. Schließlich
32 schwebten sie genau über dem südpolaren Fundort und stellten fest, daß er unter einem etwa hundert Meter hohen Frostaufbruch — einem den nordamerikanischen „Pingos“ vergleichbaren erdbedeckten Eisbuckel — lag. Scott setzte die FA-11 hinter einem zweiten Pingo auf, ihn als Deckung benutzend. So waren sie selbst dann gegen Anpeilung gefeit, wenn sie den Ortungsschutz abschalten mußten — falls die Anreicherung von Tantal-Iridium überhaupt künstlichen Ursprungs war. * Die Sonne Uangtien stand als winzige bleiche Scheibe am Himmel Koongs und übergoß die unwirtliche Landschaft mit fahlem Mittsommerlicht, als Scott, O’Hara und Ojun den kleinen Aufklärer verließen. Sie hielten sich an den Händen gefaßt, da sie die Lichtwellenbrecher ihrer Spezialanzüge eingeschaltet hatten. Die Sprechverbindung lief wegen der Abhörgefahr über Kontakte, die sich an der Oberfläche ihrer Handschuhe befanden. „Und nun?“ fragte O’Hara ungeduldig. „Wir werden uns zuerst den bewußten Pingo ansehen!“ erwiderte Scott. Die geringe Schwerkraft Koongs erleichterte ihnen die Fortbewegung. Nachdem sie die Entfernung hinter sich gebracht hatten, kletterten sie längs eines tiefen Frostrisses den gewölbten Buckel aus erdverkrustetem, flechtenbewachsenem Eis empor und standen gleich darauf am Rand des kraterähnlich eingesunkenen Gipfels. Im Dämmer hingeduckte Tundrenpflanzen überzogen den Rand der Mulde mit blassem Grün und düsterem Rot. Aber dann veränderte sich das Bild. Das Innere der Mulde war bar jeglichen Pflanzenwuchses; es sah aus, als hätte jemand mit einem riesigen Mörser Eis und Erde zu Pulver zerstampft. „Komisch!“ murmelte O’Hara. „Hier sollte der Pflanzenwuchs dichter sein als draußen, weshalb sieht man nur zerkrümeltes Eis und sonst nichts?“ „Wir werden es gleich wissen“, gab Scott zurück. „Ich habe McBlaine den Auftrag gegeben, eine Spionsonde zu starten. Dreihundert Kilometer über uns wird sie automatisch ihren Schulze-Hammerschmidt-Schirm ausschalten und das Impulstriebwerk aktivieren.“ „Aber dann wird sie doch geortet!“ sagte O’Hara. „Eben!“ Scott sah zur Uhr. „Es ist soweit. Wir wollen uns hinlegen, damit wir die Deckung des Kraterrandes haben!“ Kaum hatten sie Scotts Weisung ausgeführt, als sie unter sich ein schwaches Vibrieren bemerkten. Der Eisstaub der Mulde bewegte sich. Ein kleiner Hügel entstand, als wäre ein Maulwurf am Werk, und von seiner Kuppe rieselten Eiskörner herab. Dann entstand ein dunkler Fleck, ein schwarzer zylindrischer Gegenstand schob sich heraus, gab eine Reihe bündelförmig angeordneter blauweißer Spiralen frei, und anschwellendes Summen pflanzte sich fort. Scott drehte sich um und blickte nach oben. Im matten Lichtermeer des Taghimmels entstand scheinbar ein neuer Stern. Aber sein Licht wurde heller und heller, bis es das der fernen Sonne überstrahlte. Schnell dehnte sich ein Feuerball aus, ebenso schnell verblaßte er wieder. Als Scott sich erneut der Mulde zuwandte, verschwand der seltsame Zylinder bereits wieder unter der Decke aus Eisstaub. Ojun räusperte sich und fragte mit belegter Stimme: „Glauben Sie, Sir, daß ich nur deshalb nicht die Gedankenimpulse des Gegners aufnehmen kann, weil er sich tief unter Koongs Oberfläche aufhält?“ „Nein“, erwiderte Scott. „Doch nun können wir zum Boot zurück. Was ich sehen wollte, habe ich gesehen.“
33 Als sie wieder in der engen Zentrale des Aufklärers saßen und die Zigaretten brannten, nickte Scott McBlaine zu. „Nun berichten Sie mal, Leutnant!“ „Solange der Ortungsschutz der Sonde eingeschaltet war, geschah überhaupt nichts, Sir. Aber sobald sich der Schirm auflöste, übermittelten die Ortungsgeräte Metallplastik. Die Intensität der Anzeige stieg rasch aber kontinuierlich und nahm nach dem Ausfall der Sonde in gleichem Maße wieder ab. Übrigens erfolgte die Vernichtung der Sonde durch die Reaktion des ausgestoßenen Plasmas mit Antimaterie.“ „Sehr gut“, sagte Scott. „Wir wissen also jetzt, daß unser Schulze-Hammer-Schirm die Ortung des Gegners lahmlegt und daß die Unsichtbaren wahllos alles vernichten, was ihrer Meinung nach in der Nähe Koongs nichts zu suchen hat. Und wie verhielt es sich mit dem Tantal-Iridium, Leutnant?“ „Keine Veränderung, Sir.“ „Was schließen Sie daraus?“ Nur kurz schwankte McBlaine, dann entgegnete er fest: „Unter Koongs Oberfläche befinden sich automatische Abwehranlagen, Sir. Meiner Meinung nach entscheidet das Robotgehirn, dem wir das Tantal-Iridium zuschreiben müssen, über den Einsatz der verborgenen Antimaterieprojektoren.“ „Und weshalb kann man normalerweise nur das Gehirn orten und nicht das Plastikmetall, aus dem sowohl die Hülle des Gehirns wie auch die Waffen bestehen müssen?“ fragte Ojun. McBlaine zuckte mit den Schultern. Scott lächelte, und wandte sich zu O’Hara. „Nun?“ „Tantal-Iridium läßt sich bekanntlich auf größere Entfernungen orten als jede andere bekannte Legierung. Wahrscheinlich sind die eigentlichen Abwehranlagen, die Projektoren, aus Sicherheitsgründen noch tiefer installiert als das Gehirn, das ja nicht zu tief liegen darf, da es seinerseits Ortungsaufgaben erfüllt.“ Nachdenklich nickte Scott. „So könnte es sein. Nur frage ich mich, was die Erbauer dieser Anlage bewogen hat, die Ungkoer von einer Landung auf Koong abzuhalten.“ „Sie fürchten vielleicht die Konkurrenz!“ knurrte O’Hara. „Es muß sich bei ihnen also um eine sehr alte Rasse handeln“, murmelte Ojun. „Wieso?“ fragte O’Hara. Ojun blinzelte mit den Augen. „Eine junge Rasse wird immer Kontakte mit anderen Rassen suchen, denn sie kann davon nur profitieren. Nur eine alte Rasse, die sich bereits auf dem absteigenden Ast der Entwicklung befindet, kann die Konkurrenz einer jungen, aufstrebenden Rasse fürchten, so fürchten, daß sie ihr den Weg in den Raum und damit die weitere Entwicklung versperrt.“ Scott drückte seine Zigarette aus. „Ich stimme Ihnen zu, Ojun. Demnach bestünden zwei Möglichkeiten: Entweder lebt diese Rasse in unmittelbarer Nachbarschaft der Ungkoer, oder aber sie verfolgt von ihrer Zentralwelt aus die Entwicklung der meisten intelligenten Rassen dieser Galaxis. Aber ganz gleich, welche Möglichkeit zutrifft; sie muß soviel über ihre Welteninsel wissen, daß ihr die ,Herren des Universums’ nicht entgangen sein können.“ „Also statten wir den ,Olds’ einfach einen Besuch ab und fragen sie nach der Adresse unserer Bekannten, wie?“ spöttelte O’Hara. Scott lächelte. „Du hast wieder einmal einen treffenden Namen gefunden — meinetwegen, nennen wir sie Olds. Allerdings, einfach ist es sicher nicht, aber so ungefähr stelle ich mir den weiteren Verlauf unserer Suchaktion vor. Sicher werden die Olds die Adresse der ,Herren des Universums’ kennen, nur — woher nehmen wir die Adresse der Olds?“
34 Er setzte sich im Pilotensessel zurecht. „Wir werden uns in acht nehmen müssen, denke ich, sonst verbrennen wir uns die Finger. Vorläufig aber kehren wir erst einmal nach Ungkuo zurück!“ 7. Während in der Zentrale der Taurus die für Startvorbereitungen typische Betriebsamkeit von Menschen und Maschinen herrschte, hatten sich Scott, O’Hara und Ojun hinter den Leitstand zurückgezogen, um ihren Plan zum letztenmal durchzugehen. „Wir hatten insofern Glück“, begann Scott\ „als die Astronomen Ungkuos die Sterne ihrer Galaxis nach einem System ordnen, das im speziellen Falle der EntwicklungsZuordnung etwa dem unseres Hertzsprung-Russel-Diagramms entspricht. Wir konnten also erfahren, daß es in der Schicht der Hauptreihensterne, in der wir uns augenblicklich aufhalten, nur wenige von der Hauptreihe abweichende Exemplare gibt. Das nächste, ein roter Riese, steht in vierundsechzig Lichtjahren Entfernung und wird ,Hora’ genannt. Hora muß die Schönbergsche Grenze bereits vor fünf Millionen Jahren überschritten haben. Natürlich ist das keine lange Spanne für kosmische Geschehnisse, wohl aber für die Existenz einer intelligenten Rasse. Wenn wir ihr das gleiche Entwicklungstempo zubilligen, das auf die irdische Menschheit zutrifft, so standen sie bereits vor mehr als vier Millionen Jahren da, wo wir heute beginnen. Ich wage mir nicht auszumalen, wie es auf der Welt einer so alten, durch alle Höhen und Tiefen der wissenschaftlichen Erkenntnis gegangenen Rasse aussieht. Unserem Bemühen, unentdeckt dort zu landen, gebe ich nur deshalb eine geringe Chance, weil ich annehme, daß diese Rasse sich allen anderen überlegen dünkt.“ „Wobei es fraglich ist, ob Hora überhaupt Planeten besitzt, auf denen sich intelligentes Leben entwickelt hat“, warf O’Hara ein. „Stimmt“, gab Scott zu, „aber irgendwo müssen wir schließlich mit unserer Suche beginnen. Nur an Ort und Stelle können wir erfahren, ob unsere Vermutungen betreffs der Olds zutreffen. Wir werden also eine Transition bis vierzig Lichtstunden vor Hora ausführen. Danach wird die Taurus sich bis auf zehn Lichtstunden an den noch fiktiven äußeren Planeten heranpirschen und in dessen Ortungsschatten verharren. Dann startet die FA-11 mit Ojun, McBlaine, Leutnant Vacca und mir, um den Planeten der Olds zu suchen. Ojun, Sie werden mit Hilfe des Psi-Verstärkers auf Gedankenimpulse intelligenter Wesen achten, damit wir uns auf unsere Agententätigkeit vorbereiten können.“ „Du willst dich unter die Olds mischen?“ fragte O’Hara. „Sie werden dich sofort als Fremden erkennen. Schließlich wäre es großer Zufall, wenn sie menschenähnliche Gestalt hätten.“ „Auch dafür ist gesorgt“, lächelte Scott. „Leutnant Vacca ist nicht umsonst durch die Agentenschule des Ghost Ship Command gegangen. Er kann ausgezeichnet mit Kosmetoplastik umgehen.“ O’Hara kratzte sich hinter dem Ohr. „Die Sache gefällt mir nicht, Gordon.“ „Warum regst du dich so auf?“ wehrte Scott ab. „Du bleibst ja an Bord der Taurus.“ „Eben deshalb!“ ereiferte sich O’Hara. „Wer soll dich beschützen, wenn du in Gefahr gerätst? Etwa dieser Gnom?“ Er deutete mit den Augen auf Ojun. Der Psychologe grinste breit. „Die Olds werden kaum Respekt vor einem Mastochsen haben. Nur mit geistigen Kräften kann man einer so alten Rasse imponieren.“ O’Hara schnaubte verächtlich. „Genug!“ winkte Scott lachend ab. Er wußte, daß der Streit nicht ernst gemeint war.
35 O’Hara und Ojun zogen sich auf, wo sie konnten, und doch waren sie ein Herz und eine Seele. „Und was das beschützen betrifft, Frank, so wird deine Aufgabe auf der Taurus gerade darin bestehen. Der Kreuzer ist die Operationsbasis und unser Rückgrat. Ojun wird dich über den Psi-Verstärker stets auf dem laufenden halten und, wenn es nötig sein sollte, das Zeichen zum Eingreifen geben.“ „Na schön!“ meinte O’Hara schließlich. Der Disput wurde durch die Lautsprecher unterbrochen. „Achtung! Achtung! Start in sechzig Sekunden!“ dröhnte Hatas Stimme. Danach krachte es im Lautsprecher des Leitstandes. „Bei mir ist alles klar, Sir . . .?“ Scott nickte dem Bild des Visiphons zu. „Machen Sie weiter nach Programm, Hata!“ Bei X minus dreißig begann der Robotzähler mit monotoner. Stimme die letzten Sekunden herunterzuschnarren. Bei „null“ wechselten die zahlreichen Kontrollampen der Instrumentenbühne gleichzeitig ihre Farben. Die Bildschirme der Panoramagalerie übertrugen den draußen tobenden Feuerorkan der Ringwulsttriebwerke. Böden und Wände des Raumgiganten vibrierten, dann hob die Taurus vom sandigen Grund des Wüstenhafens von Ungkuo ab und schoß in den wolkenlos blauen Himmel hinein. Captain Bobadilla, der mit seinem Beiboot auf Ungkuo zurückblieb, starrte dem verglimmenden Feuer nach und lauschte dem über dem Himmel rollenden Donnergrollen. Dann wandte er sich seufzend ab. Würde die Taurus von diesem gefährlichen Einsatz zurückkehren? Scott war sich klar darüber, daß der Transitionsaustritt der Taurus einer technisch hochstehenden Rasse nicht verborgen bleiben konnte. Deshalb hatte er ein Täuschungsmanöver angeordnet. Sofort nach der Ankunft im Zielgebiet wurde eines der kugelförmigen Beiboote ausgeschleust. Es sollte eine Transition durchführen, die es fünfzig Lichtjahre tiefer in die Galaxis brächte. In fünf Kurztransitionen würde dann ihr Kurs zurück nach Ungkuo führen. Die Taurus dagegen raste mit annähernd Lichtgeschwindiokeit der roten Sonne Hora entgegen. Schon bald stellten die Orter fest, daß Hora über ein System von fünf Planeten verfügte. Der zweite Planet schien Scott am geeignetsten für intelligentes Leben zu sein. Als die Taurus im Ortungsschatten des äußeren Planeten zum relativen Stillstand gekommen war, verabschiedete er sich von O’Hara. „Du kennst den Plan, Frank. Halte die Ohren steif! Zwar hoffe ich, daß die Olds — wenn es sie hier gibt — auf unser Täuschungsmanöver hereingefallen sind und glauben, wir wären sofort weitergeflogen. Sollten sie aber den Betrug merken, dann wirst du hier keine ruhige Minute mehr haben, denn sie werden so länge nach der Taurus suchen, bis sie sie finden. Es könnte sehr kritisch für euch werden.“ Scott drückte dem Freund die Hand und verließ festen Schrittes die Zentrale. O’Hara starrte nachdenklich auf die zufallende Tür. Dann ließ er sich schwer auf Scotts Platz am Leitstand nieder und beobachtete den Backbordschirm. Nach fünf Minuten glitt ein diskusförmiges, blinkendes Etwas über die Bildfläche, leuchtete noch einmal im Licht der Sterne auf und verschwand spurlos, als der Ortungsschutz eingeschaltet wurde. 8. Der zweite Planet der Sonne Hora wurde von Scott auf den Namen Horus getauft. Dieser Name sollte gelten, solange der wirkliche nicht bekannt war. Horus hatte ei-
36 nen Äquatordurchmesser von knapp 13 000 Kilometern und eine Masse von 1,340 g. war also um ein geringes größer als die Erde und verfügte über eine um ein Drittel stärkere Anziehungskraft. Er wurde von drei kleinen und zwei fast merkurgroßen Monden umkreist. Alles das waren Tatsachen, die bereits mit den empfindlichen Instrumenten der Taurus festgestellt worden waren. Viel mehr wußte man nicht, denn Horus’ Atmosphäre war derartig mit Wasserdampf und einer bisher undefinierbaren grünlichen Substanz gesättigt, daß selbst die besten Ortungsgeräte der Taurus von ihrem Standort aus nicht hindurchgekommen waren. McBlaine steuerte den diskusförmigen Fernaufklärer, Vacca saß vor den Waffenschaltungen, und Scott bediente die Ortungsgeräte. Nur Ojun tat nichts — jedenfalls mußte ein Uneingeweihter unbedingt diesen Eindruck gewinnen, wenn er den Psychologen zusammengesunken und mit geschlossenen Augen in seinem Sessel sitzen sah. Aber Ojun war alles andere als untätig. Er, der mit Psi-Kräften begabte Wissenschaftler, arbeitete nicht mit dem nahezu leblos erscheinenden Körper. Dafür hatte sich ein Teil seines Geistes von ihm gelöst und sich wie ein unsichtbarer Fühler über die Abgründe des Raumes gestreckt, um nach fremden Gedankenimpulsen zu espern. Endlich, Horus füllte bereits die Hälfte des Frontbildschirmes aus, hob Ojun seufzend den Kopf. Scott wandte sich einen Augenblick von den Ortungsgeräten ab und schob dem Psychologen eine Schachtel Zigaretten hinüber. Fast mechanisch griff Ojun danach, tat, als seine Zigarette brannte, einen tiefen Zug und sah Scott aus stumpfen Augen an. „Beinahe hätte es mich erwischt, Sir.“ Ojun zwang sich zu einem verkrampften Lächeln. Allmählich bekamen seine Augen wieder ihren alten Glanz zurück. „Erwischt?“ fragte Scott gedehnt. „Wie meinen Sie das?“ „Suggestion . . .“, murmelte Ojun. Scotts Finger krampften sich um die Kante des Schaltpultes, so daß die Knöchel weiß hervortraten. „Parakräfte? Dann müßten die Olds bereits von unseren Absichten wissen!“ „Ich hoffe nicht.“ Ojun schüttelte langsam den Kopf. „Das können keine natürlichen Parakräfte gewesen sein, Sir. Eher glaube ich, daß ich in ein künstlich erzeugtes Suggestionsfeld geraten war, das mir befahl, zum Ursprung zurückzukehren.“ Scott überlegte. „Zum Ursprung? Was ist damit gemeint? Zurück zur Erde, zurück ins Meer oder gar zurück in die Gestalt eines Protoplasmaklümpchens, das unser aller Urahn gewesen sein muß? Wie war der Wortlaut des suggestiven Befehls genau?“ „Kehre zum Ursprung zurück!“ Ojun wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. „Das war alles, und es wiederholte sich ununterbrochen. Aber ich glaube, es war ein Ort damit gemeint. Würde ich nicht ebenfalls über suggestive Kräfte verfügen, ich wäre gezwungen gewesen, mit allen Mitteln die Rückkehr zur Erde durchzusetzen.“ „Die Rückkehr zur Erde“, murmelte Scott. „Demnach soll der suggestive Geistesbefehl verhindern, daß Unbefugte sich Horus nähern. Wie denken Sie darüber? Und . . . was mich noch mehr bewegt: Warum vernahmen wir anderen nicht gleichfalls den Befehl? Ich kann mir nicht denken, daß nur Paragehirne darauf ansprechen. Das wäre eine Lücke, die die suggestive Abwehr Fremder aufwiese.“ Heftig schüttelte Ojun seinen Kopf. „Ich glaube nicht an eine solche Lücke, Sir! Wahrscheinlich empfing ich den Befehl nur deshalb, weil meine telepathischen Kräfte uns vorausgeeilt waren. Ich fürchte . .“ Ojun konnte seinen Satz nicht beenden. Scott hob die Hand und befahl: „McBlaine! Ändern Sie sofort den Kurs! Fliegen Sie
