Dirk Barghop
FORUM _ERANGST Eine historischanthropologisc11e Studie zu Verhaltensmustern von Senatoren im Römischen Kaiserreich
Das Thema »Ailgst« ist in de:1 Altertumswissenschaften fast ausschließlich mit einem geistesgeschichtlichen Ansatz behandelt worden. Eine völlig andere Sicht wird in dieser Studie vorgestellt. Mit den Mitteln der Historischen Anthropologie und der Mentalitätsgeschichte arbeitet Dirk Barghop die Besonderheit der "'\l1gst von Senatoren im frühen Römischen Kaiserreich heraus. Typische Verhaltenskonflikte und eigentümlich~ Kommunikationsformen von Senatoren in der politischen Auseinandersetzung mit dem Kaiser lassen Rückschlüsse auf das Vorhandensein einer solchen spezifisch senatorischen Angst zu. Die sogenannte »senatorische Opposition« gegen den Kaiser, das Denunzialltentum, die Geserzgebung gegen den zunehmenden Luxus und die Konjunktur der stoischen Philosophie erfahren vor diesem Hintergrund eine neue Deutung.
ISBN 3-593-35094-7
Historische Studien Band 11 Wissenschaftlicher Beirat Heinz Gerhard Haupt, Ludolf Kuchenbuch, Jochen Martin, Heide Wunder
Dirk Barghop, geb. 1960, promovierte 1992 in Alter Geschichte mit den Nebenfächern Neuere und neueste Geschichte und Lateinische Philologie an der Universität Freiburg.
Dirk Barghop
Forum der Angst Eine historisch-anthropologische Studie zu Verhaltensmustern von Senatoren im Römischen Kaiserreich
Campus Verlag Frankfurt/New York
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Barghop, mrk:
Forum der Angst: eine historisch-anthropologische Studie zu Verhaltensmustern von Senatoren im Römischen Kaiserreich I Dirk Barghop. - FrankfurtlMain; NewYork: Campus Verlag, 1994 (Historische Studien; Bd. 11) ISBN 3-593-35094-7 NE:GT
D25 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtIich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere fürVervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Copyright © 1994 Campus Verlag GmbH, FrankfurtlMain Umschlaggestaltung: Atelier Warminski, Büdingen Druck und Bindung: Druck Partner Rübelmann GmbH, Hemsbach Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Printed in Germany
Inhalt
Vorbemerkung.............................................................................................. 11 Einleitung...................................................................................................... 13 Die geschlossene Sänfte des Augustus: Ein paradigmatischer Verweis auf das Darzustellende .......................... 13 Disposition-für-Angst, Habitus und Figuration: Gegenstand, Fragestellungen und Ziel der Untersuchung..................... 16 Die Senatoren schaft von Tiberius bis Trajan: Die zeitlichen Grenzen der Untersuchung .............................................. 18 Rom und die Villeggiatur: Die räumlichen Grenzen der Untersuchung........................................... 21 Metus Gallicus, metus Punicus und die Angst bei Tacitus: Untersuchungen zur Angst in der römischen Geschichte ...................... 23 Teil I Angst als Objekt einer historisch-anthropologischen Studie: Ein flüchtiges Phänomen ............................................................................. 31 Die Angst: Ein natürliches Objekt der Geschichte? ................................................ 31 Die anthropologische Kompetenz Angst: Eine "gesichtslose Virtualität" ................................................................ 36 Dispositionen-für-Angst: Das Andere der Subjektivität. ...................................................................... 41 Der 'römische Geist', seine Werte und Ideen: Ein allgegenwärtiger Herrscher der römischen Geschichte ................... 41
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Der ethnologische Blick auf die Exotik der römischen Geschichte ..... .49 Das strebende Subjekt und seine Furcht-Angst.. ................................... 53 Figuration, Habitus und der Standort des Historikers ................................ 55 Die senatorische Gemeinschaft als 'Figuration interdependenter Menschen' ................................................................................................ 55 Soziales Feld und Subjektivitätsfonn: Ein neues 'dualistisches Problem'? ........................................................ 57 Die Unfähigkeit des Historikers, zugleich einen fremden Glauben zu glauben und zu beobachten ..................................................................... 58 Die 11 zwei Objektivierungen der Geschichte" ......................................... 60 Teil
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Ressourcenverfügung als Ordnungsprinzip der senatorischen Figuration ...................................................................................................... 65 Ressourcenverfügung und gesellschaftliche Stärke ................................ 65 Die Position des princeps: Das Zentrum der Ressourcenvergabe..................................................... 69 Die Nähe zum princeps: Kristallisationspunkt überlegener gesellschaftlicher Stärke ................... 71 Mobilisierung gesellschaftlicher· Stärke.................................................. 73 Ressourcenverfiigung oder Patronage? ................................................... 76 Körperliche Hexis und die Disposition-der-Umkehrbarkeit.. ..................... 80 Die Toga und die wandelnden aristokratischen Statuen ........................ 81 Die phonetische Verdichtung der res publica ........................................ 87 Die Fleischwerdung der Rangverhältnisse ............................................. 89 Die egalitäre Dimension der Zeit........................................................... 91 Der Körper des princeps.............................................................................. 96 Tiberius und die Allgegenwärtigkeit des kaiserlichen Sprechens......... 96 'Tyrannische' Körperbewegungen ...................................... :.................. 106 6
Der Panegyricus des Plinius: Die Symbolik der senatorischen körperlichen Hexis als normative Anforderung an das kaiserliche Verhalten................... .................... .... 109 Exkurs: Die 'senatorische Opposition' - Politisch motivierter Widerstand? ........ 113
Die außerkörperlichen symbolischen Setzungenund die Disposition-zum-Kursieren ........................................................................ 121 Das Kursieren der Zeichen .................................................................... 121 Status- und Ehrenabzeichen als kaiserliche Ressourcen...................... 128 Das Verschwinden des triumphalen Raumes ....................................... 131 Die Inflation der Symbole und die triumphale Praktik der Herrschaftsinszenierung......................................................................... 132 Die Disposition-zum-Kursieren und das Prinzip der Ressourcenverfligung............................................................................. 142 Exkurs: Die Luxusgesetzgebung - Ohnmächtige Moral und mächtiger Prunk ..... 143
Die Praktiken der Verhaltenskontrolle und die Disposition-des-inszenierten-Außenbezuges .............................................. 150 Beobachten von Angesicht zu Angesicht und allgemeines Ahnden ... 150 Beobachten als senatorische Ressource ................................................ 155 Exkurs: Das Delatorentum - Ein Disziplinierungsinstrument des Kaisers? ......... 160
Die Konjunktur der stoischen Philosophie ................................................ 165 Senecas Briefe an Lucilius und die "Wächter" des eigenen Verhaltens .............................................................................................. 166 Die stoische 'Sekte' in der aristokratischen Gemeinschaft: 'Therapie', Egalität und Maskerade ...................................................... 179
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Die domus principis und die Disposition-der-Distanzierung................... 183 Experten der Macht: Die kaiserlichen Freigelassenen ........................................................... 186 Die Imago vom hochmütigen Freigelassenen...................................... 187 Der doppelte Blick in Senecas Ad Polybium de Consolatione ........... 192 Senatorische Abgrenzungsversuche...................................................... 200 Zusammenfassung...................................................................................... 202 Das senatorische Reden über die Angst... ............................................ 202 Ein Phantombild senatorischer Angst. .................................................. 206 Bibliographie.............................................................................................. 212
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Meinen Eltern und Bärbel
Vorbemerkung
Die Angst, die Angst, wo sind die Federn, die Kardigramme, die sie aufzuzeichnen vermögen, ... Ingeborg Bachmann Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1992/93 vom Gemeinsamen Ausschuß der Philosophischen Fakultäten der Universität Freiburg als Dissertation angenommen; ihr ursprünglicher Titel lautete Forum der Angst. Habitus-Konflikte in der Senatorenschaft des frühen Prinzipats. Ein Beitrag zur historischen Soziologie der Angst im Altertum. Für den Druck wurde sie leicht überarbeitet. Ohne das mir gewährte zweijährige Stipendium der Landesgraduierterrförderung hätte ich diese Arbeit nicht schreiben können; es verschaffte mir den Freiraum, mich intensiv mit meinem Thema auseinandersetzen zu können. Mein besonderer Dank gilt Prof. Dr. Renate Zoepffel für die Betreuung und Unterstützung während meines Studiums, meiner Bewerbung um das Stipendium und meiner Promotion. Sie hat meine Arbeit mit motivierender Diskussionsbereitschaft begleitet. Thre konstruktive Kritik und ihre kontinuierliche Förderung gaben mir großen Rückhalt. Danken möchte ich auch PD Dr. Egon Flaig für die Durchsicht der methodischen Kapitel meiner Studie und für manche Anregung zu einem anderen Blick auf die römische Geschichte. Prof. Dr. Jochen Martin danke ich für die Übernahme des Zweitgutachtens, für seine Förderung bei meiner Bewerbung um das Stipendium und für seine Fürsprache rür die Aufnahme der Arbeit in die Historischen Studien. Prof. Dr. Joseph Jurt danke ich dafür, daß er das Drittgutachten übernommen hat. Für die kritische Lektüre meiner Arbeit, für Hinweise auf Fehler und für Ratschläge danke ich Dr. Christine Rohweder und Ralf Lusiardi. Das am Seminar für Alte Geschichte veranstaltete Althistorische Forschungskolloquium gab mir die Möglichkeit, meine Untersuchung in einem frühen Stadium zur Diskussion zu stellen. Auch dafür sei gedankt. Der Austausch in diesem Rahmen bestärkte mich in meinen Überlegungen. Ganz besonders bedanke ich mich bei Dr. Bärbel Götz für ihre Unterstützung und ihre Geduld.
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Einleitung
Die geschlossene Sänfte des Augustus: Ein paradigmatischer Verweis auf das Darzustellende Unter der Herrschaft des Augustus konnten die Einwohner Roms auf dem Forum und in den Straßen einer geschlossenen Sänfte begegnen, die unschwer als die des princeps zu erkennen war. Sueton berichtet, daß sich Augustus regelmäßig "in einer geschlossenen Sänfte durch die Stadt tragen" ließ, wenn er ohne irgendwelche Amtsinsignien außer Hause weilte. Als Konsul, so der Biograph weiter, erschien der princeps "meist zu Fuß"! auf dem Forum. Warum vermied es Augustus, sich vor aller Augen als privatus sehen zu lassen? Warum versteckte er seinen Körper hinter den Vorhängen einer Sänfte? Warum begab er sich, wenn möglich, nur mit den magistratischen Ehrenzeichen auf das Forum? Die geschlossene Sänfte des Augustus war Ausdruck einer Unsicherheit, die sich in den Kommunikationsformen und Verhaltensmustern zwischen dem ersten princeps und den Mitgliedern des herrschenden Standes, den Senatoren, eingenistet hatte. Für die Mitglieder der aristokratischen Gemeinschaft konnte es sehr peinlich werden, dem Kaiser als privatus auf dem Forum oder auf der Straße zu begegnen. Gleiches galt umgekehrt für den princeps. Aufgrund seiner herausragenden Stellung in der res publica war zu erwarten, daß die Senatoren dem Augustus in der res publica auswichen und den Platz frei machten oder ihm gar Bitt- und Dankesgesten entgegenbrachten. Diese Verhaltensweisen wurden bisher nur gegenüber einem genau beschränkten Personenkreis praktiziert. Nur vor den Magistraten wich man aus; nur der Triumphator durfte Dankesgesten entgegennehmen. Die Senatoren sahen sich so vor die Schwierigkeit gestellt, den Ort der eigenen Person gegenüber dem Kaiser zu lokalisieren - und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Sollten sie ihm Platz machen? Sollten sie gar vor seinen Füßen auf
1
Suet., Aug. 53: In consulatu pedibus fere. extra consulatum saepe adoperta sella per publicum incessit.
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dem Boden knien? Symbolisch gesprochen: Sollten sie ihm mit diesen Gesten Ehrerbietung entgegenbringen?2 Oder sollten sie sich gegenüber dem Kaiser genauso benehmen wie gegenüber jedem anderen Standesgenossen auch? Die Situation war vor allem deswegen so brisant, weil sie vor aller Augen sichtbar Anlaß zu verschiedensten Interpretationen und Gerüchten geben konnte. "Was für ein Schmeichler, der sich dem princeps vor die Füße wirft!" "Was für eine Mißachtung der maiestas, dem Kaiser nicht einmal auszuweichen!" Oder: "Was ftir ein Hochmut, von einem Senatoren den Kniefall zu erwarten!" Um diesen Unsicherheiten in der Kommunikation und den unkontrollierbarenfamae zu entgehen, verbarg Augustus seine Person hinter den Vorhängen einer Sänfte. Nur als Inhaber des Konsulats konnte er sich ganz ohne Bedenken auch zu Fuß in der Öffentlichkeit sehen lassen. Die Verhaltensregeln für alle Beteiligten waren in diesem Fall eindeutig festgelegt.3 Suetons Geschichte von der geschlossenen Sänfte des Augustus verweist paradigmatisch auf ein Phänomen, das den Umgangsformen unter den Mitgliedern des herrschenden Standes im frühen Prinzipat eine ganz spezifische Kennzeichnung gab. Schon in den letzten beiden Jahrhunderten der Republik verloren verschiedene senatorische Verhaltensmuster ihre eindeutige Verbindlichkeit. Im Zeichen der gewaltigen Ausdehnung des römischen Herrschaftsgebietes drohten vor allem solche politischen Spielregeln und Umgangsformen unkontrollierbar zu werden, durch die die Mitglieder der aristokratischen Gemeinschaft Macht und Herrschaftsgewalt ausübten und teilten. 4 Als Reaktion berief man sich verstärkt auf einen mos maiorum, der den angeblich verderblichen Sitten der Gegenwart als Spiegel vorgehalten wurde: "Mos wurde überall dort, wo man ihn-mißachtete, als--Wert bewußt"s. Je gravierender die Verhaltensregeln verletzt wurden, desto strenger und schärfer trat der normierende Charakter des mos maiorum hervor. 6 Mit dem Ende der Bürgerkriege und der Errichtung des Prinzipats durch Augustus waren die Unsicherheiten in den senatorischen Verhaltensweisen
2
Zur Symbolik der Körperbewegungen s. das Kap. Körperliche Hexis und die Disposition-der-Umkehrbarkeit.
3
4
5 6
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S. auch Alföldi, Andreas (1970): Die monarchische Repräsentation im römischen Kaiserreiche. Darmstadt, S. 101. Bleicken, Jochen (1975): Lex publica. Gesetz und Recht in der römischen Republik. Berlin, S. 372ff. Bleicken (1975), S. 374. Bleicken (1975), S. 376. Bleickens Ausführungen zum mos maiorum stellen wohl die genaueste Analyse und Bestimmung dessen dar, was die Genese und Funktion dieses aristokratischen Wenekanons ausmacht.
und Kommunikationsfonnen aber keineswegs aus der Welt geschafft. In der Person des princeps betrat ein völlig neuer Faktor die Bühne des politischen und gesellschaftlichen Geschehens. In ihr wurde etwas manifest, was für die Aristokratie bisher unvorstellbar gewesen war: Einem Mitglied ihrer Gemeinschaft war es gelungen, Herrschaftsressourcen auf die eigene Person zu monopolisieren und die Alleinherrschaft dauerhaft im römischen Gemeinwesen zu etablieren. Mochten sich die Senatoren aufgrund der traumatischen Erlebnisse und Erinnerungen der Bürgerkriege mit diesem Zustand als dem geringeren Übel abgefunden haben, so mußten die neuen Gegebenheiten doch mit verschiedenen Umgangsfonnen in vielfältige Spannungen geraten. Zu sehr hatten sich mit der Errichtung des Prinzipats auch die gesellschaftlichen Stärkeverhältnisse verändert, als daß diese sozialen Transfonnationen ohne Auswirkungen auf gewisse senatorische Verhaltensdispositionen7 bleiben konnten. Diese Situation kennzeichnete mit ModifIkationen und Festschreibungen verschiedenster Art das gesamte erste nachchristliche Jahrhundert. 8 Nicht allein die Kommunikation zwischen dem Kaiser und den Senatoren war vielfaltigen Störungen ausgesetzt, auch die Verhaltensmuster unter den Senatoren selbst konnten den neuen Gegebenheiten kaum gerecht werden. Die veränderten sozialen, politischen und wirtschaftlichen Realitäten des Prinzipats ließen sich nicht mehr mittels der überkommenen Verhaltensdispositionen ausrechnen und ohne größere Verschiebungen ihrer Symbolik aktualisieren. Die Art und Weise, wie sich die Mitglieder der aristokratischen Gemeinschaft als Subjekte ihrer Handlungen konstituierten, war in Frage gestellt; verschiedene Verhaltensmuster gerieten in Gefahr, ihren Sinn zu verlieren. Es liegt daher der Verdacht nahe, daß sich in der Senatorenschaft ein 'Raum der Angst' ausbreitete - in einer sozialen Gruppe, die sich neben anderen Unterscheidungsmerkmalen ausgerechnet durch das Ideal der Furchtlosigkeit als herrschende Elite von anderen Teilen der römischen
7
Zum Begriff der 'Verhaltensdisposition' s. das Kap. D~ "zwei Objektivierungen der
Geschichte". 8
Zur allgemeinen Geschichte des Kaiserreiches s. u. a.: Bleicken, Jochen fI981): Verfassungs- und Sozialgeschichte des Römischen Kaiserreiches. 2 Bde. Paderbom. Christ, Karl (1988): Geschichte der römischen Kaiserzeit von Augustus bis zu Konstantin. München. - Gamsey, Peter und Salier, Richard P. (1989): Das Römische Kaiserreich. Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur. Reinbek bei Hamburg. - Meise, Eckard (1969): Untersuchungen zur Geschichte der Julisch-Claudischen Dynastie. München. - Miliar, Fergus (1977): The Emperor in the Roman World (31 B. C.-A. D. 337). London Schrömbges, Paul (1986): Tiberius und die Res publica Romtlna. Untersuchungen zur Institutionalisierung des frühen römischen Prinzipats. Bonn. - Timpe, Dieter (1962): Untersuchungen zur Kontinuität des frühen Prinzipats. Wiesbaden.
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Gesellschaft hervorzuheben versuchte. 9 Hatte sich das römische Forum im frühen Prinzipat für die Senatoren in ein 'Forum der Angst' verwandelt?
Disposition-für-Angst, Habitus und Figuration: Gegenstand, Fragestellungen und Ziel der Untersuchung In der vorliegenden Untersuchung will ich dem erhobenen Verdacht nachgehen, indem ich mich dem Phänomen senatorischer Angst durch eine Beschreibung der Beziehungen zwischen aristokratischer Figuration1o und senatorischem Habitus ll nähere. Mit Hilfe einer historisch-anthropologischen Methodik, die ihr Augenmerk ausschließlich auf die überlieferten literarischen Zeugnisse richtet,12 sollen die Brüche und Spannungen zwischen diesen beiden Bereichen erfaßt werden. Die Untersuchung zielt darauf, solche Verhaltensdispositionen zu ennitteln, die sich im frühen Prinzipat in Dispositionen-für-Angse3 verwandelten und damit der senatorischen Angst ihr
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Auf die Thematisierung des Ideals der Furchtlosigkeit durch die herrschenden Klassen allgemein verweist Delumeau, Jean (1985): Angst im Abendland. Die Geschichte kollektiver Ängste im Europa des 14. bis 18. Jahrhunderts. Bd. 1. Reinbek bei Hamburg, S. 15: "Von der Antike bis in die jüngste Vergangenheit, besonders jedoch in der Renaissance, hat die Literatur, von der Ikonographie unterstützt (Bildnisse in ganzer Figur, Reiterstandbilder, heroische Gebärden und Faltenwürfe), die - individuelle - Tapferkeit der Helden gerühmt, die die Gesellschaft lenkten. Sie mußten so sein oder wenigstens als solche hingestellt werden, um in ihren eigenen und in aeriAugen des Volkes die Machtstellung zu rechtfertigen, die sie innehatten. Umgekehrt war die Angst das schimpfliche, gemeinsame Los der Bauern und gleichzeitig der Grund für deren Abhängigkeit" Delumeau zitiert unter anderem Vergil, Aeneis 4, 13: "Niedre Geburt verrät sich durch Furcht" - degeneres animos timor arguit. (S. 13) - S. auch: Quint., inst. orat. 6, 2, 17: "[...] wobei wir gewöhnlich Bilder von bäurischen, abergläubischen, habgierigen und ängstlichen Menschen entwerfen [... ]." - {...] quibus plerumque rusti-
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Zum Begriff der 'Figuration' s. das Kap. Die senatorische Gemeinschaft als "Figurati-
11
Zum Begriff des 'Habitus' s. das Kap. Die "zwei Objektivierungen der Geschichte". Für dieses Vorhaben bieten sich von Münzen über Inschriften bis zu den archäologischen Überresten weitere Quellenarten an; auf ihre Berücksichtigung wurde hier zugunsten einer strikten Anwendung der noch darzulegenden methodischen Überlegungen auf die überlieferten literarischen Zeugnisse verzichtet
cos. superstitiosos, avaros, timidos {...] effingimus {.. .l. on interdependenter Menschen". 12
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Zum Begriff der 'Disposition-für-Angst' s. die Kap. Angst als Objekt einer historischanthropologischen Studie: Ein flüchtiges Phänomen und DispositioTU!n-für-Angst: Das Andere der Subjektivittit. Die in dieser Untersuchung vor allem im Zusammenhang mit
besonderes Gepräge gaben. Dabei wird sich zeigen, daß Konfliktbereiche wie die senatorische Opposition oder das Delatorentum, die in der Regel als politische Phänomene verstanden werden, auch als Indikatoren senatorischer Habituskonflikte und senatorischer Angst gelesen werden können. Während ich die Behauptung aufstelle, das römische Forum habe sich im frühen Prinzipat tatsächlich in ein 'Forum der Angst' verwandelt, soll diese Untersuchung zugleich selbst ein 'Forum der Angst'in dem Sinne darstellen, als sie den Begriff der' Angst' als historisch-anthropologische Kategorie festzuschreiben versucht. "Ein allgemeines, epochenübergreifendes anthropologisches Sachwissen" für die Beschäftigung mit dem Phänomen der Angst ist bisher weder für den Bereich der Altertumswissenschaften noch für die Geschichtswissenschaft insgesamt erarbeitet worden. 14 In einem den empirischen Ausführungen vorausgehenden methodischen Teil muß es deshalb zunächst darum gehen, ein geeignetes begriffliches Instrumentarium zu entwickeln und zur Diskussion zu stellen. Indem gängige Definitionen und Erklärungsmuster der Angst auf ihre Tragfähigkeit und Brauchbarkeit für eine historisch-anthropologische Untersuchung überprüft werden, sollen auch die Ursachen aufgezeigt werden, warum das Phänomen der Angst nur selten im historischen Diskurs 1S einen Platz findet. Die Darlegungen des methodischen Teils werden allerdings auch zeigen, daß in einer historisch-anthropologischen Untersuchung mit dem Phänomen der Angst sehr vorsichtig umzugehen ist. Erst recht verbietet es sich, das Leben der Senatoren in apokalyptischen Metaphern zu beschreiben. Diese Vorgehensweise mag zwar ein lebendiges Bild vergangener Zeiten vennitteIn, einer differenzierten Analyse wird sie aber in keiner Weise gerecht. Vielmehr verschwindet das Spezifische senatorischer Angst hinter einem
dem Begriff der Disposition verwendeten Bindestrichausdrücke wollen nicht auf irgendwelche semiotischen Hintergedanken verweisen. Sie dienen ausschließlich dazu, die Tennini im Kontext der Darstellung optisch besser hervorzuheben. 14
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Meier, Christian (1986): Die Angst und der Staat. Fragen und Thesen zur Geschichte menschlicher Affekte. In: Rössner, Hans (Hg.): Der ganze Mensch. Aspekte einer pragmatischen Anthropologie. München, S. 245f. - S. auch Delumeau (1985), Bd. 1, S. 15: "Heutzutage gibt es unzählige wissenschaftliche Werke, Romane, Autobiographien und Filme, in deren Titel die Angst vorkommt. Merkwürdigerweise hat die Geschichtsschreibung, die in unserer Zeit so viele neue Bereiche erschlossen hat, den der Angst vernachlässigt. " Der Begriff des 'Diskurses' trägt aufgrund seiner inflationären Verwendung in vielen Fällen eher zur Verklärung als zur Erhellung eines Sachverhaltes bei. Hier soll er vor allem zur Bezeichnung für die wissenschaftliche Bearbeitung eines Themas verwendet werden; im methodischen Teil wird er auch zur allgemeinen Bezeichnung eines Systems sprachlicher Äußerungen benutzt.
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Vorhang von Bildern des Schreckens, die eine alles umfassende Allmacht der Angst suggerieren: Die Angst lauert überall, sie durchdringt alles, es gibt kein Entkommen. Solche apokalyptischen Phantasien wollen glauben machen, der historische Diskurs über die Angst könne tatsächlich die Angst einer vergangenen Zeit als solche nachweisen, ja dingfest machen. Dies ist, wie sich noch herausstellen wird, ein Irrtum. In den nachfolgenden Ausführungen wird daher von der Angst der Senatoren nur selten unmittelbar die Rede sein. Es werden keine Zeugen aussagen, die ihr Vorhandensein beeiden können. Stattdessen sollen Indizien in Form von Dispositionen-fütAngst vorgestellt werden, die es ermöglichen, gewissermaßen ein Phantombild senatorischer Angst zu skizzieren.
Die Senatorenschaft von Tiberius bis Trajan: Die zeitlichen Grenzen der Untersuchung Nach dem Tode des Augustus erwiesen sich die gesellschaftlichen und politischen Stärkeverhältnisse als so tragfahig, daß die neuen Machtstrukturen bei der Herrschaftsübernahme des Tiberius nicht erneut in sich zusammenbrachen und keine gewalttätigen Konflikte innerhalb der aristokratischen Führungsschicht provozierten. 16 Das neue System hatte mit der gelungenen Nachfolgeregelung eine entscheidende Bewährungsprobe bestanden; es stieß bei den bedeutendsten Gruppen der römischen Gesellschaft auch in dem Moment auf allgemeine Akzeptanz, als sich seine Existenz auch ohne die Persönlichk~it ihres maßgeblichen Trägers Augustus beweisen mußte. 11 Die Senatorenschaft,18 die in den Bürgerkriegen von Sulla bis Octavian
16
Schrömbges (1986), S. 65.
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Einziger Unruheherd waren die Meutereien der pannonischen und rheinischen Legionen; s. Tac., anno 1, 16-49. Flaig, Egon (1992): Den Kaiser herausfordern. Die Usurpation im Römischen Reich. Frankfurt a. M., beschreibt das politische System des Prinzipats als ein Akzeptanz-System. Die Stabilität kaiserlicher Herrschaft baute nach Flaig auf die Zustimmung der drei maßgeblichen politischen Sektoren: der des Senatorenstandes, des Heeres und der plebs urbana (Zum Akzeptanz-System S. V. a. das Kapitel Das Akzeptanz-System: Usurpation und fehlende Immunisierung der Monarchie, S. 174-207.). Zur Senatorenschaft im frühen Prinzipat S. u. a.: Bergener, Alfred (1965): Die führende Senatorenschicht im frühen Prinzipat (14-68 n. ehr.). Diss. Bonn. - Eck, Werner (1970): Senatoren von Vespasian bis Hadrian. Prosopographische Untersuchungen mit Einschluß der Jahres- und Provinzialfasten der Statthalter. München. - Gelzer, Matthias (1915): Die Nobilität der Kaiserzeit. In: Hermes 50, S. 395-415. - Grenzheuser, B.
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hohe Verluste hinnehmen mußte, war unter Augustus neu gefestigt worden. Der erste princeps hatte die Mitgliederzahl des Senats, die unter Caesar auf 1200 angewachsen war, auf rund 600 beschränkt. 19 Zugleich erhob er einige angesehene Adelsfamilien in den Patrizierstand..20 Auch die finanziellen Grundlagen des 'neuen' ordo senatorius waren nach dem Tode des Augustus eindeutig geregelt. Für die Aufnahme in den herrschenden Stand hatten die zukünftigen Senatoren ein Mindestvermögen von einer Million Sesterzen nachzuweisen. 21 Unterschritten sie es nach ihrer Aufnahme, liefen sie auf Dauer Gefahr, den latus c1avus wieder aberkatint zu bekommen. Die regionale Zusammensetzung des Senates war unter Tiberius (14-37 n. Chr.) noch äußerst homogen. Nur etwa zwölf der rund 600 Senatoren stammten aus den Provinzen.22 Dies begann sich aber spätestens in der Regierungszeit des übernächsten princeps zu ändern. Claudius (41-54 n. Chr.) setzte gegen den Widerstand der Mehrzahl der Senatoren durch, daß auch außeritalische Familien in den Senatorenstand aufgenommen wurden und bis in die höchsten Ehrenstellen aufsteigen durften. 23 Da ungefähr 75% aller senatorischen Familien nach einer Generation wieder aus dem Senat verschwanden, "erhielten die reichsten und prominentesten Angehörigen der lokalen Eliten in jeder Generation Hunderte von Einstiegsmöglichkeiten in den Senat. "24 Der Anteil provinzialer Geschlechter nahm als Folge immer mehr zu. In der flavischen Ära (69-96 n. Chr') kamen schon ungefähr 25% der Senatoren aus den Provinzen des römischen Reiches.2S Trotz der regionalen Umschichtung der Senatoren schaft blieb ihre Integrationskraft außerordentlich hoch. Auch die Geschlechter der homines Mvi, die sich hauptsächlich aus den schon früh romanisierten Provinzen der westlichen Reichs-
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(1964): Kaiser und Senat in der Zeit von Nero bis Nerva. Diss. Münster. - Halfmann, Helmut (1979): Die Senatoren aus dem östlichen Teil des Imperium Romanum bis zum Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. Göttingen. - Hammond, Mason (1957): Composition of the Senate. A. D. 68-235. In: JRS 47. S. 74-81. - Talbert, Richard J. A. (1984): Tbe Senate of Imperial Rome. Princeton. - Vogel-Weidemann, Ursula (1982): Die Statthalter von Africa und Asia in den Jahren 14-68 n. Chr. Eine Untersuchung zum Verhältnis princeps und Senat. Bonn. Talbert (1984), S. 29.
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Aug., r. g. 8.
21
Talbert (1984). S. 10.
22
Christ (1988), S. 408.
23
Christ (1988), S. 408f. - Talbert (1984), S. 34.
7A
Gamsey/Saller (1989), S. 174f.
2S
Gamsey/Saller (1989), S. 175. - Talbert (1984), S. 33, spricht von "a significant proportion of senate' s membership."
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hälfte rekrutierten, übernahmen das aristokratische Ethos ohne große Anpassungsschwierigkeiten.26 Sie waren stolz auf ihren Senatorenstatus, der sie mit den italischen Adelsgeschlechtern verband. '1:1 Unter dem Prinzipat des Trajan (98-117 n. Chr.) lassen sich in der Entwicklung der sozialen und politischen Rahmenbedingungen gewisse neue Akzentuierungen beobachten. Er soll neben der Herrschaft des Tiberius den anderen zeitlichen Eckpunkt der Untersuchung bilden. Die meisten der alten republikanischen Patriziergeschlechter waren während des ersten nachchristlichen Jahrhunderts ausgestorben. 28 "Die Verfolgungswellen Domitians" hatten die "Exponenten der alten römischen und italischen Aristokratie" beseitigt.29 Bis zu Trajan verschwand selbst von den Familien jede zweite aus dem herrschenden Stand, die erst von Augustus, Tiberius oder Claudius in den Senat aufgenommen worden waren. 30 Gleichzeitig fanden seit Trajan immer mehr Geschlechter aus den östlichen Provinzen des Reiches den Weg in die Kurie. 31 Auch die Zahl der nicht-italischen Konsuln nahm kontinuierlich ZU. 32 Im 2. Jh. n. Chr. überwogen in der Senatorenschaft zwar immer noch die italischen Geschlechter, doch erreichten jetzt die senatorischen Familien aus den Provinzen einen Anteil von fast fünfzig Prozent in der aristokratischen Elite.33 Eine weitere Veränderung läßt sich im Verfahren beobachten, mit dem Trajan seine Herrschaft in Szene setzte. Nach den Schrecken der domitianisehen Tyrannei gelang es dem Kaiser, das politische System erneut zu stabilisieren. Durch die Stilisierung seines Prinzipats zu einem gemäßigten Adop-
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Talbert (1984), S. 37, verweist darauf, daß viele der überlieferten-Quellen des ersten nachchristlichen Jahrhunderts von Provinzialen geschrieben worden sind.
., Talbert (1984), S. 36. Daß die italischen gentes den 'Emporkömmlingen' oft mit Verachtung und Vorurteilen begegneten, steht auf einem anderen Blatt. So wurde der Provinziale und spätere princeps Hadrian wegen seines Akzents ausgelacht, als er in der Kurie als Quaestor eine Rede hielt; s. Talbert (1984), S. 268. 2B Bergener (1965), S. 20Hf. - Bleicken f1981), Bd. I, S. 279. - Talbert (1984), S. 30. Z9 Christ (1988), S. 304. 30 Talbert (1984), S. 30. 31
Hammond (1957), S. 79: "Under Trajan there is a marked rise in the percentage of provincials and this may be attributed to conscious policy. since Trajan alone, according to the surviving evidence, admitted more provincials than he inherited from his predecessors. [...] He, not Hadrian, first gave prominence to eastem senators."
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Unter Antonius Pius sollen schon 44% der Konsuln Provinziale gewesen sein; s. Christ (1988), S. 405.
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Christ (1988), S. 304. Unter Hadrian wuchs der Anteil der Provinzialen auf 42%, unter Mark Aurel auf 46 % an.
20
tivkaisertum konnte Trajan die Akzeptanz des politischen Sys,tems in der aristokratischen Elite erhöhen, ohne die Strukturen und Mechanismen der Machtausübung wirklich zu ändern. Mit demonstrativen Gesten und Formen des Respekterweises gelang es ihm, das Verhältnis zur Kurie entscheidend zu entspannen. Trajans Herrschaftstechniken wurden von den nachfolgenden principes übernommen. Auch in politischer Hinsicht stellt sein Prinzipat daher einen gewissen Einschnitt dar, der es erlaubt, die Zeit von Tiberius bis Trajan als chronologische Einheit der Untersuchung zu Grunde zu legen.
Rom und die Villeggiatur: Die räumlichen Grenzen der Untersuchung Obwohl sich das römische Herrschaftsgebiet weit über den Mittelmeerraum hinaus ausgebreitet hatte, blieben Rom und seine unmittelbare Umgebung das unumstrittene Zentrum fUr das politisch-gesellschaftliche Leben der aristokratischen Elite. Am Ende der Regierungszeit des Augustus erstrahlte die Hauptstadt des Imperiums, die schätzungsweise eine Million Bewohner umfaßte,34 in einem fUr römische Verhältnisse bisher unbekannten Glanz. Überall in Rom entstanden Tempel und andere repräsentative Gebäude, deren Prachtentfaltung in krassem Gegensatz zu den einfachen Wohngebieten mit ihren verwinkelten Straßen und Gassen standen. Auf dem Marsfeld waren Parks angelegt und Theaterbauten errichtet worden. Die Senatoren gingen auf dem Forum zwischen den marmornen Säulen und Fassaden der Basilica Aemilia und der Basilica Julia ihren politischen' Geschäften nach.· Zum Inbegriff römischer Repräsentationsbaulrunst avancierte das Forum Augusti. Seine Marmorbauten35 wurden durch eine ungefähr dreißig Meter hohe Umfassungsmauer vor Bränden geschützt, die regelmäßig in der Stadt wüteten. 36
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Gamsey/Saller (1989), S. 12lf.
3' Über die zahlreichen Prunkbauten des Augustus urteilt Sueton, Aug. 28, folgendenna-
Ben: "Rom [...] verschönerte Augustus in solchem Maße, daß er sich mit Recht rühmen durfte, an Stelle der Stadt aus Backsteinen, die er übernommen hatte, eine aus Mannor zu hinterlassen." - Urbem [ ...] excoluit adeo. ut iure sit gloriatus marmoream se relin-
quere, quam latericiam accepisset. 36
Zanker, Paul eI990): Augustus und die Macht der Bilder. München, S. 159f. Zur Bautätigkeit in Rom während der Regierungszeit des Augustus s. u. a. Hesberg, Henner v. (1988): Die Veränderung des Erscheinungsbildes der Stadt Rom unter Augustus. In: Kaiser Augustus und die verlorene Republik. Katalog zur Ausstellung im Martin-Gropius-Bau, Berlin 7. Juni-14. August 1988. Mainz, S. 93-115.
21
Neben der Hauptstadt des Imperiums bildeten die verschiedenen Villengegenden in Italien die zweite Örtlichkeit aristokratischen Lebens. Schon zu republikanischer Zeit waren die Berge östlich und südöstlich von Rom mit den Gebieten von Bovillae, Tusculum, Aricia, Lanuvium, Tibur oder Praeneste bei den Senatoren äußerst beliebt. 37 Eine Alternative bot der Golf von Neapel. Nachdem das Piratentum von Pompeius 67 v. Chr. endgültig beseitigt worden war, nahm der campanische Küstenstrich mit seinen Meeresvillen bei Baiae oder Puteoli in der ersten Hälfte des nachchristlichen Jahrhunderts einen lebhaften Aufschwung. Erst gegen Ende des Jahrhunderts wandte man sich von Campanien ab. Der Vesuvausbruch mit seinen verheerenden Folgen 79 n. Chr. ließ diese Gegend als zu unsicher für die Villeggiatur erscheinen.38 Gesellschaftliche Verbindlichkeiten und die Verpflichtung, in Rom selbst den 'Hauptwohnsitz ' zu haben, hinderten die Mitglieder der aristokratischen Gemeinschaft daran, sich allzu oft in ihre Villen in den Bergen oder am Meer zu begeben. Nur in den Senatsferien, dem discessus senatus, hatten sie genug Zeit, auch einen längeren Aufenthalt in der Villeggiatur zu planen. Vornehmlich im April und in den ersten zehn Tagen des Mai sowie in den Monaten September und Oktober9 reisten die Senatoren in die bevorzugten Villengegenden. Da die Senatoren außerhalb ihrer Statthalterschaften Italien nur mit der Genehmigung des princeps verlassen durften,40 spielten die römischen Provinzen im ersten nachchristlichen Jahrhundert für das politisch-gesellschaftliche Leben des herrschenden Standes nur eine sehr untergeordnete Rolle. Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich daher auf Rom und die Villeggiatur als Zentren aristokratischen Lebens.
37
38
Zu den verschiedenen Villen-Gegenden s. Mielsch, Harald (1987): Die römische Villa. Architektur und Lebensfonn. München, S. 135-137. Mielsch (1987), S. 137, sieht in der Tatsache, daß seit dem zweiten Jahrhundert die Senatoren vennehrt aus den Provinzen rekrutiert wurden, einen weiteren Grund für die schwindende Beliebtheit des Golfs von Neapel. Die aus den Provinzen stammenden Senatoren, so Mielsch, "dürften aber bestrebt gewesen sein, die Senatsferien für die Beaufsichtigung ihrer Güter außerhalb Italiens zu nutzen, nicht für einen Luxusurlaub in Baiae."
39
Mielsch (1987), S. 134. - Talhert (1984), S. 209ff.
40
Mielsch (1987), S. 134. - Talhert (1984), S. 40.
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M etus Gallicus, metus Punicus und die Angst bei Tacitus: Untersuchungen zur Angst in der römischen Geschichte Die Frage nach dem Phänomen der Angst ist in der Forschung nur sehr fragmentarisch behandelt worden. Dies gilt sowohl für das erste nachchristliche Jahrhundert als auch für die römische Geschichte im allgemeinen. Für die Zeit der Republik stehen der metus Gallicus und der metus Punicus im Mittelpunkt des Interesses. Das republikanische Rom wurde im Laufe seiner Geschichte von zwei Völkern ernsthaft bedroht. Zunächst waren es die Kelten, denen es Anfang des 4. Jh.s v. ehr. gelang, Rom zu erobern und auszuplündern. hn dritten vorchristlichen Jahrhundert entwickelte sich dann die Auseinandersetzung mit der punischen See-und Handelsrnacht Karthago zur größten Gefahr für das in Italien und im westlichen Mittelmeerraum expandierende Rom. Der Konflikt konnte erst nach zwei schweren und verlustreichen Kriegen (264-241 v. ehr.; 218-201 v. ehr.) zugunsten Roms entschieden werden. Karthago wurde schließlich 146 v. ehr. völlig zerstört und dem Erdboden gleichgemacht. In den überlieferten Quellen findet die Bedrohung durch die Kelten wie auch die durch die Punier in der Thematisierung eines metus Gallicus bzw. metus Punicus ihren Niederschlag. Heinz Bellen führt in seiner Arbeit Metus Gallicus - metus Punicus. Zum Furchtmotiv in der römischen Republik41 den Nachweis, daß es sich bei beiden Furchtkomplexen um eine "Realangst"42 handle, die "als geschichtliche Potenz der römischen Republik"43 wirksam gewesen sei. Vor allem der metus Punicus sei kein ftk:tives Element einer politischen Strategie, durch die die römische Welteroberung gerechtfertigt werden solle. Auch das Klagen über einen nach dem Fall Karthagos einsetzenden Sittenverfall beruhe daher auf Erfahrungen, die die Römer mit der "Realangst" gemacht hatten: Die griechische Theorie von der Dekadenz als Folge des nicht mehr vorhandenen ~~IDt'}EV
mit dem urrömischen Furchtkomplex als fester Größe operieren. Sie benutzte mit der Zerstörung Karthagos und dem Sieg über die Kimbern zwei Eckdaten, weIche tatsächlich das Verschwinden des metus Punicus bzw. des metus Gallicus bezeichneten. Diese Verwurzelung in der Praxis war wohl der Hauptgrund für die historiographische Wirkung der von Sallust endgültig fonnulierten Lehre vom metus Punicus. Im
41
Bellen, Heinz (1985): Metus Gallicus - metus Punicus. Zum Furchtmotiv in der römischen Republik. Mainz.
42
Bellen (1985), S. 9.
43
Bellen (1985), S. 45.
23
Hinblick auf den metus Gallicus spielte die Erinnerung an seine letzte Ausprägung im metus CimbrorUTn eine ähnlich nachwirkende Rolle.""
Bellens Monographie über die beiden republikanischen Furchtkomplexe stellt für die gesamte Epoche der römischen Geschichte einen der wenigen Versuche dar, die Angst als einen konkreten, in der Geschichte wirkenden Faktor faßbar zu machen. 4s Für das erste nachchristliche Jahrhundert46 herrschen dagegen ausschließlich geistesgeschichtlich ausgerichtete Untersuchungen vor. Sie beschäftigen sich vor allem mit dem Stellenwert der Angst in den Geschichtswerken des TacitusY Ausgehend von der Einleitung der Historien und vom taciteischen Tiberius-Bild versucht Wolff-Rüdiger Heinz in seiner Monographie Die Furcht als politisches Phänomen bei Tacitus48 die These zu
.... Bellen (1985), S. 46. 4S
Zur Kritik an Bellen s. die Rezensionen von: Bringmann, Klaus (1989): In: Gymnasium 96, S. 188f. - Gizewski, Christian (1987): In: HZ 244, S. 393-396, sowie der Aufsatz von: Welwei, Karl-Wilhelm (1989): Zum metus Punicus in Rom um 150 v. Chr. In: Hennes 117, S. 314-320. - Ob der Begegnung der Römer mit dem hellenistischen Osten, vor allem aber der Auseinandersetzung mit dem Molosserkönig Pyrrhos 280-275 v. Chr. eine ähnliche Furcht-besetzte Qualität zukommt, ist in der Forschung umstritten. Sonnabend, Holger (1989): Pyrrhos und die "Furcht" der Römer vor dem Osten. In: Chiron 19, S. 319-345, fmdet in den Quellen keine Indizien für eine diesbezügliche 'Realangst' der Römer: "Es sollte [...] deutlich geworden sein, daß die Auffassung, das römische Ausgreifen nach dem Osten sei auch eine Folge des Pyrrhoserlebnisses gewesen, von der Beurteilung der Pyrrhoskriege durch die Römer selbst her keine Grundlage hat. Anders als die Kelten und funier hinterließ der dritte Invasor, Pyrrhos, kein Trau~ ma, was zu einem großen Teil danID lag, daß er den Römern nicht nur als Militllr, sondern auch als Diplomat und Politiker hellenistischer Prägung entgegentrat"; S. 345, ein Forschungsüberblick befindet sich auf S. 319ff.
46
Leider war es mir nicht möglich, die noch unveröffentlichte Habilitationsschrift von Alfred Kneppe mit dem Titel Metus temporum - Zur Bedeutung von Angst in Politik und Gesellschaft der frühen römischen Kaiserzeit einzusehen [FundsteIle: Pekary, Thomas (1990): Unkonventionelle Gedanken zur römischen Geschichtsschreibung. In: Leidinger, Paul und Metzler, Dieter (Hg.): Geschichte und GeSchichtsbewußtsein. Festschrift Karl-Emst Jeismann zum 65. Geburtstag, gewidmet von Kollegen und Freunden der Universität Münster. Münster, S. 62, Anm. 5.]. Insofern muß hier auf eine Auseinandersetzung mit dieser Arbeit verzichtet werden.
47
Arbeiten und Untersuchungen zur Bedeutung der Angst bei anderen Autoren sind nur sehr disparat erschienen: Finke, H.-G. (1951): Furcht und Hoffnung als antithetische Denkform in der römischen Literatur von Plaulus bis Tacitus. Diss. Typoskript. Tübingen. - Newbold, R. F. (1990): Patterns of Anxiety in Sallust, Suetonius und Procopius. In: The Ancient History Bulletin 4, S. 44-50.
48
Heinz, Wolff-Rüdiger (1975): Die Furcht als politisches Phänomen bei Tacitus. Amsterdarn.
24
belegen, daß für Tacitus die Geltung der alten virtus - "von wenigen Ausnahmen abgesehen" - im Prinzipat in zweifacher Hinsicht unmöglich geworden sei: "einmal durch die Furcht der Tyrannen vor der virtus anderer, zum andem zeitigt die Furcht, die der Tyrann verbreitet, ein Verhalten von servitus und adulatio, zwei Verhaltensweisen, die der virtus entgegengesetzt sind."49 Heinz kommt zu dem Ergebnis, daß das "normale Funktionieren der Gesellschaft der ganzen Epoche, die Tacitus beschreibt", letztlich auf Furcht beruhe: "Damit setzt sich das Phänomen der Furcht ab von den übrigen 1tc1f}Tl; in der Darstellung des Tacitus gewInnt die Furcht noch eine zusätzliche Funktion: sie ist zu einem politischen Faktor geworden."so Gegen die Interpretation des taciteischen Tiberius-Bildes von Heinz wendet sich Ernst A. Schmidt.sl Heinz hatte zu belegen versucht, daß "Tacitus [...] eine Verbindung zwischen dem literarischen Tyrannenbild und Tiberius hergestellt"S2 hat: Es ist auffallend, daß so gut wie alle tiberianischen Züge, die auf die Tyrannentopik weisen, ein Gemeinsames haben: es ist die allem zugrundeliegende Furcht. Am literarischen Tyrannenbild hat Tacitus die Furcht als Prinzip der Herrschaft eines Tymnnen erIcannt. Dieses Prinzip sah er auch in der Herrschaft des Tiberius wirksam - und dies gab ihm die Berechtigung, Tiberius als einen Tyrannen zu bezeichnen und ihn mit dem sokratischen Gewaltherrscher auf eine Stufe zu stellen.53
Das Phänomen der Furcht liegt nach Heinz auch der Beurteilung des Tiberius durch Tacitus54 zugrunde, in der das eigentliche - tyrannische - Wesen des zweiten princeps stufenweise enthüllt wird. 55 Genau an diesem Punkt setzt Ernst A. Schmidt mit seiner Argumentation gegen Heinz ein. Die Tiberius-Charakteristik des Tacitus basiere, so behauptet Schmidt gegen Heinz, nicht auf dem Element der Furcht.56 Gerade die "letzte schlimmste Lebensphase", d h. die "einzige Phase unbegrenzter Macht und eigentlicher Tyrannis", sei dadurch gekennzeichnet, daß hier "alle Furcht fehlt, während im traditionellen Tyrannenbild gerade der allmächtige Tyrann unablässig in
49
50
Heinz (1975), S. 75. Heinz (1975), S. 76.
52
Schmidt, Ernst A. (1982): Die Angst der Mächtigen in den Annalen des Tacitus. In: WS, N. F. 16, S. 274-287. Heinz (1975), S. 41.
53
Heinz (1975), S. 41.
51
55
Tac., anno 6, 51, 3. Heinz (1975), S. 43.
56
Schmidt, E. A. (1982), S. 282ff.
54
25
Angst ist,,57. Die traditionelle Tyrannentopik, so das Fazit von Schmidt, spiele "für das taciteische Tiberiusbild nicht die von der bisherigen Forschung behauptete Rolle": In den Tiberiusbüchern wird nicht die Furcht als Erklärungsprinzip für die Tyrannis eingesetzt, sondern im Gegenteil gerade ihr stufenweiser Fortfall im Zusammenhang mit dem Tod von Machtteilhabern als Erldärungsprinzip für die Verschlechterung der Herrschaft des Tiberius angewandL Der wirklich böse und 'tyrannische', nämlich verbrecherisch-grausame und schändlich-wollüstige Tiberius der letzlen Phase wird gemde nicht als durch Angst gepeinigt dargestellt..5·
Der Tiberius des Tacitus hebe sich damit deutlich von Nero ab, hinter dessen Darstellung eine geschichtliche Wirklichkeit "bzw. in der taciteischen Darstellung geschichtlich gedeutete und als solche geistig geformte Wirklichkeit zu fmden,,59 sei. Die Furcht des Tyrannen sei in den Nerobüchem der Annalen "ein beständiges und entscheidendes Motiv".60 Die detailliert und kontrovers geführte geistesgeschichtliehe Analyse der Bedeutung der Angst in der Historiographie des Tacitus61 kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß eine konsequent historisch-anthropologisch ausgerichtete Untersuchung der Angst gerade für den von Tacitus dargestellten Zeitraum bisher ausgeblieben ist.62 Der Verdacht einer wirklich vorhandenen Orientierungslosigkeit und Unsicherheit innerhalb der Senatorenschaft ist nie verdichtet, ja niemals ernsthaft erhoben worden. 63 Dies ist um so verwunderlicher, als die Mitglieder der aristokratischen Gemeinschaft, wie oben skizziert, im ersten nachchristlichen Jahrhundert unter anderen gesellschaftlichen und politischen Bedingungen leben mußten, als sie traditionell gewohnt waren. Der Grund für dieses Defizit in der For-
57
Schmidt, E. A. (1982), S. 284 .
.58 Schmidt, E. A. (1982), S. 286. 59
Schmidt, E. A. (1982), S. 279.
60
Schmidt, E. A. (1982), S. 280.
6\
62 63
26
S. auch: Mastellone, Eugenia 1. (1989): Paura e angoscia in Tacito. Implicazioni ideologici e politici. Neapel. - Weitere Litemturhinweise sind bei Heinz (1975), S. 1-6, zu fmden. Meier (1986), S. 237, beklagt dies für die gesamte Antike. Eine gewisse Ausnahme ist: Bracher, Karl Dietrich (1987): Verfall und Fortschritt im Denken der frühen römischen KaiserzeiL Studien zum Zeitgefühl und Geschichtsbewußtsein des Jahrhunderts nach Augustus. Wien. Bracher kommt in seiner ebenfalls geistesgeschichtlich ausgerichteten - Untersuchung zu dem Ergebnis, daß sich das Zeitgefühl des ersten nachchristlichen Jahrhunderts in einem Verfallsdenken widerspiegelt (S.. 38), das seinerseits Ausdruck einer allgemeinen Unsicherheit ist, die sich im gesellschaftlich-politischen Leben des frühen Prinzipats ausgebreitet hatte (S. 215).
schung ist unter anderem im altertumswissenschaftlichen Diskurs selbst und seinem implizit gesetzten Verständnis von der 'Furcht' bzw. 'Angst' sowie vom 'römischen Wesen' zu suchen. Mit diesem Verständnis werden sich die Ausftihrungen des nachfolgenden methodischen Teils unter anderem zu beschäftigen haben.
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Teil I
Angst als Objekt einer historisch-anthropologischen Studie: Ein flüchtiges Phänomen
Die Angst: Ein natürliches Objekt der Geschichte? "Die Angst, die Angst, wo sind die Federn, die Kardigramme, die sie aufzuzeichnen vermögen, ... " - das Motto der vorliegenden Arbeit - schreibt Ingeborg Bachmann anläßlich ihrer Auseinandersetzung mit dem Werk Heideggers. t Ähnliche Skepsis ist angebracht, will man die Angst als Kategorie einer historisch-anthropologischen Untersuchung im altertumswissenschaftlichen Diskurs festschreiben. Dies erscheint zunächst verwunderlich, da sich dem Historiker ein ganzes Arsenal von Angstbegriffen, Definitionen und Theorien zur freien Auswahl anbietet. Beginnend bei der Unterscheidung zwischen Angst und Furchr über die Begriffe der Welt- oder Existenz-
1
Nachl~; Funds~lle: Gutjahr, Ortrud (1988): Fragmente unwiderstehlicher Liebe. Zur
Dialogsttuktur literarischer Subjektentgrenzung in Ingeborg BachmannsDer Fall Fran-
za. Würzburg, S. 115, Anrn. 196. 2
Bei der Unterscheidung zwischen Angst und Furcht wird allgemein auf Sören Kierkegaard rekurriert. Die Furcht, so Kierkegaard, habe immer etwas Bekanntes oder Bestimmbares zum Gegenstand, während die Angst immer nur durch etwas Unbekanntes oder Unbestimmtes ausgelöst werde; s. Kierkegaard, Sören (1958): Der Begriff Angst Düsseldorf, S. 40. - Martin Heidegger hat diesen Gedanken weiter ausgeführt [Heidegger, Martin S I979): Sein und Zeit Tübingen.]. Er benennt das "Wovor der Furcht" als etwas "innerweltlich Begegnendes von der Seinsart des Zuhandenen, des Vorhandenen oder des Mitdaseins" (S. 140). Alles das, was in der Welt vorhanden ist und geschieht, wird für ihn zum Gegenstand der Furcht. Das "Wovor der Angst" hebt Heidegger kraß vom "Wovor der Furcht" ab: "Nichts von dem, was innerhalb der Welt zuhanden und vorhanden ist, fungiert als das, wovor die Angst sich ängstet" (S. 186). Das "Wovor der Angst" sei das "In-der-Welt-sein als solches" (S. 186). - Schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde zwischen Angst und Furcht un~rschieden, als man davon sprach, "daß 'Furcht' die psychologische Folge einer bestimmten Subjekt-Objekt-Relation bezeichnet, 'Angst' hingegen zunächst nur einen Zustand des Subjekts, [...]; der Grund dieses Zustandes wird dabei ausgeblendet"; Begemann, Christian (1987): Furcht
e
31
angs~ bis hin zu den psychologischen bzw. psychoanalytischen Theorien über Angstneurosen und Phobien4 kann er sich scheinbar diejenige Definition der Angst oder dasjenige Erklärungsmuster aussuchen, das ihm für sein Vorhaben besonders geeignet zu sein scheint. 5 Ein derartiges Vorgehen endet jedoch in einer ahistorischen Sackgasse. Die Einschreibung von Angstzuständen in das Register des Krankhaften sowie die Unterscheidung zwischen rational erklärbarer Furcht und unbestimmter innerer Angst fanden ihre Genese im 18. Jahrhundert, als sich die Aufklärung darum bemühte, das Subjekt als Herr über die Natur und über sich selbst (und damit über die Angst) einzusetzen.6 Die Angst wurde im Prozeß der Durchrationalisierung der Gesellschafe zu einem wesentlichen Bestandteil des Irrationalen, des "Anderen der Vemunft"8, das die Menschen an einem freien und selbstbestimmten Leben hinderte. Nur diejenige Angst, die Vernunft-gemäß nachvollziehbar und deren Ursache für jedermann einsichtig war, wurde fortan als 'Furcht' - akzeptiert. War sie aber 'irrational', schlichtweg nicht erklärbar, galt sie schließlich mit dem Aufkommen der psychologischen Rede als psychischer Defekt des Individuums 9• Der 'Angstneurotiker' war nun aus
und Angst im Prozeß der Aufklllrung. Zu Literatur und Bewußtseinsgeschichte des 18. Jahrhunderts. Frankfurt a. M., S. 5. 3 Der Gedanke einer Welt- oder Existenzangst knüpft vor allem an Überlegungen der Existenzphilosophie Sames an; s. dazu S. 34. • Zur psychologischen bzw. psychoanalytischen Definition der Angstneurose und der Phobie s.: Art. Angstneurose (,1986). In: Laplanche, Jean; Pontalis, Jean-Bertrand: Das Vokabular der Psychoanalyse. Frankfurt a. M., S. 66-68. - Art. Phobie (1971). In: Arnold, Wilhelm u. a (Hg.): Lexikon der fsychologie.Bd. 2. Freiburg, S. 78.4. - Fröhlich, Werner D. (1982): Angst. Gefahrensignale und ihre Bedeutung. München, S. 84-101. Zur Angst aus tiefenpsychologischer Sicht s.: Riemann, Fritz (1981): Grundformen der Angst. Eine tiefenpsychologische Smdie. München. 5 S. dazu u. a.: Bergenholtz, Henning (1980): Das Wortfeld "Angst". Eine lexikographische Untersuchung mit Vorschlägen für ein großes interdisziplinäres Wörterbuch der deutschen Sprache. Stuttgart. - Ditfurth, Hoimar v. (Hg.) (1965): Aspekte der Angst Stamberger Gespräche 1964. Stuttgart. - Wiesbrock, Heinz (Hg.) (1967): Die politische und gesellschaftliche Rolle der Angst. Frankfurt a. M. 6 S. Begemann (1987). 7 S. Schoene, Wolfgang (1967): Zur Frühgeschichte der Angst. Angst und Politik in nichtdurchrationalisierten Gesellschaften. In: Wiesbrock, Heinz (Hg.): Die politische und gesellschaftliche Rolle der Angst. Frankfurt a. M., S. 113-134. Schoene bezieht sich mit dem Begriff der 'Durchrationalisierung' vor allem auf Max Weber. s Begemann (1987), S. 12, mit allgemeinen Verweis auf: Böhme, Hartmut und Gernot (1983): Das Andere der Vernunft. Zur Entwicklung von Rationalitätsstrukturen am Beispiel Kants. Frankfmt a. M. g S. auch Schoene (1967), S. 119f.
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Fürsorge und um des Gemeinwohls willen 'auf den Weg der Vernunft' zurückzuführen oder aber bei Mißerfolg von der Gesellschaft abzusondern. Der Versuch, derartige Objektivierungen der Angst in einer historisch-anthropologischen Untersuchung zu installieren, verkennt, daß diese Termini unter besonderen Bedingungen historischer und sozialer Art thematisiert und festgeschrieben worden sind. Der Historiker betriebe nichts anderes als Geschichtsmetaphysik, würde er 'die' Angst, 'die' Furcht, 'die ' Weltangst, 'die' Angstneurose oder 'die' Phobie als Produkte eines philosophischen bzw. klinischen Diskurses mit der Aura eines -transhistorischen oder, wie Paul Veyne es nennt, natürlichen Objektes to umkleiden. Der Irrtum bestünde darin, "das Objekt der Praktik als natürliches Objekt anzunehmen, das gut bekannt, immer dasselbe, sozusagen materiell sei, die Kollektivität, der Staat, die Macke"n - oder eben: 'die' Angst. Anstatt davon auszugehen, daß 'die' Angst selbst ein Produkt der Geschichte ist, impliziert der Gedanke eines natürlichen Objektes die Vorstellung, daß dieses zu jeder Zeit, sei es in der Ur- bzw. Frühgeschichte, in der griechisch-römischen Antike, im Mittelalter oder in der Neuzeit ohne eine Verwandlung seiner Identität existiert. Die ahistorische Setzung eines natürlichen Objektes hat, wie Veyne gezeigt hat, unweigerlich zur Konsequenz, daß der Historiker nur noch nach der "Haltung" der Gesellschaften zu seinem Untersuchungsobjekt fragen kann. t2 Das eigentliche Objekt der Analyse bleibt dagegen über alle Epochen hinweg dasselbe. Der Historiker kann dann nur beschreiben und erklären, wie sich die Einschätzungen und Bewertungen seines natürlichen Objektes durch die verschiedenen Kulturen, Gesellschaften und sozialen Gruppen verändert haben. Die Menschen selbst ängstigten sich aber immer auf dieselbe Art und Weise, es wären immer dieselben Ursachen, dieselben Verlaufsformen, dieselben Folgen der Angst zu konstatieren. Historisch variabel - und damit darstellenswert - bliebe einzig und allein, wie diese Tatsachen durch die Menschen in den verschiedenen Jahrhunderten bewertet wurden. In diesem Sinne kann sich die vorliegende Arbeit auch nicht der Methode Jean Delumeaus anschließen, dessen Werk Angst im Abendland. Die Geschichte kollektiver Ängste im Europa des 14. bis 18. Jahrhunderts 13 wohl die umfangreichste und auch bekannteste Studie zum Thema 'Angst in der Geschichte' ist. Delumeau stellt sich die Aufgabe, "in einer Art Spektral-
10
11 12
13
Veyne, Paul (1981): Der Eisberg der Geschichte. Foucault revolutioniert die Historie. Berlin, S. 30ff. Veyne (1981), S. 30. Veyne (1981), S. 33. Delumeau (1985) 2 Bde.
33
analyse die einzelnen Ängste, die zusammengenommen eine Atmosphäre der Angst erzeugten, für sich zu betrachten."14 Der einen großen Angst als solcher mißt er die Qualität einer "natürlichen Erscheinung"15 bei. Die Worte Jean-Paul Sartres zitierend - "Alle Männer haben Angst. Alle. Wer keine Angst hat, ist nicht nonnal; das hat nichts mit Mut zu tun." - sieht er in dem Verlangen nach Sicherheit ein Grundbedürfnis des Menschen, das gleichzeitig Basis des menschlichen Gefühlslebens und der menschlichen Moral sei. 16 Delumeau übernimmt die existentialistische Rede von der Angst, die diesen Affekt als eine Grundbefindlicbkeit des Menschen thematisiert. Da der Mensch von seinem Wesen her frei ist, so hatte Sartre festgestellt,17 muß er die Werte, mit deren Hilfe er seinem Leben Orientierung und Sicherheit geben will, durch seine eigene Entscheidung setzen. Da den Menschen aber zugleich auch die ungeheure Verantwortung einer so grundsätzlichen Entscheidung vollauf bewußt ist, wird die Wertsetzung des Individuums immer begleitet von einer existentiellen Angst vor der Unsicherheit, ob denn sein Vorgehen wirklich richtig, d. h. verantwortlich ist. Die Angst, so lautet die These Sartres, ist Bestandteil einer jeden Handlung des in seinem Wesen freien Menschen. Indem Delumeau die existentialistische Definition der Angst in sein methodisches Register übernimmt, begeht er den verhängnisvollen Fehler, das Produkt einer diskursiven Praxis mit einem natürlichen Objekt der Geschichte zu verwechseln. Die Angst vor der eigenen Existenz des Menschen ist für ihn zu jeder Zeit in jeder Gesellschaft und in jeder Kultur festzustellen. Sein Werk wird somit fast zwangsläufig zu einer "Spektralanalyse" nicht etwa real vorhandener Ängste, sondern verschiedener Bewertungen der einen existentiellen Weltangst. Genau dies drückt sich auch in seiner AufgabensteUung aus, wenn_ er die "ejnzelnen" Ängste als solche identifiziert, die "benannt" worden sind. 18 Besonders anschaulich vennittelt sich das "dualistische Problem" 'natürliches Objekt - Haltung'19 bei Delumeaus kurzer Beschreibung der antiken Angst:
14
Delumeau (1985), Bd. 1, S. 29.
15
Delumeau (1985), Bd. 1, S. 19ff.
16
Delumeau (1985), Bd. 1, S. 20.
17
Die folgenden Ausführungen zu Sartre beziehen sich auf: SchuIz, Walter (1965): Das Problem der Angst in der neueren Philosophie. In: Ditfurth, Hoimar v. (Hg.): Aspekte der Angst Stamberger Gespräche 1964. Stuttgart, S. 11f. - S. auch: Sartre, lean-Paul (1962): Das Sein und das Nichts. Hamburg, S. 70ff.
18
Delumeau (1985), Bd. 1, S. 29.
19
Veyne (1981), S. 33.
34
So sahen die Menschen der Antike in der Angst eine Macht, die stärker ist als der Mensch, die man sich indessen durch geeignete Opfergaben gewogen stimmen und deren schreckenerregende WUkungen man auf die Feinde übertragen konnte. Sie hatten die wesentliche Rolle, die die Angst im Leben des einzelnen und von Gemeinschaften spielt, begriffen und bis zu einem gewissen Grad gebilligt.20
Die Menschen der Antike ängstigen sich bei Delumeau eigentlich gar nicht mehr, sie bewerten die Angst 'nur' noch von einem ganz bestimmten Standpunkt aus. 21 Delumeaus Methode veranschaulicht in exemplarischer Weise, wie sich der historische Diskurs über die Angst fast unvermeidlich verschiebt, wenn die diskursiven Objektivierungen der Angst als natürliche Objekte der Geschichte behandelt werden. Allein durch diese Gleichsetzung gerät die Angst aus dem Blickfeld einer historisch-anthropologisch orientierten Betrachtungsweise und wird in letzter Konsequenz nur noch durch eine geistesgeschichtliche Analyse faßbar. Genau darin ist auch ein erster methodischer Grund für das Fehlen einer historisch-anthropologischen Arbeit zur Angst in der römischen Geschichte zu suchen. Denn auch der altertumswissenschaftliche Diskurs geht ausnahmslos von 'der' Angst oder 'der' Furcht als natürliche Objekte der Geschichte aus. Mit einer so gearteten methodischen Disposition kann er gar nicht anders, als den Einstellungen antiker Menschen zur
:w Delumeau (1985), Bd. I, S. 23. 21
Der Irrtum, die existentialistisch defmierte Angst als natürliches Objekt der Geschichte zu setzen, ist nicht der einzige Delumeaus. So brillant der Stil seiner Ausführungen in vielerlei Hinsicht sein mag, er kann nicht darüber hinw~gtäuschen, daß .die theoretischen Ausführungen seines Werkes eher Ausdruck eines methodischen Eklektizismus als Resultat gedanklicher und terminologischer Stringenz sind. So bedient sich Delumeau auf seiner "Suche nach der Angst" - dies ist ein Teil der Überschrift des einleitenden Kapitels - zweier Defmitionen von Subjektivität, die sich zusammen nicht in ein methodisches Konzept integrieren lassen. Die Festschreibung der Angst als eine existentielle Grundbefmdlichkeit des Menschen impliziert die Vorstellung eines autonomen Subjektes, das sich seine Werte und Verhaltensdispositionen ohne das Zutun anderer aus freier EntscheidWlg selbst setzt. Diese Subjekt-DefInition ist jedoch Wlmöglich mit der sogenannten Bindungstheorie in Einklang zu bringen, die Delumeau ebenfalls in seine methodischen Überlegungen einführt [Delumeau (1985), Bd. I, S. 3lf.]. Sie besagt in Anschluß an Freud, daß die "soziale Natur des Menschen [... ] wie eine biologische Tatsache" erscheint und daß "in diesem tiefen biologischen Untergrund" auch das Gefühlsleben Wurzeln schlägt. Im Gegensatz zum autonomen Subjekt konstituiert sich das Individuum nach dieser Theorie immer auch über seine Umwelt. Ihm ist quasi ein Begehren eingepflanzt, das die Anerkennung der anderen als Voraussetzung für die eigene Identitätsfindung unbedingt notwendig macht. Die konkurrierenden Konzeptionen eines autonomen Wld strebenden Subjektes (zum Begriff des strebenden Subjekts s. das Kap. Das strebende Subjekt und seine Furcht-Angst) stehen in Delumeaus methodischen Ausführungen Wlvermittelbar nebeneinander.
35
Angst in ihren Reden nachzuspüren, um diese dann dem modemen Rezipienten in geistes geschichtlichen Studien zu präsentieren. Soll die Angst also wirklich als historisch-anthropologische Kategorie in den Altertumswissenschaften etabliert werden, muß sie weitestgehend von der modemen Rede über die Angst entstellt werden.22
Die anthropologische Kompetenz Angst: Eine "gesichtslose Virtualität,,23 Die Angst läßt sich dann von der modemen Rede über sie entstellen, wenn sie als eine "anthropologische Kompetenz"24 begriffen wird. Als ein biologisch konditioniertes 'inneres' - oder besser: neurologisches - Gefahrensignal ist es ihre Funktion, tatsächliche oder vorhergesehene Störungen des Gleichgewichtes zwischen Umweltund Selbstbezug rechtzeitig zu melden. In diesem weiten Sinne ist jede Angst des Individuums, ob sie nun in den Rahmen des Üblichen fällt oder nicht, für sich genommen eine grundsätzlich adaptive und angemessene "innere" Reaktion. Sie kündigt auf autonomen, unbewußten und bewußten Kanälen die Gefahr einer möglichen Überbeanspruchung der Gleichgewichtseinrichtungen des Organismus an.25
Verschiebt man diese Definition auf die Ebene des historischen Diskurses, erscheint die anthropologische Kompetenz Angst zunächst als eine" gesichtslose Virtualität", die erst im Rahmen eines geschichtlichen, kulturellen oder sozialen Kontextes ihr jeweils ganz spezifisches Profil erhält. Die Frage muß nun sein, wie der gesichtslosen Virtualität Angst vom- Historiker ihre Gesichtszüge eingezeichnet werden können, wie der Zusammenhang
21
Eine völlige Entstellung ist nicht möglich, weil das Wissenschaftssubjekt seine eigene sprachliche Ordnung nicht verlassen kann.
23
Veyne (1981), S. 49.
24
Der Begriff fmdet sich bei: Lepenies, Wolf (1977): Probleme einer historischen Anthropologie. In: Rürup, Reinhard (Hg.): Historische Sozialwissenschaft Beitrage zur Einführung in die Forschungspraxis. Göttingen, S. 139.
25
Fröhlich (1982), S. 23. Ähnlich definiert auch Delumeau (1985), Bd. I, S. 26, die Angst, ohne sie aber, wie dargelegt, in eine in sich stringente Methodik zu integrieren: "Im strengen und engen Sinne des Wortes ist die (individuelle) Angst ein Affekt, dem oftmals ein Gefühl der Überraschung vorangeht und der durch die bewußte Wahrnehmung einer gegenwärtigen, großen Gefahr hervorgerufen wird, die unserer Meinung nach unser Leben bedroht."
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zwischen dieser anthropologischen Kompetenz und symbolischer Ordnung26 methodisch zu bestimmen ist und welche Konsequenzen sich daraus für eine historisch-anthropologische Untersuchung ergeben. Auf den ersten Blick ähnelt die anthropologische Kompetenz bzw. gesichtslose Virtualität Angst einer geschichtlichen Materie, die Veyne im Anschluß an Überlegungen Michel Foucaults mit dem Begriff des 'prädiskursiven Referenten' benennt. Auch der prädiskursive Referent ist nicht dazu bestimmt, in einer symbolischen Ordnung "dieses oder jenes, immer gleich bleibende Gesicht zu werden,,27. Veyne grenzt den prädiskursiven Referenten klar von einem natürlichen Objekt der Geschichte ab. Während das natürliche Objekt als Zielobjekt von Diskursen und Praktiken seine Identität im Verlauf der Geschichte bewahrt und für den Historiker immer sichtbar ist, wird der prädiskursive Referent erst in Korrelation zu Diskursen oder Praktiken beschreibbar. Als Bestandteil einer "rein materielle[nJ Welt", die als solche retrospektiv nicht zu beschreiben ist, wird der prädiskursive Referent, so Veyne, erst durch unterschiedlichste Diskurse und Praktiken zu verschiedenen Zeiten und in unterschiedlichen Situationen auf ganz verschiedene Art und Weise objektiviert. 28 Der prädiskursive Referent läßt sich deswegen auch mit dem Begriff der 'Materie-für-etwas' umschreiben. So kann die Materie-für-Wahnsinn zu jeder Zeit etwas anderes sein; oder umgekehrt: Das, was in der Neuzeit als Materie-für-Wahnsinn durch einen Diskurs oder durch eine Praktik objektiviert wird, kann in anderen Epochen oder in anderen Kulturen Zeichen des Heiligen, des Erhabenen oder ganz einfach alltäglich sein. 'Den' Wahnsinn (als natürliches Objekt der Geschichte) gibt es nicht, es existieren nur verschiedenste Diskurse und Praktiken, die den Wahnsinn objektivieren und erst so die Materie-für-Wahnsinn in ihrer historisch, kulturell oder sozial bedingten Spezifität für den Historiker sichtbar machen. Als Materie-für-Wahnsinn/prädiskursiver Referent können beispielsweise Verhaltensweisen, Muskelzuckungen und Sprachgewohnheiten festgemacht werden. Sie bilden quasi den "Ankerungspunkt"29
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Unter symbolischer Ordnung soll hier allgemein ein kulturelles, soziales oder historisches System verstanden werden, in das das menschliche Subjekt durch Geburt eingefügt ist und das den zwischenmenschlichen Beziehungen Sinn gibt.
