KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
OTTO
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ZIERER
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VERLAG...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
OTTO
DAS
ZIERER
ZEITALTER
DER
VERLAG
HEFTE
MEDICI
SEBASTIAN
LUX
MURNAU • M Ü N C H E N • I N N S B R U C K • Ö L T E N
Als die große Zeit der Hohenstaufen um die Mitte des 13. Jahrhunderts in großer Wirrnis zu Ende geht, beginnt nicht nur für Deutschland die „kaiserlose, die schreckliche Zsit"; auch in Italien, das dem Reiche seit den Zeiten Ottos des Großen verbunden gewesen ist, greifen Unsicherheit und Unruhe um sich. Die Parteien und Bünde, die fast allen deutschen Kaisern auf ihren Römerzügen zu schaffen gemacht haben, erheben trotziger als je zuvor ihr Haupt. Der Riß zwischen den Anhängern des Reiches und den Anhängern Frankreichs, zwischen den Verfechtern der Städtefreiheit und den Parteigängern der Reichshoheit zieht auf der Halbinsel durch alles Geschehen der Zeit. Unter dem Zeichen des Drachens und des Adlers sammelt sich die Partei der kaisertreuen Ghibellinen; gegen die drohende IViederaufAchtung der kaiserlichen Machtstellungen sind die Symbole ihrer Gegner gerichtet: der den Drachen zerreißende Adler oder das französische Lilienwappen. Die Zerklüftung aber geht noch tiefer; fast in jeder Stadt bedeutet der Name Guelfen und Ghibellinen ein anderes Programm, das manchmal nichts mehr mit den Fragen der großen Politik zu tun hat. Feindschaft wühlt selbst innerhalb der Familien; Mißtrauen, Verrat und der Geist der Verschwörung liegen wie Pesthauch über der so reich gesegneten Landschaft Italien. V o n starken Mauern und Türmen umkränzt, breitet sich Florenz am rechten Ufer des Arno aus. Der Himmel ist wolkenlos, scharf scheiden sich Schatten- und Sonnenseite in den Gassen der Stadt. Auf den grünen Apenninenhöhen am jenseitigen Ufer leuchten die weißen Häuser des Klosters San Miniato, im Norden steigt das Land steil zu den Bergen hinauf, die gekrönt sind von den Mauern und Türmen des Bergstädtchens Fiesole. Seit Jahrzehnten haben großer Wohlstand und eine reich sich entfaltende Kultur ihre Heimat in Florenz, das seine politische und wirtschaftliche Macht in der Zeit der Kämpfe mit den Hohenstaufen beherrschend ausgebaut hat. Das Volk unter dem strahlenden Himmel der Toskana, der herrlichen Florentiner Landschaft, kennt den feinsinnigen und abgewogenen Genuß des Lebens, es träumt im Blumenduft seiner Gärten, umgeben von Schönheit und allen Gaben der Natur, geborgen im Besitz innerer und äußerer Reichtümer. Von Zeit zu Zeit aber erbebt auch Florenz im 2
vulkanischen Ausbruch politischer Leidenschaften der Stadtgcschlechter und der Parteien. Breit und gewichtig liegt der Schatten der mächtigen, festgebauten Paläste der großen Bankherren auf den Straßen und Plätzen. Florenz ist der Geldgeber des Abendlandes. Der vor wenigen Jahren eingeführte Florentiner Goldgulden gilt als die sicherste Münze der Welt; in unverfälschtem Gold kommt er aus der Präge der Arnostadt. Vor zehn Jahren — 1250 — hat sich Florenz eine demokratische Verfassung gegeben. Ein Volks-Capitano leitet als gewähltes Oberhaupt die Geschicke der großen Stadt. Aber die Neuordnung in der Verwaltung der Stadt hat den Streit der Parteien nicht zur Ruhe kommen lassen. Da sind die verarmten und ihrer Macht entkleideten Adelsgeschlechter, denen das aufstrebende Großbürgertum den bestimmenden politischen Einfluß entrissen hat. Diese adeligen Familien, deren Väter und Vorväter in den Heeren der deutschen Kaiser gegen die Mauern Mailands und Borns gestürmt haben, hausen in ihren festungsartigen Palästen, pochen auf die Macht ihrer schwerterprobten Reisigen und versuchen, ihren alten Einfluß in den städtischen Körperschaften wiederzugewinnen. Fast alle Adeligen gehören den Ghibellinen, den Gegnern der Verfassung, an. Ihre gefährlichsten Gegner sind die Bankherren, die Färber- und Tuchkönige, jene Schicht der Kaufleute, die mit ihren gefüllten Kassen allen Widerstand aus dem Weg geräumt und die Verfassung durchgesetzt haben. Das besitzlose Volk der Arbeiter und Werkleute ist von Sitz und Stimme in Rat und Regierung ausgeschlossen, aber wegen seiner Überzahl beachtet und gefürchtet. Im Jahre 1260 wird der erbitterte Kampf der Guelfcn und Ghibellinen aus Florenz auf das Feld der großen abendländischen Politik getragen. Einer der letzten Hohenstaufen, König Manfred, Reichsverweser in Italien, ist den Ghibellinen in der Stadt zu Hilfe geeilt und besiegt mit ihrer Unterstützung bei Montaperto die Guelfen von Florenz und ihre Verbündeten aus anderen oberitalienischen Städten. Manfred übernimmt für kurze Zeit die Schutzherrschaft über große Teile der Toskana. Im Triumph kehren die Ghibellinen, geleitet von deutschen Rittern, nach Florenz zurück, um den Sieg durch Rachetaten an ihren guelfisch-demokratisch gesinnten Mitbürgern zu vollenden. 3
1260: Zwietracht und Blutfehde Das Heer der siegreichen Ghibellinen stampft die Straße von Montaperto heran und erreicht das antike, römische Theater bei Fiesole. Altes Gemäuer aus Römertagen verwittert am Straßenrand, Pinien breiten ihre Schirme, und schlanke Zypressen stehen ernst vor dem seidigen Blau des toskanischen Himmels. Aus den Gärten der kleinen Bergstadt, deren alter Dom und finsterer Palazzo Pretorio geduckt hinter schmächtigen Stadtmäuerchen ragen, weht ein betäubender Duft von Rosen, Jasmin und Orangenblüten. Die Glocken läuten. Der edle Herr Farinata degli Uberti, Führer der siegreich heimkehrenden Florentiner Ghibellinen, gibt seinem Schlachtroß die Sporen, mit offenem Visier und flatterndem Wappenmantel sprengt er zur Spitze der Kolonne. Er kann es kaum noch erwarten, Florenz wiederzusehen, die geliebte Stadt, die Mutter, die ihre adeligen Söhne verstoßen hat. So trabt er vorbei an der klirrenden Schar der deutschen Hilfstruppen, die vom Grafen San Severino angeführt werden. Die Deutschen haben die schweren Stechhelme abgesetzt, ihre Gesichter glühen unter der Sonne, langsam folgt die Gruppe der Lanzenträger vom Tal herauf. Als erster erreicht Farinata degli Uberti die Höhe, reitet auf den Stadtplatz von Fiesole ein und lenkt sein Roß auf die ihm wohlbekannte Terrasse, die den herrlichen Blick auf das Arnotal freigibt. Florenz! Die Toskanal Das Silberband des Arno windet sich durch ein zart gefärbtes, von Gärten und Hainen bedecktes Tal, aus dem weiße Landgüter, Villen und pastellfarbene Gehöfte aufscheinen. Fast bis vor die zinnengekrönten Mauern der Stadt reichen die Hänge mit den Olivengärten und Weinbergen. Welch eine reine, weiche Luft füllt diese grüne Schale, in deren Mitte Florenz liegt mit seinem Gezack von Turmspitzen, Palastgiebeln, Fachwerkhäusern und Bastionen! Das schmale Band der Straße führt von Fiesole in einer weitgezogenen Schleife dem Nordtor von Florenz zu, das die Bergseite der Stadt schützt. Deutlich erkennt Herr Farinata degli Uberti das ragende Achteck der uralten Dom- und Taufkirche, des Bap4
tisteriums, in dem allein nach uraltem Brauch jeder neugeborene Florentiner getauft wird. Tränen der Freude und Rührung verdunkeln den Blick des Siegers, er breitet die Arme aus, als wolle er diese Erde und jene Stadt, die ihm als die schönste der Welt erscheint, umfangen. Von der Straße, die auf den Kirchplatz von Fiesole führt, dringt in diesem Augenblick Lärm und Klagegeschrei herüber. In langes Prozession, in Sack und Asche daherschreitend, nahen sich die guelfischen Häupter von Florenz, jene Demokraten, die vor einem Jahrzehnt unter dem Capitano die Eidgenossenschaft des Volkes gegründet und die Zünfte nach den sechs Quartieren der Stadt in Kriegshaufen geteilt haben. Mit 20 Bannerschaften sind sie samt den Hilfsvölkern der Umgebung gegen den Adel ausgezogen und geschlagen worden. An der Spitze der Gedemütigten geht mit gesenktem Haupte, den Strick um den Hals gelegt, der Capitano, der frei gewählte Stadthauptmann von Florenz. Als die deutschen Ritter das Schauspiel erfassen, beginnen sie wild mit den Waffen zu lärmen. Gelächter und Spottrufe werden laut. Graf San Severino, der von König Manfred bestimmte Statthalter, mustert finsteren Auges die Besiegten. Dann schweift sein Blick hinab in das paradiesische Tal, wo die Beute liegt: Florenz. Rache und Haß beherrschen diesen Tag. Grimmig verkündet Graf San Severino, vom Beifall der Truppe und der Feldhauptleute begleitet, den auf die Knie gesunkenen Florentinern den Richtspruch: Die widersetzliche Stadt soll dem Erdboden gleichgemacht und ihr unruhiges Volk verstreut und anderswo angesiedelt werden. Das hat selbst Farinata degli Uberti nicht erwartet. Wie von heißem Eisen getroffen fährt er hoch. Diese Fremden wollen Florenz, sein geliebtes Florenz, auslöschen, wie man eine eroberte Bastion in Schutt und Asche legt? Farinata protestiert, weigert dem Grafen die Gefolgschaft. Um ihn scharen sich, die gepanzerten Fäuste an den Griffen der Schwerter, die Dienstmannen und die Häupter einiger Florentiner Ghibellinenfamilien. Laut und heftig geht der Streit auf dem Kirchplatz von Fiesole hin und her. San Severino, der den festen Willen seiner Verbündeten erkennt, gibt nach, um nicht das Äußerste zu riskieren. 5
Florenz wird begnadigt. Es soll einen kaiserlichen Vogt und einen adeligen Rat erhalten, es soll Strafe zahlen — aber weiterbestehen. Die Guelfen umdrängen das Roß des Retters Farinata degli Uberti. Einer von ihnen, ein wohlhabender Tuchhändler namens Giambuono di Medici, dessen Haus am Altmarkt von Florenz steht, tritt vor und schwört, man werde zum Zeichen des Dankes Farinata eine Bildsäule errichten. Sie reiten talwärts, die Glocken der Kirchen dröhnen zum Einzug.