37 den äußeren Mond Horus’ an und landen Sie dort!“ „Mit dem Ausweichmanöver gewinnen wir lediglich einen Aufschub, Sir“, erklärte Ojun. „Wenn wir auf Horus landen wollen, geraten wir unweigerlich in das Parafeld, und Sie können sich nicht gegen den Befehl wehren. Ich sehe nur eine einzige Möglichkeit: Schicken Sie mich allein nach Horus !“ „Das hieße, den Weg des geringsten Widerstandes gehen“, entgegnete Scott. „Freilich, im Notfall werde ich Ihr Angebot annehmen. Aber nur im äußersten Notfall. Vorher müssen wir nach Wegen suchen, alle dem Parafeld zu widerstehen. Es muß einen solchen Weg geben!“ * Der fünfte Mond des Planeten Horus war nicht groß, sein Durchmesser betrug 161 Kilometer, also nur einen Kilometer mehr als Jupiter V. Die Entfernung vom Planeten allerdings war fünfzehnmal weiter, nämlich rund 2 720 000 Kilometer. Scott gab dem Mond den Namen Trial, was soviel wie Vorprüfung bedeutet. Und eine Vorprüfung sollte der Aufenthalt auf Trial auch werden. Glücklicherweise besaß Trial keine Atmosphäre — glücklicherweise deshalb, weil eine Vertikallandung des Aufklärers mit unerwünschten Leuchteffekten verbunden gewesen wäre, ein langsames Einfangen-lassen aber wegen Trials geringer Schwerkraft Tage gedauert hätte. Die Folge der fehlenden Lufthülle waren flache Krater und knietiefer Staub — die Auswirkungen des ununterbrochen aus dem Weltraum herniederprasselnden Bombardements mittlerer, kleiner und mikroskopisch winziger Meteoriten. Doch Scott hatte ja nicht die Absicht, seinen Fuß auf den Boden des Mondes zu setzen. Er befahl McBlaine, in der Deckung eines zerbröckelten Kraterrandes niederzugehen. Mit kaum spürbarem Ruck setzten die Landeteller des Fernaufklärers auf. Fasziniert beobachtete Scott die von den Triebwerksstrahlen aufgewirbelten Staubfontänen, die wegen Trials geringer Schwerkraft kilometerhoch in den Raum schössen und dann in weitem Bogen und unendlich langsam wieder zur Oberfläche zurücksanken. Er wandte sein Gesicht Ojun zu. Der Parapsychologe schaute immer noch auf die Bildschirme und kaute andächtig auf dem erkalteten Stummel einer Zigarre. Als er Scotts Blick bemerkte, grinste er verlegen und spie den Stummel aus. Scott übersah es. „Versuchen Sie es noch einmal!“ forderte er Ojun auf. „Ich möchte wissen, ob das Parafeld immer noch besteht.“ Ojun nickte und schloß die Augen. Bereits nach kurzer Zeit sah er wieder auf. Diesmal schien die Anstrengung nicht so groß gewesen zu sein. „Es sendet unverändert den Befehl aus, zum Ursprung zurückzukehren. Die Intensität ist stärker geworden, aber wenn man darauf gefaßt ist, wird man damit fertig. Nur, ob Sie das schaffen werden . . .? Selbst durch Training wird ein ,Normaler’ nicht zum Para.“ Scott lächelte. „Das mag stimmen. Wir müssen uns also etwas anderes einfallen lassen. Vielmehr, es ist bereits jemandem eingefallen, und zwar vor zehn oder elf Jahren, wenn ich mich nicht irre. Damals beschrieb ein Autor utopischer Romane, den Namen habe ich leider vergessen, einen Angriff parapsychologisch begabter Wesen auf die Erde. Die Abwehrwaffe fand schließlich ein Kybernetiker, der sich mit der Konstruktion von Lernmaschinen befaßte. Er polte die Wirkung, die auf der Hemmung gehirneigener Alphawellen und der Verstärkung von Deltawellen beruhte, einfach um, wodurch eine
38 Beeinflussung über das Unterbewußtsein — und etwas anderes ist ja Suggestion oder Hypnose nicht — nahezu vollständig verhindert werden konnte.“ „Unser Pech ist nur“, warf Leutnant Vacca ein, „daß die Details utopischer Romane größtenteils frei erfunden sind.“ „Irrtum!“ belehrte ihn Scott. „Ohne es freilich zu wissen, hat der Autor ganz exakt die Wirkungsweise unserer heutigen Informations-Transmitter beschrieben.“ Ojun sprang erregt auf. „Und ich Dummkopf weiß von meiner Tätigkeit am Psychohygienischen Institut her genau, daß man mit umgepolten I-T’s tatsächlich eine Beeinflussung über das Unterbewußtsein ausschalten kann — und denke nicht sofort daran!“ Vacca lächelte. „Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung. Aber auch das nützt uns nichts, denn der Informations-Transmitter der FA-elf ist stationär. Wir müßten also immer im Schiff bleiben, um der Wirkung des Parafeldes zu entgehen.“ „Das hätte ich an Ihrer Stelle nicht so schnell behauptet“, sagte Scott. „Überlegen Sie doch einmal: Weshalb sollten wir den ganzen Transmitter brauchen? Wir wollen doch keine Infomationen übertragen, sondern nur die Entstehung unserer eigenen Gehirnwellen beeinflussen. Ojun ist Fachmann auf diesem Gebiet. Er wird sicher besser erklären können als ich, was wir zu diesem Zweck aus dem Transmitter ausbauen und an unseren Körpern unterbringen müßten. Nun?“ Ojun nickte eifrig. „Da wären erst einmal die Transmitterhelme selbst. Ohne sie kommen wir nicht aus. Dann brauchten wir eine Stromquelle — die Batterie einer Atomhandlampe reicht für unsere Absicht völlig. Weiterhin müssen wir natürlich jeder ein Aggregat zur Impulssteuerung haben, das vorher umzupolen wäre.“ „Und wie groß ist das Aggregat?“ fragte McBlaine erregt. Ojun hob die Hand und ballte sie zur Faust. Triumphierend sah er sich um. „Da drin haben drei von der Sorte Platz!“ Scott zündete sich eine Zigarette an und bemühte sich, das Zittern seiner Hände zu unterdrücken. Hastig sog er die Lungen voll Rauch. „Wieviel Impulsaggregate stekcken in einem Transmitter?“ „Das kommt ganz auf die Größe des Transmitters an“, erwiderte Ojun. „Mindestens aber enthält jeder neun der Aggregate, nur, die Konstrukteure haben sicher nicht damit gerechnet, daß jemand gezwungen sein könnte, ein Impulsaggregat auszubauen, denn sie sind so schwer zugänglich untergebracht, daß ein Ausbau etwa achtzehn Stunden in Anspruch nimmt.“ „Gut!“ sagte Scott. „Dann wollen wir sofort damit beginnen. Wie können wir Ihnen dabei helfen, Ojun?“ „Indem Sie mich in Ruhe lassen“, gab Ojun zurück. „Aber . . .“, er runzelte die Stirn, „. . . es gibt keine Garantie dafür, daß uns die Aggregate nach dem Umpolen tatsächlich vor dem Parafeld der Olds schützen. Mit meinen Psi-Kräften allein kann ich das Feld nicht klar definieren, denn es ist nicht natürlich, sondern wird von Maschinen erzeugt, die wir nicht kennen.“ „Schon gut“, winkte Scott ab, „versuchen müssen wir es jedenfalls. Die Hauptsache ist, daß man uns während dieser Zeit in Ruhe läßt.“ „Warum sollte man nicht?“ warf Mc-Blaine ein. „Der Schulze-Hammerschmidt hat sich doch auf Koong schon bewährt.“ „Wir sind hier nicht auf Koong“, belehrte ihn Scott. „Jedes vernünftige Wesen wird sein Haus besser schützen als ein weit entferntes Stück dürftiger Wiese, und Trial liegt genau vor der Haustür der Olds.“
39 * Scotts Warnung schien überflüssig gewesen zu sein. Niemand war erleichterter darüber als Scott selbst, und da er im Aufklärer augenblicklich nichts zu tun hatte, begab er sich in Begleitung Leutnants Vaccas hinaus auf die tote Oberfläche Trials. Eine gespenstische Stille herrschte ringsum. Scott und Vacca standen auf dem Grat des Ringwalles, etwa hundertfünfzig Meter über der FA-11, und blickten auf die grünlichweiß aufgehende Sichel Horus’. Es war Nacht auf ihrer Hälfte des Mondes, und die Sterne der fremden Galaxis standen kalt und unbeweglich über ihnen. Scott dachte wehmütig an die Erde, die so weit entfernt war, daß sie ihm manchmal nur noch wie eine alte Sage von etwas längst Vergangenem vorkam. In diesen Augenblicken fühlte er die Winzigkeit und Vergänglichkeit des Menschengeschlechts im Verhältnis zur unentwegt abtickenden Uhr des weiten Universums, in dessen Zeitrechnung Entstehen und Vergehen einer Rasse nicht länger währten als ein Wimperzucken. Tiefe Traurigkeit überkam ihn, Traurigkeit darüber, daß intelligente Rassen sich befehdeten, statt die ihnen gegebene Zeit sinnvoll zu nutzen. Mutlos ließ er die Schultern hängen. Doch dann zog wieder das Bild der irdischen Meere mit ihren sonnigen und eisigen Küsten an ihm vorüber, und er dachte daran, daß all dies nicht mehr wäre, hätten die Menschen sich nicht mit aller Energie ihrer Feinde erwehrt. Er dachte aber auch daran, daß die Invasoren so viele menschliche Charakterzüge trugen, daß bei ihnen Mut und Treue gleichviel galten wie bei den Besten der Menschheit — und er wußte plötzlich, worin der Sinn der kriegerischen Auseinandersetzung lag. Menschen und „Parrots“, wie die Herren des Universums hin und wieder wegen ihrer papageienhaften Hautfarbe genannt wurden, würden sich achten und einmal auch verstehen lernen. Bei anderen Rassen geschah das durch friedlichen Handel, hier durch die Begegnung im Kampf. Für den einzelnen eine schlechte Philosophie, aber was waren Leid und Tod einzelner im Auf und Ab der Geschichte ! Scott wurde durch einen Aufschrei Vaccas in seinem Gedankengang unterbrochen. „Was gibt es?“ fragte er unwirsch. „Haben Sie es nicht gesehen, Sir?“ schallte es aufgeregt aus seinem Helmempfänger. „Würde ich sonst fragen? Was haben Sie denn gesehen, Leutnant?“ „Der zweite Planet, Sir!“ stammelte Vacca. „Er war plötzlich von einem grellen blauen Licht übergossen.“ Scott kniff die Augen zusammen und starrte angestrengt zur fernen Sichel Horus’. Er glaubte, eine leichte Verfärbung der Dunsthülle wahrzunehmen. Aber das konnte ebensogut eine optische Sinnestäuschung sein. „Meinen Sie die Verfärbung, Leutnant?“ Vacca schüttelte den Kopf. „Die Verfärbung sehe ich erst jetzt. Aber vorhin strahlte Horus reines blaues Licht aus, allerdings nur für den Bruchteil einer Sekunde. Es war, als würde ein stark reflektierender Gegenstand von einem Blitzlicht erhellt.“ Scott schluckte die spöttische Bemerkung, die ihm schon auf der Zunge lag, wieder herunter. Vacca war nicht der Mann, dessen Nerven so leicht durchgingen und der Halluzinationen erlag. Wenn er sagte, daß Horus von blauem Licht angeleuchtet worden war, so mußte er tatsächlich diesen Eindruck gehabt haben. Aber welche Lichtquelle außer einer Sonne wäre in der Lage gewesen, die gesamte Planetensichel so aufzuhellen, daß die Wirkung der eines gigantischen Elektronenblitzes entsprach? Selbst eine Million Hundert-Megatonnen-Bomben, auf Horus’ Oberfläche gleichzeitig zur Explosion gebracht, wären von Trial aus ohne Teleskop kaum aufge-
40 fallen. Er schaltete den kleinen Helmtelekom ein. „Hier Scott. Ich rufe FA-elf! Leutnant McBlaine, bitte kommen!“ „Hier Leutnant McBlaine, Sir“, schnarrte es zurück. „Ich wollte Sie eben anrufen, Sir. Ojun ist ohnmächtig geworden.“ Tausend Vermutungen jagten sich in Scotts Hirn, aber er fand keine Lösung. „Wir kommen sofort zurück!“ erwiderte er. Leutnant Vacca blickte immer noch in die Richtung des zweiten Planeten. Er hatte das Telekomgespräch nicht mitanhören können, da die normale Helmverständigung auf einer anderen Welle lief. Jedoch zeigte er sich nicht besonders erstaunt, als Scott ihn zur Rückkehr aufforderte und während des Abstiegs in den Krater über Ojuns Bewußtlosigkeit berichtete. Als Scott und Leutnant Vacca die kleine Zentrale des Fernaufklärers betraten, hatte McBlaine den Psychologen bereits auf einen zurückgeklappten Kontursessel gelegt und die Kombination über der Brust geöffnet. Ojun sah blaß aus. Alles Blut schien aus seinem Gesicht gewichen zu sein. Dunkle Schatten lagen unter den Augen. McBlaine richtete sich auf und erstattete Meldung. „Ojun hatte gerade den Zugang zum ersten Impulsaggregat freigelegt, als er plötzlich ohne einen Laut in den geöffneten Transmitter fiel. Ich zog ihn heraus und untersuchte ihn, konnte jedoch keine äußere Verletzung feststellen. Als ich Sie anrufen wollte, riefen Sie selbst, Sir.“ Scott, der währenddessen Ojuns Puls gefühlt hatte, nickte. „Der Puls ist normal. Wir werden erst einmal abwarten, ob Ojun von selbst wieder aufwacht, bevor wir mit Medikamenten experimentieren. Wann etwa verlor er das Bewußtsein?“ „Ungefähr zwei Minuten vor Ihrem Anruf, Sir.“ Scott blickte Vacca an. „Etwa zu dieser Zeit haben Sie die ,Erscheinung’ bemerkt, nicht wahr?“ „Jawohl, Sir. Als Sie mir das mit Ojun sagten, vermutete ich sofort einen Zusammenhang.“ „Vorsicht!“ wehrte Scott ab. „Das Zusammentreffen beider Ereignisse kann Zufall gewesen sein. Wir kennen den Grund weder von dem einen noch von dem anderen und sollten uns hüten, voreilig einen Schluß zu ziehen. Wir können vorläufig nichts weiter tun, als das zeitliche Zusammentreffen zu registrieren. Vielleicht weiß Ojun mehr als wir, aber das kann er uns erst sagen, wenn er erwacht.“ Scott gab dadurch zu verstehen, daß er vorläufig keine weitere Diskussion wünschte. Er setzte sich erneut vor sein Schaltpult und ging die Diagramme aller Ortungsgeräte durch. Aber er mußte bald feststellen, daß er so auch nicht der Lösung des Problems näherkam. Kein Instrument hatte die kurze Leuchterscheinung registriert, noch nicht einmal die Energietaster waren ausgeschlagen. Damit wurde das Rätsel nur noch größer, denn welches Licht konnte ohne das Freiwerden von Energie entstehen? Aber vielleicht mußte die Frage auch heißen: Welcher Energieausbruch verursachte das blaue Leuchten, welcher Art war diese Energie, wenn sie die Energietaster der FA-11 nicht ansprechen ließ? Doch diesen Gedanken behielt Scott für sich. Es dauerte zwei Stunden, bis Ojuns Bewußtsein zurückkehrte. Wenn die anderen aber erwartet hatten, von dem Psychologen Aufschluß über die Ursache seiner Bewußtlosigkeit zu bekommen, so sahen sie sich um ihre Hoffnung betrogen. Ojun konnte sich an nichts erinnern. Unter normalen Umständen wäre alles das Grund genug für Scott gewesen, die geplante Landung auf Horus zu verschieben. Aber die Umstände waren alles andere als normal. Niemand wußte, ob und wann die nächste Invasionsflotte der Parrots aufbrechen würde, um die Heimatgalaxis zu erobern, und
