GEDANKEN ÜBER DIE LIEBE Ahmad Ghazzali
Dass dies der Liebe Farbe war, ich wusst es nicht, Und sie mit mir im Einklang w...
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GEDANKEN ÜBER DIE LIEBE Ahmad Ghazzali
Dass dies der Liebe Farbe war, ich wusst es nicht, Und sie mit mir im Einklang war, ich wusst es nicht. Sie schien ein Rosenstrauss zu sein; ich sah sie an: Da trug sie Feuer in der Hand ich wusst es nicht.
Im Namen des gnädigen und barmherzigen Gottes! Preis sei Gott, dem Herrn der Welten, und Gebete über unsern Herrn Muhammad und all seine Nachkommen! Diese Buchstabenenthalten in einigen Kapiteln, was mit den Bedeutungen der Liebe in Zusammenhang steht, obgleich die Überlieferung derLiebe nicht in Buchstaben und nicht in Worte hineinpasst - denn jene Bedeutungen sind Jungfrauen, so dass die Hand der Buchstaben an den Schleiersaum jener Jungfrauen nicht heranreicht - und obgleich wir gezwungen sind, die jungfräulichen Bedeutungen den männlichen Buchstaben anzuvertrauen in den Privatgemächern der Sprache. Doch in dieser Überlieferung liegt in dem Ausdrucke ein Hinweis. Erläutert sind die Bedeutungen nicht, und zwar für jenen nicht, dem das Unterscheidungsvermögen fehlt. Und hier spalten sich zwei Prinzipien ab: eins ist der Hinweis des Ausdruckes, und eins ist der Ausdruck des Hinweises, und der Buchstabenwechsel trennt wie die Schneiden des Schwerts, aber das kann man nur mit dem inneren Blicke erkennen. Und wenn in all diesen Kapiteln eine Sache auftaucht, die nicht verstanden wird, dann liegt es an diesen Bedeutungen, und "Gott weiss es am besten". Ein guter Freund, der mir so nahe wie die liebsten Brüder und völlig vertraut ist, bat mich: "Halte in einigen Ausführungen fest, was dir bezüglich der Liebe in den Sinn kommt, damit ich immer mit ihm Umgang habe und mich daran halte, wenn die Hand meines Verlangens nicht heranreicht an den Rocksaum der Vereinigung, und ich bei seinen Versen Zuflucht suche." Ich willigte ein und hielt seinetwegen einige Gedanken fest über die Realitäten und die Ausdrucksformen und die Ziele der Liebe unter der Bedingung, dass sie unabhängig sei, weder an Schöpfer noch Geschöpf gebunden, damit er sich daran bei Bedarf halte, obgleich: "Mögen alle Ärzte sich auch um dich bemühn, Ohne Lailas liebes Wort fehlt die Medizin."
Aber: "Begehr ich ihren Speichel, Ersetz ich ihn durch Wein. Ersetzt der Wein den Speichel? Zum Troste schenk ich ein."
I Gott, der Hocherhabene, sagte: 'Er liebt sie, und sie lieben ihn.' (Sure 5/54)
Im Nichtsein brach ein Reittier auf mit unsrer Liebesfracht; Die Lampe der Vereinigung erleuchtet unsre Nacht. Mit Wein, der nicht verboten ist, obgleich er trunken macht, Benetzen wir hinfort den Mund, bis dieses Sein vollbracht.
Vom Nichtsein kam, um mich zu sehn, die Liebe in die Welt; Sie wählte mich zu ihrem Ziel und hat sich eingestellt. Wie Duft am Holz der Aloe bleib ich dir zugesellt Bei Tag und Nacht, das ganze Jahr, was Neidischen missfällt.
"Ich kannte Leidenschaft noch nicht; sie nahm mich ein: Sie fand das Herz bestellt und leer und trat herein."
Der Geist kam aus dem Nichtsein in das Sein. An der Seinsgrenze erwartete die Liebe das Reittier des Geistes. Ich weiss nicht, welche Mischung sich zunächst ergab: als die Essenz zum Geiste wurde, wurde ihre Eigenschaft zur Liebe. Sie fand das Haus leer und liess sich nieder. Die Unterscheidung in der Gebetsrichtung der Liebe ist rein zufällig, tatsächlich ist sie frei von Richtungen, da sie sich nicht in eine Richtung wenden muss, um zu existieren. Ich weiss aber nicht, was die Zeit bewirkt. In dem Augenblick, da sich ein Steigbügelhalter auf des Sultans Reittier setzt, ist es nicht sein Reittier, doch das schadet nichts. "Unsere Rede ist ein Zeichen." Manchmal legt man Fayencestücke oder Glasperlen in die Hand des unerfahrenen Schülers, damit er Meister werde; manchmal überlässt man seiner ungeschickten Hand kostbare Perlen und funkelnde Edelsteine zur Bearbeitung, weil des Meisters kundige Hand nicht den Mut hat, sie abzutasten, um sie zu durchbohren. Wenn das Zeit-Chamäleon Farbwunder in das Buch der Augenblicke zaubert, sieht man keine Spur, weil es auf dem Wasser geht - nein vielmehr auf der Luft, denn die Augenblicke sind ja Luft.
II Wenn die Liebe das Haus leer vorfindet und der Spiegel frei ist, wird ihre Gestalt in der klaren Luft des Geistes deutlich sichtbar. Sie vollendet sich, wenn des Liebenden geistiges Auge die Gestalt des Geliebten oder dessen Namen oder dessen Eigenschaften sieht, während es ihn selbst zu sehen wünscht. Das ist dann der Fall, wenn des Liebenden Blick auf sich selbst verschleiert ist, er sich an das geistige Auge hält, so dass er den Geliebten an seiner Stelle sieht. Hier ist es, wo er sagt:
Ich trage dein Bild in den Augen mit mir; Wohin ich auch blicke, ich blicke zu dir.
Denn des Liebenden Weg zu sich selber führt über die Liebe. Solange er an dieser nicht vorbeikommt, ganz gefesselt ist, kann er auch nicht zu sich selber kommen. Die Majestät der Liebe lässt das Auge nicht vorübergehen, denn Eifersucht der andern ist tapfer in der Liebe, nicht die eigene.
Das Traumbild des Geliebten Prägte mich Nacht für Nacht; Nun ist es diese Prägung, Die mich so streng bewacht. "Ich liebe mich selber, mich selbst liebe ich; Zwei Seelen, ein Körper sind wir, er und ich. Und blickst du mich an, so erblickst du auch ihn, Und blickst du ihn an, so erblickst du auch mich."
weist auch darauf hin, doch im zweiten Halbvers ist der Sinn ferner gerückt, denn "Zwei Seelen, ein Körper sind wir, er und ich'' hat den Fuss von der Einheit in die Zweiheit gesetzt; näher heran kommt der erste Halbvers: "Ich liebe mich selber, mich selbst liebe ich." Hier bewahrheitet sich, was gesagt wurde:
O mein Idol, so rief ich, mag sein, ich liebe dich. Doch nun als meine Seele seh und erkenn ich dich.
Sehr poetisch wurde hier gesagt:
Seele und Welt bist du für mich, Glaube und Ketzerei. Kehrst du dich ab, so werde ich auch von dem Glauben frei.
Vielleicht sollte man sagen: "Kehrst du dich ab, so verliere ich die Seele." Da es sich aber um die Sprache der Dichter handelt, bleibt sie an Vers und Reim gebunden. Die Sprache der Liebenden ist eine andere als die Sprache der Dichter, denen durch Vers und Reim ein Maass gesetzt ist.
III Manchmal wird der Geist für die Liebe wie Erde, damit der Baum der Liebe aus ihm emporwachse; manchmal wird er wie das Wesen für die Eigenschaft, damit sie auf ihm fusse; manchmal wird er wie der Gefährte im Haus, um zu überwachen, wie sie sich erhebt; manchmal wird sie zum Wesen, der Geist zur Eigenschaft, damit dieser in ihr existiere, doch das versteht nicht jeder, denn es gehört in die Welt des zweiten Beweises, der hinter der Auslöschung liegt und der den Verfechtern des ersten Beweises, der vor dieser Auslöschung liegt, nicht richtig erscheint; manchmal wird die Liebe zum Himmel und der Geist zur Erde, so dass sie es ist, die bei Bedarf Regen spendet; manchmal wird die Liebe zum Samen und der Geist zum Boden, so dass sie es ist, die aufgeht; manchmal wird die Liebe zum Diamanten einer Mine und der Geist zur Mine, so dass sie es ist, die Diamant wird und Mine; manchmal wird sie zur Sonne an dem Himmel des Geistes, so dass sie es ist, die erstrahlt; manchmal wird sie zur Flamme in der Luft des Geistes, so dass sie es ist, die da brennt; manchmal wird sie zum Sattel auf dem Reittier Geist, so dass sie es ist, die aufsitzt; manchmal wird sie zum Zügel am Kopfe des widerspenstigen Geistes, so dass sie es ist, die die Richtung angibt; manchmal wird sie zu den Ketten der Gewalt, die der Wink des Geliebten ausübt, gebunden an den Geist; manchmal wird sie zum reinen Gifte am Gaumen des Zeitzwanges, so dass sie selbst es ist, den sie zermalmt und vernichtet, so dass gesagt wurde:
"O mein Geliebter", sagte ich, "nun zeige dich, Enthülle deine Schönheit und beschenke mich!" Er sprach: "Sei vorsichtig, mein Freund, und hüte dich, Denn diese Liebe zieht den Dolch und tötet sich."
Dies alles ist eine Zeiterscheinung, untermalt von dem Geräusch des Wissens, dessen Grenze der Liebe Küste ist. Zum Kerne dieser Sache führt für das Wissen kein Weg; ihre Herrlichkeit kann nicht erfasst und nicht beschrieben werden, so dass man sagte:
Die Liebe ist geheimnisvoll, niemand hat sie gesehn. Wie lange wollen Liebende Rede und Antwort stehn? Wer über seine Liebe spricht, hat sich von ihr getrennt, Da Liebe andre Wege geht, als die Gedanken gehn.
Bekanntlich ist das Stäubchen in der Luft nachweisbar oder nicht, je nach Sonnenschein:
Du bist die Sonne, Staub der Luft sind wir. Wann jemals - ohne dich erscheinen wir? Zeigst einen Augenblick du dein Gesicht, Gehst auf am Bergesrand, so tanzen wir.
Die Hand nicht zu reichen, geschieht nicht nur aus Grösse und Erhabenheit; es kann auch aus Güte oder besonderer Verbundenheit geschehen. Das Wissen endet an der Liebe Küste. Auf der Grenze ist es grad noch greifbar. Setzt es den Fuss vor, so versinkt es. Wie kann es dann noch Nachricht geben, und woher weiss man um Versunkenes?