* Im Jahre 1265 wird in Florenz ein Knabe namens Dante Alighieri geboren, der einst in seiner Göttlichen Komödie Farinata degli Uberti die Verse widmen wird: „Doch ich allein war's, der — als anzuregen Einstimmig man gewagt, Florenz zu schleifen — Offnen Visiers dem kühnlich trat entgegen . . . "
* Sechs Jahre nach dem Triumph der Ghibellinen wird König Manfred von den französischen Truppen Karls von Anjou geschlagen. Auch in Florenz gewinnen die Guelfen und mit ihnen die demokratischen Kräfte wieder die Oberhand. Der neue Rat — die Signoria — besteht künftig aus den Vertretern der sieben oberen und der fünf niederen Zünfte. Dem Stadtadel bleibt nichts anderes übrig, als sich in die höheren Zünfte aufnehmen zu lassen. Unterirdisch oder offen wühlt der Kampf der Parteien weiter. Die Guelfen nennen sich jetzt ,,Neri", die Schwarzen, sie stehen unter Führung der Donati; die Ghibellinen werden „Bianchi", Weiße, genannt. Haß, Zwietracht und Blutfehde entzweien immer wieder die Bürgerschaft. Der Kampf schleppt sich grausam dem neuen, dem 14. Jahrhundert entgegen. 1280 und 1302: Giotto und Dante Eines Tages wandert der Florentiner Maler Cimabue eines Geschäftes halber nach Vespigniano, einem Dorfe in den Bergen. Auf dem grasbewachsenen Höhenrücken oberhalb der Pinienwälder trifft er einen Hirtenjungen, der die Schafe hütet. Der Knabe hält eine Steinplatte auf den Knien und zeichnet mit einem angekohlten Holzstück eine Gruppe der weidenden Tiere. 6
Cimabue ist erstaunt über die Arbeit des Kleinen. Die Kunst jener Zeit steht ganz unter dem Einfluß der byzantinischen Tafelmalerei und der gotischen Stilrichtung, denen es weniger auf die naturgetreue Wiedergabe als auf die ergreifende Aussage ankommt. Jede Farbe, jede Figur und die Verteilung der Figuren im Bilde haben sinnbildhaften Wert. Bilder, wie sie zum Beispiel Cimabues Werkstatt hervorbringt, sind geheimnisschwer und wie aus einer anderen Welt. Gott und religiöse Gedanken stehen im Mittelpunkt allen Bemühens. Und nun ist da ein Hirtenknabe, der in niemandes Schule g e gangen ist. Er zeichnet weidende Tiere, nimmt unbefangen die Natur zum Vorbild und erweckt eine Art der Darstellung, die in den Tagen des Altertums üblich gewesen ist: Es ist ganz einfach die Freude an der Sehönheit dieser Welt, das Streben nach W a h r haftigkeit und Wirklichkeitsnähe, eine künstlerische Welt, mit irdischen Augen gesehen, vom Sonnenglast erfüllt und von Pflanzen, Tieren und Wolken belebt. Cimabue fragt den Knaben nach Namen und Herkunft. „Ich heiße Giotto", erwidert der Gefragte, „mein Vater nennt sich Bondone und wohnt in Vespigniano." Eine Weile sieht ihm Cimabue zu. Dann schlägt er ihm vor, als Lehrling in seine Werkstatt in Florenz einzutreten. Giotto Bondone wird zum großen Künstler, er eröffnet einen neuen Abschnitt der abendländischen Kunst. In Florenz warten viele Aufgaben auf ihn. Um diese Zeit wird in der aufstrebenden, durch seine Tuchfärber, Wollweber und Goldschmiede reich gewordenen Stadt sehr viel gebaut. Wegen der ständigen Unruhen hat der Rat von Florenz beschlossen, durch den bedeutenden Baumeister Arnolfo di Cambio einen neuen, festungsartigen Stadtpalast — den Palazzo Vecchio (1298) — zu errichten; gleich in der Nähe wird an der neuen, größeren Bischofskirche gebaut; auch der Dombau ist Arnolfo di Cambio übertragen worden. In der Vorstadt errichtet er das Kloster und die Kirche Santa Croce — Heiligkreuz (1294) — eines der wunderbarsten Gotteshäuser des Abendlandes (Bild des Palazzo Vecchio s. vordere Umschlagseite). In der Kapelle des Stadtpalastes malt Giotto das Bildnis seines Freundes Dante Alighieri und des gelehrten Herrn Brunetto La7
tini; für eine andere Kirche darf er den Hauptaltar schaffen, find für die gewaltige Hallenkirche Santa Croce bekommt er den Auftrag, vier Seitenkapellen mit Bildern zu schmücken. Obwohl das Gegeneinander der Parteien, der „Bianchi" und der „ N e r i " , die Florentiner Bürger auch weiterhin in Unruhe hält, blüht die Stadt. Eine stürmische, von den Fragen der Zeit heiß bewegte Jugend füllt ihre Gassen. Schöne Bürgerhäuser und trutzige Adelspaläste strahlen im hellen Licht des toskanischen Himmels und an den Abenden im Glanz der Laternen und Fackeln. Auf den Wellen des Arno schaukeln die Boote, die mit jungem Volk gefüllt sind, Lieder von Liebe, Leben und Schönheit erklingen, auf den Turnierplätzen messen sich, sofern sie nicht in Fehde liegen, Adelsjünglinge in der Handhabung der Waffen. Viele werfen sich leidenschaftlich in die hochgehenden Wogen der Politik. Selbst Giottos Freund, der besinnliche Dante Alighieri, der sich bereits als Lyriker hohen Ruhm erworben hat, läßt sich in das politische Leben hineinziehen. Um ein Amt zu erhalten, tritt der damals dreißigjährige Dichter in die Zunft der Drogenhändler ein. Da er sich mit Tatkraft dem politischen Leben hingibt, wird er in den Rat gewählt und im Jahre 1300, als sich die Gegensätze wieder einmal zum äußersten verschärft haben, zu einem der Prioren, Großmeister einer Zunft. Als begeisterter Anhänger der alten Reichsherrlichkeit vertritt Dante die Ziele der ghibellinischen Partei, der „Bianchi". So haßerfüllt ist die Luft in Florenz, daß die „ N e r i " sich an den Papst wenden, um ihn als Bundesgenossen gegen ihre Widersacher in der Stadt zu gewinnen. Papst Bonifatius VIII. — der eben mit großen Festlichkeiten zu Rom das erste Heilige Jahr feiert — betraut den Franzosen Karl von Valois mit der Sicherung der guelfischen Ordnung in Florenz. Der Stadt droht erneut die Invasion fremder Truppen. Verwirrung herrscht unter den „Bianchi". Man sucht fieberhaft nach einem Manne, der fähig wäre, das Verhängnis abzuwenden. Die Wahl fällt auf den jungen Dante. Um diese Zeit weilt Giotto Bondone in Assisi und malt die neue Kirche des heiligen Franziskus mit herrlichsten Fresken in der neuen Malweise aus. Dantes Bemühungen in Rom sind vergeblich. Die Franzosen sind bereits unterwegs. Am 1. November 1301 rücken sie unter dem 8
Jubel der Guelfen in Florenz ein, mehr als 600 Anhänger der „Bianchi" werden enteignet, verurteilt, verbannt. Unter denen, die beim Einzug Karls von Valois aus den Mauern fliehen und in Abwesenheit zum Tode verurteilt werden, ist Dante Alighieri, der von sich selber sagen wird: „Beinahe durch alle Gegenden Italiens bin ich irrend, fast bettelnd gezogen, indem ich wider Willen die Wunde zeigte, die mir das Schicksal geschlagen hatte." Als geduldeter Flüchtling in vielen Städten der Halbinsel, vornehmlich aber in Verona und Ravenna, wird er durch seine „Göttliche Komödie" zum unerreichten Gestalter des mittelalterlichen Weltbildes und zum Höhepunkt der bisherigen Dichtung Italiens. Mit dem Dichter verläßt auch der Rechtsanwalt Ser Petrarca die Stadt. Bald nach seiner Flucht wird ihm in Arezzo der Sohn Francesco Petrarca geboren, der als einer der größten Lyriker aller Zeiten und als Begründer des Humanismus in die Geistesgeschichte eingehen wird. Ein dritter Mann, Averardo di Medici, wohlhabender Händler und Geldverleiher, wird durch den Umsturz emporgetragen. Er ist, wie schon seine Vorfahren, guter Demokrat und Anhänger der Volkspartei. Nach dem Abzug der Franzosen wird er einer der führenden Männer im Volk von Florenz. 1348: Die Pest in Florenz Vom Hafen Pisa her wird trotz aller Vorsichtsmaßnahmen des Rates die Pest, die seit längerer Zeit wie Gottes Zuchtrute in Sizilien und Neapel wütet, in Florenz eingeschleppt. Verödet liegen die Gassen, nur hier und dort huschen verängstigte Gestalten, die einen Mantelzipfel oder ein Tuch vor das Gesicht pressen, um Ecken und Plätze. Berittene Streifen traben über die Alte Brücke zur Stadtmitte. Aus den engen Schluchten des Färberviertels, unten am Fluß, weht der Verwesungsgeruch, den Hunderte von unbeerdigten Leichen ausströmen. Die P e s t . . . Als die erste Welle des Schreckens viele Einwohner aus den Toren der Stadt gejagt hat, senkt sich Gleichgültigkeit und dumpfe Ergebung über die Zurückgebliebenen. Man ahnt — im Bewußtsein des Schicksals der Nachbarstädte Lucca und Pisa —, was Florenz bevorsteht. 9