41 immer noch war die Welt der Herren des Universums nicht gefunden. Deshalb ordnete Scott an, daß der Start nach Horus sofort dann erfolgen sollte, wenn die Impulsaggregate alle ausgebaut und erprobt waren. Nach neun langen Stunden war es soweit. Jeder der vier Männer setzte den Transmitterhelm auf, stülpte den weiten Druckhelm des Raumanzuges darüber und schaltete das unter dem Anzug verborgene Impulsaggregat ein — außer Ojun. Der Psychologe blickte prüfend von einem zum anderen. „Fertig!“ Die Männer nickten. „Ich beginne“, murmelte Ojun. Seine Augen wandelten sich von einer Sekunde zur anderen. Sein Blick schien sich nach innen zu kehren. Er konzentrierte sich, bevor er seine Parakräfte anwandte, denn er wollte den Strom seiner suggestiven Impulse so stark wie möglich aussenden. Ojun wußte genau, daß das Gelingen des Versuchs noch nicht bedeutete, daß die Transmitterhelme das künstliche Parafeld der Olds abzuwehren vermochten. Immerhin aber hatte das Bordgehirn der FA-11 ihre Chancen mit zweiundachtzig Prozent errechnet. Als die Gestalten vor ihm verschwammen, sandte er den Befehl aus, die Helme abzunehmen. Gleichzeitig drückte er auf den Knopf einer automatischen Filmkamera. Wieder und wieder gab er den gleichen Befehl, nur einmal stockte er, das war, als Vacca und McBlaine die Arme hoben, als wollten sie der Suggestion erliegen. Doch sie ließen sie zögernd wieder sinken. Dann hielt Ojun erschöpft inne. „Gut so!“ rief Scott. Er trat vor und hielt die Kamera an. Nach wenigen Sekunden zeigte ein gelbes Licht, daß der Film entwickelt war. „Treten Sie zur Seite!“ befahl Scott. „Und achten Sie auf die Wiedergabe!“ Mit kaum hörbarem Summen spulte sich der Film ab. Durch elektronische Impulse wurde er auf einen Fiktivschirm überspielt, auf dessen Scheibe nun die Vorgänge der letzten zehn Minuten klar zu erkennen waren. Als die Stelle kam, an der Vacca und McBlaine die Arme angehoben hatten, wurden die beiden Offiziere rot. Scott dagegen lächelte nur ironisch. Er ließ den Film bis zum Ende ablaufen, dann bemerkte er: „Der Versuch ist gelungen.“ „Aber McBlaine und Vacca . . .“, warf Ojun hastig ein. „Sie haben einen Befehl gehört und, da ihr Vorgesetzter anwesend war, ihn unwillkürlich ausführen wollen. Nennen Sie es eine Reflexreaktion, Ojun, denn mehr war es nicht. Ich vernahm ebenfalls den Befehl, aber ich reagierte nicht, weil ich wußte, daß er von Ihnen kam. — Habe ich recht, McBlaine?“ „Ja, Sir“, schluckte McBlaine verlegen. „Aber wie kann der Versuch gelungen sein, wenn wir den Befehl vernehmen?“ fragte Vacca. „Nun“, grinste Ojun breit, „Sie vernahmen zwar meinen Befehl, aber er war nicht zwingend für Sie, sonst hätten Sie die Hände nicht wieder herunternehmen können.“ In seinen Augen blitzte es schalkhaft. Im nächsten Augenblick ruckten die Hände aller drei Männer nach oben, die Helme klappten zu, und Scott, McBlaine und Vacca sprangen zu ihren Plätzen. Dort bleiben sie plötzlich stehen und wandten sich um, während sie zögernd die Helme zurückklappten. „Alle Teufel! Was war das?“ stieß Vacca hervor. Scott schien es zu wissen, denn sein Mund verriet, daß er nur mit Mühe einen Heiterkeitsausbruch zurückhalten konnte. „Die Gegenprobe“, erklärte Ojun zufrieden. „Sie hat bewiesen, daß keiner von Ihnen gegen meine Suggestivkraft gefeit ist. Dabei habe ich mich kaum angestrengt. Glauben Sie nun, daß die Helme funktionieren?“ „Und sogar noch besser, als wir dachten“, sagte Scott. „Die Helme verhindern eine Beeinflussung unseres Unterbewußtseins, lassen uns aber gleichzeitig den ,Wortlaut’
42 der Paraimpulse erkennen. Das kann unter Umständen sehr wichtig für unsere Mission auf Horus sein.“ Niemand ahnte, daß von dieser Tatsache einmal ihr Leben abhängen sollte. * Diesmal setzte sich Scott selbst in den Pilotensessel. Als er die Hände auf die Schalttastatur des Fernaufklärers legte, kehrte seine eiskalte Ruhe zurück, die ihn bei gefährlichen Einsätzen noch nie im Stich gelassen hatte und auf der wohl auch ein gut Teil seiner Erfolge beruhte. Im Innern des Schiffskörpers rumorten die Energieerzeuger. Der Robotzähler tickte die letzten Sekunden vor dem Start herunter. Scott verfolgte die Anzeigenscheibe. „Fertig, Sir“, kamen beinahe gleichzeitig die Antworten. „Noch drei Sekunden“, murmelte Scott. „Denken Sie an meine Anweisungen, besonders Ojun. Sollte unser Schiff beim Landevorgang geortet und abgeschossen werden und die Überlebenden auseinander geraten, so handelt jeder auf eigene Faust! — Achtung, Start!“ Scotts Finger fanden mit schlafwandlerischer Sicherheit die jeweils notwendigen Schaltungen. Der diskusförmige Schiffsrumpf erzitterte unter den freiwerdenden atomaren Gewalten der Triebwerke. Lautlos schwang sich der Aufklärer in den Weltraum, blinkte im Wendemanöver silbern im Schein der Sonne Hora und raste dann, schneller und schneller, der rätselhaften Welt Horus entgegen. Obwohl er große Hoffnungen auf die Zuverlässigkeit des Schulze-HammerschmidtSchirmes setzte, verließ sich Scott nicht darauf, daß man die FA-11 nicht orten konnte. Wachsam behielt er die Kontrollinstrumente im Auge. Nicht weniger wachsam waren McBlaine und Vacca. McBlaine hatte die Ortung übernommen, während Vacca die Feuerschaltungen bediente. Noch gab es nichts, worauf man hätte schießen müssen. Ojun konzentrierte sich bereits wieder auf das Parafeld Horus’, das unverändert den Befehl ausstrahlte, zum Ursprung zurückzukehren. Näher und näher kam Horus. Scott leitete bereits wieder das Bremsmanöver ein, als er unwillkürlich zusammenzuckte. Gleich einem Hammerschlag, fiel der suggestive Befehl des Parafeldes über ihn her. Der Astronaut stöhnte und preßte die Lippen aufeinander. Die unsichtbare Kraft wollte die Gewalt über Geist und Körper übernehmen. Aber der Kampf währte nur kurz. Dann entspannte sich Scotts Körper wieder. Noch immer vernahm er den lautlosen Befehl, aber nun wurde er ihm nicht mehr gefährlich. Die Transmitterhelme hatten die erste Entscheidung zugunsten der Menschen gefällt. Der Plan sah vor, sich von der Schwerkraft des Planeten Horus einfangen zu lassen und nach und nach in immer engeren Ellipsen in die Dunstatmosphäre einzutauchen. Anders war die Vermeidung einer Ortung nicht möglich, denn der Schulze-Hammerschmidt-Schirm vermochte zwar Radarimpulse zu absorbieren sowie die Energieabstrahlung der Fusionsmeiler zurückzuhalten, aber er konnte weder die grelle Reaktion der Plasmastrahler mit der Atmosphäre noch den glühenden Schlauch ionisierter Luftmoleküle und den Donner der verdrängten Luftmassen unsichtbar und unhörbar machen. Nicht umsonst besaß deshalb das speziell für Agenteneinsätze konstruierte Raumschiff einen leistungsfähigeren Schwerkraftgenerator als die Serienfahrzeuge. Er erlaubte die stabilisierende Unterstützung eines Gleitfluges und eine relativ lautlose Landung. In Gedanken ging Scott noch einmal alle Vorsichtsmaßnahmen durch. Er fand keinen Fehler. Zwar durften die Ortungsgeräte des Aufklärers nicht mehr benutzt werden, weil Radarimpulse dort, wo sie auftreffen, sichtbar und hörbar gemacht werden kön-
43 nen, aber die Infrarotsuchköpfe konnten gefahrlos die Oberfläche Horus’ abtasten und eine fürs erste genügende Umrißkarte von Meeren und Kontinenten zeichnen. Auf ihr tauchten auch die Städte auf, und Scott wunderte sich, daß es so wenig waren. Wesen mit einer uralten Zivilisation sollten das Bild ihres Planeten stärker geprägt haben, fand er. Allmählich befielen ihn quälende Zweifel, ob sie es hier tatsächlich mit der Hauptwelt der geheimnisvollen Olds zu hm hatten. Aber dann dachte er wieder an das Parafeld und an die unerklärliche Leuchterscheinung. Niemand, der nicht dem Bild entsprach, das man sich von den Olds gebildet hatte, wäre einer derart großartigen technischen Leistung fähig gewesen — und keiner hätte einen solchen Aufwand getrieben, um eine für die Rasse nicht lebenswichtige Welt zu schützen. * Zum sechstenmal schoß die FA-11 in die Atmosphäre Horus’ zurück. Diesmal aber blieb sie darin. Immer enger wurden die Kreise, die sie um den Planeten flog, immer besser wurden Einzelheiten auch optisch erkennbar; aber immer noch war der unhörbare Befehl des Parafeldes da. Er vermochte jedoch keine Wirkung bei den vier Terranern zu erzielen. Scott verlangsamte den Flug des Aufklärers noch mehr. Er holte eine der Städte mit dem Elektronenteleskop heran, so daß ihre Einzelheiten klar und deutlich auf dem Projektorschirm zu erkennen waren. Wie eine Spinne breitete sich die Stadt aus. Scott erkannte im dichtbebauten Zentrum einen Wald turmförmiger Hochhäuser, zwischen denen sich schmale, feinmaschige Drahtnetze über die Straßenschluchten schwangen. Der Zweck dieser Netze wurde ihm sogleich klar, als er die Gleiter sah. Die elliptischen Fahrzeuge, die ihm bereits von vielen Welten her bekannt waren, und die wahrscheinlich von allen technisch hochstehenden Zivilisationen entwickelt wurden, huschten dicht über die Netze dahin, offensichtlich von einem innerhalb der Netzstraßen fließenden Energiestrom gespeist. Der Stadtkern beschränkte sich auf ein kleines Gebiet, in dem aber infolge der Hochbauweise nach Scotts Schätzung mindestens zwanzig Millionen Horaner — oder Olds — leben mochten. Natürlich konnte sich Scott leicht irren, da niemand etwas über die Körperform der Olds wußte. Aber die Gleiter ließen ihn auf menschenähnliche Wesen schließen. Am erstaunlichsten erschien ihm aber die strahlenförmige Anordnung der nach außen führenden Straßen, die sich meilenweit durch unbebautes, sumpfiges Brachland erstreckten und an der Peripherie der Stadt in gewaltige Kuppeldome mündeten. Es bedurfte nicht der zu Hunderten herumstehenden, spindelförmigen Raumschiffe, um die Kuppeln als Schiffswerften zu erkennen; ähnliche Werftanlagen bauten sowohl die Terraner als auch die Sethi-ter, die mit der Menschheit blutsverwandte Rasse im System Epsilon Aurigae. Was Scott in höchstem Grade verwunderte, war die Tatsache, daß er weder ein landendes noch ein startendes Schiff erblicken konnte. Ein unterdrückter Aufschrei McBlaines bewog ihn, sich vom Teleskop abzuwenden. „Was gibt es, Leutnant?“ fragte er unwillig. Doch McBlaine deutete nur auf die Karte, die die Infrarotsuchköpfe laufend entwarfen. Scott sah das dunkle Glühen am Kartenrand und erschrak. Was mochte das sein, das derartige Hitze ausstrahlte? Das Gebiet war nicht groß, aber die von ihm ausgehende Hitze mußte die Vegetation in weitem Umkreis verbrannt haben. Scott richtete das Elektronenteleskop auf diese Stelle ein. Er entdeckte einen kreisrunden, mit halbflüssiger glühender Masse bedeckten Fleck von der Größe des terranischen Islands. Das verbrannte Gebiet ringsum jedoch mußte eine Fläche von der
44 Größe Australiens überziehen. Er wandte sich an McBlaine. „Stellen Sie eine spektroskopische Analyse her, Leutnant!“ MCBlaine blickte nicht sofort auf. Aber als er es tat, reichte er Scott eine schmale Folie herüber. „Das Spektrogramm ist bereits fertig, Sir. Die glutflüssige Masse besteht zum größten Teil aus Elementen, wie sie in Titanplastik vorkommen.“ „Titanplastik?“ Scott griff hastig nach dem Spektrogramm und überflog es. „Sie haben recht, Leutnant. Aber wozu hat man diese ungeheure Menge gebraucht? Wir benutzen sie für die empfindlichsten Teile unserer Strukturformer, und zwar höchstens siebzig Kilo für ein Aggregat. Hier jedoch müssen Millionen Tonnen gewesen sein! Es kann doch nicht . . .“ Er schüttelte den Kopf. Horus gab Rätsel über Rätsel auf. „Wir werden hinter dem verbrannten Gebiet landen. Unser Schiff ist langsam genug. Sobald die nächste Stadt auftaucht, gehen wir hinunter!“ Nach einer Stunde war es soweit. Die Kuppeldome glitzerten bereits von fern im blaßroten Schein der durch die Atmosphäre gefilterten Sonnenstrahlen. Ungefähr noch sechzig Kilometer trennten sie von der Peripherie der Stadt, als Scott den Aufklärer mitten in einem Wald haushoher gelber Schilfpflanzen landete. Eine Weile verhielten sich die Männer ruhig und lauschten auf die Geräusche, die von den Außenmikrophonen in die Zentrale übertragen wurden. Sie hörten nur das Rascheln dürrer Blätter und Halme, mit denen der Wind spielte, sonst nichts. Kein Geräusch drang von der Stadt herüber, kein Raketendonner orgelte über den dunstigen Himmel. Es war, als besäße Horus keinerlei intelligentes Leben. Scott räusperte sich und stand auf. „Die erste Etappe wäre zufriedenstellend verlaufen, denke ich. Nun kommt Stufe zwei: Wir müssen uns eines Exemplares der Olds bemächtigen, um ihr Äußeres kopieren zu können und gleichzeitig etwas über die Lebensgewohnheiten dieser Rasse zu erfahren. Zu diesem Zwecke werde ich mit Ojun aufbrechen. Wir nehmen die Spezialanzüge mit Antigrav und nähern uns zuerst dem Werftgelände. Alles weitere wird danach von den Gegebenheiten abhängen, die wir dort vorfinden. McBlaine und Vacca, Sie bleiben hier und verlassen den Aufklärer nur im äußersten Notfall. Funkverbindung ist nicht erlaubt. Ojun kann Ihnen die wichtigsten Meldungen durch die Psi-Verstärker verständlich machen. Das ist alles. Falls wir uns vierundzwanzig Stunden lang nicht mehr melden, bedeutet das, daß etwas schiefgegangen ist. Dann handeln Sie selbständig. Ist das klar?“ McBlaine und Vacca nahmen Haltung an. „Jawohl, Sir.“ Scott nickte ihnen freundlich zu. Er wußte, daß er sich auf die beiden Männer verlassen konnte. Dann schlüpften er und Ojun in ihre Spezialanzüge, nahmen die Ausrüstung an sich und verließen den Aufklärer durch die Bodenschleuse. * Sie lagen am Rande eines Sumpfes. Unter ihren Füßen gluckste träge die verfaulende Brühe eines Entwässerungsgrabens, der gleichzeitig die Grenze zwischen Sumpfwildnis und Werftgelände war. Scott beobachtete die vor ihnen liegende Kuppel und die verlassen umherstehenden Spindelschiffe durch den Feldstecher. Aber nichts regte sich dort. Es war genauso still wie vor einer Stunde, als sie hier ankamen. Scott traute der Ruhe nicht. Ihm war bisher alles zu glatt gegangen. Er konnte sich nicht denken, daß eine so alte Rasse wie die Olds sich nur auf das Parafeld verließ. Andererseits konnten sie nicht ewig hier liegen bleiben. Je mehr Zeit verstrich, desto größer war die Gefahr, daß die Herren des Universums sich von der letzten Nieder-