Grösser ist deine Schönheit, als ich erfassen kann, Und dein Geheimnis tiefer, als ich erforschen kann. Liebe zu dir entfremdet mehr als ich sagen kann. Dich zu beschreibes, fordert mehr als ich geben kann.
Nein, vielmehr ist das Wissen der Nachtfalter der Liebe, spielt für sie keine Rolle. Zuallererst verbrennt in ihr das Wissen. Wie sollte es dann eine Nachricht geben?
IV ÜBER DEN TADEL. Vollkommenheit der Liebe ist nicht ohne Tadel, und diese Tadel hat drei Aspekte: einer betrifft die Aussenstehenden und einer den Liebenden und einer den Geliebten. Jener Aspekt, der die Aussenstehenden betrifft, ist das scharfe Schwert der Eifersucht des Geliebten, dass der Liebende nur nicht nach andern sehe; und jener Aspekt, der den Liebenden betrifft, ist das scharfe Schwert der Eifersucht der Zeit, dass der Liebende nicht auf sich selber sehe; und jener Aspekt, der den Geliebten betrifft, ist das scharfe Schwert der
Eifersucht der Liebe, dass der Liebende auch von ihr zehre und nicht satt werde und nichts anderes benötige:
Begehr ich deine Liebe und sonst nichts auf der Welt, Vereinigung und Trennung für mich zusammenfällt. Entbehr ich deine Liebe, ist mir das Sein vergällt; Vereinigung und Trennung, sie sind dir freigestellt.
Und alle drei scharfen Schwerter der Eifersucht trennen den Blick von den anderen ab. Das geht so weit, dass selbst der Liebende fremd wird und auch der Geliebte. Dann erstrahlt die Liebe in ihrem vollen Glanze, denn die Vollkommenheit der Liebe zehrt von der Verbindung, in der der Liebende und der Geliebte eins sind. Betrifft die Vereinigung nur das Zusammenkommen, liegt sie auf dieser Ebene, so ist es nicht die richtige Liebe:
Treulos und lieblos wäre ich, Riefe ich je zur Hilfe dich. Trenne dich oder trenn dich nicht, Es ist mir gleich: ich liebe dich.
Die Liebe muss beide, Vereinigung und Trennung, überwinden. Sobald sie die Vereinigung anstrebt, erhebt sich schon die Möglichkeit der Trennung, doch das begreift nicht jeder. Wenn die Vereinigung zur Trennung wird, wird die Trennung - ganz von selber - zum Ausgangspunkte der Vereinigung. Hier wird Speise zu Hungersnot und Sein zu Nichtsein und Finden zu Entbehren und Glück zu Unglück. Doch nicht jeder findet hier den Weg, denn er beginnt erst jenseits aller Grenzen. Wie könnte sein Ziel vom Wissen erreicht werden? Wie könnte er durch die Wüste der Einbildung führen? Diese Wahrheit ist die Perle in einer Muschel, und die Muschel liegt auf dem Meeresgrunde. Wie sollte hier das Wissen hingelangen, das grade noch den Weg zur Küste findet? Ist das Wissen versunken, wird aus Gewissheit Vermutung; aus Wissen und Gewissheit wird eine vage Meinung, die die Türschwelle der Erhabenheit dieser Unterredung in der Verkleidung des "Ich vermutete" (Sure 69/20) überschreitet. " 'Glaubst du denn nicht?' Er sagte: ,Doch, aber...' " (Sure 2/26o) weist darauf hin. "Ich stehe zu der Meinung meines Dieners über mich, möge er auch meinen, was er will" besagt dasselbe. Dabei steht der Diener mit der Meinung und die Meinung mit dem Herren in Verbindung. Jene Meinung ist der Taucher in diesem Meere. Vielleicht fällt die Perle in seine Hand oder er in die Hand der Perle. Die Menschen tadeln, dass jede Haarspitze der Liebe, die herausschaut oder draussen Atem holt oder Verbindung aufnimmt, abgeschnitten wird, so dass sie ausschliesslich drinnen Beute macht. Dort erleidet sie auch ihre Niederlage: "Ich suche Zuflucht bei dir vor dir", und von dort kommt ihre Sättigung und kommt ihr Hunger: "Einen Tag lang bin ich satt und einen Tag lang hungrig." Ausserhalb bewirkt die Liebe nichts.
Dies ist der Ort des Tadels und der Zerstörung Feld Und dies der Weg des Spielers,
der nichts zurückbehält. O werde Wanderderwisch, dem das Gewand zerfällt, Ein Vagabund, der frei ist von Ängsten dieser Welt!
Im Eifer wendet sich der Liebende von allen ab, gibt sich ganz dieser Sache hin und hat dabei keinerlei Bedenken:
Sie reissen mir die Haut vom Leib, weil ich, o Freund, mich dir geweiht, Verfechter der Behendigkeit und Vagabundenherrlichkeit. Zu lieben gilt's, denn wer da liebt, was fürchtet er? Er ist gefeit. Staub auf das Haupt der ganzen Welt! Dir den Geliebten! Sei bereit!
Danach herrscht die Eifersucht des Geliebten wieder. Diesmal gilt der Vorwurf der (Selbst-) Sicherheit, lässt ihn aufblicken. Ihn selbst trifft der Tadel. "Unser Herr, wir taten Unrecht" (Sure 7/23) zeigt hier das Gesicht. Danach herrscht wieder die Eifersucht der Liebe. Sie wendet sich von dem Geliebten ab, weil das Verlangen nach ihm sie von sich selber ablenkte. Sie tadelt weder die Aussenstehenden, noch sich selber, noch den Geliebten, sondern das Verlangen nach ihm. Auf der Liebeseinsamkeit liegt der Glanz vollkommener Zurückgezogenheit. Sie geht in der Einheit auf, die Einheit in ihr; Fremdes hat darin gar keinen Platz. Solang die Liebe in der Einheit ruht, existiert sie in ihr und nährt sich von ihr; selbst der Liebende und der Geliebte sind ihr fremd. Wenn auch die Unkundigen über diese Station nichts erfahren und des Wissens Hinweis dort nicht ankommt, so dass es auch nichts aussagen kann, so weist doch der Hinweis der Erkenntnis in diese Richtung, für die es keine Grenze und kein Ende gibt. Ihre Grenze ist zerstört, anders als beim Wissen, dessen Grenzen dauerhaft sind. Hier spürt man den Wellenschlag der Liebesmeere: sie bricht sich an sich selber und flutet aus sich selber.
Du stiegst empor und leuchtetest, o Mond, Durchschwebtest deinen Himmelsraum, o Mond, Sahst eine Seele, nahmst sie mit, o Mond, Doch plötzlich sankst du und verschwandst, o Mond.
Sie ist Sonne und Firmament, Himmel und Erde, Liebender, Geliebter und Liebe, weil sich Liebender und Geliebter von der Liebe herleiten. Ohne diese zufälligen Ableitungen ergibt sich wieder die wahre Liebeseinheit.
V Ich greife einen Tadel auf, der den Liebenden und den Geliebten und die Aussenstehenden betrifft; und hier liegt ein schwieriger Punkt, denn der Tadel betrifft die Liebe. Vollendet sich die Liebe, wendet sie sich ab und sagt dem äusseren Wissen Lebewohl. Es denkt, sie ging und sagte Lebewohl, und dabei sitzt sie im Hause. Das ist ein erstaunlicher Zustand: Es ist ein Lebewohl im Gehen, kein Lebewohl, um zu gehen. Das zählt zu den Schwierigkeiten dieses Berichtes und ist Vollkommenheit der Vollkommenheit. Nicht jeder versteht es. Vielleicht liegt ein Hinweis auf den Sinn im folgenden Ausspruch:
Kommt Liebe zum Ziele, wird Freundschaft zu Feindschaft.
VI TADEL BEI PRÜFUNG DER LIEBE. Es kommt auch vor, dass die Liebe ihr Gepäck ergreift, und der Liebende ist beschämt vor sich selbst und den Aussenstehenden und vor dem Geliebten. Schliess lich bedauert die Liebe jenen Schmerz, der sie eine Weile vertritt. Wie gross ist der Schmerz! Doch auch er ergreift sein Gepäck, auf dass das Spiel von Neuem beginne. Und wieder wird es mächtig, denn die Liebe versteckt ihr Gesicht, zeigt einmal Liebe und einmal Schmerz, ist ein Chamäleon, trägt jeden Augenblick eine andere Farbe, und bald sagt sie: "Ich ging" und ist nicht gegangen.
VII In der Liebe gibt es Annäherung und Rückzug, Gewinn, Verlust und Vollendung, und der Liebende entwickelt sich dabei. Zunächst lehnt er ab, dann gibt er sich hin. Möglicherweise wird er der Liebe wieder überdrüssig und lehnt wieder ab. So entwickeln sich die Personen und Zeiten. Manchmal nimmt die Liebe zu, und der Liebende verleugnet sie, und manchmal nimmt sie ab, und er, der sie besitzt, bestreitet es. Um den Liebenden, die Festung, zu erobern, muss die Liebe sich zurückhalten, damit er Vertrauen fasst und sich hingibt.
Zum Herzen sprach ich: "Zeige dich dem Freund nicht wieder, schweig! Sprich ferner von der Liebe nicht, nimm dich in acht und schweig!" Zu mir das Herz sprach: "Hüte dich, sag dies nicht wieder, schweig! Gib dich den Liebesqualen hin und sprich nicht länger, schweig!"
VIII Ist es nicht genug, dass der Mensch geliebt wird, ehe er selbst liebt? Ist das wenig? "Er liebt sie" (Sure 5/54) hat den Bettler, schon vor seiner Ankunft, so reich beschenkt, dass er für alle Ewigkeit versorgt ist und dann noch ein Rest bleibt. O Jüngling; wie kann sich diese Gastfreiheit, gewährt in anfangsloser Ewigkeit, vollenden, es sei denn in endloser
Ewigkeit? Nein vielmehr: Wie kann sich diese Gastfreiheit, die älter ist als anfangslose Ewigkeit, in endloser Ewigkeit vollenden? "Und keine Seele weiss, was für eine Augenweide für sie verborgen ist" (Sure 32/17). O Jüngling, die anfangslose Ewigkeit ist da, die endlose kann niemals ankommen; niemals wird sich die Gastfreiheit erschöpfen. Erkennst du das Geheimnis deiner Zeit, so weisst du auch: "zwei Bogenlängen" (Sure 53/9), das sind deines Herzens Ewigkeiten, anfangslos und endlos, das ist deine Zeit.