27
Veyne (1981), S. 49. Veyne bezieht sich auf: Foucault, Michel e1988): Archäologie des Wissens. Frankfurt a. M., S. 7lf.
28
Veyne (1981), S. 49. Veynes Begriff der 'materiellen Welt' ist an dieser Stelle zunächst mißverstiindlich, da er dazu verführt, sich diese 'materielle Welt' per se als sichtbar und beschreibbar vorzustellen. Dies ist aber gerade nicht der Fall. Sichtbar ist für Veyne in der Geschichte nur das, was in Korrelation zu einem Diskurs oder einer Praktik steht. Veyne (1981), S. 48.
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bestimmter Diskurse oder Praktiken, die ihrerseits in einer Korrelation zur Objektivierung 'Wahnsinn' stehen. Veyne benutzt in diesem Zusammenhang eine Metapher, um den sehr abstrakten Sachverhalt zu veranschaulichen. Die Geschichte wird von ihm mit einem im Ozean schwimmenden Eisberg verglichen. Die Spitze dieses Eisberges setzt er mit den verschiedenen Objektivierungen gleich (z. B. der Wahnsinn, das Heilige), während der bei weitem größere untergetauchte Teil des Eisberges die mit den Objektivierungen korrespondierenden Diskurse und Praktiken symbolisiert. Der Historiker hat nun die Möglichkeit, retrospektiv zu beschreiben, welche prädiskursiven Referenten durch bestimmte Diskurse und Praktiken als 'Eiskristalle' über die Wasseroberfläche hinausgehoben wurden und nun die Spitze des Eisberges - sprich: eine Objektivierung in der Geschichte - bilden. Die Metapher vom Eisberg der Geschichte steht für eine konkrete historische Methode. Die Spezifität eines geschichtlichen Objektes läßt sich bestimmen, indem die Korrelationen zwischen den entsprechenden Diskursen/Praktiken und Objektivierungen einerseits sowie zwischen den prädiskursiven Referenten und DiskursenIPraktiken andererseits beschrieben werden. Der prädiskursive Referent erweist sich dabei sowohl als 'Baustein' der Objektivierung wie auch als "Ankerungspunkt" einer Praktik/eines Diskurses. Veynes Metapher vom Eisberg der Geschichte kann helfen, den Zusammenhang zwischen der anthropologischen Kompetenz Angst und symbolischer Ordnung näher zu bestimmen, obwohl - oder besser: gerade weil sich diese gesichts lose Virtualität nicht in das Bild einfügen läßt. Die anthropologische Kompetenz Angst besitzt eine erstaunliche, ja geradezu paradoxe Qualität, die den Historiker im Rahmen einer historisch-anthropologischen Untersuchung vor größte Schwierigkeiten stellt. 30 Sie bleibt auchoin
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Hinsichtlich des Phänomens der anthropologischen Kompetenz erweist sich Veynes Theorie des prädiskursiven Referenten als ungenau und widersprüchlich. Am Beispiel des Wahnsinns von Foucault zur Kritik des natürlichen Objekts überzeugend entwickelt läßt sich dieses Konzept nicht ohne weiteres auf die anthropologische Kompetenz anwenden. Waren die prädiskursiven Referenten als Materie-für-Wahnsinn historisch, kulturell und sozial vollständig austauschbar und erst retrospektiv über die unterschiedlichen Praktiken, die sie objektivieren, erlcennbar [Veyne (1981), S. 47], so liegen die Dinge beim sexuellen Begehren, einer anderen von Veyne genannten anthropologischen Kompetenz, ganz anders. Dieses ist in der Tat "Ankerungspunkt einer Praktik" (S. 48), aber es ist eben doch auf eine ganz bestimmte anthropologisch konditionierte Art und Weise, die von Veyne nicht genügend berücksichtigt wird, auch "Zielscheibe für Teleologie" (S. 48). Die anthropologische Kompetenz des sexuellen Begehrens ist als prädiskursiver Referent nicht erst retrospektiv erkennbar. In diesem Sinne gibt es zwar "kein 'ewiges Problem' des Wahnsinns, der - als natürliches Objekt - durch die verschiedenen Jahrhunderte hindurch zu verschiedenen Antworten herausgefordert hätte" (S. 48), aber es gibt ein 'ewiges Problem' des sexuellen Begehrens, das seine diskursive
einem geschichtlichen oder kulturellen Zusammenhang in dem Sinne für den Historiker unsichtbar, als daß sie weder als eine unmittelbare Objektivierung eines Diskurses oder einer Praktik noch als deren Ankerungspunkt zu bestimmen ist. Um in der Metapher Veynes zu sprechen: Die anthropologische Kompetenz Angst wird nie zur "Spitze des Eisberges", sondern bleibt im Gegenteil wie die Diskurse/Praktiken selbst dessen untergetauchter Teil. Die Objektivierung - oder besser: Freisetzung - der Angst vollzieht sich nach der Veyneschen Metapher nicht vertikal mittels eines Durchstoßes durch die Wasseroberfläche, sondern horizontal in den Tiefen des Ozeans. Sie wird nicht über die Wasseroberfläche der Geschichte hinausgehoben. Demnach läßt sich die Angst in ihrer historisch-anthropologischen Spezifität niemals als eine diskursive oder auch praxeologische Objektivierung in der Geschichte begreifen. Ihre Ähnlichkeit mit einem prädiskursiven Referenten bleibt daher eine scheinbare oder höchstens partielle. Sie gleicht ihm nur in dem Punkt, daß sie wie er zunächst einer für den Historiker unsichtbaren "materiellen Welt" angehört, ohne aber in Korrelation zu einem Diskurs oder einer Praktik sichtbar zu werden. Wie aber können dann der gesichtslosen Virtualität Angst historische, kulturelle oder soziale Gesichtszüge eingezeichnet werden, wenn sie als Bestandteil einer symbolischen Ordnung gar nicht auftaucht? Im Rahmen einer historisch-anthropologischen Studie wird die Frage erst dann beantwortbar, wenn der Historiker von der Vorstellung Abschied nimmt, die Angst als solche könne das eigentliche Objekt seiner Untersuchung sein. Stattdessen hat er nach solchen Diskursen und Praktiken zu fragen, die unter bestimmten Bedingungen als Dispositionen-für-Angst fungieren. 31 Da diese Dispositionen-für-Angst historisch, kulturell und sozial variabel sind, ermöglichen sie es, der anthropologischen Kompetenz Angst einen jeweils ganz spezifischen Raum zuzuweisen. Daraus ergeben sich weitreichende Konsequenzen. Die Untersuchung der gesichtslosen Virtualität Angst transfonniert sich unweigerlich in eine Analyse derjenigen Praktiken und Diskurse, durch die die Subjekte sich und ihre Umwelt objektivieren. Nur sie
oder praxeologische Objektivierung geradezu erzwingt. 31
Veyne (1981), S. 56, weicht dem Problem der gesichtslosen Virtualität Angst dUICh vage Beschreibungen aus. Zwar stellt auch er am Beispiel der Schrecken der Gladiatur fest. daß die Angst "alles andere als transhistorisch" ist. sondern "materiell. konkret". doch dringt er nicht zur eigentlichen Besonderheit der als nicht-transhistorisch definierten Angst vor, wenn er behauptet. daß sie sich auf eine bestimmte Regierungspraxis "bezieht". Die Subsumierung der anthropologischen Kompetenz unter die Theorie des prädiskursiven Referenten wirkt sich im Falle der Angst zu Ungunsten gedanklicher und terminologischer Klarheit aus.
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ermöglichen es ihm, quasi in einem Phantombild die Gesichtszüge der in einem symbolischen Kontext eingebetteten Angst zu skizzieren. Die Angst selbst aber bleibt flüchtig, für sie fehlen in der Tat "die Federn, die Kardigrarnme, die sie aufzuzeichnen vennögen, ... "32
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Vgl. S. 31, Anm. 1.
Dispositionen-für-Angst: Das Andere der Subjektivität
Mit der Definition der Angst als eine gesichtslose Virtualität stellt sich die Frage, wie Dispositionen-für-Angst historisch-anthropologisch näher bestimmt werden können. Erforderlich wird demnach eine Kategorisierung von Subjektivität!, durch die zum einen deren Verhältnis zur Angst beschreibbar, zum anderen Verhaltensformen und Wahrnehmungsmuster in ihrer historischen Einmaligkeit erkennbar werden. Unter welchen methodischen Voraussetzungen sind die senatorischen Techniken der Selbstkonstitution im konkreten Fall zu betrachten, um sie auf Dispositionen-für-Angst hin untersuchen zu können?
Der 'römische Geist', seine Werte und Ideen: Ein allgegenwärtiger Herrscher der römischen Geschichte Eine Möglichkeit, Subjekrl.vitätsformen in ihreihistonscheIi Spezintäi-zu beschreiben, scheint sich in der Analyse deIjenigen Werte und Normen anzubieten, nach denen die Mitglieder einer sozialen Gruppe ihr Verhalten orientieren und ihm einen Sinn geben. Der Wertekanon einer Gemeinschaft wird so zum Maßstab für die geschichtliche Eigentümlichkeit des individuellen und gesellschaftlichen Lebens ihrer Mitglieder. Mit diesem Zugriff ließe sich unmittelbar auf zahlreiche altertumswissenschaftliche Untersuchungen rekurrieren, die die Eigenart des 'römischen Wesens', des 'römischen Geistes' oder des 'Römertums,2 aus der Beschäftigung mit Wertvorstellungen und politischen Grundbegriffen abzuleiten versuchen. Virtus, auctoritas,
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Unter 'Subjektivität', 'Subjektivitätsform' oder 'Techniken der Selbstkonstitution' soll zunächst ganz allgemein die Art und Weise verstanden werden, wie sich das Subjekt zu seiner Umwelt und zu sich selber in Beziehung setzt Alle drei Begriffe werden im allgemeinen synonym verwendet
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dignitas, fides, gratia, pietas, honos, moderatio, concordia, nobilitas, labor,
maiestas und andere Wert- bzw. Politik-Begriffe stellen die Ingredienzien dar, die zum 'römischen Wesen' verschmelzen und somit primärer Ausdruck römischer Subjektivität sind. 3 Ein Weg über die leitenden Werte und Normen muß aber sein eigentliches Ziel, die Erfassung von Dispositionen-fürAngst, verfehlen. Aufgrund seiner methodischen Prämissen und Implikationen kann das Konzept einer Werte-Analyse nicht in eine historisch-anthropologische Untersuchung über die Angst integriert werden, da es weder die Angst als eine gesichtslose Virtualität zu denken noch die senatorische Form der Subjektivität wirklich in ihrer geschichtlichen Einzigartigkeit zu begreifen vermag. Warum dies so ist, wird in den folgenden Ausführungen zu erläutern sein. 4 Die Betrachtung des römischen Wertekanons gründet ihr Vorgehen auf ein wertendes Verstehen im Sinne des Sich-in-etwas-Hinein-Versetzens. Die Subjektivität des Wissenschaftssubjekts wird als unabdingbare Voraussetzung gesetzt, um "aus eigenem Wesen und Zusammenhang den Zusammenhang der Worte und Werke eines anderen [zu] finden und auf[zu]zeigen"s. Sie ist "das eigentlich Positive, was überhaupt erst ein Bild aufzubauen vermag". 6 Erst durch das Einbringen des eigenen Empfindens, Vorstellens und Denkens in das methodische Register läßt sich das Wesen der Römer und ihr Geist durch "Verständnistiefe, [... ] eigenen Erlebnisreichtum, [... ] Phantasie und [... ] Einftihlungsvermögen"7 ans Licht bringen. 8 Indem die eigene
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S
S. dazu vor allem: Büc~ner, Karl (19~1!>LRöm~~m. Yersu~h~einer Wesensbestimmung. In: Ders.:HiunaniliisRoinana. Studien über Werke und Wesen der Römer. HeideIberg, S. 240-328. - Drexler, Hans (1988): Politische Grundbegriffe der Römer. Dannstadt. - Heinze, Richard eI960): Vom Geist des Römertums. Ausgewählte Aufsätze. Hg. von Erlch Burck. Darmstadt. - Klein, Richard (Hg.) eI980): Das Staatsdenken der Römer (WdF Bd. 46). Dannstadt - Oppennann, Hans (Hg.) eI983): Römische Wertbegriffe (WdF Bd. 34). Darmstadt. - Oppermann, Hans (Hg.) (51984): Römertum. Ausgewählte Aufsätze und Arbeiten aus den Jahren 1921 bis 1961 (WdF Bd. 18). Dannstadt. Poeschl, Viktor (1980): Politische Wertbegriffe in Rom. In: Antike und Abendland 26, S. 1-17. Die Auseinandersetzung mit der henneneutischen Methode soll nicht als generelle Kritik verstanden werden. Hier geht es um die konkrete Frage, ob dieser Zugriff - der einer von vielen ist - für die in dieser Studie vorliegende historisch-anthropologische Problemstellung fruchtbar gemacht werden kann. Seine Berechtigung wird nicht in Frage gestellt Büchner, Karl (1957a): Die philologische Methode. Catull und die Elegie. In: Ders.:
Humanitas Romana. Studien über Werke und Wesen der Römer. Heidelberg, S. 132. 6
Büchne,r (1957a), S. 132.
7
Büchner (1957a), S. 132.
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Subjektivität als notwendige Grundlage für die Erfassung anderer Subjektivitätsfonnen bewertet wird, ist damit zugleich die Vorstellung einer - zumindest partiell - vorgegebenen Identität zwischen dem Wissenschafts subjekt und seinem zu analysierenden Objekt des 'römischen Geistes' impliziert. Nur auf der Grundlage eines ewig gleichen Fühlens und Denkens, das in den verschiedenen Epochen nur jeweils unterschiedliche Ausdrucksformen annimmt, in seiner Substanz aber unveränderbar ist,9 wird der Sprung über Jahrhunderte und Jahrtausende in die Vergangenheit praktikabel oder umgekehrt: reicht die Vergangenheit fortwährend in die Gegenwart und ermöglicht durch ihre Präsenz das Verstehen - das In-sie-Hineinversetzen auch noch so entfernter Zeiten. Nur die geschichtsmetaphysische Annahme eines ewigen Humanum kann die 'Zeitreisen ' zwischen den Epochen gestatten und ennöglichen,10 da eben dieses Humanum als transhistorisches
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S. dazu auch exemplarisch: Jaeger, Werner ~1960a): Der Humanismus als Tradition und Erlebnis. In: Ders.: Humanistische Reden und Vorträge. Berlin, S. 27: "Das Erlebnis [der geistigen Werte, D. B.] ist ein inneres Zusammenschauen der verborgenen Gesetzmäßigkeiten des geistigen Objekts und als solches selbst ein schöpferischer Akt Es beruht auf einer bestimmten seelischen Teilnahme, auf innigster Wesensberührung mit dem Gegenstande. Aus der Wahlverwandtschaft eines empfangenden Ichs und einer gegenständlichen Macht, die sich mit ihm vermählt, erwächst dieser geistige Zeugungsvorgang. Diese Wesensverbindung wird notwendig ihrerseits wieder eine Quelle tieferen Verstehens und häufig genialer Neudeutung. [...] Im ursprünglichen Akt der Hervorbringung ist jedes echte Geisteswerk unmittelbar zum Absoluten. Das ist aber gerade das Wesen des Erlebnisses, daß es die großen Erscheinungen, denen es sich ehrfürchtig naht, in ihrem lebendigen Kern erfaßt, nicht als nur zeitlich bedingte und interessante, menschliche Dokumente. "Wir- nennen-so jene höchste Form des Verstehens, -die ein Geistiges in seiner Notwendigkeit erkennt und in ihm etwas Höheres, Dauerndes zu almen vermag." - S. auch Jaeger, Werner eI960b): Philologie und Historie. In: Ders.: Humanistische Reden und Vorträge. Berlin, S. 12f. S. z. B. Büchner, Karl ~1977): Vom Bildungswert lateinischer Texte. In: Oppermann, Hans (Hg.): Humanismus (WdF Bd. 17). Darmstadt, S. 558: "Wenn man sagt, der Römer finde im Politischen seinen höchsten Sinn, so ist das heute leicht mißverständlich. Es sagt aber Wesentliches über den Menschen aus. Politisches Menschentum wird im Römischen als eigentliches Menschentum erfahren." Auch bei Büchner wird das dualistische Problem 'natürliches Objekt - Haltung' virulent. Das Menschentum wird als geschichtlich unveränderliche Substanz gesetzt, zu dem die Römer eine gewisse Haltung einnehmen: Es findet seinen Ausdruck im Politischen. - S. auch Schmidt, Hans Werner (1989): Humanismus - Herausforderung und Chance. In: Gymnasium 96, S. 282. Für Schmidt liegt "die Herausforderung durch die Antike und die Chance für die Gegenwart" darin, "dem Menschlichen, dem humanum zu begegnen; [...]." S. z. B. Büchner ~1977), S. 558: "Die höchste von Gott gesetzte Aufgabe ist für den Menschen nach dieser [römischen, D. B.] Anschauung die Ordnung unseres Erdkreises. Eine einmalige historische Stunde, in der sich Roms Macht ohne Grenzen fühlte, hat hier Gedanken vorwegnehmen lassen, um die eine Organisation wie die UNO heute
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Subjekt sowohl die römische als auch die eigene Subjektivität gestiftet hat. 1l Gleichsam zum Medium des 'römischen Geistes' wird dem wertend-verstehenden Ansatz die Sprache als das Gefäß von überzeitlichen Ideen und Werten. Einzig und allein in der Sprache an sich findet diese Spielart "substantialistischen Denkens" 12 den 'römischen Geist' und das wahre 'Römerturn ' als Ausdrucksform des transhistorischen Humanums aufgehoben. 13 Das Schrifttum stellt ein Produkt der Reflexion dieses 'Geistes' dar, durch die sich dieser vergegenwärtigt und zu sich selbst gefunden hat. Es repräsentiert auf einer diskursiven Ebene das römische Wesen. Über die Sprache und in der Sprache wird es möglich, sich durch Kontemplation in dieses Wesen hineinzuversenken, um den 'Geist der Römer' unter aktiver Mitwirkung der eigenen Subjektivität verstehend zu erschließen. Nur mittels der Annahme eines autonom handelnden und denkenden Subjekts kann eine solche Vorstellung von Subjektivität thematisiert und das 'Römerturn' angeschaut werden. Denn wenn sich das Hineinversenken überhaupt lohnen soll, dann muß sich das 'römische Wesen' als eine Repräsentation des transhistorischen Humanums über seine sinn- und wertstiftende Aktivität jederzeit reflexiv Rechenschaft ablegen können. Mit anderen Worten: Es muß sich selbst verstehen und sich selbst bewußt sein - ansonsten kann es auch der Betrachter nicht verstehen. 14 Weil die Kategorie des autonomen Subjekts implizit in das methodische Vorgehen eingeschrieben ist, erlaubt das wertende Verstehen des 'römischen Geistes' auch unmittelbare Rückschlüsse auf die sozialen, politischen und
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ringt." Zur Identität zwischen Wissenschaftssubjekt und Untersuchungsobjekt als notwendige Voraussetzung des Verstehens s. auch: Jung, Werner (1990): Neuere Henneneutikkonzepte. Methodische Verfahren oder geniale Anschauung? In: Bogdal, Klaus-Michael (Hg.): Neue Literaturtheorien. Eine Einführung. Opladen, S. 160.
12
Bourdieu, Pierre (1987): Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft. Frankfurt a. M., S. 12. Bourdieu definiert das "substantialistische Denken" in Abgrenzung zum "relationalen Denken". Während dieses davon ausgeht, "jedes Element durch die Beziehungen zu charakterisieren, die es zu anderen Elementen innerhalb eines Systems unterhält und aus denen sich sein Sinn und seine Funktion ergeben", liegt für das substantialistische Denken der Sinn und die Bedeutung schon in jedem einzelnen Element an sich verborgen.
13
S. z. B. Jaeger, W. e196Ob), S. 11.
14
S. u. a. Jaeger, Gerhard e1990): Einführung in die klassische Philologie. München, S. 12: "[... ] A. Böckh [hat] - der Tenninologie wie der Sache nach Schleiennachers Hermeneutik verpflichtet· die Philologie bestimmt als 'Erkennen des vom menschlichen Geist Produzierten, d. h. Erkennen des Erkannten. '"
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institutionellen Zusammenhänge. Stellen die Sprache und die literarischen Zeugnisse die Repräsentationen des sich selbst gegenwärtigen 'römischen Geistes' und seiner Ideen und Werte dar, so kann die Wirklichkeit nur deren Widerspiegelung sein, in der sich das 'römische Wesen' materiell niederschlägt. Wäre dem nicht so, gehorchte die Wirklichkeit also anderen Gesetzmäßigkeiten als denen des 'römischen Geistes', ließe sich die Annahme seiner Selbstbewußtheit, seiner Fähigkeit zum Selbstverstehen nicht aufrechterhalten; der 'Geist' verlöre seine Eigenschaft als autonomes Subjekt, dessen Kenntnis die Eigenart des 'Römertums' erklären hilft. Indem die einem substantialistischen Denken verpflichtete Methode des wertenden Verstehens "die Wirklichkeit selbst für ein Produkt - oder für einen materiellen Reflex - der Welt des Gedanken" ausgibt, stellt die Wirklichkeit "die sinnliche Re-präsentation (d. h. Wieder-Vergegenwärtigung) eines an sich nicht Sinnlichen"15 - nämlich der Ideen, des Geistes - dar. Das Verstehen des Geistes ermöglicht somit im Umkehrschluß wie selbstverständlich das Verstehen aller Gegebenheiten seiner Epoche, weil der Geist, gedacht als autonomes Subjekt, sie selber versteht, ja sie selber in vollem Bewußtsein gesetzt hat. Sich des Geistes und der ihm innewohnenden Wahrheit einer Epoche zu bemächtigen, bedeutet für das substantialistische Denken zugleich auch, sich der sozialen, politischen und institutionellen Zusammenhänge der Epoche bemächtigt zu haben. I6 Die Struktur einer Gesellschaft wird somit in letzter Konsequenz allein durch die Analyse der verschiedenen Wertekodices vollständig erklärbar. I7 Unter diesen implizit gesetzten Annahmen konstruiert die Methode des wertenden Verstehens aus den römischen Wertbegriffen einen Diskurs. der als römischer-Ausdruck des Humanen nicht nur alle anderen Diskurse deter-
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Frank, Manfred (1984): Was ist Neostrukturnlismus? Frankfurt a M., S. 36. Genau in dieser Vorgehensweise liegt der Grund, warum Jaeger (11960b), S. 11, in radikaler Fortführung des Gedankenganges behaupten konnte, daß "die universelle Wissenschaft vom Altertum [...] die Philologie werden [mußte], eben weil und sofern sie die Wissenschaft von der Sprache und Literatur ist." Dieser Totalilätsanspruch der Philologie ist inzwischen aufgegeben worden [so Oppermann, Hans (11977): Einleitung. In: Ders. (Hg.): Humanismus (WdF Bd. 17). Darmstadt, S. IX.], ohne jedoch auch die ihm zugrundeliegenden methodischen Prämissen einer eingehenden Reflexion zu unterziehen. Bourdieu (1987), S. 247, bezeichnet diese Methode als "Sozialphänomenologie": "die 'Gesellschaftsordnung' wird so auf eine kollektive Einordnung reduziert, die man durch Zusammenzählen der einordnenden oder eingeordneten Urteile erhält, mit denen die Handelnden sich und andere einordnen, oder, wenn man so will, durch Zusammenfassung der (geistigen) Vorstellungen, die sich die einen von den (Theater-)VorsteUungen. die ihnen andere darbieten, und von den (geistigen) Vorstellungen machen, die diese wiederum von ihnen haben."
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miniert, ohne selbst von ihnen beeinflußt zu sein, sondern der sich auch alle objektiven Zusammenhänge, Verhaltensweisen und Handlungen unterwirft, um sie zugleich unmittelbar in seiner eigenen Ordnung widerzuspiegeln. 18 Das aus den literarischen Zeugnissen abstrahierte 'römische Wesen' nimmt so den Charakter eines Volks geistes an, der sich als monolithischer und homogener Block zum eigentlichen, zum omnipotenten Herrscher der römischen Geschichte erhebt. 19 Dieser Herrscher verbietet es nun kategorisch, die Angst als eine gesichtslose Virtualität innerhalb einer symbolischen Ordnung denken und erklären zu wollen. Der selbstgegenwärtige 'römische Geist', dessen Ausdruck die Werte und Ideen sind, kann keine Angst neben sich dulden, die ihrerseits in der Lage ist, sich in jedem Moment der Diskurse und Praktiken als Dispositionen-für-Angst zu bemächtigen. Ein solcher Vorgang mit geradezu 'revolutionärem' Charakter müßte - im wahrsten Sinn des Wortes - an
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Deswegen bereitet es Änhängem dieser Methode immer wieder immense Schwierigkeiten, die Aussagen eines Autoren mit seinen Handlungen und Verhaltensweisen in einen moralischen Einklang zu bringen. Man denke da nur an Senecas Mitwisserschaft an der Ermordung des Britannicus und der Agrippina. Die Rede vom 'römischen Geist' im Sinne eines homogenen Volksgeistes ist von einem durch und durch elitären Ton getragen. Sie leitet das 'Römerturn ' fast ausschließlich aus der sprachlichen Überlieferung der im Verhältnis zur Gesamtpopulation verschwindend kleinen Minderheit der herrschenden Aristokratie ab, begreift sie zugleich aber als repräsentativ für alle gesellschaftlichen Gruppen. Hier kommt die Vorstellung zum Ausdruck, daß eine kulturelle Ordnung nur durch eine (herrschende) Elite geschaffen, geprägt und erhalten werden kann. Dieser elitäre Ton kommt vor all~m danll.zum Tragen,. ·wenn ruis"'röriiischeWesert'Odet der ·Verlauf der römischen Geschichte explizit einer wertenden Stellungnahme unterzogen wird. So stellt z. B. Bücbner (1957b), S. 260, in Anlehnung an Jacob Burckhardt fest, daß die Geschichte Roms "selbst im Sterben noch groß [ist]: ist es doch selbst in den elendesten Zeiten nicht zu gänzlicher Auflösung, zu Anarchie, zu Massenherrschaft gekommen, weswegen auch J. Burckhardt behauptet, daß Rom keine echten Krisen gekannt habe." (S. auch S. 245f., 257). Geflihrliche politische Implikationen können bei unmittelbaren, oft pädagogisch motivierten Vergleichen mit der Gegenwart, die ja gemäß der Prämissen des wertenden Verstehens jederzeit möglich sind, zutage treten. S. z. B. Drexler (1988): Gratia. In: Ders.: Politische Grundbegriffe der Römer. Darmstadt, S. 186f.: "Das System von amicitiae und clientelae aber schafft eine Verbundenheit von Mensch zu Mensch, von hoch und niedrig, von der wir 'uns in unserer gänzlich dissoziierten. atomisierten Welt nicht einmal eine Vorstellung zu machen imstande sind. [...] Das System war gut - so gut und vernünftig, wie die modemen Gesellschaftssysteme, in denen der Mensch angeblich frei, in Wirklichkeit Sklave einer anonymen, abstrakten Wirtschaft geworden ist oder zu werden droht, schlecht und unvernünftig sind -, ja, es war das beste, was sich überhaupt denken läßt, sofern man es nicht durch Mißbrauch zugrunde richtete. Sein größter Vorzug war die Unzerreißbarkeit der auf del' fides beruhenden Bindungen zwischen Mensch und Mensch - [...] sie [die fides, D. B.] war nirgends stärker als im Heer".
seinem Selbstbewußtsein rütteln. Der implizit dem Verständnis von Subjektivität unterlegte Gedanke vorn autonomen Subjekt und die Bestimmung der anthropologischen Kompetenz Angst als gesichtslose Virtualität lassen sich nicht gleichzeitig in einer historisch-anthropologischen Studie verankern. Mit den Implikationen des wertenden Verstehens, durch die sich der 'römische Geist' als allgegenwärtiger Herrscher in der römischen Geschichte etablieren läßt, wird ein zweiter methodischer Grund sichtbar, warum eine historisch-anthropologische Untersuchung der Angst in den Altertumswissenschaften fehlt. Entsprechend der einern substantialistischen Denken verpflichteten Bedingung, daß nur durch das Wort (hindurch) die Eigenart der römischen Welt erschlossen werden kann,20 muß das wertende Verstehen auf seiner Suche nach einer evidenten Angst in der Sprache beginnen. Es kann aufgrund seines methodischen Registers nur solchen Formen der Angst eine potentielle Geschichtsmächtigkeit zuschreiben, die in den antiken Zeugnissen selbst thematisiert werden. Unter den oben genannten Prämissen ist das aber ein Paradoxon. Wenn das 'römische Wesen', wenn der Wertekanon der spezifisch römische Ausdruck einer Reflexion, d. h. Vergegenwärtigung und Bewußtwerdung des transhistorischen Humanums und die soziale Wirklichkeit dementsprechend die materielle Widerspiegelung dieser Repräsentation ist, wie sollte dann das substantialistische Denken zugleich die in den Quellen beschriebenen Ängste als materielle, konkrete Ängste faßbar machen können? Indem es die Identität von intellektueller Thematisierung der Angst und deren materieller Verdichtung im Sozialen verkündet, muß sich diese Angst sofort wieder verflüchtigen, weil sie durch eben diese Verkündigung im 'Geiste' der vergangenen Epoche gänzlich durchleuchtet worden ist. Die Annahme, daß Subjektivität im Rahmen- des altettumsWissenschaftlichen Diskurses nur zu denken sei als selbstbewußtes autonomes Handeln und Denken, macht es unmöglich, die Frage nach einer geschichtsrnächtigen und historisierbaren Angst überhaupt zu thematisieren. Sie wird schlichtweg ausgeblendet, verdrängt. Die Angst ließe sich in diesem Denkmodell einzig und allein als 'Existenzangst' des autonomen Subjektes etablieren. Doch die Übernahme des Begriffes der Existenzangst endet, wie gezeigt, in einer ahistorischen Sackgasse.21 Die einer Werte-Analyse zugrundeliegende Methode des wertenden Verstehens kann die Angst aufgrund ihrer eigenen Prämissen nur als Element eines sprachlichen, d. h. geistig-in-
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S. z. B. Schmidt, H. W. (1989), S. 280. Entwickelt man diesen Gedanken trotzdem weiter, dann müßten sich' die RCmer' gegenüber der Richtigkeit der von ihnen gesetzten Werte ängstigen. Dafür aber gibt es in den Quellen in der Tat keine Anhaltspunkte.
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tellektuellen Systems begreifen, niemals aber als geschichtsmächtigen Faktor, der von diesem System unabhängig ist oder ihm entgegenwirkt. Aber auch auf einer ganz anderen Ebene bleibt der Versuch, das senatorische Selbstverständnis aus einer Analyse von Wertbegriffen abzuleiten, unterhalb der Anforderungen einer historisch-anthropologisch ausgerichteten Untersuchung. Ihm gelingt es nicht, Subjektivitätsformen in ihrer geschichtlichen Einmaligkeit exakt beschreiben zu können. Die Verallgemeinerung der Erfahrung, "die das Subjekt des wissenschaftlichen Diskurses über sich selbst als Subjekt macht lt22, und ihre Etablierung als Methode der Erkenntnisgewinnung impliziert - wie gezeigt - die notwendige Annahme eines transhistorischen Humanums. Das wertende Verstehen verfängt sich damit in dem schon bekannten dualistischen Problem 'natürliches Objekt - Haltung'. Es kann nur die Bewertung oder den Ausdruck eines an sich geschichtslosen und ewigen Humanums historisieren, nicht jedoch die Subjektivität als Subjektivität. Ein spezifisch 'menschlicher' Kern bleibt für das substantialistische Denken durch alle Epochen hin immer gleich und gewährleistet damit geschichtliche Kontinuität. Aber genau dieser 'menschliche' Kern - was immer er sei23 - verhindert zugleich die Skizzierung eines historisch variablen Profils der gesichtslosen Virtualität Angst, da er als Disposition-für-Angst eine Invariante darstellen muß. Genauso wie die Setzung 'der' Angst, 'der' Furcht etc. als natürliche Objekte der Geschichte führt auch die Annahme eines ewigen Humanums unweigerlich zu der Konsequenz, daß sich die Menschen in allen Zeiten immer auf dieselbe Art und Weise ängstigen. Die anthropologische Kompetenz Angst wird so aber nicht in ihrer historischen Spezifität beschreibbar. Subjektivität kann demzufolge weder mittels der Annahme eines autonom handelnden und denkenden Subjektes noch durch die Unterstellung eines transhistorischen Humanums als Korrelat zur gesichtslosen Virtualität Angst in eine historisch-anthropologische Untersuchung eingeschrieben werden. Die herkömmliche Werte-Analyse scheidet daher zur Bestimmung von Dispositionen-für-Angst aus.
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Bourdieu (1987), S. 86. - Veyne (1990): Geschichtsschreibung - Und was sie nicht ist. Frankfurt a. M., S. 130, umschreibt diese Position polemisch: "Mit dem psychologischen Verstehen läßt sich nichts erraten noch etwas kritisieren. Es verschleiert nur den Rückgriff auf den gesunden Menschenverstand oder den ewigen Menschen."
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Eine exakte Defmition läßt sich in den entsprechenden Untersuchungen nirgends auffinden; dies ist aus den methodischen Konditionen des wertenden Verstehens heraus auch nicht unbedingt notwendig, da sie jedem Wissenschaftssubjekt quasi eingeboren ist.
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Der ethnologische Blick auf die Exotik der römischen Geschichte Die hier einzuschlagende Vorgehensweise venneidet die methodischen Implikationen des wertenden Verstehens, indem sie davon ausgeht, daß Subjektivitätsfonnen erst dann in ihrer ganzen historischen Besonderheit erkennbar und beschreibbar werden, wenn sie nach den konkreten materiellen Bedingungen ihrer Erzeugung wie auch nach den Möglichkeiten ihres Einsatzes befragt worden sind. Die geschichtliche Originalität senatorischer Subjektivität - und davon abgeleitet der gesichtslosen Virtualität Angst - liegt dann nicht so sehr in den von ihr thematisierten Werten und Inhalten als vielmehr in den sozialen und habituellen Konstituanten und ihrer eigenen unverwechselbaren Logik, die diese Inhalte überhaupt erst fonnulierbar und sinnvoll machen. Sie vor allem gilt es zu entziffern. Aus dieser Perspektive erscheinen Intellekt und Affektivität der Senatoren dem modernen Beobachter als "etwas sehr weit entferntes und zugleich vollständig totes"24, oder anders ausgedrückt - als etwas Exotisches, da sich zwischen den Römern und uns [...] durch das Christentum, durch die deutsche Philosophie, die technologischen, wissenschaftlichen und ökonomischen Revolutionen ein Abgrund aufgetan [hat], d. h., durch alles, was unsere Zivilisation ausmacht.:15
Indem sie sich die "Erfahrung einer Andersheit"26 zur notwendigen Grundlage ihres Beobachtens und Erklärens von senatorischer Subjektivität erwählt, greift diese Untersuchung eine grundlegende Überlegung auf, die als besonderes Kennzeichen eines historisch-anthropologischen, aber auch Mentalitäten-geschichtlichen Ansatzes angesehen wird. 'E1 Beide methodischen
Veyne, Paul (1986): Wie man Rom schreibt. Gesprllch mit Francois Ewald. In: Ders.: Aus der Geschichte. Berlin, S. 27. :15 Veyne, Paul (1988a): Ein Inventar der Differenzen. Antrittsvorlesung am College de France. In: Ders.: Die Originalität des Unbekannten. Für eine andere Geschichtsschreibung. Frankfurt a. M., S. 11. 26 Veyne (1986), S. 27.
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Eine genaue Abgrenzung zwischen beiden Ansätzen ist kaum möglich. Zum Anliegen der Mentalitätengeschichte und der historischen Anthropologie s. vor allem: Bloch, Mare (1985): Apologie der Geschichte oder der Beruf des Historikers. München 1985. Bloch, Marc; Braudei. Fernand; Febvre, Lucien u. a. (1977): Schrift und Materie der Geschichte. Vorschläge zur systematischen Aneigung historischer Prozesse. Hg. v. Claudia Honegger. Frankfurt a. M. - Duby, Georges; Lardreau, Guy (1982): Geschichte und Geschichtswissenschaft. Dialoge. Frankfurt a. M. - Febvre, Lucien (1988): Das Gewissen des Historikers. Berlin. - Gebauer, Gunter; Kamper, Dietmar; Lenzen, Dieter; Mattenklott, Gerd; Wulf, Christoph; Wünsche, Konrad (1989): Historische Anthm~logie.
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Zugriffe begreifen sich als ein Denken aus einem quasi ethnologischen Blickwinkel. Sie gehen bei ihren Untersuchungen "von der Fremdheit, mindestens der umfassenden Andersartigkeit der Menschen in anderen Epochen aus "28, deren Entschlüsselung zuallererst die Bestimmung der 'Eckdaten' oder der Struktur dieser Fremdheit erfordert. Der eigenen Subjektivität des Wissenschaftssubjektes widerfährt unter dem 'ethnologischen Blick' eine Umwertung ihrer Bedeutung. War sie bisher unabdingbare, da produktive Voraussetzung des Verstehens, so gilt es nun, sie als einen contra-produktiven Faktor zu begreifen, der eben diesen Blick auf die Originalität senatorischer Subjektivität völlig verstellt. Die Introspektion mittels eigener Subjektivität erweist sich aus dieser Perspektive als eine "retrospektive lllusion" 29, die nicht das Fremde senatorischer Verhaltensweisen erkennen läßt, sondern stattdessen in Gefahr gerät, an seine Stelle "eine anachronistische Banalität oder den ewigen Menschen"30 zu setzen.3l Nur wenn der eigene Horizont des Denkens, Fühlens und Verhaltens selbst als geschichtlich Ge-
Zum Problem der Humanwissenschaften heute oder Versuche einer Neubegriindung. Reinbek bei Hamburg. - Graus, Frantisek (1987): Mentalität - Versuch einer Begriffsbestimmung und Methoden der Untersuchung. In: Ders. (Hg.): Mentalitäten im Mittelalter. Methodische und inhaltliche Probleme. Sigmaringen, S. 9-48. - Habennas, Rebekka; Minkmar, Nils (1992): Das Schwein des Häuptlings. Sechs Aufsätze zur Historischen Anthropologie. Berlin. - Raulff, Ulrich (Hg.) (1986): Vom Umschreiben der Geschichte. Neue historische Perspektiven. Berlin. - Raulff, Ulrich (Hg.) (1987): Mentalitäten-Geschichte. Zur historischen Rekonstruktion geistiger Prozesse. Berlin. - Riecks, Annette (1989): Französische Sozial- und Mentalitätsgeschichte. Ein Forschungsbericht Altenberge. - Süssmuth, Hans (Hg.) (1984): Historische Anthropologie. Der Mensch in . . . • der Geschichte. Göttingen. c. . 2B
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Meier, Christian (1987): Anthropologie im Kulturvergleich. Programm eines wissenschaftlichen Grenzgllngertums. Ein Gespräch. In: Raulff, Ulrich (Hg.): Mentalitäten-Geschichte. Zur historischen Rekonstruktion geistiger Prozesse. Berlin, S. 163. Veyne (1990), S. 131. Veyne (1990), S. 155. Zur Unfähigkeit. fremde Verhaltensdispositionen und Gefühlswelten mittels der eigenen Subjektivität zu verstehen, s. auch Jung (1990), S. 159f.: "[ ...1, doch ist es fraglich, ob und wie ein Verstehen noch möglich ist. wenn etwa dasjenige, wovon das Kunstwerk Erlebnisausdruck ist, in unserem eigenen Erlebnisschatz noch gar nicht aufgetaucht ist, wenn Handlungsstrukturen und Gefühlsdispositionen uns fremd sind, d. h. nicht unter unsere eigenen Erlebnisse subsumierbar sind und damit verrechenbar werden. Anders ausgedrückt: verstanden werden kann nur das, was - mittelbar oder unmittelbar - in den eigenen Erlebniszusammenhang eingeordnet werden kann; das Fremde wird im Eigenen wiederentdeckt als das andere. das ich selbst bin. Diese Identitätslogik. die alles Verstehbare unter die Macht des Ich und seines Erlebnisses bringt, findet ihre Schranke in der Inkommensurabilität eines Fremden, das sich durch die grundsätzliche Differenz zu mir als Erlebenden bestimmt"
wachsenes begriffen wird, können die senatorischen Techniken der Selbstkonstitution in ihrer spezifischen Historizität sichtbar und damit als Disposition-für-Angst im historisch-anthropologischen Kontext beschrieben werden. Demzufolge schließt die Vorstellung einer Exotik oder Fremdheit des Untersuchungsgegenstandes auch aus, die senatorische Subjektivität apriori auf ein irgendwie zu konstruierendes und transhistorische Identität vennittelndes Humanum der Geschichte zu beziehen. Nur das historisch Beobachtbare, nicht aber das geschichtsmetaphysisch Anzunehmende kann als Bezugspunkt der hier erforderlichen radikal historisierenden Erkenntnisweise dienen. Im Gegensatz zur Methode des wertenden Verstehens richtet die "Erfahrung einer Andersheit" ihren Blick nicht auf einen ewigen Menschen. Sie kennt keine "Metasprache", "keine Sprache, die wahrer als eine andere wäre. ,,32 Indem der 'ethnologische Blick' in das methodische Register dieser Studie eingeschrieben wird, läßt sich der von einem substantialistischen Denken mit Omnipotenz ausgestattete aristokratische Wertekanon seiner herrschaftlichen Stellung entheben. Er wird stattdessen als ein Diskurs unter vielen betrachtet, der unter bestimmten mentalen und affektiven Voraussetzungen seiner Erzeugung in einem gewissen sozialen, politischen oder institutionellen Feld eingesetzt wird und zu den Bedingungen dieses Feldes in einem wechselseitigen Verhältnis steht.33 Auch der Wertekanon ist zu jeder Zeit
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Veyne (1986), S. 36. - Wenn die vorliegende Arbeit in diesem Punkte die antihumanisti-. sche Rede vom Tod des geschichtsmetaphysischen Subjekts aufnimmt, dann gilt es dabei jedoch einen wichtigen Unterschied festzuhalten. Kritisiert vor allem Foucault, auf den sich Veyne hauptsächlich bezieht, den Gedanken des Subjekts als solchen unter den (philosophischen) Leitfragen 'Was soll sein?', 'waS ist wahr?;, so steht hier die konkrete Ablehnung des (geschichtsmetaphysischen) Subjekts unter den typischen Fragen der Historie: 'Was war?', 'Wie war es?' Der Vorwurf eines zynischen Relativismus und fehlender ethischer Kategorien, der gegen die antihumanistische Rede erhoben wird, trifft daher auf die Anwendung dieser Überlegungen als Methode historischer Erkenntnisgewinnung nicht zu [Ob dieser Vorwurf berechtigt ist oder nicht, kann hier nicht diskutiert werden; s. zu dieser Frage vor allem: Frank (1984). - Ferry, Luc und Renaut, Alain (1987): Antihumanistisches Denken. Gegen die französischen Meisterphilosophen. München.]. Der Historiker vergibt sich durchaus nicht die Möglichkeit einer wertenden Stellungnahme. Nur versucht er sie eindeutig von seinem Erldärungsversuch der Vergangenheit zu trennen. Dies war schon ein Anliegen der Annales-Schule; s. dazu Riecks (1989), S. 68. Daß er genau diesen Sachvemalt verkennt, wirft Aloys Winterling Hans Drelder vor [So Rezension zu Drexler, Hans (1988): Politische Grundbegriffe der Römer. Dannstadt In: Gymnasium 97 (1990), S. 87-89.]. Winterling spricht davon, daß die von Drexler untersuchten Begriffe "meist als römischer Ausdruck von überzeitlich geltenden und geschichtlich wirksamen 'Ideen' postuliert" werden und daß es seinen Ausführungen an einem "differenzierte[n] Wissen von Zusammenhängen (konkret: nahezu die gesamte althistorische Forschung)" mangle. Zudem kritisiert Winterling, daß Drexlers "Aufsätze -
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einem bestimmten Kräfteverhältnis ausgesetzt, das er seinerseits wieder zu beeinflussen versucht. 34 Der homogene Monolith des römischen (Volks-) 'Geistes' wird gleichsam gesprengt und die konkreten materiellen Erzeugungs- wie auch Anwendungsebenen dieses Geistes einer gewissen Eigengesetzlichkeit zugeführt. Mit anderen Worten: Die Kenntnis von Werten und Ideen der 'Römer' erlaubt keinen unmittelbaren Schluß auf die 'objektiven' Gegebenheiten, da diese nicht mehr als materieller Reflex des 'römischen Geistes' ausgegeben werden können. Das eine läßt sich nicht ohne weiteres mit dem anderen auf der Repräsentationsebene identifizieren. Das 'römische Wesen' verliert so seine uneingeschränkte Wert- und Ideen-setzende Fähigkeit. Es läßt sich nicht mehr als gegenwärtig, selbstbewußt und und in jeder Situation selbstverstehend denken. Stattdessen führt der ethnologische Blick auf das ' Selbstverständnis' der Senatoren eine grundlegende Differenz zwischen deren Verhaltensmustern und Denkformen auf der einen Seite und den materiellen Gegebenheiten auf der anderen Seite ein, in denen die Mitglieder der römischen Elite ihrem Leben Sinn und Einheit zu verleihen versuchen. Erst durch diese Annahme wird es möglich, die Angst als eine gesichtslose Virtualität in der römischen Geschichte überhaupt denken und damit Dispositionen-für-Angst retrospektiv beschreiben zu können. Der Riß, der sich zwischen Subjektivitätsformen und ihren materiellen Erzeugungsbzw. Anwendungsgrundlagen auftun kann,3s ist der potentielle Raum, in dem sich die anthropologische Kompetenz Angst jederzeit jenseits aller Diskurse einnisten kann.
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meist gegen Ende - in wissenschaftlich nicht mehr beurteilbaren geschichtsmetaphysischen Glaubensbekenntnissen münden (z. B. 71: 'Nur in der Erlösung von uns selbst, in der Selbstvergessenheit der Hingabe erreichen wir die Erfüllung unseres Lebens' [...])." - S. auch die allgemeine Kritik am dritten Humanismus von Bleicken, Jochen (1972): Staatliche Ordnung und Freiheit in der römischen Republik . .Kallmünz, S. 100, Anm.30. S. z. B. Bleicken (1972), S. 95ff., und (1975), S. 347-396, der das "Bild des römischen Tugendboldes" [(1972), S. 99] und den mos maiorum nicht als die getreue Widerspiegelung der Realitat versteht, sondern beide mit den Bedingungen aristokratischer Verhaltensweisen und mit "der Herrschaft Roms über die Welt" [(1972), S. 99] in Beziehung setzt. S. dazu u. a Riecks (1989), S. 125f.
Das strebende Subjekt und seine Furcht-Angst Die historisch-anthropologische Originalität einer Subjektivitätsform aus dem Verhältnis zu ihren materiellen Bedingungen der Erzeugung und den Möglichkeiten ihres Einsatzes zu erklären und zu beschreiben, bedeutet, die Techniken der Selbstkonstitution auf etwas zu beziehen, das sie selbst nicht sind, ohne das sie aber auch nicht sein können. Die vorliegende Untersuchung rekurriert damit auf den Begriff des strebenden Subjekts, den sie dem der Methode des wertenden Verstehens unterlegten Begriff vom autonomen Subjekt entgegensetzt. Das Individuum verleiht seinem Verhalten und seinem Denken nicht dadurch Sinn und Bedeutung, daß es sich seine Handlungsmaximen und moralischen Orientierungsmuster aus freier Entscheidung setzt. Nur über den Bezug zu seiner Umwelt, in die es hineingeboren worden ist, gelingt es ihm, sich als Subjekt zu konstituieren und seinem Leben Orientierung zu geben. Dem Individuum ist ein "Begehren"36 eingepflanzt, das es dazu bringt, sich vorbewußt und affektiv für die gesellschaftlichen Einrichtungen zu interessieren. Dieses Begehren als "das Prinzip aller anderen Affekte"37 erhebt die Kommunikationsformen und die Symbolik der sozialen Realität zu einem entscheidenden Kriterium von Subjektivität. Sie entscheiden mit darüber, inwiefern die Anerkennung durch die anderen reibungslos verläuft und die Subjektivierung gelingen kann. Individuum und Gesellschaft sind unter der Annahme eines strebenden Subjektes nicht zwei völlig voneinander getrennte und sich gegenüberstehende Bereiche, die nur durch eine Kausalbeziehung miteinander zu verknüpfen sind.38 Die 'objektiven Gegebenheiten' sind immer auch notwendiger Bestandteil einer Subjektivierung des Individuums, 'wie umgekehrt die 'Gesells~haft' durch das Begehren des Subjekts fortwährend aktualisiert wird. Unter dieser Voraussetzung müssen sich die gegenüberstehenden Begriffe der Angst und der Furcht im strebenden Subjekt ineinander verschränken; es wird methodisch irrelevant, zwischen Angst und Furcht unterscheiden zu wollen. 39 Da das Individuum sein Begehren immer auf ein Objekt richtet,
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Veyne (1981), S. 72ff. Veyne greift eine Definition des "Begehrens" von Deleuze/pamet auf: "das Begehren 'ist das Ensemble der Affekte, die in einer durch das Ko-Funktionieren ihrer ungleichartigen Elemente defmierten Symbiose-Verkettung kreisen und sich transformieren. " Veyne (1981), S. 73. Veyne (1981), S. 72. Dasselbe gilt für die Unterscheidung zwischen individueller und kollektiver Angst Wenn Subjektivität durch ein Ineinandergreifen von individuellen und gesellschaftlichen Phänomenen zu charakterisieren ist, dann IIifft dies auch auf die Angst zu.
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'fürchtet' sich auch seine 'Angst' vor einem konkreten Anlaß. Da dieser Anlaß jedoch Rückwirkungen auf die Selbstkonstitution des Subjekts mit sich bringt, 'ängstigt' sich die 'Furcht' des Individuums zugleich vor etwas Namenlosem, nicht Faßbarem. Daß sich die 'Angst' 'fürchtet', ermöglicht ihre 'Einweisung' in einen historisch und gesellschaftlich variablen 'Raum'. Daß sich die 'Furcht' 'ängstigt', ermöglicht ihren Bezug auf spezifische Verhaltensweisen und Wahrnehmungsmuster als Dispositionen-für-Angst.40 Ob sie sich zu Dispositionen-für-Angst entwickeln, hängt davon ab, wie eindeutig und verbindlich sich die diskursiven und praxeologischen Regeln des Verhaltens und der Kommunikation sowie die symbolische Besetzung der Umwelt darstellen. Je transparenter diese sind, desto größer ist die soziale Sicherheit, desto stabiler die Subjektkonstitution. Sobald sie sich aber verdunkeln oder verdunkelt werden, wächst die Wahrscheinlichkeit, daß genau diese Regeln und symbolischen Besetzungen als Elemente der Subjektivierung zu Dispositionen-für-Angst verwandelt werden. Dort, wo die Techniken der Subjektkonstitution nicht mehr greifen, brechen 'Räume der Angst' auf. Die Dispositionen-für-Angst werden in diesem Sinne zum Anderen der Subjektivität eines begehrenden Individuums. Sie lassen sich nur dann beobachten, wenn das Subjekt nicht mehr in der Lage ist, sich über seine Umwelt mittels eindeutiger und verbindlicher Kommunikationsregeln und symbolischer Besetzungen zu definieren. Die Dispositionen-für-Angst als das Andere der Subjektivität resultieren aus der mißlungenen oder fehllaufenden Interaktion mit den anderen, weil eben diese Interaktion das eigene Selbst und damit sinnstiftend ist.
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Die Gewichtung zwischen dem konkreten 'Furcht' - Anlaß und seinen Auswirkungen auf die Subjektkonstitution ist dabei variabel, je nachdem, welchen Gegenstand die 'FurchtAngst' hat.
Figuration, Habitus und der Standort des Historikers
Die dargelegten methodischen Grundaussagen konzentrieren die historischanthropologische Erfassung und Bestimmung von senatorischen Dispositionen-für-Angst auf zwei große Themenkomplexe. In einem ersten Schritt gilt es, das soziale Feld zu beschreiben, in dem sich senatorische Verhaltensund Wahrnehmungsmuster entfalten. Welches Prinzip strukturiert das soziale Feld, in dem die Mitglieder der aristokratischen Gemeinschaft im frühen Prinzipat handelten? Sodann sind die senatorischen Techniken der Selbstkonstitution als solche wie auch in ihrem Verhältnis zu den Bedingungen des sozialen Feldes, auf das sie ausgerichtet sind, zu analysieren. Im folgenden sollen beide Aufgabenbereiche methodisch und terminologisch genauer umrissen werden. Dabei muß auch der Standort des Historikers und dessen Verhältnis zum Vergangenen berücksichtigt werden.
Die senatorische Gemeinschaft als 'Figüration interdependenter Menschen' Um die charakterisierenden Grundzüge des sozialen Feldes der Senatorenschaft zu erfassen und zu kennzeichnen, soll zunächst die von Norben Elias entwickelte "Figurationsanalyse" aufgegriffen werden. Elias führt den Begriff der Figuration in seine Untersuchung der höfischen Gesellschaft des Absolutismus l ein, um damit zu verdeutlichen, daß weder die 'Gesellschaft' als "etwas Außerindividuelles" noch das 'Individuum' als "etwas Außergesellschaftliches" zu begreifen ist? Er versucht, mit diesem Terminus dem
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Elias. Norbert (1983): Die höfische Gesellschaft Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie. Mit einer Einleitung: Soziologie und Ge-
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Elias (1983), S. 34f.
schichtswissenschaft Frankfurt a. M.
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Problem gerecht zu werden, daß "die Individuen [...] nicht außerhalb der Gesellschaft [existieren], die sie miteinander bilden. Der Begriff der 'Figuration' dient dazu, diesen Sachverhalt zum Ausdruck zu bringen."3 Gesellschaften, so stellt Elias weiter fest, seien in diesem Sinne nichts anderes "als Figurationen interdependenter Menschen,,4. In einer Analyse dieser Figurationen stellen sich die einzelnen Individuen in höherem Maße so dar, wie man sie beobachten kann, als offene, gegenseitig aufeinander ausgerichtete Eigensysteme, die durch Interdependenzen verschiedenster Art miteinander verbunden sind und die kraft ihrer Interdependenzen miteinander spezifische Figurationen bilden.5
Indem Elias Individuen als offene und gegenseitig aufeinander ausgerichtete Eigensysteme kennzeichnet, schreibt er die Vorstellung eines strebenden Subjekts in seine Vorgehensweise ein; damit empfiehlt sich die Figurationsanalyse für die hier vorliegenden Aufgaben. Auch die senatorische Gemeinschaft stellt sich dann als eine Figuration von (begehrenden) Individuen dar, deren Interdependenzen einen ganz spezifischen "Funktionszusammenhang"6 sichtbar werden lassen. Dieser Funktionszusammenhang, der das soziale Feld der Senatorenschaft strukturiert und der "dem Einzelnen nur eine mehr oder weniger begrenzte Skala von möglichen Verhaltensweisen und Funktionen"? bietet, besteht aus "einer Fülle von unsichtbaren Ketten", sei es aus "Arbeits- oder Besitzketten", sei es aus "Trieb- oder Affektketten"s. Mittels einer "soziogenetischen Untersuchung,,9 gilt es, die Interdependenzen des senatorischen Funktionszusammenhanges in ihrer historischen Besonderheit als "Grundstrukturen auf[zu]decken, die allen Einzelvorgängen innerhalb dieses Feldes ihre Richtung und ihr spezifisches Gepräge geben."10 Entscheidend ist dabei nicht, daß alle Ei'nzelvorgänge innerhalb der senatörischen Figuration registriert und untersucht werden. Es kommt
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Elias (1983), S. 34.
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Elias (1983), S. 35.
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Elias (1983), S. 47.
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Zum Begriff des Funktionszusammenhanges s.: Elias, Norben 1988a): Die Gesellschaft der Individuen. Frankfurt a. M., S. 31ff. Elias ~1988a), S. 31. Elias e1988a), S. 31. Zu den Begriffen der soziogenetischen und psychogenetischen Untersuchung s.: Elias, Norben C3 1988b): Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Zweiter Band. Wandlungen der Gesellschaft Entwurf zu einer Theorie der Zivilisation. Frankfurt a. M., S. 391ff. Elias C3 1988b), Bd. 2, S. 393.
stattdessen darauf an, die Figuration der senatorischen Gemeinschaft in der Komplexität und Spezifität ihrer Struktur zu erfassen.
Soziales Feld und Subjektivitätsfonn: Ein neues 'dualistisches Problem'? Indem die Beschreibung des senatorischen Funktionszusammenhanges sorgsam von der Analyse senatorischer Subjektivitätsformen unterschieden wird, scheint die vorliegende Untersuchung der Gefahr zu unterliegen, sich gegen ihre eigenen methodischen Vorsätze zu wenden. Obwohl sie darauf insistiert hatte, daß das 'Individuum' und die 'Gesellschaft' nicht zwei getrennt voneinander existierende Bereiche sind, sondern sich gegenseitig bedingen, vollzieht sie jetzt doch Ansätze dieser Trennung im sprachlichen und methodischen Bereich. Ihre eigene Vorgehensweise gerät so in Verdacht, den Eindruck erwecken zu wollen, als seien Subjektivitätsformen und soziale Verhältnisse zwei historische Realitäten, die getrennt voneinander in der Geschichte vorhanden und als solche vom Historiker aufzuspüren sind. Infolge der Ergänzung der "soziogenetischen Untersuchung" als "eine[r] Erforschung der Gesamtstruktur eines bestimmten sozialen Feldes und der geschichtlichen Ordnung, in der es sich wandelt"u, durch eine Analyse der senatorischen Techniken der Selbstkonstitution12 und der symbolischen Besetzungen der Umwelt droht das Gespenst eines 'dualistischen Problems' in neuer Form aufzuerstehen. War es im Diskurs des substantialistischen Denkens als 'natürliches Objekt - Haltung' enttarnt worden, so scheint es nun in der Form 'soziales Feld - Subjektivitätsform' sein Unwesen zu treiben. Allein, daß zwischen sozialem Feld und Subjektivitätsform sprachlich unterschieden wird, fUhrt fast unweigerlich zu einer Verdoppelung des historischen Faktenmaterials und damit - genau genommen - zu einer Verzerrung geschichtlicher Zusammenhänge. Der historische Diskurs gerät so in Gefahr, unglaubwürdig zu werden, da es in der zur Geschichte gewordenen Realität nur eine Wirklichkeit gibt und nicht deren zwei. 13 Es gibt kein 'soziales
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Elias (131988b), Bd. 2, S. 392. Elias 31988b), Bd. 2, S. 392., spricht von einer "psychogenetische[n] Untersuchung, die auf die Erfassung des gesamten Kriegs-und Arbeitsfeldes der individuellen, psychischen Energien abgestellt ist, auf die Struktur und Gestalt der triebhafteren Selbststeuerung nicht weniger, als auf die der bewußteren." Der historische Diskurs wird vor allem dann unglaubwürdig, wenn er zwischen seinen zwei Wirklichkeiten eindeutige Kausalitäten herstellt.
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Feld' per se als historische Realität, genausowenig wie es eine 'Subjektivitätsfonn' ohne materiellen Niederschlag gibt. In der römisch-antiken Gegenwart fallen beide Begriffe in den Erfahrungen und Verhaltensmustern der historischen Subjekte in eins. Genau dieser Sachverhalt soll im Begriff des strebenden Subjekts zum Ausdruck kommen. Er impliziert ja gerade, daß die 'Realität' auch Bestandteil der Subjektivierung ist, ergo alles Gesellschaftliche zugleich subjektiv ist. Darf dann aber diese ursprüngliche Einheit in einer historisch-anthropologischen Untersuchung streng getrennt werden in den Begriff des 'sozialen Feldes' einerseits und den der 'Subjektivitätsfonn' andererseits?
Die Unfähigkeit des Historikers. zugleich einen fremden Glauben zu glauben und zu beobachten Die Frage läßt sich positiv beantworten, wenn die Bedingungen berücksichtigt werden, unter denen der Historiker seine historisch-anthropologischen Studien zur römischen Antike betreibt. Sein eigener Standort macht es ihm unmöglich, die Exotik und Fremdheit senatorischer Subjektivitätsfonnen aus diesen selbst heraus teilnehmend zu beschreiben und sie zugleich distanzierend zu erklären (Es sei denn, er griffe auf die Konstruktion eines transhistorischen Humanums zurück und betriebe wieder Geschichtsmetaphysik mit der Folge, daß die senatorische Subjektivität nicht mehr fremd wäre und das dualistische Problem 'natürliches Objekt - Haltung' fröhliche Urständ feierte-.). DieAiitike Räßlt"J1urius' der -distanzierenden -BeobäCllterperspektive heraus untersucht werden. Nichts ermöglicht die RückKehr in das Altertum, um es teilnehmend zu erschließen und zu verstehen. Die Introspektion bleibt verschlossen, es steht nur die Retrospektion offen. 14 Selbst wenn der Zeitensprung ohne Metaphysik durch einen Kunstgriff doch gelingen würde, hätte der Historiker an seinem Unternehmen kein Vergnügen. Er verlöre seine Fähigkeit, die senatorischen Subjektivitätsfonnen distanzierend zu beschreiben und zu erklären. Bourdieu betont, daß sich das Wissenschaftssubjekt selbst um die Möglichkeit brächte, das Feld nachzuzeichnen, "wo der Glaube erzeugt wird und das man nicht objektivieren kann, wenn man
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Hier liegt der Unterschied zwischen dem Standort des Historikers und dem Standort des Ethnologen: Der Ethnologe besitzt zumindest theoretisch die Möglichkeit, in sein Untersuchungsfeld einzutauchen, weil es ihm gegenwärtig ist Für den Historiker ist es aber nicht nur fremd, sondern zudem nicht-gegenwärtig. Insofern ist sein 'ethnologischer Blick' sozusagen ethnologischer als der des Ethnologen.
dazugehört"IS. Der teilnehmende Historiker muß in diesem Fall seinen Anspruch aufgeben, das Fremde erklären zu wollen, weil es ihm jetzt ja gar nicht mehr fremd ist, sondern im Gegenteil: selbstverständlich - und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Die "Erfahrung einer Andersheit,,16, die einer historisch-anthropologischen Studie prägend eingeschrieben ist, konkretisiert sich so in einer Differenz zwischen dem sozialen Glauben der historischen Subjekte und der Fähigkeit zum Erkennen des Historikers. Das, was die historischen Subjekte als in eine symbolische Ordnung Eingeborene erfühlen, erdulden, erleiden etc. - und zwar als Selbstverständlichkeit, die in der Regel außerhalb jeder Reflexion liegt -, wird durch den Standort des Historikers, in den dieser ebenfalls hineingeboren ist, zum Gegenstand von Erkennen. Im historischen Diskurs erscheint es daher notwendigerweise als Erkanntes. Gerade weil der Historiker in einer anderen symbolischen Ordnung lebt, sieht er sich in der Lage, das Exotische und Fremde zu erklären, aber eben nicht zu verstehen. 17 In diesem Sinne ist der Historiker in der Tat schlauer als die historischen Subjekte. Er ist dazu aber nur mit den Mitteln befähigt, die ihm seine eigene sprachliche Ordnung zur Verfügung stellt. Der Diskurs des Historikers kann nicht in der Ordnung der antiken Quellen sprechen, sondern nur in der eigenen. Sein Standort gegenüber der Vergangenheit zwingt ihn dazu, eine sprachliche und als Folge methodische Trennung zwischen dem sozialen Feld und den Subjektivitätsformen vorzunehmen, will er seine Fähigkeit zu retrospektiver Erkenntnis nicht verschenken. Die distanzierende Beobachterposition schlägt sich als nüchterne Analyse von Funktionszusammenhängen im historisch-anthropologischen Diskurs nieder, die völlig vom Begehren des historischen-Subjektes abstrahiert. Zu berucksichtigen ist dabei aber, daß der Historiker mit seinen Untersuchungen von der historischen Realität zwangsläufig immer wieder abweicht. Gerade deswegen wird die unentwegte Kontrolle und Relativierung der eigenen Vorgehensweise un-
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Bourdieu (1987), S. 126. Bourdieu versteht unter "Glauben" ('croyance') ein Geflecht von vorreflexiven Orientierungen. Zwn Terminus 'croyance' s.: Bohn, Cornelia (1991): Habitus und Kontext Ein kritischer Beitrag zur Sozialtheorie Bourdieus. Opladen, S.
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Vgl. S. 49, Anm. 26.
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Da sich die Bezüge der jeweiligen eigenen symbolischen Ordnung und damit der Standort des Historikers gegenüber seinem Untersuchungsobjekt standig ändern, liegt darin zugleich der Grund verborgen, warwn die Geschichte immer wieder umgeschrieben werden muß. Geschichtswissenschaft bzw. Geschichtsschreibung ist in diesem Sinn kein Regress zu den Ursprüngen der Gegenwart, sondern eine permanent sich wiederholende und wandelnde Konstruktion von Vergangenheit, deren Träger die Fragen der Gegenwart sind.
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bedingt erforderlich. Der Historiker hat den Unterschied im Modus der Erfahrung - bei ihm in bezug auf die vergangene Gegenwart, bei den handelnden Subjekten in bezug auf ihre gegenwärtige Gegenwart - methodisch und tenninologisch explizit kenntlich zu machen. Was er begrifflich und reflekrierend erfaßt, ist bei den historischen Subjekten Bestandteil ihres Begehrens und damit in vielen Fällen vorbewußt. Diese grundlegende Differenz und der besondere Standort des Wissenschaftssubjekts werden von Elias - im Gegensatz zu Bourdieu - nicht explizit in seine Überlegungen einbezogen. Seine "psychogenetischen Untersuchungen" bleiben im Rahmen der Figurationsanalyse methodisch und tenninologisch ungenau und sollen deswegen im folgenden durch das Habitus-Modell Bourdieus ersetzt werden. 11
Die "zwei Objektivierungen der Geschichte"19 Eine historisch-anthropologische Studie von Dispositionen-für-Angst kann die vergangene Wirklichkeit also nur mittels einer sprachlichen Verdoppelung abbilden und erklären. Die Geschichte des frühen Prinzipats stellt sich - bedingt durch den Standort des Historikers - in Fonn von zwei Objektivierungen dar: in "der Objektivierung in den Leibern" und in "der Objektivierung in den Institutionen"2o. Es erscheinen so "zwei Objektivierungsweisen verflossener Geschichte, in deren Rahmen ständig eine Geschichte erzeugt wird't21. Die "Objektivierung in den Institutionen" soll - wie dargelegt - mit Hilfe einer Analyse erfaßt werden, die die Interdependenzen und Funktionszusammenhänge der senatorischen Figuration aufdeckt. Die Objektivierung der Geschichte in den Leibern konkretisiert sich dagegen nach Bourdieu in ganz spezifischen Wahrnehmungs-, Denk- und Verhaltensmustern. Ihre Eigenart richtet sich nicht so sehr nach den Strukturen ihres Anwendungsfeldes - in diesem Fall also der senatorischen Figuration im frühen Prinzipat - als vielmehr nach der Struktur ihrer Entstehungsbedingungen, die
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Abgesehen von dem genannten Dissens kommen sich die theoretischen Positionen von Elias und Bourdieu grundsätzlich nahe, so daß eine Kombination beider Modelle möglich ist. Zum Vergleich EIias - Bourdieu s. Dömer, Andreas; Vogt, Ludgera (1990): Kultursoziologie (Bourdieu - MentalitJUengeschichte - Zivilisationstheorie). In: Bogdal, Klaus-Michael (Hg.): Neue Literaturtheorien. Eine Einführung. Opladen, S. 131-153.
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Bourdieu (1987), S. 106.
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die Individuen in der Fonn eines Habitus verinnerlicht haben. Bourdieu beschreibt Habitusfonnen als Systeme dauerhafter und übertragbarer Dispositionen, als strukturierte Strukturen, die wie geschaffen sind, als strukturierende Strukturen zu fungieren, d. h. als Erzeugungs- und Ordnungsgrundlagen für Praktiken und Vorstellungen, die objektiv an ihr Ziel angepaßt sein können, ohne jedoch bewußtes Anstreben von Zwecken und ausdrückliche Beherrschung der zu deren Erreichung erforderlichen Operationen vorauszusetzen, die objektiv 'geregelt' und 'regelmäßig' sind, ohne irgendwie das Ergebnis der Einhaltung von Regeln zu sein, und genau deswegen kollektiv aufeinander abgestimmt sind, ohne aus dem ordnenden Handeln eines Dirigenten hervorgegangen zu sein. 21
Der Habitus läßt sich demnach durch vier Merkmale charakterisieren: (a) durch die Inkorporation des Sozialen, die "sich in Lern- und Konditionierungsprozessen"23 realisiert, (b) durch "ein System von Dispositionen und Schemata, das als Denk-, Handlungs- und Wahrnehmungsmatrix fungiert"24, (c) durch ein praktisches Wissen, "das sich in praktischem Zustand nicht im Bewußtsein der Akteure vorfindet"ZS, und (d) durch die "Hysteresis- oder Trägheitsannahme" , die "zum Überdauern der Erwerbungsbedingongen in den Praxisfonnen"26 führt. Als eine "strukturierende Struktur" oder "Erzeugungs- und Orientierungsgrundlage" besitzt der Habitus die unbegrenzte Fähigkeit, "in völliger (kontrollierter) Freiheit Hervorbringongen - Gedanken, Wahrnehmungen, Äußerungen, Handlungen - zu erzeugen, die stets in den historischen und sozialen Grenzen seiner eigenen Erzeugung liegen't27. Er gewährleistet "die aktive Präsenz früherer Erfahrungen, die sich in jedem Organismus in Gestalt von Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata niederschlagen"zg und die ihrerseits dazu führen, daß "die Institution ihre volle Erfüilung"29 findet. "Erst die Objektivierung der Geschichte in den Leibern bewirkt "das Aufleben des in den Institutionen objektivierten Sinns"30. Sozialer Sinn als Ausdruck spezifischer Subjektivitäts- oder eben Habitusformen, so Bourdieu, stellt sich erst durch eine Ak-
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23 1A
Bourdieu (1987), S. 98f. Bohn (1991), S. 3lf. Bohn (1991), S. 32.
27
Bohn (1991), S. 32ff. Bohn (1991), S. 34. Bourdieu (1987), S. 103.
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Bourdieu (1987), S. 101.
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Bourdieu (1987), S. 107.
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Bourdieu (1987), S. 107.
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tualisierung des sozialen Feldes her: durch eine Aktualisierung, die ihre Struktur und ihre Grenzen den Entstehungsbedingungen des Habitus verdankt. Das Spezifische senatorischer Subjektivitätsfonnen soll im folgenden auf der Basis des Habitus-Modells von Bourdieu beschrieben und dargestellt werden. Es wird vor allem zu fragen sein, durch welche Verhaltensdisposirionen der aristokratische Funktionszusammenhang im frühen Prinzipat aktualisiert worden ist. Ob das soziale Feld, in dem die Senatoren agierten, mit (sozialem) Sinn erfüllt wurde, hängt vor allem von zwei Faktoren ab. Zum einen bleiben Verhaltensdispositionen und Wahrnehmungsmuster durch die Homogenität der entsprechenden Habitusfonn unmittelbar verbindlich und vorhersehbar. Zum anderen ist die Eindeutigkeit der Kommunikationsregeln zugleich abhängig von der Homogenität der Existenzbedingungen. 31 Die objektive Homogenisierung der Habitusformen der Gruppe oder Klasse, die sich aus der Homogenität der Existenzbedingungen ergibt, sorgt nämlich dafür, daß die Praktiken ohne jede strategische Berechnung und bewußte Bezugnahme auf eine Norm objektiv aufeinander abgestimmt und ohne jede direkte Interaktion und damit erst recht ohne ausdrückliche Abstimmung einander angepaßt werden können - weil die Fonn der Interaktion selbst den objektiven Strukturen geschuldet ist, welche die Dispositionen der interagierenden Handelnden erzeugt haben und ihnen dazu noch über diese Dispositionen ihren jeweiligen Platz in der Interaktion und anderswo zuweisen. 32
Ist die eine oder die andere Homogenität - oder sind gar beide - nicht mehr gegeben, verwandeln sich die entsprechenden senatorischen Verhaltensdispositionen in Dispositionen-fm-Angst. Die "strukturierende Struktur" dieser Dispositionen-ftir-Angst, die zugleich selber eine "strukturierte Struktur" bilden, ermöglichen es sodann, quasi in emern- Phantombild die besonderen und eigentümlichen Gesichtszüge senatorischer Angst zu skizzieren.
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Bourdieu ,(1987), S. 108[. Bourdieu (1987), S. 109.
Teil II
Ressourcenverfügung als Ordnungsprinzip der senatorischen Figuration
Um senatorische Dispositionen-fm-Angst zu erfassen, gilt es zunächst das soziale Feld zu beschreiben, in dem sich senatorische Verhaltens- und Wahrnehmungsmuster entfalten. Wie im methodischen Teil angekündigt, soll im folgenden der Funktionszusammenhang der aristokratischen Figuration im frühen Prinzipat in seiner Grundstruktur analysiert werden. Wie ist dieser Funktionszusammenhang zu charakterisieren? Wodurch zeichnete sich die Position des princeps als neues Element in der senatorischen Figuration aus? Welches Gewicht besitzt sie im aristokratischen Funktionszusammenhang? In den nachfolgenden Ausführungen sollen anhand von ausgewählten Beispielen! die wichtigsten Faktoren der sentorischen Figuration herausgearbeitet werden.