45 lage erholten und eine neue Flotte auf den Weg zur fernen Erde schickten. Die Herren des Universums! Scott nahm seufzend das Glas von den Augen. Ihre Raumschiffe glichen den Spindelschiffen der Olds wie ein Ei dem anderen. Waren sie etwa mit den Bewohnern Horus’ verwandt? Möglich war es schon. Aber die noch viel ungeheuerliche Möglichkeit, sie könnten mit den Olds identisch sein, lehnte Scott ab. Wenn das zuträfe, dann hätten sie ihre Absicht, die Menschheit zu unterwerfen, schon beim ersten Angriff mühelos ausführen können. Terra besaß zu diesem Zeitpunkt nichts, was es einer Waffe wie der Antimaterieprojektion oder einem planetenumspannenden Parafeld hätte entgegensetzen können. Scott zog seine Schockwaffe. Zum letztenmal glitten seine Blicke über das ebene Feld aus hellblauen Plastikplatten, das in und um die Werft gebreitet war. Er konnte keinerlei Absperrung erkennen. Aber wußte er, ob es nicht unsichtbare Sicherheitsmaßnahmen gab? „Wir sehen uns die Werft an!“ befahl er rauh und erhob sich. Ojun stand neben ihm wie sein Schatten. „Ich kann keine Gedankenimpulse erkennen, Scott. Das Werftgelände ist verlassen. Sollten wir nicht lieber gleich zwischen den Werften hindurchfliegen und die Stadt besichtigen?“ „Das kommt später, Ojun. Zuerst müssen wir wissen, mit welcher Art von intelligenten Wesen wir es zu tun haben. Darüber aber kann uns sicher die Einrichtung der Raumschiffe einigen Aufschluß geben. Gehen wir!“ „Das „Gehen“ bestand darin, daß sie ihre Anzug-Antigravs einschalteten und dicht über dem Plastikbelag auf das nächste Spindelschiff zuflogen. Die Schockwaffen hielten sie schußbereit in der Armbeuge; aber nichts zeigte sich, worauf sie hätten schießen müssen. Scott fiel ein, dass sie bisher auf Horus noch keinem einzigen Tier begegnet waren, noch nicht einmal Insekten. Aber dann war das Spindelschiff heran, und er verwarf den Gedanken an die fehlende Tierwelt als unwichtig. Das Raumschiff stand reglos auf sechs aus den kurzen Stabilisierungflossen herausragenden Teleskopbeinen. Der glatte, spiegelnde, silbrige Rumpf mochte am Fuß zwanzig Meter durchmessen. Nach oben zu verjüngte er sich zu einer Taille, und von da aus nahm der Durchmesser wieder zu, um schließlich in etwa hundertzwanzig Meter Höhe spitz auszulaufen. Scott und Ojun hatten sich getrennt, um den Fuß des Schiffes zu umgehen. Als sie wieder zusammentrafen, fanden ihre Augen gleichzeitig die fremdartige und doch so bekannte Beschriftung, und ein Schauer rann ihre Rücken hinab. „Hotar Agni“, las Ojun flüsternd. „Priester und Vater des Geschlechts“, übersetzte Scott. „Des Geschlechts der Herren des Universums“, ergänzte Ojun, obwohl das überflüssig gewesen wäre, denn Scott kannte die Schriftsprache und den Vater-Priester-Kult ebensogut wie der Psychologe. Das beschädigt erbeutete Vizeadmiralsschiff der letzten Invasionsflotte hatte genügend Unterlagen enthalten, um sich damit vertraut zu machen, und alle Offiziere des Unternehmens „Finale“ waren einer entsprechenden Psychoschulung unterzogen worden. „Die Herren des Universums sind uns zuvorgekommen!“ stöhnte Ojun. „Sie haben die Hauptwelt der Olds erobert.“ Scott schüttelte langsam den Kopf. „Das ist ein Schiff der Parrots, gewiß. Auch alle anderen Schiffe werden es sein. Aber mir will es nicht in den Kopf, daß die Parrots die Olds besiegt haben.“ „Und warum nicht?“ fragte Ojun. „Überall auf Horus stehen ihre Schiffe. Jetzt wird mir auch die Ursache der Leuchterscheinung klar. Die Parrots müssen einen Vernichtungsschlag gegen das Nervenzentrum Horus’ geführt haben, der die Olds völlig ü-
46 berraschte. Die zerschmolzene Titan-Plastik ist der Beweis.“ „Sie vergessen das Parafeld“, entgegnete Scott. „Die Herren des Universums sind nicht gegen suggestive Beeinflussung gefeit, das müßten gerade Sie am besten wissen. Und das Parafeld existiert immer noch:“ Ojun versuchte ein Lächeln. „Sind Sie vielleicht gegen Paraeinflüsse gefeit? — Nein! — Na, also! Warum sollten sich die Parrots nicht durch ähnliche Tricks dagegen geschützt haben wie Sie und die Leutnants? Nein, Ihr Einwand ist nicht stichhaltig, Scott!“ Scott zuckte mit den Schultern. „Tut mir leid, Ojun. Doch es ist nicht der einzige Einwand. Warum gibt es auf Horus nur einen einzigen Fleck der Zerstörung? Warum läuft das Leben in den Städten scheinbar normal ab? Warum endlich werden die Spindelschiffe nicht bewacht, wenn sie sich auf einer erst vor kurzem eroberten Welt befinden? Warum, wenn sie den ganzen Planeten besetzt haben, schalten die Parrots nicht das Parafeld ab, das ihnen zumindest lästig sein muß?“ „Darauf muß ich Ihnen die Antwort schuldig bleiben“, resignierte Ojun. „Schon gut“, winkte Scott ab. „Auch ich kenne die Antwort nicht. Vielmehr, ich wage sie nicht zu geben, denn ich weiß auf meine Fragen nur eine: Horus ist der Zentralplanet der Herren des Universums! Leider stellt sich damit eine neue Frage, nämlich die, warum dann die Parrots das Feld nicht nur über die Atmosphäre gelegt haben, sondern es auch direkt auf der Oberfläche wirken lassen. Nun, erraten werden wir das sicher nicht. Also . . .“ „. . . bleibt uns weiter nichts übrig, als in die Stadt zu gehen“, vollendete Ojun den Satz. Scott nickte. „Ich habe das Gefühl, als ob uns dort eine neue Überraschung erwarte. Also los!“ Er stellte seinen Antigrav ein, schwebte einige Meter empor und flog dann im Schutze des Lichtwellenbrechers um die Werftkuppel herum und auf die Stadt zu. Hätte er einen Blick in die Werft geworfen, wäre schon jetzt das Geheimnis Horus’ für ihn kein Geheimnis mehr gewesen. Trotzdem wären die beiden Männer in ihr Verderben gelaufen, denn eine Kleinigkeit sollte ihnen allen bis zum Schluß verborgen bleiben — und da war es für sie bereits zu spät, die Entwicklung aufzuhalten. 9. Sie flogen dicht neben einer der zur Werft führenden Hochstraßen. Unter ihnen befand sich eine mit Tümpeln wie von Pockennarben durchsetzte Sumpflandschaft mit spärlicher Vegetation. Scott konnte Ojun nicht sehen, denn auch der Psychologe hatte seinen Lichtwellenbrecher eingeschaltet. Aber Ojun vermochte ihm an Hand der Gedankenimpulse, die er ausstrahlte, zu folgen, das wußte er. Deshalb war er nicht nur erstaunt, sondern geradezu entsetzt, als er neben einem einsamen Torbogen landete und Ojun vermißte. Sie hatten ausgemacht, daß Ojuri neben Scott landen und den Sprechkontakt durch Berühren der mit Drahtfunkrezeptoren ausgerüsteten Handschuhe herstellen sollte. Scott wartete einige Minuten reglos, aber keine Berührung erfolgte. Das war ihm ein Rätsel. Ojun mit seinen PsiFähigkeiten konnte ihn einfach nicht verlieren. Aber warum kam er dann nicht? Scott sah sich um. Nur hundert Meter von ihm entfernt reckte das erste Hochhaus sich in den Himmel. Es waren keine Fenster zu sehen, doch das hatte bei einer technisch hochstehenden Rasse nichts zu sagen. Sie würden die Außenwelt mit Hilfe von Telekameras auf Bildschirme übertragen. Das Gespenst der Netzstraßen war von hier aus sinnverwirrend; Gleiter huschten wie kleine goldgrüne Käfer hin und her, es
47 sah aus, als hätte sich ein Schwarm Fliegen zwischen vielen hundert Spinnweben verirrt. Von den Besatzungen der Fahrzeuge war allerdings nichts zu sehen. Scott vermutete, daß die Eingänge zu den Hochhäusern sich auf den Dächern befanden. Man mußte also dorthin, um die Bewohner Horus’ sehen zu können. Aber ohne Ojun wollte Scott nicht aufbrechen. Kurz entschlossen trat er in die spärliche Deckung seines Torbogens und schaltete den Lichtwellenbrecher ab. Nun war er seiner Unsichtbarkeit beraubt. Er konnte nur hoffen, daß ihn niemand sähe — außer Ojun. Noch aber war das Schicksal auf seiner Seite. Scott hatte nur wenige Minuten warten müssen, als er seine Hand ergriffen fühlte und Ojuns Stimme hörte: „Hier bin ich, Scott. Schalten Sie Ihre ,Tarnkappe’ wieder ein.“ Scott tat es. „Ojun? Warum fanden Sie mich erst jetzt? Haben Sie Ihre Psi-Fähigkeiten verloren?“ „Es scheint fast so!“ knurrte Ojun grimmig. „Wir hätten vorher eine Probe machen sollen, aber wahrscheinlich war mein Gehirn zu schläfrig dazu. Ich habe eben eine Isophenpille geschluckt, damit ich nicht im Stehen einschlafe.“ Scott erinnerte sich, daß Ojun im Gegensatz zu allen anderen seit vierundzwanzig Stunden kein Auge zugetan hatte. Zuerst war er mit dem Ausbau und der Umpolung der Impulsaggregate beschäftigt gewesen, und danach hatten sie sich auf den Weg nach Horus begeben. „Ich kann es Ihnen nachfühlen“, sagte er. „Aber damit weiß ich immer noch nicht, weshalb Sie mich verloren hatten?“ „Ich weiß es selbst nicht“, erklärte Ojun. „Lediglich eine Vermutung habe ich. Es ist möglich, daß das künstliche Parafeld die Abstrahlung natürlicher Gedankenimpulse verhindert oder sie einfach überlagert. Wenn es anders wäre, müßte ich nämlich jetzt deutlich die Gedanken der Leute erkennen, die da oben in ihren Gleitern herumschweben.“ „Sie können keine Gedanken erkennen?“ fragte Scott. „Nun, dann können wir nur hoffen, daß das Parafeld wirklich daran schuld ist!“ „Warum das?“ „Weil es außer dieser einen sonst nur noch die Möglichkeit gibt, daß Horus von jeglichen intelligenten Leben entblößt ist.“ „Aber die Gleiter . . .?“ „Können von Automaten gesteuert werden.“ Scott seufzte. „Wir schwelgen hier in Theorien, anstatt hinaufzufliegen und nachzusehen. Los, halten Sie meine Hand fest, damit wir uns nicht noch einmal verlieren!“ Das Hochhaus schien kein Ende nehmen zu wollen. Dicht an der glatten Wand glitten Scott und Ojun nach oben. Und dann konnten sie den ersten Blick von oben auf einen Gleiter werfen. Seine Geschwindigkeit war allerdings zu hoch, als daß sie mehr als nur Schatten hätten sehen können, aber die Schatten hatten sich bewegt! „Also leben sie doch noch“, murmelte Ojun. Scott erwiderte nichts darauf. Alles in ihm brannte darauf, nach oben zu kommen und die ersten Bewohner Horus’ in ihrer wahren Gestalt zu sehen. Endlich war es soweit. Die beiden Männer schwebten über den Rand des Gebäudes und sanken sanft und geräuschlos auf die riesige Plattform, die den Turmbau abschloß. Im Gegensatz zu unten war es hier oben alles andere als ruhig. Gleiter schwebten von den überall einmündenden Netzstraßen heran, luden ihre Fahrgäste aus und verschwanden wieder. Aber was für Fahrgäste waren das! Schon die hochgeschossenen, unglaublich dürren Gestalten entlockten Scott und
48 Ojun ein überraschtes Stöhnen. Dann fluchte der Psychologe unbeherrscht vor sich hin. Scott brachte keinen Ton mehr hervor. Es war unverkennbar: Die in Längsrichtung zusammengedrückt wirkenden Ovalschädel, die gelbe, von feinen grünen Linien überzogene Gesichtshaut, die von harten Hornrändern umgebenen Mundöffnungen, die kleinen schwarzen Augen mit der goldgelben Iris — das war die charakteristische Erscheinung der Parrots, der „Herren des Universums“! Auf der Plattform summte es wie in einem Bienenschwarm. Die aus den Gleitern steigenden Fahrgäste verschwanden sofort in Liftschächten, während die von unten Kommenden auf die Fahrzeuge warteten, die sie wieder abholten. Scott war viel zu betäubt von der plötzlichen Gewißheit, als daß er an seinen Translator gedacht hätte. So standen die beiden Terraner minutenlang wie gelähmt und schauten dem Treiben zu. Es war offensichtlich, daß die Parrots sich in einem Stadium der Erregung befanden, das nicht weit von Panik entfernt war. Das schien Scott erklärlich, wenn er an die Stelle der Vernichtung dachte, die der Fernaufklärer vor der Landung überflogen hatte. Daß dieser Planet die Heimat der Parrots war, die sich Herren des Universums nannten, bezweifelte er nun nicht mehr, denn die Bewohner der Stadt benahmen sich nicht im entferntesten wie siegreiche Eroberer, sondern wie eine Schar furchtsamer Hühner. Aber wer war derjenige — oder dasjenige — wovor sie sich fürchteten? Wer hatte den einen furchtbaren Vernichtungsschlag geführt? „Was nun?“ fragte Ojun. „Wir holen einen der Burschen heraus und bringen ihn zum Aufklärer. Ich wette, bei diesem Durcheinander fällt das noch nicht einmal auf.“ Ojun nickte und prüfte seine Schockwaffe. „Welchen nehmen wir?“ Scott deutete auf einen grellrot gekleideten Parrot, der dicht am Rande der Plattform stand. „Gib ihm aus der Nähe eine schwache Ladung, das wird genügen. Dann nehmen wir ihn in die Mitte und fliegen zurück!“ „Okay!“ sagte Ojun. Hand in Hand näherten sie sich dem Parrot. Dicht hinter ihm trennten sie sich. Der dumpfe Knall des Schockers ging in dem allgemeinen Lärm unter. Der Parrot sank, ohne einen Laut von sich zu geben, vornüber. Scott konnte ihn gerade noch vor einem Sturz in die Tiefe bewahren. Während er mit der einen Hand den Gefangenen hielt, tastete er mit der anderen nach Ojun. Als sie sich gefunden hatte, befestigten sie ihre für diesen Zweck mitgebrachten Magnetgurte am Körper des Parrots und an ihren Gürteln. Dann, während sich ihre Hände erneut fanden, aktivierten sie die Antigravgeneratoren ihrer Anzüge und schwebten davon. Aber so ganz unbemerkt war die Aktion doch nicht geblieben. Als Scott sich, kaum daß sie die Plattform verlassen hatten, noch einmal umwandte, sah er einen Gleiter dort halten, wo eben noch ihr Gefangener gestanden hatte. Zwei in silberblaue Kombinationen gekleidete Parrots stiegen aus und blickten sich suchend um. Dann stieg der eine in den Gleiter zurück und bückte sich. Gleich darauf hörte Scott ein schwaches Summen. Seine Rechte tastete den Arm des gefangenen Parrot ab und fand das kleine Funksprechgerät am Handgelenk. Er klopfte mit dem Fingerknöchel darauf, doch das Summen blieb. Demnach war das Gerät nur auf Empfang geschaltet und konnte somit nicht angepeilt werden. Er richtete wieder seine Aufmerksamkeit auf das Dach des Hochhauses. Einzelheiten waren nicht mehr zu erkennen, dafür war es schon zu weit weg. Aber jetzt hörte er ein Signalhorn laut und anhaltend pfeifen. Ein Lautsprecher brüllte. Scheinbar mußte der Gefangene eine wichtige Person sein. Wenn man sich solche Mühe gab, ihn wiederzufinden. Scott lächelte befriedigt. Bald würden sie wissen, was auf Horus tat-
49 sächlich los war. * McBlaine und Vacca staunten nicht schlecht, als sie in dem Gefangenen einen Parrot erkannten. „Wo haben Sie den her, Sir?“ rief McBlaine. Er packte mit zu, als der Gefangene auf einen nach hinten geklappten Kontursessel gelegt wurde. Scott lächelte. „Sie werden es nicht glauben, Leutnant, aber auf Horus gibt es wahrscheinlich mehrere Milliarden von der Sorte. Alle konnten wir leider nicht mitbringen.“ „Mehrere Milliar . . . !“ McBlaine sank in den nächsten Sessel und schnappte nach Luft. „Wie . . . wie kommen die Herren des Universums hierher?“ „Höchstwahrscheinlich so, wie wir Menschen auf die Erde kommen. Sie werden hier geboren. Horus ist die Welt der Parrots.“ „Dann gibt es die Olds gar nicht?“ stieß Vacca hervor. „Die Parrots sind die Olds.“ „Also haben wir das Rätsel gelöst“, atmete McBlaine auf. Scott blickte ihn ernst an. „Das Rätsel haben wir gelöst; die Rätsel aber sind geblieben. Es gibt eine Menge, was noch zu. klären bleibt. Aber warten wir ab, bis der Gefangene erwacht. — Ojun!“ „Ja . . .?“ „Sie legen sich sofort hin und versuchen zu schlafen!“ „Aber?“ „Das ist ein dienstlicher Befehl! Sie brauchen den Schlaf dringender als wir, denn Sie haben länger wach bleiben müssen. Versuchen Sie nicht, mich umzustimmen, sondern nutzen Sie die kurze Zeit der Ruhe!“ Immer noch vor sich hinmurrend, klappte Ojun den nächsten Kontursitz zurück und legte sich hin. Kaum war das geschehen, schlief er auch schon. Scott lächelte und wandte sich wieder den anderen zu. Da erwachte der gefangene Parrot mit dumpfem Stöhnen aus seiner Bewußtlosigkeit. „Was nun?“ fragte McBlaine verlegen. „Wenn er nicht antwortet, müssen wir ja Ojun schon wieder wecken, damit er den Bewußtseinsinhalt des Parrot sondiert.“ Scott schüttelte den Kopf. „Ojun kann uns auf Horus nicht helfen. Das Parafeld überlagert alle Gedankenimpulse.“ Betreten blickten sich Vacca und McBlaine an. „Ich weiß“, sagte Scott, „die Parrots, die wir damals mit dem Schiff des Vizeadmirals fingen, begingen lieber Selbstmord, als uns etwas zu verraten. Aber das waren Soldaten im Einsatz. Sie hatten ihre Befehle. Der hier ist auf unser Erscheinen nicht vorbereitet. Wir werden ihm die Initiative überlassen. Vielleicht bekommen wir dann mehr aus ihm heraus.“ Scott gab Vacca und McBlaine ein Zeichen, das ihnen Schweigen gebot und schaltete den kleinen Translator ein, der bereits über die Analyse des Sprachschatzes der Herren des Universums verfügte. Dann zündete er sich eine Zigarette an, setzte sich auf die Lehne eines Sessels und beobachtete den Gefangenen. So ungefähr war Scott mit der Mimik der Parrots vertraut, um sofort zu erkennen, daß der Gefangene nicht nur Angst, sondern auch Zorn empfand. Er überlegte, ob er irgendeinen Schutz gegen das Parafeld besaß. Bei der Durchsuchung hatte man zwar nichts dergleichen empfunden, aber es erschien Scott nur logisch, daß die Herren des Universums, die erwiesenermaßen nicht von Natur aus gegen Psi-Kräfte gefeit waren, sich gegen das von ihnen selbst errichtete Feld schützten.