IX Das Geheimnis, warum die Liebe niemals jemandem voll das Gesicht zeigt, besteht darin, dass sie Vogel der anfangslosen Ewigkeit ist. Hier angekommen, fliegt sie in endloser Ewigkeit. Sie zeigt sich hier dem AnfangsAuge nicht, denn nicht jedes Haus taugt dem zum Neste, dem die Herrlichkeit der anfangslosen Ewigkeit als Nest gedient hat. Manchmal fliegt sie zurück in diese Ewigkeit und verbirgt sich unter den Schleiern ihrer Macht und Herrlichkeit. Niemals hat sie sich in voller Schönheit dem Auge des Wissens gezeigt und wird es nie tun. Aus diesem Grunde ist sie dann am zuverlässigsten, wenn sie den Bindungen und Schranken dieser Welt, dem wissenschaftlichen Denken, der Verstandesgeometrie, der ausgeklügelten Philosophie und der Sinnlichkeit wieder entflieht. Denn auch den Rustem trägt des Rustems Pferd, weil sie alle beide nicht in dieser, sondern in jener Welt zu Hause sind.
X Sie ist Vogel und ist Nest; sie ist Wesen und ist Eigenschaft; sie ist Feder und ist Schwinge; sie ist Luft und ist Flug; sie ist Jäger und ist Beute; sie ist Gebetsrichtung und ist Beter; sie ist Sucher und ist Gesuchter; sie ist Anfang und ist Ende; sie ist Herrscher und ist Untertan; sie ist Schwert und ist Scheide; sie ist Garten und auch Baum; sie ist Zweig und auch Frucht; sie ist Nest und auch Vogel.
Der Tröster ist der Liebe Leid, wir sind es selbst; Was uns verwirrt und irreführt, wir sind es selbst; Die Not, die unser Leben bringt, sie trifft uns selbst; Der Jäger und das Beutetier, wir sind es sebst.
XI Das Phänomen der Schönheit ist etwas anderes als das Phänomen, geliebt zu werden. Das Phänomen der Schönheit blickt nicht um sich, es ist unabhängig, während das Phänomen, geliebt zu werden, mit all seinen Gesten von dem Liebenden getragen wird, nicht ohne ihn gelingt. Hier braucht der Geliebte einen Liebenden. Das Schönsein ist etwas anderes als das Geliebtwerden. Die Erzählung über jenen König, den der Heizer eines Bades liebte und zu welchem sein Vezier sprach. Der König wollte den Heizer bestrafen. Der Vezier sagte: "Du bist als gerecht bekannt. Es ist nicht angemessen,
dass du wegen einer Sache bestrafst, die dem freien Willen entzogen ist." Zufällig führte der Weg des Königs am Bade des Armseligen vorüber, der Tag für Tag im Staube sass und nach ihm Ausschau hielt. Wenn der König hinkam, verknüpfte sich das Phänomen der Schönheit mit dem Phänomen, geliebt zu werden, bis er eines Tages wieder hinkam, und jener nicht dasass, während er nun an das Phänomen, geliebt zu werden, gebunden war. Dieses Phänomen, geliebt zu werden, brauchte den flehenden Blick eines Liebenden, ohne den es nackt blieb, weil es nirgends angenommen wurde. Zorn stieg im König auf. Der Vezier war klug und durchschaute alles, stand erneut zu Diensten und erklärte: "Wir sagten, dass es keinen Sinn habe, ihn, der nicht schaden könne, zu bestrafen, doch nun erkannten wir, dass sein Flehen sogar nötig ist." O Jüngling, das Phänomen, um der Schönheit willen geliebt zu werden, und das Phänomen der Schönheit selber müssen wie Salz in einem Tiegel sein, so dass der Schönheit und der Salzigkeit Vollkommenheiten sich verbinden. O Jüngling, was meinst du? Wenn man zu dem König gesagt hätte: "Er hat sich von dir gelöst und in Liebe einem andern zugewendet"- ich weiss nicht: hätte ihn Eifersucht ergriffen oder nicht?
O Freund, tu alles, was du willst, nur, nimm dir keinen Freund, Sonst hätte ich mit dir fortan nichts mehr zu tun, o Freund.
Die Liebe ist ein äusserst festes Band; sie verbindet sich nach beiden Seiten. Wenn die Verbindung in Richtung Liebender zustande kam, muss auch die andere zustande kommen, denn die Liebe ist der Vorläufer der Einheit.
XII Der wichtigste Aspekt einer jeden Sache ist der ihrer Verbindung, und in ihrer Wirkung verbirgt sich ein Zeichen. Die Schönheit weist auf diese Wirkung hin; der Aspekt, der sie bitrifft, ist der wichtigste. Solang man jenen Hauptaspekt nicht sieht, sieht man auch das Zeichen nicht, das in der Schönheit liegt und in der Wirkung. Jener Aspekt ist die Schönheit des "aber es bleibt das Antlitz deines Herrn" (Sure 55/27). So ein Aspekt findet sich nicht wieder, denn "alles auf ihr (dieser Welt) vergeht" (Sure 55/26). Jener Aspekt ist alles andere als schön - damit du es weisst.
XIII Der Schönheit Auge sieht die Schönheit sucht, da es die Vollkommenheit der eigenen Schönheit nur im Spiegel der Liebe eines Liebenden betrachten kann. Aus diesem Grunde bedarf die Schönseit zweifellos des Liebenden, damit der Geliebte im Spiegel dessen sehnsüchtiger Liebe von der eigenen Schönheit zehren kann. Dieses ist ein grosses Geheimnis, und es ist der Schlüssel zu einer Fülle von Geheimnissen. So stehst der Liebende der Schönheit des Geliebten näher noch als dieser selbst, der auf ihn angewiesen ist, wenn er die eigene Schönheit sehen will, und zweifellos steht der Liebende auch dem Geliebten näher als er selbst. Daher kommt es, dass der Geliebte auf den Liebenden wegen seiner Augen eifersüchtig ist, und in diesem Sinne ist gesagt worden:
Herr, lass mich schenken wie einst Alexander:
Zu deinen Diensten schuf er einen Spiegel.
Hier, wo der Liebende mehr der Geliebte ist als dieser selbst, entstehen wunderbare feste Bindungen unter der Bedingung, dass der Liebende sich von sich selber trennt. Es kommt so weit, dass er sich selbst für den Geliebten hält, und wenn er auch verstossen, getrennt und unerwünscht ist, so glaubt er dennoch, dass er unweigerlich selbst der Geliebte ist.
So stolz hat mich die Liebe mit ihrem Glück gemacht, Dass ich dich liebend wähne und meiner nur bedacht. Vielleicht schlägt deine Ankunft ihr Zelt auf heute nacht, Sonst wird mein Kopf noch gänzlich in diesen Wahn gebracht.
XIV Der Geliebte sprach zum Liebenden: "Komm her, verwandle dich in mich! Wenn ich mich in dich verwandeln wurde, fehlte der Geliebte, und der Liebende, mit all seinen Nöten, nähme zu. Wenn du dich jedoch in mich verwandelst, gewinnt der Geliebte. Dann gibt es nur noch ihn, nicht mehr den Liebenden; nur noch Pracht, keine Not; nur Gewinn, nie Bedarf; Reichtum, keine Armut mehr; Hilfe, nie Hilflosigkeit.
XV Es kann so weit kommen, dass der Liebende noch auf sich selber, auf das eigne Auge eifersüchtig wird. In diesem Sinne ist gesagt worden:
O Freund, mein Auge findet dich, ich selber aber nicht, Und weil ich eifersüchtig bin mag ich mein Auge nicht. Mit dir an einem Ort zu sein, o, das erstreb ich nicht; Dass wir nicht eines Leibes sind, das überwind ich nicht,
Manchmal geht es so weit, dass der Liebende, wenn der Geliebte eines Tages schöner ist als sonst, gekränkt und zornig wird. Doch wer die Kunst der Unterscheidung nicht beherrscht, kann das nur schwer verstehen.
XVI In Wahrheit ist die Liebe nur ein Übel; Vertraulichkeit und Ruhe sind ihr fremd, sie sind ausgeliehen, denn in Wahrheit ist in jeder Liebe die Trennung Zweiheit und Verbindung Einheit. Der Rest ist Phantasie, hat mit Vereinigung gar nichts zu tun. Darüber sagte man:
Die Liebe ist ein Übel. Warum entflieh ich nicht? Und wenn die Liebe schlummert, will ich die Ruhe nicht. Es raten die Gefährten: "Entfliehe dieser Pein!" Das Herz selbst ist das Übel. Wie träfe es mich nicht?
Schön ist die Liebe, nicht die Liebespein: Da ich sie mische, sind sie beide schön.
XVII Da die Liebe Leid ist, nährt sie sich im Bereich des äusseren Wissens von der Tyrannei, die vom Geliebten ausgeht. Sonst empfängt sie ihre wahre Speise aus der Einheit. Solange über den Geliebten noch gestritten wird, ist ihr - bis die Zeit einen Zusammenschluss erfordert - der vom Freund heraufbeschworene Streit lieber als zehn Versöhnungen. Zu Beginn der Liebe herrschen Zank und Streit, denn das Herz zählt die Atemzüge des Geliebten und ist nicht in der Lage, grosszügig zu sein, bis der Liebende das Nachsehen hat und sich in die Hand beisst, weil er die Trennung bedauert, und völlig verwirrt ist. Es sagt:
Stand er, mein Freund, für mich bereit, War ich erfüllt von Zank und Streit. Getrennt, war ich voll Zärtlichkeit. O Schicksal, straf die Dreistigkeit!
Dies ereignet sich also zwischen Krieg und Frieden und Streit und Versöhnung, zwischen Augenzwinkern und Sichzieren.
XVIII Durch sich selbst zu existieren, ist etwas anderes als durch den Geliebten zu existieren. Durch sich selbst zu
existieren, gehört zur Unreife des Liebesanfangs. Sobald man sich - auf dem Weg der Reife - nicht mehr selbst gehört, sich von sich distanziert, erreicht man den Geliebten und erreicht zugleich - mit ihm und durch ihn wiederum sich selbst. Hier geschieht es, dass das Entwerden zur Gebetsrichtung des Bleibens wird und sich der Mekkapilger - wie der Nachtfalter - auf der Grenze des Bleibens mit dem Entwerden verbindet; doch das begreift man nur gleichnishaft. Vielleicht weist dieser Vers, den ich in meiner Jugend ausgesprochen habe auf die Bedeutung hin:
Sobald der Becher, der die Welt mir zeigt, vorhanden ist, Das höchste Himmelsfirmament für mich noch niedrig ist. Sobald des Nichtseins Heiligtum mein Ziel geworden ist, Der Nüchternste der ganzen Welt für mich noch trunken ist.
"Dies ist mein Herr" und "Ich bin die absolute Wahrheit" und "Preis sei mir!" sind Chamäleons von dieser Art und nicht festzulegen.