„Und da waren manche, die dachten, daß ein maßiges Leben, wobei man sich vor aller Üppigkeit hüte, die Widerstandskraft erheblich fördere; sie vereinten sich zu Gesellschaften, lebten aber sonst von allen gesondert. Indem sie sich in Häusern, wo kein Kranker war, versammelten und einschlössen, genossen sie die schmackhaftesten Speisen und den besten Wein, aber mit Maß und auf der Hut vor aller Schwelgerei, und sie verbrachten ihre Zeit mit Gesang, Musik und allerlei Kurzweil. Niemand erhielt zu ihnen Zutritt, und keine Todes- und keine Krankennachricht durfte ihnen hinterbracht werden. Andere wieder pflegten jeglichem Gelüst möglichst Genüge zu tun und über das, was kommen werde, zu lachen und zu spotten. Bei Tag und Nacht zogen sie, um ohne Maß zu trinken, bald in diese, bald in jene Schenke . . . In der verheerenden Not der Stadt war das ehrwürdige Ansehen göttlicher und weltlicher Gesetze fast völlig gesunken und vernichtet." Der mähende Tod macht weder vor dem Reichtum noch vor der Armut halt; er rafft Adel, Bürger und Bettler gleichermaßen dahin. Unter den ersten Opfern der Pest ist Giovanni Villani, der gelehrte Geschichtsschreiber der Stadt; am gleichen Tage wie ihn, findet man den alten Bankier Peruzzi — den Mann, der europäische Kriege finanziert hat, der Millionen Goldgulden verdient, verloren und wieder gewonnen hat — tot auf seinem Lager. Als man diese Nachricht zu Signor Bardi, seinem ehemaligen Teilhaber, bringt, stürzt Bardi in Krämpfen zu Boden. Die Angehörigen weichen entsetzt zurück, flüchten in panischer Furcht aus dem Hause und überlassen den von der Pest Gezeichneten seinem sicheren Schicksal. Paläste werden billig, Geschäfte wechseln um kaum nennenswerte Kaufsummen die Besitzer. Die Medici kaufen den Hausstock der Bardi und Peruzzi und treten in die Fußstapfen der verstorbenen Bankherren ein. Rasend greift die Seuche weiter um sieh. In den eng gebauten Stadtvierteln der Stadtmitte liegen ganze Straßcnzeilen wie ausgestorben. Hier und dort schlägt eine Tür im Winde, halb verhungerte Hunde schleichen um die toten Häuser. Manchmal dringt Stöhnen oder verlorenes Klagen aus leeren Fensterhöhlen. In Florenz nimmt der Schwarze Tod in dem furchtbaren Jahre 1348 von 130 000 Einwohnern hunderttausend fort. Und doch erholt sich das Leben sehr rasch. Schon dreißig Jahre nach der Pest 10
gibt es in den Gassen von Florenz wieder so viel Volk, daß sich die Angehörigen der Tuchmacher-, Färber- und Webergilde stark genug fühlen, einen Aufstand zu wagen. Denn in der Notzeit der Stadt hat der Adel wieder die Herrschaft an sich gerissen. Vom 94 Meter hohen Turm des Palazzo Veechio dröhnt die Sturmglocke. Die Zünfte ziehen unter entrollten Bannern vor den Palast. Ein Mann aus dem Hause der Medici führt sie an. Sie stürzen den aristokratischen Rat, um den bürgerlichen Rat — die Signoria — wieder einzusetzen. Zwei Jahre vor diesem Aufstand hat der große Baumeister und Bildhauer Andrea Orcagna eine offene Säulenhalle, die „Loggia dei Lanzi" — ein Wachlokal der städtischen Lanzenknechte — neben den Palazzo Veechio gebaut. Hier tagt nun bei besonderen Anlässen auf hölzernen Tribünen die Signoria, während das Volk, nach Gilden und Zünften geordnet, Kopf an Kopf den Platz füllt, zuhört, Anteil nimmt und wie im alten Rom die Politik mitbestimmt. In dieser Zeit dehnt Florenz sein Herrschaftsgebiet auch auf die Umgebung aus. Die Pest hat die umliegenden Städte des Arnotales und des nahen Apenninengebirges mehr geschwächt als die Hauptstadt. Ihnen ist die Erholung von der Katastrophe noch nicht gelungen. So rücken Florentiner Kampfscharen hinaus und unterwerfen weite Strecken der Toskana: Pistoja, Pisa, Prato und Volterra. Florenz wird die demokratische Herrin des Landes. Sein Woll- und Tuchhandel, seine Färbereien und Bankgeschäfte sichern ihm das Übergewicht über alle Nachbarstädte. „Die Einkünfte der Republik betragen bis zu 300 000 Goldflorins, eine Summe, die in Anbetracht der Entwertung des kostbaren Metalls mindestens 12 Millionen Goldmark entspricht. Dies ist eine größere Summe, als England und Irland zusammen zweihundert Jahre später unter Königin Elisabeth abwerfen" (Macaulay). 1400: Geburt der Renaissance Der Morgen blaut über der Stadt, in der das Unheil des v e r J gangenen Jahrhunderts noch nicht vergessen ist. In den Arkaden und Gewölben nahe dem großen Platz hämmern und weben die Handwerker, an den Bretterbuden der Händler ver11
weilen in würdigen Mantelröcken und spitzen Schleierhüten die Florentiner Hausfrauen, um ihre Einkäufe zu machen. Dunkel fällt der Schatten der hochragenden Paläste auf die engen Gassen, die zum Platze führen. In der Säulenhalle der Lanzenknechte gehen klirrend die Stadtwächter mit ihren Hellebarden auf und ab. Die Sonnenuhr auf dem schlanken Turm des Ratspalastes zeigt die neunte Stunde. Ein Herold, angetan mit dem Wappenrock der Stadt, tritt auf die aus Brettern gefügte Rampe vor dem hochragenden Gebäude und lenkt durch langgezogene Hornstöße die Aufmerksamkeit der Bürger auf sich. Vom Domplatz, mit dem von Giotto geschmückten Glockenturm und dem halbfertigen Kirchenschiff der neuen Kathedrale, der immer noch die Kuppel über der allzuweit gespannten Vierung fehlt, vom Baptisterium, in dem eben die Frühmesse zu Ende gegangen ist, von der Alten Brücke und den Hauptkirchen der Vorstädte — Santa Croce und Santa Maria Novella — laufen die Leute herbei; denn es spricht sich schnell herum, daß etwas Besonderes bevorsteht. Aus dem Zunfthaus der Wollgilde, mit dem Wahrzeichen des Lammes über der steingemeißelten Tür, kommen die Tuchhändler, die eben die Messe in der Hauskirche der Gilde besucht haben. Auch Ser Giovanni di Medici, Prior der Bankgilde und Ratsherr, verläßt, begleitet von seinen elf- und fünfzehnjährigen Söhnen Cosimo und Lorenzo, das stattliche Haus an der Via Larga, um zum Signorenpalast zu eilen. Stirnrunzelnd sieht er, wie das Tor am Palast der adeligen Albizzi — des einflußreichsten Geschlechtes der Stadt — auffliegt und eine Schar prächtig gekleideter Reiter entläßt. Er ist kein Freund der Geschlechterherren und geht ihnen aus dem Wege. Der Herold hat indes begonnen, einen Beschluß des Rates und der Zunft der Handelsleute zu verlesen. Kopf an Kopf reiht sich die Menge der Neugierigen. Der Rat läßt verkünden, daß die Schutzheiligen von Florenz eine erneute Pestdrohung gnädig hätten vorübergehen lassen und daß deshalb die Obrigkeit zusammen mit der Handelsgilde beschlossen habe, als Dankgeschenk der ältesten Kirche der Stadt — der Taufkirche Sankt Johannis — neue, aus Bronze zu gießende 12
Torflügel zu schenken. Der mit Geld reich bedachte Auftrag werde demjenigen jungen Künstler gegeben, der in Jahresfrist die schönsten Entwürfe vorzeige. Dies verliest der Herold zu wiederholten Malen. Die Bürger nikken zustimmend. Große Aufregung herrscht unter den jungen Bildhauern, Goldschmieden, Malern, Bildschnitzern und Baumeistern. Die Aufgabe erörternd, sitzen sie in den Weinschenken und stecken die Köpfe zusammen. Es gibt ja Hunderte von Künstlern in Florenz und Umgebung. Nur der dreiundzwanzigj ährige Filippo Brunelleschi und sein Freund, der erst fünfzehnjährige Donatello, halten sich abseits. Sie kennen ihre Begabung und meinen, der Preis könne nur zwischen ihnen ausgehandelt werden. In diesen Tagen schreibt Bartoluccio Ghiberti, ein braver Goldschmied, an seinen zweiundzwanzigjährigen Sohn Lorenzo nach Rimini, wo der Jüngling einen Auftrag für die edlen Herren Malatesta ausführt, er möge heimkehren und sich um den Auftrag bewerben. Lorenzo Ghiberti kehrt zurück. Ihn allein von allen den Hunderten von Künstlern, unter denen große Namen wie jener des Jacopo della Quercia aus Siena vertreten sind, fürchten Brunelleschi und der junge Donatello. Die drei Künstler machen sich ans Werk und modellieren in Wachs und Gips. Sie schwören sich zu, daß, wenn einer von ihnen den Sieg erringe, die Unterlegenen Florenz verlassen müßten; außerdem wird bestimmt, daß keiner der Ausgeschiedenen in die Stadt zurückkehren dürfe, es sei denn, er wäre in einer anderen Kunst — als in jener des Reliefgusses — unübertrefflicher Meister geworden. Ein Jahr der emsigen Arbeit und des künstlerischen Ringens geht dahin. Dann tritt das Preisgericht zusammen. Den Vorsitz führt der stadtbekannte Förderer der Kunst, der Bankherr Giovanni di Medici. Als Donatello und Brunelleschi erkennen, mit welcher Sorgfalt und Liebe Lorenzo Ghiberti seine Modelle vollendet hat, ziehen sie ihre eigene Bewerbung aus dem Wettbewerb zurück. Das Preisgericht entscheidet sich für das Werk des Ghiberti, der den Auftrag erhält. Donatello und Brunelleschi aber gehen nach Rom . .. 13