50 Jetzt öffnete der Parrot den hartlippigen Mund. „Was haben wir den Vier Samhitas getan, daß sie uns daran hindern, dem obersten Befehl zu folgen?“ Scott bemühte sich, sein Erstaunen zu verbergen. Es war ganz offenkundig, daß der Parrot nicht wußte, mit wem er es zu tun hatte. Ebenso offenkundig war es, daß er sie für die „Vier Samhitas“ hielt. Aber wer waren die Vier Samhitas? An welchen Befehl hinderten sie die Herren des Universums? Scott hielt es für das beste, nicht auf die Frage zu antworten, sondern den Gefangenen sprechen zu lassen. Möglichst gleichgültig blickte er an ihm vorbei. Der Parrot richtete sich halb auf. Sofort griffen Vacca und McBlaine nach ihren Blastern, aber Scott sah sie nur verweisend an, und sie steckten die Waffen wieder ein. „Wofür strafen die Vier Samhitas uns?“ fragte der Gefangene. „Haben wir nicht stets den ,Hotar’ verehrt und seine Gebote erfüllt? Warum habt ihr mich geholt? Was soll ich den anderen Mitgliedern des Rates von Esre mitteilen?“ Scott beglückwünschte sich insgeheim zu seinem Schweigen. Immerhin hatte er nun schon erfahren, daß der Gefangene ein Mtglied des Rates war, des Rates von „Esre“. Demnach war so der wirkliche Name des Planeten, den man bisher mit Horus bezeichnet hatte. Der Hotar wiederum mußte, wie der Name sagte, der höchste Priester der Parrots sein. Unklar blieb lediglich die Rolle der Vier Samhitas, wenn es auch den Anschein hatte, als stünden sie noch über dem Hotar. Wie hatten die Terraner sich als „Samhitas“ zu verhalten? Scott brach das Schweigen. „Wir haben dich geholt, damit du in Selbstbesinnung erkennst, gegen welche Gebote ihr verstoßen habt. Nur wenn ihr selbst den Grund erkennt, vermögen wir die Strafe von euch zu nehmen.“ Der Gefangene senkte den Blick. Einige Minuten lang schwieg er. Dann seufzte er vernehmlich. „Zürnt Ihr uns, weil wir den obersten Befehl nicht ganz erfüllen konnten? Aber wir haben alles getan, was in unseren Kräften stand. Der Feind war übermächtig und listig. Ist es nicht Strafe genug, daß Ihr unsere besiegte Flotte in der Sonne verbrennen ließt? Warum dürfen wir nicht versuchen, es ein drittes Mal besser zu machen? Warum hat euer Zorn den Erzeuger der unsichtbaren Straße vernichtet?“ Diesmal vermochte Scott seine Erregung nicht vollständig zu verbergen. Er glaubte, die Zusammenhänge erkannt zu haben. Die Zigarette entfiel seinen bebenden Fingern. Er sprang auf. Doch dann hatte er sich wieder in der Gewalt. Mit schnellem Griff schaltete er den. Translator aus, damit der Parrot nicht Vaccas und McBlaines plötzlich hervorsprudelnden Redefluß verstand. Mit energischer Geste brachte er die Leutnants zum Verstummen. „Nehmen Sie sich gefälligst zusammen!“ befahl er. Aber dann lächelte er verstehend. „Das war ein ganz schöner Schock für uns, nicht wahr? Was ist Ihre Meinung, Leutnant McBlaine?“ McBlaine schluckte. „Der Parrot hat vom letzten Angriff auf die Erde gesprochen, Sir! Soviel ich seinen Worten entnehmen konnte, handelten die ,Herren des Universums’ dabei nicht aus eigenem Antrieb, sondern wurden durch das Parafeld dazu gezwungen . . .“ Scott bemerkte, daß Vacca heftig den Kopf schüttelte und hob die Hand. „Stop, McBlaine! Leutnant Vacca ist nicht Ihrer Meinung. Vielleicht sagen Sie uns, Vacca, wie Sie darüber denken!“ „Sir“, begann Vacca beherrscht. „McBlaine behauptet, das Parafeld würde die Parrots zum Angriff auf die Erde zwingen. Das kann aber nicht sein, denn der suggestive Befehl lautet, zum Ursprung zurück-
51 zukehren. Wenn damit ein Ort gemeint ist, dann meint er doch für jede Rasse einen anderen, denn keine Rasse hat denselben Ort des Ursprungs. Ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen, Sir . . .?“ „Doch, ich verstehe Sie sogar sehr gut, Vacca. Sie meinen, wenn der Parabefehl jeden Terraner zwingt, ins Sol-System zurückzukehren, müßte er die Parrots zwingen, ebenfalls ihr Ursprungssystem aufzusuchen . . .?“ „Das in diesem Falle Hora heißt!“ ergänzte Vacca. „Dann muß ich Ihnen widersprechen. Die Parrots leben bereits hier, sie können also nicht hierher ,zurückkehren’. Das wäre widersinnig. Aber sie haben ja auch etwas ganz anderes getan, nämlich ihre Flotte ins System Sol geschickt.“ „Dann müßte aber . . .“ Vacca schwieg und preßte die Lippen aufeinander, als fürchtete er sich davor, den Satz zu beenden. Auch Scott schwieg eine Zeitlang. Sein Gesicht war bleich, als er fortfuhr: „Wenn der jetzige Befehl der gleiche ist, der die Invasionsflotte auf den Weg brachte — und des Gefangenen Worte sprechen dafür — dann müssen wir annehmen, daß die Herren des Universums ihre Wiege im Sol-System hatten.“ Es fiel Scott schwer, diese Worte auszusprechen, aber er wußte etwas mehr über die mysteriösen Herren des Universums als die anderen. Als er während der Invasion das System der Roten Pleione aufsuchte, um mit dem Geistwesen zu sprechen, das sich „Drude“ nannte, hatte er einige vage Hinweise erhalten, deren Bedeutung er damals nicht erkennen konnte. Jetzt jedoch glaubte er dem Geheimnis der Parrots so nahe wie nie zuvor zu sein. Nicht nur Terraner und Sethiter, sondern ebenfalls die Parrots — und wahrscheinlich auch die Drude — hatten sich im Sol-System entwickelt. Sethiter und Terraner, die einen gemeinsamen Stammbaum besaßen, waren durch den Großen Interplanetaren Krieg getrennt worden, der die Urheimat beider Völker zerstörte. Die Planetoiden waren ein Denkmal für den Mißbrauch der Naturkräfte. Von welchem Ort des Sol-Systems — oder besser, aus welcher Zeit der unbekannten Geschichte — stammten Druden und Parrots? „Aber noch etwas anderes sollten wir den Worten unseres Gefangenen entnehmen!“ fuhr Scott fort. „Das ist die Vermutung, daß es für die Parrots nur einen Weg gab, den Parabefehl auszuführen: Das war der Weg über die unsichtbare Straße.“ „Ich verstehe“, sagte McBlaine tonlos. „Sie meinen den Ort der Zerstörung auf Esre, den Ort, an dem sich die zerschmolzene Titanplastik befindet. Nur, ich kann mir kein stationäres Aggregat vorstellen, das — wie auch immer — eine Flotte durch die Nacht zwischen den Milchstraßen schleudert.“ „Ich auch nicht“, erwiderte Scott. „Aber meine Meinung ist, wir sollten jetzt die Karten offen auf den Tisch legen und gemeinsam mit unserem Gefangenen darüber nachdenken, wie man die Macht der Vier Samhitas brechen kann.“ „Glauben Sie an die Existenz dieser Samhitas?“ fragte Vacca. „Soviel ich empfand, haben sie für die Parrots die Bedeutung einer Gottheit. Eine Gottheit aber, die solche widernatürlichen Befehle gibt, ist nicht identisch mit Gott.“ „Natürlich nicht. Wahrscheinlich werden wir feststellen, daß die alles andere als göttliche Macht einzig und allein in einer Hand liegt, nämlich in der des Hotar!“ Scott legte die Hand auf den winzigen Schaltknopf des Translators, zog sie aber wieder zurück. „McBlaine, geben Sie mir doch bitte den Transmitterhelm, den Ojun vorsichtshalber auch für sich präpariert hat!“ Er nahm ihn entgegen und näherte sich damit dem Gefangenen, während er jetzt den Translator einschaltete. „Keine Angst!“ sagte er beruhigend. „Wir tragen die gleichen Helme. Es geschieht dir nichts.“
52 Behutsam stülpte er den Helm über des Parrots Kopf. Dann schloß er die Atombatterie und das Impulsaggregat an. Die Reaktion des Gefangenen überraschte Scott nicht. Der Parrot griff mit einem schrillen Schrei nach seinem Kopf, aber dann ließ er die Hände allmählich wieder sinken. Verwunderung spiegelte sich in seinen Augen, und der Hornmund klappte mehrmals auf und zu. „Nun, wie ist das mit dem obersten Befehl?“ fragte Scott. Der Gefangene brachte immer noch kein Wort heraus. Endlich aber wiegte er den Kopf hin und her und flüsterte: „Ich . . . entsinne mich nur schwach. Da war ein Befehl. Es muß ein wichtiger Befehl gewesen sein, doch ich weiß nicht mehr, wie er lautete. Aber wer sind Sie? Wo bin ich hier?“ Scott zündete sich umständlich eine neue Zigarette an, während er sein beabsichtigtes Vorgehen noch einmal überprüfte. Doch er erkannte, daß hier nichts anderes mehr helfen konnte, als größtmögliche Offenheit. Um seinen Plan verwirklichen zu können, mußte er den Parrot auf seine Seite ziehen. Er berichtete ihm also in knappen Worten, woher sie kamen, was sie bereits über die Verhältnisse auf Esre wüßten und daß es jemanden gab, der gleichermaßen Terras und Esres Feind war. Natürlich hatte er nicht erwartet, daß der Parrot ihm sofort Glauben schenken würde. Und so kam es auch. Der Gefangene sprang auf die Füße und rollte wild mit den Augen, als wollte er sich auf Scott stürzen. Aber die plötzlich auf ihn gerichteten Mündungen von Vaccas und McBlaines Blastern hielten ihn davon ab. Scott war keinen Schritt zurückgewichen. Er wußte genau, daß der andere ihm körperlich weit unterlegen war. Die Parrots waren in irdischem Sinne Schwächlinge, was die Körperkraft anbetraf. „Sie sehen, es gibt kein Entkommen“, sagte Scott ruhig, dabei in der Anrede andeutend, daß er den Gefangenen jetzt als Verhandlungspartner betrachtete. „Ich gebe zu“, knirschte der Parrot. „Sie haben mich in Ihrer Gewalt. Aber das wird nicht lange so bleiben. Die Sicherheitsgarde sucht mich ganz bestimmt schon — und sie wird mich finden!“ „Sie sind also ein wichtiger Mann“, erwiderte Scott gedehnt. Er räusperte sich. „Übrigens, bevor ich es vergesse: Ich bin Scott, General eines terranischen Flottenverbandes, und meine Begleiter heißen Vacca, Leutnant, und McBlaine, ebenfalls Leutnant. Der dritte . . .“ „Heißt Ojun, Psychologe“, knurrte eine verschlafene Stimme aus dem Hintergrund, Ojun war erwacht und hatte sich unbemerkt genähert. „Ich bin Pratti Noo, Koordinator für Sicherheit des Rates von Esre“, antwortete der Parrot. „Sie werden zugeben, daß meine Person wichtig genug ist, um . . .“ „Um für unsere Sicherheit benutzt zu werden“, fiel ihm Scott rasch ins Wort, „und zwar als Geisel. Pratti Noo, Sie scheinen die Lage zu verkennen. Ganz Esre steht unter dem Einfluß eines Parafeldes und befindet sich in heller Aufregung, weil es den obersten Befehl nicht ausführen kann. Wenn nicht bald etwas geschieht, wird Esre eine Welt voller Wahnsinniger sein, denn niemand kann etwas unternehmen, um sich von den unablässig einhämmernden Befehlsimpulsen zu erlösen.“ „Wahrscheinlich waren Sie es, die die unsichtbare Straße vernichteten, um uns in den Wahnsinn zu treiben!“ stieß Pratti Noo zornig hervor. Scott schüttelte mißbilligend den Kopf. „Denken Sie einmal logisch, Pratti Noo! Wenn wir das wollten, brauchten wir uns gar nicht um die Ereignisse auf Esre zu kümmern, sondern nur noch einige Tage abzuwarten. Dann wäre niemand mehr in der Lage, uns ernsthaften Widerstand entgegenzusetzen. Wir wollen aber nicht Ihren Untergang, sondern im Gegenteil Ihre Befreiung von dem suggestiven Zwang. Unsere Gegenforderungen dafür, daß wir