XIX Solang der Liebende durch sich selbst existiert, untersteht er den Bedingungen von Trennung und Vereinigung, Annahme und Verweigerung, Beklommenheit und Freude, von Sorge und Beseligung u.ä., ist er der Gefangene der Zeit. Da sie ihn besiegt hat, muss er ihrem Befehl - wie immer er auch lauten mag - befolgen; sie prägt und bestimmt ihn. Auf dem Wege des Entwerdens entfallen diese Regeln, treten ihre Gegenspieler auf, denn Wunsch und Unvermögen treffen sich. Wenn der Liebende durch den Geliebten in sich selber zu sich selber findet, wird sein Weg zu sich selber ganz durch ihn bestimmt und führt über ihn. Sobald das der Fall ist, gelten für den Liebenden diese Regeln nicht mehr. Was haben hier die Bedingungen von Trennung und Vereinigung zu tun? Wie erreichen Annahme und Verweigerung den Liebenden? Wann umkreisen Beklommenheit und Freude, die Sorge und Beseligung den Hof seiner Herrschaft? so dass dieser Vers ausgesprochen wurde:
Das Wesen und den Grund der Welt, wir haben sie gesehn; Uns kann auf diesem Erdenrund nun gar nichts mehr geschehn. Das Schwarze Licht sieh höher noch als "La ilaha..." stehn! Doch weder dies noch jenes blieb nach unserm Weitergehn.
Hier ist der Liebende der Herr der Zeit. Da er sieh am Himmel niederlässt, besiegt er die Zeit, nicht die Zeit ihn; er ist frei von ihr. Nein vielmehr, seine Existenz führt zum Geliebten und kommt vom Geliebten, und das ist vielleicht der Unterschied: er erlischt durch den Geliebten im Geliebten, und das nennt man: Verschwinden in dem
Wesen des "la ilaha..." und manchmal auch: ein Haar werden in des Geliebten Locke, so dass gesagt wurde:
Dass ich so überwältigt war von deiner Locke Pracht, Hat mich zum Haar im Lockenpaar, voll Moschusduft, gemacht. Sind wir beisammen, du und ich, verwundert es? Gib acht: Ein Haar bin ich und füge mich in deine Lockenpracht.
XX Wie sich zeigte, dienen des Geliebten Pein und Unterdrückung nur dazu, die Festuing deines eingeschlossenen Du zu schleifen, damit du er seist. Wenn der Pfeil aus dem Köcher der Zuneigung des Geliebten - mag es sich um den der Unterdrückung oder mag es sich um den der Treue handeln... - auf dich zufliegt sprich: "Der Pfeil braucht den Blick sind zielt auf die Zeit." Wie kann der Geliebte schiessen, ehe er sich dir ganz zugewandt hat? Um auf dich zu schiessen, ist es unumgänglich, auch mir dir zu rechnen. Wie sollte dich ein solches Band nicht zufriedenstellen, hat er doch einen vor allen andern erwählt? Hier wurde gesagt:
Aus deinem Köcher zieh den Pfeil für mich! Spann deinen Bogen voller Kraft auf mich! Suchst du ein Ziel, so siehe her: mein Herz! Von dir ein Schluss, von mir ein "Ach!" für dich!
XXI Liebe beginnt damit, dass Betrachtung den Samen der Schönheit auf dem Boden der geheimsten Herzenskammer aussät. Durch die Glut des Blickes geht er auf, doch es kommt zu keiner einheitlichen Farbe, während Samenwurf und -aufnahme zusammsenfallen können, so dass man sagte:
Durch Sehen kommt das Lieben auf die Welt: Das Auge sieht, und alles ist bestellt. Gier fing die Vögel, die die Falle hält; Der Falter suchte Licht, eh er ins Feuer fällt.
Es handelt sich um die Verbindung zweier Herzen, doch des Liebenden Liebe zum Geliebten ist eine andere als des Geliebten Liebe zu dem Liebenden. Des Liebenden Liebe existiert tatsächlich, während des Geliebten Liebe nur der Widerschein jener Liebesglut ist, die sich in ihm spiegelt. Da durch die Betrachtung die Vereinigung zustande kam, erfordert des Liebenden Liebe Hilflosigkeit und Not, Geduld, Erniedrigung und volle Unterwerfung in allen Dingen und des Geliebten Liebe Tyrannei und Majestät und Grösse.
So hoch stehst der Geliebte, der schön und mächtig ist, Dass wir nicht zu ihm passen, er aber würdig ist.
Doch ich weiss nicht, welcher der Liebende ist, welcher der Geliebte, und darin liegt ein grosses Geheimnis, denn es ist möglich, dass jener beginnt, dieser zu Ende führt. Hier kehren sich die Tatsachen um: "Aber ihr wollt nichts, es sei denn Gott will es" (Sure 76/30 und Sure 81/29). Unweigerlich steht "Er liebt sie" vor "sie lieben ihn". Bayazid, an dem Gott Wohlgefallen habe, sagte: "So oft ich dachte, ihn zu begehren, hatte er mich schon zuvor begehrt."
XXII Obwohl der Liebende zunächst mit des Geliebten Freund befreundet und mit seinem Feind verfeindet ist, ändert sich die Sache, sobald sie sich vollendet. Aus Eifersucht wählt er des Geliebten Freund zum Feind und Feind zum Freund, selbst auf seinen Namen ist er eifersüchtig. Ausserdem will er den Anblick mit niemandem teilen:
Ich mag nicht sehen, dass der Wissd vorüberstreicht an dir, Noch irgendeines Menschen Blick zur Ruhe kommt auf dir. Den Staub, den deiner Füsse Tritt zerstampft am Wege hier, Beneide ich, dein treuer Knecht, und steh zu Diensten dir.
XXIII Zu Beginn der Liebe beziehst der Liebende alles Vergleichbare auf den Freund. Madschnun hatte soviele Tage nichts gegessen, als ihm eine Gazelle in die Falle ging. Er zeigte sich grossmütig, liess sie frei. Man fragte: "Warum tatst du das ?" Er sagte: "Etwas an ihr erinnert mich an Laila; Gewalt ist nicht geboten." Doch dies ist nur ein erster Schritt der Liebe. Wenn sie sich vollendet, weiss der Liebende um die Vollkommenheit seines Geliebten, findet ihm nichts ähnlich, kann es gar nicht tun. Die Vertrautheit mit ihm isoliert von allem, was nicht - wie der Hund am Orte des Freundes, der Staub auf seinem Wege u.ä. - mit ihm in Verbindung steht.
Doch wenn die Liebe noch vollkommener wird, entfällt auch dieser Trost, denn Trost schadet der Liebe, während ihr die Ekstase dient. Jedes Verlangen, das durch Vereinigung gemindert werden kann, ist noch nicht vollkommen. Die Vereinigung muss dem Sehnsuchtsfeuer als Brennholz dienen; die Sehnsucht muss durch die Vereinigung zunehmen. Das ist jener Schritt, bei dem der Liebende seinen Geliebten genau kennt und die Einheit sucht und ihn nichts andres mehr befriedigen kann, er sich selbst zur Last wird, so dass man sagte:
Gross ist in meiner Liebe zu dir die Einsamkeit; Dich zu beschreiben fehlen mir Kraft und Fähigkeit.
XXIV Zunächst herrscht Weinen und viel Wehklage, da sich die Liebe noch nicht richtig durchgesetzt hat. Vollendet sich die Sache, ergreift sie die Herrschaft, so tritt Ruhe ein, und die Vision verdrängt die Wehklage, denn die Verunreinigung ist behoben, so dass man sagte:
Zunächst war meine Liebe schwach, Mein Stöhen hielt den Nachbarn wach. Es wuchs der Schmerz, es schwand das "Ach!": Die Glut schickt wenig Rauch zum Dach.
XXV Sieht der Liebende seinen Geliebten, gerät er in Aufruhr, denn sein Dasein ist nur ausgeliehen, sein Gesicht der Gebetsrichtung des Nichtseins zugewendet. Er sucht Vereinigung in der Ekstase. Noch ist er nicht reif. Ist er ausgereift, wird er sich beim Zusammentreffen selber fremd, denn die Liebe öffnete sein Wesen, weil er an ihr reifte. Sobald die Vorhut der Vereinigung sich zeigt, schwindet -je nach Reife- das eigene Sein. ERZÄHLUNG. Es wurde berichtet, dass Stammesangehörige Madschnuns sich zusammentaten und zu Lailas Verwandten sagten: "Dieser Mensch wird vor Liebe vergehen. Was würde es schaden, wenn er Laila einmal sehen dürfte?" Sie sagten: "Wir haben nichts dagegen, aber Madschnun selbst wird ihren Anblick nicht ertragen." So brachten sie Madschnun, öffneten Lailas Zelt. Ehe auch nur Lailas Schatten sichtbar wurde, war Madschnun "madschnun" (besessen) zu nennen, sank er in den Türstaub. Sie riefen: "Wir haben es gesagt: er hat nicht die Kraft, sie zu sehen." Hier ist es, wo er sich dem Staube ihres Ortes hingibt:
Lässt mich die Trennung nicht mit dir zusammen sein, Lass ich mich mit dem Staub vor deiner Türe ein.
denn er kann nur in der Vorstellung von der Liebe zehren, nicht in der tatsächlichen Vereinigung, weil er in ihr nicht mehr existiert.
XXVI Der Geliebte flieht vorm Liebenden, weil die Vereinigung nicht einfach ist. So muss der Liebende seinen Körper hingeben, damit er nicht mehr er selbst ist, und der Geliebte muss ihn auch hingeben, damit der Liebende er ist. Solange er ihn nicht vollkommen aufgesogen hat, als sich selbst betrachtet, solange er ihn noch nicht ganz angenommen hat, flieht er vor ihm. Wenn er das auch - mit dem Verstande - nicht weiss, so wissen doch sein Herz und seine Seele, was das Liebesschwert, das im Wesen des Liebenden steckt, ihm im Augenblick entzieht oder zukommen lässt. Hier ergibt sich dann jene Einheit, dass manchmal er zum Schwert wird und dieser zur Scheide und manchmal umgekehrt - manchmal erreicht ihn gar keine Erwägung.
XXVII Und es zeigt sich, dass die vom Geliebten gewünschte Trennung keine Spur von Einheit mehr enthält, während die vom Liebenden gewünschte Trennung unvollkommen ist, die Liebe noch nicht ganz zur Ruhe kam. Es kam aber auch durchaus geschehen, dass beide Seiten sich hingeben und annehmen, die Trennung aber das Gebot der Stunde ist und die Umstände sie erfordern, da es Dinge gibt, die ihrem Wunsche entzogen sind, es sei denn, es sei denn, es handle sich um jenes Eine, Alleingültige.
XXVIII Trennung und Vereinigung stehen auf einer Stufe, denn ohne Vereinigung, der sie auf dem Fusse folgte, gibt es keine Trennung. Im Grunde ist Vereinigung die Trennung von sich selber und andrerseits die Trennung die Rückkehr zu sich selber - es sei denn, dass die Liebe schwach, der Liebende noch nicht ganz ausgereift ist. Der Fehler, der dem Liebenden droht, liegt in der gewaltsamen Selbstvernichtung. Um die Vereinigung zu erlangen, sucht er sich selbst zu entfliehen, und es kann geschehen, dass er - aus Gewaltsamkeit oder Übereifer gar nichts gewinnt.