Lorenzo Ghiberti beginnt die Arbeit seines Lebens: denn es wird vierzig Jahre dauern, bis er die beiden Doppelflügel der Zugänge zum Baptisterium mit seinen wundervollen Bildtafeln geschmückt hat. Diese Tore werden von so erlesener Pracht sein, daß später Michelangelo Buonarotti von ihnen sagen wird, sie seien so schön, daß sie wohl an den Pforten des Paradieses stehen könnten. Durch diese Tore am Baptisterium zu Florenz tritt gleichsam ein neues Zeitalter der Kunstgeschichte in die Welt des Abendlandes ein: die Renaissance. Aus dem Geist des von Petrarca begründeten Humanismus und dem Wiedererwachen des italischen Volksgeistes erblüht jene neue Zeit der Wende, in der die Erinnerung an einstige Römergröße und die Rückkehr zu Maß, Schönheit und Natürlichkeit der Kunst einen veränderten Inhalt geben. Die beiden Jünglinge Donatello und Brunelleschi aber sind ihrem Versprechen getreu davongewandert und haben in Rom die Ruinen vergangener Größe durchstöbert; hier endlich fanden sie, was sie suchten: die Meisterschaft in der vergessenen und einzigartigen Kunst des Altertums. Donatello entdeckt vor dem Lateranpalast das letzte, in einem Guß gefertigte Reiterstandbild der alten Zeit: das Denkmal des Kaisers Marc Aurel. Er studiert es solange, bis er die Geheimnisse der Modellanfertigung und des Gusses wiedergewinnt. Dann kehrt er zurück und wird zum Schöpfer der „Gattamelata" zu Padua — des ersten Reiterstandbildes in Bronze seit tausend Jahren. Sein Schüler Verocchio wird ihn dereinst zu übertreffen suchen, indem er das Standbild des „Colleoni" in Venedig schafft. Und Verocchios Schüler — Leonardo da Vinci — wird über beide Meister hinausstreben, indem er den berühmten „Koloß zu Mailand" — das Bild des großen Fürsten Francesco Sforza auf bäumendem, nur durch die beiden Hinterfüße mit der Gußgrundplatte verbundenen Pferde modelliert, das später durch französische Bogenschützen zerstört worden ist. Filippo Brunelleschi aber klettert auf das Dach der römischen Kirche Santa Maria Rotonda, die einst die kuppelüberwölbte Vorhalle zu den Bädern des Agrippa war und auch „Pantheon" heißt; er löst die Steine der Dachkonstruktion und entdeckt die doppelte Schale der Kuppel, die sich selbst tragende Schwalbenschwanzverzapfung der Steine, die Verspannung von Trag- und Schauktippel. 14
Auch er kommt heim nach Florenz und vollendet in jahrelanger Mühe den Dom. Ohne Lehrgerüst setzt er die in elliptischer Linie sich wölbende Kuppel über die Vierung; in 91 Meter Höhe schwebt über den großartigen Rundfenstern des trommelartigen Zwischenbaus das feingegliederte Gerippe des sich selber tragenden Steins, das in der Lichtöffnung der „ L a t e r n e " endet. 1436 wird der endlich fertiggestellte Dom unter dem Geläut aller Glocken geweiht. Während diese Werke über das Häusermeer von Florenz emporwachsen, arbeitet — zunächst wenig beachtet — ein ehemaliger Schüler des Lorenzo Ghiberti, Masaccio, in einer Nebenkapelle der Karmeliterkirche Santa Maria del Carmine. Mit ihm erwacht auch in der Malerei die Renaissance zu voller Tätigkeit: in der Anwendung der noch bei Giotto vernachlässigten Perspektive, in der malerischen Wirkung von Licht und Schatten, in der Charakteristik der Köpfe und Figuren. Aber Florenz hat sich in seine künftige Rolle als Mutter der Künste noch nicht gefunden. Ein einziger, der Bankherr Giovanni di Medici, unterstützt den armen Maler, der mit 28 Jahren schließlich der Enttäuschung erliegt. In der Kapelle der Karmeliterkirche von Florenz aber lernt die kommende Malergeneration. Hier skizzieren die Maler Perugino und Leonardo da Vinci. Raffael zeichnet die Fresken des Masaccio siebenmal, in der Kapelle geschieht es späterhin, daß der junge, stürmische Michelangelo einen älteren Maler, der an Masaccio zu zweifeln wagt, so sehr beleidigt, daß ihm dieser das Nasenbein zerschlägt. Hier offenbart sich zum ersten Male groß die Malerei der Renaissance, die in ihren Anfängen von Giotto begründet war. ,,.. . In der Kapelle schuf Der wenigen einer, die Natur gekannt, Der wenigen, die uns helle Fackeln sind: M a s a c c i o . . . " (Rogers: „Italien") 1434: Cosimo, Vater des Vaterlandes In diesen Jahren wächst der Reichtum der Medici ins Ungemessene. Man schätzt, daß ihr Einkommen ebenso hoch ist wie das der gesamten übrigen Stadt Florenz. Ihre Bankhäuser in Lyon, Genua, Paris, London, Brügge, Venedig, Rom und Neapel scheffeln Gold. 15
Als 1415 das Konzil zu Konstanz tagt, unterstützen die Medici den alten Freund ihres Hauses, Papst Johann XXIII. Cosimo, der damals sechsundzwanzigjährige Erbe der Medici, weilt in der Konzilstadt und wirbt für seinen Kandidaten. Aber die Mehrheit der Teilnehmer wendet sich dem Kardinal Otto Colonna zu und wählt ihn als Martin V. zum Oberhaupt der Christenheit; Papst Johann XXIII. wird abgesetzt und als Gefangener an den Heidelberger Hof geführt, Cosimo muß bei Nacht und Nebel über die Alpen fliehen. Die Freundschaft der Medici bleibt unerschütterlich. Für 38000 Goldgulden entläßt der Heidelberger Pfalzgraf seinen Gefangenen und übergibt ihn den Florentinern, die dem Greis ein lebenslanges Asyl gewähren. Als der abgesetzte Papst stirbt, errichten sie ihm ein Marmordenkmal, das im herrlichen Kuppelbau des Baptisteriums steht.
* Geld bedeutet den Medici nicht nur entscheidende Macht. Reichtum wird ihnen zum Mittel edler Lebensführung, ja der Erhöhung des Daseins überhaupt. Cosimo selbst spricht neben Griechisch und Lateinisch fünf Sprachen: Hebräisch und Arabisch, Italienisch, Französisch und Deutsch. Von seinem Vater Giovanni hat er die Liebe zu den Künsten und Wissenschaften geerbt. In Cosimos Auftrag schafft der große Florentiner Meister Donatello den berühmten „David" in Bronze und die Gruppe „Judith tötet den Holofernes", die heute in der Loggia dei Lanzi steht. Da das alte Haus nahe dem Domplatz für das reich gewordene Geschlecht zu klein geworden ist, gibt Cosimo Auftrag, einen neuen Palast in der Via Larga und nahe dabei eine Kirche zu Ehren des heiligen Laurentius zu errichten. Doch ehe die neuen Gebäude vollendet sind, kommt eine Spannung zur Entladung, die lange schon über dem Haupte der Medici gelastet hat. Noch gibt es in Florenz neben den Medici eine einflußreiche und durch zahlreiche ritterliche Gefolgsleute mächtige Schicht adeliger Geschlechter. Im Jahre 1433 erzwingt der Adel die Verbannung der Medici, und Cosimo muß mit seinem Sohne Pierro das Weichbild der Stadt verlassen. In diesem günstigen Augenblick versuchen die Albizzi und ihre Freunde die alte Adelshefrschaft wieder aufzurichten. In ihrer 16
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in sich abgesclilossenen Einzelheften.
LUX H I S T O R I S C H E R E I H E fesselt jeden, der das „Abenteuer der Menschheitsgeschichte' nacherleben möchte, um zur Erkenntnis der Zusammenhänge zu gelangen.
LUX H I S T O R I S C H E R E I H E bietet dem Jugendlichen in seiner Freizeit und in seiner Ausbildung eiue Lektüre, die ihn ebenso unterhält, wie in seiner Allgemeinbildung vorwärtsbringt.
LUX H I S T O R I S C H E R E I H E entspricht der Forderung der Schule nach fesselnder, zuverlässiger Lektüre als Ergänzung und zur Unterstützung des Geschichtsunterrichtes.