Ressourcenverfügung und gesellschaftliche Stärke In einem seiner Briefe erfüllt Plinius eine Bitte des Biographen Gaius SuetoniusTranquillus? Plinius hatte ursprünglich für Sueton ein Militärtribunat erwirkt. Nun erklärt er sich auch damit einverstanden, daß Suetons Verwandter Caesennius Silvanus das Militärtribunat bekleiden kann: Ich sehe auch, wo es doch etwas Besonderes ist, Wohltaten sowohl zu verdienen als auch zu erweisen, daß Du in beiderlei Hinsicht Anerkennung ernten wirst, wenn Du, was Du selbst verdient hast, einem andern zukommen läßt. Außerdem habe ich das Gefühl, daß es auch mir Ruhm eintragen wird, wenn man aus diesem Deinem Verhalten ersieht, daß meine Freunde Tribunate nicht nur zu führen, sondern auch zu verleihen wissen.
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Vor allem die Plinius-Briefe liefern zahlreiches Material zur Veranschaulichung. Zu den Plinius-Briefen s. insbesondere Sherwin-White, Adrian N. (1966): The Letters of Pliny. A Historical and Social Commentary. Oxford. Plin. min., ep. 3, 8.
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video etiam. cum sit egregium er mereri beneficia et dare. utra""lue te laudem simul adsecuturum. si. quod ipse meruisti. alii tribuas; praeterea intellego mihi quoque gloriaeJore. si ex hoc tuoJacto nonJuerit ignotum amicos meos non gerere tantum tribunatus posse. verum etiam dare. 3
Ausschlaggebend für die positive Entscheidung des Plinius ist die Aussicht auf einen Zugewinn an Prestige sowohl für Sueton als auch für seine eigene Person. Plinius sieht Suetons Ansehen in der aristokratischen Gemeinschaft wachsen, wenn dieser das beneficiwn eines Militärtribunats nicht nur zu erhalten, sondern gleichzeitig zu gewähren und an Silvanus weiterzuleiten weiß. Ähnliches stellt Plinius für sich selber fest. Auch ihm könne es nur zum eigenen Vorteil gereichen, wenn er den Posten, den er bei einem Dritten, Neratius Marcellus, erwirkt hat, über Sueton an einen weiteren Empfänger vermitteln kann. Plinius stellt eine unmittelbare Verbindung her zwischen dem Empfangen und dem Geben von beneficia auf der einen und dem Gewinn von Prestige und Anerkennung in der Senatorenschaft auf der anderen Seite. Die Mittlerposition bei Sueton und der erweiterte Empfangerkreis bei Plinius vermehren beider Chancen, Ruhm zu ernten. Die argumentative Verknüpfung zwischen Wohltaten und Anerkennung durch die anderen verweist auf das Ordnungsprinzip der aristokratischen Figuration im friihen Prinzipat. Es zeigt sich in der Möglichkeit und der Fähigkeit, Ressourcen4 verschiedenster Art an Mitglieder der eigenen Gemeinschaft und anderer gesellschaftlicher Gruppen zu vergeben oder weiterzuleiten. Die Chance zur Ressourcenverfügung begründet dabei notwendig die gesellschaftliche Stärkes und das Prestige der einzelnen Senatoren innerhalb des aristokratischen Funktionszusammenhanges.
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Plin. min., ep. 3, 8, 3.
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Der Begriff der Ressource wird vor allem in soziologischen Arbeiten immer wieder verwendet, ohne daß er aber in der Regel näher bestimmt wird. Hier soll er ganz allgemein ein Hilfsmittel materieller, aber auch immaterieller Art bezeichnen, das eingesetzt wird, um soziale Beziehungen herzustellen bzw. zu aktualisieren. Zum Begriff der gesellschaftlichen Stärke s. Elias (1983), S. 402f. Elias setzt die gesellschaftliche Stärke eines Individuums mit dessen Machtchancen innerhalb einer Figuration gleich. Seine Definition gesellschaftlicher Stärke schließt damit an eine Überlegung an von: Max Weber e1985): Wirtschaft und Gesellschaft Grundeiß der verstehenden Soziologie. Tübingen, S. 53l. Bei der Untersuchung des Verhältnisses von ökonomischer Macht und sozialer Ehre (Prestige) stellt Weber fest, daß Macht nicht nur die Grundlage sozialer Ehre ist, sondern daß "umgekehrt [... ] soziale Ehre (Prestige) die Basis von Macht auch ökonomischer Art sein [kann]". In letzterem Sinne ist unter gesellschaftlicher Stärke die Chance zu verstehen, aufgrund von sozialen Beziehungen und dem daraus erwachsenden Prestige Macht (in dem hier zu untersuchenden Fall der aristokratischen Gemeinschaft des frühen Prinzipats vor allem politische Macht) auszuüben.
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Der Zusammenhang zwischen Ressourcenverfügung und gesellschaftlicher Stärke vermittelt sich in der senatorischen Figuration anhand folgender Merkmale: (1) durch die Qualität der verfügbaren Ressourcen: Die verfügbaren Ressourcen lassen sich in Anlehnung an Seneca in drei Qualitätsstufen unterscheiden. Besonders wertvoll sind solche Ressourcen, die zum Schutze des nackten (Über-)Lebens, der (aristokratischen) Freiheit, der überlieferten Sitten und der verwandtschaftlichen Beziehungen dienen. 6 Sie gewährleisten den Zusammenhalt und das FUnktionieren der aristokratischen Gemeinschaft. Nicht ganz so bedeutsam sind Unterstützungsleistungen, die zur Förderung des "Ansehen[s] und des Fortkommen[s] von Menschen, die nach Höherem streben,"? erbracht werden. Geld, Besitztum und der Verleih oder die Vermittlung von Ämtern bzw. Ehrungen sind in dieser Gruppe die wichtigsten Möglichkeiten der Unterstützung. 8 In einer dritten nach geordneten Qualitätsstufe lassen sich schließlich solche Ressourcen zusammenfassen, die in der Hauptsache den Lebensstil einzelner Senatoren verbessern helfen. 9 (2) durch die Anzahl oder die Menge der verfügbaren Ressourcen: Die Anzahl und die Menge der verfügbaren Ressourcen kann sich auswirken auf den Umfang der Unterstützung, aber auch auf die Fähigkeit, Unterstützungen dauerhaft oder nur kurzfristig zu erbringen. Dies gilt insbe-
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Sen., de ben. I, 11, 2ff. Sie werden von Seneca als "notwendig" (necessaria) bezeich-
net 7
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Sen., de ben. I, 11. 5: honor et processus ad altiora tendentium. Ressourcen dieser Art sind nach Seneca "nützliche" (utilia). So z. B. die Vermittlung des Militärtribunats an Sueton bzw. Caesennius Silvanus. Weitere Beispiele: Plin. min., ep. I, 19: Plinius läßt dem Firmus 300.000 Sesterzen zukommen. Mit seinem eigenen Vermögen von 100.000 Sesterzen verfügt dieser nun über den notwendigen Zensus, um in den römischen Ritterstand aufgenommen zu werden. - Plin. min., ep. 10,5: Plinius erwirkt bei Trajan das römische Bürgerrecht für seinen Masseur. - Plin. min., ep. 10, 12: Plinius bittet Trajan, den Accius Sura mit der Praetur auszuzeichnen, da hier gerade eine Stelle frei geworden sei. - Plin. min., ep. 10, 94: Durch die Vermittlung des Plinius bekommt Sueton das Dreikinderrecht von Trajan zugesprochen. - Um eine besondere Art einer 'nützlichen' Ressource handelt es sich in Plin. min., ep. 7, 33: Hier bittet Plinius Tacitus, daß der Geschichtsschreiber seine Tätigkeit als Anwalt der Provinz Baetica in den Historien verherrlicht. Sen., de ben. I, 11, 5f. Seneca bezeichnet diese als iocunda; s. auch SalIer, Richard P. (1982): Personal Patronage under the early Empire. Cambridge, S. 119: "Seneca's typology of beneficia comprised three categories: the protection of life and liberty for oneself and one's kin; pecunia and honores (less vital, but nevertheless 'useful' for a full life); and favors which can be described as frivolous luxuries." Zur Kritik an SalIer s. das Kapitel Ressourcenverjügung oder Patronage?
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sondere für materielle Zuwendungen wie Geldgeschenke oder die Übertragung von Landbesitz. . (3) durch den Modus der Verfügbarkeit über die Ressourcen: Die einzelnen Ressourcen kursieren in der aristokratischen Figuration auf zweierlei Art und Weise. Wenn Plinius der Tochter eines Freundes 50.000 Sesterzen zukommen läßt, damit diese "dem Range ihres Gatten entsprechend reichlicher mit Kleidung und Dienerschaft ausgestattet werden"lo kann, so vermag Plinius dieses Geldgeschenk aus eigener Gewalt und aus eigenem Willen zu erbringen. Anders verhält es sich, wenn Plinius Trajan darum bittet, seinen Freund Voconius Romanus in den Senatorenstand zu erheben. 11 Hier kann die Ressource nur durch die Bitte gegenüber einem Dritten erwirkt werden. Die direkte Verfügung und die mittelbare Verfügung in Form der Einflußnahme oder der Vermittlung12 sind die beiden Modi, anhand derer Unterstützungsleistungen in der aristokratischen Gemeinschaft erbracht werden. (4) durch die Anzahl der Empfanger: Die Fähigkeit und Möglichkeit zur Ressourcenvergabe bemißt sich weiter an der Anzahl der Empfänger von Wohltaten. Vor allem die morgendlichen salutationes machten durch den Umfang der Klientenschar den Einfluß der Senatoren für jedermann deutlich sichtbar. 13 (5) durch das Prestige der Empfanger: Neben der Anzahl der Empfänger entschied deren Einfluß und Ansehen in der aristokratischen Gemeinschaft über die gesellschaftliche Stärke des Gebenden. Der Rechtsbeistand des Plinius fand jeweils ein anderes 'Feedback' unter den patres, je nachdem, ob er für einen Freund,14 für einen an-
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Plin. min., ep. 6, 32, 1: secundum condicionem mariti uti veste, comitatu.
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Plin. min., ep. 10, 4; s. auch Plin min., ep. 4, 4: Plinius bemüht sich für einen Freund um ein Halbjahrestribunat. Ähnlich ep. 7, 22, in dem sich Plinius dafür einsetzt, daß ein Landsmann von ihm das Tribunat verliehen bekommt.
11
S. auch SalIer (1982), S. 74ff.
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In einigen Fällen wuchsen diese Morgenvisiten zu großen Massenempfängen an; s. Sen., de ben. 6,33, 3ff. - S. auch Salier, Richard P. (1989): Patronage and Friendship in early Imperial Rome: drawing the Distinction. In: Wallace-Hadrill, Andrew (Hg.): Patronage in ancient Society. London, S. 57: "The salutatio provided a visible marker of status in two ways: the standing of the callers was indicated by the order in which they were received by the patron, and the patron's status was displayed by the number and importance of his ca1lers." Plin. min., ep. 6, 23.
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gesehenen, wenn auch zwielichtigen SenatorlS oder fUr eine ganze Provinz16 vor Gericht plädierte. (6) durch die Zugangsmöglichkeiten zu Zentren der Ressourcenvergabe: Die Fähigkeit, selber über Ressourcen verfügen zu können, hing weiter davon ab, ob sich die Senatoren eine Zugangsmöglichkeit zu anderen 'Vergabestellen' von Ressourcen eröffnen konnten. Dies galt sowohl für die Vermittlung von Ressourcen wie für die Einflußnahme auf die RessourcenverfUgung anderer. So setzte sich Plinius bei Fundanus dafür ein, daß dieser im Falle seiner Wahl zum Konsul die zu besetzende Stelle des Quästors dem Sohn eines Klienten von Plinius verlieh. 17 Vor allem hinsichtlich der Verfügbarkeit solcher Ressourcen, die zur Förderung des Prestiges und der Karriere der einzelnen patres dienten, war ein Zugang zu Positionen unverzichtbar, von denen aus diese Wohltaten unmittelbar gewährt werden konnten. IB In der Anzahl und dem Prestige der Empfänger sowie in den Zugangsmöglichkeiten zu Zentren der Ressourcenvermittlung drückt sich die Reichweite des Einflusses der einzelnen Senatoren im aristokratischen Funktionszusammenhang aus. In Verbindung mit der Qualität der gewährten Ressourcen und ihrem Modus der Verfügbarkeit begründet sie das Prestige der einzelnen Senatoren und damit die gesellschaftlichen Stärkeverhältnisse der aristokratischen Figuration insgesamt. Alle drei Merkmale gesellschaftlicher Stärke bestimmten zugleich die Chancen der patres, innerhalb und außerhalb der eigenen Gruppe Macht auszuüben.
Die Position des princeps: Das Zentrum der Ressourcenvergabe Bedeutendstes Zentrum der Ressourcenvergabe - und damit Mittelpunkt der gesellschaftlichen Stärkeverhältnisse - war die Person des princeps. Die kaiserliche Position kennzeichnete sich in erster Linie durch die direkte Verfügung über Ressourcen, die zur Förderung des Prestiges und der Stellung sowohl der patres wie auch der Mitglieder anderer gesellschaftlicher Grup-
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Plin. min., ep. 4, 9. Plin. min., ep. 3. 4; 3, 9. Plin. min., ep. 4, 15. Saller (1982), S. 74.
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pen gewährt wurden. 19 Einzig und allein der princeps konnte Magistraturen und Ehrungen wie senatorische ÄmterO, or~~nta und ~esterstellen21, den Ritterzensus und die Mitgliedschaft an ntterhchen Genchten oder das römische Bürgerrechf2 aus eigener Gewalt und nach eigenem Willen an andere Personen verleihen. Vor allem in diesem herausragenden Merkmal manifestierte sich das Neue und das Besondere der kaiserlichen Position im senatorischen Funktionszusammenhang. Dementsprechend groß war die Reichweite des Kaisers innerhalb der aristokratischen Figuration wie auch innerhalb der römischen Gesamtgesellschaft, was die Zahl und das Ansehen der Empranger seiner beneficia betrifft. Daneben zeichnete sich die kaiserliche Position in den im Verhältnis zu den anderen patres großen Möglichkeiten aus, unmittelbar über Ressourcen zu verfügen, die zur Aufrechterhaltung und zum Funktionieren der aristokratischen Gemeinschaft beitrugen. Der princeps besaß das imperium über solche Provinzen, die als unbefriedet galten?3 Zudem konnte er sich in der Rechtsprechung einen großen Einfluß sichem.24 Beides trug ihm den Vorteil ein, auf diesen Gebieten dauerhaft Ressourcen erbringen zu können. Konkurrenzlos blieb der Kaiser damit aber nicht. Auch die anderen Senatoren sahen sich potentiell in der Lage, derartige Leistungen direkt zu gewähren. Vor allem mit der Tätigkeit als Verteidiger bzw. Ankläger konnten sie immer wieder Einfluß und Prestige gewinnen. In einem wirklichen Konkurrenzverhältnis befand sich der princeps mit den anderen Mitgliedern der aristokratischen Gemeinschaft hinsichtlich der direkten Verfügbarkeit über materielle Ressourcen wie Geld und Landbesitz. In diesem Fall resultierte seine Überlegenheit höchstens aus der Quantität dieser Unterstützungsleistungen. 2S
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Saller (1982), S. 58, spricht allgemein davon, "that the emperor possessed an abundant storehouse of beneficia on which he could draw: he played a dominant part in distributing Roman offices and statuses, and could alter men' s fortunes with gifts of privileges, immunities and money." S. z. B. Tac., anno 4, 6, 2. S. Z. B. Tac., anno 3, 19, 1; s. auch das Kap. Status- und Ehrenabzeichen als kaiserliche Ressourcen. Saller (1982), S. 43ff.
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S. Bleicken e1981), Bd. I, S. 27ff.
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Zur kaiserlichen Rechtsprechung und zur Entwicklung des 'Kaisergerichts' s. vor allem Bleicken, Jochen (1962): Senatsgericht und Kaisergericht. Eine Studie zur Entwicklung des Prozeßrechtes im frühen Prinzipat (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-historische Klasse. Dritte Folge, Nr. 53). Göttingen. - SalIer (1982), S. 56f.
", Allerdings herrschte auch im kaiserlichen Hause häufig der gleiche chronische Geldman-
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Die Möglichkeit, über Ressourcen vorwiegend ökonomischer Art direkt verfügen zu können, prägte die Beziehungen unter den Senatoren. Darlehen und Schulden, Schenkungen, Vermächtnisse und Eigentumsübertragungen26 begründeten die gesellschaftlichen Stärkeverhältnisse zwischen den patres. Sie wurden zum Zwecke der Prestige-Aufwertung des Emprlingers verliehen, konnten aber auch als Symbol für Statusunterschiede zwischen dem Gebenden und dem Nehmenden verstanden werden. XI Prestige ließ sich auch gewinnen, indern man als Ankläger oder Verteidiger in Prozessen auftrat. Diese Tätigkeiten blieben im frühen Prinzipat weiterhin eine bedeutsame Möglichkeit, um gesellschaftliche Stärke zu etablieren.28 Die Elite der römischen Aristokratie hob sich von diesen grundlegenden Chancen, Prestige zu gewinnen, durch die Fähigkeit ab, mittelbar Magistraturen und Ehrungen gewähren zu können. Unverzichtbare Voraussetzung dafür war eine Zugangsmöglichkeit zum Vergabezentrum dieser Ressourcen - dem Kaiser. Nur wer sich einen Zugang zum princeps eröffnen konnte, vermochte Ämter und Statussymbole an die eigenen Klienten zu vermitteln. 29 Die Nähe zum princeps und die daraus erwachsende Möglichkeit zur mittelbaren Verfügung über prestigefördernde Ressourcen charakterisierte die Spitzenkräfte der aristokratischen Figuration, die gewöhnlich zu den amici principis gezählt wurden. Darüber hinaus aber wurden diese beiden Kriterien zu dem strukturprägenden Element nicht nur der senatorischen Figuration, sondern der römischen Gesamtgesellschaft überhaupt. 30
ie Nähe zum princeps: Kristallisationspunkt überlegener gesellschaftlicher Stärke Nach dem Sturz des Sejan (31 n. ehr.) wurde M. Terentius der amicitia Seiani beschuldigt. In seiner Verteidigung bekennt sich der römische Ritter uneingeschränkt zu der Verbindung mit dem Prätorianerpräfekten:
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ll! 30
gel wie bei vielen Senatoren. Tiberius, Caligula und Nero sahen sich in Folge ihres aufwendigen Herrschaftsstiles vor dieses Problem gestellt; s. Suet, Tib. 49; Cal. 38; Nero 30ff. Salier (1982), S. 120. SaUer (1982), S. 123f. Salier (1982), S. 130. S. die auf S. 67, Anm. 8, angeführten Beispiele aus den Plinius-Briefen. S. dazu das Kapitel Experten der Macht - die kaiserlichen Freigelassenen.
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[•..]; aber wie die Sache auch immer ausgehen mag, ich will ge.stehen, daß ~ch mit Seianus befreundet war, daß ich danach gestrebt habe, es zu sem, und daß Ich, als ich es geworden war, mich gefreut habe. [...] Seine Verwandten und Angehörigen wurden mit Ehrenstellen überhäuft; je vertrauter einer mit Seianus war, umsa stärker war seine Verbindung zum Kaiser; mit wem er dagegen verfeindet war, der hatte mit Furcht und Elend zu kämpfen.
[ ...]; sed utcumque casura res est,jatebor et fuisse me Seiano amicum et ut essem expetisse et postquam adeptus eram laetatum.[...] illius propinqui et adfines honoribus augebantur: ut quisque Seiano intimus, ita ad Caesaris amicitiam validus; contra quibus in/ensus esset, metu ac sordibus conf/ictabantur.31
Terentius begründet sein Eingeständnis, die Freundschaft mit Sejan willentlich gesucht zu haben, mit der aus dieser Beziehung resultierenden Verbindung zum Kaiser. Sie garantierte ihm Schutz vor Verfolgungen und versprach zudem eine Menge von Vergünstigungen. Der Ritter Terentius stand mit dieser Meinung nicht allein. Sie war auch unter den Senatoren weit verbreitet. Denn in der Tat entwickelte sich im frühen Prinzipat die Nähe zum princeps zum Kristallisationspunkt von Prestige und überlegener gesellschaftlicher Stärke. 32 Sie bot die Gelegenheit, mittelbar über Prestige-fördernde Ressourcen verfügen und damit in die Spitzenpositionen der aristokratischen Figuration aufsteigen zu können. Von immer wieder ausschlaggebender Bedeutung war die Nähe zum kaiserlichen Haus auch in Konkurrenzsituationen mit anderen patres. Die eigene gesellschaftliche Stärke ließ sich wesentlich effektiver mobilisieren; umgekehrt tat sich ein Rivale oder ein Gegner um einiges schwerer damit, die Stellung und den Ruf eines Aristokraten in aller Öffentlichkeit zu demontieren, der den Kaiser und dessen Familie hinter sich wußte?3 Cotta Messalinus erfaßte laut Tacitus besonders prägllantdenzentralen Stellenwert, den die unmittelbare Umgebung des princeps für die Mitglieder der aristokratischen Gemeinschaft besaß. Er, der
31 3Z
Tac., anno 6, 8, lf. Wallace-Hadrill, Andrew (1982): Civilis princeps: Between Citizen and King. In: JRS
72, S. 46. 33
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Tac., ann. 4, 29, 1: Cn. Lentulus und Seius Tubero werden von der Anklage der Aufwiegelung des Feindes und der Unruhestiftung im Staat freigesprochen. Sie waren nach dem Urteil des Tacitus die ersten Männer im Staat (primoTes civitatis) und zudem die vertrautesten Freunde des Tiberius. - Tac., anno 12, 42, 3: Vitellius, ein Günstling der Agrippina, wurde von dem Senator Iunius Lupus des crimen maiestatis angeklagt. Durch den Einfluß der Agrippina wurde Vitellius nicht belangt, Iunius jedoch geächtet - Gleiches gilt auch für die Mitglieder der senatorischen Familien, vor allem für die Frauen; S. Z. B. Tac., anno 3, 15, 1: Die Gattin des Pisa, Plancina, konnte sich der Anklage entziehen, da sie in der Gunst der Augusta stand. - Tac., hist. 1,73: Calvia Crispinilla entkommt der drohenden Hinrichtung. Sie konnte sich auf ihre Ehe mit einem Konsular stützen und war die Vertraute von Nero, Galba, Otho und Vitellius.
auch nach dem Sturz des Sejan der drohenden Verurteilung entgehen sollte er war unter dem Pmtorianerpräfekten für die grausamste Anklageerhebung bekannt geworden _,34 hatte seine überlegene Position in einer Auseinandersetzung mit M. Lepidus und L. Arruntius mit den Worten beschrieben: "Die dort freilich wird der Senat schützen, mich aber mein lieber kleiner Tiberius.,,3s
Mobilisierung gesellschaftlicher Stärke Die auf dem Prinzip der Ressourcenverfügung und auf der Nähe zum princeps basierenden Stärkeverhältnisse wurden bedeutsam und für jedermann klar erkennbar, wenn mehrere Individuen oder Gruppen in der aristokratischen Gemeinschaft um dieselbe Chance zur Prestigegewinnung oder -wahrung konkurrierten. In solchen Momenten kam es für die Senatoren darauf an, die eigene, schon vorhandene Reichweite im Funktionszusammenhang zur Präsentation ihrer gesellschaftlichen Stärke zu mobilisieren oder gar darüber hinaus zu vergrößern. Wie wichtig derartige Maßnahmen für die Existenz der Senatoren waren, wird vor allem am Beispiel der Magistratswahlen deutlich. Gerade unter denjenigen Senatoren machte sich in der Kurie eine hektische Betriebsamkeit breit, die einen der vielen Kandidaten unterstützten: [...]; kein Innehalten der Redezeit, kein besonnenes Schweigen, kein gemessenes Sitzenbleiben. Lautes, mißtönendes Geschrei von allen Seiten, jeder drängte sich inmitten vieler Häuflein, vieler Grüppchen mit seinen Kandidaten vor, ein wüstes Durcheinander; [...].
non tempus loquendi. non tacendi modestia. non denique sedendi dignitas custodiebatur. magni undique dissonique clamores. procurrebant omnes cum suis candidatis. multa ag"una in medio multique circuli et indecora confusio; [ ...}.36
Die Wahl ihrer Schützlinge hing für die patres entscheidend von der Fähigkeit ab, ihren Einfluß im aristokratischen Funktionszusammenhang geltendund das hieß: für alle öffentlich sichtbar - zu machen. Wem dieses nicht gelang, der hatte nicht nur mit dem Durchfall seines Klienten bei der Wahl zu rechnen, sondern auch mit einem eklatanten Prestigeverlust der eigenen
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Tac., anno 6. 5f.: Cotta Messalinus konnte sich der Verurteilung durch seine Freundschaft mit Tiberius entziehen. Tac., anno 6. 5. 1: illos quidem senatus. me autem tuebitur Tiberiolus meus. Plin. min., ep. 3. 20, 3f.
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Person.:l7 Es mußte völlig klar sein, wer außer dem Förderer hinter der Person des Kandidaten stand. Plinius erwartete von einem Briefpartner anläßlieh der Magistratswahlen, daß Du kommst und Deine Stimme mit der meinigen vereinst. Ich lege größten Wert darauf, Dich herumzuzeigen, mich mit Dir sehen zu lassen. Dein Ansehen ist so groß, daß ich meine, mit Dir vereint sogar meine Freunde wirksamer bearbeiten zu können. [...] Ich habe den Kandidaten unter meine Fittiche genommen, und daß es so ist, weiß jeder. Ich bin es, der sich bewirbt, ich bin in Gefahr. Kurzum, erhält Naso, was er sich wünscht, ist die Ehre sein, wird es ihm verweigert, mein die Niederlage.
ut venias et suffragio meo tuum iungas. permultum interest mea te ostentare, tecum circumire. ea est auctoritas tua, ut putem me ejJicacius teeum etiam meos amicos rogaturum. [ .. .] suseepi eantJjdatum, et suscepisse me notum est; ego, ambio, ego periclitor; in summa, si datur Nasoni, quod petit, illius hanor, si negatur, mea repulsa est. 31
Die Senatoren spielten mit dem höchsten Einsatz, den sie zu vergeben hatten, wenn sie einen Amtsbewerber unterstützten. Thr Engagement konnte nur mit dem Gewinn39 oder dem Verlust von Prestige und gesellschaftlicher Stärke enden. Den status qua zu wahren, war unmöglich. Mit jeder Vergabe von senatorischen Ämtern verschoben sich die gesellschaftlichen Stärkeverhältnisse; und dies um so einschneidender, je gewichtiger die zu vergebenden hooores in den Augen der römischen Aristokratie waren. Um aus diesem Kräftemessen als Sieger hervorzugehen, mußte der eigene Einfluß möglichst effektiv und umfassend mobilisiert werden. Auch noch der letzte Freund hatte sich für den um sein Prestige bangenden Förderer einzusetzen: Ich bin in An~st und :Ullf\lbe,wegen"der){andidatuLmcines_Sextus;~lllPius."l.ch, sorge mich und befinde mich für ihn wie für mein zweites Ich in einer Aufregung, wie ich sie für mich selbst nie gekannt habe; überdies steht meine Ehre, mein guter Name, mein Ansehen dabei auf dem Spiele. [...] Deshalb mache ich mich an meine Freunde heran, flehe sie an. umwerbe sie, gehe von Haus zu Haus. von Lokal zu Lokal, prüfe an dem Erfolg meiner Bitten, wie es um mein Ansehen und meinen Einfluß steht.
anxium me et inquietum habet petitio Sexti Eruci mei. adjicior eura et, quam pro me sollicitudinem non adii, quasi pro me altero patior; et alioqui meus pudor, mea eJCistimatio, mea dignilas in diserimen adducitur. [ ...] ilaque prenso amicos, supplico,
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S. dazu Flaig (1992), S. 107ff. Plin. min., ep. 6, 6, 8f. Plinius spricht in der oben zitierten Briefstelle zwar davon, daß im Falle der Wahl seines Schützlings diesem allein die Ehre gebühren werde, doch ist dieses als Ausdruck von aristokratischem 'Understatement' zu verstehen.
ambio. domos stationesque circumeo. quantumllue vel auctoritate vel gratia va/eam. precibus experior; [...].40
Ähnliches läßt sich bei den Gerichtsprozessen beobachten. Um eine Verteidigung oder Anklage erfolgreich durchzusetzen, bemühteh sich die Senatoren, mächtige Mitglieder der römischen Aristokratie ostentativ auf ihre Seite zu ziehen. Der Mißerfolg oder der Erfolg vor Gericht hing in der Regel vom Umfang und dem Einfluß der Unterstützung ab, den die streitenden Parteien für sich zu gewinnen vennochten. 41 Was für die Senatoren galt, das traf erst recht für den princeps zu. Auch die Kaiser mußten zu jeder Zeit befähigt sein, ihre dominierende Position durch die Präsentation der eigenen gesellschaftlichen Stärke sichtbar zu machen. Dies wurde für sie vor allem dann besonders wichtig, wenn sie ihre Herrschaft gerade erst angetreten42 oder gar gegen einen gefährlichen Konkurrenten zu verteidigen hatten. Im zweiten Fall ging die Mobilisierung der kaiserlichen Reichweite im aristokratischen Funktionszusammenhang der eigentlichen Auseinandersetzung fast schon wie ein Automatismus voraus.43 Ein princeps, der auf diese Strategie verzichtete oder sie vernachlässigte, mußte damit rechnen, daß sein Prestige über kurz oder lang zerrann. Die Schwäche des Galba beruhte vor allem auf seiner mangelnden Freigebigkeit. Er blieb damit im aristokratischen Funktionszusammenhang als
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Plin. min., ep. 2,9, Hf. TlIC;, anno 3,·lOf.~ AIs-Cn; Pisonach dem'mysteriösen--'foo'des:GmnänicliSbeschuldig wurde, einen Giftmord an dem Nachfahren des Augustus begangen zu haben, versuchte er, seine Verteidigung in die Hände einflußreicher Senatoren zu legen, unter anderem in die des hoch angesehenen Asinius Gallus. - Tac., bist. 2, 10: Vibius Crispus benützt sein auf "Vennögen, Einfluß und Sinnesart" (pecunia potentia ingenio) beruhendes Prestige zur Rache an einem Denunzianten, der unter Nero seinen Bruder angezeigt hatte. Der aus dem Ritterstand entstammende Faustus wurde verurteilt. S. Z. B. Suet., Cal. 15ff.: Kurz nach der Machtübernahme setzte Caligula Verurteilte und Verbannte wieder in ihre Rechte ein. Außerdem schlug er alle Prozesse nieder, die noch aus der Regierungszeit des Tiberius anhängig waren. Caligula demonstriert hier sein Prestige durch die Fähigkeit, lebens- und freiheitsbewahrende Ressourcen in Übennaß unmittelbar gewähren zu können. - S. auch Suet., Nero 10; Olbo 4; Vesp. 8f.; Titus 8. Plin. min., pan. 34f. Tac., hist. 1, 77f.: Im Konflikt mit Vitellius verlieh Olbo älteren Senatoren das Oberpriester- und Auguramt und stattete junge, gerade rehabilitierte Adelige wieder mit den Priesterwürden ihrer Vorfahren aus oder gab ihnen den Senatorenrang zurück. Auch Städten und Provinzen gewährte er Vergünstigungen. - Suet., Vit. 15: Als die Heere in Moesien und Pannonien Vespasian den Treueeid leisteten, versuchte Vitellius, seinen verbleibenden Einfluß durch ein Übennaß von Geschenken zu mobilisieren.
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Ressourcenzentrum nahezu unsichtbar - was unwillkürlich die Chancen dieses Kaisers schmälerte, seine Macht dauerhaft etablieren zu können. 44
Ressourcenverfügung oder Patronage? Die senatorische Gemeinschaft des frühen Prinzipats stellt sich als eine Figuration dar, deren Funktionszusammenhang von der Art und dem Umfang der Ressourcenverfügung bestimmt wird. Sowohl die gesellschaftlichen Stärkeverhältnisse als auch die Mobilisierung von Prestige und Einfluß gründen sich in ihren verschiedensten Spielarten auf die Fähigkeit der Senatoren, Unterstützungsleistungen zu erbringen. Dieses Ordnungsprinzip scheint damit die spezifisch römische Variante eines Patronagesystems darzustellen, wie es Richard SalIer in .seiner Untersuchung Personal Patronage untier the early Empire beschreibt. In Anlehnung an Jeremy Boissevain45 und R. R. Kaufman46 definiert SalIer eine Patronage-Beziehung durch folgende drei Merkmale: First, it involves the reciprocal exchange of goods and services. Secondly, to distinguish it from a commercial transaction in the marketplace, the relationship must be a personal one of some duration. Thirdly, it must be asymmetrical, in the sense that the two parties are of unequal status and offer different kinds of goods and services in the exchange - a quality which sets patronage off from friendship between equals.47
Gegenseitiger Austausch von Waren und Diensten, eine personelle Beziehung von einiger Dauer und ein Verhältnis der Ungleichheit charakterisieren für SalIer die Patronage. Dieses Phänomen sieht er als strukturprägendes Element innerhalb und außerhalb der aristokratischen Gemeinschaft wirken. Den grundlegenden Faktor der Beziehung zwischen dem princeps und der Aristokratie erkennt SalIer in dem Konzept der Maklerpatronage. Der Kaiser vergebe an die Mitglieder der römischen Führungsschicht sogenannte 'Mak-
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Tac., bist. 1, 18,3. S. auch Tac., hist. 3, 86: Vitellius konnte zwar eine große Anhängerschaft durch Geschenke gewinnen, sie aber in entscheidenden Momenten zu mobilisieren, vermochte er nicht Boissevain, Jeremy (1966): Patronage in Sicily. In: Man, n. s. I, S. 18. Kaufman, R. R. (1974): Tbe patron - client concept and macro-politics: prospects and problems .. In: CSSH 16, S. 285. SalIer (1982), S. 1.
lerpositionen', die das Prestige der Empfänger erhöhen. 48 Die besondere Funktion dieser beneficia Caesaris läge darin, daß sie die Loyalität der Aristokratie gegenüber dem Kaiser sicherten49 und diese in die neuen Strukturen der Alleinherrschaft integrierten. Zugleich könne der princeps auf diese Art und Weise eine effiziente Verwaltung des Imperiums sicherstellen: [ .•.]: by using senators and equites as brokers to distribute his benejicia throughout ltaly and the empire, the emperor found the mediators needed to bind to himself through achain of personal bonds numerons municipal aristocrats and provincials . with whom he had no personal contact50
Auch für die übrige Aristokratie stellt SalIer eine Vielzahl von Patronageverhältnissen fest. S! Sie seien vor allem in ökonomischer Hinsicht von einiger Bedeutung für das Funktionieren der aristokratischen Gemeinschaft. Patronage, so das Fazit von SalIer, ist überall präsent: in dem Verhältnis zwischen dem Kaiser und der Aristokratie, in den Beziehungen zwischen den einzelnen Senatoren und in der Provinzverwaltung des römischen Imperiums. Der Unterschied des hier vorgestellten Funktionszusammenhanges der römisch-aristokratischen Figuration zu Sallers Patronage-Modellliegt in seinen anders gearteten methodischen Voraussetzungen. Die inhaltliche Bestimmung der Patronage als eine Beziehung auf Gegenseitigkeit mit klaren Unter-/Überordnungsverhältnissen und einer langfristigen Gültigkeitsdauer impliziert die Annahme, daß die Mitglieder der aristokratischen Gemeinschaft ihre Ressourcenverftigung tatsächlich in diesem Sinne verstanden und praktiziert haben. Unter dieser Prämisse, die von SalIer apriori gesetzt, also nicht unmittelbar aus den Quellen abgeleitet wird,52 kann er dann zum Beispiel nur zu dem Schluß kommen,:-daß das Verhältnis zwischen dem Kaiser und der Aristokratie als bewußt praktizierte Beziehung der dauerhaften Ungleichheit auf Seiten der patres Loyalität gegenüber dem princeps hervorrufe. s3 Saller erhebt das von ihm (re-)konstruierte Patronage-System
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49 50
SI
Salier (1982), S. 76. Salier (1982), S. 75. Salier (1982), S. 75. Salier untersucht die Bedeutung der Patronageverhältnisse gegenüber den Provinzen am Beispiel der Provinz Nordafrika (S. 145ff.). Salier (1982), S. 119ff.
52
Zwar nimmt Salier eine differenzierte Wortanalyse der "language and ideology ofpatronage" vor (S. 7-39), doch übetprüft er nicht alle drei Merkmale seines Patronage-Begriffes am überlieferten Quellenmaterial. Er konzentriert sich auf den Aspekt der Ungleichheit, den der Dauer vernachlässigt er vollkommen.
53
Zur Kritik an der Loyalitllts-stiftenden Funktion der kaiserlichen Patronage s. Flaig (1992), S. l00ff.
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römischer Ausprägung zu einer Macht, die auch das Verhalten, Handeln und Denken der Aristokratie in dem Sinne bestimmte, daß die Regeln dieses Systems von den Senatoren tatsächlich erkannt und anerkannt oder ihnen zumindest als praktisches Wissen eingeschrieben waren. Er vollzieht in seiner Darstellung den "schleichenden Übergang vom Modell der Realität zur Realität des Modells" s4 , der nach Bourdieu Ausdruck einer objektivistischen Vorgehensweise ist. sS SalIer räumt der Terminologie seines PatronagemodelIs - vor allem den Begriffen der Gegenseitigkeit, der Dauer und der Ungleichheit - eine Potenz ein, "in der Geschichte so zu handeln wie die Worte zu ihrer Bezeichnung im historischen Diskurs "56. Die Leitbegriffe seines Analyseverfahrens wie auch der Diskurs, der sie trägt, werden zu allgemein akzeptierten Verhaltensorientierungen der handelnden Subjekte, über die eben dieser Diskurs zu sprechen vorgibt. SalIer muß als Folge die Verhaltensdispositionen und Objektivierungen, die sich innerhalb des von ihm konstruierten Patronage-Systems etablieren bzw. dieses aktualisieren, ausklammern, da ihre Positionen schon durch die Terminologie seines eigenen Diskurses besetzt sind. Der "Schleier der symbolischen Verhältnisse"s7 wird von SalIer aus seiner Untersuchung verbannt. Der Grund für die begriffliche und methodische Verschränkung von beobachtbaren Strukturprinzipien einer sozialen Gruppe und deren Objektivierung durch die Mitglieder dieser Gruppe ist in der von SalIer aufgeworfenen Frage- und Problemstellung zu suchen. Ihm geht es um den Nachweis, daß die Bedeutung der Patronage entgegen einer allgemeinen Meinung58 durch die Bürokratisierung des römischen Weltreiches nicht beschränkt wurde, sondern im Gegenteil die Administration des hnperiums erst gewährleistete; nicht 'rationale' Kriterien-wieVerdienst,-Dienstalter undDienst~ befähigung sicherten die Verwaltung, sondern eben personelle Beziehungen zwischen dem Reichszentrum Rom, Italien und den Provinzen. 59 Dementsprechend greift SalIer für seine Beweisführung auf eine Methode zurück,
S4
Bourdieu (1987), S. 75.
5S
Zur Kritik am Objektivismus s. bei Bourdieu (1987), S. 57-78, das Kapitel Die Objektivierung objektivieren. Bourdieu sieht im Strukturalismus die extremste Form des Objektivismus. Bourdieu (1987), S. 71.
S6
57
Bourdieu (1987), S. 248.
58
Als Hauptvertreter sei hier genannt: Eck, Wemer (1974): Beförderungskriterien innerhalb der senatorischen Laufbahn, dargestellt an der Zeit von 69 bis 138 n. ehr. In: ANRW 11, 1. Berlin, S. 158-228. - Zu den Verwaltungskriterien s. auch: Bleicken e1981), Bd. I, S. 245-262. SalIer (1982), S. 4 und S. 79ff.
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die am ehesten als funktionalistisch bezeichnet werden kann. Er fragt danach, wie die Administration des römischen Reiches geregelt wurde. Die direkte Übernahme des Patronage-Begriffes von Boissevain und Kaufman leitet sich auch aus diesem Erkenntnisinteresse ab. Eine Untersuchung, die Dispositiollen-für-Angst erfassen und beschreiben will, hat dagegen auch in ihren begrifflichen Kategorien klar zu trennen zwischen den beobachtbaren Strukturprinzipien einer Gemeinschaft auf der einen Seite und den Verhaltensdispositionen auf der anderen Seite, mittels derer diese Prinzipien durch die Mitglieder eirier sozialen Gruppe objektiviert werden. Das Ordnungsprinzip der aristokratischen Figuration kann daher nur in den aus beobachtbaren Tatbeständen abgeleiteten Kategorien der Ressourcenverfügung beschrieben werden. Sie bilden zwar auch die Grundlage des Patronage-Modells, doch sind sie nicht mit diesem apriori gleichzusetzen. Die Untersuchung von Dispositionen-für-Angst wird zeigen, daß man von Patronage, verstanden als Habitus-Form, im Sinne der von SalIer vorgeschlagenen Definition weder für das Verhältnis princeps - Senatorenschaft noch für die Beziehungen zwischen den Mitgliedern der aristokratischen Gemeinschaft selbst sprechen kann.60
60
In diesem Sinne bleibt die Skepsis von Nicols, John (1980): Pliny and the Patronage of Communities. In: Hermes 108, S. 365f., bestehen: "Few historians would disagree with the statement that patronage is one of the most imponant, and yet elusive bonds in Roman society. To begin with, it is not easy to define what patronage iso To what extent, for example, do the words patrocinium, patronatus.fides and clientela describe different aspects of the same phenomenon? Moreover, there is the difficult question of whether the English word 'patronage' is an adequate label for the institutions described by these words. And fmally, it should be noted that patronage has far us a slightly negative or at best, a neutral force, which was not the case for the Roman."
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Körperliche Hexis und die Disposition-der-Umkehrbarkeit
Das Prinzip der Ressourcenverfügung, in dem sich die Objektivierung der Geschichte in den Institutionen ausdrückt, kennzeichnete die senatorische Figuration im frühen Prinzipat. Die Darlegungen des vorangegangenen Kapitels haben gezeigt, daß die gesellschaftlichen Stärkeverhältnisse - und damit gewisse Abhängigkeitsbeziehungen - um so stärker im Funktionszusammenhang hervortraten, je näher sie sich in der Umgebung des princeps konstituierten. Die Objektivierung der Geschichte in den senatorischen Leibern braucht diesen retrospektiven Beobachtungen des Historikers jedoch nicht zu entsprechen, da der senatorische Habitus den aristokratischen Funktionszusammenhang als einen ganz anderen Raum aktualisieren kann. Ein Element der Objektivierung der Geschichte in den senatorischen Leibern läßt sich in einer entsprechenden körperlichen Hexis festmachen. Die körperliche Hexis wird von Bourdieu defmiert als "die realisierte, einverleibte, zur dauerhaften Disposition, zur stabilen Art und Weise der Körperhaltung, des Redens, Gehens und damit des Fühlens und Denkens gewordene politische Mythologie. ,,\ Dje Eigensc.h.aften unQ. B.e.wegJ.lngende.s Körpel:s s4t.d. unmittelbar gesellschaftlich gekennzeichnet, weil alle Wahmehmungs- und Beuneilungsschemala, in denen eine Gruppe ihre Grundstrukturen und die Äußerungsschemala festlegt, mit denen sie für diese eine erste Objektivierung und damit Verstärkung gewährleistet, sich von Anbeginn zwischen das Individuum und seinen Leib schalten: [...V
Die körperliche Hexis läßt sich nicht willentlich und in einem Akt der freien Entscheidung erlernen? Die Symbolik des Gehens, Stehens und Sprechens wird dem Leib "durch Geburt oder durch einen langwierigen Prozeß von Kooptation und Initiation, der einer zweiten Geburt gleichkommt,"4 einge-
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Bourdieu (1987), S. 129. Bourdieu (1987), S. 134. Bourdieu (1987), S. 126. Bourdieu (1987), S. 125.
schrieben. Als Bestandteil einer bestimmten Habitusform wird mit der Besetzung der "elementaren Akte der Leibesübung" durch eine spezifische Symbolik erreicht, daß "die grundlegendsten Strukturen einer Gruppe in den ursprünglichen Erfahrungen des Leibes verwurzelt werden"5. Im folgenden soll die senatorische körperliche Hexis in ihren Grundzügen entsprechend den von Bourdieu genannten Kategorien beschrieben werden. Es wird zunächst zu untersuchen sein, nach welchen (symbolischen) Regeln die senatorischen Leiber gewohnt waren, mitei~ander in Beziehung zu treten. Welche Verhaltensdisposition entfaltet sich im Zusammenspiel der Leiber, ihrer Haltungen und Bewegungsrichtungen? Am deutlichsten läßt sich die senatorische körperliche Hexis an den vornehmlichen und traditionellen Orten aristokratischer Kommunikation beobachten: in der Kurie, auf dem Forum und in den Straßen Roms. Die Aussagen, die im folgenden getroffen werden, gelten daher nur für diese genau bestimmbaren Lokalitäten.
Die Toga und die wandelnden aristokratischen Statuen Jeden Morgen stand dem Senator eine äußerst umständliche Prozedur bevor: Er hatte seine Toga anzulegen. Mit ihr bekleidet hielt er seine Morgenempfänge, die salurationes, ab; in der Toga begab er sich selber auf Visite bei seinen Standeskollegen. Erst wenn sie ordnungsgemäß seinen Körper bedeckte, durfte der Senator unter die Augen seiner Mitmenschen treten. Bis er jedoch so weit war, konnte die Morgentoilette einige Zeit andauem. 6 Oft war er sogar auf fremde Hilfe angewiesen, uin die Toga "nach allen Regeln der Kunst umzuhängen. ,,7 Auf zu viele Dinge hatte das Mitglied der aristokratischen Gemeinschaft beim Anziehen zu achten: Die Toga sollte möglichst rund sein und in passendem Zuschnitt, sonst kommt es zu allen möglichen Unebenheiten. Ihr Vorderteil endet am besten in der Mitte des Unterschenkels, ihr Hinterteil im gleichen Verhältnis höher wie bei der gegürteten Tuni-
s Bourdieu (1987), S. 132. Bourdieu wendet sich mit dieser Kategorisierung gegen das Axiom, man könne das Verhältnis eines Subjekts zu seinem Leib "auf ein 'Bild des Leibes', auf eine subjektive Vorstellung" zurückführen [So 134]. 6
7
S. auch Carcopino, Jerome eI986): Rom. Leben und Kultur in der Kaiserzeit. Stuttgart, S. 222, in (selbst-)ironischem Stil: "Das Umhängen der Toga oder des amictus, der ihr in der allgemeinen Beliebtheit folgte, war das einzige Geschäft, das beim Aufstehen Zeit kostete und eine Mühe erforderte, die kaum geringer war als der Aufwand, den jetzt die Archäologen treiben müssen, um ihre Tragweise zu erforschen." C3ICopino eI986), S. 221.
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ka. Der Bausch sitzt am schönsten, wenn er ein Stück über dem unteren Rand der Tunika ist, jedenfalls soll er niemals darunter sein. Der Bausch, der schräg unter der rechten Schulter zur linken Schulter verläuft, wie ein Schwertgurt, soll weder spannen noch zu lose sitzen. Das Stück der Toga, das später umgeschlagen wird, soll tiefer hängen; denn so sitzt es besser und hat Halt. Umgelegt werden soll auch ein Stück der Tunika, damit es beim Vortrag nicht zum Arm zurückrutscht; dann soll der Bausch über die Schulter gelegt werden, dessen äußersten Rand umzuschlagen durchaus nicht unpassend ist Die Schulter aber darf nicht samt der ganzen Kehle bedeckt werden, sonst wird der Überwurf eng und verliert sein würdevolles Aussehen, das auf der breiten Brust beruht. Der linke Arm soll soweit erhoben werden, daß er gleichsam einen rechten Winkel bildet, worüber dann der doppelte Rand, den die Toga liefert, gleichmäßig nach beiden Seiten aufsitzen soll.
Ipsam togam rutundam esse et apte eaesam velim, aliter enim multis modis fiet enormis. pars eius prior mediis cruribus optime terminatur. posterior eadem portione altius qUß cinctura. sinus deeentissimus. si aliquo supra imam tunieam fuerit. numquam eerte sit inferior. ille, qui sub umero dextro ad sinistrum oblique ducitur velut balteus, nec strangulet nee fluat. pars to gae, quae postea inponitur, sit inferior: nam ita et sedet melius et eontinetur. subdueenda etiam pars aliqua tunieae, ne ad laeertum in actu redeat: tum sinus iniciendus umero, euius extremam oram reiecisse non dedecet. operiri autem umerum cum toto iugulo non oportet, alioqui amictusfiet angustus et dignitatem, quae est in latitumne peetoris, perdit. sinistrum braehium eo usque adlevandum est. ut quasi normalem illum angulumfaciat. super quod ora ex toga duplex aequaIiter sedeat. s
Der Purpurstreifen sollte möglichst geradlinig herunterfallen, um nicht den Eindruck der Nachlässigkeit zu erwecken.9 Während die breiten Schichten der freigeborenen römischen Bevölkerung gerade im 1. Jh. n. ehr. mehr und mehr auf die Toga verzichteten/o trug sie der Senator .auch weiterhin an den vornehmlichen Orten aristokratischen Umgangs. Nicht nUr bei aeri-murgeridlic:herrsalutationesU , sondern·auchin der Stadt und auf d.em Forum, in der Kurie sowie bei den kaiserlichen Empfangen und Gastmählern legte der Senator den weißen Umhang an. l2 War die Toga eigentlich das Kennzeichen des freigeborenen civis Romanus, das
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Quint, inst orat 11, 3, 139-141. Quint, inst orat 11, 3, 139. Mommsen, Theodor (1963): Römisches Staatsrecht Bd. m, 1. Basel (Repro. Leipzig 31887), S. 220. Obwohl Mommsens Ansatz weitgehend überholt ist [so dazu die Kritik bei Bleicken (1975), S. 16-51], bleibt sein Römisches Staatsrecht als Materialsammlung grundlegend; auf die Fülle von Quellenangaben sei an dieser Stelle verwiesen. - Talben (1985), S. 216. Hier trugen auch die unteren Schichten die Toga, allerdings mit Widerwillen; Mommsen (1963 III, 1), S. 22lf.; s. auch Juv., sat 1, 96; Martial 9, 100; 10, 96; 12, 18. Marquardt; Joachim (1975): Das Privatleben der Römer. Bd. 2. Dannstadt, S. 553. Mommsen (1963 III, 1), S. 22lf.
ihm mit Erreichen des Mannesalters in einem feierlichen Akt verliehen wurde,13 so entwickelte sie sich im frühen Prinzipat allein durch ihren faktischen Gebrauch allmählich zu einer standes spezifischen Kleidung der herrschenden Schicht. 14 Mit dem Anlegen der Toga reduzierten sich die Bewegungsmöglichkeiten des senatorischen Körpers auf drastische Art und Weise: In der Toga die Haltung beim schwungvollen Schreiten zu bewahren, eine feurige Rede zu halten und den wirbelnden Ansnmn der Menge zu bestehen, erforderte unablässige Aufmerksamkeit. Ihr Gewicht machte sie zu einer kaum erträglichen Bürde. u
Spontane oder unkontrollierte Aktivitäten des Körpers ließ die Toga nicht zu. Abrupte Körperbewegungen, schnelle Gesten16, unruhige Haltungen konnten schnell dazu führen, daß der sorgfältig gerichtete Faltenwurf der Toga in Unordnung geriet oder die Toga völlig verrutschte. 17 Ob es der Senator so wollte oder nicht, die Bewegungen seines mit der Toga bekleideten Körpers zeichneten sich durch eine besondere Langsamkeit und Ruhe aus. Sein Verhalten wurde von Gelassenheit, aber auch von einer gewissen Schwerfälligkeit getragen. 18 Fahrige Gesten, ein Zittern der Hände, zu große Ausholbewegungen der Anne oder gar ein torkelnder Gang wurden sofort bemerkt und nicht selten zum Gegenstand von Spott gemacht. Quintilian berichtet von einem Manlius Sura, "der bei seinem Vortrag oft hin und her lief, sprang, mit den Händen gestikulierte, seine Toga bald herabgleiten ließ und bald wieder ordnete". Das Verhalten des Manlius Sura war so sonderbar, daß ein Standeskollege über ihn Witze machte und ihn dem all-
m,
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Mommsen (1963
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Talbert (1985), S. 216: "Equites perhaps continued to wear it for some time, but in practice the toga gradually came to be the special clothing of senators alone, [...]. In time, therefore, it was the toga which marked out senators more than the latus c/avus." Carcopino C1986), S. 221.
IS
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1), S. 215.
Mommsen (1963 111, 1), S. 219, betont, daß die Toga den freien Gebrauch der HlInde nicht gestattet S. auch Marquardt (1975), Bd. 2, S. 555. Man sei auf die FaItenlegung so sorgsam bedacht gewesen, "daß man bei jedem Ausgange Gefahr lief, durch Berührung eines Vorübergehenden die Kunst der Faltung zu zerstören, [...]." Der kunstvolle Faltenwurf der Toga errichtet und gewährleistet damit zugleich eine räumliche Distanz zwischen den Toga-Trägern, die eine Zone des gegenseitigen Respekts zwischen den Senatoren und eine 'Demarkationslinie' zwischen den Aristokraten und Mitgliedern statusniederer Gruppen darstellt; für den Hinweis danke ich Prof. Dr. Zoepffel. Diese Verhaltensweise fmdet ihr metaphorisches Äquivalent im Begriff der gravitas; s. Bourdieu (1987), S. 141.
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gemeinen Gelächter preisgab. 19 Die Art und Weise, wie der Körper des Senatoren wahrgenommen wurde, war auch durch die Toga beeinflußt. Die Grenze zwischen falschem Sitz der Toga und nicht angemessener Bewegung verschwamm, da die Toga den Blick der Senatoren zugleich auf die Konstitution und Verfaßtheit des aristokratischen Körpers lenkte. Selbst die Kaiser entkamen nicht der höhnischen Beobachtung ihrer Leiber. Der humpelnde Gang des Claudius ruft in der Apocolocyntosis des Seneca einen Lacheffekt nach dem anderen hervor. Dem Jupiter wird nach der gelungenen Apotheose und Ankunft des Claudius gemeldet, "es sei da jemand gekommen, von großer Statur, schon recht grau, er stoße Gott weiß was für Drohungen aus und er schüttle in einem fon den Kopf; auch ziehe er das rechte Bein nach. ,,20 Hereules verlien beim ersten Anblick des Claudius die Fassung und meint. "nun sei seine dreizehnte Arbeit gekommen."zl In den Kaiserviten des Sueton wird das Zittern und Zucken des kaiserlichen Körpers gar zu einem der vielen Stigmata des schlechten, 'wahnsinnigen' princeps. Caligula konnte, so der Biograph, "bisweilen wegen einer plötzlichen Schwäche kaum gehen, stehen oder sich soweit zusammennehmen, daß er sich aufrecht zu halten vermochte. ,,22 Neros Kleidung wie auch sein ganzes Auftreten sei schlichtweg schamlos gewesen. 23 Ganz anders verhält es sich bei den Körpern des Vespasian oder des Titus: "feste kräftige Glieder"2A, "glänzende körperliche und geistige Gaben"" "hervorragende Schönheit" und "außergewöhnliche Körperkraft"2S kennzeichnen die 'guten' principes, die den Schrecken der Bürgerkriege ein Ende bereitet hatten. Warum aber trugen die Senatoren jahrhundenelang das scheinbar so widerspenstige und unbequeme Kleidungsstück und machten es sogar zu
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Quint, inst orat 6, 3, 54: Afer enim venuste Manlium Suram, multum in agendo diseursantem, salientem, manus iaetantem, togam deicientem et reponentem, non agere dixit, sed satagere. Sen., apocol. 5, 2: venisse quendam bonae staturae, bene canum; nescio quid illum minari, assidue enim caput movere; pedem dextrum trahere. Sen., apoloc. 5, 3: sibi tertium decimum laborem venisse. S. auch Sen., apoloc. 1,2; 6, 2; 11,3. Suet, CaI. 50: nonnu11Uluam subita defeetione ingredi, stare, colligere semet oe suffe"e vixposset. Suet, Nero 51; s. auch Claud. 30. Suet, Vesp. 20: compactis jirmisque membris. - Der einzige körperliche Makel des Vespasian bestand nach SuelOn darin, daß der Kaiser im Gesicht einen Zug hatte, "wie wenn er sich beständig anstrenge." - vultu veluti nitentis. Auch dieser Fehler entging nicht dem ,Spott der Zeitgenossen. Suet., Tit. 3: corporis animique dotes [...J praecipium robur.
dem Erkennungszeichen des Römers schlechthin? Warum behielten dil;' Senatoren die Toga auch dann noch an den Orten aristokratischer Kommunikation an, als sie in ihrer 'Freizeit' wesentlich bequemere Kleidungsstücke anlegten?26 Die unteren Bevölkerungsschichten waren da, wie schon dargelegt, wesentlich konsequenter. Sie nannten sich zwar weiterhin die togati, doch legten sie die Toga nur dann noch an, wenn es unbedingt nötig war. Bei den Senatoren verhielt sich die Sache jedoch anders. Der Zuschnitt des Kleidungsstückes und die Modellierung der ~örperbewegungen sind nicht zwei Bereiche, die sich getrennt gegenüberstehen: Beide bedingen sich gegenseitig und stehen als Elemente einer bestimmten Habitusform in einem unmittelbaren Zusammenhang?7 Die Toga wirkte als ein Disziplinierungsinstrument, das den senatorischen Körper in ganz bestimmte Bewegungsabläufe hineinzwängte. Die Mitglieder der aristokratischen Gemeinschaft gebärdeten sich auf dem Forum und in der Kurie wie wandelnde Statuen. Indem sich die Bewegungen ihrer Körper durch das Anlegen der Toga reduzierten und verlangsamten, wurden zugleich die elementaren Körperhaltungen und Bewegungsrichtungen symbolisch aufgeladen. Im Sitzen, im Stehen, im Gehen, im Nied~rknien, im Handreichen, in allen diesen elementaren Regungen des senatorischen Körpers entfaltete sich eine wortlose Kommunikation, in der Rang- und Machtunterschiede symbolisch zum Ausdruck kamen. Jede elementare Veränderung der eigenen Köperhaltung im Verhältnis zum anderen galt dabei als Geste der Unterlegenheit. Das Aufstehen und das Beiseitetreten waren Bewegungen des Respektserweises. 28 In den Straßen Roms hatten die Liktoren dafür zu sorgen, daß den Magistraten durch Ausweichen der entsprechende Respekt erwiesen wurde?9 Eine besondere Funktion erhielt der Kniefall. Solch eine Bewegung des Körpers stellte die größtmögliche Unterlegenheitsgeste dar. In der Republik galt sie
26
Mit dem beginnenden zweiten nachchristlichen Jahrhundert verzichteten die Senatoren in der Villeggiatur ganz auf die Toga; s. Carcopino eI986), S. 221.
27
Es wird zwar immer wieder - sei es explizit oder nur andeutungsweise - darauf verwiesen, daß die Toga alles andere als ein legeres Kleidungsstück war. Die Fragen, welche Auswirkungen dieser Umstand auf die Modellierung der Körperbewegung hat und weiche Zusammenhänge sich zwischen Habitusform und Kleidung aufstellen lassen, sind dagegen m. E. nie gestellt worden.
28
Zum Aufstehen s. auch Alföldi (1970), S. 42.
29
Mitglieder statusniederer Gruppen vollzogen diese Bewegungen unter völlig anderen Rahmenbedingungen des Kommunizierens. Das Ausweichen eines libertus beispielsweise bezeugte zwar ebenfalls Respekt, doch besaß dieser - und damit die Bewegungen des freigelassenen Körpers - eine ganz andere Semantik als der Respekterweis eines Senatoren. Die Bewegungen der Körper mögen äußerlich identisch sein, ihr Zeichencharakter stellt sich wesentlich differenzierter dar.
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allgemein als typische Ausdrucksweise monarchischen Verhaltens. Nur als Bittgebärde war das Knien in republikanischer Zeit geläufig und praktizierbar. 30 Als der überlegene Körper zeigte sich allein derjenige, der seine Haltung oder seine Bewegungsabläufe im Verhältnis zum anderen nicht änderte. Vor allem der starre sitzende Leib, der sich - jetzt endgültig einer Statue ähnelnd - nicht bewegte, verwies darauf, daß er eindeutig höher gestellt war als die Körper anderer Senatoren. 31 Gerade im Sitzen manifestierte sich vor allem die herausragende Stellung des Magistrats. 32 Die Zuordnung der aristokratischen Körper entfaltete sich aber nicht nur zwischen den Magistraten und den einfachen Senatoren. Gleiches galt unter solchen Mitgliedern der aristokratischen Gemeinschaft, die kein Amt bekleideten, wie auch unter den Magistraten selbst. Prestigeunterschiede wurden in den Körperbewegungen sichtbar; der niedere Magistrat mußte absteigen, aufstehen oder beiseitetreten, wenn er einem ranghöheren begegnete. 33 Wurde ein senatorischer Körper zudem durch Podeste, Treppen oder ähnliches vom (Erd-)Boden enthoben und über die anderen gestellt, so kennzeichnete er sich dadurch als eindeutig überlegen. Seit ältester Zeit durften nur bestimmte Magistrate auf Podesten stehen oder sitzen. Vor allem der rechtsprechende Magistrat ließ seine Stellung erhöhen, indem eine Bühne, das Tribunal, aufgeschlagen wurde, auf dem er dann in seinem Amtssessel Platz nahm. 34 Selbst in einem Tragebett oder gar in einem Wagen in der Stadt erblickt zu werden, galt für den einfachen Senatoren als unschicklich, da auch diese Fortbewegungsmittel den Körper seiner eigentlichen Bewegungsebene enthoben. In der Kaiserzeit benutzten in der Regel nur Alte und Kranke das Tragebett. 3s- Auf Reisen durch Italien hatte man aus dem Wagen auszusteigen, wenn·· inan die Grenzen" einer Stadt-überschritt Erst
30
Alföldi (1970), S. 47ff.
31
Zum Sitzen s. Schäfer, Thomas (1989): Imperia insignia. Seila curu/is und fasces. Zur Repräsentation römischer Magistrate. Mainz, S. 17f. - Die symbolische Verknüpfung , starr/fest/unbeweglich - überlegen' läßt sich nicht nur in der Semantik der Körperbewegungen nachweisen. Auch in stoischen Überlegungen über die Seele taucht sie wieder auf. Eine starke, fortgeschrittene und damit überlegene Seele ist immer nur die, die standhaft wie eine Burg oder wie ein Fels ist; die sich nie mitreißen läßt, sei es durch die Zufälle des Schicksals, sei es durch die eigenen Leidenschaften; s. z. B. Sen., ep. 51, in der das Haus als Metapher der Seele verwendet wird. Mommsen (1963 I), S. 397ff. Die Art der Stühle, auf denen die Magistrate saßen, symbolisierte zusätzlich die Machtfülle des jeweiligen Amtsinhabers. Mommsen (1963 I), S. 398.
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33 34 35
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Momrnsen'(1963 I), S. 396,400. Momrnsen (1963 I), S. 396f.
nachdem man sie zu Fuß durchquert hatte, konnte der Wagen wieder bestiegen und die Reise fahrender Weise fortgesetzt werden. 36 Der einfache (Erd-)Boden war als Grundlage des Spiels der Körperbewegungen unentbehrlich, um die Rang-, Prestige- und Machtunterschiede zwischen den Senatoren zu symbolisieren.
Die phonetische Verdichtung der res publica Ähnliches läßt sich für das Sprechen als Bestandteil jener "politischen Mythologie" beobachten, die das Verhältnis des Subjekts zu seinem Körper bestimmt. Vor allem in der Kurie fand das senatorische Sprechen seine räumliche Verankerung. Hier gewann es eine Symbolik wie an keinem anderen Ort aristokratischen Umgangs. Zu Beginn einer jeden Senatssitzung sprach nach herkömmlichem Modus nur einer: der leitende Magistrat, der den Senat auch einberufen hatte. 37 In seiner relatio trug er die Punkte vor, über die die versammelten Väter zu entscheiden hatten. 38 Mit dem Ende der relatio war es auch mit der Stille in der Kurie vorbei, die bisher nur durch die Stimme des Magistrats durchbrochen worden war. Von nun ab breitete sich das leidenschaftliche Reden, das Gemurmel, das Rufen, das Flüstern unzähliger senatorischer Kehlen im Sitzungsgebäude aus. Die Abgabe der sententiae, durch die die Senatoren während der interrogatio zu den vorgetragenen Punkten Stellung nahmen, entfachte einen Sturm von Sprechakten, der in seinen Verwirbelungen und Turbulenze~ßoc1!~JneJdare Ordnung au'fwies. In del Regel -beganne-fidfi Konsulate -eider-dIe designierten Konsuln des nächsten Jahres, ihre Meinung darzulegen. 39 Ihnen folgten die Praetorier, die gewesenen kurulischen Aedile, die Tribunicier und die Quaestorier.40 Es konnte aber auch vorkommen, daß der vorsitzende Magistrat in die Reihenfolge der sententiae eingriff und von sich aus
36
Suet., Claud. 25.
31
Im Prinzipat war zur Einberufung des Senats auch der Kaiser berechtigt.
38
Mommsen (1963 Ill, 2), S. 951ff. - Talbert (1985), S. 234.
39
Zur prima sententia s. Meier, Christian (1984): Die Ersten unter den Ersten des Senats. Beobachtungen zur Willensbildung im römischen Senat In: Nörr, Dieter und Simon, Dieter (Hg.): Gedächtnisschrift für Wolfgang Kunkel. Frankfurt a. M., S. 185-204. Mommsen (1963 Ill, 2), S. 967. - Talbert (1985), S. 240ff. Nach Mommsen (1963 Ill, 2), S. 966, hat sich die Reihenfolge der Sprechenden erst allmählich ausgebildet und war in der Frühzeit der Republik noch nicht vorhanden.
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einen Senator zum Reden aufforderte. 41 Die Abgabe der sententiae erstreckte sich oft über Stunden. Jeder Senator durfte so lange sprechen, wie er wollte, und dazu noch Themen in die Debatte werfen, die in der relatio nicht genannt worden waren. 4Z Das Sprechen der Redner wurde begleitet durch die lautstarken Reaktionen der versammelten Väter. Zustimmung, Kritik oder Ablehnung wurden unmittelbar zum Ausdruck gebracht und verbalisiert.43 In der Kurie vertonte sich während der interrogatio die res publica. Das römische Gemeinwesen fand im Gewimmel der senatorischen Sprechakte seine phonetische Verdichtung. Schweigen war jetzt ein unumstößliches Tabu. Wer zur sententia aufgefordert nichts sagte, stand nicht nur außerhalb der aristokratischen Gemeinschaft, sondern überhaupt außerhalb des römischen Gemeinwesens.44 Im Klang der res publica ließ sich eine Disharmonie vernehmen, da ein Ton fehlte. Ein einziges Wort reichte aus, um den Gleichklang wieder ertönen zu lassen: "adsentio". Mit ihm schloß man sich der Meinung eines Vorredners einfach an. War die Umfrage mit der Entscheidung, über welche Fragestellung man abzustimmen gedachte, beendet, erlosch der Stimmensturm schlagartig. Das gerade noch verbotene Schweigen kehrte in die Kurie zurück. Während der Abstimmung, die die Senatssitzung beschloß. fiel kein einziges Wort. Nur die Geräusche vom Forum und von den Straßen Roms, die durch die meistens offene Tür in die Kurie drangen,4S beeinträchtigten die Stille, in der die versammelten Väter ihre Entscheidungen trafen. Nun war das Reden ein Tabu; es sprachen einzig und allein die senatorischen Körper. Die Abstimmung erfolgte durch Platzwechsel. Die Senatoren setzten sich zu demjenigen Standes genossen, dessen sententia sie sich anschlossen.46 Als Bestandteil der körperlichen Hexis war auch.das Sprechen in der Kurie eindeutig symbolisch besetzt. In der Zuordnung der Sprechakte während der interrogatio konnte sich die Rangdifferenzierung zwischen den Senatoren phonetisch manifestieren. Während die Mitglieder der aristokratischen Gemeinschaft ihre sententiae abgaben, reduzierte sich das Senator-
m, 2), S. 978. - Talben (1985), S. 241.
41
Mommsen (1963
42
Mommsen (1963 II1, 2), S. 939. - Talbert (1985), S. 193f., geht davon aus, daß die Senatssitzungen zum Teil neun bis elf Stunden dauern konnten. Talbert (1985), S. 267f.
43 44
S. auch Mommsen (1963 II1, 2), S. 978f. - Talbert (1985), S. 252f.
4S
Mommsen (1963 lIT, 2), S. 931. - Talbert (1985), S. 196. Talbert betont, daß durch die stets geöffnete Tür auch von der Masse ("crowd n) ein gewisser Druck ausgeübt werden konnte.
46
Mommsen (1963 III, 2), S. 991. - Talben (1985), S. 282.
88
Sein einzig und allein auf das Sprechen. Ein Wort, eben das adsentio, reichte notfalls aus, um sich in diesem Kontext als Senator auszuweisen und zu defmieren. Das, was gesagt oder gerufen wurde, blieb untrennbar mit der Person des Sprechenden verbunden. Entscheidend für die Durchsetzungsfähigkeit einer sententia war nicht so sehr die Stärke ihrer sachlichen Argumente. Zwar gehörte es zum guten rhetorischen Stil, seine Meinung in einem eleganten Ton vorzutragen, doch ließ sich damit allein kaum Eindruck machen. Viel wichtiger war die Frage, wer wann was im Gewimmel der sententiae und ihrer spontanen Gegenreaktionen sagte. Sprechakt und Rang, Sprechfolge und Rangfolge fielen während der interrogatio weitgehend in eins. Das Sprechen gewann seine Qualität vor allem aus dem Prestige des Sprechenden. Der Senator redete nicht distanziert und 'objektiv' zu den Punkten der Tagesordnung. Seine sententia war aufgeladen mit der ganzen Wucht seines Ansehens und seiner Stellung in der aristokratischen Figuration. Die Meinung der Konsulate oder der designierten Konsuln fiel von sich aus mehr ins Gewicht als die sententia eines Quaestoriers.47 Es bedurfte schon einer außerordentlichen Redekunst, um das Prestigegefälle gegenüber einem ranghöheren Senatoren im Prozeß des Sprechens ausgleichen zu können. Auch die ununterbrochenen Zwischenrufe, die die ganze interrogatio begleiteten, erfuhren ihre Durchschlagskraft vor allem aus der RangsteIlung des Rufers. Auf die verbalen Reaktionen hoch angesehener Senatoren achtete man ganz besonders. Sie signalisierten schon während der interrogatio, welche sententia bei der Beschlußfassung und Abstimmung die besten Chancen hatte.48
Die Fleischwerdung der Rangverhältnisse Die körperliche Hexis des Senatoren war darauf ausgerichtet, in verschiedensten Situationen die gesellschaftlichen Stärkeverhältnisse auf ganz verschiedene Art und Weise sichtbar zu machen. Auf dem Forum und in den Straßen Roms zeigten die Bewegungen des Leibes vor allem die Machtkorrelationen zwischen Magistraten und Senatoren, aber auch Prestige- und Rangunterschiede unter den Mitgliedern der aristokratischen Gemeinschaft
47
48
Mommsen (1963 III, 2), S. 966, stellt fest, daß sich die Rangunterschiede nirgends schärfer entwickelt hätten als im Anschluß an die Umfrage im Senat. Talben (1985), S. 273, meint, daß der Senat meistens durch die Stimmung der Älteren gelenkt wurde.
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an; in einer mit der interrogatio lokal und zeitlich genau datierbaren Situation fiel dem Sprechen die Aufgabe zu, die Rangverhältnisse zwischen den einzelnen Senatoren sinnlich erfahrbar zu machen. Diese ganz spezifische körperliche Hexis war über Generationen hinweg bis in die Zeit des frühen Prinzipats hinein in ihren Grundstrukturen dem Leib des Senatoren eingeschrieben.49 Die Bewegungen und das Sprechen der wandelnden aristokratischen Statuen resultierten originär nicht aus genau festgelegten rechtlichen Setzungen.50 Ebensowenig hatte der Senator die "politische Mythologie" in Handbüchern oder ähnlichem gelernt. Zwar gab es Schriften über das Auftreten im Senat, doch prägte sich die körperliche Hexis spätestens dann aus, wenn die Väter oder ältere Senatsmitglieder die heranwachsenden und späteren Senatoren mit auf das Forum oder in die Kurie nahmen. 51 Hier wurden die iuvenes - im wahrsten Sinne des Wortes - eingeführt in die Ordnung der senatorischen Körperbewegungen und des senatorischen Sprechens. Was der Leib des jungen zukünftigen Senatoren an diesen traditionellen Orten der aristokratischen Kommunikation lernte, das besaß er nicht "wie ein wiederbetrachtbares Wissen", sondern das war er.52 Die stets offene Tür der Kurie ermöglichte jederzeit die Beobachtung der Vorgänge im Versammlungsraum der Väter. Auch die Bewegungen des Leibes erlernte der iuvenis durch die Nachahmung seiner Begleiter und seines unmittelbaren Umfeldes. In der zweiten Geburt des Leibes - dem "langwierigen Prozeß von Kooptation und Initiation" - verwirklichte sich die Fleischwerdung der Rang- und Machtverhältnisse innerhalb der aristokratischen Figuration. Der körperlichen Hexis des Senatoren war also die Symbolisierung von Rangunterschieden eingeschrieben. Die bisherigen Überlegungen scheinen den Schlußnahezu1egen; däß'uer-Zeiehenclüifakterder"Semnorischenkörper; lichen Hexis exakt dei Struktur des aristokratischen Funktionszusammenhanges entspricht. Eine Disposition-zur-Rangdifferenzierung ordnet die
49
Mommsen (1963 III, 2), S. 906, betont, daß die Verhandlungen im Senat von der Königszeit bis in die Kaiserzeit "im grossen und ganzen genommen sich immer in den gleichen Formen bewegt[en]."