XXIX Anfangs zehrt die Liebe in der Trennung von der Einbildung, wobei ein Bild gesehen und erkannt wird, das im Inneren bestätigt wurde. Wenn die Sache sich aber vollendet und der Herzensschleier jenes Bild bedeckt, kann es auch nicht mehr gesehen werden, da die Einbildung asn dem Ort der Einbildung gebunden ist. Hat die Liebe ihren Platz noch nicht ganz eingenommen, kann das äussere Wissen von ihr noch etwas erfahren; hat sie aber ganz und gar die Herrschaft angetreten, weiss es nichts mehr von ihr. Und auch wenn die Liebe sich im Innern niederliess, kann das äussere Wissen nicht ergründen, was der Schleier des Geheimnisses bedeckt. Später gibt es ein Ergründen, aber davon keine Nachricht mehr. Das ist der Höhepunkt. Vielleicht weist auf derartiges hin: "Das Nichtbegreifenkönnen ist auch ein Begreifen."
XXX Der Liebende zählt nicht zum äusseren Sein, das nur sich selber kennt; sein äusseres Sein ist ein Ausschauhalten: manchmal erscheint ihm die innere Prägung und manchmal erscheint sie ihm nicht; manchmal erscheint ihm die eigene Prägung, und dann wieder tut sie es nicht. So leicht kann man die inneren Welten nicht erkennen, und zwar deshalb nicht, weil dort unzählige Schleier die Schatzkammern und ihre Schätze verbergen; aber diese Stadion lässt sich nicht mehr beschreiben.
XXXI Träumt der Liebende, so kommt es daher, dass er in sich ein Gesicht trägt: ganz und gar ist das Auge zum Gesicht und der Leib zum Auge geworden und auf den Geliebten gerichtet, oder vielmehr auf dessen Erscheinung, denn auf sein wahres Wesen hat sich ein Bild gesenkt. Doch hier liegt ein grosses Geheimnis, das darin besteht, dass der wahre Liebende seinen Gehiebtess immer begleitet, den auch die Ferne niemals von ihm trennt, da selbst die Nähe - deren Hand an seinen Rocksaum nicht heranreicht - Ferne ist. Dem nachzugehen, ist etwas anderes als äusserliches Suchen. Doch träumt der Liebende, so kommt es daher, dass er mit dem Herzen etwas gesehen hat und seine Kenntnis an das Wissen weitergibt, damit es diese Nachricht aus den Schleiern trage.
XXXII Ein Heuchler ist der Liebende, den Menschen und sich selber und auch dem Geliebten gegenüber. Die Heuchelei den Menschen und sich selber gegenüber besteht darin, dass er sich an Unwahrheit ergötzt, obwohl er ganz genau weiss, dass er lügt. Es kommt daher, dass sich seine Phantasie des Geliebten Gegenwart und die Vereinigung tatsächlich vorstellt. Davon zehrt er dann zweifellos. Und solange er sich selber angehört, kommt er von der Heuchelei nicht los, fürchtet er den Tadel. Unterwirft er sich, hat er keine Angst mehr und entflieht den Formn der Verstellung. Und die Heuchelei dem Geliebten gegenüber besteht darin, dass im Liebenden das Liebesfeuer brennt und er es verbirgt, schliesslich sogar eine Weile selbst vor dem Geliebten, er vor ihm verborgen seine Liebe hegt. Kommt jedoch Schwäche auf und siegt die Hingabe, strahlt sein Gesicht zurück, dass er sich ganz und gar an ihn verloren hat. In diesem Zustand herrscht die Majestät der Einheit. Ist das der rechte Ort zurückzublicken?
XXXIII Die Audienzhalle der Liebe ist die offene Seelengalerie, denn in anfangsloser Ewigkeit ist den Seelen eingebrannt worden: "Bin ich nicht euer Herr?" (Sure 7/172). Sind die Hüllen transparent, scheint die Liebe durch. Und hier liegt ein grosses Geheimnis, da diese Liebe von innen nach aussen wandert, die der Leute aber von aussen nach innen. Doch ist bekannt, wie weit sie gehen kann. Sie endet, wie der Koran bezüglich Zulaikas
berichtet, an der Herzenshülle, dem äusseren Herzschleier: "Er hat ihre Herzhülle getroffen, so dass sie liebt" (Sure 12/30). Das Herz ist das Herrschaftszentrum und bis dahin strahlt die Liebe aus. Wenn sich aber alle Schleier heben, kommt auch die Seele noch zu ihrer Wirkung. Doch es ist für sie ein ganzes Leben nötig, diesen Weg zu gehen. Welt und Leute und Bedürfnisse und Wünsche zählets im Bereich der Herzenshülle. Bis zum Herzen dringt die Seele nur ganz selten vor - oder sogar nie.
XXXIV Zunächst sucht und liebt der Liebende im Geliebten sich selbst, doch das weiss er nicht. Er will ihm seinen Willen aufzwingen, so dass man sagte:
Ich sprach: "Du bist ein Götze, der Seele Heim und Hort." Er sprach: "Dienst du dem Götzen, so lasst die Seele fort!" Ich sprach: "Mit Redeklinge zerfetzt du mir das Wort." Er sprach: "Du liebst noh immer nur dich und deinen Ort."
Hat sich die Liebe dann aber vollendet, sucht er am allerwenigsten sich selbst, verspielt er seine Seele um des Geliebten willen. Das ist Liebe, der Rest nur Wahn und Schwäche.
XXXV Die Liebe ist ein Menschenfresser, sie frisst den Menschen mit Haut und Haaren, und wenn sie ihn frisst, wird sie Herr im Lande und übernimmt die Herrschaft. Sie frisst sogar, wenn die Schönheit sich vollendet, die Fremdheit des Geliebten, aber das geschieht erst sehr spät.
XXXVI Niemals wird der Geliebte vertraut mit dem Liebenden, und in dem Augenblick, da er meint, sie seien sich näher gekommen, ist er ferner, denn sein ist die Herrschaft, und "Der Herrscher hat keinen Vertrauten". Die wahre Vertrautheit setzt den gleichen Rang voraus, und das ist zwischen dem Geliebten und dem Liebenden nicht möglich, denn der Liebende ist die demütige Erde und der Geliebte der mächtige Himmel. Wie käme Vertrautheit zustande? Kommt sie aber dennoch zustande, gebieten es Seele und Zeit, ist es nur ausgeliehen.
Die Last der Welt nähm ich auf mich, Bekäme ich ein Glück wie dich.
Gazellen traun und nähern sich Du tust es nicht, ich lockte dich.
Des Geliebten Tyrannei und des Liebenden Demut, wie kämen sie zusammen? Sichzieren des Begehrten und Flehen des Begehrenden, wie kämen sie zusammen? Er ist die Hilfe dessen, der ihm nicht helfen kann. Der Kranke bedarf der Medizin, doch die Medizin bedarf des Kranken keineswegs, so dass gesagt wurde:
Der Liebende verlor sein Herz, was soll er denn nun tun? Verlor sich selber ganz und gar, was soll er denn nun tun? Auf meinem Markte kauft sich deine Schönheit keinen Ruhm Was kümmert es das Götzenbild, ob wir ihm Dienste tun?
XXXVII Wahre Liebe benutzt als ihr Reittier nur die Seele, aber der Ort ihrer Eigenschaften ist das Herz, und selbst mit verschleierter Macht ist sie mächtig. Kennt denn irgendjemand ihre Eigenschaften und ihr Wesen? Eine Spur von ihr zeigt sich dem Auge des Wissens auf der Tafel des Herzens; mehr kann das Wissen von der Liebe nicht erfahren. Doch solange sie ihr Traumgesicht zeigt, trägt sie bisweilen ein Erkennungszeichen.
XXXVIII
XXXIX Wird die wahre Liebe offenbar, zehrt der Geliebte von dem Liebenden, nicht der Liebende von dem Geliebten, denn des Geliebten Aufnahmefähigkeit entspricht dem Liebenden, doch die des Liebenden nicht des Geliebten. Der Licbende kann zu einem Haar in der Locke des Geliebten werden, doch er selber krümmt - mit allem was er ist - kein Haar des Geliebten und kann keinen Zufluchtsort bieten. Der Nachtfalter, der zum Liebenden des Feuers wurde, zehrt eine Weile von dem Feuerschein. Die Vorhut dieses Scheines nimmt ihn als Gast auf und ruft ihn herein. Mit den Flügehn seines eigenen Bemühens wagt er den Flug der Liebe in der Luft des Wunsches. Doch seine Flügel müssen so beschaffen sein, dass er im Feuer ankommt. Kommt er in ihm an, verliert er die Bewegung; sie übernimmt das Feuer. Er hat auch keine Speise mehr; die Speise hat das Feuer. Dieses ist ein grosses Geheimnis: Für einen Augenblick wird er sein eigener Geliebter. Das ist seine Vollendung, und jenes ganze Fliegen und Umkreisen, so lange es auch währen mag, dient diesem Augenblick. Dies hatten wir oben als die wahre Vereinigung geschildert. Ein Feuerattribut gewährt dem Nachtfalter für eine Weile seine Gastfreiheit. Docls rasch stösst es ihn als Asche aus. Alles muß so angelegt sein, dass er im Feuer ankommt, wofür das Sein und seine Attribute die Ausrüstung sind: "Gabst du dein Leben hin ans innre Leben? Und wo bleibt nun das Aufgehn in der Einheit?"
Dies ist es, was dem Liebenden zukommen kann, und dies ist alles; darüber hinaus ist die Vereinigung Sache des Geliebten und nicht des Liebenden. Ein grosses Geheimnis: Die Vereinigung ist Stufe des Geliebten und gilt ihm, die Trennung die des Liebenden, gilt ihm. Zweifellos dient das Sein des Liebenden der Trennung und das des Geliebtes, der Vereinigung. Die Liebe selbst steht ihrem Wesen nach diesen Bindungen und Mängeln fern, denn sie hat weder mit Vereinigung noch Trennung irgerdwas zu tun; das sind Attribute des Geliebten und des Liebenden. So ist die Vereinigung Stufe der Macht und Grösse des Geliebten und die Trennung Stufe der Ergebenheit und Not des Liebenden. Zweifellos kann der Geliebte der Vereinigung und der Liebende der Trennung dienen. Das Sein des Liebenden ist eine der Voraussetzungen für die Trennung.
Gross ist in meiner Liebe zu dir die Einsamkeit.