Notlage ruft der Rat der Stadt — nach kaum einem Jahr der Verbannung — Herrn Cosimo wieder zurück. Auf dem Platz vor der Signoria kommt es zum Getümmel. Achthundert gepanzerte Reiter der Albizzi werden unter Trommelschlag und unter dem Gedröhn der Alarmglocke von den herbeieilenden Zünften geschlagen und verjagt. Bald darauf kehrt der Medici im Triumph nach Florenz zurück. Über den großartigen Empfang schreibt der spätere Stadtsekretär von Florenz, Niccolo Macchiavelli: „Selten ist ein Mann, nach so großem Sieg zurückkehrend, von einer solchen Volksmenge und mit solchen Anhänglichkeitskundgebungen empfangen worden, wie Cosimo nach seiner Verbannung." Kein Zug von Rachsucht oder Machtwahn trübt das Bild des triumphierenden Medici. Er begnügt sich — zum Oberhaupt von Florenz erhoben — mit einem einfachen Verbannungsdekret und verzichtet auf die Beschlagnahme der Adelsgüter. Dann geht er daran, das neue Haus an der Via Larga zu vollenden. Der Mediceerpalast entsteht. Cosimo wünscht, daß sein Palast ein Musterbeispiel für den neuen Renaissancestil werde. Der Baumeister Michelozzo errichtet das Erdgeschoß im Rustikastil — aus mächtigen, rohbehauenen Quadern —, nicht nur, um dem Bau inmitten einer ewig zu Aufständen und Unruhen neigenden Stadt Festigkeit und Kraft zu verleihen, sondern auch, „weil er die Wirkung von Festigkeit und Kraft", wie ein späterer Schriftsteller berichtet, „mit dem Spiel von Licht und Schatten vereint, die bei dem blendenden Licht der italienischen Sonne zur Erhöhung der Schönheit notwendig sind." Das zweite Stockwerk zeigt den herben dorischen, das dritte den lebhaften korinthischen Stil. Dieses große und wundervoll abgewogene Gebäude wird die „Herberge der Fürsten der W e l t " , die Heimstatt von Künstlern, Dichtern und Gelehrten. Hier entzündet Marsilio Ficino, ein Gelehrter der Zeit, den Cosimo wie einen Sohn liebt, vor der Büste des griechischen Philosophen Piatos die ewige Lampe „wie vor einem christlichen Altar". Spätere Tage haben im Hof des Mediceerpalastes eine lange lateinische Inschrift angebracht, in der es heißt: „Reisender! Dieses Haus war einst der Palast der Medici! In ihm waren nicht nur viele große Männer, sondern die Weis17
heit selber beheimatet. Die Pflegestätte aller Wissenschaft wurde hier wieder zum Leben erweckt. Ruhmreich war auch die hier geborgene alte Kultur; dieses Haus war ein Hort antiker Schätze und Künste." In der Nähe des neuen Palastes liegt das halbzerstörte Kloster San Marco, mit dessen Oberen Cosimo befreundet ist. Er gibt Auftrag, das Kloster schöner und weitläufiger als je aufzubauen. Auf Wunsch des Mediceers schmückt der begnadete Mönch Fra Angelico aus dem Bergstädtchen Fiesole die Wände, die Säle und die Klosterzellen mit seinen innigen und gedankenreichen Fresken; der Klosterbibliothek stiftet Cosimo vierhundert wertvolle antike Handschriften, die seine Agenten in aller Welt für ihn sammeln. Nach San Marco, in eine schmucklose, karge Zelle, zieht er sich manchmal zurück, um inmitten seiner Reichtümer und Geschäfte allein zu sein mit seinem Gott und nachzusinnen und in die Stille der Ewigkeit zu lauschen. ^ In seinem Florenz schaffen und wirken zu jener Zeit Lorenzo Ghiberti an den Toren des Baptisteriums, Brunelleschi baut die Kirche des heiligen Laurentius (San Lorenzo) und einige Paläste, Michelozzo wirkt an San Marco, Donatello hat seine Bildhauerwerkstatt im Bauhof des Mediceerpalastes aufgeschlagen, Luca della Robbia vollendet eben den Marmorfries „Cantoria", und Fra Filippo Lippi malt in einem Atelier im Hause der Medici. Um seine Taten auch durch ein Werk der Wissenschaft und Gelehrsamkeit zu krönen, gründet Cosimo die erste öffentliche Bibliothek Europas, die weltberühmte Mediceerbibliothek, in der sich allmählich mehr als zehntausend Handschriften griechischer und lateinischer Schriftsteller ansammeln. Aus allen Teilen der alten Mittelmeerwelt wandern die Reste versunkener Weisheit nach Florenz; die Abschriften und Bruchstücke aus altrömischen und altgriechischen Tagen finden an dieser Kulturstätte eine neue, sichere Heimstatt. Hier bewahrt Cosimo eine Originalhandschrift der berühmten und für die Geschichte so bedeutsamen Rechtssammlung des oströmischen Kaisers Justinian, die Handschriften der Briefe des großen römischen Republikaners Cicero, die 1330 Jahre alten Jahrbücher des römischen Geschichtsschreibers Tacitus, Abschriften der Tragödien des Sophokles und Äsehylos, die Bücher des Julius Cäsar, ein syrisches Evangelium aus dem Jahre 556, die Schriften 18
des römischen Historikers Plinius aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. und Tausende von Chroniken, Jahrbüchern und Sammlungen aus verschollenen Zeiten. Die Geisteswerke Europas haben eine Insel gefunden, die sie bewahrt für kommende Tage. 1439: Konzil zu Florenz Es ist Februar, über den" durchsichtigen Himmel ziehen grünlich glasige Wölkchen, ein milder Wind streicht über die Höhen von San Miniato und Fiesole. Die Bergstraße vom La-Futa-Paß herab bewegt sich ein glanzvoller Aufzug; vom Tal herauf, wo Florenz im Schmuck der Banner liegt, wogt das Geläut aller Glocken. Das heilige Konzil der Christenheit, das bisher zu Ferrara getagt hat, siedelt auf Einladung Cosimos in die Blumenstadt am Arno um. Zaum- und Sattelzeug der Rosse ist von unerhörter Pracht, selbst die schwerbepackten Troßpferde sind herrlich geziert. Ritter in gold- und silberziselierten Rüstungen tragen stolz ihre Banner, Knappen mit Wappenwimpeln und Federbaretten umkreisen den daherstampfenden Zug. Umgeben von Bischöfen und Kardinälen, die in ihren scharlachtarbenen Gewändern der Festlichkeit dieses Tages Ausdruck geben, reitet der Papst auf schneeweißem Zelter, hohe Geistliche schwingen Weihrauchfässer, gregorianische Gesänge steigen auf. Neben dem Papst trabt auf einem Zelter, der von brokatenem, edelsteinbesetztem Satteltuch tief bedeckt ist, der Patriarch der griechischen Kirche, gefolgt von Weltpriestern, Klostervorstehern und Bischöfen. In einer anderen Gruppe erkennt man an der goldenen, mit Juwelen besetzten phrygischen Mütze Seine Majestät den Kaiser Johann Paläologus, den Herrscher von Byzanz. Zu seiner Linken sieht man Cosimo Medici im dunklen, goldbestickten Wams, eine Brokatmütze auf den ergrauenden Locken, und neben ihm seinen bleichen Sohn Pierro. • Ein Schwärm griechischer Gelehrter mit den seltsamen Byzantinerhüten, bärtige, würdige Gestalten, folgt in lebhaftem Gespräch den erlauchten Herren. So naht der Aufzug des Konzils dem im Hauch des Vorfrühlings 19
erwachenden Florenz, das sich mit den ersten Blütenzweigen geschmückt hat.
* Cosimo Medici erlaubt nicht, daß der Stadt oder den hohen Gästen irgendwelche Kosten aus der Unterbringung oder Bewirtung erwachsen und übernimmt alle Auslagen der Kirchenversammlung, die unter der von Brunelleschi vollendeten Kuppel des gewaltigen Domes tagt und darüber berät, wie die Christenheit dem von den Türken bedrohten Konstantinopel helfen könne. Der Papst mit seinem Gefolge bewohnt die weitläufigen neugebauten Klosterflügel der Kirche Santa Maria Novella, der Patriarch den Ferrantino-Palast und der Kaiser und seine Freunde die früheren Peruzzi-Paläste. Ins Haus der Medici aber ziehen die großen Gelehrten der griechischen Kultur ein: Bischof Bessarion von Nicäa und Gemisthos Plethon. Aus zahlreichen Gesprächen über antike Bücher, in der gemeinsamen Liebe zur wiederentdeekten Philosophie Piatos, in den gegenseitigen Anregungen, die aus den unzähligen wiedereröffneten Quellen der klassischen Tage strömen, erwächst eine echte Freundschaft und hohe gegenseitige Achtung. Es ist die bis dahin bedeutungsvollste Begegnung der beiden Kulturen in Ost und West. Einige der Byzantiner bleiben — samt den mitgeführten Bücherschätzen— auch nach dem Konzil in Florenz und genießen die Gastfreundschaft der Medici. In der Villa Careggi — einem im römischen Stil erbauten Landhaus nahe Florenz — sammelt Cosimo einen gelehrten Kreis um sich, den manche die „Platonische Akademie" nennen. Eine weithin fortwirkende Befruchtung der Geister kommt von dort. Bedeutende, schon der neuen Stilrichtung der Renaissance angehörende Maler — wie Benozzo Gozzoli oder Gentile da Fabriano — halten die Aufzüge, die feierlichen Trachten, die Personen und Szenen der Konzilstage in unsterblichen Gemälden fest. König über Künstlern und Gelehrten, Dichtern und Philosophen aber bleibt Cosimo, von dem das Haupt der „Platonischen Akademie", Ser Masilius Ficino, schreibt: „Plato schulde ich viel — Cosimo aber mehr. Mir verkörperte er die Tugenden, über die Plato mich belehrt hat." Cosimo erlebt noch das Hinscheiden seines hoffnungsreichen, 20
älteren Sohnes Lorenzo. Nur der gichtbrüchige und leidende Pierro bleibt ihm als Erbe. Man erzählt sich, der große Mediceer habe sich als Fünfundsiebzig jähriger — schon krank und angesichts des Todes — durch seinen Palast tragen lassen und immer wiederholt: „Ein zu großes Haus für eine so kleine F a m i l i e . . . " Am 1. August 1464 segnet er auf seinem geliebten Landsitz Careggi das Zeitliche. Die Republik verleiht ihm den Ehrentitel, den keiner vordem in Florenz erhalten und den selbst Rom nur selten vergeben hat: Pater Patriae — Vater des Vaterlandes* Eine Generation später schreibt der Staatsdenker Macchiavelli, Sekretär der Republik Florenz, über ihn: „ E r war eine Leuchte an Klugheit, Ernst, Liebenswürdigkeit und von achtunggebietender Erscheinung. Unruhe, Verbannung und persönliche Lebensgefahr beeinträchtigten seine frühen Lebenstage, aber sein unerschöpflicher Edelmut siegte über seine Feinde und erhob ihn zu hohem Ansehen beim Volke. Obgleich unendlich reich, blieb er in seiner Lebensführung doch schlicht und unauffällig. Keiner besaß so eingehende Kenntnisse der Regierungs- und Staatsangelegenheiten wie er. Dadurch vermochte er sich in einer so wankelmütigen Stadt dreißig Jahre lang am Ruder zu erhalten." 1478: Verschwörung der Pazsi Den höchsten Glanz erreicht das Mediceergeschlecht und mit ihm die Stadt Florenz unter Lorenzo, der nach dem kurzen Zwischenspiel seines Vaters, Pierro des Gichtbrüchigen, im Jahre 1469 die Staatsgeschäfte übernimmt. „Selten hat es einen so vielseitig begabten Menschen gegeben" (s. Bild auf der letzten Umschlagseite). Lorenzo Medici regiert — wie schon sein Großvater Cosimo •— ohne Truppen- oder Polizeimacht allein durch die Kraft seiner Persönlichkeit und seines finanziellen und staatsmännischen Geschicks, über ihn hat der klug beobachtende Macchiavell ein rühmendes Urteil gefällt: „Obwohl ohne militärische Fähigkeiten, führte Lorenzo doch eine Anzahl von Kriegen durch staatskluges Verhalten zu glücklichem Ende. Er war der größte Schirmherr der schönen Künste, den es jemals gegeben hat. Er gewann sich die Herzen des Volkes durch freizügiges Denken und andere volkstümliche Eigenschaften. Sein politisches Können machte Florenz zum führenden Staat, sein 21
Kunstsinn zum geistigen, künstlerischen und gesellschaftlichen Mittelpunkt von Italien."