50
Zwar wurde das Procedere einer Senatssitzung in der lex Julia de senatu habendo 9 v. Chr. festgelegt (Cass. Dio 55. 3. 1-4; Suet., Aug. 35). doch ist dieses Gesetz eher ein quasi normativer Auswuchs der körperlichen Hexis denn selbst ein Verhalten erzeugendes bzw. setzendes Prinzip. S. auch Talbert (1985), S. 222, der feststellt, "that the Iaw for the most part served to codify existing practice rather than to introduce sweeping changes." - Mommsen dagegen sieht in seinem Staatsrecht die Körperhaltungen und das Sprechen als Ausdruck rechtlicher Setzungen. Zur Kritik an dieser Einordnung s. S. 93, Anm.60.
SI
Talbert (1985), S. 198, 224.
52
Bourdieu (1987), S. 135.
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Haltungen und Bewegungsrichtungen der senatorischen Körper sowie deren Sprechen den jeweiligen Stärkeverhältnisen zu. Diese werden demnach durch den senatorischen Habitus genauso aktualisiert, wie sie dem Historiker aus der Distanz betrachtet entgegentreten. Solch ein Eindruck stellt sich aber nur dann ein, wenn die Zuordnung der aristokratischen Leiber ausschließlich auf einer synchronen Ebene betrachtet wird. Die körperliche Hexis wird so auf eine Momentaufnahme reduziert, in der dann die augenblicklichen Stärke- und Machtverhältnisse innerhalb der senatorischen Figuration an den Bewegungen und Haltungen der historischen Subjekte ablesbar werden. Der Zeichencharakter jener Fleisch gewordenen "politischen Mythologie" verhält sich aber wesentlich komplexer. Um seine Vielschichtigkeit zu erfassen, gilt es, die Dimension der Zeit in die Beobachtungen einzuführen.
Die egalitäre Dimension der Zeit Jede Senatssitzung begann mit der Ankunft des leitenden Magistrats und einer religiösen Zeremonie. 53 Kaum hatte der vorsitzende Magistrat die Kurie betreten, erhoben sich die versammelten Väter, um ihm ihren Respekt zu erweisen und ihn zu grüßen.54 Erst danach konnte die relatio beginnen. Der Schluß der Senatssitzung bot genau das gegenteilige Bild. Die schweigenden Senatoren saßen verstreut auf den Bänken, je nachdem, welcher sententia sie sich anzuschließen gedachten. Der leitende Magistrat dagegen erhob sich nun seinerseits und verbrachte die Abstimmung stehenderweise.~5S-owoht im Akt der Be-gtüßuiig"Wiecaüclfiriaem· der- AostfiniiiUiig fiia~· nife stieren sich die momentanen Macht- bzw. Stärkeverhältnisse zwischen dem vorsitzenden Magistrat und den versammelten Vätern. Die Senatoren erheben sich zu Beginn der Senatssitzung vor einem Standeskollegen, dessen Aufforderung zur Beratschlagung sie gefolgt sind.56 Nur er, der Magistrat, hatte die Möglichkeiten und die Macht, den Senat zusammenkommen zu lassen. Ohne ihn konnten die Senatoren niemals initiativ werden. Dieser Fähigkeit des Vorsitzenden zollen die Senatoren mit ihrem Aufstehen den entsprechenden Respekt. Ganz anders verhält es sich am Ende der Senatssitzung. Nun hat der leitende Magistrat aufzustehen. Vor ihm wird die geballte
53
Talbert (1985), S. 185.
54
55
Mommsen (1963 III, 2), S. 936. Mommsen (1963 III, 2), S. 991.
S6
Mommsen (1963 III, 2), S. 911. - Talbert (1985), S. 185f.
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auctoritas senatus tätig, um dem senatus consultum sein ganzes Gewicht zu verleihen. Auch hier schuldet der Körper der überlegenen Stärke der versammelten Väter seine Unterlegenheitsgeste. Der Sinn beider Konstellationen scheint eindeutig klar zu sein. Der Leib des vorsitzenden Magistraten auf der einen und die Körper der Senatoren auf der anderen Seite lassen die gerade geltenden Machtverhältnisse am lebendigen Fleische sichtbar werden. Und doch trifft diese Beschreibung die Symbolik der senatorischen körperlichen Hexis nur ungenau. Beide Szenen Begrüßung am Anfang und Abstimmung am Ende der Sitzung - sind in das Kontinuum der Zeit eingebettet. Mit anderen Worten: Die Leiber korrespondieren nicht nur in einer Momentaufnahme miteinander, sie unterhalten sich auch auf seltsame Art und Weise mit vergangenen Handlungen und mit solchen, die erst geschehen werden. Die Dimension der Zeit auszublenden heißt, die körperliche Hexis um ein wesentliches Merkmal zu berauben. Daß sich der wissenschaftliche Diskurs nur allzu leicht dazu verleiten läßt, liegt nach Bourdieu in seiner eigenen Zeitentbundenheit begründet: Die wissenschaftliche Praxis ist derart entzeitlicht, daß sie gern sogar den bloßen Gedanken an das von ihr Verdrängte verdrängt: weil sie nur in einem Verhältnis zur Zeit möglich ist, daß dem der Praxis diametral entgegengesetzt ist, trachtet sie die Zeit zu ignorieren und damit die Praxis zu entzeitlichen. 57
Zwischen "dem Zeitbegriff der Wissenschaft und dem Zeitbegriff des Handelns", so Bourdieu, gebe es eine grundlegende Antinomie. s8 Als Folge vernachlässige das Wissenschaftssubjekt die Tatsache, daß "die Praxis [... ] schon wegen ihrer ganzen Eingebundenheit in die Dauer mit der Zeit verknüpft [ist], nicht bloß, weil sie sich in der Zeit abspielt, sondern auch, weil sie strategisch mit d~r Zeit llHd vor allem mit dem Tempo-spielt;"S9 Auch in der senatorischen· körperlichen Hexis läßt sich eine Symbolik ablesen, die sich ausschließlich auf einer chronologischen Ebene entfaltet. In bezug auf das hier beschriebene Beispiel heißt das: Der Respekterweis körperlicher Art vor dem leitenden Magistrat und der vor den versammelten Vätern sind im Kontinuum der Zeit sinnhaft miteinander verbunden. Die Szene bei der Eröffnung der Senatssitzung verhält sich zur Abstimmung am Ende reziprok. Der anfangs sitzende Leib steht nun, während die stehenden Körper der versammelten Väter zum Schluß sitzen. Die Haltungen und Bewegungsrichtungen der Körper werden austauschbar. Wer sich einmal als Unterlegener produziert, kann schon bald die Gestik des Überlegenen anneh-
51
Bourdieu (1987), S. 149.
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Bourdieu 0987), S. 148.
59
Bourdieu (1987), S. 149.
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men - und umgekehrt. Die fleischwerdung der Rangverhältnisse wird im Kontinuum der Zeit relativiert. Die Bewegungen des Leibes kommunizieren mit einer imaginären zukünftigen Szenerie, in der sich die Unter- und Überlegenheits gesten genau umgekehrt darstellen. Wenn also der Senator vor dem leitenden Magistrat zu Beginn der Senatssitzung aufsteht, dann ist mit diesem Aufstehen immer die Erwartung verbunden, daß sich irgendwann der Magistrat vor dem Senatoren erheben wird. Das Tempo, in der dieses umgekehrte Verhältnis eintreten kann, variiert dabei beträchtlich. In dem hier dargelegten Beispiel wird die imaginäre Szenerie sehr schnell - in spätestens 10 Stunden, wenn die Sitzung am gleichen Tag beendet wird - zur Wirklichkeit. Anders verhält es sich, wenn der einfache Senator vor den Magistraten in den Straßen Roms beiseitetritt. Der Leib kommuniziert in diesem Fall mit einer Zukunft, die noch in weiter Feme liegen kann. Sie wird erst dann zur Realität, wenn der Senator seinerseits eine Amtsbefugnis innehat und der Körper des - nun ehemaligen - Magistraten eine Haltung des Respekts und der Unterlegenheit annimmt. Gleiches gilt im Rahmen der interrogatio für die Abgabe der sententia. Auch hier variiert das Tempo, in der sich die imaginäre Szenerie verwirklicht. Die eigene Meinung mag im Stunn der Sprechakte oder in der abschließenden Abstimmung nicht durchdringen, sie ertönt aber immer in der Erwartung, daß sie irgendwann einmal gehört werden wird; sei es, weil sich das Prestige des Sprechenden vermehrt hat, sei es, weil sich ihr die Mehrheit der versammelten Väter anschließt. Entscheidend dabei ist jedoch nicht, daß sich diese Erwartung wirklich erfüllt. In vielen Fällen liegt die imaginäre zukünftige Szenerie jenseits der Lebenszeit des Senatoren. In den Bewegungen und Äußerungen der aristokratischen Leiber ist-sie· aber jederzeit präsent; nur dies· zählt. Indem die Zuordnung der aristokratischen Leiber bzw. die ihrer Sprechakte jederzeit vertauscht werden kann, entfaltet sich in der senatorischen körperlichen Hexis eine Disposition-der-Umkehrbarkeit. Die Dimension der Zeit zeigt sich in erheblichem Maße egalitär aufgeladen. An den vornehm lichen Orten aristokratischen Umgangs verkörpern sich in den Haltungen, Bewegungsrichtungen und Sprechakten der senatorischen Leiber nicht nur Rangverhältnisse. Sie sind zugleich auf eine imaginäre Szenerie ausgerichtet, in der sich die Zuordnung der Körper und die Ordnung der Sprechakte in Relation zur Gegenwart genau umgekehrt darstellen. 60 Die Disposition-
60
Die egalitäre Komponente, die erst in Verbindung mit der Dimension der Zeit sichtbar wird, wird bei der Beschreibung senatorischer Körperhaltungen und senatorischen Sprechens von Mommsen übersehen. Da Mommsen die körperlichen Ausdrucksformen als Vollzug bestimmter Rechtsnormen und Privilegien definiert, kann er einer Haltung, einer Bewegung und einem Sprechakt immer nur eine Bedeutung zuweisen. Er muß das Kon-
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der-Umkehrbarkeit verheißt damit die Erfüllung einer Egalität, die nicht als ein abstrakter Wert zu begreifen ist. 61 Nur im. Zusammenspiel der senatorischen Körper kann die Zukunft für die Mitglieder der aristokratischen Gemeinschaft das bringen, was schon ist, was schon war und was immer sein wird: Gleichheit unter Gleichen. Die Zukunft erhält innerhalb der senatorischen Figuration eine ganz andere Semantik als in den Gesellschaften der Modeme. Hier ist sie zunächst nichts anderes als ein leerer zeitlicher Raum, der etwas anderes ist als die Gegenwart, die zu ihm fortschreitet. Erst durch eine voraussehende Planung nimmt die Zukunft eine konkrete Gestalt an und verliert ihren bedrohlichen, da unsicheren und gesichtslosen Charakter. Ganz anders verhält es sich dagegen bei der Senatorenschaft. Bei ihr ist eine politische Planung und Lenkung des Gemeinwesens, wie sie die Modeme kennt, überflüssig. Der römische Senator 'sichert' seine Zukunft, indem er sich so verhält, wie er und seine Vorfahren sich schon immer verhalten haben. Dadurch wird sich die Gegenwart wie von selbst in die Zukunft verlängern, ohne daß sie ihr bekanntes Gesicht verliert. In diesem Sinne geht auch die Diskussion, ob Caesar ein 'Staatsmann' mit 'politischen Plänen' zur Lösung der 'Krise' der Republik sei,62 an der sozialen Wirklichkeit und ihren symbolischen Zusammenhängen vorbei. Die Kategorie des 'Staatsmannes' ist zur Beschreibung der Leistungen Caesars unangebracht, da sie einem symbolischen Zusammenhang angehört, der sich nur in den Gesellschaften der Modeme, nicht aber in der römischen Antike entfaltet. Die Zukunft des Senatoren wird erst dann unsicher, wenn die Disposition-der-Umkehrbarkeit auf einen sozialen Raum stößt, in dem sie ihre Symbolik als Ausdruck der senatorischen körperlichen Hexis nicht mehr entfal-
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tinuum der Zeit zerbrechen und die 'atomisierten' Momentaufnahmen aus einer juridischen Perspektive als für die historischen Subjekte eindeutig verbindlich decodieren. Eine Zwei- oder gar Mehrdeutigkeit in der Symbolik senatorischer Körperbewegungen kann er auf keinen Fall zulassen, da eine Polyvalenz gleichbedeutend mit der Überschneidung verschiedener Rechtsnormen wäre. Ein funktionierendes Rechtssystem ließe sich auf diese Art und Weise kaum rekonstruieren, da juristische Polyvalenzen Ausdruck von Rechtsunsicherheit sind. Bleicken, Jochen (1972), S. 24, stellt zwar fest, daß "im republikanischen Rom [...] die Vorstellung von politischer Gleichheit [...] niemals als Idee verkündet worden" ist und daher "niemals ein Motor der geschichtlichen Entwicklung gewesen sein kann" • doch ist ihm nicht zuzustimmen, wenn er meint, daß die Gleichheit "in den rechtlichen Institutionen [steckt]". Sie steckt ausschließlich in den Körpern der Senatoren selbst; nur don ist sie zu fmden. S. vor allem: Gelzer, Matthiils (1954): War Caesar ein Staatsmann? In: HZ 178, S. 449470 (Auch in: Ders. (1963): Kleine Schriften Bd. 2. Wiesbaden, S. 307-335.). - Strasburger, Hermann e1968): Caesar im Urteil seiner Zeitgenossen. Darmstadt.
ten kann. Die Verheißung der Egalität läßt sich dann nicht mehr erftillen. Mit anderen Worten: Wenn sich die aristokratischen Körper und die senatorischen Sprechakte nicht mehr so zuordnen können, daß die Dimension der Zeit egalitär aufgeladen wird. dann kann sich die Disposition-der-Umkehrbarkeit in eine Disposition-fÜT-Angstverwandeln. Mit dem Erscheinen des kaiserlichen Körpers zwischen den wandelnden aristokratischen Statuen und dem Erschallen der Stimme des princeps in der Kurie wurde genau diese Szenerie zur lebendigen Wirklichkeit.
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Der Körper des princeps
Tiberius und die Allgegenwärtigkeit des kaiserlichen Sprechens Mit der Person des Augustus betrat ein Körper die vornehm lichen Orte aristokratischen Umgangs, der eine ganz andere Qualität besaß als die senatorischen Leiber. Schon das Beispiel von der verhängten Sänfte des ersten Kaisers wies darauf hin.! Auch der Nachfolger des Augustus, Tiberius, sah sich vor das Problem gestellt, seinen Leib gegenüber den Senatoren in ein richtiges Licht zu rücken. 2 Dabei schien zunächst alles auf gelungene Umgangsweisen zwischen Kaiser und Senatoren hinzudeuten. Wie jeder andere Senator erhob sich Tiberius vor den Konsuln und machte ihnen auch auf der Straße Platz? Der Leib des Kaisers benahm sich wie der eines Senatoren; die Symbolik der senatorischen körperlichen Hexis schien sich ganz normal entfalten zu können. In der Kurie bot Tiberius den Senatoren sogar an, sie an der Herrschaft des Reiches unmittelbar zu beteiligen. "Mehrere würden leichter die Aufgaben des Staates in vereintem Bemühen erledigen"4, so zitiert Tadtusdie Btgründung des Kaisers: Aber' gerüür'in dleserripurl'kCkiUn es - scheinbarpatadoxerweise - zu erheblichen" Dissonarizen in der Kommunikation zwischen dem princeps und den Mitgliedern des herrschenden Standes. Die versammelten Väter nahmen die Offerte des Kaisers nicht etwa, wie man erwarten konnte, freudig an oder feierten die Geste des neuen Kaisers als Ausdruck seiner republikanischen Gesinnung. Ganz im Gegenteil: Die Reaktion der Senatoren äußerte sich in der eindringlichen Bitte, Tiberius möge die Regierungsgeschäfte in ihrem vollem Umfang an sich nehmen. Asinius Gallus, eines der angesehensten Mitglieder der Kurie, be-
I
S. S. 13f.
2
3
Zum Herrschaftsantritt des Tiberius s. Flach, Dieter (1973): Der Regierungsanfang des Tiberius. In: Historia 22, S. 552-569. Suet., Tib. 3l.
4
Tac.,
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ann.
I, 11, 1: plures facilius munia rei publicae sociatis laboribus exsecuturos.
tonte, "daß der Staatskörper eine Einheit sei und vom Willen eines einzigen gelenkt werden müsse."s Sowohl das Verhalten des princeps als auch das des Asinius Gallus wird von Tacitus scharf verurteilt. Über den Vorschlag des Tiberius schreibt der Historiograph: Mehr lag in solcher Rede an Würde als an Aufrichtigkeit; setzte doch Tiberius auch in Dingen, die er nicht verbergen wollte, sei es von Natur oder aus Gewohnheit, zweideutig stets und dunkel die Worte: damals aber, als er sich mühte, seine wirklichen Gedanken völlig zu verstecken, verwirrte sich seine Rede noch mehr zum Ungewissen und Doppelsinnigen hin.
Plus in oratione taU dignitatis quamfidei erat; Tiberioque etiam in rebus quas non occuleret. seu natura sive adsuetudine. suspensa semper et obscura verba: tunc vero nitenti. ut sensus SIlOS penitus abderet. in incertum et ambiguum magis implicabantur.6
Ist das scheinbar so entgegenkommende Ansinnen des Tiberius nichts anderes als pure Heuchelei, so kommt die Reaktion der versammelten Väter laut Tacitus einer Selbsterniedrigung gleich. Klagen, Tränen, Gelübde, demütiges Bitten, ja sogar den Kniefall vor dem Kaiser zählt der Historiograph als Verhaltensweisen auf, die das - in seinen Augen - ehrlose Benehmen der Senatoren kennzeichneten. In einem moralisierenden Ton verurteilt Tacitus den Verlauf der gesamten Senats sitzung, in der Tiberius den Senatoren seinen Vorschlag einer Aufgabenverteilung zwischen Kaiser und Senat unterbreitete. Beide Parteien werden von ihm als Heuchler dargestellt, die etwas anderes sagen, als sie eigentlich denken und wollen. Der Punkt, um den es im scheinbar so widersinnigen Streit zwischen princeps und versammelten Vätern geht, läßt sich jedoch nicht in den moralischen Kategorien eines Tacituserfas!\.en. Ganz.:im Gegenteil: Seine Sicht der Diri-ge-ist selbst Ausdruck und Bestandteil des Konflikts, den der Historiograph beschreibt. Eine Aufgabenteilung in der Herrschaftskoordination, so wie sie von Tiberius vorgeschlagen wurde, kann nur auf der Grundlage schon vorhandener, klar umrissener und abgegrenzter Kompetenzen vollzogen werden.7 Mit anderen Worten: Der Kaiser darf kein Senator mehr
5 6 7
Tac., anno I, 12,3: unum esse rei publicae corpus atque unius animo regendum. Tac., anno I, 11,2. Veyne (1988b): Brot und Spiele. Gesellschaftliche Macht und politische Herrschaft in der Antike. Frankfurt a. M., S. 621-623, versucht im Kapitel Der Herrscher und der Senat beschuldigen sich gegenseitig den Konflikt zwischen Tiberius und den versammelten Vätern durch die Funktionsbestimmung des Senats zu erklären. Bei einer wirklichen Aufgabenteilung, so Veyne, kann der Senat nur noch die Funktion eines Ratgebers innehaben. Diese sei aber für "ein Organ, dessen Mitglieder nur aus eigenem Recht und nur um ihrer selbst willen existierten," (S. 621) unannehmbar. Das politische System des
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. nn er wirklich seine Herrschaftsressourcen auf irgendeine Art und sem, we . . . lb Weise mit den Senatoren teilen will. Denn als Senator partIZIpIert er se st an den Aufgaben, die er zuvor abgegeben hat. Die aristokratischen Standeskollegen aber sahen im Kaiser immer noch einen Senatoren und ein Mitglied der Kurie. Das gleiche galt für den princeps selbst: "Die Kaiser waren ihrerseits Senatoren, und politisch war der Senat ihre wahre Heimat, wie die wahre Heimat eines herrschenden Bolschewiken die Partei ist. Auseinandersetzungen mit den Senatoren betrafen sie wie ein Familiendrama. ,,8 Der Konflikt zwischen dem princeps und den versammelten Vätern drehte sich unmittelbar um die Wahrnehmungsweise des kaiserlichen Körpers. Der Kaiser konnte Dinge tun und sagen, die sich nicht mehr in die Symbolik der körperlichen Hexis integrieren lieBen. Der Vorschlag einer Verteilung der Herrschaftsressourcen zwischen princeps und Senat gehörte dazu. Es bedarf daher keiner moralisierender Erklärungsversuche, um den Konflikt in der Kurie zu beschreiben. Die besondere Qualität des kaiserlichen Körpers als quasi verfleischlichtes Ressourcenzentrum sabotierte von sich aus das durchaus ernsthaft gemeinte - Ansinnen des Tiberius, er wolle seine Standeskollegen an der Herrschaft beteiligen. Gerade weil der Kaiser sich als Senator verstand und von den Senatoren auch so wahrgenommen wurde, mußten seine Worte bei ihnen wie der blanke Hohn geklungen haben. Er saß mitten unter ihnen; seine Stimme zählte in der Kurie so viel, daß sie für die Entscheidungsfindung unverzichtbar war. Von Aufgabenteilung konnte da überhaupt keine Rede sein, selbst wenn der Kaiser es wirklich so wollte. Das war aber nur die eine Seite des kaiserlichen 'Spotts'. Die Worte des Tiberius ließen sich für einen Senatoren noch ganz anders verstehen. Sie .konnten., den . Yerdacht-et:w.ecken,dalkieh ,der,-J(.ofriser~aug. den-'senatorisclten·; Umgangsfonnen auszuklinken gedachte. Wollte der princeps eine Sonderbehandlung? Ging er nun seine eigenen Wege, die nicht mehr die der Senatoren waren? Kündigte er seine Mitgliedschaft zur aristokratischen Gemeinschaft auf? Wollte er kein Senator mehr sein, sondern nur noch Kaiser?
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römischen Kaiserreiches erweise sich an dieser Stelle als dysfunktional (S. 623). - Der Meinung Veynes schließt sich Flaig (1992), S. 122ff., an. - Andere Erklärungsversuche bleiben oberflächlich und dringen nicht zur Substanz des Konflikts durch. So z. B. Schrömbges (1986), S. 114, der die ambivalente Stellung des Tiberius zum Senat für den Streit zwischen Kaiser und Senatoren verantwortlich macht. Bei Tiberius, so Schrömbges, lasse sich zum einen das Bemühen feststellen, die Ehrenstellung des Senates zu steigern, zum anderen verhalte sich der Kaiser im "machtpolitischen Bereich" dagegen kompromißlos. - Bleicken (1962), S. 56f., stellt allgemein fest, daß sich principatus und libertas nicht verbinden ließen. Veyne (I988b), S. 623.
Derartige Vermutungen konnten als logische Konsequenz aus dem Vorschlag des Tiberius erwachsen. So paradox es anmuten mag: Wollte der Kaiser weiterhin keinen Zweifel daran aufkommen lassen, daß er sich als Kollege seiner Standesgenossen verstand, dann durfte er gegenüber dem Senat keine 'Zugeständnisse' machen. Er hatte sich so zu verhalten, als sei alles ganz normal und als habe sich nichts geändert. Dies aber hatte Tiberius nicht begriffen oder besser: Er konnte es gar nicht begreifen. Als unvermeidliche Konsequenz sah er sich dem Vorwurf der Heuchelei ausgesetzt. Solange der kaiserliche Körper als senatorischer wahrgenommen wurde, blieben moralisch aufgeladene Attacken auf den Kaiser an der Tagesordnung, deren sich auch ein Historiograph wie Tacitus9 zu bedienen wußte. Reibungen traten in den Umgangsformen zwischen Kaiser und Senatoren selbst dann auf, wenn sie von keinem der Beteiligten gewollt oder wenn sie nur fahrlässig provoziert waren. Auch bei so alltäglichen Vorgängen wie der Abgabe der kaiserlichen sententja in der Kurie versagte die vertraute Verbindlichkeit der senatorischen körperlichen Hexis. Nichts verdeutlicht dies besser als der Ausspruch des Cn. Piso anläßlich einer Verhandlung über ein crimen maiestatis. Als Tiberius selbst - als Senator - in die Debatte eingreifen wollte, fiel ihm Piso ins Wort: "An welcher Stelle willst du stimmen, Caesar? Wenn als erster, weiß ich, welcher Meinung ich folgen muß; wenn nach allen anderen, dann fUrchte ich, ich könnte aus Unwissenheit anderer Meinung sein."10 Der Einwand des Piso verweist auf zweierlei. Zunächst spielt er auf die Allgegenwärtigkeit der kaiserlichen Stimme in der Kurie an. Im Gegensatz zu den einfachen Senatoren konnte der princeps - ausgestattet mit der tribunicia potestas bzw. mit der Konsulwürde - in jeder Phase der . Senatssitzungc -aus eigener-Initia-tive---das 'W't'Jl'ter-greifeJt;lL"-Da:~-erttJ];leich als angesehenster Senator die Senatsliste anführte, seine Meinung dementsprechend ein besonderes Gewicht besaß, wurde er in der Regel als erster von dem vorsitzenden Magistraten gebeten, in der interrogatio seine sententia abzugeben. Für die versammelten Väter besaß der kaiserliche Sprechakt eine äußerst polyvalente Qualität. Die Stimme des princeps gehorchte nicht der Partitur bei der Vertonung der res publica. Sie produzierte stattdessen fortwährend Dissonanzen. Sprach der Kaiser als Konsul? Sprach er als Inha-
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Auf die Beurteilung der Vorgänge und der Akteure durch Tacitus kann hier nur punktuell und am Rande eingegangen werden. Es wäre sicherlich lohnenswert, die Schilderungen und Bewertungen des Historiographen vor dem Hintergrund der hier beschriebenen Habitus-Konflikte ausführlicher zu analysieren. Tac., anno I, 74, 5: Quo [. .. ] loco censebis, Caesar? si primus, habebo quod sequar; si post omnes, vereor ne imprudens dissentiam. Bleicken (1962), S. 6Off. - Talbert (1984), S. 165f.
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ber der tribunicia potestas? Oder sprach er als einfac~er Sen~tor? Durch ~ie senatorische körperliche Hexis war festgelegt~ daß Jede Stnn~e der Te~l nehmer an der Senatssitzung immer nur zu emem ganz bestImmten ZeItpunkt _ ausgenommen waren nur Zwischenrufe - ertönen konnte. Der kaiserliche Sprechakt aber drohte in jedem Augenblick mit seinem ganzen Gewicht die Spielregeln des Sprechens in der Kurie unheilvoll zu verwirren. Es war für die Senatoren, aber auch für den Kaiser selbst unmöglich, die Stimme des princeps anhand der alten Umgangsformen zu lokalisieren. Wann endlich ergriff der Kaiser das Wort? Und welche Qualität besaß der kaiserliche Sprechakt, wenn er dann in der Kurie zu hören war? Die Worte des Kaisers ließen sich nicht mehr in die Symbolik der senatorischen körperlichen Hexis einbinden. Die phonetische Verdichtung der res publica litt in solchen Momenten quasi unter Frequenzstörungen. Unter diesem Gesichtspunkt resultierte der fast schon provokant formulierte Einwand des Piso aus der Ohnmacht der Senatoren, das Sprechen des Kaisers entweder als ausschließlich senatorisches oder als ausschließlich magistratisches Sprechen wahrzunehmen und einzuordnen. Die Worte des Cn. Piso erfahren ihre verschärfte Relevanz aus einem zweiten Umstand. Piso fürchtete darum, anderer Meinung zu sein als der Kaiser, wenn Tiberius nicht vor ihm an erster Stelle spricht. Dies tat der Senator nicht ohne guten Grund, wie das Schicksal des Ateius Capito beweist. Capito geriet in einen Dissens mit Tiberius, als der römische Ritter L. Ennius vor dem Senat eines crimen maiestatis beschuldigt wurde. t2 Thm wurde vorgeworfen, ein Bild des Kaisers zu Silbergeschirr für den täglichen Gebrauch eingeschmolzen zu haben. Tiberius wollte den Ritter von der Anklage liste s_treichen,:woraufGapito~rwi
Capito insignitior infamia fuit, quod humani divinique iuris sciens egregium publicum et bonas domi artes dehonestavisset. 14
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Tac., anno 3, 70.
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Tac., anno 3, 70, 2: Non enim debere eripi patribus vim statuendi neque tantum malefici-
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Tac., ~n. 3, 70, 3.
um impune habendum.
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Die Worte des Capito, so der Historiograph, seien nicht von Freiheitsliebe, sondern von Schmeichelei gegenüber dem Kaiser getragen gewesen. Sie hätten der herausragenden Stellung und dem guten Ruf des Capito großen Schaden zugefügt. Der Erklärungsversuch des Tacitus trifft aber nicht den eigentlichen Kern des Vorgangs. Die Nachrede war eher das Ergebnis des offenkundigen Eingeständnisses, in die Meinung und in die Pläne des Kaisers nicht eingeweiht zu sein. Die Rede des Capito bewies vor den Augen der versammelten Väter, daß dieses Mitglied der aristokratischen Gemeinschaft über mangelhafte Verbindungen und Zugangsmöglichkeiten zum princeps verfügte. Der Dissens mit dem Kaiser unterlief den Ruf, ein angesehener und einflußreicher Patron zu sein. Denn nur wer in regelmäßiger und möglichst intensiver Kommunikation mit dem Kaiser stand, besaß die Möglichkeit, prestigeträchtige Ressourcen durch Fürsprache beim princeps an weniger angesehene Standeskollegen weiterzuleiten. Wer in der Kurie eine radikal andere Meinung vertrat als der Kaiser, der ließ berechtigte Zweifel daran aufkommen, ob er noch den ständigen Umgang mit dem princeps pflegte. 1S Vor diesem Dissens fürchtete sich auch Piso, wenn er Tiberius aufforderte, unmißverständlich anzugeben, wann er in die Verhandlung einzugreifen gedachte. Der scharfe Einwand des Cn. Piso indiziert deutlich, daß sich der kaiserliche Sprechakt auch in ganz alltäglichen Situationen nicht mehr in die Symbolik der senatorischen körperlichen Hexis integrieren ließ. Die Stimme des princeps ertönte in der Kurie, wann immer sie wollte. Zugleich erfuhr der Sprechakt der Senatoren über die veränderte Qualität des kaiserlichen Sprechens eine neue Semantik, die den Sinn der senatorischen körperlichen Hexis nun vollends· verwirrte. Anstatt ein TOD' im Geftige der phonetischen Verdichtung der res publica zu sein, teilte die senatorische sententia den versammelten Vätern mit, in welchem Umfang ihr 'Absender' mit dem Kaiser kommuniziert. Aus der veränderten Semantik des senatorischen Sprechens in der Kurie erklären sich die zahllosen Ehrungen, die die Senatoren dem Kaiser entgegenbrachten. 16 Auch die Bitte, Tiberlus möge die Herr-
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S. auch Flaig (1992), S. 123: "Die politische Semiotik des zufälligen Dissenses hatte unter der Monarchie gewechselt: so wie Dissens früher ein Indikator für mangelnde Absprachen untereinander - also fUr Distanz - war, so signalisierte er nun, daß der betreffende Konsular nicht eingeweiht war in die Linie der kaiserlichen Politik. Eine solche kommunikative Distanz ließ augenblicklich Zweifel an seiner patronalen Effizienz aufkommen." Flaig betont zudem, daß es gerade fUr einen angesehenen Senatoren sehr schwierig war, seine Meinung fallenzulassen und sich einer anderen sententia anzuschließen. Tac., anno 3,57, I; 12,41, I; 13,8, I; 14, 12, 1; 14,59,4.
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schaftskoordination in ihrem ganzen Umfang übernehmen, läßt sich in diesen Zusammenhang einordnen. Wenn sich für die Stimme des princeps keine Tonlage in der Partitur der res publica finden ließ, dann mußte der kaiserliche Körper auf irgendeine andere Art und Weise wieder in die senatorischen Umgangsfonnen eingebunden werden. Ein probates Mittel schien dafür in der verpflichtenden Gabe in Fonn von Bitten und Ehrungen zur Verfügung zu stehen. Dem Lobpreis auf den Kaiser sollte die Anerkennung des geballten Prestiges der versammelten Väter seitens des princeps folgen. Nur war die Kurie ein völlig ungeeigneter Ort, einen Austausch von Wohltaten nach diesem Modus zu praktizieren. Denn auch er konnte nicht verhindern, daß der kaiserliche Körper und seine Stimme de facto - ohne daß sich die Senatoren dessen unbedingt bewußt waren - als etwas behandelt wurde, das nicht mehr der Kurie angehörte. Wenn die Senatoren dem princeps regelmäßig Ehrungen entgegenbrachten, dann verneigte sich der Senat vor einem Mann, der doch eigentlich selbst Mitglied eben dieses Senates war. Was unbedingt hätte vennieden werden sollen, wurde nun erst recht sichtbar: daß der Körper des Kaisers eine Qualität besaß, die andere Umgangsfonnen erforderte als gegenüber einfachen Mitgliedern der aristokratischen Gemeinschaft. Der Vorwurf der Schmeichelei und des Anbiederns, den Tacitus den versammelten Vätern anläßlich des Vorschlages des Tiberius macht, resultiert auch aus der verfehlten Situation, in der die Senatoren durch die verpflichtende Gabe mit dem Kaiser kommunizieren wollten. Die bisherigen Überlegungen gingen von der Anwesenheit des princeps in der Kurie aus. Was aber geschah, wenn der kaiserliche Körper gar nicht unter den versammelten Vätern erschien? Daß sich auch in diesem Fall die -Symboijk:de~:-senatorischen ,kÖlperlichen- Hexis-kaum-entfalten-konnte; ver-deutlicht eine Episode, in der der Kaiser zwar in der Kurie präsent, sein ganzes Verhalten aber eher dazu angetan war, den princeps als nicht anwesend zu betrachten. Dieser Eindruck mußte entstehen, wenn der Kaiser während der gesamten Dauer der Senats sitzung schwieg, sein Sprechen weder bei der re/atio noch bei der interrogatio zu vernehmen war. Als der Senat ebenfalls unter Tiberius im Jahre 15 n. ehr. über Ausschreitungen im Theater verhandelte, "wurden Meinungen laut, man solle den Praetoren das Züchtigungsrecht gegen Schauspieler geben.,,17 Der Volkstribun Haterius Agrippa erhob dagegen Einspruch, während sich Asinius Gallus mit seinem ganzen Ansehen für diese Maßnahme einsetzte. Tiberius aber schwieg, "der
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Tac., anno 1,77,2: dicebantur{que] sententiae, Ul praeloribus ius virgarum in histriones esset.
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diese Scheinbilder der Freiheit dem Senat gönnte" 18, wie Tacitus bemerkt. Was nun in der Kurie geschah, ist gleichsam als idealtypischer Verlauf auch für den Fall zu betrachten, in dem der Kaiser den Senats sitzungen nicht beiwohnt. Der Einspruch des Volkstribunen Haterius setzte sich in der Verhandlung durch, "weil der göttliche Augustus einst entschieden hatte, verschont von der Prügelstrafe sollten die Schauspieler sein, und Tiberius es nicht für recht hielt, dessen Anordnungen außer Geltung zu setzen." 19 Der kaiserliche Wille wurde durch die versammelten Väter antizipiert. Der Kaiser schwieg, also mußte seine Meinung erraten werden. Ein Anhaltspunkt für die mögliche sententia des princeps lag im vorliegenden Fall in seinem früher abgelegten Bekenntnis, die Anordnungen des Augustus auch weiterhin gelten zu lassen. Obwohl die Stimme des Kaisers im Konzert der senatorischen Sprechakte nicht zu hören war, schwang sie doch mit und gab die Tonart an, in der Entscheidungen in der Kurie getroffen wurden. Das Schweigen des princeps verschärfte die Gefahr in nicht unerheblichem Maße, mit dem Kaiser uneins zu sein und damit zu verraten, daß man über seinen Willen nicht ausreichend genug informiert ist. Die Folgen des mangelhaften Zuganges zum princeps sind schon ausführlich besprochen worden: Der Ruf des Senatoren als einflußreicher Patron stand unmittelbar auf dem Spiel. Dies galt erst recht dann, wenn der Kaiser überhaupt nicht in der Kurie erschien. Der Zwang zur Antizipation seines Willens wurde jetzt auf die Spitze getrieben und überschritt die Grenzen des für einen Senatoren Zumutbaren. Durch seine Gestik und Mimik während der Senatssitzung ließ sich für einen nichteingeweihten Senatoren womöglich noch erraten, welche Meinun:g'aet~Kais-e:r übefl1eif zu verhifii([eIriaen
Gegen'Stanubes-uzenkonnfe-:-
Der nicht vorhandene Körper des' Kaisers aber mußte die versammelten Väter endgültig in zwei Lager spalten: in diejenigen, die seine Pläne kannten, und in diejenigen, die über den Willen des princeps ahnungslos waren und blieben. Wollte der Senat sich selbst nicht in unheilvolle Allianzen, Intrigen und Kämpfe um Informationen und Prestige verstricken und den aristokratischen Standeskonsens vollends aufs Spiel setzen, mußte er in solchen Situationen entsprechende Schutzmaßnahmen ergreüen. Am einfachsten schien sich dies bewerkstelligen zu lassen, indem der Senat seine Verhandlungen bei Abwesenheit des Kaisers einfach vertagte. Als der Kaiser im Jahre 16 n. Chr. gedachte, eine zeitlang nicht in Rom zu weilen, kam es
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Tac., anno 1, 77, 3: qui ea simulacra libertatis senatui praebebat. Tac., anno 1,77,3: quia divus Augustus immunes verberum histriones quondam responderat. neque Jas Tiberio infringere dicta eius.
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genau darüber im Senat zu einer Auseinandersetzung zwischen Cn. Piso und Asinius Gallus.2° Während Piso - vermutlich im Bewußtsein, gute Verbindungen zu Tiberius zu besitzen - beantragte, die Verhandlungen gerade wegen der Abwesenheit des Kaisers fortzuführen21 , wandte Asinius Gallus dagegen ein, "es gebe keine hinreichend glanzvolle oder der Würde des römischen Volkes angemessene Verhandlung, die nicht in Gegenwart und unter den Augen des Kaisers vor sich gehe, [...].'122 Die versammelten Väter schlossen sich der zweiten Meinung an, "die öffentlichen Geschäfte wurden vertagt.1t23 Nun konnten die Senatssitzungen aber nicht immer verschoben werden, wenn der Kaiser ihnen fern blieb. Für diesen Fall entschloß man sich, die Meinung des princeps zu Beginn der Sitzung schriftlich bekanntzugeben. Die Briefe wurden in der Regel vom leitenden Magistrat oder von Mitgliedern der kaiserlichen domus vorgelesen. 24 Dieses Verfahren entwickelte sich im Verlauf der Zeit als das wohl tragbarste, um die gespannte Situation in der Kurie zu mildern. Beseitigen konnte es die Disharmonien in der Vertonung der res publica aber nicht. Allein daß der Wille des Kaisers durch einen seiner Freigelassenen in der Kurie vorgetragen wurde, mußte zu gewissen Irritationen unter den Senatoren führen. Nicht-Standesmitglieder konnten durch die offene Tür der Kurie die Verhandlungen verfolgen. Im Yerhandlungsraum selbst hatten sie jedoch ohne besondere Gründe nichts zu suchen. Auch der Versuch, diese Aufgabe den höchsten Magistraten zu übertragen, konnte Anlaß zu Unmut unter den versammelten Vätern geben, da sich das Amt des vorsitzenden Magistraten darauf reduzierte, die kaiserliche sententia zu verkünden. Auch stand die Meinung des princeps als verle-
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Tac., anno 2, 35. Tac., anno 2, 35, 1. Pisos sententia scheint mit der oben zitierten Frage, wann der Kaiser zu sprechen gedenke, in Widerspruch zu stehen. Ein solcher Widerspruch läßt sich aber nur dann konstruieren, wenn man davon ausgeht, daß die Senatoren ihre Meinung aus einer 'Gesinnung' oder gar aus einem 'politischen Programm' heraus artikulieren. Die versammelten Väter entschieden aber immer situativ. Ausschlaggebend für ihre sententia waren die augenblicklichen Stärkeverhältnisse innerhalb der Senatorenschaft. Tac., ann. 2, 35, 2: nihil satis inlustre aut ex dignitate populi Romani nisi coram et sub
oculis Caesaris, {...J. 23 24
Tac., anno 2, 35, 2: res dilatae. Talbert (1984), S. 166f.: "If the emperor was absent from a meeting, he might communicate by letter, and he had the unique right to put forward a relatio by this means. Germanicus sometimes read for Augustus, and Vespasian' s letters were read by his sons. Wills and other documents might be read by imperial freedmen. Nero stipulated that the consuls themselves should read his communications. Otherwise it was normal practice for a quaestor Caesaris to act for the emperor." S. auch ebd., S. 174.
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sener Ausdruck kaiserlichen Willens unverrückbar in der Kurie. Sie war in den Ablauf und in die Symbolik senatorischer Entscheidungsfindung nicht zu integrieren. Der Vorteil, daß sie jetzt durch ihre schriftliche Abfassung und spätere Verlesung hörbar wurde und ihre Antizipation unnötig war, korrelierte mit einer nun deutlich sichtbaren Inflexibilität der kaiserlichen Stimme. War eine Meinungsänderung des Kaisers im Verlauf einer Senatssitzungbisher denkbar und in wenigen Fällen auch praktizierbar gewesen,2S konnte sie nun nur durch eine Wiederaufnahme der ganzen Verhandlung an einem anderen Tennin vonstatten gehen. Es bleibt dabei: Das Sprechen des Kaisers sprengte den Rahmen herkömmlicher aristokratischer Kommunikationsformen. Der teilweise fast schon absurd anmutende Streit zwischen Tiberius und den versammelten Vätern um die Behandlung des kaiserlichen Sprechaktes in der Kurie verweist bei einer eingehenderen Betrachtung auf einen grundlegenden Habitus-Konflikt, der sich mit dem Erscheinen des kaiserlichen Körpers auf der Bühne aristokratischen Umganges entfaltete. Ob der Kaiser das Wort ergriff, ob er schwieg oder ob er der Senatssitzung fernblieb und seinen Willen brieflich als magistratische relatio vortragen ließ, in keinem der Fälle ließ sich die Symbolik der senatorischen körperlichen Hexis im Akt des Sprechens ohne Probleme aufrechterhalten. 26 War der princeps anwesend, zeichnete sich seine Stimme durch ihre Allgegenwärtigkeit in der Senatsversammlung und durch ihre Eigenschaft aus, im Bezug auf senatorische Wortmeldungen Kaiser-Nähe oder Kaiser-Feme zu indizieren. Mit der Disharmonie, die sich durch das Sprechen des Kaisers in der Kurie einstellte, verlor die Disposition-der-Umkehrbarkeit ihren Raum zur Entfaltung. Wie sollte die Meinung eines durchaus angesehenen Senatorenirgendw.ann einmal erhört werden, wenn der Sprechakt des Kaisers grundsätzlich der stärkere war, sei es als Sprechen des Magistrats, des Inhabers der tribunicia potestas oder eines Senatoren? Wie sollte dies überhaupt noch möglich sein, zumal die sententia der Senatoren - als phonetischer Träger der res publica und als Indikator für die Intensität, mit der man mit dem Kaiser kommunizierte - nun eine ambivalente Semantik besaß? Die Möglichkeit der Reversibilität zerrieb sich daran, daß das kaiserliche Sprechen allgegenwärtig war, solange dieses vom princeps selbst wie auch von den versammelten Vätern als grundsätzlich senatorisches wahrgenommen wurde. Die Verheißung der
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Tiberius nahm seine Meinung einige Male zurück; s. Cass. Dio 57, 7, 3. Anders Flaig (1992), S. 122: "Zwischen der beratenden Funktion der Körperschaft und dem sozialen Rang der Senatoren klaffte eine beträchtliche Diskrepanz, die so lange nicht akut wurde, wie der Princeps die Kurie nicht betrat."
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Egalität als ein zentrales Element der senatorischen körperlichen Hexis konnte sich nicht erfüllen. Gleiches galt auch dann, wenn die Stimme des Kaisers in der Kurie gar nicht erklang. Selbst das Schweigen des princeps sei es, daß er sich nicht zu Wort meldete, sei es, daß er der Senatssitzung fern blieb - offenbart die ganze Besonderheit des kaiserlichen Sprechaktes. Auch hier stößt die Disposition-der-Umkehrbarkeit auf Bedingungen ihres Einsatzes, die nicht mehr die ihrer Erzeugung sind. Die Dimension der Zeit verlor damit ihre egalitäre Semantik. Egal, ob der Körper des Kaisers anwesend war oder der Senatssitzung fern blieb, im Akt des Sprechens verwandelte sich die Disposition-der-Umkehrbarkeit in eine Disposition-für-Angst.
'Tyrannische' Körperbewegungen Die Symbolik der senatorischen körperlichen Hexis zerbrach nicht nur dann, wenn die Stimme des princeps in der Kurie erklang. Auch die Haltungen des kaiserlichen Leibes unterliefen jene zu Fleisch gewordene "politische Mythologie". Ein Beispiel mag zur lllustration genügen. Cassius Dio berichtet von den Versuchen des Claudius, senatorischen Umgangsformen gerecht zu werden. Anläßlich verschiedener Gerichtsverhandlungen im Senat, so Dio, verlas Claudius die Anklage zwischen den Konsuln auf einer sella curulis oder auf einer Bank sitzend. War der Kaiser damit fertig, nahm er unter den versammelten Vätern Platz und überließ den Vorsitz allein den Konsuln.Z1 Die Intention des Claudius liegt auf der Hand: Er will sich mit diesenrVerhltlten-ats--ß1eii!her uilrer'G1f-iSli-en-datSteUeri~·cGIeiChZeitig'ä'oer widerstrebte sein Körper dem Zeichencharakter det körperlichen Hexis; Als Verkünder der Anklage wurde ihm zu Beginn der Sitzung von den Senatoren der zustehende Respekt bezeugt.2S Am Ende der Sitzung waren es dann die Konsuln, die jetzt einem senatorischen Körper die Ehre erwiesen, wenn sie vor dem Kaiser aufstanden. Der Leib des Kaisers nahm als einziger über die gesamte Dauer der Verhandlung eine Position der Überlegenheit ein. Gerade der von Claudius als 'senatorisch' gedachte Wechsel von der sella curulis zur einfachen Bank, auf der auch die versammelten Väter saßen,
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Cass. Dio 60, 16,3.
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Die Gerichtsverhandlungen unterlagen derselben Ordnung wie ganz gewöhnliche Senatssitzungen. Einzige Abweichung: an die Stelle der relatio trat die Anklageverlesung mit anschließender Vernehmung der Prozeßpaneien; s. dazu Talbert (1984), S. 485ff. und S. 463: "[...], it is important 10 recall that no rigid distinction was ever drawn by contemporaries between the judicial and non-judicial business of the House."
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verriet die besondere, völlig andersartige Qualität des kaiserlichen Körpers. Wie sollte sich während der Sitzung im Wechselspiel mit diesem Leib eine Disposition-der-Umkehrbarkeit entfalten können, wenn er sowohl als senatorischer wie auch als magistratischer erschien? Genauso wie sein Sprechen wiesen sich auch die Körperbewegungen des princeps durch das Charakteristikum aus, die Möglichkeit der Reversibilität jederzeit unterlaufen zu können. Selbst in Situationen, in denen der Kaiser gar nicht gewillt war, die Senatoren' vor den Kopf zu stoßen, vermittelten die Bewegungen seines Körpers oft eine ganz andere Botschaft. Das größte Problem für die Senatoren blieb dementsprechend die Frage, wie sie sich gegenüber solch einem Körper auf dem Forum und in den Straßen Roms verhalten sollten. War der Körper des Kaisers noch ein einfacher senatorischer oder magistratischer Leib? Mußte man nicht irgendwie dem Umstand gerecht werden, daß er dem bei weitem angesehensten Mitglied der aristokratischen Gemeinschaft 'gehörte'? Der Blick auf den kaiserlichen Körper bestimmte zugleich die Wahrnehmungsweise des eigenen Leibes. Sah man im Körper des princeps etwas anderes als einen Senatoren, hatten die eigenen Bewegungen grundsätzlich Unterlegenheit zu signalisieren. Sah man ihn jedoch als einfachen Senatoren an, dann gab es keinen Grund, sich gegenüber dem princeps anders zu verhalten als gegenüber den übrigen Standeskollegen. Nur: Sah das der Kaiser auch so? Ja, waren die anderen Mitglieder der aristokratischen Gemeinschaft derselben Auffassung? Oder gaben die Bewegungen des eigenen Körpers Anlaß zu allerlei Gerüchten, Verleumdungen und Intrigen?29 Alle diese Möglichkeiten kreisen um die Frage, ob sich der Leib des princeps in seiner Vieldeutigkeit überhaupt noch cin-solchec senatorischeo-thrrgangsf-ortnerteinfiIgerr1ieß, -äie~slcrrlfifrclf die Disposition-der-Umkehrbarkeit vermittelten~ Die Kaiser verlegten sich auf die verschiedensten Strategien, um dieser Unsicherheit in der Kommunikation der Leiber zu begegnen (ohne daß sie die Gründe für diese Unsicherheit hätten nennen können). Manche Herrscher sahen ein probates Mittel darin, die Intensität des alltäglichen Umgangs mit ihnen einzuschränken. Schon Tiberius ließ keinen Senatoren an seine Sänfte heran, da er - laut den Worten Suetons und Dios - gegen Schmeicheleien empfindlich war. 30 Claudius stieß in der Öffentlichkeit Leute zurück,3l Nero erwiderte in seinen späteren Regierungsjahren nicht mehr den Gruß
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S. auch das Einleitungs-Kap. Die geschlossene Sänfte des Augustus: Ein paradigmatischer Verweis auf das Darzustellende. Suet, Tib. 27. - Cass. Dio 57, 11, 3. Suet, Claud. 38.
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und den Kuß von Senatoren,32 Caligula pflegte nur ganz wenige zu küssen.33 Das Verhältnis zu einem (kaiserlichen) Körper, der den Zugang zu sich einschränkte, war aber ein ganz anderes wie das zu einem beliebigen senatorischen Körper. Die Intensität der Kommunikation zu vermindern, bedeutete zugleich die Priviligierung derjenigen, die trotzdem in einen direkten Bezug mit dem Kaiser treten konnten ..Die Vertrautheit mit dem Kaiser wurde so im Zusammenspiel der Körper räumlich sichtbar gemacht. Kaiser-Nähe inszenierte sich im Akt des In-Beziehung-Setzens der Körper. Der Leib des Senatoren verlor in solchen Situationen seine Bewegungsfreiheit. Er deflnierte sich in seiner unmittelbaren Ausrichtung auf den Körper des Kaisers. Seine Bewegungen und Äußerungen konnten nur noch unterstreichen, daß sich der Senator in der Gnade befand, dem Kaiser vor die Augen treten zu dürfen. So verwundert es nicht, daß sich manche Senatoren öffentlich in der Kurie dafür bedankten, von Caligula gegrüßt worden zu sein.34 Die Kaiser, die der Kommunikation mit den Senatoren aus dem Wege gehen wollten, sahen sich nicht selten dem Vorwurf des Hochmuts ausgesetzt. Nicht genug damit, daß der Körper des Kaisers den Senatoren vor eminente Verhaltens schwierigkeiten stellte, jetzt entzog er sich auch noch seinem Umgang! Welches Recht besaß der Kaiser gerade in einer Gemeinschaft, die ihre Angelegenheiten von Angesicht zu Angesicht regelte, daß er sich den Blicken seiner Standesgenossen entzog? Der Verdacht mußte sich fast zwangsläufig verstärken, der Körper des Kaisers sei etwas ganz anderes als gemeinhin angenommen. Dieses 'andere' wurde von den Mitgliedern der aristokratischen Gemeinschaft als 'tyrannisch' bezeichnet; denprinceps hatte der Wahnsinn -Juror - gepackt. Die-Bewegungen des-,kaiserliehen-beibes· indizierten in den A~-gen der Senatoren,- ob der princeps zum Tyrannen wurde und dem Wahnsinn verfallen war. Auch die Historiographen, allen voran Sueton und Cassius Dio, verweisen immer wieder auf grundlegende Umgangsformen, um an ihnen die Verruchtheit einzelner Kaiser sichtbar zu machen. Für beide ist der Leib des Caligula das herausragende Beispiel eines 'tyrannischen' Körpers. Wenn sich Senatoren dem Kaiser nähern durften, dann mußten sie womöglich laut Sueton "in der Toga einige Meilen neben seinem Wagen einherrennen oder, während er aß, hinter seinem Divan oder zu dessen Füßen, wie Sklaven mit einem Leinenschurz bekleidet,
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Suet, Nero 37. Cass. Dio 59, 27, 1. Cass. Dio 59, 27, 1.
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stehen."3s Cassius Dio bezichtigt den Kaiser, daß er den meisten Senatoren nur die Hand oder den Fuß zur Huldigung bot?6
Der Panegyricus des Plinius: Die Symbolik der senatorischen körperlichen Hexis als normative Anforderung an das kaiserliche Verhalten Die Frage, wie sich der Leib des princeps mit den Körpern der Senatoren in Beziehung zu setzen hat, beschäftigte die Senatoren während des gesamten ersten nachchristlichen Jahrhunderts. Nicht nur der 'wahnsinnige' Tyrann, auch der 'gute' princeps wurde unter anderem an den Bewegungen seines Körpers gemessen und beurteilt. In seinem Panegyricus auf Trajan aus dem Jahre 101 n. Chr. unterscheidet Plinius klar und deutlich zwischen dem Verhalten eines Kaisers und dem eines Konsuls. "Der princeps", so Plinius, "sollte einem Privatmann möglichst ähnlich sein, der Konsul möglichst unähnlich."37 Die Nähe zum Verhalten des einfachen Senatoren konkretisiert sich für Plinius in der Gestaltung der kaiserlichen Bewegungen. Wenn deine Untertanen dich umannen wollen, müssen sie nicht zu deinen Füßen niedersinken, und du erwiderst ihren Kuß nicht mit der Hand; [...] Du pflegtest zu Fuß zu gehen und tust es auch heute noch, [...] Wenn der princeps mitten durchs Volk geht, können die Leute ungehindert stehenbleiben, auf ihn zugehen, ihn begleiten, ihn überholen. Dein Auftreten unter uns verstehst du nicht als Hulderweis, und für ein Gespräch mit dir stellst du keine Rechnung aus. Wer zu dir getreten ist, geht e~ ~tl!~_I!.D. deiJ!,er. Seite•. und den-EndpunkLder. Un~g .bes~mUn allen Fällen das TaKtgefühl des andem, nicht herrische Ungeduld deinerseits.
...
[ ]
.
Die principes vor dir, erfüllt von Dünkel und von einer Art Angst vor der Gleichheit, waren vom Gebrauch ihrer Füße abgekommen. Also mußten Sklaven sie auf ihren Schultern und Nacken hoch über unseren Köpfen einhertragen. Dich aber heben dein Ruhm, dein Ansehen, die Verehrung deiner Bürger, die Freiheit noch über die anderen principes empor; ja bis zu den Sternen wirst du getragen, weil du auf dem gleichen Erdboden schreitest wie wir und deine Fußstapfen sich unter allen anderen verlieren.
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Suet, Cal. 26: ad essedum sibi currere togatos per aliquot passuum milia et cenanti modo ad pluteum modo ad pedes stare succinctos linteo passus est.
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Cass. Dio 59, 27, 1.
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Plin. min., pan. 59, 6: cum principem quam simillimum esse privato. consulem quam
dissimillimum deceat.
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Non IU civium amplexus ad pedes IUOS deprimis. nec osculum manu reddis; [ ...] Incedebas pedibus. incedis; [ ...] Liberum est ingrediente per publicum principe subsislere occurrere. comitari praeterire: ambulas inter nos non quasi contingas. et copiam tui non ut imputes facis. Haerellateri tuo quisquis accessit. jinemque sermoni suus cuique pudor. non tua superbia facit. [ ...]
Ante le principes fastidio nostri et quodLJm aequalitatis metu usum pedum amiserant. lIlos ergo urneri cervicesque servorum super ora nostra. te fama te gloria te civium pietas. te libertas super ipsos principes vehunt; te ad sitJera tollit humus ista communis et confusa principis vestigia. 38
Im gleichen panegyrischen Ton wird auch das Verhalten des Trajan während seines dritten Konsulats im Jahre 100 n. ehr. beschrieben. Anläßlich seiner Amtseinf'tihrung auf dem Marsfeld stand Trajan laut Plinius vor dem Konsul, während dieser Saß. 39 Bei der Vorstellung der Bewerber für die Magistraturen des nächsten Jahres sei der princeps als amtierender Konsul im Gegensatz zu seinen Vorgängem40 "herabgestiegen zu ebener Erde"4t, um sie zu begrußen: "Also bot sich unsern Augen ein bislang ungewohnter Anblick: ein princeps auf gleicher Ebene wie die Kandidaten, stehend wie diese, er, der das Amt vergab, gleichrangig neben denen, die es empfingen. 1142 Einen ganz neuen Verlauf, so Plinius, hätten auch die Senatssitzungen unter dem vorsitzenden Konsul Trajan genommen. Unter den früheren Kaisern seien die Senatssitzungen durch ein lähmendes Schweigen während der Abgabe der sententia gekennzeichnet gewesen. Die versammelten Väter blieben nicht nur während der re/ario und während der Abstimmung stumm. Jeder befürchtete, auch nur ein Wort gegen die Meinung des princeps zu sagen.!'E-in~ einziger~SenatoItx ag"1iamals-=-seine Meinung"--Vor; -und'- alle: -schlossen sich ilrr-an-- dabei- mißfiel sie allen, am meisten dem, der sie vorgetragen hatte.,,43 Unter Trajan sei dies, so Plinius, wieder ganz anders geworden. Jetzt äußere jeder Senator seine Meinung, wenn er um Rat gefragt werde. Jede Meinung werde wieder gehört, alle Senatoren werden befragt, die Stimmen der versammelten Väter am Ende der Sitzung gezählt.
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Plin. rnin., pan. 24,2-5.
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Plin. rnin., pan. 64, 2.
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Plinius spielt in seinem Panegyricus vor allem auf die Herrschaft des Dornitian an. Plin. min., pan. 71, 1: devexus [ ...] in planum.
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Plin. min., pan. 71, 3: Contigit ergo oculis nostris insolita antefacies. princeps aequatus
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candidatis. et simul stantis intueri parem accipientibus honorem qui dabat. Plin. min., pan. 76. 4: Unus solusque censebat. quod sequerentur omnes et omnes improbarent. in primis ipse qui censuerat.
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Schließlich siege "nicht die Meinung, die als erste geäußert wurde, sondern die beste".44 Im Panegyricus des Plinius verbalisiert sich die Symbolik der senatorischen körperlichen Hexis als normative Anforderung an das kaiserliche Verhalten. Was bisher leiblich und selbstverständlich war, wird für den princeps zur explizit formulierten und gesetzten Norm. Über Generationen hinweg ist kein Senator dafür gerühmt worden, daß er sich als privatus oder als Magistrat richtig verhalten hat. Wer sich unkorrekt gebärdete, wurde im schlimmsten Fall geächtet; das war alles. Man sah, daß eiri solcher Senator der aristokratischen Gemeinschaft und dem Gemeinwesen schadete. Warum jemanden für etwas loben, was selbstverständlich ist? Im Leib des Kaisers aber war das Zentrum der Ressourcenverfügung und seine überlegene gesellschaftliche Stärke zu lebendigem Fleisch und Blut geworden. In dieser Eigenschaft begann der Körper des princeps die Entfaltungsmöglichkeiten der Disposition-der-Umkehrbarkeit einzuschränken. Plötzlich war es fraglich, ob sich die Zuordnung der Leiber auch gegenüber dem Körper des Kaisers umkehren ließ. Das Kontinuum der Zeit, in dem sich eine egalitäre Dimension entfaltete, drohte in einer Momentaufnahme zu erstarren bzw. in Szenerien zu zerfallen, die immer dasselbe darstellten: einen überlegenen kaiserlichen und einen unterlegenen senatorischen Körper. Der Körper des princeps, der von den herkömmlichen Umgangsformen abwich und die senatorischen Leiber in einen bisher unbekannten Kontext stellte, glich in gewisser Weise einem Spiegel. In ihm wurde die Symbolik der körperlichen Hexis in den Bildern vom 'guten' und vom 'tyrannischen', 'wahnsinnigen' Kaiser4s wi-
44
4S
Plin. min., pan. 76, 2:vicitque sententia non prima sed me/ior. Bei der letzten Aussage handelt es sich um eine panegyrische Verschleierung der Tatsachen. Selbstverständlich wurde die "beste Meinung" auch als erste geäußert; es war die des Comutus Tertellus [so auch im Kommentar zur Übersetzung von Kühn, Werner (1985): Plinius der Jüngere. Panegyrikus. Lobrede auf den Kaiser Trajan. Darmstadt, S. 195.]. Die Besonderheit im Verhalten des Trajan besteht darin, daß er einen der angesehensten Konsulare auch als ersten sprechen ließ - ganz im Gegenteil zu seinen Vorgängern, die laut Plinius solche Senatoren als erste aufriefen, von denen sie sicher sein konnten, daß sie die Meinung des Kaisers wiedergaben. In diesem Zusammenhang ließe sich überlegen, ob sich der Caesarenwahn nicht in erster Linie soziologisch aus der Unangemessenheit grundlegender senatorischer Umgangsformen erklären läßt. Der furor eines Caligula resultiert dann nicht primär aus einem psychischen Defekt (der also auch nicht mittels psychologischer Konstrukte analysiert zu werden braucht). Er ist zunächst Bestandteil einer Rede - von den Historiographen durch die Übernahme des Tyrannen-Topos' literarisch aufgewertet -, die auf die Unmöglichkeit antwortet, mit dem Körper des Kaisers in ein verbindliches non-verbales Gespräch zu treten. Ein psychologisches Erklärungsmodell ließe sich höchstens in dem Sinne ableiten, daß die Kaiser vor dem dargelegten Hintergrund affektiv überfordert wa-
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dergespiegelt. Nur detjenige Kaiser wurde fortan als' guter' princeps gefeiert, dessen Körper der Disposition-der-Umkehrbarkeit gehorchte. Auch Tiberius hatte versucht, sich bewußt senatorisch zu gebärden. Er fand aber nicht den richtigen Stil, weil sein scheinbar senatorisch inszenierter Körper die Möglichkeit der Reversibilität unterlief; der Disposition-der-Umkehrbarkeit blieb in der wortlosen Kommunikation mit diesem princeps kein Raum zur Entfaltung. Anders verhält es sich bei Trajan, wenn man den Worten des Plinius glauben darf. Die egalitäre Kennzeichnung der körperlichen Hexis fmdet in der Lobrede auf Trajan ihr sprachliches Äquivalent in der Metapher des einfachen Erdbodens. Der Körper des princeps bewegt sich zu ebener Erde und nicht erhöht über den Köpfen der Bürger. Seine Fußspuren verlieren sich zwischen denen der Senatoren und zeigen, daß hier ein Gleicher unter Gleichen einherschreitet. Auf diesem Boden der Egalität braucht der Senator nicht vor dem Kaiser auszuweichen, solange dieser ohne Magistratur ist. Der eigene Körper bleibt Herr seiner selbst und kann sich gegenüber dem kaiserlichen Leib bewegen und zuordnen, wie er will. Auch als Konsul ordnet sich der kaiserliche Leib in die Symbolik der senatorischen körperlichen Hexis ein. Die phonetische Verdichtung der res publica wird durch das Sprechen des princeps nicht behindert. Die Stimme des Kaisers schweigt im Sturm senatorischer Sprechakte, durch den sich die auctoritas senatus ihren Ausdruck verleiht. In kaum einer anderen Schrift fmdet die egalitäre Symbolik der senatorischen körperlichen Hexis - gipfelnd im Bild des ebenen Erdbodens - eine so exakte Versprachlichung wie in der Lobrede auf Trajan. So ist nicht zuletzt der Panegyricus des Plinius ein mittelbares Indiz dafür, daß sich die Disposition-der-Umkehrbarkeit mit dem Erscheinen des lcaiserlichen Leibes an den vomoomlichenOrten aristokratischeFKom-munikation in eine Disposition-für-Angst verwandelt hatte.
ren, den kommunikativen Ansprüchen ihrer Umgebung gerecht zu werden. Erst dadurch treten dann sekundär psychische Ausfallerscheinungen zu Tage. - Zum 'Wahnsinn' des CaIigula s. beispielhaft die klassische Studie über den Caesarenwahnsinn von Quidde, Ludwig (34 1926): Caligula. Eine Studie über römischen ClIsarenwahnsinn. Berlin, mit Anspielungen auf Wilhelm 11. (Erstveröffentlichung der Schrift 1894) und die psychoanalytische Untersuchung von Sachs, Hanns e1932): Bubi Caligula. Wien.
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Exkurs: Die 'senatorische Opposition' politisch motivierter Widerstand?
Im letzten Kapitel habe ich versucht, die Unangemessenheit der Disposition-
der-Umkehrbarkeit als Element der senatorischen körperlichen Hexis durch eine Analyse von Konflikten nachzuweisen, die sich zwischen dem princeps und einzelnen Senatoren beobachten lassen. Diese Vorgehensweise ließe sich unter umgekehrten Vorzeichen verallgemeinern: Entspringen Auseinandersetzungen zwischen dem Kaiser und Mitgliedern der aristokratischen Gemeinschaft generell unangepaßten Verhaltensweisen und sind sie damit Ausdruck von Habitus-Konflikten? Sowohl unter der julisch-claudischen Dynastie wie auch unter den Flaviern kam es regelmäßig zu ernsthaften Spannungen zwischen einzelnen Senatoren und dem princeps. Die wohl bekanntesten Exponenten senatorischen Konfliktpotentials sind Thrasea Paetus und Helvidius Priscus. Sie zogen immer wieder das Augenmerk der antiken Historiographie wie auch das der modernen Geschichtswissenschaft auf sich. Für beide Senatoren endete der Streit mit dem Kaiser tödlich. Thrasea Paetus wurde von Nero in den Selbstmord getrieben, l Helvidius Priscus unter Vespäsiäri verbiiimt und scliließHch irrrExif-hmgenchtet2• Tliiasea Paetus machte vor allem durch sein Verhalten im Senat auf sich aufmerksam. Seine Meinung zu den zur Abstimmung stehenden Verhandlungspunkten gab er in äußerst knapper Form von sich. Ein "adsentio" reichte ihm aus, während seine Standeskollegen ihre sententiae mit Lobsprüchen auf den Kaiser verbanden.3 In vielen Fällen schwieg er sogar. 4 Als der Senat nach der Ermordung Agrippinas, der Mutter Neros, Dankfeste zur Errettung des Kaisers beschließen wollte, verließ Thrasea Paetus den Senat S Meldete er sich doch einmal ausführlicher zu Wort, konnte man fast sicher sein, daß seine sen-
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Tac., anno 16,33f. SueL, Vesp. 15. Tac., anno 14, 12. Tac., anno 14, 12. Tac., anno 14, 12.
113
tentia im Gegensatz zu der Meinung des Kaisers stand.6 Auch ~en Unmut von manchen seiner Standesgenossen zog Thrasea Paetus auf sIch. Als er bei der Beratung eines nebensächlichen Themas auf seiner Meinung beharrte wurde ihm der Vorwurf gemacht, daß er nicht bei wichtigeren Verhandlu~gen genauso entschieden sein Wort erhebe. Alle diese Vorkommnisse führten schließlich zur Anklage. Bei dem gegen ihn angestrengten Prozeß wurde dem Thrasea Paetus weiter vorgeworfen, bei Festlichkeiten für den princeps nicht teilgenommen, am Leichenbegängnis für Poppaea zu wenig Anteilnahme gezeigt, den Treueeid nicht geleistet und drei Jahre lang die Kurie nicht betreten zu haben. 7 Die Anklagepunkte wurden mit persönlichen Beleidigungen verbunden. Thrasea Paetus sah sich laut Sueton auch dem Vorwurf ausgesetzt, "er mache ein verdrießliches Gesicht"s. Tacitus berichtet, daß TIrrasea von den Anklägern als ein Mensch beschrieben wurde, "der sich über das Wohlbefinden des Staates gräme "9. Ähnlich gestaltete sich das Schicksal des Helvidius Priscus. Auch der Schwiegersohn des Thrasea Paetus fiel in erster Linie durch sein Verhalten in der Kurie auf. Gegenüber Vitellius ließen sich die Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Senatoren und dem Kaiser noch ohne größere Umstände bereinigen,1O unter Vespasian aber eskalierte der Konflikt. Als einziger begrüßte Helvidius den Kaiser nach dessen Rückkehr aus Spanien mit seinem einfachen Namen. Während seiner Praetur unterließ er es, den princeps in seinen Edikten auch nur zu nennen. 11 Nachdem er Vespasian immer wieder in der Öffentlichkeit als einfachen Senatoren behandelt hatte,12 mußte Helvidius Priscus sein Verhalten schließlich mit dem Tode bezahlen. 13 Sowohl das Verhalten des ThraseaPaetuswie·.aucß,..dasdes.Helvidius Pri;c~s' wird allgemein ius Ausdru€k-einer.senatorischenOpposition verstanden, die darum ringt, die Eigenständigkeit des Senates gegenüber dem prin-
6
Tac., anno 14, 48.
7
Tac., anno 16, 2lf.
8
Suet, Nero 37: tristior et paedagogi vultus.
9
10 11 12
13
Tac., anno 16,28, 3: hominem bonis publicis maestum. Zur Figur des Thrasea Paetus in den Annalen des Tacitus s. Heldmann, Konrad (1991): Libertas Thraseae servitium aliorum rupit. Überlegungen zur Geschichtsauffasung im Spätwerk des Tacitus. In: Gymnasium 98, S. 207-231. Tac., bist. 2, 91. Suet, Vesp. 15. Tac., bist 4, 4. - Suet., Vesp. 15. Cass. Dio 65, 12, lf.
114
ceps zu behaupten oder gar zu vergrößem. l4 Aufgeladen mit dem Pathos philosophischen Gedankengutes bemühe sie sich, dem "schrittweise[n] Ausbau des Prinzipats zu einer zusehends absoluter werdenden Monarchie"ls ein entschiedenes 'Nein' entgegenzusetzen. "Der ideelle Widerstand der Intellektuellen gegen eine immer rüder werdende kaiserliche Regierungspraxis" werde so "zu einer Art Kulturdominante des ersten Jahrhunderts: humanistisch-liberales Denken wehrt sich gegen absolutistisches."16 Männer wie Helvidius Priscus machten etwas bewußt, was auch andere Senatoren, die bloß weniger Mut hatten, ebenfalls schmerzlich empfanden - den Verlust selbst noch derjenigen senatorischen Freiheiten, die innerhalb der unvermeidlichen Prinzipatsverfassung möglich waren. 17
Vor dem Hintergrund politisch-ideologischer Konflikte wird das auffällige Verhalten einzelner Senatoren als Ausdruck einer 'senatorischen Opposition' gedeutet; diese These impliziert, daß das Denken und Handeln der auf die alte res publica ausgerichteten Kräfte in dem Sinne politisch motiviert war, daß es sich - in oppositioneller Gesinnung - bewußt auf die abstrakte Ordnung des Gemeinwesens bezog. l8 Als solches wurde es vor allem in der Kurie inszeniert. Kaiser und 'oppositionelle' Senatoren werden zu Protagonisten verschiedener politischer Vorstellungen, die ihre widerstrebenden Konzepte willentlich gegeneinander durchzusetzen versuchten. Aus der hier verfolgten Fragestellung erweist sich das Verhalten eines Thrasea Paetus oder eines Helvidius Priscus aber nicht so sehr als Ausdruck einer explizit oppositionellen Gesinnung; vielmehr lassen sich die Hand-
14
Einen UbeibÜdc.über das Phllnomender. '.se~torischen Opposition' gibt: Raaflaub, Kurt A. (1987): Grundzüge, Ziele und Ideen der Opposition gegen die Kaiser im 1. Jh. n. Chr.: Versuch einer Standortbestimmung. In: Giovannini, Adalberto (Hg.): Opposition et resistances a I'empire d' Auguste a Trajan. Genf, S. 1-63. Für weitere Literaturhinweise sei an dieser Stelle auf den umfangreichen bibliographischen Anhang dieses Aufsatzes (S. 46-55) verwiesen.