Woher nimmt jener, dessen Dasein Mühe ist und der Trennuung dient, die Ausrüstung für die Vereinigung? Das Nichtsein wurde zu dem Boden der Vereinigung und das Sein zum Boden für die Trennung. Durch Entwerden wird Vereinigung erst zur Vereinigung. Vergeht das Entwerden, wirft die Tatsache der Trennung ihren Schatten, entfällt die Möglichkeit für die Vereinigung. Es wurde erzählt, dass Sultan Mahmud eines Tages in der Audienzhalle seines Palastes sass. Ein Mann kam herein und lief - auf der Hand ein Salztablett - in die Audienzrunde Mahmuds und rief: "Salz! Wer kauft Salz?" Mahmud hatte dergleichen nie erlebt und befahl, ihn zu ergreifen. Als er sich zurückgezogen hatte, nahm er ihn vor und sagte: "Was ist das für eine Frechheit, die du dir geleistet hast? Ist die Audienzhalle Mahmuds der rechte Ort, Salz zum Verkaufe anzubieten?" Er antwortete: "O Grossmütiger ich habe mit Ayaz zu tun, das Salz war nur ein Vorwand." Mahmud sagte: "O Bettler, wer bist du, dass du mit Mahmud die Hand in eine Schüsse1 tauchst, mit mir, der 700 Elefanten hat und eine Welt als Königreich und alle Herrschaft, während du nicht so viel wie ein Brot besitzt?" Er antwortete: "Spare deine Worte! Dies alles, was du da besitzt und aufgezählt hast, dient der Vereinigung und nicht der Liebe. Der Liebe dient nur ein verbranntes Herz, und das besitze ich in der Vollendung, und das ist die Voraussetzung für alles. Nein vielmehr, o Mahmud, mein Herz ist frei davon 700 Elefanten zu beherbergen, und das Rechen und Nachdenken über so viel Reichtum liegt uns fern. Mein Herz ist frei und entflammt für Ayaz. O Mahmud, kennst du das Geheimnis dieses Salzes? Das, was im Topfe deiner Liebe steckt, sollte das Salz Enthaltsamkeit und Demut sein, weil du so ungeheuer mächtig bist, und das ist keine Eigenschaft der Liebe. Und denke nur an jene wunderbaren Verse 'und wir lobsingen dir und preisen dich,' (Sure 2/30) mit den 6oo Pfauenfedern!" Mahmut sagte: "Die Enthaltsamkeit, die hier gefordert wird, die fehlt dir selber, da du so gar nichst von dein eigenen Verziehst sprichst." "O Mahmud, dies alles, was du aufgezählt hast, dient der Vereinigung, mit der die Liebe aber nichts zu tun hat. Kommt die Zeit der Vereinigung, steht Ayaz selber dafür alles zur Verfügung. O Mahmud, bedeuten diese 700 Elefanten und die ganze Herrschaft über Sind und Hindustan noch irgendetwas, wenn Ayaz nicht da ist, oder können sie bestehen neben einem Haar aus seiner Locke?" Mahmud sagte: "Nein." Und er fragte: "Wenn Ayaz im öffentlichen Bade oder einer dunklen Hütte ist, ist es dann das Eden-Paradies?" Er sagte: "So ist es." Er fragte: "Und die Vereinigung ist dann vollkommen?" Er sagte: "Sie ist es." Er fuhr fort: "So dient all dieses, was du aufgezählt hast, nicht der Vereinigung, für die der Liebesnde nicht ausgestattet sein kann, und das alles sind der Schönheit Zeichen. Hieraus hast du erkannt, dass Liebe weder mit Vereinigung noch Trennung irgendwas zu tun hat und der Liebende von dem, was zur Vereinigung gehört, nichts weiss und wissen kann. Des Geliebten Sein dient der Vereinigung, das Sein des Liebenden dient nur der Trennung; die Liebe braucht sie alle beide nicht. Wenn die Gunst der Stunde noch zur Hilfe kommt, opfert sich das eine Sein dem anderen auf. Das ist Vereinigung in der Vollendung."
Das Lieben und die Herrlichkeit in der Vollkommenheit, Das Herz voll Worte und der Mund verstummt in Seligkeit! Wo ist ein Zustand irgendwann von grössrer Seltenheit? Ich dürste und ein klarer Quell fliesst vor mir trinkbereit.
XL Wäre dem Liebenden möglich, vom Geliebten zu zehren, wäre es vielleicht möglich mit dem Magen des Herzens. Wie aber kann es sein, da in Liebe zu sein ohne Herz zu sein heisst? Wohin tut er dann - ohne Herz - die Speise? Er raubt sein Herz und schickt ihm dennoch Speise, damit er sie unangerührt zurückbringe - ich meine hier die Speise vom Geliebten. Doch das geschieht sehr spät. Ich meine nicht jene Sinnenspeise, die das Ohr durch Erzählung, das Auge durch Schönheit erreicht; das hat mit Vereinigung gar nichts zu tun, stehst auf einem anderen Blatt. Es gibt viele Menschen, die in die Sonne schauen, doch tatsächlich zehrt niemand von ihr und wird es je tun. Sie ist die lichte Welt.
XLI Tatsache ist, dass
Die Liebe dem Geliebten weder nützt noch schadet.
Weil aber Grossmut der Liebe Gewohnheit ist, bindet sie den Liebenden an den Geliebten; dank der Liebe fällt sein Blick auf ihn. Hier bindet Trennung auf Wunsch des Geliebtes, mehr als Vereinigung auf Wunsch des Liebenden, denn wenn der Geliebte Trennung sucht, blicken sein Herz, sein Wunsch und Wille auf den Liebenden. In der Vereinigung auf Wunsch des Liebenden sieht der Geliebte diesen gar nicht an, rechnet nicht mit ihm. Das ist eine hohe Stufe der Erkenntnis, die aber niemand ganz begreifen kann. Danach zeigt der Blick des Geliebten auf den Liebenden den Grad und die Beschaffenheit der Liebe an, ihre Vollkommenheit und Zu- und Abnahme.
XLII Alles, was an Macht und Tyrannei, Reichtum und Grösse in der Liebe steckt, wurde zur Eigenschaft von dem Geliebten, und alle Niedrigkeit und Schwäche, Bedrängnis und Armut, Not, Hilflosigkeit wurde zum Anteil für den Liebenden. Zweifellos zehrt die Liebe zu gegebener Zeit von den Eigenschaften dieses Liebenden, dessen Schicksal sie selber bestimmt - oder auch ihr eigenes Schicksal, da sie zur Eigenschaft des Liebenden geworden ist. Doch die Eigenschaften des Geliebten treten nicht zutage, es sei denn in ihren Gegenspielern bei dem Liebenden: ohne dessen Armut zeigt sich der Reichtum des Geliebten nicht - und so geht es mit allen Eigenschaften.
XLIII So wahr, wie der Liebende und der Geliebte Gegensätze sind, so wahr können sie nicht zueinanderkommen, es sei denn durch Selbsthingabe und Entwerden. Darüber sagte man:
Als jener, der so jung und frisch mich bleich und elend sah, Sprach er: "Gib jede Hoffnung auf, wir kommen uns nicht nah! Du bist das Gegenteil von mir, was immer auch geschah: Du trägst des Herbstes fahles Gelb, ich bin als Frühling da."
XLIV Der Geliebte bleibt stets der Geliebte, weswegen er so reich ist, und der Liebende bleibt stets der Liebende, weswegen er so arm ist. Der Liebende braucht immer den Geliebten, so dass er immer arm ist, während der Geliebte überhaupt nichts braucht, weil er jederzeit sich selber hat. Er ist zweifellos ausgesprochen reich.
Du bist mit dir zusammen und freust dich, o mein Freund! Was weisst du, wie man leidet nachts ohne dich, mein Freund!
Du nahmst mein Herz zu jeder Zeit es ist verziehn; Dich drückte nie der Liebe Leid es ist verziehn. In tausend Nächten fern von dir schlief ich mit Pein; Für dich standst du des Nachts bereit es ist verziehn.
Wenn du aber irrtümlicherweise meinen solltest, dass der Liebende der Herr und der Geliebte nur sein Sklave sei, solange ihn in der Vereinigung der Liebende umarmt, ist das ein grosser Irrtum, da die echte Liebe dem Geliebten eine Kette umlegt und zugleich den Sklavenohrring sprengt, denn der Geliebte kann niemals Besitz sein. Deshalb verspielen jene, die in Armut leben, Herz und Seele und setzen Religion und Welt und Schicksal auf das Spiel, versuchen alles, sich zu lösen, und fürchten auch das Ende nicht, opfern beide Welten. Doch wenn es dann zum Punkt der Liebe kommt, setzten sie den Geliebten nicht aufs Spiel, können es auch gar nicht, denn man kann nur den Besitz einsetzen, niemals den Besitzer. Der Geliebte aber ist Besitzer. Die Hand der Freiheit reicht an den Saum der Liebe und an den Saum des Liebenden nicht heran, so dass dort - d.h. in der Armut Freiheit - die Fesseln gelöst sind und hier - d.h. in der Liebessklaverei - das Gelöste fesselt.
Wenn diese Tatsachen erkannt wurden, wird vielleicht die Majestät der Liebe offenbar, die dem Liebenden aus Verlust Gewinn macht, so dass er alle Mängel überwindet und dem Verlust wie dem Gewinn entflieht.
XLV Vergiss nicht, dass jedes menschliche Organ seine ganz besondere Funktion hat, ohne die es untätig ist: das Auge hat die Aufgabe zu sehen und das Ohr zu hören und das Herz zu lieben. Solange keine Liebe existiert, fehlt dem Herzen auch diese Funktion. Kommt ein Lieben auf, findet es die Zustimmung des Herzens und es zeigt sich, dass das Herz für die Liebe - um zu lieben - geschaffen wurde und nichts anderes kennt. Jene Tränen, die das Auge auf die Wange schickt, sind Vorhut des Verlangens nach Kunde vom Geliebten, denn das Auge macht den Anfang hier, schickt einen Gläubigen zu dem Geliebten: "Du hast die Pein verursachst, und ich brauche dich."
XLVI Den erstaunlichen Schritt gibt es in der Liebe, dass der Mensch seine Seele zu betrachten wünscht, denn die Seele ist, wie sie kommt und geht, Reittier des Geliebten, da dieser ja im Herzen wohnt, von dem die Seele Duft und Farbe des Geliebten annimmt. Hier ist es, wo der Mensch nur auf sich selber blickt und ihn draussen nichts mehr interessiert, bis zu jener Grenze, wo er auch nicht mehr ertragen kann, dass der Geliebte ihn von seiner Seele ablenkt. Denn dieses Blicken auf die eigene Seele zeigt Entgegenkommen und entlastet, während der Anblick des Geliebten eine Last aufbürdet und seine Herrschaft ihren Schatten wirft. Was man selbst hervorbringt, zeigt Entgegenkommen; doch des Geliebten Herrlichkeit ist schwerer zu ertragen.