* Man feiert gern in Florenz: denn nur kurze Zeit währt die Jugend. Die Tage des Altertums, auf das diese Zeit der Renaissance nur in Verklärung sieht, ohne seine Schatten zu erkennen, scheinen wiedergekehrt zu sein. Nicht ohne Grund leuchtet auf Lorenzos Turnierbanner in Goldschrift der französische Spruch: „Le temps revient" — ,Jene Zeit kehrt zurück . . .' In ununterbrochener Folge jagen sich Maskenfeste, Gartenpartien unter lichterfüllten Lampions, figurenreiche Aufzüge mit Festwagen, lebende Bilder in den Gärten des Palazzo Pitti, den drüben auf dem linken Arnoufer Brunelleschi 1440 für den bekannten Bankherrn Pitti erbaut h a t : man führt antike Schauspiele auf, die berühmtesten Maler entwerfen die Kostüme und Szenenbilder, Philosophen geben ihren gedanklichen Rat, Dichter schreiben die Verse. Bildhauer schaffen den Rahmen zu den mitternächtlichen Turnieren und den prunkvollen Aufmärschen der Wachtrupps.
* Die ganze Stadt, ja die ganze Toskana und Italien sprechen von den Festen des Lorenzo Medici. Eines der Turnierfeste auf dem großen Platz vor Santa Croce, bei dem die schönste Frau der Stadt zur Turnierkönigin erhoben wird, regt den großen Malerfreund der Medici, Sandro Botticelli, an, die drei Bilder „Geburt der Venus", „Mars und Venus" und „ F r ü h l i n g " zu malen. Die Anmut und Schönheit übersetzt die Künstlerhand Botticellis getreulich in Farbe. Die Lorbeerhaine des Hintergrundes der Bilder sind eine sinnbildliche Anspielung auf den Namen Laurentius, Lorenzo — den Lorbeergeschmückten. Einzigartig sind diese Tage. Aber die Zeiten, die Jugend, das Glück kehren niemals w i e d e r . . . In dem Bewußtsein, daß alles vorübergeht und daß alles Schöne dem Verfall anheimgegeben ist, dichtet Lorenzo auf der Höhe jener Jahre die Verse: „Schön und herrlich ist die Jugend, Doch sie flieht — drum nicht vergiß: Willst du glücklich sein, so sei es! Morgen ist stets ungewiß." 22
Knapp drei Jahre nach den strahlenden Frühlingsfesten der Florentiner Jugend kommt eine finstere Verschwörung der adeligen Familien der Albizzi und Pazzi zum Ausbruch. Der Anschlag selber geht im menschenüberfüllten Dom vor sich, wo Lorenzo und sein Bruder Giuliano die Messe hören. Unversehens fallen die Pazzi und ihre Mietlinge über den niedergebeugten Giuliano l u r und treffen ihn mit tödlichen Dolchen; Lorenzo erhält nur eine Nackenwunde durch einen Schwerthieb. Er schützt sich durch den um den Arm gewickelten Mantel und flieht über das Chorgitter springend zur Sakristei. Seine Freunde stellen sich den Mördern in den Weg, einer sinkt tödlich getroffen nieder, ein getreuer Parteigänger rettet Lorenzo, indem er die schwere Sakristeitüre zuwirft und verriegelt. Die Mörder werden von der Menge überwältigt. Als der Abend niedersinkt, flammen Fackeln auf der Piazza Signoria, schauerlich baumeln die Gerichteten an den Fenstern. Ein sechsundzwanzigj ähriger Maler namens Leonardo da Vinci kauert auf einem Eckstein und skizziert ruhig und interessiert die Leichname der Gerichteten. Das ist der Tag, an dem Lorenzo Abschied von seinen jungen Jahren nimmt. Die Zeit kehrt nie zurück. Aber er ist nicht umsonst der Freund und Schüler der Philosophen. Hat er nicht auf seinen Landgütern in Fiesole und Careggi antike Weise gelesen, lateinische Gedichte übersetzt und an jedem siebten November den Geburtstag Piatos gefeiert? Jetzt ist die Stunde der Bewährung für die Weisheit, die er geliebt und mit wahrem Hunger aufgenommen hat, nun gilt es, das Leben in Gelassenheit und innerer Zucht zu meistern. 1489: Michelangelo im Hause der Medici In der Malerwerkstatt des Domenico Ghirlandajo, eines Künstlers von solcher Fruchtbarkeit, daß er sich vermißt, die Stadtmauer von Florenz mit Historienbildern zu bedecken, arbeitet seit einem Jahr der fünfzehnjährige Michelangelo Buonarotti, der Sohn eines kleinen Gutsbesitzers, der aus dem Hause der Grafen von Canossa abstammen will. Doch die Farbenmischerei und Malweise seines Lehrherrn behagt dem verschlossenen und eigenwilligen Jungen nicht; als es heißt, Lorenzo Medici suche Nachwuchs für seine Bildhauerschule, macht er sich zusammen mit einem älteren Lehrjungen auf und 23
besucht den Garten von San Marco, wo der Bildhauer ^ertoldo seinen Werkplatz mit Hilfe der Medici errichtet hat. Das Werken in Ton und Marmor gefällt dem jungen Michelangelo. Er versucht sich in seiner Freizeit an einigen umherliegenden Marmorbrocken, schlägt einen Gigantenkampf aus dem Stein: muskelbepackte, ringende Körper, in denen Licht und Schatten wundervolle Wirkung tun. Auch haut er den Kopf eines alten, grinsenden Fauns aus einem Stück fortgeworfenen Carraramarmors — nur so eben, weil es ihm Spaß macht. Das Probestück liegt nach einigen Wochen überwachsen und unbeachtet in einem Winkel des Werkhofes. Dann geschieht es, daß Freunde der Medici, Leute von großem Kunstverständnis und gutem Geschmack, den Bauhof besuchen, herumstöbern und auf die Versuchsstücke des Malerlehrlings Michelangelo stoßen. Zunächst glauben sie, eine vergessene, echte Antike gefunden zu haben, wie sie die Medici und viele andere Leute von Kunstsinn aus den Ruinen und Flußbetten ausgraben lassen. Dann stellt sich heraus, wer der Schöpfer der Faunsmaske ist. Ein Fünfzehnjähriger! Als man dieses Ereignis Lorenzo meldet, eilt er herbei, läßt sich den Jungen zeigen, umarmt ihn und sagt zu ihm: „Komm in mein Haus, mein Sohn Michelangelo, es ist künftig das Deine! Wir wollen dir jede Förderung angedeihen lassen, die in unseren Möglichkeiten liegt." Michelangelo Buonarotti siedelt in den Mediceerpalast über und wird Schüler des Bildhauers Bertoldo.