53 Ihnen helfen, sind doch wirklich minimal: Sie verpflichten sich, Terra und alle anderen bewohnten Welten unserer Galaxis künftig in Ruhe zu lassen und uns mit allen Ihren Mitteln bei der Suche nach dem Erzeuger des Parafeldes zu unterstützen. Ist das Feld abgeschaltet und besitzen wir Garantien, die Ihnen und uns den Frieden sichern, ziehen wir uns wieder aus Ihrem System zurück.“ „Ich kann die Logik Ihrer Worte nicht abstreiten“, sagte Pratti Noo und setzte sich. Anscheinend war die erste emotionale Reaktion auf Scotts Eröffnung wieder abgeklungen. „Doch Sie haben einen wichtigen, ja, den wichtigsten Punkt übersehen. Wir wissen selbst nicht, wer das Parafeld erzeugt und wer uns gezwungen hat, Ihre Heimat anzugreifen. Wie sollen wir dann dreißig Milliarden Esres von dem Einfluß befreien? Vorher ist doch keine Verhandlung möglich, nicht wahr?“ „Eine ziellose Suche ist natürlich sinnlos“, entgegnete Scott. „Wir müssen meiner Meinung nach bei der Geschichte Ihres Volkes beginnen, und zwar ganz von vorn. Vielleicht finden wir dann einen Hinweis.“ Pratti Noos Augen verschleierten sich plötzlich, als empfände er tiefen Schmerz. Seine Hornlippen zuckten, und die grün und gelb leuchtenden Farben seiner Haut verblaßten. „Ganz von vorn“, murmelte er. „ganz von vorn beginnen . . .“ Er blickte Scott mit einem undefinierbaren Blick an. „Ich bin einer der wenigen meines Volkes, in dessen Familie die genauen Kenntnisse über den Verlust der letzten Heimat von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Aber vom Anfang der Geschichte weiß auch ich nichts. Außer dem Spruch der Alten, dessen Aufsagen allerdings vom Hotar streng verboten wurde.“ „Der Hotar . . .“, sinnierte Scott. „Er ist eine Figur, mit der wir uns demnach genauer beschäftigen müssen. Immerhin kann es nichts schaden, wenn Sie uns den Spruch verraten. Hier gilt nicht das Gebot des Hotar.“ Pratti Noo nickte. In seinen Augen schimmerte Ironie, wie es Scott schien. „Sie werden enttäuscht sein, Scott. Aber meinetwegen: ,Wer weiß es recht, wer kann es uns verkünden, woher entstand, woher sie kam, die Schöpfung, und ob die Götter nach ihr erst geworden? Wer weiß es doch, von wannen sie gekommen?“ Noos Stimme war immer leiser geworden, bis sie zum Schluß fast in ein trockenes Schluchzen überging. Eine Weile herrschte beklemmendes Schweigen. Endlich brach Scott die Stille. „Ich kenne den Spruch der Alten.“ Weiter sagte er nichts, aber seine Worte wirkten wie eine Bombe. Vacca und McBlaine waren aufgesprungen und starrten ihren Vorgesetzten mit weit offenen Augen an. Ojun dagegen hatte sich gesetzt und die Augen geschlossen. Nur Pratti Noo war ruhig geblieben, ja, in seinen Augen schien ein wissendes Feuer zu glimmen. „Der Spruch der Alten ist nur ein winziges Bruchstück aus einem größeren Werk, das ich von Mahatma Krischnu, unserem Chefkybernetiker, kenne. Der Auftakt lautet: ,Da gab es weder Sein noch Nichtsein’, und weiter: ,Es gab keine Gegensätze, sondern das Eine atmete windlos in sich selbst.’ Auf der Erde nennt man dies esphilosophische Gedicht den Ursprungshymnus des Rigveda . . .“ „Sie scheinen demnach gewußt zu haben, daß . . .“ „Daß Terraner und Esres ein und derselben Wurzel entsprangen“, ergänzte Scott. „Wenn man es recht bedenkt, ist es nur verwunderlich, daß ich erst vor kurzer Zeit zu diesem Schluß gelangte. Er drängte sich mir zuerst auf, als Ihre letzte Invasionsflotte die Erde bedrohte und ich mir bei einem geheimnisvollen Wesen Rat holte. Zur Gewißheit wurde er, als ich erkannte, daß Ihre Flotten nur deshalb die Erde als Ziel wählten, weil sie den Befehl hatten, zum Ursprung zurückzukehren. Aber . . .“ Er
54 schwieg und erbleichte. Pratti Noo atmete tief ein. „Aber nun merken Sie, daß das System Sol gar nicht wirklich der Ursprung unserer Rassen ist, sondern nur eine Station auf einem ruhelosen Suchen?“ Scott nickte. „Ja. Trotzdem möchte ich die Spur, die von Sol ausgeht, bis hierher verfolgen. Es muß irgendwo einen Ansatzpunkt für weitere Überlegungen geben!“ „Gut“, erwiderte Pratti Noo, „ich will mich so kurz wie möglich fassen. Vielleicht erfahren Sie durch mich tatsächlich noch etwas Neues. Einst, als wir alle noch einen einzigen Planeten bewohnten, nannten wir uns Sethiter. Die Sagen berichten, unser aller Vorfahr wäre auf einem feurigen Thron dem Himmel entstiegen, um das Vermächtnis der Schöpfung zu erfüllen. Seth wird in unserer Geschichte als Paradies geschildert, aber ich glaube nicht, daß es das war, denn es gab keinen Frieden. Als wir mit der Raumfahrt begannen, wurden die Auseinandersetzungen in den Weltraum getragen, und das war das Ende von Seth. In einem furchtbaren Vernichtungskrieg zerstörte die eine Seite ihren eigenen Planeten. Der andere Planet, den ihr heute Mars nennt, wurde unbewohnbar. Die Wege unserer Vorfahren teilten sich, entsprechend der schon Jahrtausende vorher stattgefundenen Zersplitterung. Die Gruppe, die sich weiterhin Sethiter nannte, emigrierte zum System des Alpha Centauri und später zum Epsilon Aurigae. Die zweite Gruppe, es war die kleinste, die Chamanis, flohen nach Terra, da keine der anderen Gruppen sie haben wollte. Sie waren Mutanten, Nachkommen der Leute, die sich als Händler in fliegenden Weltraumstädten niedergelassen und deren Gene sich infolge der ständigen Strahlenbeeinflussung verändert hatten. Die nächsten Teilungen fanden erst Jahrhunderte später statt. Die Sethiter entdeckten, daß auch einige von ihnen, nämlich alle in der forcierten Atomrüstung beschäftigten Wissenschaftler, Techniker und Arbeiter, infolge der ungenügenden Sicherheitsmaßnahmen Strahlenschäden erlitten hatten. Ihre Nachkommen mutierten ebenfalls. Bei den einen machte sich dies nur körperlich bemerkbar. Das waren die ,Aussätzigen’. Sie wurden verstoßen und auf einen Planeten im System der Roten Pleione deportiert.“ „Das war Ihr Volk“, warf Scott ein. „Ja, das waren wir. Aber zuerst zu den anderen Mutanten. Bei ihnen wirkte sich die Veränderung der Erbmasse in erster Linie geistig aus. Sie waren natürliche Telekineten, Teleporter und Telepathen und vielleicht noch mehr. Sie siedelten freiwillig um, und zwar auf unsere Welt. Dort versuchten sie, uns ebenfalls ihre Fähigkeiten beizubringen. Das ging natürlich nicht. Inzwischen stellte sich bei ihnen das zweite Stadium der Mutation ein. Ihre Körper verkrüppelten. Es wurde eine Qual für sie, sich durchs Leben zu schleppen. Zudem begannen zwischen ihnen und uns Streitigkeiten, die nur an der friedlichen Haltung der Paras ihre Grenzen fanden. Endlich — wir hatten die Raumfahrt zu neuer Blüte entwickelt — stellten sie uns ein Ultimatum. Wir mußten Drud verlassen. Erst nach langen Irrwegen fanden wir hier eine neue Heimat, oder wir glaubten, sie jedenfalls auf Esre gefunden zu haben. Nunmehr nannten wir uns ,Herren des Universums’. Es war der klägliche Versuch, unsere Minderwertigkeitskomplexe zu kompensieren. Zuerst schien es, als näherten wir uns der Blütezeit unserer Kultur und Zivilisation, doch dann kam der Befehl, zum Ursprung zurückzukehren.“ *
55 Nach einem Schweigen, das fast eine Viertelstunde gewährt hatte, räusperte sich Ojun. „Die Mutanten von Drud sind inzwischen in die rein geistige Existenzebene übergewechselt. Sie wurden ein einziges Kollektivwesen, das sich ,Drude’ nennt. Die Leute, die Sie nicht erwähnten, Pratti Noo, das waren die jetzigen Terraner. Sie, oder vielmehr ihre Vorfahren, trugen die Schuld an der Zerstörung Seths. Sie wandten die Vernichtungswaffe an. Deshalb mußten sie sich auf der damaligen Dschungelwelt des dritten Planeten vor der Rache ihrer Opfer verbergen. Heute scheinen sie Bindeglied zwischen den einzelnen zersplitterten Gruppen der gemeinsamen Vorfahren zu sein.“ „Sie haben sich selbst vergessen!“ sagte Pratti Noo. „Ich kann nur vermuten“, seufzte Ojun. „Meine Vorfahren lebten unter den alten Sibiriern und galten als Zauberer, weil sie übersinnliche Kräfte demonstrierten. Einer namens Katschikaat Ojun . . .“, Ojun grinste, wie nur er es fertigbrachte, „. . . ich selbst war es nicht, wie der Name vielleicht vermuten ließe, wanderte einst mit dem Zauberer Solkolooch zur Lena. Dort band sich Katschikaat einen reich beschnitzten Weidenzweig unter die Füße und ging im Schritt über den Fluß, als wäre er trockenes Land. Solkolooch aber stand am Ufer und lockte von der gegenüberliegenden Seite durch Schnalzlaute ein leeres Boot herbei. Auf ihm fuhr er über die Lena.“ Erneut grinste Ojun, aber dann wurde er wieder ernst. „Wir nannten uns Schamanen, und ich finde, die Verwandtschaft zu der Bezeichnung ,Chamanis’ fällt selbst Ihnen sofort auf, wie?“ „Allerdings“, erwiderte Pratti Noo. „Nur, ich weiß nicht, wie uns alles dies weiterhilft.“ „Oh!“ sagte Scott. „Da bin ich aber anderer Meinung. Wie aus Ihrem Bericht hervorgeht, Pratti Noo, kam der Befehl zur Rückkehr erst, als Ihr Volk dabei war, in den Weltraum vorzustoßen, in das Element, aus dem es nach Esre gekommen war?“ „Das stimmt.“ „Nun, da haben wir eine schöne, oder vielmehr eine häßliche Parallele zum Fall Ungkuo. Auch dort schaltete sich jemand ein, als die Ungkoer sich anschickten, in den Weltraum vorzudringen. Wie mir scheint, haben wir es hier . . .“ Er blickte fragend zu Pratti Noo. „Vasu heißt unsere Sonne.“ „. . . Haben wir es hier im System Vasu mit der gleichen Macht zu tun wie im System der Ungkoer. Hier wie dort versucht jemand, eine lästige Konkurrenz auszuschalten, dort durch Stationierung von Antimaterieprojektoren auf Koong, hier durch den Befehl zur Rückkehr. Demnach fanden wir zwar die ,Herren des Universums’, aber noch nicht die Olds. Sie mögen sich anders nennen, aber das spielt keine Rolle. Tatsache ist, daß es sie gibt, und daß sie den Frieden stören. Sie müssen wir finden!“ „Aber wie?“ warf Ojun resignierend ein. Scott richtete sich auf. „Es gibt auf Esre jemand, der Verbindung zu den Olds zu haben scheint. Das ist der Hotar! An ihn müssen wir uns wenden, wenn wir das Volk Esres vor dem Wahnsinn retten wollen!“ Pratti Noo hob abwehrend die Hände. „Der Hotar! Wie stellen Sie sich das vor, Scott? Er ist der oberste Priester Esres. Wenn wir gegen ihn vorgehen, haben wir den größten Teil der Bevölkerung gegen uns. Außerdem kann niemand in seinen Tempel eindringen, den er nicht hineinlassen will.“ „Aber Sie wissen, wo er sich aufhält?“ fragte Scott. „Ja, natürlich. Der Tempelbezirk — vielleicht sollte ich lieber Tempelfestung sagen —
56 befindet sich westlich von Kollanoon, der Stadt, aus der Sie mich entführten.“ „Na also!“ lächelte Scott humorlos. „Dann können Sie uns führen. Wir werden schon dafür sorgen, daß es keinen Aufruhr gibt.“ Mit hochgezogenen Augenbrauen drehte er sich zu Ojun um. „Was ist los?“ Der Psychologe starrte scheinbar durch die Wand der Zentrale hindurch. Jetzt wandte er sich mit blassem Gesicht um und flüsterte: „Zu spät, Scott. Der Aufruhr wird gleich losbrechen. Der Befehl des Parafeldes hat sich geändert.“ „Und wie heißt er jetzt?“ fragte Scott mit rauher Stimme. „Vernichtet die Fremden!“ * Der Planet Esre wurde von fünf Monden begleitet. Der ihm am nächsten stehende und zugleich der größte war nur 250 000 Kilometer entfernt. Er hieß Looma. Seine Atmosphäre hatte er schon vor undenklichen Zeiten verloren, und seine Oberfläche war auf der Esre zugewandten Seite mit gewaltigen Kratern übersät. Es war keine Welt, in der sich intelligentes Leben ohne Not niederlassen würde. Und doch herrschte auf Looma geheimnisvolles Leben. Eigentlich war der Ausdruck „auf“ irreführend, denn auf Looma herrschte nur abwechselnd Weltraumkälte und Gluthitze, und Loomas Leben spielte sich deshalb tief unter seiner Oberfläche ab. Niemand hatte es je gesehen. Die Bewohner Esres, die die Abgründe zwischen den Welteninseln durchquert hatten, waren nie auf Looma gelandet, ebensowenig, wie sie den Fuß auf irgendeinen Himmelskörper des Systems Vasu noch ihrer eigenen Galaxis überhaupt gesetzt hatten. Der oberste Befehl hatte ihnen nur eine einzige Richtung offengelassen. Der Raum lag neunzig Kilometer tief unter der Oberfläche. Ein menschliches Wesen hätte nicht das Wort „Raum“ gebraucht, denn nichts erinnerte an ein irdisches Äquivalent. Trotzdem war es Raum, jedenfalls von der Definition her gesehen. Nach dieser von einem Psychologen namens Metzler fixierten Definition hat der Raum „außer der Möglichkeit, ausgefüllt zu werden, keine weitere Eigenschaft; er ist, abgesehen von der Festlegung der Einzelorte und ihrer Ausfüllung, ein leeres und totes Nichts“. Aber welcher Mensch denkt schon derart abstrakt! Dieser Raum hatte von der Möglichkeit, ausgefüllt zu werden, erschöpfend Gebrauch gemacht. Er war im wahrsten Sinne des Wortes ausgefüllt, ausgefüllt mit einer gelatineartigen Flüssigkeit, schleimig und durchsichtig wie die reine Darstellung von Urprotoplasma. Doch das war noch nicht alles. Von den nach außen gewölbten Wänden zogen sich hauchdünne rote, schwarze und gelbe Fäden durch das Protoplasma. Sie trafen im Mittelpunkt des Hohlraumes zusammen und umschlangen ein Gebilde, das einem Fötus nicht unähnlich sah, sich davon aber durch die starke Furchung unterschied. Varuna, der Herrscher! Die Meldung von Agni, dem Krieger, eilte mit Lichtgeschwindigkeit durch viele Kilometer Basaltgestein, wurde von einem Rezeptor empfangen und über eine haarfeine, schwarze Leitung Varunas Bewußtsein zugängig gemacht. Es war nicht die einzige Meldung, die Varuna in diesem Augenblick erreichte. Ständig sandten einige der Milliarden Außenrezeptoren, die über die gesamte Galaxis verteilt waren, dem Herrscher ihre Berichte. Aber keine Meldung erschien zu dieser Zeit Varuna so wichtig, wie die Meldung von Agni. Er drängte alle anderen Impulse zurück und verarbeitete den Text.