Ich meide deines Schlosses Tor Aus Furcht vor deines Wächters Ohr. Du bist im Herzen Tag und Nacht; Such ich dich dort, find ich dich vor.
XLVII Liebe ist eine Art von Trunkenheit: ihre Vollkommenheit hindert den Liebenden daran, die des Geliebten zu erkennen und zu begreifen, denn die Liebe hat die gleiche Wirkung wie die Trunkenheit, und das Begreifen verhindert das vollkommene Begreifen. Hier liegt ein Geheimnis: wenn das wahre Wesen des Liebenden damit beschäftigt ist, das Wesen des Geliebten zu begreifen - wie sollte es dann Eigenschaften unterscheiden wollen. Die Sorge, zu begreifen, stirbt mit dem Begreifen. "Das Nichtbegreifenkönnen ist auch ein Begreifen" besagt dasselbe.
Ein Leben lang bist du bei mir,
Mein Freund, in Freud und Leid; Noch immer finde ich kein Wort Für deine Herrlichkeit.
XLVIII Obwohl der Geliebte dem Liebenden gegenwärtig ist und ihn bezeugt und von ihm bezeugt wird, ist auf die Dauer doch der Liebende abwesend, denn wenn des Geliebten Gegenwart ihn nicht - wie in der Geschichte von Madschnun - vollkommen abwesend sein lässt, besteht Grund zur Furcht. So liebte jener Mann am Fluß Nahr ahMu'alla jene Frau in Karkh und sprang jede Nacht ins Wasser und schwamm zu ihr. Als er eines Nachts ein Muttermal in ihrem Gesicht sah, fragte er: "Woher kommt dieses Muttermal?" Sie sagte: "Dieses Muttermal ist angeboren, aber geh du heute nacht nicht in das Wasser!" Als er doch hineinging, starb er vor Kälte, weil er zu sich selber gekommen war, so dass er dieses Muttermal sah. Das aber ist ein grosses Geheimnis, und ein Hinweis auf diese Bedeutung ist:
Ich weiss nichts von der Liebeskunst und weiss nichts von der Liebe; Ich weiss auch von mir selber nichts und weiss nichts von dem Freunde.
IL Da der Verstand nicht in der Lage ist, die Seele, ihre Natur, ihr Wesen, zu begreifen, die Seele aber der Liebe Muschel ist mit der verborgenen Perle: wer sieht - wenn nicht durch Einbildung - was in der Muschel ist?
Die Liebe ist geheimnisvoll, niemand hat sie gesehn. Wie lange wollen Liebende Rede und Asitwort stehn?
L Die Audienzhalle der Liebe ist die Säulengalerie der Seele, und die Audienzhalle der Schönheit ist des Liebenden Auge, und die Audienzhalle der Liebesgewalt ist des Liebenden Herz, das auch die Audienzhalle des Schmerzes ist, und die Audienzhalle der Zärtlichkeit ist der Wink des Geliebten. Selbst Not und Erniedrigung können den Liebenden schmücken.
LI Im 1. Kapitel erklärten wir, dass die Liebe keine feste Gebetsrichtung brauche, um zu existieren. Nun aber wisse: "Gott ist schön, er liebt die Schönheit." Jemand, der die Schönheit liebt, ist nötig oder jemand, der das liebt, was er liebt, und das ist ein grosses Geheimnis: man sieht diesen Anblick und die Spur der Schönheit und die Stätte
Seiner Zuneigung und erkennt und begehrt und nichts weiter. Es kommt vor, dass der Liebende dies selber gar nicht weiss, doch sein Herz verlangt, den Ort jener Schönheit und diesen Anblick zu finden.
LII Nie geht der Genuss jemals so weit, dass der Liebende - auf Befehl der Zeit - den Geliebten sieht und der Geliebte überwältigt von des Liebenden Liebe - vergisst, dass dieser ihn braucht. Der Liebende bittet und fragt und jammert und klagt. Wenn der Geliebte erst später antworter oder erst später der Bitte entsprichst, so wisse: Dieses Gespräch macht ihm grosse Freude - du weisst es nur nicht.
LIII Derartig ist die Liebe, dass Unterdrückung von seiten des Geliebten in der Vereinigung sie fördert und zum Brennstoff ihres Feuers wird, denn die Liebe lebt von Unterdrückung. Ohne Zweifel entsteht ein Gewinn. Derartig ist die Liebe in der Vereinigung, aber in der Trennung legt des Geliebten Unterdrückung, solange sie die Wahl hat, der Liebe Fesseln an. Doch wie entsteht Gewinn oder Verlust, wenn sich die Tyrannei der Liebe unterwarf und sich die Liebe ganz und gar durchsetzte?
LIV
LV Wisse: Der Liebende ist Feind, nicht Freund, und auch der Geliebte ist Feind und nicht Freund, denn die Freundschaft ist daran gebunden, beider Spuren restlos auzulöschen. Solange Zweiheit herrscht und jeder mit sich selbst beschäftigt ist, gilt die Feindschaft uneingeschränkt. Freundschaft existiert nur in der Einheit. Deshaln werden der Liebende und der Geliebte niemals Freunde; das gibt es nicht. Das ist das Schmerzhafte an jener Sache, dass es keine Freundschaft zwischen ihnen gibt. Bei Gott, eine merkwürdige Sache: in ihr stört deine blosse Existenz. Wo fänden ihre Attribute Platz? Danach weisst du, dass in der Liebe Kummer echt und Ruhe nur entlehnt ist. An echte Ruhe ist gar nicht zu denken. Solange draussen Wächter sind, ist das Ganze einfach. Solange Wächter sind in der Tat der Schönheit Zeichen und die Macht der Liebe, vor dessen keine Achtsamkeit und keine Zuflucht schützt. Aus Furcht vor der (Liebes) Macht kann der Liebende nur mit Herzklopfen und Seelenqualen wirklich lieben.
LVI Der Liebende kann vom Geliebten nur verborgen zehren, so dass es einer Trunkenheit gleicht: Der Freund ist nicht da, nur der Trunk ist da, und diese Abwesentheit ähnelt dem Nichtvorhandensein oder auch der Wache des
Geliebten:
Dein Traumbild ist mein Freund bei Nacht; Still, weck mich nicht, es ist vollbracht! Du hast ein Heer, das dich bewacht: Lass mir den Traum, der glücklich macht!
LVII Liebe, die sich durchgesetzt hat, ist das Fundament der Heiligkeit aufgrund ihrer Reinheit. Sie steht den Vorfällen und Mängeln fern und ist frei von Glück, denn "Er liebt sie" ist schon ihr Beginn, und da bleibt gewiss selbst für Glück und Unglück keine Möglichkeit. Sollte sich trotzdem so etwas wie Glück und Unglück zeigen, gehört es nicht dazu, ist es ein Zufall und gewaltsam und nur ausgeliehen.
LVIII
LIX Dass der Geliebte für den Liebenden zur Qual wird, ist das Kennzeichen der vollkommenen Liebe, so dass der Liebende ihn nicht ertragen kann und an der Tür des Vernichtung Aussschau hält. Wie lange der Geliebte anwesend ist, zeigt sich an der Dauer dieser Qual. Der Liebende weiss, dass es für ihn einen Ort, um aufzuatmen, nur im Nichtsein gibt, dessen Türe ihm verschlossen bleibt, weil er existiert. Hier liegt Schmerz für alle Ewigkeit. Nur wenn das Entwerden eine Weile seinen Schatten wirft und dem Liebenden in diesem unmarkierten Schatten Gastfreundschaft gewährt, rastet der Liebende für eine Weile.
LX Zweifellos sind Liebesqualen möglich, denn sie haben noch immer des Liebenden Wesen bezeugt und ihn ergriffen, ihm Hören und Sehen geraubt und ihm nichts gelassen ausser dem Gedanken, Sorge zu tragen, oder der Gewissheit, Qualen zu erdulden: "Wir bereiteten ein Feuer für die Frevler, dessen Zeit sie umschliessen wird. Schreien sie um Hilfe, wird mit einem Wasser wie flüssiges Eisen, das die Gesichter schmort, geholfen werden" (Sure 18/29).
LXI
Geliebter und Liebesnder werden sich immer fremder; mit der Liebe wächst zugleich die Fremdheit, so dass gesagt wurde:
Du schürtest Liebesleidenschaft und hielst Erkenntnis klein; Ist hier die Bindung durchgeführt, kann dort nur Trennung sein. Der Heer des Weltalls fügte es in seine Pläne ein: Der bösen folgt die gute Tat, zur Freude führt die Pein.
ERZÄHLUNG. Mahmud sass eines Tages mit Ayaz zusammen. Er sagte: "O Ayaz, je mehr ich deinetwegen leide und je grösser meine Liebe wird, umso fremder wirst du. Woher kommt das ?"
Von Tag zu Tag freust du dich mehr, dass ich verzweifelt bin, Gibst dich mit wachsendem Geschick der Unterdrückung hin. Je mehr ich dir verbunden bin in Liebesfreud und -leid, Je weniger liegt dir, o Freund, mein Wohlergehn im Sinn.
"O Ayaz, ich sehne mich nach jener Freundschaft und Vertrautheit, die vor der Liebe, als noch kein Schleier da war, zwischen uns bestand. Jetzt gibt es nur noch Schleier über Schleier. Was ist das nur?" Ayaz antwortete: "Damals stand ich in der Niedrigkeit der Sklavenschaft, du aber warst der Sultan und besasst die Herrschaft. Dann sprengte der Liebe Vorhut diese Sklavenketten. Die Ungezwungenheit der Herr- und Sklaveseins war so beendet; Liebender- und Geliebtsein kamen auf. Ein Liebender ist ein Gefangener, ein Geliebter aber ein Emir. Wie könnte es Vertrautheit geben zwischen dem Emir und dem Gefangenen? Der Gedanke an das Reich gibt dich frei für die Sorge um einen Gefangenen, ist erhaben über solche Mängel. Wünscht der Gefangene sich Ungezwungenheit, steht die Gefangenschaft im Wege; sein geringer Stand verbietet ihm, sich unbefangen dem Machtbereiche des Emirs zu nähern. Wünscht der Emir sich Ungezwungenheit, so steht sein Emirat im Wege, denn seine Macht hat keinerlei Beziehung zu der Gefangenschaft und Untertänigkeit. Wird Stärke zum Kennzeichen dieses Emirats, und tritt der Emir Teile seiner Macht und Schätze seines Reiches an den Gefangenen ab, macht er ihn trunken aus dem Becher grenzenloser Ehre. Doch das Gewinn- und Wunschdenken beseitigt er, damit das Liebessultanat die Herrschaft antritt. Der Liebende steht in der Mitte, Gefangener der Liebe, und die Liebe ist der Sultan und ist mächtig." So vertraut der Liebende mit der Liebe ist der Geliebte ist ihm völlig fremd.
Trägst du die Lockenkette, legt sie in Bande mich; Schürst du das Liebesfeuer, zeig ich als Falter mich. Reichst du den vollen Becher, so ist Verlass auf mich Fremd bist du, doch die Liebe
kenn ich, sie bindet mich.
Der arme Liebende ist der vollkommene Derwisch, so dass er sagte:
Dort, wo das Land verwüsstet ist, dort lebe ich als Derwisch. Vom reinen Wein aus jenem Fass reich eines Schluck dem Derwisch! Je fremder ich geworden bin, als Liebender, als Derwisch, Je mehr vergesse ich die Welt beim Becher Wein, als Derwisch.
Solang die majestätische Benommenheit der Trunkenheit regiert, trifft den Liebenden keinerlei Tadel. Sobald er nüchtern wird und das Wissen und die Unterscheidung und die gute Sitte wieder eine Rolle spielen, sagt er:
Zerstörte ich ins Rausche das Schwertgehänge dir, So kauf ich hundert Bälle aus Gold und schick sie dir.
Es ist wunderbar, was du bewirkst!
Am Zweige deiner Freude die Blätter, die sind wir; Der Weise hingegeben, sind deine Lieder wir. Gib uns nicht aus den Händen! wir stehen zu Diensten dir. Verzeihe unsre Fehler! wir sind berauscht von dir.
LXII In der Liebe ist der Name des Geliebten nur entlehnt, und der Liebende trägt seinen wahren Namen. Den Geliebten von der Liebe herzuleiten, ist nur bildlich möglich und verdächtig; den Liebenden von Liebe herzuleiten, ist berechtigt, denn sie beherrscht ihn und er ist ihr Reittier, während der Geliebte in keiner Weise von der Liebe herzuleiten ist. Tatsächlich bringt die Liebe dem Geliebten weder Gewinn noch Schaden. Überfällt ihn einmal die Vorhut der Liebe und zieht auch ihn in ihren Bannkreis, dann muss auch an iln der Maasstab angelegt werden, der für das Lieben gilt, nicht fürs Geliebtsein.
LXIII Das ist wirklich Liebe, wenn des Geliebten eigene Gestalt zu der Seelengestalt des Liebenden wird. Dann zehrt seine Seele von dieser immer gegenwärtigen Gestalt. Deshalb ist dem Liebenden auch der Geliebte, möge er tausend Meilen fern sein, gegenwärtig, "näher als alles Nahe". Aber das kann nur im Spiegel jener Schönheit, die das Antlitz des Geliebten trägt, gesehen werden.
"So gib mir doch, zu trinken und sprich: 'Hier ist der Wein!' Ist es auch anders möglich, lass es nicht heimlich sein!"
Die Vereinigung mit dem Geliebten unterrichtet um den Preis des Sichnichtwiederfindens, während wirkliche Vereinigung die Einheit selber ist. Aber dieser Punkt verbirgt sich vor dem Wissen. Vollendet sich die Liebe, so zehrt sie von sich selber, hat sie mit nichts anderem zu tun.
LXIV ÜBER DAS BESTREBEN DER LIEBE. Der Liebe liegt daran, dass der Geliebte hocherhaben ist, und daher hält sie einen solchen, der in die Falle der Vereinigung geraten könnte, nicht geeignet für einen Geliebten. An dieser Stelle erwiderte der Satan, als zu ihm gesagt wurde: "Und mein Fluch über dich!" (Sure 38/78) "Bei deiner Macht!" (Sure 38/82), d.h., ich liebe an dir diese Mächtigkeit, so dass du niemand brauchst und niemand zu dir passt, denn wenn irgendetwas zu dir passen würde, wäre deine Macht ja nicht vollkommen.
LXV Ganz und gar ist Begierde Argwohn und Argwohn Schwäche und Schwäche Demütigung und Demütigung Beschämung und Beschämung das Gegenteil von der Erkenntnis und die Quelle der Übels. Die Begierde hat zwei Gesichter, ein weisses und ein schwarzes. Bei edler Absicht ist ihr Gesicht weiss, und bei Eigennutz - oder wenn auch nur dieser Verdacht aufkommt - ist ihr Gesicht schwarz.
LXVI Liebender zu sein, ist ganz und gar ein Er-Sein, das Geliebtsein ganz und gar ein Du-Sein, denn du kannst dir nicht selber, kannst nur dem Geliebten gehören; du bist der Liebende. Nie darfst du dir selber gehören und nie unter eigenem Befehl stehen.
LXVII Des Geliebten Tyrannei ist eine doppelte: einmal auf dem Höhepunkt und einmal auf dem Tiefpunkt der Liebe, die sie beide aufzuweisen hat. Solang die Liebe zunimmt, ist sie auf ihrem Höhepunkt, so dass des Geliebten Tyrannei schwer auf dem Liebenden lastet und dem Geliebten bei der Festigung des Bandes hilft. Und ebenso gehört die Eifersuchst zur Tyrannei und hilft der Liebe und auch dem Geliebten, damit sie gedeihen. Der Tiefpunkt in der Liebe ist erreichst, wenn die Unterdrückung des Geliebten zunimmt und die Liebe abnimmt. Hier helfen Tyrannei und Eifersucht dem Liebenden, die Fessel abzustreifen und seine Zelte - durch Aufgabe der Liebe - abzubrechen, und das geht so weit, dass er, wenn ihn Unterdrückung oder Eifersucht trifft, in der Aufgabe der Liebe einen langen Weg, den er beispielsweise in einem Jahr zu bewältigen hoffte, in einem Tage oder einer Nacht, nein vielmehr in einer Stunde schafft. Denn die Audienzhalle der Tyrannei ist des Geliebten Unentbehrlichkeit. Fällt das Auge auf einen Spalt, weicht diese Unentbehrlichkeit, zeigt sich die Befreiungsmöglichkeit.
LXVIII Herrscht Eifersucht, so ist sie ein erbarmungsloses scharfes Schwert. Doch wie weit geht sie, und wen trennt sie ab? Bisweilen richtet sie sich gegen die Geduld und überkommt den Liebenden, so dass er zürnt - den Kopf in die Schlinge legen und sich selbst vernichten, das steht auf diesem Blatt. Bisweilen überkommt sie auch das Band, durchschneidet es und trennt die Liebe ab, befreit den Liebenden. Bisweilen überkommt sie den Geliebten und trennt diesen ab. Denn sie gehört auf die Seite der Gerechtigkeit der Liebe, die keisne Angemessenheit und Ähnlichkeit und Gleichheit will, sondern sich die Liebe als eine Mischung wünscht und in der Schwebe - und dies ist ein Wunder.
LXIX Die Liebe lebt im Liebenden von Galle und als Becher dient ihr ausschliesslich das Herz. Zunächst überflutet Liebesschmerz das Herz; danach zehrt die Liebe von der Galle. Tut sie es vollkommen, so zeigt sich Geduld; tut sie es jedoch nur unvollkommen, bleibt dem Liebenden der Weg zur Geduld versperrt. Und auch das zählt zu den wunderbaren Eigentümlichkeiten dieser Liebe.
LXX Alles, was in der Liebe vom Liebenden stammt, wird durch den Geliebten ausgetauscht, während sie sich festigt. Doch diese Station erreicht nicht ein jeder, da es ein sehr fortgeschrittenes Stadium der Liebe ist. Diese Festigung ist das vollendet, wenn von der Existenz des Liebenden nichts übrigblieb, ihm Vereinigung und Trennung eins sind und er die Mängel und die Hindernisse überwand. Das Ehrenkleid der Liebe hat er dann verdient, und alles, was vom Geliebten zu den Liebenden hinüberwechselt, ist dieses Ehrenkleid.
LXXI
Der Geliebte ist die Schatzkammer der Liebe, und die Schönheit des Geliebten ist der Schatz. Die Liebe nimmt ihn immer fester in Besitz. Doch die Eignung für das Ehrenkleid der Liebe wurde in dem vorigen Kapitel schon erläutert.
LXXII Die Liebe ist ein wunderbarer Spiegel für den Liebenden - wie auch den Geliebten - um sich selber und den Geliebten und die Aussenstehenden zu betrachsten. Und wenn die Liebe eifersüchtig drüber wacht, dass der Liebende nur keinen andern ansieht, kann dieser die vollkommene Schönheit des Geliebten niemals richtig sehen, es sei denn in diesem Liebesspiegel, und ebenso verhält es sich mit der unendlichen Bedürftigkeit des Liebenden und mit allen Eigenschaften auf den beiden Seiten, den vollkommenen und den mangelhaften.
LXXIII Liebe ist reiner Zwang, nicht zu erwerben. Auch ihre Befehle sind ganz ohne Zweifel nichts als Zwang. Sie und ihre Welt dulden keine Wahl: dieser Vogel fliegt nicht durch ihr Reich. Gift der Gewalt und Hinterlist des Zwanges, das sind ihre Formen. Der Liebende muss ihrem Stempel der Gewalt als Unterlage dienen. Was sie auch immer zeichnet oder eingraviert: ob er will oder nicht, das Bild erscheint auf ihm. In dem Gedanken an die freie Wahl liegt für den Liebenden die Heimsuchung. Hat er das klar erkannt und richtet sich danach, belastet ihn die Sache weniger, da er sich um die freie Wahl, die ihm ja doch nicht zusteht, gar nicht mehr bemüht.
LXXIV Bisweilen sind Pein und Unterdrückung des Geliebten auch ein Same, den die Zusammengehörigkeit und die Rücksichtsnahme und die Liebesgunst aussäen auf dem Wunsch-Acker des Liebenden, auf dass Entschuldigung erblühe und verbinde und die Vereinigung heranreife. Ist die Vereinigung ganz ausgereift, so bleibt die Einheit falls kein Gewitter oder Nebel aufzieht. Dies soll zeigen, dass auf die Liebe keinerlei Verlass ist, weswegen man auch sagte: Bist stolz du, dass mein Herz ich gab, so achte drauf: Schon hundert Karawanen brachen vor dir auf.
LXXV
Dem Verstande sind die Augen zugebunden, er kann des Geistes wahres Wesen gar nicht sehen, und der Geist ist der Liebe Muschel. Da dem Wissen nun schon der Weg zu der Muschel versperrt ist, wie sollte es den Weg zu ihrer Perle finden? Doch beim Eingehen auf die Bitte meines lieben Freundes- Gott, der Hocherhabene, sei ihm gnädig - formten sich diese Kapitel und Verse, obgleich ich in jeder Einzelheit "Unsere Rede ist ein Zeichen" bewiesen habe, so dass jemand, der es nicht verstehst, entschuldigt ist, da die Hand des Ausdrucks an den Rocksaum der Bedeutungen gar nicht heranreicht.