* In diesen Jahren erhält Lorenzo dem Staate unter großen persönlichen Gefahren und Opfern den Frieden, und er widmet diese Zeit einzig der Pflege der Künste und Wissenschaften. Toscanelli — der große Geograph, der für Columbus die Weltkarte zeichnet — und Amerigo Vespucci — der später die erste Beschreibung des von Columbus entdeckten Erdteils liefert — verkehren in seinem Hause. Den griechischen Gelehrten Giovanni Lascaris schickt er zweimal in den Orient, um alte Handschriften zu retten. Allein für die Vervollständigung der berühmten Bibliothek gibt Lorenzo jährlich halb soviel Geld aus, als die gesamten Staatseinnahmen von Florenz ausmachen. Ein Heer von Abschreibern vervielfältigt 24
die wertvollen Bücher, die Lorenzo großzügig jedem Strebenden zur Verfügung stellt. Hunderte von begabten jungen Leuten studieren mit dem Geld der Medici auf den Universitäten Europas, Hunderte von Künstlern erfahren Förderung, erhalten Aufträge durch das Haus Medici. An der „Platonischen Akademie" lehren große Griechen, die nach der Einnahme von Konstantinopel (1453) keine Heimstatt mehr haben. Lorenzo selber dichtet, schreibt geistvolle Abhandlungen und diskutiert gerne im Kreise seiner Freunde. Aber er hält sich bescheiden im Hintergrund und verlangt weder Bewunderung noch Bevorzugung; er will nichts sein, als der selbstlose Förderer des Guten und Schönen. An seinen Freund Mirandola schreibt e r : „Mancher würde sich vielleicht einen Teil des Geldes in die eigene Tasche wünschen, doch ich betrachte es als zum Besten des Volkes verwendet, und das befriedigt mich vollauf." 1492—1498: Der Bußprediger Savonarola In diese reichen und fruchtbaren Jahre dringt wie der Ton einer zerspringenden Saite der Mahnruf zur Sinnesänderung. Im Kloster San Marco ist ein Seher-Mönch namens Savonarola aufgestanden und predigt vor einer immer größer werdenden Zuhörerschaft gegen Sittenverderbnis und Verweltlichung der Menschheit. Von dunklen Gesichten gedrängt, fühlt sich Girolamo Savonarola berufen, eine sich wandelnde Zeit zur Umkehr aufzufordern. Sein Ruf als glanzvoller Redner, als Zauberer des Wortes und Beschwörer eindringlicher Bilder des Jüngsten Gerichtes durcheilt Florenz und die Toskana. Wie ein dumpfes Grollen aus der Tiefe macht sich das Nahen einer zornigen Erregung bemerkbar. Anstatt zu Blütenfahrten und Laternenfesten auf dem Arno läuft das Volk nun zu den Predigten Bruder Girolamos. Viele von antiker Schönheit schwärmende Künstler, die Kavaliere und jungen Damen flüchten zu Bußübungen und Gebet. Savonarola verkündet das Nahen einer großen Umwälzung und den baldigen Zusammenbruch des Hauses Medici. Aber Lorenzo unternimmt nichts, die Redefreiheit des kühnen Fanatikers einzuschränken, er sitzt als Bürger unter Bürgern in den Predigtstunden Savonarolas und lauscht unbeweglich den Worten des Verzückten. Als der Mönch zum Prior von San Marco ge25
wählt wird und in deutlicher Absicht den herkömmlichen Antrittsbesuch bei den Patronatsherren des Klosters im Palaste Medici unterläßt, nimmt Lorenzo die Beleidigung mit Langmut hin. Lächelnd sagt er zu seinen Freunden: „Siehe da! Es ist ein Fremdling in mein Haus getreten und will mich nicht grüßen." Schon seit Jahren leidet Lorenzo an heftigen Anfällen der Gicht. Im Frühjahr 1492 wirft ihn die Krankheit abermals aufs Lager. Er läßt sich auf sein geliebtes Landgut Careggi bringen. Da er spürt, daß der Tod hinter ihm steht, läßt er den Prior von San Marco, Bruder Girolamo Savonarola, rufen und sterbend bitten: er möge die Sammlungen und Bibliotheken des Hauses Medici in Schutz nehmen. Als ihn der Möach verlassen hat, läßt er sich von den beiden Freunden Politian und Mirandola Piatos Dialog über die Unsterblichkeit der Seele vorlesen. So geht er am 9. April 1492 dreiundvierzigj ährig in die Ewigkeit hinüber. Italien und Florenz sind erschüttert, als das Hinscheiden des großen Mannes bekannt wird. Papst Innozenz VIII. ruft aus: „Nun ist Italiens Friede dahin!" Der Sohn und Nachfolger Lorenzos, Pierro — den man später den Unglücklichen nennt —, macht sich schon bald beim Volke durch herrisches und rücksichtsloses Auftreten unbeliebt. Als Pierro erfolglos von einem Feldzug gegen ein auf die Toskana vorrückendes Heer in die Stadt zurückkehrt, findet er sie beinahe in Aufruhr. In der Nachtsitzung der Signoria, beim flammenden Schein der Fackeln in der Loggia dei Lanzi, beschließt der Rat die dauernde Verbannung des Hauses Medici. Unter Lebensgefahr retten sich Pierro und seine Brüder. Ihren Palast geben die Räte unter dem Druck der Volksmassen zur Plünderung frei. Unendliche Kunstschätze, Kostbarkeiten aus aller Welt, die zusammengetragenen Reichtümer vieler Generationen werden vom Pöbel zerschlagen, fortgeschleppt, vernichtet. Als die Rasenden in die Bibliothek eindringen wollen, um nach ihrem Geschmack mit den letzten Handschriften der Antike ein Feuer anzufachen, tritt ihnen mit erhobenem Kruzifix und flammendem Auge Savonarola entgegen. Jetzt, in dieser Stunde ehrt er den toten Lorenzo, indem er rettet, was dieser für die Menschheit bewahrt hat. Unter dem Eindruck dieser Ereignisse flieht der neunundzwanzigjährige Michelangelo verstört aus der Stadt, Lorenzo di Credi 26
tritt ins Kloster San Marco ein, und Sandro Botticelli wirft sich Savonarola zu Füßen — ein Büßer, ein reuiger Sünder, der verflucht, was sein Genius bisher geschaffen. Wenige Tage nach diesen Ereignissen halten die Franzosen unter Trompetenschall ihren Einzug in die Stadt.
* Das kriegerische Getümmel wälzt sich weiter durch Italien und verebbt schließlich in Neapel und Rom. Aber die Macht des Mönches über Florenz bleibt auch nach dem Abzug der Franzosen bestehen. Wenn der Bußprediger von San Marco in die Kathedrale zieht, um zu predigen, geben ihm begeisterte Volksmassen das Geleit. Die feurigen Reden gegen die Eitelkeiten der Welt, gegen Luxus und Lebenslust wühlen die Seelen auf. Selbst die Humanisten verfallen dem Zauber, der von den kraftvollen Bildern und Worten ausgeht, dem flammenden Jüngsten Gericht, dem feurigen Weltuntergang, dem jubelnden Einzug der Seligen ins Himmelreich. Was bedeuten dagegen Forschung, Wissen, Künste und all der Tand, den Motten und Rost zerfressen? Fiebernd schleppen die Menschen aus Palästen und Häusern, was nun ohne Gewicht ist: weiblichen Putz, Spieger aus Silber, Kämme von Gold und Elfenbein, Puder, Essenzen, Salben, Schminke. Sie tragen herzu, was den Geist vom ewigen Ziele abzuziehen dienlich ist: Schachbretter, Lauten, Mandolinen, Gitarren, Kartenblätter, Kegel und Bälle. In die Büchereien brechen sie ein und bringen kostbare Handschriften, Bücher und Rollen, Anakreon, Lukrez, Plautus und Aristophanes und den liederlichen Ovid, die Bücher Boccaccios und die frechen Verse des Luigi Pulci. Aus seiner Werkstatt schleppt Meister Sandro Botticelli Gemälde heran. Vergeblich suchen ihn kunstbegeisterte Freunde zurückzuhalten. Er schleudert die Kartons und Tafeln auf den Scheiterhaufen, den fanatische Hände vor dem Palast der Signoria türmen. In der Loggia dei Lanzi, in der jetzt als Wahrzeichen der von Tyrannen befreiten Republik die Donatellogruppe „Judith tötet den Holofernes" aufgestellt ist, ballt sich die Masse. Von San Marco herauf ziehen die „Piagnoni" — die Heuler — in Sack und Asche, schwarze Kreuze schwingend, tanzend und schreiend. Dann erscheint er selber im düster schwarzen Gewände, der Auserwählte, der Prophet: Savonarola! Er steigt langsam zum erhöhten 27
Predigtstuhl, ein einsamer Mensch, die Wangen fahl und ausgehöhlt, in den Augen brennende Glut. Ein Brausen weht über die Zehntausende, sie sinken hin wie gemähtes Gras. Ein ,,Piagnoni" wirft die Fackel in den Scheiterhaufen der Eitelkeiten, gelber Schein läuft über die Stapel, Rauch wölkt auf, und die Flammen lodern zum Himmel. So geschieht es während des Karnevals im Februar 1497. .. Kaum ein Jahr später hat sich die Volksstimmung der Stadt ins Gegenteil verkehrt. Es ist der 23. Mai 1 4 9 8 . . . Bewaffnete „Arrabiati" — die Rasenden — ziehen als Gegner der Piagnoni durch die Gassen von Florenz, es kommt zu Kämpfen und Tumulten. Ein Mönch fordert Bruder Girolamo Savonarola heraus, sich der Feuerprobe zu unterwerfen. Wenn er Gottes Gesandter sei, wie er behaupte, möge er sich ruhig den Flammen des Scheiterhaufens aussetzen. Aber Savonarola weigert sich. Das Volk fühlt sich um eine Sensation betrogen. Zornig grollend rücken die Massen vor die Tore San Marcos. Kaum ein Dutzend Männer verteidigt den Propheten, dem vor einem Jahr die Stadt zu Füßen gelegen hat. Die Leute stürmen das Kloster und zerren den Bruder heraus. Zusammen mit zwei Gefährten wird Bruder Girolamo Savonarola, der Künder einer Erneuerung, der Erreger des Gewissens, am Morgen des 23. Mai 1498 auf der Mitte des Platzes der Signoria auf den Schelterstoß geführt. Alle Fensterplätze rings um den Platz sind dicht mit Menschen besetzt, die zusehen, wie der Henker die Schwärmer aufknüpft und ihre Leichen an der gleichen Stelle verbrennt, an der vor einem Jahr der Feuerstoß der weltlichen Eitelkeiten gelodert hat. Der Tod des Propheten ändert nichts an den Verhältnissen der Republik. Pierro Soderini, ein Zunftmeister, ist Herr des Rates der Stadt, sein gelehrter Sekretär ist Messer Niccolo Macchiavelli. Um diese Zeit ziehen die verbannten Medici wie Nomaden von Ort zu Ort. Ihrer Güter und Einkünfte beraubt, leiden sie Mangel am Nötigsten und verbringen ihre Tage als Bittsteller in den Vorzimmern jener Fürsten und Städte, denen sie vor kurzem noch Anleihen gegeben. Achtzehn Jahre wird diese zweite Verbannung der Medici dauern. Aber auch dann werden die alten Tage nicht wiederkehren. 28
1501: Michelangelo schafft den großen David Ein Meister Simone aus Fiesole hat einen riesigen Block aus weißem Marmor auf dem Werkplatz des Domhofes von Florenz verhauen, als er eine Kolossalfigur versuchte. Ein Stückchen Knie, der Ansatz zu Armmuskeln — das ist alles, was fertig geworden ist. Mitten durch den herrlichen Block ist ein häßliches Loch gemeißelt. Der hohen Signoria liegt der Block im Wege, und Pierro Soderini, das Ratsoberhaupt, meint, man solle an den berühmtesten Sohn der Stadt, an Leonardo da Vinci, den „Allcskönner"', schreiben, ob er sich nicht an den Block wage. Dieses Vorhaben verraten Freunde dem jungen Michelangelo, der in Rom soeben durch eine wunderschöne Picta, ein Bild der Schmerzensmutter für die Peterskirche, von sich reden gemacht hat. Stürmisch, auch von Neid gegen Leonardo erfüllt, kommt Michelangelo nach Florenz. In wenigen Wochen schafft der junge Titan hinter den Bretterzäunen des Werkhofes eine Riesengestalt des David mit der Schleuder — Sinnbild der Republik, die bereit ist, sich gegen Jedermann zu verteidigen. Unter vielen Mühen wird die Figur vor dem Palazze Vecchio aufgestellt. Indessen ist auch der alternde, von Unglück verfolgte Leonardo nach Florenz zurückgekehrt. Der Rat, beglückt darüber, zwei so bedeutende Männer in den Mauern der Stadt zu haben, erteilt jedem von ihnen den Auftrag, eine der Wände im großen Sitzungssaal des Stadtpalastes auszumalen. Das ist der Wettbewerb! Leonardo arbeitet an den Entwürfen in einem Saal des Klosters Santa Maria Novella, Michelangelo in San Onofrio, und ganz Florenz wandert zu den beiden Werkstätten, um zuzusehen. Beide wählen ein Thema aus der Geschichte der Stadt, aber ihre Einstellung zum Krieg ist die von Alter und Jugend. Leonardo setzt seinem Schlachtengemälde den Sinnspruch voran: „Die tierischste aller menschlichen Dummheiten ist der Krieg!" Und er malt Schrecknis, Verzerrung und Grausen des Menschenmords. Michelangelo antwortet mit dem Wort Heraklits: „Kampf ist der Vater von allem, der König der Erde heißt Krieg!" In seiner Schlacht von Pisa fügt sich alles zu Heldengröße und strahlender Kraft. Aber beide Bilder werden nie ausgeführt, nur Teile der Ent29
würfe bleiben erhalten. Zu ihnen freilich pilgern die Künstler aller Zeiten; Raffael und Rubens lernen an ihnen. 1512: Wiederherstellung der Medici Papst Julius II. fordert von der Republik Florenz den Anschluß an das antifranzösische Bündnis der italienischen Staaten und die Rückführung der Medici. Als Pierro Soderini und die Volkspartei sich weigern, läßt der Herr des Kirchenstaates seine Truppen in die Toskana einrücken, besiegt die Florentiner Bannerschaften und zwingt Soderini zur Abdankung. Als Haupt des Hauses Medici kehrt Kardinal Giovanni Medici, der Bruder des unglücklichen Pierro, der auf dem Schlachtfeld gestorben ist, im Triumphe zurück. Der „Große Rat" der Republik wird abgeschafft, eine neue Signoria von 200 entschiedenen Medicianhängern setzt Giovanni an die Spitze der Stadtverwaltung. Aber die jüngeren Mediceer sind wirkliche Fürsten — nicht mehr vornehme Bürger unter Bürgern, wie es Cosimo oder Lorenzo war. Am 11. März 1513 wird Kardinal Giovanni Medici als Leo X. zum Papste gewählt. Die Regierung von Florenz überträgt er seinem Vetter Lorenzo IL, und nach dessen Tode dem Vetter Giulio. Dieser wird als Clemens VII. 1523 ebenfalls Papst und zieht nach Rom. In Florenz herrschen Kardinal Ippolito de Medici und Lorenzos IL Sohn Alessandro. \ Ein neues Zeitalter der Mediceerherrschaft bricht für die Stadt an. Noch blühen die Künste, noch werden unsterbliche Werke geschaffen. Florenz schmückt sich mit neuen Palästen, Kirchen, Straßenzügen, Parkanlagen, Denkmälern und Sammlungen. Aber der selbstlos dienende Geist, die echte und tiefe Liebe zu den ewigen Dingen, die einst Cosimo und Lorenzo den Prächtigen beseelt hat, lebt nicht mehr. Prunkliebe, Genußsucht und das reizvolle Spiel mit dem Schönen und Großen drängen hervor. Die Mediceer schließen mit Michelangelo einen Vertrag, daß er — der schon an der Sixtina, am Grabmal Papst Julius II. und an der Erneuerung der Peterskirche zu Rom arbeitet — auch ihrem Geschlecht ein unsterbliches Grabmal schaffe. 1521 beginnt Michelangelo zugleich mit dem Neubau der berühmten ,,Laurentiana"-Bibliothek neben der Kirche San Lorenzo die Arbeit am großartigen Mediceergrabmal: die Madonna, die Fi30
guren des Giuliano Medici — des Bruders Leos X. —, flankiert von den Gestalten des Tages und der Nacht, und des Lorenzo Medici, des Enkels des „Magnifico", dem zu Füßen die Figuren der Morgen- und Abenddämmerung ruhen. Vierzehn Jahre lang kehrt Michelangelo immer wieder zu dem Grabe zurück und hinterläßt es am Ende doch unvollendet. Die Wogen der Politik Karls V. tragen die Medici zur Herzogswürde (1530) empor. Einige Jahrzehnte später wird zum Hcrzogsmantel der Medici der selbständige Staat Toskana mit Florenz als Hauptstadt geschaffen (1564). Die Medici glänzen noch immer durch Reichtum, Macht und die Liebe zu Künsten und Wissenschaften. Ihre Töchter steigen bis zu den Königsthronen Europas empor: Katharina, die Nichte Papst Clemens VII., wird die Gattin des französischen Königs Heinrich IL und seit 1559 die Regentin Frankreichs. Maria Medici heiratet 1600 den großen Heinrich IV. von Frankreich. Aber es sind Ausklänge der blühenden Zeit der Renaissance, und es ist wie ein Nachruf, wenn in den Jahren 1560—1574 der große Maler, Bildhauer und Architekt Vasari, der Erbauer des Museumsflügels neben dem Rathaus, die Biographien der berühmten Meister schreibt, die einst an jeder Straßenecke von Florenz gewirkt und gelebt haben; so viele —• wie er selber sagt —, daß n u r die allergrößten zu Weltruhm gelangt sind, obschon Dutzende lebten, die berühmt geworden wären, hätten sie nicht im Schatten der Namen Leonardo, Michelangelo und Raffael gestanden. Die Grabkirche der großen Florentiner Der Fremde, der diese Stadt ohnegleichen durchstreift, versäumt nicht, die Kirche Santa Croce aufzusuchen und ehrfürchtig an den Gräbern der großen Florentiner zu verweilen. Welch eine Versammlung von Schatten, jeder Name ein Teil der abendländischen Kulturgeschichte! Hier stehen wir an den Gräbern oder Denkmälern von Menschen, die das Höchste gewollt und beinahe übermenschliches geleistet haben. Michelangelo, Donatello, Alberti, Macchiavelli, Bruni, Galilei und Vasari liegen hier unter Marmor begraben; dem Gedächtnis des Petrarca, Dante, Leonardo, Cherubini und Rossini sind Ehren31
male errichtet, die Fresken Giottos dunkeln in den Seitenkapellen. Wahrhaft, in Santa Croce steht man auf geweihtem Boden! Was war diese Stadt Florenz! Aus der Beschwingtheit der toskanischen Landschaft und dem uralten Erbe einer eineinhalbtausendjährigen Vergangenheit erwuchs und entfaltete sich die Blüte der Renaissance, erstand ein Bürgergeist, den bereits ein Ratsbeschluß vor sechshundert Jahren beschworen hatte: „Möge alles, was wir tun, des erhabenen Herzens, der edlen Seele unserer Stadt würdig sein, in der die Seelen all ihrer Bürger zusammenströmen!" „Le temps revient!" war der Wappenspruch Lorenzos des Prächtigen. Aber die Zeiten kehren niemals wieder. Ein ferner Abglanz jedoch schimmert noch immer über den Dächern der Stadt am Arno und in den Herzen ihrer Bewohner und des umliegenden Landes, die der großen Geschichte von Florenz und der alttoskanischen Lebensart treu geblieben sind. Sonntags, wenn der Eintritt zu allen staatlichen Sammlungen und Museen frei ist, kommen die Bürger der Stadt und die Bauern von den Bergen der Umgebung herab und besuchen ihre toten Mitbürger Michelangelo, Giotto, Dante, Leonardo und Masaccio. Die Uffizien, die seit 1842 die meisten Kunstschätze und Antikensammlungen der Stadt bergen, füllen sich mit Volk. Ehrfürchtig stehen die braungebrannten Apenninenhirten, die Bäuerinnen mit ihren Strohhüten und Kopftüchern vor den Werken, die für sie geschaffen wurden und deren Schönheit sie erfassen. Wie in den Tagen Lorenzos schaukeln blumenbekränzte Boote auf den grünen Fluten des Arno, lagern fröhliche Menschen — mit Gitarren und Lauten — in den Gärten an den Arnohängen oder im Schatten des David vor dem Palazzo Vecchio, dem Zeugen einstiger Bürgergröße. Umschluggestaltung: Karlheinz Dobsky Bi'.d auf der 2. Umschlagseite: Der Signorienplatz vor dem Palazzo Vecchio (Stadtpalast). Auf dem Platz erlitt Savonarola den Tod. — Links die Loggia dei Lanzi, im Hintergrund der Glockenturm (Campanile) des Giotto und die Domkuppel des Bruneleschä
L u x - L e s e b o g e n 210 ( G e s c h i c h t e ) H e f t p r e i s 2 5 Pfg. Natur- und kulturkundliche Hefte - Bestellungen (vierteljährl. 6 Hefte DM 1.50) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Verlag Sebastian Lux, Murnau, München, Innsbruck, Ölten — Druck: Buchdruckerei Auer, Donauwörth