57 Er war nicht überrascht. So etwas Ähnliches hatte er lange erwartet. Pläne lagen bereits für jeden nur denkbaren Fall bereit. Es galt lediglich, einen davon auszuwählen, der der konkreten Situation am besten gerecht wurde. Varuna an Agni: Die auf Esre Lebenden haben sich als unfähig erwiesen, den ihnen zugewiesenen Raum einzunehmen. Statt dessen lockten sie durch ihr Versagen Wesen in unsere Galaxis, die unseren Plan noch stärker gefährden. Es besteht aber die Aussicht, daß die Eindringlinge wieder verschwinden, wenn es die Esres nicht mehr gibt. Wir müssen die Esres den Fremden opfern. Zu diesem Zweck ist die ,unsichtbare Straße’ zu zerstören, der ,oberste Befehl’ aber aufrechtzuerhalten! Die Panik der Esres wird sie zur leichten Beute der Fremden machen. Agni an Varuna: Die Anweisung wurde ausgeführt. Ich frage jedoch: Wie sollen die Fremden auf Esre landen, wenn das Parafeld erhalten bleibt? Varuna an Agni: Das Parafeld muß erhalten bleiben, damit kein Fremder je Esre betritt und sich mit den Bewohnern verständigt. Nur so ist die Opferung der Esres garantiert. Varuna vibrierte leicht nach dieser Antwort. Seit Jahrtausenden war es nicht mehr vorgekommen, daß Agni eine Anweisung von ihm kritisiert hatte. Jetzt suchte Varuna nach Fehlern in seinem Plan, aber er fand keine. Erneut wollten die Berichte der Außenrezeptoren in ihn dringen, doch er schob sie wieder zurück. Etwas, das er . . .überwunden glaubte, überschwemmte ihn: Gefühl! Die große Vergangenheit seiner Rasse zog wie ein Film an seinem Bewußtsein vorüber. Die Samhitas betrachteten sich als eine „Rasse der Ursprünglichen“. Im Urozean eines längst vergessenen Planeten hatten ihre Ahnen sich entwickelt, waren Stufe um Stufe emporgestiegen, bis sie ihre Wiege verließen und sich über das Universum zerstreuten. Vor Jahrmillionen überschritt ihre Entwicklung den Zenit. Eine großartige Kultur drohte in den Sonnenwinden der Zeit zu verwehen. Da wurde der Plan der Samhitas geboren. Varuna, der Herrscher; Agni, der Krieger; Ashvin, der Ernährer — sie wurden die große Hoffnung ihrer Rasse. In weiser Selbstbeschränkung zog die Rasse sich auf eine einzige Galaxis zurück und sorgte mit Billiarden mechanischer Helfer dafür, daß diese Welteninsel ein Reservat blieb, eine Insel der Ruhe, auf der die Rasse nicht durch den wilden Ungestüm neugeborener, barbarischer Halbintelligenzen gestört werden konnte. Jahrmillionen vergingen. Alle Einzelwesen der Rasse traten während dieser Zeit freiwillig vom Dunkel dieser Welt in die lichten Höhen der „Vereinigung“. Sie starben, weil sie der Unsterblichkeit überdrüssig waren. Nur Varuna, Agni und Ashvin bleiben — und Hotar, aber Hotar war nur der Spiegel ihres gemeinsamen Rassebewußtseins, ein Spiegel aus dem synthetischen Stoffe eines Androiden. Dann kamen die „Herren des Universums“. Sie hatten sich außerhalb des Machtbereichs der Rasse entwickelt. Die Samhitas erkannten rechtzeitig die Gefahr und sorgten dafür, daß die Esres in ihrer neuen Welteninsel nicht heimisch wurden, sondern dorthin zurückstrebten, woher sie kamen. Leider wurden sie daran durch Kräfte gehindert, die von den Samhitas nicht beeinflußt werden konnten. Nun waren die Fremden gekommen, um sich an den Esres zu rächen. So glaubten die Samhitas jedenfalls. Was war einfacher, als beide Konkurrenten gegeneinander auszuspielen und dadurch die Gefahr für die durch Varuna, Agni und Ashvin verkörperte Rasse zu beseitigen! Hotar, der sich schon bisher als treuer Diener seiner Schöpfer bewährt hatte, würde dabei entweder mit geopfert werden oder dann eingreifen, wenn ein Detail des Planes versagte — ein Detail, denn als Ganzes war der Plan unfehlbar! Beruhigt wandte Varuna sich wieder den Routineberichten der Außenrezeptoren zu. Zwei Tage vergingen. Während dieser Zeit meldeten Agnis Außenrezeptoren, daß das große Raumfahrzeug der Fremden im Ortungsschatten des äußeren Planeten
58 verharrte, während ein kleines Fahrzeug sich Esre näherte. Als es auf dem fünften Mond landete, löschte Agni durch einen Befehl an die mechanischen Gehirne der Projektoren die unsichtbare Straße aus. Nun konnten die Ereignisse ihren Lauf nehmen. Und sie nahmen ihren Lauf. Allerdings anders, als Agni es sich vorgestellt hatte. Die Fremden landeten trotz des Parafeldes auf Esre. Das allein war schon eine Unmöglichkeit. Aber noch störte es den Plan nicht. Unruhig wurde Agni erst, als Hotar meldete, daß die Fremden offenbar Pratti Noo, einen wichtigen Mann des Rates von Esre, entführt hatten. Offenbar! Schon bei diesem Wort schlug in Agni eine Alarmglocke an. Seit wann vermochten Hotars Spione nicht mit absoluter Gewißheit zu sagen, was wirklich geschehen war? Es gab nur eine Möglichkeit: Die Fremden konnten sich der optischen Wahrnehmung entziehen! Agni an Varuna: Höchste Gefahr! Die Fremden greifen Esre nicht an, sondern scheinen verhandeln zu wollen. Sie entführten Pratti Noo, ohne daß Hotars Spione etwas davon beobachteten. Varuna an Agni: Hotars Spione sollen weiter beobachten! Wenn die Fremden verhandeln wollen, müssen sie nach Kollanoon. Dort aber werden die Feindseligkeiten beginnen. Der Parabefehl wird deshalb umgeändert und soll lauten „Vernichtet die Fremden!“ Gleichzeitig muß das große Raumfahrzeug der Fremden angegriffen, aber nicht vernichtet werden. Es soll die Angreifer auf Esre vermuten. Agni an Varuna: Und wenn auch dieser Plan fehlschlägt? Varuna an Agni: Hotar wird es uns rechtzeitig mitteilen. In diesem Falle wird das Schiff der Fremden vernichtet und die Oberfläche Esres sterilisiert. * Scotts Erstarrung währte nicht lange. „Sofort über den Psi-Verstärker eine Kurzfassung sämtlicher Informationen an die Taurus absetzen! O’Hara soll eine Kurztransition ausführen und auf dem ersten Mond Esres landen, aber Esre nicht angreifen ! Seine Aufgabe ist, zu beobachten und einzugreifen, wenn die wirklichen Olds sich bemerkbar machen! Die Abschirmmöglichkeit gegen das Parafeld haben Sie ihm doch hoffentlich mitgeteilt?“ „Jawohl, schon lange, Scott“, erwiderte Ojun vorwurfsvoll, während er sich in die enge Sitzschale hinter dem Psi-Verstärker zwängte. Scott lächelte nur flüchtig. „Leutnant McBlaine!“ „Ja, Sir?“ „Sie übernehmen die Steuerung der FA-elf! Wir starten, sobald Ojun mit seiner Durchsage fertig ist. — Leutnant Vacca!“ Der Südländer saß bereits hinter den Waffenschaltungen. „Richtig so, Sir?“ fragte er. Scott nickte. „Gut so. Ich übernehme wieder die Ortung. Pratti Noo! Sie behalten den Transmitterhelm und setzen sich auf den Notsitz neben mir!“ Widerspruchslos kletterte der Esre auf die herausgeklappte, schmale Bank und hielt sich an einem Elastik-Griff fest. „Ich werde mich hüten, den Helm abzunehmen. Wenn ich es getan hätte, wäre ich wahrscheinlich bereits über Sie hergefallen — falls das mit dem neuen Parabefehl stimmt . . .“ Er schickte einen fragenden Blick zu dem beschäftigten Ojun. Scott sah es und lächelte. „Es stimmt. Darauf können Sie sich verlassen. Aber für Erklärungen haben wir später noch Zeit. Hoffentlich!“ fügte er hinzu.
59 „Fertig!“ rief Ojun und nahm die Übertragungshaube ab. „Start!“ befahl Scott. „Schulze-Hammerschmidt einschalten und Kurs auf die Tempelfestung nehmen!“ McBlaine bediente mit tausendfach geübten Griffen die Schaltungen des Aufklärers. Die Impulstriebwerke konnten aus verständlichen Gründen nicht benutzt werden, aber für den Katzensprung zur Tempelfestung wurden sie auch gar nicht gebraucht. Lautlos erhob sich der stählerne Diskus und trug fünf mutige Männer nach Westen. Sie hielten sich nicht über Kollanoon auf, obwohl Scott besorgt feststellte, daß die bislang panische Unrast der Bewohner wieder ein Ziel gefunden hatte. Das Ziel war ganz offensichtlich der Kranz der Werften und Raumhäfen, denn die ersten Gleiterkolonnen mit Mannschaften strebten bereits über die aus dem Stadtkern führenden Hochstraßen. Noch schienen die Esres nicht zu wissen, wo die im Parabefehl erwähnten Fremden sich aufhielten, aber für eine geeinte, raumfahrende Rasse konnten Fremde logischerweise nur aus dem Weltraum kommen. Sie bereiteten sich also auf die Abwehr einer Invasion vor. Dann lag die Tempelfestung unter ihnen. „Anhalten!“ befahl Scott. McBlaine bremste den Flug des Aufklärers ab und brachte ihn zweihundert Meter über den fensterlosen, würfelförmigen Gebäuden zum Halten. Scott brauchte keine Vergrößerung, um alle Einzelheiten zu erkennen. Leider gab es wenig zu sehen, außer den Gebäuden selbst. „Welcher Art ist die Verteidigung?“ wandte sich Scott an Pratti Noo. Der Esre zuckte die Schultern. „Keine Ahnung. Ich weiß nur, daß der Hotar sich meist nur in dem etwas größeren Gebäude im Zentrum des Komplexes aufhält.“ Scott nickte nachdenklich. „Ojun!“ Der Psychologe schnallte seufzend den Waffengürtel ab und griff nach seinem Spezialanzug. „Weiß schon Bescheid. Wir wollen hinunter und dem Hotar einen Besuch abstatten, wie?“ „Erraten!“ sagte Scott. Er griff ebenfalls nach seinem Spezialanzug und stieg hinein, während er McBlaine und Vacca einschärfte, auf gar keinen Fall in die bevorstehenden Ereignisse einzugreifen, es sei denn, Ojun und er kämen nach Ablauf von drei Stunden nicht wieder zurück. Dann sei die Tempelfestung rücksichtslos zu stürmen. Scott selbst machte sich keine Illusionen über die Hilfe der beiden Leutnants. Wenn es Ojun und ihm nicht gelang, für sich selbst zu sorgen, konnte ihnen aller Voraussicht nach niemand mehr helfen. Scott und Ojun schwebten mit Hilfe ihrer Anzug-Antigravs zum Boden hinunter. Sie mußten sich an den Händen halten, da die Lichtwellenbrecher sie für normale Augen unsichtbar machten. Allerdings halfen sie nichts gegen Radar- oder Infrarotortung. Scott konnte nur hoffen, daß niemand in der Tempelfestung mit einer Annäherung von oben rechnete. „Okay!“ hörte er plötzlich Ojun flüstern. „Sie können mich loslassen, Scott. Die Paraimpulse sind verschwunden. Ich kann Sie also jederzeit geistig aufspüren.“ Scott war unwillkürlich zusammengezuckt. Dadurch verpaßte er die Landung und stürzte. Aber er sprang sofort wieder auf die Füße. „Wahrscheinlich ist die Festung des Hotar gegen das Feld abgeschirmt“, flüsterte er. „Uns soll es nur recht sein.“ „Was nun? Der Klotz hat keinen Eingang!“ sagte Ojun. Scott wandte sich wieder dem Hauptgebäude zu. Ojun hatte recht. Der Ausdruck „Klotz“ war nicht übertrieben. Die Residenz des Hotar war einer schwarzer Würfel.
60 Seine Kantenlänge mochte fünfzig Meter betragen, aber das Fehlen von Türen und Fenstern oder irgendwelchen Unebenheiten vermittelte den Eindruck eines vom Himmel gefallenen massiven Würfels. Ja, was nun? dachte Scott. „Irgendwie muß der Hotar doch hinein- und hinauskommen!“ wandte er sich an Ojun. „Warten Sie einmal! Möglicherweise liegt der Eingang unter der Erde. Dann mündet er sicher in einem der anderen Gebäude. Suchen wir also dort weiter!“ Beide Männer ahnten, daß die Zeit gegen sie arbeitete und beeilten sich entsprechend. Endlich, eine halbe Stunde war bereits verstrichen, fanden sie in einem der Nebengebäude einen schmalen Eingang. Er war unbewacht. Scott vermutete, daß demnach die Tempelfestung von anderen, unsichtbaren Sperren umgeben war. Ohne Zögern drang er ein. Ojun folgte seinen Gedankenimpulsen. Zuerst kam ein finsterer, schnurgerader Gang. Er mündete nach zwanzig Schritten in einen rechteckigen Raum, an dessen Wänden sich ebenso rechteckige Öffnungen befanden. Es waren die Eingänge zu Antigravschächten. Scott hielt die Hand in einen hinein und spürte als erfahrener Astronaut sofort die dort herrschende Schwerelosigkeit. Der Lift war in Betrieb. Besser konnten sie es gar nicht treffen. Allerdings dachte Scott auch an die Möglichkeit, daß man ihnen eine Falle gestellt hatte, aber das mußte in Kauf genommen werden, wenn nicht der Erfolg der Aktion „Finale“ im letzten Augenblick in Frage gestellt werden sollte. Die Impulsblaster in den Fäusten, sprangen sie hintereinander in den Schacht und ließen sich nach unten treiben. Insgeheim fürchtete Scott schon, sie könnten den falschen Lift genommen haben, einen, der keine Verbindung zu den vermuteten unterirdischen Gängen hatte. Aber als sie auf dem Schachtboden landeten, erkannten sie, daß sie den gleichen Verteilerraum wie oben vor sich hatten. Nur, diesmal führten die Türöffnungen nicht in Liftschächte, sondern in rötlich beleuchtete Flure. „Was nun?“ fragte Ojun. „Welchen nehmen wir?“ „Das ist nicht schwer“, dachte Scott zurück. „Ich habe den Kompaß beobachtet.“ Er hob das Armbandgerät vor seine Augen. „Das Hauptquartier des Hotar liegt südöstlich von hier. Das wäre dieser Gang.“ Ohne Ojuns Antwort abzuwarten, durchschritt er die Türöffnung und eilte den Gang hinunter. „Warum benutzen wir nicht die Anzug-Antigravs?“ meinte Ojun. „Hier drin könnte man die Streufelder des Äntigravs orten“, entgegnete Scott. „Außerdem haben wir es nicht weit.“ Nach einer Viertelstunde erreichten sie einen neuen Verteilerraum. Nach Scotts Berechnung mußte er unmittelbar unter dem Hauptgebäude liegen. Allmählich kam es Scott doch unheimlich vor, daß noch kein einziges lebendes Wesen ihnen begegnet war. Sollte der Hotar vielleicht in ein Ausweichquartier übergewechselt sein? Doch darauf fand weder Scott noch Ojun eine Antwort. Sie konnten nichts anderes tun, als ihre Suche fortzusetzen. Zwei Stunden hatten sie noch Zeit. Dann mußten sie wieder im Aufklärer sein, oder McBlaine würde angreifen. Es wäre peinlich, wenn er eine verlassene Festung eroberte; zudem müßte das die noch beeinflußten Esres aufmerksam machen. Stockwerk für Stockwerk kämmten sie durch. Bisher war der Erfolg gleich Null gewesen, obwohl die Infrarotschlösser der Türen ihnen keinerlei Widerstand entgegensetzten. Nach Scotts Schätzung befanden sie sich im obersten Stockwerk, als sie auf die Robotwachen stießen. Es ging alles sehr schnell. Im ersten Augenblick dachten sie, die Lichtwellenbrecher würden sie auch gegenüber Robots schützen. Doch schnell sahen sie ihren Irrtum ein. Robots pflegen gewöhnlich keine optischen Wahrnehmungsorgane zu besitzen, selbst wenn man sie — des besseren Aussehens wegen