IS
Maier, Barbara (1985): Philosophie und Kaisertum. Studien zu ihren wechselseitigen Beziehungen in der Zeit von Caesar bis Mare Aurel. Wien, S. 149.
16
Maier (1985), S. 150f. Malitz, Jürgen (1985): Helvidius Priscus und Vespasian. Zur Geschichte der 'stoischen' Senatsopposition. In: Hermes 113, S. 245. Gegen diese sehr eng gefaßte Defmition des Politischen, die den oben genannten Zitaten implizit eingeschrieben ist, läßt sich einwenden, daß jede Handlung und jedes Denken auf irgendeine Art und Weise 'politisch' sein kann. Damit ließe sich dann aber nicht mehr historisch arbeiten, weil das Politische unterschiedlichste Phänomene umfassen wUrde. Eine zu weit gefaßte Bestimmung steht einer differenzierten Analyse geschichtlicher Vorgänge im Wege. - Zur allgemeinen soziologischen Definition dessen, was 'politisch' sein kann, s. Veyne (1988b), S. 627-630, das Kap. Was ist politisch?
17
18
115
lungen beider Senatoren als Folge nicht mehr angepaßter Verhaltensweisen erklären, die mit den veränderten Bedingungen der aristokratischen Figuration in Konflikt geraten. So wurde das knappe, aber präzise "adsentio", dessen sich Thrasea Paetus regelmäßig in der Kurie bediente, über Generationen hinweg als ausreichend angesehen, wenn sich ein Senator der Meinung eines Vorgängers anschließen wollte. Erst gegenüber dem princeps wurde der Gebrauch dieses Wortes zu einer gefährlichen Sache. 19 In bezug auf die Person des Kaisers erhielt die Abgabe der sententia de facto den Charakter eines Loyalitätsbeweises. Da die zur Verhandlung stehende relatio in der Regel den Willen des Kaisers widerspiegelte, reichte es nicht mehr aus, in der interrogatio einfach nur 'ja' zu sagen. Je mehr Worte ein Senator über die Richtigkeit und Vorzüglichkeit der Vorlage machte, desto eindeutiger bewies er seine Loyalität und Nähe zum Kaiser. Obwohl die Spielregeln des Sprechens nicht mehr Worte erforderten, verlangte der Körper des Kaisers einen ganzen Schwall von Sätzen.20 Auch die öffentlich gezeigte tristitia21, auf die die Vorwürfe von Thraseas Anklägern anspielten, nahm in diesem Sinne in der veränderten Figuration des Prinzipats eine ganz neue Semantik an. Unter den Bedingungen der alten res publica war der Trauerhabitus selbstverständlicher Bestandteil des öffentlichen Lebens 22• Erst im Prinzipat schien die "ostentativ zur Schau getragene tristitia zum unmißverständlichen Zeichen politischen Protestes"23 zu werden, der unmittelbar auf die Person des Kaisers zielte. Derartige Beobachtungen können die sogenannte 'senatorische Opposition' in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen. Dieses - scheinbar politische Phänomen der frühen Kaiserzeit ist bisher nur ungenügend systematisch uIltt!~tlcJ1.t w<>.rden.D~sgilt in;z'Neierlei Hinsicht.. Zum-einen bleibtzu fragen, ob. der Begriff der 'Opposition' für die hier beschriebenen Verhaltensweisen als historische Kategorie überhaupt verwendbar ist. 24 In der
19 20
S. auch Talben (1985), S. 255f. Plin. min., pan. 3, 5.
21
S. dazu: GraBl, Herben (1975): Tristitia als Herausforderung des Prinzipats. In: Grazer Beiträge 4, S. 89-96. - Wacke, Andreas (1979): "Tristitia" als Ehrenkränkung und Ausdruck politischer Opposition. In: Labeo 25, S. 293-294.
22
So pflegten im Kriminalprozeß Angeklagte und ihre nahen Verwandten oft Trauerkleidung anzulegen; s. Wacke (1979), S. 293. Graßl (1975), S. 93.
13 24
Zum Begriff der Opposition s. Jäger, Wolfgang (1978): An. Opposition. In: Brunner, OtlO; Conze, Weruer u. Koselleck, Reinhart (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Bd. 4. Stuttgart, S. 469517. .
116
Regel wird die neuzeitliche Definition der 'Opposition' zwar abgelehnt,2S am Begriff selber wird jedoch in einem umfassenden Sinn festgehalten. 26 Ob er dann aber noch einen Beitrag für eine differenzierte historische Untersuchung leisten kann, muß bezweifelt werden. Andererseits fehlt es an Arbeiten, die das wirklich Eigentümliche der 'senatorischen Opposition' in den Mittelpunkt ihrer Analysen stellen. Zwar gibt es eine beträchtliche Zahl von Untersuchungen der sogenannten 'philosophischen Opposition'v, doch geht es diesen "naturgemäß nicht primär darum, das für die Opposition generell Wesentliche und Spezifische herauszuarbeiten. ,,28 Wie eine Spezifizierung der 'senatorischen Opposition' aussehen könnte, hat Kurt Raaflaub in seinem Aufsatz Grundzüge, Ziele und Ideen der Oppo-
sition gegen die Kaiser im I. Jh. n. ehr.: Versuch einer Standortbestimmung 29 dargelegt. Raaflaub schlägt insgesamt vier Schritte vor, anband derer die aufgeworfene Problematik zu bearbeiten sei. In einem ersten Schritt gelte es, "von einem möglichst breiten und offenen Oppositions begriff auszugehen, der aufgrund des aus den Quellen gewonnenen Befundes modifi-
15
Timpe, Dieter (1987): Geschichtsschreibung und Prinzipatsopposition. In: Giovannini, Adalberto (Hg.): Opposition et resistances a l'empire d'Auguste a Trajan. Genf, S. 65, sieht die neuzeitliche Defmitionsbreite des Oppositions-Begriffes "zwischen systemfeindlicher, illegaler Rebellion und konstituellem systemimmanenten Kräftespiel". In einem kurzen, kritischen Überblick über die Geschichte des Oppositions-Begriffes in den Altertumswissenschaften stellt Timpe (S. 65f.) fest: "Die Anwendung des Oppositionsbegriffes auf römische Verhältnisse geschah ohne Rechtfertigung aus der historischen oder auch nur sprachlichen Kontinuität: opponere und oppositio und die modemen Derivate gehören von Haus aus eher in die Rhetorik oder Astronomie als in die Geschichte und Polftik: Dii(Übertragung"iIesBegnffcii aufdas rÖmiSche AltertUm gehört Vielmehr-ium intellektuellen Modernismus des 19. Jahrhunderts; [...] man konnte leicht auch die Erfahrungen des 19. Jahrhunderts mit monarchischen Autokratien und mit liberal-bürgerlichen oder ständisch-konservativen Oppositionsbewegungen und ihren literarischen Ausdrucksformen auf die principes und ihre Gegner anwenden. So gelangte man zur Vorstellung einer senatorischen Opposition gegen den Prinzipat, zur Annahme einer oppositionellen öffentlichen Meinung oder, noch moderner, zur Unterstellung literarischer Formen eines geistigen Widerstandes." - Raaflaub (1987), S. 2f., betont, daß die Römer selbst keinen Begriff der Opposition geprägt haben. Im Falle Roms habe man "es nicht mit einer im modemen Sinne organisierten und institutionalisierten Opposition zu tun
2fi
So Raaflaub (1987), S. 16, der alles in den Begriff der Opposition einschließt, "was mit Widerspruch und Widerstand gegen princeps und Prinzipat in Verbindung gebracht werden kann." Viele Untersuchungen verzichten aber auch ganz auf eine Defmition des Begriffs; so zum Beispiel Malitz (1985). Raaflaub (1987), S. 15f., mit Literatur-Angaben. Raaflaub (1987), S. 16. S. S. 115, Anm. 14.
...
[ ]".
27
2B 29
117
,.' .' d sc. hliesslich in einer dieser Periode adäquaten Fonn deflniert wer.. ." . ·· .. ... 3(1 A f dieser tenninologischen Grundlage mus se zweItens em 00n·muss. 11 u .. V hal ' Verzeichnis aller bekannten Fälle 'oPposl??nel.len e~ tens erst~ t w~rden". Die Liste der so ennittelten Fälle set 10 emem nachsten Arbettsschritt "in verschiedene Kategorien mit abgestuften Intensitätsgraden und Formen oppositionellen Verhaltens" einzuteilen, um "den Befund systematisch nach prosopographischen und politischen Kriterien auszuwerten. ,,31 Abschließend sollten die bereits erzielten Ergebnisse, so Raaflaub, "synchronisch und diachronisch in einen größeren historischen Zusammenhang eingeordnet und daraus auch erklärt werden. ,,32 Gemde im Rahmen der zuletzt genannten AufgabensteIlung kann die Untersuchung von senatorischen Verhaltensdispositionen einen wichtigen Beitrag zur Speziflzierung der sogenannten 'senatorischen Opposition' leisten. Es ist zu fragen, ob sich dieses Phänomen als ein Problem des senatorischen Habitus erklären läßt. Nicht der princeps und widerspenstige Senatoren streiten dann miteinander, sondern die Symbolik der senatorischen körperlichen Hexis mit den veränderten Bedingungen ihres Einsatzfeldes, die nicht mehr die ihrer Erzeugung sind. In diesem Sinne ließe sich die Hypothese RaafIaubs stützen, daß die Übermacht des princeps "alle Beziehungen und Verhaltensweisen veränderte", die bisher in der aristokratischen Gemeinschaft gepflegt wurden. 33 Das eigentliche Kennzeichen der sogenannZlertun
30
Raaflaub (1987), S. 12f.
31
Raaflaub (1987), S. 13.
33
Raaflaub (1987), S. 43. - Auch Timpe (1987) ordnet das'Phänomen eirter 'litbtarlschen Opposition', die sich vor allem in der Geschichtsschreibung äußere, in den Zusammenhang entfunktionalisierter Verhaltensmuster und Wahrnehmungsformen ein. Die senatorische Form der Geschichtsschreibung, so Timpe, sei vor allem durch zwei Merkmale gekennzeichnet Zum einen sei die Geschichtsschreibung auf die Öffentlichkeit des Informationsflusses angewiesen, zum anderen beruhe sie in ihrem Kern "auf dem existentiellen Zusammenhang von politischer Kompetenz und historischer Autorität, dem Wirkungszusammenhang von literarischer Reflexion und praktischer Belehrung, Erziehung und Propaganda und schliesslich der Kontrolle persönlicher Absichten durch die politische Öffentlichkeit" (S. 85). Beide Voraussetzungen seien im frühen Prinzipat nicht mehr gegeben. Der Kaiser besitze ein Informationsmonopol, die Öffentlichkeit sei aufgehoben, "die Folge davon sind Geheimhaltung, Gerüchtemacherei und Unsicherheit" (S. 86). Zugleich konnten die Senatoren nicht mehr ihren Anspruch durchsetzen, "selbständige Traditions-, Legitimitäts- und Autoritätsquelle zu sein" (S. 89). Die unverziehtbaren Voraussetzungen der Geschichtsschreibung seien damit in Widerspruch zu einer veränderten Realität geraten (S. 91). Allein schon aufgrund dieses Sachverhalts sei der Geschic,htsschreibung im frühen Prinzipal ein 'oppositioneller' Zug eingeschrieben, wenn sie an ihren traditionellen Kennzeichen festhält (S. 95). Zu den veränderten Rah-
118
ten 'senatorischen Opposition' sei daher, so Raaflaub, "am besten aus dem Weiterleben dieser aus der Republik in die res publica restituta übernommenen traditionellen Fonnen der politischen Auseinandersetzung und ihrer Kollision mit den neuen Realitäten des Prinzipats"34 zu erklären. Auch für ihn erklärt sich die 'senatorische Opposition' im historischen Zusammenhang aus der Unangemessenheit traditioneller aristokratischer Verhaltensweisen. Geht man von der hier vorgeschlagenen Sicht auf das Phänomen der 'senatorischen Opposition' aus, läßt sich auch die Frage klären, warum selbst scheinbar 'liberale' Kaiser wie Tiberius oder Claudius mit dem 'Widerstand' verschiedener Senatoren zu kämpfen hatten. 3s Unter der Prämisse eines explizit politisch motivierten Engagements kann diese Problematik kaum befriedigend erklärt werden; es sei denn, man schließt sich der antiken Historiographie an und beklagt, daß die Kaiser im Laufe ihrer Regierungszeit 'wahnsinnig' geworden wären. Anders verhält es sich, wenn man die Kategorie des Habitus zugrunde legt. Nicht die Person des princeps und ihre politisch-moralischen Qualitäten sind dann das Entscheidende, sondern die Position des Kaisers im Gefüge der aristokratischen Figuration und deren Implikationen auf die Symbolik der senatorischen körperlichen Hexis. Will man das Phänomen der sogenannten ' senatorischen Opposition' in diesen historischen Kontext einordnen, wird der Begriff der 'Opposition' selbst fragwürdig, vielleicht sogar überflüssig. Er ließe sich zwar als vorläufige Hilfskonstruktion verwenden, der Spezifität des zu beschreibenden Phänomens kann er aber in letzter Konsequenz nicht gerecht werden. Nicht die politische Motivation erklärt das Verhalten der Senatoren und kennzeichnet es=-dementsprechend-als-'oppositionettes' ,- söndern-tler Bezug dieses:: Verhaltens auf die veränderten Rahmenbedingungen seines Einsatzes im frühen Prinzipat. Mit Hilfe der von Raaflaub vorgeschlagenen Arbeitsschritte müßte nun weiter untersucht werden, in welchem Umfang das HabitusModell im allgemeinen sowie die Kategorie der körperlichen Hexis im
menbedingungen der römischen Historiographie im frühen Prinzipal s. auch Timpe, Dieter (1989): Die Absicht der Germania des Tacitus. In: Jankuhn, Herbert u. Timpe, Dieter (Hg.): Beiträge zum Verständnis der Germania des Tacitus. Teil!. Bericht über die Kolloquien der Kommission für die Altertwnskunde Nord- und Mitteleuropas im Jahr 1986. Göttingen, S. 122ff. 34
Raaflaub (1987), S. 43.
35
Raaflaub (1987), S. 38: "Andererseits waren gerade die Regimes des Tiberius und elaudius, die sich zumindest anfänglich intensiv um eine produktive Zusammenarbeit mit dem Senat bemühten, durch eine eher überraschende Häufigkeit und Intensität von Opposition gekennzeichnet."
119
besonderen als Erklärungsgrundlage für die vermeintliche 'senatorische Opposition' tragf"ähig ist. Männer wie Thrasea Paetus und Helvidius Priscus sind nach diesem Modell nicht die Protagonisten eines Geistes, der dem Größenwahn der Kaiser zu widerstehen versucht. In ihrem Verhalten konkretisiert sich dagegen in extremem Maße und für jedennann sichtbar die Unangemessenheit senatorischer Verhaltensmuster. Ihre Handlungen in der Kurie oder in den Straßen Roms sind Indikatoren für das Erscheinen von Dispositionen-flir-Angst. Das Phänomen der 'senatorischen Opposition' läßt sich im Lichte des Habitus-Modells als ein Phänomen spezifisch senatorischer Angst lesen. 36
36
In diesem Sinne müßte Raaflaubs Hypothese korrigiert bzw. erweitert werden, da sie sich nur auf die Formen der politischen Auseinandersetzung bezieht, ohne dabei auf die Symbolik des Verhaltens und der Kommunikation im allgemeinen einzugehen.
120
Die außerkörperlichen symbolischen Setzungen und die Disposition-zum-Kursieren
Die bisherigen Ausführungen konzentrierten sich auf die elementaren Ausdrucksfonnen der senatorischen Körper sowie auf die Beziehungen zwischen dem princeps und den Mitgliedern der aristokratischen Gemeinschaft. Im folgenden soll das Blickfeld in doppelter Hinsicht erweitert werden. Zum einen gilt es solche Gruppen von Symbolen näher zu beschreiben, die den Zeichencharakter der senatorischen körperlichen Hexis unterstrichen, die aber auch neue Akzente setzten oder sich in anderen Entfaltungsräumen konstituierten. Sie werden im folgenden als außerkörperliche symbolische Setzungen bezeichnet. Zum anderen sollen nun auch die Beziehungen zwischen den Senatoren selbst in die Untersuchung einbezogen werden.
Das Kursieren der Zeichen Der Umfang und die:Vielfalt außerkörperlichel' symbolischerSetzungen- war ursprünglich recht bescheiden, ihre Anwendung und Semantik genauestens festgelegt. Insgesamt lassen sich folgende Gruppen festhalten. Da waren zunächst solche Symbole, die zur sozialen Abgrenzung und zur Distanzierung von status niederen Gruppen dienten und die die unmittelbare Nähe ihrer Träger "zur politischen, militärischen und sakralen Gewalt" anzeigten. 1 Sie unterschieden die Mitglieder der aristokratischen Gemeinschaft schon rein äußerlich von der übrigen römischen Bevölkerung.2 Vor allem
1
Kolb, Frank (1977): Zur Statussymbolik im antiken Rom. In: Chiron 7, S. 248.
1
Von Tac., ann. 11,23,4, werden sie insignia patrum genannt. Kolb (1977), S. 244, verweist darauf, daß nicht nur "eine zusammenfassende Darstellung mit einer klaren Klassifizierung der Symbole" fehlt, "sondern überhaupt eine eingehende Behandlung der Geschichte der einzelnen Statusabzeichen einschließlich ihrer politischen und gesellschaftlichen Funktion." Nachfolgende Darlegungen können diese Aufgabe nicht leisten. Es kann hier nur darum gehen, die wichtigsten senatorischen Statusabzeichen vorzustellen und
121
der latus clavus, der mit der Bekleidung der niedrigsten Magistratur und der Aufnahme in den Senat angelegt wurde, kennzeichnete die Senatoren als Mitglieder der herrschenden Elite. 3 Der clavus, ein an der Tunika vorn und hinten vom Halsausschnitt nach unten laufender purpurner Streifen,4 war anfangs das gemeinsame Kennzeichen von Senatoren und Rittern gewesen. Wann die Unterscheidung zwischen dem doppelt so breiten latus clavus für die Senatorenschaft und dem angustus clavus für die Ritterschaft üblich wurde, läßt sich nicht genau bestimmen.s Spätestens in der zweiten Hälfte des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts ha~te sich der latus clavus jedoch als Kennzeichen der herrschenden Elite durchgesetzt. 6 Auch das Schuhwerk sollte die besondere Auserwähltheit der Senatoren signalisieren.7 Der senatorische Schuh, ein hoher, in rot gehaltener Stiefel mit Riemenschnürung,8 hatte sich aus dem Reiterstiefel entwickelt. 9 Zugunsten der Symbolisierung von ,gesellschaftlichen Differenzen hatte er allmählich seine praktische Funktion verloren. Als die beiden wichtigsten senatorischen StatussymbolelO gewannen der latus clavus und der senatorische Schuh durch ihre Uniformität einen egalitären Zeichencharakter. Latus clavus war gleich latus c1avus, also waren auch ihre Träger sozial gleichgestellt. Neben die Gruppe der Statusabzeichen tritt die der magistratischen Ehrenabzeichen. ll An erster Stelle sind hier die sella curulis, die toga praetexta und die fasces mit ihren Trägern, den Liktoren, zu nennen. 12 Diese Symbole waren ausschließlich den höchsten Magistraturen von der kurulischen Ädilität an aufwärts vorbehalten. Vor allem der kurulische Ses-
3
ihre Symbolik zu entschlüsseln. Kolb (1977), S. 248. - Mommsen (1963 I1I, 2), S. 887. - Talbert (1985), S. 216f.
•
Meyer, Ernst (41975): Römischer Staat und Staatsgedanke. Zürich, S. 214, 216f. Mommsen (1963 III, 2), S. 887; (1963 III, 1), S. 513.
5
Meyer (41975), S. 217.
6
Alföldy, Andreas (1952): Der frührömische Reiteradel und seine Ehrenabzeichen. Baden-Baden, S. 7lf.
7
Talbert (1985), S. 219.
8
Alföldi, A. (1952), S. 60.
9
Alföldi, A. (1952), S. 61f. - Kalb (1977), S. 248.
10
Talbert (1985), S. 220.
11
Tac., anno 11, 23, 4: decora magistratuum.
12
Zur sella curulis und zu den fasces S. die ausführliche Untersuchung von Schäfer, Thomas (1989): Jmperia insignia. Sella curulis und fasces. Zur Reprllsentation römischer Magistrate. Mainz.
122
seI, ein Klappstuhl aus Elfenbein oder zumindest mit Elfenbein versehen,13 hob diese Ehrenämter von den übrigen Magistraturen ab. Auf ihnen nahmen die jeweiligen Amtsinhaber während der Senatssitzung Platz. Außerhalb der Kurie signalisierte die toga praetexta, eine mit Purpurstreifen umsäumte Toga, unter der sich eine ebenfalls mit einem Purpurstreifen versehene Tunika befand,14 daß ihre Träger eine der höchsten Magistraturen bekleideten. Welche Magistratur es genau war, ließ sich an der Zahl der Liktoren ablesen, die die fasces trugen. Sie schritten dem Magistraten auf den Straßen Roms voran. Diese menschlichen Symbole versinnbildlichten unmißverständlich, wer über welche Fonn der Herrschaftsgewalt verfügte. Die Zahl der Liktoren - und damit verbunden der fasces - verwies unmittelbar auf die Durchsetzungsfahigkeit und Herrschaftsbefugnis des sie mit sich führenden Magistrats. ls Das äußerst diffizile Spiel von Machtbesitz und Machtgebrauch l6 ließ sich anhand dieser außerkörperlichen symbolischen Setzungen hervorragend darstellen. In Verbindung mit den fasces galten die Liktoren als "die lebendige Darstellung des dem Beamten als solchem überall zustehenden Rechts auf Ehrerbietung und Gehorsam."17 Die Liktoren hielten sich grundsätzlich in der unmittelbaren Umgebung der Magistrate auf. Waren die Beamten zu Hause, warteten die fasces-Träger im vestibulum des senatorischen Hauses. 18 Selbst bei Privatbesuchen verzichteten die Magistrate nicht auf die Begleitung der Liktoren. 19 Denn wer sich ohne seine Liktoren in den Straßen Roms sehen ließ, entäußerte sich damit seiner gan-
13
14
Mommsen-(1963l), S;-W9; s. dortund-S. 395f. alIch-nähereszur ursprünglichen Bedeli~ tung des kurulischen Sessels. Zum genauen Aussehen der sella curu/is s. Schäfer (1989), S. 46ff. Mommsen (1963 I), S. 410.
18
Zur Zahl der Liktoren, die die verschiedenen Magistrate mit sich führen durften, s. Mommsen (1963 I), S. 382ff., und Schäfer (1989), S. 209ff. Neben den höchsten Amtsinhabern befanden sich auch außerordentliche Magistrate und einige Priester in Begleitung von Liktoren. Zur sakralen Bedeutung der Liktoren s. Gladigow, Burkhard (1972): Die sakralen Funktionen der Liktoren. Zum Problem von institutioneller Macht und sakraler Präsentation. In: ANRW I, 2. Berlin, S. 295-314, und Schäfer (1989), S. 227ff. S. dazu Rilinger, Rolf (1978): Die Ausbildung von Amtswechsel und Amtsfristen als Problem zwischen Machtbesitz und Machtgebrauch in der Mittleren Republik (342-217 v. Chr.). In: Chiron 8, S. 247-312. Mommsen (1963 I), S. 376. - S. auch Nippel, Wi1fried (1988): Aufruhr und "Polizei" in der römischen Republik. Stuttgart, S. 21: "Für die Untertanen Roms erschienen Lictoren und Fasces stets als Symbol unbeschränkter Herrschaft." Liv. 39, 12, 2.
19
Plin. mai., n. h. 7, 30, 112. - Juv., sat. 3, 128.
IS
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17
123
magisnatischen Durchsetzungsfähigkeit. 20 Gerade die Liktoren und die fasces machten im Zusammenspiel mit der toga praetexta und der sella curulis genau sichtbar, wer sich von den Senatoren in der Lage sah, Herrschaft unmittelbar ausüben zu können und in welchem Umfang er dazu berechtigt war. Die Zuordnung von Lictoren und Fasces zu den Magistraten folgt nicht funktionalen Gesichtspunkten, sondern dient der symbolischen Repräsentation von Rang, jeweiliger Funktion und je gegebener individueller Situation des Amtslrägers.11
Jenseits der hierarchischen Kennzeichnung wird eine weitere "symbolische Repräsentation" wie schon bei der körperlichen Hexis erst in der Dimension der Zeit sichtbar. 22 Schrieben die sella curulis, die toga praetexta, die Liktoren und die fasces in einer Momentaufnahme Herrschaftsverhältnisse in ihrer ganzen Tragweite fest, so begannen sie auf einer diachronen Ebene in der aristokratischen Gemeinschaft zu kreisen. Jedes Mitglied der aristokratischen Gemeinschaft war potentiell in der Lage, selbst Träger dieser Amtsinsignien zu werden. 23 In Korrelation zu der Möglichkeit, daß sich die hierarchisierende Zuordnung der Körper umkehren konnte, errichtete eine Disposition-zum-Kursieren im Bereich der außerkörperlichen symbolischen Setzungen einen egalitären Raum, der sich ebenfalls nur auf einer zeitlichen Ebene entfaltete und dort sinnhaft wurde. Besonders augenfallig wird die Disposition-zum-Kursieren im Falle des ganzpurpurnen Triumphalgewandes. Die toga picta und die tunica palmata wurden für den Triumphator nicht immer wieder neu angefertigt, sondern zusammen mit dem elfenbeinernen Adlerszepter und dem Goldkranz aus dem Schatz des Juppitertempels auf dem Kapitol entnommen, wo sie nach dem letzten- Triumph ruedergelegt worden waren. 24 Es sind:-inlriter diesel-
20
11 II l]
24
S. z. B. Tac., hist 3, 11, 3. Nippel (1988), S. 20.
S. dazu das Kap. Die egalitäre Dimension der Zeit. De facta beschränkte sich das Kursieren zwar weitgehend auf die Gruppe der Nobilität, doch gab es keine Mechanismen, die diese Beschränkung irgendwie symbolisch festschrieben oder gar legitimierten. Im sozialen Glauben der Senatoren gehörten die Amtsinsignien allen aristokratischen Geschlechtern, auch wenn nur wenige regelmäßig in ihren Besitz gelangten. Zur Nobilität s. Gelzer, Matthias (1912): Die Nobilität der römischen Republik. Leipzig. Mommsen (1963 I), S. 41lf. - Künzl, Ernst (1988): Der römische Triumph. Siegesfeiern im antiken Rom. München, S. 90. Künzels Abhandlung ist neben der Studie von VersneI, Hendrik S. (1970): Triumphus. An Inquiry inta the Orign, Development and Meaning of the Roman Triumph. Leiden, die ausführlichste und anschaulichste Darstellung über den römischen Triumph. Vor allem auf sie wird im folgenden Bezug genommen.
124
ben Zeichen, die von Triumph zu Triumph an die siegreichen Feldherrn weitergereicht werden. Unter der entsprechenden Voraussetzung eines großen militärischen Erfolges25 konnte jeder Senator in den Besitz dieser Symbole gelangen. Mit durch Mennig zinnoberrot gefärbtem Gesichf6, weiter ausgestattet mit Lorbeerkranz und Lorbeerzweig sowie einer Goldkugel als Amulett um den Hals 27 ließen sich die Triumphatoren auf einem vierspännigen Wagen28 durch die Straßen Roms fahren. Alle diese Triumphalinsignien waren unmittelbar an die Befähigung und Berechtigung zur Herrschaftsausübung gebunden. Nur Träger des imperium durften Triumphe abhalten. 29 Auch dies wurde entsprechend symbolisiert. Die Liktoren, die mit lorbeerumwundenen fasces vor dem Triumphwagen einhergingen,30 zeigten unmißverständlich an, daß hier ein Mann mit höchster Herrschaftsgewalt seinen militärischen Sieg zu feiern gedachte. Daneben waren die Triumphinsignien in einen ganz anderen symbolischen Zusammenhang eingebettet, der sie weiter von den einfachen magistratischen Ehrenabzeichen unterschied. Diente der Triumph ursprünglich dem religiösen Zweck, das Heer, seinen Feldherrn und die Stadt Rom zu reinigen, so trat ab dem dritten Jahrhundert v. Chr. seine politische Funktion immer mehr in den Vordergrund. 3l Der Triumphzug, der sich vom Marsfeld über den Circus Flaminius, weiter über die Via Sacra zum Forum und schließlich zu seinem Ziel, dem Tempel des Juppiter Optimus Maximus auf dem Kapitol, bewegte,32 wurde immer pompöser und prachtvoller ausgestattet. Die siegreichen Imperatoren führten im ersten Teil des Zuges33
2S
26
21 28
29 30
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32
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Nach· Val. MaX. ·2; 8, 1, mußten unter anderem mindestens ·5000 Feinde in einer Schlacht gefallen sein. Plin. mai., n. h. 33, 36, 111. Zur Bedeulllng des roten Gesichts s. Deubner, Ludwig (1934): Die Tmcht des römischen Triumphators. In: Hermes 69, S. 32lf. Künzl (1988), S. 87. Caesar spannte zum ersten Mal Schimmel vor den Triumphwagen (Cass. Dio 43, 14, 3). Wo der Triumphwagen zwischen den Triumphen deponiert wurde, ist nicht bekannt; s. dazu Künzl (1988), S. 92ff. Mommsen (1963 I), S. 126ff. - Künzl (1988), S. 94. Künzl (1988), S. 88. Zur Genese und Entwicklung des Triumphes s. Bonfante Warren, Larissa (1970): Roman Triumphs and Etruscan Kings: The changing Face of the Triumph. In: JRS 60, S. 49-66. - Künzl (1988), S. 97ff. Zur genauen Route des Triumphzuges s. Künzl (1988), S. 15ff. In seiner genauen Strekkenführung hing der Triumphzug von der städtebaulichen Entwicklung Roms ab. Der Triumphzug gliederte sich in drei Teile: "im ersten Teil Beute und Gefangene, im Mittelteil der Triumphator mit den Opferstieren und den Behördenvertretem, und als
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nicht nur die Kriegsgefangenen vor, die auf dem Kapitol hingerichtet werden sollten. Vor den Augen und zu Füßen des auf seinem vierspännigen Wagen einherfahrenden Triumphatoren wurde alles ausgestellt, was die Größe seines Sieges verdeutlichen konnte. Erbeutete Waffen, Unmengen von wertvollen Kunstgegenständen aus den eroberten Ländern 34 sowie Bilder von den eingenommenen Städten und von Bergen und Flüssen unbekannter Landstriche prägten die Szenerie im ersten Teil des Zuges. Selbst exotische Pflanzen wurden mitgeführt. 3s Mit derartigen Ausstellungsgegenständen ließ sich der unbesiegbare genius des Feldherrn vortrefflich verherrlichen. Zugleich wurde die unermeßliche Größe des römischen Reiches, das seine Grenzen über Italien hinaus ausweitete, auf engstem Raum mitten im Zentrum der Herrschaft sinnlich erfahrbar gemacht Herrschaftsausübung und Herrschaftsinszenierung fielen im Akt des Triumphierens in eins.36 Die Insignien des Triumphators waren Bestandteil eines genau reglementierten Szenarios, in dem ein einzelnes Individuum den Glanz und die Gewalt römischer Machtvollkommenheit zelebrieren durfte. Ebenfalls abhängig vom Kursieren der magistratischen Ehrenabzeichen waren die Bilder und Monumente, die auf das Ansehen einzelner Senatoren verwiesen. Ob es sich um die imagines in den Atrien der senatorischen Häuser oder um im öffentlichen Auftrag errichtete Gebäude handelte, sie alle repräsentierten den Einfluß eines Senatoren und seines Geschlechts in der aristokratischen Gemeinschaft. Da diese Gruppe von außerkörperlichen symbolischen Setzungen aber nicht nur das Prestige einer gens verewigte,
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Künzl (1988), S. 110, stellt fest, daß die Aussidhmg von K~i1~tobjekten im Triumphzug nicht mit einem besonderen Kunstverständnis verwechselt werden darf: "Es wäre allerdings ein Mißverständnis, die seit 211 v. Chr. mehr und mehr das Erscheinungsbild der Triumphzüge beherrschenden griechischen Kunstwerke als Beweis eines schon erwachten römischen Kunstsinnes oder gar als einen rein ästhetischen Beweggrund zu werten. Davon kann keine Rede sein. Kunstwerke waren Kriegsbeute, sie rangierten auf gleichem Niveau wie erbeutete Waffen [... ]" Plin. mai., n. h. 12, 54, 111; s. auch Friedlaender, Ludwig ~1921): Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms in der Zeit von August bis zum Ausgang der Antonine. Bd. 4. Leipzig, S. Hf. S. auch Hölkeskamp, Karl-Ioachim (1987): Die Entstehung der Nobilität. Studien zur sozialen und politischen Geschichte der Römischen Republik im 4. Ih. v. Chr. Stuttgart, S. 237f.: "Der Pomp der Triumphalprozessionen bot zudem [...] auch dem anwesenden populus [...] durch die suggestive Kraft der die Größe der res publica demonstrierenden Pracht die Möglichkeit der IdentifIkation mit der res publica und damit mit den Maßstäben und den Erfolgen der Elite. [... ] Der Stand stellte gewissennaßen sich selbst, seinen Erfolg und sein Ethos in der Ehrung eines seiner Mitglieder dar."
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sondern zugleich auch die Prestigeunterschiede zu anderen senatorischen Geschlechtern festzuschreiben drohte, wurde der Umgang mit den Bildern und Monumenten entsprechend restriktiv gehandhabt Nur wer vorher in den Besitz der Herrschaftsinsignien gelangt war, durfte öffentliche Gebäude im eigenen Namen erbauen. 37 Nur von den Leichnamen gewesener Diktatoren, Konsuln, Praetoren, Reiterführer und kurulischer Aedile durfte eine Gesichtsmaske aus Wachs,38 die imago, angefertigt werden. 39 Nur im Rahmen von Leichenbegängnissen konnten die imagines der verstorbenen Vorfahren außerhalb der senatorischen domus präsentiert werden. Ansonsten bewahrte man die Gesichtsmasken im Atrium des Hauses auf,40 wo sie bei Festlichkeiten zur Schau gestellt wurden. 41 Der 'Verewigung' des eigenen Ansehens waren klare Grenzen gesetzt. Der Raum, in dem Bilder und Monumente 'gesetzt' werden konnten, war äußerst eng gefaßt.42 Allzu große Prestigedifferenzen, die durch diese Zeichen manifestiert und verewigt wurden, waren jederzeit durch ein entsprechendes Weiterleiten der eigentlichen Herrschaftssymbole reversibel. In der Summe der imagines und Standbilder sowie der im öffentlichen Auftrag errichteten Gebäude lebte die ehrenvolle Vergangenheit der gesamten res publica in der Gegenwart weiter. In diesen Zeichen vereinigten sich die verstorbenen Ahnen mit den Lebenden zu einer Gemeinschaft, die von Raum und Zeit entbunden war.43 Die vier Gruppen der außerkörperlichen symbolischen Setzungen waren in ein genau ausbalanciertes Spiel von individueller Überlegenheit und selbstläufiger Kontrolle durch die aristokratische Gemeinschaft eingeflochten. 44 Sie waren ein konstitutives Element einer Praktik, die ihren Sinn im Akt des Herrschens erfüllte - sei es nun direkt (wie bei den magistratischen
n, S. 453ff.
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Mommsen (1963
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SaU., Jug. 4, 6. - luv., sat. 8, 19. Mommsen (1963 S. 442f.
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n,
luv., sat. 8, 19f. - Mart. 2, 90, 6. - Sen., de ben. 3, 28, 2; ad Polyb., 14, 3; ep. 44, 5. Vitruv 6, 3, 6.
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Mommsen (1963 I), S. 444ff.
42
Dasselbe galt für die auf dem Forum aufgestellten Standbilder; s. Mommsen (1963 I), S. 447f. - Hölkeskamp (1987), S. 234f.
43
Hölkeskamp (1987), S. 206, verweist auf die anspornende und mahnende Funktion der Ahnenbilder, "die gloria der Familie durch die Fortsetzung des Dienstes für die res publica zu erhöhen und damit zugleich Ruhm und Größe des römischen Volkes zu steigern." - Zur Bedeutung der imagines und der damit verbundenen adligen Genealogie in der Römischen Republik s. auch: Bettini, Maurizio (1992): Familie und Verwandtschaft im antiken Rom. Frankfurt a. M., S. 135ff. Zur Kontrolle des Triumphierens s. HÖlkeskamp (1987), S. 238.
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Ehtenabzeichen und Triumphalinsignien) oder nur mittelbar (wie bei den Statussymbolen und den Bildern und Monumenten). Herrschaftsinszenierung war nur dort möglich, wo Herrschaft ausgeübt wurde bzw. ausgeübt worden war. Das eigene Ansehen konnte sich ebenfalls nur auf der Grundlage des Herrschens und damit in Abhängigkeit vom Kreisen der magistratischen Ehrenabzeichen verewigen. Durch eine Disposition-zum-Kursieren wurden das Gleichgewicht und die Beziehungen zwischen individuellem Ruhm, Herrschaftsausübung, Herrschaftsinszenierung und Statussymbolik aktualisiert. 4s Nur durch diese Verhaltensdisposition konnten die außerkörperlichen symbolischen Setzungen - mit Ausnahme der Statussymbole - in der Dimension der Zeit ihren egalitären Sinn entfalten. Die Geschichte des letzten vorchristlichen Jahrhunderts zeigt, daß dieses Gleichgewicht immer mehr aus den Fugen geriet. Aber erst mit der endgültigen Etablierung eines Zentrums der Ressourcenvergabe in der senatorischen Figuration brach dieses symbolische System endgültig zusammen, weil erst jetzt die Disposition-zum-Kursieren ihren Raum zur Entfaltung verlor, die Elemente dieses Systems kombinierten sich neu und erschienen in anderen Zusammenhängen.
Status- und Ehrenabzeichen als kaiserliche Ressourcen Schon anhand der Statussymbole läßt sich nachweisen, daß die außerkörperlichen symbolischen Setzungen zu ihrem Einsatzfeld in einem ganz anderen, neuen Verhältnis standen. Die Kaiser. bemühten sich nicht nur, den ordo senatoriu.s durch die entsprechende Statussymbolik auch rein äußerlich von anderen gesellschaftlichen Gruppen abzuschotten. Für sie waren die senatorischen ornamenta eine willkommene Möglichkeit, Freunde durch Verleihung zu belohnen, Gegner aber durch Entzug dieser Symbole sozial zu degradieren. 46 Indem sich die principes die Verftigungsgewalt über die bedeutendsten Statussymbole sicherten, konnten sie die soziale Mobilität kontrollieren und damit ihre Herrschaft ausbauen bzw. sichern. 47 Schon
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46 47
Hölkeskamp (1987), S. 228, betont zu Recht, daß "persönlicher Reichtum - und die Zurschaustellung dieses Reichtums als äußeres Zeichen aristokratischer Besonderheit - [... ] eo ipso weder im Selbstverständnis noch in der Selbstdarstellung dieser Elite eine eigenständige Bedeutung haben [durfte]. Kolb (1977), S. 255. Kolb (1977), S. 255.
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Augustus wußte sich des Instruments der Statussymbolik geschickt zu bedienen. Als der erste princeps den Senat, dessen Mitgliederzahl während der Bürgerkriege stetig angestiegen war und der sich "zu einem unförmigen und unübersichtlichen Gebilde" aufgebläht hatte, auf seine ursprüngliche Größe zurückführen wollte, beließ er denjenigen Senatoren das Vorrecht ihrer Kleidung, die sich freiwillig aus der Kurie zurückzogen.48 Die Symbolik dieser Zeichen verlor damit ihren eindeutigen Charakter. Sie dienten nicht mehr einzig und allein der gesellschaftlichen Differenzierung nach außen und der Symbolisierung von Egalität innerhalb der aristokratischen Gemeinschaft. Sie hatten sich in kaiserliche Ressourcen verwandelt, die ihren Empfanger als kaisernah auswiesen. Das Anlegen der senatorischen ornamenta hing nicht nur von der Aufnahme in die Kurie - und damit von der Übernahme gewisser Herrschaftsbefugnisse - ab; schon die Gunst des Kaisers reichte aus, um mit ihnen bekleidet in der Öffentlichkeit zu erscheinen. Die Senatoren sahen sich plötzlich der Konkurrenz anderer sozialer Gruppen ausgesetzt, deren Mitglieder über das Wohlwollen des princeps in den Genuß dieser Statussymbole gelangen konnten. 49 Was gleich aussah, war nicht mehr unbedingt gleich. Der Purpursaum konnte einen kaiserlichen Günstling zieren. Auch die magistratischen Ehrenabzeichen erfuhren in dem veränderten Funktionszusammenhang der senatorischen Figuration eine ganz andere Semantik. Wie schon dargelegt, kam es im Senat regelmäßig zu tumultartigen Szenen, wenn die Wahl der Magistrate anstand. 50 Da die Volksversammlung seit Augustus nicht mehr einberufen wurde, mußte der Senat nun selber eine Auswahl unter den Bewerbern treffen. Ab sofort stand bei der Wahl der Magistrate für jeden ein?:elnen Senatoren seine Effizienz als Patron auf dem Spiel. Die Chancen, die magistratischen Ehrenabzeichen tragen zu dürfen, hingen in erster Linie davon ab, in Verbindung mit dem Zentrum der Ressourcenvergabe treten zu können. Die Unterstützung des Kaisers galt als bester Garant, bei der Wahl um die Ehrenämter berücksichtigt zu werden. Wer den Kaiser hinter sich wußte oder zumindest über einflußreiche Freunde Verbindung zu ihm hatte, besaß die größten Möglichkeiten, sich gegen die zahlreichen Konkurrenten durchzusetzen. 51 Die Stärkeverhältnisse innerhalb der aristokratischen Gemeinschaft, die in erheblichem Maße
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Suet., Aug. 35: deformi et incondita turba. S. z. B. Cass. Dio 59, 9, 5: Caligula erlaubte einigen Rittern, senatorische Kleidung zu tragen, noch ehe sie ein Amt bekleidet hatten und damit in den Senat gelangt waren.
so S. das Kap. Mobilisierung gesellschaftlicher Stärke. St
F1aig (1992), S.107ff., betont, daß es bei den Wahlen einen Überfluß an Bewerbern gab.
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von der Person des princeps abhängig waren, entschieden so darüber, wie die magistratischen Ehrenabzeichen verteilt wurden. Auch diese Zeichen wurden in letzter Konsequenz zu Ressourcen des Kaisers - mit weitreichenden Folgen für die Art und Weise, wie diese Symbole in der aristokratischen Gemeinschaft weitergereicht wurden. Ein freies Kursieren war nun nicht mehr möglich. Zwar kreisten die magistratischen Ehrenabzeichen schon in der Republik nicht mehr in der gesamten aristokratischen Gemeinschaft, sondern hauptsächlich zwischen den einflußreichsten Geschlechtern der Nobilität, doch verhinderten die veränderten Bedingungen des sozialen Raumes im frühen Prinzipat endgültig eine Voraussetzung, die ein konstitutiver Bestandteil dieses Kreisens war: die "Disposition des Nachgebens".52 Gerade weil die Durchsetzungsfähigkeit als Patron für den Fall in Frage gestellt wurde, daß man auf die Wahl des eigenen Kandidaten verzichtete, war es nicht mehr möglich, im gegenseitigen Geben und Nehmen die Amtsinsignien unter den Mitgliedern der aristokratischen Gemeinschaft kursieren zu lassen. Das Prinzip der Ressourcenverfiigung zerschnitt diesen Kreislauf und führte ihn ganz den momentanen Stärkeverhältnissen ZU. 53 Nicht nur die "Disposition des Nachgebens", auch die Disposition-zum-Kursieren konnte sich nicht mehr entfalten. Die Praktik der Herrschaftsausübung, deren herausragendsten außerkörperlichen symbolischen Setzungen die Liktoren und die fasces waren, ging ihrer egalitären Kennzeichnung verlustig; die Symbolik der Ehrenabzeichen gewann ganz neue Akzentuierungen. Wer fortan mit ihnen ausgerüstet in der Öffentlichkeit erschien, signalisierte nicht nur, daß er Herrschaft ausüben konnte und durfte. Er zeigte zugleich an, ein gutes Verhältnis zum Kaiser, zumindest aber zu seiner unmittelbaren Umgebung zu--besitzen.
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Flaig (1992), S. 116.
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Von einem Kursieren kann höchstens noch im Sinne einer Steuerung durch den princeps gesprochen werden; dieses Kursieren hat jedoch nichts mehr mit der Dispsoition-zumKursieren zu tun, von der hier die Rede ist.
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Das Verschwinden des triumphalen Raumes Indem der Triumphzug immer prachtvoller ausgestattet wurde, verpersönlichte sich gleichzeitig der Akt des Triumphierens.S4 Nicht nur die res publica wurde verherrlicht, sondern auch der siegreiche Feldherr selbst. Mit der Errichtung des Prinzipats fand dieser Prozeß seinen Abschluß. Nur der Kaiser durfte einen Triumph abhalten; dieses Privileg war eines der heraristokratischen ausragenden Kennzeichen der kaiserlichen Position Funktionszusammenhang. Der triumphale Raum verschwand aus der senatorischen Gemeinschaft. Der Akt des Triumphierens war im Leben des einzelnen Senatoren nicht mehr existent. Die ihres Entfaltungsraumes beraubten Triumphalinsignien überlebten als kaiserliche Ressourcen oder fanden Eingang in andere Zusammenhänge. Triumphalische ornamenta bewiesen die höchste Gunst des Kaisers; magistratische Veranstalter von Zirkusspielen durften während der Festlichkeiten das Triumphalgewand anlegen;SS die ordentlichen Konsuln bestiegen bei ihrem Amtsantritt in einem dem Triumph nachempfundenen processus consularis das Kapitol. S6 Mit dem Triumph an sich hatte das aber nichts mehr zu tun. Daß mit dem Verschwinden des triumphalen Raumes auch ein Raum verloren ging, in dem sich die Disposition-zum-Kursieren entfalten konnte, war nicht einmal das Entscheidende. Hier gab es andere Felder, auf denen sich diese Disposition viel effektiver, da häufiger verwirklichen konnte. Als wesentlich einschneidender erwies sich vielmehr die Tatsache, daß mit der Beschränkung bzw. Monopolisierung des Triumphes auf die Person des princeps eine genau definierte Situation schlichtweg nicht mehr vorhanden war, in der Herrschaft relativ -koIlfliktlo~cInszeh[ert werden-kofinre~--Die'lfi:tlIlijjhare~-Symbolik, .are- bisher an den militärischen Sektor geknüpft war, suchte sich von nun an neue Räume. Mit unwiderstehlicher Wucht durchdrang eine triumphale Praktik der Herrschaftsinszenierung das gesamte gesellschaftliche Leben. An 'Material' dafür fehlte es nicht: Mit der Expansion des römischen Imperiums
irn
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S6
Bonfante Warren (1970), S. 64fr. - Ob der Triumphator als Verkörperung Juppiters oder eines etruskischen Königs anzusehen ist. ist umstritten: s. dazu in einer kurzen Zusammenfassung KÜßzl (1988), S. 9Off. - Deubner (1934) versucht den Nachweis zu führen, daß sowohl die Bekleidung des Triumphators wie auch die Insignien Juppiters auf das gemeinsame Vorbild des etruskischen Königs zurückverweisen. Mommsen (1963 I), S. 414f. Ob sie dabei Triumphalinsignien mit sich führten, ist ungewiß; s. Künzl (1988), S. 107. - Mommsen (1963 1), S. 414ff., nimmt dies an. Der processus consularis, so Mommsen, sei zum ersten Mal in der Zeit Domitians nachweisbar gewesen, der vollständige Triumphalumzug "in der Mitte des 2. Jahrh. für die neuen Consuln in Gebrauch gewesen."
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hatte auch die Warenzufuhr aus den eroberten Gebieten rapide zugenommen. Rom als der Mittelpunkt des Imperiums sah sich einer Inflation von Symbolen ausgesetzt, die sich auch und gerade auf die Villeggiatur ausbreitete.
Die Inflation der Symbole und die triumphale Praktik der Herrschaftsinszenierung Die Verschiebung der triumphalen Symbolik und die Inflation der Symbole manifestierten sich selbst in scheinbar so alltäglichen Situationen wie dem Essen. Die Senatoren nahmen in der Regel dreimal täglich Mahlzeiten zu sich. Die Hauptmahlzeit war die cena, die unmittelbar nach dem Bad am Abend dargereicht wurde. Die cena, zu der auch Gäste geladen wurden, bestand aus mindestens sieben Gängen: den Vorspeisen, drei Vorgerichten, zwei Braten und dem Nachtisch. 57 Eine Vielzahl kulinarischer Delikatessen wurde im Verlaufe des Nachtessens aufgefahren: 58 Hummer, Spargel, Barben, Muränen, Gänseleber, Poularden, Eber, Trüffel, Champignons, Äpfel, Hasen, Antilopen, Fasanen, Flamingos, afrikanische Gazellen, Rehbraten, afrikanische Perlhühner9 - die Liste ließe sich beliebig fortführen. Viel Wert wurde auf die Herkunftsregionen der Tafelfreuden gelegt. Wer etwas auf sich hielt, begnügte sich nicht damit, Fisch, Krebse und Muscheln aus den Meeresbuchten unweit Roms oder Wild aus den laurentinischen und ciminischen Wäldern60 aufzutischen. Es mußten schon Wurstwaren aus Gallien, Datteln aus-den Oasen; exotIsche Wildarten aus Afrika odeiFische aus entfernten Meeren sein, mit denen mari seine Gäste beeindrucken wollte. Dem Fischmarkt zuliebe, so Juvenal, durchsuche man alle Tiefen der
57
Carcopino e1986), S. 365.
58
Ausführliche Beschreibungen und ergiebiges Quellenmaterial liefert Friedlaender ~1920), Bd. 2, S. 281-312.
59
Juv., sat 5.; 11. - S. auch Malt 2, 37; 3, 45; 7, 20; 9, 14; 11,52. In Petrons Satyricon ist mit dem Gastmahl des Trimalchio eine Speisenfolge genauestens beschrieben (petron, sat. 26, 7-78, 8). Zwar ist die ausgefallene Zusammenstellung und Zubereitung der Mahlzeiten nicht unbedingt repräsentativ, da sie auf den schlechten Geschmack des freigelassenen Emporkömmlings Trimalchio verweisen soll, doch was da alles aufgetischt wurde, fand sich auch auf den Tischen so mancher Senatoren wieder. Eine Auflistung <Jer Speisen findet sich auch bei Carcopino e1986), S. 365ff. Carcopino e1986), S. 370.
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See. 61 Leckereien würden in allen Elementen gesucht.62 Als besonders en vogue galten solche Speisen, die aus Gebieten jenseits des römischen Herrschaftsgebietes nach Rom importiert worden waren: Jenseits des Phasis wollen sie fangen lassen, was eine ehrgeizige Küche ausmacht, und nicht verdrießt es, bei den Parthern, von· denen wir noch nicht Buße gefordert haben, Vögel einzuhandeln. Von allen Seiten schleppt man alles Bekannte für den verwöhnten Schlund heran; was der von üppigen Genüssen geschwächte Magen kaum verträgt, holt man vom äußersten Ozean herbei.
Ultra Phasin capi volunl quod ambitiosam popinam instrUat, Me piget aParthis, a quibus nondum poenas repetiimus, aves petere. Undique convehunt omnia notafastidienti gulae; quod dissolutus deliciis stomaehus vix admittat ab ultimo portatur Oceano.63
Je zahlreicher die Herkunftsregionen der Meeresfrüchte, des Obstes, der Geflügel- und der Wildsorten auf der Tafel des Gastgebers repräsentiert waren, je raffmierter sie zubereitet wurden, desto glänzender erstrahlte dessen Ruf in der aristokratischen Gemeinschaft. Wie nicht anders zu erwarten, gestalteten sich vor allem die kaiserlichen Gastmähler besonders einfallsreich. Höchstes Prestige manifestierte sich in ausgefallensten und seltensten Gerichten. Von einer cena des Vitellius wird behauptet, daß dort "Lebern von Papageifischen, Hirne von Fasanen und Pfauen, Flamingozungen und Milch von Muränen, die seine Kapitäne und Dreiruderer vom Partherreich bis zur Meerenge von Gibraltar zusammengesucht hatten, aufgetischt [wurden]".64 Die wohl teuerste Speise nahm Caligula zu sich: "wertvollste Perlen in Essig aufgelöst" .65
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Juv., sat. 5, 95f. Juv., sat 11, 14. Sen., ad Helv. 10, 3. Der Phasis ist ein Fluß, der in das östliche Schwarze Meer mündet. Wenn Seneca davon spricht, daß von den Parthern noch keine Buße für die Niederlage des Crassus 53 v. Chr. gefordert worden sei, dann beklagt er damit die Tatsache, daß trotz der erfolgreichen Bemühungen des Augustus, die erbeuteten römischen Legionsadler zurückzuerhalten, die römischen Gefangenen von den Parthern nicht freigelassenen wurden. Ich danke PD Dr. Egon F1aig für diesen Hinweis.
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Suet., ViI. 13: scarorum iocinera, phasianarum et pavonum cerebella, linguos phoeni-
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copterum, murenarum lactes a Parthia usque fretoque Hispanico per navarehos ac triremes petitarum commiscuit. Suet., Cal. 37: pretiosissima margarita aceto liquejacta. Ob Caligula allerdings die angeblich 10.000.000 Sesterzen teure Mahlzeit der Kleopana übertraf, ist fraglich. Als Kleopatra mit Antonius gewettet hatte, sie könne in einer einzigen Mahlzeit die genannte Summe verzehren, ließ sie sich ein Gefaß mit Essig kommen, warf eine Perle hinein, die sie am Ohr trug, und trank das Gefaß aus; s. Plin. mai., n. h. 9, 35, 119ff.
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Der Duft und der Geschmack der kulinarischen Kostbarkeiten erfuhr auf diese Art und Weise eine triumphale Note. War es den Senatoren nicht mehr möglich, im Rahmen des Triumphes ihre Beute aus fremden Ländern darzustellen, so taten sie dieses nun gewissennaßen im Rahmen eines Gastmahls. Auf dem Teller erschien das römische Imperium in seiner ganzen Ausdehnung: von Spanien bis Kleinasien, von Britannien bis Afrika. Im Akt des Essens wurde Herrschaft mit triumphaler Symbolik: inszeniert und zelebriert. Wer sich durch alle Gänge der cena aß, der inkorporierte sozusagen das gesamte Imperium Romanum und machte sich und den anderen die unenneßliche Größe dieses Reiches sinnlich erfahrbar. Er sah es, er roch es, er schmeckte es. Daß er selbst diese Speisen essen durfte oder sie sich als Gastgeber des opulenten Mahls leisten konnte, kennzeichnete ihn als zur herrschenden Elite eben dieses Reiches gehörig. Von daher war es nicht einfach Geiz und purer Egoismus, wenn den einfachen Klienten andere, einfachere Speisen vorgesetzt wurden als dem Gastgeber und seinem engeren aristokratischen Bekanntenkreis. 66 Das triumphale Gastmahl symbolisierte auch gesellschaftliche Differenzen. Die triumphale Symbolik entfaltete sich nicht nur beim Speisen. Ob es prachtvolle Tische mit Platten aus Citrusholz und Füßen aus Elfenbein waren,67 ob Silberbestecke oder außergewöhnliche und erlesene Kleidungsstoffe68 , alle diese Gegenstände dienten nichts anderem als der Verherrlichung römischer Herrschaft und der Demonstration, Träger eben dieser Herrschaft zu sein. Selbst die Haussklaven wurden zu Objekten dieser triumphalen Praktik. Schon in der Republik gab es spezialisierte Sklaven wie den nomenclator, in der frühen Kaiserzeit aber besaßen angesehene senatori-sehe Häuser eine ganze ScharvonSklaven-; die-i'önnliclf daraufabgerichtef waren, nur ganz bestimmte Tätigkeiten auszuführen. So gab es Sklaven, die nur die Tageszeiten anzugeben hatten. 69 Andere Sklaven sollten ihren Herren an den Tenninplan erinnem.70 Bei Gastmählern war ein Sklave damit beauftragt, Erbrochenes wegzuwischen,71 ein anderer, die "Hinterlassen-
Die unterschiedliche Behandlung von einfachen Klienten und statushöheren Personen, die auch in der Sitzordnung während des Gastmahls zum Ausdruck kam, ist der Stoff zahlreicher Epigramme bzw. Satiren Martials und Juvenals; s. z. B. Man., 3, 60; 3, 82; 4, 86; 10, 49; Juv., sat. 5; 11; s. auch Plin. min., ep. 2, 6. ~ Juv., sat. 11, 123. Von Seneca wird behauptet, daß er 500 solcher wertvollen Tische besessen habe; s. Cass. Dio 61, 10, 3. 68 S. z. B. Cass. Dio 57, 13,4 - Juv., sat. 3, 171ff. - Man. 5,79. 69 Juv., sat. 10, 216. 70 Sen., de, brev. vit. 12,6f. 71 Sen., ep. 47, 5. 66
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schaft der Trunkenen" aufzulesen72• Wieder ein anderer "zerlegt kostbares Geflügel: durch Brust und Keulen mit sicheren Schnitten führend die kundige Hand,m, während sich ein weiterer Sklave als Mundschenk betätigt. Selbst ein Sklave für die Beurteilung der Gäste ist anwesend und beobachtet, "wen Schmeichelei und Unmäßigkeit entweder des Schlundes oder der Zunge empfiehlt für den kommenden Tag"74. Alle diese spezialisierten Sklaven,1s die ihre sehr reduzierten Tätigkeiten mit größtmöglicher Eleganz, Anmut oder Unauffälligkeit - je nachdem, was gerade gefragt war76 - auszuführen hatten, waren für ihre Herren nicht mehr als eine gesichtslose Masse, die sie für ihre Zwecke beliebig formen konnten. Mit der Rute unterdrückt man jedes Murmeln, und nicht einmal unbeabsichtigte Zwischenfälle sind von Schlägen ausgenommen, Husten, Niesen, Schluckauf: mit schwerer Strafe, ward von irgendeinem Wort unterbrochen das Schweigen, sühnt man es: die ganze Nacht stehen sie nüchtern und stumm da. Virga murmur omne compescitur, et ne fortvita quidem verberibus excepta sunt, tussis, sternumenta, singultus: magno malo ulla voce interpellatum silentium luitur; nocte tota ieiuni mutique perstant.77
Im Auftritt des Sklaven auf der Bühne der Herrschaftsinszenierung wird ein weiteres Element triumphaler Symbolik erkennbar. Nicht nur, daß die entlegensten Herkunftsregionen der Sklaven an deren Sprache und Physiognomie hörbar und ablesbar waren, so daß eine geschickte Zusammenstellung der Dienerschaft das gesamte imperium Romanum repräsentieren konnte, auch die Zurichtung der Sklaven hatte ihre spezifische Symbolik. Hier demonstrierten die Senatoren ihre Fähigkeit, alles und alle völlig und in jeder Hinsicht unterwerfen und beherrschen zu können. Gerade das zeichnete den Senatoren in seinen Augen äiis. Nur er war f'lililg zur towenDfsziplii11erung' dessen, was in seine Hände geriet. Beim Akt des Triumphierens hatte er diese Fähigkeit mit dem siegreich beendeten Feldzug schon bewiesen. Jetzt, nachdem der triumphale Raum aus der aristokratischen Gemeinschaft ver-
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Sen., ep. 47, 5: reliquias temulentorum. Sen., ep. 47, 6: Alius pretiosas aves scindit: per pectus et clunes certis ductibus circumferens eruditam manum. Sen., ep. 47, 8: quos adulatio et intemperantia aut gulae aut linguae revocet in crastinum. Weitere 'Spezialsklaven' s. bei Friedlaender C1920), Bd. 2, S. 366f. Juv., sat. 5, 120ff., sieht die Qualität eines Vorschneiders darin, in welcher Haltung er seinen Braten zerlegt. Sen., ep. 47, 3.
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schwunden war, mußte sie zugleich mit der Inszenierung von Herrschaft an anderen Objekten demonstriert werden.78 Vor allem die senatorische Villa mit ihren Gartenanlagen wurde im ersten nachchristlichen Jahrhundert mit einer triumphalen Symbolik überzogen. Schon immer galt das Haus des Senatoren als Zeichen und Metapher seiner Existenz. Als Ort der Laren und Penaten, vor allem aber als Aufbewahrungsstätte eben jener Ahnenbilder, von denen schon die Rede war, symbolisierte die domus Ansehen und Kontinuität der jeweiligen gens. 79 Die Größe des vestibulum, des Platzes zwischen der Straßenlinie und der Haustür, verwies auf das Prestige des Hausbesitzers. Hier warteten die Klienten bei den morgendlichen salutationes auf ihren Einlaß. Die Zerstörung des senatorischen Hauses galt dementsprenchend als eine Sanktion, die gerade die Ächtung von Verrätern an der aristokratischen Gemeinschaft und am römischen Gemeinwesen vortrefflich veranschaulichen konnte. 8o Das Einreißen des Hauses galt als eine Handlung, durch die gesamte Existenz des meist verbannten Senatoren in einem Ritual-ähnlichen Akt vernichtet wurde. Mit den einstürzenden Mauem seiner domus sank auch das Ansehen des Senatoren in Schutt und Asche. Die Häuser des C. Cracchus, des Fulvi-
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Eine genaue Auseinandersetzung mit dem Problem der Sldavenbehandlung ist aufgrund der Quellenlage nur sehr bedingt möglich. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang aber nicht so sehr die Art der Behandlung von Sklaven, sondern ihre symbolische Besetzung. ~,iege}vJIIl!J mit dem endgültigen Verschwinden, des ',triumphale!l-Raumes, eine ganz neue Akzentuierung. Ob man in dieser Hinsicht von einer 'Humanisierung' der Sklaverei in der frühen Kaiseneit sprechen kann, muß starlc bezweifelt werden. Auch aus dem hier zitienen Brief Senecas über die richtige Behandlung von Sklaven (ep. 47) läßt sich die Tendenz einer wirklichen 'Humanisierung' kaum erschließen. Theben, Yvon (1991): Der Sklave. In: Giardina, Andrea (Hg.): Der Mensch der römischen Antike. Frankfun a. M., S. 184f., legt übeneugend dar, daß Seneca - genauso wie Plinius der Jüngere - die Sklaverei als Institution mit keinem Won in Fmge stellt, "sondern im Gegenteil nur die Absicht Lbat], sie zu festigen." Auch Manning, C. E. (1989): Stoicism and Slavery in the Roman Empire. In: ANRW n, 36, 3. Berlin, S. 1529, sieht keine Beweise dafür vorliegen, "that any Stoic philosopher argued for either the abolition of or fundamental changes to the institution of slavery", möchte aber den Einfluß der Stoa auf eine humanere Behandlung der Sklaven nicht ausschließen (S. 1541). - Zur römischen humanitas s. auch: Veyne, Paul (1991): Humanitas: Die Römer und die anderen. In: Giardina, Andrea (Hg.): Der Mensch der römischen Antike. Frankfun a. M., S. 382412; zur Sklaverei S. 387ff. Nippel (1988), S. 85. Nippel (1988), S. 16. In der Frühzeit der Republik galt die Hauszerstörung als Strafe für den Griff nach der Alleinherrschaft: s. Nippel (1988), S. 117.
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us Flaccus und des Saturninus wurden so bis auf ihre Fundamente niedergerissen.81 Auch die Villen, die die Mitglieder der aristokratischen Gemeinschaft in den bevorzugten Landstrichen Italiens erbauen ließen, waren ein Synonym senatorischer Existenz und nicht einfach nur ein gleichsam 'privater' Rückzugsort. Diese Gebäude besaßen allerdings eine ganz andere Symbolik: als die stadtrömischen domus. Durch die geschickte Verbindung von Architektur und Natur wurde letztere in den Villenanlagen als arrangierte, künstliche, schließlich als 'dressierte' dargestellt. 82 Besonders deutlich wird dies in zwei Briefen von Plinius dem JÜngeren. 83 In ihnen beschreibt Plinius den Aufbau und die Schönheit zweier seiner Landhäuser: des Laurentinum und der Tusci. Im Garten der Tusci wird die Natur zurückgestutzt auf eine rein dekorative und ornamentale Funktion: Vor den Arkaden eine Terasse, in Blumenbeete von vielerlei Gestalt aufgeteilt, von Buchsbaumhecken eingefaßt; weiterhin ein sanft abfallender Rasenteppich, in den der Buchsbaum paarweise einander gegenüberstehende Tiergestalten eingezeichnet hat; beim Übergang in das Flachland geschmeidiger, beinahe möchte ich sagen: wogender Akanthus. Den Rasenteppich umzieht eine von niedrigem, mannigfach zugestutztem Buschwerk eingefaßte Promenade; zur Seite eine zirkusförmige Allee, die um vielgestaltigen Buchsbaum und künstlich niedrig gehaltene Bäumchen herumführt. Das Ganze ist von einer Lehmmauer eingefriedigt, die von einer treppenförmigen Buchsbaumhecke verdeckt und den Blicken entzogen wird.
Ante porticum xystus in plurimas species distinctusconcisusque buxo; demissus inde pronusque pulvinus, cui bestiarum eJjigies invicem adversas buxus inscripsit; acanthus in plano mollis et paene dixerim liquidus. ambit hunc ambulatio pressis varieque tonsis viridibus inclusa; ab his gestatio in modum cirei, quae buxum multi/ormem hU!TJllesque et retentas manu_arbusculas cin;U!!Iit. omni{lmaceria muniuntur; hone gradata bumS operit et subtrahit. 84
Auch dort, wo die Natur unversehrt entgegenzutreten scheint, bleibt sie entrückt und tritt niemals als Naturgewalt auf. Architektonische Raffmesse hält
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Nippel (1988), S. 85. s. u. a. Römer, Juna (1981): Naturästhetik in der frühen römischen Kaiserzeit. Frankfurt a. M., S. 51-100. Nachfolgende Ausführungen kommen allerdings zu ganz anderen Ergebnissen als die Autorin dieses Buches. Plin. min., ep. 2, 17; 5,6. Zu diesen Briefen s. vor allem: Letevre, Eckard (1977): Plinius-Studien 1. Römische Baugesinmmg und Landschaftsauffassung in den Villenbriefen (2, 17; 5,6). In: Gymnasium 84, S. 519-54l. Nachfolgende Ausführungen beziehen sich in vielen Punkten auf Beobachtungen Letevres, stellen sie aber in andere Zusammenhänge; s. dazu und zur Kritik an Letevre S. 138, Anm. 94. Plin. min., ep. 5, 6, 16f.
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sie überschaubar, jederzeit beherrschbar.8s Das Meer, auf das man aus einem Speiseraum des Laurentinum schaut, wogt nicht etwa in seinen unendlichen Ausmaßen, die sich über den Horizont hinaus erstrecken. Drei Fenster sorgen dafür, daß man den Ausblick auf "drei Meere" genießen kann, jedes für sich fein säuberlich gerahmt - und damit entrückt. 86 Ein geräumiges Wohnzimmer läßt durch ein Fenster die Morgensonne herein und hält mit dem anderen das Abendrot fest. 87 Ein anderes Zimmer verfolgt mit seinen Fenstern den Lauf der Sonne. 88 Dann wieder gibt es ein "Wohnzimmer, in welchem die Sonne auf- und untergeht"89. In einem anderen Speisezimmer wird das Tosen und Brausen des Meeres nur gedämpft wiedergegeben. 90 Eine Wandelhalle reflektiert und steigert die Wärme der einfallenden Sonnenstrahlen und vertreibt zugleich den ungemütlichen Nordostwind. 91 Die Veranda des Laurentinum vermag sogar drei völlig verschiedene Eindrücke aus der Umgebung der Villa zu vereinigen: "zu Füßen [...] das Meer, im Rücken Landhäuser, zu Häupten Waldungen: [...]."92 In jedem Zimmer, in jedem Gebäudeteil erscheint die Natur inszeniert, ihrer eigentlichen Gewalt beraubt, jederzeit ästhetisch verfügbar gemacht.93 Die durch architektonische Kunstgriffe gebändigte Natur wird zum Anschauungsobjekt für die senatorische Fähigkeit, die Umwelt dem eigenen Willen zu unterwerfen und total zu disziplinieren. 94 Als solche wird sie auch von Plinius in seinen
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Lefevre (1977), S. 530ff., führt das Bestreben, "den Binnenraum wie den Außenraum eines Gebäudes zu 'beherrschen'," auf etruskisch-italische Ursprünge mit eindeutig religiöser Konnotation zurück. An anderer Stelle (S. 526) macht er auf das entsprechendeVokabularaufmerksam, mit dem Plinius die Verbindun~ zwischen Natur und AfCliifekhir scllifdett "'So'besChieii>tPIiOlus --~in iiinmer~ii-ier-T~Sci: a:iisdes;~; einem Fenster der Blick 'auf die [...] -TerasSe, aus dem -anderen -auf eine cWiese fällt, vorher aber, wie Plinius betont, auf ein Becken, das unter dem Fenster liegt und ihm 'dient', d. h. der Aussicht dient, in Bezug auf diese seine Funktion erhält: piscina(m), quae fenestris servit ae subiaeet (5, 6,23). Und 1, 3, 1 spricht Plinius sogar von dem Corner See im Hinblick auf die Villa eines Freundes als subiectus et serviens laeus." Plin. min., ep. 2, 17, 5: tria maria. Plin. min., ep. 2, 17, 6. Plin. min., ep. 2, 17, 8. Plin. min., ep. 2, 17, 13: in quo sol nascitur eonditurque. Plin. min., ep. 2, 17, 13. Plin. min., ep. 2, 17, 17. Plin. min., ep. 2, 17,21: a pedibus mare, a tergo villae, a capite silvae: [ ...]. Letevre (1977), S. 536. - Römer (1981), S. 100. Die ästhetische Qualität der VilIen- und Gartenarchitektur soll hier in keiner Hinsicht bestritten werden. Zu fragen bleibt aber, wo genau - d. h. in welchen symbolischen Zusammenhängen - der spezifisch rClmische Ort des Ästhetischen anzusiedeln ist Diese
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Briefen beschrieben. Die gezähmte Natur liegt dem Senatoren zu Füßen. Mit einem triumphalen Blick betrachtet er die seinen Vorstellungen unterworfene Natur von einem erhabenen Standpunkt aus. 9S Wie sich die im Triumphzug ausgestellten Beutestücke und die Bilder von Flüssen und Landstrichen der unterworfenen Gebiete unter den Augen des Triumphators vor seinem vierspännigen Triumphwagen fein säuberlich anordneten, so blickt der Senator nun aus den Räumen seines Landhauses auf die kunstvoll arrangierten Gartenanlagen und Naturausschnitte. Herrschaft inszeniert sich auch hier im Akt des 'Dressierens'. Das Landhaus des Senatoren beschränkt sich nicht auf die Funktion eines Rückzugsortes, in dem man sich quasi 'privaten' Tätigkeiten und dem otium hingeben kann. 96 Es wird zum zentralen Ort
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Frage, auf die weder Lefevre noch Römer mit ihren geistesgeschichtlich ausgerichteten Interpretationen eine Antwort geben, steht im Zentrum der hier dargelegten Überlegungen. Zu hinterfragen bleibt aber Lefevres Begriff der römischen "Landschaftsauffassung" . Für Lefevre scheint der Begriff der Landschaft, der von ihm nicht näher defmiert wird, eine ahistorische Kategorie zu sein. Wemer Flach hat jedoch gezeigt, daß 'Landschaft' das Ergebnis eines historisch und sozial bedingten Blickes auf die Natur ist und dementsprechend bestimmt werden kann als "Natur in der Zuwendung eines Subjektes" und als Produkt eines "Gefühl[s] der Zusammengehörigkeit" und der "Einheit" mit der Natur, das durch "reflektierende Auffassung" vermittelt wird; s. Flach, Wemer (1986): Landschaft Die Fundamente der Landschaftsvorstellung. In: Smuda, Manfred (Hg.): Landschaft Frankfurt a. M., S. 17, 15. Unter diesem Gesichtspunkt ist es zweifelhaft, ob man auf der Grundlage von Plinius' Schilderungen von einer römischen "Landschaftsauffassung" in der römischen Kaiserzeit sprechen kann. Lefevres Interpretationen zeigen ja gerade, daß es bei Plinius eher um Distanzierung als um emotionale Hinwen.dung zur Natur- geht. Gerade in diesem -Punkt -zeigt--sich -der,·besondere; andere-E>rtder-Naturästhetik in Rom und seine Differenz zur modemen "Landschaftsauffassung" . Die Kategorie des Ästhetischen alleine reicht deshalb nicht aus, um in der frühen Kaiserzeit eine "Landschaftsauffassung" feststellen zu können. S. Römer (1981), S. 66, die darauf verweist, daß die Tusci des Plinius "zwar nicht auf dem Gipfel [liegt], sie aber so beschrieben [ist], als wäre ihr Aussichtspunkt der höchste." Auch der scheinbar so private Rückzug in geistige Studien, denen man sich in der Villa gerne widmete [so dazu u. a. Lefevre, Eckard (1987): Plinius-Studien III. Die Villa als geistiger Lebensraum (1, 3; 1,24; 2, 8; 6, 31; 9, 36). In: Gymnasium 94, S. 247-262.], besitzt in diesem Zusammenhang eine symbolische - und damit 'öffentliche' - Relevanz. Das römische olium im allgemeinen und die geistigen Studien im besonderen lassen sich am ehesten mit dem Begriff des "demonstrativen Müßiggangs" kategorisieren [Veblen, Thorstein (1986): Theorie der feinen Leute. Eine ökonomische Untersuchung der Institutionen. Frankfurt a. M., S. 51-78, Zitat S. 58f.]: "Man wird hier bereits bemerkt haben, daß der Begriff der Muße, wie er hier gebraucht wird, nicht einfach Trägheit oder Ruhe bedeutet; gemeint ist damit vielmehr die nicht produktive Verwendung der Zeit. Dies geschieht aus zwei Gründen: 1. auf Grund der Auffassung, daß produktive Arbeit unwürdig sei, und 2. um zu beweisen, daß man reich genug ist, um ein untätiges
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einer triumphalen Symbolik, die Natur zum Material, mit dem Herrschaft inszeniert werden kann. Die prachtvollen Villenanlagen in einem mondänen Ort wie Baiae oder anderswo stellen sich in diesem Sinne als die friedlichen Varianten der Tierhetzen in Rom dar, die ebenfalls in einem sehr differenzierten System die Unterwerfung der Natur unter das Imperium Romanum und die es tragende Elite mit dem princeps an der Spitze symbolisierten.97 Wie eine Sintflut überschwemmte die Inflation von Speisen aus exotischen Ländern, wertvollem Eßgeschirr, kostbaren und seltenen Einrichtungsgegenständen, erlesenen Kleidungsstoffen, spezialisierten Sklaven, kunstvoll eingerichteten Speisesälen, raffinierten Fensterausblicken, stilisiert erscheinenden Naturausschnitten, zurechtgestutzten Buchsbaumhecken, windgeschützten Wandelhallen und lauschigen Rückzugsorten voll friedfertiger Stille ausgerechnet die Gruppe von außerkörperlichen Setzungen, die bisher genau überschaubar und auf wenige Situationen beschränkt gewesen war. Die imagines der Vorfahren und die im öffentlichen Auftrag errichteten Gebäude bekamen Konkurrenz in Form von beliebig verfügbaren Gegenständen, die in vollem Glanz erstrahlten. Auch die neuen triumphalen Zeichen trugen auf ihre Art dazu bei, das Ansehen ihres Besitzers festzuschreiben, ja zu verewigen. Wer besonders ausgefallene Speisen kredenzte oder seine Villa und seine Ganenanlagen besonders kunstvoll und raffiniert anlegte, der bewies sich und den anderen seine Fähigkeit zu herrschen und damit seine Mitgliedschaft zur herrschenden Elite. In zwei Dingen aber unterschieden sich die neuen triumphalen Zeichen von den alten Bildern und Monumenten. Zum einen waren sie für andere gesellschaftliche Gruppen ebenso verfügbar wie für die Senatoren selbst.
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Leben zu führen. Nun spielt sich aber nicht das ganze Leben eines müßigen Herrn in Gegenwart von Zeugen ab, die dieses Schauspiel ehrenvoller Muße - Ideal und Ziel des vornehmen Lebens - beeindrucken soll. Zu bestimmten Zeiten bleibt sein Leben zwangsläufig den Augen der Öffentlichkeit verborgen, und diese Augenblicke privaten Daseins müssen nun um des guten Ansehens willen überzeugend erklärt werden. Er muß also Wege fmden, um zu beweisen, daß er auch fern von den Augen etwaiger Beobachter den Müßiggang pflegt Dies ist nur möglich, wenn er irgendwelche konkreten und dauerhaften Ergebnisse der allein verbrachten müßigen Stunden vorweisen kann, [...] Derartige Beweise sind zum Beispiel quasi-gelehrte und quasi-künstlerische Werke sowie die Kenntnis von Erscheinungen und Vorfilllen. die nicht unmittelbar zur Förderung des Lebens beitragen." In diesem Sinne ist auch der These von Mielsch, Harald (1989): Die römische Villa als Bildungslandschaft. In: Gymnasium 96, S. 456, zu widersprechen, daß die "römische Villa [...] bis zu Domitian nicht so sehr Repräsentationsarchitektur als vielmehr ein Versuch der neuen Herrscher der Welt [ist], den Zwängen ihres eigenen Herrschaftssystems zu entkommen." S. dazu ~Iavel-Uveque. Monique (1984): L'Empire en Jeux. Espace symbolique el pratique sociale dans le monde romain. Paris.
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Die Mitglieder der aristokratischen Gemeinschaft begaben sich hier auf einen Markt, auf dem sie nicht konkurrenzlos waren. Zwar ließ sich mit der Praktik der Herrschaftsinszenierung durchaus Distanz zu anderen gesellschaftlichen Gruppen herstellen, doch bestand immer die reelle Gefahr, daß die triumphale Symbolik von statusniederen Gruppen quasi 'usurpiert' wurde. Vo, allem in den reichen Freigelassenen - allen voran den Iiberti Caesaris - sahen die Senatoren unwürdige Konkurrenten. Deren Versuche, aristokratischen Lebensstil zu imitieren, stießen bei der 'feinen Gesellschaft' auf entschiedenen Widerstand und forderten immer wieder beißenden Spott und Verachtung heraus. 98 Zum anderen, und dies ist hier von besonderer Wichtigkeit, ließen sich die triumphalen Zeichen kaum durch eine Disposition-zum-Kursieren setzen. In der Gesamtheit der imagines vereinigte sich noch Vergangenheit und Gegenwart der res publica; ihr unmittelbarer Bezug auf das Kursieren der magistratischen Ehrenabzeichen überzog sie mit einer egalitären Symbolik. Die Differenzen, die durch die Bilder und die im öffentlichen Auftrag errichteten Gebäude zwischen den verschiedenen gentes zu Tage traten, blieben jederzeit reversibel und durch die aristokratische Gemeinschaft als ganze beherrschbar. Ganz anders sah das bei der neuen triumphalen Symbolik aus. Eine Villa vergegenwärtigte nichts anderes als die Gegenwart in Form von Reichtum und Einfluß ihres Eigentümers. Sie war ein steinernes Monument des augenblicklichen Prestiges eines einzelnen Individuums, ohne jeden Bezug auf die Ordnung des Gemeinwesens und ihrer kursierenden Zeichen. Als Monument stand dieses triumphale Signum auch in der symbolischen Landschaft - unverrückbar, wie für die Ewigkeit gesetzt. Wie auch immer der Senator Herrschaft zu jl)szenieren gedachte,dievomtriumphalen . . -Raum entbundene triumphale Symbolik veranschaulichte und manifestierte auf drastische Art und Weise die Prestigeunterschiede und die gesellschaftlichen Stärkeverhältnisse, die in der Senatorenschaft anzutreffen waren. Solche außerkörperlichen symbolischen Setzungen waren kaum mehr reversibel; sie konnten nicht ohne weiteres zurückgenommen oder auf eine andere Person übertragen werden. Sie - im wahrsten Sinne des Wortes - zu egalisieren, bedurfte als Antwort eine entsprechende Leistung der anderen Senatoren. Ein ständiges Konkurrieren und Überbieten im Inszenieren von Herrschaft war die unausweichliche Folge. Die Dimension der Zeit aber verlor ihren egalitären Sinn. Sie erstarrte in unzählige monumentale Zeichen der
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Zum Typus des 'undankbaren Freigelassenen' S.: Veyne, Paul (1988c): Leben des Trimalchion. In: Ders.: Die Originalität des Unbekannten. Für eine andere Geschichtsschreibung. Frankfurt a. M., S. 43-89.
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Ewigkeit, die untereinander nur den Bezug herzustellen in der Lage waren, 'ewiger' zu sein als alle anderen.
Die Disposition-zum-Kursieren und das Prinzip der Ressourcenverfügung Viele der beschriebenen Verschiebungen in der Symbolik der außerkörperliehen Setzungen traten nicht erst mit der Errichtung des Prinzipats zu Tage. Vor allem die Inflation der Symbole ist schon im letzten vorchristlichen Jahrhundert zu beobachten. Als sich ein Zentrum der Ressourcenvergabe dauerhaft im aristokratischen Funktionszusammenhang etablierte, erluhren diese Verschiebungen jedoch eine neue Dimension. Erst jetzt verlor die Disposition-zum-Kursieren, die die symbolischen Beziehungen zwischen Herrschafts ausübung, Herrschaftsinszenierung, Statussymbolik und Gleichheit gewährleistet hatte, endgültig den Raum, in dem sie sieh entfalten konnte. Das Prinzip der Ressourcenverfügung konstituierte sich nach anderen Gesetzmäßigkeiten als dasjenige, unter dem diese Disposition erzeugt worden war. Thr ZusammenpralI mit den Bedingungen einer veränderten senatorischen Figuration hob die beschriebenen Transformationen symbolischer Felder und ihrer Beziehungen zueinander auf eine ganz andere Ebene. Jede einzelne Nuance einer veränderten Semantik der außerkörperlichen Setzungen verweist unmittelbar darauf, daß die Disposition-zum-Kursieren unangepaßt war und sich in eine Disposition-für-Angst verwandelt hatte. Es bleibt zu· fragen, ob und worin sich mese Verwandlung manifestieite. In einern Exkurs soll gezeigt werden, daß das endgültige Scheitern der Luxusgesetze im frühen Prinzipat in diesen Zusammenhang gestellt und somit als ein weiteres Phänomen spezifisch senatorischer Angst gelesen werden kann.
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Exkurs: Die Luxusgesetzgebung Ohnmächtige Moral und mächtiger Prunk
In der frühen Kaiserzeit fehlte es nicht an Versuchen, der Inflation von triumphalen Symbolen durch entsprechende Maßnahmen Herr zu werden oder sie zumindest einzudämmen. Claudius entschloß sich zu einem eher demonstrativen Handeln. Während seiner Censur ließ er "einen prächtig gearbeiteten silbernen Wagen, der auf dem Kunstmarkt zum Verkauf angeboten wurde," erwerben und anschließend vor seinen Augen zertrümmern.! Jeder sollte sehen, daß hier die Grenze der Prachtentfaltung überschritten war und daß der Kaiser dieses aufs Schärfste mißbilligte. Andere Kaiser setzten eher auf direkte Verbote bestimmter Auswüchse. Nero erließ ein Gesetz zur Einschränkung des Luxus. Auch untersagte er "den Gebrauch violetter und purpumer Färbemittel"2. Tiberius verbot jedem Mann das Tragen von seidenen Kleidern. 3 Unter dem Nachfolger des Augustus befaßte sich auch der Senat in aller Ausführlichkeit mit dem immensen Aufwand, der den Lebensstil vieler Mitglieder der aristokratischen Gemeinschaft kennzeichnete. In den Jahren 16 und 22 n. Chr. lagen dem Senat entsprechende Gesetzesinitiativen zur Einschrhlung-des Luxusvoi:4 - Sowohl anläßlich der Maßnahmen der Kaiser als auch im Zusanunenhang mit den geplanten gesetzlichen Regelungen im Senat erhob sich in Teilen der Senatorenschaft eine Entrüstung, die den Luxus als Ausdruck eines allgemeinen Sittenverfalls brandmarkte. Mit der Niederlage Karthagos und dem endgültigen Aufstieg Roms zur alles beherrschenden Macht des Mittelmeerraumes hätten Verschwendungssucht, Habgier, Neid, Mißgunst, Falschheit und andere Laster in Rom Einzug gehalten, so lautete die fast einhellige
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Suet, Claud. 16: quod essedum argenteum sumptuose jabricaJum ae venole ad Sigillaria redimi concidique coram impetravit. Suet, Nero 32: usum amethystini ae Tyrii eoloris. Cass. Dio 57, 15, 1.
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Tac., rum. 2, 33; 3, 52ff.
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Meinung.s Zwietracht bis hin zu den blutige~ Bürgerkriegen ~ei~n die Folge gewesen. Senatoren, die sich dem ausschweIfenden u:bensstil m be~onde~ exzessiver Art und Weise hingaben, wurden als morahsch korrupt stIgmatIsiert. Kaum ein Autor des ersten nachchristlichen Jahrhunderts vergaß auf die moralische Verruchtheit seiner Zeit hinzuweisen. Literaten wie Horaz, Martial und Juvenal fanden in den Erscheinungsweisen des Luxus genügend Material rUr ihren beißenden Spott. Als sozusagen selbsternannte Chefankläger geißelten vor allem Plinius der Ältere und Seneca die Verschwendungssucht als das grundlegende Laster ihrer Zeit. 6 Der eine betrauerte in seinen naturwissenschaftlichen Studien den Abfall des römischen Gemeinwesens von der Natur, der andere bemühte sich, in seinen philosophischen Werken mittels stoischer praecepta einen Weg zurück zu eben diesem natürlichen, da vernünftigen Zustand aufzuzeigen.' Aufgrund des moralischen 'Protestpotentials' liegt die Vermutung nahe, daß die Maßnahmen der Kaiser und die Gesetzesvorschläge zur Einschränkung des Luxus allgemein willkommen gewesen und auch befolgt worden wären. Nichts dergleichen geschah. Als der Senat unter Tiberius selbständig über die vorgelegten Gesetze zur Eindämmung des Luxus entscheiden sollte, entbrannten in der Kurie heftige Auseinandersetzungen über den Sinn und Zweck eines solchen Gesetzes. Als der Senator Fronto 16 n. Chr. "ein Höchstmaß für den Besitz von Silber, Hausrat, Dienerschaft" festsetzen wollte,8 wandte sich Asinius Gallus entschieden gegen diesen Vorschlag: Mit dem Wachstum des Reiches habe auch der private Wohlstand zugenommen, und dies sei nichts Neues, sondern eine uralte Erfahrung: anders seien die Vermögensverhältnisse unter den Fabriciern gewesen als unter den Scipionen; und alles stehe in Wec~selbezieh",ng zur Lage des Staates; [, ..] Auch bei der Diencrschaft,dem Silbergeschirr und allen sonstigen Gebrauchsgegenständen könne man. von einem Zuviel oder einem richtigen Maß nur im Verhältnis zur Vermögenslage des Besitzers sprechen. Herausgehoben sei der Senatoren- und Ritterzensus, aber nicht weil sie
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Die Klage, daß sich nach dem Ende der punischen Kriege allmählich ein Sittenverfall in Rom ausbreite, wurde zum ersten Mal von Sallust, de coniur. Cat. 7ff., ausführlich erhoben. S. auch Plin. mai., n. h. 33, 53, 150.
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S. exemplarisch Sen., ep. 90 [dazu: Pfliggersdorfer, Georg (1982): Fremdes und Eigenes in Sencas 90. Brief an Lucilius. In: Stagl, Jusrin (Hg.): Aspekte der Kultursoziologie. Aufsätze zur Soziologie, Philosophie, Anthropologie und Geschichte der Kultur. Zum 60. Geburtstag von Mohammed Rassem. Berlin, S. 303-326.]; weiter ep. 51; 56, in denen Seneca das Leben in Baiae kritisiert. - Plin. mai .• ß. h. 9, 17, 67; in n. h. 13, 29, 9lff., beklagt Plinius den immensen Aufwand mit Citrusholz bei der Anfertigung von Tischmöbeln. S. dazu das Kap. Die Konjunktur der stoischen PlUlosoplUe.
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Tac., anno 2, 33, 1: modum argento supellectilijamiliae.
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Menschen anderer Art seien; sie sollten vielmehr wie durch ihre Plätze im Theater, ihren Stand, ihre RangsteIlung, so auch in allem bevorzugt werden, was der geistigen Erholung oder dem körperlichen Wohlbehagen diene - [...l.
auetu imperii adolevisse etiam privatas opes, idque non novum, sed e vetustissimis moribus: aliam apud Fabrieios, aJiam apud Seipiones peeuniam; et eUlleta ad rem publieam refe"i, [ ...}. neqUi! injamilia et argento quaeqUi! ad usum parentur nimium aliQuid aut modicum nisi exfortuna possidentis. distinctos sefUJlus el equitum census, non quia diversi natura, sed, ut locis ordinibus dignationibus antistent, ita iis quae ad requiem animi aut salubritatem eorporum parentur, [ ...}.9
Asinius Gallus setzte sich durch. "[...] das mit ehrenhaften Begriffen beschönigte Eingeständnis seiner [des A. Gallus, D. B.] Untugenden" fand die "willige Zustimmung" der Kurie, wie Tacitus lakonisch konstatiert. lo Ohne Ergebnisse blieb auch die Senatssitzung im Jahre 22 n. ehr. Obwohl Tiberius in einem Brief seine mißbilligende Haltung zum Phänomen des Luxus durchblicken ließ, lehnte er es ab, eine Entscheidung über diese Dinge zu treffen. Der an sich selbst verwiesene Senat verzichtete daraufhin auf die Verabschiedung eines Gesetzes. Zwischen der Entrüstung über den Aufwand und dem wirklich praktizierten Verhalten der Senatoren lag eine seltsame Diskrepanz. 11 Schon in der Republik blieben alle Versuche mehr oder weniger erfolglos, den Aufwand des Lebensstils gesetzlich zu reglementieren. 12 Seit Beginn des zweiten Punischen Krieges 13 wurden regelmäßig sogenannte leges sumptuariae erlassen, die die verschiedenen Spielarten des auswuchernden Luxus mit dem Tafelluxus an der Spitze einschränken sollten. 14 Sie scheiterten alle. In der
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Tac., ann: 2, 33, 2f. Tac., ann. 2. 33, 4: facilem adsensum Gallo sub nominibus honestis confessio vitiorum. Keine Person verkörpert diese Diskrepanz besser als einer der 'Chefankläger' des Luxus selbst: Seneca. Regelmäßig geriet der Philosoph in die Schußlinie der Kritik. Vor allem Publius Suillius polemisierte gegen die unstillbare Raffgier Senecas und warf ihm vor. seine Taten widersprächen seinen hehren philosophischen Worten (Tac., anno 13,42). In de vita beata sah sich Seneca schließlich veranlaßt. auf die Beschuldigungen zu antworten. Entscheidend sei nicht, ob man viel oder gar nichts besitze, sondern ob man von seinem Reichtum innerlich unabhängig sei oder nicht (s. Z. B. de vita beata 21, 4; 26). S. auch Maier (1985), S. I11ff. Baltrusch, Ernst (1988): Regimen morum. Die Reglementierung des Privatlebens der Senatoren und Ritter in der römischen Republik und frühen Kaiserzeit. München. S. 83. 97, 101, 125. Baltrusch (1988). S. 128.
Baltrusch (1988), S. 4lf, macht darauf aufmerksam. daß der Begriff der leges sumptuariae in der modernen Forschung in einer allgemeineren Bedeutung verwendet wird als in der Antike. Dort seien mit den leges sumptuariae ausschließlich die Speisegesetze gemeint. Die "inhaltliche Zusammengehörigkeit" mit anderen Gruppen der Luxusgesetz-
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Kaiserzeit fand das Schicksal der Luxusgesetzgebung seine überspitzte Fortsetzung. Während der Aufwand in der Lebensführung bis zum Ende der julisch-c1audischen Dynastie weiter zunahm, gelang es weder den Kaisern noch den Senatoren trotz anhaltender moralischer Bedenken, überhaupt ein Gesetz zustande zu bringen. Wie ist das endgültige Scheitern der Luxusgesetzgebung im frühen Prinzipat zu erklären? Vor allem aber: Worin liegt der Grund für die offensichtliche Kluft zwischen dem Reden über den Luxus und den praktizierten Verhaltensweisen? Waren die Senatoren tatsächlich dekadente Lebemänner, die ihren Tag mit Orgien und ähnlichem verbrachten? Baltrusch stellt in seiner Abhandlung Regimen trWrum. Die Reglementierung des Privatlebens der Senatoren und Ritter in der römischen Republik und frühen Kaiserzeit die These auf, daß in der Kaiserzeit "die politische Dimension des Luxus" nicht mehr vorhanden war. 15 "Der alte politische Einfluß" der aristokratischen Geschlechter sei nun "durch repräsentativen Glanz" ersetzt worden. 16 Demzufolge versagten die Senatoren der "vonnals gültige[n] innere[n] Rechtfertigung" der leges sumptuariae ihre Anerkennung. 17 Daß die herrschende Elite, so Baltrusch weiter, von sich aus und "aus besserer Einsicht" den Luxus bekämpfen würde, sei nichts anderes als "eine naive Hoffnung" gewesen; "zu sehr erwartete die Oberschicht [... ] die Jurifizierung bestimmter Verhaltensweisen, wurden Staat und Rechtsordnung miteinander identifiziert." 18 Baltruschs Erklärungsversuch bleibt in drei Punkten unbefriedigend. Zunächst macht er das verstärkte Ansteigen des Luxus in der julisch-claudisehen Dynastie abhängig von einer fehlenden Jurifizierung, d. h. Reglementierung der entsprechenden Verlralterrsweisen: Wenn'weser Zusa:tturtenhang tatsächlich zuträfe; dann hätte man aber schon in den letzten beiden vorchristlichen Jahrhunderten das Problem des Luxus aus der Welt geschafft. Genau das geschah aber, wie dargelegt, nicht. Trotz wiederholter Luxusgesetze nahm der Aufwand in der Lebensführung in dieser Zeit zu. Auch gelingt es Baltrusch nicht, der moralischen Entrüstung über den Luxus einen
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gebung erlaube aber Baltrusch (1988), S. Baltrusch (1988), S. Baltrusch (1988), S.
"eine Ausweitung des antiken Verstllndnisses des Begriffes". 153. 154. 130.
Baltrusch (1988), S. 158. Baltruschs Argumentation ist hier unklar. Von wem erwartete die Senatorenschaft die J uriflZierung? Wenn nicht von sich selber, dann nur vom Kaiser. Ob aber der Kaiser mit dem 'Staat', von dem Baltrusch spricht, zu identifizieren ist, muß bezweifelt werden. Denn auch die Senatsaristokratie begriff sich ja als Mittelpunkt dieses 'Staates'.
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spezifischen Ort zuzuweisen. Warum sollten sich die Senatoren noch empören, wenn sie auf der anderen Seite die "innere Rechtfertigung" der leges sumptuariae nicht mehr anerkannten? Baltruschs These kann die Kluft zwischen dem Reden über den verwerflichen Luxus und den tatsächlich praktizierten Verhaltensweisen nicht in seine Argumentation integrieren. Der Grund daflir liegt in einem dritten Punkt verborgen. Baltrusch spricht dem Phänomen des Luxus in der Kaiserzeit die - wie er es nennt - "politische Dimension" ab. In republikanischer Zeit habe diese Dimension des Luxus darin gelegen, die Homogenität und den Gleichheiisgrundsatz der aristokratischen Gemeinschaft zu korrumpieren. Die leges sumptuariae dienten daher vor allem der "Abwehr von ambitus und Wahrung der Gleichheit der Standes genossen durch die Normierung der Ausgaben, so daß die überlieferten politischen Spielregeln eingehalten wurden."19 Mit der Etablierung des Prinzipats ging die "politische Dimension" des Luxus aber gerade nicht verloren. Daß der eigene Lebensstil mit einer triumphalen Note versehen wurde und daß sich das Bemühen, Herrschaft zu inszenieren, in anderen Zusammenhängen entfaltete, heißt noch lange nicht, daß damit auch das Element der Egalität aus dem Spiel war. Baltrusch müßte nach seiner Argumentation für die Kaiserzeit einen völlig anderen, ja neuen Typ 'Senator' setzen. Eine "politische Dimension" des Luxus im von Baltrusch gemeinten Sinne ginge nur dann verloren, wenn sich zugleich mit der Errichtung der Alleinherrschaft die aristokratische Gemeinschaft als absolutistische "höfische Gesellschaft" konstituiert hätte. Hier fallen Repräsentationsstil und Rangstufe in eins. Luxus dient in dieser gesellschaftlichen Figuration als systemtragendes Element explizit der sozialen Differenzierung auch innerhalb der Aristokratie. Er regelt die symbolische -Kommunikation auf-der Grundlage einet" prestigemäßigen Hierarchisierung. 2o Die Senatoren aber waren keine absolutistischen Höflinge, weil ihr Verhalten auch weiterhin von einer Disposition-zum-Kursieren bestimmt wurde.
u Baltrusch (1988), S. 102. 20
S. dazu Elias, Norben (1983), S. 99: "Ein Herzog muß sein Haus so bauen, daß es ausdrückt: ich bin ein Herzog und nicht nur ein Graf. Das gleiche gilt von seinem ganzen Auftreten. Er kann nicht dulden, daß ein anderer herzoglicher auftritt als. er selbst. Er muß darüber wachen, daß er im offiziellen gesellschaftlichen Verkehr den Vorrang vor dem Grafen hat [... ] Der Zwang zur Repräsentation des Ranges ist unerbittlich. Fehlt das Geld dazu, so hat der Rang und damit die soziale Existenz des Ranginhabers nur noch eine sehr geringe Realitiit. Ein Herzog, der nicht wohnt, wie ein Herzog zu wohnen hat, der also auch die gesellschaftlichen Verpflichtungen eines Herzogs nicht mehr ordentlich erfüllen kann, ist schon fast kein Herzog mehr."
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· . . Daß. die Luxusgesetzgebung scheiterte, die Se~atoren sich abe:, gleichzeitig über einen angeblich überall beobachtbaren Sl~btenlverfall ehmponden, kD~n 't Hilfe der hier gewonnenen Ergebnisse plausl e gemac t wer en. le ~uft zwischen dem Reden über den und der Praktik des Luxus läßt sich als ein Phänomen senatorischer Angst lesen. Der Luxus erschien in dem Moment in der aristokratischen Elite, als diese von einer Inflation potentieller Symbole heimgesucht wurde und sich zugleich die triumphale Symbolik vor allem auf die Gruppe der Monumente verschob. Als sich zudem ein Zentrum der Ressourcenverfügung im aristokratischen Funktionszusammenhang etabliene, verschloß sich durch diese Verschiebung ein Raum, in dem sich die Disposition-zum-Kursieren entfalten konnte. An diesem Punkt veronet sich die moralische Entrüstung. Weil die Disposition-zum-Kursieren unangemessen geworden war und ein Unbehagen hervorrief, klagten die Senatoren über den Verfall der Sitten in Rom. Das Reden von der Dekadenz der Gegenwan wird somit selbst zum Indikator für den Zusammenbruch der symbolischen Verhältnisse. Mit anderen Wonen: Die Senatoren des frühen Prinzipats waren keine degenerienen Nachkommen ehemals stolzer Aristokraten, die ihr Leben der Verschwendungssucht, der Habgier, den Exzessen und Orgien hingaben. Auch gab es keinen selbstläufigen Prozeß des moralischen Verfalls als Movens der römischen Geschichte. Wer dies behauptet, reproduzien nichts anderes als die Meinung und die Erklärungsversuche der in ihrem sozialen Glauben verhafteten historischen Subjekte. Die angeblich so verdorbenen Senatoren legten ganz im Gegenteil sehr viel Gewicht auf Sinn und sinnvolles Kommunizieren. In den Klagen über die angeblich so sittenlose Zeit zeigt sich die Unmöglichkeit, den Zusammenhang zwischen der Inflation der Zeichen, der YerschieQung der triumphalen Symbolik. der Disposition-zum-Kursieren und dem verändenen aristokratischen Funktionszusammenhang zu erkennen. So mußte der Charakter der Senatoren für eine Erklärung der Mißstände und des Unbehagens herhalten. Ein Verfall der allgemeinen Sitten wurde als Ursache festgemacht. Aber genau deswegen konnten weder der moralische Protest noch gesetzliche Regelungen helfen, die Mißstände zu beseitigen. So wettenen die Senatoren immer wieder gegen die Dekadenz ihrer Zeit. Sie selber verhielten sich aber genauso 'dekadent', weil sie ihre Mitgliedschaft zur herrschenden Elite vor sich selber und vor den Augen der anderen auf irgendeine An und Weise inszenieren mußten. Das Reden vom Sittenverfall und das gleichzeitige Scheitern der LuxusgesetzgebungZl können somit auch als Phänomene einer spezifisch senato-
21
Die Luxusgesetzgebung sollte gewiß nicht nur innersenatorische Angelegenheiten regeln. Da die Senatoren auf dem Feld der triumphalen Zeichen mit statusniederen Gruppen vor allem mit reichen Freigelassenen - konkurrierten. galt die Luxusgesetzgebung auch
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rischen Angst gelesen werden. Die Transfonnierung der Disposition-zumKursieren, des Konstituens außerkörperlicher symbolischer Setzungen, in eine Disposition-fÜT-Angst stellt den Rahmen her, in der sich beide Erscheinungen verorten lassen.
dem Bemühen, diese Gruppen wenn nicht auszuschalten, so doch in ihren Aktivitäten zu beschneiden. Es konnte für einen Senatoren nicht angehen, daß sich ein libertus einen Lebensstil leisten konnte, den er selbst kaum praktizieren konnte. Dieser Zusammenhang bleibt aber ein Nebenaspekt der leges sumptuariae, der ihr Scheitern nicht erklären kann. Wäre er ihre Substanz, dann hätte die Luxusgesetzgebung gerade in der frühen Kaiserzeit, als die liberti Caesaris über riesige Vermögen verfügten, in der Senatorenschaft einhelligen Anklang finden müssen.
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Die Praktiken der Verhaltenskontrolle und die Disposition-des-inszenierten-Außenbezuges
In den bisherigen Ausführungen zum senatorischen Habitus war neben der Disposition-der-Umkehrbarkeit und der Disposition-zum-Kursieren von einer weiteren Verhaltensdisposition unterschwellig die Rede. Schon im Beispiel aus der Einleitung kam sie zum Tragen: Augustus und die Senatoren, die ihm begegneten, mußten damit rechnen, daß ihr Verhalten von der Umgebung genau registriert und interpretiert wurde. Auch in den Untersuchungen der senatorischen körperlichen Hexis und der außerkörperlichen symbolischen Setzungen tauchte diese Verhaltensdisposition in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen immer wieder auf, beispielsweise in der argwöhnischen Beobachtung des kaiserlichen Leibes oder im Zeichencharakter der domus als Metapher senatorischer Existenz. Eine Disposition-des-inszenierten-Außenbezuges, die die Praktiken senatorischer Verhaltenskontrolle konstituierte, war immer dann im Spiel, wenn sich die schon beschriebenen Verhaltensdispositionen entfalteten.
Beobachten von Angesicht zu Angesicht und allgemeines Ahnden Die Sichtweise der Moderne kennt als Kontroll- und Strafinstanz einzig und allein ein (staatliches) Gewaltmonopol, das auf der legitimierenden Basis genau definierter rechtlicher Normen und mit Hilfe des Erzwingungsstabes einer Polizei die gesellschaftliche und staatliche Ordnung aufrechtzuerhalten hat. Dieses Modell kann und darf aber nicht apriori auf andere Epochen oder Kulturen übertragen werden.! Jede Gesellschaft und jedes soziale Feld
I
Zu welchen Konsequenzen diese Vorgehensweise führen kann, hat Nippel (1988), S. 7ff., am Beispiel des Polizeibegriffes dargelegt: "Gerade der Verzicht darauf, die Besonderheiten der eigenen Epoche zu bedenken, führt dazu, daß die Bedingungen des 19. und 20. Jahrhunderts ohne weiteres als welthistorischer Nonnalfall gesetzt werden, sei
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in dieser Gesellschaft bringt je eigene Modi der Kontrolle und der Bestrafung hervor, die sowohl den spezifischen Bedingungen ihrer Erzeugung wie auch denen ihrer Anwendung unterworfen sind? In der Senatorenschaft gab es kein legitimes Zentrum der Normensetzung, der Verhaltenskontrolle oder gar der Rechtsdurchsetzung. Die Mitglieder der aristokratischen 'face-to-face-Gemeinschaft' kontrollierten sich gegenseitig.3 Wer durch nichtstandesgemäßes Verhalten auffiel, wurde aus der Gemeinschaft ausgestoßen und in seiner sozialen und politischen Existenz vemichtet. 4 Der auf genaue Beobachtungen basierende Vorwurf der impro-
es, daß Lücken unserer Kenntnisse durch entsprechende Projektionen geschlossen werden, sei es, daß die antiken (übrigens auch andere vonnoderne) Verhältnisse nur als Folge eines Defizits an Staatlichkeit gewertet werden können, die ihnen eigene Art der Rationalität dagegen verkannt wird. [...] Das Fehlen von Polizei im institutionellen Sinne ist in der Folgezeit je länger je mehr als Erklärung für venneintliche oder tatsächliche Defizite der römischen Verhältnisse angesehen worden; [...] Diese Einschätzung ist in verschiedenen Hinsichten fragwürdig. Sie setzt offensichtlich einen unhistorischen Begriff von öffentlicher Ordnung voraus, anstatt danach zu fragen, welches die Anforderungen waren, die in der betrachteten Gesellschaft selbst galten. Sie impliziert ein naivoptimistisches Verständnis von umfassender Rechtsdurchsetzung durch modeme Polizei, ohne zu beachten, daß sich auch hier die Frage nach Selektivität und Effektivität der Ordnungssicherung stellt. Sie fragt nicht nach funktionalen Äquivalenten für die 'Polizei vor der Polizei'." 2
3
4
Daß man auch innerhalb einer Gesellschaft zwischen verschiedenen Arten der Verhaltenskontrolle zu unterscheiden hat, wird am Phänomen der Mafia besonders deutlich. Sie mit Hilfe von rechtsstaatlichen Kategorien beschreiben und erklären zu wollen, geht an -der Spezifitätliie-ses:soF1"alenRaomes voiliei:' Die Tatsäche~Uäß'das-ModeUdeslifuäifi: ehen Gewaltmonopols das einzig-legitime VerfahreIl desStrafens darstellt, darf nicht daran hindern, andere Modi des Überwachens und des Ahndens aus ihren eigenen, ihnen innewohnenden Gesetzmäßigkeiten heraus zu analysieren. Timpe (1987), S. 85f., verweist auf die öffentliche Kontrolle persönlicher Absichten sowie auf die Öffentlichkeit des Informationsflusses. - S. auch Zanker f1990), S. 15, der auf die gegenseitige Kontrolle der Senatoren aufmerksam macht. Baltrusch (1988), S. 6f. In der Regel drohte den geächteten Senatoren die Verbannung. Daß diese Strafmaßnahme die Senatoren wirklich traf, beweisen einige literarische Zeugnisse des Cicero, des Ovid und des Seneca; s. dazu Doblhofer, Ernst (1987): Exil und Emigration. Zum Erlebnis der Heimatfeme in der römischen Literatur. Dannstadt. Gerade an der Art der Strafsanktionierung wird deutlich, wie sehr sich der senatorische Habitus vom modemen (bürgerlichen) unterscheidet. Das senatorische Strafen zielt auf totale Ausgrenzung und auf symbolische Fonnen der Existenzzerstärung (wie etwa das schon erwähnte Einreißen der domus). Das modeme Strafrechtssystem setzt dagegen auf Freiheitsentzug und Geldstrafe. Beide völlig verschiedenen Strafmaßnahmen können nur strafen, wenn sie das Subjekt existentiell treffen: den Senatoren in seinem gesellschaftlichen Prestige, das bürgerliche Subjekt in seiner Freizügigkeit und in seinem Recht auf Eigentum. In diesem Sinne ließe sich weiterführend fragen, ob das Spezifi-
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bitas führte fast automatisch zur Ächtung der betreffenden Person. s Da jeder Verdacht, jede Anschuldigung, jede Anklage zu ihrem Erfolg die Zustimmung der gesamten Gemeinschaft benötigte, war ein Mißbrauch zum Zwecke persönlicher Intrigen zunächst weitgehend ausgeschlossen. Wer ungerechtfertigte Beschuldigungen in Umlauf brachte, mußte selbst damit rechnen, von den Standesgenossen verurteilt zu werden. Persönliche Feindschaften und Rivalitäten ließen sich auf dem Gebiet der Verhaltenskontrolle kaum austragen. Dem Beobachten von Angesicht zu Angesicht entsprach ein allgemeines Ahnden, an dem jeder Senator unmittelbar beteiligt war. Sowohl im Beobachten von Angesicht zu Angesicht wie auch im allgemeinen Ahnden manifestierte sich eine Disposition-des-inszenierten-Außenbezuges. 6 Nur durch sie konnten sich beide Praktiken wirkungsvoll entfalten. In ihrem aktiven Modus wird die Disposition-des-inszenierten-Außenbezuges durch eine - wie dargelegt - beobachtende 'Fürsorge' für die anderen gekennzeichnet,1 aber auch durch eine fast allumfassende 'Öffentlichkeit' des Lebens. 8 Der senatorische Lebensstil stellte sich vor aller Augen -
sche einer Kultur, Gesellschaft oder sozialen Gruppe nicht gerade an ihren Strafen ablesbar ist, die sie filr ihre Delinquenten bereithält. s Bleicken (1975), S. 222. - Hölkeskamp (1987), S. 217. 6 Der Begriff der 'Disposition-des-inszenierten-Außenbezuges' darf nicht mit dem des 'Begehrens' (s. S. 45) verwechselt bzw. gleichgesetzt werden. Ein Außenbezug des Subjekts ist immer vorhanden; die Frage ist nur, auf weIche Art und Weise er sich konkret aMsgestru~t.,DU[c!t. die~n_Begrif( .soll zugleiclLzum Ausdruck kommen, daß mit der TrennUng zWlschen'öffentlich' und 'privat' das Leben der römischen Aristokratie nicht annähernd adäquat beschriebCn werden kann. Diesem bipolaren Modell läßt sich allerdings im wissenschaftlichen Diskurs kaum entgehen, da es nicht nur eine abstrakte Denkkategorie darstellt, sondern zugleich als konkrete Existenzweise dem Wissenschaftssubjekt eingeschrieben ist. Obwohl (oder gerade weil) es als Bestandteil der eigenen symbolischen und sprachlichen Ordnung den Blick auf das Vergangene in erheblichem Maße verstellt, kann daher auch in dieser Untersuchung auf den Begriff der 'Öffentlichkeit' nicht ganz verzichtet werden. 7 Auch die Historiographie eines Tacitus, saUust oder eines Sueton läßt sich in diesen Kontext einordnen. Timpe (1987), S. 94, betont, daß die Geschichtsschreiber ihre Aufmerksamkeit fast ausschließlich auf konkrete Verhaltensweisen richteten, deren Sinn oder Unsinn - sie mit "zensorischem Urteil" kenntlich machten. Ihnen ging es nicht um die analytische Darstellung allgemeiner politischer, wirtschaftlicher und sozialer Strukturen oder um die Vennittlung leitender Überzeugungen der historischen Subjekte (S. 75f.). Auch die einfache Weitergabe von Fakten war ihnen unwichtig. Sie betteten die "Erkennttiis der Tatsachen" ein "in autoritatives Urteil" (S. 92). S. auch Timpe (1989),
S.I23. 8
Bleicken (1975), S. 364. - Hölkeskamp (1987), S. 219.
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pa/am - gut sichtbar und möglichst transparent9 dar. Allein schon der Ver-
such, sich dieser 'Öffentlichkeit' zu entziehen, mußte Verdacht erwecken, da der Senator die beobachtenden Blicke seiner Standeskollegen mied und damit ihrer Kontrolle entfloh. Der passive Modus der Disposition-des-inszenierten-Außenbezuges zeigte sich dagegen darin, daß die Senatoren auf die urteilende Beobachtung der anderen angewiesen waren. IO Die eigene Ehre war abhängig von ihrer Anerkennung durch die GemeinschaftY Nur wenn der eigene Lebensstil in jeder Situation und zu jeder Zeit unmittelbar auf die Meinung aller anderen Senatoren bezogen war, konnte sich das allgemeine Ahnden als effektive Strafmaßnahme entfalten. Erst die Disposition-desinszenierten-Außenbezuges ließ die Senatoren anfällig werden für die Praktik des gesellschaftlichen Boykotts durch die eigene Gemeinschaft Diese Disposition gewährleistete, daß jeder einzelne lWbilis [...) gewissermaßen eine Inkarnation der res-publica-orientierten Standesmoral sein [sollte), im "privaten" und gesellschaftlichen Leben, im Senat und in der Magistratur. Umgekehrt war dann gewissermaßen der Stand insgesamt, mit allem, was ihn auszeichnete, in jedem einzelnen Aristokraten gegenwärtig. 12
Weil der eigene Lebensstil 'öffentlich' und auf das Urteil der anderen angewiesen war, ließen sich Verstöße gegen die allgemeinen Regeln des Umgangs und der Kommunikation wirkungsvoll ahnden, ohne daß institutionell sanktionierte Strafmechanismen notwendig gewesen wären. Man bemerkte schnell und genau, daß sich jemand anders verhielt als üblich, und handelte dann als Gemeinschaft entsprechend. Selbst die Censur und der Versuch, gewisse Lebensgewohnheiten gesetzlich zu reglementieren, unterlagen dem Beobachten von Angesicht zu Angesicht und dem allgemeinen Ahnden'; und damit der Disposition-des~ins:te nierten-Außenbezuges. Dem Censor wurde zwar das regimen morum gegen
9
S. auch Baltrusch (1988), S. 6f., der darauf hinweist, daß bis ins 3. Ih. v. ehr. eine institutionalisierte Kontrolle von Verhaltensformen wegen der "Überschaubarlceit und Durchsichtigkeit" der "stillschweigend anerkannten Regeln" nicht notwendig war.
10
Hölkeskamp (1987), S. 21Of., 220.
II
Elias (1983), S. 147, spricht für den Fall der absolutistischen höfischen Gesellschaft von einer "existentiellen Gesellschaftsgebundenheit": "[...], da hier die Anerkennung der Zu· gehörigkeit durch die Meinung der anderen selbst für die Zugehörigkeit konstituierend ist, deswegen spielt die Meinung der Menschen übereinander und ihre Äußerung im Verhalten der Menschen zueinander als Formungs- und Kontrollinstrument in dieser 'guten Gesellschaft' eine besondere Rolle; deswegen konnte kein Zugehöriger hier dem Druck der Meinung entrinnen, ohne seine Zugehörigkeit, seine elitäre ldentit1lt, ein Kernstück seines persönlichen Stolzes und seiner Ehre, aufs Spiel zu setzen." Hölkeskamp (1987), S. 23lf. .
12
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Ende des 4. Jh.s, spätestens im frühen 3. Jh. übertragen/ 3 doch lag es nicht in seiner Macht, wirklich strafen zu können. Er hatte sich vielmehr damit zu beschäftigen, das Verhalten der Senatoren genau zu beobachten und Verstöße gegen die anerkannten Regeln anzuzeigen. Das regimen morwn "war keine Institution zur Erzwingung von Geboten"14. Der Censor konnte die allgemeine 'Fürsorge' für die anderen nicht ersetzen, die von jedem Senatoren zu praktizieren war. Ob die censoriae notae zur Ächtung der betreffenden Personen führten, hing vom Ermessen und der Reaktion aller Mitglieder der aristokratischen Gesellschaft ab. Auch der Censor selbst sah sich in dieser Hinsicht der Beobachtung seiner Standesgenossen ausgesetzt. Während der censorische Blick uneingeschränkt auf fast alle senatorischen Lebensbereiche fiel,15 wurde die scheinbar herausgehobene und machtvolle Stellung des Censoren durch die Forderung nach einer hohen moralischen Integrität relativiert. 16 Das regimen morwn des Censoren stand nicht im Gegensatz zu dem Beziehungsgeflecht des Kontrollierens und des Strafens, das durch die Disposition-des-inszenierten-Außenbezuges hergestellt wurde. Es war vielmehr ein neuer Modus, der auf eine abnehmende Transparenz des senatorischen Lebensstils antwortete. 17 Das Sitten gericht stand nicht über den Senatoren und war nicht gegen sie gerichtet, sondern ein Institut der Selbstreinigung, Ausdruck einer Gesellschaftsordnung, deren
Existenz von der Gleichheit innerhalb ihrer führenden Schicht abhing. IB
Ähnliches gilt für die Versuche, die Lebensgewohnheiten der Senatoren durch Gesetze zu reglementieren. Auch hier lag es bei ihnen selbst, ob und wie die leges durchgesetzt wurden. Sie hatten sich - nun mit Hilfe der gesetzlichen Bestimmungen - auch weiterhin selber zu kontrollieren. Nur wenn dies gerang~veisprächeJrdie~GesetZeWrrkung~ Ein Element der Dysfunktionalität schlich sich jedoch in die Praktiken der Verhaltenskontrolle ein, als man sich bemühte, den senatorischen Lebensstil durch das censorische regimen morwn und durch Gesetze zu reglementieren. In dem Moment, in dem die innere Geschlossenheit der aristokratischen Gemeinschaft immer brüchiger wurde, ließen sich sowohl der censorische Blick wie auch die gesetzlichen Bestimmungen zunehmend als
15
Baltrusch (1988), S. 6. Zum regime" rrwrum s. auch Astin, Alan E. (1988): Regimen rrwrum. In: JRS 78, S. 14-34. Baltrusch (1988), S. 16. Baltrusch (1988), S. 13.
16
Bleicken (1975), S. 385.
13
14
17
18
Bleicken (1975), S. 382, 386. Baltrusch (1988), S. 28.
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Instrumente der persönlichen Intrige verwenden. Gerade in den letzten Jahrzehnten der res publica boten sie mächtigen Einzelpersönlichkeiten eine willkommene Gelegenheit, eigene Interessen, die nicht mehr die der Gemeinschaft waren, durchzusetzen, Rivalen auszuschalten oder die Senatorenschaft als Ganze zu kontrollieren. 19 Hier drohte die Disposition-des-inszenierten-Außenbezuges zum ersten Mal ernsthaft auf Bedingungen ihrer Anwendung zu treffen, die nicht mehr die ihrer Erzeugung waren. Das Beobachten von Angesicht zu Angesicht und das allgemeine Ahnden schienen ihre Verbindlichkeit zu verlieren. Im Prinzipat erhielt diese Entwicklung ihren entscheidenden Akzent.
Beobachten als senatorische Ressource Nach der Etablierung des Prinzipats richtete sich das senatorische Beobachten von Angesicht zu Angesicht und das allgemeine Ahnden in verstärktem Maße auf zwei Verhaltensbereiche. Da die Ehegesetzgebung des Augustus20 auf der senatorischen 'Fürsorge' für die anderen aufbaute, galt dem 'sittlichen' Lebenswandel der Senatoren besondere Aufmerksarnkeit. 21 Auch Mitglieder anderer gesellschaftlicher Gruppen konnten zwar Vergehen der Senatoren gegen die Ehegesetze anzeigen, doch war die Effizienz dieser leges in der Hauptsache von der aristokratischen Selbstkontrolle abhängig. Die 9 n. ehr. verabschiedete lex Papia Poppaea22 versprach Belohnungen für diejenigen, die Vergehen gegen bestimmte Ge- und Verbote zur Anzeige
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Baltrusch (1988), S. 29f., 131. - Bleicken (1915), S. 386. Die Censur wurde aufgrund des Mißbrauchs, der mit ihr getrieben wurde, von Sulla abgeschafft. - Anders Astin, Alan E. (1985): Censorship in the late Republic. In: Historia 34, S. 175-190. Er stellt die These auf, daß die Einrichtung der Censur erst durch Augustus ihre Funktion verlor. Zur Ehegesetzgebung des Augustus s.: Mette-Dittmann, Angelika (1991): Die Ehegesetze des Augustus. Familienpolitik als Gesellschaftspolitik. Stuttgart. - Nörr, Dieter (1911): Planung in der Antike. Über die Ehegesetze des Augustus. In: Baier, Horst (Hg.): Freiheit und Sachzwang. Beiträge zu Ehren Helmut Schelskys. Opladen, S. 309334. - Raditsa, Leo F. (1912): Augustus' Legislation Concerning Marriage, Procreation, Love Mfairs and Adultery. In: ANRW II, 13. Berlin, S. 218-339. Obwohl die Ehegesetzgebung des Augustus alle SUinde betraf, richtete sie sich in ihrer Zielsetzung primär an den Senatorenstand; s. Nörr (1911), S. 313. Vor der lex Papia Poppaea waren im Jahre 18 v. Chr. zwei weitere Ehegesetze erlassen worden: die lex lulia de aldulteris coercendis und die lex lulia de maritandis ordinibus. Das erste Gesetz beschäftigte sich mit dem Ehebruch, das zweite regelte die Heirat von Mitgliedern verschiedener Stände.
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brachten. 23 Daneben rückte das große Feld der maiestas-Vergehen mehr und mehr in den Mittelpunkt. In der inhaltlichen Bestimmung dessen, was ein maiestas-Vergehen ist, hatte sich im letzten vorchristlichen Jahrhundert ein einschneidender Wandel vollzogen. Das Majestätsgesetz, so Tacitus, hatte zwar bei den Vorfahren die gleiche Bezeichnung, doch kamen damals andere Verfehlungen vor Gericht: falls nämlich einer etwa dUICh Verrat das Heer, oder die Plebs durch aufhetzende Tätigkeit, schließlich durch verwerfliche Staatsführung die Hoheit des römischen Volkes beeinträchtigt hatte: [...].
nomen apud veteres idem, sed alia in iudieium veniebant: si quis proditione exercitum aut plebem seditionibus, denique male gesta re publica maiestatem populi Romani minuisset: [...J. Z4
Seit Augustus - genauer: seit der lex Julia de maiestate25 - konnten auch Taten und einfache Äußerungen26 gegen die Person des princeps und gegen Mitglieder der kaiserlichen Familie als maiestas-Vergehen belangt werden. Als Strafe drohte mit der Verbannung die (gesellschaftliche) Existenzvernichtung. Sowohl die Ehe- wie auch die Majestätsgesetze lenkten das senatorische Augenmerk auf Verhaltensweisen, die in dieser Art und Weise bisher noch nicht im Blickpunkt gestanden hatten. Ob aber die herkömmlichen Praktiken senatorischer Verhaltenskontrolle die Effizienz dieser gesetzlichen Reglementierungen gewährleisten konnten, schien fraglich zu sein. Bezüglich der lex Papia Poppaea bemerkt Tacitus, daß die Zahl derer zu[nahm], die in einen Prozeß verwickelt waren, da alle Familien durch die Verdächtigungen der Angeber ins Unglück gebracht werden konnten, und wie vorher mit den Gesetzesübertretungen, so hatte man jetzt seine Not mit den Gesetzen.
.multitudlTpericlitanlium-gli$cebat;-r:u7n'timneFäOmÜ$~di!laf(1rifm'iiiie;,ptelOitoni5iis subverterentur, utque antehae flagitiis,ito tune legibuslaliliraliatur:n
Plötzlich bereiteten nicht nur die Verstöße gegen die Regeln des Zusammenlebens, sondern die gesetzlichen Reglementierungen selbst die größten Probleme. Der Grund dafür ist - wie schon bei den besprochenen Verhaltensdispositionen - im veränderten aristokratischen Funktionszusammenhang des
23
Z4 2.\
26 1:/
Nllrr (1977), S. 311f. Tac., ann I, 72, 2; s. auch Bleicken (1962), S. 27f. Die Datierung der lex lulia de maiestate ist umstritten; s. Christ (1988), S. 187. Baumann, Richard A. (1974): Impietas in principem. A Study ofTreason against the Roman Emperor with Special Reference 10 the First Century A. D. München, S. 14, legt das Gesetz in das Jahr 8 n. Chr. Tac., anno I, 72, 2ff; s. auch Baumann (1974), S. 14f. Tac., anno 3, 25, 1.
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frühen Prinzipats zu suchen, der das Beobachten von Angesicht zu Angesicht in einen völlig neuen Kontext stellte. Wenn die Senatoren begehrte Ressourcen wie Ehrenämter arn leichtesten über möglichst unmittelbare Beziehungen zum Kaiser erlangen konnten und wenn das eigene Prestige in nicht unerh~blichem Maße von den Zugangsmöglichkeiten zum princeps abhing,28 dann hatten sie zuallererst auf sich aufmerksam zu machen und ihre Loyalität gegenüber dem princeps unter Beweis zu stellen. Was lag da näher, als Mitkonkurrenten oder beliebige andere Standeskollegen29 vor den Augen des Kaisers eines schlechten Lebenswandels zu bezichtigen oder sie mit dem Vorwurf schwerster Vergehen gegen das Wohl der res publica zu beschuldigen? Die Ehe- und Majestätsgesetze boten dafür ein willkommenes Instrumentarium. 3o In vielen Fällen warf man den vermeintlichen Delinquenten gleich Vergehen gegen beide Reglementierungen vor. 3! Auf diese Art und Weise konnte man sich seiner Rivalen entledigen und zugleich die Gunst des Kaisers gewinnen. Das Beobachten von Angesicht zu Angesicht ließ sich plötzlich als hervorragendes Kampfmittel der persönlichen Intrige verwenden. Es geriet zu einer bedeutenden Ressource, mit der sich der Senator in einem Spiel auf Gegenseitigkeit einen Zugang zum princeps eröffnete. Dem Domitius Afer gelang es mit dieser Strategie als einem der ersten Senatoren, die Gunst des Tiberius zu gewinnen. War er eben noch Praetorier und von geringem Ansehen, wurde er nach einer erfolgreichen Anklage vom princeps zum "Redner eigenen Rechts" ernannt. 32 Die Senatoren nutzten bei ihrem Vorgehen eine Schwäche des Kaisers aus. Selbst wenn der princeps Verfehlungen von Senatoren beobachtete oder tatsächlich von Mitgliedern der aristokratischen GemeinschaftlHlehrenhaft=,l?ehfUidclt·. wurde, konnte -er diese Ner.gehen"in·· eigener Person kaum zur Anzeige bringen. Der Kaiser konnte Senatoren riur
28
S. das Kap. Die Nähe zum princeps: Krista/Iisationspunkt aberlegener gesellschaftlicher Stärke.
29
Selbstverständlich konnten auch Mitglieder anderer gesellschaftlicher Gruppen angezeigt werden. Auch senatorische Frauen waren von möglichen Anklagen nicht ausgeschlossen; s. z. B. Tac., anno 3, 22f.; 6, 47; 12, 22; 13, 32.
30
Baumann (1974), S. 225. - S. auch Tac., anno 6, 18, 1ff.
31
S. Z. B. Tac., anno 2, 50; 3, 22; in anno 3, 38, I, bemerkt Tacitus, daß eine mniestasBeschuldigung anderen Anklagen oft als Abrundung beigegeben wurde (addito mniestatis crimine, quod tum omnium accusationum complementum erat.). Da man bei einer mniestas-Klage die Sklaven des Beschuldigten einer (peinlichen) Befragung unterziehen durfte, berief man sich sich auch aus diesem Grund gerne auf das Majestätsgesetz; S. Baumann (1974), S. 55, 94, 225.
32
Tac., anno 4, 52, 4: suo iure disertum eum appel/avit.
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unter größtem Risiko denunzieren, da er in diesem Fall in einem ganz anderen symbolischen Kontext handelte als die einfachen Mitglieder der aristokratischen Gemeinschaft. Zeigte der Kaiser einen Senatoren an, verriet er sich als Tyrann. 33 Das Beobachten vermeintlicher Delinquenz war daher die wertvollste senatorische Ressource im Kampf um Einfluß und Prestige. Zumindest hier waren die Senatoren dem princeps überlegen. Unter dieser Bedingung gewann das Beobachten von Angesicht zu Angesicht eine neue, zweite Blickrichtung. Mit dem einen Auge beobachtete der Senator auch weiterhin das Verhalten seiner Standeskollegen. Mit dem anderen Auge aber hatte er die Person des princeps im Blick. Worin zeigten sich gerade seine Vorlieben, worin seine Abneigungen? Wer waren seine Freunde, wer seine Feinde? Was sich schon beim senatorischen Abstimmungsverhalten in der Kurie feststellen ließ, schlug nun auch auf dem Gebiet der Verhaltenskontrolle durch: Der Senator richtete sein eigenes Handeln auf den Willen des Kaisers aus. Nicht ein stillschweigender Konsens innerhalb der Senatorenschaft, sondern vielmehr das gerade vorherrschende Verhalten und die Äußerungen des princeps bestimmten ganz entscheidend, was die Senatoren als vermeintliche Verfehlungen bei ihren Standeskollegen zu beobachten glaubten. 34 Das Ahnden wurde aus seinem 'multilateralen' Kontext gerissen und verlor seinen Bezug zur Allgemeinheit, da die überlegene gesellschaftliche Stärke des Kaisers alle Beobachtungsakte auf sich konzentrierte und beeinflußte. Die Praktiken senatorischer Verhaltenskontrolle und Strafens fanden de facto nicht mehr im Zusammenspiel aller Senatoren statt, sondern weitgehend im Spiel auf Gegenseitigkeit zwischen dem Kaiser und jeweils einzelnen Mitgliedern der aristokratischen Gemeinschaft Wenn sich das Beobachten von Angesicht zu Angesicht in eine besonders wertvolle senatorische Ressource verwandelt hatte, konnte es kein verläßliches Kriterium für die Richtigkeit des eigenen Verhaltens mehr geben. Die Vorlieben und Abneigungen, die Freundschaften und Gegnerschaften des Kaisers unterliefen jeden Versuch, sich der Anerkennung der gesamten aristokratischen Gemeinschaft zu vergewissern. Der stillschweigende senatorische Konsens, der gemeinhin als 'öffentliche Meinung' bezeichnet wird,3s atomisierte sich in unzählige Einzelmeinungen. Das Gerücht erschien in den
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]j
S. z. B. Suet., CaI. 53: Das Verfassen von Anklageschriften und Verteidigungen wird dem CaIigula als Zeichen seiner Willkür, seiner Grausamkeit und seines Zynismus ausgelegt. Unter Caligula wurden selbst rhetorische Fähigkeiten bestraft: s. Baumann (1974), S. 136. Zur 'öffentlichen Meinung' s. S. 164, Anm. 19.
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Straßen Roms und auf den senatorischen Gastmählern und beeinflußte das Verhalten der Senatoren in nicht unerheblichem Maße. Was waren die Vorlieben des Kaisers? Mit wem durfte man sich nicht sehen lassen, da er beim princeps in Ungnade gefallen war?36 'Trends' und 'Moden' beherrschten die Szenerie. Die 'Öffentlichkeit' des senatorischen Lebensstils wurde mehr und mehr zu einem gefahrlichen Unterfangen. Sich intensiv auf die anderen zu beziehen, bedeutete ein Spiel auf Leben und Tod. Die 'Fürsorge' für die anderen (wenn man von ihr als senatorische Ressource überhaupt noch sprechen kann) wurde von nun an von einem Mißtrauen gegenüber den anderen begleitet?7 Die Disposition-des-inszenierten-Außenbezuges geriet durch den veränderten aristokratischen Funktionszusammenhang in ein geradezu agonales Verhältnis zu sich selber. Weil sie auch weiterhin die Praktiken senatorischer Verhaltenskontrolle aktualisierte, verwandelte sie sich, was die Öffentlichkeit des Lebensstils und den Bezug auf die Meinung der anderen betrifft, in eine Disposition-für-Angst. Dieses eigenartige Charakteristikum einer grundlegenden senatorischen Verhaltensdisposition erklärt auch das Erscheinen des Delatoren und das aristokratische Reden über ihn.
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Bawnann (1974), S. 111, betont, daß der inimicus des Kaisers der inimicus aller war. Wenn Flaig (1992), S. 116, den "gegenseitigen Einladungen" der Senatoren die Funktion zuspricht. "der hohen Konkurrenz ihre Gefilhrlichkeit zu nehmen", und "ein entscheidendes Motiv für die häufige Pflege solcher Kontakte" in der "Sorge um die eigene Sicherheit" sieht, erfaßt er damit nicht die ganze Brisanz der senatorischen Gasbnähler und Einladungen. "Die Verwobenheit in dichte Netze von Freundschaften" konnte nur dann "gegen Anklagen [schützen]", wenn sie sich in einem sozialen Raum entfaltete, der ganz anderen symbolischen Regeln unterlag als derjenige, dessen Gefährlichkeit die Senatoren entflohen. Genau dies ist aber nicht der Fall. Zwar ist es sicherlich richtig, daß die Senatoren durch eine erhöhte inneraristokratische Kommunikation der Gefahr von Anklagen vorbeugen wollten. Wer gut und früh genug informiert war, hatte beste Chancen, sich gegen potentielle Intrigen rechtzeitig zu wappnen. Auf der anderen Seite boten aber gerade die Gastmähler beste Gelegenheiten zur Denunziation. Auch in diesem Rahmen wurde die senatorische 'Etikette' keineswegs vor der Haustür des Gastgebers abgelegt. Der intensivierte Umgang untereinander potenzierte gleichzeitig das Risiko. in Intrigen verwickelt und auf vermeintliche Verfehlungen hin beobachtet zu werden.
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Exkurs: Das Delatorentum Ein Disziplinierungsinstrument des Kaisers?
Obwohl das Denunzieren innerhalb (und außerhalb) der Senatorenschaft weit verbreitet war, besaßen die delatores in der aristokratischen Gemeinschaft einen denkbar schlechten Ruf. Vor allem diejenigen Delatoren, die quasi berufsmäßig anzeigten und anklagten, sahen sich einer scharfen Kritik ausgesetzt, die auch in den Werken der römischen Historiographen ihren Niederschlag fand. Die Ankläger werden von ihnen durchweg als verkommene, von allen guten Sitten verlassene, egoistische, raffgierige, nur auf ihren eigenen Vorteil bedachte und verschlagene Kreaturen beschrieben. Cassius Dio glaubt eine typische delatorische Verhaltensweise erkennen zu können, die der eines agent provocateur ähnelt: Zunächst versuche der Denunziant, sein Opfer durch irgendwelche auffällige Bemerkungen aus der Reserve zu lokken, damit es durch unbedachte Äußerungen Anlaß zu einer Beschuldigung gäbe. Während das Opfer schon für die kleinste falsche Bemerkung bestraft werde, brauche sich der Denunziant, so Dio weiter, keine Sorgen um seine eigene Sicherheit machen. Ihm werde man jederzeit abnehmen, daß seine Worte nicht sejne wahr~ M~inuJ}g_}Viderspiegelten.l Auch für Taci~s galten die Tätigkeiten der Delatoren als "Machenschaften [ ...], die so -~ele-Jahre hindurch den Staat zersetzten."2 "Grausame Befehle, unaufuörliche Anklagen, trügerische Freundschaften, das Verderben Unschuldiger und die immer gleichen Gründe ihres Untergangs,,3 habe er in seinen Annalen aneinanderzureihen. Die Delatoren seien "eine Menschensorte, die zum Verderben des Staates aufgekommen war und auch durch Strafen nie hinreichend in Schranken gehalten werden konnte, [...]."4 Der unter Tiberius tätige Anklä-
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Cassius 58, I, Ib. Tac., anno 2,27, 1: reperta sum quae per tot annos rem publicam exedere. Tac., ann. 4, 33, 3: nos saeva iussa, continuas accusationes,laliaces amicitias, pernieiem innocentium et easdem exitii causas coniungimus. Tac.,~. 4, 30, 3: genus hominum publico exitio repertum et ne poenis quidem umquam satis coereitum.
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ger Fulcinius Trio, so Tacitus, "gierte nach schlechtem Ruf'5. Domitius Afer versuchte sich ebenfalls unter Tiberius "durch eine beliebige Schandtat einen Namen zu machen"6. Als Inbegriff des Delatoren galt Suillius, der vor allem unter Claudius unzählige Standeskollegen anzeigte. Ihn erlebten die Mitglieder der aristokratischen Gemeinschaft "als allmächtigen, käuflichen Menschen, der die Freundschaft des Kaisers Claudius lange mit Glück, doch nie zum Guten ausgenutzt hat. ,,7 Der Delator wurde von den römischen Historiographen zu einem gesellschaftlichen Außenseiter stigmatisiert. Diesen Ruf maßen ihm auch die Mehrzahl der Senatoren bei. Neben den Delatoren, denen die römischen Geschichtsschreiber fehlende moralische Integrität vorwarfen, gerieten auch die Kaiser in die Schußlinie der Kritik. Sie, die principes, seien eigentlich flir das Wüten der Denunzianten verantwortlich. 8 Indem sie Belohnungen aussetzten und an den Majestätsgesetzen ausdrücklich festhielten, würden sie die Ankläger überhaupt erst motivieren, ihrem hinterhältigen Geschäft nachzugehen. 9 Die Delatoren, so lautet die einhellige Meinung der römischen Historiographie, seien den Kaisern ein willkommenes Instrument, um die Senatorenschaft jederzeit terrorisieren zu können. Vor allem Sueton wird in seinen Kaiserviten nicht müde, die Grausamkeit der Kaiser als Ursache für das Delatorentum anzuprangern. Über Tiberius urteilt er beispielsweise: Es würde zu weit führen, einzeln seine Grausamkeiten zu berichten; es wird genügen, an Hand von Beispielen die verschiedenen Arten aufzuzählen. Kein Tag verging ohne Hinrichtungen, auch nicht die Feiertage oder sonst geheiligte Tage, ja es fanden sogar am Neujahrstag Hinrichtungen statt. Viele Leute wurden mitsamt ihren Kindern und auch von ihren Kindern angeklagt und verurteilt. Es war untersagt, daß die Angehörigen um ihre zum Tod verurteilten Verwandten trauerten. Anklägern wurden hohe Belohnungen ausgesetzt, manchmal auch den Zeugen. Keinem-Aßgeber versagte man den Glauben. Jedes Verbrechen wurde mit dem Tode bestraft, mochte es sich auch nur um wenige unschuldige Worte handeln.
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Tac., anno 2,28,3: Trionis ingenium erat avidum [ ...] famae malae: [ ...]. Tac., anno 4, 52, 1: quoquo facinore properus clarescere. Tac., anno 4, 31,3: praepotentem. venalem et Claudii principis amicitia diu prospere, numquam bene usum. Bleicken (1962), S. 47f., stellt fest. daß diese ErkIärung den tatsächlichen Verhältnissen nicht gerecht wird. Nachfolgende Ausführungen werden diese These untermauern. Cass. Dio 58.4, 8; Tac., hist 1,2, 3. - Die Aussicht. sich durch Denunzieren reicher Männer eine lukrative 'Verdienstmöglichkeit' zu eröffnen, war gewiß eine wichtige Motivation der Delatoren. Sie erklllrt aber nicht dieses gesellschaftliche Phänomen als solches. Das Aussetzen von Prämien ist nicht die Ursache des Delatorentums, sondern nur eine Begleiterscheinung.
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Singillatim crudeliter facta eius exequi longum est; genera, velut exemplaria saevitiae, enumerare sat erit. nullus a poena Iwminum cessavit dies, ne religiosus quidem ac sacer; animadversum in quosdam ineunte anno novo. acusati damnalique multi cum liberis atque etiam a liberis suis. interdictum ne capite damnatos propinqui lugerent. decreta accusatoribus praecipua praemia, nonnumquam et testibus. nemini delatorumfldes ahrogata. omne crimen pro capitali receptum. etiam paucorum simpliciumque verborum.\O
Über Caligula, Claudius, Nero, Vitellius und Domitian behauptet Sueton fast schon stereotyp, daß unter diesen Kaisern jede beliebige Person aus jedem beliebigen Grund verdächtigt, beschuldigt, angeklagt, gefoltert und hingerichtet werden konnte. 11 Die römische Historiographie erweckt auf diese Art und Weise den Eindruck, als sei eine Gruppe von gesellschaftlichen Außenseitern zentraler Bestandteil eines politischen Unterdrückungssystems. Die von der aristokratischen Gemeinschaft geächteten delatores werden von den Geschichtsschreibern zu einem Disziplinierungsinstrument der principes gemacht, mit dessen Hilfe Herrschaft verteidigt und die Senatorenschaft jederzeit kontrolliert werden konnte. Die antik-römische Sicht der Dinge fand ihren Eingang auch in das modeme Bild vom frühen Prinzipat. Das Delatorentum erscheint hier entweder als Begleiterscheinung der Grausamkeit und des Wahnsinns der Kaiser12 oder als "konsequente[r] Ausdruck des neuen politischen Systems [des Prinzipats, D. B.]"13. In beiden Fällen wird das Delatorentum als ein rein poli-
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Suel, Tib. 61; s. auch Tac., anno 6,51~ 3.
llS-;;~t: C;J~27;-ca;~d.
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S. beispielhaft Koestennann, Erich (1955): Die Majestätsprozesse unter Tiberius. In: Historia 4, S. 72-106. Koestennann stellt fest, daß nicht nur die Berichterstattung des Tacitus über die Regierungszeit des Tiberius "vertrauenswürdig" ist, "sondern daß auch seine wertende Urteile auf jeden Fall ernsthafte Beachtung verdienen" (S. 105f.). Dementsprechend drastisch beurteilt Koestennann das Delatorentum. Ausgehend von der Bemerkung, daß Tacitus "das Krankheitsbild einer ganzen Epoche" scharf umreißt (S. 88), gelangt er zu der Diagnose, daß das Delatorentum ein "Geschwür" sei, das sich tief "in den Volkskörper hineingefressen hatte" (S. 96). Wenig später bezeichnet er es als "Krebsschaden" (S. 96). Die Delatoren sind für Koestennann "üble Elemente [...], die im Privatleben der im Vordergrunde des öffentlichen Lebens stehenden Persönlichkeiten herumschnüffelten, um Dinge zutage zu fördern, die sie dann an die große Glocke hängen konnten" (S. 91). An anderer Stelle spricht er von "unsaubere[n] Elementen" (S. 99, Anm. 65). Die Beschreibung sozialer und politischer Zusammenhänge mit Hilfe von Begriffen der Hygiene trägt in keiner Weise zur (Er-)Klärung des Sachverhaltes bei; ganz im Gegenteil: Sie reproduziert die Meinung des Tacitus nur auf einer anderen metaphorischen Ebene. n Christ (1988), S. 188; s. auch Nippel (1988), S. 31. \2
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tisches Phänomen erklärt, das seine Valenz als Instrument der Herrschaftssicherung und der Herrschaftsdurchsetzung erfährt. Die hier dargelegten Ausführungen können das Delatorentum dagegen als ein Phänomen erklären, das in der aristokratischen Gemeinschaft selbst erzeugt wurde. Wäre es tatsächlich nicht mehr als ein Mittel zur kaiserlichen Herrschaftssicherung gewesen, hätte das Delatorentum verschwinden müssen, als die Majestätsgesetze abgeschafft wurden. Genau dies geschah aber nicht. Auch als die Kaiser die Anwendung der Majestätsgesetze untersagten, wurde weiter angezeigt und angeklagt.14 Das DenunZieren stützte sich jetzt auf andere gesetzliche Reglementierungen - mit den gleichen Folgen für die aristokratische Gemeinschaft. 1s Die Kaiser hätten schon die Selbstkontrolle der Senatorenschaft als solche verbieten müssen, um die eigentlichen Wurzeln des Delatorentums auszurotten. Abgesehen davon, daß diese Möglichkeit jenseits jeglicher senatorischer bzw. kaiserlicher Handlungs- und Denkkapazitäten lag, hätte die Umsetzung einer solchen Maßnahme für jeden Kaiser tödlich enden müssen. Der princeps hatte den Senatoren das Überwachen der eigenen Verhaltensweisen zu belassen, wollte er sich nicht aufs Schwerste gegen die senatorische Standesehre vergehen und sich dem Vorwurf der Tyrannis ausgesetzt sehen. Die Praktiken senatorischer Verhaltenskontrolle selbst riefen das Delatorentum hervor. Das Delatorentum konstituierte sich, als sich das Beobachten in die wertvollste Ressource verwandelte, die die Senatoren dem Kaiser entgegenbringen konnten. Nicht die 'delatorischen' Verhaltensweisen an sich waren dabei neu, sondern die veränderten Bedingungen des aristokratischen Funktionszusammenhanges, in dem die Senatoren sich untereinander be. obachteten;~Erst in-cintF-'ätf§tokratischen-Figuration, me'dtiW:f( das-PrinZip' der Ressourcenverfügung geprägt war,' Konnte s1ch-:.cta-sDeilUnzleren als Kampfmittel um Einfluß und Prestige 16 in diesem Umfang etablieren.
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Caligula (bis 39 n. Chr.), Claudius und Nero (bis 62 n. ehr.) beseitigten die Majestätsgesetze in der Anfangszeit ihrer Herrschaft oder schränkten sie zumindest ein. Vespasian und Titus verboten sie für die Dauer ihrer ganzen Regierungszeit; s. Bleicken (1962), S. 105. - Baumann (1974), S. 141,157,208. Baumann beurteilt das Verbot der Majestätsgesetze gar als "a gigantic confidence trick". Ohne sie, so seine These, hätten die Kaiser viel besser handeln können (S. 227). Zu den Ersatzmöglichkeiten s. Baumann (1974), S. 226. S. auch Flaig (1992), S. 114f. - Ohne genauer auf den sozialen Kontext zu rekurrieren, bezeichnet Schrömbges (1986), S. 263ff., die Majestätsprozesse als Mittel senatorischer Politik, dem princeps die eigene Loyalität unter Beweis zu stellen. Es ginge hier nicht mehr um eigenständige Senatspolitik, sondern nur noch um die Sicherung von Einflußsphären in der Umgebung des Kaisers.
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Grundlegend konnten die Kaiser daran nichts ändern. 17 In ihrer Macht stand letztlich nur die Art und Weise, wie sie mit den ständig an sie herangetragenen Denunzierungen umgingen. Die Frage, ob und inwieweit der princeps den delatores Gehör schenkte, entschied dann allerdings in nicht unerheblichem Maße darüber, ob er als guter princeps oder als Tyrann in die Geschichte der res publica einging.18 In diesem Sinne ist auch das Problem einer 'Unterdrückung der öffentlichen Meinung'19 durch den princeps falsch gestellt. Es geht hier nicht um die 'Repression' ungelegener politischer Ansichten, sondern um den neuen sozialen Kontext, in dem sich die Disposition-des-inszenierten-Außenbezuges entfaltete. Eine 'Repression' nichtstandesgemäßer Ansichten und Verhaltensweisen hatte es - wie dargelegt - schon immer gegeben. Nicht sie ist das an sich Gefahrvolle und Bedrohliche, das die Sensibilität vieler Senatoren verletzte. Weil sich die Senatoren in intensiver Weise auf die Meinung(en) ihrer Standeskollegen bezogen, wirkte es sich verheerend aus, daß der stillschweigende senatorische Konsens zersplitterte. Die schnelle bigen und widersprüchlichen Gerüchte und der damit verbundene Ressourcencharakter des Beobachtens, nicht aber der bösartige Wille des Kaisers machten die 'Öffentlichkeit' des senatorischen Lebensstils unberechenbar und gefährlich. Vor diesem konkreten Hintergrund entstand das senatorische Reden über die Delatoren. Genauso wie das Reden über den Luxus indiziert es einen grundlegenden senatorischen Habituskonflikt. Das Delatorentum beruhte nicht allein auf moralischen Verfallserscheinungen, wie es die römische Historiographie suggerieren will. In dem Maße, wie sich die Dispositiondes-inszenie~D::Außenbezuges in eine Disposition-für-Angst verwandelte, sahen sich die Mitglieder der aristokratischen Gemeinschaft veraniaßt, das Beobachten von Angesicht zu Angesicht als Verhaltensweise eines gesellschaftlichen Außenseiters ohne jede Moral zu stigmatisieren.
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Bleicken (1962), S. 53, beschreibt diesen Umstand aus der Perspektive des princeps: Es habe nicht in der Absicht des Kaisers gelegen, "mit der Majestätsklage die Aristokratie zu terrorisieren oder sie gar als Mittel zur physischen Vernichtung der alten Geschlechter zu benutzen". S. Plin. min., pan. 34f., der die Verbannung der DeIaloren durch Trajan als Werk eines guten princeps feiert Zum Begriff der 'öffentlichen Meinung', der "in Deutschland zu Beginn der französischen Revolution als Lehnübersetzung von 'opinion publique' eingeführt worden" ist, s. Hölscher, Lucian (1978): Art. Öffentlichkeit. In: Brunner, Otto; Conze, Wemer u. Koselleck, Reinhart (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Bd. 4. Stuttgart, S. 413-467, Zitat S. 448.
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Die Konjunktur der stoischen Philosophie
In der Zeit des frühen Prinzipats erlebte die stoische Philosophie in Rom eine ungeahnte Konjunktur. Die philosophische 'Sekte,l der Stoiker fand in der aristokratischen Gemeinschaft immer mehr Anhänger. Viele Senatoren bemühten sich, ihr Leben nach stoischen praecepta zu gestalten und erfüll-
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Der Begriff der 'Sekte' zur Bezeichnung der Gemeinschaft der Stoiker wird benutzt in Anlehnung an: Veyne. Paul (1989): Das Römische Reich. In: Ders. (Hg.): Vom römischen Imperium zum Byzantinischen Reich (Geschichte des privaten Lebens. Bd. 1. Hg. v. Philippe Aries und Georges Duby). Frankfurt a. M., S. 217ff. Er soll zum Ausdruck bringen, daß das Philosophieren in Rom als ein Phänomen zu begreifen ist, das sich in einem ganz bestimmten sozialen Raum entfaltet Dieser Aspekt wird mit den allgemein gehaltenen Begriffen des 'Philosophierens' oder der 'Philosophie' völlig unterschlagen. Sie implizieren eher das Gegenteil, da das Philosophieren in der Modeme meist mit Einsamkeit und Alleinsein, d. h. mit einem Rückzug vom Sozialen verbunden wird. Nicht nur für die Stoa aber bedeutete Philsosophieren immer auch intensives Kommunizieren. (1991): Philosophie als Lebensfoffi1. Geistige Übungen in der Antike. Hadot. Berlin, S. 175, betont die Wichtigkeit der sozialen Komponente im antiken Philosophieren allgemein: "Um die Wahrheit zu sagen, gibt es kein Klischee, das tiefer und unaustilgbarer in der Denkart der modemen Historiker verwurzelt wäre als die Idee. daß die antike Philosophie eine Flucht, ein Sich-auf-sich-selbst-Zuruckziehen, gewesen sei: [...] Zunächst einmal ist die antike Philosophie eine Philosophie, die stets in einer Gruppe praktiziert wird. ganz gleich, ob es sich nun um die pythagoreischen Gemeinschaften. um die platonische Liebe, die epiIrureische Freundschaft oder die stoische Seelenleitung handelt. Die antike Philosophie setzt eine gemeinschaftliche Bemühung vomus, eine Gemeinschaft, deren Mitglieder vereint forschen, sich gegenseitig helfen und geistigseelisch unterstützen." Der Begriff der 'Sekte' soll genau darauf anspielen, ohne damit aber zugleich die Vorstellung einer straff durchorganisierten Einrichtung zu verbinden. In einem weiteren Aspekt verdeutlicht dieser Terminus, daß das Philosophieren, verstmden als soziale Verhaltensweise und als Lebensstil, eine Distanzierung von konventionellen Verhaltensmustern vorauSsetzte. Das stoische Philosophieren fand in einem sozialen Rawn statt, der sich von den gewohnten Lebensbereichen abgetrennt hatte, ohne daß diese jedoch strikt abgelehnt wurden. - Zur Stoa im römschen Kaiserreich s. u. a.: Veyne, Paul (1993): Weisheit und Altruismus. Eine Einführung in die Philosophie Senecas. Frankfurt a. M.
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ten es mit philosophischen Pathos. 2 Zwei der bekanntesten wurden hier schon erwähnt: Thrasea Paetus und Helvidius Priscus. Auf der anderen Seite sahen sich die stoischen Senatoren Anfeindungen seitens des princeps, aber auch seitens ihrer Standeskollegen ausgesetzt. Zu den bedeutendsten Zeugnissen dieser Konjunktur gehären die philosophischen Schriften Senecas. Vor allem sein Spätwerk, das Briefkorpus ad Lucilium, kann zeigen, warum die stoische 'Sekte' für viele Senatoren dieser Zeit gleichzeitig eine so hohe Attraktivität und ein so großes Konfliktpotential besaß. Senecas Briefe lassen sich unmittelbar in die zuletzt dargelegten Zusammenhänge einbetten. Im folgenden soll gezeigt werden, daß zwischen dem stoischen Philosophieren und der Unangemessenheit senatorischer Praktiken der Verhaltenskontrolle ein unmittelbarer Zusammenhang besteht. 3 Die Konjunktur der stoischen Philosophie erweist sich dabei als ein weiterer Indikator für das Erscheinen senatorischer Dispositionen-für-Angst.
Senecas Briefe an Lucilius und die "Wächter" des eigenen Verhaltens Seneca schrieb die Briefe an Lucilius in seinen letzten Lebensjahren. 4 Dabei handelt es sich nicht um einen tatsächlich stattgefundenen Briefwechsel, sondern um ein literarisches Produkt, das eine breitere Öffentlichkeit in die Grundzüge stoischen Philosophierens einweisen will. 5 Historisch nachweis-
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Veyne (1989), S. 223. Eine ausführliche Werkanalyse im eigentlichen Sinne können nachfolgende Überlegungen nicht leisten. Weder soll hier der rein gedankliche Inhalt der Briefe ausgeleuchtet noch die Gliederung des Briefkorpus exakt nachverfolgt werden; s. dazu: Maurach, Gregor (1970): Der Bau von Senecas epistu/ae mora/es. Heidelberg. - Cancik, Hildegard (1967): Untersuchungen zu Senecas epistulae morales. Hildesheim. - Zu den Briefen allgemein s. auch Grimal, Pierre (1978): Seneca. Macht und Ohnmacht des Geistes. Darmstadt, S. 155ff., und Griffin, Miriam (1976): Seneca. A Philosopher in Politics. Oxford, S. 334ff. - Eine ausführliche Interpretation des Briefkorpus, die über eine rein werkimmanente Auseinandersetzung hinausgeht, ist bisher unterblieben. Maurach, Gregor (1991): Seneca. Leben und Werk. Darmstadt, S. 157f., betont, daß es in der Forschung noch keinen Konsens darüber gibt, wie die Briefe zu lesen und aufzufassen sind. Grimal (1978), S. 157, läßt den Briefwechsel im Jahre 62 n. Chr. unmitelbar nach dem Rückzug Senecas aus der Umgebung Neros beginnen. Zum fiktiven Charakter des Briefwechsels s. Abel, Karlhans (1981): Das Problem der Faktizität' der senecanischen Korrespondenz. In: Hermes 109, S. 472-499. Abel geht davon aus, daß der Briefwechsel nicht tatsächlich stattgefunden hat. "Das Wechselspiel
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bar ist allerdings der Empfänger der Briefe: Lucilius war ein Freund des Seneca; ihm waren die Briefe quasi gewidmet.6 Seneca entwirft in seinen Briefen kein geschlossenes philosophisches System stoischer Prägung. Stattdessen bemüht er sich, seinem Gegenüber einige Anleitungen nahezubringen, mit deren Hilfe dieser sein Leben glücklich und frei von Sorge gestalten kann. Seneca geht es nicht darum, systematisch zu erklären und zu vermitteln, was Wahrheit ist. Er will ganz konkret einen bestimmten 'stoischen' Lebensstils formen. 7 Die Philosophie, so gibt Seneca dem Lucilius gleich in einem der ersten Briefe zu erkennen, besteht "nicht in Worten, sondern in Taten".s "Die Seele gestaltet und formt sie, das Leben ordnet sie, Handlungen lenkt sie, nötiges Tun und Lassen zeigt sie, [... ]. Ohne sie kann niemand furchtlos leben, niemand sorgenfrei"9. Die Philosophie müsse als Schutz gegen das Schicksal dienen. lo Eindeutig schreibt Seneca fest, was die eigentliche Aufgabe der Philosophie ausmacht: handeln lehrt die Philosophie, nicht reden, darauf dringt sie, daß nach seinem eigenen Gesetz ein jeder lebe, damit nicht zur Rede das Leben in Widerspruch stehe oder in sich selber [widersprüchlich seil. daß es bei allen seinen Handlungen nur eine Färbung gebe.
von Blief und Erwiderungsschreiben" sei "nur vorgetäuscht" (S. 475), Seneca spreche stattdessen "die Öffentlichkeit vor der Öffentlichkeit an" (S. 478). Abel betont weiter (S. 499), "daß die Fiktion sich nur auf die literarische Einkleidung bezieht, im übrigen aber das Leben, das der Autor und seine Freunde führen, mit großer Treue gespiegelt wird." Auch Maurach (1970), S. 181, spricht von "Kunstbriefen" , die keine "Briefsammlung im eigentlichen Sinne" seien; ähnlich Knoche, Ulrich eI987): Der Gedanke der Freund-schaft-in Senecas Briefen art LuciJius. In: Maurach',' Gregor'(Hg;)~ Se-nccaalsPhilosoph. Dannstadt, S. 152. - Cancik (1967), S. 53f., hält die "historische Frage als solche",ob der Briefwechsel echt sei, "mit unseren Mitteln" kaum entscheidbar, geht aber in ihrer Untersuchung ebenfalls von einer literarischen Form aus. - Grimal (1978), S. 155ff., entscheidet sich dagegen für die Faktizität des Briefwechsels. Die Briefe stellten ein philosophisches Tagebuch für das Leben zwischen dem Abgang vom Hof und Senecas Tod dar. - Ein detaillierter Überblick über die Forschungsmeinungen [mdet sich bei Abel (1981), S. 472f. 6
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S. dazu Abel (1981), S. 490ff. Hadot, P. (1991), S. 15: "Die Stoiker [...] bekunden es ausdrücklich: Für sie stellt die Philosophie eine 'Übung' dar. In ihren Augen besteht die Philosophie nicht in der Lehre einer abstrakten Theorie, noch weniger in der Auslegung von Texten, sondern in einer Lebenskunst, einer konkreten Haltung, einem festgelegten Lebensstil, der sich auf die ganze Existenz auswirkt."
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Sen., ep. 16, 3: non in verbis, sed in rebus.
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Sen., ep. 16, 3: animum formal el jabrieal. vilam disponit. aetiones regit. agenda et omittenda demonstrat. [. .. j. Sine hae nemo intrepide potest vivere. nemo seeure. Sen., ep. 16, 5.
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facen! docet philosophia, non m.cere: et hoc e~git, ut ad legem .soom ~uisque .vivat, ne orationi vita dissentiat aut lpsa znter se VIta,
unus Slt omnzum actlOnum color <sit>.J1
Nicht das einfache Wissen dfufe das Produkt und der Zweck des Philosophierens sein, sondern Verhaltensweisen, die von diesem Wissen durchdrungen und eingefärbt sind. Die 124 Briefet:z erwecken so den Eindruck, als seien sie in ihrer Gesamtheit unzusammenhängend und ohne klare gedankliche Bezüge untereinander. 13 Eine Struktur oder gar eine systematische Anordnung der Briefe läßt sich auf den ersten Blick nicht erkennen. Viele Briefe beschäftigen sich mit ganz konkreten Anlässen und Ereignissen. Scheinbar wahllos fmden die verschiedensten Themen in Senecas Briefen Eingang: das Reisen,14 das Erröten,ts die Saturnalien,t6 die Behandlung von Sklaven,t7 das Leben in Baiae,18 der Tafelluxus,19 der Brand von Lugdunum (dem heutigen Lyon);20 die Reihe ließe sich weiter fortführen. Andere Briefe beinhalten bestimmte Erlebnisse Senecas: eine stürmische Schiffsreise in der Bucht von Neapel, die den Philosophen seekrank machte;21 eine Fahrt durch den Tunnel von Neapel, bei der ihn ein seltsames Gefühl beschlich, "eine Art von Eindruck auf meine Seele und eine, ohne Furcht, Wandlung, die des ungewohnten Erlebnisses Neuigkeit und zugleich Häßlichkeit bewirkt hatte."22 Auch Briefe mit rein philosophischen Inhalten fehlen nicht. Ausgiebig beschäftigt sich Seneca unter anderem mit dem Wirken der Vernunft (ratiO),23 mit dem Wert der sittlichen Vollkommenheit (virtus),24 mit der
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Sen., ep.20, 2..-
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Der 125. Brief, der von Gellius, Attische Nächte, 12, 2-3, zitiert wird, ist dabei nicht mitgezählL Gerade diese Tatsache kann schnell dazu verleiten, die Briefe als Bestandteil eines tatsächlich stattgefundenen Briefwechsels anzusehen. Sen., ep. 2; 28. Sen., ep. 11. Sen.. ep. 18. Sen., ep. 47.
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lS 16
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Sen.• ep. 51: 56. Sen., ep. 60. Sen., ep. 91. Sen., ep. 53. Sen., ep. 57, 3: sensi quendam ictum animi et sine metu mutationem, quam insolitae rei novitas si"}ul ac foeditas fecerat. Sen., ep. 37; 38.
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Einübung des Todes,2S mit sophistischen Spielereien,26 mit der Philososphie des Platon,27 des Quintus Sextius,28 des Aristori9 und des Fabianus Papirius30 sowie mit dem Einüben des Scharfsinns31 • Eine klare Konzeption des Briefkorpus läßt sich aber auch hier kaum erkennen. Die Art und Weise, wie denn Seneca den Lucilius in die Kunst des stoischen Lebensstils einweisen will, ist weder aus dem Inhalt noch aus der Anordnung der Briefe sofort ablesbar. In der scheinbaren Strukturlosigkeit des Briefkorpus manifestiert sich jedoch eine recht eindeutige Praktik, die es näher zu untersuchen gilt. Sie entfaltet sich nicht auf einer sprachlich-systematischen Ebene, sondern im Ablauf der senecanischen Rede selbst. Hier zeigt sie auch, was sie bezweckt. Seneca lenkt die Blicke des Lucilius zunächst auf die allgemeinen und persönlichen Lebensumstände des Subjekts. Im Mittelpunkt steht das gesellschaftliche Umfeld, mit dem sich der Leser seiner Briefe tagtäglich auseinanderzusetzen hat. Ausführlich beschäftigt sich Seneca mit dem senatorischen Lebensstil. Kann dieser das Subjekt glücklich machen? Die Frage wird von Seneca entschieden verneint: Die purpurgesäumte Toga wird es nicht machen: [...] Der Ruf wird es nicht machen noch dein prunkvolles Auftreten noch die über die Völker verbreitete Kenntnis deines Namens: [...] Nicht die Schar der Sklaven, deine Slinfte über Wege in Stadt und Land tragend: [...].
Praelexla non/adel: [...J Fama non/aciel nec oslenlatio tui el in populos nominis dimissa notitia: [...J Non turba servorum lecticam tuam per itinera urbana ac peregrina portantium: [...J. 31
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Sen., ep. 66; 71; 74; 92.
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Sen., ep. 26; 30; 54; 61; 82; 101.
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Sen., ep. 49; 111; 113; 117.
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Sen., ep. 58.
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Sen., ep. 64.
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Sen., ep. 94. Sen., ep. 100.
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Sen., ep. 109.
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Sen., ep. 31, 10. Seneca umschreibt hier das Glücklich-Sein mit einem Gott-ähnlichSein. An dieser Stelle zeigt sich auch, daß das Briefkorpus an eine Öffentlichkeit gerichtet ist. Seneca spricht explizit von senatorischen Ehren, Lucilius aber war ein Ritter (s. ep. 44, 2). Wäre der Brief wirklich an Lucilius gerichtet gewesen, ginge Senecas Rede an den Lebensumständen des Ritters völlig vorbei. Auch die Erklärung, Seneca wolle Lucilius in diesem Brief davon abhalten, sich um die senatorische Laufbahn zu bemühen, greift zu kurz, da er die philosophische Übung vernachlässigt, die sich in dieser Unterweisung ausdrückt.
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Die aristokratische Lebensweise, so Seneca, sei nicht erstrebenswert und in manchen Fällen sogar gefährlich. Freundschaften würden nur aus Geldgier gesucht,33 Einfluß und Macht seien nur flüchtig und niemals gesichert. 34 Der allgemeine (senatorische) Lebensstil, so lautet Senecas Fazit, sei eine Lebensform, "die niemals dir ein Ende des Elends und der Sklaverei von sich aus setzen wird. ,,35 Alles das, was die senatorische Existenz auszeichnete - weit verzweigte Freundschaften, Ämter, Gastmähler, Auftritte auf dem Forum, in der Kurie oder bei Spielen - erfahrt in den ersten Briefen an Lucilius eine radikale Umwertung seiner Bedeutung. 36 Was bisher das Leben bestimmte, wird jetzt zu einer Belanglosigkeit zurückgestuft, gegenüber der sich das Subjekt völlig gleichgültig zu verhalten hat. 37 Dementsprechend kritisch beurteilt Seneca auch die Meinungen und die Ansichten der Mitmenschen: Das gewährleiste mir: sooft dich [Menschen] umstehen, die dir einreden wollen, du seiest unglücklich - nicht, was du hörst, sondern was du empfmdest, bedenke, und mit deiner Geduld überlege und frage dich selbst, der du deine Eigenart am besten kennst: Was ist es, weswegen diese Leute mich bedauern? Was ist es, daß sie unruhig sind, daß sie sogar die Berührung mit mir fürchten, als ob ein Unglück überspringen könnte? [...] Selber frage dich: vielleicht quäle ich mich ohne Grund und trauere und mache, was nicht schlimm ist, erst dazu?
IlIud praesta mihi, ut, quotiens circumsteterint, qui tibi te miserum esse persuadeant, non quid audias. sed quid sen/ias. cogi/es e/ eum patientia tua deliberes ae /e ipse in/erroges, qui tua optime nosti: quid est, quare isti me complorent? Quid est, quod trepident, quod contagium quoque mei timeant. quasi transilire calamitas possit? [ ...] Ipse te interroga: numquid sine causa crucior et maereo et quod non est malum./acio?31
"der
Keinen Anlaß gebe es, sich einreden-'zu lassen, sei glücldich,der -von vielen belagert wiTd"39~ .L~cilius~ -söSene~a,- müsse lernen, sich in seinem eigenen Verhalten von den Ansichten seiner Umwelt unabhängig zu machen. Nicht der eigene Lebensstil sei falsch, wenn er den allgemeinen Konventionen widerspricht, sondern die Konventionen selbst Unterwerfe man sich erst einmal der allgemeinen Meinung, sei man auch den Gerüchten
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3' 36
Sen., ep. 19, 4. Sen., ep. 21,6. Sen., ep. 19,6: quae numqUilm tibi terminum miseriarum ac servitutis ipsa/actura si!. Grundlage dieser Umwertung war die stoische Lehre von den indifferentia; s. dazu Cancik (1967), S. 121ff. - Hadot, P. (1991), S. 77ff.
31
S. auch Maurach (1970), S. 33ff., 66f. Sen., ep. 13, 6.
39
Sen., ep. 36, 2: eum esse /elicem. qui a multis obsidetur.
37
170
hilflos ausgeliefert. Anstatt das zu widerlegen, "was uns in Furcht versetzt", zittere man davor und lasse sich von den Gerüchten so erschrecken40 , daß "sich in Furcht ein kleines Bedenken" verwandelt. 41 Noch am Ende des Briefkorpus weist Seneca den Lucilius darauf hin, daß es falsch sei, den eigenen Lebensstil der Meinung der anderen anzupassen: Du hast keinen Grund, die zu beneiden, die die Menge groß und glücklich nennt, keinen Grund, daß dir die Verfassung und Gesundheit einer wohlgeordneten Seele der Beifall ins Wanken bringt, keinen Grund, daß dir deine Seelenruhe verleidet jener Mann, der hinter den Rutenbündeln im Purpur einherschreitet, keinen Grund, daß du für glücklicher den hältst, dem man Platz macht, als dich, den der Liktor vom Weg verweisL
non eSI quod invideas islis quos magnos felicesque populus vocat, non est quod libi compositae mentis habitum et sanitatem plausus excutiat, non est quod tibi tranquillitatis tuaefastidiumfaciat iIle sub illisfascibus purpura cultus, non est quodfeliciorem eum iudices cui summovetur, quam te quem lictor semita deicit. 41
Senecas Ratschläge führen zunächst zu einer völligen Desorientierung des Subjekts. 43 Sein ganzer gewohnter Lebensstil wird destruiert; in ihm erscheint eine grundlegende Differenz. Mit der radikalen Abwertung der gewohnten Lebensweisen konstituiert sich vor den Augen des Subjekts zunächst ein Außen, das plötzlich etwas völlig anderes sein soll als sein eigentliches Leben, in dem ihm Sinnhaftigkeit und Glück widerfährt. Ausgerechnet das gesellschaftliche Umfeld, nach dem es bisher sein Leben ausrichtete, verliert seine ganze existentielle Besetzung.44 Praktiziert das Subjekt diese philosophische Übung, so verschwindet damit die Institution, die seinem bisherigen Lebensstil die notwendige Anerkennung zugesprochen .. hat. Die Meinung deraristokr~!ischen Stand~lcollegeIJ,. die über die Richtigkeit und Angemessenheit des Verhaltens urteilten, -gehört von -aneinem Außen an, das für das eigene Leben gleichgültig und unwichtig zu sein hat. Konsequemerweise muß sich das Subjekt zugleich der entschiedenen Gegnerschaft eben dieses Umfeldes ausgesetzt sehen, da es sich des-
nun
40
41
42 43
44
Sen., ep. 13,8: quae nos in metum adducunt. Sen., ep. 13, 13: in timorem vertit scrupulus. Sen., ep. 94, 60. Mawach (1970), S. 93: "Zunächst wurde abgebaut: die vana müssen [...] verlassen werden, die fremden Dinge muß man fahren lassen." Maurachs Beschreibung trifft nicht ganz den Kern der Sache. Die Dinge waren für das Subjekt eben nicht fremd, sie mußten durch philosophische Übungen erst fremd gemacht werden! Hadot, P. (1991), S. 16, betont für die philosophischen Übungen der Antike allgemein, daß es sich dabei "um eine völlige Umkehrung der geläufigen Art, die Dinge zu sehen", handelt.
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sen Konventionen zu entziehen versucht. Die. Differenz im. eig~nen Leben lind zum Lebensstil der anderen (Senatoren) wrrd auch für die Mltmenschen sichtbar. Seneca warnt seinen Freund daher eindringlich, sich mit seiner neuen Lebensweise nicht dem Haß, der Mißgunst und der Verachtung seiner Umwelt auszusetzen.4S Die Philosophie habe man ruhig und zurückhaltend zu betreiben.46 Wenn sich aber in dem gewohnten Umfeld, das jetzt der Belanglosigkeit anheimgefallen war, potentieller Widerstand breitmachte, auf wen oder auf was hatte das Subjekt sein Streben stattdessen zu richten? Die Position des Beobachters der eigenen Verhaltensweisen war vakant geworden. Dem gewohnten senatorischen Lebensstil und der damit verbundenen Tyrannei der Meinungen stellt Seneca zwei klare Alternativen entgegen. Die eine konkretisiert sich in der Auswahl der Freunde: Aber wenn du einen für deinen Freund hältst, dem du nicht ebensoviel vertraust wie dir, irrst du gewaltig und kennst nicht genug die Kraft wahrer Freundschaft. Ja, in
allem berate dich mit deinem Freund, aber über ihn vorher: nachdem eine Freundschaft geschlossen, muß man vertrauen, vorher urteilen.
Sed si aliquem amicum existimas. cui non tantundem credis quantum tibi. vehementer erras et non satis nosti vim verae amicitiae. Tu vero omnia cum amico delibera. sed de ipso prius: post amicitiam credendum est. ante amicitiam iudicandum:'
Den aristokratischen Freundschaften, die allgemein als 'politische' Freundschaften bezeichnet werden, stellt Seneca ein ganz anderes Modell des freundschaftlichen Umgangs entgegen. Nicht der gegenseitige Nutzen sei die Essenz der Freundschaft, sondern die Bereitschaft zur völligen Aufopferung für den anderen:
zu
Wozu mache ich jemanden zUm Freüfide?Uffi einen Menschen- haben. für den ich . sterben kann; um einen Menschen zu haben, dem ich in die Verbannung folge, dessen Tod ich mich entgegenstellen und für den ich mich aufopfern kann: [...].
In quid amicum paro? Ut habeam pro qua mori passim. ut habeam quem in exilium sequar. cuius me morti et obponam et impendam: [...J:8
Seneca verkündet hier die Maxime der Kommunikation innerhalb der stoischen 'Sekte' selbst. Sie ist nicht auf eigenen Vorteil und Berechnung ausgerichtet, sondern im Gegenteil auf "Gemeinsinn, Freundlichkeit und Zu-
4.5 46 47
48
Sen., Sen., Sen .• Sen.,
172
ep. ep. ep. ep.
14, 10; s. auch ep. 5. 14, 11. 3, 2.
9, 10.
sammengehörigkeitsgefühl"49. Für das Subjekt eröffnet sich so in klarer Abgrenzung zu den herkömmlichen Beziehungen ein neuer Raum, in dem es seinen stoischen Lebensstil anhand entsprechender 'freundschaftlicher' Umgangsformen einüben kann. 50 Auch versäumt es Seneca nicht, einen neuen Beobachter des Verhaltens als zweite Alternative vorzustellen. Schon im elften Brief legt Seneca dem Lucilius einen Satz Epikurs ans Herz: "Einen Mann von Wert müssen wir hochachten und uns stets vor Augen halten, damit wir so, als schaue er uns zu, leben und alles, als sähe er es, tun. ,,51 Einen "Wächter" solle man sich nehmen, um vor ihm das eigene Verhalten zu rechtfertigen. "Nötig ist, sage ich, jemand, bei dem unser Charakter sich selber prüfen kann: [... ].,,52 Ein Cato oder ein Laelius könne das durchaus geeignete Vorbild sein, dem man nachzueifern habe: Wähl daher Cato aus: wenn er dir vorkommt allzu unbeugsam, wähl als Mann von nachgiebigerer Gesinnung Laelius. Wähl den, bei dem dir gefällt Lebensform und Art zu sprechen und das Gesicht selbst, die Gesinnung in sich zeigend: ihn halte dir stets vor Augen als Wächter oder als Beispiel.
Elige itaque Catonem; si hic tibi videtur nimis rigidus, elige remissions animi virum Laelium. Elige eum, euius tibi placuit et vita et oratio et ipse animum ante se ferens vultus: ilIum tibi semper ostende vel custodem vel exemplum.53
In regelmäßigen Abständen betont Seneca immer wieder, wie wichtig es sei, die eigene Lebensweise von einem "Wächter" beaufsichtigen zu lassen. 54 Es muß also einen Wächter geben, und er soll uns immer wieder am Ohr ziehen, femhalten das Gerede und widersprechen dem gleisnerisch lobenden Volk. Du irrst nämlich, wenn. du meinst, mit uns entstünden die Fehlhalwngen: sie überkommen uns, sinduns-aufgenötigt Daher sollen mit häufigen ErmaImungendie G~chte, die uns umschwirren, vertrieben werden, damit wir sie zum Versüimmen bringen. -
49
Sen., ep. 5, 4: sensum communem. humanitatem et eongregationem.
50
Knoche e1987) bestimmt ausschließlich den Begriff der Freundschaft. Die konkreten Verhaltensweisen, die 'Freundschaft' in der stoischen 'Sekte' begründen, fmden in seine Untersuchungen keinen Eingang. Zur Auseinandersetzung mit dem Begriff der Freundschaft s. auch: Brinckmann, W. (1963): Der Begriff der Freundschaft in Senecas Briefen. Diss. Köln. - Maurach (1970), S. 33ff.
51
52 53
S4
Sen., ep. 11, 8: Aliquis vir bonus nobis diligendus est ac semper ante oeulos habenLius, ut sie tanquam iIIo spectante vivamus et omnia tamquam illo vidente faciamus. Sen., ep. 11, 10: Opus est, inquam, aliquo, ad quem mores nostri se ipsi exigant: [ ...]. Sen., ep. 11, 10; zum exemplum s. Cancik (1967), S. 24ff. Maurnch (1970), S. 15, verweist auf das Element der Wiederholung, durch die die wichtigsten Grundthemen "'eingehämmert'" werden.
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Sit ergo aliquis custos et aurem suhinde pervellat abigatque rumores et reclamet populis laudantibus. Erras enim si existimas nobiscum vitia nasci: supervefU!runt. ingesta sunt.ltaque monitionibus crebris opiniones quae nos circumsonant. repellantur. compescamus. ss
Ein "Wächter" beaufsichtigt die Ablösung von einem anderen "Wächter". Das Beobachtet-Werden als solches bleibt weiter bestehen; es ändert sich jedoch die Qualität des Beobachters. War dieser in der Meinung der Mitmenschen sehr real vorhanden, so existiert er jetzt nur noch imaginär in der Vorstellung des Subjekts. Die Entscheidung über richtig und falsch, über gut und böse fmdet nicht mehr in der Kommunikation mit den anderen statt, sondern im Subjekt selbst, indem dies sein Verhalten an einer vorgestellten Persönlichkeit mißt. Im Verlauf des Briefkorpus nimmt die imaginäre 'Person' des Beobachters fast unmerklich eine andere Gestalt an. Werden in den ersten Briefen konkrete historische Persönlichkeiten wie Cato oder große Philosophen zu Leit- und Vorbildern erkoren, so versucht Seneca schon bald, auch diese "Wächter" von ihrem Sockel zu stoßen: Es nützt ohne Zweifel, einen Wächter sich zu setzen und jemanden zu haben, auf den du blickst, der an deinen Erwägungen teilnimmt, wie du weißt. Das freilich ist bei weitem großartiger, so zu leben, als wie unter eines guten Mannes und stets gegenwärtigen Augen; aber ich bin auch damit zufrieden, daß du SO handelst - was immer du tust -. als schaue jemand zu: zu allem Schlechten beredet uns die Einsamkeit. Wenn du bereits so weit vorangekommen bist, daß du auch Ehrfurcht vor dir selber hast, wirst du entlassen können deinen Lehrer: [... ].
Prodest sine duhio custodem sibi imposuisse et habere quem respicias. quem interesse cogitationibus tuis iudices. Hoc quidem longe mognijicentius est. sic vivere --Iamquarn sub- alicuius-boni vir-i-ac Sempe7:--prQesentis oculis;sed ego -ettam-hoi coii" ' . lentus sumo ut sie facias. quaecumque facies. lamquam spectet aliquis: omnia hobis mola solitudo persuadet. Cum iam profeceris tantum. ut sit tibi etiam tui reverentia. licebit dimittas paedagogum: [, ..1. 56
Männer wie Cato, Scipio oder Laelius seien zwar besser als das unmittelbare Umfeld des Subjekts, aber dennoch nur ein Provisorium. Schon bald beginnt Seneca den erneuten Wechsel in der Beobachterposition durchzuführen. Bezüglich der Sinnsprüche verschiedener Philosophen, die er dem Lucilius regelmäßig am Ende der Briefe mit auf den Weg gegeben hatte, bemerkt Seneca, daß sie zwar für eine gewisse Zeit durchaus nützlich sein könnten, daß es aber falsch sei, "von einem Vorbild abhängig zu sein und
55
Sen., ep. 94, 55; s. auch ep. 83, l.
56
Sen., ep. 25, 5f. - Maurach (1970), S. 101: "So wird nun der Fortschreitende zum eigenen CUSlOS, wodurch ep. 11 überhöht und überholt wird."
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so oft sich umzusehen nach dem Lehrer."57 Stattdessen habe man sich nunmehr auf sich selbst zu stützen. 58 In der Folge verzichtet Seneca konsequent auf die am Ende der Briefe stehenden Sinnsprüche - und führt einen neuen Beobachter des eigenen Lebensstils ein: "ein heiliger Geist wohnt in uns, unserer schlechten und guten [Taten] Beobachter und Wächter: wie er von uns behandelt wird, so behandelt er selber uns."59 Hier ist der Beobachter unmittelbar verbunden mit der eigenen Person, mit der ganzen eigenen Existenz. Die Position des "Wächters" hat sich endgültig von einem unwichtig gewordenen Außen wegverlagert; sie befindet sich nun unauswechselbar im Subjekt selbst. 60 Völlig überflüssig werden die Leitbilder damit aber nicht. Auch in späteren Briefen verweist Seneca auf die Wichtigkeit von exempla, an denen das Subjekt sein Verhalten ausrichten kann,61 nur sind sie jetzt nicht mehr als Hilfsmittel. Als letztgültige Instanz über Gut und Böse haben sie ausgedient, hat sich das Subjekt erst einmal ganz dem stoischen Lebensstil verschrieben: Wie jedes Wesen das ihm eigene Gut nur in der Vollendung hervorbringt, so gibt es des Menschen Gut bei ihm allein dann, wenn dort die Vernunft vollkommen ausgebildet ist. Was aber für ein Gut? Ich will es sagen: ein freier Geist, aufrecht, anderes sich unterwerfend, sich selbst niemandem.
57
'8 59
Sen., ep. 33,~:_ad_e.x.!!"pJar_pe.!!c~re _er totiens rR.Spicere adJMgistr.wn. Sen., ep. 33, 7. Sen., ep. 41, 2: sacer intra nos spiritus sedet, mIllorum bonorumque nostrorum observa-
tor et custos: hic prout a nobis tractatus est. ita nos ipse tractat. 60
61
In diesem Zusammenhang wird in der Regel von 'Verinnerlichung' gesprochen; s. z. B. Cancik (1967), S. 133. Sie versteht unter 'Verinnerlichung' "eine Verwerfung, Umwertung und Neuaneignung geheiligter aber erstarrter Wette in einem neuen 'verinnerlichten' Verständnis." Hadot, Dsetraut (1969): Seneca und die griechisch-römische Tradition der Seelenleitung. Berlin, S. 27f., verwendet den Begriff der 'Seelenleitung' . Beide Kategorien können im Rahmen des methodischen Konzepts der vorliegenden Untersuchung nicht verwendet werden. Zum einen rekurrieren diese Termini auf das Paradigma des autonomen Subjekts. I. Hadots Begriff der 'Seelenleitung' inlpliziert beispielsweise, daß eine an sich unveränderliche Seele von als falsch erkannten Wetten weg und zu den richtigen, wahren Werten hingeführt wird. Ähnliche Schlußfolgerungen läßt Canciks Begriff der 'Verinnerlichung' zu. Wenn 'Verinnerlichung' die Bewegung von 'äußerlichen' Werten in ein schon vorhandenes 'Innen' bedeuten soll, dann liegt auch hier die Vorstellung eines autonomen Subjekts vor. Zum anderen verleiten beide Tennini dazu, dieses 'Innen' mit der Aura eines transhistorischen natürlichen Objektes zu umkleiden. S. z. B. Sen., ep. 104, 2lf.
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Quemadmodum omnis natura bonum suum nisi eonsummata non pro/ert, ita hominis bonum non est in homine nisi eum illie ratio perfeeta est. Quod autem hoe bonum? Dieam: liber animus, ereetus, alia subiciens sibi, se nu1li.62
Das stoische Subjekt übt die Kontrolle über das eigene Verhalten selbst aus. Es praktiziert eine Selbstbeobachtung.63 Entsprechend den verschiedenen "Wächtern", die in Senecas Briefen die Position des Beobachters einnehmen, ordnen sich auch die Übungen an, mit Hilfe derer sich das Subjekt einen stoischen Lebensstil aneignen soll. Ein Cato oder die Gemeinschaft vergangener philosophischer Größen beobachtet noch einen Lucilius, der sich darum bemüht, Abstand von seiner gewohnten Lebensweise zu gewinnen. Die Realität des alltäglichen Lebens und ihr Bezug zum Subjekt ist hier das eigentliche Thema der senecanischen Rede. In dem Maße aber, wie auch diese imaginären "Wächter" um ihre kontrollierende Funktion gebracht werden, wird das Umfeld des Subjekts als unmittelbares Objekt philosophischer Übungen immer mehr in den Hintergrund gedrängt. Die Briefe, die sich mit der Behandlung von Sklaven, mit dem Leben in Baiae, mit Erlebnissen auf Reisen und mit Schilderungen von scheinbar ganz unwichtigen Eindrücken beschäftigen, finden hier als Materie spezieller stoischer Übungen ihre konkrete Zuordnung im gesamten Briefkorpus. Die verschiedenen alltäglichen Begebenheiten werden als Anlaß benutzt, durch die der Sinn und die Zielsetzung der stoischen Lehren verdeutlicht werden kann. Zum Schluß bestimmen fast ausschließlich philosophische Gedankengänge den Inhalt der Briefe. Beginnend mit der Bestimmung dessen, was die Aufgabe der Philosophie ausmacht, über die Einführung in die Grundfragen des Philosophierens und des philosophischen Lebensstils bis hin. zum Einüben des Scharfsinns beschäftigt sich· Seneca mit immer abstrakt~r-an;n~t~~den-ThemeQ. Auch sie entsprechen genau dem Modus der Verhaltenskontrolle, den das Subjekt einüben soll. Wer sein Verhalten der Selbstbeobachtung überantworten will, braucht dafür eine im Scharfsinn geübte Vernunft. Die Auseinandersetzung mit der Realität ist in diesem Stadium der stoischen Übungen überflüssig, ja sogar störend. Das Subjekt
62 63
Sen., ep. 124, 11f. Die Deutung von Oppenheim, David E. f1987): Selbsterziehung und Fremderziehung nach Seneca. In: Maurach, Gregor (Hg.): Seneca als Philosoph (WdF Bd. 414). Darmstadt, S. 188, wird den sozialen und habituellen Rahmenbedingungen nicht gerecht. "Fremderziehung" und "Selbsterziehung" sind bei Oppenheim in der historischen Realilät schon vorhandene Kriterien, zwischen denen das Subjekt jederzeit wählen kann. Hier soll dagegen gezeigt werden, daß genau dies nicht der Fall ist. Es geht nicht um die Entscheidung zwischen diesen beiden Möglichkeiten, sondern überhaupt erst um die Etablierung.einer Praktik, die dann - wenn man will - als "Selbsterziehung" bezeichnet werden kann.
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hat sich durch entsprechende Übungen so weit von seiner Umwelt gelöst, daß es in diesem Bereich nicht mehr an sich arbeiten muß. Allerdings versäumt es Seneca nicht, die konkreten Lebensumstände in regelmäßigen Abständen anzusprechen. Gerade als es darum geht, den stoischen Lebensstil durch die Einübung des Scharfsinns zu vervollkommnen, gewinnt das Verhältnis dieses Lebensstils zu seinem Umfeld schlagartig und erneut Aktualität. Jetzt müsse man sich erst recht darum bemühen, so Seneca, nicht die Mißgunst der Mitmenschen zu erwecken. Seneca. gibt dem Lucilius daher zum wiederholten Male den Rat, seinen philosophischen Lebensstil möglichst unauffällig zu führen: Mit der Philosophie darfst du dich nicht brüsten: viele Gefahren birgt sie, wenn man übermütig mit ihr umgeht und herablassend. Dir soll sie die Fehler nehmen, nicht anderen vorwerfen; sie soll nicht in Gegensatz stehen zu den allgemeinen Verhaltensweisen und nicht den Anschein erwecken, sie verurteile, was immer sie nicht tut.
Philosophiam non debebis iactare: multisfuit periculis insolenter trac/ata et contumaciter. Tibi vitia detrahat. non aliis exprobret; non abho"eat a publicis moribus nec Me agat ut quidquid non/acit. damnare videatur. 64
Wenig später macht Seneca noch einmal darauf aufmerksam, daß man zu jeder Zeit mit der Mißgunst und dem Haß seiner Umgebung zu rechnen habe. Der Rat bleibt derselbe: "Der Mißgunst wirst du entgehen, wenn du dich den Blicken nicht aufdrängst, wenn du mit deinen Gütern nicht angibst, wenn du es verstehst, dich im stillen daran zu freuen."65 Die Umwelt des Subjekts gewinnt am Ende des Briefkorpus ein ganz andere Qualität. Während sie in den ersten Briefen noch den gesamten Inhalt und die ganze Zielsetzung der stoischen Übungen bestimmt, bleibt sie hier nur deswegen noch erwähnenswert; weil sie bei einer·falschen Darstellung der neuen Lebensweise für das Subjekt gefährlich werden kann. An sich aber ist sie in der Tat belanglos, als Objekt philosophischer Übungen im Grunde genommen gar nicht existent. Die Meinung der Zeitgenossen als "Wächter" des eigenen Verhaltens hat endgültig abgedankt. Das Subjekt beschäftigt sich weitgehend mit sich selbst. In Senecas Briefen ad Lucilium entfaltet sich eine Praktik, die sich nach Michel Foucault als "Sorge um sich" umschreiben läßt. 66 In ihnen manife-
64 6S
66
Sen., ep. 103, 5. Sen., ep. 105, 3: Invidiam ejfugies si te non ingesseris oculis, si bona tua non iactaveris, si scieris in sinu gaudere. Zur Definition der "Sorge um sich" s. Foucault, Michel (1986): Sexualität und Wahrheit. Bd. 3: Die Sorge um sich. Frankfurt a. M., S. 60. Foucault sieht in der "Sorge um sich" das lenkende Prinzip einer '''Kultur seiner selber' [...l, in welcher die Beziehungen eines [Subjekts, D. B.l zu sich selber intensiviert und aufgewertet worden sind." Die "Sorge
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stiert sich nicht einfach ein philosophischer Diskurs um seiner selbst bzw. einer Wahrheit und ihrer systematischen Erklärung willen. Senecas Rede ist vielmehr selbst Bestandteil eines komplexen Gebildes von philosophischen Techniken der Verhaltensformung. Jedes Wort in den Briefen zielt primär nicht auf einen abstrakten Bedeutungsinhalt, sondern auf eine konkrete Lebensweise; im Grunde genommen ist es selbst schon Bestandteil dieses stoischen Lebensstils. 67 Auch die Briefe, in denen sich Seneca explizit mit philosophischen Teilgebieten wie etwa der Dialektik68 beschäftigt, gewinnen ihre Funktion ausschließlich in bezug auf die Techniken, durch die das Verhalten des Subjekts verwandelt werden soll. Die verschiedenen stoischen Übungen sollen den Bezug des Subjekts zu sich selber konstituieren, kultivieren und stärken. Ohne daß sich die historischen Subjekte dessen bewußt gewesen wären, zielte diese Praktik damit auf eine Verhaltens disposition, die sich im veränderten aristokratischen Funktionszusammenhang in eine Disposition-fÜT-Angst transformiert hatte. Durch die Benennung und gleichzeitige Disqualifizierung eines Außens als sanktionierende Institution des Verhaltens und durch die Inthronisierung 'imaginärer' Beobachter wurde die Disposition-des-inszenierten-Außenbezuges verwandelt in eine Dispositionzur-Selbstbeobachtung. Die stoische 'Sekte' stellte dafür den notwendigen Raum und die notwendigen Techniken, d. h. Übungen zur Verfügung. Durch die Kommunikation ihrer Mitglieder untereinander lieBen sich die neuen Verhaltensweisen gezielt einüben. Die Mitglieder der 'Sekte' konnten sich gegenseitig ermuntern, stärken, aber auch kritisieren69 • In seiner Korrelation zur Unangemessenheit der Disposition-des-inszenierten-Außenbezuges gewinnt das stoische Philosophieren seinen spezifischen Ort in der aristokratischen -Oemeihschaft.C:
um sich" soll hier allerdings von ihrem bei Foucault auf das Gebiet der sexuellen Praktiken begrenzten Kontext entbunden und auf das allgemeine Gebiet der sozialen Verhaltensweisen übertragen werden. ~ Hadot, P. (1991), S. 69-98, weist dies am Beispiel von Mare AnreIs "Ennahnungen an sich selbst" nach. 68 Sen., ep. 45i 48; 49; 82; 83; 85; 87; s. dazu Cancik (1967), S. 35ff. 6\1 S. z. B. Sen., ep. 32; 34; 46; 59.
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Die stoische 'Sekte' in der aristokratischen Gemeinschaft: 'Therapie', Egalität und Maskerade Dieser besondere Ort stoischen Philosophierens läßt sich in seinem Verhältnis zum Ensemble senatorischer Verhaltensmuster noch genauer beschreiben. Zunächst fanden senatorische Verhaltensdispositionen, die bestimmte aristokratische Umgangsformen bestimmten, in der stoischen 'Sekte' einen neuen Raum zur Entfaltung. Der Prozeß und die Organisation der Verhaltensformung erinnern in ihrer Struktur an gewisse senatorische Praktiken. Seneca unterscheidet drei Gruppen von "Fortschreitenden" - projicientes -, die sich mit stoisch-philosophischen Übungen beschäftigen. 7o "Erste sind, die die Weisheit noch nicht besitzen, aber bereits in ihrer Nähe Fuß gefaßt haben: Trotzdem ist auch, was nahe ist, draußen. ,071 Der zweiten Gruppe gehören solche Leute an, "die die größten seelischen Krankheiten und Leidenschaften abgelegt haben, jedoch so, daß ihnen ihrer Sorgenlosigkeit Besitz noch nicht verläßlich ist: sie können nämlich in dieselben Fehler zurückfallen."72 Das Subjekt, das schließlich in die dritte und letzte Gruppe der projicientes aufgestiegen ist, "hat zahlreiche und bedeutende Fehlhaltungen hinter sich, jedoch nicht alle.,,73 Unter der Gruppe der Fortschreitenden stehen diejenigen, die den Fehlhaltungen, d. h. einem falschen Lebensstil, ganz ausgeliefert sind. Wer diesen dagegen völlig und für alle Zeit abgelegt hat, verläßt die Gruppe der projicientes und kann sich sapiens74 nennen. In den verschiedenen Stufen der Verhaltensformung - vom imperjectus über den projiciens bis zum sapiens - zeigt sich ein differenziertes Rangsystem mit philosophischer Codierung. Es entspricht damit in auffälliger Art und Weise- der Äm1er1aufbannuder dertaffgdifferenzteNhWdiecift 'der-senatöt1-:O sehen Sitzordnung im Senat zum Ausdruckkaiil.-nie Mitglieder' derstoi-
10
Sen., ep. 75, 8; zum 75. Brief s. Maurach (1970), S. 159ff.
11
Sen., ep. 75, 9: Primi sunt, qui sapientiam nondwn habent. sed iam in vicinia eius constiterunt: tamen etiam quod prope est. extra est. Sen., ep. 75, 13: Secundum genus est eorum qui el maximLJ animi mLJla et affectus deposuerunt. sed ita. ut non sit illis securitatis suae certa possessio: possunt enim in eadem relabi. Sen., ep. 75, 14: extra mulla el mLJgna vitia est. sed non extra omnia. Hadot, I. (1969), S. 73, ordnet den drei Gruppen der proficienles jeweils eine bestimmte Art von Übun-
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gen zu: die erste Gruppe der Übungen beschäftigt sich mit der Aneignung von Wissen, in der zweiten geht es um die Einprägung des Wissens durch Übung und Gewöhnung, in der dritten schließlich um die aktive Bewährung des Wissens. 74
Der sapiens war allerdings eher ein Ideal als eine tatsächlich zu erreichende höchste Stufe des stoischen Lebensstils.
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sehen 'Sekte' durchliefen bei ihren philosophischen Übungen genauso wie die jungen Senatoren verschiedene Ränge, nach denen sich ihr Prestige in der Gemeinschaft gestaltete. Alte angesehene Senatoren, meistens waren sie Konsulare, wiesen die iuvenes in die komplizierten Umgangsformen im Senat ein. Proficientes höherer Stufen unterrichteten neue Anhänger ihrer Gemeinschaft in den Zielsetzungen philosophischer Übungen. Im Gegensatz zum senatorischen Rangsystem des frühen Prinzipats funktionierte das der stoischen 'Sekte' ohne große Widerspruche. Die eigene Leistung entschied über das Vorankommen im System, nicht die Fürsprache weniger oder gar eines einzigen; der Lehrer konnte eingeholt oder gar überholt werden. Die Rangunterschiede, die sich im Stand der erlernten Übungen manifestierten, waren immer nur temporärer Art und jederzeit reversibel. Das Verhältnis zwischen Lehrendem und Lernenden stellte sich niemals als ein strikt hierarchisches dar. Als äußerliches Kennzeichen dieser Beziehung diente das Pathos einer Freundschaft, das an die Stelle des gegenseitigen Nutzens die gegenseitige affektive Zuneigung setzte. Die Gemeinschaft der Stoiker stellt in diesem Sinne ein soziales Phänomen dar, das bestimmten senatorischen Dispositionen-für-Angst entgegenwirkt.75 Das Versprechen der Stoa, das Subjekt von der Todesfurcht zu befreien,16 findet auf einer Ebene seine Entsprechung, die in den Briefen ad Lucilium mit keinem Wort thematisiert wird. Durch die stoischen Übungen wird die Disposition-des-inszeniertenAußenbezuges als Disposition-für-Angst 'therapiert', indem sie sich - wie beschrieben - in eine Disposition-zur-Selbstbeobachtung verwandelt. Daneben sind die Kommunikationsformen in der stoischen 'Sekte' überzogen mit einer egalitären Symbolik, die in der aristokratischen Gemeinschaft so keinen -Platz mehr.,-hatte. -Hier:injst -der--Grun4 fjj-rdie Attraktivität "zu -suchen" -, die das stoische Philosophieren in der Senatorenschaft besaß. Die eindringlichen Ermahnungen, die Seneca an Lucilius wegen der Andersartigkeit des stoischen Lebensstils richtet, verweisen auf ein zweites, ganz anderes Verhältnis zwischen der "Sorge um sich" und dem Ensemble aristokratischer Verhaltensmuster. Setzt man die strukturellen Eigenarten der aristokratischen Gemeinschaft voraus, dann erweist sich das Vorhandensein einer stoischen 'Sekte' als weiteres Element in einem Prozeß, in dem sena-
75
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In diesem Sinne sind die Briefe ad Lucilium mehr als nur ein Reflex der Angst von prominenten Männem vor dem princeps, wie Griffin (1976), S. 361, meint. Auch die Feststellung von Maier (1985), S. 143, greift zu kurz: "Die epistu/ae mora/es spiegeln die Ängste und Befürchtungen wider, die viele Angehörige der Oberschicht unter einem solchen Regime [des Nero, D. B.l hatten." S. z. B. Sen., ep. 4; 30; 82; zur Bekämpfung der Todesfurcht s. Maurach (1970), S. 67ff.
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torisehe Umgangsfonnen ihre eindeutige Verbindlichkeit verlieren. Indem sich die Mitglieder dieser philosophischen Gemeinschaft gezielt eine Disposition-zur-Selbstbeobachtung antrainierten, erlernten sie die Fähigkeit, sich vom senatorischen Lebensstil zu distanzieren und zu ihm ein Verhältnis aufzubauen, das genau definierten Kriterien und Maßstäben unterlag. Das stoische Subjekt konnte die senatorischen Verhaltensweisen praktizieren, ohne daß diese unbedingt existentiell aufgeladen waren. In diesem Sinne bestand für den Stoiker kein Zwang, zwischen' öffentlich' -politischer Tätigkeit und philosophischem otium entscheiden zu müssen. Es ging nicht darum, bestimmte Verhaltensweisen abzulegen, sondern dem Bezug zum eigenen Verhalten eine andere Richtung zu geben. Man interpretiert häufig die Bedeutung, die dem Thema der Rückkehr zu sich oder der Aufmerksamkeit, die man sich selbst zu erweisen hat, im hellenistischen und römischen Denken zukommt, als die Alternative, die sich zur staatsbürgerlichen Tätigkeit und zu den politischen Verantwortungen bot. Wohl findet man in gewissen philosophischen Strömungen den Rat, sich von den öffentlichen Angelegenheiten, den Wirrungen und Leidenschaften, die sie hervorrufen, abzuwenden. Doch die prinzipielle Scheidelinie verläuft nicht zwischen Teilnahme und Enthaltung; und die Kultur seiner selbst entwirft ihre Werte und Praktiken nicht im Gegensatz zum tätigen Leben. Weit eher sucht sie das Prinzip einer Beziehung zu sich zu definieren, von dem aus sich die Formen und Bedingungen bestimmen lassen, unter denen ein politisches Handeln, eine Teilhabe an den Lasten der Macht, die Ausübung einer Funktion möglich oder unmöglich, akzeptabel oder notwendig sein werden.77
Das Subjekt erlernte auf diese Art und Weise die Fähigkeit zur Maskerade. Es umkleidete seinen eigentlichen Lebensstil mit dem Mantel senatorischer Umgangsfonnen und entschied situativ, wann und unter welchen Umständen er abzuiegellwar. Miteinem.ßis~alten ,i!Jneren Lächeln spielte das Mitglied
77
Foucault (1986), S. 117. Foucault betont, daß die eigentliche Frage in der Art und Weise besteht "wie man sich als Moralsubjekt im Gesamtgefüge der gesellschaftlichen, bürgerlichen und politischen Tätigkeiten konstituieren sollte; [... l Die Frage der Wahl zwischen Rückzug und Tätigkeit stellte sich erst rückläufig von da aus." - Die Tendenz, die Alternative zwischen politischer Tätigkeit und philosophischem Rückzug derart in den Mittelpunkt zu stellen, beruht auf einer Überbewertung der stoischen Übung der Distanzierung; s. z. B. bei Maurach (1991), S. 187, und Griffin (1976), S. 323ff. Besonders deutlich ist diese Überbewertung bei Maier (1985) abzulesen. Sie richtet ihre ganze Untersuchung - wie ihr Titel Philosophie und römisches Kaisertum. Studien zu ihren wechselseitgen Beziehungen in der Zeit von Caesar bis Marc Auerel schon zeigt - auf die Alternative res publica - otium aus, ohne nach den Bedingungen zu fragen, die diese Alternative zu thematisieren erlauben. - Anders Grimal (1978), S. 5. In bezug auf Seneca hält er die Annahme für nicht richtig, daß die "philosophische Bildung [...] Seneca auf einen Weg gedrängt [habel, der ihn von seiner politischen Tätigkeit weggeführt habe."
181
der stoischen 'Sekte' das Spiel der aristokratischen Gemeinschaft so lange mit, wie es nach seiner Meinung vertretbar war. Wenn es nötig war, verabschiedete es sich vom Theater der senatorischen Eitelkeiten mit einem Freitod, den es als Fanal seiner Unabhängigkeit inszenierte.78 In diesem Sinne entzogen die stoische 'Sekte' und die "Sorge um sich" das Subjekt den senatorischen Kommunikationsfonnen und damit dem Zugriff der aristokratischen Gemeinschaft. Ein stoischer Senator war gegen den gesellschaftlichen Boykott und gegen die Ächtung durch seine Standeskollegen weitgehend immun. Ein allzu provokant an den Tag gelegtes stoisches Verhalten bot daher Anlaß zu Haß, Verachtung und Anfeindungen, da ein Mitglied der eigenen 'feinen Gesellschaft' den Anschein erweckte, es wolle sich den geltenden Konventionen entziehen. Die stoischen Übungen konnten nicht nur gegenüber dem princeps, sondern gegenüber der aristokratischen Gemeinschaft überhaupt äußerst gefährlich werden. Zwar ließ sich dieser neue Verhaltensstil in Gegnerschaft zum Kaiser vortrefflich als 'republikanisch' darstellen, um damit Rückhalt bei den eigenen Standeskollegen zu gewinnen, doch war dies nicht notwendigerweise der Fall. Die Stoiker blieben umstritten und sahen sich nicht selten in die Rolle des gesellschaftlichen Außenseiters gedrängt.79 Ausgerechnet jene Praktik, die in der Lage war, sich als 'Therapie' senatorischer Dispositionen-für-Angst zu konstituieren, produzierte gleichzeitig weitere Bruche und Verschiebungen in der Symbolik aristokratischer Umgangsfonnen. Die stoische 'Sekte' erweist sich damit als ein Phänomen, das mit dem Erscheinen von Dispositionen-fürAngst in einer zweifachen Korrelation steht. Zum einen eröffnet sie einen sozialen Raum der 'Therapie', zum anderen untergräbt sie die an sich schon .brüG1rige .. Symbolik-deF.:;arl~tokratiscbcm",6emeinschaf.t..",iD-OOm,•.sie··ihm-ein:Element der Distanzierung beimischt. Die senarorische Gemeinschaft wurde auf diese Art und Weise quasi in zwei Lager geteilt: Sie umfaßte die Mehrheit solcher Senatoren, die in ihrem alten Lebensstil befangen blieben, und eine Minderheit solcher, die ihn - nach entsprechenden Übungen - genau abwägend und kalkulierend praktizierten, um seinen Unzulänglichkeiten zu entgehen. Senatorisches Verhalten war nicht mehr unbedingt gleich senatorisches Verhalten. Für das eine Subjekt war es das eigene Selbst, für das andere nicht mehr als Maskerade eines ganz anderen Lebensstils.
78
So z. B. der Freitod des Thrasea Paetus (Tac., anno 16,35); der Freitod des Seneca wird von Tac., anno 15, 62f, ausführlich beschrieben, - Veyne (1989), S. 223f., sieht in der "Häufigkeit des philosophisch begründeten Selbstmordes" einen Beweis für den Erfolg der Philosophie.
79
S. auch Timpe (1989), S. 125: "stoische Kompromißlosigkeil konnte als vorbildliche virtus gepriesen oder als unnötige, ja törichte Provokation verurteilt werden."
182
Die domus principis und die Disposition-der-Distanzierung
In dem Maße, wie sich die Person des princeps als Zentrum der Ressourcenvergabe im aristokratischen Funktionszusammenhang etabliert hatte, konnten auch solche Angehörige statusniederer Gruppen Macht und Einfluß ausüben, die unmittelbare Zugangsmöglichkeiten zum Kaiser besaßen. Durch ihre Nähe zum princeps gewannen sie eine bisher nicht gekannte gesellschaftliche Stärke. Wirklich aktuell und brisant wurde die veränderte Konstellation zum ersten Mal unter Tiberius, als dem Ritter L. Aelius Seianus eine Macht zuwuchs, die für einen Nicht-Senatoren bisher unbekannt war. 1 Sejan war unmittelbar nach dem Tode des Augustus zum Praefekten der Garde ernannt worden. 2 Schon für das Jahr 21 n. Chr. schreibt ihm Tacitus einen solchen Einfluß zu, daß die bloße Verwandtschaft mit ihm ausreiche, um an begehrte Ämter und Stellen zu gelangen.3 Als Tiberius sich 26 n. Chr. 4 entschloß - unter anderem durch den Praetorianer-Praefekten dazu überredet -, Rom den Rücken zu kehren und fern von der turbulenten Hauptstadt des Imperiums auf Capri ein neues Domizil zu errichten, kannte :der,politische,-Spielraum des-8ejan- scheinb~k~",grenzenmehr~D& Rikter sah sich in die Lage versetzt, die Zugänge zum' Zentrum des arlstokrati ~ , sehen Funktionszusammenhanges vollständig zu kontrollieren. Die Senatoren konnten mit dem auf Capri weilenden princeps nur brieflich in Kontakt treten. Da aber der Praetorianerpraefekt die Korrespondenz des Kaisers zu organisieren hatte, waren die Senatoren zum ersten Mal gezwungen, ernsthaft mit einem Angehörigen einer statusniederen Gruppe zu kommunizieren, wollten sie ihre eigenen Belange oder die ihrer Klienten durchsetzen. Sejan
Zur Geschichte des Sejan s. vor allem: Hennig, Dieter (1975): L. Aelius Seianus. Untersuchungen zur Regierung des Tiberius. München. z Hennig (1975), S. 19. 3 Tac., anno 3, 35; s. auch: Hennig (1975), S. 22. Inwiefern der Nachricht des Tacitus geglaubt werden darf, muß offen bleiben, da der römische Historiograph ein Sejan-Bild zeichnet. das von "ausgesprochenem Haß" geprägt ist; s. dazu Hennig (1975), S. 32. 4 Hennig (1975), S. 64. - Christ (1988), S. 198, nennt das Datum 27 n. Chr. I
183
konnte darüber entscheiden, wer mit dem Kaiser in Verbindung treten durfte und wer nicht. Tacitus durchschaut diesen Zusammenhang klar: "In seiner Hand werde der Zutritt zum Kaiser liegen, der Schriftverkehr zum großen Teil unter seiner Aufsicht stehen [... ]. "S Sejan nutzte seine aus der unmittelbaren Nähe zum Kaiser resultierende Machtposition rigoros aus, als er offen gegen Agrippina und Nero Stellung bezog.6 Nachdem er die GennanicusWitwe und ihren Sohn, der als Anwärter auf den Kaiser-Thron gehandelt wurde, schon bald nach der Abreise des Tiberius unter militärische Bewachung gestellt hatte/ zog der Praetorianerpraefekt die beiden unter Zustimmung des Kaisers in ein Anklageverfahren hinein. 8 Ein Jahr später, 29 n. Chr., wurden Agrippina und Nero verbannt. Nun konnte Sejan seine eigene Person in der bisher ungeklärten Nachfolgefrage ins Spiel bringen. Der Tiberius-Enkel Gemellus besaß jetzt die größten Chancen, die Herrschaft vom alternden princeps zu übernehmen. Da er aber noch unmündig war, brauchte er einen Vonnund, der seine Regentschaft bis zur Volljährigkeit vertrat; sie bot sich in der Person des Sejan an, des nach der Ausschaltung der Gennanicus-Familie einflußreichsten Mannes in Rom. Die 'feine Gesellschaft' der Senatoren beobachtete diese Vorgänge in der unmittelbaren Nähe des princeps indes äußerst argwöhnisch und voller Mißtrauen. Der Praetorianerpraefekt, dessen· zentrale Stellung in der unmittelbaren Umgebung des princeps durch "die ständig in sein Haus strömenden Besucher"9 für jedennann sichtbar war, sah sich ständig einer Vielzahl von Verdächtigungen und Neid ausgesetzt. Ohnmächtig standen die Senatoren einem völlig neuen Phänomen gegenüber. Nicht etwa sie, die sich zur Herrschaft über das gesamte Imperium berufen fühlten, entschieden über die politischen Gesehioke:.,Roms; -.sondern ein ,Ritter, ,der durch- besondereMm-. stände mitten in das -Zentrum der Herrschaftsausübung geworfen worden war und der sich der uneingeschränkten Gunst des princeps erfreuen konnte. 10 Ausgerechnet mit ihm hatten sie einen freundlichen Umgang zu pfle-
, 6
Tac., anno 4,41,2: sua in manu aditus litterarumque magna ex parte se arbitrumfore; s. auch Hennig (1975), S. 87. Hennig (1975), S. 88.
arm. 4, 67,4.
7
Tac.,
S
Tac., anno 4, 68ff.
9
Tac., anno 4, 41, 1: atJsiduos in domum coetus.
10
Sejan hatte Tiberius bei seiner Reise nach Capri das Leben gerettet. Der Kaiser hatte sich zum Speisen in eine natürliche Grotte zurückgezogen und wurde dort von herabfallenden Felsstücken verschüttet. "Seianus, sich mit Knie, Gesicht und Händen über den Kaiser hinbeugend, flOg mit dem Körper die herabfallenden Steine ab und wurde in dieser Haltung von den Soldaten angetroffen, die zur Hilfe gekommen waren." (Tac.
184
gen, wollten sie das eigene Prestige in der aristokratischen Gemeinschaft festigen oder weiter stärken. Das stellte die Senatoren vor größte Schwierigkeiten; der Praetorianerpraefekt erschien in ihren Augen als ein machtgieriges, skrupelloses und verschlagenes Geschöpf, das ihre Kreise nachhaltig störte, aber eben durch die Deckung des Kaisers ein Übel war, das hingenommen werden mußte. Nachdem Sejan 31 n. ehr. gestürzt worden und seine scheinbar unverletzliche Machtstellung in kürzester Zeit in sich zusammengebrochen war,11 konzentrierte sich das Augenmerk der Senatoren unter den nachfolgenden principes auf den kaiserlichen Wohnsitz in Rom. Die domus principis war kein beliebiger senatorischer 'Haushalt' mehr; das Gebäude wie auch die in ihr lebenden Personen und das dazugehörige Dienstpersonal gewannen in der veränderten senatorischen Figuration eine völlig neue Funktion. Ob es die kaiserlichen Frauen oder Mätressen waren, ob Hofastrologen, die sich die Gunst des Kaisers sichern konnten, sie alle profitierten von der neuen zentralen Stellung des princeps und seiner domus im aristokratischen Funktionszusammenhang. 12 Die Nähe zum princeps war in den Gemäuern des kaiserlichen Domizils zu Stein - oder besser: zu Mannor - geworden. Was die Senatoren zum ersten Mal gegenüber der Person des Sejan erfahren mußten, verortete sich jetzt im Haus des Kaisers: Es gab Personen, die keine Mitglieder ihrer Gemeinschaft waren und dennoch in vielen Fällen mehr Einfluß und Macht als die Senatoren selbst besaßen. Wer etwas vom princeps erbitten oder mit ihm in Verbindung treten wollte, mußte sich auch mit den in seinem Hause lebenden statusniederen Personen ernsthaft arrangieren können. Dies galt vor allem gegenüber den kaiserlichen Freigelassenen, den geheimen -1Machthabern' in-der--domus prineipis. Nach-der Analyse des Verhältnisses Kaiser - Senatoren sowie der Umgangsformen in der Senatorenschaft selbst schließt die Beschreibung des Verhältnisses zwischen den Mitgliedern der aristokratischen Gemeinschaft und den kaiserlichen Freigelassenen die Untersuchung von senatorischen Dispositionen-ftir-Angst ab.
anno 4, 59, 2: Seianus genu vultuque et manibus super Caesarem suspensus opposuit sese incidentibus. atque habitu tali repertus est a militibus. qui subsidio venerant.) Das 1l
12
Vertrauen des Tiberius in Sejan kannte nach diesem Vorfall keine Grenzen mehr. Hennig (1975), S. 139ff. Vor allem die Frauen des Claudius, zuerst Messalina, dann Agrippina, besaßen einen großen Einfluß auf die Entscheidungen des princeps (s. Suet., Claud. 25; 29).
185
Experten der Macht: Die kaiserlichen Freigelassenen In zunehmendem Maße übernahm auch die jamilia Caesaris Aufgaben der reichsweiten Herrschaftskoordination. Vor allem ihre hierarchische Spitzel3 rückte direkt in das Zentrum der Macht. Durch die Bekleidung der höchsten Hofämter - a rationibus, ab epistulis, a libellis, a studiis, a cognitionibus, a codicillis, a memoria, a diplomatibus _14 besaßen die Freigelassenen des Kaisers einen unmittelbaren Zugriff auf die Machtressourcen. Die Leitung der großen palatinischen Büros im Hause des princeps ermöglichte es ihnen, an der Herrschaftsausübung des Kaisers zu partizipieren und sie - wenn nötig - im eigenen Interesse zu manipulieren. ls Da die kaiserlichen Freigelassenen nach dem Tod des princeps an den Thronfolger, der nun ihr neuer Schutzherr war, innerhalb einer Dynastie quasi weitervererbt wurden,I6 nahm ihr Einfluß weiter zu. Die principes kamen und gingen, ihre Freigelassenen blieben in der Regel dort, wo sie von ihnen hingesetzt worden waren: an den Schalthebeln der Macht. Pallas und der Vater des Claudius EtrusCUS l7 hielten allein den Posten a rationibus und Narcissus den ab epistulis länger als zehn Jahre inne. 18 Die liberti Caesaris entwickelten sich zu wahren Experten der Macht, die sich in Fragen der Herrschaftsausübung, aber auch, was das Spinnen von Ränken und Intrigen anbelangt, so gut aus-
13
Zur familia Caesaris s. Weaver, P. R. C. (1972): Familia Caesaris. A social Study of the Emperor's Freedmen and Slaves. Cambridge. - Chantraine, Heinrich (1961): Freigelassene und Sklaven im Dienst der römischen Kaiser. Studien zu ihrer Nomenklatur.
14
Zu den großen palatinischen Büros s;Weaver (1972), S.'·259ff. - Duff, Amold M. (1928): Freedmen in the early Roman Empire. Oxford, S. 150-159.
Wies~aden.
l' 16 17
18
Zur Stellung der Freigelassenen im Dienst des princeps s. Weaver, P. R. C. (1914): Social Mobility in the Early Roman Empire: The Evidence of the Imperial Freedmen and Slaves. In: Finley, Moses 1. (Hg.): Studies in Ancient Society. London, S. 121-140. Weaver (1912), S. 2. Dieser Freigelassene ist wohl das einprägsamste Beispiel dafür, wie sich die Karriere eines libertus Caesaris über die Regierungszeiten der einzelnen principes hinweg entwickeln konnte. Der Vater des Claudius Etruscus galt als einer der mächtigsten und reichsten Freigelassenen im 1. Jh. n. Chr. War er unter Tiberius noch ein einfacher Sklave, so stand er unter Vespasian an der Spitze der kaiserlichen Finanzverwaltung und besaß einen ritterlichen Status. Schon vor dem sonst üblichen Alter von 30 Jahren war er freigelassen worden. Gaius begleitete er - wahrscheinlich als tabellarius - nach Gallien. Unter Claudius nahm er - parallel zu der Karriere des Pallas - seinen weiteren Aufstieg. Seinem Einfluß wurde ein abruptes Ende gesetzt, als er unter Domitian in die VerbannuJ1g gehen mußte; s. Weaver (1912), S. 284ff. Weaver (1912), S. 261.
186
kannten wie kein anderer. Bei der Bekleidung der höchsten Hofämter sammelten sie im Laufe der Zeit ein enormes Wissen, das sie jederzeit in die Lage versetzte, auf neue Situationen entsprechend flexibel reagieren zu können. Callistus rät bei der Besprechung mit Pallas und Narcissus davon ab, "Messalina durch geheime Drohungen von der Liebe zu Silius" abzubringen, "weil er schon am Hof des vorigen Herrschers Erfahrungen gemacht hatte und wußte, daß man seinen Einfluß mehr durch vorsichtige als durch tatkräftige Maßnahmen sichert [...]."19 Auch deiriGraptus, der unter Nero eine Intrige gegen Cornelius Sulla inszenierte, wird von Tacitus bescheinigt, daß er "als erfahrener alter Mann den Kaiserhof seit Tiberius genau kannte [... ]."20 Die Möglichkeit einer zeitlich unbeschränkten Ausübung bestimmter Hofämterl sowie das differenzierte Wissen über die Mechanismen der Macht begründeten eine Machtstellung der kaiserlichen Freigelassenen, die einen atemberaubenden Umfang annehmen konnte. Die faktische Positionierung im Zentrum imperialer Herrschaftskoordination und die damit verbundene Aufwertung der liberti Caesaris entsprach jedoch ganz und gar nicht dem gesellschaftlichen Status, den die Freigelassenen einzunehmen hatten. Die Diskrepanz zwischen Rang und Status22 mußte im Verkehr mit den Senatoren immer wieder schwere Konflikte heraufbeschwören.
Die Imago vom hochmütigen Freigelassenen .Bie'-AUSÜbung del'--ilinelf aüferlegteir Ä"üfgabeiR1ftdllie~daraus-resultierendec Ma.chtfülle der kaiserlichen Freigelassenen führte fast zwangsläufig dazu, daß bestehende Standesschranken immer wieder durchbrochen wurden. Regelmäßig prangern die antiken Historiographen in ihren Werken die Mißachtung der gesellschaftlichen Etikette durch die liberti Caesaris an. Da bekam Harpocas, ein Günstling des Claudius, das Recht, sich in einer Sänfte
19
20
21
22
Tac., anno 11,29, H.: Messalinam secretis minis [ ...] a11Wre Si/ii [ ...] Callistus prioris quoque regiae peritus et potentiam cautis quam acribus consiliis tutius haberi. Tac., anno 13,47, 1: usu et senecta Tiberio abusque domum principum edoctus. Weaver (1972). S. 2. und (1974). S. 139. sieht in der Stellung der kaiserlichen Freigelassenen wie auch in der Bedeutung der familia Caesaris insgesamt ein gewichtiges Element für die Kontinuität des frühen Prinzipats im ersten nachchristlichen Jahrhundert. Gamsey/Saller (1989), S. 170.
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durch Rom tragen zu lassen und öffentlich Spiele veranstalten zu dürfen. 23 Polybius, der Hofgelehrte des Claudius und spätere Amtsinhaber a libellis, ging oft zwischen den amtierenden Konsuln in aller Öffentlichkeit spazieren. 24 Icelus, der Freigelassene des Galba, bekam den Ritterring zugesprochen und wurde mit dem ritterlichen Beinamen Marcianus ausgezeichnet. 2S Angeklagte wurden unter Claudius in Anwesenheit kaiserlicher Freigelassener in der Kurie verurteilt. 26 Zum Inbegriff gesellschaftlicher Tabuverletzungen und Grenzüberschreitungen wurde das Verhalten der mächtigen Freigelassenen des Claudius, vor allem des Pallas 27 und des Narcissus. Ihre Intrigen und Machtspiele werden von Tacitus in den Annalen genauestens vermerkt. 28 Unübersehbar wurde die Diskrepanz zwischen gesellschaftlichem Rang und Status auch durch die unermeßlichen Reichtümer, die manche der kaiserlichen Freigelassenen infolge der Bekleidung von Hofamtem ansammeln konnten. 29 Vier der zehn reichsten Männer des Prinzipats gehörten dem Stand der Freigelassenen an. 3D Der Reichtum eines Pallas oder eines Narcissus war schon sprichwörtlich geworden. 31 Er ermöglichte ihnen, einem Lebensstil zu huldigen, bei dem so manches Mitglied der römischen Aristokratie vor Neid erblassen mußte. Für die Senatoren schienen die kaiserlichen Freigelassenen dagegen nur aus moralisch minderwertigen Subjekten zu bestehen. Glaubt man den Schilderungen des Tacitus in den Annalen und Historien, dann wurde der Charakter der liberti Caesaris vorwiegend von Hochmut, Habgier und Lasterhaftigkeit geprägt. Der Hochmut des Narcissus erreichte nach den Worten des Historiographen einen solchen Grad, daß dem ehemaligen Sklaven die -Auszeichnun.g 'mit-'uen-lnsignien'4es· QuästOFs~ nadi~der - Hinrichtung-der;
23
Suet., Claud. 28.
24
Suet., Claud. 28.
25
Suet., Galba 14.
26
Cassius Dio 60, 16.
rl
Zur Person des Pallas s. Oost, Stewart I. (1958): The Career of M. Antonius Pallas. In: AJPh 79, S. 113-139.
28
S. u. a. Tac., anno 11, 28ff.; 12, Hf.; 25; 53; 57; 65; 13, 2; 14; 23; 14, 2; 65.
29
3D
Weaver (1974), S. 129, meint, daß die kaiserlichen Freigelassenen unter finanziellen Gesichtspunkten einer begünstigten Gruppe der römischen Gesellschaft angehörten. Zum Reichtum der liberti Caesaris S. auch Duff (1928), S. 182f. Garnsey/Saller (1989), S. 170.
)1
S. Juvenal. sat. I, 108f.. und 14, 329.
188
Messalina als "eine ganz unbedeutende Ehre"32 erschien. Icelus, der sich, so Tacitus, unter Galba die potentia principatus mit dem Konsul Titus Vinius und dem Prätorianerpräfekten Comelius Laco teilte,33 formulierte seine Ratschläge beim Kampf gegen Otho "aus rein persönlicher hartnäckiger Gehässigkeit [... ], der Allgemeinheit zum schweren Verderben."34 Asiaticus, der unter Vitellius zu großem Einfluß kam,35 wird vom römischen Geschichtsschreiber als "niederträchtige[r], mit allen schlimmen Mitteln um Gunst buhlende[r] Sklave"36 bezeichnet. Die moralische Verruchtheit per se verkörperte Pallas. Er hätte "durch seine widerliche Anmaßung die Schranken, die dem Freigelassenen gezogen sind, überschritten't37. Seinen Gelüsten ergeben38 triebe es Pallas bis zu einem ehebrecherischen Verhältnis mit Agrippina, der er vorher die Ehe mit Claudius vermittelt hatte. 39 Seinen unermeßlichen Reichtum von 300 Millionen Sesterzen ließe er sarkastischerweise als Ausdruck altrömischer Sparsamkeit feiern. 4O Auch in der Behandlung der eigenen Freigelassenen tritt nach Tacitus der Hochmut des Pallas zutage.41 Als der libertus zusammen mit Burrus wegen einer Verschwörung gegen Nero vor Gericht angeklagt wurde und ihm aus seinen eigenen Freigelassenen Mitwisser der angeblichen Tat benannt wurden, antwortete er, nie habe er irgendeinen Wunsch in seinem Hause anders als durch Nicken oder eine Handbewegung zu erkennen gegeben, oder er habe sich, wenn er mehr Hinweise habe geben müssen, der Schrift bedient, wn sich nicht durch Sprechen mit der Dienerschaft gemein zu machen.
respondit nihil umquam se domi nisi nutu aut manu significasse, vel, si plura demonstranda essen!, scripto usum, ne vocem consociaret. 42
Pallastritt s~inen eigeneI?-oFrelg~las~~nen mitgr9,~trnögli~~~!:J).i~arr~oge.gen
-libero -EinecKommuIiWliiPn ~wisc1teI!1hoii:l iI~doos~tnem-_'J)i~nstPersQmiI' °fui_ " . . .•.. . -. -.- . ."' _~
32 33 34
3S 36
37 38 39
40 41 42
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Tac., anno 11, 38,4: levissimumfastidjo. Tac., bist. I, 13, 1. Tac., bist. 1,33,2: privati odii pertinacia in publicum exitium. Tac., bist. 2, 95, 2. Tac., hist 2, 57,2: foedum mancipium et malis artibus ambitiosum. Die hier benutzte Übersetzung ist an dieser Stelle unangenau. Tacitus selbst spricht in bezug auf Asiaticus nicht explizit von einem Sklaven. Tac., anno 13, 2, 2: tristi adrogantia modum liberti egressus. Tac., anno 14, 2, 2. Tac., anno 12, 25, 1. Tac., anno 12, 53, 3. Tac., anno 13,23. Tac., anno 13, 23, 2.
189
det so gut wie gar nicht statt, ja er nimmt seine eigenen liberti fast nicht mehr wahr. Darin, urteilt Tacitus, bestehe die superbia des Pallas. Der römische Historiograph befand sich mit seiner Einschätzung der kaiserlichen Freigelassenen in Übereinstimmung mit der überwältigenden Mehrheit seiner aristokratischen Standes genossen. Auch die Senatoren sahen in den liberti Caesaris verabscheuenswürdige Kreaturen, die ihre Ränke, Intrigen, sexuellen Exzesse und was die Senatoren sonst noch an ihnen zu beobachten meinten, auf Kosten des Zusammenhalts und der moralischen Integrität der aristokratischen Gemeinschaft betrieben. Daß die von ihnen gezeichnete Imago des hochmütigen und lasterhaften Freigelassenen keineswegs die Realität widerspiegelt, steht auf einem anderem Blatt. Das Urteil des Tacitus über die Behandlung der eigenen Freigelassenen des Pallas wäre gewiß ein ganz anderes, handelte es sich um einen normalen Senatoren. Was bei Pallas mit dem Vorwurf des Hochmutes abqualifiziert wird - nämlich die äußerst distanzierte Behandlung der liberti, wäre bei einem Patron des obersten Standes überhaupt nicht erwähnenswert gewesen. Was tat denn Pallas - freilich in extremer Weise - anderes, als eine aristokratische Verhaltensweise gegenüber den eigenen Freigelassenen zu imitieren? Aber exakt das war sein Fehler. Nicht etwa die Tatsache, daß sein distanziertes Verhalten an sich hochmütig war, diskreditierte ihn in den Augen des aristokratischen Historiographen. Nur daß er als Freigelassener so handelte, provozierte den Vorwurf der superbia. Daß ein Freigelassener selbst als Patron von Freigelassenen auftrat und sich dementsprechend benahm, kollidierte unmittelbar mit traditionellen aristokratischen Wahrnehmungsmustern und Verhaltensdispositionen. 43 III der Imago des· hochmütigen. und lasterhaften FreigelllssenertteaUsierte .. siCh die ölininächtige Reaktion der Senatoren auf die TatSa.che, daß siCh "eine- . sozial und prestigemäßig weit unterlegene Gruppe Dinge leisten konnte, die eigentlich nur dem senatorischen Stand vorbehalten war. Weil sie sich mitten im Zentrum der reichsweiten Herrschaftskoordination befanden, klafften gesellschaftlicher Rang und Status der Ziberti Caesaris weit auseinander. Die Mitglieder der römischen Aristokratie mußten Handlungen und Verhaltensweisen der kaiserlichen Freigelassenen wahrnehmen, die ihrem Bild von den ehemaligen Sklaven ganz und gar widersprachen. Tag für Tag sahen und spürten die Senatoren, daß ihnen in den kaiserlichen Freigelassenen Konkurrenten um die Macht erwachsen waren; diese waren ihnen nicht allein durch
43
Zwar gab es dieses Problem auch schon in republikanischer Zeit, doch wurde es gerade am Phänomen der liberti Caesaris besonders evident und gewann eine neue Dimension.
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die Nähe zum princeps weit überlegen. 44 Die ehemaligen Sklaven hatten im Laufe der Jahre ein umfangreiches Wissen über die Mechanismen der Herrschaft angesammelt; sie besaßen zudem eine fast einzigartige Fähigkeit zu mimetischem Verhalten45, die sich vor allem in der Imitierung adeliger Verhaltensweisen ausdrückte. Die Freigelassenen konnten daher auf verschiedenste Situationen mit einer Flexibilität reagieren, die aus der Sicht der Senatoren etwas völlig Neues und Unvorstellbares war. Wollten sie sich gegenüber einem solchen Inventar von Handlungsmaximen nicht ohnmächtig geschlagen geben, mußten die Aristokraten immer wieder darauf verweisen, wie lasterhaft und anmaßend diese Nutznießer kaiserlicher Herrschaftsgewalt doch seien. Die Senatoren sprachen ihren Konkurrenten um die Macht jegliche Moral ab, um ihre eigene Selbstachtung aufrechtzuerhalten und das aristokratische Selbstbild zu bestätigen, das besagte, daß einzig und allein die Senatoren zur Ausübung von Herrschaft berechtigt seien. Und doch: Die Imago des hochmütigen und lasterhaften libertus Caesaris nutzte den Senatoren überhaupt nichts, waren sie doch gezwungen, vor allem in der domus principis mit den Freigelassenen bei den morgendlichen salutationes zu verkehren. Die realen Verhältnisse ließen sich nicht mehr wegpolemisieren, wenn die Mitglieder der aristokratischen Gemeinschaft auf die Hilfe des kaiserlichen Dienstpersonals angewiesen waren. Die Gewährung von Bittgesuchen, ja sogar die Audienzen beim Kaiser waren in vielen Fällen nur durch die Fürsprache eines libertus Caesaris möglich. Die Senatoren mußten sich mit den kaiserlichen Freigelassenen arrangieren, wollten sie nicht womöglich das eigene Prestige im Verkehr mit ihnen aufs Spiel setzen. Das aber gestaltete sich wesentlich schwieriger, als es auf den ersten .IlJic:-k den. Ans(;h_ein. haQejl_ ~ochte~p-'y'!!JLqtp §.()!~~hJl
44
4S 46
Saller, (1982), S.66f., sieht unter Verweis auf Plin., Pan. 88,lf., die ITTIllgo des guten Kaisers auch von dem Umfang des Einflusses der kaiserlichen Freigelassenen abhängig. Zum Habitus des Freigelassenen allgemein s. Veyne (1988c), S. 82ff. S. auch Salier (1982), S. 45. Saller spricht von einer großen Unzufriedenheit, wenn Senatoren gratia gegenüber Frauen, Freigelassenen oder Sklaven abstatten mußten, um ihre Karriere fortsetzen zu können.
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läßt sich exemplarisch an den Einleitungskapiteln von Senecas Trostschrift an Polybius nachzeichnen.
Der doppelte Blick in Senecas Ad Polybium de Consolatione Senecas Trostschrift an Polybius stellt für das erste nachchristliche Jahrhundert das einzige überlieferte Zeugnis dar, das als unmittelbarer Ausdruck der Kommunikation zwischen einem Mitglied der aristokratischen Gemeinschaft und einem kaiserlichen Freigelassenen gelesen werden kann. Seneca schrieb die Trostschrift an Polybius vennutlich 43 n. Chr.47 aus dem korsischen Exil. Der kaiserliche Freigelassene, der kurz zuvor seinen Bruder verloren hatte, bekleidete zu jener Zeit das palatinische Amt a libellis. Er war für die Annahme von Bittschriften und deren Weiterleitung an den princeps zuständig. Die Stellung des Polybius am Hofe des Claudius bestimmt auch Inhalt und Aufbau der consolatio. Neben gattungs spezifischen Argumenten des Trostes48 flicht Seneca in seine Ausführungen eine Lobeshymne auf den amtierenden princeps ein.49 Die Intention dieser Vorgehensweise liegt auf der Hand, auch wenn Seneca sie an keiner Stelle der Trostschrift explizit zu erkennen gib~o: Er möchte mit der Verherrlichung des Claudius die Rückberufung aus der Verbannung erwirken. Die consolatio besitzt dementsprechend zwei Adressaten: einerseits Polybius als Empfänger von Argumenten des Trostes, andererseits Claudius als Empfanger des Herrscherlobes.sl
47
Abel, I{arlhans (1967): Bauformen in Senecas Dialogen. Heidelberg, S. 70. - Grimal (1978), S. 185f., faßt den Zeitraum der Datierung weiter; er legt den Zeitpunkt der Abfassung zwischen Ende 41 (Senecas Verbannung) und den ersten Tagen von 44 n.
ehr. 48
Zur Konsolationsliteratur allgemein s. Kassel, Rudolf (1958): Untersuchungen zur griechischen und römischen Konsolationsliteratur. München.
49
Abel (1967), S. 74, gliedert das Werk dementsprechend in vier große Abschnitte: Kap. 1-12 praecepta-Abschnitt; Kap. 13 laus Claudii; Kap. 14-17 exempla-Abschnitt; Kap. 18 Epilog. Abel (1967), S. 73.
50 SI
Anders Birt, Theodor (1911): Senecas Trostschrift an Polybius und Bittschrift an Messalina. In: NJb 14, S. 599. In Abgrenzung zu der Meinung Dios, es handle sich bei der consolatio ad Polybium auch um eine Bittschrift an Messalina, schließt er aus, "daß eine Schrift, die mutmaßlich sowohl Bittschrift wie Lobschrift gewesen sein soll, gleichzeitig an mehrere Personen adressiert war." Diese Beurteilung ergibt sich aus der Frage nach der Dedikation eines Werkes; s. Birt (1911), S. 599, Anm. 3, I. Sp. Sie vernaChlässigt
192
Beide Botschaften sind für Seneca Bestandteil einer für die Senatoren selbstverständlichen sozialen Kommunikationsfonn. Sowohl consolatio als auch laus Claudii sind nichts anderes als Wohltaten, durch die der Verbannte den princeps und dessen Freigelassenen verpflichten will. 52 Der Kaiser wird mit der laus Claudii aufgefordert, seiner gratia durch die Rückberufung des Philosophen aus der Verbannung zu entsprechen;s3 Polybius soll mit der consolatio verpflichtet werden, bei Claudius für Seneca Fürsprache einzulegen. 54 Daß die Kommunikation mit einem libertus Caesaris in die-
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jedoch die Untersuchung durchaus heterogener sozialer Strategien, die sich in der Trostschrift manifestieren. . Die soziale Dimension der Lobeshymne auf Claudius und der Trostargumente für Polybius ist in der Forschung wenig beachtet worden. Hier herrscht das Bemühen vor, den Text anhand moralischer Kategorien zu analysieren und zu beurteilen. Beispielhaft für diese Methodik steht die Auseinandersetzung mit der Frage, ob denn die Lobpreisung des Claudius als Ausdruck von Schmeichelei zu verstehen ist [so vor allem die Kontroverse zwischen Koestennann, Erich (1934): Untersuchungen zu den Dialogschriften Senecas. Berlin, S. 54, und Dahlmann, Hellfried (1937): Rezension zu Koestermann, Erich: Untersuchungen zu den Dialogschriften Senecas. In: Gnomom 13, S. 37lf.; zu diesem Problem der Forschung insgesamt s. Abel (1967), S. 7lff., und Münscher, Karl (1922): Senecas Werke. Untersuchungen zur Abfassungszeit und Echtheit Phil. Suppl. XVI, 1. Leipzig, S. 30.]. Dies ist ein Vorwurf, der notwendigerweise den Namen Senecas als integren Philosophen diskreditieren muß. Eine solche Textinterpretation verbaut sich den Zugang zur sozialen Wirklichkeit. Sie erschöpft sich in der letztlich unfruchtbaren Diskussion, ob das Verhalten des Seneca moralisch-ethisch zu rechtfertigen und mit stoischen praecepta zu vereinbaren ist. Ausgeblendet wird dabei die Notwendigkeit, den Text anhand der Kategorien lesbarzumachen__durch die die Mitglieder der-römischen Aristokratie untereinander und gegenüber anderen sozialen Gruppen in Beziehung treten. Und dies sind in der Regel eben nicht abstrakte, vom sozialen und historischen Kontext losgelöste, transhistorische moralische Kriterien, sondern konkrete soziale Verhaltensweisen (die dann erst den zeitspezifischen Rahmen einer Moralität begründen). Bin (1911), S. 598f., sieht in der laus Claudii eher die gratia Senecas für das öffentlich bekundete Bemühen des Claudius, den in de ira aufgestellten Lehren des Philosophen gerecht zu werden. In diesem Sinne "wirbt" Seneca nicht um die "Gewogenheit des Polybius", wie Abel (1967), S. 76, meint. Die Beschreibung des sozialen Verhaltens des Verbannten ist nicht genau auf den Begriff gebracht. Die "Bekundung seiner Anteilnahme" und die "Fülle anerkennender Äußerungen, die Polybius in seinem Selbstgefühl bestätigen können," sind Elemente des Unterfangens, ein eindeutiges Verpflichtungsverhll1tnis gegenüber dem kaiserlichen Freigelassenen herzustellen. Mit der Codierung der consolatio als Wohltat erübrigt sich auch eine weitere Diskussion der Frage, ob die Trostschrift von Seneca zur Veröffentlichung bestimmt war. Abel (1967), S. 92, Anm. 60, stellt fest, daß "sich der öffentliche oder private Charakter der consolatio ad Polybium nicht wahrscheinlich machen" läßt. Demgegenüber behauptet Bin (1911), S. 597, daß Seneca die Schrift veröffentlichte und allen Römern vorlegte. Da eine Wohltat notwendigerweise
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sem Kontext eine ganz bestimmte senatorische Verhaltensdisposition in Frage stellen mußte, verdeutlicht die Analyse des Blickes, der das Bild des Polybius in den Einleitungskapiteln von Senecas Trostschrift gestaltet. Nach der allgemeinen, für eine consolatio typischen Feststellung, daß alle Dinge und alles Leben auf der Welt dem Untergang geweiht sind,55 wendet sich Seneca unmittelbar an Polybius. Er versucht, den kaiserlichen Freigelassenen davon zu überzeugen, daß ihm seine gegenwärtige Situation keine Zeit und keine Gelegenheit zu übermäßiger Trauer gestattet. Der verbannte Philosoph beginnt seine Ansprache an Polybius mit einem großen Lob: "einzig nämlich ihn [polybius, D. B.] - von denen, die ich in des Kaisers Haus einflußreich sah - glaube ich zu kennen, den zum Freund zu haben zwar allen dienlich, dennoch mehr aber ein Wunsch ist. ,,56 Die Begründung für dieses unverhoffte Kompliment wird von Seneca sofort nachgereicht: Sein Geist sei "durch eines freien Mannes angemessene Lehren, mit denen er nicht nur aufgezogen, sondern in die er hineingeboren worden ist, derart gegründet, daß er über alle körperlichen Schmerzen hinaus ist. ,,57 Dafür habe er selbst gesorgt, "mit dem besseren Teil seines Selbst von Dauer zu sein und mit den bedeutenden Schöpfungen seiner Sprachkunst sich von der Sterblichkeit zu befreien."s8 Die intellektuelle Auseinandersetzung mit den Werken Homers und Vergils59 rechnet der Philosoph dem kaiserlichen Freigelassenen als persönliches Verdienst an. Sie hebe Polybius so weit aus dem Kreis der anderen Mitglieder der familia Caesaris hervor, daß Seneca ihn durchaus einer Freundschaft für Wert erachtet. Die sittlich-moralische Befähigung des Amtsinhabers a libellis, die sich in seiner schriftstellerischen Tätigkeit ausdrückt, lege aber gleichzeitig auch, so Seneca weiter, seine .Pflichten~fest. N achdeIl1· erihn noch einmal dätauf ~ufmerksäm"gemachthat,
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einer breiten Öffentlichkeit bedurfte (Sen., de ben. 2, 23, 1), um zur Gelnmg zu gelangen, gab es für Seneca zur Bekanntmachung der eonsolatio überhaupt keine praktizierbare Alternative. Sen., ad Polyb. 1.
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Sen., ad Polyb. 2, 4: unum enim hune ex iis quos in principali domo potentes vidi eo-
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gnovisse videor, quem omnibus amieum habere eum expediat. magis tamen etiam libet. Sen., ad Polyb. 2, 5: liberalibus disciplinis. quibus non innutritus tantum. sed innatus est. sie esse fundatum ut supra omnes eorporis d%res emineret. Sen., ad Polyb. 2, 6: ut meliore sui parte duraret et compositis e/oquentiae praec/aris operibus a morta/itate se vindiearet. Polybius hat eine Paraphrase des Homer in lateinischer und eine des Vergil in griechischer Sprache verfaßt; s. Rosenbach, Manfred (11983): L. Annaeus Seneca. Philosophische Schriften. Lateinisch und Deutsch. Band 2. Darmstadt, S. 368, Anm. 7.
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daß Klagen und Tränen das traurige Schicksal nicht ändern können,60 ermahnt Seneca den kaiserlichen Freigelassenen eindringlich, daß ihm gerade aufgrund seiner Studien "nichts Gemeines, [...] nichts Niedriges" zustehe. "Sich zur Vernichtung dem Schmerz hinzugeben", das sei "niedrig und weibisch". 61 Nichts könne er jemals tun, so Seneca, "was nicht würdig der öffendichen Stellung eines hochgebildeten Mannes, ohne daß viele ihre Bewunderung für dich reut."62 Sein Ruf als gebildeter Mann erlaube es dem libertus Caesaris nicht, sich der ohnmächtigen Trauer hinzugeben. Mit der Betonung der öffendichen Stellung des Polybius vollzieht sich gleichzeitig eine einschneidende Veränderung in der Art und Weise, wie Seneca den libertus Caesaris betrachtet. Eine bedeutende Rolle hat dir die öffentliche Meinung auferlegt: du mußt sie wahrnehmen. [...] Freizügiger ist alles für die, deren Empfindungen verborgen werden können; für dich ist kein Geheimnis zugelassen: in volles Licht hat dich das Schicksal gestellt. Alle wissen, wie du dich bei dieser deiner Verwundung verhältst, ob du sofort erschüttert die Waffen sinken läßt oder standhältst. Einst hat dich zu höherem Rang die Liebe des Kaisers erhoben und dich deine wissenschaftliche Arbeit emporgeführt.
Magnam tibi personam hominum consensus imposuit: haee tibi tuenda est. [ ...1 Liberiora sunt omnia iis quorum affeetus legi possunt; tibi nullum seeretum liberum esl: in multa luce fortuna te posuit. Omnes seient quomodote ill isto tuo gesseris vulnere, utrumne statim pereussus arma summiseris an in gradu steteris. Olim te in altiorem ordinem et amor Caesaris extulit et luo sludia eduxerunt. 63
Fast synchron mit dem Hinweis auf die Gunst des princeps, der Polybius seine Stellung zu verdanken hat, beginnt sich auch das Bild zu ändern, das Sene~a von dem Fr~Jgelass~n~n ~jfhn~~Hatteer ih_n ~uv()r noch ßs_ potel1,rlellen Freund angesprochen, so maßregelt er ihn jetzt Verboten, die unmittelbar aüs der Bekleidung des palatinischen Amtes a libellis resultieren. 64 Die Amtspflichten, so Seneca, erforderten von Polybius die notwendige Selbstdisziplin:
mit-einer -Re'ili;;'von
In großer Knechtschaft besteht das höchste Glück. Nicht ist es dir erlaubt, etwas nach deinem Willen zu tun: anzuhören sind soviel Tausende von Menschen, so viele Bittschriften sind zu erledigen; eine so große Anhäufung von Problemen, aus aller
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Sen., ad Polyb. 4. Sen., ad Polyb. 6,2: Nihil te plebeium deeet. nihil humile. Quid autem tam humile ae muliebre est quam eonsumendum se dolori eommittere? Sen., ad Polyb. 6, 3: Nihil umquom ita potes indignum lacere per/ecti et eruditi viri professione. ut non mullos admirationis de te suoe paeniteat.
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Sen., ad Polyb. 6, U.
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Sen., ad Polyb. 6, 4ff.
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Welt zusammenkommend, muß so entwirrt werden, daß sie in ihrer Ordnung dem erhabenen Kaiser vorgelegt werden können. Nicht ist es dir erlaubt, sage ich, zu weinen: damit du viele Weinende anhören kannst, damit der Gefährdeten und das Mitleid des mildesten Kaisers sich Wünschenden Tränen dir eine Sorge sind, mußt du die eigenen trocknen. Magna servitus est magna fortuna. Non licet tibi quicqUillTl arbitrio tuo facere: audienda sunt tot Iwminum mi/ia, tot disponendi libelli; tamus rerum ex orbe toto coeuntium congestus, ut possit per ordinem suum principis maximi anifTUJ subici, eXlricandus est. Non licet tibi, inqUillTl,Jlere: ut multos Jlentes audire possis, ut peric/itantium et ad misericordiam mitissimi Caesaris pervenire cupientium lacrimae tibi sint curae, tuae assiccandae sun/. 6S
Die Ausführungen des verbannten Aristokraten konzentrieren sich im folgenden ganz auf die Beziehung des Polybius zu seinem.Patron, dem princeps: "Wenn du wünschst, alle Dinge zu vergessen, denke an den Kaiser: sieh, wie große Treue du für seine Gnade dir gegenüber, wie großen Fleiß du schuldest [...]."66 Während der princeps "aller Menschen Schlaf' durch "sein Wachen" verteidige,67 habe auch Polybius diesem leuchtenden Vorbild gemäß seiner Möglichkeiten nachzueifern: Nicht ist es dir erlaubt, auf deine Interessen, auf deine wissenschaftliche Arbeit Rücksicht zu nehmen: während der Kaiser den Erdkreis innehat, kannst du dich widmen weder dem Genuß noch dem Schmen noch irgend etwas anderem; ganz schuldest du dich dem Kaiser. Non licet tibi ad utilitates tuas, ad studia tua respicere: Caesare orbem terrarum possidente , impertire te nec voluptati nec dolori nec ulli alii rei potes; totum te Caesari debes. 68
Das Bild des Polybius erfährt einen ganz neuen Federstrich. Stellte Sene(;a zu Beginn sdner 'Afispiache' doch' gerade 'die\vissenscll
6S
Sen., ad Polyb. 6, 4f.
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Sen., ad Polyb. lam huius in le Sen., ad Polyb. Sen., ad Polyb.
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7, 1: Cum voles omnium rerum oblivisci, Caesarem cogita: vide quanindulgentiae fidem, quantam industriam debeas. 7, 2: omnium somnos illius vigilia defendit. 7, 3.
gegenüber seinem eigenen GlÜck. 69 Im Blick Senecas auf den kaiserlichen Freigelassenen hat sich ein radikaler Perspektivenwechsel vollzogen. Das Bild eines Polybius, der sich durch seine intellektuelle Tätigkeit persönliches Verdienst erworben hat, ist der Beschreibung eines libertus Caesaris gewichen, dessen individuelles Schicksal einzig und allein der felicitas unterworfen ist. Das Glück, das sich in der Gunst und in der Liebe des princeps ausdrückt, wird zum entscheidenden Merkmal für den Blick auf den kaiserlichen Freigelassenen. Genau die gleiche Sichtweise offenbart sich in einem kurzen Brief des Plinius an Montanus. In ihm empört sich Plinius über die Inschrift auf dem Grabmal des Pallas, in der die Ehrungen für den libertus des Claudius - die Insignien des Praetors und eine Schenkung von 15 Millionen Sesterzen gerühmt werden. 70 Auch hier wird der kaiserliche Freigelassene ausschließlich als Nutznießer des Glücks betrachtet: Ich habe mich niemals über etwas gewundert, was eher dem Glück als echtem Verdienst entsprungen war. [..•] Doch warum ärgere ich mich? Besser man lacht darüber; sonst glaubt diese Gesellschaft [der Freigelassenen, D. B.] wohl gar, etwas Besonderes erreicht zu haben, die es durch Glück so weit bringt, daß man über sie lacht.
Equidem numquam sum miratus. quae saepius afortuna quam a iudicio proficisce-
rentur; f ...l Sed quid indignor? ridere satius. ne se magnum aliquid adeptos putent. qui huc felicitate perveniunt. ut rideantur.71
Persönliches Verdienst und individuelle Fähigkeiten werden bei der Charakterisierung des Pallas ebenfalls vollständig ausgeblendet. Das Bild des der felicitas unterworfenen libertus Caesaris, das sowohl Seneca als auch--,-plinius. zeJchnen, .erze.ugt eine Kluftzwischenden Mitgliedern der Oberschicht und den dem Sklavendasein entronnenen Freigelassenen, die unüberbrückbar erscheint. Alles das, was die Senatoren selber nicht sein wollen, wird im und durch einen patronalen Blick dem libertus zugeschrieben: fremdbestimmt im eigenen Handeln, abhängig gegenüber anderen Personen, ohnmächtig, das eigene Leben selbständig zu gestalten, da dieses der fortuna bzw. der felidtas unterworfen ist. Auf diese Art und Weise gerät der Freigelassene in der aristokratischen Sichtweise zum Antipoden der Senatoren. Der patronale Blick fixiert aber nicht allein die Position des libertus; die durch ihn erzeugte totale Distanz ist zugleich auch unmittelbarer Ausdruck einer aristokratischen Technik der Selbstkonstitu-
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Sen., ad Polyb. 7, 4. Plin., ep. 7, 29.
71
Plin., ep. 7, 29, 3f.
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tion. Im Gegenbild des seiner Handlungsalternativen beraubten Freigelassenen stellen sich die patres als sozial Und damit auch politisch vollständig überlegene Gruppe dar. Der Verzicht auf diese Distanzierung bedeutet die Leugnung der eigenen Existenz als Mitglied des herrschenden Standes. Polybius hat in der Perspektive des patronalen Blickes überhaupt keine Wahlmöglichkeit, auf welche Art und Weise er das Bittgesuch des Verbannten bearbeiten soll. Er hat einzig und allein seine Aufgaben und Pflichten zu erfüllen; dies schuldet er nicht nur der Dankbarkeit gegenüber seinem eigenen Patron, dem princeps, sondern auch der unüberbrückbaren gesellschaftliche Kluft, die sich zwischen dem kaiserlichen Freigelassenen und der Person Senecas auftut. Der libertus Caesaris muß sowohl dem Willen des princeps als auch dem Wunsch des verbannten Senatoren anstandslos nachkommen. Mit dem wuchtigen Anspruch, daß das eigene Anliegen widerstandslos zu erfüllen ist, weist sich Seneca in seiner Beziehung zu Polybius als sozial und politisch weit überlegen aus und konstituiert sich so als Mitglied der aristokratischen Gemeinschaft. Aber: Der distanzierende Blick brach sich an den tatsächlich vorhandenen Machtstrukturen. Im Gegensatz zum Bild des der felicitas ausgesetzten und willenlosen libertus hatte Polybius sehr wohl große Einflußmöglichkeiten auf die Erfolgschancen des senatorischen Bittgesuches. Er konnte es dem princeps zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt übergeben oder sich über den Verfasser nachteilig äußern; er konnte sich aber auch für ihn einsetzen. Alles das lag ganz in den Händen des Polybius. In dieser Situation und in diesem Umfeld war der patronale Blick der faktischen Machtüberlegenheit des kaiserlichen Freigelassenen in keiner Weise angemessen. Ein libertus, der sich im Zentrum imperialer· Herrschaft ·befand-und-der~die·.·. Klaviatur der Macht viItu9s ,zu spielen verstand, ließ sich nicht mehr wie ein-beliebiger ehemaliger Sklave eines ebenso beliebigen senatorischen Haushaltes behandeln. Seine Stellung in der domus principis klagte sich quasi in das aristokratisch gezeichnete Bild vom /ibertus ein. Wurde das Haus des princeps im Wahrnehmungsfeld des patronalen Blickes objektiviert, drohte die senatorische Selbstkonstiturion als überlegenes Subjekt zu scheitern. Dem patronalen Blick des Aristokraten wurde im Rahmen dieses konkreten sozialen Kontextes schlichtweg die Projektionsleinwand entzogen. Die Situation erforderte also eine Strategie, mit der man auf die realen Machtverhältnisse irgendwie reagieren konnte. Eine solche Strategie manifestierte sich in dem Bemühen des Seneca. dem Polybius anläßlich des Todes seines Bruders Trost zu spenden. Indem der Verbannte den libertus Caesaris zum Empfanger von Argumenten des Trostes macht, erscheint Polybius aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachtet. Die literarischen Qualitäten des Freigelassenen, die Seneca zu Beginn seiner Schrift rühmend erwähnt, wer198
den hier zum entscheidenden Merkmal seines Bildes. Nur dank seiner sittlich-moralischen Eigenschaften erweist sich der kaiserliche Freigelassene den stoisch ausgerichteten Trost-Gedanken zugänglich. Polybius wird von Seneca als jemand angesprochen, der von seinen Fähigkeiten her jederzeit in der Lage ist, sich auf eine Stufe mit dem verbannten Aristokraten zu stellen. Genau darin liegt das strategische Moment eines Blickes, der den Polybius als einen potentiellen amicus erscheinen läßt Indem die literarischen bzw. sittlich-moralischen Qualitäten des Polybius thematisiert werden, bringt der freundschaftliche Blick dessen Handlungskompetenz ins Spiel. Zwar vollzieht sich dieser Vorgang durch einen Akt der Verschiebung - die Handlungskompetenz war nicht so sehr Ausdruck der individuellen Eigenschaften des Polybius als vielmehr Ergebnis eines veränderten aristokratischen Funktionszusammenhanges - doch reicht allein schon ihr Ins-Spiel-Bringen aus, um die Machtverhältnisse in der domus principis im Wahrnehmungs bereich des Aristokraten zu installieren. Polybius wird als relativ selbständig handelndes Subjekt betrachtet - ganz im Gegenteil zur Sichtweise des patronalen Blicks. Damit aber scheint der freundschaftliche Blick zu diesem in Opposition zu treten, die so wichtige Distanzierung zum Freigelassenen aufgehoben zu sein. Der Eindruck täuscht. Denn indem der Verbannte dem Polybius Argumente des Trostes spendet, erweist sich der kaiserliche Freigelassene auch aus dieser Sichtweise als hilfsbedürftig, abhängig, unterlegen. Seneca befindet sich quasi in der Rolle eines Lehrers, der seinem 'Schüler' aus konkretem (Trauer-)Anlaß stoische Lehren der Affektbewältigung ans Herz legt. Eine Distanz wird auch durch den freundschaftlichen Blick hergestellt. Nur ist ihre Qualität jetzt eine ganz andere als beim patronalen. War sie dort eine-soziale Kluft; di~dufch nichts zuzuschütten ist, s(J'chai'akterisiert sie sich jetzt als eine zeitlich befristete, die durch die eigene Leistung des Polybius überwunden werden kann. Der freundschaftliche Blick stellt das strategische Element im Bittgesuch Senecas dar, durch das sowohl die Stellung des Freigelassenen in der domus principis in das Wahrnehmungsfeld des Aristokraten gerät wie auch eine Distanzierung zu ihm aufrechterhalten wird. Das Bild vom weitgehend autonom handelnden und ethisch-moralischen Kriterien gerecht werdenden amicus begründet somit nicht das grundlegende Verhältnis zwischen dem Aristokraten Seneca und dem libertus Polybius;72 es dient - paradoxerweise -
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Birt (1911), S. 596f., meint, daß Seneca den Polybius verehrt habe, da dieser tüchtig und moralisch integer seinen Amtspflichten auf dem Palatin nachgekommen sei. Orimal (1978), S. 67, schreibt bezugnehmend auf Sen., ad Polyb. 2, 4, daß Seneca gegenüber Polybius "augenscheinlich [...1 einige Achtung bewahrt [hatte]". Abel (1967), S. 80, Anm. 30, spricht zwar nicht direkt von einer Verehrung des Polybius, stellt aber den-
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ausgerechnet dazu, die notwendige Distanzierung des patronalen Blickes trotz einer widerstrebenden Realität unter Modifikationen aufrecht erhalten zu können. In der Art seiner Anwendung verweist der freundschaftliche Blick auf die Unangemessenheit einer gewissen senatorischen Verhaltensdisposition im Verkehr mit den kaiserlichen Freigelassenen. In diesem Sinne kann seine Etablierung73 in der Trostschrift an Polybius als Indikator für die Schwierigkeiten gelten, die sich für die Mitglieder der aristokratischen Gemeinschaft in der Kommunikation mit status niedrigen Personen im Hause des princeps ergaben.
Senatorische Abgrenzungsversuche Als sich die domus principis von einem beliebigen senatorischen Haushalt in den Mittelpunkt einer reichsweiten Herrschaftskoordination verwandelte, wurde auch in den Beziehungen zwischen Senatoren und statusniederen Gruppen ein ernsthafter Habituskonflikt heraufbeschworen. Am Beispiel der kaiserlichen Freigelassenen wird deutlich, welcher Art dieser Konflikt war. Der patronale Blick in Senecas consolatio ad Polybium verweist auf eine Disposition-der-Distanzierung, die die senatorischen Umgangsformen mit den Freigelassenen aktualisierte. In senatorischen Haushalten entstanden, war dieser Modus senatorischen Kommunizierens der unmittelbaren Umgebung des princeps nicht mehr angepaßt. Auch die Imago des hochmütigen
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noch fest, daß "nicht die geringste Spur der Verachtung, die man in Rom gegenüber den Niedriggeborenen hegt, [... ]," zu entdecken ist. Diese Beschreibungen der Beziehung zwischen Seneca und Polybius gehen an den Verhaltensdispositionen des Aristokraten und damit an der sozialen Wirklichkeit vorbei. Sie werden hervorgerufen durch den Versuch, den freundschaftlichen Blick zu verabsolutieren. Der Text wird in diesem Fall als eine Einheit gesetzt, die einzig und allein durch diesen Blick hergestellt wird. Das muß zwangsläufig die Schlußfolgerung nach sich ziehen, daß auch die soziale Strategie Senecas von dieser Sichtweise geprägt ist. Völlig ausgeblendet wird dabei der patronale Blick mit seiner existentiellen Bedeutung sowohl für das Selbstbild des Aristokraten als auch für sein Verhalten gegenüber einem kaiserlichen Freigelassenen. Verehrung oder Achtung sind in diesem Sinne Kategorien. die zur Beschreibung der sozialen Beziehung zwischen Seneca und POlybius unangebracht sind. Wenn Koestermann (1934), S. 55, hinsichtlich der Stilistik der consolatio ad Polybium von einem "auffallende[n] Mangel an Gestaltungsvermögen" spricht und feststellt, daß die "Argumente [... ] ohne inneren Zusammenhang [sind]", so können diese Beobachtungen un'mittelbar aus der Synchronität des patronalen und des freundschaftlichen Blikkes erklärt werden, die zwei sich widersprechende Bilder des Polybius erzeugen.
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Freigelassenen und der freundschaftliche Blick in Senecas Trostschrift lassen sich in diesen Zusammenhang einfügen. Sie stellen strategische Abgrenzungsversuche dar, mit der die Unangemessenheit der Disposition-der-Distanzierung relativiert wird. Während die Imago des hochmütigen Freigelassenen als defensive Strategie die ehemals soziale Kluft auf sittlich-ethischem Gebiet wieder aufzureißen versucht, indem die kaiserlichen Freigelassenen moralisch abqualifiziert werden, entfaltet sich der freundschaftliche Blick in Senecas Trostschrift als eine offensive. Er begründet die Distanz nicht auf einer anderen Ebene, sondern in einem neuen Modus: nicht absolut, ewig gültig und unumstößlich, sondern relativ, zeitlich beschränkt und unter bestimmten Umständen überwindbar. Die Disposition-der-Distanzierung aktualisierte die Beziehung Senatoren - Iiberti Caesaris auf unterschiedlichste Art und Weise. Weil sie aber verschiedenste Bilder und Strategien produzierte, die nicht nur gegenüber den kaiserlichen Freigelassenen eine geregelte Verständigung erheblich erschwerte, war sie einem Bereich individueller Handlungsstrategien anheimgefallen, der selbst innerhalb der aristokratischen Gemeinschaft nicht ohne weiteres verständlich war. Der freundschaftliche Blick in Senecas Trostschrift an Polybius konnte als Zeichen von Schmeichelei gedeutet werden, die für einen Senatoren unwürdig ist, die Imago des hochmütigen Freigelassenen dagegen als Zeichen senatorischen Starrsinns und Borniertheit. Die Unangemessenheit des patronalen Blickes wie auch die Heterogenität ihrer Hervorbringungen indizieren, daß sich die Disposition-der-Distanzierung in eine Disposition-fiir-Angst gewendet hatte, die sich vornehmlich in den Gemäuern des Palatin entfaltete.
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Zusammenfassung
Das senatorische Reden über die Angst Als sich Sejan auf dem Höhepunkt seiner Macht befand, sieht Tacitus die Straßen und Plätze Roms verwaist. Ein Verurteilter schrie seine verzweifelten Worte in eine gähnende Leere: "Wohin er seine Augen wandte, wo die Worte hinfielen, nur Flucht und Verödung, verlassen Straßen und Plätze. Einige kehrten zurück und zeigten sich wieder, eben deswegen zitternd, weil sie Angst gehabt hatten.") Wo sonst Informationen ausgetauscht, politische Freundschaften geschlossen, Feindschaften besiegelt und die Sorge um die res publica gepflegt wurden, schien sich eine Atmosphäre der Verunsicherung und des Mißtrauens ausgebreitet zu haben. Selbst bis in die Gemäuer der Wohnungen drang ein beklemmendes Gefühl: Zu keinem anderen Zeitpunkt lebte die Bürgerschaft mehr in Angst und Schrecken; man suchte sich gegen die nächsten Freunde zu decken, mied Zusammenkünfte und Gespräche, hüte.te sich vor bekannten und unbekannten Ohrenzeugen; sogar nach stumlI\en,llI!l!.leblosenI:>ipg~.D:,. .. ~~ um non alias mJJgis anxia et pavens civitas. tegens adversum proximos; congressus conloquia, notae ignotaeque aures vitari; etiam muta atque inanimJJ. tectum et parieIes circumspeclabantur. 2
Die Angst wich laut Tacitus auch nach dem Sturz des Sejan nicht aus Rom; sie lauerte überall. Als die Verfolgungswellen über die Anhänger des Praetorianerpmefekten zusammenschlugen, hätte man nicht unterscheiden können zwischen Fremden und Verwandten, zwischen Freunden und Unbekannten, zwischen einem neuen und einem im Dunkel der Vergangenheit
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Tac., ann. 4, 70, 2: quo intendisset oculos. quo verba acciderent. fuga vastitas. deseri itinera fora. et quidam regrediebancur ostentabantque se rursum. id ipsum paventes, quod timuissent. Tac.; anno 4, 69, 3.
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ruhenden Ereignis: gleichviel, ob man auf dem Forum oder beim Gelage und worüber auch immer man sich unterhielt, man wurde angeklagt, [.•.].
neque discerneres alienos a coniunctis, amicos ab ignotis, quid repens aut vestustate obscurum: perinde inforo, in convivio. quaqua de re locuti incusabantur, [ ...}.3
Die Grausamkeit des Tiberius ließ Rom zu einem Leichenschauhaus werden, in dem jedes Miteinander durch den Hauch des Todes und durch eine allgegenwärtige Angst erstarrte: Da lag ein riesiger Berg von Leichen, jeden. Geschlechts, jeden Alters, Menschen von hoher und niederer Geburt, verstreut oder aufgetürmt Und den Verwandten und Freunden wurde nicht gestattet heranzutreten, sie zu beweinen, nicht einmal sie längere Zeit zu betrachten, vielmehr mußten Wächter, die ringsum aufgestellt waren und den Ausdruck der Trauer jedes einzelnen lauernd verfolgten, bei den verwesten Leichen bleiben, bis sie in den Tiber geschleppt wurden, wo sie dahintrieben oder an die Ufer geschwemmt wurden: aber niemand verbrannte, niemand berührte sie. Ausgelöscht war das Gefühl für die Gemeinsamkeit menschlichen Geschickes durch die Macht der Furcht, [...].
iacuit immensa strages. omnis sexus. omnis aetas. inlustres ignobiles. dispersi aut aggerati. neque propinquis aut amicis adsistere, inlacrimare, ne visere quidem diutius dabatur. sed circumiecti custodes et in maerorem cuiusque intenti corpora putrefacta adsectabantur. dum in Tiberim traherentur. ubifluitantia aut ripis adpulsa non cremare quisquam. non contingere. interciderat sortis humanae commercium vi metus. [ ...}.4
>
Terror und Angst hatten unter der Herrschaft des Tiberius in das römische Gemeinwesen Einzug gehalten, so lautet das Urteil des Historiographen Tacitus. s In ähnlich eindringlichen Sätzen redet Seneca über die Angst. Seine philosophischen Übungen scheinen gegen eine ganzes Heer von Ängsten-zll"kämpfen. EFficht-gexen'die°-Angst'-VOT -Amnn:;~~\lOFS""chnIetz, 'vorMacht, vor Hauseinstürzen und Bränden,vor zukünftigenGescheheri~v6r Menschen und Göttern, vor Intrigen, vor der Menge, vor Krankheiten, vor Mühsal, vor Alter, vor Haß und Mißgunst, vor Gerüchten, vor Feinden, vor Gift, vor Strafen, vor Unbekanntem und Zweifelhaftem, vor Verbrechen. Vor allem dem Feldherrn dieser so unbezwingbar wirkenden Armee gilt sein ganzer Kampfeswille: der Todesfurcht, die das römische Volk als den Sieger über die Völker besiege. 6 Das furchterregende Angesicht des Todes wird
3
Tac., anno 6. 7, 3.
4
Tac., anno 6. 19, 2f.
S
Zum Furcht-Motiv in der taciteischen Tiberius-Darstellung S. das Einleitungs-Kap. Me-
tus Gallicus. Metus Punicus und die Angst bei Tacitus: Untersuchungen zur Angst in der römischen Geschichte. 6
Sen., ep. 71,37.
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von Seneca in Bildern gezeichnet, die die Inquisition des Mittelalters vorwegzunehmen scheinen: Ich sehe [...] Marterhölzer, nicht einer Art allein freilich, von den einen so, von den anderen anders hergestellt: mit dem Kopf zur Erde schlagen manche ans Kreuz, andere treiben einen Pfahl durch die Schamteile, andere breiten am Kreuz die Anne aus; ich sehe Folterseile, ich sehe Geißeln; und für die Glieder, für die Gelenke haben sie einzelne Werkzeuge erfunden. video [ ...] eruees, non unius quidem generis, sed aliter ab aliis Jabrieatas: eapite quidam eonversos in terram suspendere, alii per obseena stipitem egerunt, alii braehia patibulo explieuerunt; video fidieulas, video verbera; et singulis artieulis singula texuerunt maehinamenta.1
An anderer Stelle schreibt Seneca: Denke an dieser Stelle an Gefängnis und Kreuze und Folterbänke und Haken und, mitten durch den Menschen getrieben. daß er zwn Munde herausragt, den Pfahl und zerrissen von nach verschiedenen Seiten getriebenen Wagen die Glieder, an jenes Hemd, mit brennbaren Stoffen bestrichen und aus ihnen gewebt, [...]. eogita Jwe loeo eareerem et eruees et eeuleos et uneum et adaetum per medium Jwminem, qui per os emergeret, stipitem et distraeta in diversum aetis eurribus membra. illam tunieam alimentis ignium et inlitam et textam [...].8
"Keine apokalyptischen Bilder!" hieß es im Einleitungskapitel dieser Studie. 9 Nun tauchen sie in ihrem Schlußteil doch noch auf - ausgerechnet in den antiken Quellen selber. Egal, ob in der Historiographie eines Tacitus oder in den philosophischen Übungen eines Seneca, das senatorische Reden über die Angst bedient sich - wie die Beispiele verdeutlichen - Schreckenszenarien voller Qualen, Schmerzen, Ekel, Grausamkeit und Verwesung, um das Anlitz-.der Angst' ~u-ver-anschaulidten~':Soltder -hehre methodische Grundsatz also doch über Bord geworfenwerden,weniiSchon die seiiatori~ sehen Literaten selbst von derartigen Horrorvisionen Gebrauch machen? Sollen die bisher erzielten Ergebnisse nicht doch - mit der Legitimation eines Tacitus oder eines Seneca versehen - in eine düstere Metaphorik zusammenfassend eingebettet werden? Vorsicht bleibt geboten; dem senatorischen Sprechen über die Angst ist gründlich zu mißtrauen. Es vermittelt nicht nur ein eindrucksvolles Bild über die Wirkungsweise dieses Gefühls, sondern es benennt auch zum Teil unmittelbar, zum Teil verschlüsselt die vermeintlichen Ursachen all dieser Schrecken. Es suggeriert, daß es sich bei der senatorischen Angst um einen politisch manipulierten Affekt handelt.
1
Sen., ad Marc. 20, 3.
8
Sen., ep.. 14, 5; s. auch Sen., de ira 3, 3, 6. S. S. 17f.
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Ein allmächtiger, willkürlicher, blutrünstiger und verschlagener princeps wird für die Angst verantwortlich gemacht. Diesem Herren über die Angst werden Delatoren und andere Kreaturen des Kaisers als Agenten der Angst beige stellt. Gegen sie - und damit gegen die Angst - kämpfen wenige mutige und tapfere Senatoren, die ihr Leben einer republikanischen Gesinnung opfern, während alle anderen vor Angst erstarrt und angesichts der Folterwerkzeuge des Kaisers auf die Knie fallen und sich in servilem Verhalten üben. Das 'Theaterstück' ist bestens bekannt und in dieser Arbeit mehrmals kritisiert worden. lo Auch in modemen historischen Untersuchungen zur Geschichte des frühen Prinzipats taucht die senatorische Angst im Rahmen dieser Inszenierung wieder auf, wenn von ihr in Nebensätzen oder in wenigen Worten die Rede ist. lI Die senatorische Angst bleibt als emotionaler Effekt eines Repressionssystems auf ihre politische Dimension beschränkt. In diesem Sinne ist ihre Erwähnung in einer historischen Untersuchung tatsächlich kaum mehr als eine Belanglosigkeit und daher nur eine Anmerkung wert. Was die Geschichtswissenschaft für bare, wenn auch billige Münze nimmt, malt die Zelluloid-Bilderwelt Hollywoods in bunten Bildern aus: Caligula, auf dessen Orgien genausoviel rotes Blut wie weißer Wein fließt; Peter U stinovals Nero, der mit verklärtem Blick den Brand Roms besingt, während die Massen mit furchtgeweiteten Augen Zuflucht vor der Feuersbrunst suchen; der in seinem Wahnsinn durch die Gemächer des Palatin rast, weil Seneca seiner Bestialität durch einen gelassen ertragenen Freitod entwischt ist. Was aber haben solche Szenen, seien es nun die Schreckensvisionen antiker Literaten, die Nebensätze des modernen historischen Diskurses oder die- Phantasien· des. Cinematogrl!phen, mit .senatorischen Habitus~ Konflikten zu tun? Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung verweisen das senatorische Reden über die Angst zunächst in den Bereich der politischen Kampfmiuel, durch die sich die Mitglieder der aristokratischen Gemeinschaft gegenüber allzu respektlosen Kaisern behaupten wollten. Die antikrömischen apokalyptischen Bilder lassen sich nicht als Zeugenaussagen verwenden, die die historisch-anthropologische Besonderheit senatorischer Angst näher beschreiben können.
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S. die Kap. Die 'senatorische Opposition' - politisch motivierter Widerstand?, Das
Delatorentum - ein Disziplinierungsinstrument des Kaisers? und Die domus principis und die Dispsosition-der-Distanzierung. 11
S. z. B. Bracher (1987), S. 226: "In einem solchen Staat [dem des Tiberius, D. B.l schaffen Furcht und Denunziation eine Atmosphäre allgemeinen Mißtrauens [...)".
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Ein Phantombild senatorischer Angst Die Angst selbst aber bleibt flüchtig, will man ihr historisch-anthropologisch auf die Schliche kommen, lautete ein ernüchterndes Ergebnis im methodischen Teil der vorliegenden Arbeit. Die senatorische Angst entwindet sich dem historischen Diskurs. Versucht man sie mit Theorien und Definitionen der Angst dingfest zu machen, wechselt der historische Diskurs seine Zielrichtung, ohne es selbst richtig zu merken. Plötzlich hat er nicht mehr die Angst als solche im Visier, sondern die Haltungen der historischen Subjekte zur Angst. Seine historisch-anthropologischen Absichten hat er zugunsten geistes geschichtlicher aufgegeben. Die senatorische Angst aber macht sich auf und davon und ward nicht mehr gesehen. Das ganze Waffenarsenal, das das modeme Reden über die Angst zur Verfügung stellt, bleibt für die Jagd auf die Angst vergangener Epochen unbrauchbar. 12 Wenn die senatorische Angst also flüchtig ist und bleibt, dann gilt es ein Phantombild von ihr zu zeichnen. Diesem Bemühen hat sich die vorliegende historisch-anthropologische Studie zur senatorischen Angst gewidmet. Quasi als Tintenfeder und Tusche dienten zwei methodische Prämissen. Unter der - dem Paradigma des autonomen Subjekts als Alternative gegenübergestellten - Annahme, daß sich das (strebende) Subjekt über seine Umwelt durch ganz bestimmte Umgangsformen konstituiert, und der inhaltlichen Reduzierung des Angstbegriffes auf den einer 'anthropologischen Kompetenz' bzw. einer gesichtslosen Virtualität ließ sich ein Ensemble von Dispositionen-fürAngst beschreiben, das dem Phantombild senatorischer Angst seine eigenen besonderen Gesichtszüge verleiht. "- -; lii den'lctitiifbifde-i{Ja:hrIiillia€rlelraefRep4f6llIfwortten~vbrilnetJ:rSö1~ che Verhaltensdisposirldrlfit Iii-;Pöim' des:~s -mazorUhz -öbjekti viert und. normativen Setzungen unterworfen, die ihren Sinn in einer Momentaufnahme meist zur Symbolisierung von Rang- und Machtverhältnissen - aktualisierten. Verhaltensdispositionen, die sich ausschließlich auf einer diachronen Ebene entfalteten, waren davon noch weitgehend unbetroffen. Die Disposition-der-Umkehrbarkeit als Element der senatorischen körperlichen Hexis und die Disposition-zum-Kursieren (der außerkörperlichen symbolischen Setzungen) relativierten die Symbolisierung von Rangverhältnissen in der Dimension der Zeit. Jede Bewegung des senatorischen Leibes und jedes Sprechen an den vornehm lichen Orten aristokratischen Umgangs, jedes
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Ganz anders dagegen Delumeau (1985), Bd. 1, S. 9-46, der sich für seine Suche nach der Angst mit allen nur möglichen Waffen, d h. Modellen und Defmitionen der Angst, 'aufrüstet'; zur Kritik an Delumeaus Methode s. S. 35f.
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Setzen von Zeichen kommunizierte in einem je eigenen Modus mit einer imaginären zukünftigen Szenerie, in der sich die gegenwärtigen Rang- oder Machtverhältnisse genau umgekehrt darstellten. Diese Szenerie war kein abstrakter Wert, sondern dem senatorischen Fleische quasi eingeschrieben. Im frühen Prinzipat aber entfalteten sich diese Verhaltensdispositionen in einem Anwendungsraum, der einem anderen Prinzip gehorchte als der Raum ihrer Erzeugung. Der Funktionszusammenhang der aristokratischen Gemeinschaft kennzeichnete sich durch das Prinzip der Ressourcenverfügung. 13 Die Fähigkeit, Ressourcen an Mitglieder der eigenen Gemeinschaft und anderer gesellschaftlicher Gruppen zu verteilen bzw. weiterzuleiten, begründete die gesellschaftliche Stärke und das Prestige der einzelnen Senatoren. In der Beziehung zum princeps, aber auch in den Umgangsformen unter den Senatoren selbst standen die elementaren Äußerungen der senatorischen Körper sowie das Setzen der Zeichen in einem völlig neuen Kontext. Mit der Verwandlung der Disposition-der-Umkehrbarkeit und der Dispositionzum-Kursieren in Dispositionen-für-Angst tritt ein erster Charakterzug senatorischer Angst zu Tage. Gerade solche Verhaltensdispositionen verloren in der inneraristokratischen Kommunikation ihre Vorangepaßtheitl 4, die die Dimension der Zeit für die Evozierung ihres Sinns benötigten. Plötzlich begann sich die Zukunft des Senatoren zu verdunkeln, weil sie für die Mitglieder der aristokratischen Gemeinschaft nicht mehr das mit sich brachte, was schon immer war und was sein wird: Gleichheit unter Gleichen. Die Verheißung von Egalität konnte sich in den Bewegungen und sprachlichen Äußerungen der senatorischen Leiber sowie im Kreisen außerkörperlicher symbolischer Setzungen nicht mehr erfüllen. .. -Unta:-genaa.umgekehrten-Vorzeichea-gestalteterrsich"die:cBeziehunpzwischen den Senatoren und denjenigen -Anhängern status niederer Gruppen, die sich in unmittelbarer Nähe zum princeps aufhielten. Eine Dispositionder-Distanzierung war darauf ausgerichtet, eine unüberwindbare Kluft, die wie für die Ewigkeit geschaffen schien, zwischen dem Mitglied der aristokratischen Gemeinschaft und statusniederen Personen auf verschiedenste Art und Weise sichtbar zu machen. Als sich in der Person des Kaisers ein Zentrums der Ressourcenvergabe etablierte, gewann die Nähe zu ihm auch für die gesellschaftlichen Stärkeverhältnisse zu anderen sozialen Gruppen entscheidend an Bedeutung. Die Senatoren mußten, wollten sie sich mit statusniederen Personen - insbesondere den kaiserlichen Freigelassenen - erfolgreich verständigen, den veränderten Bedingungen des Kommunizierens
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S. das Kap. Ressourcenverfügung als Ordnungsprinzip der senatorischen Figuration. S. Bourdieu (1987), S. 100.
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Rechnung tragen. Sie hatten dem Gegenüber das Gefühl zu vennitteln, mit dem Mitglied der senatorischen Elite auf irgendeine Art und Weise auf gleicher Stufe zu stehen, und sei es auch erst in einer fernen Zukunft. 1S Das Phantombild senatorischer Angst gewinnt hier weiter an Kontur. Eine Disposition-der-Distanzierung konnte den neuen Gegebenheiten in der unmittelbaren Umgebung des princeps kaum gerecht werden. Mit den beiden zuerst genannten Verhaltensdispositionen steht sie damit in einem geradezu reziproken Verhältnis. Gegenüber statusniederen Personen, die in einem Nahverhältnis zum Kaiser standen, hatten sich die Senatoren im Grunde genommen so zu verhalten wie gegenüber den eigenen Standeskollegen. Im Umgang mit diesen versagten aber ausgerechnet jene Verhaltensdispositionen, die jetzt gegenüber einem kaiserlichen Freigelassenen durchaus angemessene Verhaltensmuster aktualisieren konnten. In diesem Sinne gewinnt die Disposition-der-Distanzierung ihren konkreten Platz im Ensemble senatorischer Dispositionen-fm-Angst. Damit aber nicht genug: Da der Sinn, den die schon genannten Verhaltensdispositionen in den Beziehungen zum Kaiser, zu anderen Senatoren oder zu Mitgliedern statusniederer Gruppen entwarfen, nicht mehr mit allgemeiner Verbindlichkeit zu lesen war, gaben unzählige senatorische Verhaltensmuster Anlaß zu verschiedenen Interpretationen und Beurteilungen ihrer selbst. In dieser Dunkelzone aristokratischer Umgangsfonnen war eine weitere Verhaltensdisposition im Spiel. Daß sich die Senatoren untereinander von Angesicht zu Angesicht beobachteten und Verstöße gegen die aristokratischen Regeln des Zusammenlebens allgemein von der gesamten Senatorenschaft geahndet wurden, war nur unter der Voraussetzung möglich, daß sich deI:: senatorischel.ebensstil in~al1er Öffentlichkeit~~ntfaltete und dieSenatoren auf die (anerkennende) Meinung ihrer Standeskollegen angewiesen waren. Dieses komplexe Beziehungsgeflecht, in dem die Praktiken der Verhaltenskontrolle eingebettet waren, wurde durch eine Disposition-desinszenierten-Außenbezuges aktualisiert. Der Akt des Beobachtens aber vollzog sich im frühen Prinzipat in einem völlig neuen Kontext. Er verwandelte sich in eine wertvolle senatorische Ressource, durch die sich im Kampf um Einfluß und Prestige die Gunst des princeps gewinnen ließ. Das Beobachten entband sich daher vom stillschweigenden Konsens der aristokratischen Gemeinschaft, dieser zersplitterte in unzählige Meinungen und Gerüchte, die Öffentlichkeit des Lebensstils wurde zu einem gefahrlichen Unterfangen, die Anerkennung durch die anderen zu einer unerfüllbaren Erwartung - und die
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So vennittelt es der freundschaftliche Blick in Senecas Trostschrift ad Polybium; s. S. 198ff.
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Disposition-des-inszenierten-Außenbezuges damit zu einer Disposition-fdrAngst. Weil der Akt des Beobachtens eine andere Semantik bekam, überlagerte diese Verhaltensdisposition die bisherige Konstellation senatorischer Dispositionen-für-Angst. In dieser besonderen Korrelation wird der eigentlich markante Gesichtszug im Phantombild senatorischer Angst sichtbar. Auf der einen Seite waren unangemessene Verhaltensweisen an sich schon einer breiten Skala von Interpretationen ausgesetzt, auf der anderen Seite hatte sich der stillschweigende Konsens atomisiert, was die Beliebigkeit der Deutungen nur noch steigerte. Mit anderen Worten: Unangemessene Verhaltensmuster, in denen sich Dispositionen-für-Angst aktualisierten, wurden zu Objekten eines delatorischen Verhaltens, in dem sich seinerseits eine Disposition-für-Angst manifestierte. Das retrospektiv gezeichnete Phantombild senatorischer Angst spricht dem senatorischen Reden über die Angst die Fähigkeit ab, die Realität der Angst abbilden zu können. Was die Mitglieder der aristokratischen Gemeinschaft über ihre Angst behaupten, kann als Zeugenaussage in einer historisch-anthropologischen Studie nicht zugelassen werden. Es wird stattdessen selbst - wie schon das Reden über den Luxus und das Reden über den Delatoren - zu einem Federstrich in eben diesem Phantombild. Seine Linienführung überkreuzt sich mit der eigenartigen Korrespondenz zwischen einem Beobachten von Angesicht zu Angesicht, das zur senatorischen Ressource geworden war, und unangemessenen aristokratischen Verhaltensmustern. Das senatorische Reden über die Angst setzt genau dort ein, wo sich die Disposition-des-inszenierten-Außenbezuges als Disposition-für-Angst im Wechselspiel mit anderen Dispositionen-für-Angst entfaltet. In diesem Sinne ist esmehr.als-Gm ein politis~hes Kampfmittel in der Aus~inande.!se.!ZUßg mit dem Kaiser, wie zunächst behauptet. Es verweist auf besondere Art und Weise auf jenes Ensemble von Dispositionen-für-Angst, das hier beschrieben worden ist, ohne es aber auf einer diskursiven Ebene widerzuspiegeln. So wenig die Senatoren über ihre Angst selbst aussagen konnten, sie waren auf der richtigen Spur. Mit den geistigen Übungen der Stoa verfügten manche von ihnen über ein Instrument der Elimenierung, das - bei richtigem Einsatz - durchaus Erfolg versprach. Indem die stoisch-geistigen Übungen auf eine 'Therapie' der Disposition-des-inszenierten-Außenbezuges zielte, konnten sie das senatorische Subjekt auch vom Würgegriff anderer Dispositionen-für-Angst befreien. Allerdings produzierten die 'therapeutischen' Maßnahmen selbst weitere Unsicherheiten und Brüche in den aristokratischen Umgangsformen. Denn mit der "Sorge um sich", die sich die Mitglieder der stoischen 'Sekte' antrainierten, erlernten sie zugleich die Fähigkeit zur Maskerade. Fortan bekleideten sie sich mit dem Mantel eines senatorischen Lebensstils, der ihren eigentlichen Lebenswandel zu verdecken 209
versuchte. Plötzlich gab es zwei Arten von Senatoren: solche, die wirklich welche waren, und solche, die Senator-Sein spielten. Mit der Fähigkeit zur Maskerade wird zugleich ein neuer Modus der Objektivierung senatorischer Verhaltensdispositionen sichtbar. Wurden in der Republik weitgehend vorbewußte Verhaltensweisen in der Widerspiegelung mit einer angeblich glorreichen, goldenen Vergangenheit objektiviert, so mischte sich ihr im frühen Prinzipat vor dem Hintergrund jenes Ensembles senatorischer Dispositionenfür-Angst ein Modus der Distanzierung bei. Indem das Subjekt den Bezug zum eigenen Verhalten vollständig umwandelte, konnte es von bestimmten Verhaltensmustern Abstand gewinnen - und sie dadurch reflektieren. So differenziert sich das Phantombild senatorischer Angst auch zeichnen läßt, es wird zu keinem Fahndungserfolg führen. Der Täter befmdet sich außerhalb der Reichweite des historischen Diskurses. Stattdessen kann es aber den historischen Blick auf die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten in der Senatorenschaft des frühen Prinzipats weiter schärfen helfen. So relativiert es beispielsweise das Patronage-Modell Sallers16 in einem entscheidenden Punkt. Zwar lassen sich mit diesem Modell die Mechanismen römischer Herrschaftskoordination bestens erklären, doch sagt es noch nichts über den senatorischen Habitus aus. Das Phantombild senatorischer Angst schiebt dem "schleichenden Übergang vom Modell der Realität zur Realität des Modells"17 einen Riegel vor. Das von SalIer beschriebene Patronagesystem römischer Ausprägung war keine Macht, die das Verhalten der Senatoren in dem Sinne bestimmte, daß die Regeln dieses Systems von ihnen tatsächlich erkannt, anerkannt oder gar bewußt gestiftet worden waren. Die Leitbegriffe des Patronage-Modells, denen SalIer die Potenz beimißt, "in der Geschichte so zu handeln wiedie_W{}rte zu ihrer-Bezeichnung im historischen Diskurs"18, werden durch das Phantombild senatorischer Angst eben dieser Fähigkeit beraubt. Die Objektivierung der Geschichte in den Leibern unterliegt anderen Gesetzmäßigkeiten als die Objektivierung der Geschichte in den Institutionen. Das Phantombild senatorischer Angst hat vor allem dort auszuhängen. wo sich der historische Diskurs mit aristokratischen Kommunikationsweisen und Konfliktfeldern beschäftigt. Gerade an diesen Orten beliebt sich der Täter vornehmlich aufzuhalten. Die sogenannte 'senatorische Opposition', das Scheitern der Luxusgesetzgebung und das Delatorentum zeigen an, daß das hier ermittelte Ensemble von Dispositionen-für-Angst wesentlich mehr ist
16
17 18
S. dazu das Kap. Ressourcenverfügung oder Patronage? VgI. S. 78, ~m. 54. VgI. S. 78. Anm. 56.
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als eine Banalität, die nur einen Nebensatz oder eine Anmerkung wert ist. 19 Wenn Augustus in einer verhängten Sänfte auf dem Forum erschien, dann versuchte er - ohne daß er die Zusammenhänge durchschaute - zu verhindern, daß sich in der wortlosen Kommunikation mit ihm die eine oder andere dieser Dispositionen-für-Angst entfaltete. Das römische Forum hatte sich in ein Forum der Angst verwandelt. Wann, in welcher Situation und wie oft sich ein Senator auf dem Forum wirklich ängstigte, wird allerdings nicht aufzuklären sein.
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Gleichzeitig kann das beschriebene Ensemble senatorischer Dispositionen-für-Angst weiter ergänzt werden. Die vorliegende Untersuchung konzentrierte sich fast ausschließlich auf die Kommunikations- und Umgangsfonnen innerhalb der Senatorenschaft selbst. Das senatorische Subjekt wird hier in seiner Eigenschaft als Mitglied in der Kurie und als Besitzer entsprechender Statussymbole betrachtet. Eine andere Sichtweise ergibt sich, wenn man es als Inhaber der patria potestas betrachtet Hier ständen in erster Linie die Beziehungen des pater jamilias zu den Mitgliedern seiner jamilia im Vordergrund (ich danke Prof. Dr. Martin für den Hinweis im Althistorischen Forschungskolloquium). Die Beantwortung der Frage, ob sich auch hier Verwandlungen solcher Verhaltensdispositionen in Dispositionen-für-Angst beobachten lassen, die die Beziehungen innerhalb der senatorischen jamilia konstituieren, könnte dem Phantombild senatorischer Angst weitere Konturen verleihen.
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Bibliographie
Allgemeine Bemerkungen (1) Zitierweise
- Mehrere Titel eines Autoren sind in der Bibliographie chronologisch nach dem Erscheinungsjahr geordnet und bei gleichem Erscheinungsjahr zusätzlich alphabetisch gekennzeichnet. Nur bei Lexika und einigen anderen Hilfsmitteln sowie bei Quellenausgaben und Übersetzungen wird das Erscheinungsjahr nach dem Erscheinungsort genannt. Vornamen werden ungekürzt zitiert, sofern sie ermittelt werden konnten. - In den Anmerkungen wird ein Titel bei seiner ersten Erwähnung mit allen bibliographischen Angaben zitiert; bei weiteren Zitierungen wird nur noch der Nachname (erscheinen mehrere Autoren mit gleichem Namen, wird der Anfangsbuchstabe des Vornamens ebenfalls genannt), das Erscheinungsjahr, die Bandzählung (wenn nötig) und die Seiten angegeben. Bei Theodor Mommsens Römisches Staatsrecht wird die herkömmliche Bandzählung (ganzer Band in römischen Ziffern, Halbband in arabischen gezogen. Ziffern)· beibehalten und zur Jahres angabe .in° die
Klammer
(2) Abkürzungen - Die benutzten Abkürzungen entsprechen dem Sigelverzeichnis der Annee philoLogique. - Daneben werden folgende Abkürzungen verwendet: N. F. = Neue Folge n. s. = new series = Paulys Realencyclopädie der classischen AltertumswissenRE schaften WelF = Wege der Forschung
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Campus Verlag' Frankfurt/ New York
Reihe "Geschichte und Geschlechter"
Karin Hausen, Heide Wunder (Hg.) Frauengeschichte - Geschlechtergeschichte 1992. 183 Seiten
Ursula Baumann Protestantismus und Frauenemanzipation in Deutschland 1850 bis 1920 1992. 388 Seiten Hanna Schissler (Hg.) Geschlechterverhältnisse im historischen Wandel 1993. 208 Seiten Marion Kobelt-Groch Aufsässige Töchter Gottes Frauen im Bauemkrieg und in den Täufemewegungen 1993. 213 Seiten Christiane Eifert Frauenpolitik und Wohlfahrtspflege Zur Geschichte der sozialdemokratischen "Arbeiterwohlfahrt" 1-99-3.388 Seiten
Susanne Rouette Sozialpolitik als Geschlechterpolitik Die Regulierung der Frauenarbeit nach dem Ersten Weltkrieg 1993. 374 Seiten Christiane Klapisch-Zuber Das Haus, der Name, der Brautschatz Strategien und Rituale im gesellschaftlichen Leben der Renaissance 1994. Ca. 200 Seiten
Campus Verlatl· Frankfnrt I
Np", V",,"1r