61 — mit Augen versieht. Die beiden vor der von reichen Verzierungen umgebenen Tür waren keine Ausnahmen. Blitzschnell kamen ihre Arme mit den klobigen Waffen nach oben. Scott und Ojun entgingen der Vernichtung nur, weil sie sich sofort zu Boden warfen. Hinter ihnen barst knallend eine Wand, und eine Glutwelle schlug über ihnen zusammen. Aber Scott und Ojun hatten bereits im Fallen das Feuer erwidert. Die Robots glühten blauweiß auf und sanken schmelzend in Sich zusammen. Scott hatte die Lage als erster richtig erfaßt. Die Tatsache, daß die Robots sofort schossen, bedeutete, daß man ihnen keine Falle gestellt hatte, sondern daß sie bisher der Ortung entgangen waren. Offensichtlich fühlte der Hotar sich in seinem Bau sehr sicher. Scott wußte aber auch, daß sich die Lage nunmehr geändert hatte. „Vorwärts!“ schrie er Ojun zu. Er stürmte auf die Tür los. Das Schloß reagierte ebenso auf Wärmestrahlung wie alle anderen Schlösser dieses Gebäudes. Lautlos schob sich die glatte Tür in die Wand. Gelbes Licht fiel aus einem fensterlosen Raum. Nur Bildschirme übertrugen die Außenwelt. Und vor einem dieser Bildschirme stand eine Gestalt. Sie hielt einen Blaster in der Hand, schien aber noch zu zögern. Scott wagte ebenfalls nicht zu schießen, denn er wollte den anderen lebend, und er konnte jetzt nicht seine Waffe auf geringe Intensität umstellen. Da griff Ojun ein. Das Dolchmesser, das er stets bei sich zu tragen pflegte, steckte plötzlich in der Hand ihres Gegenübers. Mit einem schwachen Aufschrei ließ die Gestalt die Waffe fallen. Scott schaltete seinen Deflektorschirm ab. Neben ihm tat Ojun das gleiche. Jetzt waren sie sichtbar. „Komisch!“ murmelte Ojun. „Was ist komisch?“ fragte Scott ärgerlich, ohne sich umzudrehen. „Der andere denkt überhaupt nicht.“ „Unsinn!“ entgegnete Scott. „Er ist doch kein Robot. Sonst hätte er vorhin keinen Schmerz verspürt.“ Mißtrauisch musterte Ojun den Fremden. Scott aber entsann sich wieder seiner eigentlichen Aufgabe. „Gehen Sie an die Tür!“ befahl er dem Psychologen. „Und halten Sie mir den Rücken frei!“ Er schaltete den Translator ein. „Sie sind der Hotar!“ stellte er mit Bestimmtheit fest. Der andere umklammerte seine verletzte Hand immer noch. „Ja, ich bin der Hotar“, entgegnete er mit kaum hörbarer Stimme, die so gar, nicht zu seiner breiten, humanoiden Gestalt passen wollte, „und Sie sind einer der Fremden, die die Ruhe unserer Rasse stören. Aber Sie haben Ihr Leben verwirkt. Nie wieder werden Sie lebend den Tempel verlassen.“ „Das werden wir sehen!“ erwiderte Scott fest, obwohl er sich klar darüber war, daß die Worte des Hotar ihre Berechtigung hatten. „Schalten Sie das Parafeld aus!“ befahl er barsch. Der Hotar lachte lautlos. „Sie sind schlau, aber nicht schlau genug. Niemand kann mich zwingen, etwas gegen meinen Willen zu tun. Auch Sie nicht.“ Scott glaubte ihm. Aber er hatte seine Absicht nicht ohne Grund so direkt herausgesagt. Der verstohlene, aus der Überraschung geborene Blick des Hotar zu einer vor der Wand stehenden, armdicken, mattgrün schimmernden Säule war ihm nicht entgangen. „Ojun!“ „Ja?“ „Wie sieht es draußen aus?“
62 „Es rührt sich nichts.“ „Trotzdem ist Ihre Frist nur noch kurz“, sagte der Hotar. Scott zuckte nur verächtlich mit den Schultern. „Ojun! Kommen Sie ‘rein. Schließen Sie die Tür, und halten Sie den Hotar in Schach!“ Ojun schlüpfte herein, zwinkerte Scott verschmitzt zu, obwohl ihm der Angstschweiß von der Stirn perlte, und baute sich mit drohend erhobener Waffe vor dem Hotar auf. „Nimm keine Rücksicht, wenn er sich bewegt!“ befahl Scott. Diese Anordnung widersprach zwar seinen Prinzipien, aber er sah keine andere Möglichkeit mehr, ungestört das zu tun, was seiner Meinung nach die Macht des Hotar und der geheimnisvollen Samhitas brechen mußte. Mit steinernem Gesicht trat er an die grüne Säule heran. Das gellende Aufkreischen des Hotar bestätigte nur seine Vermutung. Doch die Waffe Ojuns hielt den Gefangenen zurück. Scott untersuchte sorgfältig die Säule. Er fand drei Knöpfe auf ihrer ebenen Oberfläche. Welcher war der richtige? Unschlüssig verharrte seine Hand auf dem ersten Knopf. Er fühlte, wie er vor Erregung am ganzen Körper transpirierte. Was würde geschehen, wenn er den falschen Knopf eindrückte? Er zuckte zusammen, als hartes Trampeln vom Flur hereindrang. Aus den Augenwinkeln erkannte er, wie Ojun den Hotar mit dem Kolben seines Blasters niederschlug und dann kniend die Tür anvisierte. Er durfte nicht länger zögern! Knakkend rastete der Knopf ein. Im selben Augenblick erlosch das grüne Flimmern der Säule und machte einen immer dunkler werdenden Rot Platz. Scott, der sich schweratmend mit der Hand auf die Säule gestützt hatte, fühlte die durch seine Handschuhe dringende Hitze. Entsetzt sprang er zurück. Die Oberfläche der Säule leuchtete jetzt in Weißglut. Zischend verschmorte an ihrem Fuß der Plastikbelag des Bodens. Hinter sich hörte er das Krachen einer Blasterentladung. Er fuhr herum und sah gerade noch, wie hinter der spaltbreit geöffneten Tür etwas explodierte. Er schaltete seinen Armbandsender ein. „Hallo, McBlaine! Bitte kommen!“ „Hier Leutnant McBlaine, Sir. Sollen wir Sie herausholen?“ „Warten Sie noch! Nehmen Sie Ihren Transmitterhelm ab!“ Eine Weile vernahm Scott nur das hastige Atmen McBlaines. Dann kam der überraschte Aufschrei: „Das Feld ist weg! Das Parafeld existiert nicht mehr, Sir!“ Scott lächelte befriedigt. „Dann können Sie eingreifen, McBlaine. Peilen Sie meinen Sender an, und schneiden Sie mit den Desintegratoren eine Gasse! Aber sehen Sie sich vor! Wenn sich irgendwo etwas regt, schlagen Sie sofort zu. Verstanden?“ „Verstanden, Sir. Vacca hat Sie angepeilt. Bleiben Sie, wo Sie sind. Wir kommen!“ Scott hörte bereits nicht mehr hin. Ojun allein vermochte die Angreifer nicht mehr länger abzuwehren. Zwar wollten diese offenbar den Hotar schonen und beschränkten sich vorläufig noch darauf, mit Schüssen schwacher Intensität die Tür Stück für Stück zu zerstören, aber sie waren in der Übermacht und konnten deshalb ihre Verluste sofort ersetzen. „Keine Gedankenimpulse!“ zischte ihm Ojun während einer kurzen Feuerpause zu. „Entweder gibt es hier nur Roboter oder . . .“ Er gab zwei schnelle Feuerstöße auf die Öffnung ab. „Oder . . .?“ fragte Scott gedehnt. Doch Ojun zuckte nur mit den Schultern. In diesem Augenblick fuhr grelles Feuer über die Wandbildschirme des Zimmers. Dann erbebte zugleich mit mehreren heftigen Donnerschlägen das ganze Gebäude. Wahrscheinlich kämpfte draußen McBlaine die Verteidigungsanlagen nieder. Das mußte für die Angreifer auf dem Flur das Signal gewesen sein, ihr Feuer zu verstär-
63 ken. Die Tür barst in einer grellen Glutwolke. Scott und Ojun wechselten ihre Stellung und schossen auf die hereindrängenden, metallisch glänzenden Gestalten. Aber jetzt fauchten auch die Schüsse der Roboter kreuz und quer durch den Raum. Die beiden Verteidiger hatten Mühe, den Schüssen zu entgehen. Lange würden sie sich nicht mehr halten können. Soeben drängte sich eine neue Phalanx von Robotern zwischen ihren zerschossenen Artgenossen hindurch, als hinter ihnen eine grünlich fluoreszierende Wolke aufquoll. Der Angriff der Robots kam ins Stocken. Scott und Ojun nutzten das Eingreifen McBlaines aus und vernichteten die Roboter. Es kamen keine neuen hinzu. In der Hitze des Gefechts hatten die Männer keine Zeit gefunden, sich um den Hotar zu kümmern. Sie waren völlig überrascht, als der, den sie noch bewußtlos glaubten, mit einem Satz zwischen ihnen hindurchlief und auf die Tür zustürmte. Scott öffnete den Mund zu einem Warnruf. Doch er kam zu spät. Der Hotar war bereits im Wirkungsbereich des Desintegrators zu grünlichem molekularen Gas geworden. Schließlich zerflatterten die Gasschwaden. Scott und Ojun erkannten, daß die eine Hälfte des Gebäudes verschwunden war. Im Hintergrund loderten brausend die Flammen der zerstörten Nebengebäude in den von schwarzen Qualmwolken verdekten Himmel. Sekunden später erzitterte das Hauptgebäude erneut. Diesmal jedoch nicht unter einer neuen Explosion, sondern unter dem heftigen Stoß, mit dem der Diskus des Fernaufklärers anlegte. Aus der offenen Luke des Notausstiegs schaute McBlaines besorgtes Gesicht. Es verklärte sich, als Scott und Ojun sich bemerkbar machten. „Kommen Sie ‘rein, Sir!“ rief McBlaine. „Pratti Noo hat Verbindung mit der Regierung von Esre. Sie ist zu Verhandlungen bereit. Wir haben gewonnen!“ Scott nickte mechanisch und schob Ojun zur Luke. „Steigen Sie ein!“ Leise sagte er: „Hoffentlich täuschen Sie sich nicht, McBlaine!“ Agni an Varuna: Hotar ist nicht mehr. Das Parafeld wurde abgeschaltet. Was soll geschehen? Varuna an Agni: Setze die letzte Waffe ein! Die Projektoren sollen ein Hüllfeld aus Antimaterie um Esre aufbauen und danach den Durchmesser verkleinern. Sobald Reaktionen auf Esres Oberfläche festgestellt werden, müssen die Projektoren abgeschaltet werden. Esre soll sterilisiert werden, aber nicht verschwinden! Agni an Varuna: Soll ich nicht warten, bis das große Schiff der Fremden wieder auftaucht? Die Außenrezeptoren haben es verloren. Varuna an Agni: Es kann uns nicht gefährlich werden. Zögere nun nicht länger! * Die Zentrale der Taurus glich einem Irrenhaus. Scheinbar! O’Hara konnte sich mit Misuro Hata nur über die Helmanschlüsse des Interkoms verständigen. Das urwelthafte Aufbrüllen der Triebwerke übertönte die akustischen Signale der Instrumentenbühne und das stetige Summen der Quantengehirne bei weitem. „Hier O’Hara an Hata! Wo sind wir aus der Transition gekommen?“ „Hier Hata! Transitionsaustritt wie befohlen eintausend Kilometer über dem ersten Mond Esres. Aber der Planet scheint zu brennen, Sir. Er ist von einer atomaren Glutwolke umgeben.“ O’Haras Gesicht verzerrte sich. „Rufen Sie sofort Scott an!“ „Aber, Sir! Der General hat befoh . . .“ „Damit kann er nicht gerechnet haben. Bis zum Kontakt habe ich das Kommando!“ Er räusperte sich und fragte etwas ruhiger: „Was ist eigentlich mit den Schutzschir-
64 men los?“ „Antimaterieprojektion, Sir. Ich habe bereits die Low’schen Plasmaprojektoren einsetzen lassen.“ „Okay! Stellen Sie fest, wo der Angreifer sitzt, Hata!“ „Jawohl, Sir.“ Und nach Sekunden, die O’Hara wie eine Ewigkeit vorkamen: „Angreifer erkannt, Sir. Er befindet sich auf dem ersten Mond. Tausende von Projektoren müssen es sein.“ O’Hara fühlte, wie seine Glieder eiskalt wurden. Er schüttelte sich. Mit einer Stimme, an der ihn sein bester Freund nicht erkannt hätte, befahl er: „Setzen Sie so lange Kristalltorpedos gegen den Mond ein, bis kein Projektor mehr existiert!“ Hata keuchte entsetzt. „Sir, das bedeutet die völlige Vernichtung allen Lebens auf dem Mond, vielleicht die Auflösung des Mondes! Das kann ich nicht verantworten.’’ „Aber ich!“ flüsterte O’Hara. „Entweder Esre oder der Mond. Ich befehle Ihnen zum letztenmal: Feuern Sie!“ „Jawohl, Sir!“ O’Hara stützte den Kopf in die Hände und schloß die Augen. Er wußte, daß der Mond dem Untergang geweiht war, aber er wußte auch, daß dies die einzige Möglichkeit war, Esre und Scott zu retten — wenn es diese Möglichkeit überhaupt noch gab. * Scott bemerkte die Veränderung sofort, als der Aufklärer durch die Qualmwolken stieß und Kurs auf Kollanooon nahm. Der Himmel schien zu glühen. Ahnungsvoll entnahm Scott dem Materieorter das Diagrammbild. Er erschrak. Dieses Anschnellen der Magnetschreiber war ihm bekannt. Aber hier kam noch etwas anderes dazu. Ein Stück nach dem jähen Ansteigen der Diagrammkurve bildete sich unterhalb der Minuslinie eine Kurve mit umgekehrtem Vorzeichen. Antimaterie! Antimaterie in stetiger Einwirkung auf die oberen Schichten der Atmosphäre! Scott tat einen tiefen Atemzug. Dann wandte er sich an Pratti Noo und sagte mit tonloser Stimme: „Rufen Sie Ihre Regierung noch einmal an und sagen Sie, daß sofort alles zur Evakuierung Ihres Volkes veranlaßt werden muß!“ Pratti Noo blickte Scott entsetzt und verständnislos an. Scott deutete auf die den Himmel zeigenden Bildschirme. Die Glut schien näher gerückt zu sein. Als Pratti Noo dann noch das Diagrammbild gesehen hatte, begriff er. Ohne Erwiderung stellte er die Verbindung zum Rat von Esre her. Dort war man ebenfalls auf die Erscheinung aufmerksam geworden. Aber man wollte Pratti Noo nicht glauben. Erst, als er das Diagrammbild übermittelte, verstand man. Pratti Noo schaltete den Sender aus und blickte Scott traurig an. „Wir werden höchstens ein Zehntel der Bevölkerung in die Raumschiffe bekommen.“ „Besser ein Zehntel als gar nichts“, erwiderte Scott. Dann wandte er sich ab. Im stillen bezweifelte er, ob überhaupt nur ein einziges Schiff in der Lage war, die Esre umhüllende Schale aus Antimaterie zu durchdringen. Wahrscheinlich waren sie alle verloren. Die FA-11setzte sanft auf dem Hochhaus des Rates von Esre auf. Scott nickte Pratti Noo zu. „Kümmern Sie sich jetzt nur noch um die Evakuierung. Verhandlungen haben Zeit bis später.“ „Kommen Sie nicht mit?“ fragte der Esre.
65 „Nein. Aber wir bleiben hier. Ich will versuchen, Verbindung mit meinem Schiff aufzunehmen. — Leutnant Vacca!“ Ärgerlich zog Scott die Augenbrauen hoch. Vacca hockte vor dem Sender und antwortete nicht. „Leutnant Vacca!“ Jetzt drehte sich der Leutnant um. „Sir! Die Taurus! Soeben meldet sich die Funkstation der Taurus. Sie legen das Gespräch zum Leitstand um.“ Scott erhob sich und trat neben Vacca. Die Mattscheibe des Telekoms zeigte das Karomuster. Doch dann verschwand das Verbindungszeichen, und O’Haras Gesicht erschien. „Gott sei Dank!“ stöhnte O’Hara. „Ich dachte schon . . .“ „Höre mich an!“ unterbrach ihn Scott. „Ich weiß nicht, wie lange wir hier unten noch zu leben haben. Schalte das Speichergerät ein! Ich habe noch einige Mitteilungen zu machen.“ Er schüttelte den Kopf, als O’Haras Gesicht aus dem Aufnahmebereich verschwand. Gleichzeitig hörte er die automatische Warnanlage des Aufklärers heulen. „McBlaine! Stellen Sie das Ding ab!“ befahl er. Nun, wo er wußte, daß es kein Ausweichen mehr vor dem Tode gab, wurde er wieder völlig ruhig. Da tauchte O’Hara wieder auf. Seltsamerweise schien er erleichtert. „Hallo, Gordon . . .?“ „Hast du das Band . . .?“ „Der Feind ist vernichtet!“ rief O’Hara dazwischen. „Wir haben dich angepeilt. In zehn Minuten sind wir dort.“ „Aber so höre . . .!“ Scott verstummte, denn O’Hara hatte kurzerhand abgeschaltet. Erst jetzt drang das ferne Gebrüll aus unzähligen Kehlen in sein Bewußtsein. Es ist also schon soweit, dachte er. Da fühlte er sich von kräftigen Armen gepackt. Sein Kopf wurde so gedreht, daß sein Blick zum Top-Bildschirm wies. „Da!“ vernahm er die überschnappende Stimme Ojuns. „Haben Sie keine Augen mehr im Kopf, Scott?“ Fassungslos starrte Scott zum Himmel. Das tödliche Glühen war verschwunden. Nur einzelne Gebiete strahlten noch nach. Es sah aus, als leuchteten zerfaserte Wolkenschleier im Abendrot. Nun erst begriff er das Verhalten des Freundes. Ein Blick auf die Plattformen der Hochhäuser ringsum ließ ihn die Ursache des Gebrülls erkennen, das er eben noch für Schreckensschreie gehalten hatte. Dort standen dicht an dicht die buntgekleideten Bewohner Kollanoons und schrien die Freude über ihre Rettung und die Befreiung von der Sklaverei des Parafeldes hinaus. Ojun verzog in lautlosem Lachen die Lippen. „Das ist noch nicht alles, Scott. Ich empfange die Gedankenimpulse der Ratsmitglieder von Esre. Sie sind auf dem Wege zu uns, und sie wollen den Frieden.“ Scott erhob sich und legte dem Parapsychologen die Hand auf die Schulter. „Das ist erst der Anfang, Ojun.“ Die in seine Züge geprägte Erschöpfung wurde sekundenlang von einem glücklichen Lächeln verdrängt, als hinter der Silhouette der Stadt die Taurus mit flammenden Triebwerken niederging. Zwar würde nun niemals mehr das Rätsel des Mondes Looma geklärt werden können, aber das Vermächtnis war erfüllt — das Vermächtnis, das die Besatzung des vor Jahrtausenden gescheiterten Sethschiffes noch im Tode an die Menschheit weitergab. ENDE
66 Als nächster TERRA-Band (Nr. 381) erscheint:
Sterbliche Sternengötter von Kurt Brand
Viele Raumfahrer wissen von Begegnungen mit den Sternengöttern zu berichten — doch auf der Erde hält man die Berichte für Märchen . . . Ein neuer utopisch-phantastischer Roman des bekannten PERRY-RHODAN-Autors! In wenigen Tagen erhalten Sie diesen TERRA-Band überall im Zeitschriften- und Bahnhofsbuchhandel. Preis 70 Pfg.
Der Moewig-Verlag in München ist Mitglied der Selbstkontrolle deutscher Romanheft-Verlage „TERRA“ Utopische Romane, Science Fiction, erscheint wöchentlich im Moewig-Verlag, 8 München 2, Türkenstraße 24, Postscheckkonto München 139 68. Erhältlich bei allen Zeitschriftenhandlungen. Preis je Heft 70 Pfg. Copyright 1965 by Arthur Moewig Verlag München. Printed in Germany. Gesamtherstellung: Buchdruckerei Hieronymus Mühlberger, Augsburg. Moewig-Anzeigenverwaltung: 8 München 2, Theresienstraße 110, Telefon 52 91 44. Zur Zeit ist Anzeigenpreisliste Nr. 9 gültig. Für die Herausgabe und Auslieferung in Österreich verantwortlich: Farago & Co., Baden bei Wien. Dieses Heft darf nicht in Leihbüchereien und Lesezirkeln geführt werden und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden.