Ren Dhark Gehetzte Cyborgs
Die große SF-Saga von Kurt Brand Band 10 Bereits erschienen: (1) Sternendschungel Galaxis - ...
20 downloads
606 Views
2MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Ren Dhark Gehetzte Cyborgs
Die große SF-Saga von Kurt Brand Band 10 Bereits erschienen: (1) Sternendschungel Galaxis - (2) Das Rätsel des Ringraumers (3) Zielpunkt Terra - (4) Todeszone T-XXX (5) Die Hüter des Alls - (6) Botschaft aus dem Gestern (7)Im Zentrum der Galaxis - (8) Die Meister des Chaos (9) Das Nor-ex greift an!
sowie der Sonderband: Die Legende der Nogk
Sollte Ihre Bezugsquelle nicht alle
REN-DHARK-Bände verfügbar haben,
können Sie fehlende Bände direkt
beim Verlag nachbestellen.
l. Auflage
Hansjoachim Bernt Verlag
Postfach 22 01 22
56544 Neuwied
Telefon: 02631-356100
Fax:02631-356102 Internet: http://www.bernt.de
© REN DHARK: Brand Erben
Buchbearbeitung: Gerd Rottenecker Beratung: Heinz Mohlberg
Cover: Ralph Voltz Illustrationen: Hubert Schweizer
Druckvorlagenherstellung: TYPO-Schlick GmbH, 56566 Neuwied
© 1998 H. Bernt Verlag
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 3-930515-20-2
Vorwort
Mit dem vorliegenden Buch - dem mittlerweile 10. Band der Ren-Dhark-Buchausgabe - wird ein weiteres Unterkapitel der Saga um Ren Dhark abgeschlossen, denn der Handlungsstrang um das Nor-ex, jenes Raumschiffe verschlingende >Wesen<, das im vorangegangenen Band zum erstenmal auftauchte, findet ein in mancherlei Hinsicht vielleicht überraschendes Ende. Darüberhinaus lüften wir mit einem Besuch auf Esmaladan, der Heimatwelt der Utaren, das Geheimnis um die Konstrukteure der Pyramidenraumer, denen Ren Dhark & Co. in der Vergangenheit bereits mehrfach begegnet sind. Die Utaren sind dabei nur das erste einer Reihe von Fremdvölkern, die in den folgenden Bänden mehr und mehr an Bedeutung gewinnen werden. Band 10 der Ren-Dhark-Buchausgabe - das bedeutet ein kleines Jubiläum, das uns natürlich auch ein bißchen stolz macht, das aber ohne unsere treuen Leser niemals möglich geworden wäre. Passend zu diesem Jubiläum ist jetzt auch das Modell der PoiNT OF erschienen, das sicher mit dazu beitragen wird, den besonderen Status von Ren Dhark zu unterstreichen. Und über weitere >Projekte< wird zumindest immer wieder einmal nachgedacht... Die in dieses Buch bearbeitet und teilweise gekürzt eingeflossenen Originalromane sind: Die tückische Gefahr, Landung um keinen Preis, Die Weisheit der Utaren, Das Nor-ex greift an! und Wunder des blauen Planeten von Kurt Brand, Mensch oder Roboter? und Die blaue Falle von Tensor McDyke (alias Dieter Ueckermann), Wo ist Ren Dhark? und Schweigendes Grauen CAL von Staff Caine (alias Hermann Werner Peters), sowie Rettung naht, die Giants kommen von Hans-Joachim Freiberg. An dieser Stelle darf natürlich der Hinweis auf die Internet-Seiten des HJB-Verlages nicht fehlen. Dort finden Sie nicht nur die aktuell 3
sten Hinweise auf unsere Bücher und Comics, sondern beispielsweise im HJB-Newsletter auch interessante Informationen über Perry Rho-dan, Babylon-5 oder SF allgemein. Schauen Sie doch einfach mal vorbei, falls Sie einen Computer mit Modem besitzen! Hohberg, im Winter 1997 Gerd Rottenecker
Prolog
Auf der Erde und den von den Menschen besiedelten Planeten schreibt man Anfang Juni des
Jahres 2056. Die knapp dreijährige Phase der Ruhe und Konsolidierung, in der sich die Menschheit relativ ungestört dem Wiederaufbau all dessen widmen konnte, was während der Giant-lnvasion vernichtet wurde, ist vor wenigen Wochen abrupt zu Ende gegangen. Der Notruf eines Raumers der TF brachte Ren Dhark auf die Spur eines >Wesens<, das man zunächst weder begreifen, noch sich dagegen erfolgreich zur Wehr setzen konnte. Das Nor-ex gab der terrani-schen Wissenschaft eine ganze Reihe von Rätseln auf, die noch längst nicht alle gelöst sind, auch wenn zumindest eine Möglichkeit gefunden wurde, es zu bekämpfen. Auf diese Weise konnte man zwar verhindern, daß weitere Raumschiffe - aber auch ganze Siedlungen und Städte — spurlos verschwinden, aber kaum jemand glaubt ernsthaft daran, daß die Nor-ex-Gefahr somit für alle Zeit beseitigt wäre. Und die Skeptiker sollen recht behalten... Als mindestens ebenso gefährlich wie das Nor-ex könnten sich für die Menschheit jedoch auch die Machenschaften der Robonen erweisen, die im Verborgenen bereits seit längerer Zeit auf Terra agieren, und deren Aktionen in der Entführung Ren Dharks und Dan Rikers gipfelten. Zwar konnten Dhark und seine Begleiter ihren Entführern entkommen, doch jetzt irren sie über einen fremden Planeten, auf dem nur die übermenschlichen Fähigkeiten der beiden Cyborgs Bram Sass und Lau Oshuta ihr Überleben sichern können. Hier werden sie mit einem Geheimnis ganz besonderer Art konfrontiert, dessen Bedeutung sich erst in der Zukunft erschließen wird. Und schließlich erwählt das Schicksal - oder eine höhere Macht, die es darauf angelegt hat, Schicksal zu spielen - einen ganz normalen Raumschiffkommandanten der TF für die Begegnung mit jenen 5
bisher unbekannten Wesen, deren Pyramidenraumer in der Vergangenheit bereits häufiger gesichtet wurden. Eine Begegnung, deren Verlauf über Krieg und Frieden, über die Zukunft zweier Völker entscheiden kann... /.
Janos Szardak haßte es zu warten.
»Immer noch nichts von der Larsen-Flotte zu sehen?« wandte er sich zum wiederholten Mal
an Tino Grappa.
Der junge Mailänder hinter dem Ortungspult schüttelte den Kopf.
»Nichts, Szardak, nicht der kleinste Blip...«
Janos Szardak richtete sein Augenmerk wieder auf die Bildkugel. In ihr stand der Planet
Robon, den die PoiNT OF im Abstand von fast einer halben Million Kilometern umkreiste.
Sie hatten die Flash wieder an Bord genommen, die beim Alarmstart und der Verfolgung des
unbekannten Raumschiffs auf Robon zurückgeblieben waren und deren Besatzungen in der
Zwischenzeit in Starlight nach den Vermißten gesucht hatten.
Szardak brannte darauf, endlich wieder zur Sternballung Dg-45 fliegen und die Suche nach
Ren Dhark, Dan Riker und den beiden Cyborgs fortsetzen zu können. Denn daß die vier
Verschollenen sich womöglich noch auf Robon aufhalten könnten, daran glaubte er beim
besten Willen nicht mehr.
Doch zunächst galt es zu warten, bis Larsen mit seiner Flotte auftauchen würde.
Szardak zwang sich dazu, Grappa nicht schon wieder einen fragenden Blick zuzuwerfen.
Denn wenn auch sein Gesicht so unbeweglich wie immer war, in seinem Innern brodelte es.
»Immer, wenn ich Robon sehe, läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken... Eigenartig,
finden Sie nicht auch, Szardak?«
Szardak zuckte unmerklich zusammen und drehte sich dann zum Copilotensitz um.
»Eines Tages werden Sie mit Ihrer Art, sich lautlos anzuschleichen, noch irgend jemanden zu
Tode erschrecken, Tschobe«, brummte er.
Der dunkelhäutige Arzt und Funkspezialist lächelte entschuldigend.
»Ich wollte Sie nicht erschrecken, Szardak.«
7
Szardak machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Schon gut, Tschobe. Wir sind alle ein bißchen nervös.«
»Sie etwa auch, Szardak? Dabei machen Sie den Eindruck, als wären Sie die Ruhe selbst...«
Tschobes Lächeln wurde breiter.
Szardak wurde einer Entgegnung enthoben, denn im gleichen Augenblick meldete Grappa:
»Strukturerschütterung auf Grün 17:3,6; Entfernung 28 Lichtminuten... Es handelt sich
zweifelsfrei um Kugel-raumer terranischer oder giantischer Konstruktion... Zwölf Kreuzer
und... achtzehn Schiffe der Hunter-Klasse.«
Die Larsen-Flotte war endlich eingetroffen!
Wenige Augenblicke später blickte Szardak in das etwas rundliche, gutmütige Gesicht von
Ralf Larsen. Der ehemalige Erste Offizier des Kolonistenraumers GALAXIS, der wie Szardak
selbst zu den ältesten Weggefährten Ren Dharks gehörte, wirkte bekümmert.
»Gibt es irgend etwas Neues über den Verbleib des Commander und seiner Begleiter,
Janos?«
»Nein, nichts«, erwiderte Szardak, dem es nur mühsam gelang, seine Ungeduld zu bezähmen.
»Ich habe vier Flash unter dem Kommando von Wonzeff am Rande von Dg-45
zurückgelassen. Sie sollten sich melden, wenn es innerhalb des Kugelsternhaufens zu
Strukturerschütterungen kommt. Doch bisher scheint alles ruhig geblieben zu sein...«
Larsen nickte.
»Ich nehme an, Sie brennen genauso darauf, etwas zu unternehmen wie ich, Janos. Die
ARKTUR und die RIGEL werden auf Robon zurückbleiben, um Starlight und danach Starmoon
und Stardust gründlich zu durchkämmen. Die Kommandanten haben bereits ihre Befehle.
Wir warten eigentlich nur noch auf die Sprungkoordinaten, dann können wir nach Dg-45
aufbrechen, um endlich einmal den Commander zu retten...«
Es sollte ein Scherz sein, eine Anspielung darauf, wie oft Ren Dhark seine Leute schon
gerettet hatte, doch Szardak ging nicht darauf ein.
»In Ordnung, Ralf. Die Koordinaten werden an Sie und Ihre Schiffe
8
übermittelt.« Er wandte sich an Grappa. »Sind die Sprungkoordinaten vom Checkmaster
abgeglichen?«
Grappa nickte. »Sind abgeglichen... und gehen raus.«
Der Verband nahm Fahrt auf - bis auf zwei Kreuzer, die aus der Formation ausscherten und
sich langsam Robon näherten - und glitt immer schneller werdend auf jenen imaginären
Punkt im Raum zu, an dem die Schiffe das Einstein-Kontinuum verlassen und in den Hyper raum eintreten würden, um in Nullzeit Tausende von Lichtjahren entfernt wieder
aufzutauchen.
Auch die PoiNT OF beschleunigte.
Szardak atmete unbewußt tief durch. Endlich war die Zeit des Wartens vorbei!
»Wir fliegen zur Sternballung Dg-45 zurück. Transition in sechzig Sekunden«, erklang Janos
Szardaks Stimme über die Bordverständigung in allen Abteilungen des Ringraumers.
Die PoiNT OF wurde schneller und schneller.
»Colonel Szardak, ich hab' hier wieder was in der Echo-Kontrolle«, meldete sich Walt Brugg
aus der Funk-Z. »Es sieht so aus, als wäre... ja aber...«
»Verdammt, können Sie vielleicht eine vernünftige Meldung machen, Brugg«, knurrte
Szardak.
Neben ihm hatte sich Manu Tschobe aus dem Copilotensitz erhoben und war schon
unterwegs zur Funk-Z.
»Das Nor-ex! Es ist wieder da! Und...« Bruggs Stimme überschlug sich beinahe.
»Brugg, sind Sie sicher, daß es das Nor-ex ist - und wo ist es?« fragte Szardak nüchtern.
»Es ist das Nor-ex, Szardak, die Blips sind eindeutig«, mischte sich Manu Tschobe ein, der in
der Funk-Z Walt Brugg über die Schulter sah. »Und es befindet sich... Großer Gott, es
befindet sich genau über Robon!«
Janos Szardak reagierte blitzschnell.
»Brugg, eine Verbindung zur ARKTUR und zur RIGEL! Dann will ich Larsen haben! Schnell!«
9
Noch während er sprach, glitten seine Finger über die Tasten und Schalter des
Instrumentenpults. Konverter und Speicherbänke begannen ihr Lied lauter zu singen, als er
die PoiNT OF herumriß, Kurs auf Robon setzte und auf Höchstbeschleunigung ging.
Er tastete die Bordverständigung ein.
»Kontrolle der To-Funk-Kanonen an Waffensteuerungen übergeben. - Clifton, Rochard, Sie
wissen Bescheid. Aber feuern Sie erst auf mein Kommando!«
Das zweimalige »Verstanden« aus der WS-Ost und WS-West nahm er nur unbewußt wahr.
»Brugg, was ist los? Steht jetzt endlich eine Verbindung zu den beiden Kreuzern?«
»Funkkontakt steht. Ich übergebe...«
Vor Szardak flammte ein Bildschirm auf, auf dem die Gesichter zweier ihm unbekannter
Männer erschienen. Noch bevor einer der beiden Raumschiffskommandanten den Mund
aufmachen konnte, sagte Szardak: »Hier POINT OF, Colonel Szardak. Setzen Sie sich
unverzüglich mit Höchstwerten von Robon ab! Das Nor-ex scheint wieder aufgetaucht zu
sein. Es besteht höchste Gefahr. Ich wiederhole: Setzen Sie sich unverzüglich ab! Dies ist ein
Befehl! Szardak, Ende!«
»Kreuzer geben Gegenschub und entfernen sich von Robon«, meldete Tino Grappa vom
Ortungspult.
Zumindest haben die Kommandanten schnell reagiert, dachte Szardak. Hoffentlich reicht es!
»Was ist eigentlich los, Janos? Wieso haben Sie die POINT OF auf einen anderen Kurs
gesetzt?«
Das war Larsen.
»Das Nor-ex ist wieder aufgetaucht, Ralf! Direkt über Robon. Stoppen Sie die
Transitionsvorbereitungen, aber bleiben Sie auf Ihrem Kurs. Es reicht, wenn die POINT OF
überprüft, ob unsere To-Funk-Kanonen halten, was uns die Wissenschaftler von Deluge ver sprochen haben...«
Larsen öffnete den Mund - und schloß ihn wieder. Sein Gesicht auf dem kleinen Bildschirm
wirkte noch bekümmerter als vorhin.
»In Ordnung, Janos... aber seien Sie vorsichtig!«
10
Szardaks Pokerface verzog sich zu einem dünnen Lächeln.
»Ich bin immer vorsichtig, Ralf, das wissen Sie doch.«
Er unterbrach die Verbindung.
»Haben Sie irgend etwas in der Ortung, Grappa?« wandte er sich an den Ortungsspezialisten.
»Nur unsere Raumschiffe. Von diesem Nor-ex ist nichts zu entdek-ken. Nicht das Geringste!
Es ist zum Verrücktwerden!«
Der junge Mailänder warf Szardak einen verzweifelten Blick zu. Er schien es immer noch
nicht verwinden zu können, daß seine unübertrefflichen, heißgeliebten M-Ortungsgeräte das
Nor-ex nicht erfassen konnten.
»Also bleibt uns nur die Echo-Kontrolle...«
»Und die läßt uns nicht im Stich!« erklang Tschobes Stimme über die Bordverständigung.
Der Afrikaner befand sich noch immer in der Funk-Z. »Das Nor-ex ist immer noch da, fast
genau über Starlight...«
Szardaks Hände glitten über die Steuerschalter.
»Clifton, Rochard, höchste Alarmbereitschaft!« erging sein Befehl an die
Waffensteuerungen.
Die POINT OF jagte weiter auf Robon zu, einem Feind entgegen, dessen Natur den Terranern
noch immer unbekannt war.
Würde man ihn dann überhaupt wirkungsvoll bekämpfen können?
Gedankenverloren betrachtete Major Yang-Chi, der Kommandant der RlGEL, den
Panoramaschirm, auf dem Robon langsam größer wurde.
»Ich finde diesen Planeten irgendwie... unheimlich«, sagte John Albright, sein Erster Offizier,
unvermittelt, ohne zu ahnen, daß Manu Tschobe einige Zeit zuvor an Bord der POINT OF
Janos Szardak gegenüber eine ganz ähnliche Bemerkung gemacht hatte.
»Und warum?« Yang-Chi blickte seinen Ersten, der rechts von ihm im Copilotensessel
hockte, fragend an.
Albright zuckte die Schultern. »Ich kann es nicht begründen... Es ist nur ein Gefühl...
Wahrscheinlich hat es etwas mit der Geschichte dieses Planeten zu tun.«
Yang-Chi nickte stumm.
Robon - der Planet, auf den die Giants Teile der irdischen Bevölke
11
rung verschleppt und zu >Robonen< gemacht hatten, zu Menschen, die nichts mehr von ihrer
Herkunft oder ihrem Erbe wußten.
Gewußt hatten, berichtigte der Major sich in Gedanken. Denn schließlich hatte Ren Dhark
den Robonen durch die Bestrahlung mit dem CE-Gerät ihre Erinnerung zurückgegeben - und
sie gleichzeitig zum Tode verurteilt.
Unwillig schüttelte der Kommandant der RlGEL diese Gedanken ab.
Was mit den Robonen geschehen war, war eine Tragödie. Doch es war Vergangenheit.
Jetzt war nur eines wichtig: den Commander und seine Begleiter wiederzufinden. Auch wenn
Yang-Chi davon überzeugt war, daß es nicht viel bringen würde, Starlight zu durchkämmen,
so würden er und seine Männer - ebenso wie die Besatzung der ARKTUR, ihres
Schwesterschiffs - diese Aufgabe mit höchster Sorgfalt ausführen.
»Legen Sie uns 'mal eine vernünftige Vergrößerung unseres Einsatzortes auf den
Hauptbildschirm«, wies Major Yang-Chi den Sergeanten an den Ortungsgeräten an.
Augenblicke später schien Starlight förmlich ins Bild zu springen.
»Sieht nicht gerade anheimelnd aus«, brummte Albright. »Mit der Lebensqualität hatten's die
Robonen anscheinend nicht so...«
Yang-Chi hörte nicht weiter auf das Gebrumm seines I.O.; statt dessen ließ er seine Blicke
über die gleichförmigen Hochbauten und schnurgeraden Straßenzüge schweifen, die das
Stadtbild von Starlight prägten.
Er stutzte.
War da nicht gerade eine Bewegung gewesen?
Ganz außen am rechten Bildrand, in der Nähe des Stadtrands?
»Krueg, schwenken Sie ein bißchen nach rechts, zum Stadtrand -und holen Sie alles noch ein
bißchen näher ran, wenn das möglich ist«, erging seine Order an den Ortungsoffizier.
Der Stadtrand von Starlight wanderte in den Bildmittelpunkt. Langsam zoomte die Kamera
heran.
Da war doch...
»Aber... aber das... der Stadtrand, Major, sehen Sie doch, der Stadtrand verschwindet! Er...
löst sich auf!« Albrights Stimme klang fast schrill vor Aufregung.
12
Auch Yang-Chi hatte es gesehen.
Seine Hände legten sich auf das Instrumentenpult.
»Eine Verbindung zur ARKTUR...« Er konnte den Satz nicht mehr zu Ende bringen.
Plötzlich erschien Janos Szardaks Gesicht auf dem Funkbildschirm.
Hier POINT OF, Colonel Szardak! Setzen Sie sich unverzüglich von Robon ab! Das Nor-ex... Yang-Chi brauchte gar nicht weiter zuzuhören. In rasender Eile glitten seine Finger über die
Steuerschalter.
Schubumlenkung - und dann Vollschub auf die As-Onen-Triebwerke!
In der RlGEL brach ein Geräuschorkan los, der von Sekunde zu Sekunde an Intensität
zuzunehmen schien.
In das Toben der Konverter und Transformer mischte sich ein dumpfes Dröhnen, als der
mächtige Kugelkörper unter den auf ihn einwirkenden titanischen Kräften wie eine Glocke zu
schwingen begann.
As-Onen-Triebwerke auf Vollast!
Yang-Chi schien die infernalische Geräuschkulisse überhaupt nicht wahrzunehmen. Ihn
beherrschte nur ein einziger Gedanke:
Weg von hier! Nichts wie weg! Fassungslos starrten Janos Szardak und die Offiziere in der Zentrale der POINT OF auf die
Bildkugel, die eine verzerrungsfreie, tiefenscharfe Vergrößerung von Starlight zeigte - von
einem Starlight, das zusehends schrumpfte!
»Als ob dieses Nor-ex die Stadt auffressen würde«, murmelte jemand.
»Grappa, was sagen die Ortungsgeräte?« fragte Szardak in ruhigem Tonfall.
»Immer noch nichts!« Der junge Ortungsspezialist wirkte mittlerweile regelrecht deprimiert.
»Noch nicht einmal... Halt... Warten Sie einen Moment, Szardak, vielleicht...«
Grappa schaltete wild an seinen Geräten, murmelte dabei pausenlos vor sich hin.
13
Szardak konnte nur Fragmente verstehen - und mit denen konnte er nichts anfangen.
»Das Sirin-Gitter umpolen... einen einfach polarisierten Tachyd-Filter vorschalten... nein...
vielleicht einen zweifach polarisierten... und ein oszillierendes...«
Das Gemurmel verstummte.
Und dann, triumphierend, ein Aufschrei: »Ich hab's! Ich hab' das verdammte Biest in der
Energie-Ortung, Szardak! Eigentlich sind es nur Interferenzen, aber mittels diverser Filter
und Raster bekomme ich zumindest Energie-Filamente herein. Und wenn...«
»Schon gut, Grappa, schon gut«, unterbrach Szardak den Redeschwall des
Ortungsspezialisten. »Ich kann verstehen, daß Sie begeistert sind, und Sie haben auch allen
Grund dazu, aber statt mir zu erklären, wie Sie das Nor-ex aufgespürt haben, würde es mir
schon reichen, wenn Sie mir sagen, wo es sich befindet.«
»Natürlich, Szardak.« Grappa hatte sich schon wieder unter Kontrolle. »Das Biest steht genau
über Starlight, in dreißig Kilometer Höhe...«
»Geben Sie die Koordinaten an Clifton und Rochard!«
»Schon geschehen.«
Szardak warf einen Blick auf den kleinen Bildschirm, auf dem die Gesichter seiner
Waffenleitoffiziere zu sehen waren.
»Bud, Jean - Sie wissen, was Sie zu tun haben!«
Ein zweifaches Nicken.
Die PoiNT OF hatte mittlerweile begonnen, mit hohen Werten zu verzögern, raste aber
immer noch sehr schnell auf Robon und das über Starlight schwebende Nor-ex zu.
»Feuer!« befahl Janos Szardak, und ihm war in diesem Augenblick überhaupt nicht bewußt,
daß die PoiNT OF nicht mit ihrer normalen Bewaffnung auf diesen Gegner feuerte, sondern
mit hochgebündeltem Hyperfunk.
In der WS-Ost und der WS-West spielte sich zweimal der gleiche Vorgang ab: Clifton und
Rochard preßten den Feuerknopf - und die in die Unitallhaut der PoiNT OF eingelagerten
Antennen emittierten den durch einen vorgeschalteten Tofiritkristall gebündelten Hyper funkstrahl.
14
Zu sehen war von diesem Vorgang natürlich nichts.
»Volltreffer!« meldete Grappa. »Die To-Funkstrahlen sitzen genau im Ziel... Und schon wird
das Energie-Echo des Nor-ex deutlicher.«
»Täusche ich mich, oder hat sich die >Auflösung< von Starlight tatsächlich verlangsamt?«
meinte Hen Falluta, der sich beim Anflug auf Robon in den verwaisten Copilotensitz hatte
fallen lassen.
Szardak kniff die Augen zusammen und musterte das Abbild Star-lights in der Bildkugel.
»Könnte sein«, knurrte er.
»Achtung, Nor-ex setzt sich in Bewegung, kommt auf uns zu!« brüllte Grappa vom
Ortungspult her.
»Höchste Sendeleistung auf die verdammten To-Funk-Kanonen! Brugg, Tschobe, ist das
alles, was wir zu bieten haben?«
»Wir fahren schon mit 120 Prozent Leistung, Szardak«, meldete sich Tschobe aus der Funk-
Z. »Dann gehen Sie auf 150 Prozent!« Erstaunte Blicke flogen durch den Raum, schienen sich am Rücken des kleinen Mannes, der konzentriert vor seinem Steuerpult saß, festzufressen. Szardak, der Draufgänger, dachte auch Falluta. Aber weiß er wirklich, was er tut? Doch Janos Szardak kannte die PoiNT OF fast so gut wie Ren Dhark oder Miles Congollon, der Chefingenieur. Er wußte, daß eine kurzfristige Überlastung den M-Aggregaten nichts ausmachen würde. »Nor-ex nähert sich immer noch, wird aber wieder langsamer... Junge, Junge, allmählich habe ich hier das reinste Energiefeuerwerk auf den Orterschirmen.« Das war wieder Grappa. Und dann wurde in der Bildkugel ein Gebilde sichtbar, das bisher kaum zu orten gewesen war. Das Nor-ex sah aus wie ein unregelmäßig geformter, langsam pulsierender Schwamm, der jetzt immer heller zu leuchten begann. »Ich habe endlich vernünftige Daten, Szardak«, erklang erneut Grappas Stimme. »Dieses Ding hat eine Ausdehnung von knapp achtzehn Kilometern im Pulsationsmaximum, acht im Minimum. Im Rhythmus seines Pulsierens emittiert es eine bisher unbekannte Art von Energie... aber wenn diese Werte hier den Tatsachen entspre 15 chen, dann würde diese Energie ausreichen, ein ganzes Sonnensystem zu versorgen.« Ununterbrochen feuerten die To-Funk-Kanonen der POINT OF. Doch noch immer glitt das
unheimliche Wesen auf den Ringraumer zu, auch wenn es langsamer zu werden schien, wie auch Grappa bestätigte. Doch es war schon verdammt nah... »Außenhaut auf Norexal-Schicht kontrollieren«, befahl Szardak. »Strukturerschütterung auf Gelb 08:3,1; Entfernung zwei Millionen Kilometer... Das ist die HOPE!« Grappa brüllte schon wieder. Ralf Larsen hatte sein Raumschiff in einer gewagten Kurztransition dicht an den Ort des Geschehens herangebracht. Noch ehe die Restfahrt der HOPE völlig aufgebraucht war, griff der 400-m-Kreuzer mit seinen To-Funk-Kanonen in den Kampf ein. Durch das Nor-ex schien ein Ruck zu gehen. Für einen kurzen Augenblick schien es vollkommen unbeweglich im Raum zu stehen. Dann flammte es auf, heller und heller, wurde zu einem stechend weißen Gleißen, das trotz der vor die Optiken geschalteten Filter in den Augen schmerzte. »Nor-ex beginnt sich stärker auszudehnen...« Plötzlich schien das grelle Weiß zu erlöschen, wurde zu einem düsteren Rot, wie die Glut eines fast erloschenen Feuers. Im nächsten Moment registrierte der Raum-Controller eine gewaltige Strukturerschütterung - und das Nor-ex war verschwunden! »Sind Sie sich ganz sicher, Grappa?« Janos Szardak wollte kein Risiko eingehen. Er hatte den Eindruck, daß sie gerade eben noch einmal davongekommen waren. Doch Grappas Meldung wurde auch von Tschobe und Brugg aus der Funk-Z bestätigt. Auch mit der Echo-Kontrolle ließ sich keine Spur des Nor-ex mehr ausmachen. »Es ist weg, daran kann überhaupt kein Zweifel bestehen«, verkündete Tschobe noch einmal, als er die Zentrale wieder betrat. Vor Janos Szardak flammte ein kleiner Bildschirm auf, und dann blickte er zum dritten Mal an diesem Tag in das Gesicht von Ralf Larsen, doch diesmal wirkte es überhaupt nicht bekümmert. »Ich denke, das war ziemlich knapp, Janos.« Szardak nickte. »Wir hätten es wahrscheinlich auch alleine ge 16
schafft. Trotzdem danke, Ralf. Immerhin wissen wir jetzt, daß die To-Funk-Kanonen wie gewünscht funktionieren - und daß die Feuerkraft eines einzelnen Raumschiffs kaum ausreicht, um das Nor-ex zu vernichten oder zumindest zu vertreiben. Wir mußten auf 150 Prozent Sendeleistung gehen, um es aufzuhalten.« »Dann reichen die To-Funk-Kanonen eines Kugelraumers auf keinen Fall - noch nicht einmal die eines Kreuzers...« Larsen runzelte die Stirn. »Wir werden stärkere Hyperfunkaggregate in unsere Schiffe einbauen müssen...« »Vielleicht auch nicht«, mischte sich Tschobe ein, der hinter Szardak an den Pilotensitz herangetreten war. »Vielleicht reicht es, einen größeren Tofirit-Kristall zu verwenden und seine Lage leicht zu verändern.« »Das hört sich so an, als hätten Sie eine Idee?« Der Afrikaner nickte. »Mit einer kleinen Versuchsanordnung und einem schnellen Supra-sensor könnte ich Ihnen vielleicht schon in ein paar Stunden ein Ergebnis liefern.« Larsen und Szardak wechselten einen Blick stummen Einverständnisses. »Ich glaube, es hat unter diesen Voraussetzungen wenig Sinn, zwei Kreuzer auf Robon zu stationieren. Schließlich wissen wir nicht, ob das Nor-ex nicht vielleicht wieder auftaucht«, begann Larsen. »Daher werde ich Sie mit der ARKTUR zur Erde schicken. Dort finden Sie die besten Voraussetzungen, Ihre Überlegungen umzusetzen.« »Aber...« »Kein aber, Manu«, sagte Szardak nachdrücklich. »Sie wissen selbst, daß das die einzig sinnvolle Vorgehensweise ist. Wir können es uns nicht leisten, noch ein Schiff an das Nor-ex zu verlieren. Und wenn Sie wirklich in der Lage sein sollten, den Wirkungsgrad der To-FunkKanonen zu steigern, wird der Commander Ihnen dafür später einen Orden verleihen.« Manu Tschobe blickte von Szardak zu dem Bildschirm, von dem noch immer Larsen herunterlächelte, und wieder zurück zu Szardak. Dann schüttelte er ungläubig den Kopf. »Na großartig«, brummte er. »Sie suchen den Commander, und ich 17 darf mich im Forschungszentrum von Alamo Gordo mit den Wissenschaftlern 'rumschlagen. Haben die Herren vielleicht sonst noch ein Problem, daß ich so nebenbei lösen kann?« Seine
Stimme troff vor Sarkasmus.
Larsens Lächeln wurde breiter.
»Also wenn Sie schon so direkt fragen... Wir können das Nor-ex leider immer noch nicht
orten. Ich hätte mit der HOPE schon viel früher in den Kampf eingegriffen, doch wir haben
erst ein Ortungsergebnis bekommen, als die POINT OF ihre To-Funk-Kanonen einsetzte und
dieses Ding zu leuchten begann...«
»Ich glaube es einfach nicht...« murmelte Tschobe, doch niemand hörte auf ihn, denn in
diesem Augenblick mischte sich Tino Grappa ein.
»Vielleicht gibt es auch für dieses Problem eine Lösung. Zumindest mit den Ortungsgeräten
der PoiNT OF wird es in Zukunft möglich sein, das Nor-ex zu lokalisieren. Tschobe,
kommen Sie einmal her, das müßte Sie doch auch interessieren. Sehen Sie, ich habe nur ein
Sirin-Gitter...«
Manu Tschobe warf einen verzweifelten Blick nach oben, doch dort war nichts, nur die
Decke der Zentrale. Larsen begann schallend zu lachen, und selbst Janos Szardak, der Mann
mit dem Pokerface, gestattete sich ein winziges Lächeln.
Doch dann wurde er übergangslos wieder ernst. Er wußte, daß solche Geplänkel halfen,
Spannungen abzubauen, aber er wußte auch, daß noch eine große Aufgabe vor ihnen lag.
Sie mußten den Commander finden!
Marschall Bulton, der Stellvertreter Dan Rikers und in seiner Abwesenheit Oberbefehlshaber
der TF, blickte von seinem Schreibtisch auf, als Captain Patters, sein Adjutant, das Büro
betrat.
Patters wirkte etwas atemlos und wedelte mit einer Folie in der Luft herum.
»Was gibt es, Patters?« fragte der Marschall, dessen cholerisches Temperament berühmt berüchtigt war.
»Die POINT OF hat sich gemeldet, Sir!«
18
»Alle Wetter, so schnell schon? Hat Szardak, dieser Teufelskerl, den Commander womöglich
schon gefunden, bevor Larsen mit der Unterstützungsflotte vor Ort war? - Ah, ich sehe Ihnen
an, daß es keine guten Nachrichten sind«, fuhr Bulton nach einer kurzen Pause fort, in der er
Patters genauer gemustert hatte.
»Das Nor-ex ist wieder aufgetaucht«, sagte Patters schnell und reichte dem Marschall die
Folie.
»Als ob wir nicht schon genug Sorgen hätten«, knurrte Bulton ungehalten. Dann begann er zu
lesen.
»Na, immerhin, unsere neue Wunderwaffe scheint zumindest einigermaßen zu
funktionieren«, meinte er, als er zu Ende gelesen hatte. »Aber Szardak ist auch ein
verdammter Teufelskerl. Solange wir Männer wie ihn und Larsen und Huxley haben, ist mir
um Terra nicht bange.... Apropos Huxley, wo steckt der eigentlich?«
Patters mußte nur kurz nachdenken.
»Colonel Huxley ist auf Befehl des Commanders mit der POLLUX unterwegs zu den Nogk,
um sie um Hilfe gegen das Nor-ex zu bitten oder sie zu warnen, je nachdem...«
»Hm. Dann ist er aber schon einige Zeit unterwegs.«
Patters nickte. »Ungefähr zwei Wochen, Sir.«
»Und er hat sich die ganze Zeit nicht gemeldet?«
»Nein, Sir.«
Marschall Bulton drehte den Kopf und sah aus dem Fenster über den Raumhafen von Cent
Field.
»Das gefällt mir nicht«, knurrte er leise, »das gefällt mir ganz und gar nicht! Ist Huxley jetzt
womöglich auch verschwunden?«
Captain Patters gab keine Antwort.
»Verdammt!«
Colonel Frederic Huxley war wütend. So wütend, daß er - der sonst die Beherrschung in
Person war - sein Verdammt! mit einem kräftigen Faustschlag auf den Tisch unterstrich.
Langsam hob er den Kopf und blickte den Mann an, der vor ihm stand.
»Und Sie sind sich wirklich ganz sicher?« Er mußte diese Frage einfach stellen, auch wenn er
die Antwort bereits kannte.
19 Captain Sigurdur Gutmundsson, der Kommandant der POLLUX, schien sich am liebsten in ein Mauseloch verkriechen zu wollen. Selbst wenn ihm das angesichts seiner Größe von knapp zwei Metern gelungen wäre - es gab an Bord terranischer Raumschiffe keine Mau selöcher. Aber zumindest an Bord dieses Raumschiffs eine ganze Menge anderer Probleme. Gutmundsson hob in einer entschuldigenden Geste die Arme. »Der Chief und seine Assistenten haben sämtliche Aggregate noch einmal gecheckt«, begann er in der für ihn typischen schleppenden Sprechweise. »Und es hat sich genau das bestätigt, was Orloff schon vor zwei Wochen vermutet hat: Das Problem liegt in der Abstimmung zwischen Transitionstriebwerk und Schwingungsdämpfer. Der Chief hat die fraglichen Schaltkreise zwar überbrückt, aber er kann nicht garantieren, daß diese Notreparatur mehr als eine Transition über einige tausend Lichtjahre durchhält. Und wenn uns die BehelfsSchaltkreise durchbrennen, ist eine nochmalige Reparatur mit Bordmitteln nicht mehr möglich.« Huxley seufzte. Am liebsten hätte er noch einmal mit der Faust auf den Tisch gehauen - aber was hätte das genützt? »Das bedeutet also, wir müssen umkehren - und am besten alles auf eine Karte setzen und versuchen, das Sol-System in einer einzigen Transition zu erreichen.« Gutmundsson machte ein unglückliches Gesicht. »Ich fürchte ja, Colonel.« Huxley mahlte stumm mit den Zähnen. Er hatte das Gefühl, als ob sich in letzter Zeit alles gegen ihn verschworen hätte. Zuerst war sein Raumschiff, die FO-1, von ihrem Landeplatz auf Hope verschwunden, und jetzt hing er schon fast zwei Wochen hier irgendwo im Nichts fest. Die Zeit läuft mir davon, dachte der grauhaarige Colonel. Er war unterwegs ins Tantal-System, um die Nogk um Hilfe gegen jenes geheimnisvolle Etwas zu bitten, das außer seiner FO-1 bereits vier Raumschiffe der TF verschlungen hatte. Oder vielleicht auch nur, um sie zu warnen. Und jetzt das! 20 Resignierend schüttelte Huxley den Kopf. Das durfte es doch gar nicht geben! Die POLLUX war kein gianti-scher Beuteraumer, sondern erst vor wenigen Wochen in einer terra-nischen Werft vom Band gelaufen. Und schon auf ihrem ersten großen Flug zeigte sich ein Defekt an ihrem Transitionstriebwerk? »Chief Orloff kann jetzt übrigens mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, daß keine Sabotage im Spiel ist. Er bleibt bei dem, was er schon vor zwei Wochen gesagt hat.« »Und was macht ihn so sicher?« Forschend musterte Huxley den baumlangen Kommandanten der POLLUX. Captain Gutmundsson antwortete so ruhig und bedächtig wie immer. »Im Laufe der Reparatur hat Orloff sämtliche Einzelkomponenten isoliert und einzeln durchgetestet. Dabei ergaben sich bei den Schwingungsdämpfern teilweise um eine Zehnerpotenz abweichende Werte, wenn sie an einen externen Suprasensor angeschlossen wurden. Das ist für ihn der Beweis, daß der Versuch, dieses Produkt der Amphi-Technologie in unsere giantischen Transitionstriebwerke zu integrieren, entweder nicht genügend durchdacht oder schlampig ausgeführt wurde.« Das war eine vergleichsweise lange Rede für den Isländer. Huxley erinnerte sich gut genug an die Diskussion, die er gleich nach Auftreten des Defekts mit Orloff und Gutmundsson geführt hatte. Der Chief der POLLUX hielt die neuen terranischen Raumschiffe mit ihrem Konglomerat aus Giant-, Amphi- und M-Technologie für noch längst nicht ausgereift. Der grauhaarige Colonel hatte sich an sein eigenes Unbehagen erinnert, das ihn jedesmal beschlich, wenn er sah, wie unbekümmert die terranischen Wissenschaftler die Technologien dreier verschiedener Fremdrassen miteinander kombinierten, und dem Ingenieur im stillen recht gegeben. Viele erfahrene Raumfahrer - und nicht zuletzt er selbst - hatten häufig genug vor diesem allzu sorglosen Umgang mit Dingen, von denen man noch immer nicht viel verstand, gewarnt. Und diese Warnungen schienen jetzt ihre Bestätigung zu erhalten. Fatal war nur, daß Huxley
am eigenen Leib zu spüren bekam, daß er recht gehabt hatte.
Er seufzte. Wenn sie erst wieder auf der Erde waren, würde er mit
21
dem Stab der TF reden müssen. Doch zuerst galt es, überhaupt noch einmal hier
wegzukommen.
»Was glaubt Orloff, wie lange wird es noch dauern, bis die Reparatur endgültig
abgeschlossen ist?«
»Zwei bis drei Tage.«
»Gut, dann wird es allmählich aber auch Zeit. Ich nehme an, man wird sich im Stab der TF
schon wundern, warum wir so lange nichts von uns hören lassen.«
Gutmundsson nickte. Er und Huxley hatten gleich nach Auftreten des Defekts beschlossen,
keinen Notruf nach Terra abzusetzen, sondern erst einmal abzuwarten, ob der Schaden mit
Bordmitteln behoben werden konnte. Der Isländer kannte die Theorie, nach der das
geheimnisvolle Etwas, das sich in der Milchstraße herumtrieb und die Raumschiffe der TF
verschlang, von Funksprüchen angelockt wurde, und er hatte nicht die geringste Lust,
mitsamt seiner POLLUX auf Nimmerwiedersehen im Nirgendwo zu verschwinden.
»Der Chief meint übrigens, wir hätten noch Glück im Unglück gehabt.«
Huxley blickte auf.
»Und warum?«
»Weil wir die Abweichungen schon nach relativ kurzen Sprüngen festgestellt haben. Er
glaubt, daß sie bei Sprüngen über mehr als 5000 Lichtjahre exponentiell ansteigen... Und
wenn der Raumer dann noch in ein Gebiet mit dichter Sternpopulation springt...«
Huxley pfiff durch die Zähne. Für einen kurzen Augenblick dachte er daran, doch noch
Hyperfunkverbindung mit Terra aufzunehmen, verwarf den Gedanken aber wieder.
Es wäre zu diesem Zeitpunkt vermutlich ohnehin zu spät gewesen.
22
2.
Ren Dhark, Dan Riker und Lati Oshuta blieben schlagartig wie angewurzelt stehen.
Bram Sass, der Augenblicke zuvor noch am Rande des vor ihnen liegenden Sees gekauert
und ihnen fröhlich zugewinkt hatte, war plötzlich nicht mehr da!
Es war so schnell gegangen, daß keiner der drei Männer etwas Genaueres hatte erkennen
können. Gerade hatte Sass noch am Ufer gehockt - und jetzt war er verschwunden. Spurlos
verschwunden!
Ren Dhark und seine Gefährten blickten sich an.
»Was war das?« fragte der Commander der Planeten seinen Freund und den Cyborg.
Dan Rikers Gesicht war ein einziges großes Fragezeichen.
»Ich weiß nicht, Ren... Ich habe eigentlich überhaupt nichts gesehen. Sass war plötzlich
weg... einfach so.«
Lati Oshuta hatte die Schlitzaugen noch mehr zusammengekniffen und starrte auf den See,
als brauchte er nur lange genug die Wasserfläche anzusehen, um herauszufinden, was mit
Bram Sass geschehen war.
»Da war etwas«, begann der Cyborg zögernd. »Etwas Dunkles, das aus dem See nach Sass
gegriffen und ihn hinuntergezogen hat...«
»Konnten Sie es genauer erkennen?« fragte Ren Dhark den Japaner. Auch er war der Ansicht,
für einen Sekundenbruchteil etwas gesehen zu haben.
Bedauernd schüttelte Oshuta den Kopf.
»Nein«, erwiderte er. »Ich habe es nur ganz kurz gesehen - so kurz, daß ich mir schon nicht
einmal mehr sicher bin, ob ich wirklich etwas gesehen oder mir die Sache nur eingebildet
habe.«
»Da war etwas«, erklärte Dhark bestimmt. »Ich habe es auch gesehen - und warum sollte Sass
sonst verschwunden sein?«
23
»Und was sollen wir jetzt tun?« mischte sich Dan Riker ein, der seine Blicke pausenlos
zwischen den Gefährten und dem vielleicht noch dreißig Meter entfernten Seeufer hin und
her wandern ließ.
Lad Oshuta machte ein grimmiges Gesicht. »Ich könnte nachsehen und...«
»Nein, das werden Sie nicht tun, Oshuta!« Ren Dharks Stimme duldete keinen Widerspruch. Erstaunt sah der Cyborg Ren Dhark an. »Aber, Commander, Sass ist vielleicht in Gefahr, und...« »Das ist gut möglich, Oshuta - aber wenn er mit dieser Gefahr nicht allein fertigwerden kann, könnten Sie ihm dann helfen?« Oshuta zögerte mit einer Antwort. Schließlich meinte er schulterzuckend: »Sass ist überrascht worden. Ich könnte mich auf die Gefahr einstellen. Deshalb wären meine Chancen wahrscheinlich wirklich etwas besser.« Müde wischte sich Ren Dhark mit dem Unterarm übers Gesicht und verfluchte sich sofort wegen dieser Geste, denn ihm war wieder der Gestank der Fäden in die Nase gestiegen, die seit ihrem Zusammentreffen mit den Chamäleon-Spinnen an seiner und Rikers Kombi klebten. Die Fäden schienen allmählich in Verwesung überzugehen, zumindest nach dem Gestank zu urteilen, der von Minute zu Minute schlimmer wurde. Dhark unterdrückte das Gefühl der Übelkeit, das in ihm aufstieg, und sah Oshuta an. »Wie wollen Sie sich auf eine Gefahr einstellen, deren Natur Sie noch nicht einmal kennen, Oshuta? Nein, Sie müssen hier bei uns bleiben, wenn wir eine Chance zum Überleben haben wollen. Ohne Ihre und Sass' Fähigkeiten sind Dan Riker und ich verloren.« Er verzog unbehaglich das Gesicht, und man konnte ihm ansehen, daß ihm diese Aussage nicht leicht fiel. »Sie haben natürlich recht, Commander«, gestand Oshuta ein. »Ich würde aber zumindest gerne etwas näher ans Seeufer herangehen. Vielleicht...« Dhark nickte. Gemeinsam traten sie ein paar Schritte näher auf das Ufer zu und warteten darauf, daß Bram Sass wieder auftauchen würde. Doch der Ladiner blieb verschwunden. 24 Bram Sass fühlte nur, daß etwas ihn umschlungen hatte, als das Wasser des Sees auch schon über ihm zusammenschlug und er in die Tiefe gerissen wurde. Ohne nachzudenken ,schaltete er blitzschnell auf das zweite System um. Der immer kräftiger werdende Druck um Arme, Beine und Körper war im gleichen Moment nicht mehr schmerzhaft. Sein Programmgehirn arbeitete exakt, mit dem normalen nur durch die schwache Rückschaltungs-Phase verbunden. Irgend etwas riß ihn in die Tiefe des Sees. Der Lichteinfall wurde schnell schwächer. Ob die tieferliegenden Wasserschichten kalt oder warm waren, interessierte ihn im Augenblick nicht besonders. Phanten, kommandierte sein Zweitgehirn, und fast gleichzeitig injizierte das kleine Steuergerät den Adhesive-Kleber. Alle Gase und Flüssigkeiten in seinem Körper wurden damit gebunden, gleichzeitig trat innerhalb seines normalen Organismus ein Zustand ein, den man nur mit klinischem Tod bezeichnen konnte. Das Programmgehirn kümmerte sich nicht darum. Es hatte errechnet, daß größte Gefahr bestand. Und sie wuchs mit jedem Meter, den Sass tiefer gerissen wurde. Sein Versuch, die Umschlingung zu sprengen, scheiterte. Er gab auch sofort auf. Über sein zweites Augensystem sah er alles so deutlich, als würde die Unterwasserwelt von starken Scheinwerfern erhellt. Als er den Kopf drehte und an sich heruntersah, erkannte er mehrere schenkeldicke, metallisch aussehende Schlangenglieder, die sich dicht unter seinen Füßen zu einem halbmeterdicken Körper vereinigten. Greiffühler, sagte ihm sein Programmgehirn. Eine Feststellung bar jeden menschlichen Gefühls. Bram Sass hatte als Cyborg aufgehört, wie ein Mensch zu empfinden. Er hatte keine Angst. Sein Programmgehirn arbeitete auf Hochtouren, um eine Möglichkeit zu finden, dieser Gefahr aus der Tiefe zu begegnen. Noch mußte er abwarten, während er dem Grund des Sees immer näher kam. Ein paarmal wurde er herumgewirbelt, aber die Umschlingung seines Körpers lockerte sich nicht. Dann wurde die rasende Abwärts-fahrt langsamer. Der Cyborg erkannte, daß er sich in einer riesigen, spiralförmigen Muschel befand, deren Gang sich allmählich verengte. 25 In dieses Muschelgehäuse zog sich der Greiffühler zurück, riß ihn mit. Was ihn am Ende des Gehäuses erwartete, konnte er nicht sehen. Die Sicht wurde ihm von dem Greiffühler versperrt, der aus einem einzigen Paket langgestreckter Muskeln bestand, die sich mehr und mehr zusammenzogen.
Angst kannte der Cyborg Bram Sass nicht. Dieser Begriff war in seinem Programm nicht enthalten. An seine Waffe kam er nicht heran. Titanische Kräfte preßten ihm die Arme gegen den Körper. Jedem normalen Menschen wäre längst der Brustkorb zerquetscht worden; der Cyborg widerstand dem tödlichen Druck ohne Probleme. Sein Kopf schrammte an der Wandung der Muschelspirale entlang. Sein Zweitgehirn meldete keinen Schmerz, nur Kontakt mit einer spiegelglatten Kalkwand. Ich bin gespannt, wohin das geht, dachte Bram Sass mit seinem logisch arbeitenden Programmgehirn. Die Frage, ob man ihn am Rand des Sees wohl inzwischen vermissen würde, stellte er sich nicht. Erneut wurde er herumgewirbelt, und der Druck um seinen Brustkorb verstärkte sich. Er leistete nur den Widerstand, den ihm sein Zweitgehirn befahl. Der Wärmeaustausch innerhalb des spiraligen Muschelgehäuses genügte, um ihn über Infrarot alles erkennen zu lassen. Die kalkgraue Wandung der Spirale war völlig glatt, wie poliert. Oft mußte der Greiffühler hier aus- und eingefahren sein, um seine Beute in die Tiefe zu zerren. Die Abwärtsbewegung wurde langsamer. Bram Sass, der weder Arme noch Beine bewegen konnte, sah, daß die innere Muschelwandung faustgroße Knoten hatte, die immer zahlreicher auftraten, je tiefer er kam. Welchen Zweck die Knoten hatten, konnte auch das Programmgehirn nicht schlußfolgern. Plötzlich glaubte er einen Lichtschimmer wahrzunehmen. Im gleichen Augenblick wölbte sich die spiralförmige Muschel zu einem kugelrunden Gehäuse. Ein phosphoreszierendes Zyklopenauge starrte ihn an. Abschalten! Der Befehl des Programmgehirns lief blitzartig durch sein zweites System; er bedeutete, sich als normaler Mensch tot zu stellen. 26 Schlagartig verschwand sein Widerstand gegen den Druck der Greiffühler. Innerhalb seines zweites Systems war alles abgeschaltet, nur das Programmgehirn und sein Sehvermögen blieben davon unbe-einträchtigt. Unter dem Zyklopenauge klaffte der zahnstarrende Rachen eines formlosen, mehrere Meter durchmessenden Muschel- oder Schnek-kenwesens, das nicht zuletzt wegen seiner graugelben Hautfarbe an einen grobporigen Schwamm erinnerte. Der Greiffühler ging oberhalb des leicht ovalen, tückisch blickenden Auges in den Schneckenleib über. Das Ungeheuer zog ihn ein, wie eine terranische Schnecke ihre Fühler einziehen würde. Bram Sass hütete sich, auch nur seine Augen zu bewegen. Das Ungeheuer, auf dessen Rachen er unaufhaltsam zugezerrt wurde, reagierte auf seinen totenähnlichen Zustand sofort. Zwei Fühler, die bislang seine Beine zusammengepreßt hatten, lösten sich, um ihn abzutasten. Der Ladiner verspürte weder Angst noch Ekel vor dieser Berührung. Diese Begriffe waren in dieser Form im Programmgehirn nicht enthalten. Das Phant-Adhesive, das ihm das kleine Steuergerät injiziert hatte, wirkte in dieser Dosierung eine Stunde lang. Solange waren in seinem Körper alle Gase und Flüssigkeiten gebunden. Es spielte daher keine Rolle, in welcher Umgebung er sich aufhielt. Die Umklammerung ließ nach; ihr Druck wurde schwächer. Noch drei Meter trennten ihn von dem mit mehreren Reihen scharfer Zähne besetzten Rachen des Ungeheuers. Die Öffnung war groß genug, daß er auf einmal hineinpassen würde. Nach wie vor rührte sich Sass nicht. So kaltblütig hätte ein Mensch niemals sein können. Buchstäblich den Tod vor Augen, tat der Cy-borg nur das, was das Programmgehirn ihm befahl. Abwarten! Den günstigsten Moment abwarten! Das Wasser innerhalb des kugelförmigen Gehäuses war genauso klar wie sonst im See. Die Wärmeunterschiede ließen ihn über Infrarot alles erkennen. Rot war der Rachen des zyklopischen Ungeheuers, während das Aussehen des tückisch blickenden Auges immer wieder wechselte. Der Moloch verfolgte jede Bewegung, die Sass im Wasser machen mußte. 28
Jetzt bog sich der Greiffühler. Zwei Meter trennten Sass noch von dem tödlichen Schlund, in den er hineingestoßen werden sollte.
Der Ladiner war plötzlich in der Lage, den rechten Arm zu bewegen, doch er rührte sich noch immer nicht. Nun ließ die Umschlingung auf der anderen Körperseite auch nach. Er machte nicht die geringste Bewegung. Unaufhaltsam glitt er dem weitaufgerissenen Rachen entgegen. Das Zyklopenauge bewegte sich leicht. Das Monstrum in seiner Muschel betrachtete ihn als sichere, im Wasser erstickte Beute. Die Enden der Greiffühler wirkten ohne Übergang als Saugnäpfe. Handtellergroße Flächen saugten sich an Bram Sass fest, während der nur aus Muskeln bestehende Fangarm sich wie eine Spirale bog und ihn weiter dem Rachen zuschob. Da rasten Impulse durch Bram Sass' zweites System. Unbeschreiblich schnell griffen seine Hände zu den beiden erbeuteten Blastern. Es fehlten nur noch Zentimeter, bis er den Rachen erreicht hatte, als die beiden Abstrahlpole tödliche Energiebahnen in den rotschimmernden Schlund jagten. Der wild zuckende Greiffühler schleuderte ihn in die Höhe, aber Sass verlor sein Ziel nicht aus den Augen. Für den Bruchteil einer Sekunde sah er den Fühler aus der formlosen Masse der Schnecke herauskommen und sich strecken. Die Waffe in seiner Linken wechselte die Schußrichtung; der Energiestrahl zischte von rechts nach links durch das aufgewühlte Wasser und trennte den Greiffühler ab. Er sah, wie ein Teil der >Schnecke< unter dem energetischen Beschüß verging, aber in Abertausend Bereichen ihres Organismus war das Leben noch voll aktiv. Eine grüne Flüssigkeit, wahrscheinlich das Blut des Ungeheuers, strömte aus, doch Sass' Infrarot-System wurde dadurch nicht behindert. Drei Saugnäpfe waren von ihm abgefallen, jetzt ließen ihn auch die letzten los. Sass trieb im wildbewegten Wasser, aber längst nicht so stürmisch wie vorhin, als er wild herumgewirbelt worden war und unter dem Druck des ihn umschlingenden Greiffühlers kein Glied hatte bewegen können. 29 Er schoß aus beiden Blastern Dauerfeuer. Jetzt trafen die energetischen Strahlen die Kalkwandung des Muschelgehäuses. Sekundenlang dauerte der alles vernichtende Beschüß an - und dann brach das kugelförmige Gehäuse auseinander. Sachlich stellte der Cyborg fest, daß er zur Oberfläche geschleudert wurde. Tageslicht von oben! Um ihn herum wurde es heller. Seine Blaster strahlten keine Energiebahnen mehr ab. Den Kopf in den Nacken gelegt, mit Armen und Beinen leichte Schwimmbewegungen machend, schoß er nach oben. Sein Zweitgehirn stellte die Tatsache fest, daß er die Wasserfläche wieder erreicht hatte. Er sah Ren Dhark, Dan Riker und Lati Oshuta am Ufer stehen. Er hörte aber auch dicht neben sich ein Geräusch, wie er es schon einmal vernommen hatte, doch bevor er zum Schuß kam, hatte ihn ein anderer Greiffühler schon wieder umschlungen und riß ihn erneut in die Tiefe. Dhark hatte als einziger dieses grausige Spiel beobachtet. Riker und Oshuta hatten für einen Augenblick nach rechts gesehen, wirbelten aber auf der Stelle herum, als sie irgend etwas auf dem Wasser aufklatschen hörten. Sie konnten nichts mehr sehen außer Wellenringen, die sich nach allen Seiten gleichmäßig ausbreiteten. Dhark erzählte ihnen, was er beobachtet hatte. Er bemerkte, daß Lati Oshuta einen Schritt auf das Seeufer zu machte. »Sie bleiben hier, Oshuta!« »Aber Sass...« Mit einer endgültigen Geste schnitt der Commander ihm das Wort ab. Dan Riker war mit der Entscheidung seines Freundes nicht einverstanden. »Wir beide, Ren, können nicht ins Wasser. Lati Oshuta ist der einzige, der Bram Sass Hilfe bringen könnte. Warum läßt du ihn nicht...?« »Er bleibt!« Müde schüttelte Ren Dhark den Kopf. Er hatte die Hoffnung, daß Bram Sass auch ein zweites Mal mit diesem Ungeheuer fertig werden würde. Lati Oshuta warf ihm einen schrägen Blick zu. 30
Der kleine Japaner schien nach neuen Argumenten zu suchen, mit denen er den Commander
vielleicht doch noch umstimmen konnte.
Und dann schrie Dan Riker plötzlich auf. Nur ein Wort war zu verstehen: »Sass!«
Bram Sass schwamm mit kräftigen Schwimmbewegungen auf das Ufer zu, drehte den Kopf
dabei aber nach allen Seiten.
Oshuta streckte ihm eine Hand entgegen, riß ihn ans Ufer und führte ihn ein paar Schritte
vom See weg. Mit einem Blick hatte er erkannt, daß der Ladiner phantete. Nicht ein Muskel
in seinem Gesicht bewegte sich.
»Was ist da im Wasser, Sass?« fragte Ren Dhark knapp.
»Schnecken- oder Muschelungeheuer. In etwa dreißig Meter Tiefe liegen sie auf dem Grund.
Eine kleine Kolonie dicht vor diesem Teil des Ufers.«
Sein zweites System hatte diese Antwort gegeben. Nur wer ein feines Gehör hatte, konnte
den Klangunterschied zwischen der natürlichen Sprache und der des Systems erkennen.
»Und wie sieht es in den anderen Uferbereichen aus?« wollte Ren Dhark wissen.
Sass zuckte die Schultern.
»Das kann ich so nicht sagen. Aber wenn Oshuta und ich zusammen runtergehen, werden wir
es schnell feststellen...«
Dhark blickte erst die beiden Cyborgs und dann Dan Riker an. Der Gestank, der von den sich
zersetzenden Spinnenfäden ausging, schien von Minute zu Minute intensiver zu werden. Dan
Riker war totenbleich. Er litt allem Anschein nach noch stärker unter dem entsetzlichen
Gestank, der auch in Ren Dhark immer wieder eine würgende Übelkeit aufsteigen ließ.
Er nickte langsam.
»Also gut«, sagte er. »Wir müssen ans Wasser. Wenn wir die Reste der Spinnenfäden nicht
endlich abwaschen können, wird uns dieser ekelhafte Gestank irgendwann einfach
ohnmächtig werden lassen. Außerdem wäre es kein Schaden, die Wasserflaschen wieder
aufzufüllen.«
Lati Oshuta grinste den Commander an.
»Bei Sass hat das Bad schon Wunder gewirkt; Sie und Riker hinge 31
gen riechen wirklich Meilen gegen den Wind...« Der kleine Japaner rümpfte demonstrativ die
Nase.
Ren Dhark war nicht in der Stimmung, auf Oshutas scherzhaften Ton einzugehen.
»Finden Sie einen Uferabschnitt, an dem sich keines von diesen Ungeheuern befindet und wir
uns ungefährdet in den See wagen können. Aber seien Sie vorsichtig.«
»Uns droht keine Gefahr - wenn Oshuta sich an meine Anweisungen hält«, sagte Sass knapp.
Der Japaner wölbte fragend die Augenbrauen. »Und was ist, wenn wir keinen freien
Uferabschnitt finden? Wenn sich diese Schneckenwesen im ganzen See ausgebreitet haben?«
Ren Dhark atmete tief durch. Es gefiel ihm nicht, was er jetzt sagen mußte, aber die Übelkeit,
die der Atemzug bei ihm hervorrief, bewies ihm, daß er keine andere Wahl hatte.
»Dann räumen Sie uns einen Streifen frei. Wir müssen ans Wasser...« Erbrach ab.
Die beiden Cyborgs sahen sich an.
»Phanten!« kommandierte Bram Sass, und dann ertönte zweimal ein klatschendes Geräusch,
als die Cyborgs mit einem Sprung im See verschwanden.
Ohne noch ein weiteres Wort zu wechseln, traten Ren Dhark und Dan Riker ein paar Schritte
mehr vom Seeufer zurück, hockten sich hin und starrten schweigend auf die wieder still und
trügerisch ruhig daliegende Wasserfläche hinaus.
Eine Stunde später saßen sie vielleicht achtzig Meter links von der Stelle, an der sie zuerst an
den See gekommen waren, im Kreis. Die Wolkendecke war endlich aufgerissen, und dankbar
für die wärmenden Strahlen ließen sich die Männer von der Sonne trocknen.
Sass und Oshuta waren bereits nach relativ kurzer Zeit wieder aufgetaucht, hatten sie hierher
geführt und versichert, daß in diesem Bereich des Sees keine Angriffe der
Schneckenungeheuer zu befürchten waren. Weder Ren Dhark noch Dan Riker hatten gefragt,
ob der Grund hier frei von den Monstren gewesen war, oder ob die Cyborgs
32
einen Streifen >freigeräumt< hatten. Sie hatten es gar nicht wissen wollen. Wichtig war nur
gewesen, endlich ans Wasser gehen und die Überbleibsel der Spinnenfäden abwaschen zu
können.
Jetzt genoß Ren Dhark die wärmenden Sonnenstrahlen auf seiner nackten Haut, und ein
schneller Blick zu Dan Riker zeigte ihm, daß es seinem Freund ähnlich erging.
Für einen kurzen Augenblick schloß der Commander der Planeten die Augen. Das Bad im
See hatte sie nicht nur von dem Gestank befreit, sondern zumindest ihn in jeder Hinsicht körperlich und geistig - erfrischt. Jetzt fühlte er sich wieder in der Lage, sich den Problemen zu stellen, die vor ihm und seinen Begleitern lagen. Doch im Moment wollte Ren Dhark nichts anderes, als diesen Augenblick der Ruhe und des Friedens noch ein bißchen genießen. Schließlich wußte niemand, was die nächsten Stunden oder Tage ihnen bringen würden. Unwillkürlich wanderten seine Gedanken zurück zur Begegnung mit Allon Sawall, dem Robonenanführer, und zu ihrer Flucht, die ihm immer noch als zu einfach erschien. Hat Sawall uns absichtlich entkommen lassen? fragte er sich zum dutzendsten Mal. Und wenn ja - warum? Doch auch dieses Mal fand er keine Antwort. Ein leises Geräusch zu seiner Linken riß ihn aus seinen Gedanken. Er öffnete die Augen und blinzelte ins helle Sonnenlicht. Es dauerte ein paar Sekunden, bis sich seine Augen an die grelle Lichtflut gewöhnt hatten, doch dann konnte er Dan und Oshuta erkennen, die genau wie er auf dem Boden hockten und vor sich hinzudösen schienen. Ein paar Meter von ihnen entfernt hingen die inzwischen wieder realtiv sauberen Raumfahrerkombis zum Trocknen über einem Busch - und neben diesem Busch stand Bram Sass und spähte zum gegenüberliegenden Seeufer hinüber. »Ein Tier, auf der anderen Seite des Sees. Es will anscheinend trinken«, sagte der Ladiner, der die Blicke Ren Dharks zu spüren schien. Dhark reckte den Hals und versuchte etwas zu erkennen, doch die Sonne verwandelte die Wasseroberfläche in einen Spiegel aus flüssigem Gold. Geblendet kniff der Commander die Augen zusammen. »Dort, dort drüben«. Sass streckte den Arm aus. Ren Dhark stand auf. Jetzt konnte er das Tier sehen, von dem Sass 33
gesprochen hatte; es erinnerte ein bißchen an eine irdische Gazelle, war allerdings größer und
hatte zu viele Beine.
Vorsichtig näherte es sich dem Seeufer, tänzelte aber immer wieder ein paar Schritte zurück.
»Es weiß anscheinend von unseren ganz speziellen >Freunden< am Grunde des Sees«,
kommentierte Sass das Verhalten des Tieres.
Schweigend beobachteten die beiden Männer, wie sich die PseudoGazelle immer näher an
das Seeufer herantastete. Schließlich stand sie mit den Vorderläufen im flachen Wasser und
begann zu trinken.
Ren Dhark erwartete jeden Augenblick, die dunklen, metallisch schimmernden Tentakel aus
der Tiefe des Sees hervorschießen zu sehen, aber nichts geschah.
Jetzt tauchten weitere Tiere hinter dem ersten auf und begannen ebenfalls zu trinken.
Minuten verstrichen.
Plötzlich - fast zu schnell, um überhaupt etwas zu erkennen - waren die Tentakel da, griffen
sich zwei, drei der trinkenden Tiere und zerrten ihre Beute in die Tiefe des Sees.
Die übrigen >Gazellen< waren vom Seeufer zurückgeschreckt, doch wenige Augenblicke
später traten sie wieder an die Wassserfläche heran und tranken weiter.
Diesmal blieb der See völlig ruhig.
»Sie haben ihren Tribut bezahlt und dürfen überleben«, sagte Ren Dhark leise zu sich selbst.
Es ist wie überall: Einige wenige müssen geopfert werden, um der Mehrheit das Überleben zu ermöglichen. »Ich frage mich gerade, ob eine dieser >Gazellen< nicht auch zur Bereicherung unseres
Speiseplans dienen könnte«, unterbrach Bram Sass' Stimme die Gedankengänge des
Commanders.
Ren Dhark überlegte nicht lang.
»Versuchen Sie Ihr Glück, Sass. Ein bißchen Abwechslung von der Konzentratnahrung
dürfte uns allen guttun.«
»Ich bin bald zurück«, erwiderte der Cyborg und begann, immer schneller werdend, am
Rande des Sees entlang zur anderen Seite hinüberzulaufen.
34
Als der Abend hereinbrach, saßen die vier Männer immer noch an der gleichen Stelle, so satt
und zufrieden wie schon seit Tagen nicht mehr.
Sass hatte nicht lange gebraucht, um mit einer bereits enthäuteten >Gazelle<
zurückzukommen, und sofort hatten sie sich darangemacht, ein kleines Feuer zu entfachen
und das Fleisch zu braten.
Während des Tages glaubten sie ein solches Risiko eingehen zu können.
Beim ersten Anzeichen der Abenddämmerung hatten sie das Feuer dann sofort gelöscht.
Zwar schienen die Robonen wirklich nicht nach ihnen zu suchen - zumindest hatten sie
bislang keinen einzigen Schweber am Himmel gesehen -, aber in der Dunkelheit auf einem
fremden Planeten um ein kilometerweit sichtbares Lagerfeuer zu sitzen, kam ihnen dann doch
ein bißchen zu gewagt vor.
Das reichliche Essen hatte sie alle ein bißchen träge gemacht, und so wollte kein richtiges
Gespräch aufkommen.
Ren Dhark verschränkte die Arme hinter den Kopf und ließ sich auf den Boden zurücksinken.
Schweigend betrachtete er den Himmel, an dem jetzt, da sich die Aschewolken zumindest
teilweise aufgelöst hatten, mehr und mehr Sterne zu sehen waren.
Unglaublich viele, überaus dicht stehende Sterne!
»Dieses Sonnensystem scheint sich in einem Sternhaufen zu befinden«, sagte Bram Sass
plötzlich, der den Commander bereits einige Zeit beobachtet hatte.
»Ja, das habe ich auch gerade gedacht«, erwiderte Dhark.
Und dann herrschte wieder Schweigen.
Ren Dhark sah immer noch hinauf zum Firmament, an dem unzählige fremde Sterne
flimmerten. Wie viele dieser Sterne mochten Planeten besitzen? Und auf wie vielen dieser
Planeten mochte es Leben geben? Intelligentes Leben - Geschöpfe, die vielleicht in genau
diesem Augenblick ebenfalls zum Himmel hinaufsahen und die Majestät der Schöpfung
bewunderten.
Ein lautloser Seufzer entrang sich seiner Brust.
Die Sterne faszinierten ihn noch immer wie am ersten Tag.
Doch warum mußte zwischen den Lebewesen, die das Weltall bevölkerten, immer wieder
Kampfund Krieg herrschen?
35
Eigenartig, dachte Ren Dhark plötzlich, ich liege hier auf einem fremden, von gefährlichen
Tieren und uns feindlich gesonnenen intelligenten Wesen bewohnten Planeten und
philosophiere über die Feindschaft zwischen den raumfahrenden Rassen, dabei haben wir
doch wahrlich dringlichere Probleme...
Ruckartig richtete er sich auf - so ruckartig, daß Dan Riker unwillkürlich zusammenzuckte.
»Sass, Oshuta, Sie beide sollten heute nacht abwechselnd Wache halten. Unsere ersten
Erfahrungen mit der hiesigen Fauna lassen es nicht besonders angeraten erscheinen, sich hier
einfach so schlafen zu legen.«
Die beiden Cyborgs nickten stumm. Dhark mußte nicht erklären, wieso weder er selbst noch
Dan Riker sich an der Wache beteiligen würden. Selbst nach den erholsamen letzten Stunden
trugen das Gesicht des Commanders und das seines Freundes noch immer überdeutlich die
Spuren der Strapazen der vergangenen Tage.
Dhark und Riker brauchten einfach ein wenig Ruhe.
Noch immer wollte kein Gespräch aufkommen.
Ganz im Gegenteil, Dan Riker murmelte etwas Unverständliches, legte sich hin - und bereits
wenige Minuten später verkündeten seine gleichmäßigen Atemzüge, daß er eingeschlafen
war
Ren Dhark sah seinen schlafenden Freund an und lächelte. Was hatten sie nicht schon alles
zusammen erlebt, seit sie vor gut fünf Jahren an Bord der GALAXIS gegangen waren.
Und mit ihnen all die anderen - Larsen, Szardak, Tschobe und alle die, die in diesen fünf
Jahren zu echten Freunden geworden waren.
Was mochten sie jetzt wohl tun? Bestimmt suchten sie ihn und seine Gefährten bereits,
während Trawisheim auf der Erde im Hintergrund die Fäden ziehen würde, ruhig und
besonnen wie immer.
Und was planten die Robonen? Warum hatten sie ihn überhaupt entführt? Seine Gedanken
begannen ziellos zu wandern - und Augenblicke später war er eingeschlafen.
Lati Oshuta stieß Bram Sass leicht den Ellbogen in die Rippen.
»Ist das nicht der Stoff für ein Holovid, geradezu prädestiniert dazu, ein Megaseller zu
werden: Auf einem fremden, unbekannten Planeten, umgeben von Tausenden von wilden,
gefährlichen Tieren,
36
verfolgt von heimtückischen Robonen, ohne Verbindung zur Heimat, ja, sogar ohne die
Aussicht, jemals wieder nach Hause zurückkehren zu können, schlummern der Commander
der Planeten und der Oberbefehlshaber der Terranischen Flotte selig lächelnd und sorglos
-denn sie wissen sich gut beschützt von ihren tapferen Freunden, den gewaltigen Cyborgs
Bram Sass und Lati Oshuta!«
Sass wölbte zweifelnd eine Augenbraue.
»Sie spinnen, Oshuta!«
Lati Oshuta zwinkerte dem Ladiner fröhlich zu.
»Ach was, Sass, mir ist nur langweilig. Keine Monstren, keine Robonen - nichts, was für ein
bißchen Abwechslung sorgen könnte.«
Schulterzuckend deutete Sass in Richtung des Sees. »Sie können ja noch einmal einen
Tauchgang machen und mit unseren Freunden, den Schneckenungeheuern, spielen...«
In gespieltem Entsetzen schüttelte Oshuta den Kopf.
»Nein, nein, für heute habe ich genug Unterwasserabenteuer gehabt. Da werde ich mir doch
lieber die Sterne ansehen...«
Der Ladiner nickte und ließ sich zu Boden sinken.
»Das heißt wohl, Sie übernehmen freiwillig die erste Wache?«
»Was soll ich denn auf dieser öden Planetenkugel sonst tun?«
Am nächsten Morgen erwachte Ren Dhark frisch und ausgeschlafen, und auch Dan Riker
schien sich endgültig von dem Abenteuer mit den Chamäleon-Spinnen erholt zu haben.
Laut Aussage der beiden Cyborgs war während der ganzen Nacht nichts Außergewöhnliches
geschehen.
Nach einem kurzen, erfrischenden Bad im See stärkten sich alle vier mit den kalten Resten
des Bratens vom Vorabend. Sie füllten die Wasserflaschen mit dem unglaublich klaren,
sauberen Seewasser und marschierten anschließend auf die im Westen gelegene Hügelkette
zu, weiter jener Ebene entgegen, die sie von der Paßhöhe aus gesehen hatten.
Während des nicht übermäßig beschwerlichen Anstiegs suchte Ren Dhark mehrfach den
Himmel ab. Doch wie schon am Vortag, ent
j
i
deckte er keinen einzigen Schweber.
37
Die Robonen schienen tatsächlich nicht nach den Flüchtlingen zu suchen.
Als sie auf der Höhe des Hügelzugs angekommen waren, öffnete sich vor ihnen ein mit Gras
und Buschwerk bestandenes Tal, das etwas weiter und breiter war als das hinter ihrem
Rücken.
Eine knappe Stunde später wiederholte sich das Spiel - und noch einmal, und noch einmal.
Doch als sie den Kamm der fünften Hügelkette erreichten, stockte ihnen plötzlich der Schritt.
In dem Tal vor ihnen, das deutlich größer war als diejenigen, die sie bis jetzt durchquert
hatten, lag eine kleine Stadt!
38
3.
Chris Shanton, dem technischen Chef des Verteidigungssystems, das die Erde und die Menschheit in Zukunft vor jeder Bedrohung schützen sollte, hatte es glatt die Sprache verschlagen. Noch immer starrte er fassungslos auf die Folie in seiner Hand, die Bernd Eylers, der Chef der GSO, ihm gerade gegeben hatte. Er konnte einfach nicht glauben, was da geschrieben stand, aber er wußte natürlich, daß er es glauben mußte. Immer wieder stumm den Kopf schüttelnd, las er weiter. Er hatte nur noch Augen für die Folie, auf der die Ergebnisse festgehalten waren, die die Überprüfung der Ast-Stationen durch Are Doorn und sein Team erbracht hatte. Jirnmy, sein Robot-Hund, den man einmal wegen seines Aussehens das Brikett auf vier
Beinen genannt hatte, saß zu seinen Füßen. Jim-my sah schon längst nicht mehr wie ein
Brikett aus, sondern so, wie ein Scotchterrier eben aussieht. Er konnte blinzeln, er konnte
bellen und gähnen, und er konnte wie ein echter Hund auch zuschnappen. Deswegen hatte
Shanton ihm ja auch Zähne eingesetzt. Nur sprechen konnte Jimmy nicht mehr. Diese
Fähigkeit hatte der Ingenieur seinem Spielzeug genommen, weil Hunde ja auch nicht reden
können. Und von seinem eigenen sprechenden Hund vor Freunden blamiert zu werden, ist
nun mal keine reine Freude.
Chris Shanton, inzwischen vierundvierzig Jahre jung, immer noch über zwei Zentner schwer,
immer noch mit Backenbart und Halbglatze und kein Feind eines guten Tropfens, war zutiefst
erschüttert.
Endlich blickte er auf und sah Bernd Eylers an, der hinter seinem Schreibtisch saß und den
Ingenieur abschätzend musterte.
»Das... das ist ungeheuerlich, Eylers. Und das soll ich alles gemacht haben?« brachte er
schließlich hervor.
Bernd Eylers hatte den >Dicken< noch nie so konsterniert gesehen.
39
Er nickte langsam.
»Laut Doorns Berichten kommen für diese Art der Sabotage nur Sie oder er selbst in Frage.
Und da sich Doorn zu dem Zeitpunkt, als die Manipulationen vorgenommen wurden,
definitiv nicht im Sonnensystem aufgehalten hat, bleiben nur Sie übrig...«
S hanton schien in seinem Sessel zusammenzusinken.
»Aber...«
»Kommen Sie, Shanton, fassen Sie sich. Wir wissen doch alle, daß Sie kein Saboteur sind,
sondern beeinflußt waren, als sie die Manipulationen vorgenommen haben«, sagte Eylers in
dem Versuch, den Ingenieur aufzumuntern.
»Wobei niemand weiß, wie ich beeinflußt wurde - nur, daß es etwas mit dem Großen
Gehirnstrom-Muster zu tun haben muß«, erwiderte Shanton. Es klang resigniert.
Tatsächlich hatte noch nicht einmal Echri Ezbal, der Schöpfer der Cyborgs, eine Erklärung
für die Art der Beeinflussung gefunden, der Shanton zum Opfer gefallen war.
Der Ingenieur warf noch einen Blick auf die Folie.
»Zwei Drittel aller Ast-Stationen soll ich lahmgelegt haben? Zwei Drittel? Und dabei hat
Doorn sie noch nicht einmal alle durch!« Jetzt klang seine Stimme nicht nur resigniert,
sondern fast schon verzweifelt. »Wenn das Sol-System in den nächsten Wochen angegriffen
wird, dann...«
»Nun mal langsam, Shanton«, unterbrach ihn Eylers. »Doorn fliegt mit einem Kreuzer von
einer Ast-Station zur anderen und bringt die Dinge wieder in Ordnung«, sagte er in dem
gutgemeinten Versuch, den Ingenieur zu beruhigen.
Doch Shanton schien ihm gar nicht zuzuhören.
»Zwei Drittel aller Ast-Stationen... zwei Drittel...« murmelte er vor sich hin. »Es ist zum
Verrücktwerden!«
Genau das gleiche sagte zur selben Zeit Are Doorn zu seinem Team auf Ast-176. Zusammen
mit den Technikern stand er vor der Trem-ble-Schock-Anlage. Die Schaltung lag offen vor
ihnen. Eine Schaltung, die auf den ersten Blick völlig normal wirkte. Doorn hatte vor
40
zehn Minuten eigentlich schon sein Okay gegeben, als er von seinem jüngsten Techniker auf den Hyperschwingungs-Stabilisator aufmerksam gemacht worden war. »Schöner Saturn«, hatte Are Doorn verzweifelt gestöhnt und Alarm für die Ast-Station 176 gegeben. Das Ding war zu einem Zeitzünder mit atomaren Zerfallsreaktionen gemacht worden! Das war die gemeinste und niederträchtigste Sabotageaktion, die sie bisher auf einem Abwehrfort entdeckt hatten. Sieben Minuten nach dem ersten Tremble-Schock-Strahl wäre Ast-176 als ein Regen unförmiger Bruchstücke in den Raum geflogen! Doorn hatte dem Kommandanten des Forts die manipulierte Schaltung gezeigt. »Ich gebe Ihnen den Rat, Ihren Männern nichts zu erzählen. Machen Sie eine Einsatzübung draußen im Raum. Je weiter sie sich dabei von der Station entfernen, um so besser, weil ich nicht garantieren kann, ob der Laden nicht doch hochgeht, wenn wir uns mit dem Hyperschwingungs-Stabilisator befassen. Verflucht, Shanton, was hast du dir hier bloß
geleistet!?« Die Einsatzübung lief. Die Besatzung traute dem Alarmfall nicht. Noch nie hatten alle die Station verlassen. Immer hatte der Notdienst im Fort bleiben müssen. Sich so weit von dem Felsbrocken zu entfernen und im Raumanzug draußen im nachtdunklen Raum zu schweben kaum mehr als ein Staubkörnchen im grenzenlosen All -, stellte hohe nervliche Anforderungen an jeden. Über einen Bildschirm beobachtete ein Techniker, wie sich die Übung entwickelte. »Jetzt sind sie siebenhundert Meter weit weg... Jetzt achthundert Meter... Endlich scheint der Kommandant ein größeres Tempo vorzulegen. Herrje, da überschlagen sich drei Mann wie Salto-mortale-Künstler...« »Reden Sie kein Blech!« knurrte Are Doorn ihn an. »Verschonen Sie uns mit Ihrer Reportage! Wie weit?« »Einen Kilometer überschritten...« »Okay...! Sie, Sie und Sie... 'raus hier!« Drei Mann sahen ihn fragend an. Are Doorn wurde erst aufmerksam, als er keine Schritte hörte. »Was stehen Sie hier herum? Raus mit Ihnen. Natürlich in den freien Raum. Und daß Sie mir Vipho-Kontakt halten. Darf ich bitten?« 41 Are Doorn, der bullige Boxertyp mit der ungebärdigen roten Mähne, kehrte nur hin und wieder den Teamchef heraus - aber wenn er einmal lospolterte, dann gab es nur noch den Vollzug seiner Anweisungen. Erst als ihm gemeldet wurde, daß seine drei Techniker bereits mehr als fünfhundert Meter von dem Planetoiden entfernt waren, griff er nach seinem Werkzeug. »Aufpassen...« sagte er leise zu sich selbst und griff zu, als handele es sich um eine lächerlich einfache Reparatur - und nicht um einen Eingriff, bei dem die gesamte Station hochgehen konnte. »Radur-Element... Autan-Prüfer her! Phasentrip 3...! Wie reagiert die thermische Bremse...?« Ausdrücke, unter denen sich ein Normalsterblicher nichts vorstellen konnte. Are Doorn kniete vor der geöffneten Konsole. Der Hyperschwin-gungs-Stabilisator war ein Gewirr von ineinanderfließenden Schaltungen, verkapselten Blöcken, hochwertigen DD-FanReglern und audinischen Steuerungen. Der rothaarige Mann mit dem grobporigen Boxergesicht schien mit der technischen Anlage zu einer Einheit zu verschmelzen. »Ausschlag...?« lautete das erste Wort, das nach langen Minuten wieder über seine Lippen kam. »Ausschlag an allen Instrumenten!« schrie der Techniker, der den Auftrag hatte, sie zu überwachen. Are Doorn bewegte sich nicht mehr. Die Gribbon-Zange in seiner Hand zitterte nicht. »Raus! Alle! Schnell... Schnell...!« Er hatte es ihnen eingehämmert, bevor sie in den Einsatz gegangen waren, um Shantons Sabotagehandlungen auf den Ast-Stationen zu beseitigen. »Wenn ich Ihnen die Order gebe: Raus! und dazu auch noch Schnell! sage, dann haben Sie alle um Ihr Leben zu rennen! Rennen Sie! Und daß sich kein Mensch um mich kümmert! Haben Sie mich verstanden!? Vergessen Sie es nicht! Denken Sie dann nur noch an sich selbst! Ich hoffe, ich kann mich in einem solchen Fall auf Sie verlassen!« Sie rannten! Sie spurteten über das Deck, stürmten in die Schleuse, die nach draußen in den freien Raum führte. Sie hatten die Klarsicht 42
helme ihrer Raumanzüge geschlossen, stießen sich vom Planetoiden ab und gaben gleichzeitig Höchstschub auf den Antrieb ihrer Raumanzüge. Are Doorn hörte sie rennen. Am liebsten wäre er auch davongelaufen! Aber er durfte seinen Platz nicht verlassen. Er mußte versuchen, die Explosion von Ast-176 irgendwie zu verhindern. Um ihn herum begann es zu summen, zu knistern. Ungesteuerte Spannungen waren in der Steuerungszentrale der Tremble-Schock-Anlage frei geworden. Der Zeitzünder, den Shanton aus dem Hyper-schwingungs-Stabilisator gemacht hatte, lief. Are Doorns Galgenfrist betrug sieben Minuten. Zwei waren schon verstrichen. In fünf Minuten würde es die gesamte Anlage im Planetoiden 176 und den Felsbrocken an sich nicht
mehr geben! Vorsichtig drehte er sich um. Doch nicht vorsichtig genug. Er stieß sich den Kopf; Blut lief über sein Gesicht. Er achtete nicht darauf. Hinter seinem Rücken war der Teufel los. Der Konverter hatte sich selbst auf höchste Leistung hochgefahren! Er würde gleich auseinan derfliegen, wenn er nicht den Impuls erhielt, seine Energien abzugeben. Aber das durfte nicht geschehen. Unter keinen Umständen. Dann war die Explosion nicht mehr aufzuhalten. Doorn wischte über sein Gesicht. Seine Hand war blutverschmiert. Er sah es nicht. Er sah nur den Konverter. Und er überlegte. Nicht überhastet. Ganz ruhig. Wieder der Blick zum Chrono. Noch vier Minuten und dreiunddreißig Sekunden. Und der Zeitzünder, den Chris Shanton durch eine raffinierte Um-schaltung des Hyperschwingungs-Stabilisators entwickelt hatte, lief unaufhaltsam ab! Der Konverter...! Are Doorn sah die Umwegschaltung. Riesengroß war die Versuchung, die Energien auf die Raptor- und Dreh-Strahl-Steuerung zu leiten. Aber beide Komplexe waren von seinem Team noch nicht durchgeprüft worden. Wenn Shanton daran auch manipuliert hatte, dann... Er dachte den Gedanken nicht zu Ende. Er mußte etwas tun. Er hatte noch knapp drei Minuten Zeit, das Verhängnis irgendwie aufzuhalten. 43
Immer noch lief Blut von dem Riß an der Schläfe über sein Gesicht. Er bemerkte es nicht.
Vorsichtig erhob er sich. Drei Schritte bis zur Umwegschaltung. Er packte die Schalter mit
sicherem Griff - und legte sie um. Sein Gesicht blieb ausdsruckslos.
Die Energie strömte zur Raptor-Anlage!
Neue Schalterstellungen. Kontrollen flammten auf. Grün! Aber was hatten Grünkontrollen
für einen Wert, wenn Shanton die Kontrollen manipuliert hatte - was ihm bei seinem Können
ein Leichtes gewesen wäre -, und wenn sie jetzt falsche Werte anzeigten?
Die Energie raste zur Dreh-Strahl-Anlage!
Jetzt war nichts mehr zu ändern, wenn die alles vernichtende Explosion mit Verzögerung
doch noch erfolgen sollte.
Zurück zum Zeitzünder.
Er konnte das alle sieben Minuten umschaltende Sen-Relais nicht einfach abtrennen. Er
konnte es nicht... und er durfte so vieles nicht tun. Er sollte ein Wunder vollbringen, und er
wartete in jeder Sekunde darauf, daß die beiden anderen Steuerungen hochgehen würden.
Er dachte an Shanton. Er ahnte, obwohl er es kaum glauben konnte, daß man den Dicken auf
unbegreifliche Art beeinflußt haben mußte. Niemals hätte der Mann, der mit ihm diese
Raumforts in jahrelanger Arbeit aufgebaut hatte, sich zu solchen Handlungen hinreißen
lassen.
Doorn griff wieder zu. Er hütete sich, einen Blick auf sein Chrono zu werfen.
Nicht nervös werden, redete er sich in Gedanken immer wieder ein.
Da umschalten, dort umpolen. Eine Steckfassung klemmte. Sie kostete Sekunden. Vorsicht
an der linken Seite. Dort lag eine Verbindung frei. Rechts unten mußte die Schaltung an das
Zwei-Drei-System angeschlossen werden. Kam er auch nicht mit seinem Rücken an die freie
Verbindung?
Ob die Männer weit genug draußen im Raum waren, falls der Satellit in viele tausend
Brocken zerplatzen und die Bruchstücke anschließend durch das All jagen würden?
Autan-Prüfer! Okay! ... Thermische Bremse! ... Sie arbeitete wieder klar. Drei Radur-
Elemente auf C-67 schalten. Stimmte das auch?
Stimmt das auch? fragte er sich schon zum drittenmal. Stimmte es wirklich? Hatte er jetzt
nichts falsch gemacht?
44
Nichts...?
Plötzlich sah er schwarze Flecken vor seinen Augen. Seine Knie begannen zu zittern.
Schweiß rann von seiner Stirn. Die Zähne klapperten. Er fror und schüttelte sich. Er hörte
sich stöhnen. Seine Schläfe schmerzte.
Die Zeit! Wieviel Zeit hatte er denn noch?
Ein Blick aufs Chrono: Der Zeitpunkt der Explosion war bereits vorbei!
Da erhob er sich mit zitternden Knien und schleppte sich zum stationären Vipho. »Ihr könnt zurückkommen... Ihr könnt zurückkommen...!« rief er den Männern draußen im Raum zu. »Ihr könnt...« Über die Vipho-Phase hörten die Männer im Raum, mehr als drei Kilometer von ihrer Station entfernt, einen dumpfen Aufprall. Danach meldete Are Doorn sich auf ihre Anrufe nicht mehr. Er war vor der geöffneten Konsole vor Erschöpfung zusammengebrochen. Jos Aachten van Haag hatte sich drei Tage >in Klausur zurückgezogene Drei Tage, in denen er in einem seiner Ausweich-Apartments -dessen Adresse noch nicht einmal die GSO kannte - gehockt und die Unterlagen studiert hatte, die ihm Monty Bell aus dem Wissen schaftszentrum von Alamo Gordo rübergeschickt hatte. Drei Tage, in denen er kaum geschlafen hatte. Mittlerweile fühlte er sich entsprechend müde und zerschlagen. Nur mühsam gelang es ihm, die Augen offen zu halten und einen weiteren der unzähligen Berichte zu lesen; Monty Bell war überaus gründlich gewesen. Leider konnte er mit all diesen Berichten nur wenig anfangen. SD-Mathematik gehörte nun einmal nicht zu seinen Fachgebieten. Genausowenig wie Hyperphysik. Und Artikel wie > Interferenzen auf der Grundlage hyperschneller intermittierender 5D-Impulse unter besonderer Berücksichtigung der Rai-Amplitude< ließen ihn letztlich ziemlich ratlos zurück. Daher war er fast dankbar für die Störung, als das Vipho schrillte 45 und er die Unterlagen beiseite legen konnte. Er wüßte ohnehin, wer da in der Leitung war, denn es gab auf ganz Terra im Moment nur eine einzige Person, die diese Nummer kannte. Ganz wie erwartet, erschien auf der sich erhellenden Sichtscheibe das Gesicht des Astrophysikers Monty Bell. »Mein Gott, Jos, wie sehen Sie denn aus?« begann der Wissenschaftler das Gespräch. »Sie wirken ja vollkommen übernächtigt...« »Das habe ich Ihnen zu verdanken, Bell«, knurrte Jos. »Schließlich haben Sie mir Professor Bergströms wissenschaftliches Vermächtnis zukommen lassen, das mir jetzt schon einige Nächte den Schlaf raubt...« »Faszinierend, was sich Bergström da ausgedacht hat, nicht wahr?« lächelte Bell. Sein Lächeln wurde breiter. »Aber ich bin überrascht, wie gut Sie mit der schwierigen Materie klarkommen, Jos...« Jos winkte mürrisch ab. »Ich bin zu müde für solche Spielchen, Professor. Sie wissen doch ganz genau, daß ich den größten Teil der Artikel und Abhandlungen, die Sie für mich zusammengestellt haben, absolut nicht kapiere...« »Und warum rufen Sie mich dann nicht an? Sonst wissen Sie doch auch, wo Sie mich finden können!« Jos kratzte sich ausgiebig am Hinterkopf. Schließlich schloß er resignierend für einen Moment die Augen. Als er sie wieder öffnete, hatte sich das Bild auf der Sichtscheibe nicht im geringsten verändert. Noch immer lächelte Monty Bell ihn an. Seufzend ergab sich Jos in sein anscheinend unausweichliches Schicksal. »Schon gut, Bell, schon gut. Ich hatte den Ehrgeiz, selbst herauszufinden, woran Bergström gearbeitet hat. Deshalb habe ich Sie nicht angerufen. Aber ich muß zugeben, ich bin mit meinem Latein am Ende. Ich kämpfe mich jetzt schon drei Tage durch diese Unterlagen und habe noch nicht einmal den Hauch einer Ahnung, worauf er eigentlich hinauswollte. - Und, ja, Bell, Sie haben natürlich recht. Es wäre wesentlich klüger gewesen, Sie schon am ersten Tag anzurufen.« Monty Bell machte ein überaus zufriedenenes Gesicht. »Sie können sich wahrscheinlich nicht vorstellen, wie gut es mir tut, so etwas aus Ihrem Munde zu hören, Jos. Aber Spaß beiseite«, 46 der Professor wurde übergangslos ernst. »Ich habe Sie nicht nur angerufen, um mich nach Ihrem Befinden zu erkundigen, Jos. Ich habe mich nämlich selbst ein bißchen mit Bergströms
Forschungsunterlagen beschäftigt. Und ich muß zugeben, auch bei mir hat es ein Weilchen
gedauert - aber dann ist mir plötzlich klar geworden, was er zu entwickeln versuchte...«
Bell machte eine bedeutungsvolle Pause. Jos nickte ihm aufmunternd zu.
»Jetzt schießen Sie schon los, Professor...«
Der Wissenschaftler beugte sich leicht nach vorn; sein Gesicht füllte jetzt fast die gesamte
Sichtscheibe des Viphos aus.
»Einen Ortungsschutz«, stieß er plötzlich hervor. »Bergström hat die theoretischen
Grundlagen für einen beinahe perfekten Ortungsschutz geschaffen.«
Jos pfiff leise durch die Zähne. Irgendwo in seinem Hinterkopf begann eine Alarmglocke zu
klingeln.
»Und, was glauben Sie - könnte es funktionieren?«
Monty Bell zuckte leicht verlegen die Schultern.
»Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Intermittierende hyper-dimensionale Wechselfelder
sind nicht unbedingt mein Spezialgebiet. Außerdem hat Bergström mit giantischen
Gleichungen n-ten Grades gearbeitet, die wahrscheinlich niemand hier in Alamo Gordo lösen
kann. Der Mann besaß unglaubliche Kenntnisse auf dem Gebiet der Giant-5D-Mathematik,
und daher...«
»Sagen Sie mir einfach, was sie glauben, Bell. Ich will keine wissenschaftliche Expertise von
Ihnen, sondern nur Ihre Meinung. War Bergström ein Spinner - oder hat er womöglich
wirklich eine bahnbrechende Entdeckung gemacht?« unterbrach Jos den Wissenschaftler
ungeduldig.
Professor Bell kniff leicht die Augen zusammen und fixierte den GSO-Agenten mit starrem
Blick.
»Ich lehne mich wirklich nur äußerst ungern so weit aus dem Fenster, Jos, aber... es könnte
funktionieren«, murmelte er schließlich, »es könnte tatsächlich funktionieren...«
Zu der Alarmglocke in Jos' Hinterkopf gesellte sich eine zweite, die noch etwas lauter
klingelte.
47
»Ich danke Ihnen, daß Sie mir Ihre Entdeckung mitgeteilt haben, Bell«, sagte Jos und
unterbrach die Verbindung.
Er blieb einige Minuten ganz still sitzen, zündete sich dann mit langsamen Bewegungen eine
Zigarette an und inhalierte tief. Doch so ruhig er äußerlich auch wirkte - in seinem Kopf
jagten sich die Gedanken. Ein mittlerweile untergetauchter Captain des WCPD, der sich um
einen dem Tode geweihten >rückgeschalteten< Robonenwissen-schaftler kümmerte, der
wiederum fast bis zu seinem letzten Atemzug an der Entwicklung eines perfekten
Ortungsschutzes gearbeitet hatte.
Jos versuchte, aus dem wenigen, was er wirklich wußte, ein schlüssiges Bild zu gewinnen,
gab jedoch bald auf. Vielleicht war er einfach zu müde. Im Moment zumindest fügten sich
die Dinge für ihn noch nicht stimmig zusammen.
Er beschloß, erst einmal einige Stunden zu schlafen, und sich danach mit Bernd Eylers in
Verbindung zu setzen, um mit ihm die neu-esten Entwicklungen im >Fall Silvano-Keller-
Bergström< zu erörtern.
Doch es sollte bei diesem guten Vorsatz bleiben.
Das Vipho schrillte.
Es war Eylers.
»Nanu, Chef, wie haben Sie mich denn gefunden?« fragte Jos überrascht.
»Ich wäre kein guter Geheimdienstchef, wenn ich das mir zur Verfügung stehende
Instrumentarium nicht zu nutzen wüßte. Aber es hat immerhin einen vollen Tage gedauert,
Sie aufzutreiben. Wenn Sie das nächste Mal von der Bildfläche verschwinden, geben Sie mir
bitte vorher Bescheid.« Der GSO-Chef sah müde und abgespannt aus -und da war noch etwas
in seinem Gesicht, das Jos überhaupt nicht gefallen wollte.
»Und wozu der ganze Aufwand? Sie wollten doch bestimmt nicht nur mein sympathisches
Gesicht wieder mal auf dem Vipho-Schirm sehen?«
»Ich möchte, daß Sie schleunigst zu mir 'rüberkommen, Jos. Es gibt Neuigkeiten.«
»Schlechte Neuigkeiten, wenn ich Ihren Gesichtausdruck richtig deute, Chef.«
Eylers' Miene wurde noch ein bißchen finsterer.
48
»Das kann man wohl sagen. Dhark und Riker sind verschwunden... Sie wurden auf Robon
wahrscheinlich entführt!«
Jos' Müdigkeit war schlagartig wie weggewischt.
»Ich bin in wenigen Minuten in Ihrem Büro!« Und damit war er schon fast aus der Tür.
»Was ist passiert?« fragte Jos den GSO-Chef, kaum daß er Eylers' Büro betreten hatte.
»Wir wissen noch nichts Genaues«, erwiderte Eylers. »Ich war gestern oben bei
Trawisheim.« Und dann berichtete er Jos, was er in der Besprechung mit Trawisheim und
dem Stab der TF über Ren Dharks Verschwinden erfahren hatte.
Jos hörte nachdenklich zu.
»Und dieses Raumschiff, das von Robon gestartet ist und dessen Spur Szardak in Dg-45
verloren hat, war eindeutig ein giantischer Kugelraumer?« fragte er, als sein Chef geendet
hatte.
Eylers nickte. »Grappa hatte den Raumer mehrfach in der Ortung. Es war ein Raumschiff der
Giants, daran besteht kein Zweifel.«
»Oder eins von uns... oder von...« Jos verstummte.
»Was denken Sie, Jos?«
»Ich... Lassen Sie mir noch ein bißchen Zeit, Eylers. Ich will mich weder lächerlich machen
noch von Ihnen zusammengestaucht werden. Ich habe da einen vagen Verdacht, aber...« Er
wiegte gedankenverloren den Kopf. »Was ist eigentlich bei der Obduktion von Professor
Bergström herausgekommen«, wechselte er dann plötzlich das Thema.
Eylers warf ihm einen scharfen Blick zu. Sein Gesicht wurde plötzlich hart.
»Sie hatten da mal wieder einen verdammt guten Riecher, Jos. Bergström war vollgepumpt
mit Butronal-A und Eotraxxin. Das sieht wie eine riesige Sauerei aus.«
»Ein Aufputschmittel und eine Wahrheitsdroge, eine reichlich heiße Mischung, in der Tat«,
murmelte Jos. »Ich nehme an, die Fahndung nach >Dr. Strachan< alias Captain Les Silvano
hat noch keine Erfolge gezeitigt?«
49
Eylers schüttelte den Kopf.
»Nichts. Nicht den kleinsten Hinweis. Dieser Captain Silvano ist wie vom Erdboden
verschluckt.«
»Und die vorsichtige Observierung der übrigen Robonen? Hat die noch irgend etwas
ergeben?«
Eylers' Gesicht schien zu versteinern.
»Es hat keine vorsichtige Observierung der Robonen gegeben. Der letzte robonische
Wissenschaftler, der für eine Überwachung in Frage gekommen wäre, ist noch nicht einmal
einen halben Tag nach unserem letzten Gespräch dem Alterungssyndrom erlegen... Es gibt
keine Robonen mehr auf der Erde, Jos. Sie sind alle tot.«
»Zumindest die rückgeschalteten«, murmelte van Haag fast unhörbar vor sich hin. Dann warf
er seinem Chef einen aufmunternden Blick zu. »Ich habe immerhin etwas rausbekommen.
Wissen Sie, woran Bergström praktisch bis zu seinem Tode gearbeitet hat? Na? Aber ich sage
Ihnen gleich, darauf werden Sie nie kommen.«
»Schießen Sie schon los, Jos!« Die Müdigkeit und vielleicht auch so etwas wie Mutlosigkeit
angesichts der neuesten Entwicklungen ließen Eylers' Stimme verdrossen klingen.
»Eine Tarnkappe, Eylers! Bergström hat an einer Tarnkappe gebastelt!«
Der verständnislose Blick seines Chefs zeigte Jos, daß Eylers nichts verstanden hatte. Er
begann noch einmal von vorn.
»Unser vor kurzem verschiedener Freund, Professor Bergström, dessen Ableben - wie wir
mittlerweile wissen - weniger mit dem Alterungssyndrom sondern der exzessiven Benutzung
der Segnungen der modernen Pharmaindustrie zu tun hatte, war bis kurz vor seinem Tod
noch aktiv. Richtig?«
»Warum können Sie eigentlich nie den Mittelweg finden, van Haag?« brummelte Eylers, aber
es war nur eine rhetorische Frage.
»Er wollte nämlich noch etwas Großes schaffen - etwas ganz Großes, Chef! Er wollte den
absoluten Ortungsschutz erschaffen! Und Professor Bell meint, daß ihm das durchaus
gelungen sein könnte.«
Jos blickte den GSO-Chef triumphierend an.
Eylers überlegte nur kurz.
»Und was fangen Sie jetzt mit dieser Information an, van Haag?«
50
Jos machte eine hilflose Geste.
»Ich weiß es noch nicht so recht. Ich muß noch ein Weilchen über diese Dinge nachdenken...
auch unter dem Aspekt, daß der Comman-der auf Robon verschwunden ist...«
Eylers runzelte die Stirn.
»Was soll das denn mit Bergström - oder Bergströms Forschungen - oder diesem Captain
Silvano zu tun haben? Sie wollen doch nicht etwa andeuten, daß es da eine Verbindung
geben könnte?«
»Ich will überhaupt nichts andeuten, Chef. Ich will mir erst noch mal in Ruhe ein paar
Gedanken machen.« Jos zwinkerte Eylers vertraulich zu. »Ich habe, wie gesagt, nur so eine
vage Idee. Die werde ich Ihnen aber erst präsentieren, wenn ich Beweise habe. Bis dahin...«
Er erhob sich aus seinem Sessel.
Eylers fixierte seinen Staragenten.
»Meinetwegen, denken Sie nach. Und wenn Sie mit einer verrückten Idee ankommen,
bringen Sie wirklich hieb- und stichfeste Beweise mit. Aber, Jos, Sie können sich hoffentlich
noch erinnern, was ich Ihnen bei unserem letzten Gespräch in Bezug auf Ihre Extratouren
gesagt habe?«
Jos nickte.
»Klar, Chef. Habe verstanden. Hieb- und stichfeste Beweise, keine Extratouren, keinen
Ärger...«
Und mit diesen Worten verließ er das Büro des GSO-Chef s.
Am Rande des Kugelsternhaufens Dg-45 tanzte der robonische Kreuzer NEMO noch immer
einen gefährlichen Reigen mit einem namenlosen Roten Riesen.
Von Zeit zu Zeit schien der Sonnengigant spielerisch nach der lächerlich kleinen stählernen
Kugel zu greifen, die ihn in einem irrwitzig engen Orbit umkreiste. Dann erzeugten seine
Protuberanzen irr-lichternde Energiegewitter im Schutzschirm des Kreuzers.
Und in solchen Augenblicken warf die Zentralebesatzung verstohlene Blicke zum
Kommandanten hinüber, der in seinem Pilotensessel saß und kein Auge vom riesigen
Panoramaschirm ließ.
Henry de Ruy schien diese Blicke nicht zu spüren
51
Er saß einafch nur da, starr und reglos wie eine Statue. In seinem verknitterten Gesicht zuckte
kein Muskel.
Was immer er auch sonst sein mochte, eines war gewiß: de Ruy liebte die Sterne. Selbst nach
Stunden wurde er nicht müde, die wabernde Lohe anzusehen, die den gesamten
Panoramaschirm ausfüllte.
Im Gegensatz zum größten Teil seiner Leute genoß er das Warten.
»Raum-Controller meldet Gefügeerschütterung, etwa drei Lichtjahre außerhalb des
Kugelsternhaufens«, meldete plötzlich der Mann an den Ortungsgeräten.
Blitzschnell erhob sich de Ruy und trat zum Spezialisten ans Ortungspult.
»Kugelraumer«, ergänzte der Orter, »eindeutig Kugelraumer, so um die dreißig... und das
Ringschiff!«
Die Flotte der Terraner war angekommen.
Ohne große Hast gab de Ruy der Funk-Z den Befehl, den vereinbarten Kurzimpuls an Allon
Sawall zu senden.
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Sie war nur kurz.
Nichts unternehmen, de Ruy. Bleiben Sie im Ortungsschutz der Sonne und warten Sie ab. gez. Allon Sawall. Wenn de Ruy von der Antwort überrscht war, so zeigte er es nicht. Statt dessen ließ er sich wieder in den Pilotensessel fallen und widmete sich der Betrachtung des Roten Riesen. 52
4. Überrascht blieben Ren Dhark, Dan Riker und die beiden Cyborgs auf dem Kamm der Hügelkette stehen, die sie gerade überqueren wollten.
Vor ihnen lag eine Stadt mit würfelförmigen Gebäuden - Häuser, die im gleichen Stil
errichtet waren wie die in der Stadt, in der Allon Sawall und seine Robonen lebten - und aus
der sie geflohen waren!
Auch hier führten Straßenzüge über die Rachdächer.
Wortlos standen die Männer zusammen. Sie suchten nach Leben, nach Bewegung, aber sie
konnten nichts entdecken. Auch die beiden Cyborgs nicht, die ihr zweites Augensystem auf
Tele-Sicht geschaltet hatten.
»Nichts zu sehen...« stellte Lati Oshuta fest. »Die Stadt ist verlassen, vielleicht schon seit
Jahrhunderten.«
Bram Sass bestätigte die Ansicht des Japaners. »Wir können sie ohne Bedenken betreten.«
Ren Dhark war anderer Ansicht. »Damit setzen wir unsere Sicherheit, vielleicht unser Leben
aufs Spiel. Sass, wir beide machen einen Erkundungsvorstoß, und du, Dan, bleibst mit
Oshuta zur Sicherung zurück.«
Dan Riker war mit dem Vorschlag nicht einverstanden. »Wie sollen wir denn dann merken,
ob ihr in der Klemme steckt? Ren, wir müssen auf Sichtweite zusammenbleiben. Nur so
können wir uns unterstützen oder Feuerschutz geben.«
Auf Rikers Kinn war ein roter Reck zu sehen; ein unverkennbares Merkmal, wie erregt er
war.
Ren Dhark lenkte ein. »Du hast recht, Dan. Dein Vorschlag ist besser. Wir werden eine Kette
bilden. Jeder sorgt dafür, daß er in Sichtweite des anderen bleibt. An Straßenecken muß
gewartet werden.«
Der Reck auf Dan Rikers Kinn verschwand.
53
Ren Dhark sah seinen Freund fragend an. »Dan, machst du den Schlußmann?«
»Wenn's unbedingt sein muß? Gut!« Er erhob keine Einwände. Dhark war ein besserer
Schütze als er und auch eine Idee reaktionsschneller.
Kaum einen Kilometer vor ihnen lag der Rand einer unbekannten kleinen Stadt, in der
vielleicht einmal fünf- bis achttausend Intelligenzen gewohnt haben mochten.
Humanoide Intelligenzen?
Jeder hoffte, auf ihre Spuren zu stoßen, Abbildungen oder Darstellungen von ihnen zu finden.
Suchte der Mensch nicht nach seinem Ebenbild, seit er begonnen hatte, zu den Sternen zu
fliegen?
Hofften nicht Abermilliarden Terraner, daß die geheimnisvollen Mysterious das Aussehen
von Menschen haben würden? Nur hatte man bis zum Tag keine einzige Darstellung eines
Mysterious gefunden. Und wenn man daran dachte, wie unpraktisch der Bildschirm in den
Flash angebracht war, lag der Schluß nahe, daß die Geheimnisvollen auf dem Kopf
wenigstens ein zusätzliches Auge besaßen.
Humanoide mit einem Auge im Schädeldach?
Und warum nicht?
Hundert Meter Abstand zum nächsten Mann.
Bram Sass folgte dem Commander; hinter ihm ging Lati Oshuta, und Dan Riker bildete den
Schlußmann.
Ohne einen Zwischenfall erreichten sie die Stadt.
Schweigend betrachteten die Männer die würfelförmigen Häuser. Es gab keine Türen; die
Fenster waren leere Öffnungen. Staub und Erdreich, angeweht und angeschwemmt,
versperrten an vielen Stellen die Eingänge. Alles machte den Eindruck grenzenloser
Verlassenheit. Hier am Stadtrand war nicht zu erkennen, aus welchem Material die Straßen
bestanden. Waren sie mit einer Gesteinsschicht bedeckt oder mit einem Kunststoff?
Ren Dhark kratzte an einer Hauswand. Widerstandslos glitt sein Blaster über das Material,
ohne die geringste Spur zurückzulassen.
»Weißt du, woran mich diese Stadt erinnert, Ren?« Dan war neben ihn getreten.
54
Dhark schmunzelte. »Dan, du möchtest Parallelen ziehen... Ich habe dieses Verlangen auch
gespürt. Du willst diese Stadt mit der toten Stadt auf Deluge vergleichen, nicht wahr? Aber
vergleiche doch einmal den Stil dieser Bauten mit dem in der toten Stadt...«
»Das habe ich mir im stillen auch schon gesagt, aber...« Er verstummte.
»Was... aber, Dan?«
»Ich werde die Augen offenhalten. Ich werde nach etwas ganz Bestimmtem suchen - etwas,
das wir im Höhlensystem von Deluge an der Decke gesehen haben und was auch auf deinem
M-Blaster abgebildet war: das Symbol einer Galaxis - einer Spiral-Galaxis.«
Interessiert lauschten die beiden Cyborgs. Für sie waren die Abenteuer von Dhark und Riker
auf dem Kontinent Deluge schon fast Historie. Sie hatten noch nie von einem derartigen
Symbol gehört.
»Optimist!« stellte Ren Dhark fest und grinste dabei. »Ich habe seit Jahren nicht mehr an
dieses Symbol gedacht. Ich geb's ehrlich zu. Und hier...? Nein, mein Lieber, hier werden wir
sie auch nicht finden. Doch sehen wir uns diese Stadt einmal an.«
Gradlinig verlief die breite Straße. Über ihnen spannte sich ein Gewirr von Hochstraßen,
deren Ebene identisch mit den Flachdächern war.
Jeder machte sich darüber Gedanken. Warum diese Hochstraßen, wenn hier unten die Straßen
breit genug waren?
Rechtwinklig stießen die Straßenzüge aufeinander. Man konnte von einem Ende der Stadt
zum anderen sehen. Nirgendwo Leben. Überall diese bedrückende Verlassenheit.
Jahrtausende mußten vergangen sein, seit der letzte Bewohner hier seine Schritte getan hatte.
Sie näherten sich dem Mittelpunkt der Stadt, einem viereckigen Platz. Dieser Platz war leer,
aber hier waren die Hauseingänge nicht mehr so hoch verschüttet wie am Rand.
Ein Gebäude wich in seiner Bauweise von allen anderen etwas ab, obwohl es im gleichen Stil
gehalten war. Doch seine Frontseite unterschied sich von allen anderen.
Sie hatten mehrere Gebäude inspiziert, die sich alle als leer und verlassen erwiesen hatten.
Sie waren über Schrägen zu den höherge-legenen Stockwerken hinaufgegangen, und auch
einige Male in die
55
Keller hinabgestiegen, soweit es das Licht zuließ, doch sie hatten nichts gefunden - nicht
einen einzigen Gegenstand.
»Sehen wir uns den Bau noch von innen an. Ich glaube, dann müssen wir weiter. Diese Stadt
hat uns leider schon über eine Stunde gekostet.«
Bis zu den Knöcheln sanken sie ein, als sie den kleinen Schuttberg überkletterten und
gebückt das Gebäude betraten.
»Auch leer...« sagte Dan Riker enttäuscht, der es aufgegeben hatte, nach dem Galaxis-
Symbol zu suchen. Aber es ging ihm nicht aus dem Kopf. In Gedanken sah er wieder die
Spirale in der dritten Höhle, die später von Roccos Männern gesprengt worden war, unter der
Decke rotieren.
»Aufpassen!« rief Bram Sass plötzlich und riß ihn im letzten Moment zur Seite. Im
Halbdunkel stand in Kopfhöhe ein Träger vor.
»Hier geht's nach unten«, rief Dhark von der anderen Seite des hallenartigen Vorraums
herüber. »Und von einer Seite her fällt Licht herein...«
Das erlebten sie zum ersten Mal. Langsam gingen sie die Schräge hinab, dann wurde der
Boden wieder eben. Überrascht machten sie Halt.
Sie standen vor den fremdartigen Schätzen einer unbekannten Vergangenheit!
Sie standen vor Maschinen!
Maschinen, die arbeiteten?
Sie hörten ein leises, kaum wahrnehmbares Summen; hörten sie es wirklich - oder bildeten
sie es sich ein?
»Bei allen...« murmelte Ren Dhark und versuchte, die Ausdehnung der unterirdischen Halle
mit Blicken zu erfassen. Es gelang ihm nicht. Er gab den Versuch schnell auf. Er suchte nach
der Lichtquelle. Vorhin, vor dem Abstieg, hatte er geglaubt, das Licht würde von draußen
hereinfallen. Jetzt erkannte er, daß seine Annahme falsch gewesen war.
Hier unten leuchtete es! Hier war die Lichtquelle!
Aber wo?
»Jetzt einen intakten Hypersender finden...« wünschte sich Dan Riker. »Oder ein Raumschiff.
Ein ganz kleines...«
56
Ren Dhark konnte die Wünsche seines Freundes verstehen. Riker war verheiratet. Dan dachte
bestimmt viel öfter an Terra als er. Und wenn Riker Terra in den Sinn kam, dann kreisten
seine Gedanken gewiß um Anja, seine Frau.
Schmunzelnd sah Dhark Dan Riker an. »Ein Transmitter wäre noch schöner! Ein Transmitter,
der uns direkt ins Regierungsgebäude in Alamo Gordo bringt, nicht wahr?«
»Man darf doch wohl noch träumen, oder?« murrte Riker, warf Lati Oshuta einen
auffordernden Blick zu und setzte sich in Bewegung.
Fremdartige Maschinen, große und kleine. Maschinenstraßen, Apparaturen, Schaltungen. Ein
Schaltkreis lag offen.
»Sieh dir das an, Dan« sagte der Commander.
Riker verstand sofort, was Dhark meinte. Diese Schaltung hatte mit der Technologie der
Mysterious nicht das geringste zu tun. Der Unterschied war so groß, daß sich keine
Vergleichsmöglichkeit finden ließ.
»Also doch nicht auf den Spuren der Mysterious«, stellte Dan Riker fest; er ahnte nicht, daß
er bald wieder zu zweifeln beginnen würde.
»Summt hier nicht etwas?« Ren Dhark stellte die Frage bereits zum drittenmal. Die beiden
Cyborgs schalteten auf das zweite System um; ihre Ohren wurden zu hochempfindlichen
Supermikrophonen. Lati Oshuta schaltete als erster wieder um.
»Ja, hier summt etwas, aber es gibt keine zu lokalisierende Quelle. Das Summen ist
überall...«
Die Lichtquellen, dachte Ren Dhark, das Summen wird von ihnen kommen.
Sie kehrten um. Sie ließen ein Rätsel zurück. Sie ließen auch Spuren zurück. Fingerdick lag
der Staub, überall. Und überall, wo sie gegangen waren, zeichneten sich die Abdrücke ihrer
Stiefel ab.
»Kein Hypersender... kein kleines Sternenboot, schade!« sagte Lati Oshuta enttäuscht, als sie
wieder im Freien auf dem viereckigen Platz standen.
»Aber Durst...« konstatierte Bram Sass. »Der Staub im Keller hat meine Kehle
ausgetrocknet.«
Den anderen erging es genauso. Jeder war einverstanden, als Ren Dhark anordnete: »Machen
wir, daß wir weiterkommen...«
57
Sie hielten sich nicht länger auf. Schnurgerade führte der Weg auf der anderen Seite weiter.
Sie sahen die letzten Häuser bereits vor sich, als Dan seinen Freund festhielt. Er deutete nach
rechts. Sie waren schon fast daran vorbei. Niemand hatte einen Blick in die Seitenstraße
geworfen.
Mitten auf der Straße, keine hundert Meter entfernt, stand auf einem Sockel eine Statue.
Vier Männer rannten darauf zu und umstanden dann das Standbild. Starrten eine schwarze
Plastik an, eine junge, unbekleidete Frau. Eine wunderbar schöne, menschliche Frau.
»Hellenistisches Schönheitsideal...« flüsterte Ren Dhark ergriffen. Er trat näher. Vor dem
Sockel befanden sich drei Stufen. Er stellte sich auf die oberste. Er legte seine Hand auf das
schwarze, glatte Material.
Es war kühl, es strahlte Distanz aus, und doch fühlte es sich nicht tot an.
Das Gesicht...!
Lieblich?
Nein! Viel mehr!
Ein wunderbar schönes, ausdrucksvolles Gesicht!
»Eine Schwarze? Eine schwarze Weißel« flüsterte Ren Dhark und konnte seinen Blick nicht
von diesem Antlitz abwenden.
»Ist sie schön!« sagte Dan Riker bewundernd.
Stolz stand die Frau auf ihrem Sockel, den Blick zum grünen Himmel gerichtet!
Ein unbeschreibliches Lächeln lag um ihren Mund.
Ren Dharks Blicke hingen noch immer fasziniert an der Plastik, als er auf der Straße, die sie
bis an den Stadtrand gebracht hatte, Bewegung zu sehen glaubte.
Und dann mußte er sich am Sockel festhalten.
Zwei schwarze Menschen kamen auf sie zu.
Schwarz und nackt. Ein junger Mann und eine junge Frau.
Schwarze Weiße! Gelassen näherten sie sich. Im gleichen Schritt, mit fast gleichen Bewegungen, der gleichen
Kopfhaltung.
Ihre Gesichter waren unbeweglich, verrieten nichts.
58
Ren Dhark schloß die Augen, öffnete sie wieder, und in dieser Zeit waren die beiden
schwarzen Gestalten einen Schritt näher gekommen. Jetzt war auch ihr Schritt zu hören.
Nicht laut. Gedämpft, wie aufweichen Sohlen.
Sie trugen ja auch keine Schuhe. Sie trugen nichts am Leib.
»Vor uns...« rief Dhark seinen Begleitern zu.
Die Hände der Cyborgs flogen zu den Waffen.
»Nicht... nicht schießen!« krächzte Dhark.
Menschen in dieser seit Jahrhunderten verlassenen Stadt? Schwarze Menschen ohne jeden
negroiden Einschlag?
»Ich schnapp' noch über!« stöhnte Dan Riker.
Das Paar kam näher.
Zwanzig Schritte trennten beide Gruppen noch.
Schießen - nicht schießen? fragte sich Dhark, und konnte sich keine Antwort darauf geben.
Auf nackte, unbewaffnete Menschen schießen? Sie trugen nichts am Leib. Hüllenlos
bewegten sie sich auf die Terraner zu. Da wurde Ren Dhark bewußt, daß auch er einen
Blaster in der Hand hielt. Aber noch war der Abstrahlpol nach unten gerichtet...
Eine grell weiße Sonne stand am blaugrünlichen Himmel. Eine unbekannte Sonne. So groß
wie Luna.
Ren Dhark rührte sich nicht. Fasziniert starrte er auf die beiden Gestalten. Stolz, schön,
selbstbewußt, so schritten sie dahin.
Auch Dan Riker bewegte sich nicht. Seine blauen Augen waren halb zusammengekniffen.
Am Kinn prangte ein roter Fleck, ein untrügliches Kennzeichen seiner inneren Erregung.
Selbst der sonst so quecksilbrige Lati Oshuta stand starr und unbeweglich da. Seine
Schlitzaugen verengten sich noch weiter.
Bram Sass erweckte den Eindruck, halb zu schlafen. Der Strahler in seiner mächtigen Faust
folgte den beiden Fremden. Zwei weitere Strahler machten die Bewegung mit. Ren Dhark
und Dan Riker wußten nicht, was sie von diesen beiden Wesen halten sollten.
Nur Oshuta verzichtete auf die Waffe. Er hielt nichts davon. Seines Erachtens gab es andere
Mittel.
59
Aber selbst ihm kamen jetzt Bedenken.
Sekundenlanges Schweigen. Die Männer atmeten kaum. Die beiden schwarzen Gestalten
kamen immer näher. Fast schien es, als würden sie die Terraner gar nicht wahrnehmen.
Ren Dhark löste sich als erster aus seiner Starre. Mit einer hastigen Handbewegung wischte
er sich ein paar Schweißtropfen von der Stirn. Sein markantes Kinn schob sich vor.
»Wir sind keine Feinde«, sagte er halblaut.
Er merkte selbst, daß seine Stimme ein wenig heiser klang. Seine drei Begleiter hielten den
Atem an.
Was kam jetzt? Würden sie eine Erklärung bekommen? Eine Erklärung über die vom Zahn
der Zeit angenagte Stadt?
Die beiden Schwarzen schritten weiter. Hochaufgerichtet, stolz, scheinbar unbeteiligt. Lati
Oshuta stieß zischend die Luft aus. Er verlagerte sein Gewicht.
Keine Antwort. Als beständen die vier Männer aus Luft, gingen die Schwarzen vorbei.
Schweißtropfen glitzerten auf Dan Rikers Stirn. Der rote Fleck auf seinem Kinn stach nun
deutlich sichtbar von der Haut ab. Er drehte den Kopf. Fassungslos starrte er seinen Freund
an.
Die beiden Fremden kümmerten sich nicht um die vier Männer, taten, als existierten sie
nicht.
Die Männer sahen sich betroffen an. Oshuta verzog das Gesicht zu einer Grimasse.
»Sollen das wirklich Menschen sein?« stieß er schließlich zweifelnd hervor. »Diese beiden
können anscheinend weder hören noch sehen.«
Dhark schüttelte widerwillig den Kopf.
»Wir folgen ihnen. Diesem Geheimnis will ich auf die Spur kommen.«
Niemand widersprach. Ren Dhark setzte sich in Bewegung. Die beiden Schwarzen schritten
immer noch hochaufgerichtete dahin. Kopfschüttelnd steckte Dhark seinen Blaster ein. Riker
und Sass folgten seinem Beispiel. Oshuta nagte nachdenklich an seiner Unterlippe.
In einem Abstand von fünfzig Metern folgten die Männer dem
60
fremden Paar. Ein leichter Windzug strich über ihre erhitzten Gesichter, brachte ein wenig
Abkühlung.
Die Fremden drehten sich nicht um. Sie mußten die Schritte der Verfolger deutlich hören.
Dennoch erfolgte keinerlei Reaktion.
Dhark blickte sich mehrmals nach seinen Begleitern um. Sie folgten ihm schweigend. Jeder
war mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt.
Aber jeder fühlte die Beklommenheit, die Unwirklichkeit dieser Situation - einer fast schon
gespenstischen Situation.
Die fremde tote Stadt schwieg. Nur der Wind strich sanft durch die leeren, verlassenen,
staubbedeckten Straßen. Das Säuseln klang monoton.
Die Männer sehnten sich plötzlich nach einem Laut. Nach einer menschlichen Stimme. Aber
sie hörten nur das weiche Geräusch nackter Fußsohlen auf dem Boden. Und ihre eigenen
Schritte. Ein dumpfes Echo kam von den gegenüberliegenden Gebäudewänden. Merkwürdige
Bauten. Eine mehr als merkwürdige Stadt.
Ren Dhark fröstelte plötzlich, trotz der Wärme. Er zog seine breiten Schultern nach vorn,
runzelte die Stirn.
Lockten die beiden Gestalten sie etwa in eine Falle? Wollten sie mit ihrem seltsamen
Benehmen nur erreichen, daß man ihnen folgte?
Dhark wurde unsicher. Sein Schritt verlangsamte sich. Er starrte auf die beiden schwarzen
Rücken. Der Schritt blieb gleichmäßig, stolz, fast gebieterisch.
Dan Riker gab seinem Freund einen Stoß in den Rücken.
»Weiter!« hauchte er rauh. »Nun sind wir schon mal hier.«
Dhark kannte sonst keine Unentschlossenheit. Aber ein unbestimmtes Gefühl warnte ihn. Er
wirkte plötzlich nachdenklich. Die Strapazen hatten ihre Spuren in seinem Gesicht
hinterlassen, ließen ihn älter, erfahrener, wissender als einen Mann von neunundzwanzig
Jahren aussehen.
Plötzlich trat jedoch wieder der kalte Glanz in seine braunen Augen. Entschlossen setzte
Dhark seinen Weg fort. Die Freunde folgten ihm.
Jetzt wußte der Commander auch, wohin die Schwarzen sie führten. Langsam kannte er sich
wieder aus.
61
Es ging Richtung Tiefkeller, zur technischen Anlage.
Dhark warf einen Blick über die Schulter und teilte seine Vermutung seinen Begleitern mit.
Sass brummte eine unverständliche Antwort. Riker nickte zustimmend. Oshuta begann zu
grinsen. Er schritt schneller aus und befand sich plötzlich neben Dhark.
»Was halten Sie davon, wenn wir ihnen das schwarze Fell abziehen und nachsehen, was
darunter verborgen ist, Commander?«
»Wir werden sehen«, orakelte Ren Dhark nachdenklich.
Der Staub knirschte nun unter ihren Füßen. Die Verwehungen nahmen zu. Der Wind spielte
mit kleinen Sandfontänen, trieb sie durch die fremdartigen Straßenzüge.
Ren Dharks Interesse richtete sich auf die Frau. Mit ihrer dunklen Hautfarbe wirkte sie
exotisch und faszinierend. Ein makelloser Körper, eine stolze Haltung. Aber trotzdem
stimmte etwas nicht. Irgend etwas Entscheidendes fehlte. Das Leben vielleicht? Der
Ausdruck irgendeiner Gefühlsempfindung?
Dhark nickte unwillkürlich. Oshuta sah von der Seite her zu ihm auf.
»Ihnen gefällt sie auch, wie?«
Dhark hatte schon eine heftige Antwort auf der Zunge, schluckte sie aber hinunter. Er mochte
den kleinen, drahtigen Mann an seiner Seite. Obwohl er manchmal zuviel redete. Das
entsprach seiner Natur. Quicklebendig, das Herz auf der Zunge, ewig bester Laune.
»Sie gefällt mir, Oshuta. Zufrieden? Und nun wollen wir uns mal wieder konzentrieren.
Gleich geht's in die Tiefe.«
Sie hatten das Zentrum der kleinen toten Stadt erreicht. Die beiden Schwarzen betraten das
uralte graue Gebäude mit dem merkwürdigen Eingang. Dhark erkannte es sofort wieder.
Die beiden Gestalten verschwanden, ohne sich ein einziges Mal nach ihren Verfolgern
umzudrehen. Die vier Männer warfen sich bezeichnende Blicke zu. Ihr Entschluß stand
jedoch fest.
Ein letzter Blick galt dem blaugrünlichen Himmel. Die grellweiße Sonne schien kaum weiter
gewandert zu sein. Aus dem Gebäudeeingang drang kühle Luft. In der Ferne sahen die
Männer die Silhouette des Gebirges. »Also«, sagte Ren Dhark entschlossen.
62
Er betrat das Gebäude als erster. Die Freunde folgten ihm dichtauf. Die Verwehungen
reichten bis hier hinein. Schon verschwanden die Schwarzen in der Tiefe.
Die vier Männer betraten die Schräge, die in steilen Serpentinen hinabführte. Die Luft wurde
kühler. Oshuta hielt sich dicht neben Ren Dhark. Über dem kleinen Japaner lag jetzt etwas
Scharfes, Gespanntes, das an eine alte Rasierklinge erinnerte.
Spannungsgeladene Minuten vergingen. Der Abstieg wollte kein Ende nehmen. Sie merkten
kaum, daß ein sanftes Rauschen aus der Tiefe drang. Es schwoll stufenlos an. Keiner von
ihnen achtete darauf. Ihre Blicke verfolgten nur die beiden Schwarzen. Noch immer diese
hoheitsvolle Haltung. Noch immer keine Reaktion auf die Schritte der Verfolger.
Die vier Männer wagten kaum zu atmen.
Endlich erreichten sie die riesige Halle.
Unsichtbare Lichtquellen erhellten den fremdartigen kühlen Raum. Wohin das Auge schaute
- Maschinensätze, Aggregate, technische Anlagen in Hülle und Fülle.
Aber weder Ren Dhark noch seine drei Begleiter wußten damit etwas anzufangen. Die
gesamte Anlage wirkte fremdartig. Eine unbekannte Technologie hatte sie geschaffen.
Aber auch hier unten Staub. Die Schwarzen blieben plötzlich stehen. Auch die vier Männer
verharrten.
Aufmerksam sahen sie zu den Fremden hinüber. Fast schien es, als unterhielten sich die
Schwarzen. Aber kein Laut drang an die Ohren der Menschen.
Plötzlich kam Bewegung in das Paar. Sie trennten sich.
Dhark warf Dan Riker einen blitzschnellen Blick zu.
»Du und Sass der Frau nach«, zischte er.
Dan Riker fragte nicht erst lange. Er gab dem bulligen Sass einen Wink und setzte sich in
Bewegung.
Dhark wartete noch einen Augenblick. Er sah der Frau nach, die anscheinend ziellos durch
die Maschinensätze hindurchging. Riker und Sass folgten ihr in einem Abstand von fünfzig
Metern.
»Kommen Sie«, raunte Dhark dem kleinen Oshuta zu.
Der Schwarze besaß bereits einen Vorsprung von mehr als siebzig
63
Metern. Sie sahen seinen hoch erhobenen Kopf hinter den Maschinen auftauchen, wieder
verschwinden.
Im Vorbeigehen berührte Ren Dhark eine graue Metallverkleidung mit den Fingern. Wie
elektrisiert zog er die Hand wieder zurück. Oshuta sah ihn mißtrauisch an.
»Was ist?« fragte er neugierig.
Dhark antwortete nicht. Er hastete weiter. Sie kamen näher an den Schwarzen heran. Oshuta
schielte immer wieder auf die fremdartigen Maschinen. Schließich hielt er es nicht mehr aus.
Er berührte das Metall - und zuckte zurück.
»Verdammt!« entfuhr es ihm.
Eisige Kälte schien von der Verkleidung auszugehen. Eine Kälte, die durch den ganzen
Körper raste, bis hinauf ins Gehirn.
Oshuta wedelte mit der Hand durch die Luft. Plötzlich blieb er stehen und starrte auf Ren
Dharks breiten Rücken. Der Commander war stehengeblieben. Ungläubig staunte er den
Fußboden an.
Lati Oshuta folgte seinem Blick. Seine Schlitzaugen verengten sich. Erregt fuhr er sich mit
der Zunge über die Lippen.
»Was halten Sie davon, Oshuta?« flüsterte Dhark. Ihm kam die ganze Sache immer
unheimlicher vor.
Der Staub auf dem Boden. Die Abdrücke im Staub - die Sohlenabdrücke terranischer Schuhe!
»Unser Weg«, knurrte der Japaner. »Sie folgen unserem Weg. Sehr merkwürdig!«
Dhark fand das weniger merkwürdig als beunruhigend.
Die Schwarzen folgten dem Weg der vier Männer durch die technische Anlage. Aber sie
kümmerten sich nicht um ihre Verfolger.
Dhark schüttelte erneut den Kopf. Er verstand das Verhalten dieser Fremden, die Menschen
so außerordentlich ähnelten, immer weniger.
Der Schwarze schritt weiter. Seine Fußabdrücke im Staub zeichneten sich neben den Spuren
der Menschen ab.
Er ging immer weiter, immer tiefer in die Halle hinein, folgte den Spuren und blieb genau an
den Stellen stehen, an denen die vier Männer bei ihrem ersten Besuch in dieser Anlage
haltgemacht hatten.
Dhark und Oshuta folgten dem Fremden jetzt nur noch zögernd.
Plötzlich blieben beide wie angewurzelt stehen.
64
Sie horchten. Ihre Blicke drückten eine seltsame Erregung aus, Fassungslosigkeit, Staunen.
Totenstille ringsum. Die Stille wirkte gespenstisch, grauenhaft, anklagend.
Das kaum wahrnehmbare Rauschen, von ihnen vorher nicht beachtet, hatte schlagartig
ausgesetzt. Erst jetzt wurde ihnen bewußt, daß es vorher ein Geräusch gegeben haben mußte.
Aber diese bedrückende Stille. Sie zerrte an den Nerven, peinigte, trieb den Schweiß aus den
Poren.
Ein Gefühl der Angst überkam Ren Dhark. Unnatürliche Kräfte schienen ein grausames Spiel
mit ihnen zu treiben. Ein Spiel, dessen Regeln sie weder kannten noch verstanden.
Dan Riker blieb ebenfalls stehen. Die Frau verschwand hinter einem kubischen
Maschinenklotz, tauchte auf der anderen Seite wieder auf.
Sass deutete nach rechts. Zwischen zwei hohen Blöcken, vermutlich einer Art Reaktor,
tauchten die Köpfe der beiden Freunde auf.
Da blieben Dhark und Oshuta ruckartig stehen. Auch Riker verharrte fassungslos. Totenstille.
Nicht einmal das Klatschen nackter Füße war noch zu vernehmen. Man hätte vermutlich eine
Stecknadel fallen hören können. Hier war es jedoch still wie in einem Grab.
Diese entsetzliche Stille sprang Dan Riker an wie ein wütendes Tier. Seine Nerven drohten
zu zerreißen. Er fragte sich, ob das so abrupt verstummte Summen vielleicht auf laufende
Maschinen hingewiesen haben könnte.
Er drehte sich nach Sass um. Der stämmig wirkende Cyborg behielt weiterhin die Frau im
Auge.
»Sie treffen wieder zusammen«, sagte er plötzlich leise. Aber selbst Riker erschrak über die
Lautstärke dieses Flüsterns. Es schien durch die ganze gigantische Halle zu dröhnen.
»Zurück zu Dhark«, hauchte er.
Dhark und Oshuta sahen ihnen entgegen. Ihre Gesichter wirkten unnatürlich bleich. Niemand
wußte, ob das nicht vielleicht auf die Beleuchtung zurückzuführen war.
65
»Irgend jemand hat die Maschinen stillgelegt«, hauchte Riker seinem Freund zu.
Ren Dhark biß sich auf die Lippen.
»Haben wir denn wirklich vorher etwas gehört?« fragte er schließlich nachdenklich.
Die Männer sahen sich vielsagend an. Hatten sie denn vorher tatsächlich etwas hören
können? Oder war es nur ihr Blut gewesen, das in ihren Ohren gerauscht hatte?
»Jetzt ist es still. Stiller als vorher.« Oshuta massierte nachdenklich sein Kinn. Er flüsterte so
leise, daß seine Stimme einem unverständlichen Zischeln glich.
Plötzlich weiteten sich seine Augen. Dhark faßte sich als erster. Er wirbelte herum. Eine
einzige, reflexartige Bewegung. Seine Hand umfaßte bereits den Kolben des Strahlers.
Aber auch Ren Dhark erstarrte. Sein Körper wurde steif. Riker und Sass erging es nicht
besser.
Der schwarze Mann und die schwarze Frau drehten sich um. Unendlich langsam,
zeitlupenhaft. Aber auch diese Bewegung erinnerte an sprunghafte Raubtiere, verriet
Geschmeidigkeit, Elastizität.
Aber nicht diese Bewegung faszinierte die vier Männer. Der Blick war es. Ein
ungewöhnlicher Blick. Die vier Augen schienen sich an den Männern festzusaugen, sie bis
ins Mark treffen zu wollen.
Dan Riker taumelte unwillkürlich zurück, prallte gegen die mächtige Brust von Bram Sass
und blieb stehen.
Für Dhark und seine Freunde existierte plötzlich nichts anderes als diese Augen. Die Farbe
konnte niemand bestimmen.
Plötzlich zuckten Blitze.
Oshuta und Dhark, die vor den beiden anderen standen, rissen im gleichen Augenblick die
Hände hoch. Sie wurden derart geblendet, daß sie sekundenlang nichts sehen konnten.
Dhark preßte sich die Handballen vor die Augen. Ein leises Stöhnen entrang sich seiner
Brust. Er versuchte, noch einmal wenigstens durch die Finger zu schauen.
Der Anblick traf ihn hart wie ein Schlag.
Die Schwarzen standen immer noch nebeneinander in dreißig Metern Entfernung.
Unbeweglich. Sie glichen mattglänzenden Statuen.
66
Schön, faszinierend und meisterhaft gestaltet. Figuren des Menschen. Phantasiegebilde eines
genialen Hirns.
Aber diese Augen!
Grell glühende Gebilde, deren stechendes unheimliches Licht die Männer blendete.
Jetzt stöhnte auch Dan Riker.
»Zurück«, stieß Ren Dhark hervor.
Er dachte einen Augenblick daran, die Waffe zu ziehen und dieser schmerzlichen Tortur des
Lichts ein Ende zu bereiten. Er verwarf den Gedanken sofort. Jede Gewaltanwendung war
ihm verhaßt.
Automatisch traten zuerst Riker und Sass, dann Dhark und Oshuta ein paar Schritte zurück.
Noch standen die Schwarzen unbeweglich. Sie rührten sich nicht. Sie sandten nur diese
unheimlichen, schmerzhaft glühenden Strahlen aus ihren Augen.
Ren Dhark fühlte sich plötzlich am Arm gepackt.
Oshuta warf ihm einen schnellen, wie gehetzt wirkenden Blick zu.
»Ich schalte um!« stieß er hervor. Dhark nickte nur.
Während die anderen drei Männer langsam zurückwichen, blieb der kleine Lati Oshuta
stehen. Eine seltsame Verwandlung schien in ihm vorzugehen.
Der Cyborg schaltete auf sein zweites System um.
Und dann packte heftige Erregung den kleinen Japaner.
Roboter! durchzuckte es ihn.
Lati Oshuta stand mit dem Rücken zu den beiden Schwarzen. Beschwörend hob er die
Hände.
»So glauben Sie doch! Das sind Roboter. Keine Wesen aus Fleisch und Blut. Keine
Menschen. Roboter. Verstehen Sie denn nicht?«
Ren Dhark konnte es nicht fassen. Dan Riker wollte es nicht glauben. Er schirmte seine
Augen gegen die glühenden Strahlen ab.
Jetzt setzten sich die Schwarzen in Bewegung. Sie kamen auf die vier Männer zu. Langsam,
gleichmäßig, furchtlos. Das grelle Glühen der Augen blieb konstant.
»Sass! Prüfen Sie Oshutas Ergebnis! Rasch!«
Bram Sass stellte keine langen Fragen. Er blieb stehen.
67
Dhark, Riker und Oshuta traten inzwischen den Rückzug an.
Sass schaltete um. Bruchteile von Sekunden genügten.
Roboter! Bram Sass wirbelte herum. Seine Augen brannten. Dhark, rück-wärtsschreitend, starrte ihm
entgegen.
»Nun?« fragte er hastig.
»Es stimmt. Es sind Roboter!«
Dhark schluckte. Er wechselte einen schnellen Blick mit Dan Riker. Sie nickten sich zu.
»Denkst du dasselbe wie ich?«
»Wenn du auch an unsere Mysterious denkst -ja.«
Sie wichen immer noch zurück. Jetzt wurde es ganz offensichtlich, was die beiden Schwarzen
bezweckten. Sie trieben die vier Männer vor sich her, dem Ausgang zu.
Vielleicht wollten sie ihre Anlagen schützen.
Aber Dharks Gedanken drehten sich im Augenblick darum, ob diese beiden Exemplare
unbekannter Technik möglicherweise noch aus der Zeit der Geheimnisvollen stammen
könnten.
Lati Oshuta hielt die Hand über die Augen und rief im Zurückgehen die Schwarzen an. Keine
Antwort. Dhark hatte auch nicht damit gerechnet. Er mußte sich immer wieder umsehen,
damit er nicht versehentlich mit einer Maschine kollidierte. Die eine Berührung von vorhin
reichte ihm.
Lati Oshuta versuchte noch ein paarmal, die auf sie eindringenden schwarzen Roboter zum
Sprechen zu bewegen. Ohne Erfolg. Das grelle Glühen der Augen blieb. Blendend, stechend,
drohend.
»Sie wollen uns mit aller Gewalt hier heraustreiben«, knurrte Dan Riker. »Lassen wir uns das
gefallen?«
»Wenn sie hier die Herren sind, ist es ihr gutes Recht«, erinnerte ihn Ren Dhark. »Auch wir
würden jeden Eindringling vertreiben wollen. Sie treiben uns hinaus. Schön. Ich würde
ungebetene Besucher auch aus meinem Hause jagen, wenn ich sie nicht eingeladen hätte.«
»Ist schon gut«, brummte Riker. »Kommt. Sie werden schneller!«
Das Tempo der Schwarzen erhöhte sich wirklich. Das grelle Glühen der Augen schien sich
immer mehr zu steigern.
68
Sie erreichten im Rückwärtsgang die Serpentinen. Es ging steil nach oben. Leichtfüßig
folgten die Schwarzen. Wie Menschen, aber stumm, drohend.
Mit einem letzten Blick überflog Dhark den gigantischen Raum.
Dan Riker keuchte bereits. Die Kühle nahm langsam ab. Den Männern kam es so vor, als
würden sie in eine ungeheure Hitze hinaufsteigen, in eine Sauna. Ihre Gesichter glänzten vor
Schweiß.
Die grellen Blicke der Schwarzen ließen sie jedoch nicht los.
»Langsam müßten sie doch gemerkt haben, daß wir gehorchen«, keuchte Oshuta.
Die Schwarzen kamen immer näher. Sass drehte sich um und lief nun schon vorwärts die
steile Schräge hinauf. Dan Riker schloß sich ihm an. Ren Dhark packte Oshutas Schulter und
schob ihn nach hinten.
Er wollte noch einen letzten Versuch wagen, mit den Robotern ins Gespräch zu kommen.
Aber das grelle Glühen blendete ihn derart, daß er kaum noch etwas sehen konnte. Seine
Augen schmerzten, brannten, tränten.
Seine Kehle war wie zugeschnürt und trocken.
»Hört mich an. Ich bin Ren Dhark.« Er erkannte seine Stimme selbst kaum wieder. Sie klang
rauh und heiser. Seine Stimmbänder schienen mit einer Raspel bearbeitet worden zu sein.
Aber Dhark redete eine volle Minute lang. Er sprach von Hope, von Deluge, von der PoiNT
OF, von dem Höhlensystem und der Technik einer fremden Rase. Er bettelte nicht. Er flehte
die Schwarzen nicht an, endlich ihre feindselige Haltung aufzugeben. Im Gegenteil. Dhark
gab sich alle Mühe, seiner Stimme einen freundlichen Klang zu verleihen.
Es half nichts. Die Schwarzen schwiegen. Gleichmäßig schritten sie voran. Das grelle,
stechende, schmerzende Glühen blieb.
Dhark zuckte hilflos die Schultern. Er wurde von einer Hoffnungslosigkeit befallen, die er
seinen Begleitern nicht zeigen durfte. Er riß sich zusammen, warf sich herum, eilte die letzte
Schräge hinauf.
Die drei Freunde standen schon draußen. Ihre Gesichter glühten. Aber die Gesichtszüge
wirkten ausgemergelt.
»Weiter«, keuchte Ren Dhark.
69
Die beiden Schwarzen trieben sie ins Freie. Die Verfolgung wurde fortgesetzt. Oshuta warf
einen flehenden Blick auf den Commander.
Dhark wußte, was dieser Blick zu bedeuten hatte. Er schüttelte entschieden den Kopf.
»Keine feindselige Haltung«, befahl er streng. »Weiter. Laufen Sie, Oshuta.«
Dhark drehte sich mehrmals um. Die Schwarzen ließen noch immer nicht von ihnen ab. Sass
und Riker stolperten bereits aus der Stadt.
Dhark suchte verzweifelt nach einem Ausweg, nach einem friedfertigen Ausweg. Er fand ihn
nicht. Er konnte aber nicht begreifen, warum sie noch immer auf Schritt und Tritt verfolgt
wurden.
Roboter. Unglaublich. Die Schwarzen folgten stumm, leichtfüßig, federnd - wie Menschen.
Nicht wie Roboter. Aber Sass und Oshuta waren unabhängig voneinander zum gleichen
Ergebnis gekommen.
Die grell strahlenden Blicke ließen Dhark und die anderen nicht los. Langsam wuchs der
Abstand.
Dan Riker fiel, raffte sich wieder auf, stöhnte. Sass fragte nicht lange. Er packte Rikers Arm
und stützte ihn. Oshuta kochte vor Wut. Dhark sah, wie es in seinem Gesicht zuckte. Der
kleine Japaner fluchte ununterbrochen leise vor sich hin.
Die Stadt blieb zurück. Der Boden begann zur nächsten Hügelkette hin wieder sanft
anzusteigen. Das satte, fruchtbare Grün ging langsam in karge, vegetationsarme Steppe über.
Felsbrocken lagen herum. Staub bedeckte den Boden. Der gleiche Staub, den
jahrhundertealte Winde in die Wüste getrieben hatten.
Riker blieb als erster liegen. Er konnte nicht mehr. Aber noch stand den vier Männern ein
ganzes Stück Aufstieg bevor.
»Helfen Sie Riker, Sass. Nehmen Sie ihn meinetwegen wieder auf den Rücken. Sie treiben
uns weiter.«
Oshuta blieb plötzlich stehen. In seinen dunklen Augen flammte der Zorn auf. Er zog den
Kopf ein und blickte zurück. Ein tiefes Stöhnen drang aus seiner Brust.
»Geben Sie mir einen Augenblick freie Hand, Commander«, bat er grimmig. »Nur einen
winzigen Augenblick.«
»Nein!«
Dharks Antwort klang scharf. Sie duldete keinen Widerspruch.
70
»Sie werden jetzt meinen Befehl befolgen und weitermarschieren. Unterstützen Sie Sass,
wenn es notwendig wird.«
Lati Oshuta duckte sich. Ren Dhark wirkte aufgebracht.
»Ich habe verstanden, Commander«, murmelte Oshuta niedergeschlagen.
Dhark legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Schon gut, Oshuta. Kommen Sie. Sass und Riker haben es schon beinahe geschafft.«
Das war ein wenig übertrieben. Dan Riker gab sich alle Mühe, die Schwächeperiode zu
überwinden. Sass half ihm, so gut es ging. Sie kletterten bereits mehrere Meter voraus den
Hang hinauf.
Dhark sah sich um. Die Schwarzen kamen heran. Noch waren die beiden Roboter fünfzig
Meter entfernt. Aber ihr Vorhaben schien dem Commander klar. Sie wollten die Menschen
aus diesem Tal vertreiben.
Ren Dhark seufzte.
»Wir befolgen euren Befehl«, schrie er ihnen zu. »Laßt euch aber noch einmal gesagt sein,
daß wir nicht als Feinde zu euch kamen.«
Seine Stimme verhallte ungehört. Niemand antwortete. Dhark machte sich an den Aufstieg.
Die Gefährten waren schon viel höher. Oshuta drehte sich zu ihm um, zögerte, wartete dann.
Dhark spürte seine Kräfte erlahmen. Sein Atem ging keuchend, die Muskulatur schmerzte.
Aber hinter ihm stand das Muß. Sein Herz hämmerte schnell gegen die Rippen. In seinem
Kopf war eine entsetzliche Leere.
Weiter, weiter, immer weiter.
Er sah noch einmal nach hinten. Dort standen sie, schienen ihn zu beobachten. Das grelle
Stechen in dem Blick der beiden Schwarzen schien nachzulassen.
Aber noch immer lag diese Schönheit über ihnen, die Dhark in ihren Bann zog.
Er kletterte weiter. Schließlich erreichte er ein kleines Plateau auf dem Kamm der Hügelkette
und die Freunde. Dan Riker lag am Boden. Sein Blick suchte den des Commanders.
»Laßt mich hier. Ich kann nicht mehr. Das war zuviel in den letzten Tagen.«
71
»Quatsch!« fuhr Ren Dhark ihn an. Er drehte sich um, sah nach unten, zur Stadt. Seine Augen
zogen sich zusammen. Die Schwarzen waren verschwunden.
72
5. Die POINT OF flog in die Sternballung Dg-45 ein. Janos Szardak war es in einer heftig geführten Diskussion gelungen, Ralf Larsen davon zu überzeugen, daß es besser wäre, wenn sich zunächst nur die POINT OF in dieses energetische Chaos vorwagte. Niemand konnte vorhersagen, wie die gerade wieder zunehmenden Störungen im galaktischen Magnetfeld sich innerhalb einer Population von mehr als 800 eng beieinanderstehenden Veränderlichen Sternen auswirken würden. Doch selbst im ungünstigsten Fall war der Ring-raumer durch seine Intervalle weit besser vor möglicherweise auftretenden Strahlenstürmen oder sonstigen Anomalien geschützt als jedes andere Raumschiff. Diesem Argument hatte sich Larsen auf Dauer nicht verschließen können und in Szardaks Vorschlag eingewilligt. 24 Stunden hatte er Szardak zugestanden - 24 Stunden, in denen die POINT OF nicht nur nach Ren Dhark suchen sollte, sondern nebenbei auch ungefährliche Wiedereintauchpunkte ausfindig machen, um es dem Flottenverband zu erleichtern, mitten in die Sternballung zu transitieren. Letzteres mochte angesichts der in diesem Raumsektor herrschenden Gegebenheiten nicht ganz einfach sein - aber es war eine Aufgabe, die zumindest lösbar war. Daß er in diesen 24 Stunden hingegen auch Ren Dhark und seine Begleiter finden könnte, hielt Janos Szardak für praktisch ausgeschlossen. Der Sternensog arbeitete und trieb den Ringraumer immer tiefer in den Sternhaufen hinein. Der Funkkontakt mit dem Flottenverband war auf Grund der Störungen im galaktischen Magnetfeld - die sich in dieser energetischen Hexenküche tatsächlich stärker auswirkten bereits nach kurzer Zeit kaum noch möglich. Ganz abgesehen davon, daß Larsen und Szardak ohnehin weitestgehende Funkstille vereinbart hatten, da sie den noch 73
immer unbekannten Entführern Ren Dharks ihre Anwesenheit nicht lauthals kundtun wollten. Janos Szardak, der so viele Jahre seines Lebens zwischen den Sternen verbracht hatte, wurde von dem Anblick, der sich ihm in der Bildkugel über dem Instrumentenpult bot, regelrecht gebannt. Aus achthundertelf Sonnen sollte Dg-45 bestehen - und die meisten von ihnen waren Veränderliche Sterne! Hinter Szardaks Rücken flog krachend das Schott zur Zentrale auf. Jens Lionel, der Bordastronom, dessen Nervenkostüm nicht immer das beste war, trat ein, in der Hand ein halbes Dutzend Folien. Die Offiziere blickten ihn erwartungsvoll an. Wenn Lionel unangemeldet die Kommandozentrale betrat, dann hatte er meist nichts Erfreuliches zu berichten. Szardak drehte sich um und kniff die Augen zusammen. Der Astronom betrachtete es als Aufforderung zu sprechen. »Szardak, Sie werden die schönsten Ortungsschwierigkeiten bekommen und...« »Die haben wir längst, mein Guter«, warf der Colonel gelassen ein. »Lassen Sie sich von Grappa mal erzählen, wie unsere Energie- und Distanzortung arbeitet...« Grappa kam nicht dazu. »Die Belastung der Intervalle schnellt hoch!« meldete Hen Falluta, Szardaks Copilot. Der Ringraumer raste mit achtzigfacher Lichtgeschwindigkeit durch den Sternhaufen. Bei den ungenauen Ortungsresultaten eigentlich ein leichtsinniges Unterfangen, weil die Gefahr bestand, in eine unsichtbare Sonne hineinzufliegen. Ob die künstlichen Mini-Welträume der PoiNT OF in einem solchen Fall dem atomaren Ansturm standhalten würden, wagte kein Mensch vorherzusagen, obwohl theoretisch die Möglichkeit bestand, daß der Ringraumer durch einen Stern fliegen konnte, weil er im Schutz der Intervalle für ihn nicht existent war. Szardak drehte sich auf den Warnruf seines Copiloten im Schwenksessel, überflog die Instrumente mit einem Blick, griff nach den Steuerschaltern und ließ das Schiff durch Umschalten auf Sie unter Lichtgeschwindigkeit fallen. Im gleichen Moment wurden seine Augen vor Entsetzen unnatürlich groß. 74
Die Intervalle waren mit 95 Prozent belastet!
Im Schiff wurden die letzten Konverter hochgefahren. Unvorstellbare Energiemengen
wurden an die Intervalle abgeführt. Für ein paar Sekunden sank die Belastung auf 70 Prozent,
um dann wieder unaufhaltsam anzusteigen.
»Grappa! Massen-, Distanz- und Energieortung? Was ist da los? Fliegen wir auf eine Sonne
zu?«
Aus der astrophysikalischen Abteilung schrie ein Mann verzweifelt über die
Bordverständigung: »Colonel, die PoiNT OF rast in den Kern eines Magnetfeldes hinein.
Wir...«
Szardak begriff sofort. Wenn auch ein Magnetfeld keinen Kern, sondern nur ein Zentrum
besaß, so war es selbst für ein Schiff wie den Ringraumer ein wahnwitziges Unterfangen,
dieses Zentrum durchfliegen zu wollen. Welche extremen Verhältnisse in diesem Bereich der
Ballung herrschten, verriet ihm allein schon die außergewöhnliche Belastung der beiden
Intervalle durch Fremdenergie.
»Daten...! Koordinaten! Grappa...?« Auch Janos Szardak, der Mann mit dem Pokerface, dem
man nachsagte, daß ihn so leicht nichts erschüttern konnte, wurde jetzt allmählich nervös.
Genau wie der Ortungsspezialist. »Szardak... Drei Veränderliche... Gleichschenkliges
Dreieck, ihre Positionen. Wir rasen auf den Mittelpunkt des Dreiecks zu.« Es kam selten vor,
daß sich Grappa so unpräzise und undiszipliniert ausdrückte. Szardak mußte umdenken.
Drei Pulsationssterne in einer Dreiecks-Konstellation. Und auf den Mittelpunkt dieses
Dreiecks flog die PoiNT OF zu. Aber wie weit war das Schiff noch von dem magnetischen
Zentrum entfernt? Wie groß der Abstand der einzelnen RR-Lyrae-Sterne vom Ringraumer?
»Ihre Perioden liegen unter zehn Stunden Normzeit...« Die Meldung kam über die
Bordverständigung aus der astronomischen Abteilung.
Szardaks Gesicht wurde zu einer Grimasse. Es war Wahnsinn gewesen, in den
Kugelsternhaufen einzufliegen. Zu dem starken Proton-Neutron-Wechselprozeß, der in Dg 45 ablief, kam auch noch das kurze Pulsieren der Veränderlichen.
Was machen die Intervalle? Fragend, geradezu besorgt blickte der Copilot den
Kommandanten an.
75
Janos Szardak betrachtete noch einmal die Wiedergabe in der Bildkugel und faßte einen
Entschluß.
In Dg-45 standen die Sonnen so dicht zusammen, daß ein Ausweichen deshalb sinnlos war,
weil hinter der Lücke gleich wieder ein paar neue Sterne auftauchen würden.
Er mußte es einfach versuchen... die PoiNT OF mußte ihren Kurs beibehalten! Sie mußte es
schaffen - oder es gab für den Ringraumer keine Wiederkehr mehr.
Kaltblütig schaltete Szardak den Sternensog auf maximale Leistung, jagte sein Schiff genau
auf das Zentrum des Magnetfeldes zu, das von drei veränderlichen Sonnen geschaffen wurde.
Es ging ums Ganze.
Jens Lionel und seine Kollegen beobachteten unter nervenzerreißender Spannung die drei
RR-Lyrae-Sterne. Die Sonne im Winkel B stürzte auf ihre halbe Größe zusammen, ein
Vorgang, wie er aus der Nähe bisher so gut wie noch nie beobachtet worden war. Ihre Licht emissionen ließen stark nach.
»Emissionsminimum...« murmelte ein Experte neben Lionel.
»Keine acht Stunden Pulsationszeit. Nicht einmal sieben. Und Szardak meint, er könne mit
dem Kopf durch die Wand. Dieser Narr! Dieser verdammte Narr jagt uns noch alle in den
Orkus...«
Es war ehrlich gemeint. Der Kommandant der PoiNT OF ahnte nicht, was man in der
astronomischen Abteilung über ihn sagte.
Er kontrollierte seine Instrumente, warf der Bildkugel hin und wieder einen Blick zu und ließ
seine Fingerkuppen auf den Steuerschaltern liegen, jederzeit bereit, die POINT OF auf einen
anderen Kurs zu bringen.
Die Belastung der Intervalle war noch immer bedrohlich hoch.
Dennoch fand er Zeit, sich mit den Astrophysikern in Verbindung zu setzen. »Ich möchte,
daß von Dg-45 genaue Karten angelegt werden. Dieser Sternhaufen verliert einen Teil seiner
Gefährlichkeit, wenn man selbst die Nerven behält. Vor allem möchte ich die Position der
einzelnen Magnetfelder genau fixiert haben.«
Das Okay aus der astrophysikalischen Abteilung klang dünn.
»Ob dieser Szardak überhaupt eine Vorstellung von dem hat, was er von uns verlangt?«
76
Aber der Kommandant wußte, was er wollte, und er wußte auch, welche Fachkräfte er an
Bord hatte. Jeder von ihnen mochte seine Eigenheiten haben, doch wenn es darauf ankam,
war die Besatzung aus einem Guß. Die Geschwindigkeit der POINT OF stieg kontinuierlich weiter an. Die Zeit schien trotz der unvorstellbar hohen Überlichtgeschwindigkeit stehenzubleiben. Szardak kontrollierte ein Instrument, das ihm die Wirkung des Reizstrahls anzeigte. Erst durch ihn, der die Inter vallfelder von innen her traf, war ein Ausblick in den Normalraum möglich. Fiel er aus, gab es keine Wiedergabe durch die Bildkugel mehr; dann war die POINT OF praktisch blind. »38 Minuten schon...«, sagte Falluta. Szardak nickte nur. Seit 38 Minuten glaubte er in der Hölle zu stekken. Die Frage quälte ihn: Kommen wir durch oder gehen wir in Dg-45 unter? Aber was war mit der einwandfrei angemessenen Strukturerschütterung, die in diesem Sternhaufen stattgefunden hatte? Befand sich das unbekannte Raumschiff längst nicht mehr in dieser Ballung? Dhark, dachte er wieder und wünschte sich den Commander der Planeten an seine Stelle. Dhark hatte hin und wieder die wunderbarsten Lösungen zur Hand, wenn Experten vor lauter Problemen keinen Ausweg mehr sahen. Aber hätte er auch aus Dg-45 herausgefunden? Denn nichts war unbeständiger als Glück, und Ren Dhark hatte in den vergangenen Jahren, seit der Landung des Kolonistenraumers auf Hope, sehr viel und sehr oft Glück gehabt. Auch jetzt noch, nachdem man ihn verschleppt hatte? »Szardak, wir erreichen in 5,30 Minuten Normzeit das Zentrum des Magnetfeldes...« Das kam aus der astronomischen Abteilung. Der kleine Mann mit dem Pokerface nickte ergeben. Wenn diese Ballung nur ein Magnetfeld gehabt hätte, wäre ihm diese Meldung recht gewesen, aber in Dg-45 wimmelte es regelrecht davon. »Erreichen Zentrum, Szardak...« Er sah es. Tino Grappa an seinen Ortungen auch. In der Funk-Z gab es nichts zu tun. Jeder Funkverkehr lag still. Auch mit dem To-Funk war nichts mehr zu machen. Die Störungen aus dem Hyperspace hatten eine noch nie erlebte Intensität erreicht. 77
Mit 35-facher Lichtgeschwindigkeit, bei einer Belastung von 97,4 Prozent der Intervallfelder und stark gestörten Ortungen raste die POINT OF durch diesen magnetischen Wirbel. Eine Winzigkeit fehlte, um den besten Schutz des Ringraumers zusammenbrechen zu lassen, lächerliche 2,6 Prozent. Und an diese 2,6 Prozent klammerte sich Janos Szardak in Gedanken. Nicht zusammenbrechen! Nur nicht zusammenbrechen...! Stand die Zeit still?
Einmal blieb sein Blick länger auf der Bildkugel haften. Dieser Sternhaufen mit seinen vielen
Sonnen, die wie kalt funkelnde Diamanten aussahen, erinnerte ihn an ein kostbares, mit
edelsten Steinen besetztes Schmuckstück, das aus schwarzem Silber gefertigt worden war.
Aber gegen die Wirklichkeit verblaßte das Bild, und Szardak vergaß, was er einmal gesehen
und bewundert hatte. Er bewunderte jetzt diese Ballung, diese Raumschiff-Falle, in die sein
Schiff immer schneller hineinflog.
»Keine Planeten, Grappa?« Der Ortungsspezialist hatte ihm zu lange geschwiegen.
»In nächster Nähe nicht. Ja, wenn ich mich auf meine Geräte verlassen könnte...«
Das besagte genug, aber es reichte nicht aus, um Janos Szardak zur Umkehr zu bewegen.
Noch waren die 24 Stunden Normzeit nicht um, die Ralf Larsen ihm eingeräumt hatte. Noch
konnte und wollte er seine Suche nicht abbrechen...
Jos Aachten van Haag hatte sich nach seinem Gespräch mit Bernd Eylers zunächst einmal ein
paar Stunden Schlaf gegönnt. Die Ruhepause hatte ein kleines Wunder gewirkt, denn als er
aufwachte, war ihm ganz spontan eine Idee gekommen, wo er mit seinen weiteren
Nachforschungen ansetzen konnte.
Die Raumüberwachungsstation von Cent Field!
Dort sorgte seine Anfrage zunächst einmal für Verwirrung.
»Sie wollen was, van Haag?« fragte der Offizier, der Jos' Anruf entgegengenommen hatte,
verständnislos.
78
»Ich möchte eine Auflistung sämtlicher OrtungsStörungen, unklarer oder verwaschener oder nicht bestätigter Ortungsergebnisse der letzten zwei Jahre«, wiederholte Jos seine Bitte.
Der diensthabende Offizier runzelte die Stirn.
»Wissen Sie eigentlich, was Sie da verlangen?«
»Natürlich. Aber da ich davon ausgehe, daß alle diese Vorkommnisse in den Speichern der
großen Suprasensoren stecken...«
»Und wozu soll das gut sein?« Der Offizier in der Raumüberwachungsstation war noch
immer skeptisch.
»Das kann ich Ihnen leider nicht sagen«, erwiderte Jos. »Sie wissen schon - GSO-Sache,
Geheimhaltung und so weiter...«
Der diensthabende Offizier, der allmählich begriff, daß er nicht darum herumkommen würde,
Jos' Wunsch zu erfüllen, begann mit dem Rückzugsgefecht.
»Wenn's denn anscheinend so wichtig ist... Aber es wird ein paar Tage dauern, van Haag, das
muß ich Ihnen gleich sagen.«
Jos Aachten van Haag hatte das Gefühl, daß er jetzt lange genug geduldig und freundlich
gewesen war.
»Ich erwarte die Daten morgen, Leutnant. Vielen Dank.« Er unterbrach die Verbindung.
»Vernagelter Kommißkopf«, brummte er vor sich hin. Dann fiel ihm ein, was er heute noch
vorhatte, und schlagartig erhellte sich seine Miene.
Schließlich hatte er in knapp drei Stunden eine Verabredung mit einem Captain der Polizei
von World-City - einem überaus gutaussehenden weiblichen Captain...
Der diensthabende Leutnant in der Raumüberwachungsstation von Cent Field starrte noch
einige Sekunden mißmutig auf den Vipho-Bildschirm, nachdem dieser erloschen war.
Typisch GSO, dachte er. Da haben diese Typen irgendeine blödsinnige Idee, und unsereiner hat
davon 'ne Menge Arbeit. Und wer streicht hinterher das Lob ein, wenn die ganze Aktion was
gebracht haben sollte?
Er drehte sich um und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen.
79
Und dann hatte er plötzlich eine Idee.
»Sergeant Meeks, kommen Sie bitte mal zu mir!«
Schließlich hat van Haag mit keiner Silbe verlangt, daß ich die Daten zusammenstelle, dachte der Leutnant.
Wenn er jedoch schon einen Untergebenen auf diese undankbare Aufgabe ansetzen konnte
warum dann nicht Meeks, diesen maulfaulen, ungeselligen Burschen, der noch kein einziges
Mal bei einem ihrer Kameradschaftsabende aufgetaucht war?
Sergeant Meeks nahm den Befehl ohne jede Gemütsbewegung entgegen, genauso, wie er
bisher alle Befehle entgegengenommen hatte.
»Ich würde dann gerne die Nacht durcharbeiten, damit die Daten auch tatsächlich morgen
vorliegen«, schlug er dem Leutnant vor.
»Sehr schön, Meeks, solchen Eifer lob' ich mir.«
»Es gibt da allerdings noch ein kleines Problem, Leutnant... Ich hätte heute abend eigentlich
eine Verabredung... Könnte ich vielleicht noch einmal kurz weg, um...«
»Schon in Ordnung, Meeks«, meinte der Leutnant gönnerhaft. »Sie können den Nachmittag
gern mit Ihrer Liebsten verbringen - vorausgesetzt, Sie sind um 17:00 Uhr wieder hier und
machen sich dann sofort an die Arbeit.«
»Zu Befehl, Leutnant.« Meeks salutierte und marschierte aus der Zentrale der
Raumüberwachungsstation.
Ist schon komisch, dachte der Leutnant, ich hätte nicht geglaubt, daß Meeks eine Freundin
hat. Ob die genauso mürrisch ist wie er?
Aber das war nun wirklich nicht sein Problem, und so wandte sich der Leutnant wieder
seinen eigentlichen Aufgaben zu.
Sergeant Meeks griff zum Vipho, sowie er in seiner Wohnung angekommen war.
»Ich muß Scholf sprechen«, sagte er zu dem Mann, dessen Gesicht auf dem kleinen
Bildschirm erschien.
»Scholf will im Augenblick nicht gestört werden.«
»Sagen Sie ihm, es ist wichtig. Es geht um den GSO-Agenten, diesen van Haag!« sagte
Meeks drängend.
Das Gesicht verschwand.
80
Kurze Zeit später erschien Scholf im Bild.
»Was gibt es, Meeks?«
Sergeant Meeks erzählte Scholf von dem Auftrag, den er vor wenigen Minuten erhalten hatte.
Der Mann am anderen Ende der Leitung überlegte nur kurz.
»Dieser van Haag wird allmählich zu einem echten Problem. Wir werden uns um ihn
kümmern. Sie, Meeks, sorgen dafür, daß er oder irgendein anderer GSO-Agent keinerlei
verwertbare Daten erhält.«
»Aber... man wird merken, daß ich die Daten manipuliert habe. Damit ist meine Tarnung
hin.« Meeks war ein bißchen verwirrt.
»Das ist.nicht wichtig, Meeks. Wenn Sie Ihren Auftrag erfüllt haben, müssen Sie eben
untertauchen. Begeben Sie sich zum Treffpunkt Trak-22; ein Jett wird Sie dort morgen um
20:00 Uhr Ortszeit abholen. Seien Sie pünktlich!« Der Bildschirm erlosch.
Meeks sah auf die Uhr. Es war noch genug Zeit, dafür zu sorgen, daß die GSO in diesem
Apartment nichts mehr von Bedeutung finden würde, wenn Eylers' Männer nach ihm zu
suchen begannen.
Schnell und gewissenhaft machte er sich an die Arbeit.
Um kurz vor fünf verließ er sein Apartment. Er warf keinen Blick zurück. Er würde nie mehr
hierher zurückkehren.
Jos Aachten van Haag war bester Laune.
Kein Wunder, schließlich hatte er einen überaus angenehmen Nachmittag in Gesellschaft von
Mirjam Maitland verbracht, und er war überzeugt davon, seinem Ziel einen großen Schritt
näher gekommen zusein.
Natürlich hatte er nichts Neues über Les Silvano, den immer noch untergetauchten Captain
des WCPD erfahren, aber in anderer Hinsicht war der Nachmittag wirklich sehr gut
verlaufen.
Wenn auch nicht optimal, wie er sich mit leisem Bedauern eingestehen mußte; sonst würde er
jetzt wohl kaum den Jett-Landeplatz auf dem Dach des Wohnblocks ansteuern, in dem sich
sein Apartment befand.
Jos hatte eine schwer zu erklärende Aversion gegen die Stielbauten; er zog ein Hochhaus
konventioneller Bauweise vor.
81
Auf dem Landeplatz befanden sich nur einige wenige Fahrzeuge, und so hatte er keinerlei
Schwierigkeiten, seinen Jett auf einer seiner Lieblingsstellflächen zu landen - so nah wie
möglich an der Kuppel in der Mitte des Dachs, unter der sich der Zugang zu den A-Grav-
Lifts befand.
Jos stieg aus seinem Jett und ging zur Kuppel hinüber. Vor dem Eingang stand eine junge
Frau mit blaugrün gefärbten Haaren, die anscheinend Probleme hatte, ihre ID-Karte in das
Lesegerät zu schieben. Als Jos näher herankam, wurde ihm auch klar warum - die Frau war
reichlich beschwipst.
»Kann ich Ihnen helfen?« fragte Jos sanft.
»Wa...?« Die Frau drehte sich vorsichtig um, dabei fiel ihr die ID-Karte aus der Hand.
Höflich, wie er nun einmal war, bückte sich Jos reflexartig, um die Karte aufzuheben.
Das rettete ihm das Leben!
Dort, wo sich Sekundenbruchteile zuvor noch sein Kopf befunden hatte, stand plötzlich die
Energiebahn eines Blasters in der Luft.
Jos ließ sich fallen, drehte sich noch in der Bewegung und zog seine eigene Waffe.
»Runter, runter, verdammt, werfen Sie sich zu Boden!« rief er der verwirrten Frau zu,
während er gleichzeitig herauszufinden versuchte, woher der Schuß gekommen war.
Still und ruhig lag der Landeplatz im Dämmerlicht vor ihm. Jos fixierte einen Jett nach dem
anderen - nichts...
Aus dem Augenwinkel nahm er eine Bewegung war. Er wirbelte herum - und blickte in die
Mündung eines Blasters, den die junge Frau mit der blaugrünen Mähne in der Hand hielt.
Auf einmal wirkte sie überhaupt nicht mehr beschwipst.
Jos reagierte wie ein Automat.
Er warf sich zur Seite, feuerte - und wurde von den Jetts her unter Feuer genommen. Der
Strahlschuß fauchte so nah vorbei, daß er ihm schier die Haare versengte.
Und wieder - herumwirbeln, feuern...
Das dauernde GSO-Training machte sich bezahlt.
Ein Schrei erklang von den Jetts her. Das Blasterfeuer erstarb.
82
Jos richtete sich vorsichtig halb auf und blickte sich um.
Über sein Spezial-Vipho rief er die GSO. Dann erst sah er nach seinen Gegnern.
Der Frau war nicht mehr zu helfen. Jos' Schuß hatte sie voll in den Brustkorb getroffen.
Mit einer resignierenden Geste schloß der GSO-Agent ihre weit aufgerissenen, gebrochenen
Augen und registrierte erst jetzt, wie hübsch die Frau gewesen war.
Dann ging er vorsichtig zu dem Jett hinüber, hinter dem sich sein zweiter Gegner versteckt
gehalten hatte.
Der Mann lebte noch.
Genug, um Jos haßerfüllt anzustarren und ihm einen wütenden Satz entgegenzuschleudern,
bevor er endgültig starb:
»Schoifwird dich erwischen, Verdammter!« Jos hatte das Gefühl, jemand hätte einen Eimer mit Eiswasser über ihm ausgeschüttet.
Er hatte es geahnt, aber etwas zu ahnen oder den Beweis geliefert zu bekommen, waren
immer noch zwei ganz verschiedene Dinge.
Doch jetzt lag der Beweis hier vor ihm. Denn der Satz, den ihm der Sterbende zugerufen
hatte, ließ nur eine Erklärung zu: Der Mann war ein Robone!
Zwar ein toter Robone, aber Jos wußte, daß sich die Gehirnstruktur der Robonen von der
gewöhnlicher Terraner unterschied. Minimal, aber durch eine Obduktion zweifelsfrei
feststellbar.
Das war der Beweis, den er brauchte, um Eylers davon zu überzeugen, daß er nicht
irgendwelchen Hirngespinsten nachjagte.
Es gab Robonen auf der Erde, die sich unerkannt unter die normale Erdbevölkerung gemischt
hatten. Mochte der Himmel wissen, woher sie kamen oder was sie planten.
Doch wieso war der Anschlag auf ihn gerade jetzt erfolgt? Was hatte er getan, was die
Robonen - Jos zweifelte nicht eine Sekunde daran, daß es eine größere Gruppe war, zu der
auch Captain Silvano und dieser Dr. Keller gehörten - aufgeschreckt hatte?
Der Donner einer Explosion rollte über das Flachdach.
83
Jos wirbelte herum. Dort, wo die Frau gelegen hatte, gähnte ein gezacktes Loch in der
Wandung der Kuppel über den A-Grav-Schächten.
»Nein«, flüsterte er, »nein, das nicht!«
Doch sicherheitshalber brachte er etwas mehr Abstand zwischen sich und den zweiten Toten.
Augenblicke später gab es eine zweite Detonation. Der Jett, hinter dem der tote Robone
gelegen hatte, schwankte und kippte dann wie in Zeitlupe um. Seine Seite war meterweit
aufgerissen.
»Soviel zu deinen >Beweisen<, Schlauberger«, sagte Jos im Selbstgespräch. »Du bist immer
noch keinen Schritt weiter!«
Nachdenklich schritt er zu seinem Jett hinüber, um dort auf das Eintreffen seiner Kollegen zu
warten.
Während er sich in den gepolsterten Sitz gleiten ließ, durchzuckte ihn schlagartig ein
Gedanke.
Er wußte plötzlich, wieso gerade jetzt dieser Anschlag auf ihn verübt worden war! Und er
wußte auch, wo er die Spur wieder aufnehmen konnte.
Alles, was er brauchte, war eine Stunde Zeit und zwei, drei vertrauenswürdige Kollegen.
84
6. Colonel Frederic Huxley saß in seiner Kabine an Bord der POLLUX. Er hatte sich in den vergangenen zwei Wochen, seit der Defekt am Transitionstriebwerk aufgetreten war, erstaunlich häufig in diesem kleinen Raum aufgehalten. Ein Grund war, daß er sich so wenig wie möglich in die Belange der Schiffsführung einmischen wollte. Schließlich war die POLLUX Captain Gutmundssons Schiff. Als ranghöchster Offizier an Bord besaß er zwar die Befehlsgewalt, dennoch fühlte sich Huxley
eher wie ein Gast auf dem 200-m-Raumer der Hunter-Klasse.
Aber es gab noch einen weiteren Grund. Einen, den sich der hagere, grauhaarige Colonel
selbst nur zögernd eingestanden hatte: Er vermißte seine Männer, mit denen er jetzt schon
seit Jahren durch das dunkle Nichts flog.
Prewitt und die Wachmannschaft waren zusammen mit der FO-1 verschwunden, und
Maxwell und Erkinsson und die restlichen Besatzungsmitglieder der FO-1 waren mit einem
der beständig zwischen Terra und Hope pendelnden Schiffe zur Erde geflogen, um dort die
letzten Handgriffe bei der Fertigstellung eines neuen Experimental-raumers zu überwachen.
Huxley seufzte.
Diese untätige Warterei zerrte an den Nerven. Er wünschte sich, daß endlich etwas geschehen
würde.
»Colonel Huxley, könnten Sie bitte in die Zentrale kommen«, ertönte Captain Gutmundssons
Stimme aus dem Lautsprecher der Bordverständigung.
»Huxley hier; ich bin sofort bei Ihnen«, teilte er dem Kommandanten der POLLUX mit.
Gleichzeitig stand er auf, streckte sich kurz und verließ dann die Kabine.
Die Zentrale der POLLUX schwirrte vor Aktivität.
85
Gutmundsson blickte auf, als Huxley an den Piloten-Sessel herantrat.
»Wir haben einen Notruf aufgefangen, Colonel«, begann der hünenhafte Isländer zögernd.
Seine Sprechweise wirkte sogar noch ein bißchen schleppender als sonst.
»Von einem unserer Schiffe?« stellte Huxley die sich aufdrängende Frage.
Wortlos reichte ihm Gutmundsson eine Folie.
SOS... SOS... Hier spricht Roger Sercu an Bord eines Beibootes der NASHRAM. Ich habe nur noch Sauerstoff für wenige Stunden. Helfen Sie mir... Die NASHRAM wurde von einem Weltraummonster vernichtet... SOS... SOS... Huxley runzelte die Stirn.
»Klingt ziemlich eigenartig, nicht wahr?« fragte Gutmundsson. »Aber wir haben den Notruf
klar und deutlich empfangen. Wer immer dort um Hilfe ruft - er tut es in Terranisch!«
Die Falten auf Huxleys Stirn vertieften sich.
»Kennen Sie einen terranischen Raumer namens NASHRAM?« wandte sich der Colonel
schließlich an den Kommandanten der POLLUX.
Gutmundsson schüttelte bedächtig den Kopf.
»Nein. Aber das muß nichts heißen. Ich habe nicht alle Namen der Neubauten im Kopf, die in
den letzten Monaten vom Band gelaufen sind.«
»Aber ich«, erwiderte Huxley. »Es gibt kein Schiff der TF mit dem Namen NASHRAM.«
Sein Tonfall duldete keinen Widerspruch. Aber der Isländer wußte ohnehin, daß Huxley ein
Raumschiffnarr war, der das terranische Flottenprogramm genau verfolgte. Wenn der
Colonel sagte, daß es in der TF keinen Raumer mit dieser Bezeichnung gab, dann entsprach
das ziemlich sicher den Tatsachen.
Etwas ratlos sah Gutmundsson Huxley an.
»Aber wer ruft dann da um Hilfe?«
Huxleys Blick war noch immer starr auf die Folie in seiner Hand geheftet. Ohne den Kopf zu
heben, antwortete er nachdenklich: »Das möchte ich auch gerne wissen, Captain... Haben Sie
feststellen können, woher der Notruf kommt?«
86
»Aus einem Sonnensystem, das knapp dreieinhalb Lichtjahre entfernt in Richtung der
Koordinate Grün liegt.«
Endlich riß sich Huxley vom Anblick der Folie los. Fragend sah er Gutmundsson an.
»Wieweit ist Chief Orloff mit den Reparaturen?«
Gutmundsson lächelte breit.
»Fast zum gleichen Zeitpunkt, zu dem wir den Notruf aufgefangen haben, hat mir Orloff
gemeldet, daß unser Transitionstriebwerk wieder in Ordnung ist - mit den bekannten
Einschränkungen natürlich.« Er reckte seine mächtige Gestalt. »Wir könnten also
nachsehen...«
Huxley überlegte. Dann sagte er: »Die Entscheidung liegt bei Ihnen, Captain, schließlich ist
die POLLUX Ihr Schiff. Aber es wäre vielleicht wirklich gar nicht so dumm, unser
Triebwerk mit einer Kurz-Transition über... sagen wir dreieinhalb Lichtjahre zu testen, bevor
wir den großen Sprung nach Terra wagen.«
Gutmundsson nickte.
»Genau das gleiche habe ich auch gedacht. Wollen Sie die Transition in der Zentrale
verfolgen?« Der Isländer wies mit der Hand auf den Sitz des Copiloten. »Vendricks hat
sowieso Freiwache...«
Huxley nahm das Angebot nur zu gern an. Alles war besser, als untätig herumzusitzen...
Die Transition gelang ohne Probleme - und ohne die geringste Abweichung von den
errechneten Koordinaten.
»Ihr Chief hat gute Arbeit geleistet«, sagte Huxley anerkennend zu Gutmundsson.
Der Captain nahm das Kompliment lächelnd entgegen.
»Wir haben die ersten Ortungsergebnisse, Captain!« meldete der Mann am Ortungspult.
»Lassen Sie hören, McDuffy!«
»Wir befinden uns am Rande eines Sonnensystems mit sieben Planeten. Muttergestirn vom
GO-Typ. Planet Nummer zwei liegt in der Zone, in der Leben möglich ist, und besitzt eine
Sauerstoffatmosphä-re; Nummer eins dürfte merkurähnlich sein, die Planeten drei bis sieben
sind Gasriesen.«
87
»Irgendwelche Hinweise auf Intelligenzen? Energieemissionen oder etwas in der Art?«
unterbrach Gutmundsson den dunkelhäutigen Ortungsoffizier.
»Nein, keinerlei Emissionen oder sonstige Hinweise auf intelligentes Leben.«
»Funksignale?« Die Frage galt der Funk-Z.
»Negativ, Captain. Der Äther ist auf allen Frequenzen stumm.«
Gutmundsson warf Huxley einen fragenden Blick zu.
»Und was jetzt?«
»Jetzt brauchen wir Glück«, erwiderte der grauhaarige Colonel, »wenn wir das Beiboot
finden wollen, von dem dieser ominöse Notruf stammt. Doch in der Zeit, in der Sie das
Sonnensystem abtasten, würde ich mir gerne mal diesen Sauerstoffplaneten ansehen.«
Gutmundsson nickte. Er tastete die Bordverständigung ein: »Dorff, in den Beiboothangar. Sie
werden mit Colonel Huxley zu der Sauerstoffwelt fliegen, die wir gerade entdeckt haben.«
Huxley erhob sich.
»Ich bin bald zurück. Ich will mich nur kurz umsehen.« Mit diesen Worten verließ er die
Zentrale.
Gutmundsson stand auf und schlenderte zum Ortungspult hinüber.
»Also gut, McDuffy, zeigen wir dem Colonel, daß wir unser Handwerk verstehen.«
Colonel Frederic Huxley hätte selbst nicht sagen können, was ihn auf die Idee gebracht hatte,
sich den Sauerstoffplaneten anzusehen. Es war ein vages, unbestimmtes Gefühl gewesen.
Keine Vorahnung, aber doch intensiv genug, um ihm nachzugeben.
Dorff, ein wortkarger, bulliger Mann, jagte das diskusförmige Beiboot - eine etwas größere
Weiterentwicklung der alten Boote vom Typ >Linse< - dem Planeten entgegen.
Huxley hing derweil seinen eigenen Gedanken nach.
Wo mag die FO-1 jetzt sein? Existiert sie noch irgendwo, in fremden, unbekannten Dimensionen? Und Prewitt und die anderen - sind sie noch am Leben, oder wurden sie in eine andere, für uns unvorstellbare Daseinsform transformiert? 88
Er dachte an die Abenteuer, die er mit seinen Männern erlebt hatte, an die erste Begegnung
mit den Nogk.
Irgendwie wollte er einfach nicht glauben, daß es nie wieder so sein würde, daß er Prewitt
und die anderen und sein Raumschiff nie mehr wiedersehen würde.
»Wir tauchen gleich in die Atmosphäre ein, Sir«, sagte Dorff. Es waren seine ersten Worte,
seit das Beiboot den Hangar der POLLUX verlassen hatte.
Huxley richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das, was sich jenseits der
Direktsichtkuppel abspielte.
Die Linse berührte die obersten Luftschichten und stieß stark verzögernd tiefer hinab. Die
erhitzten Luftmassen ließen den Schutzschirm aufglühen, doch die heftigen Reaktionen
wurden sofort schwächer, als das Beiboot etwas langsamer geworden war.
Huxley las von einem kleinen Bildschirm die Daten der Ortungsergebnisse ab, die sie
während ihres Anflugs auf die fremde Welt erhalten hatten.
Sauerstoffplanet; Zusammensetzung der Lufthülle: 22,1 % Sauerstoff, 69,8 % Stickstoff, 6 % Helium und andere Edelgase; Schwerkraft: 0,9 G; Verhältnis Wasser/Festland: 80/20; 2 Kontinente, 3 ausgedehnte Insel-Archipele; Rotation:... Sie überflogen mittlerweile in einer Höhe von einigen tausend Metern einen der beiden
Kontinente.
»Was suchen Sie eigentlich, Sir?« fragte Dorff.
»Das weiß ich selbst nicht so recht«, erwiderte Huxley mit einem entschuldigenden Lächeln.
Ȇberfliegen Sie einfach die beiden Kontinente und diese drei Archipele und lassen Sie
dabei sämtliche Auf-zeichnungsgeräte laufen. Wer weiß, vielleicht finden wir wirklich etwas
von Bedeutung...«
»Aye, Sir«, nickte Dorff und konzentrierte sich wieder auf seine Schalter und Instrumente.
Stunden vergingen. Die Welt, die sich unter dem Beiboot ausbreitete, machte einen fast
paradiesischen Eindruck. Auf den Kontinenten gab es Gebirge, die nirgends höher als 3000
Meter waren, und ausge 89
dehnte Waldflächen. Zu den Küsten hin wurden die Wälder von Buschwerk und
grasbewachsenen Ebenen abgelöst.
Die auf der Höhe des Äquators gelegenen Archipele trugen ebenfalls eine üppige Vegetation.
Hinweise auf intelligentes Leben oder gar eine Zivilisation gab es hingegen keine. Nur
gewaltige Tierherden, die durch die Ebenen zogen, und farbenprächtige Vögel, die besonders
über den Inseln den Luftraum bevölkerten.
»Sollen wir noch etwas tiefer gehen und eine weitere Runde fliegen?« fragte Dorf f.
Huxley seufzte. Allmählich glaubte er selbst nicht mehr daran, daß sie auf diesem Planeten
irgend etwas finden würden, aber noch wollte er nicht aufgeben.
»Fliegen Sie noch ein letztes Mal die Insel-Archipele ab und gehen Sie nochmal 1000 Meter
tiefer.«
Dorff nickte wortlos.
»Hier Captain Gutmundsson von der POLLUX. Colonel Huxley, können Sie mich hören?«
Huxley griff zum Funkgerät.
»Ich höre Sie, Gutmundsson.«
»Wir haben eine im Raum treibende Linse geortet und werden sie gleich auffischen. Haben
Sie auf dem Planeten etwas Interessantes entdeckt?«
»Nein, Gutmundsson... Wir werden noch eine Inselgruppe überfliegen und dann zur
POLLUX zurückkehren. Halten Sie mich auf dem Laufenden. Huxley, Ende.«
»In Ordnung, Huxley, ich werde mich wieder melden, wenn wir die Linse an Bord
genommen haben. Gutmundsson, Ende.«
Huxley lehnte sich in seinem Sitz zurück.
Eine Linse? Wen oder was würde die POLLUX da wohl auffischen? Die ganze Geschichte
wurde immer eigenartiger.
Er blickte aus der Kuppel und mußte blinzeln, da er fast genau in die Sonne gesehen hatte.
Ein Reflex auf einer der kleineren Inseln erweckte seine Aufmerksamkeit.
»Dorff, fliegen Sie bitte eine Schleife und gehen Sie tiefer. Ich möchte im Tiefflug über die
Insel dort drüben fliegen.«
90
Er zeigte dem Piloten, welches Eiland er meinte.
Dorff brachte die Linse in Schräglage und steuerte auf die von Huxley bezeichnete Insel zu.
Da - wieder der Reflex!
Ein mehrere Quadratkilometer großes, völlig ebenes und vegetationsloses Areal schien von
einem schillernden, in allen Farben leuchtenden Ring eingefaßt zu sein.
Dann war es wieder vorbei.
»Noch tiefer gehen, Dorff! Fliegen Sie ganz flach über die kahle Fläche dort vorn!«
Die Linse sank noch tiefer.
Und wieder das Glitzern.
Auf einmal überlief es Huxley eiskalt. Er hatte ein solches Schillern und Glitzern schon
einmal gesehen.
Auf Hope! An jener Stelle, von der seine FO-1 spurlos verschwunden war!
»Aber das ist doch nicht möglich«, flüsterte er.
Wenige Minuten später gab es keinen Zweifel mehr. Auf der Insel unter ihnen gab es eine fast 100 Quadratkilometer große Fläche, die von einer schillernden, vielleicht 300 Meter breiten Norexal-Schicht umgeben war. »Was hat hier gestanden? Was hat das Monster verschwinden lassen? Es kann nicht nur ein Raumschiff gewesen sein. Aber was dann? Eine Stadt?« murmelte Huxley im Selbstgespräch. Dorff, der sich nicht angesprochen fühlte, schwieg. Huxley gab sich einen Ruck. »Hier gibt es für uns sonst nichts mehr zu sehen, Dorff. Fliegen Sie zur POLLUX zurück!« Dorff zog die Linse steil nach oben und beschleunigte. Das kleine Beiboot durchstieß die Atmosphäre und jagte dann im freien Raum immer schneller werdend seinem Mutterschiff entgegen. »Huxley an POLLUX. Wir befinden uns auf dem Rückweg. Haben Sie die Linse schon aufgefischt?« Sigurdur Gutmundsson beugte sich leicht nach vorn. »Gutmundsson hier, Colonel. Wir haben die Linse gerade an Bord 91 genommen. Ich werde jetzt gleich in den Hangar gehen und mir unseren Fund selber einmal genauer ansehen. Wann werden Sie hier sein?« Unverständliches Gemurmel aus dem Lautsprecher. Dann: »Dorff meint, in zwanzig Minuten müßten wir die POLLUX erreicht haben.« »In Ordnung, Colonel. Vielleich habe ich dann schon Neuigkeiten für Sie!« »Hoffentlich bessere als ich«, erwiderte Huxley. Die Verbindung brach ab. Gutmundsson runzelte die Stirn. Huxley hatte schlechte Neuigkeiten? Und warum teilte er sie dann nicht über Funk mit? Ach, was soll's, dachte der hünenhafte Isländer. Huxley wird schon noch erzählen, was er auf diesem Planeten entdeckt hat. Sehen wir uns lieber mal an, was wir da an Bord genommen haben. Über A-Grav-Schächte und Laufbänder erreichte Gutmundsson schnell den Hangar im oberen Schiffsdrittel. Rund um die Linse herum standen Wissenschaftler, Techniker und einige Raumsoldaten mit gezogenen Blastern. Das Einstiegsluk des kleinen Beiboots war offen. »Vorsichtig«, hörte Gutmundsson, »so, und jetzt laßt ihn langsam herunter...« Er drängte sich durch die Umstehenden und kam gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie ein junger Mann durch das Einstiegsluk heruntergelassen und auf eine Trage gelegt wurde. Der Mann rührte sich nicht. »Ist er... tot?« fragte Gutmundsson Dr. Cassim, den Bordarzt, der jetzt ebenfalls aus der Luke kletterte. Der Mediziner schüttelte den Kopf. »Nur bewußtlos. Sauerstoffmangel und hochgradige Erschöpfung, würde ich auf die Schnelle sagen. Lassen Sie mich ein paar Untersuchungen durchführen, dann wissen wir mehr.« Gutmundsson nickte. Während die Techniker begannen, sich die Linse genauer anzusehen, wurde der Schiffbrüchige aus dem Hangar geschafft. Die Trage war schon fast durch das Schott, da riß der Mann die Augen auf. Gutmundsson wirbelte herum, als der Fremde sich aufbäumte und zu schreien begann. 92 »Es frißt uns alle, das Monster, es kommt... es greift nach uns... die NASHRAM, wo... und Noura... nein, nein!!« Der Mann fiel auf die Trage zurück. Gutmundsson erschauerte. Noch niemals in seinem Leben hatte er solches Entsetzen in den Augen eines Menschen gesehen. »Das Nor-ex war hier, daran dürfte es keinen Zweifel mehr geben«, sagte Frederic Huxley, als er wenig später zusammen mit dem Kommandanten der POLLUX in dessen Kabine saß. »Es paßt alles zusammen - die Norexal-Fläche auf dem Planeten, das Gestammel des Schiffbrüchigen...« Gutmundsson nickte schwerfällig. »Wahrscheinlich haben Sie recht, Huxley, aber ich frage mich: was hat das Nor-ex auf
diesem Planeten verschwinden lassen?« Huxley starrte den Isländer an, ohne ihn richtig wahrzunehmen. Er versuchte, sich aus den vorliegenden Fakten ein klares Bild zu verschaffen. »Wenn ich das wüßte...« sagte er langsam. »Die von der Norexal-Schicht umgebene Fläche auf dem Planeten ist zu groß, als daß dort nur ein Raumschiff - oder meinetwegen auch mehrere Raumschiffe -gestanden haben könnte. Dann müßte es schon eine ganze Flotte gewesen sein... oder... eine Stadt?« »Aber... was für eine Stadt? Ich meine«, der bedächtige Isländer suchte nach Worten, »wer sollte diese Stadt gebaut haben? Der Schiffbrüchige ist zweifelsfrei ein Mensch, das haben Dr. Cassims Untersuchungen bereits ergeben. Doch wir Menschen haben in dieser Ecke des Alls niemals einen Planeten kolonisiert...« Huxley zuckte die Schultern. »Mag sein. Andererseits sind vor der Giant-Invasion mehrere Raumschiffe mit Kolonisten ins All geflogen. Vielleicht hat es einen dieser Raumer hierher verschlagen und... der TimeEffekt hatte seine Tücken!« Mit diesen Worten spielte Huxley auf den mißglückten Flug der GALAXIS an - und darauf, daß auch seine FO-1 beinahe irgendwo in der Unendlichkeit gestrandet wäre. Nur die Begegnung ntit den Nogk hatte ihn und seine Männer gerettet. 93 »Aber hätten Sie dann auf diesem Planeten nicht noch mehr finden müssen - das Raumschiff etwa, oder sonstige Spuren?« Gutmundsson war von Huxleys Theorie nicht überzeugt. Der grauhaarige Colonel zuckte noch einmal die Schultern. »Mag sein. Ich weiß es nicht. Doch was auch immer das Nor-ex auf dieser Welt verschlungen haben mag - ich habe das verdammte Gefühl, daß wir schleunigst zur Erde zurückkehren sollten.« Gutmundsson nickte stumm. Zumindest in diesem Punkt war er mit Huxley vollauf einer Meinung. Ralf Larsen, der Kommandant der HOPE, hatte für Stunden das Schiff an seinen Ersten Offizier abgegeben und schlief in seiner Kabine. Ein Traum quälte ihn. Er sah die Raubtierköpfe der Giants, die ihn aus allen Richtungen anblickten und ihn zu verhöhnen schienen. Er versuchte an seinen Blaster zu kommen, doch seine Hände waren gelähmt. Über einen Bildschirm, wie er ihn noch nie gesehen hatte, konnte er die POINT OF beobachten, die von Robotkugeln eingeschlossen war und sich durch Strahlfeuer nach allen Seiten gegen die Übermacht wehrte. Der CAL straft euch Verdammte! In Larsens Kopf dröhnte die fremde, unbekannte Stimme.
Wir sind Verdammte, dachte der träumende Colonel und wälzte sich auf seinem Lager wild
hin und her.
Verdammte...
Und die anderen, die Giants, waren die All-Hüter, die Wächter des Universums!
So war es. So einfach. Und die Terraner gehörten zu der Rasse, die verdammt war! Er! Ren
Dhark! Dan Riker! Alle, alle Milliarden Terraner!
Er wollte schreien, als er die POINT OF auseinanderbrechen sah!
Pressorstrahlen ließen das herrliche Schiff zerbersten. Das Unitall konnte dem Druck der
titanischen Strahlen nicht mehr standhalten. Der Hohlring zerbröckelte.
Fetzen jagten durch den Raum, Leiber, Trümmer!
Der Raum fraß alles. Die POINT OF und ihre Besatzung.
94
Er hörte Janos Szardak schreien! Szardak schrie um Hilfe. Im leeren Raum. Er rief nach der
HOPE, nach dem Flottenverband.
»Wir können nicht kommen! Wir können nicht helfen!« stöhnte der Schlafende und drückte
in einer verzweifelten Geste seine Fäuste gegen die Stirn.
Der CAL straft euch Verdammte! Wieder hörte er die unbekannte Stimme. Sie verhöhnte ihn. Sie verhöhnte alle Menschen, alle
Verdammten!
»Nein...« brüllte Ralf Larsen. »Nein! Tötet die Besatzung der POINT OF nicht. Laßt sie
leben. Laßt sie leben...«
Er hatte keine Ahnung, wie laut er schrie. Er sah Menschen in M-Raumanzügen unter der
Macht von Pressorstrahlen davonjagen. Hinein in den Abgrund aus Zeit und Raum, hinein in
die Ewigkeit, aus der es keine Rückkehr gab!
Da stießen die Köpfe der Giants, die ihn umringten, herab. Er sah ihre Hände. Er sah Waffen.
Blaster. Rund um ihn herum blitzte es auf - Strahlbahnen schössen auf ihn zu.
Auch er war zum Sterben verurteilt, durch die Wächter des Alls, die All-Hüter!
»Nein!« brüllte er in Todesangst und versuchte, ihnen die Waffen aus den Händen zu
schlagen.
Seine Bewegungen waren zu stürmisch, zu panisch. Er bewegte sich zu wild und fiel aus dem
Bett.
Der Aufprall weckte ihn. Schweißüberströmt kam er zu sich. »Große Milchstraße...« stöhnte
er, raffte sich auf, stand vor seinem Bett und sah es wie einen Fremdkörper an. Mit einer
müden Bewegung wischte er sich über die Stirn.
Ich habe geträumt, dachte er, ich habe einen blödsinnigen Traum gehabt. Der CAL und die
Giants sind längst Vergangenheit. Es gibt sie nicht mehr!
Aber damit konnte er seine Sorge um die POINT OF nicht verscheuchen.
Der Ringraumer befand sich zur Zeit in der Sternballung Dg-45. Das Schiff suchte nach Ren
Dhark, nach einer erdähnlichen Welt in diesem Sternhaufen, der über ein anormales
Magnetfeld verfügte.
Larsen riß sich das durchgeschwitzte Schlafzeug vom Leib, betrat
95
die Duschzelle und empfand die kalten Wasserstrahlen als Wohltat. Aber die Unruhe blieb.
Hastig kleidete er sich an. Ein Blick auf sein Chrono verriet ihm, daß er kaum zwei Stunden
geschlafen hatte.
Seit siebzehn Stunden befand sich der Ringraumer in der Ballung. Seit siebzehn Stunden
hatte er sich nicht mehr gemeldet.
Er kann sich ja nicht melden, überlegte Larsen. Allein die Störungen des galaktischen
Magnetfeldes machen Hyperfunkverkehr über größere Distanzen fast unmöglich. Wir können
ja auch kaum die Erde erreichen. Szardak wird mit der POINT OF zurückkommen.
Nur fiel es ihm schwer, seine eigenen Überlegungen zu glauben. Jenes Traumbild wollte
nicht verschwinden, das ihm die auseinanderbrechende POINT OF gezeigt hatte.
Als Larsen in der Zentrale der HOPE erschien, trafen ihn erstaunte Blicke. Der Kommandant
hatte doch vorgehabt, wenigstens sechs oder sieben Stunden zu schlafen, und war nach zwei
Stunden Ruhe schon wieder im Leitstand.
»Nachricht von der POINT OF?« fragte er und versuchte, sich lässig zu geben.
»Nichts, Colonel! Wir erwarten auch keine Funksprüche...« Erstaunt gab ihm der Erste diese
Antwort. Zwischen dem Flottenver-band und der POINT OF war doch Funkstille vereinbart
worden, bevor der Ringraumer in den Sternhaufen eingeflogen war.
»Danke...« Er nahm im Copilotensitz Platz, ein Zeichen, daß er den Kugelraumer noch nicht
übernehmen wollte. »War sonst etwas?« Es war nicht üblich, daß er diese Frage stellte.
Wichtige Dinge wurden ihm automatisch mitgeteilt.
Es gab nichts zu melden.
Sechs Stunden später tauchte die POINT OF wohlbehalten und unversehrt auf.
Larsen konnte einen erleichterten Seufzer nicht unterdrücken, als Szardak sich über Funk
meldete.
»Und - wie war der Ausflug in die Hölle, Janos?«
Janos Szardaks Gesicht auf dem kleinen Bildschirm wirkte so un 96
bewegt wie immer. Doch die Anspannung der vergangen Stunden hatte ihre Spuren
hinterlassen.
»Noch schlimmer«, sagte er leise. »Diese Sternballung ist eine einzige Todesfalle.«
»Und - haben Sie etwas entdeckt?«
»Ja und nein, Ralf. Wenn Sie wissen wollen, ob wir eine Spur von Ren Dhark gefunden
haben - nein! Aber wir haben mehrere Sonnensysteme mit Planeten in der Lebenszone
gefunden, und wir haben eine ganze Reihe von Punkten ausgemacht, an denen ein Wiederein tauchen ins normale Raum-Zeit-Gefüge problemlos möglich ist. Der Checkmaster wird Ihnen
die entsprechenden Koordinaten rüberschik-ken. Dann können Ihre Schiffe direkt in den
Sternhaufen transitieren und die bewußten Sonnensysteme anfliegen.« Das war eine lange Rede für den ansonsten eher schweigsamen Szardak. Larsen nickte gedankenverloren. Das war zumindest etwas. »Ich würde allerdings vorschlagen, daß immer mindestens fünf Ihrer Schiffe gemeinsam operieren. Alles andere wäre angesichts der in Dg-45 herrschenden Verhältnisse selbstmörderisch«, ergänzte Szardak seinen Bericht. »Aber dann dauert es Wochen, ach was, Monate, die Sternballung einigermaßen gründlich zu durchkämmen, Janos.« Ralf Larsen machte ein unglückliches Gesicht. »Mag sein«, erwiderte Szardak, »aber es ist die einzige Möglichkeit. Und Sie wissen, daß ich recht habe! Außerdem sollten wir nicht vergessen, daß das Nor-ex wieder aktiv geworden ist. Wollen Sie riskieren, daß einer Ihrer Raumer von dem Monster angegriffen wird und noch nicht einmal einen Notruf absetzen kann?« Ralf Larsen seufzte. Er trug die Verantwortung für die Männer, die unter seinem Kommando standen. Und er mußte zugeben, daß Szardak recht hatte. Er durfte das Leben seiner Leute nicht so leichtfertig aufs Spiel setzen. Noch nicht einmal, wenn es darum ging, den Commander zu retten. Ren Dhark würde das niemals wollen. »In Ordnung, Janos, Sie haben mich überzeugt. Schicken Sie die Koordinaten rüber, ich werde inzwischen den Flottenverband in Fünfergruppen aufteilen...« 97 In der POLLUX lief der letzte Check vor dem großen Sprung, der den Kugelraumer mit einem Schlag zurück nach Terra bringen würde. Captain Gutmundsson und sein Erster Offizier Vendricks saßen am Steuerpult und nahmen die Klarmeldungen der einzelnen Stationen entgegen. Von einem Sitz neben dem Ortungspult aus verfolgte Co-lonel Huxley die Vorbereitungen zur Transition. Die Besatzung der POLLUX war ein gut eingespieltes Team, und Captain Gutmundsson trotz seiner etwas bedächtigen Sprechweise ein hervorragender, reaktionsschneller Kommandant. Unwillkürlich zog Huxley Vergleiche mit seinen eigenen Männern. Die Besatzung der POLLUX schnitt kaum schlechter ab - und Huxleys FO-1-Crew galt als die vielleicht beste der ganzen Flotte. Die PoiNT OF zählte in diesem Fall nicht; der Ringraumer nahm in mehr als einer Hinsicht eine Sonderstellung innerhalb der TF ein. »Cassim hier«, erklang plötzlich die Stimme des Bordarztes aus den Lautsprechern der Bordverständigung. »Unser Schiffbrüchiger ist aufgewacht und... ich glaube, Sie sollten sich das einmal ansehen, Captain.« »Ist das denn so wichtig, Cassim? Wir stecken mitten in den Transitionsvorbereitungen...« »Ich weiß, Captain, aber ich glaube, es wäre wirklich nicht schlecht, wenn Sie hierher kämen.« Gutmundsson warf Huxley einen hilfesuchenden Blick zu. Der grauhaarige Colonel stand auf. »Ich werde hingehen. Wenn Sie nicht wollen, brauchen Sie mich nicht zu begleiten...« »Ich komme mit«, sagte Gutmundsson kurz entschlossen und übergab das Schiff seinem Ersten Offizier. Die Krankenstation lag nur wenige Decks höher. Cassim erwartete sie bereits. Er führte die beiden Offiziere zu einem Schott, hinter dem sich der Schiffbrüchige befinden sollte. »Erschrecken Sie nicht, wenn Sie da reingehen. Unser... Gast scheint etwas verwirrt zu sein...« Huxley musterte den Mediziner genauer. Irgend etwas schien Cassim zu bedrücken. Gutmundsson bemerkte es auch. »Was ist los, Cassim? Sie wirken irgendwie... beunruhigt...« 98 Der Bordarzt der POLLUX sah jetzt womöglich noch bekümmerter drein. »Gehen Sie rein, dann werden Sie verstehen, was mir Sorge bereitet...« Gutmundsson preßte den Kontakt. Das Schott glitt auf. Die beiden Offiziere betraten den Raum. Der Schiffbrüchige lag, von Fesseln festgehalten im Bett. Als er Huxley und Gutmundsson sah, bäumte er sich auf, so weit es ging und schrie in schrillem Diskant: »Verschwindet, ihr Verdammten! Verschwindet, sonst wird Sawall euch strafen! Faßt mich nicht an, laßt mich
gehen, ich will mit euch Verdammten nichts zu tun haben!« »Ein Robone«, flüsterte Huxley fassungslos. Er schloß für einen Moment die Augen. Aber die Robonen sind doch alle tot, dachte er. Diese Annahme war wohl falsch gewesen. Denn hier im Bett auf der Krankenstation der POLLUX lag unzweifelhaft ein nicht rückgeschalteter Robone - ein Mensch, der vergessen hatte, daß er einst ein Terraner gewesen war. Doch wenn dies ein Robone war, dann bedeutete das, daß es auf dem Planeten dort unten... Huxley packte den immer noch fassungslosen Gutmundsson am Arm und zog ihn aus dem Raum. »Wir müssen schleunigst zur Erde zurück. Das ist jetzt noch viel wichtiger geworden. Kehren Sie in die Zentrale zurück und bereiten Sie die Transition vor. Wir dürfen keine Zeit verlieren!« 99
7.
Marschall Bulton, in Abwesenheit Dan Rikers Flottenchef der TF, schob sein mächtiges Kinn
ruckartig vor.
Seine buschigen Brauen zogen sich drohend zusammen, während er die Folie studierte, die
ihm eben sein Adjutant übergeben hatte.
»Raumüberwachungskreuzer GlNOK an Stab der TF. Befinde mich infolge Transitionsversetzung durch Dämpferschaden nahe Mira Ceti. Triebwerkssteuerung ebenfalls defekt, versuche Notlandung auf zweitem Mira-Planeten. Jede weitere Transition unmöglich, Fehlläufe der Transitionsmeiler. Verdacht auf grundsätzliche Konstruktionsmängel. Auch Sabotage nicht gänzlich auszuschließen. Erbitte Entsendung eines Werkstattschiffes, da Schaden mit Bordmitteln nicht zu beheben. Warte Ankunft auf Mira II ab. Major P.A. Caruso, Kommandant der GlNOK... Marschall Bulton fuhr aus seinem Sessel. »GlNOK...!« murmelte er. »Woher kenne ich bloß diesen Namen? Was zum Teufel ist die GlNOK?« Er kam um seinen Schreibtisch herum, während er die Depesche abermals sorgfältig las. »Demnach gehört die GlNOK zu den letzten Neubauten der Oregon-Werft, ein Kreuzer der Planetenklasse...« Sein Adjutant, Captain Patters, schüttelte den Kopf. »Nein, Sir, eben nicht. Die GlNOK ist eine Neuentwicklung. Die erste ihrer Art. Das Schiff besitzt die Form einer Hantel mit sehr starkem Mittelkörper. Als Vorbild und wohl auch als Konstruktionsunterlage diente einer jener Hantel-Transporter, wie sie hin und wieder von den Giants zum Transport von Menschen nach Robon benutzt wurden. Ein Stab von Ingenieuren der Oregon-Werft stellte bei den durchgeführten Überprüfungen und Berechnungen fest, daß Schiffe dieser Bauart gegenüber den bisher verwendeten Kugelraumern er 100 hebliche Vorteile besäßen. Sie verfügen über ein Doppeltriebwerk, das in den beiden Kugeln der Hantel untergebracht ist. Die Leistung der GlNOK entspricht etwa der von zwei bis drei Kreuzern der Planetenklasse. Was die Bewaffnung angeht, so ermöglichte die Hantelform eine ganz besondere Anordnung der einzelnen Batterien. Fachleute prophezeien diesem Typ eine Zukunft. Die GlNOK ist ein Versuchsschiff, das ursprünglich von Colonel Huxley und der FO-1-Crew getestet werden sollte. Infolge der Geschehnisse der letzten Wochen wurde das Schiff dem Kommando Carusos unterstellt, weil der Major einer unserer fähigsten Raumschiffkommandanten ist und neben Colonel Huxley über die meisten Erfahrungen mit Prototypen verfügt. Alle diesbezüglichen Anordnungen wurden in Übereinstimmung mit dem Flottenchef Dan Riker getroffen. Die Erprobung der GlNOK wurde unter Geheimhaltung durchgeführt. Die Existenz dieses Schiffes ist nur den einzelnen Sektorenkommandanten der Raumverteidigung und den Sicherungsgruppen der Raumüberwachung bekannt!« Die Züge Marschall Bultons hatten sich bei Patters' Worten immer mehr verfinstert. »Patters, es ist eine ungeheure Sauerei, daß ich von all diesen Dingen erst jetzt erfahre. Sie trifft natürlich keinerlei Schuld, aber verlassen Sie sich darauf, daß ich mir die entsprechenden Herren vorknöpfen werde! In Zukunft wünsche ich, daß über jede Neuerung ein Akt angelegt wird, der erst dann ins Archiv und an die einzelnen Befas-sungsstellen geht, wenn er von mir persönlich als gelesen abgezeichnet ist.« Der Marschall legte die Folie auf die Arbeitsplatte seines Schreibtisches. Dann griff er zum
Vipho.
»Verbinden Sie mich mit dem Chef der GSO. Aber rasch!«
Während er wartete, winkte er Captain Patters zu sich heran.
»Veranlassen Sie bitte sofort alles Nötige für den Start des Werkstattschiffes JAPETUS. Major
Crook soll für die Dauer der Aktion das Kommando auf der JAPETUS übernehmen. Ebenfalls
gehen Teile seiner Mannschaft an Bord. Ich wünsche für dieses Unternehmen die besten
Leute, die zur Verfügung stehen. Setzen Sie sich außerdem mit dem Ersatzteildepot II in
Verbindung. Lassen Sie alle notwendigen
101
Teile sofort verladen, und wenn es ein halber Raumer sein sollte! Und noch etwas, versuchen
Sie, Shanton zu erreichen. Unser technischer Chef der Verteidigung sollte unbedingt
mitfliegen. Einen besseren Mann dafür gibt es nicht! Ob er will oder nicht, schaffen Sie ihn
herbei. Auch wenn sie ihn von einer Ast-Station holen müssen!«
Der Marschall hatte schnell gesprochen. Trotz seines massig wirkenden, untersetzten Körpers
gehörte Bulton zu den Männern, die nie eine Sekunde verloren, die ihre Entscheidungen auf
der Stelle trafen. Das hatte schon mancher unangenehm zu spüren bekommen. Es war auch
der Grund, warum Dan Riker diesen Mann als seinen Stellvertreter eingesetzt hatte.
Captain Patters salutierte und verschwand.
Kurz darauf flammte der Vipho-Schirm des Marschalls auf. Bernd Eylers erschien auf der
Sichtscheibe.
»Was gibt es, Marschall? Ich bin gerade in einer Besprechung mit Professor Bell!«
Marschall Bulton nickte ungeduldig.
»Eylers, am besten kommen Sie zu mir herüber. Ein Hyperfunk-spruch von der GlNOK. Das
Schiff mußte im System Mira Ceti notlanden. Der Kommandant, Major Caruso, ist der
Ansicht, es könnte Sabotage im Spiel sein. Manipulator, Triebwerke. Wissen Sie über den
Fall GlNOK Bescheid, Eylers?«
Der GSO-Chef nickte.
»Natürlich. Versuchsschiff, Oregon-Werft...«
Plötzlich wurde er zur Seite geschoben und, das Gesicht Monty Beils erschien auf dem
Schirm. Der Astrophysiker wirkte aufgeregt.
»Sagten Sie Mira Ceti, Marschall?«
»Natürlich. Warum, was ist denn...«
»Das ist Sperrgebiet, Bulton. Mira ist eine der ganz üblen Veränderlichen; bisher gab es drei
Totalverluste von Schiffen in diesem Bereich. Zwei vor der Invasion, später ein
Handelsraumer, ich glaube die MIAMI...«
Der Marschall erblaßte. Doch dann schoß ihm plötzlich das Blut in den Kopf.
»Verdammt noch mal, das ist doch eine unfaßbare Schlamperei! Sie wissen aus dem Kopf,
was mit Mira Ceti los ist, ich bin völlig ah 102
nungslos! Das wird meinen Herren hier noch sauer auf stoßen! Solche Informationen gehören
doch wohl vor allen Dingen ins Flottenarchiv, mehr als das, sie gehören in die
Speicheranlage des Vorwarncompu-ters. Bereits bei Eingang des Funkspruchs hätten sofort
zwei Dinge geschehen müssen: automatische Zusatzinformation über den Supra-sensor,
automatische Abstrahlung einer Warnung an die GlNOK! Was, wenn auch Caruso diese
Dinge unbekannt sind?«
»Sie haben recht, Bulton. Auf derartige Mängel stößt man leider immer erst im Ernstfall«,
mischte sich jetzt Bernd Eylers wieder ein. »Ich werde sofort die Warnung Carusos
veranlassen, ich glaube, bei mir geht das sicher schneller! Dann komme ich zu Ihnen, die
Sache mit der Sabotage interessiert mich außerordentlich. Caruso ist kein Schwätzer. Ich
kenne ihn persönlich. Wenn er von Sabotage spricht, dann sollte man das ernst nehmen!«
Eylers wollte bereits abschalten, aber der Marschall hielt ihn zurück.
»Wissen Sie, wo Chris Shanton ist, Eylers? Ich brauche ihn. Er muß mit der JAPETUS zur...«
Eylers Miene verdüsterte sich schlagartig.
»Shanton...« murmelte er. Doch dann straffte er sich. »Ich werde mit ihm reden, Marschall.
Vielleicht können Sie ihn haben...«
Der GSO-Chef schaltete ab. Verblüfft und verärgert starrte der Marschall in den Schirm.
»Vielleicht?« knurrte er aufgebracht. »Oh nein, bestimmt, Mister. Sogar ganz bestimmt. Und wenn ich ihn höchstpersönlich an Bord der JAPETUS schleppen müßte!« Abrupt drehte er sich um und begann in seinem Arbeitszimmer auf und ab zu gehen. Dann griff er abermals zum Vipho. »Archiv. Sämtliche Unterlagen über Mira Ceti im Walfisch.« Nach knapp zwei Minuten entnahm der Marschall dem Ausgabe-Schlitz des Informators einen langsam hervorquellenden Streifen. Sorgfältig studierte er die Plastikfolie. »... 250 Lichtjahre Entfernung, Spektraltyp M2, Periode um 300 Tage, schwankend. Pulsationen und Zwischenpulsationen. Starke Eruptionstätigkeit, Protuberanzen, Fackeln, starke elektrische und 103 strahlungsaktive Felder. 270facher Sonnendurchmesser. 4 Planeten, Größe unbestimmt, unerforscht. Zum System Mira Ceti gehört eine weiße Zwergsonne von extrem hoher Dichte. Umläuft Mira exzentrisch. Starke Bahnstörungen. Nähere Angaben s.u. Mira-B. System Mira verbotenes Gebiet. Ein- und Anflugssperre. Bisher drei Totalverluste...« Marschall Bulton starrte auf die Folie. Das war wenig. Und trotzdem genug. »Major Crook sofort zu mir!« Er hielt seine Finger noch auf der Sprechtaste, als der Vipho-Schirm abermals aufflammte. Professor Monty Bell meldete sich. »Marschall, wir sind vorhin ein bißchen abrupt unterbrochen worden. Mittlerweile habe ich in unseren Datenspeichern nachgesehen. Die Mira befindet sich zehn Tage vor Erreichen ihres Maximums!« keuchte er. »Es ist sehr fraglich, ob eines der Werkstattschiffe trotz seiner Hochleistungstriebwerke bis Mira II durchkommt! Das ist ein Himmelfahrtskommando!« Marschall Bulton fuhr sich über die Stirn. »Ich habe den Kommandanten der JAPETUS zu mir bestellt. Zur Einsatzbesprechung. Wir werden weitere SicherheitsVorkehrungen treffen. Aber bitte, kommen Sie ebenfalls, bringen Sie alle Unterlagen mit, die Sie haben. Unter Umständen könnten Sie sich sogar überlegen, ob Sie zusammen mit Shanton an der Aktion teilnehmen wollen. Wie die Dinge liegen, wäre aus Gründen der Sicherheit ein versierter Wissenschaftler dringend erforderlich! Ich erwarte Sie in einer halben Stunde, Professor!« »Also, Shanton, wir, das heißt die Flotte, brauchen Sie. Das Werkstattschiff JAPETUS unter dem Kommando von Major Crook wartet bereits seit Stunden auf Sie. Wir konnten Sie einfach nicht finden. Major Caruso, den Sie meines Wissens ja sogar persönlich kennen, sitzt mit der GlNOK, einem Versuchsschiff, im System Mira Ceti fest. Wir müssen ihn herausholen!« Bernd Eylers machte einen angespannten Eindruck. Shanton verdrehte die Augen. 104 »Großer Gott, Pacmanl Was hat er jetzt schon wieder angestellt?« Dann wurde sein Blick argwöhnisch. »Aber was soll ich bei der Sache? Meines Wissens hat die JAPETUS ein ganzes Heer von Spezialisten an Bord...« »Es könnte sich um Sabotage handeln. Außerdem weicht die GlNOK von allen üblichen Konstruktionen stark ab. Ich benötige Ihr Urteil, Shanton. Es darf einfach nichts verpfuscht werden in dieser Sache. Allerdings...« Eylers machte eine Pause und trat dich an Chris Shanton heran, »allerdings ist die Rettungsaktion das reinste Himmelfahrtskommando. Die Mira Ceti ist eine Teufelssonne, gefährlich, völlig unberechenbar...« Der Dicke richtete sich ruckartig auf. »Reden Sie nicht solchen Blödsinn, Eylers. Gefährlich war bisher grundsätzlich fast alles, was wir unternommen haben. Dhark und seine Freunde tragen für uns stündlich ihre Haut zu Markte. Caruso ist ein Pfundskerl, ein Könner. Ich bin dabei. Nur«, Shanton überlegte angestrengt, »nur muß ich Jimmy umprogrammieren. Er muß meine Arbeiten überwachen. Sonst garantiere ich für nichts. Ich werde mich an Bord der JAPETUS sofort darum kümmern!« Als Chris Shanton auf das gigantische Werkstattschiff zuging, verließen gerade die letzten Transporter den Raumhafen. Techniker, Ingenieure und Offiziere eilten geschäftig hin und her. In den letzten Stunden hatten sie eine Arbeit bewältigen müssen, die normalerweise einen ganzen Tag in Anspruch genommen hätte. Aber die Crew der JAPETUS bestand zum größten Teil aus erfahrenen Leuten. Ihre grünen, roten, gelben und blauen Uniformen
wimmelten durcheinander. Auf der JAPETUS hatte jede Sektion ihre eigene Kennfarbe. Diese Maßnahme hatte sich für die Werkstattschiffe als zweckmäßig erwiesen, denn die Besatzungen dieser 400-m-Raumer bestanden zum großen Teil aus hochqualifizierten Spezialisten, die, wenn, es sein mußte, ein Raumschiff auch auf einer fremden Welt in seine Einzelteile zerlegen und später wieder zusammenbauen konnten. Die JAPETUS selbst glich einer riesigen, flugfähigen Werft. Statt der üblichen Aufteilung des Schiffskörpers verfügte sie über mehrere große Mon 105 tagehallen. Über die Unterseite ihres Kugelrumpfes verteilten sich spezielle Sichtkuppeln mit allen notwendigen Bedienungselementen, die zum Einsatz der zwölf ringförmig um das Schiff verteilten Kombigreifer erforderlich waren. Eine eigene Zentrale, oberhalb einer der Montagehallen im Zentrum des Schiffes gelegen, sorgte für die Koordinierung der einzelnen gewaltigen Hydraulikarme, deren Enden mit den verschiedenartigsten Werkzeugen, Zangen, Bohrern oder Schneidstrahlern versehen werden konnten. Die gleiche Art von Hy draulikaggregaten standen jeder Werkstatt, auch jeder Montagehalle im Innern des Schiffes zur Verfügung. Die JAPETUS verfügte über Triebwerke, die bei Vollast dreimal soviel Energie zu entwickeln vermochten, wie die eines gleich großen Kreuzers der Planetenklasse. Die Maschinenräume um den sogenannten Schiffsäquator herum waren wesentlich größer und bildeten eine Art Ringdeck von über fünfzig Metern Breite. In der oberen Halbkugel schließlich, ebenfalls völlig anders angeordnet als bei den Kampfeinheiten, lagen die Kommandozentrale, Prüf- und Testräume, ausgedehnte Fertigungswerkstätten, die Kabinen der Besatzung, die Messen und die Waffendecks. Letztere waren genau wie bei jedem Kreuzer mit Pressor-, Drehstrahl- und Tremble-Schock-Batterien versehen. Trotz ihrer gewaltigen Größe herrschte in der JAPETUS immer noch Platzmangel. Jeder Kubikmeter dieses Giganten war genutzt. A-Grav-Schächte durchliefen das Schiff in allen Richtungen. Schnellaufende Transportbänder sorgten für die Beförderung von Menschen und Material innerhalb der einzelnen Decks. Große, ebenfalls mit außerordentlich starken Triebwerken und Greifern versehene Beiboote lagen ständig einsatzbereit hinter den Schleusen des Boots decks in ihren Halterungen. Jedes von ihnen wiederum ein kleines, mit allen Raffinessen der Technik ausgestattetes Hilfsschiff. Die JAPETUS war ein Wunderwerk der Technik, eine Synthese aller technischen Kenntnisse, über die die Menschheit mittlerweile verfügte. Ihr Kommandant, Major Crook, war ein nicht mehr ganz junger Mann. Er gehörte zur alten Garde der Raumfahrer. Früherer Kadett der berüchtigten Kallisto-Akademie, aus deren Reihen Männer wie Sam Dhark - Ren Dharks Vater -, Frederic Huxley, Janos Szar-dak, Pietro Angelo Caruso und die ganze Elite der Terranischen 106 Flotte hervorgegangen waren, lange vor der Invasion der Giants. Crook war ein Mann ohne Kompromisse. Hart, zäh, genau bis zur Pedanterie. Dazu kam sein immenses Wissen auf technischem Gebiet; er war ein wandelndes Lexikon aller nur denkbaren Raumschifftypen, einschließlich der Schiffe fremder Rassen, soweit überhaupt Unterlagen darüber vorhanden waren. Das alles ging Chris Shanton durch den Kopf, während er mit jedem Schritt dem nahezu startbereiten Schiff näherkam. Er wußte, daß er an Bord Professor Monty Bell treffen würde, der wegen seiner Kenntnisse auf dem Gebiet Veränderlicher Sterne für die Dauer des Einsatzes die Leitung der astronomischen Abteilung der JAPETUS übernommen hatte. Auf ausdrücklichen Wunsch Marschall Bultons. Chris Shanton wischte sich über die Stirn. Über Cent Field lag drückende Hitze. Er warf einen prüfenden Blick auf Jimmy, der neben ihm hertrottete. Shanton bückte sich gedankenschnell und griff nach ihm. »Du wirst verdammt genau auf mich aufpassen müssen, wie auf den Ast-Stationen. Kapiert?« murmelte er, während seine Finger durch das synthetische Fell des Robot-Hundes fuhren. Mit Jimmy auf dem Arm kam er schließlich an der Hauptschleuse des Raumers an. Der Wachhabende runzelte die Stirn. Er wußte sofort, wen er vor sich hatte. »Mr. Shanton? Der Hund kann nicht mit an Bord, die Vorschriften...« Jimmy knurrte den Mann grimmig an, während Shanton gemütlich auf den Wachhabenden
zutrat. »Höre zu, mein Sohn! Dieser Hund kann nicht nur, sondern er muß geradezu an Bord. Dieser Hund ist nämlich ein ganz besonderer Hund, mein Freund. Auch wenn es sich offenbar noch nicht bis zur Crew der JAPETUS herumgesprochen hat! Und sag' mir ganz schnell, in welcher Kabine und in welchem Deck Professor Bell sich niedergelassen hat. Er und ich, wir müssen den Hund nämlich ein wenig operieren, auseinandernehmen, wenn du das besser verstehst! Also?« Der Wachhabende starrte Chris Shanton an, als habe er einen Irren vor sich. 107 »Operieren? Auseinandernehmen? Sir, ich weiß nicht...« »Ist auch gar nicht notwendig, Sohn, Onkel Shanton weiß dafür um so besser. Also, welches Deck, welche Kabine? Verdammt noch mal, ich brauche jede Minute der noch verbleibenden Zeit!« Die Stimme des Dicken klang plötzlich scharf. »Kommandodeck, Sphäre VII, Kabine 21. Ich muß Ihr Eintreffen dem Kommandanten melden, Sir, er wartet schon seit Stunden auf Sie...« Shanton winkte ab. »Er muß noch weiter warten. Ich habe jetzt einfach keine Zeit. Sagen Sie Major Crook, daß ich mich bei ihm melde, sobald Bell und ich mit dem Hund fertig sind!« »Mit dem Hund fertig... Sir, Sie können doch nicht... halt, stehenbleiben!« Chris Shanton hatte den Besatzungsangehörigen zur Seite geschoben und war im Innern des Raumers verschwunden. Mit einer Behendigkeit, die der Mann dieser Falstaff-Figur niemals zugetraut hätte. Er zögerte. Keine Wache durfte ihren Posten verlassen. Er wußte genau, wie streng Vergehen dieser Art von Major Crook geahndet wurden. Aber genausowenig durfte eine Wache einen Mann passieren lassen, ehe er nicht der Kommandozentrale über Vipho gemeldet war. Einen Rüffel bekam er so oder so, wenn man ihn ertappte, sein Versagen... Mit einem Fluch sauste er hinter Shanton her. Aber er holte ihn nicht mehr ein. Er kam gerade noch zurecht, um Shanton in der Plus-Sphäre des A-Grav-Schachtes VII verschwinden zu sehen. »Hol der Teufel diese ganzen Zivilisten! Am besten, man hat mit dieser Brut erst gar nichts zu tun, dann bekommt man auch keinen Ärger!« Wütend starrte er auf die Mündung des Schachtes. Jetzt war eine Meldung unvermeidlich. Er mußte die Kommandozentrale in formieren. Und wenn er den Kommandanten etwa persönlich erwischte, dann hatte er doppeltes Pech! Eine halbe Stunde später hob die JAPETUS von der Piste ab. Marschall Bulton beobachtete, wie das Schiff rasch an Höhe ge 108 wann. Er warf einen Blick zu den beiden Kreuzern HELIS und DORADO hinüber, die nach einer gründlichen Überholung gerade wieder voll bemannt und startklar auf dem Raumhafen lagen. Sie würden der JAPETUS bis an die Grenze des Mira-Systems folgen, jederzeit bereit, den Schutz der havarierten GlNOK und des Werkstattschiffes gegen eventuelle Angriffe zu übernehmen. Auch den Start dieser beiden Kreuzer der Planetenklasse verfolgte er, ehe er schließlich seinen Arbeitsraum verließ. Er wollte zu Bernd Eylers. Unter der Tür blieb er noch einmal stehen, dachte sekundenlang nach, ging dann zu seinem Schreibtisch zurück und drückte die Sprechtaste des Viphos. »Zentralersatzlager!« sagte der Marschall nur, als die Kommandozentrale sich meldet. Sekunden später erschien das faltige Gesicht des Lagerchefs. »Sir?« »Major, sorgen Sie dafür, daß die an die JAPETUS ausgegebenen Teile umgehend aus dem DonKombinat wieder angefordert werden. Auf meine Anweisung ist ein großer Teil des Ersatzteilbestandes aus Depot II an Bord des Werkstattschiffes geschafft worden, weil wir den Umfang der Schäden an der GlNOK nicht genau kennen. Und noch etwas: Ich wünsche strengste Überprüfung jedes auf Lager liegenden Teiles, Major. Eine Liste mit der angegebenen Klassifizierung und Spezifizierung ist an die Galaktische
Sicherheitsorganisation weiterzuleiten. Jede Mängelmeldung ebenfalls! Vollzugsmeldung an mich, Major!« »Aye, aye Sir, aber wieso an die GSO? Das ist doch...« »Keine weiteren Fragen, Colonel. Sie erfahren alles zur gegebenen Zeit! Ende!« Major Cleyton starrte kopfschüttelnd auf den erlöschenden Schirm. Aber dann kurbelte er umgehend den gesamten Beschaffungsapparat Cent Fields und der kleineren Raumhäfen an. »Wenn der Alte sich persönlich in den Verwaltungskram einschaltet, dann ist ganz bestimmt dicke Luft! Es muß irgendeine Sauerei passiert sein, eine ganz gewaltige sogar!« Major Cleyton angelte nach einer Flasche mit einer tiefroten Flüssigkeit. Bedächtig goß er sich ein Glas ein und ließ das köstliche Naß 109 mit der Behutsamkeit des Kenners die Kehle hinunterrinnen. Er wußte, daß er in den kommenden Stunden kaum mehr Gelegenheit dazu finden würde. Und er täuschte sich nicht... Während die JAPETUS ihrem Transitionspunkt entgegenjagte, brach für die GlNOK und ihre Besatzung bereits die letzte Phase ihres Todeskampfes an. Major Pietro Angelo Caruso spürte die gewaltige Eruption der fremden Sonne, noch während er sich auf dem Wege zur Heckkugel des Hantelraumers befand. Die Beleuchtung im Zentralschacht des zylindrischen Zwischenstückes, das die Bug- und die Heckkugel miteinander verband, begann plötzlich zu flackern. Gleichzeitig ergriffen Titanenkräfte die GlNOK und rissen sie herum. Caruso registrierte, wie die bis dahin noch leidlich arbeitenden Schwerkraftkompensatoren zusammenbrachen. Von einer Sekunde zur anderen wurde sein Körper zum Spielball der Kräfte, die an der GlNOK zerrten und rissen. Mit einem Satz verließ er das ebenfalls stehenbleibende Transportband und klammerte sich an eine der Ringverstrebungen, die dem Zwischenrumpf die notwendige Stabilität verleihen sollten. Und dann wurde er durchgeschüttelt, daß ihm Hören und Sehen verging. Die GlNOK bockte, als der erste Ausläufer der gewaltigen Protuberanz sie erreichte. Irgendwo im Schiff heulten die Konverter auf, die ganze Konstruktion des Zwischenrumpfes begann zu schwingen. Im Zentralschacht war es stockdunkel, nicht einmal die Notbeleuchtung brannte. Erst Minuten später begannen die Lampen wieder einen schwachen Schimmer zu verbreiten. »T'Challa!« Die Stimme Carusos durchdrang das Knirschen und Knacken in den Verbänden des schwer arbeitenden Schiffes. »Hier bin ich! Ich komme!« Die schlaksige Gestalt des Ersten Offiziers der GlNOK torkelte auf den Major zu, der in diesem Moment seinen Handstrahler aus dem Gürtel riß und eine der Ringverstrebungen ableuchtete. 110 Sofort verfinsterte sich sein Gesicht. »Da, T'Challa! Oh, diese dreimal verfluchten Narren von Ingenieuren! Da, dieser ganze verdammte Zwischenrumpf löst sich in seine Bestandteile auf. Er hält den Druck nicht aus, den die magnetischen Stürme der Mira auf die beiden 200-m-Kugeln ausüben! Er besitzt einfach nicht genug Verwindungssteifheit! Die Ringverstrebungen brechen!« Caruso müßte brüllen, um sich dem neben ihm stehenden Leutnant verständlich zu machen. Die Armband-Viphos gaben durch die gewaltige Strahlung der pulsierenden Mira Ceti schon seit Stunden nur noch Geknatter und zuckende, völlig verworrene Bildimpulse von sich. Das einzige, was noch einigermaßen funktionierte, war die Bordsprechanlage. Ohne Rücksicht auf die irren Bewegungen des Raumers, hangelte sich Caruso zu der Ringverstrebung hinüber. Prüfend, tastend fuhren seine Finger über den Riß im Material. Und er erschrak. Denn der Spalt verbreiterte sich mit jeder Sekunde. Unaufhaltsam. Was das bedeutete, brauchte ihm niemand zu sagen. Als die heftigen Bewegungen etwas nachließen, drehte er sich langsam zu dem inzwischen ebenfalls herangekommenen T'Challa um. »T'Challa, meine Befürchtungen, meine Einwände, die ich von Anfang an gegen diesen Schiffstyp geltend gemacht habe, haben sich als begründet erwiesen. Die GlNOK bricht
auseinander, wenn wir nicht schleunigst den Planeten erreichen und dort landen. Zwei oder
drei Protuberanzen, dann ist es soweit!«
Er deutete auf den langen Riß in der Verstrebung.
T'Challa nickte.
»Der Bau dieses Kahns war Wahnsinn. Ich habe ebenfalls von Anfang an Bedenken gehabt.
Genau wie Chief Gottlieb. Man kann nicht einfach einen fremden Typ nachbauen, wenn man
nicht in der Lage ist, ein völlig gleichwertiges Material zu verwenden. Irgendwo haben die
analytischen Materialprüfungslabors völlig versagt. Desgleichen die Statiker. Und dann die
Verwendung fehlerhafter Aggregate...«
»T'Challa, wir haben keine Zeit zum Jammern. Uns sitzt buchstäblich der Tod im Nacken.
Los, untersuchen wir noch ein paar der Ringstreben, ehe die nächste Protuberanz kommt!«
111
Schweigend machten die beiden Männer sich an die Arbeit. Das Ergebnis war erschreckend.
Jede zweite Strebe war bereits gebrochen, die anderen zeigten samt und sonders die ersten
kleinen Risse.
»Los, kommen Sie, T'Challa. Wir müssen...«
Weiter kam er nicht. Ein gewaltiger Stoß traf die GlNOK. Caruso und der Erste Offizier
wurden zu Boden geschleudert. Das Schiff begann wie wild zu taumeln. Jeder Versuch,
wieder auf die Füße zu kommen, war aussichtslos.
Trotzdem gaben die beiden Männer nicht auf. Meter für Meter krochen sie über den Boden,
gelangten schließlich auf das Transportband, krallten sich an dessen Kanten fest und zogen
sich Stück für Stück über den griffigen Belag in Richtung der Heckkugel.
Caruso und sein Erster Offizier wußten nicht, daß in diesem Moment eine lähmende Übelkeit
nach den übrigen Männern der Besatzung in der Heck- und Bugkugel des Hantelraumers
griff. Eine Übelkeit, die viele Besatzungsmitglieder unter krampfartigen, konvulsivischen
Zuckungen zu Boden warf.
Die letzte Stunde der GlNOK begann.
Aus der Riesensonne Mira Ceti schössen gewaltige Protuberanzen. Wie riesige Fangarme
griffen sie nach dem Schiff, hüllten es in ihre lodernden, strahlenden Partikelwolken ein und
warfen es wie eine Nußschale in den Orkanen ihrer Magnetstürme hin und her.
Nur in einem einzigen Punkt halfen sie dem sterbenden Schiff: Sie trieben es mit großer
Geschwindigkeit jenem Planeten entgegen, auf dem es landen sollte und mußte, wenn die
Männer überhaupt noch eine winzige Chance haben wollten, zu überleben. Längst wußten die
Astronomen, daß der Planet eine atembare Atmosphäre besaß. Alles andere verschwand unter
dichten, jagenden Wolkenstreifen.
Caruso und T'Challa krochen, stolperten, liefen und stürzten ihrem Ziel buchstäblich
entgegen. Um sich herum das grauenhafte Knirschen und Krachen in den Verstrebungen des
Zwischenrumpfes. Sie spürten, wie das Transportband sich unter ihren Füßen verbog.
Nur ihre ungeheure Willensanspannung bewahrte sie vor jener Übelkeit, mit der inzwischen
fast jeder Mann an Bord der GlNOK zu kämpfen hatte.
Als sie endlich das Schott zur Heckkugel erreichten und sich über
112
die Notleitern zur Zentrale emporzogen, hämmerte das Blut in ihren Köpfen, daß rote Ringe
vor ihren Augen tanzten.
Mit letzter Kraft stolperten sie schließlich dem sofort zupackenden Chief in die Arme.
»Chief, die GlNOK bricht auseinander. Die Verstrebungen im Zwischenrumpf reißen,
brechen überall. Was ist mit den Schwerkraft-kompensatoren? Die A-Grav-Schächte und das
Transportband funktionieren nicht mehr!«
Caruso löste sich ruckartig aus dem Griff seines leitenden Ingenieurs und starrte die
herumliegenden totenblassen Männer an.
»Himmel und Hölle, Chief, was soll das?«
Gottlieb zuckte die Achseln.
»Strahlung, Major, diese verdammte Mira, da, sehen Sie...«
Aus dem Sonnenkörper brach eine Eruption hervor, größer als alle bisherigen.
Glücklicherweise nicht in Richtung der GlNOK. Aber die Masse der glühenden Gase
umlagerte ein Halo, der sich mit wahnwitziger Geschwindigkeit ausdehnte und weit vor der
Protuberanz her in den Raum schoß. Die Instrumente begannen zu zucken. Die Leuchtfelder der lonometer fingen an zu flackern. Nicht die Eruption glühender Gase, wohl aber die von ihr ausgehende Strahlung hatte die GlNOK erreicht. Und jetzt spürten auch Caruso und sein I.O. jene Übelkeit in sich aufsteigen, die vorher die übrigen Männer befallen hatte. Wortlos reichte Chief Gottlieb den beiden die letzten Tabletten seiner Notpackung. »Die Ärzte müssen jeden Augenblick hier sein, Sir. Wir müssen die GlNOK so schnell wie möglich landen. Hoffentlich halten die Hecktriebwerke durch!« Caruso nickte und drückte die Verbindungstaste zur Kommandozentrale in der Bugkugel. Sekunden später blickte er in das schweißbedeckte Gesicht seines Zweiten Offiziers. Der Mann wankte und torkelte und hielt sich nur mit äußerster Willenskraft aufrecht. Caruso schüttelte den Kopf. Dann schaltete er ab. »Hat keinen Sinn! Olbik ist fertig. Wahrscheinlich alle dort drüben...« 113 Er wirbelte herum. »T'Challa, schnappen Sie sich einige der Ärzte und machen Sie sich auf den Weg zur Bugkugel. Beeilen Sie sich. Schließen Sie alle Schotten zum Zwischenrumpf. Spätestens bei der Landung bricht die GINOK auseinander. Und noch etwas, T'Challa: Sobald wir in die Atmosphäre eintauchen, alle Mann in die Beiboote. Sie verlassen die GlNOK kurz vor der Landung. Das gleiche gilt für Ihre Männer, Gottlieb. An Bord bleibt nur, wer für das Landemanöver absolut unentbehrlich ist, ist das klar?« Der I.O. nickte. »Es ist wichtig! Wir können wahrscheinlich ohne unsere Beiboote auf Mira-II nicht existieren, wir wissen nicht, was uns auf dieser Welt erwartet. Falls notwendig, kümmern Sie und die ändern sich später um den Rest der Besatzung! Los, ab, T'Challa!« Kurz darauf traten die Ärzte in Aktion. Es gelang ihnen in beispiellosem Einsatz, die Besatzung des Hantelraumers wieder aktionsfähig zu bekommen. 114 &
Genau zweiundzwanzig Minuten später tauchte das Schiff torkelnd und schlingernd mit nur noch einem arbeitenden Triebwerk und drei aktivierten, für die bevorstehende Landung unerläßlichen A-Grav-Meilern in die tobende Atmosphäre von Mira-II ein. Die Bugkugel hing über dreißig Grad nach unten, das Schiff sackte unheimlich rasch. Die Schotts der Bootsdecks im Zwischenrumpf öffneten sich. Es war wie ein Wunder, aber sie öffneten sich. Die Boote verließen das gewaltige Schiff. Drohend hing der hanteiförmige Rumpf für wenige Augenblicke über ihnen. Fremdartig und unheimlich, ein Geister-schiff auf der fremden Welt einer teuflischen Sonne. »Achtung, jetzt!« Der Ruf des Chiefs gellte durch die Zentrale der Heckkugel, während er mit einem letzten Bremsimpuls das Schiff abermals abzufangen versuchte. Dann riß es die Männer in die Gurte. Die Bugkugel des Hantel-raumers bohrte sich in den Boden des fremden Planeten. Ihr ungeheures Gewicht zerquetschte einen Teil der hohen, schachtelhalmartigen Gewächse, die sich am Rande einer sandigen Ebene erhoben. Der Druckkörper verformte sich, Gänge, A-Grav-Schächte, Waffendecks quetschten sich zusammen. Und dann kam das Unvermeidliche. Blitze schössen empor. Jähe Entladungen zuckten aus dem Wrack hervor, noch ehe der Chief den Notschalter betätigen konnte. Laut knirschend barsten die Spanten und Ringstreben des Zwischenrumpfes. Wie Papier rissen Stahlplatten und Druckkörper. Die GINOK brach auseinander. Langsam, wie in Zeitlupe, sackte die Heckkugel in den sandigen Boden der weiten Ebene und lag schließlich ebenfalls deformiert unter den jagenden Wolken von Mira II. 115 In wenigen hundert Metern Entfernung landeten die Beiboote. Leutnant T'Challa feuerte seine Männer an. Auf den ersten Blick erkannte der erfahrene Mann, daß Caruso und der übrige Teil der Besatzung in der Heckkugel gefangen waren. Eingeschlossen. »Vorwärts, Männer!« rief er. »Wir müssen Kommandant Caruso, den Chief und die übrigen
Kameraden herausholen! Beeilt euch! Wenn die Meiler der GlNOK durchgehen, dann...« Er unterbrach sich plötzlich. Ein eiskalter Schock fuhr ihm durch die Glieder. Fassungslos starrte er auf die sandige Ebene hinaus, auf der die Heckkugel der GlNOK lag. Nur langsam erfaßte sein Verstand, was eine Augen sahen. In der Ferne, fast am Horizont, ragten riesige Gittertürme empor. Zum Teil verschwanden sie in den weißgrauen, dahinjagenden Wolken. Zerborsten, abgeknickt, furchtbare Fragmente eines noch furchtbareren Geschehens. Zwischen ihren Verstrebungen aber - zerfetzt, zerrissen, zerschmolzen - die Überreste von Raumschiffen. Auch auf der Ebene, zwischen den Stämmen der Riesenschachtelhalme - überall abgestürzte, bis zur Unkenntlichkeit zerstörte Schiffe. Große, kleine, mittlere. Leutnant T'Challa biß die Zähne zusammen. »An die Arbeit, Männer!« keuchte er. »Wir müssen dem Major und den ändern helfen, alles andere hat Zeit, muß Zeit haben!« Er winkte den noch immer wie erstarrt dastehenden Besatzungsmitgliedern zu. Gleichzeitig griff er nach seinem Vipho. »Olbik!« Der Zweite Offizier meldete sich sofort. »Nehmen Sie Ihr Boot und sehen Sie sich die Sache aus der Nähe an. Aber entfernen Sie sich nicht zu weit. Außerdem sorgen Sie dafür, daß der Peilsender für die angeforderte JAPETUS läuft; wir brauchen ihre Hilfe so schnell wie möglich!« Dann machte er sich mit seinem Trupp und dem nötigen Gerät auf den Weg zur GlNOK. Der Zweite Offizier war ein harter Bursche. So wenig auch die Konstruktion der GlNOK selbst getaugt hatte, die kleinen Kugelbeiboote 116 waren dafür um so besser. Neben äußerst starken Triebwerken, modernster Bewaffnung und einer Besatzung von zehn Mann besaßen sie eine rund um die Zentrale verlaufende Galerie aus Monitoren, die eine vollkommene Allround-Überwachung der Schiffs- oder Bei bootumgebung ermöglichten. Bei dem Konzept hatte nicht zuletzt die Allsicht-Sphäre der Nogk Pate gestanden. Der II.O. manövrierte sein Kugelboot dicht über die Schachtelhalme. Sie brauchten nicht lange zu suchen, bis sie das Wrack eines diskusförmigen Schiffes fanden. Auf den ersten Blick erkannten er und seine Männer, daß dieses Schiff schon seit Jahrhunderten hier lag. Pflanzen überwucherten den zerstörten Druckkörper. Das Innere, soweit Olbik und seine Männer es erkennen konnten, wirkte zerfallen. An manchen Stellen wies das Metall einen seltsam glitzernden, kristallinen Überzug auf. Metall? »Landen!« Olbiks Stimme klang heiser. »Zwei Mann kommen mit, die ändern übernehmen unsere Rückendeckung und achten auf unsere Umgebung!« Das Boot landete. Olbik und seine zwei Männer verließen die Schleuse. Meter um Meter schoben sie sich an das Diskusschiff heran. Und dann sahen sie es. Der Druckkörper war an einer Stelle aufgerissen. An den Bruchstellen überzog jene grünlich glitzernde Substanz den Schiffskörper. Daneben aber, noch halb im Schiffsrumpf eingeklemmt, lag ein Skelett. Humanoid, nur daß die Knochen aus einer rötlichen Substanz bestanden. Die Arme weit nach vorne gestreckt, die knöchernen Finger noch immer in den Boden dieser gespenstischen Welt verkrallt, so als warte es noch immer auf seine Retter, lag es da. Olbik spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Dennoch bückte er sich und berührte einen der Finger mit dem Lauf seines Strahlers. Und dann zuckte er zurück. Der Finger zerfiel. Vor seinen Augen. Es war, als bräche eine unsagbar dünne Schale in sich zusammen. Olbik schluckte. Das Skelett mußte schon sehr lange hier gelegen haben. Jahrhunderte? Jahrtausende? Ein heftiger Windstoß fegte über den Raumer hinweg. Mit einem hohlen Pfeifen verfing er sich im Druckkörper des Schiffes. 117
Der II.O. mußte sich zwingen, das gleiche Experiment an einer der grünlich schimmernden Stellen des Raumerwracks zu wiederholen. Abermals starrte er auf den unheimlichen Vorgang. Unter seiner Berührung zerfiel der Druckkörper. Ohne das geringste Geräusch. Eine Wolke feinsten Staubes hing für Minuten in der Luft, bis sie der nächste Windstoß hinwegfegte. Olbik reichte es. Seine Nerven hatten in den letzten Stunden genug gelitten. Dieser Planet war eine Welt des Todes. Irgendwann, als man auf der Erde noch nicht einmal an Raumfahrt gedacht hatte, mußte hier eine entsetzliche Schlacht, ein Kampf um Sein oder Nichtsein zwischen zwei raumfahrenden Rassen stattgefunden haben. Das Kugelboot hob ab. Langsam flog es in Richtung der mächtigen Türme, die wie Monumente des Grauens am fernen Horizont in die Wolken ragten. Die Männer an Bord des Kugelboots warfen wie automatisch einen Blick zur GlNOK hinüber. Sie sahen das fahlblaue Leuchten der Schneidstrahler, sahen den zerbrochenen Rumpf, der sie vor gar nicht langer Zeit durch die Tiefen des Universums getragen hatte. Henk Olbik stieß eine Verwünschung aus. In ihr war all jene Bitterkeit enthalten, die die Männer empfanden. Was war, wenn auch die JAPETUS dieser teuflischen Sonne zum Opfer fiel? Major Crook starrte entsetzt auf das, was in den astronomischen Verzeichnissen schlicht als Alpha, Hauptstern des Walfisches, verzeichnet war. Die JAPETUS war vorsichtshalber weit vor dem Mira-System aus der Transition gekommen. Aber selbst hier draußen, weit außerhalb der Bahn des äußersten Planeten, bekam die JAPETUS die unheimliche Kraft jener tobenden Sonne, jenes unberechenbaren Atomofens zu spüren. Major Crook wandte sich an Chris Shanton, der sich eben erst von den Nachwirkungen der noch immer höllisch unangenehmen Transition erholte. »Shanton, ich bezweifle, daß Caruso hier mit einem angeschlage 118 nen Schiff überhaupt eine Chance hatte! Da, sehen Sie auf die Instrumente: unsere Schutzschirme sind bis zur Grenze belastet! Professor Bell meldete mir soeben eine noch unbestimmbare Strahlung, die bei jeder Eruption dieser Variablen auftritt und sogar teilweise die Absorberschirme durchschlägt!« Major Crook warf abermals einen Blick auf den Monitor, in dessen Koordinaten jetzt der zweite Planet des Systems erschien. »Jedenfalls erscheint es mir unmöglich, ein defektes Schiff während des Maximums durch dieses Inferno zu schleppen, und ich werde das auch nicht tun! Richten Sie sich also darauf ein, Shanton, Ihre Untersuchungen an Ort und Stelle vorzunehmen. Falls wir Caruso und seine Männer finden!« Die JAPETUS beschleunigte. Ihre gewaltigen Triebwerke begannen zu dröhnen. Der Raumer schlug einen weiten Bogen um Mira, um sich später von >hinten< dem Planeten zu nähern. Eine Möglichkeit, die Caruso durch die Defekte seines Schiffes nicht mehr gehabt hatte. Chris Shanton erhob sich. »Ich werde zu Bell in die Beobachtungsstation gehen, Crook. Je mehr ich über diese ganze Sache weiß, desto besser und schneller wird meine Arbeit zu erledigen sein.« Chris Shanton warf einen kurzen Blick auf den großen, konkaven Hauptschirm. Die JAPETUS schien sich in einem einzigen Feuermeer zu bewegen. Das All rings um das Werkstattschiff loderte und glühte in allen Farben. Die Anzeigen der Absorberschirme standen weit im roten Warnbereich. Plötzlich spürte er, wie das gewaltige Schiff von den magnetischen Orkanen geschüttelt wurde. In den wenigen Augenblicken, in denen der Planet Mira II sichtbar wurde, tanzte er durch die wilden, stoßartigen Bewegungen der JAPETUS hin und her wie ein Ping-Pong-Ball auf der Wasserfontäne eines Springbrunnens. »Shanton, wenn jetzt auch nur eines unserer Triebwerke versagt, dann sind wir geliefert. Sollte Caruso die Landung geschafft haben, dann hat er fast ein Wunder vollbracht!« 119 Unterdessen kämpften sich Major Caruso und seine Leute durch die verbogenen Schächte und Gänge der Heckkugel des Hantelraumers dem Hauptschott entgegen, das sich im
Unterteil der Kugel befand.
Es war ein langer, ein schwerer Weg. Die A-Grav-Schächte waren außer Betrieb. Die 100
Meter nach unten mußten über die Notleitern zurückgelegt werden, die aber auch zum Teil
zerstört waren.
Caruso wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Gottlieb!« Er sah sich nach seinem Chief um. Der Leitende Ingenieur der GlNOK trat zu
ihm. Er war ein Mann, dessen Fähigkeiten Caruso sehr schätzte.
»Sir?«
»Sehen Sie sich das an, Gottlieb! Ich begreife nicht, wie sich die Heckkugel bei dem doch
verhältnismäßig geringen Aufprall derart verformen konnte. Da stimmt doch etwas nicht. Die
Ingenieure und Konstrukteure der Oregon-Werft können doch nicht alle Dummköpfe sein!
Dieses Schiff ist viel zu leicht gebaut. Nicht nur der Zwischenrumpf, sondern auch die beiden
Kugelkörper weisen nicht die Mindeststabilität auf, die einfach gefordert werden muß! Hätte
ich nicht Befehl gegeben, das Schiff vor der Landung zu verlassen, in der Bugkugel würde
kein Mensch mehr am Leben sein!«
Der Strahl der Handlampe glitt über die verbogenen Verkleidungen, die
zusammengestauchten Gänge und Flure des Hecks, in dem sie sich befanden.
Gottlieb zögerte.
»Reden Sie nur, Gottlieb, ich fürchte, wir haben die gleichen Gedanken! Die Männer sollen
ruhig hören, was Sie sagen!«
»Gut, Sir. Die GlNOK war eine Neukonstruktion. Ein Hantelraumer, wie ihn die Giants als
Spezialtransporter benutzten. Ich habe die Schilderung des Flash-Piloten Wonzeff gelesen,
die Aufzeichnungen seines Flash gesehen. Diese Hantelraumer müssen hervorragende
Schiffe gewesen sein. Ihre Einrichtung und Technik war geradezu genial. Es ist ungeklärt,
woher dieser Transportertyp bei den Giants stammt. Später ist ein Schiff dieser Konstruktion
nie mehr beobachtet worden. Auch die GlNOK wäre bei genügender Stabilität und größerer
Zuverlässigkeit ein hervorragendes Schiff gewesen. Sie ließ sich gut manövrieren, die
Waffendecks besaßen eine ideale Anordnung, die
120
Leistung der Triebwerke berechtigte zu besten Hoffnungen. Wenn Sie meine Meinung
wissen wollen, Sir, dann ist der Bau dieses Schiffes systematisch sabotiert worden!«
Caruso sah seinen Chief überrascht an.
Dann pfiff er leise durch die Zähne.
»Interessant, Gottlieb! An diese Version habe ich noch nicht gedacht! Hoffentlich kommt die
JAPETUS bald. Das Untersuchungsergebnis ist wichtig. Noch wichtiger ist aber, daß wir
möglichst rasch zur Erde zurückkommen!«
Einem plötzlichen Entschluß folgend, griff er nach seinem Vipho. Die Geräte versagten im
System der Mira meist, irgendeine Strahlung überlagerte ihre Frequenz.
Aber diesmal hatte er Erfolg. T'Challa erschien auf dem Schirm. Verzerrt, aber zu erkennen.
»Gott sei Dank, Sir! Wo stecken Sie? Wir kommen an das Hauptschott nicht heran, die
Heckkugel ist völlig deformiert. Meine Männer sind dabei, den Druckkörper aufzuschneiden,
aber die Schneidstrahler sind zu schwach. Wir werden noch Stunden brauchen!«
»Arbeiten Sie weiter, T'Challa. Meine Männer und ich sind unverletzt, wir können warten.
Wie sieht es draußen aus? Bietet die Atmosphäre von Mira II genügend Schutz vor der
teuflischen Strahlung der Sonne?«
T'Challa nickte, zögerte dann jedoch, ehe er weitersprach.
»Sir, da ist noch etwas«, sagte er schließlich. »Das ganze Gebiet, in dem wir uns befinden, ist
mit zerstörten Raumern übersät. Ich habe Olbik ausgeschickt. Er hat eine Turmstadt
gefunden. Auch zerstört. Kein lebendes Wesen. Hier muß vor vielen Hunderten von Jahren
eine entsetzliche Schlacht getobt haben!«
Caruso und seine Männer starrten sich an.
»Eine Raumschlacht?«
Major Caruso faßte das Vipho fester.
»Haben Sie die JAPETUS gewarnt? Haben Sie Verbindung zu dem Schiff?«
Der I.O. schüttelte den Kopf. Aber ehe er den Mund öffnete, drehte er plötzlich den Kopf zur
Seite und starrte in den Himmel. »Sir, die JAPETUS! Sie hat uns entdeckt! Sie setzt zur Landung
an!« 121 Er drehte das Vipho zur Seite. Nach einigen Versuchen glückte sein Vorhaben. Die Männer im Innern der Heckkugel sahen einen riesigen Kugelkörper, der von Sekunde zu Sekunde größer wurde. »T'Challa, setzen Sie sich sofort mit dem Kommandanten der JAPETUS in Verbindung. Er soll Beiboote aussenden und Speicherungen von der GlNOK und den anderen Raumerwracks machen. Ebenfalls von der Turmstadt. Wer weiß, wozu das eines Tages gebraucht wird! Wir befinden uns im C-Deck in der Nähe des Laderaumes. Lassen Sie die Schiffshülle beim BDeck auftrennen, der Zugang dorthin ist frei!« Caruso schaltete ab. Langsam wanderte der Strahl seiner Handlampe über die schweißverschmierten Gesichter der Techniker. Er registrierte die Erleichterung, die die Nachricht vom Eintreffen der JAPETUS ausgelöst hatte. Es war gar nicht so ganz sicher gewesen, daß das Schiff durchkam, auch wenn sie sich an die Hoffnung geklammert hatten. Was wußten sie schon von dieser teuflischen Sonne, von ihren Ausbrüchen. Sie konnten sich mit jeder Stunde verschlimmern, so daß auch solche Giganten wie das Werkstattschiff keine Chance mehr hatten. Aber da war noch die andere Nachricht. Daß die Raumerwracks und die zerstörte Stadt noch immer da waren, das sprach dafür, daß dieser Planet kein intelligentes Leben mehr trug. Zumindest nicht in diesem Gebiet. Aber wie verhielt sich das auf den anderen drei Planeten? Wie, wenn sie doch noch auf eine fremde Rasse stießen? Caruso verschränkte die Arme hinter dem Kopf und legte sich zurück. »Ruht euch aus, Männer! Frühestens in einer Stunde kann das Team der JAPETUS mit den Rettungsarbeiten anfangen. Vielleicht brauchen wir alle unsere Kräfte noch!« Er löschte die Lampe. So ruhig er auch wirken mochte, in seinem Innern arbeitete es. Unablässig kreisten seine Gedanken um die Ereignisse der letzten Stunden, um den Bericht seines I.O. Die Rettungsarbeiten waren in vollem Gange. Die JAPETUS stand hinter der einige hundert Meter weit entfernten Heckkugel, in der sich 122 immer noch Major Caruso und seine Leute befanden. Eingeschlossen, ohne die Möglichkeit, durch eines der verklemmten Schotts das Wrack der GINOK zu verlassen. Und auch die JAPETUS konnte mit ihren schweren Schneidwerkzeugen an den unteren Teil der Heckkugel nicht heran, konnte die Hydraulikarme mit den auswechselbaren Werkzeugen einfach nicht einsetzen. Ein ganz klarer Mangel der gewaltigen Größe des Werkstattschiffes. So mußte jedes Aggregat mühsam an die GINOK herangeschleppt und -geflogen werden. Oder Caruso und seine Männer mußten sich abermals den Weg durch das Wrack bis zum Hochdeck bahnen. Ein mühseliges, zeitraubendes Unternehmen weil überall im Schiff die Sperrschotts der einzelnen Decks blockiert waren. Der Riesenrumpf der JAPETUS setzte sich in Bewegung und stieg langsam in die Höhe. Seitlich über der Heckkugel blieb das Schiff vom A-Grav gehalten in der Luft stehen. Die Hydraulikarme fuhren aus und begannen an der GINOK zu arbeiten. Hin und wieder ver schwand der obere Teil des Werkstattschiffes in den tiefhängenden, merkwürdig hellen, weißgrauen Wolken. Und dann geschah es. So plötzlich, so überraschend, daß kaum einer der hart schuftenden Männer es zunächst begriff. Ein entsetzliches, knirschendes Geräusch ließ sie mitten in ihren Bewegungen erstarren. Undeutlich registrierten sie, wie der Boden vor ihren Füßen aufsprang. Lange Risse bildeten sich, durchliefen in Sekundenschnelle den Planetenboden. Die schwarze Silhouette der total zerknautschten, deformierten Bugkugel begann vor ihren Augen in den Boden zu sacken. Die meterdicken Stämme der Riesenschachtelhalme wankten; knirschend und knarrend neigten sich einige zur Seite, verhielten ächzend und fielen dann endgültig, andere mit sich zu Boden reißend. Von irgendwoher drangen Schreie herüber. Durch die offenen Helmscheiben hörten sie die gewaltige Baßstimme Chris Shantons das
Chaos durchdringen. »Weg Leute, der Boden... Achtung!« Die Bugkugel bewegte sich ruckartig. Gleichzeitig kam der in der Mitte zusammengeknickte Zwischenrumpf des Hantelraumers hoch. Olbik warf blitzschnell einen Blick zur Heckkugel. Er sah den Ruck, 123 hörte das Bersten und Krachen, mit dem die letzten Verstrebungen und Spanten des Zwischenrumpfes rissen. Die Heckkugel rollte zur Seite. Die Männer der Rettungsmannschaft sprangen zurück. In langen Sätzen jagten sie davon. Das an der Bugkugel hängende Teil des Zwischenrumpfes richtete sich steil auf. Wie eine geborstene Säule stand es sekundenlang unter den jagenden Wolken, dann verschwand es. Fuhr wie von Zyklopenfäusten getrieben in den Boden. Ihm voran die Bugkugel. Schachtel halme kippten, Männer rannten, alles von sich werfend, davon, stolperten in sich plötzlich vor ihren Füßen auftuende Spalten, stürzten, rappelten sich wieder auf, stürzten abermals und versanken vereinzelt schreiend im Boden. Dann, ohne jede Vorwarnung, kam das Wasser. Überall aus dem Boden schoß es empor. Dort, wo die Bugkugel mitsamt dem noch an ihr hängenden Teil des Zwischenrumpfes in einem riesigen Loch verschwunden war, stieg eine gewaltige Fontäne auf. Donnernd, unter ohrenbetäubendem Getöse ergossen sich ihre Wassermassen zwischen die Stämme der Schachtelhalme. Vereinigten sich mit den Fontänen und Rinnsalen, die aus den übrigen Spalten hervorquollen und überschwemmten im Nu den Boden. Meter um Meter kämpften sich die Männer durch das rasch steigende Wasser. Sie erreichten das Kugelboot und sprangen ins offene Schott. Wenig später hob das Boot ab. Chris Shanton, schlammverschmiert, triefendnaß, riesige Wasserlachen unter seinem Körper verbreitend, manövrierte das Boot durch die Schachtelhalme. Einige Männer hockten vor dem noch offenen Schott der Schleuse. In den Fäusten wurfbereit Rettungsleinen, die an eigens dafür vorgesehenen Halterungen in der Schleuse verhakt waren. Sie entdeckten eine Gruppe verzweifelt um Hilfe rufender Kameraden, die an dem abgeknickten Stamm eines Riesenschachtelhalms geklammert im Wasser trieben, das inzwischen den ganzen Boden bedeckte und immer noch aus dem Planeteninnern hervorquoll. Olbik und seine Leute bargen die Männer. »Olbik!« dröhnte der Baß Shantons plötzlich durch die Schleuse. »Ich überfliege jetzt die Stelle, an der die Bugkugel gelegen hat. Dort 124
schlage ich noch einen großen Kreis, wen wir dann nicht gefunden haben, den finden wir überhaupt nicht mehr. Sehen Sie mal zur JAPETUS hinüber! Dieser Major Crook ist ein Bursche, vor dem sogar ich den Helm ziehe!« Olbik spürte die leichte Drehung, mit der das Kugelboot herumschwang. Und dann starrte er ungläubig auf das, was er sah: Die JAPETUS stand einige hundert Meter hoch über dem Planetenboden. In ihren Greifern hing die Heckkugel der GlNOK. Auf dem Druckkörper des Wracks jedoch arbeiteten wie besessen ganze Trupps von Technikern. Die bläulichen Energiezungen der Schneidstrahler leuchteten fahl durch das trostlose, weißgraue Licht des Planeten. Andere Trupps waren dabei, die Heckkugel mit A-Grav-Strahlen abzusichern. Es war eine Arbeit, wie sie gefährlicher und schwieriger gar nicht sein konnte. Zur gleichen Zeit durchflog das Kugelboot langsam den Schachtel-halmwald - und wo es nicht anders ging, flog es auch über ihn hinweg... Als Major Caruso und seine Männer endlich einer nach dem anderen aus dem B-Deck auf den Druckkörper krochen, schlössen sie für Sekunden benommen die Augen. Ihre Körper waren mit Prellungen und Abschürfungen übersät, ihre Bordkombinationen zerrissen. Der plötzliche Ruck, der durch die Heckkugel ging, als der andere Teil des Wracks in die Planetenoberfläche einbrach, das Kippen des B-Decks und der spätere Start der JAPETUS mit der Heckkugel hatten sie wüst durcheinander geworfen. Sie starrten entsetzt auf die gurgelnden und schäumenden Wassermassen zu ihren Füßen. Und sie sahen noch etwas anderes. Einen aufreißenden Himmel, an dem das Schreckgespenst
einer rotgelben Riesensonne erschien. Umgeben von zuckenden, strahlenden Protuberanzen, so hell, so entsetzlich, daß Caruso und seine Männer unwillkürlich die Augen schlössen. Sie wußten nicht, was in der Zwischenzeit alles geschehen war. Sie wußten nur, daß es für die JAPETUS noch ein hartes Stück Arbeit werden würde, das System dieser Teufelssonne wieder zu verlassen. 126 Major Caruso warf einen Blick zu dem grauen Koloß hinauf, der über ihm den Himmel verdeckte. Beängstigend, erdrückend groß. Die blitzenden Hydraulikarme der Greifer ragten wie die Beine eines gigantischen Insekts aus dem grauen Rumpf des Werkstattschiffes heraus. Ein gespenstisches Bild, eine höllische Szenerie. Selbst Caruso, ein Mann mit einer Menge Raumerfahrung, der so gut wie nie die Nerven verlor, verspürte einen Schauder. Ihm wurde klar, was der Kommandant des Werkstattschiffes alles riskiert hatte, um ihn und seine Män ner zu retten. Und um die Heckkugel zu bergen, damit die notwendigen Untersuchungen stattfinden konnten. »Wer ist der Kommandant der JAPETUS?« fragte er den Offizier, der zusammen mit ihm und seinen Leuten und einer Gruppe von Technikern auf der Arbeitsplattform hockte, von der aus sie die GlNOK aufgeschnitten hatten. »Major Crook! Außerdem warten am Rande des Mira-Systems noch die Kreuzer HEUS und DORADO; sie werden uns auf unserer Rückreise Geleitschutz geben!« Caruso nickte. »Crook!« murmelte er. »Major Roger Crook, Kallisto-Akademie...« Er schüttelte dem Offizier die Hand. »Ich danke Ihnen, Leutnant, Ihnen und allen, die uns hier herausgeholt haben. Aber jetzt führen Sie mich zu Ihrem Kommandanten! Er ist ein alter Bekannter von mir, ein vorbildlicher Offizier, Leutnant! Meine Männer und ich können von Glück sagen, daß ausgerechnet er die Rettungsaktion durchführt.« Ein Kugelboot brachte sie zum Werkstattschiff empor, das langsam über die mehr und mehr vom Wasser bedeckte Ebene trieb... Bei Anbruch der Dunkelheit war die Aktion abgeschlossen, die Heckkugel der GlNOK unlöslich mit dem Werkstattschiff verbunden. Die Beiboote der JAPETUS lagen gemeinsam mit denen der GINOK in den geräumigen Hangars des Bootsdecks. Der Einsatz Mira Ceti hatte acht Vermißte, elf Verletzte und drei Kugelboote gefordert. Die Suchkommandos hatten ihre Arbeit einge 127 stellt, weil für die Verschollenen nach menschlichem Ermessen keine Überlebenschance mehr bestand. Major Crook sah Major Caruso an. »Caruso, ich denke, wir sollten diesen Planeten verlassen, sofort. Auch ohne jene Stadt, oder was immer die Türme einmal gewesen sind, näher angesehen zu haben. Niemand von uns weiß, wie Mira sich in den nächsten Stunden entwickelt. Professor Bell befürchtet das Schlimmste. Er glaubt, daß Mira jetzt sehr rasch ihr Maximum erreichen wird. Es kann stündlich geschehen. Die Stärke der Ausbrüche während des Maximums läßt sich nicht abschätzen. Der Sonnenkörper pulsiert schon seit Stunden, dehnt sich aus und zieht sich wie der zusammen. Strahlungswolken unvorstellbarer Intensität werden in den Raum geschleudert. Diese Sonne ist unberechenbar! Wie denken Sie darüber, Caruso?« »Starten Sie, Crook. So schnell wie möglich weg aus diesem System. Ganz davon abgesehen muß Shanton schnellstens mit seinen Untersuchungen in der Heckkugel beginnen. Falls wirklich Sabotage im Spiel ist, so kann man das gar nicht ernst genug nehmen!« Caruso trat auf den Kommandanten der JAPETUS zu. »Wenn ich Sie wäre, Crook, dann würde ich so schnell wie möglich transitieren. Auch wenn Sie durch die unvermeidlichen Sprungverzerrungen infolge der Systemnähe und seiner Kraftfelder die beiden Kreuzer verfehlen. Eine solche Kurztransition ist wahrscheinlich unsere einzige Chance!« Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Auch ich war vorhin bei Bell, Crook! Er hatte schwere Bedenken! Bei eintretendem Maximum können wir diese Höllenwelt wahrscheinlich gar nicht verlassen, sondern müssen warten. Und offen gestanden
denke ich auch an die Raumerwracks, an die zerstörten Türme, an die Skelette. Wer sagt uns, daß diese Welt wirklich unbewohnt ist? Wer sagt uns denn, ob sich die Bewohner nicht nur für die Dauer des Maximums zurückziehen? Ich hatte reichlich Zeit, darüber nachzudenken. Ich halte es nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre für besser, daß wir hier möglichst ungesehen verschwinden!« Crook nickte. 128 »Danke, Caruso! Manchmal ist es gut, wenn man eine Entscheidung nicht ganz allein zu fällen braucht!« Er gab die notwendigen Befehle. Die JAPETUS beschleunigte. Unter sich die Heckkugel der GlNOK mit einem Teil des Zwischenrumpfes. Ein grauer Schemen, der pfeifend die Atmosphäre jenes Planeten durchstieß, auf dem später neben den roten Skeletten der Fremden auch noch irgendwo die Knochen der Menschen bleichen würden, die der tückischen Mira Ceti zum Opfer gefallen waren... 129
9. Minuten verstrichen. Der Wind trieb den vier Männern den Staub in die Gesichter. Aber es
war ein warmer, würziger Wind.
Ren Dhark sah gedankenverloren nach Westen, wo sich hinter einigen weiteren Hügelketten
eine endlos erscheinende Ebene erstreckte.
»Wenn wir erst dort unten sind, werden wir schneller und leichter vorankommen.«
Dan Riker schloß die Augen. Er lehnte an einem Felsbrocken. Noch immer hob und senkte
sich seine Brust unter gewaltigen Atemzügen.
»Sag mal, Ren, haben wir vielleicht alle nur einen phantastischen Traum geträumt, in dem
zwei schwarze Roboter herumspukten?« fragte er plötzlich leise.
Dhark nickte geistesabwesend. Ihm kam es auch so vor.
»Diese bestürzende Ähnlichkeit mit uns Terranern ist unglaublich. Wenn es wirklich Roboter
sind...«
»Es sind Roboter«, fiel ihm Lati Oshuta ins Wort. Auch Bram Sass brummte seine
Zustimmung.
Dhark lächelte müde.
»Okay. Aber Sie müssen mir gestatten, daß ich meine eigenen Gedankengänge weiterspinne.
Wenn es also wirklich Roboter sind, dann ist die Nachbildung von einer Vollkommenheit,
die nicht mehr zu überbieten ist. Unsere Techniker wären niemals in der Lage, derartige
Nachbildungen zu schaffen.«
Wieder Schweigen. Hin und wieder warfen die Männer einen Blick in das hinter ihnen
liegende Tal. Aber die Schwarzen blieben verschwunden.
»Könnten auf diesem Planeten vielleicht vor Äonen die Vorväter der heutigen Menschheit
gelebt haben?« sagte Dan Riker plötzlich.
Ren Dhark sah seinen Freund entgeistert an.
»Du meinst, die Menschheit hatte auf diesem Planeten ihren Ur 130
sprung?« Ungläubig schüttelte der Commander den Kopf. »Eher würde ich mir vorstellen,
daß die Menschheit auf dem Weg zu den Sternen hier einmal Station gemacht hat. Aber auch
das ist Unsinn. Wir kennen die Raumfahrt erst seit knapp hundert Jahren.«
Wieder Schweigen. Wieder Nachdenken.
Eine Stunde mochte vergangen sein, da gab Dan Riker bekannt, daß er sich nun wieder erholt
hätte. Ren Dhark betrachtete ein weiteres Mal das Tal, das sie vor kurzem durchquert hatten.
Er überlegte fieberhaft, ob er nicht doch wieder den Rückmarsch befehlen sollte. Irgend
etwas zog ihn in die kleine Stadt. Zurück zu den Robotern, zurück in den gigantischen
Tiefkeller. Dort lag ein Geheimnis, das er ergründen wollte.
Aber gleichzeitig warnte ihn sein Instinkt. Er vertraute dieser Mahnung. In der Stadt lauerte
Gefahr. Vielleicht der Tod. Ren Dhark glaubte den Tod nicht zu fürchten. Dennoch hing er
am Leben.
Entschlossen drehte er sich um und wies nach Westen.
»Wir marschieren weiter in Richtung Ebene.«
Riker und Sass bildeten die Spitze. Oshuta folgte. Ren Dhark bildete die Nachhut. Immer, wenn er sich umdrehte, erwartete er, die Schwarzen auf dem Kamm der Hügelkette auftauchen zu sehen -aber sie blieben verschwunden. Ein flaches, von sanft ansteigenden Hügelketten eingefaßtes, mehr oder minder dicht mit Büschen bestandenes Tal folgte dem anderen. Es wurde wärmer. Die Stunden rannen dahin, und noch immer war die Ebene in weiter Ferne. Die Männer schwiegen. Selbst Lati Oshuta, sonst quirlig und quicklebendig, schien sich mit einer schweren Bürde abzuschleppen. Mehrmals entdeckten sie seltsame Lebewesen. Manche erinnerten an terranische Hasen, manche an hüpfende Vögel. Angst schienen diese Tiere nicht zu kennen. Sie ließen die vier merkwürdigen Gestalten vorüberziehen und äugten ihnen nach. Selbst als Oshuta einmal hinsprang und nach einem Hasen fassen wollte, hüpfte das Tier ein paar Meter davon, glotzte ihn treuherzig an und scharrte weiter am Boden herum. 131 Nach Stunden brannten den Männern die Gesichter. Die Augen röteten sich. Der kaum spürbare Wind wirbelte feinsten Staub auf. Er knirschte zwischen den Zähnen, lag bitter auf der Zunge. Die Sonne wanderte nun sichtbar weiter. Das grellweiße Licht wurde schwächer. Außerdem überzog sich der bläulichgrüne Himmel mit feinsten Wolkenschleiern. Ren Dhark sah mehrmals nachdenklich zum Himmel auf. Er mußte an die heraufziehende Nacht denken. Die Friedfertigkeit dieser Landschaft lullte ihn ein. Die Ruhe, die Stille. Die Männer marschierten wie Automaten gleichmäßig voran, über eine Hügelkette, durch ein Tal, die nächste Hügelkette hinauf... Es wurde ihnen zunächst gar nicht bewußt, daß das Gelände nur noch sanft abfiel. Erst als sie plötzlich vor einem gewaltigen Steilabbruch standen, registrierten sie, daß sich die Landschaft leicht verändert hatte. Es gab keine Hügelketten mehr, nur noch ein ebenes Plateau, das sich kilometerweit nach rechts und links erstreckte. Direkt vor ihnen, aber gut und gerne 600 Meter tiefer, lag die Ebene mit dem gewaltigen Strom, die sie von der Paßhöhe aus gesehen hatten. »Das hatte ich schon befürchtet«, brummte Bram Sass, der gefährlich dicht an den Steilabbruch herangetreten war und in die Tiefe spähte. Als er die fragenden Blicke seiner Begleiter bemerkte, erklärte der Ladiner: »Wir haben uns die ganze Zeit über ein Hochplateau bewegt. Ich hatte gehofft, diese Hügel wären Teil einer Vorbergzone und würden sich bis hinunter in die Ebene ziehen. Allerdings waren mir die Höhenunterschiede zu gering. Jetzt haben wir den Beweis. Wir befinden uns auf einem Hochplateau...« »Und wie kommen wir jetzt von diesem verdammten Plateau runter auf die Ebene?« fragte Dan Riker und ließ sich erschöpft zu Boden sinken. »Heute sicher nicht mehr, denn es wird gleich dunkel werden«, sagte Ren Dhark, der die Mutlosigkeit in der Stimme seines Freundes wohl gehört hatte, noch bevor Sass die Frage beantworten konnte. »Und morgen werden wir eine Möglichkeit finden.« Er blickte sich um und deutete auf eine Gruppe halb mannshoher, 132 kugeliger Büsche, die ein Fleckchen dürrer Grasnarbe einschlössen: »Dort drüben können wir die Nacht verbringen.« Die vier Männer gingen zu der Stelle hinüber und setzten sich ins halbverdorrte Gras. Schweigend verzehrten sie die letzten Stücke des kalten Bratens und einige Konzentratwürfel und tranken aus ihren Wasserflaschen, die sie am Morgen am See der Schneckenungeheuer gefüllt hatten. Fast übergangslos brach die Nacht herein. Viel zu müde für lange Gespräche streckten sich Ren Dhark und seine Begleiter auf dem Boden aus. Doch der Schlaf wollte sich nicht sofort einstellen. Wenn es auch niemand aussprach, ihre Gedanken ließen ihnen keine Ruhe. Die Roboter spukten noch in ihren Köpfen herum. Es mochte vielleicht eine Stunde vergangen sein, da setzte sich Dan Riker plötzlich ruckartig
auf. Im Licht der ungewöhnlich hellen Sterne, die am Himmel dieses Planeten prangten, sah
er zu seinem Freund hinüber.
»Schläfst du, Ren?«
»Nein, Dan.« Auch Ren Dhark richtete sich auf. »Was gibt es?«
Dan Riker zögerte einen Augenblick, dann sprudelte es aus ihm heraus: »Ren, was hat dies
alles eigentlich für einen Sinn? Ich meine unsere ständige Flucht, immer tiefer in die Einöden
und Gefahren einer fremden Welt, ohne Aussicht, je mit der PoiNT OF oder Terra in
Verbindung treten zu können? Die Schwarzen, die vielleicht die Möglichkeit gehabt hätten,
uns zu helfen, denken nicht daran. Und wir, Ren, wir könnten ja noch nicht einmal unsere
Position angeben!«
Er schüttelte den Kopf.
»Nein, Ren, wir müssen wieder in die Nähe einer Stadt. Selbst auf die Gefahr hin, von den
Robonen erwischt zu werden. Nur wo es Raumschiffe gibt, haben wir eine Chance. Wir
müssen einen von Sawalls Männern in unsere Gewalt bringen, irgendeinen einflußreichen
Robonen. Auf diese Weise würden wir wenigstens etliches von dem erfahren, was wir wissen
müssen!«
Ren Dhark hatte seinem Freund aufmerksam zugehört.
133
»Du hast recht, Dan! Genau das habe ich vor. Aber dazu werden wir erst eine Robonenstadt
finden müssen! Zunächst müssen wir aus dem Gebiet der Schwarzen heraus. Ich glaube nicht,
daß sie sich ein zweitesmal damit begnügen würden, uns einfach nur aus ihrer Stadt zu
vertreiben! Hast du dir eigentlich schon mal Gedanken darüber gemacht, wie viele von ihnen
hier existieren - und was sie hier tun? Wer diese sowohl vom Körperlichen wie vom
Ästhetischen her vollendeten Roboter geschaffen haben könnte und warum? Wo es doch
genug Roboterformen gibt, die unkomplizierter, robuster sind?«
Unwillkürlich warf Ren Dhark einen Blick in jene Richtung, in der die Stadt der schwarzen
Roboter lag.
Dan Riker schien ihm gar nicht zuzuhören. Vornübergebeugt saß er da und starrte vor sich
hin.
»Ich habe kein gutes Gefühl, Ren! Diese Welt, sie... ich weiß nicht, ich glaube von Tag zu
Tag weniger daran, daß wir sie jemals wieder verlassen werden! Ich fürchte, wir werden
Terra niemals wiedersehen...«
Ren Dhark sah den Freund prüfend an. Es war ihm während der letzten Tage schon des
öfteren aufgefallen, daß Dan Riker von Zeit zu Zeit scheinbar an Depressionen litt. Das
kannte er an seinem Freund gar nicht.
»Dan«, sagte er daher besorgt, »stimmt mit dir etwas nicht? Du hast dich in den letzten Tagen
verändert. Hast du irgendwelche Beschwerden, fühlst du dich krank?«
Dan Riker schüttelte den Kopf.
»Mit mir ist nichts, Ren. Aber ich frage mich, wann die Menschheit endlich ihren Frieden
finden wird. Wann wir uns dem Aufbau, der Neugestaltung unserer Welt widmen können
werden, statt immer und immer wieder irgendwelche Kämpfe ausfechten zu müssen...«
Er straffte sich.
»Lassen wir das, Ren. Vielleicht habe ich ganz einfach Sehnsucht nach Anja, vielleicht taugt
ein junger, verliebter Ehemann nicht mehr zum Abenteurer. Komm, mach dir keine Sorgen,
schließlich weiß gerade ich, wofür wir dies alles tun, worum wir kämpfen! Morgen werden
wir einen Abstieg zur Ebene finden, und dann sieht die Welt wieder besser aus. Gute Nacht.«
134
Mit diesen Worten ließ er sich zurücksinken und schloß die Augen. Für ihn war das Gespräch
beendet.
Ren Dhark wußte, daß es keinen Sinn haben würde, jetzt noch weiter mit Dan zu reden. Mit
einem lautlosen Seufzer legte er sich ebenfalls wieder hin und widmete sich der Betrachtung
des Firmaments.
Ich muß auf Dan achten, dachte er. Ich muß irgend etwas finden, um ihm wieder Mut zu
machen.
Mit diesen Gedanken schlief er ein.
Irgendwann später in der Nacht erwachte er von einer Berührung an der Schulter. Noch halb
benommen schlug er die Augen auf und blickte in das grinsende Gesicht von Lati Oshuta. »Kommen Sie, Dhark, ich will Ihnen etwas zeigen«, flüsterte der Cyborg ihm zu. »Was...?« »Kommen Sie, Commander. Es gibt etwas, das Sie sehen sollten!« Die Stimme des kleinen Japaners wurde drängender. Mühsam schüttelte Ren Dhark seine Schlaftrunkenheit ab. Er stand auf und ließ sich von Oshuta aus der Buschgruppe heraus und zum Steilabbruch führen. In sicherer Entfernung von der Kante blieb der Japaner stehen. »Sehen Sie!« sagte er und deutete nach Westen. Vor Ren Dhark lag die Ebene im kalten Sternenlicht, durch die sich das Band des schwach phosphoreszierenden Stromes wand. »Nicht dort unten«, sagte Oshuta, der Dharks Blickrichtung erkannte, »dort drüben!« Wieder deutete er nach Westen. Es dauerte einige Sekunden, bis Ren Dhark begriff, was der Cyborg ihm wirklich zeigen wollte. Dann erkannte er, daß der langsam sinkende Stern dort draußen über der Ebene ein Raumschiff war! Der Raumhafen der Robonen! Jetzt hatte er etwas, womit er Dan Riker wieder Mut machen konnte! 135 Der Raum lag in dämmrigem Zwielicht. Die an der Decke befestigten Punktstrahler waren weit heruntergedimmt, um nicht von dem Bild abzulenken, das sich auf dem riesigen, die obere Hälfte der einen Stirnwand einnehmenden Monitor darbot. Die Aufnahmen waren aus einem Raumschiff heraus gemacht worden, das sich in relativ niedriger Fahrt einem blaugrün leuchtenden Planeten näherte. Noch war der Planet nicht mehr als eine Kugel von Faustgröße vor dem samtschwarzen Hintergrund des Alls, doch langsam, fast unmerklich wurde er größer. »Wir haben uns im Zickzackkurs an den Abwehrforts und Patrouillenschiffen vorbeigeschlichen«, erklang eine Stimme aus dem Off, »wobei wir einigen Raumern ziemlich nahegekommen sind.« Noch während der unsichtbare Sprecher sprach, war unterhalb des großen Bildschirms eine Galerie von fünf kleineren Monitoren aufgeflammt. Sie zeigten jetzt eine symbolische Darstellung des Sonnensystems, das der Raumer durchflog. In unterschiedlichen Farben wur den dazu die Koordinaten der Abwehrforts und die Bahndaten der Patrouillenschiffe eingeblendet, außerdem der Kurs des Raumers, von dem aus die Aufnahmen gemacht worden waren. In einer von weiten Schleifen gekennzeichneten Bahn bewegte er sich etwas oberhalb der Ekliptik auf den dritten Planeten des Systems zu. Einmal kam der Raumer einem der Patrouillenschiffe so nahe, daß es für einen Augenblick als Schatten auf dem riesigen Normalsicht-Bildschirm auftauchte. Der Mann, der ganz allein in dem dämmrigen Raum saß und die Vorführung verfolgte, merkte auf. »Perfekt«, murmelte er leise. »Da haben wir den Beweis, daß unsere mit dem neuen Ortungsschutz ausgerüsteten Raumer auch für optische Beobachtungssysteme nicht auszumachen sind.« »Warten Sie's ab. Sie werden gleich noch eine wesentlich eindrucksvollere Demonstration zu sehen bekommen«, erklang erneut die Stimme des unsichtbaren Sprechers. »Ich lasse die Aufzeichnung jetzt etwas schneller ablaufen.« Die mittlerweile fast schon fußballgroße blaugrüne Kugel begann jetzt deutlich schneller zu wachsen. Es dauerte nur Minuten, und sie 136 füllte den gesamten Bildschirm aus. Kontinente, Meere und Wolkenfelder zogen unter dem Betrachter dahin. Das Raumschiff ging tiefer, überflog einen durch eine schmale Landbrücke verbundenen Doppelkontinent und steuerte schließlich einen Punkt im Norden einer kleinen, westlich vor der größten Festlandmasse gelegenen Inselgruppe an. »Und jetzt passen Sie bitte genau auf.« Das war wieder der unsichtbare Sprecher.
Von rechts oben glitt plötzlich ein Schatten ins Bild, schwoll zu einem riesigen stählernen Gebilde an, das fast zwei Drittel des Bildschirms bedeckte, und wanderte dann allmählich wieder aus dem Erfassungsbereich der Optiken. »Das war ein 400-m-Kreuzer. Und er war so nahe an uns dran, daß unser Bordgehirn Kollisionsalarm gab.« Die Stimme des Sprechers verriet seine Zufriedenheit. »Sawall, wir haben es geschafft. Wir können...« »Danke, das reicht«, fiel ihm Allon Sawall ins Wort. »Sie können die Aufzeichnung stoppen. - Licht«, befahl er dann etwas lauter. Als die Beleuchtung wieder Normalmaß erreicht hatte, wandte sich Sawall noch einmal an den Mann, der die Aufzeichnungen kommentiert hatte. »Sie und Ihr Team haben hervorragende Arbeit geleistet, Masselt. Das werde ich nicht vergessen. Ich werde Stoikin und Thomsen Bescheid geben, damit sie sich ebenfalls die Aufzeichnungen ansehen können. Ich bin sicher, sie werden genauso beeindruckt sein wie ich.« »Das höre ich natürlich gern, Sawall. Es war wirklich alles andere als einfach, den Ortungsschutz der All-Hüter weiterzuentwickeln und so deutlich zu verbessern. Aber das Ziel lohnt jede Anstrengung. Ich freue mich schon auf den Tag...« Die Stimme verklang, als die Tür hinter Allon Sawall ins Schloß fiel. Der hünenhaft gebaute, dunkelhäutige Mann blieb einige Augenblicke auf dem Korridor stehen, eher er sich mit langen, geschmeidigen Schritten in Bewegung setzte. 137 »Und, hat Masselt Ihnen seine Tarnkappe gezeigt?« Überrascht blickte Allon Sawall auf. Er war so in Gedanken versunken gewesen, daß er überhaupt nicht bemerkt hatte, daß vor der Tür zu seinem Büro jemand auf ihn gewartet hatte. »Dr. Keller, kommen Sie doch mit in mein Büro. Was kann ich für Sie tun?« fragte Sawall und musterte aufmerksam den Mann, der gerade eben erst mit der USHART von der Erde zurückgekehrt war. Keller machte einen angespannten, nervösen Eindruck. Seine Stimme klang gepreßt, als er seine Frage leicht abgewandelt wiederholte: »Ich nehme an, Masselt hat Ihnen gerade die Aufzeichnungen vom Anflug der USHART auf die Erde gezeigt... Ich durfte mir Sie schon auf dem Rückflug oft genug ansehen - und mir außerdem noch Masselts Kommentare anhören.« »Stimmt, ich habe mir besagte Aufzeichnungen angesehen, aber...« »Und - war es die Sache wert?« In Kellers Stimme schien ein nur noch mühsam gebändigter Zorn mitzuschwingen. Verständnislos blickte Allon Sawall den Mediziner an, der kurz vor einer Explosion zu stehen schien. »Ich verstehe Sie nicht so recht, Dr. Keller...« Keller trat ein paar Schritte näher an seinen Anführer heran. »Ich habe Sie gefragt, ob es die Sache wert war. Ob Dr. Masselts wunderbare Tarnkappe es wert war, einen Mann zu quälen und schließlich zu töten, der zwar ohnehin nicht mehr lange zu leben gehabt hätte - der aber einer von uns gewesen ist!« Kellers Stimme war bei jedem Satz ein bißchen lauter geworden. »Wenn Sie auf Professor Bergström anspielen - der war keiner von uns. Nicht mehr, seit die Verdammten ihn mit ihrem CE-Gerät bestrahlt hatten...« »Ach, hören Sie doch auf, Sawall.« Keller klang jetzt fast hysterisch. »Hören Sie auf mit diesem Geschwätz von den >Verdammten<. Die Menschen, die Sie >Verdammte< nennen, haben sich aufopfernd um Bergström und die anderen Todgeweihten gekümmert. Sie hätten ihn niemals unter Drogen gesetzt, nur um an seine Forschungsergebnisse zu kommen.« »Aber Dr. Keller, beruhigen Sie sich doch.« Mit einem jovialen Lächeln und weit ausgebreiteten Armen trat Allon Sawall auf den Medi 138 ziner zu. »Wenn ich es nicht besser wüßte, könnte ich fast vermuten, Sie wären selbst mit diesem Teufelsgerät bestrahlt worden, mit dem Dhark unsere Artgenossen zum Tode verurteilt hat.«
Keller schüttelte den Kopf; seine Augen flackerten.
Doch dann fing er sich plötzlich. Seine Stimme klang wieder ganz ruhig, als er sagte: »Sie
wissen ebensogut wie ich, daß unsere Artgenossen auch Dharks Artgenossen waren, daß wir
alle den gleichen Heimatplaneten besitzen...«
Sawall öffnete den Mund und schloß ihn dann wieder. Er lächelte. ? »Also gut. Schließlich
sind wir hier unter uns. Es mag sein, daß wir einst alle Terraner waren, aber dann haben die
All-Hüter uns auserwählt. Wir sind die Wahren Menschen, wir werden zu kosmischer
Bedeutung aufsteigen! Die >Verdammtem jedoch...« Er machte eine wegwerfende
Handbewegung.
Jetzt lächelte auch Keller. Aber es war ein trauriges, verlorenes Lächeln.
»Und doch haben die All-Hüter uns verlassen... Und sie sind auch in der Zeit der Not nicht zu
uns zurückgekehrt. Vielleicht warten sie auch darauf, daß wir wieder anfangen,
>menschlich< zu handeln...« * Allon Sawall atmete schwer. Die Worte des Mediziners
machten ihm sichtlich zu schaffen.
»Hat Marek das zu Ihnen gesagt, als er Sie auf Ihren Einsatz auf der Erde eingestimmt hat?«
Keller zuckte die Schultern. »Möglicherweise. Aber vergessen Sie nicht, daß ich fast zwei
Jahre auf der Erde verbracht habe. Diese Welt läßt einen nicht unberührt...«
Abrupt drehte er sich um und ging zur Tür. Unter dem Türrahmen blieb er noch einmal
stehen.
»Eine Frage noch, Sawall: Was haben Sie empfunden, als Masselt Ihnen die Aufnahmen von
Terra vorgeführt hat?«
»Nichts.« Die Stimme des Robonenanführers klang völlig ausdruckslos.
Keller schüttelte bedauernd den Kopf.
»Sie lügen«, sagte er und trat hinaus auf den Korridor.
Mit einem dumpfen Laut fiel die Tür hinter ihm ins Schloß.
Mit merkwürdig steifen Bewegungen ging Sawall zu seinem
139
Schreibtisch. Langsam ließ er sich in seinen Sessel sinken. Mehrere Minuten saß er völlig
still und reglos da, dann hieb er plötzlich die geballten Fäuste auf den Tisch.
»Verdammt!«
Und noch einmal. »Verdammt!«
In dieser Nacht schlief Allon Sawall schlecht. Mehrmals schreckte er hoch, und schließlich
gelang es ihm nicht mehr einzuschlafen.
Er stand auf und trat ans Fenster, ließ seine Blicke über die Stadt schweifen, die dort draußen
still vor sich hindämmerte.
Dr. Kellers Vorwürfe hatten ihn härter getroffen, als er sich eingestehen wollte. Schlimmer,
sie hatten die Zweifel genährt, die ihm von Tag zu Tag mehr zu schaffen machten.
Dabei hatte ursprünglich alles so einfach ausgesehen - und so folgerichtig. Als die All-Hüter
so plötzlich verschwunden und die mentalen Botschaften des CAL ausgeblieben waren, hatte
es eine Phase der völligen Desorientierung gegeben.
Was sollten sie, die >Wahren Menschen<, jetzt tun, da ihre Mentoren sie verlassen hatten.
Sie wußten, sie waren auserwählt - doch wozu? Und dann - aufgrund der Speicherinhalte und
Aufzeichnungen der Rechengehirne der All-Hüter - war der Plan entstanden. Der Plan, der
dazu dienen sollte, das Werk zu vollenden, das die All-Hüter begonnen hatten.
Schon damals hatte es Zweifel gegeben, Einwände - Sawall erinnerte sich nur zu gut daran,
wie heftig Marek gegen den Plan opponiert hatte -, doch als bekannt wurde, was die
>Verdammten< den >Wahren Menschen< von Robon angetan hatten, beschloß die Mehrheit,
den Plan durchzuführen.
Die erste Stufe hatte zunächst problemlos funktioniert. Es war leicht gewesen, auf Terra
Agenten einzuschleusen, da die > Verdammtem nicht in der Lage waren, sie von ihren
Artgenossen zu unterscheiden. Informationen wurden beschafft, technische Geheimnisse
erbeutet und äußerst subtile Sabotageaktionen durchgeführt. Einige Agenten gelangten sogar
in Positionen, die ihnen Zugang zu den höchsten Regierungskreisen boten.
140
Doch dann fingen die Probleme an.
Mehr und mehr Agenten mußten wieder abgezogen werden, weil sie nicht mehr gegen die
>Terraner< arbeiten wollten. Ähnlich wie Dr. Keller waren viele davon beeindruckt, wie man
sich auf der Erde um die >rückgeschalteten< Robonen gekümmert hatte.
Da die Zahl der auf Terra eingesetzten Agenten aus einer Reihe von Gründen ohnehin nicht
besonders hoch gewesen war, war die Ausführung des Plans zum ersten Mal ins Stocken
geraten.
Aus diesem Grund hatte Sawall beschlossen, Stufe zwei durchzuziehen: Gefangennahme und
Liquidierung der terranischen Führungsspitze.
Auch dieser Teil war nur zur Hälfte gelungen - und Sawall war ehrlich genug, sich
einzugestehen, daß das ganz allein seine Schuld war. Er hatte diesen Ren Dhark und seine
Begleiter nach ihrer Gefangennahme absichtlich entkommen lassen. Ursprünglich war die
Idee gewesen, mit den >Verdammten< ein bißchen Katz und Maus zu spielen, sie zu
demütigen, ihnen im Augenblick der Hoffnung den Todesstoß zu versetzen.
Aber dann... dann hatte Sawall plötzlich das Interesse an diesem Spiel verloren. Er war davon
überzeugt, daß Dhark und seine Begleiter noch am Leben waren, daß sie irgendwo dort
draußen durch die Einöde irrten.
Er sagte sich immer wieder, daß sie ohnehin kaum eine Überlebenschance besaßen, daß sie
entweder irgendwelchen Tieren oder aber den geheimnisvollen >Schwarzen< zum Opfer
fallen würden; auf diese Weise mußte er sich noch nicht einmal die Hände schmutzig
machen. Schließlich war er der Anführer der Auserwählten und kein Mörder.
Tief in seinem Innern wußte Sawall jedoch, daß das eine Lüge war. Dieser Ren Dhark, der
junge Anführer der Terraner, hatte ihn bei ihrem ersten Treffen mehr beeindruckt, als er sich
lange Zeit hatte eingestehen wollen. Und so merkwürdig es klang - irgendwie hoffte er
beinahe, daß der Terraner und seine Begleiter überleben würden.
Allon Sawall seufzte.
Er hatte das Gefühl, als würde um ihn herum seine Welt zerfallen. Die letzte Stufe des Plans
wäre ohnehin niemals durchzuführen gewesen. Denn Terra entweder zu vernichten oder aber
unerkannt zu
141
übernehmen, war völlig unmöglich. Dazu war die Zahl der >Wahren Menschern, die von den
All-Hütern nicht auf Robon, sondern auf Noura und Dalash angesiedelt worden waren,
einfach viel zu klein.
Sawall preßte die Stirn gegen die Fensterscheibe.
Es ist genauso, wie Marek immer gesagt hat, dachte er. Der Plan geht von völlig falschen
Voraussetzungen aus.
Hatten die All-Hüter sich nicht bereits von Terra zurückgezogen, bevor sie verschwanden?
Waren die Terraner für sie nicht schon lange uninteressant geworden? Und jetzt verfolgten er
und seine Leute einen Plan, der schon längst Makulatur war, anstatt nach ihrer wahren
Bestimmung zu forschen.
Es wäre alles einfacher, wenn Marek hier wäre, dachte er.
Aber Marek war bereits seit Monaten verschwunden.
Also mußte er versuchen, allein zu einer Entscheidung zu kommen, wenn ihm die Fäden der
Autorität nicht entgleiten sollten.
Sawall horchte in sich hinein. Was sollte er tun? Den Plan aufgeben? Oder Ren Dhark suchen
und töten lassen?
Er wußte es nicht.
Die Welt veränderte sich, leicht zunächst, kaum wahrnehmbar.
Eigentlich war es nicht die Welt, sondern der paramentale Äther.
Eine Präsenz.
Hungrig, gierig.
Unsagbar fremd.
Langsam glitt sie durch das Dunkel heran.
Tastende Fühler.
Schmerz!
Und dann begann der Sog, der alles verschlang.
Kalte stählerne Gebilde, Häuser, Lebewesen.
Beseeltes und Unbeseeltes.
Scheinbar wahllos.
Er hörte die Schreie derer, die verschlungen wurden, ihre mentalen Schreie, ausgestoßen in
höchstem Entsetzen.
Er versuchte sich der Präsenz entgegenzustellen.
Schmerz! Unendlicher, brennender Schmerz!
142 Und noch immer der Sog, der alles mitreißt.
Verschlingt. Verschlingt!
VERSCHLINGT!!
Mit einem Aufschrei fuhr Allon Sawall hoch, blickte sich völlig desorientiert um. Er mußte
auf dem Sessel eingenickt sein. Er war schweißgebadet. Er hatte geträumt.
Aber was für ein Alptraum!
Langsam kehrte sein klares Denkvermögen zurück.
Dieser Traum...
Er stand auf, ging zum Funkgerät, fragte nach, ob in den letzten Stunden ein Raumschiff
gelandet sei.
»Nein, aber die DUKHAS hat gerade ihre Ankunft für morgen angekündigt«, lautete die
Antwort.
»Versuchen Sie, eine Verbindung mit der DUKHAS herzustellen!«
Das Bild wechselte. Ein kahlköpfiger Mann blickte ihn an.
»Sawall hier, Captain. Haben Sie einen Passagier an Bord?«
Der Kahlköpfige nickte.
»Er schläft«, sagte er dann leise, als hätte er Angst, den Passagier zu wecken.
»Ich muß ihn so schnell wie möglich sprechen, Captain!«
Der Kommandant der DUKHAS machte ein unglückliches Gesicht.
»Ich weiß nicht, Sawall, ob...«
Keine Sorge, Allon, ich werde bald bei dir sein! Allon Sawall zuckte zusammen. Die mentale Botschaft war so stark gewesen - viel stärker als früher. Ich habe mich... verändert, Allon. Aber das ist noch nicht alles. Es gibt viel zu erzählen... morgen... Morgen bin ich bei dir! Schwer atmend ließ sich Allon Sawall in den Sessel zurücksinken.
Marek war auf dem Weg hierher!
Und er hatte seine Träume vorausgeschickt.
Draußen färbte die Dämmerung den Himmel grünlichgrau.
143
10. Kurz jenseits der Plutobahn kam die POLLUX aus dem Hyperraum. Sie hatte einen
gewaltigen Sprung über mehr als 15 000 Lichtjahre hinter sich.
Sigurdur Gutmundsson lehnte sich in seinen Pilotensitz zurück und gestattete sich einen
tiefen Seufzer.
»Wir haben es geschafft, Huxley«, sagte er erleichtert.
»Gratulation an Ihren Chief, Gutmundsson. Der Mann versteht sein Handwerk!« erwiderte
Huxley.
Gutmundsson nickte. »Orloff ist ein Zauberer«, sagte der Isländer, und man konnte ihm
ansehen, wie stolz er auf die Leistung seines Leitenden Ingenieurs war.
»Muß ein Kumpel von Erkinsson sein«, murmelte Huxley. Dann wandte er sich wieder an
den Kommandanten der POLLUX.
»Wenn Sie nichts dagegen haben, gehe ich gleich rüber zur Funk-Z und setze mich mit dem
Stab der TF in Verbindung.«
»Nur zu, Huxley, nur zu!« Gutmundsson schwelgte immer noch in Hochgefühl.
Wenig später jagte ein an den Stab der TF gerichteter Funkspruch höchster
Dringlichkeitsstufe aus den Antennen der Pollux.
»Großer Gott, Huxley, wo haben Sie den gesteckt?« meldete sich kurz darauf Captain Patters,
der Adjutant von Marschall Bulton. »Augenblick, ich verbinde Sie mit dem Chef!« Und
schon war Patters wieder vom Bildschirm verschwunden. Dafür war jetzt der Marschall
formatfüllend zu sehen.
Und er polterte auch sofort los.
»Bei allen Sternteufeln, Huxley! Sie können sich gar nicht vorstellen, wie ich mich freue, Sie gesund und munter zu sehen. Hatte schon befürchtet, Sie wären genauso verschollen wie der Commander und Riker!« 144
»Dhark und Riker sind verschwunden?« wiederholte Huxley ungläubig. »Aber...«
»Ja, hier geht es im Moment ziemlich rund, Huxley. Aber landen Sie erst einmal.
Anschließend melden Sie sich bei mir. Hier ist in den letzten beiden Wochen allerhand
geschehen. Aber ich schätze, Sie werden mir auch einiges zu erzählen haben.«
»Das kann man wohl sagen, Sir. Ich würde es allerdings wirklich vorziehen, wenn wir uns
persönlich unterhalten könnten. Ich habe Neuigkeiten, die weiß Gott nicht für jedermanns
Ohren bestimmt sind.«
Bulton runzelte die Stirn. Seine buschigen Brauen sträubten sich.
»Was haben Sie jetzt schon wieder für eine Sauerei entdeckt? Und wo haben Sie überhaupt...
Ach was, kommen Sie so schnell wie möglich in mein Büro, dann können wir über alles
reden!«
Der Bildschirm erlosch.
Jos Aachten van Haag machte einen ausgesprochen fröhlichen Eindruck, als er Bernd Eylers'
Büro betrat.
»Was ist los, van Haag? Sie sehen aus, als hätten Sie den Stein der Weisen gefunden«,
empfing ihn der GSO-Chef.
Mit einer triumphierenden Geste warf Jos einen Stapel Folien auf Eylers' Schreibtisch.
»Sie dürfen sich bei mir entschuldigen, Chef«, meinte er gönnerhaft.
Stirnrunzelnd betrachtete Eylers die Folien.
»Was soll das sein?« fragte er.
»Das sind Aufnahmen von Gehirnscans. Unter anderem von einem gewissen Sergeant Meeks,
der in der Raumüberwachungsstation Dienst tut.«
»Und?«
»Na, sehen Sie sich die Dinger an, Chef!« Jos machte eine auffordernde Geste.
»Wollen Sie mir nicht einfach sagen, was los ist, van Haag? Ich habe im Moment zuviel um
die Ohren, um mich auf irgendwelche Rätselspielchen einlassen zu können.«
145
»Oh, oh, dicke Luft, was?« machte Jos weiter. Ein Blick in Eylers' Gesicht ließ ihn aber
schnell ernst werden. Zumindest ziemlich ernst.
»Sie gönnen einem aber auch nichts, Chef. Schon gut, schon gut, Jos erzählt ja schon! Diese
Gehirnscans liefern den Beweis, daß sich Robonen - nicht >rückgeschaltete< Robonen
wohlgemerkt - auf der Erde aufhalten, Eylers!«
Der GSO-Chef sah seinen Staragenten an, als hätte er ein äußerst seltenes Insekt vor sich.
»Sie sind ja komplett verrückt, van Haag! Wo sollen die denn herkommen? Ich wollte
handfeste Beweise von Ihnen, nicht irgendwelche Hirngespinste!« Eylers' Ton wurde
zunehmend frostiger.
»Aber das sind handfeste Beweise, Chef. Rufen Sie die Mediziner im Forschungszentrum an,
wenn Sie mir nicht glauben!«
Eylers schüttelte ungläubig den Kopf. »Noch einmal, Jos - wo sollen Ihrer Meinung nach
diese Robonen so plötzlich herkommen?«
Jos breitete in einer entschuldigenden Geste die Arme aus.
»Ich habe nie behauptet, daß ich alles weiß, Eylers, aber...«
Das Summen des Viphos unterbrach ihn.
Es war Marschall Bulton, der noch nicht einmal wartete, bis das Bild sich endgültig
stabilisiert hatte.
»Kommen Sie bitte sofort in mein Büro, Eylers. Colonel Huxley ist gerade bei mir. Da ist
schon wieder eine riesige Sauerei im Gang!«
»Ich kann jetzt nicht, ich bin gerade in einer Besprechung, Marschall. Aber sagen Sie mir
doch schon einmal, worum's geht.«
Der Marschall beugte sich leicht nach vorn, so daß sein Gesicht endgültig den gesamten
Bildschirm ausfüllte.
»Huxley hat einen Robonen mitgebracht. Einen lebendigen, nicht >rückgeschalteten<
Robonen! Na, jetzt sind sie sprachlos, was?«
Eylers war in der Tat sprachlos. Er vermied, in das feixende Gesicht von Jos zu blicken, als er zu Bulton sagte: »Ich komme sofort zu Ihnen rüber, Marschall. Und ich glaube, es ist keine schlechte Idee, wenn ich Jos Aachten van Haag mitbringe. Er ist unser Experte in dieser Angelegenheit!« Jos starrte angelegentlich an die Decke und pfiff leise vor sich hin. 146 Während sie auf Bernd Eylers und Jos Aachten van Haag warteten, ließ sich Marschall Bulton von Colonel Huxley noch einmal erzählen, wie es überhaupt zur Auffindung des Robonen gekommen war. Auf diese Weise erfuhr der stellvertretende Oberbefehlshaber der TF von dem Defekt am Transitionstriebwerk der POLLUX. »Und der Chief der POLLUX glaubt also ernsthaft, daß es sich bei der Sache um einen konstruktionsbedingten Fehler handelt?« vergewisserte sich Bulton noch einmal. Huxley nickte. »Und was ist das für ein Typ, dieser...?« »Orloff«, ergänzte Huxley. »... ja, dieser Orloff, was ist das für einer? Ein Spinner?« Huxley schüttelte den Kopf. »Ich hatte zwei Wochen Gelegenheit, Chief Orloff über die Schulter zu sehen. Der Mann ist ein As auf seinem Gebiet. Wenn ich jemals einen Ersatz für Erkinsson brauchen sollte, dann wäre er allererste Wahl. Nein, Marschall, Orloff ist alles andere als ein Spinner. Ich fürchte, der Mann hat recht. Vielleicht wollten unsere Wissenschaftler wirklich zuviel innerhalb zu kurzer Zeit.« Er zögerte einen Augenblick und fuhr dann fort: »Selbst ich sehne mich um so mehr nach meiner guten alten FO-1 zurück, je länger ich mit unseren Kugelraumern fliege. Dieser Technologie-Mix kann uns noch allerhand Schwierigkeiten bereiten...« »Ihre FO-1 war aber auch spätestens seit der Aufrüstung durch die Nogk etwas ganz Besonderes, Huxley. Aber was Sie da sagen, gefällt mir nicht... Nein, es gefällt mir ganz und gar nicht! Ich kann diese Theorie nicht glauben. Unsere Wissenschaftler mögen manchmal verschroben und eigensinnig sein, aber sie sind keine Idioten! Nein, Huxley, ich bin sicher, dieser... Orloff hat sich getäuscht und...« Bulton verstummte, als ein Schatten durchs Zimmer glitt. Automatisch drehten die beiden Männer die Köpfe und blickten durch die riesigen Panoramafenster von Bultons Büro nach draußen. Ein gewaltiger Kugelraumer senkte sich auf Cent Field herab. Kein Kreuzer, sondern ein Werkstattschiff, in dessen Greifern der kugelförmige Torso eines anderen Raumschiffs hing. Bulton erstarrte bei dem Anblick zu einer Salzsäule. »Die JAPETUS... und die Reste der GlNOK... verdammt! Vergessen 147
Sie alles, was ich gerade eben gesagt habe, Huxley, und schaffen Sie mir in den nächsten Tagen diesen Orloff herbei!« Er deutete auf den stark beschädigten Kugelkörper der GlNOK. »Das da draußen ist entweder der dreisteste Fall von Sabotage, den die Welt jemals gesehen hat, oder der deprimierende Beweis für Orloffs Theorie.« »Oder beides«, ergänzte Huxley düster. Kurze Zeit später betraten Bernd Eylers, Jos Aachten van Haag und Henner Trawisheim, den Bulton in der Zwischenzeit angerufen und um Teilnahme an der Besprechung gebeten hatte, praktisch gleichzeitig das Büro des Marschalls. Im folgenden entwickelte sich eine überaus lebhafte Diskussion. Nachdem mehr als zwei Stunden lang Theorien und Meinungen, Argumente und Gegenargumente durch den Raum geschwirrt waren, hob Henner Trawisheim die Hand. »Ich habe den Eindruck, wir sind mit unserer Diskussion im Augenblick an dem Punkt angelangt, an dem es mangels verläßlicher Informationen einfach keinen Sinn macht, weiterzudiskutieren. Ich würde daher vorschlagen, wir vertagen die Fortführung dieses Ge sprächs, bis neue Fakten auf dem Tisch liegen.« »Das ist eine hervorragende Idee«, stimmte Marschall Bulton dem Stellvertreter Ren Dharks zu. »Aber tun Sie mir einen Gefallen, Trawisheim: Fassen Sie für uns doch noch einmal alle Fakten und Hypothesen zusammen, über die wir jetzt zwei Stunden lang diskutiert haben. Zumindest ich bin mir im Augenblick gar nicht mehr sicher, was wir wissen, und was wir nur
vermuten.« Die übrigen Anwesenden nickten beifällig. Trawisheim lehnte sich in seinem Sessel zurück, sammelte sich zwei, drei Herzschläge lang und begann. »Erstens: Wir können als gegeben annehmen, daß von den Giants behandelte Menschen nicht nur auf Robon, sondern außerdem noch auf einer bisher unbekannten Zahl anderer Planeten angesiedelt wurden. Wir nennen diese Menschen der Einfachheit halber auch weiterhin >Robonen<, selbst wenn sie Robon nie zu Gesicht bekommen haben sollten. 148 Zweitens: Wir wissen außerdem mit Sicherheit, daß eine nicht abzuschätzende Anzahl dieser Robonen unerkannt auf der Erde agiert. Drittens: Wir können davon ausgehen, daß diese Robonen über einen fast perfekten Ortungsschutz verfügen, der es ihnen gestattet, quasi unter unseren Augen ihre Agenten unbemerkt ins Sol-System hineinzuschmuggeln und auf der Erde abzusetzen. Viertens: Wir können außerdem davon ausgehen, daß auch hinter der Entführung von Ren Dhark, Dan Riker und den beiden Cyborgs besagte Robonen stecken. Fünftens: Die Tatsache, daß sich Robonen auf der Erde aufhalten, wirft auf einige rätselhafte oder unverständliche Vorgänge in der Vergangenheit ein neues Licht. Dies gilt besonders für die von Chris Shanton auf den Ast-Stationen ausgeführten Manipulationen und Sabotageakte und für den >Fall GlNOKx.Hier muß auf alle Fälle noch einmal eine genauere Untersuchung erfolgen. Sechstens: Wahrscheinlich nichts mit den Robonen zu tun hat der >Fall POLLUX<, der allerdings dennoch ernst zu nehmen ist. Sollte sich die Theorie des Bordingenieurs der POLLUX bewahrheiten, dann haben wir hier ein Problem, daß der Flotte nachhaltiger schaden kann als irgendwelche punktuellen Sabotageakte. Siebtens: Da sich Robonen für unsere Augen in keiner Weise von >normalen< Menschen unterscheiden, müssen wir mit Hochdruck nach einem Mittel suchen, mit dem das gelingen kann. Und achtens: Über allen Problemen hier sollten wir zwei andere Themenkomplexe nicht aus den Augen verlieren - die Suche nach Ren Dhark und die Bedrohung duch das Nor-ex.« Marschall Bulton dankte Trawisheim für diese Zusammenfassung, die zumindest für ihn noch einmal einige Dinge geklärt hatte. Nach und nach standen die Anwesenden auf und verließen das Büro des Marschalls. »Huxley, bleiben Sie bitte noch einen Moment«, sagte Bulton, als auch der grauhaarige Colonel aufstehen und gehen wollte. »Ich habe noch was für Sie!« »Was gibt es noch, Marschall?« fragte Huxley, als sie wieder allein waren. Bulton lächelte verschwörerisch. 149 »Was würden Sie davon halten, Huxley, mal wieder ein Raumschiff mit Allsicht-Sphäre zu fliegen? Oder ohne die altbekannten üblen Nebenwirkungen zu transitieren?« Huxley stutzte, doch dann begriff er. »Das Experimentalschiff, die NOGK, ist fertig!« »Fertig und in kürzester Zeit startbereit. Ich habe mir gedacht, Sie könnten den Testflug ein bißchen ausdehnen und nachsehen, wie der Stand der Dinge im Tantal-System ist...« Huxley nickte. »Natürlich, Marschall. Mit diesem Befehl rennen Sie bei mir offene Türen ein. Ich wollte schon vor mehr als zwei Wochen mit der Pollux ins Tantal-System fliegen, wie Sie sich vielleicht erinnern...« 26 terranische Raumschiffe durchkämmten pausenlos die Sternballung Dg-45, oder versuchten es zumindest. 25 Kugelraumer und die POINT OF. Vier Raumschiffe seiner Flotte hatte Ralf Larsen außerhalb des Sternhaufens postiert. Sie sollten als Relaisstationen zwischen den innerhalb Dg-45 operierenden Schiffen und der Erde füngieren. Von einem dieser Raumer stammte der Funkspruch, der fast gleichzeitig auf der PoiNT OF und der HOPE einging. Sein Inhalt entsprach in etwa dem Resümee, das Henner Trawis-heim am Ende der Besprechung in Marschall Bultons Büro gezogen hatte.
»Na großartig«, sagte Ralf Larsen, dem die bisher ergebnislose Suche innerhalb eines Raumsektors, der pausenlos höchste Anforderungen an Menschen und Material stellte, sichtlich an die Nieren ging. »Jetzt wissen wir also - oder glauben zu wissen - wer den Comman-der entführt hat. Und was bringt uns das?« Janos Szardak sah die tiefen Linien der Erschöpfung, die sich in Larsens Gesicht eingegraben hatten, das ihm von einem Monitor entgegenblickte. Ihm selbst erging es nicht viel besser als Larsen, doch ihm war die Mutlosigkeit und Enttäuschung längst nicht so deutlich anzumerken. Schließlich nannte man ihn nicht umsonst den Mann mit dem Pokerface. 150 »Erkenntnis ist niemals nutzlos«, versuchte er es philosophisch. Larsen lachte auf. Dieses Lachen spiegelte seine Verzwiflung fast noch deutlicher als die Spuren in seinem Gesicht. »Ah, kommen Sie, Janos; mehr fällt Ihnen dazu nicht ein? Verdammt, wir suchen uns hier dumm und dämlich, und dann kommt ein Funkspruch von der Erde, in dem Bulton so tut, als hätte er das große Rätsel gelöst, und der Rest wäre jetzt ein Kinderspiel... Und alles, was Ihnen dazu einfällt, ist eine pseudophilosophische Banalität? Janos, ich...« »Augenblick, Ralf, lassen Sie mich etwas sagen, bevor Sie weiterreden«, unterbrach ihn Szardak. Er beugte sich etwas vor und brachte sein Gesicht dicht vor die Aufnahmeoptik. »Ich möchte Ihnen einen Rat geben, Ralf, einen Rat als Freund, als jemand, der seit den Tagen an Bord der GALAXIS genau wie Sie mit dem Commander durch dick und dünn gegangen ist: Legen Sie sich hin und schlafen Sie sich aus, Ralf. Wir tun, was wir können Sie, ich und alle anderen an Bord der Schiffe, die sich innerhalb dieser energetischen Hölle befinden. Unsere Chancen waren nie besonders gut, aber wir werden weitersuchen, bis wir jedes Sonnensystem innerhalb dieses elenden Sternhaufens durchgekämmt haben. Und wenn wir den Commander dann immer noch nicht gefunden haben, werden wir wieder von vorne anfangen. Doch es nützt nichts, wenn wir über unsere Grenzen gehen, die physischen wie die psychischen. Das bringt uns den Commander auch nicht schneller zurück. Deshalb noch einmal: Legen Sie sich hin und schlafen Sie sich aus. In einigen Stunden wird die Welt dann ganz anders aussehen.« Es kam nur selten vor, daß Janos Szardak eine solch lange Rede hielt. Larsens Augen hatten bei Szardaks ersten Sätzen wütend zu funkeln begonnen, doch jetzt wirkte er nur noch müde. Er seufzte. »Wahrscheinlich haben Sie recht, Janos, aber... Nun gut, ich werde mich ein paar Stunden hinlegen, dann sprechen wir uns wieder. Larsen, Ende.« In der Zentrale der PoiNT OF starrte Janos Szardak noch sekundenlang auf den erloschenen Monitor. Er machte sich Sorgen um Larsen. Wenn sie mit ihrer Suche nicht bald Erfolg haben würden, dann... 151 Auch Ralf Larsen saß in seiner HOPE noch eine ganze Weile vor dem blinden Monitor. Er wußte nur zu gut, daß Szardak recht hatte -aber er fürchtete sich vor den Alpträumen, die schon vor dem Hinflug in die Sternballung begonnen hatten und seither immer wiederkehr ten. Aber das konnte er Szardak natürlich nicht sagen... Müde und mutlos erhob er sich aus seinem Schwenksessel und schlich förmlich aus der Zentrale seines Kreuzers. Während über Cent Field die Dämmerung hereinbrach und das Ende eines ereignisreichen Tages ankündigte, saß Marschall Bulton in seinem Büro und fluchte über den >Papierkram<. Dankbar für die Störung blickte er auf, als Captain Patters hereingestürmt kam. »Was gibt es, Patters?« fragte er seinen Adjutanten. »Wir warten auf Sie, Marschall«, erwiderte Patters. Bulton runzelte die Stirn. »Wer wartet auf mich?« »Der gesamte Stab der TF, Sir. Haben Sie etwa Ihren Termin vergessen?« »Welchen Termin... ah, natürlich, die Cyborgs!« Bulton schüttelte mißbilligend den Kopf. »Das hatte ich tatsächlich vergessen. Aber sagen Sie mal, Patters, muß ich da wirklich dabei sein«, fügte er mit einem schnellen Blick auf seinen von Dokumenten und Datenträgern übersäten Schreibtisch hinzu. Patters zögerte. »Nun, Sir, es ist sicher nicht unbedingt notwendig, daß Sie an der
Vorstellung teilnehmen, aber...«
»Sie haben recht, Patters«, unterbrach ihn Bulton nach einem zweiten Blick auf den
Schreibtisch, »es kann nicht schaden, wenn ich mir unsere neuen Wunderknaben auch selbst
anschaue. Wo findet die Sache denn statt?«
»Im Mimas-Saal, Sir.«
»Also gut, gehen wir.«
Die >Sache< war die Vorstellung der neuen Cyborgs, die zukünftig als eine Art ZbV-Truppe
dem Stab der TF unterstellt sein würden. Vier Männer, deren Namen Bulton schon wieder
vergesen hatte.
Als der Marschall gemeinsam mit seinem Adjutanten den Mimas-Saal betrat, war der Stab
der TF bereits so gut wie vollzählig ver 152
sammelt. Auch Bernd Eylers war vom GSO-Hauptquartier herübergekommen, und in einer
Ecke glaubte Bulton die mächtige Gestalt Chris Shantons entdeckt zu haben.
»Wieweit ist eigentlich Are Doorn mit seiner Überprüfung der Ast-Stationen?« fragte Bulton
leise seinen Adjutanten, während sie langsam in den Saal hineingingen.
»Knapp ein Drittel aller Stationen ist überprüft. Das Team ist praktisch Tag und Nacht im
Einsatz. Es ist ein mühsamer Job. Shanton hat ganze Arbeit geleistet und sich als Saboteur
erster Klasse erwiesen«, erwiderte Patters ebenso leise. Dann hatten sie eine Gruppe von
Offizieren erreicht, und Bulton wurde schnell in andere Gespräche verwickelt.
»Meine Herren, unsere neuen Mitarbeiter«, erklang eine Stimme von der Tür.
Vier Männer betraten den Raum. Auf den ersten Blick völlig normale, durchschnittliche
junge Männer. Das einzig Ungewöhnliche war vielleicht, daß zwei von ihnen Zwillinge
waren.
»Die Snides«, murmelte Patters dicht neben Bulton. »Unglaublich. Erst vor ein paar Wochen
hat Ezbal sie mit einer riskanten Operation von einem Dasein als Schwachsinnige befreit
und jetzt gehören sie zu unserer Spezialtruppe!«
Die Zwillinge und die anderen beiden Männer bewegten sich in der Obhut von vier
Unteroffizieren langsam in den Saal hinein, schüttelten Hände, wechselten hier und da ein
paar Worte, und näherten sich allmählich der Gruppe um Marschall Bulton.
»Marschall Bulton, in Abwesenheit von Dan Riker Oberbefehlshaber der TF - Charly Snide«,
stellte der Unteroffizier den Marschall und einen der Snide-Brüder einander vor.
»Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Marschall Bulton. Ich habe schon viel von Ihnen
gehört«, sagte der Cyborg. Er wirkte überaus jungenhaft, mit einem offenen, ehrlichen
Gesicht.
Sie schüttelten sich die Hände.
»Major Roberts, To-Funk-Zentrale - Charly Snide«, machte der Unteroffizier weiter.
Snide machte einen Schritt auf Roberts zu - und plötzlich veränderte sich sein
Gesichtsausdruck, wurde maskenhaft starr. Eine Star 153
re, die auf seinen ganzen Körper überzugreifen schien. Stocksteif stand der Cyborg da, hob
langsam, wie in Zeitlupe, die Rechte und deutete auf Roberts.
»Robone!«
Roberts zuckte zusammen und wurde leichenblaß; dann wirbelte er blitzartig herum und
rannte in Richtung der Tür.
»Aufhalten, halten Sie den Mann auf!« brüllte Bulton, der sich schnell von seiner
Überraschung erholt hatte, den dort stehenden Offizieren zu.
Roberts zog seinen Blaster - und brach zusammen.
Ungerührt schob Patters seinen Schocker ins Holster zurück.
Bulton fixierte den Cyborg, der jetzt wieder völlig normal wirkte.
»Wie haben Sie das gemacht? Ich meine, woher wußten Sie, daß Roberts ein Robone ist?«
Charly Snide zuckte verlegen die Schultern.
»Ich wußte sofort als ich ihn sah, daß er ein Robone ist. Woher ich das weiß, kann ich Ihnen
nicht sagen. Es ist einfach so...«
Begütigend klopfte Bulton ihm auf die Schulter.
»Schon gut, Snide, schon gut. Wichtig ist nicht, warum Sie es können - wichtig ist vielmehr,
daß Sie es können! Sie und Ihr Bruder -von dem ich hoffe, daß er die gleiche Fähigkeit besitzt - können unsere Trumpfkarten in einem Spiel sein, das die Erde plötzlich wieder gewinnen kann...« Kurz vor Mitternacht saß Henner Trawisheim noch immer in seinem Arbeitszimmer im Regierungsgebäude von Alamo Gordo und wühlte sich durch Berge von Verwaltungsakten, als ihm ein später Besucher gemeldet wurde. »Guten Abend, Mr. Stranger. Was verschafft mir die Ehre?« In seiner Stimme schwang ein Hauch von Ironie mit. Stranger durchquerte den Raum und ließ sich unaufgefordert in einen Besuchersessel plumpsen. Seine neugierigen Kinderaugen schienen überall zu sein. »Das können Sie sich doch denken, Trawisheim!« Henner Trawisheim wölbte erstaunt eine Augenbraue. »Kann ich das?« fragte er sanft. 154 Stranger setzte sich aufrechter in den Sessel und schüttelte energisch den Kopf. »So geht das nicht, Trawisheim. Spielen Sie jetzt bloß keine Spielchen mit mir. Es war ein langer Tag, ich bin müde und nicht allzu bester Laune«, sagte er vielleicht ein bißchen zu laut. Trawisheim lehnte sich zurück und musterte seinen Besucher. »Wieso glauben Sie, daß ich ein Spielchen mit Ihnen spiele, Mr. Stranger?« Bert Stranger seufzte. Dann hielt er seine Linke hoch, und begann an seinen pummeligen Fingern abzuzählen. »Erstens ist schon seit Tagen nichts mehr von Commander Dhark zu sehen oder hören gewesen. Zweitens ist Colonel Larsen mit einer kleinen Flotte irgendwo im All mit einem Geheimauftrag unterwegs. Drittens sind sämtliche offiziellen Verlautbarungen im Augenblick merkwürdig nichtssagend. Und viertens summt es heute in Cent Field geradezu vor Gerüchten und Vermutungen. Also, was ist los? Und versuchen Sie nicht, mir irgendwelche Märchen aufzutischen, Trawisheim. So etwas betrachte ich als Beleidigung meiner Intelligenz.« »Also gut«, sagte Henner Trawisheim. »Haben Sie irgendwelche Aufzeichnungsgeräte mitlaufen?« Der TerraPress-Reporter schüttelte den Kopf. Und Henner Trawisheim erzählte ihm alles in schonungsloser Offenheit. Angefangen von der Entführung Ren Dharks bis hin zu den erst heute aufgedeckten Aktivitäten robonischer Agenten und Saboteure. ' Anfangs grinste Stranger zufrieden. Doch je länger Trawisheim erzählte, desto unglücklicher sah der Reporter aus. Schließlich hob er abwehrend die Hand. »Genug, genug. Puh, das reicht ja, um die nächsten zwanzig Features zu bestreiten... Aber wahrscheinlich werden Sie jetzt gleich an mein Verantwortungsbewußtsein appellieren und mich bitten, diese brisanten Informationen nicht zu veröffentlichen, um die Menschen dort draußen nicht unnötig zu beunruhigen.« »Nein!« erwiderte Trawisheim. : »Nein?« echote Stranger verblüfft. »Sie meinen, ich kann über all diese Dinge berichten?« 155
»Sie haben die Informationen, sie können jetzt damit tun oder lassen, was immer Sie wollen.« Stranger saß einen Augenblick völlig reglos da, dann kniff er die Augen zusammen und fixierte Trawisheim mit starrem Blick. »Henner Trawisheim, Sie sind ein gefährlicher Mann«, sagte er plötzlich. »Sie appellieren nicht an mein Verantwortungsgefühl, weil Sie hoffen, daß es dieses Appells überhaupt nicht bedarf.« »Vielleicht«, sagte Trawisheim leichthin. Resignierend schüttelte der Reporter den Kopf. »Das ist nicht fair, Trawisheim. Sie appellieren an mein Gewissen, indem sie nicht an mein Gewissen appellieren. Genau wie meine Mutter...« »Und?« fragte der Stellvertreter Ren Dharks. »Ich bin mit fünfzehn von zu Hause weggelaufen!« Henner Trawisheim zuckte die Schultern. »Sie können jederzeit wieder weglaufen, Stranger...« Mit diesen Worten griff er zu einem
Aktenbündel und begann zu lesen.
»Wie ich schon sagte: Sie sind ein verdammt gefährlicher Mann, Trawisheim«, murmelte der
Reporter. Er stemmte sich aus dem Besuchersessel und trottete zur Tür.
Auf der Schwelle drehte er sich noch einmal um. »Aber eines kann ich Ihnen versichern: Das
klappt nicht immer, Trawisheim!«
Und draußen war er.
Am nächsten Tag gab es eine Bert-Stranger-Meldung über den erfolgreichen Einsatz der To-
Funk-Kanonen gegen das Nor-ex. Kein Hinweis auf das Verschwinden Ren Dharks, nichts
über die Aktivitäten der Robonen. Genausowenig am übernächsten Tag. Und am Tag darauf.
156
77. Die weiße Sonne brannte unbarmherzig vom Himmel. Seit Stunden rutschten und stolperten Ren Dhark und seine Begleiter den Canyon hinunter, den Bram Sass am Morgen entdeckt hatte, und von dem sie alle hofften, daß er sie zur Ebene bringen würde. Zumindest ging es abwärts. Der Weg war mühsam, denn der Boden des Canyons war mit scharfkantigem Geröll bedeckt, das bei jedem Schritt nachgab. Ren Dhark hatte Dan Riker gleich nach dem Aufwachen von dem Raumschiff erzählt, und das hatte Rikers Lebensmut neu entfacht. In der mörderischen Hitze innerhalb des Canyons drohte das Pflänzchen Hoffnung allerdings schnell wieder zu verdorren. Nichts rührte sich. Der Canyon verlief zwischen stark aufgereckten Felswänden in flacher Linie abwärts. Die durch Sonnenstrahlung, die von den Steinen reflektiert wurde, hocherhitzte Luft flimmerte. Übergangslos änderte sich das Bild. Gerade noch waren die vier Männer durch eine Schlucht getaumelt, eingeschlossen von schroffen, nackten Felswänden, die sie zu erdrük-ken drohten. Jetzt, nach einer kurzen aber scharfen Abbiegung, standen die vier am Rande eines kleinen Talkessels, der rundherum von hohen Felswänden umgeben war. »Ich träume«, sagte Dan Riker, leicht aus der Fassung gebracht. »Das kann doch nicht wahr sein, Ren!« Vor ihnen lag eine kleine Stadt - aber eine Stadt, die nur noch aus Ruinen bestand. Trotz der glühenden Hitze, in der die Männer standen, glaubten sie vom Eishauch des Todes getroffen zu werden. »Wie die Häuser von Anon und wie die Häuser der anderen kleinen Stadt«, sagte Ren Dhark nachdenklich. Der sonst so quecksilbrige Lati Oshuta hatte seine Schlitzaugen zu 157
sammengekniffen und blickte unverwandt die Ruine an, die links am äußersten Rand stand.
»Commander...«
Dhark schreckte auf. »Ja?«
Der Cyborg machte ihn auf das zerstörte Gebäude aufmerksam.
»Das ist doch nie und nimmer ein würfelförmiger Bau gewesen.«
»Ein klarer Stilbruch!« erwiderte Dhark. »Vielleicht der mißglückte Versuch eines
Architekten?«
Ren Dhark schien seine alte Spannkraft wiedergefunden zu haben; daß er sich in einem
Glutofen befand, in dem die Luft aufgeheizt und bewegungslos stand, machte ihm plötzlich
gar nichts mehr aus.
Im nächsten Augenblick hatte er eine Entscheidung getroffen. »Ich kann die Schwarzen
Weißen nicht vergessen, diese eigenartigen Roboter. Sass, wir beide sehen uns die Ruinen
einmal an. Die anderen...«
»Kommt nicht in Frage!« widersprach Riker.
Dhark überhörte es: »Die anderen bleiben hier und warten, bis wir zurückkommen.«
Ren Dhark und Bram Sass machten sich auf den Weg. An der Stimme des Ladiners hörte der
Commander, daß sein Begleiter auf das zweite System umgeschaltet hatte. Ihm war es recht.
Ein Cyborg war gut für zehn ausgebildete mutige Männer. Flüchtig dachte er an Echri Ezbal
und an die Cyborg-Station im Brana-Tal. Der Inder hatte sich mit dieser Entwicklung, den
Menschen zu verbessern, ein Denkmal gesetzt. Und hier war seine Konstruktion einer
Dauerbelastung unterzogen worden, die alle Tests auf der Erde weit in den Schatten stellte.
Es war als Wunder zu bezeichnen, daß Bram Sass und Lau Oshuta nach wie vor Einmaliges
leisteten, wenn sie ihr zweites System benutzten.
Sie kamen der Ruine näher, einem sehr schlanken, mehr als fünfzig Meter hohen,
fensterlosen Bau mit rundem oder ovalem Grundriß. Wahrscheinlich war er früher einmal
viel höher gewesen, denn meterbreite, bis zu zehn Meter lange Risse zogen sich durch das
Material nach unten.
Sie gingen einmal um das Bauwerk herum.
Sein Grundriß war oval. Überall waren Risse zu sehen. Aus der
158
Nähe betrachtet, ließ es den Eindruck aufkommen, als habe in seinem Innern eine starke
Explosion stattgefunden.
»Kein Eingang!« stellte Dhark fest.
»Wir kommen auch so hinein, Commander!«
Bram Sass war schon immer ein begeisterter Bergsteiger gewesen. Ihm hätte es Spaß
gemacht, an diesem Gebäude hinaufzuklettern und dabei Ren Dhark mitzunehmen.
Der musterte die Außenfläche. »Wahrscheinlich lohnt sich das Risiko nicht. Wir sollten
vielleicht...«
Ein Geräusch ließ ihn verstummen. < Noch deutlicher hatte es der Cyborg gehört, i »Aus dem
Turm«, sagte er knapp.
Dhark hatte keinen Grund, an den Angaben zu zweifeln.
»Was war es, Sass?«
Der Cyborg zuckte mit den Schultern.
Damit war die Entscheidung gefallen.
»Sehen wir uns das Gebäude von innen an!«
Der nächste Riß im Mauerwerk befand sich in gut zehn Metern Höhe. Ob er bis ins Innere
reichte und dort breit genug war, einen Menschen passieren zu lassen, mußte abgewartet
werden.
»Umfassen Sie mich, Commander!«
Dhark schlang seine Arme um Sass' Hüften.
Bram Sass machte einen Klimmzug. Daß er die doppelte Last zu tragen hatte, spielte keine
Rolle. Cyborg-Finger waren wie Stahlkrallen!
Mit der Monotonie einer Maschine kletterte Sass höher und höher.
Acht Meter Höhe, neun Meter! Unaufhaltsam kamen sie dem Riß näher, der viel breiter war,
als er vom Boden aus gewirkt hatte.
Belastungsprobe! befahl das Programmgehirn.
Die Kante, die zwei Menschen halten sollte, war fest. Bram Sass schob die rechte Hand vor,
packte zu und dann noch ein Klimmzug, ein leichtes Drehen seines Körpers - und Ren Dhark
konnte ihn loslassen.
In einem anderthalb Meter breiten, gut drei Meter tiefen Spalt saß er am Boden und
schnaufte. Gleichmäßig ruhig ging der Atem des Cyborgs, der geduldig wartete.
159
Ein paar Minuten vergingen.
Dann erhob sich Dhark langsam, nahm seine erbeutete Waffe in die Hand und ging tiefer in
den Riß hinein. Auf Tuchfühlung folgte ihn Sass.
Das Bauwerk hatte eine Reihe von Etagen, aber alle Decken waren in der Mitte zerstört. Von
oben her mußte etwas mit unheimlicher Gewalt in diesen Bau eingeschlagen sein - ein Etwas,
das sämtliche Decken durchbrochen und metergroße Löcher hinterlassen hatte.
Dann erst blickten Dhark und Sass in die Tiefe.
In der Tiefe glühte etwas!
Mal rot, mal blau, in unregelmäßigem Rhythmus, aber das Glühen war in den letzten
Sekunden intensiver geworden. Doch dort unten war es so dunkel, daß sonst nichts zu sehen
war.
Der Cyborg schaltete auf Infrarot. Zu spät!
Ren Dharks Faust krachte in sein Gesicht, und der Commander versuchte, ihn in die Tiefe zu
schleudern.
Bram Sass verspürte keinen Schmerz, auch keine Wut über den unerwarteten und
unerklärlichen Angriff.
Er sah die Rechte von Dhark heranfliegen und blockte sie blitzschnell ab. Sein Fuß schoß
vor, trat Dhark den Blaster aus der Hand.
Die Waffe krachte gegen die Wand.
Ren Dhark wollte ihn zerstrahlen!
Unschädlich machen! befahl das Programmgehirn.
Der Cyborg handelte sofort.
Sass' Faust traf Dharks Kinnspitze. Der Schlag hatte betäubende Wirkung, und nur ein
Programmgehirn konnte ihn genau genug dosieren, um nicht die Kinnlade des Gegners zu
zerschmettern.
Der Cyborg nahm die Waffe des Commanders an sich, packte ihn und schleifte ihn wie ein
Federgewicht durch den Riß im Mauerwerk.
Seine Aufgabe lautete jetzt, Dhark nach unten und zurück zu Riker und Oshuta zu schaffen.
Der Cyborg vollbrachte etwas, was einem normalen Menschen unmöglich gewesen wäre. Er
klemmte den nicht gerade leichten Mann zwischen seine Beine, hielt ihn fest, als ob
Stahlklammern ihn gepackt hätten, und begann an der Außenfront des ruinenhaften Gebäudes
hinabzusteigen. Dharks Kopf lief nicht Gefahr, mit dem Mauer
160
werk in Berührung zu kommen. Sein Oberkörper befand sich hinter Sass, nur mit den Knien
stieß er hin und wieder gegen die verwitterte Oberfläche. Aber er bemerkte nichts davon. Er
war noch immer bewußtlos.
Als der Cyborg den Boden erreicht hatte, schwang er den Commander über seine Schulter
und eilte zu den anderen zurück. Sie lagerten an der Felswand im Schatten, um Schutz vor
der Hitze zu finden.
»Was ist passiert?« rief ihm Dan Riker zu und sprang auf.
Vor seinen Füßen legte Sass den Commander ab. Kurz berichtete er. »...und plötzlich schlug
Dhark mir ins Gesicht. Er war nicht mehr er selbst. Aber ich weiß nicht, warum er mich
unbedingt in eine Wolke verwandeln wollte.«
»Was?« fuhr Dan Riker dazwischen. »Der Commander hat mit dem Blaster...?«
»Er hat es versucht«, erwiderte Sass trocken. »Oshuta, wir müssen in den Bau und uns
ansehen, was da drin los ist. Klar?«
Dan Riker untersuchte seinen Freund. Es war nicht damit zu rechnen, daß der Commander
vor einer Stunde wieder zu sich kam. Vorwurfsvoll fragte er Sass:
»Mußten Sie so hart zuschlagen?«
»Ich mußte!« erwiderte der Cyborg knapp. »Oshuta, es wird Zeit. Niemand folgt uns, auch
wenn wir nicht wiederkommen sollten. In dem Bauwerk stimmt einiges nicht!«
Dan Riker sah ihnen nach.
»Manchmal können einem diese Cyborgs ganz schön den Nerv rauben«, murmelte er leise
vor sich hin.
Die beiden Cyborgs hatten die Ruine erreicht, deren Baustil nicht zu den übrigen Häusern
dieser kleinen Stadt paßte.
Wortlos kletterten sie nebeneinander höher. Bram Sass erreichte als erster den Spalt.
Dichtauf folgte ihm Lati Oshuta. Der Japaner war von seinem Kollegen unterwegs informiert
worden.
Kurze Zeit später blickten sie im Innern des Baues in die Tiefe, durch drei Decken, die
metergroße Löcher hatten.
161
Bram Sass sah nichts, und Lati Oshuta sah nichts, auch nicht über Infrarot. In der Tiefe gab
es kein Leuchten mehr, das einmal rot und einmal blau glühte.
»Ich steige runter. Oshuta, Sie sichern und folgen mir dann langsam!«
Der kleine Japaner nickte.
Sass kontrollierte seine beiden Blaster und steckte sie so, daß er sie noch schneller als sonst
benutzen konnte.
Die Innenwand war noch rauher und rissiger als die Außenfront. Problemlos fand der Cyborg
Stellen, wo er sich festklammern konnte. Nach knapp einer Minute hatte er die erste Etappe
hinter sich. Er prüfte, ob die Decke sein Körpergewicht tragen konnte, und näherte sich erst
dann dem Loch in der Mitte. Vorsichtig beugte er sich vor und spähte nach unten. Die Augen
seines zweiten Systems arbeiteten nach wie vor im Infrarot-Bereich. Es war gar nicht anders
möglich, wenn er hier etwas sehen wollte.
Es war nichts zu entdecken. Sein Programmgehirn riet ihm zu größter Vorsicht. Er drehte
leicht den Kopf, blickte nach oben und sah Oshuta lautlos herunterklettern.
Sass überprüfte das Loch, vor dem er hockte. Die nächste Etage befand sich vier Meter tiefer.
Die Decke, auf der er stand, war gut einen halben Meter dick.
»Aufpassen!« rief er seinem Gefährten zu, drehte sich auf der Stelle und schob zuerst seine
Beine durch die Öffnung. Lati Oshuta hatte ihn erreicht und sich breitbeinig über ihn gestellt,
um ihn im letzen Moment halten zu können.
Furchtlos rutschte Sass durch das Loch, beide Hände um die Kante gelegt. Wieder ein
Kontrollblick in die Tiefe. Wieder war nichts zu sehen.
Sein Programmgehirn meldete sich erneut: Größte Vorsicht!
In der Tiefe war etwas, aber es mußte sich versteckt haben.
Sass brachte seinen Körper ins Pendeln, begann immer stärker zu schwingen.
»Achtung, ich springe!« rief er und ließ los, als Beine und Körper einen Winkel von
fünfundvierzig Grad angenommen hatten.
Federnd kam er auf, stand im selben Moment, Gehör und Augen
162
auf höchste Leistung geschaltet. Über ihm - aufmerksam herunterspähend - Oshuta, um ihn
herum Stille.
Der Japaner kam nach.
Vorsicht! riet ihnen das Gehirn ihres zweiten Systems.
Über die schwache Rückschalt-Phase wollte Bram Sass seinen Verstand einsetzen. Im
gleichen Moment glaubte er, die Verbindungsstrecke eines hochgespannten Stromkreises zu
sein. Ein Blitz schien die Phase durchschnitten zu haben. Bram Sass sackte zusammen.
Oshuta reagierte sofort, packte ihn.
»Was war das?« wollte der Japaner wissen.
Sass' Programmgehirn hatte der Stromschlag nichts ausgemacht. Ob der Ladiner als Mensch
jetzt Schmerzen empfand, verriet es nicht.
»Wir sind von Energie umgeben, Oshuta. Benutzen Sie unter keinen Umständen die
Rückschalt-Phase. Da haut's rein!«
»Aha.« Oshuta hatte begriffen. »Sie wollen dennoch runter?«
»Ich muß. Ich muß herausfinden, was Dhark beeinflußt hat.«
Wieder mußte Sass durch ein Loch kriechen, um die Sohle des Gebäudes zu erreichen.
»Oshuta, Sie bleiben hier und greifen nur im Notfall ein!«
Der andere nickte. Sass lag auf dem Bauch und spähte nach unten. Der Boden war mit allerlei
Brocken übersät, Trümmer der durchschlagenen Decken, die in die Tiefe gestürzt waren.
Aber er sah auch die halbrunden, mannshohen Löcher in den Wänden, deren regelmäßige
Abstände verrieten, daß sie zu diesem Bauwerk gehörten.
»Ich lasse mich fallen.«
Bram Sass fiel vier Meter in die Tiefe, kam federnd zwischen den Brocken auf und blickte
sich um. Die Dunkelheit störte ihn nicht. Er sah über Infrarot.
Auf dem Boden gab es keine Spur, die auf ein Lebewesen hinwies. Er warf einen Blick nach
oben und schaute durch die Löcher in den Decken in den klaren Himmel, der wie ein
glühendes Auge aussah -wie die Öffnung einer Blende, die weit geschlossen war.
Eigenartig, dachte er während sein Blick wieder die Runde machte. Was hier war, hat sich
versteckt. Was hat sich versteckt - und wo steckt es?
Sein Blick glitt über schmutziggraue Luftwurzeln hinweg, die aus
163
mehreren Öffnungen herausragten und sich an den Wänden festgesetzt hatten. Die
halbrunden, mannshohen Löcher zu ebener Erde waren Gänge, die nach allen Richtungen
verliefen, aber nicht gradlinig geführt waren. Schon nach acht bis zehn Metern konnte Sass
nichts anderes mehr sehen als glattes Mauerwerk.
Langsam drehte er sich um die eigene Achse, die Finger an den Kontakten seiner Blaster.
Äußerste Vorsicht! sagte das Programmgehirn.
Er war vorsichtig, aber er konnte nicht bis zum Jüngsten Tag hier stehenbleiben und auf
etwas warten. Langsam setzte er sich in Bewegung. Er ging auf eine der halbrunden
Öffnungen zu. Über Infrarot konnte er seine Umgebung besser erkennen, als wenn er einen
starken Handscheinwerfer eingesetzt hätte.
Da hörte er ein Geräusch.
Er hatte das gleiche Geräusch schon einmal gehört: als er mit dem Commander vor dem Bau
gestanden hatte, um nach einem Aufstieg zu suchen.
Er versuchte es zu lokalisieren, aber es schien überall zu sein.
Sein Programmgehirn half ihm auch nicht weiter. Es konnte über dieses Geräusch keine
Auskunft geben.
Gefahr, signalisierte es, allergrößte Gefahr.
Cyborg Bram Sass blieb eiskalt. Auch als Mensch gehörte er zu jener kleinen und seltenen
Gruppe des Homo sapiens, die keine Angst kannte. Auch in gefährlichen Situationen
veränderte sich Sass' Hormonspiegel im Blut nicht und ließ deshalb in ihm weder Angst noch
Panik aufkommen.
Direkt vor der Öffnung blieb er stehen. Die Geräusche waren überall um ihn herum. Ob auch
Lati Oshuta sie hörte?
Er betrat den Gang. Der Boden war sauber; nicht einmal eine dünne Staubschicht war zu
sehen.
Gefahr! rief sein Programmgehirn. Ruhig lagen seine Zeigefinger auf den Kontakten seiner
beiden Blaster.
Die Tatsache, daß es in diesem Gang keinen Staub gab, war alarmierend. Hier unten lebte
etwas, das den Staub beseitigt hatte!
Abrupt blieb er stehen, keine zehn Meter vom Kellerraum entfernt. Die Geräusche verfolgten
ihn. Sie kamen hinter ihm her.
164
Er wirbelte herum, aber zu spät!
Blaues Licht von fürchterlicher Intensität schlug ihm entgegen.
Phanten, befahl sein zweites System, und er ließ seine Blaster sinken. Es war sinnlos,
Energie gegen Energie einzusetzen.
In diesem Augenblick wurde das Phant-Adhesive wirksam.
Bram Sass spürte nicht einmal mehr die Hitze, die von der blauen Lichtflut ausging.
Lati Oshuta lag vor dem Loch und blickte mit gleichbleibender Konzentration in den Keller
des Bauwerkes, sah Sass sich umsehen, auf eine der Öffnungen in der Wand zugehen, hörte
auch das unerklärliche Geräusch und schaute seinem Kollegen nach, als er in einem der
Gänge verschwand.
Allergrößte Gefahr, signalisierte auch ihm sein Programmgehirn.
Er war auf alles vorbereitet. Er veränderte seine Lage, hockte sich an den Rand des Lochs,
um sofort springen zu können, falls Sass Hilfe benötigen sollte.
Auch er hatte die schmutziggrauen Luftwurzeln gesehen, die aus mehreren Öffnungen
herausragten, ihnen jedoch ebenfalls keine Beachtung geschenkt.
Nun starrte er sie an.
Die Luftwurzeln bewegten sich nicht, aber sie wurden dicker und dicker. Es sah so aus, als
ob ihr Inneres mit Gas gefüllt würde, so daß sie sich langsam aufblähten.
Springen oder nicht, fragte sich Oshuta. Sein Programmgehirn traf keine Entscheidung.
Vielleicht blockierte das undefinierbare Geräusch seine Funktionen.
Da erkannte Lati Oshuta, wie dieses Geräusch entstand.
Aus allen Öffnungen quoll eine schmutziggraue, flexible Masse. Sie sah nicht anders aus als
die Luftwurzeln, die immer noch dicker wurden. Und dann glaubte der Cyborg in das
Zentrum eines Blitzes hineinzusehen - eines blauen Blitzes!
Nicht springen! befahl ihm sein Zweitgehirn. Abwarten!
Unbeweglich hockte Oshuta vor dem Loch und sah über Infrarot in das intensive blaue
Leuchten.
Er sah es hervorquellen und sich verbinden. Nahtlos.
Er sah, wie der Boden des Kellers unter einer meterdicken, schmut
165
ziggrauen Schicht verschwand, und dieses Schmutziggraue verschwendete blaues Licht im
Übermaß.
Das Licht konzentrierte sich.
Die Lichtquelle bildete den Mittelpunkt.
Durchmesser mehr als zwei Meter.
Lati Oshuta erkannte, daß ein blauer Strahl auf das Loch zielte, an dessen Rand er hockte.
Angriff auf ihn! Das war offensichtlich. Und das ließ ihn erkennen, es mit einem intelligenten
Gegner zu tun zu haben.
Nicht springen! Stereotyp war der Befehl seines Programmgehirns. Für einen Cy-borg gab es kein Mittel,
dem Programmgehirn zuwider zu handeln.
Lati Oshuta mußte gehorchen! Daß Bram Sass eingeschlossen war, spielte keine Rolle. Seine
primäre Aufgabe bestand darin, über Ren Dharks Sicherheit zu wachen.
Da warf Oshuta sich nach hinten, krachte auf den Rücken, stand schon wieder auf den Beinen
und sah durch die Öffnung im Boden das Schmutziggraue hereindringen.
Es griff nach ihm!
Er drückte den Kontakt seines Blasters. Der Strahl traf, löste auf, aber nur den Bruchteil einer
Sekunde lang. Dann prallte er an einem Mantel aus blauem Licht ab. Energie zerplatzte in
feurigen Kaskaden nach allen Seiten.
Der Gegner war unangreifbar geworden!
Der Gegner, das Flexible, quoll durch die Öffnung und kroch am Boden entlang auf ihn zu.
Lati Oshuta konnte nicht weiter zurück. Er stand an der Mauer. Er sah es herankommen, das
Blaue, das in sich das Schmutziggraue barg. Und wie schnell es kam, und immer noch
begleitet von diesem Geräusch, dessen Bedeutung Oshuta jetzt klargeworden war.
Viel zu spät!
Er hörte etwas wachsen! Er hörte das Wachstum eines Gegners, der gegen energetischen
Beschüß gefeit war. Drei Meter trennten ihn noch. Die Hitze wurde stärker. Sie ging vom
blauen Licht aus.
Ich muß phanten, dachte der Cyborg, oder ich werde hier gebraten\
Sein Steuergerät injizierte ihm das Phant-Adhesive.
166
Dann ruhten auch in Lati Oshuta alle normalen Körperfunktionen. Aber was war damit
erreicht worden?
Bram Sass war von allen Seiten eingeschlossen. Er war in eine tückische Falle gelaufen. Aber
auch sein Programmgehirn konnte ihm nicht sagen, wer sein Feind war, der ihn vernichten
wollte.
Plötzlich wechselte das Leuchten von blau zu rot. Das Rot war ebenso grell wie zuvor das
Blau. Nur einmal hatte er sich umgedreht und es sich hinter seinem Rücken heranwälzen
sehen. So hoch und breit der Gang war, so dick schob es sich heran, und unvermindert war
immer noch das Geräusch zu hören.
Der Ladiner dachte nicht an Lati Oshuta. Er empfand auch jetzt weder Furcht noch Panik.
Knapp zwei Meter war der freie Raum zwischen den beiden Fronten. Die Hitze, die ihn
angriff, stieg. Seine Haut verbrannte nicht.
Noch nicht!
Durch das Phant-Adhesive war sie keine Haut mehr, ebenso wie sein normaler Körper weder
Organe noch Adern, Blut und Muskeln besaß. Der Kleber, durch das Steuergerät injiziert,
hatte alles verändert, um es vor der Vernichtung zu schützen!
Phantzustand!
Ob im Vakuum, im Wasser, in einer Giftatmosphäre spielte beim Phanten keine Rolle.
Solange der Phantzustand anhielt, konnte er auf alles verzichten. Aber was half es ihm?
Die Fronten kamen näher. Seine beiden Blaster waren nutzlos. Energie gegen Energie ergab
kein Resultat.
Das rote Leuchten nahm an Intensität zu. Die Temperatur erreichte zweihundert Grad,
überschritt diese Marke und stieg weiter an.
Sein Programmgehirn wußte keinen Rat. Er konnte nicht auf den normalen Zustand
zurückschalten. Das Phant-Adhesive verhinderte es, solange die Wirkung des Klebers anhielt.
Dann traf ihn von beiden Seiten die rote pulsierende Front!
Er spürte nichts. Er bewegte sich nicht. Er nahm nur wahr! Flammenbogen umzuckten ihn. Entladungen krachten. Hinter seinem Rücken wechselt die Farbe wieder auf blau, vor ihm leuchtete es 167 rot. Dazwischen die überspringenden Funkenstrecken, die ihn nicht trafen, aber ihn stärker und stärker einhüllten. Dann quollen die Massen an ihm vorbei. Der Moment kam schnell, an dem er keinen Boden mehr unter den Füßen hatte und wie in einer teigigen Masse schwamm. Infrarot half ihm nichts mehr. Finsternis umgab ihn. Ein Zeichen dafür, daß es keine unterschiedlichen Wärmeausstrahlungen in seiner Umgebung gab. Bram Sass rührte sich nicht. Widerstand war sinnlos. Wohin er trieb oder ob selbst sein Programmgehirn jetzt getäuscht wurde, er wußte es nicht. Es gelüstete ihn nicht einmal, es zu erfahren. Dann aber erfolgte ein Kontakt. Er war mit einem Gegenstand kollidiert. Nur kurz, aber sein Gehirn hatte es festgestellt. Dann wieder, und dann in schneller Folge immer öfter. War seine Reise durch die teigige Masse zu Ende? Infrarot erbrachte kein Ergebnis. Seine Systemaugen auf andere Bereiche zu schalten, hatte ebensowenig Erfolg. Ein Cyborg konnte nicht ungeduldig werden. Phanten! befahl sein Programmgehirn. Ein Zeichen, daß die Wirkung der ersten AdhesiveInjektion kurz vor dem Abklingen stand. Das Steuergerät arbeitete präzise und injizierte eine zweite Dosis. Dann sah er das erste Grau. Andere Farben kamen dazu. Plötzlich vermißte er den Blauton. Rot dominierte. Wiederum konnte ihm sein Gehirn keine Erklärung geben. Er konnte seine Gliedmaßen bewegen, wenngleich nicht so leicht wie sonst. Er versuchte, einen Arm über den Kopf zu bringen. Mit der Hand stieß er gegen eine Wand, die elastisch nachgab. Befand er sich nicht mehr in dem Gang? Er unternahm keinen zweiten Versuch mehr. Er steckte in einer anderen Phase. Die teigige Masse wurde schnell dünner, zur Flüssigkeit. Eine Flüssigkeit, die ihn in einem stärker werdenden Wirbel umspülte und herum wirbelte. Auffallende Wärmeunterschiede herrschten an der Stelle, an der er sich befand. Selten hatte er so klar und deutlich über Infrarot gesehen. Sein Eindruck wurde stärker, wie in einer Zentrifuge herumgewirbelt zu werden. Kaum war er sich klar darüber, als er sich auf einen Trichter zufliegen sah, dessen Form sich ständig veränderte. 168 Ein Organismus sog ihn in sein Inneres. Mit dem Kopf voran rutschte er an einer glatten, dunkelroten Fläche vorbei und wurde in etwas gestoßen, das sich hinter ihm verschloß. Aus armdicken kegelförmigen Aufsätzen an den Wandungen sprühten schwarze Strahlen in die dunkelrote Flüssigkeit. Im gleichen Moment begann sie aufzuwallen. Chemischer Reaktionsprozeß, stellte Sass gelassen fest. Die Temperatur, die seit dem Augenblick stark gefallen war, an dem er sich in der teigigen Masse befand, jagte hoch. Er trieb in brodelnder Flüssigkeit, die sich immer dunkler färbte. Chemischer Auflösungs versuch! Der Gedanke, in seine Bestandteile zersetzt zu werden, bereitete Bram Sass keine Sorgen. Er fragte sich nur, ob die beiden Blaster dieses Säurebad gut überstanden hatten. Er zog die Strahlwaffen. Die Kolben fühlten sich nicht anders an als sonst. Er drückte an beiden den Kontakt, die Abstrahlpole nach rechts und links gegen die Wandung gerichtet. Die Wirkung seines Strahlbeschusses war ungeheuerlich. Um ihn herum brannte oder explodierte alles. Die kegelförmigen Spritzdüsen verschwanden, das Flüssige wurde zu heißem Gas und dehnte sich mit rasender Geschwindigkeit nach allen Seiten aus. Ein Brausen, Brodeln und Brüllen hüb an, als ob ein Orkan heranjagte. Wie ein trockenes Laubblatt wurde der Cyborg hin und her gewirbelt. Jeden Moment rechnete er damit, gegen eine harte Wand zu krachen. Da fühlte er, wie der Druck um ihn herum stärker wurde. Turbulente Gasentwicklung! stellte er gleichmütig fest, und dachte nicht daran, seine Blaster auszuschalten. Da prallte er weich auf. Die Dämpfe hinderten ihn daran, zu erkennen, wie die Sperre aussah,
gegen die er geflogen war. Trieb er jetzt aufwärts? Die Sinne seines zweiten Systems behaupteten es. Sass fragte sich, warum er kaum etwas von der Wirkung seines Dauerblasterfeuers sah. Das Untier, das ihn verschlungen hatte, mußte den Energiemengen nach, die er ihm als tödliche Pille verpaßt hatte, nur noch ein zuckender Torso sein. Aber es war zäher als jede andere Kreatur, der der Ladiner bisher begegnet war. 169 Die heißen, wildbewegten Dampfmassen hatten einen Ausweg gefunden. Der starke Druckabfall ließ den Rest wieder flüssig werden. Kälte, konstatierte sein Zweitgehirn in aller Ruhe, und der Cyborg nahm es hin, von einem Extrem ins andere gekommen zu sein und plötzlich eingefroren zu werden. Ein bedeutungsvoller Fehler war ihm unterlaufen: Durch einen unerklärlichen Umstand hatte er beide Blaster ausgeschaltet. Wie der Bram Sass, so phantete auch Lad Oshuta, als ihn die schmutzige Masse erreichte und überspülte. Auch er verlor den Boden unter den Füßen. Über Infrarot stellte er fest, daß er in einer teigigen Masse schwamm und bewegt wurde. Ich werde gefressen, stellte er über sein Programmgehirn fest und wartete in Ruhe die weitere Entwicklung ab. Plötzlich hatte er das Gefühl, in die Tiefe zu stürzen, nur langsamer als normal. Es war äußerst schwierig, vergleichende Beobachtungen zu machen, weil alles um ihn herum in ständiger Bewegung war, hier in diese Richtung strömte und dort in die entgegengesetzte. Vor seinem Gesicht wirbelte die Masse eindeutig im Kreis herum, als würde ein Sog dahinterstecken. Lange dauerte der langsame Fall nicht. Er stieß nirgendwo an. Sein Zweitgehirn ließ ihn das Zeitgefühl nicht verlieren, aber er verschwendete keinen Gedanken an seinen Kollegen Bram Sass. Der Wechsel von teigiger Masse in Flüssigkeit erfolgte unerwartet schnell. Die Räumlichkeiten, in denen er sich aufhielt, veränderten sich ebenfalls. Er steckte in einem Schlauch und wurde durch den Hohlkörper getrieben. Von Sekunde zu Sekunde stieg die Geschwindigkeit. Einmal gelang es ihm, hinter sich zu blicken, und er sah, daß der Durchmesser des Schlauches nur noch wenige Zentimeter betrug. Das Biest transportiert mich zu seinem Magen, konstatierte er emotionslos. Menschliche Gefühle konnten gar nicht wach werden. Das Phant-Adhesive hatte seinem menschlichen Gehirn jede Funktion genommen. Auch er besaß noch seinen Blaster und hatte ihn nicht aus der Hand 170 gegeben, nur war es nach der Auswertung seines Programms zu früh, von der Waffe Gebrauch zu machen. Der kleine japanische Cyborg war in seinem Phantzustand nichts anderes mehr als eine raffinierte technische Beobachtungsstation mit Eigeninitiative. Die Flüssigkeit, gerade noch lindgrün gefärbt, wechselte ihr Aussehen. Ein gelbes Bad nahm ihn auf. Der Schlauch existierte nicht mehr. Um ihn herum stiegen Blasen hoch, manche kopfgroß, die meisten kamen über einen Durchmesser von fünf Zentimetern nicht hinaus. Immer schneller wurde Lati Oshuta herumgewirbelt. Die Blasenentwicklung nahm zu. Fast lautlos war er bisher transportiert worden. Das hatte sich im gelben Perlbad schlagartig geändert. Das Brausen wurde lauter und lauter. Säure, konstatierte sein Programmgehirn. Auch bei dieser Feststellung lief ihm kein Schauder über den Körper, noch dachte er daran, daß seine veränderte Hautoberfläche von dieser Säure angegriffen werden könnte. Eine einzige Frage blieb offen. War sein Blaster noch schußklar? Hatte die Säure vielleicht wichtige Verbindungen im Kolben durchgefressen? Lati Oshuta wurde hochgeschleudert, prallte auf, wurde zur Seite gerissen, gedreht und gewendet, daß selbst sein zweite Augensystem nicht mehr ganz mitkam. Blaster benutzen! Sein Programmgehirn gab ihm den Befehl. Lati Oshuta krümmte den Zeigefinger und betätigte den Kontakt.
Wie ein Korken, der auf tobender See hin- und herwirbelt, drehte sich der Cyborg in dem gelben Perlbad. Und nach allen Richtungen schoß die Energiebahn, die der Abstrahlpol seiner Waffe emittierte. Lati Oshuta konnte keine Wirkung feststellen. Er nahm es zur Kenntnis. Aber dann zerplatzte eine kindskopfgroße Blase vor seinen Augen. Von allen Seiten jagte gelbe Flüssigkeit in den Hohlraum. Ein blitzschneller Vorgang und dennoch ein Vorgang, der nicht zum Abschluß kam. Wo vor Sekundenbruchteilen noch der Mittelpunkt der großen Blase gewesen war, zeigte sich plötzlich ein scharf gezeichneter schwarzer Kern. Der jagte davon, auf die nächste Blase zu, zerstörte sie, und 171 zwei schwarze Kerne existierten jetzt, stürzten auf die nächsten Blasen, machten ihnen den Garaus, und vier kaum daumendicke Kerne machten auf vier neue Blasen Jagd. Oshuta hörte kurze, trockene Schläge. Der Takt wurde schneller und schneller. Jetzt war er schon zu einem Trommelfeuer geworden. Der Cyborg hielt den Zeigefinger auf dem Kontakt seines Blasters, aber auch jetzt sah er keine Wirkung seines Dauer-Strahlbeschusses. Der Wirbel in seinem Perlbad ließ abrupt nach, je höllischer das Krachen um ihn wurde. Eine Gasfontäne jagte dicht an ihm vorbei, trieb achtzig oder hundert schwarze Kerne auseinander, daß sie nach allen Seiten davonsto-ben, um sich aber nach ein paar Metern scheinbar selbst abzubremsen und auf die nächsten Blasen zu stürzen. Lad Oshuta fühlte, wie er tiefer und tiefer sank. Er wartete darauf, den Boden zu berühren, als vor seinen Füßen die schwarzen Kerne sich zu einem Ball fanden, der größer und größer wurde, und dann verwandelte sich die gelbe Flüssigkeit in Gas. Es gab keine schwarzen Kerne mehr! Es gab keine Blasen mehr! Das trommelfeuerähnliche Krachen hatte aufgehört, nur das Brausen war geblieben. Floppi machte es irgendwo dumpf. Und noch einmal. Entfesselte Kräfte rissen an Lati Oshuta. Der Gasstrom fegte ihn davon, im gleichen Moment hatte er seinen Dauerstrahlbeschuß eingestellt. Es gab keine Kraft, die diesem elementaren Ausbruch hätte widerstehen können. Wohin wurde er getrieben? Das Programmgehirn konnte ihm keine Auskunft geben. Es sagte ihm nur: Miergrößte Gefahr! Sie war von einem Moment zum anderen da! Lati Oshuta wurde durch die Luft geschleudert! Er befand sich im Freien! Zehn, fünfzehn Meter hoch! Auf der Spitze einer Gasfontäne! Mitten zwischen den Trümmern der kleinen Stadt im Talkessel! Das Gas schleuderte ihn leicht zur Seite. Er fiel! Sein Programmgehirn hatte mit eiskalter Logik erkannt, daß beim 172
Aufprall alles zerstört werden würde. Der Mensch Lati Oshuta erfuhr davon nichts. Es gab ihn nicht mehr, seit er sich im Phant-Zustand befand. Der Aufprall! Ein Schlag ging durch Oshutas Körper. Er war auf seiner linken Seite gelandet. Unter ihm riß etwas auf, dämpfte seinen Fall. Er schaltete die Augen seines Zweit-Systems auf nahe Frequenzen um. Langsam drohte er zu versinken. Gefahr, kam das Signal. Hart drückte sein Zeigefinger den Kontakt des Blasters. Jetzt sah er die furchtbare Wirkung des energetischen Strahls. Hinter seinen Füßen löste sich Materie auf. Den linken Arm bekam er frei, streckte ihn und fühlte eine elastische Fläche. Seine Finger griffen zu. Cyborgkräfte wurden entfesselt, und aus einer schlammigen Masse zog er sich auf eine federnde schmutziggraue Schicht. Über ihm eine dicke gelbe Gaswolke, die sich in zähem Widerstreben langsam in die Hohe schob und nach allen Seiten ausbreitete. Das Gas hatte ihn aus der Tiefe in die Freiheit gebracht. Der Cyborg konstatierte es. Seelische Empfindungen gleich Null! Ein paar Meter weiter befand sich fester Boden. Er kroch darauf zu, stand, und seine Cyborg-Augen erkannten jetzt, was ihn verschlungen hatte. Eine fleischfressende Pflanze! Ein Ungetüm von Schmarotzer, eine Mißbildung der Flora
dieses mörderischen Planeten. Zwischen den Ruinen wuchs das Monster wie eine Knolle. Auch hier waren die Luftwurzeln zu sehen, die sich an den Hauswänden festgesetzt hatten! Aufgebläht wie im Keller des Turmgebäudes, fielen sie hier zusehends zusammen. Lati Oshuta hatte ihnen nur einen Blick geschenkt. Phant klingt ab, sagte ihm sein Programmgehirn. Er brauchte nicht mehr zu phanten. Sein Steuergerät blieb ausgeschaltet. Sein Blick maß die Knolle, den Teil der Monster-Pflanze, der sich an der Oberfläche befand. Mehr als vierzig Meter betrug der Durchmesser, sieben oder acht Meter die höchste Erhebung. Lati Oshuta trat mit dem Fuß dagegen und brach in teigige Masse ein. Aber auch sein Programmgehirn begriff eines nicht. 173 Wie hatte diese Monster-Pflanze ein blaues oder rotleuchtendes Feld entwickeln können, auf das der Blasterstrahl keinerlei Wirkung hatte? Der Phantzustand bei Oshuta war abgeklungen! Nichts warnte ihn, sich zu hüten, auf Normal zurückzuschalten. Er tat es, schrie im gleichen Moment gellend auf und besaß gerade noch die Kraft, sein zweites System wieder zu aktivieren. Er sollte sich selbst umbringen! Eine unsichtbare Macht hatte es ihm mit unvorstellbarer Kraft suggeriert! »Du Biest!« brachte der kleine Japaner über die Lippen und nahm seine Waffe hoch, um das Pflanzen-Monster in Stücke zu schneiden. Dennoch tat er es nicht. Das Zischen der Gasfontäne lenkte ihn ab. Plötzlich klang es anders, als ob ein Pfropfen im Gaskanal steckte. Die Säule sank langsam zusammen. War der Nachschub zu Ende? Da sah er einen Schatten aus dem Schlund des Kanals in die Luft fliegen. Donnergrollen folgte. Dreimal stärker als bisher war der Gasausbruch, dementsprechend höher die Säule! Und auf der Spitze der Säule wurde Bram Sass in die Luft geschleudert! Oshuta stand startbereit und starrte in die Höhe. Jetzt stürzte Sass ab! Er fiel acht, zehn Meter, prallte gegen einen Seitenarm der Fontäne, wurde schwach abgebremst und raste dem Boden entgegen. An der Stelle, wo er zwischen Trümmern aufschlagen mußte, stand der kleine, nur ein Meter neunundsechzig große Japaner und fing seinen herabstürzenden Kollegen auf. Er brach mit seiner Last in die Knie, aber er kam nicht zu Fall. Doch selbst als Cyborg hatte sein Programmgehirn registriert, daß ihm beinahe die Arme ausgerissen worden wären. Als er den ersten Schritt tat, war er wieder sicher auf den Beinen, und seine Arme zitterten keine Spur. Aber was war mit Bram Sass los? Wieso fühlte dessen Körper sich so kalt an? »Ich brauche keinen Babysitter«, hörte er ihn sagen. Einen Augenblick später, stand der zigeunerhaft aussehende Ladiner neben seinem 174 Kollegen und sah jetzt erst die riesige Knolle zwischen den Ruinen. Er sagte kein Wort. Er suchte das Gebäude, in das sie geklettert waren. Mehr als hundert Meter war es von ihnen entfernt. Er warf einen Blick in die Höhe und verfolgte, wie widerwillig sich die gelbe Gaswolke nach allen Seiten ausdehnte. »Nicht auf Normal zurückschalten«, warnte Oshuta. »Ich hatte es versucht und wurde von einem Suggestionsstoß getroffen. Ich sollte mich umbringen, Sass.« »Wie der Commander mich umbringen sollte. Das war der Grund gewesen. Aber woher kommt dieser Gasausbruch?« Oshuta berichtete in wenigen Sätzen. »Vielleicht bringt diese chemische Reaktion dem Monster den Untergang. Eine höllische Flora hat dieser Planet - und die Tierwelt ist nicht viel besser.« Das Zischen der Gasfontäne blieb konstant, doch das Aussehen der Knolle veränderte sich auffallend. Die schmutziggraue Oberfläche schrumpfte zusammen. Höcker tauchte neben Höcker auf. Es schien, als ob die teigige Masse sich in die Tiefen der Ruinenstadt zurückzie
hen würde. Zufällig warf Lati Oshuta einen Blick zur Seite. Im nächsten Augenblick schoß er mit dem Blaster. Lautlos hatte sich eine der vielen Luftwurzeln herangeschlichen, um ihn und Sass in ihre tödliche Umschlingung zu nehmen. Unter dem Energiebeschuß wurde die Wurzel zu Asche. Oshuta sagte kein Wort, aber seine Aufmerksamkeit war auf Maximum geschaltet worden. »Ich würde vorschlagen, wir kehren zu Dhark und Riker zurück und umgehen anschließend diese Stadt im großen Bogen«, sagte er zu Sass. Der Ladiner gab ein zustimmendes Knurren von sich. 175
12. Nackt bis auf einen Lendenschurz saß Öle Bigman auf dem Vorbau seiner Pfahlbauhütte. Er sah einer Gruppe von Kindern zu, die vor der Pfahlbausiedlung im seichten Wasser herumtollten. Fröhlich, unbeschwert. Das Geschrei ihrer hellen Stimmen durchschnitt den Abend. Öle Bigman warf einen Blick auf die riesige rubinrote Sonnenscheibe, die sich anschickte, hinter den bewaldeten Höhen der Roten Berge am jenseitigen Ufer des Binnenmeeres unterzugehen. Er erhob sich. Lässig dehnte er die mächtigen Schultern. Die Boote mußten bald kommen, mit ihnen die jungen Männer und Frauen der Siedlung. Und Nahrung. Dann begann für sie alle die Arbeit, wie sie stets nach einem Fangtag getan werden mußte. »Öle! Sie kommen! Da!« Die helle Stimme eines Jungen drang an sein Ohr, während das Bürschchen aufgeregt in die Richtung wies, in der der Glutball der Sonne stand. Bigman nickte. Und wieder staunte er über die scharfen Augen dieser Kinder. Er war Jäger, er besaß ausgezeichnete Augen, aber mit denen der Kinder konnte er es nicht aufnehmen. Er hatte sich schon oft gewundert, was für eine kräftige, kerngesunde und intelligente Generation da vor seinen Augen heranwuchs. Hatte verwundert beobachtet, wie jung die Menschen auf diesem Planeten blieben, zu welchen herben Schönheiten die Mädchen in den vergangenen fünf Jahren herangewachsen waren. Mädchen, die den Boden dieser Welt noch als Kinder betreten hatten. Und mit den jungen Männern verhielt es sich nicht anders. Öle Bigman warf der langsam sinkenden Sonnenscheibe abermals einen Blick zu. Eine junge Sonne noch, weißblau und heiß, nur durch die dichte Atmosphäre Perms gemildert, durch die gewaltigen Spei 176 eher der Binnenmeere, die die Strahlung der Sonne in sich aufsogen wie Schwämme und selbst den Nächten eine angenehme, hochsommerliche Temperatur gaben. Er hatte den Verdacht, daß die Strahlung jener Sonne, um die ihr Planet kreiste, die Menschen so vorteilhaft veränderte. Krankheiten gab es kaum, wo sie auftraten, wurden sie von den kräftigen Körpern rasch überwunden... ,: Öle fuhr aus seinen Gedanken hoch. »Dürfen wir den Booten entgegenschwimmen, Öle? Bitte!« Direkt vor seinem Pfahlbau tauchten die kleinen bräunlichen Körper der Kinder auf. Dunkle, bittende Kinderaugen sahen ihn an. »Natürlich, los, schwimmt schon!« Die Kinder stießen ein wildes Geschrei aus und warfen ihre Leiber herum. Das Wasser quirlte unter ihren heftigen Bewegungen. Das Binnenmeer war ein harmloses Gewässer. Es gab keine Ungeheuer, nicht einmal Fische, die den Menschen angriffen. Die Gefahren dieses Planeten lauerten in den Roten Bergen, dort, wohin nur die erfahrenen Jäger gingen. Und ihr Anführer Öle Bigman, der Älteste auf Perm. Der Mann, auf dessen Wort die anderen hörten, wenn in der Versammlung wichtige Dinge diskutiert wurden, wenn es galt, Beschlüsse zu fassen. Er war knapp vierzig Jahre alt und doch schon der älteste. Auf Perm in gab es keine alten Leute. Das einzige Schiff, das vor fünf Jahren diesen Planeten erreicht und mit seiner Besatzung wieder verlassen hatte, um Nachschub und weitere Siedler zu holen, hatte fünfzig junge Ehepaare und ihre Kinder an Bord gehabt. Und Öle Bigman, einen erfahrenen Prospektor, der schon manchen Planeten, manche fremde Welt kennengelernt hatte, ehe sie
Perm fanden. Er hatte zu jenem Kommando gehört, das systematisch nach Planeten forschte,
die sich zur Besiedlung eigneten.
Gedankenverloren starrte Bigman auf die dunklen Silhouetten der nerankommmenden Boote,
in denen die Körper der Ruderer im Takt auf und nieder schwangen. Frauen und Männer. Auf
Perm arbeiteten alle. Um die Kinder kümmerten sich diejenigen, die nicht mit hinausfuhren.
• Öle Bigman straffte sich. Schüttelte energisch die Gedanken von sich ab. Die Erde war weit. Fast schon vergessen. So merkwürdig das 177 auch sein mochte. Sie fühlten sich wohl auf dieser Welt, wo das Leben unkompliziert, ohne jede Politik, ohne das makabre Spiel machtlüsterner Dunkelmänner war... Öle Bigman spürte die Hand, die seine Schulter berührte, als das erste Boot voller glitzernder Fische, umgeben von wassertretenden, spritzenden Kindern am Vorbau anlegte. »Du hast wieder daran gedacht, Öle, oder?« Die sanfte Stimme seiner Tochter Nadja ließ die Frage wie eine Feststellung klingen. Öle Bigman nickte, während er schon den ersten Korb entgegennahm. »Ja, Nadja!« sagte er. »Aber es hat nichts zu bedeuten, Und wenn ich ganz ehrlich bin, so weiß ich nicht, ob ich uns wünsche, daß je ein Mensch der Erde seinen Fuß auf unsere Welt setzen soll...« Die anderen Boote kamen heran. Vor den Hütten der Siedlung begann ein lebhaftestes Treiben. Feuer flammten auf, gebändigt durch die steinernen Gefäße, in denen sie brannten. Weit fiel ihr Schein auf die bereits dunklen Wasser des Binnenmeeres hinaus. Vom jenseiti gen Ufer drang ein fernes, feines Grollen an die Ohren der Menschen. Für einen Moment unterbrachen sie ihre Arbeit und sahen über das Wasser. Loki, der riesige Vulkan in den Roten Bergen, würde diese Nacht erwachen. Und sie wußten, daß ihre Welt wieder einen halben Umlauf um ihre Sonne hinter sich hatte. Daß von nun an die Tage wieder kürzer werden würden. Denn Loki war immer pünktlich gewesen, seit sie auf dieser Welt lebten. Das Grau der frühen Morgendämmerung war noch nicht in echtes Tageslicht übergegangen, als Marschall Bulton ohne anzuklopfen mit hochrotem Kopf in Bernd Eylers' Büro gestürmt kam. Er hatte in diesem Augenblick eine frappierende Ähnlichkeit mit einem wütenden Nashornbullen. In seiner Rechten schwenkte er eine Kassette mit Mikrofilmen. »Eylers, dieses Cent Field und alles, was dazugehört, ist ein verdammter Saustall!« tobte er ohne jede Begrüßung in voller Lautstärke los. »Wissen Sie, was ich hier in der Hand halte, hervorgezogen aus 178 einem Berg angeblich unwichtiger, zur Vernichtung bestimmter Unterlagen? Nein, das wissen Sie nicht, das können Sie auch gar nicht wissen, denn diese Unterlagen stammen noch aus der Zeit vor der Invasion. Es handelt sich um das Projekt Perm, um eine Siedlergruppe von fünfzig Familien, die man damals auf jenem Planeten abgesetzt hat. Mit ihren Kindern. Deren Versorgung durch die Invasion dann aber abriß! Und jetzt, Eylers, jetzt finde ich diesen Vorgang! Unterlagen, die möglicherweise über Tod oder Leben einer ganzen Menschengruppe entscheiden können, unter Akten und Speicherungen, die morgen vernichtet werden sollten!« Der Marschall hielt schweratmend inne und schwenkte die Kassette voller Zorn und Empörung hin und her. »Eylers, wissen Sie oder können Sie sich denken, warum dieser Planet von einem Prospektor namens Öle Bigman den kuriosen Namen Perm bekam? Nein? Nun, weil dieser Planet sich in einem Zustand befindet, in dem sich die Erde vor 270 Millionen Jahren befunden hat!« Eylers brauchte eine ganze Weile, ehe er diese neuerliche Hiobsbotschaft, verkraftet hatte. Er wußte von Hope her, was es bedeutete, mit unzureichenden technischen Mitteln auf einer fremden Welt zu siedeln »Marschall, das ist, das...« Bulton erhob sich ruckartig. »Eylers, zu dieser Stunde hat in meinen Dienststellen eine Fahndungsaktion begonnen, wie sie die Terranische Flotte noch nicht erlebt hat. Ich bin überzeugt, ich wittere förmlich, daß es über das Projekt Perm noch mehr Unterlagen gibt. Und sie werden gefunden, Eylers, auch
wenn meine Leute Tag und Nacht in den Archiven und Kellern wühlen müssen! Die Giants scheinen sich um alles, was aus Papier oder Kunststoff ist, einen Dreck gekümmert zu haben. Den Siedlern, Eylers, muß geholfen werden! So rasch wie möglich! Falls sie noch leben!« Er sah Bernd Eylers durchdringend an. »Ich werde Colonel Huxley Order erteilen, auf dem Flug ins Tantal-System mit der NOGK auf dieser Welt vorbeizuschauen. Vielleicht...« 179 Er drehte sich um und wollte den Raum verlassen. Doch im Türrahmen blieb er abrupt stehen. »Wenn diese vermaledeite Geschichte mit den Robonen und dem Nor-ex ausgestanden und der Commander wieder hier ist, dann sollten wir alle uns in unserem Bereich sehr sorgfältig umschauen, Eylers - es geht einfach nicht an, daß so etwas passiert! Und jetzt werde ich den Technikern Dampf machen, damit die NOGK so schnell wie möglich starten kann!« Marschall Bulton behielt recht. Es fanden sich weitere Unterlagen. Im Januar 2051 hatte der Kreuzer SIRIUS die Erde mit dem Auftrag verlassen, nach dem Verbleib der Siedler auf Perm und den drei spurlos verschollenen Versorgungsraumern NAJADE, ARIADNE und HERMES zu forschen. Wie die anderen drei Schiffe kehrte der Kreuzer niemals zurück. Wahrscheinlich erreichte er nicht einmal sein Zielgebiet, das System der Sonne Beta im Sternbild des Löwen. Ein verstümmelter Spruch, vermutlich in den letzten Sekunden der SIRIUS abgestrahlt, war das letzte, was man von dem Kreuzer hörte. Im Mai des gleichen Jahres war es dann endgültig zu spät, einen neuen Versuch zu starten, jener kleinen Siedlergruppe Hilfe zu bringen. In den ersten Tagen des Mai 2051 begann die Invasion der Giants und setzte allen Bemühungen ein jähes Ende... Acht Stunden später öffnete sich die Kunststoffkuppel über der NOGK. Langsam glitt das schwere Schiff, durch A-Grav-Kräfte gehalten, von der Helling auf die eigentliche Piste des Raumhafens. Zum erstenmal in ihrem Dasein leuchtete ihr Druckkörper in den Strahlen der Sonne auf. Fasziniert verfolgten Marschall Bulton und Bernd Eylers diesen Vorgang. Der Marschall räusperte sich. »Ein gutes Schiff, Eylers! Ich denke, es wird halten, was es verspricht! Ich habe mich noch gestern zusammen mit Huxley davon überzeugt, daß uns diesmal weder Sabotage noch andere unliebsame 180 Dinge einen Strich durch die Rechnung machen werden. Jeder einzelne Mann, der Hand an die NOGK legte, ist mehrfach überprüft worden.« Der Marschall traf diese Feststellung nicht ohne Genugtuung in der Stimme. Und auch Bernd Eylers mußte im stillen zugeben, daß sich auf Cent Field sehr viele Dinge zum Positiven gewandelt hatten, seit Bulton auf dem Raumhafen das Regiment führte. Nach und nach hörte jeder Schlendrian auf, denn der Marschall war völlig unberechenbar. Ohne Vorwarnung tauchte er mit seinem Adjutanten, Cap-tain Patters, in den einzelnen Sektionen auf und nahm eigenhändig äußerst gründliche Kontrollen und Inspektionen vor. Marschall Bulton war fast nie am Schreibtisch zu finden, irgendwie brachte er es immer wieder fertig, ständig unterwegs zu sein, ohne daß deshalb auch nur ein einziger Vorgang unbearbeitet blieb. Der Marschall war gefürchtet, aber keineswegs unbeliebt. Er hatte für Vorschläge, Sorgen und Nöte auch des einfachsten Mannes immer ein offenes Ohr. Entscheidungen ließen bei Bulton niemals auf sich warten, sondern wurden, sofern es eben ging, sofort an Ort und Stelle getroffen. Die NOGK stand jetzt neben der Helling auf der Piste. ^ Marschall Bulton sah auf die Uhr. »In wenigen Minuten wird sie abheben, Eylers. Ich bin gespannt, was Huxley und seine Männer auf Perm erwartet!« Knapp zehn Minuten später hob die NOGK zum erstenmal von der Piste ab. Das Pfeifen ihrer Triebwerke hing noch über Alamo Gordo, als das Schiff längst im strahlenden Blau des sommerlichen Himmels verschwunden war... Unterdessen brach ein neuer Morgen über den dampfenden Wassern des Binnenmeeres vor der Pfahlbausiedlung auf Perm an. Doch vor den Hütten herrschte noch Ruhe, denn die vergangene Nacht war lange und hart gearbeitet worden. Zudem gab es auf Perm keine Uhr.
Alles geschah stets, wie der Tag, wie die Stunde es erforderte. Öle Bigman rieb sich verschlafen die Augen. Dann dehnte er seine mächtigen Schultern und sprang mit einem Satz von seinem Lager. 181 Vor der Hütte blieb er eine Weile stehen. Prüfend spähte er durch den Dunst über dem Wasser zum anderen, fernen Ufer hinüber, hinter dem sich im Licht der Morgensonne die Roten Berge abzeichneten. Vom Gipfel des Vulkans Loki erhob sich eine senkrechte, schwarzgraue Rauchfahne in das noch blasse Blau des Himmels. Doch dann, urplötzlich, stutzte Öle Bigman. Verdutzt rieb er sich abermals die Augen. Aber das Bild blieb. Das Panorama der Roten Berge hatte sich über Nacht verändert. Einer der großen Gipfel fehlte, war einfach verschwunden. Der Gipfel des Berges, den sie Mount Death getauft hatten, Berg des Todes. Öle Bigman hatte in seinem vierzigjährigen Leben schon manchen Planeten betreten. Er wußte um die Gefahren, die sich auf fremden Welten auch nach Monaten noch ganz überraschend einstellen konnten. Schließlich war selbst ein mittelgroßer Planet im Vergleich zu lebenden Wesen und ihren Fähigkeiten immer noch ein gewaltiger Himmelskörper, der sich auch mit den Mitteln modernster Technik von heute auf morgen nicht vollständig und erschöpfend erschließen ließ. Eine Welt wie Perm jedoch, auf der sie ohne nennenswerte technische Hilfsmittel lebten, gefesselt an den Umkreis ihres Binnenmeeres, barg in ihren Weiten sicherlich noch manches Geheimnis. Daß über Nacht aber ein ganzer Berg verschwinden sollte, lautlos, ohne das warnende, furchterregende Grollen eines fernen Bebens, das wollte auch dem erfahrenen Öle Bigman nicht in den Kopf. Hastig trat er darum in seine Hütte zurück und griff nach seinem sorgfältig gepflegten und gehüteten Feldstecher. Leise trat er auf den Vorbau hinaus und setzte das Glas an die Augen. Systematisch, Meter um Meter, suchte er die Stelle ab, wo früher der Mount Death in den Himmel Perms geragt hatte. Er erblickte aber nur glatte, eigentümlich stumpfgrau glänzende Felshänge. Und erst jetzt erkannte er, daß sich auch die Hänge anderen Berge verändert hatten. Es war, als sei das scharfe Messer eines Giganten über ihre Flanken hinweggegangen, so glatt wirkten sie. Öle Bigman setzte das Glas ab. Er zögerte nicht mehr länger. Irgend etwas war über Nacht auf ihrer Welt geschehen. Irgend etwas hatte sich verändert. Vielleicht lauerte auf sie alle eine drohende, tödliche Gefahr! 182 Öle Bigman griff nach dem schweren Metallklöppel und hieb ihn gegen die nietergroße Gongschale, die vor seiner Hütte hing. Es dauerte nur Sekunden, bis die Frauen und Männer aus ihren Hütten hervorstürzten. Ihre bronzefarbenen Körper glänzten im gelblichen Licht der Morgensonne. Etwas später trappelten auch die Füße der größeren Kinder über die Bohlen. Sie schliefen abseits von den Erwachsenen in einer separaten Hütte. Fragend starrten die Siedler Öle Bigman an. Ein junger, sehr großer Mann trat auf ihn zu. »Was gibt es, Öle? Warum weckst du uns mit dem Gong?« »Schau dort hinüber, Topai!« erwiderte Öle Bigman ernst. Sein ausgestreckter rechter Arm wies auf die Berge am anderen Ufer. Sofort blickten alle in die bezeichnete Richtung. Öle Bigman beobachtete, wie sie erschraken. »Der Berg des Todes! Er ist verschwunden!« riefen einige Kinder, noch ehe die Erwachsenen den ersten Schrecken überwunden hatten. Öle Bigman reichte Topai sein Glas. »Sieh dir die Berge an, Topai! Und dann rufe die Jäger zusammen. Wir werden nachsehen, was dort in dieser Nacht passiert ist! Wo ganze Berge verschwinden, ohne daß wir durch einen Laut, durch das Grollen eines Bebens davon erfahren, da droht Gefahr!« Topai setzte das Glas Minuten später ab. »Du hast recht, Öle«, sagte er dann. »Wir müssen hinüber!«
Öle Bigman war kein Mann langer Reden. Kurz und knapp gab er seine Anweisungen, während auch andere ihre Feldstecher aus den Hütten holten und die Gläser von Hand zu Hand gingen. Sorgfältig überprüften die Jäger ihre Waffen. Eine halbe Stunde später stießen die selbstgefertigten Boote von den Anlegeplätzen der Pfahlbausiedlung ab. Die zurückbleibenden Männer, Frauen und Kinder sahen ihnen nach. Erst als die Boote in den weißgrauen Schwaden der Morgennebel verschwanden, als auch das letzte Geräusch der im Takt eintauchenden Ruder in der Ferne erstarb, gingen sie schweigend an die Arbeit. Unter ihren Händen verwandelte sich die eben noch so friedliche Siedlung in ein befestigtes Lager. An den Palisaden, deren Ring sich 183 bis in das Binnenmeer hineinzog und nur eine schmale Einfahrt frei ließ, patrouillierten Männer und Frauen. Wenn ihnen eine Gefahr von den fernen Bergen drohte, dann würden sie sich ihr stellen. Perm war ihre Welt, jede Hütte, jedes Netz, die meisten Waffen und fast jedes Gerät hatten sie sich in schwerer, harter Arbeit selbst geschaffen. Sie liebten ihr freies, ungezwungenes Dasein, hatten ihre Heimat, die Erde, in den wenigen Jahren, die sie auf Perm lebten, schon fast vergessen. Auf geheimnisvolle Weise hatte sich Perm ihrer bemächtigt. Wenn es sein mußte, dann würden sie kämpfen. Und so unheimlich das Verschwinden eines ganzen Berges auch auf sie wirkte - keiner der Siedler verspürte auch nur den Anflug von Panik... Gegen Mittag ließ Öle Bigman die erste Pause einlegen. Sie hatten die Hälfte der Strecke hinter sich. Mit Anbruch der Dunkelheit würden sie die Buchten vor den Farnwäldern erreichen. Hinter ihnen begann dann die große Ebene, die das Binnenmeer und die Farnwäl der von den Roten Bergen trennte. Vereinzelt stehende, über fünfzig Meter hohe Schuppenbäume wechselten sich dort mit ersten Nadelgewächsen und Siegbäumen ab. Aber sie boten keine Deckung vor den stahlblauen, meterlangen Riesenlibellen oder vor den Pterano-dons, wie Öle die riesigen Flugechsen getauft hatte, die in den Höhlen an den Terrassen der Berge lebten. Die anderen Landtiere waren verhältnismäßig harmlos, bis auf eine Saurierart, die stark an den einstigen Tyrannosaurus der Erde erinnerte, aber nur sehr selten vorkam. Öle Bigman streckte sich in den Strahlen der hochstehenden Sonne. Er wußte, hinter den Bergen brandete der Ozean. Manchmal, wenn sie ins Gebirge hinaufgestiegen waren, hatten sie den leuchtenden Gischtstreifen seiner Brandung wie eine feine Linie vor den roten Felsen sehen können. Aber bisher hatten sie den Marsch dorthin noch nicht gewagt. Denn um an jene Küsten zu gelangen, mußten sie die Berge überqueren. Sie kannten nur einen einzigen Paß, auf dem das möglich schien. Den ersten und bisher einziger Versuch hatten sie abgebrochen, denn hinter den Bergen, veränderte sich das freundliche Gesicht ihrer Welt. Hinter jenen steinernen Terrassen und Hängen 184
begann die Region der Vulkane, der Unwetter, der zuckenden Blitze und donnernden Entladungen, derer Grollen so manche Nacht an ihre Hütten drang. Öle Bigman richtete sich jäh auf. »Topai«, rief er einer plötzlichen Eingebung folgend, »wir rudern weiter. Diese Nacht bleiben wir in der Bucht der Krebse! Keiner betritt vor dem Morgengrauen das Land. Die Boote werden unter den überhängenden Uferstellen versteckt. Nur du und ich werden von der kleinen Insel vor der Bucht die Berge beobachten. Vielleicht geschieht wieder etwas im Lauf der Nacht!« Topai nickt. Wortlos griffen die Männer zu den Rudern. Bei Anbruch der Dunkelheit zogen Topai und Öle Bigman ihren Einbaum auf das Ufer der Insel. Sorgfältig verbargen sie ihn zwischen schilfähnlichen Gewächsen, die die Südseite umsäumten. Danach suchten sie sich eine Stelle, von wo aus sie mit ihren Nachtgläsern einen guten Überblick hatten. Stunde um Stunde verrann. Die ihnen vertrauten Sternbilder wanderten langsam über das nächtliche Firmament. Mit ihnen jener helle, gelbrot glänzende Stern, den sie für einen Planeten hielten. Bigman warf gerade wieder einen Blick auf diesen Stern, als Topai ihn plötzlich anstieß. »Da, Öle, sieh nur!« flüsterte er. Bigman folgte seiner Handbewegung mit den Augen. Er brauchte einige Sekunden, ehe er
entdeckte, was Topai meinte. Zuerst hielt er es für eine Wolke, die sich langsam von Norden kommend über die Sterne schob. »Eine Wolke, Topai?« Der Jäger schüttelte energisch den Kopf. »Nein, Öle, keine Wolke. Auf Perm kam noch nie eine Wolke aus dem Norden!« Er befeuchtete seinen Finger und hielt ihn prüfend in die Höhe. Wie immer wehte der Wind gleichmäßig aus Osten. Erst nach weiteren drei Monaten würde er auf West drehen und die Regenzeit einleiten. Aber aus Norden oder Süden kam er nie. Öle griff nach seinem Glas. Seine scharfen Augen suchten den Sternenhimmel ab. Es war nichts Außergewöhnliches zu sehen, nur die Sterne verloren mehr und mehr von ihrer Leuchtkraft. 185 Dann erloschen die ersten völlig. Minuten später erreichte die unheimliche Erscheinung auch den hellen gelbroten Stern. Er wurde innerhalb weniger Minuten dunkler und dunkler und erlosch schließlich wie die anderen vor ihm. Nach einer Viertelstunde war auch der letzte Stern verschwunden. Das Wasser um die Insel wirkte tiefschwarz. Kein noch so geringer Lichtreflex hellte die Nacht auf. Die beiden Männer auf der Insel umgab absolute Finsternis. Beide spürten, daß jeden Augenblick etwas Entsetzliches geschehen mußte. »Topai!« flüsterte Bigman dem Jäger zu. »Schwimm zu den anderen. Sorge dafür, daß sie kein Feuer machen und paß' auf, daß unter ihnen keine Panik ausbricht. Ich bleibe hier! Verkriecht euch unter den Uferböschungen, bleibt dort, bis ich komme! Aber du mußt tau chen, Topai, nur zum Luftholen darfst du an die Oberfläche! Vermeide alles, wodurch du Aufmerksamkeit auf dich lenken könntest!« Topai richtete sich ruckartig auf. »Du meinst, dieses Ding, dieser Schatten ist...« Öle schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht, aber wir müssen mit allem rechnen. Mein Instinkt warnt mich! Seit heute morgen!« Der Jäger nickte. Er wußte, daß Öle Bigman über jenen unerklärlichen sechsten Sinn verfügte, dessen Warnungen sich noch nie als falsch oder überflüssig erwiesen hatten. Unhörbar glitt er davon und tauchte gleich darauf ins lauwarme Wasser der Bucht. Öle hatte recht, es war besser, wenn er zu den Männern schwamm. Sie waren alle noch sehr jung. Mit unhörbaren Bewegungen glitt er geschickt durch den Schilfgürtel der Insel in die pechschwarze Finsternis hinaus. Sein untrüglicher Orientierungssinn ließ ihn ganz von selber die richtige Richtung einschlagen. Im freien Wasser pumpte er seine Lungen voll Luft, tauchte und schwamm dann unter der Wasseroberfläche davon. Topai kam gerade noch dazu, die erschrockenen Gefährten halbwegs zu beruhigen und ihnen die notwendigen Verhaltungsmaßregeln zu geben, als das Unfaßbare geschah. 186 Von den Bergen her drang ein durch Mark und Bein gehendes Knirschen an die scharfen Ohren der Jäger. Es war, als ob der Boden unter ihnen zu wanken begann. Die schrillen Schreie der Flugechsen hallten durch die Nacht. Schauerlich brach sich ihr Geschrei an den Hängen der Berge und vermischte sich mit den Lauten der anderen Tiere. Stampfende, dröhnende Schritte polterten auf sie zu. Von den Uferböschungen rieselte Sand auf ihre Körper. Irgendwo seitlich von ihnen schlug etwas ins Wasser. Riesige Wellen rasten auf sie zu und warfen ihre Boote wie Nußschalen hin und her. Eines von ihnen riß sich los und wurde weit aufs Ufer hinaufgeschleudert. Ein dumpfes gurgelndes Zischen ließ den Jägern vor Schreck fast das Blut in den Adern gerinnen. »Topai, ein Tyrannosaurier! Er schwimmt in der Bucht, wenn er uns entdeckt...« Topai griff nach seinen Waffen. Mit der gewaltigen Kraft seines Riesenkörpers strebte das Tier in das Binnenmeer hinaus. Immer wieder voller Panik jene entsetzlichen Laute
ausstoßend, die den Menschen durch Mark und Bein gingen. Öle Bigman sah mehr als seine Gefährten. Da, wo vorhin noch die Sterne geschimmert hatten, stand jetzt eine fahlblau leuchtende Wolke am Himmel, die ihre Form von Sekunde zu Sekunde veränderte. Der Prospektor spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach, denn das Un heimliche senkte sich immer tiefer auf die Oberfläche Perms herab. In gespenstischer Lautlosigkeit. Es schien mit seiner unglaublichen Masse alles zu erdrücken. Wo es die Lufthülle des Planeten berührte, zuckten riesige Entladungen auf. Keine Blitze, eher gewaltige Fak-keln, die mit unheimlicher Geschwindigkeit über das Firmament jagten. Deutlich sah Bigman im Schein der Entladungen den riesigen Tyrannosaurus duch die Bucht schwimmen. Das Tier befand sich in höchster Panik und peitschte mit seinem Schwanz so heftig das Wasser, daß es in gewaltigen Fontänen in die Höhe spritzte. Auch über die Insel ergossen sich ganze Sturzbäche. In wenigen Minuten war Öle Bigman durch und durch naß. Aber er rührte sich nicht und tat gut daran, wie er sogleich erfahren sollte. Aus der Wolke löste sich plötzlich ein schnell rotierender Arm, der 187 die Gestalt einer gleißenden Spirale besaß. Er stieß auf den wild um sich schlagenden Saurier hinab und riß das gigantische Tier aus dem Wasser. Sekundenlang schien das Ungeheuer in der Luft zu schweben, seine Gliedmaßen und der lange, schuppenbesetzte Schwanz peitschten die Luft. Dann war der Tyrannosaurier plötzlich - von einer Sekunde zur anderen verschwunden. Öle Bigman brach am ganzen Körper der Schweiß aus. Seine Glieder begannen zu zittern. Das knirschende, brechende Geräusch von reißenden Felsen ließ ihn herumfahren. Mit Augen, in denen sich bereits die nur mühsam unterdrückte Panik abzeichnete, sah er, wie die schimmernde Wolke nach dem Gipfel Lokis griff. Ein Grollen erschütterte die Bucht. Der Prospektor spürte die Bebenwelle, die den Boden unter seinem Körper durchlief. Voller Schrecken dachte er daran, wie ungeschützt die Pfahlbausiedlung mit den zurückgebliebenen Frauen, Männern und Kindern einer solchen Katastrophe ausgeliefert sein würde. Und was war, wenn die Menschen dort in Panik gerieten und die Aufmerksamkeit dieses grauenhaften Monsters auf sich lenkten, wie es der flüchtende Tyrannosaurier getan hatte? Blitzartig zog eine Reihe von Namen durch sein Gehirn. Da war noch Luke Sharon, ein ruhiger, besonnener Mann. Da war seine Tochter Nadja, deren Stimme genau wie seine im Rat Gewicht besaß. Vielleicht erkannten sie rechtzeitig die entsetzliche Gefahr, in der sie alle sich befanden, und handelten instinktiv richtig. Aber Öle Bigman fand keine Zeit, weiterhin an die Siedlung zu denken. Denn in diesem Moment geschah etwas, was selbst diesem unerschrockenen Mann den Atem verschlug. Loki spie donnernd gewaltige Feuermassen in den Himmel. Im Nu war der ganze Horizont über den Bergen in flammendes Rot gehüllt. Der Prospektor beobachtete halb von Sinnen, wie die Spiralarme der Wolke immer und immer wieder nach dem Gipfel griffen. Aber Loki schien sich mit all seinen unermeßlichen Kräften zu wehren. Es schien Öle Bigman, als ob in diesem Augenblick die Unterwelt ihre Pforten öffnete. Gewaltige Mengen glühender Lava wurden aus dem Innern des Vulkans hoch in die Atmosphäre geschleudert. Immer wieder griffen die Spiralarme zu, aber sie kamen nie bis zum Gipfel 188 des Berges durch. Ihre rotierenden, von Sekunde zu Sekunde heller leuchtenden Felder verloren sich wieder und wieder in den donnernden Eruptionen. Dann kam es. Ganz plötzlich. Erst nur ein unscheinbarer Punkt, begleitet von einem infernalischen Pfeifen und Heulen, das Öle Bigman und seinen unter den Uferböschungen der Bucht in ihren Booten hockenden Gefährten fast den letzten Rest ihrer Beherrschung raubte. Bebend griff Bigman nach seinem Glas. Er setzte es an die Augen. Gewaltsam zwang er sich, die Ellenbogen aufzustützen und den Feldstecher ruhig zu halten. Er zuckte zusammen. Wie unter einem Schlag. »Ein Raumer! Mein Gott, ein Raumer!« stöhnte er fassungslos. Das kugelförmige Schiff raste genau auf die Wolke zu. Es flog sehr tief. Öle Bigman schätzte seine Höhe auf nicht einmal 1000 Meter.
Das Monster schien für einen Moment zu erstarren. Seine Spiralen zogen sich zusammen und ließen von dem brüllenden, tobenden Vulkan ab. Öle Bigman hatte den Eindruck, als ob es sich mit einer blitzschnellen Bewegung zusammenzog, gewissermaßen auf einen einzigen Fleck am Firmament konzentrierte. Und dann traute er seinen Augen nicht mehr. Irgend etwas durchschlug die Atmosphäre. Ein flimmernder, greller Impuls. Etwas, das von seinen Sinnen zwar irgendwie erfaßt, jedoch nicht gedeutet werden konnte. Instinktiv barg Öle Bigman den Kopf in seinen Armen und ließ das Glas einfach fallen. Er spürte den entsetzlichen Schlag nicht mehr, der in diesem Augenblick die Atmosphäre zerriß. Sah nicht mehr die gigantische Eruption, die den Gipfel Lokis in viele Stücke zersprengte und das brodelnde, weißglühende Magma freilegte. Denn Öle Bigman verlor das Bewußtsein. Genau wie seine Gefährten unter der Uferböschung in der Bucht der Krebse. Und das war gut so, denn es rettete ihnen allen das Leben... 189
13.
Einige Zeit zuvor... Colonel Huxley registrierte genau den Ausschlag der Instrumente auf den halbkreisförmig angeordneten Steuerpulten des Raumschiffs. Die Transition war gelungen. Niemand im Schiff hatte auch nur für einen winzigen Moment das Bewußtsein verloren. Kein Ziehen, keine Krämpfe, nicht die geringste Übelkeit hatte diesen in vielerlei Hinsicht noch immer unerklärlichen Vorgang des Sprunges durch den Hyperraum begleitet. Die NOGK stand knapp zwei Lichtminuten vor der Sonne Beta im Sternbild des Löwen. Sie war genau an dem Punkt ins Normalkonti-nuum zurückgekehrt, den das Bordgehirn errechnet hatte. Colonel Huxley drückte die Taste der Bordsprechanlage, während er mit seinem I.O. einen raschen Blick tauschte. Chief Erkinsson meldete sich. »Gratuliere, Chief! Die nach ihren Angaben gebauten nogkschen Transitionsmeiler und das Bordgehirn haben mit einer Genauigkeit gearbeitet, die nicht einmal unsere gute alte FO-1 besaß! Wir nehmen jetzt Kurs auf den inneren Planeten dieses Systems. Nur das kann Perm sein, der zweite ist ein wahrer Riese und viel zu weit von der Sonne entfernt, als daß dort Menschen leben könnten!« Es kam selten vor, daß Huxley derart unverhohlen seine Anerkennung aussprach. Aber weil er diesen Mann seit langen Jahren kannte, zählten die Worte doppelt. Erkinsson war ein viel zu gewiefter Fachmann, als daß er sich nicht genau darüber im klaren gewesen wäre, was der geringste Fehler in seinen Überlegungen und Konstruktionen bedeutet hätte. Da konnten ihm auch die Wissenschaftler Deluges nicht helfen, denn nur er kannte sich mit der Nogk-Technik aus. Langsam kehrte er zu seinen Kontrollen in der Triebwerkszentrale zurück. In diesem Moment schrillten die Alarmglocken der NOGK. 190 Erschrocken blieb der Chief stehen. An seinen Kontrollen sah er, daß Huxley den Raumer plötzlich beschleunigte. Gleichzeitig liefen die Versorgungsmeiler der beiden To-FunkKanonen an. y Huxley meldete sich über die Bordsprechanlage. Sein Gesicht wirkte ernst. Ernster, als Erkinsson es je gesehen hatte. »Das Nor-ex, Chief. Es greift in diesem Augenblick irgend etwas auf unserem Zielplaneten an. Kein Zweifel möglich, beide Beobachtungskuppeln haben es einwandfrei identifiziert!« Huxley sparte sich jede weitere Erklärung. Erkinsson wußte auch so, was das bedeutete. »Das Nor-ex«, murmelte er entgeistert. Jenes unheimliche Wesen aus dem Hyperraum, das mehrere Schiffe der Terrani sehen Flotte einfach in sich aufgesogen hatte, unter ihnen auch die FO-1 mit ihrem zehnköpfigen Wachkommando. Erkinsson machte sich keine Illusionen. Wenn die NOGK das Nor-ex angriff, dann stand ihnen allen ein Kampf auf Leben und Tod bevor. Daß Huxley jedoch angreifen würde, wo immer er das Nor-ex erwischte, daran zweifelte der Chief keinen Moment. Nicht umsonst war gerade die NOGK mit Prototypen stärkerer To-Funk-Kanonen ausgerüstet worden. Er hatte schon damals vermutet, daß Huxley eine erbarmungslose Jagd auf jenes Ungeheuer plante,
von dem kein Mensch zu sagen vermochte, was es war und woher es kam... Colonel Huxley saß mit versteinertem Gesicht unter dem Kugel-schirm der Allsicht-Sphäre. Es schien, als jagte sein hagerer Körper allein durch die schwarze Unendlichkeit des Alls. Kein schützender Druckkörper schien ihn und seine Gefährten zu umgeben. Zwischen den Koordinaten des Allsichtschirms stand eine fahlblau leuchtende, kilometerlange Wolke über dem Krater eine Vulkans. Immer wieder zuckten aus ihrem konturlosen Körper rotierende Spiralarme gegen die glutflüssige Lava, die der Vulkan unaufhörlich ausspie. Colonel Huxley dachte in diesem Augenblick an die zehn Mann seiner Besatzung, die dieser Ausgeburt der Hölle mit seiner FO-1 auf Deluge zum Opfer gefallen waren. Lautlos, ohne daß irgend jemand es bemerkt hatte. Unterdessen wuchs das Nor-ex zwischen den schwachleuchtenden Koordinaten der AllsichtSphäre zu bedrohlicher Größe. Die NOGK 191 überquerte einen langgestreckten Inselkontinent. Ihr Druckkörper schob sich unter infernalischem Heulen durch die Lufthülle des Planeten. Hinter dem Raumer rasten Wirbelstürme über das Land, unter deren Gewalt mancher Schuppenbaum, mancher Riesenfarn wie ein Streichholz zusammenknickte oder entwurzelt viele Meter durch die tobende Atmosphäre gewirbelt wurde. Deutlich beobachtete Captain Maxwell die Verwüstung im InfraBereich der Allsicht-Sphäre. Unwillkürlich dachte er daran, daß irgendwo auf diesem Planeten Siedler - Menschen von der Erde -leben sollten. »Sir, wir...«, begann er, schloß aber mitten im Satz erschrocken den Mund. Colonel Huxley hockte mit zusammengepreßten Lippen weit vornübergebeugt vor dem Hauptsteuerpult. Seine Augen waren nur noch Schlitze, aus denen er wie gebannt auf die leuchtende Wolke des Nor-ex starrte. Langsam schoben sich seine Hände zu den Feuerleittasten der To-Funk-Kanonen an den Polen des Schiffes. Captain Maxwell begriff, daß für Huxley in diesem Moment außer dem Nor-ex nichts mehr existierte. Maxwell beobachtete schaudernd wie die Züge Huxleys sich mehr und mehr verzerrten, je näher er dem Monster kam. Der Colonel wollte Vergeltung, der Colonel war fest entschlossen, das Nor-ex zu vernichten oder selbst zum Teufel zu gehen. Die NOGK überflog einen schmalen Küstenstreifen, hinter dem sich gewaltige Bergmassive erhoben. Ihnen folgte eine weite, offene Landschaft, in die große Binnenmeere eingebettet lagen. Eines von ihnen, größer als alle anderen, glühte im Schein des lodernden Vulkans, spiegelte die gewaltigen Entladungen wider, die von den Spiralarmen des Nor-ex durch die Nacht zuckten, wo sie Materie berührten. Durch Huxleys hageren Körper ging ein Ruck. Seine Hände hieben auf die Feuertasten der To-Funk-Kanonen. Die NOGK erbebte. Ein Vibrieren und Dröhnen durchlief das Schiff. Dann wurden alle Menschen an Bord von der Gewalt des Manövers, mit dem Huxley sein Schiff aus dem Kurs riß, trotz der voll arbeitenden Schwerkraftkompensatoren tief in die Konturensitze gepreßt. 192 Die Allsicht-Sphäre flammte auf. Geblendet schlössen Huxley und seine Gefährten die Augen, während die NOGK über das Monster hinwegjagte. Das Nor-ex war getroffen. Die To-Funk-Kanonen hatten ihre gebündelten Funkstrahlen genau in Ziel gebracht. Das Nor-ex spürte den Schlag, seine Spiralarme erstarrten. Sein energetischer Körper zog sich blitzartig zusammen. Konzentrierte sich als sonnenhelle Kugel auf einen winzigen Punkt. Deutlich konnten die entsetzten Männer vor den Bildschirmen in dem fahlblauen Licht die Roten Berge, die Ebene und das Binnenmeer erkennen. Schemenhaft erkannten sie auf den Schirmen der Allsicht-Sphäre die Hütten einer fernen Siedlung. Dann griff Huxley ein zweites Mal an. Das Nor-ex zuckte zusammen. Ganz deutlich beobachtete Maxwell, wie es von der Wucht der To-Funkstrahlen gegen die Berge gedrängt wurde. Die Oberfläche seines auf grauenhafte Weise fließenden, konturlosen Körpers begann zu schillern. Spiralarme schössen aus ihm hervor und warfen sich der abermals angreifenden NOGK entgegen. Aber sie erreichten das Schiff nie. Die To-Funk-Kanonen errichteten eine
auch für die Kräfte des Nor-ex undurchdringliche Sperre.
Und dann geschah es. Ganz plötzlich, noch ehe die Menschen im Innern des Raumers richtig
begriffen, was sie sahen.
Das Nor-ex blähte sich auf. Wuchs mit unheimlicher Schnelligkeit zu einem gigantischen
Ball, aus dessen Innern donnernde Entladungen hervorbrachen.
Es gelang Huxley gerade noch, die NOGK an dem aus Energie bestehenden Ungeheuer
vorbeizuziehen - dann platzte das Nor-ex.
Die eben noch fahlblau strahlende Kugel verschwand vom Himmel Perms. Hinter ihr stürzte
der feuerspeiende Krater Lokis in sich zusammen; weißglühende Lavamassen quollen aus
dem Vulkan und ergossen sich mit unheimlicher Schnelligkeit zwischen die Berge.
Öle Bigman und seine Gefährten hatten Glück: Die Lava wurde von einer Felsbarriere daran
gehindert, in die Bucht zu strömen, wo unter den Uferböschungen die regungslosen Körper
Topais und seiner Männer in den auf den Wellen hin und her tanzenden Einbäumen lagen.
193
Colonel Huxley starrte aus schmalen Augen auf den Schirm.
»Es ist uns entwischt, Maxwell! Dieses verfluchte Nor-ex ist uns wieder entkommen!«
Krachend fuhr seine Rechte auf die Kante des Steuerpultes. Doch dann zwang der Colonel
sich mit eiserner Energie zur Ruhe.
»Kommandant an Observatorien. Liegen Strukturerschütterungen vor?«
Einer der Wissenschaftler meldete sich umgehend.
»Starke Strukturerschütterungen auf Grün, Rot und Gelb. Das Nor-ex muß in den Hyperraum
entwichen sein, und zwar an mehreren Stellen zugleich Es scheint, als ob der Beschüß mit
To-Funkstrahlen seinen Körper regelrecht zerrissen hat.«
Huxley straffte sich und richtete den Blick auf Maxwell. »Veranlassen Sie, daß zwei
Beiboote und die Schildkröte startklar gemacht werden. Wir müssen uns dort draußen
umsehen!«
Die NOGK senkte sich auf die Ebene vor den Roten Bergen hinab. Ihre Scheinwerfer
durchbrachen die Dunkelheit und tauchten das Terrain in gleißendes, orangefarbenes Licht.
Dann setzte der Raumer auf. Knapp hundert Meter von der Bucht der Krebse entfernt...
Öle Bigman erwachte aus seiner Bewußtlosigkeit, als der Strahl eines Scheinwerfers über ihn
hinweghuschte.
Verwirrt richtete er sich auf. Er mußte die Augen zusammenkneifen, um in das grelle Licht
sehen zu können, das das andere Ufer der Bucht erhellte. Erst Sekunden später erblickte er
auch den Kugelkörper des Raumschiffes.
»Sie haben die Wolke vernichtet«, hörte er Topai neben sich flüstern.
Öle Bigman fuhr herum.
»Topai! Wie kommst du hierher? Wo sind die anderen?«
Gleichzeitig begriff er, wie töricht seine Frage war, denn jetzt erkannte er die Gestalten der
anderen Jäger, die neben ihm hockten und ihn ansahen.
»Als wir wieder wach wurden, hörten wir die Fremden. Sie haben
194
Maschinen ausgeladen und sind schwer bewaffnet. Wahrscheinlich sind es Menschen, aber
genau wissen wir es nicht, denn wir sind sofort mit unseren Booten zu dir herübergerudert.
Noch ehe die Scheinwerfer des Schiffes uns erfassen konnten!«
Öle Bigman biß sich auf die Lippen.
Menschen! dachte er. Woher kommen sie jetzt, nach all den Jahren? Was wollen sie?
Verfolgten sie am Ende jenes Monster, das ihre Berge vernichtet hatte?
Er verspürte eine merkwürdige Mischung aus Erleichterung und Ablehnung. Ablehnung, weil
er im tiefsten Innern wußte, daß der Kontakt mit Menschen der Erde nicht gut war, jetzt nicht
mehr.
Bigman griff nach seinem Fernglas, während er krampfhaft versuchte, sich an das zu
erinnern, was vor seiner Bewußtlosigkeit geschehen war.
Das Bild, das sich Bigman in seinem Feldstecher bot, faszinierte ihn. Neben einem
Kugelraumer, den er auf einen Durchmesser von gut 200 Meter schätzte, standen zwei kleine,
ebenfalls runde Schiffe und ein buckeliges Etwas, das entfernt an die Allzweck-Dozer der
Prospektoren erinnerte.
Öle Bigman schauderte. Wenn das dort drüben wirklich Menschen waren, dann mußte sich
auf der Erde in den vergangenen Jahren sehr viel verändert haben. Als ehemaliger solarer
Prospektor kannte er sich in den Techniken von Raumschiffen und Maschinen aus.
»Was sollen wir tun, Öle?« wisperte Topais Stimme neben ihm.
Öle Bigman zuckte die Achseln.
»Weg können wir nicht, die Ortungen des Kugelschiffes würden uns sofort erfassen. Ein
Wunder, daß sie euch nicht schon auf dem Wege hierher geschnappt haben. Das verdankt ihr
wahrscheinlich nur dem Durcheinander nach dem Kampf mit der Wolke...«
»Wir müssen zur Siedlung! Unsere Frauen, die Kinder! Wir sollten die Siedlung verlassen
und uns ins Landesinnere zurückziehen, Öle!«
Weiter kam Topai nicht. Die beiden kugelförmigen Beiboote hoben vom Boden ab.
Scheinwerfer flammten auf, glitten suchend über die Wasserfläche und erfaßten gleich darauf
die Insel, auf der Öle und seine Gefährten hockten.
Der erfahrene Prospektor begriff sofort, daß sie entdeckt waren. Es
195
war völlig sinnlos, sich noch zu verstecken oder gar wegzulaufen.
»Zu spät, Topai! Gegen die haben wir keine Chance! Hören wir also, was sie von uns wollen!
Laßt mich reden, hörst du?«
Er sah nur noch, wie Topai nickte und den ändern Jägern etwas zurief. Dann erhob Öle
Bigman sich und trat in den Lichtkegel hinaus.
Eines der Beiboote senkte sich langsam der Insel entgegen.
Direkt am Ufer setzte es auf.
»Menschen, Huxley! Das sind die Siedler!«
Der Colonel nickte und musterte die große, athletisch gebaute Gestalt, die bis auf einen
Lendenschurz völlig unbekleidet war.
Als die beiden Männer ins Freie traten, zuckten sie unwillkürlich zusammen. Denn im
Halbkreis um sie herum wuchsen die ebenfalls nahezu nackten Körper von Topai und seinen
Jägern aus dem Boden.
Huxley trat scheinbar unbekümmert auf den halbnackten Hünen zu.
»Huxley, Colonel Huxley!« stellte er sich vor und streckte ihm die Hand entgegen. »Ich bin
der Kommandant des Raumers dort drüben. Wir gehören zu den Einheiten der Terranischen
Flotte und haben den Auftrag, die vor fünf Jahren von der Erde auf Perm zurückgelassenen
Siedler zu suchen und ihnen, wenn nötig, Hilfe zu bringen!«
Öle Bigmans Augen zogen sich argwöhnisch zusammen. Er übersah die Hand des Colonels
ostentativ.
»Hilfe, Mr. Huxley? Jetzt, nach mehr als fünf Jahren? Nachdem damals alle unsere Hilferufe
unbeantwortet geblieben sind? Wir brauchen jetzt keine Hilfe mehr, Huxley, wir leben unser
Leben und werden es nicht mehr ändern!«
Huxley musterte sein Gegenüber intensiver.
»Sie sind Öle Bigman, früherer Prospektor der Weltregierung, stimmt's?«
Bigman zuckte zusammen, als er aus dem Munde des Colonels seinen Namen hörte.
Unwillkürlich trat er einen Schritt näher an Huxley heran.
»Woher wissen Sie das? Was bringt die Weltregierung dazu, jetzt nach all den Jahren
noch...«
Huxley schüttelte den Kopf.
»Bigman, schieben Sie jetzt einmal ihre Bitterkeit, all Ihr berechtigtes Mißtrauen beiseite.
Rufen Sie Ihre Männer heran, dann können
196
wir uns hinsetzen und ich werde Ihnen in groben Zügen berichten, was seit damals geschehen
ist. Ihnen erklären, warum keiner Ihrer Rufe beantwortet werden konnte...«
Irgend etwas in der Stimme des Colonels ließ Bigman und seine Jäger aufhorchen.
Bigman gab seinen Gefährten einen Wink. Sofort kamen sie heran und ließen sich im
Halbkreis um die beiden Terraner nieder.
Huxley sprach eine gute halbe Stunde.
Dann wußten Öle Bigman und seine Männer Bescheid. Ihre Gesichter waren grau, Entsetzen
stand in ihren Augen.
Impulsiv streckte der ehemalige Prospektor dem Colonel seine Rechte hinüber. »Ich glaube Ihnen, Huxley! Sie sind nicht der Mann, der sich durch Lügen Vorteile verschafft! Ich werde eine Weile brauchen, ehe ich all das verdaut haben werde, was Sie mir und meinen Gefährten berichtet haben!« Öle Bigman erhob sich und ging einige Male auf und ab. Dann blieb er vor Huxley stehen. »Und das Monster, diese Wolke, die unsere Berge zerstörte? Was ist mit ihr?« Huxley sprang ebenfalls auf. »Das war das Nor-ex, Bigman. Es ist in den Hyperraum entwichen, wenn auch vielleicht schwer angeschlagen. Es hat auf anderen Planeten schon ganze Städte verschlungen, ebenfalls mehrere Schiffe der Terranischen Flotte. Ich muß wissen, Bigman, was es in den Bergen gewollt hat. Die Felsen allein haben es niemals angelockt. Es muß hier etwas geben, wovon auch Sie noch nichts wissen! Sobald es hell ist, werden wir nachsehen, und wenn wir den ganzen Planeten umdrehen müssen!« Er ballte vor Erregung die Fäuste. »Danken Sie der glücklichen Fügung, die uns gerade noch im rechten Augenblick kommen ließ, Bigman. Es hätte sich nicht mit den Bergen Perms begnügt, glauben Sie mir das! Ich wäre Ihnen deshalb dankbar, wenn Sie und Ihre Leute uns helfen würden. Sie kennen Perm und seine Gefahren besser als wir.« Öle Bigman nickte. 197 »Natürlich, Huxley! Aber vorher muß ich wissen, ob in der Siedlung am anderen Ufer des Binnenmeeres noch alles in Ordnung ist. Bis zum Morgengrauen bleiben uns noch zwei Stunden, das dürfte reichen, wenn wir diesen Dozer nehmen!« »Das ist kein Dozer, sondern eine Schildkröte, das modernste Allzweck-Allterrain-Fahrzeug, das die Erde besitzt« entgegnete Huxley nicht ohne Stolz. Bigman zuckte die Schultern. »Meinetwegen... Hauptsache, wir können mit dem Ding zur Siedlung fliegen.« Als die Schildkröte mit Huxley und Bigman wieder neben der NOGK landete, stand die Sonne schon über den Wassern des Binnenmeeres. Topai und seine Jäger befanden sich bei den bereits vor den Kugelbooten wartenden Expeditionstrupps. Ihre bronzefarbenen, fast nackten Körper bildeten einen merkwürdigen Gegensatz zu den grauen Kombinationen der Besatzung. Unwillig runzelte Huxley die Stirn, als er auf seinen I.O. zutrat. »Maxwell, warum zum Donnerwetter, haben Sie Topai und seine Jäger nicht mit Kombinationen versehen? Sie haben lange genug als Wilde leben müssen!« Doch der Captain schüttelte den Kopf. »Ich habe es versucht, Sir. Die Jäger wollten nicht. Sie wollten weder Strahler noch sonst irgend etwas von unserer Ausrüstung. Topai erklärte mir darüber hinaus mit aller Bestimmtheit, daß sie ihre Lebensgewohnheiten nicht zu ändern wünschten. Jetzt nicht und später auch nicht!« Verblüfft starrte Huxley seinen I.O. an. Dann drehte er sich zu Öle Bigman herum. »Topai hat recht, Huxley. Wir werden weiterleben wie bisher. Ich habe in den vergangenen Jahren oft darüber nachgedacht, warum das so ist. Eine Antwort kann ich Ihnen nicht geben. Nur eins steht fest: Perm hat uns alle, Frauen, Kinder und Männer verändert. Es ist etwas in oder auf diesem Planeten, das uns die Erde längst vergessen ließ. Und auch jetzt haben wir keinerlei Sehnsucht nach ihrer Zivilisation, ihren Sitten und Gebräuchen. Und da wir einmal darüber sprechen: 198 Sie sind auf Terra ein einflußreicher Mann. Ich sehe ein, daß wir wegen des Nor-ex für die Zukunft Schutz brauchen. Aber setzen Sie sich dafür ein, daß Perm nicht besiedelt wird, lassen Sie uns weiterleben wie bisher. Betrachten Sie uns wie eine fremde Rasse, Huxley. Als Freunde. Aber machen Sie den Verantwortlichen auf der Erde klar, daß Perm ganz allein unsere Welt ist! Ich glaube, wenn das Bild, das ich mir aus Ihren Berichten von Ren Dhark gemacht habe, richtig ist, dann wird er unsere Wünsche respektieren!« Huxley starrte Öle Bigman an, als sei er ein Gespenst. Ihm fiel schwer, zu begreifen, was dieser Mann da von ihm verlangte. Aber dann dachte er an die Jahre, die er mit seiner Crew in der FO-1 durch den Raum geirrt war, an seine Freundschaft mit den Nogk.
»Gut, Bigman. Ich verspreche Ihnen, mich auf Terra für Ihre Belange einzusetzen. Aber lassen Sie sich alles noch einmal in Ruhe durch den Kopf gehen, Sie haben noch Zeit!« Als die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne sich in die Schluchten und auf die Terrassen der Roten Berge vortasteten, sahen sie es. Bigman und seine Gefährten starrten fassungslos auf die stumpfgraue, wie eloxiert wirkende Fläche, die statt des Mount Death zwischen den Bergen lag. »Er ist weg, Topai! Bis auf den Stumpf abrasiert«, murmelte Bigman entsetzt. Er hatte gewußt, daß der Gipfel des Berges verschwunden war - aber der ganze Mount Death? Er konnte es nicht fassen Auch Huxley und die beiden Dereks blickten stumm auf jene wie glattpoliert wirkende Fläche, die wie ein gigantisches Plateau zwischen den Tälern und Terrassen der Roten Berge lag. Langsam zogen die dunklen Schwaden über sie hinweg, die aus den Tälern, in denen noch immer das glühende Magma Lokis brodelte, aufstiegen und zeitweilig die Sonne verfinsterten. Huxley warf einen Blick auf die beiden Kugelboote, die an Backbord und Steuerbord der Schildkröte dahinglitten. Dann griff er zum Vipho. Bevor er sprach, zögerte er jedoch abermals und warf noch einmal einen prüfenden Blick auf das Plateau. Irgendwie kam ihm diese Fläche unheimlich vor. Er hatte plötzlich 199 das Gefühl, als verberge sich irgendwo auf ihr etwas vor den Blicken der Menschen. Nahezu in ihrer Mitte meinte er eine Zone zu erkennen die irgendwie schwammig, verschleiert wirkte. »Derek, sehen Sie es auch? Oder fange ich langsam an überzuschnappen?« Er wies auf die Stelle, die auf geheimnisvolle Weise alles Licht in sich hineinzusaugen schien, und in der die Blicke der Männer wie in einem Vakuum verschwanden, das sich durch keinen Vergleich, durch keine Worte beschreiben ließ. Clint Derek nickte. »Sie haben recht, Huxley. Dort ist etwas. Wir sollten...« Weiter kam er nicht. Denn sowohl Tanja als auch Öle Bigman zuckten entsetzt zurück. Auf Colonel Huxleys Brust erschien ein hell leuchtendes Emblem. Eine scharf umrissene Ellipse, in deren Brennpunkten zwei winzige, schillernde Kugeln rotierten. Den ganzen Körper Huxleys umfloß eine langsam pulsierende rötliche Helligkeit, die gut mit dem harten Violett des geheimnisvollen Emblems über seinem Herzen harmonierte. Tanja wich Schritt um Schritt zurück. Mit weitaufgerissenen Augen klammerte sie sich an ihren Mann. »Clint, um Himmels willen, Clint, was ist mit Huxley...« Der Colonel stand unterdessen wie erstarrt. Seine Züge, durch das pulsierende Licht auf gespenstische Weise verändert, nahmen einen lauschenden Ausdruck an. Er schien in diesen Sekunden seine Umwelt vergessen zu haben. Öle Bigman und Topai starrten ebenfalls entsetzt auf das unbegreifliche Schauspiel, das sich ihren Augen bot. Wie gehetzt flogen ihre Blicke zu der grauen Fläche zwischen den Bergen, aber sie sahen nichts. Noch nicht. Huxleys Züge spannten sich. »Charaua!« murmelte er. Sein Gesicht drückte Erstaunen und Freude zugleich aus, während das Emblem zusammen mit der pulsierenden Helligkeit verschwand. »Ich komme, Charaua!« sagte er dann laut, während sein hagerer Körper sich plötzlich straffte. 200 »Kommandant an NOGK. Schiff startklar machen. Auf Abruf sofort starten. Ende!« Er schaltete das Vipho durch einen Tastendruck um. »Maxwell!« gab er dann an das Kugelboot an der Steuerbordseite der Schildkröte durch. »Kehren Sie sofort an Bord der NOGK zurück. Sobald ich Ihnen den Befehl erteile, kommen Sie mit dem Schiff auf das Plateau. Landung erfolgt nach meinen Anweisungen, sofern Sie nicht von allein erkennen, was los ist! Ende!« Clint Derek hatte den Anweisungen Huxleys mit gerunzelten Brauen zugehört. »Huxley, was zum Teufel hat das alles zu bedeuten? Mit wem haben Sie gesprochen, was
war das für ein Emblem, für ein rotes Licht...« Der Colonel sah Clint Derek und die anderen an. Seine Züge wirkten ungewöhnlich ernst. Mit einem plötzlichen Ruck drehte er sich zu einer der großen Direktsichtscheiben im Bug der Schildkröte um. Die Gefährten folgten instinktiv seinen Bewegungen. Und dann trauten sie ihren Augen nicht. Genau vor ihnen, etwa in der Mitte des Plateaus, wuchs ein riesiges, eiförmiges Schiff aus dem Nichts empor. Öle Bigman schätzte seine Länge auff gut 700 bis 800 Meter. Die ihnen zugewandte Seite des Druckkörpers war an mehreren Stellen zerstört. Große Löcher klafften in den Ranken des fremden Raumers. Die zerfetzten und verbogenen Platten seiner Außenhaut hatten die gleiche stumpfgraue Farbe wie die Fläche, auf der es lag. Außerdem erkannten sie auf den ersten Blick, daß die Fremden eine schon an Absturz grenzende Not landung hinter sich hatten. Clint Derek und Tanja sahen sich an. In ihren Gesichtern stand die gleiche Überraschung, wie vorher in Huxleys Zügen. »Die Nogk!« stieß Clint Derek endlich hervor. »Das ist ja eines der riesigen NogkKampfschiffe, Huxley! Wie kommt denn das nach...« Der Colonel nickte, während er den unheimlichen Vorgang weiter beobachtete. »Es stimmt, Derek. Es handelt sich um ein Schiff der Nogk. Ihr System wurde vor etwa zwei Wochen vom Nor-ex angegriffen. Eine 201 ihrer Ringstädte wurde aufgesogen. Ebenfalls eine sofort startende Kampfgruppe von Raumern. Erst massivster Einsatz aller vorhandenen Waffen zwang das Nor-ex zum Rückzug. Die Nogk schickten Suchkommandos aus, um sich über das Ausmaß dieser neuen Bedrohung ihres noch unfertigen Wohnplaneten im System der Sonne Tantal zu informieren. Darunter auch dieses Schiff. Es wurde vom Nor-ex überraschend angegriffen. Seine Waffen versagten, weil dieses Monster aus dem Hyperraum sich inzwischen auf die Abwehr der Nogk eingestellt hatte. Ein purer Zufall verschlug das Schiff hier nach Perm, weil es auch bei seiner Flucht durch den Hyperraum vom Nor-ex eingeholt und ins Normalkontinuum zurückgeschleudert wurde, ehe es den vorbestimmten Transitionspunkt erreichte. Die Ausschleuderung zerstörte einen Teil der Aggregate des Raumers. Charaua, der Kommandant, schaffte gerade noch eine Notlandung. Als unsere Ortungen das Nor-ex erfaßten, erfolgte gerade der dritte Angriff auf den bereits fast wehrlosen Nogkraumer. Nur der Vulkan lenkte das Nor-ex von seinem Opfer ab. Trotzdem fehlten nur Minuten, bis das Hyperraum-Ungeheuer auch dieses Schiff samt Besatzung in sich aufgesogen hätte!« Atemlos hatten Clint Derek und die ändern dem Colonel zugehört. »Und das Emblem, die Ellipse?« fragte Tanja. Huxley öffnete seine Kombination und wies auf seine Brust. »Ich gehöre zum Rat des Nogkschen Imperiums. Als einziger Mensch. Die Nogk versahen meinen Körper mit einem Kontaktfeld, das auf ihre und die Ausstrahlungen ihrer MentalDetektoren sofort reagiert. Es ist so eine Art Ausweis. Es arbeitet als Empfänger und Sender zugleich. Niemand kann sich statt meiner unentdeckt in die Reihen des Rates einschleichen, das ist der Sinn dieses Feldes. Bis heute wußte ich allerdings auch nicht, wie es reagiert!« Clint Derek und Öle Bigman traten näher. Behutsam glitten ihre Finger über die wie feine Adern in der Haut verlaufenden Kontaktbahnen des ellipsenförmigen Emblems. »Ausweis...« murmelte Bigman kopfschüttelnd. »Wozu, wenn die Nogk Sie kennen?« »Nicht alle kennen mich. Zur Zeit meiner ersten Begegnung befand sich die Hälfte von ihnen in ihrer Schlafperiode, aber wir haben jetzt 202 keine Zeit für langes Palaver, Bigman. Vielleicht später. Die Nogk brauchen schnellstens Hilfe!« Clint Derek begriff. Er schwang mit seinem Sessel herum und übernahm das Steuer der Schildkröte. Huxley informierte unterdessen die Besatzung des Kugelbootes an Backbord und seinen I.O., Captain Maxwell, der mit dem anderen Beiboot bereits zur NOGK unterwegs war, die immer noch am Ufer der Bucht lag. Die Schildkröte schoß vorwärts. Im Näherkommen erkannten die Männer schaudernd, mit
welcher Energie und Todesverachtung die Nogk sich gegen ihren übermächtigen Feind zur Wehr gesetzt hatten: Überall zwischen den Bergen lagen ihre eiförmigen Beiboote. Zer trümmert, zerschmolzen, deformiert. Als sie landeten, trat ihnen aus dem Innern des schwer beschädigten Raumers ein Nogk entgegen. Seine schwarzen Facettenaugen blickten den Menschen entgegen, während seine vier langen Fühler auf dem Libellenkopf leicht hin und her pendelten. Dann reckte sich sein großer Körper. Die silberne Uniform, von deren Schultern breite goldene Streifen bis zu den Handgelenken hinabliefen, leuchtete in der Sonne. Mit unheimlich schnellen, gleitenden Bewegungen, die wie der übrige Körper an eine gespenstische Mischung aus Insekt und Reptil erinnerten, bewegte sich der Nogk der landenden Schildkröte entgegen. Huxley sprang aus der Schleuse der Schildkröte. »Charaua!« Mit langen Schritten eilte er dem Kommandanten des Nogkschiffes entgegen. >Du bist zur rechten Zeit gekommen, Huxley! Ein großer Teil meiner Krieger ist tot. Unsere Waffen versagten gegen das Ungeheuer. Sei willkommen, das Imperium wird deine Tat nicht vergessen !< Charaua verneigte sich nach der Sitte seiner Rasse vor dem Colonel. In seinen starren Zügen schien ein Lächeln zu stehen. Doch sogleich verdüsterten sich seine Facettenaugen wieder. >Dein Schiff verfügt über eine höchst wirksame Waffe gegen diesen Feind aus dem Hyperraum! Du hast die Wolke in mehrere Teile geschossen, Huxley. Aber sie ist nicht tot, die einzelnen Stücke sind wieder in die graue Zone jenseits der Zeiten entwichen. Es wird wie 203
derkommen, größer und schrecklicher vielleicht. Vielleicht werden aus den einzelnen Teilen neue Ungeheuer. Wir wissen es nicht. Kannst du mir eure Waffe zeigen und erklären, damit unsere Wissenschaftler sie so schnell wie möglich nachbauen können? Die Existenz unseres Imperiums kann davon abhängen, Huxley!< Während Huxley und Charaua miteinander sprachen, hatte sich um die beiden ein großer Kreis von Nogk und Menschen gebildet. Verwundert registrierten Öle Bigman und seine Jäger die den Nogk eigene, lautlose Art, sich Wesen fremder Rassen mitzuteilen. Sie spürten die Impulse in ihren Gehirnen, erlebten, wie sich blitzschnell grellfarbige Bilder direkt in ihrem Bewußtsein aufbauten und wieder erloschen. So scharf, so unheimlich leuchtend und klar, daß jede Fehldeutung völlig unmöglich wurde. Huxley nickte Charaua zu. »Ich werde es tun, auch ohne die Zustimmung meiner Regierung, Charaua. Aber nicht nur das, wir werden euer Schiff von jener grauen Schicht befreien, die jede Reparatur unmöglich macht. Desgleichen werden wir das Plateau hier säubern, denn diese graue Schicht lockt das Monster womöglich wieder an! Gleichzeitig werde ich eines unserer großen Werkstattschiffe anfordern, allein mit meinen Raumer kann ich euch nicht helfen. Vor allem solltest du das Imperium verständigen, Charaua. Ich nehme an, deine Sender sind ausgefallen! Anderenfalls befände sich wahrscheinlich schon ein Teil eurer Flotte hier, oder?« Der Nogk nickte. >Es ist wie du vermutest, Terraner! Aber fordere keines eurer Werkstattschiffe an, über deine Sender werde ich welche von uns zu Hilfe rufen. Die Reparatur meines Kampfschiffes kann nicht hier erfolgen. Lebenswichtige Teile wurden zerstört! Außerdem können die Bergungsschiffe unserer Flotte die nötigen Wissenschaftler und Geräte mitbringen, um eure Waffe zu untersuchen !< Der Nogk warf einen forschenden Blick über die Männer und die bronzefarbenen Jäger, die zusammen mit seinen eigenen Kriegern einen Kreis um sie bildeten. Huxley spürte die fragenden Impulse Charauas. In wenigen Sätzen informierte er den Nogk über den eigentlichen Grund seiner Anwe 204 senheit. Anschließend winkte er den Kommandanten des Kugelbootes zu sich heran. »Rufen Sie die NOGK, Olson! Sie soll hier neben dem Nogk-Raumer landen!« Der Dritte Offizier salutierte und verschwand. Gleichzeitig erteilte Charaua seinen Kriegern einige kurze Befehle.
Sofort kam Leben in sie. Mit gleitenden, für menschliche Begriffe unheimlich schnellen Bewegungen verschwanden sie im Innern ihres Schiffes. Kurze Zeit später löste sich eins der eiförmigen Boote aus einer der weit offenen Schleusen und verschwand in Richtung auf eine Felswand. Ein zweites brachte wenig später verschiedene Trupps von Nogk zu den Absturzstellen der im Kampf gegen das Nor-ex ver nichteten Beiboote. Huxley beobachtete die Aktion aus schmalen Augen, während er und Charaua auf die Ankunft seines Schiffes warteten. »Du willst eure Toten auf Perm bestatten?« Der Nogk bejahte, während sich seine gut zweieinhalb Meter hohe Gestalt unwillkürlich reckte. Die gelbe, punktförmige Zeichnung seiner lederartigen Haut leuchtete bei jeder Bewegung im Licht der höher und höher steigenden Sonne. Unruhig spielten die langen Fin ger seiner unbedeckten Hände. >Es ist ungeschriebenes Gesetz meiner Rasse, daß jeder Nogk dort bestattet wird, wo er stirbt, Terraner. Es sind sehr viele gestorben in der vergangenen Nacht. Und es wird das erstemal in der Geschichte unseres Imperiums sein, daß der Angreifer nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann. Du als Terraner kannst nicht ermessen, was das für uns, für jeden einzelnen Nogk bedeutet. Aber wir können und werden das Nor-ex, wie deine Rasse es nennt, nicht im Hyperraum, in jener grauen Zone jenseits der Zeiten und jenseits unserer Macht, zu stellen versuchen. Ich habe es dir nie gesagt, wir haben nie darüber gesprochen, Terraner: Unsere Rasse ist an ihren Lebensraum innerhalb des normalen Kontinuums gebunden. Es hängt mit den Strahlungsfeldern unserer Galaxis zusammen, die wir brauchen, um zu leben. Wir können nicht einmal den Sprung zu einer benachbarten Galaxis unternehmen, so vollkommen unsere Technik sonst auch ist. 205
Allein der Versuch wäre für uns tödlich, weil unsere Körper nur im Strahlungsfeld dieser einen Sterneninsel zu existieren vermögen. Um in euren Begriffen zu sprechen: Wir Nogk sind das Zufallsprodukt einer kosmischen Katastrophe, eine Mutation! Wir denken nicht gern daran, wir verheimlichen es vor anderen, aber es ist so. Die Störungen, Stürme und Veränderungen der Kraftfelder innerhalb unserer Milchstraße, wie ihr sie nennt, bedrohen die Existenz unserer gesamten Rasse seit langem. Daran hat auch unsere Flucht in das System der Sonne Tantal nur wenig geändert. Ich teile dir das mit, weil du Mitglied des Rates unseres Imperiums bist!< Charaua machte eine Pause. Doch dann trat er plötzlich ganz dicht an Huxley heran. >Wenn die Felder innerhalb unserer Galaxis sich weiterhin in dem Maße verändern wie bisher, dann wirst du eines Tages nach Tantal kommen und nur noch die Grüfte finden, in denen unsere Körper stehen! Warte also nicht zu lange mit deinem Besuch, wir haben dir und deiner Rasse noch vieles mitzuteilen !< Colonel Huxley starrte den Nogk an. »Ich habe es geahnt, Charaua!« erwiderte er schließlich leise. »Schon damals, als ich dich auf Charr bewußtlos neben deiner Maschine fand, als du mich zum Rat eures Imperiums bringen wolltest, als eure Sonne ihre Stabilität verlor und zur Veränderlichen wurde!« In diesem Moment erschien die NOGK über den Bergen. Das Singen ihrer Triebwerke unterbrach den Colonel. Auch Charaua warf dem anfliegenden Raumer einen scharfen Blick zu. Aus seinen dunklen Facettenaugen beobachtete er jedes Manöver des Schiffes. Als es unweit von ihnen aufsetzte und seinen riesigen Schatten über sie warf, setzten die beiden so verschieden gearteten Freunde sich in Bewegung. Kurze Zeit später verschwanden Charaua und der Colonel in der Schleuse. Es war das dritte Mal, daß ein Nogk ein terranisches Raumschiff betrat. 206
14.
Der Tag hatte für Allon Sawall nicht besonders gut begonnen.
Zuerst meldete sich de Ruy mit dem Hinweis, daß die Suchflotte der Terraner dem Nabob-
System allmählich immer näher kam.
Nachdenklich betrachtete Allon Sawall das zerknitterte Gesicht des Kommandanten der NEMO
auf dem Monitor.
Auf de Ruy ist Verlaß, dachte er.
»Halten Sie sich bereit, ein Ablenkungsmanöver zu fliegen, Henry« sagte er laut. »Wenn es
kritisch wird, müssen Sie die Terraner von hier weglocken!«
Die Andeutung eines Lächelns glitt über de Ruys Gesicht, als er erwiderte: »Ich werde eine
wunderbare Fährte aus Strukturerschütterungen legen - die leider in einer Dunkel wölke
endet...«
Die zweite Nachricht war noch wesentlich unangenehmer. Sie stammte von der Erde, von
Scholf.
Terraner haben eine Möglichkeit gefunden, uns zu erkennen! Bereits siebzehn Ausfälle, darunter unsere Leute im Stab der TF, in der Oregon-Werfi und im Personal von Cent Field. Alle weiteren operativen Agenten in exponierten Positionen sind aufs Höchste gefährdet. Einsatz kann nicht mehr laut Planung durchgeführt werden. Erbitte Alternativen! gez. OpTerra-001. Zutiefst überrascht ließ Sawall die Folie sinken. Die Terraner hatten eine Möglichkeit entwickelt, einen >Wahren Menschern unter ihresgleichen zu erkennen? Das veränderte in der Tat alles. Doch eine an die neuen Gegebenheiten angepaßte Planung erforderte Zeit, mußte sorgfältig entwickelt werden. »Geben Sie durch, unsere Leute sollen sich unauffällig verhalten oder komplett untertauchen. Weitere Anweisungen erfolgen in Kürze«, befahl Sawall dem Mann, der ihm Scholfs Botschaft überbracht hatte. 207
Für heute war sein Bedarf an schlechten Nachrichten gedeckt. Daher wies er die Wachposten vor seiner Tür an, bis auf Widerruf niemanden mehr zu ihm vorzulassen - außer in absoluten Notfällen -und zog sich in sein Arbeitszimmer zurück. Er wollte nachdenken - und sich auf Mareks Ankunft vorbereiten. Sawall wußte, daß die DUKHAS zwischenzeitlich gelandet war, daher war er nicht überrascht, als er den mentalen Impuls empfing. Ich bin da, Allon. Ich komme, dachte er intensiv, und ohne eine Antwort abzuwarten, stand er auf und machte sich auf den Weg ins oberste Stockwerk des Gebäudes, wo man einige Räume für Marek vorbereitet hatte. Während er langsam die spiralförmige Rampe emporschritt, versuchte er den in seinem Innern brodelnden Aufruhr unter Kontrolle zu bringen - und das Gefühl der Beklommenheit abzuschütteln, das sich jedesmal einstellte, wenn er Marek direkt begegnete. Vor der Tür zu Mareks Räumen zögerte er einen winzigen Moment, wartete auf den mentalen Impuls, der ihn zum Eintreten auffordern würde... Komm rein, Allon... Das Zimmer lag im Halbdunkel. Daher dauerte es einen Augenblick, bis sich Sawalls Augen
an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnt hatten und er etwas erkennen konnte.
Vorsichtig blickte er sich um.
In einem viel zu großen Sessel am hinteren Ende des Raumes kauerte eine kleine Gestalt.
Bleib, wo du bist. Setz' dich in einen Sessel! Sawall gehorchte wortlos. Tausend Fragen brannten auf seiner Zunge, und dennoch kam ihm
keine einzige über die Lippen.
Er spürte etwas, das er für ein mentales Kichern hielt.
Nur keine Scheu, Allon! Stell' deine Fragen. Sawall räusperte sich.
»Du warst lange weg... Wo... wo bist du gewesen, Marek?«
Fort. Weit fort. Ich habe nach Antworten gesucht. »Und - hast du deine Antworten gefunden?« 208 Einige, nicht alle. Und neue Fragen. Tausend neue Fragen för jede Antwort. »Hast du auch etwas über die All-Hüter erfahren?« Sawall beugte sich gespannt vor. Ja. Sawall wartete, doch die mentale Stimme schwieg. Er zögerte.
»Willst du mir nicht sagen, was du über die All-Hüter weißt?« Diesmal dauerte es einige Zeit, bis Marek antwortete. Es würde dir nichts nützen, Allon. Es ist auch nicht wirklich wichtig. Vergiß die All-Hüter! Ihr müßt euren eigenen Weg gehen! Ihr dürft vor allem nicht auf dem Weg weitergehen, auf dem ihr euch im Moment befindet. Allon Sawall zuckte zurück, als hätte man ihn geschlagen. »Aber...« Allon, wenn ihr so weitermacht wie bisher, dann werdet ihr untergehen. Es ist sinnlos, gegen die Terraner zu kämpfen. Das ist nicht eure Aufgabe. Das haben auch die All-Hüter niemals gewollt. Und tief in deinem Innern weißt du, daß es falsch ist. Ich kann deine Zweifel deutlich erkennen. Sawall schüttelte hilflos den Kopf.
»Aber was ist dann unsere Aufgabe, Marek? Was sollen wir tun? Und ich kann doch nicht
einfach...«
Oh doch, du kannst. Du kannst befehlen, die Aktionen gegen die Terraner einzustellen. »Aber... meine Leute werden nicht...« Deine Leute werden dir gehorchen, so wie sie dir immer gehorcht haben. Die meisten zumindest. Sie würden deine Anordnungen niemals in Frage stellen. Du kannst ein großer Mann werden, Allon -aber nicht, indem du gegen die Terraner Krieg führst! Für einen kurzen Augenblick huschte so etwas wie ein Lächeln über Sawalls Gesicht. »Ist das eine der Antworten, die du gefunden hast - daß Allon Sawall ein großer Mann werden wird?« Werden kann! Der mentale Impuls war scharf wie ein Peitschenhieb. Sawall zuckte zusammen. »Ich wollte nicht...« 209 Ich weiß. Außerdem war es keine der Antworten, die ich gefunden habe. Ich kann es sehen. Ich sehe dich an, und ich sehe all deine möglichen Zukünfte in dir. In einigen dieser Zukünfte wird man deinen Namen verfluchen, in anderen wird er bis weit über die Grenzen dieser Galaxis hinaus bekannt werden... Sawall spürte, wie ihm ein kalter Schauer über den Rücken kroch.
»Und dieser... Dhark? Was ist mit ihm?« Die Frage kam ihm spontan, ohne nachzudenken
über die Lippen. Er hätte noch nicht einmal sagen können, warum er sie gestellt hatte.
Ren Dhark ist ein ganz besonderer Mensch. In ihm liegen Möglichkeiten, die dir immer verschlossen bleiben werden. Er kann noch viel höher steigen als du - er kann aber auch tief fallen. Nur eines ist gewiß: Wenn du dich gegen ihn stellst, wirst du sterben. Sawall sprang auf. Er war wütend.
»Verdammt, Marek, was soll das? Man könnte meinen, du bist mit diesen Terranern im
Bunde!«
Ich bin mit niemandem im Bunde, weder mit den Terranern, noch mit dir und deinen Leuten. Ich kann dir nur noch den Weg zeigen, Allon, dann werde ich wieder gehen. Meine Bestimmung liegt nicht bei euch. Sawall war noch immer aufgebracht.
»Verflucht, Marek, ich begreife das nicht! Erst verschwindest du plötzlich in einer Situation,
in der wir dich verdammt gut hätten brauchen können, und dann kommst du zurück und bist
ganz anders als früher! Ich verstehe das alles nicht!«
Ich sagte doch schon - ich habe mich verändert. Komm her, Allon. Zögernd kam Sawall der Aufforderung nach. Auch wenn seine Wut noch nicht gänzlich
verraucht war, so konnte sie seine Scheu, sich Marek zu nähern, nicht verdrängen.
Langsam schritt er auf den Sessel mit der dunklen Gestalt darin zu - und prallte entsetzt
zurück.
»Marek, was...?«
»Ich wußte, daß du einen Schreck bekommen würdest, Allon, deshalb habe ich für diese
Beleuchtung gesorgt. Aber ist es wirklich so schlimm?« Zum ersten Mal hatte Marek
gesprochen, statt mentale Impulse auszusenden. Seine Stimme klang hell und dünn.
210
fi »Marek, ich...« Sawall brach ab. Er konnte die Augen nicht von der kleinen Gestalt lassen,
die da vor ihm mehr im Sessel lag als saß.
Ein schmächtiger, zartgliedriger Körper - der Körper eines vielleicht zehnjährigen Jungen.
Nur der Kopf wirkte zu groß. Viel zu groß. Sawall trat noch einen Schritt näher an den Sessel heran, suchte in dem glatten Gesicht, das auf merkwürdige Weise zugleich jung und alt war, nach den vertrauten Zügen. Und obwohl er es vermeiden wollte, blickte er Marek erneut in die Augen, die viel zu groß für das kleine Gesichtchen unter der vorgewölbten buckligen Stirn waren. Wieder hatte er das Gefühl, in einen bodenlosen Abgrund zu stürzen, in den riesigen, nur noch aus Pupillen bestehenden tiefblauen Augen zu versinken. Du brauchst nichts zu sagen, Allon. Ich sehe, was du siehst. Doch im Gegensatz zu dir weiß ich,
daß die Veränderung noch längst nicht abgeschlossen ist.
Deshalb kann ich nicht bei euch bleiben, Allon. Ich bin anders. Und ich verändere mich immer
noch weiter.
Sawall brachte immer noch keinen Ton heraus. Er erinnerte sich an den völlig normal aussehenden Jungen, der vor einigen Monaten verschwunden war. Jetzt stand er einem... Du stehst einem Experiment des CAL gegenüber, Allon, oder genauer, dem Ergebnis eines Experiments. Natürlich ist die Sache ein bißchen aus dem Ruder gelaufen, in einer Weise, die auch der CAL nicht vorhersehen konnte... Es gab noch andere wie mich, doch sie sind verschwunden, befinden sich an einem Ort, an dem auch ich sie nicht erreichen kann. Bei ihnen scheint die Entwicklung anders verlaufen zu sein. Bei mir hingegen... Die Gedankenstimme verstummte.
Allon Sawall wußte nicht, was er sagen sollte. Zuviel war in den letzten Minuten auf ihn
eingestürmt.
Plötzlich war die mentale Stimme wieder da.
Du hast nicht mehr viel Zeit, Allon. Das Ungeheuer, das schon eure Stadt aufNoura verschlungen hat, ist auf dem Weg hierher. Ich kann es spüren. Du und deine Leute, ihr müßt diesen Planeten so schnell wie möglich verlassen! Sawall erstarrte.
211
Er wußte, was auf Noura geschehen war, er hatte die Berichte der Überlebenden gelesen.
Und plötzlich begriff er.
»Du warst auf Noura, als das Ungeheuer die Stadt angegriffen hat, Marek, nicht wahr? Du
hast seinen Angriff verlangsamt!«
Ja. Aber ich kann es nicht auf Dauer aufhalten. Ich kann euch nur ein bißchen mehr Zeit verschaffen. Der paramentale Kontakt mit diesem... Wesen läßt meine Veränderung noch schneller voranschreiten. Aber ich kann alles, was du sagst, ohne Zeitverlust deinen Leuten übermitteln. Also... »Und was ist mit diesen Terranern, die anscheinend noch irgendwo auf diesem Planeten herumirren?« fragte Sawall und wunderte sich gleichzeitig, daß ihm schon wieder dieser Dhark in den Sinn gekommen war. Um die werde ich mich kümmern. Ich werde dafür sorgen, daß sie abgeholt werden. Aber jetzt sag deinen Leuten, was du ihnen sagen mußt! Und dann zuckten überall auf dem Planeten die Robonen zusammen, als das Bild ihres
Anführers in ihrem Geist auftauchte und Sawall zu ihnen zu sprechen begann. Es war der
Anfang einer Phase hektischer Aktivität.
Ren Dhark, Dan Riker und die beiden Cyborgs marschierten immer noch durch den Canyon.
Sie hatten einen Bogen um die Ruinenstadt gemacht und wünschten sich, daß endlich die
heißersehnte Ebene sich vor ihnen auftun würde.
Plötzlich blieb Dhark stehen und wischte sich über die Stirn. Er zwinkerte mit den Augen und
schüttelte mehrmals den Kopf.
»Was ist mit dir, Ren?« fragte Dan Riker den Freund.
»Ich weiß nicht«, erwiderte Dhark. »Ich hatte gerade das Gefühl, irgend etwas hätte mich...
gestreift...«
Augenblicke später ging er stöhnend in die Knie. Auch Dan Riker und die Cyborgs spürten
den Ansturm paramentaler Impulse, doch längst nicht so stark wie Dhark.
Ren Dhark, ich weiß, wo du dich mit deinen Begleitern befindest. Wenn ihr euch beeilt, könnt ihr in zwei Stunden die Ebene erreicht 212 haben. Und ihr solltet euch beeilen, denn dieser Planet wird in wenigen Stunden von einem Ungeheuer angegriffen werden... Ich sehe in deinen Erinnerungen, daß du schon mit diesem
Wesen Bekanntschaft gemacht hast! »Wer...?« Ren Dhark richtete sich mühsam auf. Sollte der CAL... aber der war tot... verschwunden. Nein, Dhark, ich bin nicht der CAL, obwohl ich... aber das ist zu kompliziert, um es dir zu erklären. Ich war einst ein Mensch, doch jetzt... Denk' an Tyler, an Pia und an Edgar, dann kannst du dir ungefähr ein Bild von dem machen, wer - oder was - ich bin... Doch jetzt lauft! Ich werde euren Leuten eine Botschaft senden, damit sie kommen, um euch abzuholen. Die letzten Impulse erreichten auch Riker, Sass und Oshuta mit voller Kraft.
Dan Riker verzog schmerzverzerrt das Gesicht.
»Großer Gott, das ist ja schlimmer als die Botschaften des CAL!«
Wenn wir uns das nächste Mal begegnen, werde ich vielleicht besser mit meinen Kräften umgehen können, Terraner! Und Dhark... hüte dich vor denen, die sich deines Traums bedienen, um auf dich Einfluß zu nehmen... Verwirrt starrten Ren Dhark und seine Begleiter sich an. »Was war das?« fragte Dan Riker. »Ich glaube nicht, daß das im Moment die wichtigste Frage ist. Ich denke vielmehr, wir sollten uns beeilen und machen, daß wir aus diesem verflixten Canyon rauskommen!« erwiderte Lati Oshuta. »Oshuta hat recht!« sagte Dhark. »Auf geht's!« Und sie begannen vorwärts zu stolpern, so schnell es ihre Kräfte und die Bodenverhältnisse erlaubten. Janos Szardak saß erschöpft im Pilotensessel vor der Bildkugel in der Zentrale der PoiNT OF. Seine Stimmung war im Laufe der langen, bisher völlig erfolglosen Suche nach Ren Dhark und seinen Gefährten auf dem absoluten Nullpunkt angelangt. Längst hatte sein Gesicht die früher so gesunde braune Farbe verloren. Janos Szardak wirkte überanstrengt. Aber sein eiserner Wille hielt ihn aufrecht. 213 Die PoiNT OF trieb langsam zwischen den fremden Konstellationen der Sterne. Mißmutig starrte Szardak auf die nadelfeinen, gleißenden Punkte in der Schwärze des Universums. Er war sich in den letzten Tagen schmerzlich der Größe, der ungeheuren Dimensionen des Raumes bewußt geworden. Und mehr als einmal hatte er sich die Frage gestellt, wie sie es überhaupt anstellen mußten, um Ren Dhark und die ändern in dieser Unendlichkeit jemals wiederzufinden. Janos Szardak riß sich zusammen. Er wußte, daß derartige Gedanken auch seiner Übermüdung zuzuschreiben waren. Sein Körper schrie nach Schlaf, schrie nach Luft, Sonne und Erholung. Aber daran war unter den gegenwärtigen Umständen nicht einmal zu denken. Noch einmal las er sich die Daten des Checkmasters sorgfältig durch. Nach einigen Minuten drehte er sich zu Tino Grappa um. »Grappa, sind Sie auch ganz sicher, daß es sich bei den Emissionen um den Austrittspunkt einer Transition innerhalb Dg-45 handelt?« »Kein Zweifel möglich, Sir!« erwiderte Grappa. »Nur lassen sich keine exakten Daten ermitteln, auch der Checkmaster ist nicht weitergekommen. « Szardak nickte. »Passen Sie weiter auf. Schärfen Sie das auch Ihrer Ablösung ein. Nur wenn wir wenigstens eine ungefähre Ortsbestimmung vornehmen können, werden wir in der Lage sein, den Planeten zu finden, zumindest aber das Sonnensystem, in dem die Robonen leben!« Szardak erhob sich. »Ich werde mich jetzt eine Stunde hinlegen, Grappa. Wenn etwas Wichtiges sein sollte, wecken Sie mich unverzüglich!« »Jawohl, Sir!« Szardak nickte dem Ortungsspezialisten zu und verließ die Zentrale. Auf dem Bett seiner in unmittelbarer Nähe der Zentrale gelegenen Kabine streckte er sich aus. Er wollte nicht schlafen, lediglich eine Stunde ruhen, sich entspannen. Ohne es zu wollen, duselte er ein. Und plötzlich glaubte er zu träumen: In seinem Unterbewußtsein stand in grellen Farben eine Botschaft, wie er sie noch nie vernommen hatte. Hier sind die Koordinaten des Planeten, auf dem ihr Ren Dhark und die anderen drei Männer finden werdet.
214
Es folgten die exakten Sprungdaten für die POINT OF, die, ohne daß Szardak es merkte,
ebenfalls zur gleichen Zeit vom Bordgehirn des Ringraumers eingespeichert wurden. Nach
einigen weiteren grellen Bildern, die ihm eine Stadt, ein Gebirge, eine Ebene und die genaue
Position von Dhark und seinen Begleitern zeigten, taumelte Szardak hoch.
Er griff sich an den Kopf. Ein merkwürdig ziehender Schmerz, der wie ein eiserner Ring um
sein Gehirn lag, erinnerte ihn nachdrücklich an das, was er soeben gehört und gesehen hatte.
»Der CAL!« Szardak schüttelte den Kopf und verstand für den Augenblick gar nichts mehr.
»Aber das ist unmöglich! Der CAL ist tot!«
Beeile dich, Terraner! Wenn du Ren Dhark retten willst, dann zögere nicht länger - oder willst du Schuld daran sein, wenn euer Commander von einem Nor-ex verschlungen wird. Der Kommandant des Ringraumers zuckte unter der Wucht der Impulse zusammen. Doch
dann kam Leben in ihn. Er stürzte aus seiner Kabine und rannte über den gebogenen Flur des
Kabinentraktes zur Zentrale hinüber. Seine Zweifel waren wie weggewischt.
»Die Robonen - sie fliehen!« rief Dan Riker und deutete auf einen Pulk aus Kugelraumern,
die mit steigender Beschleunigung in den Himmel rasten.
»Die Ratten verlassen das sinkende Schiff«, murmelte Oshuta, was ihm einen mißbilligenden
Blick von Ren Dhark einbrachte.
Dan Riker suchte immer noch den Himmel ab. »Hoffentlich...« Was er sonst noch sagen
wollte, ging in einem Geräuschorkan unter, als die blauviolett schimmernde Ringröhre
plötzlich am blaugrünlichen Himmel auftauchte und mit irrsinnig hohen Werten verzögerte.
Augenblicke später war der Ringraumer keine 200 Meter von ihnen entfernt gelandet.
Sie mobilisierten ihre letzten Kräfte und spurteten hinüber.
»Es hat selten so gut getan, unsere POINT OF wiederzusehen, was Ren?« keuchte Dan Riker.
Ren Dhark nickte nur und rannte weiter.
215
Ren Dhark und seine Gefährten stürmten direkt in die Zentrale des Ringraumers, wo sie von
Szardak und den übrigen Besatzungsmitgliedern stürmisch begrüßt wurden.
Verlaßt so schnell wie möglich diesen Planeten, Dhark. Es sind mindestens fünf dieser Weltraumungeheur im Anflug - die könnt ihr nicht alle zugleich bekämpfen. Wieder die paramentalen Impulse.
»Dhark, ich hab' hier was mit der Echo-Kontrolle... das sind mindestens vier Nor-ex«. Tino
Grappa hatte bei aller Begeisterung über die Rückkehr des Commanders keinen Augenblick
seine Pflichten vernachlässigt.
Ren Dhark sah sich um, sah die Müdigkeit in den Gesichtern der Umstehenden, die
Erschöpfung.
Warum sollten sie kämpfen? Die Robonen flohen, und was sonst gab es auf diesem Planeten
zu verteidigen?
»Notstart! Rückflug zur Erde!«
»Aber vorher geben wir noch Ralf Larsen Bescheid, daß er nicht mehr weitersuchen muß«,
sagte Janos Szardak. Auf seinem sonst so unbeweglichen Pokerface lag ein Lächeln.
Von einem Kontursessel in der Zentrale der DUKHAS beobachtete Allon Sawall, wie Anon
unter dem Kugelraumer verschwand. Nicht einfach kleiner wurde, sondern verschwand!
Das war gerade noch rechtzeitig, Allon! meldete sich Marek. Und jetzt werde ich dir und deinen
Raumschiffkommandanten die Koordinaten einer Welt geben, auf der ihr die nächsten Jahre in
Sicherheit seid und in Frieden leben könnt.
»Und was ist mit de Ruy?« fragte Sawall. Er hatte die NEMO ins Sol-System geschickt, um
die zurückbeorderten Agenten von Terra abzuholen.
Henry kennt die Koordinaten, seid wir seinen Raumer beim Einflug in die Sternballung passiert haben. Er wird nicht die geringsten Schwierigkeiten haben, eure neue Heimat zu finden. 216 Öle Bigman stand mit Topai neben Clint Derek, Tanja und Colonel Huxley, als die von Charaua angeforderten Nogk-Raumer am Himmel Perms erschienen. Die Menschen aus der Pfahlbausiedlung drängten sich vor ihren Hütten. Zwei Stunden nach Sonnenaufgang des vierten Tages nach dem Überfall durch das Nor-ex erdröhnte der Himmel Perms unter den Vibrationen gewaltiger Triebwerke. Die NogkRaumer sanken wie Tropfen in die Atmosphäre des Planeten. Hunderte von riesigen
Räumern, die gewaltige Flotte eines Imperiums, das seine Streitkräfte nach diesem neuen Überfall auf eines ihrer Kampfschiffe endgültig mobilisiert hatte. Charaua und ein Teil der Besatzung seines Raumschiffs standen zwischen den Menschen. Ihre dunklen Facettenaugen verfolgten jede Bewegung der landenden Schiffe. Hin und wieder zuckten ihre Fühler rhythmisch hin und her. Einer der Raumer löste sich aus dem Verband der übrigen, die sich nach einem genauen System rund um das Binnenmeer und über die Roten Berge verteilten. Er glitt über die glitzernde Wasserfläche genau auf die Siedlung zu. Tiefer und tiefer sackte sein gewaltiger, eiförmiger Rumpf. Er berührte die Wasseroberfläche des Binnenmeeres, tauchte ein und glitt schließlich mit schäumender Bugwelle auf die Pfahlbauten der Siedlung zu. Die sich weit ins Wasser hineinziehenden Palisaden brachen die Gewalt der anrollenden Wogen. Dann stoppte das Kampfschiff. Sein massiger, viele hundert Meter hoher Bug leuchtete in der Sonne. Ein Beiboot löste sich aus seinem Druckkörper. Minuten später stand es bewegungslos über den Hütten. Das Schott öffnete sich, und ein Nogk sprang heraus. Er trug eine goldene, weithin leuchtende Uniform, die bis auf das grünlich schimmernde, ellipsenförmige Emblem mit den in ihren Brennpunkten rotierenden Kugeln völlig schmucklos war. Mit den eigentümlich gleitenden Bewegungen seiner Rasse kam er auf Charaua und Huxley zu. Eine Weile sahen seine dunklen Facetten die beiden an, während Charaua sich ehrerbietig verneigte. Dann jedoch wandte er sich dem Colonel zu. 217 >Charaua hat mich von deinem Eingreifen unterrichtet, Huxley! Das Nogksche Imperium wird sich dieser Tat erinnern. Es ist das zweitemal, daß Terraner uns in größter Not beistehen. Ich freue mich, daß du dem Rat unseres Imperiums angehörst, wenn ich auch anfangs dagegen war. Als einziger von allen Mitgliedern des Rates !< Der Nogk schwieg einen Moment. >Wir habe einen gemeinsamen Feind, Huxley. Deine und meine Rasse werden sich gegen dieses Wesen aus der grauen Zone jenseits der Zeiten wehren müssen, oder es vernichtet uns. Ihr habt eine Waffe, mit der man es verjagen, zerschießen aber offenbar noch nicht töten kann. Unsere Wissenschaftler sollten sich zusammentun. Trage deiner Regierung diesen meinen Wunsch vor. Das Imperium der Nogk wird mit seiner ganzen Macht für ein Bündnis einstehen, wenn deine Rasse es mit uns schließen will! Wir werden jetzt unser beschädigtes Kampfschiff bergen, dann werden meine Wissenschaftler deine neuen Waffen untersuchen, wenn du es erlaubst. Wenn du einverstanden bist, übernehmen wir für eine Weile den Schutz deiner Brüder und Schwestern auf dieser Welt. Du solltest zurückkehren und mit deiner Regierung sprechen, Terraner !< Colonel Huxley nickte dem Nogk zu. »Dein Rat ist gut, und ich werde ihn befolgen...« Huxley wurde durch einen Anruf aus der Zentrale seines Schiffes unterbrochen. Mit einer entschuldigenden Geste griff er zum Vipho. »Sir!« meldete sich sein I.O. mit freudig erregtem Gesicht. »Eine Nachricht von der Erde: Ren Dhark und die PoiNT OF sind vor einer Stunde auf Cent Field gelandet!« Durch die hagere Gestalt des Colonels ging ein Ruck. Seine grauen Augen leuchteten. »Das geschah zur rechten Zeit, Maxwell! Bereiten Sie alles für den baldigen Start vor! Sobald die Wissenschaftler der Nogk mit ihren Untersuchungen fertig sind, starten wir! Perm bleibt bis zu unserer Rückkehr unter dem Schutz der Nogk!« Anschließend teilte er den Nogk die Neuigkeit mit. Ihre langen Fühler begannen erregt zu schwirren. Schließlich beendete der Nogk in der goldenen Uniform die Diskussion. >Wir wollen uns beeilen! Sage Ren Dhark unseren Gruß, Huxley! 218 Ich würde mich im Namen aller Angehörigen meiner Rasse sehr freuen, wenn wir schon bald über alle weiteren Schritte miteinander beraten würden !< Im Morgengrauen des nächsten Tages verließen drei Raumer Perm. Die NOGK nahm Kurs auf die Erde. Zwei Kampf schiffe der Nogk kehrten ins System der Sonne Tantal zurück, um dort sofort die notwendigen Vorbereitungen für die Produktion von
To-Funk-Kanonen zu treffen. Öle Bigman und Topai sahen den schnell kleiner werdenden Räumern nach. Erst als sie am blaßblauen Morgenhimmel verschwunden waren, kehrten beide in ihre Hütte zurück. Sie würden ein paar Stunden schlafen. Danach wartete harte Arbeit auf sie. Das Wild in der Ebene vor den Roten Bergen war vom Nor-ex vergrault worden. Es würde viel Zeit vergehen, ehe es dorthin zurückkehrte. Öle Bigman, Topai und die anderen Jäger mußten sich neue Jagdgründe suchen... 219
/5.
Major Neep, der Kornmandant des Kreuzers BERNHARDTS STAR, betrachtete versonnen
den Panoramaschirm, auf dem Myriaden blitzender Punkte flimmerten.
Er knetete abwesend seine Hände. Im Augenblick gab es wenig anderes für ihn zu tun.
Jederzeit konnte die Meldung kommen, daß die Astronomen eine neue Position wünschten.
An Bord herrschte tiefe Ruhe.
Kein Vibrieren der Bordwände, kein monotones Summen des Antriebs. Nur das Rauschen
aus den Lautsprechern, und hin und wieder ein Knistern und Zirpen, wenn irgendwo irgend
jemand an irgendwen einen Hyperfunkspruch absetzte.
Katalogisierung der Galaxis.
Major Neep seufzte leise. Diese Arbeit würde Jahrhunderte dauern.
»Sie können einen neuen Sprung vorbereiten, Major!«
Neep schreckte auf. Er blinzelte und blickte den Astronomen Ger-rick fragend an, dessen
rundes Gesicht den Bildschirm der Bordverständigung fast vollständig ausfüllte.
»Entschuldigen Sie, Major, ich wollte Sie nicht aufwecken«, lachte Genick. »Manchmal hat
man solche Anwandlungen. Früher, da...«
»Schon gut, Gerrick«, unterbrach Major Neep den Redeschwall des Astro-Kartographen.
Gerrick schnitt eine Grimasse. Sein Abbild verblaßte.
Neep erwachte zum Leben. Ein kurzer Rundblick streifte die anwesenden Offiziere.
»Also los, meine Herren. Auf zum nächsten Sprung. Entfernung von Terra 9364 Lichtjahre.
Koordinate Grün 03:27,46. Alles klar?«
In einer halben Stunde würde die BERNHARDTS STAR eine andere Position einnehmen. In
einer halben Stunde würde man einen neuen Standort gefunden haben. Die Astronomen
würden ihre Arbeit fort 220
setzen. Die Besatzung des Kreuzers würde weiterhin in der Messe herumlungern.
Doch zu dem neuen Sprung sollte es nicht mehr kommen...
Major Neep streckte seine Rechte nach den Schaltern am Instru-mentenpult aus. Schlagartig
begann der Hauptbildschirm zu flackern. Ohrenbetäubend erklang das Prasseln der
interkosmischen Statik.
Entsetzte Blicke richteten sich auf die Schirme.
Neep umklammerte die Lehnen seines Sessels. Eine Hand schien sich um seinen Hals zu
legen und ihm die Luft abzuschnüren.
Und dann wurde es wieder still in der Zentrale der BERNHARDTS STAR.
Das Gewaber auf dem Bildschirm legte sich. Die verwischten Konturen traten wieder
deutlich zum Vorschein. Das Gefunkel zahlloser Sterne war nach wie vor zu sehen.
Aber auch noch etwas anderes.
Sieben Schiffe! Sieben Pyramidenraumer, soeben aus dem Hyperraum aufgetaucht, rasten genau auf den terranischen Kreuzer zu. Major Neep wurde blaß. Seine Augen zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen. Er dachte in diesem Augenblick kaum an sich selbst. Doch er trug die Verantwortung für Schiff und Besatzung. An Bord befanden sich Aufzeichnungen, die Wochen konzentrierter Arbeit bedeuteten. Flucht! durchzuckte es ihn. Aber dann setzten sich sein klares Denken wieder durch. Noch während seine Männer betäubt und fasziniert auf die Schirme starrten, bewegte sich Neep in seinem Kommandantensessel.
An Flucht war schon nicht mehr zu denken. Der terranische Kreuzer sah sich eingekreist von
sieben fremdartig anmutenden Raumschiffen. Neep hatte die Chance zu entkommen verpaßt.
Eine Sirene begann zu heulen. Der schrille Ton durchschnitt die Stille wie ein Messer. Er
ertönte in jedem Raum an Bord der BERNHARDTS STAR, ließ das Blut vieler Männer
gefrieren.
Raumalarm! Alle Augen suchten den nächsten Bildschirm.
Sie alle sahen jetzt die Fremden, die so plötzlich wie ein Spuk aufgetaucht waren.
221
Major Neep verschwendete jedoch keinen weiteren Blick auf das Meer leuchtender Punkte
auf dem Schirm.
Er tat seine Pflicht.
Mit einem entschlossenen Handgriff warf er einen Schalter herum. Kontaktaufnahme!
Ein Funkspruch verließ die Antennen.
»Hier terranischer Kreuzer BERNHARDTS STAR, Codenummer 7265, Kommandant Major Neep.
Erbitte Kontaktaufnahme.«
Mit immer gleichem Wortlaut jagte der Spruch in den Raum. Farbige Muster erschienen auf
dem Funkoszillo.
Gespannt wartete Major Neep und mit ihm jeder Mann an Bord des Kreuzers auf die Antwort
der Fremden.
Doch es erfolgte keine Antwort. Drohend standen sieben blitzende Punkte in der Schwärze
des Alls. Viel zu nah.
Da begriff Major Neep. Sie wollten nicht antworten. Sie suchten keine friedliche Begegnung.
Erneut handelte der Kommandant, diesmal ruckartig, gehetzt.
Seine geballte Faust krachte auf einen grellroten Knopf.
Der Notruf nach Terra verließ die Antennen.
In diesem Augenblick schlugen die Fremden zu. Plötzlich war um sie herum alles blau. Das
Universum hatte seine Schwärze verloren.
»Kreuzer BERNHARDTS STAR, Kodenummer K-726/5, Kommandant Major Neep, ruft
SOS. Fremdraumer...«
Schlagartig brach der Funkspruch ab - wie von einer Rasierklinge abgeschnitten.
Die BERNHARDTS STAR in Not.
Grabgesang eines Kreuzers der TF.
Stille an Bord der terranischen Raumschiffe, die den Notruf empfangen hatten. Alle
Raumfahrer an Bord dieser Schiffe dachten an Major Neep und seine Mannschaft, die
vielleicht gerade in diesem Augenblick Bestandteil einer Gas wölke...
Das Grauen schüttelte die Männer. Sie selbst konnten das gleiche Schicksal erleiden.
In der Zentrale herrschte plötzlich hektische Atmosphäre. Das Zir
222
pen geraffter Sprüche durchschnitt die Stille. Hyperfunksprüche eilten durch die Milchstraße.
Glücklicherweise klappte der To-Funkverkehr wieder.
Notruf eines Kreuzers. Alarmzustand im gesamten Einflußbereich. Was war mit der
BERNHARDTS STAR geschehen? Existierte das Schiff schon nicht mehr?
Suprasensoren ermittelten den Ausgangspunkt des Hilferufs. Gerichtete To-Funksprüche
verließen die Antennen vieler Schiffe. Auch Ren Dhark und die PoiNT OF riefen nach Major
Neep.
Warten! Sekunden, Minuten voller Spannung. Tausende von Männern lauschten auf das
Rauschen aus den Lautsprechern.
Nichts. Die BERNHARDTS STAR antwortete nicht.
Die BERNHARDTS STAR war zum Schweigen verdammt.
Major Neep sickerte das Blut unter den Fingernägeln hervor, so heftig zerrte er an dem
Hauptschalter für das As-Onen-Triebwerk.
Verzweiflung hatte die Männer ergriffen.
Von den Schinnen strahlte ihnen ein unwirkliches Blau entgegen. Verschwunden war das
vertraute Schwarz des Weltalls. Verschwunden waren die Myriaden flimmernder Punkte.
Blau erschienen die Gesichter der Männer. Verzerrt, mit weit aufgerissenen Augen, voller
Angst und Schrecken.
Die blauen Felder hüllten die BERNHARDTS STAR ein. Das Schiff schüttelte sich und
wehrte sich mit allen verfügbaren Kräften.
Aus! Vorbei!
Nein, schrie es in Major Neep.
Er wollte leben. Seine Männer wollten leben.
Das Schütteln des Kugelraumers wurde stärker. Die Männer taumelten durch die Zentrale.
Schreie gellten durch das Schiff. Ohnmächtige Wut packte den Kommandanten.
Was geschah hier? Und warum?
Instrumente schlugen plötzlich weit aus.
Major Neep wurde starr wie eine Puppe. Entgeistert blickte er auf die Instrumente. Das
irisierende Blau schmerzte bereits in den Augen.
223
Es gab keinen Irrtum mehr.
Die BERNHARDTS STAR geriet in den Strudel hyperenergetischer Magnetstrahlen hinein.
»Männer!« Neeps Stimme überschlug sich. »Keine Panik aufkommen lassen. Klaren Kopf
behalten. Wir sollen abgeschleppt werden. -Neep an Triebwerksraum!«
Mit überkippender Stimme meldete sich Captain Saragossa. Schweiß rann über sein Gesicht.
Die Haare klebten ihm an der Stirn.
»Kommandant«, schrie er. »Was soll ich tun?«
»Volle Kraft auf den Antrieb. Setzen Sie alles ein, was wir haben, Saragossa. Wir müssen aus
der Umklammerung heraus.«
»Ich will es versuchen, Major.«
Captain Saragossa hob müde die Schultern. Er glaubte nicht, daß sie sich aus dem Bereich
der blauen Strahlung noch befreien könnten.
Auch Major Neep glaubte nicht daran. Aber er gab die Hoffnung nicht auf. Er durfte sie nicht
aufgeben.
Noch einmal gelang es dem Kommandanten, ein wenig Ruhe ins Schiff zu bringen. Befehle
klangen aus den Lautsprechern.
Aber dieses Aufflackern der Hoffnung wurde bereits in den nächsten Minuten zunichte
gemacht.
Das Schiff begann sich zu bewegen. Titanische Kräfte zerrten an der Kugelzelle, rissen sie
vorwärts.
»Volle Kraft!« schrie Major Neep.
Mit Vollschub der As-Onen-Triebwerke wehrte sich der Kreuzer gegen die Kräfte des
magnetischen blauen Felds.
Umsonst! Der fremde Einfluß war stärker.
Major Neeps Hände umklammerten die Sessellehne. Vor seinen Augen verschwamm alles in
einem irisierenden Blau.
Hinter Neep brach ein Offizier zusammen. Niemand achtete auf ihn. Jeder hatte mit sich
selbst zu tun.
Das Schütteln des Kugelraumers wurde noch heftiger; zwei Männer wurden
herumgeschleudert und verloren die Besinnung.
Wer in diesen Augenblicken nicht angeschnallt war oder sich irgendwo festhalten konnte,
wurde unbarmherzig zu Boden gerissen.
As-Onen kontra Magnetfeld.
Dabei konnte man den Feind nicht einmal mehr sehen.
224
Die sieben Punkte verschwanden in dem feindseligen Blau. Nicht einmal die Konturen der
Pyramidenraumer konnte man erkennen.
Die Bildschirme wurden dunkler.
»Alle Energie auf den Antrieb!« schrie Neep heiser.
Der Erste Offizier handelte reaktionsschnell. Mit zwei Griffen warf er den
Energiehauptschalter herum.
Dunkelheit erfüllte das Schiff. Lautsprecher schwiegen. Alle Energie wurde dem Triebwerk
zugeführt. Lächerlich kleine Mengen nur. Aber dennoch der letzte Hoffnungsstrahl.
Für einen Augenblick sah es so aus, als wollte die BERNHARDTS STAR wie ein wütender Stier
mit gesenktem Kopf durch das blaue Feld hindurchstoßen.
Magnetströme packten erneut zu - diesmal noch unbarmherziger.
Das Schütteln und Zittern des Schiffes wurde so stark, daß sich die ersten Gegenstände aus
der Verankerung lösten. Schreie erklangen. Männer wurden gegen die Wände gepreßt.
Der Tod streckte seine Hand nach dem Kreuzer aus.
Und plötzlich hörten die Geräusche auf. Das Klirren verstummte, das entsetzliche Heulen der
Konverter erstarb schlagartig.
Neeps schweres Atmen klang in seinen eigenen Ohren unnatürlich laut. Keuchen rechts und
links, vorn und hinten.
»Licht«, schrie jemand mit erstickter Stimme.
Etwas flog durch die Zentrale, prallte krachend gegen eine Wand.
»Licht«, schrie auch Major Neep, aber seine Stimme hatte ihren vertrauenerweckenden Klang
verloren.
Licht flammte auf. Aber welch ein Licht. Düster und grau strahlte das einst so helle Licht von
den Decken herab. Düster, grau und verzerrt waren die Gesichter. Von Hoffnungslosigkeit
übermannt warf sich einer der Offiziere gegen die Instrumentenwand. Mit geballter Faust
schmetterte er einen Hebel nach unten.
Nichts geschah.
Diese entsetzliche Stille zerrte an den Nerven.
»Ausgeblasen«, stieß Major Neep tonlos hervor.
Ein Krächzen aus dem Lautsprecher. Ein blutverschmiertes Gesicht auf dem Monitor der
Bordverständigung. Captain Saragossa wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht.
225
»Triebwerksraum«, keuchte er, »die As-Onen-Triebwerke sind ausgeblasen worden.«
Jeder wußte, was das zu bedeuten hatte. Hilflos war die BERNHARDTS STAR damit den
magnetischen Kraftfeldern der Pyramiden-raumer ausgeliefert.
Noch immer strahlte das Blau von den Schirmen.
Der Kreuzer nahm Fahrt auf. Lautlos und gespenstisch. Major Neep zitterte. Er mußte hilflos
zusehen, wie man sein Schiff abschleppte.
Sein Blick richtete sich auf die Instrumente. Fassungslos starrte Neep auf den
Geschwindigkeitsmesser.
»0,5 Licht«, hörte er sich schreien.
Die Geschwindigkeit stieg unaufhaltsam.
»Heilige Sterne, sie reißen uns in den Hyperraum!«
Irgend jemand hinter Neep hatte verzweifelt diesen Satz geschrien.
Aber noch gab Neep nicht auf. Noch durfte er nicht aufgeben. Noch lebte er - und solange er
lebte, wollte er nichts unversucht lassen.
Er mußte versuchen, Funkverbindung mit Terra aufzunehmen.
Aber nicht einmal die farbigen Symbole erschienen auf dem Monitor des Funkgeräts.
Die BERNHARDTS STAR war zum Schweigen verdammt.
Verzweifelt wandte sich Neep wieder den Instrumenten zu.
Geschwindigkeit 0,6 Licht! Steigende Tendenz.
Aschfahl drehte sich Neep in seinem Sitz. Einige Männer kauerten am Boden. Ihre Blicke
richteten sich auf den Kommandanten.
Doch Neep hatte jetzt selbst jede Hoffnung verloren.
Ihre Geschwindigkeit nahm weiter stetig zu; 0,70 Licht, 0,75... Neep saß einfach nur da, mit
geballten Fäusten, schweißnassem Gesicht und hängenden Schultern.
»Major!«
Das war die Stimme Wrigleys, des Ersten Offiziers. Sein ausgestreckter Arm wies auf den
Geschwindigkeitsmesser.
0,81 Licht! Dicht an der Transitionsgrenze! Jeder an Bord wußte, was das zu bedeuten hatte.
Sie würden das Normalgefüge verlassen und irgendwo wieder auftauchen - wenn es
überhaupt jemals ein Auftauchen geben würde!
Da taumelte ein Mann in die Zentrale. Der Astro-Kartograph Ger 226
rick wankte auf den Kommandanten zu. Über seinem Bauchansatz spannte sich die Uniform.
Der Schweiß lief ihm übers Gesicht.
»Major«, schrie er anklagend. »Sie sitzen hier und lassen sich alles gefallen?«
Neep antwortete nicht. Was sollte er auch antworten. Jeden Augenblick konnte es passieren.
Alles würde zu Ende sein. Neep wußte, was mit ihnen passieren würde, wenn die
BERNHARDTS STAR in den Hyperraum gerissen werden würde.
Er hob nur müde, resignierend die Hand.
Genicks Augen weiteten sich erschreckt und verzweifelt zugleich. Er suchte Halt an einer
Sessellehne und öffnete die Lippen zu einem Schrei.
Aber niemand hörte diesen Schrei mehr.
0,86 Licht, zeigte die Skala an. Was in diesem Augenblick geschah, wußte später niemand zu
beschreiben.
Ein fauchendes Geräusch füllte die Kommandozentrale des Kugel-raumers. Die Männer
preßten entsetzt die Hände an die Ohren, weil sie glaubten, das Trommelfell müßte ihnen
platzen. Ihre Augen traten weit aus den Höhlen. Eine Faust drückte ihnen die Luft ab,
schnürte ihre Kehlen zu. Sie glaubten zu ersticken.
Überall an Bord das gleiche Bild. Chaos, Verzweiflung, Panik.
Manche Männer wollten noch schreien. Niemand kam mehr dazu. Alles verging um sie
herum. Die Lichter erloschen.
Ein furchtbarer Knall, wie die Explosion einer Bombe, schnitt in den Köpfen der Männer
anscheinend den letzten Lebensfaden ab.
Gerrick fiel wie ein Stein zu Boden. Kerr sank bewußtlos gegen die Lehne seines Sitzes.
Neep kämpfte verzweifelt gegen eine würgende Übelkeit an. Alles umsonst. Das letzte, was
er sah, war das Verblassen des intensiven blauen Lichts. Er glaubte sogar, einen Schimmer
von samtener Schwärze mit hinüber in die Bewußtlosigkeit zu nehmen.
Die BERNHARDT STAR glich einem Totenschiff.
Es gab niemanden mehr an Bord, der noch aufrecht in seinem Sessel saß, niemanden, der
noch bewußt die nächsten Augenblicke erlebte...
227
Major Neep kam langsam wieder zu sich.
Aber dieses Erwachen geschah anders als Neep es jemals zuvor erlebt hatte. Er schien aus
einer Eisstarre langsam in die Wärme zurückzukehren.
Seine Gedanken wirbelten wild durcheinander. Er versuchte, sich auf einen bestimmten
Punkt zu konzentrieren. Er schaffte es nicht. Von seinem Nacken breitete sich ein bohrender
Schmerz aus, der bis unter die Schädeldecke und bis in die Fingerspitzen drang.
Vor Neeps Augen tanzte eine grünliche Nebelwand. Farbe! Eine Erinnerung brach durch,
ergriff von ihm Besitz. Blau, irisierendes, schreckliches Blau. Völlig konfus. Der Nebel vor
seinen Augen war nicht blau, es handelte sich um ein Grün, schimmerndes Grün.
Major Neep wollte die Zähne aufeinanderbeißen. Aber nicht einmal sein Kiefer gehorchte
dem Befehl des Gehirns.
Nur langsam legte sich der bohrende Schmerz. Gleichzeitig ebbte auch die körperliche Starre
ab. Neep konnte die Finger bewegen. Das Blut begann zu zirkulieren.
Aber es gelang ihm nicht, seine Lider zu heben. Eine schwere Last schien darauf zu liegen.
Auch auf der Brust. Als hätte man darauf ein ganzes Raumschiff abgestellt.
Die Zeit verrann. Neep besaß keinerlei Kontrolle. Weder über die Zeit, noch über seinen
Körper. Eine entsetzliche Leere drohte ihn zu übermannen.
Noch einmal fiel er in einen traumlosen Schlaf.
Das nächste Erwachen geschah abrupt und ohne Übergang. Neep schlug die Augen auf - und
schloß sie wieder. Zwei Sekunden vergingen. Er hatte ein vertrautes Bild erhofft. Doch es
gab kein vertrautes Bild.
Es gab kein Raumschiff, keine BERNHARDTS STAR. Es gab nur Grün. Überall.
Neeps Kopf war klar. Er fühlte keine Schmerzen, keine körperliche Starre, nichts. Doch vor
seinem geistigen Auge spielte sich eine Szene ab, die er mit hinüber in die Bewußtlosigkeit
genommen hatte.
Ein blaues Feld, das seinen Kreuzer einhüllte; die verzweifelten Bemühungen, dem
Magnetfeld zu entgehen. Und dann das schmerzhafte Eintauchen in den Hyperraum.
228
Aber da war auch noch etwas anderes. Neep konnte sich nur dunkel erinnern. Es mußte kurz
vor der Bewußtlosigkeit geschehen sein.
Nachtschwarzes Universum. Ein Geräusch ließ Major Neep aufhorchen. Ein menschliches
Stöhnen. Direkt neben ihm.
Neep schlug endgültig die Augen auf. Er erschrak. Nur langsam konnte sein Gehirn das
verarbeiten, was ihm seine Augen zeigten.
Er sah starre, unbewegliche Körper. Sie erschienen leblos, wie Tote, die man nebeneinander
aufgebahrt hatte. Neep drehte den Kopf.
Er blickte in das bleiche, verzerrte Gesicht Captain Saragossas. Der Chief hielt die Augen
geschlossen. Seine Lippen zuckten ein wenig. Erneut drang ein Stöhnen an Neeps Ohr.
Neeps Blick glitt weiter. Neben Saragossa lag der dickliche Ger-rick. Auch er bewegte sich
nicht.
Alle lagen sie da. Sämtliche 210 Mann - die gesamte Besatzung der BERNHARDTS STAR!
Neep fiel es schwer, seinen Augen zu trauen. Er konnte nicht fassen, was er sah, weil dieses
Bild das Vorstellungsvermögen eines Menschen überstieg.
Alle lagen nebeneinander. Auf einem riesigen Bett aus grünschim-merndem Material. Dieses
>Bett< wand sich wie eine Spirale. Aber zwischen jeder Windung gab es gut einen Meter
Platz. Und das ganze Gebilde schwebte frei in der Luft.
Er mußte die Augen schließen und das Bild erst einmal verarbeiten.
»Heilige Milchstraße!« hörte er Saragossa neben sich stöhnen.
Dieser Ausruf enthielt alles. Staunen, Verwunderung und Unglauben. Also sieht auch der
Chief das gleiche Bild, durchzuckte es den Major. Ihm wurde nichts vorgegaukelt. Seine
Phantasie war nicht mit ihm durchgegangen.
»Sind Sie verletzt, Captain?« Saragossa riß den Kopf herum und starrte den Major an, als
sehe er ein Gespenst. Nur langsam glätteten sich seine Züge. Verwirrt schüttelte er den Kopf.
»Nein, Major. Nur etwas konfus... Können Sie mir erklären, welchen Spaß man sich hier mit
uns erlaubt? Wo sind wir eigentlich?«
Auf diese Frage hätte Neep gern selbst die Antwort gekannt.
Neuerliches Stöhnen erklang; entsetzte Ausrufe, Rüche, Wimmern. Langsam erwachten 210
Mann.
229
Major Neep wußte, daß er jetzt handeln mußte. Was immer hier mit ihnen geschehen war,
einen Ausweg gab es nur, wenn man kühl und nüchtern überlegte. Panik konnte Neep nicht
gebrauchen.
Entschlossen wollte er sich erheben. Es ging nicht. Unsichtbare Kräfte hielten ihn fest und
zwangen ihn auf das grünschimmernde Material. Neep stöhnte wütend auf.
»Was ist?« erkundigte sich Saragossa beunruhigt.
»Nichts weiter«, knurrte Neep. »Ich kann nur nicht aufstehen. Versuchen Sie es mal!«
»Hat keinen Zweck. Habe die Erfahrung selbst schon gemacht... Ich kann mich nicht einmal
drehen. Probieren Sie es mal, Gerrick -oder schlafen Sie noch?«
Gerrick fauchte wie ein wildes Tier. Er konnte gerade den Kopf heben und über Captain
Saragossa hinwegsehen.
»Sie haben uns diese Suppe eingebrockt, Major. Jetzt sollten Sie zusehen, daß Sie uns hier
auch wieder heraus...«
»Halten Sie die Klappe, Gerrick«, knurrte ihn Saragossa an. »Gebrauchen Sie lieber Ihren
Verstand. Lassen Sie den Chef überlegen.«
»Wenn ich gewußt hätte, was...«
»Ich sagte, Sie sollen die Klappe halten«, knurrte Saragossa drohend. »Auf diese Art kommen
wir hier nie heraus.«
»Schon gut«, murmelte Neep müde. »Ich weiß nur, daß wir jetzt die Ruhe bewahren müssen.
Sehen wir uns zuerst einmal um.«
Aber da wurden weit hinten die ersten Stimmen laut. Neep konnte die Angst seiner Leute
verstehen. Er befand sich am Anfang der Spirale, innen. Bis zum letzten Mann drang seine
Stimme kaum durch.
Trotzdem versuchte er es.
»Männer«, schrie er so laut er konnte. Seine Stimme hallte durch den von unsichtbaren
Lichtquellen beleuchteten Raum. »Hier spricht der Kommandant. Ich fordere Sie auf, vor
allem die Ruhe zu bewahren. Wir befinden uns hier in der Gewalt fremder Wesen und
können vorerst nichts anderes tun, als...«
»Wir wollen hier raus.«
»Ich halte es nicht mehr aus.«
Die Schreie gellten wild durcheinander. Flüche flogen durch den Raum.
230
Captain Saragossas Gesicht wurde puterrot, als er mit Gewalt versuchte, sich zu erheben. Er merkte sehr schnell, daß dieser Versuch nur Kraft kostete. Keuchend ließ er sich zurückfallen. Nach einer Sekunde Pause hatte er soviel Luft geschöpft, daß er sich Gehör ver schaffen konnte. »Zum Donnerwetter«, brüllte er wütend. »Wer jetzt nicht seinen Mund hält, den nehme ich mir nachher persönlich vor. Alles hört auf den Kommandanten!« Sofort trat Ruhe ein. Jeder kannte Saragossa. Wen der erst einmal in die Pranken bekam, dem mußte bald die Luft ausgehen. Nicht umsonst war der Chief Vizemeister bei den Ringermeisterschaften der Flotte geworden. »Danke, Captain!« Neep konnte sogar schon wieder lächeln. Daß es nur ein müdes Lächeln wurde, sah lediglich Saragossa. »Männer! Ich kann Ihre Gefühle vollauf verstehen. Mir persönlich geht es nicht besser. Aber wenn Sie sich die Sache richtig überlegen, wird auch Ihnen klar werden, daß wir nur durch Ruhe und Nachdenken weiterkommen können. Helfen Sie mir, einen Ausweg zu finden. Jeder Vorschlag wird gemeinsam besprochen. Wir sind eine Gemeinschaft, wie wir es schon an Bord unseres Schiffes gewesen sind.« Neep verlieh seiner Stimme einen festen, vertrauenerweckenden Klang. Seine Ruhe verfehlte ihre Wirkung nicht. Das erste wilde Feuer der Panik erlosch. Neep konnte erlöst aufatmen. »Zunächst einmal bitte ich jeden von Ihnen, seine Umgebung zu mustern. Vielleicht gibt es doch einen Weg, diese Spirale zu verlassen. Jeder soll einmal versuchen, ob er sich drehen oder sogar sein Lager verlassen kann. Keine Gewalt bitte. Wer verletzt ist oder Schmerzen fühlt, soll sich melden.« Niemand meldete sich. Auch das war ein Hoffnungsschimmer. Neep ging mit gutem Beispiel voran. Er untersuchte zuerst einmal seine Liegestatt. Er lag in einer leichten Mulde, aber es gelang ihm nicht, sich zu drehen. Der Raum, in dem sie sich befanden, war grau und völlig kahl. Es gab weder Fenster noch Türen. Aber irgendwo mußte es einen Eingang geben, sonst hätte man sie hier nicht hereinbringen können. 231 Die ersten Vorschläge wurden diskutiert. Doch so lange sie hier wie festgenagelt auf dem Rücken lagen, konnten sie nichts unternehmen. Neep wußte, daß seine Leute nach ein paar Stunden wieder unruhig werden würden. Er überlegte fieberhaft, was er dagegen tun konnte. Aber einen rettenden Einfall hatte er nicht. Auch Captain Saragossa gab sich alle Mühe, ruhig und überlegt zu bleiben. »Und der Notruf, Major?« wandte er sich leise an den Kommandanten. »Ist der überhaupt noch durchgekommen?« »Er ist, Saragossa. Er muß durchgekommen sein. Ich weiß nicht, ob er voll ankam, aber die erste Hälfte muß Terra erreicht haben.« Er hob die Stimme, um auch den anderen Mut zuzusprechen. »Männer! Terra hat unseren Notspruch bestimmt empfangen. Und wenn es einen Menschen gibt, der uns so lange sucht, bis er uns gefunden hat, dann ist es Commander Ren Dhark!« Um Major Neep herum drohte das Chaos auzubrechen. Machtlos mußte er mit anhören, wie seine Männer immer mehr in Panik gerieten. Seit Stunden lagen sie hier fest. Hunger und Durst quälte die Besatzung der BERNHARDTS STAR. Neep war fast am Ende seiner Kräfte. Auch der neben ihm liegende Captain Saragossa konnte nicht mehr. Vom vielen Schreien war seine Stimme nur noch ein heiseres Flüstern. Die beiden Offiziere waren in Schweiß gebadet. Die erste Angst hatte der Kommandant etwas eindämmen können. Aber gegen die jetzt aufkeimende Panik kam er nicht an. Ohnmächtig mußte Major Neep mit anhören, wie seine Männer sich immer mehr in diese Panik hineinsteigerten.
Captain Saragossa konnte wie alle anderen nur den Kopf ein wenig drehen.
Seine Lippen bewegten sich. Aber Neep verstand ihn nicht. Das Geschrei um ihn
verschluckte jedes Wort.
»Ruhe«, donnerte Neep noch einmal verzweifelt.
Niemand nahm davon Notiz.
232
Die Männer begannen im Chor zu brüllen.
»Wir wollen hier heraus!«
»Gebt uns zu essen und zu trinken.«
Das Geschrei wurde lauter und lauter. Und Major Neep lag mit geballten Fäusten und
verzerrtem Gesicht am Anfang der Spirale und konnte nichts dagegen unternehmen.
Seine Gedanken rasten. Verzweifelt suchte er nach einem Ausweg.
Aber es gab noch nicht einmal einen hauchdünnen Faden der Hoffnung. Sie lagen fest.
Irgendwo in der Unendlichkeit. Verloren und vergessen.
Neep wartete auf eine Änderung ihrer Lage. Aber niemand ließ sich blicken. Keine Stimme
ließ sich vernehmen.
Die Panik griff weiter um sich.
Die Männer brüllten nicht mehr im Chor. Einzeln schrien sie ihre Angst in den kahlen grauen
Raum hinein.
Neep konnte sie sogar verstehen.
In einer offenen Schlacht hätte keiner gemurrt. Jeder hätte seinen Posten gehalten. Bis zum
Ende.
Aber hier herrschten andere Gesetze. Etwas Fremdes, etwas Unbekanntes hielt sie gefangen.
Eine Welle der Verzweiflung schwappte über sie hinweg.
Nicht der Hunger, nicht der Durst, nicht die Unbeweglichkeit ließ sie verzweifeln. Die Zeit
war es. Die quälend langsam verstreichende Zeit, in der sie hier gefangen lagen. Die Zeit
nährte ihre Todesangst.
Ein grauenvolles Stöhnen entrang sich Neeps Brust. Leutnant Kerr sah ihn aus weit
aufgerissenen, blutunterlaufenen Augen an.
»Sie sollen Schluß mit uns machen!« Der Major sah die Lippenbewegung und ahnte das
Gesprochene mehr als er es hören konnte.
Aber er mußte zustimmend nicken.
Sie sollten Schluß machen.
Bald würde den Männern der Schaum vor den Lippen stehen. Bald mußte der Irrsinn sie
packen. Das Ende danach würde schrecklich sein - unmenschlich.
Mit einer hoffnungslosen Geste wollte sich Neep über die Augen wischen. Er berührte sein
Gesicht. Und erst in diesem Augenblick begriff er.
233
Er konnte sich bewegen!
Sekundenlang lag er wie erstarrt.
Um ihn herum schrien die Männer noch immer durcheinander.
Saragossa starrte den Kommandanten an.
Neep handelte. Er stemmte sich hoch. Keuchend kam er bis auf die Knie. Schlagartig wurde
es ruhig.
Die Männer sahen ihren Kommandanten an. Fassungsloses Staunen machte sich breit.
Saragossa versuchte ächzend und stöhnend in die Höhe zu kommen. Vor Anstrengung traten
die Adern auf seiner Stirn dick hervor. Sein Gesicht überzog sich mit einer dunklen Röte.
Eine unwahrscheinliche Last drückte ihn zu Boden. Ein Gewicht, als hätte man einen ganzen
Behälter mit dem Schwermetall Tofirit auf ihm abgestellt.
Noch immer schwiegen die Männer. Sie beobachteten nur. Saragossa war der Stärkste. Zuerst
wollten sie sehen, ob er es schaffte, ob er für Hilfe und Rettung sorgen konnte.
Neep nutzte die einmalige Chance.
»Männer!« schrie er, von neuer Hoffnung erfüllt. »Jetzt kommt die Wende. Wir können uns
wieder bewegen. Bewahrt die Ruhe. Vielleicht sind unsere Retter schon in der Nähe!«
Nach diesen Worten versuchte er es selbst. Er konnte sich hinknien, aber um auf die Beine zu
kommen, brauchte er all seine Kraft. Kreidebleich schaffte er es. Seine unbändige
Willenskraft zwang ihn hoch.
Doch er spürte die Kraft, die ihn wieder zu Boden drücken wollte.
Neep und Saragossa sahen sich an. Die Augen traten den Männern fast aus den Höhlen.
»Schwerkraft«, stieß der Kommandant hervor. »Mehr als 2 G, würde ich sagen.«
Langsam, unendlich langsam, gewöhnte sich der Körper an diese neuen Bedingungen.
Raumfahrer wurden schon während ihrer Ausbildung mit unterschiedlichen
Schwerkraftzuständen konfrontiert.
»Auf Männer! Aber langsam. Setzt eure Körper nur allmählich der höheren Gravitation aus.
Ihr schafft es. Haltet Disziplin, Männer. Das ist ein Befehl!«
Die veränderte Situation dämmte die Panik sofort ein. Nacheinan
234
der erhoben sich die Männer. Stöhnen, Ächzen und Keuchen aus 210 Kehlen klang durch den
Raum.
Alle Blicke richteten sich auf den Kommandanten.
Neep strahlte eine unerschütterliche Ruhe aus.
»Alle Offiziere zu mir.«
Es dauerte eine Weile, ehe sie sich um den Kommandanten versammelt hatten.
»Gruppen bilden, meine Herren! Unter allen Umständen müssen wir verhindern, daß es zum
Tumult kommt. Ich weiß nicht, was diese Veränderung zu bedeuten hat. Wir sollten auf alles
gefaßt sein. Behalten Sie Ihre Leute im Auge. Wenn Sie Vorschläge zu unterbreiten haben,
tun Sie es jetzt.«
Leutnant Alsan trat vor, ein junger Mann mit mächtigen Schultern.
»Ich schlage vor, daß wir einen Ausbruchsversuch unternehmen, Kornmandant. Geben Sie
mir die Erlaubnis, mit ein paar kräftigen Männern einen Weg nach draußen zu suchen.«
Neep sah ihn durchdringend an.
Er ahnte, daß es keinen Ausweg geben würde. Weder Türen noch Fenster waren in der
grauen, massiven Wand zu erkennen.
Aber er mußte die Leute ablenken, durfte sie nicht zum Nachdenken kommen lassen.
»Nehmen Sie sich soviel Leute, wie Sie brauchen, Alsan.«
»Danke, Major.«
Der Leutnant drehte sich um, und innerhalb weniger Sekunden war er von einem Dutzend
Männer umringt.
Wenig später durchdrang Hämmern den Raum. Mit bloßen Fäusten versuchten die Männer,
die Wand anzugehen. Aber diese Wand klang massiv, unüberwindlich.
Wie Neep nicht anders erwartet hatte, gab es keinen Ausweg.
Aber die Gruppe Alsan gab nicht auf.
Immer wieder versuchten sie es. Andere Männer schlössen sich an.
Leutnant Kerr führte eine Gruppe, die es nicht mit bloßer Körperkraft versuchte; sie benutzte
den Verstand.
Zentimeter um Zentimeter der grauen, glatten Wand wurde sorgfältig untersucht, abgetastet
und abgeklopft. Pochende Geräusche ertönten. Aber nirgends klang es nach dem ersehnten
Hohlraum.
235
Auch der Boden war massiv. Unermüdlich machten die Männer weiter. Selbst Major Neep
beteiligte sich an der Suche.
Gab es noch einen Ausweg?
Erneut drohte Neep die Verzweiflung zu übermannen. Er mußte die Zähne fest
zusammenbeißen, um nicht selbst von Hoffnungslosigkeit ergriffen zu werden.
Es zerriß ihn fast, seine Männer so ohnmächtig zu sehen. Sie alle wollten leben, wollten die
Erde wiedersehen.
Aber dieser Raum hielt sie gefangen.
Die ersten Flüche wurden wieder laut. Neep gab nicht auf. Er kniete neben Genick am Boden
und klopfte ihn ab.
Kein Hohlraum. Keine Rettung.
Und dann geschah es.
Niemand bemerkte, wie über ihnen die Decke aufriß.
Es geschah völlig lautlos. Erst das hereinfallende Licht veranlaßte die Männer, die Blicke
nach oben zu richten.
Erstaunte Ausrufe, die schnell wieder erstarben.
Entsetzen, Fassungslosigkeit.
Bevor auch nur einer der Männer begriff, wie ihnen geschah, wurden sie von einer
unerklärlichen Kraft gepackt.
Eine Riesenfaust griff nach ihnen, riß sie vom Boden hoch.
Mit rudernden Armbewegungen taumelte Major Neep wie ein hilfloses Kind zwischen seinen
Männern.
Schreie wurden laut. Wild gestikulierend trieben die Männer nach oben. Niemand konnte
sich dagegen wehren. Unaufhaltsam schwebten sie der Öffnung in der Decke zu. Einer
strahlend hellen Fläche entgegen. Niemand konnte etwas erkennen.
Dort oben gab es nur ein helles blendendes Nichts, das in den Augen schmerzte...
236
M Die strahlend helle Fläche, auf die die Besatzung der BERNHARDTS STAR zuschwebte, hielt die Blicke der Männer gefangen. Niemand warf dem Raum mit dem großen Spiralbett noch einen Blick zu. Alle starrten nach oben. Kein Wort fiel. Hinter jeder Stirn kreisten die gleichen Gedanken. Alle hatten Angst, sich mit teuflischer Langsamkeit auf ein tödliches Energiefeld zuzubewegen. War die strahlend helle Fläche etwas anderes als eine energetische Sperre, durch die man nicht hindurchsehen konnte? Major Neep kniff die Augen zusammen. Er glaubte Konturen zu sehen und wollte gerade Captain Wrigley, der neben ihm schwebte, anstoßen, als dieser überrascht sagte: »Das ist gar keine Sperre! Das ist eine kreisrunde Öffnung!« Die gleiche Feststellung hatte Neep jetzt auch gemacht. Der Druck, der auf ihm lastete, seitdem sie den Boden unter den Füßen verloren hatten, wich, aber die Spannung ließ nicht nach. Hunger und Durst, die sie alle gequält hatten, waren im Augenblick vergessen. Was würde sie dort oben erwarten? Bekamen sie endlich jene Wesen zu Gesicht, die Pyramidenraumer flogen und die BERNHARDTS STAR gekapert hatten? Die Plus-Sphäre dieses A-Grav-Lifts wies eine erstaunlich niedrige Geschwindigkeit auf. Hier und da wurden Flüche laut. Einige Nervenkostüme waren nicht mehr ganz in Ordnung. Zuviel war den Männern im Spiralbett zugemutet worden. »Reißt euch zusammen!« rief Major Neep seiner Crew zu. »Jeder ist für den anderen verantwortlich! Wir dürfen nicht zeigen, wie es in uns aussieht, Männer! Wir müssen bluffen, wenn wir diese Rasse zu Gesicht bekommen. Ich hoffe, daß ich mich auf jeden verlassen kann!« Schweigen antwortete seinem Aufruf. Ohnmächtige Wut und Ra 237 chedurst waren in den Gesichtern zu lesen. Viele Männer hatten die Hände geballt, die Arme wie zum Schlagabtausch angewinkelt. Alle starrten nach oben auf die kreisrunde Öffnung, die über zwanzig Meter Durchmesser hatte. Als Neep einmal nach unten blickte, zuckte er zusammen. Winzig klein und sehr tief unter ihnen lag das Spiralbettzimmer. Sie befanden sich schon mehr als hundert Meter über dem Boden. Wie eine Menschentraube schwebte die Besatzung der Öffnung zu. Was sich zu ihren Seiten befand, konnte man nicht sehen. Eine schwach irisierende Schicht hüllte diesen AGrav-Lift ein. Dann jedoch, als sie Vergleichsmöglichkeiten erhielten, stellten sie fest, daß sie ziemlich schnell an Höhe gewannen. Auf den letzten Metern schien sich das Tempo zu verdoppeln. Und dann schwebten sie durch die Öffnung. Sie schwebten mitten hinein in einen großen Raum, über dem sich eine glasklare Kuppel wölbte. Von allen Seiten fiel das Licht einer unbekannten Sonne in den Raum! Major Neep verstand nicht, warum sie auch jetzt noch höher schwebten. Jenseits der Kuppel war der freie Himmel. Wollte man sie an die Wandung kleben? Sollten sie in dieser hilflosen Lage Bekanntschaft mit jenen Wesen machen, die die BERNHARDTS STAR durch den Hyperraum
auf diese Welt gebracht hatten? Der Erste stieß seinen Kommandanten an und deutete nach unten. Die Öffnung war nicht mehr zu sehen! Glatter, hellgrauer Bodenbelag bildete eine geschlossene Fläche. Im gleichen Moment sank die Menschentraube langsam wieder nach unten! 210 Mann standen wieder auf ihren Füßen. »Üble Tricks...!« sagte jemand. Er erhielt keine Antwort. Jeder sah sich um. Dieser Kuppelraum bot Platz für tausend Menschen - für tausend Riesen! Das Spiralbettzimmer war schon hoch gewesen, aber dieser eindrucksvolle Raum war nur noch mit den Stielbauten auf Terra zu vergleichen, die in luftiger Höhe Wohnkugeln trugen, in denen Hunderttausende lebten. Der Major wunderte sich darüber, daß er nicht einen einzigen Ge 238 genstand entdecken konnte. Er hinderte seine Leute nicht daran, bis zur Kuppelwandung zu gehen, um einen Blick nach draußen zu werfen. Unwillkürlich ließ er sich mitziehen, und dann stand auch er vor der glasklaren Schicht, drückte die Handflächen dagegen und spürte die Wärme der Sonneneinstrahlung. »Normale Schwerkraft - oder kaum merklich höher als auf Terra!« Unwillkürlich mußte Neep trotz ihrer mißlichen Lage lächeln. Brad Latund war auch in dieser Situation in erster Linie Wissenschaftler. Neep warf ihm einen kurzen Blick zu und fühlte sich bestätigt. Latund hatte keinen Blick für die Landschaft jenseits der Kuppel. Er kniete und kratzte mit dem Fingernagel über den Boden. Soll er doch, dachte Neep, und ließ seine Blicke schweifen. Das war keine häßliche Welt dort draußen. In manchen Dingen erinnerte sie sogar an Terra. Reizvolle Täler breiteten sich vor ihnen aus. Viele Hügel waren bewaldet, wenngleich die Farbe des Blattwerks fremd war. Auch die Flächen, die vielleicht von Gras bewachsen waren, leuchteten stark gelbgrün, hatten aber hier und da einen auffälligen Stich ins Blaue. Einzelne Bauwerke waren zu sehen, doch sie lagen so versteckt hinter hohen Bäumen, daß man ihre Form nicht erkennen konnte. Glitzernde Flüsse und mehrere kleine Seen lockerten das Panorama noch mehr auf. Allerdings konnte niemand senkrecht in die Tiefe sehen. Ein breiter Vorsprung zog sich außen um die gesamte Kuppel. Nichts deutete darauf hin, daß er betreten werden konnte. »Hier könnte man leben«, murmelte Major Neep. »Das wäre ein Planet für uns!« Aber im nächsten Moment erinnerte er sich seiner Pflichten. Er mußte seinen Blick von dem anheimelnden Panorama losreißen. Langsam, fast widerwillig drehte er sich um. Seine Männer hatten sich über den gesamten Raum verteilt. Die meisten blickten auf diese fremde Welt und sprachen nicht. Ihre Neugier war nicht so groß wie die Sorge um ihr zukünftiges Schicksal. Als sie Neeps kräftige Stimme hörten, drehten sie sich zu ihm um, und er sah, daß er seine Mannschaft wieder in der Hand hatte. Entschlossenheit und Ruhe lagen in jedem Blick. Innerlich waren seine Männer auf alles vorbereitet - auch auf das Schlimmste. Neep war kein Freund langer Ansprachen. Mit ein paar Sätzen hatte 239 er allen noch einmal ans Herz gelegt, den Unbekannten so entgegenzutreten, daß es sich in keinem Fall zum Schaden für die Erde auswirken konnte. »Wir werden uns aber auch nicht alles gefallen lassen. Solange ich aktionsfähig bin, gebe ich die Befehle. Niemand darf etwas auf eigene Faust unternehmen. Und jetzt hoffe ich, daß wir bald mit diesen Riesen Bekanntschaft machen werden.« Captain Saragossa, der Chief, flüsterte ihm etwas zu. Neep nickte. »Versuchen Sie's, aber ich habe keine Hoffnung.« Er behielt recht. Der Chief hatte eine Handvoll Spezialmonteure zusammengerufen und ihnen den Auftrag gegeben, nach einer Tür oder etwas Ähnlichem zu suchen. Aber wie sie im Spiralbettzimmer nichts dergleichen entdeckt hatten, so blieb auch im Kuppelbau die Suche erfolglos.
Die Zeit schlich dahin. Hunger und Durst machten sich wieder bemerkbar. Als Wrigleys
Magen erneut laut knurrte, sagte er ungehalten: »Wie Gäste werden wir hier aber nicht
gerade behandelt. Nach meinem Hunger und Durst zu schließen, müssen wir eine halbe
Ewigkeit im Spiralbettzimmer gelegen haben. Gott sei Dank ist es hier trotz der
Sonneneinstrahlung erfrischend kühl.«
»Hm«, brummte Neep und blickte zufällig an seinem Ersten vorbei.
Seine Augen wurden zu Schlitzen. Spielten sie ihm einen Streich -oder verfärbte sich der
Boden dicht vor der klaren Kuppelwandung wirklich?
Dann riß er seine Augen weit auf. Der Boden hatte sich an der verfärbten Stelle geöffnet.
Wieder war diese Öffnung kreisrund.
»Achtung!« schrie er so laut, daß es jeder hören mußte. Mit ausgestrecktem Arm deutete er
auf die Öffnung. »Stehenbleiben! Nicht herangehen!«
Die Männer rührten sich nicht von der Stelle. Ein Zeichen erstklassiger Disziplin, denn auch
diejenigen, die von ihrem Platz aus nichts sehen konnten, bewegten sich nicht.
»Sie bleiben zurück!« Das war Neeps Befehl an seinen Ersten Offizier. Er ging langsam auf
die Öffnung zu und verbarg meisterhaft seine innere Erregung. Er glaubte, auf alles
vorbereitet zu sein, und er hatte sich darauf eingestellt, Monstren zu sehen, riesenhafte,
scheuß 240
liehe Ungeheuer, doch dann stockte sein Schritt und unwillkürlich hielt er den Atem an.
Aus einem A-Grav-Lift tauchten die Fremden auf.
Major Neep hatte in diesem Augenblick all das vergessen, was er in dem Kursus Verhalten
bei einer Begegnung mit fremden Rassen gelernt hatte.
Damit hatte er nicht gerechnet.
Er stand vor sieben Humanoiden!
Er stand sieben kleinen Wesen gegenüber, alle gerade mal knapp einen Meter groß.
Sieben Liliputanern!
Gelassen, fast hoheitsvoll blickten sie ihn aus ihren dunkelblau leuchtenden, großen Augen
an.
Alles war menschlich an ihnen, nur die Augen harmonierten nicht mit ihrer Körpergröße.
Aber gerade diese intensiv dunkelblau leuchtenden, leicht oval geformten übergroßen Augen
gaben ihren kleinen Gesichtern eine unbeschreibliche Ausdruckskraft.
210 terranische Raumfahrer blickten fassungslos auf die kleingewachsenen Humanoiden
herunter. Ihre Zahl schien die Fremden nicht zu beeindrucken. Sie standen nebeneinander,
die Arme vor der Brust verschränkt, und sahen Neep an, der sich nicht rührte.
Blau war ihr Gesicht. Blau waren die vierfingrigen Hände, und auch das Haar, das sie
kurzgeschnitten trugen, besaß einen Blaustich.
Neep räusperte sich und deutete eine Verbeugung an.
Die Kleinen reagierten nicht, blickten ihn nur an.
Der Major spürte die Verantwortung, die auf seinen Schultern lag. Seine Männer und er
erlebten hier einen Augenblick von historischer Bedeutung. Er erinnerte sich einer Rede Ren
Dharks, der allen Kommandanten ans Herz gelegt hatte, bei der Begegnung mit einer unbe kannten Rasse Geschick, Diplomatie und Takt zu zeigen.
Aber was sollte er jetzt tun? Auf sie zugehen und ihnen der Reihe nach die Hände schütteln?
Oder verstieß er gerade damit gegen ihre Gepflogenheiten?
Neep winkelte seine Arme an, verschränkte sie ebenfalls.
Die sieben Humanoiden reagierten nicht. Unverwandt lag der Blick aus ihren strahlend
blauen Augen auf ihm.
241
Er bemerkte ihre enganliegende, hochgeschlossene Kleidung. Diese blauhäutigen Liliputaner
mußten für Schockfarben schwärmen. In Ornamenten und geometrischen Figuren leuchtete es
rot, blau, grün und gelb. Auf dem linken Unterarm befanden sich zwei blutrote Kreisflächen,
die ein kleines Stück übereinanderlagen. Auf den ersten Blick hätte man das Zeichen für eine
stilisierte Acht halten können.
»Guten Tag, Terraner!«
Neep zuckte sichtbar zusammen. Durch seine Mannschaft ging ein Ruck. Viele starrten
hilfesuchend ihren Nebenmann an. Der Fremde, der ganz links stand, hatte gesprochen. Wahrscheinlich in seiner Muttersprache - aber wieso hatte dann jeder verstanden, was er gesagt hatte? »Utaren...« Erschreckt verstummte der Major. Woher wußte er, daß sich diese Wesen Utaren nannte? »Sprechen Sie weiter, Major Neep, denn Sie beherrschen unsere Sprache. Sie und Ihre Mannschaft!« Fremde Worte einer unbekannten Sprache waren an ihr Ohr gedrungen; dennoch gab es kein einziges Besatzungsmitglied der BERNHARDTS STAR, das nicht jedes Wort verstanden hätte. Hinter Neeps Rücken wurde es laut. Hastig drehte er sich um. Sein Blick genügte, um die Ruhe wieder herzustellen. »Die Kleine Weisheit begrüßt Sie. Fühlen Sie sich auf Esmaladan wohl. Wir sind gekommen, Sie aufzufordern, uns zu begleiten. Folgen Sie uns, Major!« Hinter Neeps Stirn jagten sich die Gedanken. Zuviel war ihm in der letzten Minute zugemutet worden. Er sprach mit kleinen Humanoiden, die er vorher noch nie gesehen hatte - und er beherrschte ihre Sprache? Der Blick aus den großen blauen Augen war noch ausdrucksvoller geworden. Dieser Utare war nicht nur gewohnt zu befehlen, sondern erwartete auch, daß man ihm gehorchte. Aber der Major konnte und wollte seine Mannschaft nicht allein lassen. Er reckte sich, machte sich keine Gedanken mehr darüber, in einer fremden Sprache zu sprechen und erwiderte: »Ich kann meine Männer nicht verlassen. Ich habe die Pflicht, bei meiner Mannschaft zubleiben!« 242
»Auf Esmaladan befolgt man die Befehle der Kleinen Weisheit. Gäste verhalten sich ebenso, Major!« Das klang nicht arrogant, aber bestimmt. Und es war verblüffend, wie kräftig die Stimme des Utaren war. Neep wollte Zeit gewinnen. Er mußte sich erst einmal mit seinen Offizieren besprechen. Aber um nicht noch einen Tadel herauszufordern, erwiderte er: »Wir kennen die Sitten auf Esmaladan nicht. Die Höflichkeit erfordert es, Ihrem Wunsch nachzukommen, aber die gleiche Höflichkeit muß mir erlauben, mich erst mit meinen Offizieren zu besprechen. Ich trage die Verantwortung für meine Männer!« Seine Worte machten keinen Eindruck bei den Utaren. »Neep, die Kleine Weisheit bittet zum letztenmal!« »So behandelt man keine Gäste!« erwiderte der Major scharf. »Auf Terra ist es üblich, daß der Gastgeber sich zuerst nach dem leiblichen Wohl der Gäste erkundigt. Wir alle haben Hunger und Durst! Auch ich!« Der blaue Ton der Gesichtshaut veränderte sich, wurde kräftiger. Das Funkeln in den Augen nahm an Intensität zu. Der Sprecher der Utaren ließ seine Arme sinken, drehte die Handflächen so, daß sie auf Neep wiesen, und sagte: »Wir hatten die Höflichkeit, Ihr Schiff nach Esmaladan zu bringen. Wir werden nicht minder höflich zu Ihnen und Ihrer Mannschaft sein!« Um ein Haar hätte Major Neep diesem Utaren ins Gesicht gelacht. Höflichkeit nannte es dieser Knirps, ein fremdes Schiff zu kapern! Auf diesem Planeten mußte es eigenartige Moralgrundsätze geben. Hinter dem Rücken des Majors wurde es laut. Der Mannschaft gefiel es auch nicht, wie man auf Esmaladan den Begriff Höflichkeit interpretierte. Die Männer fühlten sich durch diesen Liliputaner auf den Arm genommen. Der Ausruf »Unverschämtheit!« war noch einer der zahmsten. Und wenn diese sieben Utaren nicht schwerhörig waren, dann mußten sie hören, wie erbost ihre Gäste waren. Neep betrachtete die Kleine Weisheit scharf. Er suchte bei ihnen nach versteckten Waffen, aber kein Anzeichen deutete darauf hin, daß sie welche besaßen. Ein Beweis, wie sicher sich die Utaren fühlten, obwohl sie einer dreißigfachen Übermacht gegenüberstanden. Neep drehte sich um. Er winkte den Ersten und Zweiten Offizier zu 244 sich. Es war ihm gleichgültig, daß er damit die Utaren warten ließ. Er konnte unter keinen
Umständen seine Mannschaft verlassen, ohne Verhaltungsmaßregeln gegeben zu haben. Viel konnten sie ja ohnehin nicht ausrichten. Sie verfügten über keine einzige Strahlwaffe, und die Möglichkeit, den Kuppelsaal zu verlassen, bestand auch nicht. Dann wunderte er sich, daß die Utaren geduldig warteten, während er seine Anweisungen gab. »Sie wollen allein mit diesen Knirpsen gehen?« fragte Kerr besorgt. »Major, bestehen Sie darauf, daß einige Männer Sie begleiten...« Neep schüttelte den Kopf. »Vergessen Sie nicht, daß es eine der wichtigsten Aufgaben ist, Freunde für Terra zu gewinnen. Feinde haben wir schon genug...« Der Zweite warf den Utaren einen schiefen Blick zu. »Eben hatte ich die Lust verspürt, sie zu verdreschen, aber dann erinnerte ich mich an ihre Pyramidenraumer, und wer solche Raumschiffe bauen kann, der ist gar nicht so klein...« »Okay«, beendete Neep die Besprechung. »Halten Sie mir die Daumen, obwohl ich nicht glaube, daß diese Utaren bösartig sind.« »Hoffentlich behalten Sie recht, Major«, sagte der Erste und zeigte, wie unbehaglich er sich fühlte. »Hoffentlich sehen wir uns bald gesund wieder!« Hoffentlich, dachte auch der Major, ließ sich aber nichts anmerken, als er langsam auf die kleine Gruppe zuschritt. Er kam sich wie ein Riese vor, als die Utaren ihn in die Mitte nahmen und sich der Öffnung des A-Grav-Lifts zuwandten. Wortlos beobachtete seine Besatzung, wie er im Lift verschwand. Major Neep schwebte mit den sieben Utaren in der Minus-Sphäre nach unten. Immer wieder mußte er sie ansehen. Immer öfter sagte er sich, daß sie wie zu klein geratene Menschen wirkten, wenn er von ihren strahlend blauen Augen absah. Die allein gaben ihrem Gesicht einen fremdartigen Ausdruck. Doch wenn er daran dachte, daß er ihre vokalreiche Sprache beherrschte, glaubte er zu träumen. Und woher er wußte, daß sich diese Rasse Utaren nannte, war ihm ebenso unerklärlich. Der A-Grav-Schacht mußte Lichtsperren besit 245
zen, denn er konnte beim Hinabschweben keine einzige Etage erkennen. Aber er sah auch keine anderen Utaren. Dieses Bauwerk schien nicht bewohnt zu sein. Plötzlich konnte Neep seine Neugier nicht mehr länger zurückhalten. Er wandte sich an den Utaren an seiner rechten Seite. »Warum sind meine Männer und ich in dem großen Raum mit dem Spiralbett festgehalten worden?« Die Worte kamen ihm so leicht über die Lippen, als ob er in seiner Muttersprache gesprochen hätte. Der Utare blickte ihn hoheitsvoll an. Unwillkürlich hatte Neep den Eindruck, seinen Begleiter belästigt zu haben. Aber das mußte Täuschung sein, denn unverzüglich wurde ihm geantwortet. »Es war erforderlich, Terraner. Wir wollten vermeiden, daß es zwischen Ihnen und uns Sprachschwierigkeiten geben würde. Wir haben unser Kongro-Verfahren angewandt, als Sie mit Ihrer Besatzung im Tiefschlaf lagen. Die Kleine Weisheit ist erfreut, Sie akzentfrei spre chen zu hören.« Erstaunt dachte der Major: Was in aller Welt ist das Kongro-Verfahren - und wieso kann man im Tiefschlaf eine fremde Sprache erlernen ? »Und wohin bringen Sie mich?« Einer der Utaren breitete seine Arme aus; die anderen blickten nach links, und vor Neep verschwand die farblose Wand, um einen Gang freizulegen, auf den sie langsam zuschwebten. War seine Frage überhört worden? Er vergaß, sie noch einmal zu stellen. Neep gehörte nicht zu den großgewachsenen Terranern, aber er mußte doch gebeugt gehen, um nicht gegen die Decke zu stoßen. »Was ist mit meinem Schiff?« Der Gang war lang, Major Neeps Neugierde und Unruhe groß. »Ihr Raumschiff liegt auf unserem Raumhafen. Es ist unbeschädigt. Warum fragen Sie danach, Terraner? Wird auf Ihrer Welt das Eigentum von Gästen nicht geachtet?« Wieder hatte man ihm eine Lektion erteilt. Wieder hatten sich die Utaren von ihm distanziert
und in unnachahmlicher Art und Weise ihr hoheitsvolles Wesen demonstriert.
Neep fühlte sich in die Defensive gedrängt, und das gefiel ihm
246
nicht. Seine Stimme erhielt einen energischen Klang, als er entgeg-nete: »Wir leben auf
verschiedenen Planeten. Sie sind anders als wir. Unsere Ethik braucht nicht die Ihre zu sein.
Es wäre ja auch ein Wunder. Darum habe ich nach meinem Raumschiff gefragt...«
»...das Ihr nicht gebaut, sondern denjenigen gestohlen habt, die Ihr Giants nennt!«
Die Utaren schienen Offenheit zu schätzen. Aber es war eine Offenheit, die Neep nicht
sympathisch war. Nach seinem Ermessen hätte man ihm das auch auf andere Art sagen
können.
Die BERNHARDTS STAR gehörte tatsächlich zu jenen Schiffen, die die Giants bei ihrem
plötzlichen Verschwinden vor mehr als vier Jahren zurückgelassen hatten. Von Stehlen
konnte keine Rede sein. Beutegut war der passendere Ausdruck dafür.
Heftig erwiderte Neep: »Wir haben den Giants kein einziges Schiff gestohlen. Wer so etwas
über uns Terraner behauptet, lügt!«
Nur der Utare, der sich mit ihm unterhielt, sah ihn an, die anderen schienen nicht einmal
zuzuhören. Gemessenen Schrittes gingen sie den graugetönten Gang entlang, der sich gut
hundert Meter hinzog.
Das Gefühl, mit seinen Begleitern nicht mehr allein zu sein, brachte ihn dazu, sich
umzusehen. Abrupt blieb er stehen.
Was er sah, hatte er nicht erwartet.
Drei seiner Offiziere näherten sich ihm. Ohne Begleitung!
Die Utaren hatten sein Verhalten bemerkt. Sie blieben auch stehen, verhielten sich aber so,
als würde sie das Ganze nicht interessieren.
»Major«, rief ihm sein Zweiter Offizier zu, als sie noch zehn Meter voneinander entfernt
waren. »Major, wir haben den Auftrag erhalten, Ihnen zu folgen!«
»Von wem?« Neeps Überraschung war unverkennbar.
»Kaum waren Sie verschwunden, als drei weitere Utaren auftauchten. Sie baten uns, Ihnen zu
folgen. Und hier sind wir.«
»Können wir jetzt weitergehen, Terraner?« wurde Neep von dem Sprecher der kleinen
Gruppe gefragt.
Major Neep fühlte sich plötzlich bedeutend wohler. Die Begleitung seiner Offiziere
verschaffte ihm nicht nur eine zusätzliche Sicherheit, er begann auch zu glauben, daß die
Utaren keine hinterlistigen Absichten verfolgten. Doch warum man seine BERNHARDTS
STAR auf 247
gebracht und ihn und seine Besatzung in Tiefschlaf versetzt hatte, verstand er immer noch
nicht.
Augenblicke später erreichten sie einen mittelgroßen Saal.
Im ersten Moment konnte Neep kaum erkennen, welche Form der Saal hatte. Utaren, die im
Schneidersitz auf dem Boden hockten, bannten seinen Blick. Im Gegensatz zu den kleinen
Humanoiden, die ihn begleiteten, trugen sie schwarze Kleidung. Sie blickten zu ihnen
herüber, aber ihre strahlend blauen Augen bewegten sich ebenso wenig wie der niedrige,
freischwebende Tisch.
»Warten Sie!« wurden sie von der Kleinen Weisheit aufgefordert.
Neep blieb mit seinen Offizieren stehen.
»Was soll dieser Zirkus?« flüsterte ihm sein Zweiter Offizier zu. »Major, glauben Sie immer
noch, daß diese Utaren uns freundlich gesinnt sind?«
»Abwarten«, konnte Neep nur sagen, der plötzlich auch wieder unsicher geworden war.
Aufmerksam verfolgten sie die fremdartig anmutende Zeremonie.
Die sieben Utaren, die sich selbst als Kleine Weisheit bezeichnet hatten, waren vor den
achtzehn Schwarzgekleideten stehengeblieben, hatten die Arme leicht angewinkelt und die
gestreckten Hände so gedreht, daß die offenen Handflächen auf die größere Gruppe wiesen.
Die Menschen horchten auf, als ein Utare sprach.
»Die Große Weisheit möge die Terraner empfangen. Die Große Weisheit ist der Kleinen
Weisheit ein Vorbild für alle guten und schlechten Tage.«
Großer Gott, dachte Major Neep, welch ein Theater. Große Weisheit, Kleine Weisheit! Zum
Teufel mit beiden, wenn der Durst einen quält und der Magen vor Hunger knurrt. Der Major konnte seine drei Offiziere verstehen, die sich flüsternd über die unbegreifliche
Zeremonie ausließen.
»Die Große Weisheit entläßt die Kleine Weisheit. Mudo grüßt euch!«
Wieder diese eigenartige Geste, und dann verließ die Kleine Weisheit den Saal, dem man
überall ansehen konnte, wie hastig er gebaut worden war.
Einer der schwarzgekleideten Utaren erhob sich.
248
»Ya Yaki als Sprecher der Großen Weisheit begrüßt die Terraner der BERNHARDTS STAR. Bitte
treten Sie näher und lassen Sie sich an dieser Seite des Tisches nieder.«
»Das wird schwierig werden«, murmelte der Zweite Offizier.
Der Tisch, eine langgestreckte Metallplatte ohne jede Verzierung, schwebte in dreißig
Zentimeter Höhe über dem Boden. Für die kleinen Utaren die richtige Höhe; für einen
normalgroßen Terraner aber war der Schwebetisch viel zu niedrig.
Die vier Offiziere der Terranischen Flotte traten heran. Major Neep deutete eine Verbeugung
an. Dann stellte er sich und seine Männer vor. »Das ist Captain Wrigley. Leutnant Kerr...
Leutnant Alsan... Und ich bin Major Neep!«
»Bitte«, sagte Ya Yaki, »nehmen Sie Platz.«
Alle vier stellten sich unbeholfen an. Plötzlich wußten sie nicht, was sie mit ihren Beinen
anfangen sollten. Auf der Erde hätte ein solches Schauspiel unwillkürlich für Erheiterung
gesorgt. Doch die Gesichter der Großen Weisheit blieben unverändert.
Kerr schaffte es als erster. Major Neep brauchte drei Anläufe, bis es ihm gelang.
Ya Yaki hob den Kopf. Seine Handflächen zeigten auf die Menschen. »Willkommen auf
Esmaladan, Terraner.«
Im gleichen Moment stieß Wrigley einen unterdrückten Schrei aus. Der Boden unter ihnen
begann nachzugeben. Sie sanken in das Material ein. Ganz langsam.
Es war ein scheußliches Gefühl. Das Material hatte seine Stabilität verloren. Es war nicht
weich geworden, aber es gab aus unerklärlichen Gründen nach.
Neep erging es nicht anders.
Das ist eine Falle, schoß es ihm durch den Kopf, doch dann mußte er feststellen, daß er nicht
mehr weiter sank, sondern plötzlich weich und angenehm im Boden saß!
Sie waren so tief eingesunken, daß der Schwebetisch nun für sie die richtige Höhe hatte. Sie
konnten bequem ihre Arme darauflegen und eine gemütliche Haltung einnehmen.
Neep machte den Anfang. Die Utaren rührten sich nicht. Nur ihre blauen Augen leuchteten.
249
Neep sah den Utaren an, der sich als Ya Yaki vorgestellt hatte. Er wußte nicht, ob er jetzt
etwas falsch machte, aber er wußte, daß er die Begrüßung der Großen Weisheit erwidern
mußte.
»Ya Yaki, wir können nicht sagen, das wir besonders erfreut sind, auf Esmaladan zu sein.
Auf unserer Welt empfängt man Gäste etwas anders. Man bemächtigt sich nicht einfach
fremder Raumschiffe. Man versetzt die Besatzung nicht ungefragt in Tiefschlaf. Man emp fängt sie wie seinesgleichen!«
Ya Yaki, der in der Mitte der Gruppe saß, nickte nicht einmal. »Neep, wir haben unser Bestes
getan. Wir werden unser Bestes tun. Darf die Große Weisheit Sie bitten, sich an unseren
Speisen und Getränken zu bedienen?«
Den Männern fielen fast die Augen aus dem Kopf.
Der Tisch war leer und blieb leer! Und dieser Ya Yaki hatte sie aufgefordert, sich zu
bedienen!
War das eine neue Art, Gäste zu verhöhnen?
Neep sah Alsan an. Der ihn.
»Ich möchte denen was ganz anderes sagen«, knurrte der Leutnant ergrimmt.
Der Major erhielt keine Gelegenheit mehr zu antworten.
Geräusche erklangen.
Zirpen. Kreischen. Das Rattern asthmatischer Maschinen. Dazwischen schrille Schreie, dann
wieder das Jaulen einer gequälten Kreatur. Und das alles in einem undefinierbaren
Rhythmus. Es schwoll an und wurde wieder leiser. Es kam aus allen Ecken, und es klang von
Sekunde zu Sekunde scheußlicher. Blech wurde mit Steinen bewor-fen. Drei Katzen
wimmerten den Mond an. Eine kreischende Kinderschar machte sich bemerkbar.
Peitschendes Knallen dann, wenn die Terraner nicht damit rechneten, so etwas zu hören.
Es war ein Höllensabbat, der auch einen schwerhörigen Menschen nach zehn Minuten an den
Rand des Wahnsinns treiben mußte.
Neep preßte seine Hände gegen die Ohren.
Das war nicht mehr zum Aushalten! Diese Kakophonie grauenvoller Geräusche trieb ihm den
Schweiß aus den Poren!
Er versuchte aufzuspringen. Er wollte den Utaren zurufen, mit diesem Spektakel aufzuhören.
Nur kam er nicht hoch. Sein bequemer
250
Sitz im Boden hielt ihn fest. Die anderen auch. Alsan fluchte wild. Kerr stemmte die Hände
gegen den Boden und wollte sich gewaltsam aus der Vertiefung herausdrücken. Doch auch
ihm gelang es nicht.
Und dazu dieser kaum noch zu ertragende Lärm, der in seiner Zusammensetzung immer
verrückter wurde.
»Aufhören! Aufhören!« brüllte Major Neep die Große Weisheit an, die diesem Geräusch-
Tohuwabohu verzückt lauschte.
Aber Neeps Schreien konnte den Lärm nicht durchdringen.
Das Toben jagte ins Fortissimo!
Plötzlich schrie Kerr auf. Er deutete angeekelt auf den Tisch.
Da standen Speisen!
Speisen, die sich bewegten!
Fremde, lebende Tiere. Kleine Ungeheuer. Ekelerregende Wesen, schleimig wie Quallen,
häßlich wie Ratten, mit Krallen an den vielen Gliedern und tückischen Augen, die sie
anstarrten.
Das sollte das Essen sein? Diese Höllenbrut einer unbekannten, widerlichen Fauna?
Abwehrend riß Neep seine Hände hoch. Kerr hatte die Augen geschlossen. Ekel ließ die
Terraner würgen.
Und dann brach es über sie herein, als ob ihre Gehörgänge von einem Sandsack getroffen
worden wären!
Diese dreißig Zentimeter langen qualligen, braungrauen Kriechtiere waren die teuflischsten
Lärmverstärker.
Die Viecher brüllten in diesen Höllenlärm hinein. Ein ganz tiefes, unheimlich rollendes
Uuuu-uuu-aaa-uuhh ließ Wände und Decken erzittern. Der Schwebetisch vibrierte spürbar.
Und die Biester hatten sich aufgerichtet. Zwei Drittel ihres Körpers schwankten rhythmisch
hin und her. Da begriff der Major, was ihnen hier geboten wurde.
Er beugte sich zu Alsans Ohr und brüllte hinein. »Das soll Musik sein! Das ist wohl die
Tafelmusik der Utaren...!«
Uuuu-uuu-aaa-uuhh...
Und noch lauter, und noch tiefer. Uuuuu-aaa-hh...
Ich kann nicht mehr, dachte Wrigley erschöpft und ließ den Kopf auf die Brust sinken.
Ich bin schon taub und höre dieses Höllenspektakel immer noch, dachte Kerr resignierend.
251
Neep hatte es aufgegeben, überhaupt noch zu denken. Er starrte die achtzehn
schwarzgekleideten Utaren an und sah sie verzückt dieser Lärmorgie lauschen.
Sie schienen entrückt zu sein. Sie hatten die Augen geschlossen, und ein beinahe
menschliches Lächeln lag auf ihren Lippen.
Sie mußten überzeugt sein, den Terranern ein Kunstwerk zu bieten.
»Nein!« schrie Neep auf, als eins dieser brüllenden Tiere einen Satz machte und ihm auf die
Schulter sprang, um ihm direkt ins Ohr zu brüllen. Doch sein Nein kam zu spät.
Das Uuuu-uuu-aaa-uuhh drang in sein Ohr, und da streikte sein rechtes Trommelfell. In einer
unkontrollierten Bewegung schleuderte er den kleinen Geräuschteufel von der Schulter, daß
er in hohem Bogen davonflog.
Das hätte er nicht tun sollen!
Das Tier, kaum von seiner Hand berührt, brüllte plötzlich in höchstem Diskant. Und alle
anderen Viecher auf dem Tisch stimmten ein! Abrupt brach das Spektakel ab. Nur das
Schrillen, dicht vor der Hörgrenze, blieb. Die Utaren schreckten aus ihrem Trancezustand
auf. Ya Yaki funkelte den Major an.
Ein Schrei kam über die Lippen des Utaren.
»Tataschi-i...!«
Und im Saal herrschte Totenstille!
Die Biester sprangen vom Tisch und verschwanden blitzartig.
Alsan war kreidebleich. Kerr stöhnte unterdrückt und sah nicht auf. Wrigley murmelte: »Ich
war drauf und dran, durchzudrehen!«
Neep wurde es unter dem durchdringenden Blick Yakis ungemütlich. Er ahnte Unheil.
Der Utare öffnete den Mund: »Neep, sind die Terraner Barbaren, daß Sie nicht zu würdigen
wissen, sich vor dem Essen dem höchsten Genuß hinzugeben?«
Neep konnte auf dem rechten Ohr immer noch nichts hören.
Er hatte es geahnt! Die Große Weisheit hatte ihnen zu Ehren dieses Spektakel erklingen
lassen.
Alsan fragte: »Welchen Höllenfraß wird man uns gleich als opulentes Mahl vorsetzen? Diese
schleimigen Viecher im rohen Zustand in Streifen geschnitten und auf goldenen Tellern
serviert?«
252
»Halten Sie den Mund«, fuhr Neep ihn an. Er war bestürzt, weil er nicht wußte, was er Ya
Yaki antworten sollte.
Ya Yaki wartete seine Antwort nicht ab.
»Die Große Weisheit wird den Terranern nicht die Ehre geben, zu-gegen zu bleiben, wenn sie
essen. Wir werden der Weisheit zu berichten haben!«
Noch während er diese Worte sprach, erhob er sich. Und mit ihm die übrigen
schwarzgekleideten Utaren.
Im Gänsemarsch gingen sie auf die Wand zu, eine Tür glitt auf -und dann waren die vier
Offiziere der BERNHARDTS STAR unter sich. Fragend sahen sie einander an.
»Weisheit...?« fragte Kerr, ohne nach einer Antwort zu verlangen. »Kleine Weisheit... Große
Weisheit... und jetzt Weisheit... puuuh! Ein bißchen viel auf einmal bei diesem Krach. Aber
ich glaube, wir sind bei den Utaren gerade ins berühmte Fettnäpfchen getreten.«
»Wir sind!« schnarrte Neep, der noch immer Schwierigkeiten mit seinem rechten Ohr hatte.
»Hoffentlich haben wir uns nicht alle Sympathien verscherzt. Wir hätten uns duldsamer
zeigen sollen.«
Resigniert winkte Wrigley ab. »Hinterher sagt man so etwas leicht. Aber dieser Lärm, und
wenn es hundertmal ein utarischer Kunstgenuß gewesen sein soll, war unerträglich. Und dann
das Gebrüll dieser scheußlichen Viecher...« Abrupt schwieg er.
Ein Klicken hatte ihn gestört. Sein Blick fiel auf den Tisch.
Der Schwebetisch war gedeckt!
Würziger, appetitlicher Duft stieg ihnen in die Nase. Und in hohen, schlanken
Kristallgefäßen, die in allen Regenbogenfarben leuchteten, schimmerte Flüssigkeit.
»Na, endlich...« stieß Alsan aus, griff zu seinem Kristallgefäß, setzte es an die Lippen, trank
einen großen Schluck, um plötzlich ungeniert auszuspucken.
»Pfui, Teufel«, stöhnte er, »was ist das denn für eine Brühe?«
Neep sagte gar nichts. Er hatte die flache Schale, in der sein Gericht sich befand, angewidert
zur Seite geschoben. Die daumennagelgro-ßen goldgelben Schnecken oder was immer es sein
mochte, bewegten sich alle recht lebhaft!
253
17. Sie hatten ihre erste Mahlzeit auf dem Planeten Esmaladan zu sich genommen, und sie hatten aus Kristallgefäßen ihren Durst gelöscht. Satt und zufrieden sahen sie sich an. Kerr wischte sich mit dem Handrücken ungeniert den Mund, griff zum Kristallgefäß und trank einen Schluck. Was Alsan als Brühe bezeichnet hatte, schmeckte nur beim ersten Schluck scheußlich, aber im Nachgeschmack war ein wunderbar erfrischendes Aroma aufgekommen, das auf eine eigenartige Weise zwang, noch mehr zu trinken. Und so war es auch mit den daumennagelgroßen goldgelben Schnecken gewesen, die ihnen auf flachen Schalen serviert worden waren. Major Neep bestätigte, noch nie so etwas Köstliches gegessen zu haben; nur wenn er an den
musikalischen Hochgenuß dachte, schauderte es ihn schon wieder. Die flachen Schalen waren nach dem Essen durch den Schwebetisch, der plötzlich Löcher aufwies, und durch den Boden verschwunden. Jetzt gab es im Tisch keine Löcher mehr, und nur noch die Karaffen standen an ihren Plätzen. Wrigley meinte: »Langsam glaube ich selbst daran, daß die Utaren uns wohlgesonnen sind.« Er seufzte. »Dennoch kann ich diesem Schneidersitz herzlich wenig abgewinnen; mir sind schon beide Beine eingeschlafen.« Sie brauchten nicht lange auf ihre Gastgeber zu warten. Ya Yaki trat ein, begleitet von zwei weiteren Utaren, die er als Mu Mudo und Ki Kina vorstellte. »Darf ich Sie bitten, uns in einen anderen Raum zu folgen? Sie werden dort gemütlicher sitzen können«, forderte Ya Yaki die Terra-ner höflich, aber bestimmt auf. Neep und seine drei Offiziere fühlten sich leicht angehoben. Als sie erstaunt nach unten blickten, erkannten sie, daß sie nicht mehr im 254 Boden saßen, sondern darauf. Ohne Schwierigkeiten konnten sie sich erheben und den drei Utaren, die vorausgegangen waren, folgen. Ein großes Panoramafenster beherrschte den Raum, der eine fremdartige Behaglichkeit verströmte. Ya Yaki winkte sie heran. Mit einer fast menschlich wirkenden Geste sagte er stolz: »Mom, die Hauptstadt von Esmaladan. Unsere Stadt!« Neep und seine Männer blickten in die Tiefe. Rund um dieses große Gebäude erstreckte sich Mom in alle Richtungen. Die stilistisch einheitlichen Flachbauten erinnerten an terranische Bungalows. Die Utaren mußten Blumen- und Gartenliebhaber sein, denn jedes Haus lag in einem winzigen Park. Die einzelnen Stadtteile waren nicht groß. Sie wurden durch breite Schnellstraßen, auf denen aber wenig Verkehr herrschte, deutlich voneinander abgegrenzt. Obwohl alles so wunderbar einfach und auch für menschliche Begriffe schön aussah, der Eindruck, daß hier etwas überstürzt errichtet worden war, ließ sich nicht verwischen. Neep fragte Mu Mudo, der neben ihm stand: »Wie lange haben Sie gebraucht, um diese Stadt zu bauen?« »Alle Städte auf Esmaladan wurden in siebzehn Tagen fertiggestellt. Nur für dieses Gebäude, in dem wir uns befinden, mußten wir sieben Wochen aufwenden.« Kerr, Wrigley und Alsan horchten auf. Was Mu Mudo ihnen gesagt hatte, klang unglaublich. Mom war eine Millionenstadt, und die sollte in siebzehn Tagen errichtet worden sein? Ya Yaki bat sie, Platz zu nehmen. Er deutete auf Kissen, die auf dem Boden lagen und sich als luftgefüllte Polster entpuppten, als die Männer sich darauf niederließen. »Major Neep, machen Sie sich um Ihre Besatzung keine Sorgen. Sie wird gut versorgt, und Sie werden bald wieder bei Ihren Männern sein...« Neep unterbrach ihn. »Yaki, wir möchten nicht nur plaudern, sondern auch einige Dinge erfahren. Darf ich Fragen stellen?« »Natürlich, aber ich werde gewiß nicht alle beantworten können. Vielleicht ist auch die Weisheit, zu der ich Sie noch führen werde, nicht dazu in der Lage. Doch was ich nicht weiß, wissen vielleicht Mudo oder Kina. Bitte, Terraner...« 255 Neep konzentrierte sich. »Aus welchem Grund haben die Utaren -so wie manche andere Intelligenzen, die jetzt in diesem Spiralarm der Milchstraße leben - ihre Heimat verlassen?« Aus großen dunkelblauen Augen sah ihn der Utare an. »Wir mußten vor den Schwankungen des galaktischen Magnetfeldes fliehen. Wir lebten auf der anderen Seite der Galaxis, aber schon vor siebenhundert Jahren unserer Zeitrechnung haben wir unseren Heimatplaneten aufgegeben, um eine andere, näher zum Zentrum gelegene Welt zu besiedeln. Dreimal sind wir seit damals von Planet zu Planet gezogen. Ob wir hierbleiben können, wissen wir nicht. Niemand kann es sagen.« »Und der Grund der mehrmaligen Flucht, Yaki?« Gespannt warteten die Männer auf die Antwort des Utaren, der im Schneidersitz auf seinem Luftkissen saß. »Ich sagte es schon. Die Schwankungen des galaktischen Magnetfeldes...«
»Was löst diese Schwankungen aus, Yaki?« »Diese Frage kann nur die Ewigkeit beantworten. Als unser Volk vor langer Zeit die Heimatwelt verließ, waren unsere Raumschiffe noch nicht so hoch entwickelt wie heute. Der Flug tiefer in die Galaxis hinein dauerte vier Generationen. In dieser Zeit haben unsere Ahnen auf kleinen Raumschiffen unsägliches Elend ertragen müssen, ständig verfolgt von Strahlungsorkanen. Als sie dann endlich einen Sektor erreichten, in dem die Strahlungswerte erträglich waren, bauten sie sich auf einem unbewohnten Planeten die zweite Heimat auf. In dieser Zeit wurden sie von Krankheiten dezimiert. Alle Unterlagen über die alte Heimatwelt gingen verloren. Bis heute wissen wir nicht, wo jene Welt liegt, die den ersten Utaren hervorgebracht hat.« Ya Yaki zeigte sich von seiner besten Seite. Bereitwillig beantwortete er die Fragen seiner Gäste. Daß er des öfteren unterbrochen wurde, hatte er als terranische Ungezogenheit erkannt, die auf Terra wohl an der Tagesordnung sein mußte. Major Neep zögerte vor der nächsten Frage einen Augenblick, aber stellte sie dann doch: »Yaki, warum haben Ihre Raumschiffe unsere PoiNT OF angegriffen - jenes Schiff, das einen havarierten Pyrami-denraumer hierher gebracht hat?« 256 Ya Yaki, Mu Mudo und Kr Krna schienen auf diese Frage schon gewartet zu haben. »Die Angriffe auf das Schiff, das ihr POINT OF nennt, beruhten auf einem Irrtum. Neep, dürfen Sie mir sagen, woher ihr Terraner dieses Schiff habt?« »Gefunden, Yaki! Auf einem fernen Planeten fast startklar gefunden! Wir haben es fertig gebaut und gelernt, es zu fliegen. Wißt Ihr, wer einst solche Raumschiffe gebaut hat? Denn nach unserer Zeitrechnung ist die POINT OF tausend Jahre alt.« Major Neep hütete sich, den Namen Hope zu erwähnen. Er wollte die Utaren gar nicht erst auf diesen Planeten aufmerksam machen. Die Schätze in der Maschinen-hohle und im Industriedom sollten ausschließlich im Besitz der Menschheit bleiben. »Niemand kennt die Erbauer dieser Schiffe. Aber vor vielen hundert Jahren haben diese Ringraumer die Galaxis kreuz und quer durchflogen. Keine Rasse war vor ihnen sicher. Ganze Planeten wurden gebrandschatzt, und die Bewohner fortgeschleppt. Wo ein Ge schwader Ringraumer auftauchte, regnete es Tod und Vernichtung. Und dann, vor langer, langer Zeit, verschwanden sie schlagartig und wurden nie wieder gesehen - bis plötzlich vor ein paar Jahren ein einzelnes Schiff dieses Typs wieder auftauchte. Wir glaubten, die alten Todfeinde seien wieder auferstanden, und wir versuchten alles, um es zu vernichten. Woher sollten wir wissen, daß nicht die Erbauer, sondern eine fremde Rasse dieses Schiff flog?« Hastig wurde er von Neep unterbrochen. Er schilderte den drei Utaren das Aussehen der Amphis. »Wir kennen sie, aber wir mögen uns nicht besonders. Doch unsere Völker respektieren einander.« Das klang nicht besonders überzeugend. Die Terraner hatten den Verdacht, daß sich auch die Utaren schon mit den Flunderschiffen der Amphis herumgeschlagen hatten. Doch Neep berührte diesen Punkt nicht mehr, kam aber dennoch auf die Amphis zurück. »Yaki, diese Wesen haben eine kleine Kolonie der Terraner auf einem unbewohnten Planeten vernichten wollen. Sie zerstörten unser Raumschiff. Sie versuchten, alles zu vernichten, und lernten uns Terraner kennen. Die Amphis wußten, daß Terraner den Ringraumer 257 flogen, und ich glaube, sie haben auch gewußt, daß dieser Ringrau-mer nicht von uns erbaut worden war. Warum um alles in der Welt haben dann auch die Amphis mit ihren Flunderraumern versucht, unser Schiff zu vernichten? Warum haben sie den anderen Rassen in diesem Spiralarm nichts gesagt?« Jetzt winkelte Ya Yaki seine Arme an und zeigte den Männern seine offenen Handflächen. Eindeutig ein Zeichen der Entschuldigung oder auch des Grußes. »Neep, beherrscht ihr Terraner eure PoiNT OF vollkommen?« Major Neep verstand diese Frage nicht. Was sollte sie in diesem Zusammenhang bedeuten? »Natürlich, Yaki...« »Ich glaube es nicht. Inzwischen glauben es die anderen auch nicht mehr. Ihr kennt das Schiff nicht wirklich, das ihr fliegt.«
Jetzt verstanden die Männer gar nichts mehr. Neep bat um eine Erklärung. Mu Mudo gab sie ihm. »Terraner, niemand weiß, wie die Erbauer der Ringraumer ausgesehen haben. Wer sie aber zu Gesicht bekam, wurde entweder getötet oder auf ferne Welten verschleppt, von denen es keine Rückkehr gab. Nur die Ringschiffe waren bekannt, gefürchtet - und verhaßt. Die Ewigkeit hatte kein Mitleid mit uns und ließ zu, daß diese unbesiegbaren Schiffe plündernd und mordend durch die Galaxis flogen. Niemals, wenn die Überlieferungen richtig sind, hat eins der Wesen sein Ringschiff verlassen, um einen fremden Planeten zu betreten! Warum auch? Sie plünderten die Welten mit Hilfe von Strahlen! Sie holten ihre lebende Beute an Bord und ließen sie durch die Metallhülle ihrer Schiffe schweben, als ob diese Hülle nicht existieren würde...« Major Neep sprang auf. Entgeistert starrte er Mu Mudo an. Was der Utare aus seinen Überlieferungen erzählt hatte, stimmte im letzten Punkt. Auch Menschen hatten schon quer durch Decken und Wände und die halbmeterdicke Unitallaußenhülle der POINT OF schweben können, als seien diese massiven Metallbarrieren nicht existent. Es gab keine physikalische Erklärung für diesen Vorgang, doch man war schnell wieder davon abgekommen, weil sich starke körperliche Beschwerden gezeigt hatten. 258 Daher hatte Ren Dhark diesen Weg über die Gedankensteuerung blockieren lassen. Wieder zeigte man Neep und seinen drei Offizieren die offenen Handflächen. Die riesigen blauen Augen der Utaren funkelten, ein Beweis ihrer Erregung. Leise sagte Mu Mudo in der vokalreichen Sprache seines Volkes: »Seit diese Überlieferungen existieren, ist es das erste Mal, daß sie uns bestätigt werden...« Hastig berichtigte Neep Mudos Annahme. »Wir kennen nur die Methode, durch die Wandung des Ringraumers zu schweben...« »... und nur, wenn er gelandet ist!« Neep setzte sich schnell wieder hin. Die Überlieferung der Utaren stimmte in diesem Punkt exakt mit der Wirklichkeit überein. Ratlos schüttelte Neep den Kopf. »Ich begreife die Zusammenhänge nicht. Was war denn der Grund, die Angriffe auf die POINT OF einzustellen?« »Das wißt ihr nicht?« Gleich dreifach war diese Frage gestellt worden. Alle drei Utaren hatten sie gleichzeitig vorgebracht. »Woher?« platzte Kerr heraus, der nicht mehr länger den stillen Zuhörer spielen konnte. »Ihr Terraner habt selbst den Grund gegeben. Ihr habt nie ein fremdes Schiff verfolgt, um es zu vernichten. Die Grakos hätten nie so gehandelt!« »Wer sind die Grakos?« »Einer von vielen Namen, die man den Erbauern der Ringraumer gegeben hat. Jede Rasse nannte sie anders. Wie nennt ihr sie?« »Die Mysterious, Mudo, die Geheimnisvollen, von denen wir nie ein Abbild gesehen haben. Nur eins scheint ziemlich sicher zu sein: Sie müssen oben auf dem Kopf ein Auge gehabt haben.« Und Neep erklärte es an der Position der Bildwiedergabe in den Flash. Das Gespräch erbrachte nicht mehr viel Neues. Nur noch einmal horchten die Männer auf, als Ki Kina beiläufig erwähnte, daß die Utaren den Namen des Anführers der Terraner - Ren Dhark - kennen würden. Neep begriff. Die Utaren waren bestimmt in der Lage, Hyperfunk-spriiche abzuhören, und hatten auf diese Weise den Namen erfahren. 259 Ya Yaki übernahm das Gespräch wieder. Zum ersten Mal lächelte er. Neeps Erklärung amüsierte ihn. »Jemand anderes hat uns diesen Namen genannt. Die Synties!« Die Synties! Jene rätselhaften tropfenförmigen Energiewesen, deren Rolle auf der galaktischen Bühne ein einziges riesiges Fragezeichen war. Gewiß, sie hatten der Menschheit - und vor allem Ren Dhark -in der Vergangenheit bereits mehrfach geholfen, aber ihre Beweggründe, ihre wahren Ziele lagen noch immer im Dunkel. Ren Dhark hatte sie einmal im Scherz die galaktischen Schiedsrichter genannt; andere sprachen nicht gerade begeistert von den Synties. Den meisten Menschen waren sie nicht
geheuer. Und jetzt sollten die Synties die Verbindung zwischen Utaren und Terranern zustande gebracht haben? »Die Synties haben...?« Neep stotterte. Ya Yaki nickte gelassen. »Sie haben sich mit unserer Weisheit in Verbindung gesetzt und befohlen, ein terranisches Schiff auf Esma-ladan zu landen, damit wir uns kennenlernen würden, denn es sei jetzt an der Zeit.« Die Terraner waren sprachlos. Niemals wären sie auf den Gedanken gekommen, daß sie den >Tropfen< ihren Zwangsaufenthalt auf Esmaladan zu verdanken hatten. 3724 Lichtjahre von der Erde entfernt drehte sich Esmaladan als zweiter von fünf Planeten um die GO-Sonne Yaga. Major Neep und seine drei Offiziere kannten die astronomischen Daten; auch daß die Schwerkraft auf diesem Planeten nur 0,87 Gra-vos betrug, wußten sie. Erst jetzt erfuhren sie aber, daß Esmaladan nur vier Kontinente hatte. Land- und Wassermassen hielten sich die Waage. Die mittlere Temperatur betrug 18,3° Celsius und erlaubte, daß es sich auf dieser Welt gut leben ließ. »Wir haben uns auf allen vier Kontinenten angesiedelt«, erklärte ihnen Ga Gasogu, der Sprecher der Weisheit, ein Utare, der keine achtzig Zentimeter groß war, aber eine Autorität ausstrahlte, der sich die Terraner nicht entziehen konnten. Ihnen war mit wenigen Worten erklärt worden, daß Esmaladan von 260 Kleinen und Großen Weisheiten regiert wurde. Das letzte Wort jedoch habe in entscheidenden Fällen immer die Weisheit, die aus drei Gruppen der Großen Weisheit bestand. Die Mitglieder der Weisheit trugen ebenso enganliegende Kleidung wie die anderen, doch bei ihnen war sie leuchtend indigoblau! Noch wußten weder Major Neep noch einer seiner Männer, daß die Kleidungsfarbe eine Art Kastenzeichen war. Die vier Terraner standen im Freien. Nur Ga Gasogu hatte sie begleitet. Die anderen Vertreter der Weisheit waren ohne Erklärung zurückgeblieben. Sie sahen Mom, die Hauptstadt des Planeten Esmaladan! Sie sahen unzählige Utaren mit riesigen blauen Augen - Männer, Frauen und Kinder! Sie standen am Fuß des riesigen Gebäudes, das sich über fünfhundert Meter in den Himmel reckte. Sie blickten hinauf und entdeckten vier Monde. »Esmaladan besitzt fünf Umläufer«, erklärte Ga Gasogu bereitwillig. »Es sind tote Trabanten. Auf ihnen gibt es kein organisches Leben. Aber Esmaladan wird, wenn das Schicksal es will, unsere endgültige Heimat werden.« Hier hakte Major Neep ein. »Wir haben erfahren...« Mit einer Handbewegung, die Schweigen gebot, und einem fast menschlichen Lächeln auf seinem Gesicht erklärte Gasogu gelassen: »Wir wissen, was euch erklärt worden ist. Die Kleine Weisheit hat nach unseren Direktiven gehandelt. Selbst ich als Vertreter der Weisheit bin nicht fehlerfrei. Wer im All ist das schon? Aber eines glauben wir zu wissen. Von euch Terranern haben wir keine Hilfe zu erwarten! Nicht den kleinsten Hilfeversuch!« Major Neep, dessen Nervenkostüm seit der Kaperung seines Schiffes nicht mehr in allerbester Verfassung war, brauste auf. »So, Gasogu!? Ihr habt von uns Terranern keine Hilfe zu erwarten? Darf ich Sie daran erinnern, daß die PoiNT OF eines Ihrer havarierten Schiffe nach Esmaladan geschleppt hat?« »Wir haben es nicht vergessen, und die Synties auch nicht. Aber habt ihr dieses Ringschiff gebaut oder wer?« 261 Neep glaubte, daß Gasogu arrogant geworden war. In ihm kam der Stolz der Terraner zum Vorschein, als er mit deutlicher Betonung O
sagte: »Wer dieses Ringschiff gebaut hat, spielt keine Rolle. Jetzt gehört es uns, und wir
werden noch viele Schiffe dieses Typs bauen -und besser als jene, die die POINT OF einst konstruiert haben.« So klein Ga Gasogu auch war, so scharf klang jetzt seine Stimme: »Neep, damit werdet ihr Terraner euch keinen Gefallen tun. Die Galaxis ist nicht leer. In ihr leben viele Rassen, die schon seit tausend Umläufen und mehr den Raumflug beherrschen. Sie alle kennen die Ringraumer. Sie alle werden glauben, der alte Feind sei wiedergekommen, wenn sie eure Schiffe sehen. Und, Terraner, Sie werden euch angreifen und zu vernichten suchen! Sie werden Terra finden und zerstören. Sie werden euren Planeten zu einer kleinen Sonne machen und eure Rasse auslöschen! Sie werden glauben, den mörderischen Todfeind endlich vernichtet zu haben... für alle Zeiten!« Neep und seine Offiziere starrten Ga Gasogu entgeistert an. Versteckte sich in seinen Worten eine Drohung - oder war alles nur eine gutgemeinte Warnung? Was sollten sie von den Utaren halten? »Gehen wir«, ordnete Gasogu an und ging mit kleinen Schritten voraus. Sie überquerten den großen Platz vor dem hohen Gebäude. Die Passanten würdigten die Terraner kaum eines Blickes. Nicht einmal die Kinder starrten sie an. Unbeschreiblich war ihre Kleidung, einheitlich im Schnitt und in grellsten Schockfarben leuchtend. Und die Kinder der Utaren waren wie Menschenkinder - verspielt, laut und fröhlich. Major Neep mußte an seine eigenen Kinder denken. War sein Sohn nicht auch schon heulend nach Hause gekommen, weil er von einem Spielkameraden verprügelt worden war? Er mußte unwillkürlich schmunzeln, als ein kleiner Utare brüllend und weinend an ihnen vorbeilief. Da bemerkte er Ga Gasogus fragenden Blick. Immer noch schmunzelnd erklärte er dem Utaren seine Gedanken. »So...« Gasogu erwiderte nichts zu diesem Punkt. »Wie stark ist die Bevölkerung Terras?« Erschrak Gasogu, als er die Zahl hörte? Hatte sein Schritt nicht gestockt? Nur einen Moment? 262 »Auf Esmaladan leben 1,2 Milliarden Utaren, verteilt auf vier Kontinente. Aber unsere Flotte ist größer als die eure, Terraner. 2500 Schiffe liegen zu unserem Schutz startbereit. Neep, wo sind eure Schiffe, die nach der BERNHARDTS STAR suchen?« Neep zog es vor zu schweigen. Sie hatten den Platz überquert, der noch alle Anzeichen einer überhasteten Bauweise zeigte. Der Bodenbelag bestand aus großen, fünfeckigen, sich elastisch anfühlenden Kunststoff-Platten, die ihre Schritte dämpften und mit ihren dezenten Farben beruhigend wirkten. Mehrfach waren fremdartige Schweber im lautlosen Flug über sie hinweggezogen. Wie auf der Erde spielte sich auch auf Esmaladan der Fernverkehr in der Luft ab. Aber die Schweber waren bedeutend schneller als ihre terranischen Äquivalente; sie glichen abgeplatteten Ellipsen und waren so niedrig, daß ein ausgewachsener Mensch in ihnen nicht hätte stehen können. Als die Terraner vor einem gelandeten Ellipsoid standen, erkannten sie, daß die kleine Steuerkanzel, die aus der Hülle herausragte, pyramidenförmig war. Neugierig betraten sie das Fahrzeug. Ga Gasogu verschwand in der Steuerkanzel. Hinter ihnen schloß sich lautlos das Schott. Technische Einrichtungen waren genausowenig zu sehen wie das Geräusch arbeitender Maschinen zu hören war. Die Wände waren gleichmäßig grau. Doch dann lief eine schwache Erschütterung durch das Ellipsoid, und alle Wandungen wurden transparent. Major Neep und seine drei Begleiter glaubten in einem Glaskäfig zu sitzen, der schnell höher stieg und die Hauptstadt der Utaren überflog. »Ich fühle mich in meiner Haut immer noch nicht wieder richtig wohl«, gab Wrigley unaufgefordert seine Gefühle preis, »weil ich mir einfach nicht vorstellen kann, daß die Utaren so mir nichts, dir nichts einen Wunsch der Synties befolgt haben sollen. Major, wie denken Sie darüber?« Der brummte, während er aufmerksam in die Tiefe spähte und sich im stillen wunderte, wie weit Mom sich ausdehnte. »Ich habe mir das Nachdenken abgewöhnt. Vorläufig. Ich kapiere nicht einmal, warum bisher keines unserer Schiffe über Esmaladan erschienen ist. Aber lassen wir's, Wrigley... Da!« Erregt streckte er den Arm aus, deutete in die Ferne. 263
Ein Raumhafen, auf dem ein Pyramidenraumer neben dem anderen stand! Und ein
Kugelschiff!
Vier Terraner hielten den Atem an und spähten in die Ferne. Noch waren keine Einzelheiten
zu erkennen. Noch konnten sie nicht entdecken, ob auf der Zelle in riesigen Buchstaben der
Name BERNHARDTS STAR stand.
Was wollte ihnen der Utare zeigen?
Alsan richtete sich unwillkürlich auf und vergaß dabei die geringe Höhe des Ellipsoids.
Krachend stieß er sich den Kopf, aber er beachtete es nicht.
»Major«, stieß er erregt aus, »ich kann die Aufschrift lesen. Es ist unsere BERNHARDTS STAR, sie
ist es...!«
Es dauerte noch einige Minuten, bis auch die anderen die großen Lettern lesen konnten.
Das Ellipsoid, das von Ga Gasogu geflogen wurde, bog plötzlich vom Kurs ab! Es hielt nicht
mehr auf die BERNHARDTS STAR zu, die auf dem Raumhafen von Mom lag.
Fragend sahen sich die vier Terraner an. Enttäuschung machte sich auf ihren Gesichtern breit.
Sie hatten fest damit gerechnet, an Bord ihres Kreuzers gebracht zu werden; statt dessen raste
das Ellipsoid auf ein langgestrecktes Gebäude am Rande des Raumhafens zu.
Neep und seine Offiziere fürchteten schon, gleich gegen eine der Wände zu krachen, als
Gasogu mit höchsten Werten abbremste und butterweich aufsetzte. Dann sahen ihn die
Menschen blitzartig den Schweber verlassen und ins Gebäude rennen.
Neep dachte sofort an seine Besatzung. Hoffentlich haben meine Männer keine Dummheiten
gemacht.
Kerr hatte die gleiche Befürchtung. »Wenn bloß unsere Leute nicht irgendeinen Blödsinn
angestellt haben...«
Alsan schüttelte sich. »Das würde uns gerade noch fehlen!«
Wrigley schwieg, aber Sorgen machte er sich auch. Er erhob sich vorsichtig und kroch nach
draußen. Wortlos folgten ihm die anderen und reckten und streckten sich, als sie auf dem
harten grauen Boden standen, der an Plastikbeton erinnerte.
264
Neep kniff die Augen zusammen. Er blinzelte gegen das Licht der Sonne. Starke
Lichtreflexe, die eben noch nicht zu sehen gewesen waren, weckten seine Aufmerksamkeit.
Neben dem langgestreckten Gebäude schob sich langsam eine Kuppel aus dem Boden! Eine
Kuppel, die bizarre Antennen ausfuhr.
Er machte seine Offiziere darauf aufmerksam. »Sehen Sie sich das einmal an...«
Seine Stimme ging in einem Geräuschorkan unter. Schlagartig dröhnte ein unbeschreibliches
Brüllen über den ganzen Raumhafen. Die Terraner wirbelten herum und starrten zu den
Pyramidenraumern hinüber, die kurz nacheinander starteten.
Das konnte doch nur ein Alarmstart sein! Was war im Yaga-System geschehen? Drohte den
Utaren ein Angriff aus dem Raum?
»Und wenn es Schiffe der TF sind, Major?«
Entgeistert blickte Neep den Leutnant an. Konnte Kerr Gedanken lesen? Diese Frage hatte er
sich auch gerade gestellt.
Sie konnten sich nicht mehr verständigen. Ohrenbetäubend war das Heulen und Brüllen
einiger hundert Raumer, die, immer schneller werdend, dem freien Raum zujagten. Weder
Neep noch einer seiner Männer dachten daran, daß die Atmosphäre verseucht sein konnte.
Sie trauten diesen kleinen Wesen zu, daß sie eine Triebwerkstechnik beherrschten, die jener
der Giants weit überlegen war, und bei der eine radioaktive Verseuchung der Luft nicht zu
befürchten war.
Die Pyramidenraumer wurden kleiner und kleiner. Das Heulen, Brüllen und Toben, das
Fauchen verdrängter Luftmassen verklang allmählich. Bevor es wieder still wurde, kam ein
letztes Donnergrollen aus der Höhe. Dann waren dort nicht einmal mehr blitzende Punkte zu
sehen.
Nur die BERNHARDTS STAR stand noch immer auf dem Raumhafen von Mom.
Allein standen vier Terraner neben dem Schweber; sie konnten keinen einzigen Utaren
erblicken.
»Bomben und Boliden!« Alsan packte Kerr am Oberarm. Soweit das Auge reichte, lag eine
mit bizarren Antennen gespickte Kuppel neben der anderen. Als Ga Gasogu das Ellipsoid
gelandet hatte, war noch nicht einmal eine einzige zu sehen gewesen. 265 Der Planet Esmaladan hatte sich in den Verteidigungszustand versetzt. Dazu paßte der Alarmstart der Pyramidenraumer. »Ich kann nicht glauben, daß sich unsere Schiffe im Anflug befinden«, sagte Neep sichtlich beunruhigt. »Dieser Einsatz von einhundert Schiffen... Nein, Dhark würde höchstens zwei, drei Kreuzer hierher schicken oder mit der PoiNT OF selbst kommen. Es muß sich um etwas anderes handeln.« Sie standen immer noch neben dem Ellipsoid, das ihnen den Blick auf das Gebäude versperrte. Deshalb waren sie überrascht, als Ga Gasogu plötzlich wieder vor ihnen stand. Der Utare sah sie aus seinen intensiv blauen Augen an. »Terraner, wir befinden uns in einer angespannten Lage. Nur ein paar hundert Lichtjahre von hier ist ein uns noch unbekannter, großer Raumschiffverband aus dem Hyperraum gekommen. Vielleicht gilt dieser Einsatz nicht uns, aber die Weisheit hat die Aufgabe, alles zu tun, damit die Utaren in Frieden leben können. Aus diesem Grund kann ich Ihnen nicht das zeigen, was Sie sehen sollten. Ich habe mich zu verabschieden. Pu Putorn wird Sie nach Mom zurückfliegen. Aber wir sehen uns hoffentlich bald wieder.« Erneut zeigte er ihnen seine offenen Handflächen und ging danach zum Gebäude zurück. Nachdenklich sahen ihm die Terraner nach. Sie schwiegen. Sie warteten auf Pu Putorn. Major Neep, Kommandant der BERNHARDTS STAR, und Ga Gasogu, Mitglied der Weisheit, sollten sich schneller wiedersehen als jeder von ihnen erwartete. Neep verließ mit seinen drei Offizieren die Schweber-Ellipse und verabschiedete sich von ihrem manschen Piloten, als er auf der Stelle herumwirbelte, weil er terranische Worte gehört hatte. »Unsere Männer«, stieß er erleichtert aus, als er Angehörige seiner Besatzung erkannte, die im gemütlichen Tempo herankamen. »Satt und zufrieden sehen sie aus«, stellte Kerr fest. »Ihnen hat man wohl keinen musikalischen Hochgenuß bereitet.« Jetzt, da er davon sprach, glaubte er diesen Höllenlärm wieder im Ohr zu haben. 266 Aber die Männer hatten andere Sorgen. Der Alarmstart der Pyramidenraumer war ihnen nicht entgangen, und einige hatten eben beobachtet, wie der Major mit seinen drei Offizieren einen Schweber verlassen hatte. Von allen Seiten wurde Neep mit Fragen bestürmt. »Männer«, sagte er laut, um sich auch dem letzten verständlich zu machen. »Ich weiß nicht mehr als ihr. In einigen hundert Lichtjahren Entfernung ist ein unbekannter Raumschiffverband rematerialisiert. Die Utaren haben das geortet und daraufhin einen Teil ihrer Flotte gestartet. Ga Gasogu sprach von einer angespannten Lage. Das ist tatsächlich alles, was wir wissen.« Die letzten Worte gingen im Brüllen, Heulen und Donnern eines Pulks aus Pyramidenraumern unter, der in niedriger Höhe über Mom hinwegflog, eindeutig mit Kurs in den freien Raum. »Das sind ja mehr als dreihundert Kähne.« »Nein, über fünfhundert!« Einer widersprach dem anderen. Alle sahen dem Verband nach, der mit hoher Beschleunigung in den klaren Himmel jagte und verschwand. Leutnant Kerr stieß den Major an. Am Rand eines Parks auf der anderen Straßenseite spielten die Uta-renkinder nach wie vor ungestört weiter. Die Erwachsenen kamen und gingen, als sei nicht das geringste passiert. In ihren leuchtend blauen Augen war weder Unruhe noch Angst zu erkennen. Erstaunlich war ihre Zurückhaltung, wenn ihr Blick auf die Terraner fiel, die für sie wahre Riesen sein mußten. »Beeindruckend«, sagte Major Neep. »Die Utaren verhalten sich unwahrscheinlich diszipliniert.« Er war versucht, dieses Verhalten mit dem der Menschen in einer ähnlichen Situation zu vergleichen -und dabei schnitten seine Artgenossen nicht besonders gut ab. »Kommandant, haben Sie unser Schiff gesehen?«
Im nächsten Moment war Neep wieder von seinen Männern umringt. Offen zeigten sie ihre
Enttäuschung, daß der Major keine Möglichkeit bekommen hatte, den Kreuzer aus der Nähe
zu inspizieren. »Ich kann nur versichern, daß die BERNHARDTS STAR glatt gelandet ist.
Bitte, meine Herren, zeigen Sie Geduld.«
»Geduld!« maulte ein Sergeant. »Auch die Utaren, die uns zum Es
267
sen geführt haben, wollten oder konnten uns nicht sagen, wann wir wieder starten dürfen.
Major, werden Sie wenigstens die Erlaubnis bekommen, einen Funkspruch an Cent Field
abzusetzen?«
Das war das Stichwort.
Zwischenrufe wurden laut, aus denen klar hervorging, daß die Mannschaft das Verhalten der
TF nicht mehr verstand.
»Warum sucht man nicht nach uns? Warum kommt die TF nicht?«
Neeps Männer hatten nur teilweise recht. Auch der Major hatte sich diese Fragen schon im
stillen gestellt. Doch nach längerem Nachdenken hatte er sich eingestehen müssen, daß der
Notruf eines Kreuzers nicht automatisch einen Großeinsatz der Terranischen Flotte nach sich
ziehen mußte. Vielleicht hatten die Verantwortlichen im Moment ganz andere Sorgen.
Unwillkürlich blickte er hoch. Ein Schatten war über ihn hinweggehuscht. Ein Schweber
setzte zur Landung an. Die Umstehenden achteten kaum darauf. Neep hatte Mühe, seine
Männer zu beruhigen. Da bildete sich vor ihm langsam eine Gasse.
Ga Gasogu kam auf ihn zu, begleitet von sieben Kollegen. Der Kleidung nach mußten sie alle
der Weisheit angehören, dem mit den meisten Befugnissen ausgestatteten Gremium.
Ga Gasogu blieb vor ihm stehen, winkelte leicht die Arme an und zeigte seine Handflächen.
Neep erwiderte den utarischen Gruß durch ein leichtes Senken des Kopfes. Sein Gesicht war
eine einzige Frage.
»Die Weisheit bittet den Terraner Neep, sein Schiff aufzusuchen, um einen Hyperfunkspruch
abzustrahlen. Die Weisheit bittet weiterhin, so viele Männer mitzunehmen, wie nötig sind,
um unsere Bitte erfüllen zu können.«
210 Mann hielten den Atem an.
»Gern«, erwiderte der Major, dessen Augen vor Erregung funkelten. »Ich benötige meine
beiden Funkoffiziere und sechs Mann.«
Er wäre auch allein in der Lage gewesen, den Sender im Schiff einzuschalten, aber er wollte
aus dieser unerwarteten Chance soviel Kapital wie möglich schlagen.
»Bitte, bestimmen Sie, Major!« Ga Gasogu war von bestrickender Höflichkeit. Er und seine
Kollegen warteten, bis der Kommandant
268
seine Leute ausgesucht hatte. Kurz darauf jagten sie wieder auf den Raumhafen von Mom zu.
Dieses Mal wurde Kurs auf die BERNHARDTS STAR gehalten, die allein auf dem riesigen
Landefeld stand.
Vor dem äußeren Landering setzte das Ellipsoid auf.
Die Polschleuse des Raumers stand offen, und die Rampe war ausgefahren. Die neun
Terraner paßten ihren Schritt dem der viel kleineren Utaren an. Unterwegs gab Neep seine
ersten Befehle.
Als in der Polschleuse die ersten Kontrollen durchgeführt wurden, stellte sich heraus, daß in
der BERNHARDTS STAR alles abgeschaltet war. Auch die A-Grav-Schächte.
Neep hatte Zeit, Ga Gasogu einige Fragen zu stellen.
»Wem soll ich einen Hyperfunkspruch senden, Gasogu?«
»Ren Dhark.«
»Ihm melden, daß wir zurückkommen?«
»Daran ist vorläufig nicht zu denken, Terraner.«
Aufbrausend fragte der Major:
»Sie wollen uns nicht starten lassen? Warum nicht?«
»Weil wir für euch verantwortlich sind, Neep. Zwischen den Sternen herrscht Krieg. Sparen
Sie sich Ihre Fragen für später. Ich glaube, wir können weitergehen.«
Kurz darauf las Neep verwundert den Text. Nur den vorgeschriebenen Wortlaut sollte er Ren
Dhark mitteilen.
»Gasogu, das ist doch ein unsinniger Spruch, der vor Halbheiten strotzt. Warum kann ich meinem Commander nicht in einem kurzen Bericht mitteilen, was Sie wissen? Sie sprechen von einer unbekannten Gefahr aus dem Raum... Warum sagen Sie mir nicht, wie diese Gefahr beschaffen ist?« »Weil wir es nicht wissen, Terraner. In der letzten halben Stunde haben wir einige hundert Hyperfunksprüche aufgefangen und übersetzt. Fast in jedem Ruf wird von einer unbekannten Gefahr gesprochen, die Raumschiffe und Städte verschlingt.« »Das Nor-ex!« rief Neep und ließ unwillkürlich die Hand sinken, in der er die Folie hielt. »Wir wissen, daß ihr Terraner es kennt. Wir wissen auch, daß dieses Schiff mit Spezialgeschützen ausgerüstet ist, um das, was ihr das Nor-ex nennt, zu bekämpfen. Aber ihr verfügt doch selbst nur über 269 ein paar hundert Geschütze dieser Art. Uns können sie also nichts nützen.« »Schön, wir haben nicht viele To-Funk-Kanonen. Das will ich gar nicht bestreiten. Aber Terra könnte Esmaladan die Konstruktionsunterlagen zur Verfügung stellen und vor allen Dingen das Tofirit liefern.« Ga Gasogu schüttelte den Kopf. »Dafür ist es zu spät; die Weisheit kann die Verantwortung nicht übernehmen. Wir haben an unser Volk zu denken. Darum werden sämtliche Schutzmaßnahmen sofort getroffen, sowie der Hyperfunkspruch an Ren Dhark abgestrahlt ist. Terraner, wir haben das Yaga-System zum Sperrgebiet erklärt, weil in einer Stunde jedes fremde Raumschiff, das es wagt, hier aufzutauchen, damit rechnen muß, vernichtet zu werden.« Ga Gasogu war nicht bereit, in diesem Punkt Abstriche zu machen. Major Neep traf eine Entscheidung. »Gut, ich übermittle die Nachricht im vorgeschriebenen Wortlaut.« Sofort kam die Verbindung mit dem Flaggschiff der Terrani sehen Flotte zustande. Neep gab die aufgezeichnete Mitteilung im Wortlaut durch. Auf seinem Bildschirm erkannte er Ren Dhark, Chris Shanton und Colonel Szardak. Die anderen waren ihm fremd. Nach dem letzten Wort brach die To-Funkverbindung mit dem Ringraumer ab. Als der Major sich umdrehte, sah er die Utaren außerhalb des Aufnahmebereichs der Kamera stehen. Wenn sie sich auch während seines Funkspruchs dort befunden hatten - und davon ging er aus -, dann war der Commander war nach wie vor ahnungslos, daß kleine humanoide Wesen die Schöpfer der gefährlichen Py-ramidenraumer waren. Schrilles, in einem Kugelraumer noch nie gehörtes Läuten erfüllte den Raum. Es kam aus der Ecke, in der die Utaren standen. Neep und seine Männer spitzten unwillkürlich die Ohren, als alle acht Utaren ein kleines Gerät aus der Tasche zogen und darauf blickten. »Mein Gott«, stöhnte der Major. Gerade hatte er die Nachricht mitgehört, daß Nurd, die größte Stadt auf dem benachbarten Kontinent, verschwunden war! Das Nor-ex hatte zugeschlagen. Das Ungeheuer hatte eine Stadt mit mehr als drei Millionen Utaren verschwinden lassen. 270 Die Terraner verstanden diese Wesen nicht, die alle der Weisheit angehörten. Sie rührten sich nicht. Sie lauschten nur auf die Nachrichten, die aus ihrem Funkgerät kamen. Die Utaren hatten zusammen mit Nurd auch 749 Pyramidenraumer verloren, die dort startklar auf dem Raumhafen gelegen hatten. Welche Stadt war als nächste an der Reihe? Ga Gasogu steckte sein Funkgerät wieder ein, sah den Major an und sagte: »Ihre Besatzung kann das Schiff wieder betreten, Neep -aber wagen Sie nicht zu starten.« Mehr hatte der Utare nicht zu sagen. Als er und seine Begleiter sich in Bewegung setzten, gab Neep ihnen einen Offizier mit, damit sie aus dem Kreuzer herausfanden. 271
18. Major Neep gestattete sich einen erleichterten Seufzer, als die letzte Klarmeldung in der Zentrale einlief. Die BERNHARDTS STAR war startbereit. Die As-Onen-Triebwerke brauchten nur angefahren zu werden. Aber auch Neep wußte, was es hieß, diesen Planeten zu verlassen. Er war Realist genug, um sich vorzustellen, daß die Utaren sein Schiff bei der Flucht in den Raum zu einer
kleinen Sonne machen würden. Vor drei Stunden hatten sie es ihm und einer Gruppe Offiziere durch eine Besichtigung der stationären Abwehrforts demonstriert. Es war leicht gewesen, die Utaren zu durchschauen. Die gewaltigen Forts rund um Mom sollten den Terranern auch den letzten Funken Mut nehmen, über einen Fluchtversuch nachzudenken. Durchschnittlich achtzig Meter tief befanden sich die energieerzeugenden Aggregate und Maschinenanlagen im Boden. Noch einmal siebzig Meter hoch ragten die durch Prallschirme geschützten, flach gewölbten Kuppeln in den Himmel. »Jedes Fort hat die Kampfkraft von siebenundzwanzig Raumern der größten Klasse!« hatte ihnen der Leiter der Abwehrstellungen um Mom erklärt. »Und um Mom liegen dreihundertacht Stellungen dieser Art.« Auch dieser Utare hatte die Terraner nicht bluffen können. »Was haben diese Abwehrforts für einen Zweck, wenn sie nicht verhindern konnten, daß ein Nor-ex eine Stadt wie Nurd und dazu noch 749 Raumschiffe verschwinden läßt?« Neeps Frage war nicht beantwortet worden. Die Versicherung des Leiters, ein zweiter derartiger Angriff würde zurückgeschlagen, hatte bei den Offizieren des Kreuzers wenig Eindruck gemacht. »So«, sagte der Kommandant und lehnt sich bequem im Pilotensessel zurück, »jetzt fehlt uns nur noch die Genehmigung zum Start.« 272 »Die wir vorläufig nicht bekommen!« stellte Kerr gelassen fest. »Aber hat man uns eigentlich untersagt, Terra anzufunken, Major?« »Das nicht, aber wissen Sie vielleicht, was die Utaren unter einem Ehrenwort verstehen und wie weit sie diesen Begriff ausdehnen? Wir lassen die Finger davon. Genauso, wie wir noch nicht einmal mit dem Gedanken spielen, wir könnten einen Blitzstart versuchen. Wenn mich mein Verdacht nicht täuscht, dann liebäugeln die Utaren mit unseren To-Funk-Kanonen.« »Die sie sich während unserer Abwesenheit sehr genau angesehen haben!« warf Wrigley bissig ein. Überall im Schiff hatte man die Feststellung gemacht, daß die BERNHARDTS STAR intensiv untersucht worden war. Besonderes Interesse hatten die To-Funk-Geschütze ausgelöst. Für die Terraner kein Grund, sich zu wundern. Die Wissenschaftler hatten seinerzeit den RaumerKommandanten allen Ernstes versichert, daß es ein No-vum in der Technologie der Raumfahrtwaffen sei, Hyperfunk-Sender durch Vorschalten eines Tofirit-Kristall als Waffe zu benutzen. Da es aber nur zwei Planeten in der Galaxis gab, auf denen Tofirit gefunden wurde, besaß die Menschheit ein Monopol, das ihr auf diesem Gebiet eine Sonderstellung unter allen raumfahrenden Rassen gab. Neep warf einen Blick auf die Borduhr. In zwanzig Minuten gab es in der Messe nach langer Zeit wieder das erste Essen. Trotz der Gastfreundschaft der Utaren freuten sich die Männer, endlich wieder altbekannte terranische Gerichte vorgesetzt zu bekommen. Gerade wollte Neep seinem Copiloten befehlen, die Sitzwache zu übernehmen, als die Bordverständigung von der Polschleuse meldete: »Kommandant, fünf Utaren, Mitglieder der Weisheit, kommen an Bord!« Es waren fünf vollkommen unbekannte Utaren. Weder Ya Yaki, noch Mu Mudo oder Ga Gasugo gehörten der Delegation an. Neep sah die kleinwüchsigen Humaoiden begriffsstutzig an.
Die BERNHARDTS STAR sollte starten? Kurs Terra? Mit den fünf Utaren an Bord? Und Terra sollte von der Rückkehr der BERNHARDTS STAR nicht unterrichtet werden? 273 Langsam stand Neep auf, reckte sich. Die Utaren sollten sich jetzt mal wie Zwerge vorkommen. Lässig blickte er auf sie hinab. »Einverstanden. Aber nicht unter diesen Bedingungen! Sie sollten sich langsam abgewöhnen, uns Terraner wie kleine Kinder zu kommandieren. Wenn Sie nach Terra wollen, warum benutzen Sie nicht eins Ihrer Schiffe und fliegen Cent Field an? Wir Terraner gehören nicht
zu den Rassen, die blindlings auf jeden fremden Schiffstyp das Feuer eröffnen. Und sollten
Sie nicht bereit sein, von Ihren Bedingungen abzugehen, dann bleibt die BERNHARDTS
STAR auf diesem Raumhafen so lange liegen, wie es mir paßt. Ich hoffe, ich habe mich klar
genug ausgedrückt.«
Die blauhäutigen, kleinen Utaren mit den großen, leuchtend blauen Augen zeigten keinerlei
Gemütsbewegung.
»Terraner, Sie werden Terra unter den Bedingungen anfliegen, die wir Ihnen gestellt haben.
Und Sie starten sofort. Die letzten Vorbereitungen dazu haben Sie vor wenigen Minuten
abgeschlossen.«
In der Zentrale wurde es still.
Gerade hatte man ihnen einen Beweis geliefert, wie sorgfältig die BERNHARDTS STAR von außen
überwacht worden war.
Und den Utaren der Weisheit hatte es nichts ausgemacht, diesen Trumpf auszuspielen.
»Wir werden nicht starten!«
»Dann tut es uns leid, Sie zwingen zu müssen.«
In diesem Moment trat ein Ereignis ein, mit dem selbst Major Neep nicht gerechnet hatte.
Sergeant Bracks, der sonst kaum etwas in der Zentrale zu suchen hatte, riß seinen Schocker
heraus, zielte kurz, aber sorgfältig - und drückte ab!
Wie vom Blitz getroffen, brachen die fünf Utaren besinnungslos zusammen.
»Sie Idiot!« brüllte Major Neep den Unglücksraben an, der erst in diesem Augenblick
erkannte, was er mit seiner unüberlegten Tat angerichtet hatte. »Wissen Sie, was Sie damit
angestellt haben?«
Den Blick zu Boden gesenkt, die Waffe in den kraftlos gewordenen Fingern, zuckte Bracks
hilflos mit den Schultern und stammelte unverständliche Worte.
274
»Nehmt ihm den Schocker ab!« befahl Neep, drehte sich um und ließ sich im Pilotensitz
nieder. »Wir haben jetzt nur noch eine Chance: Sofort zu starten, wie es uns die Utaren
befohlen haben. Aber was danach kommt, das mag der Himmel wissen.«
Man führte Sergeant Bracks ab. Krachend schloß sich das Zentrale-Schott hinter ihm. Über
die Bordverständigung unterrichtete der Kommandant den Triebwerksraum. Dann hatte er
alle Hände voll zu tun, um ein As-Onen-Triebwerk nach dem anderen anzufahren.
»17 und 43 kommen nicht.«
»Immer das gleiche!« knurrte Neep und schaltete die Triebwerke 17 und 43 auf Null zurück.
Er gab noch einmal einen Zündimpuls ab.
17 und 43 kamen nicht.
Dabei ging es jetzt um Sekunden. Die fünf Utaren lagen in einer Ecke auf weichen Decken
und rührten sich nicht.
»Kommandant«, klang es laut aus der Bordverständigung, »ein Pulk dieser Ellipsoide hat
Kurs auf unser Schiff genommen.«
Major Neep und Leutnant Kerr wechselten einen Blick.
Jetzt ging es um Sekunden. Draußen mußte man bemerkt haben, daß sich im terranischen
Kreuzer ein unvorhergesehener Zwischenfall ereignet hatten.
»Alle Schleusen geschlossen! Kontrolle durchgeführt.«
Darauf hatte Neep gewartet.
Er schaltete den A-Grav ein. Der Steuerhebel wurde Millimeter um Millimeter
weitergedrückt. Ein leichtes Zittern ging durch das 400 Meter durchmessende Schiff.
Vor Neep leuchtete eine Grünkontrolle auf. Das Zeichen, daß der Räumer im Begriff war,
abzuheben.
Ein Schalter rastete ein. Die wuchtigen Teleskopbeine der BERNHARDTS STAR mit den
breiten, elastischen Landeringen wurden langsam eingezogen.
Das Schiff schwebte. Mehr Energie auf den A-Grav.
Unaufhaltsam begann der Raumer zu steigen und Distanz zum Raumhafen zu gewinnen.
»Triebwerk 43 ist auch da«, rief Kerr ihm zu.
»Lieber würde ich hören, Terra würde vor uns im Raum stehen«,
275
stieß der Kommandant hervor, und dieser Ausspruch kam aus tiefstem Herzen.
Der Leutnant an der Energieortung beugte sich vor, musterte den Schirm sorgfältig, benutzte
die Feineinstellung - und dann wußte er, was da auf die BERNHARDTS STAR zuflog.
»Kommandant, drei Pyramidenraumer liegen auf unserem Kurs! Distanz noch 320
Kilometer.«
Die BERNHARDTS STAR hatte gerade eine Höhe von 1000 Metern erreicht. Auf Terra war es
verboten, in dieser Höhe die As-Onen-Triebwerke einzuschalten.
Major Neep schlug den Knopf der Vollast-Sicherung in die Arretierung. Die titanischen
Triebwerke des Kreuzers wurden im gleichen Moment auf hundert Prozent hochgefahren.
Schlagartig begannen überall im Schiff Konverter, Transformer und Speicherbänke zu
brummen, zu heulen, zu brüllen und zu toben. In der Zentrale war das eigene Wort nicht mehr
zu verstehen. Der Kreuzer bohrte sich förmlich durch die Atmosphäre; über Mom mußte der
Schallmauerknall alles zum Vibrieren bringen.
Würden gleich die Abwehrforts der Utaren rund um Mom eingreifen und versuchen, die
Flucht des terranischen Raumers zu verhindern, obwohl sich fünf Mitglieder der Weisheit an
Bord befanden?
Die gigantische Kugel stieß weiter und weiter in den Raum hinaus. Mom, die große Stadt auf
Esmaladan, schien blitzartig zu schrumpfen. Schon war der ganze Kontinent zu übersehen,
jetzt Teile der angrenzenden Meere.
»Raumer der Utaren gehen auf Kollisionskurs«, brüllte der Ortungsoffizier. Weitere Daten
kamen. Neep hörte nur mit halbem Ohr zu. In Gedanken verdammte er Sergeant Bracks, der
in einer entscheidenden Minute den Kopf verloren hatte.
»Major, 2, 8, und 34 kommen nicht mehr mit.« Kerrs Stimme überschlug sich. Verzweifelt
deutete der Leutnant auf drei grellrot blinkende Kontrollen. Ihr Leuchten war nicht zu
übersehen.
Neep konnte auf kein einziges seiner As-Onen-Triebwerke verzichten.
»Notimpuls!« schrie er zurück. »Geben Sie Notimpuls. Wenn es sein muß, immer wieder!«
276
»Major, die Waffensteuerung...« erklang es über die Bordverständigung.
Neep explodierte!
Waren seine Männer denn alle am Überschnappen?
»Ich werde jeden vor Gericht bringen, der ohne meinen ausdrücklichen Befehl das Feuer
eröffnet.«
Aber auch seine bewährten Offiziere waren nervös.
»Und wenn uns das Nor-ex angreift, Kommandant?« kam es zurück.
»Das...«
Jemand hatte in die Zukunft gesehen.
Ein Nor-ex griff nach Mom, der größten Stadt auf Esmaladan - und gleichzeitig nach der
BERNHARDTS STAR! Jeder Kommandant wußte, daß nur paar höllisch kurze Sekunden zur Verfügung standen, um
nicht nur diesem Unheil zu entkommen, sondern auch das Nor-ex durch vollen To-
Funkbeschuß zu vertreiben.
Neep und seine Offiziere reagierten vollkommen automatisch, als die Meldung durch die
Zentrale gellte:
»Ein Nor-ex greift Mom und uns an.«
A-Grav wieder auf maximale Leistung. Herunterschalten aller As-Onen-Triebwerke unter
zehn Prozent! Reserve I, II, III, IV und V frei! Fünfmal flog ein Hebel hart gegen den
Anschlag. Im Schiff schienen Explosionen stattzufinden. Alle Konverter wurden bis zum
Maximum hochgefahren, auch das allerletzte Notaggregat, das nur in Katastrophenfällen
benutzt werden durfte. Automatische Feuerfreigabe an alle To-Funk-Kanonen.
Kontrolle der Außenhaut des Schiffes.
»Elox-Fläche breitet sich im Sektor drei aus, Major.«
Sie hatten höchstens noch fünf oder sechs Sekunden Zeit.
»Ziel erfaßt. Distanz 200 000 Kilometer.«
Der entscheidende Augenblick war da.
Reichte die Zeit noch aus, um das Nor-ex zu vertreiben?
»Angriff!«
Auch Neeps Instrumentenpult zeigte ihn an.
Mit den Notreserven der BERNHARDTS STAR schlugen jetzt über-lichtschnell, durch Tofirit-
Kristalle gebündelt und verstärkt, To
277
Funkstrahlen in dem Nor-ex ein, das in seiner scheinbar unersättlichen Gier versuchte, die
größte Stadt auf Esmaladan verschwinden zu lassen.
»Kommandant, Elox-Fläche breitet sich nicht weiter aus!« Schon nach einer Beschußdauer
von fünfzehn Sekunden diese Wirkung.
Das Nor-ex hatte einen Teil seiner Angriffskraft verloren.
»Kommandant, über sechshundert Pyramidenraumer im Anflug. Schießen seit drei Sekunden
mit allen Waffen und...«
»Funk-Z! Unverzüglich Kontakt mit den anfliegenden Utaren aufnehmen! Sie sollen sofort
die Angriffszone des Nor-ex verlassen.«
Neep erkannte seine eigene Stimme kaum noch wieder.
Und kein einziger Mann hat seinen Raumanzug an, dachte der Major mit zunehmender
Verzweiflung. Wenn es uns erwischt, platzt das Schiff wie eine Seifenblase.
Alarm vom To-Funk-Leitstand!
Drei Kanonen waren ausgefallen. Probleme mit der Funkanlage.
Neep wurde eiskalt. Er brüllte nicht mehr.
»Es geht um unser aller Leben. Mehr habe ich Ihnen nicht zu sagen!«
Er hatte nicht übertrieben.
Neue Meldung von der Außenbeobachtung: Die Elox-Fläche auf der Hülle der BERNHARDTS
STAR breitete sich wieder aus.
Das Schiff lief Gefahr, plötzlich ins Nirgendwo zu verschwinden.
Noch immer keine Meldung vom To-Funk-Leitstand. Keine Meldung, daß der einfliegende
Utaren-Pulk abgedreht und auf Gegenkurs gegangen war.
Da kam eine Meldung - von der Ortung!
»Kommandant, rund ein Drittel des Utaren-Verbandes ist gerade verschwunden.«
Und dann überstürzten sich die Nachrichten.
Der Pulk der Pyramidenraumer hatte abgedreht. Endlich waren die Utaren dem Rat der
Terraner gefolgt, aber ihr Zögern hatte sie rund zweihundert Schiffe der 320-Meter-Klasse
gekostet. Wie groß der Verlust an Personen war, wußte an Bord des terranischen Kreuzers
niemand zu sagen.
Nur noch eine To-Funk-Kanone fiel aus. Der Schaden an den bei 278
den anderen war behoben worden. Neep interessierte nicht, in welchem Bereich der Fehler
gelegen hatte.
Die Ausbreitung der Elox-Fläche auf der Hülle war wieder gestoppt.
Aber was war mit dem Nor-ex los?
Niemand wollte die Meldung von der Ortung glauben.
»Das kann nicht wahr sein!« brüllte Neep. »Das darf nicht wahr sein! Wieso ist das Biest
plötzlich nur noch 90 000 Kilometer von uns entfernt? Habe ich es denn heute nur mit
Nichtskönnern zu tun?«
Da flammten die großen Bildschirme in der Zentrale auf. Etwas zu spät reagierten die
automatisch arbeitenden Blenden.
Mitten im schwarzen All begann es an sechs, sieben, acht - an neun Stellen grell zu leuchten.
Neun formlose Lichtquellen um einen großen schwarzen Fleck herum. Und dieser Fleck
veränderte schlagartig auch sein Aussehen. Grell wie eine weiße Sonne flammte er von
einem Augenblick zum ändern auf, wechselte auf blutrot, zwang die anderen Lichtquellen
auch zu diesem Farbwechsel - und dann gab es in 90 000 Kilometern Entfernung eine
ungeheuerliche Explosion.
In zehn, zwölf oder noch mehr Teilen, einer unförmiger als der andere, zerstob ein
zerrissenes Nor-ex nach allen Seiten und verschwand in einer Serie von
Strukturerschütterungen, die die Meßinstrumente der BERNHARDTS STAR fast durchschlagen
ließen.
Das explodierte Nor-ex hatte das Raum-Zeit-Gefüge verlassen.
Der Angriff auf Mom und den Terra-Kreuzer war abgewehrt worden.
Major Neep begriff nicht, warum er sich über diesen Erfolg nicht freuen konnte. Ihm wollte einfach nicht gefallen, daß das Nor-ex erst nach der Explosion in Strukturerschütterungen verschwunden war. Dabei ahnte er noch nicht einmal, daß er mit seinem Angriff auf das Unheimliche noch mehr Unheil angerichtet hatte als seinerzeit Colo-nel Huxley über dem Planeten Perm. Er strich sich über die Stirn. Leicht abgespannt sah er aus, als er zu Leutnant Kerr sagte: »Ich glaube, jetzt fliegen wir erst einmal nach Mom zurück, laden unsere fünf Utaren aus und sprechen mit dieser Weisheit ein deutliches Wort.« Kerr war Pessimist. »Hoffentlich versprechen Sie sich nicht zuviel 279 von diesen Wesen, und hoffentlich ist Dankbarkeit nicht nur eine Charaktereigenschaft der Terraner.« Langsam ging die BERNHARDTS STAR wieder auf Gegenkurs, um den großen Raumhafen von Mom anzufliegen. Mit eiskalter Förmlichkeit wurde Major Neep von den Utaren empfangen. Mit keinem Wort erwähnten sie, daß sie es allein dem terrani-schen Kreuzer zu verdanken hatten, noch auf Esmaladan zu existieren. Ihre Anklagen drehten sich darum, daß die Menschen ein Tabu verletzt hatten. Neeps Entschuldigung, daß einem seiner Männer die Nerven durchgegangen waren, nahmen sie nicht zur Kenntnis. Die Weisheit, die durch den zeitweiligen Ausfall ihrer geschockten Kollegen nicht beschlußfähig war, erklärte Major Neep für verhaftet. Ga Gasogu erhob sich, winkelte die Arme leicht an und zeigte dem Major seine Handflächen. Sollte das ein Gruß sein? Neep begriff, als er hörte, daß sich der Utare für immer von ihm verabschiedete! »Unsere Mediziner haben erklärt, daß wir in zwei Stunden wieder vollzählig sein werden. Dann wird die Weisheit als Gericht auftreten. Major Neep, es gibt keine Alternative. Die Verletzung des größten Tabus kann nur mit der Zerstörung der Persönlichkeit bestraft wer den. Noch nie in unserer Geschichte ist darin eine Ausnahme gemacht worden.« Die anderen Utaren hatten bewegungslos am hufeisenförmigen Tisch gesessen und ihre blauen Augen auf Neep gerichtet. Als Ga Gasogu wieder Platz nahm, wurde der Kommandant der BERNHARDTS STAR von vier bewaffneten Wächtern hinausgeführt. An der großen Tür wirbelte er herum. Sein Mund war zu einem Protestschrei geöffnet, doch er brachte keinen Ton heraus. Der Hufeisentisch war leer. Die Weisheit befand sich nicht mehr im Saal. Widerstandslos folgte Neep seinen Bewachern. Er zweifelte nicht an Ga Gasogus Worten. Als Mensch ohne Verstand würde er auf Esmaladan sein Leben beschließen. Konnte es eine grauenhaftere Strafe geben? 280 Zum zweitenmal an diesem Tag auf Esmaladan stand Major Neep, Kommandant der BERNHARDTS STAR, vor der Weisheit. Jetzt war sie vollzählig. Vierundfünfzig Utaren regierten Esmaladan und waren gleichzeitig in Sonderfällen das Gericht. Neeps Verstoß gegen eins der Tabus gehörte in den Bereich der Sonderfälle. Der Utare Ga Gasogu blickte ihn an, als sei er ein Fremder. Er gehörte nicht zum Kreis der vernehmenden Utaren, ebensowenig wie die Mitglieder der Weisheit, die auf dem Kreuzer von dem kopflos gewordenen Sergeanten geschockt worden waren. Obwohl bei der Urteilsfindung stimmberechtigt, wie man den Major vorher aufgeklärt hatte, traten sie gleichzeitig als Zeugen auf. Neep schilderte noch einmal den Verlauf der Aktion, die er nicht gewollt hatte. Mit wenigen Sätzen wies er abermals darauf hin, daß die Hauptstadt dieses Planeten ihre Existenz allein dem Eingreifen seines Kreuzers zu verdanken habe, obwohl er sich davon kaum noch etwas versprach. Ga Gasogus Worte hatten es an unmißverständlicher Deutlichkeit nicht fehlen lassen. Nach ihm wurde der erste Utare vernommen, der geschockt worden war. Zwischen seiner
Aussage und der des Majors gab es keinen Widerspruch.
Neep stand an der offenen Seite des großen Hufeisentisches, hinter dem die Weisheit hockte.
Sein Platz war durch ein farbiges Rechteck auf dem Boden gekennzeichnet. Warum er es
unter keinen Umständen verlassen durfte, war ihm nicht gesagt worden. Bewaffnete Utaren
gab es im Saal nicht. Er war mit dem vierundfünfzigköpfigen Gremium allein.
Einmal, während der zweite Utare seine Aussagen machte, flak-kerte in Neep die Hoffnung
auf, seine Besatzung könne ahnen, welches Schicksal ihm bevorstand und ihn in einer
überfallartigen Aktion befreien - aber wußte denn ein Mann an Bord, daß er aus dem Schiff
geholt worden war, um vor Gericht gestellt zu werden? Er hatte es doch selbst erst in diesem
Saal erfahren.
Mitten in diesen Gedanken schreckte Neep auf.
Er konnte den Utaren kaum noch verstehen. Er konnte die Weisheit
281
kaum noch erkennen. Vor seinen Augen begann alles zu verschwimmen.
Und dann wirbelten Nebel um ihn herum, und er fühlte, wie seine Beine ihn nicht mehr
tragen wollten und langsam nachgaben.
Zur gleichen Zeit döste Captain Wrigley im Pilotensessel der BERNHARDTS STAR. In der
Zentrale herrschte Stille. Es gab keinen Gesprächsstoff mehr, und über das Ausbleiben des
Kommandanten machte man sich keine Sorgen.
Gelangweilt betrachtete Wrigley einen der großen Bildschirme, der ihm Mom zeigte. Wie
schon die ganze Zeit herrschte überall nur schwacher Schweber-Verkehr. Wahrscheinlich gab
es nicht viele dieser Fahrzeuge, oder die Utaren hatten aufgrund böser Erfahrungen wieder
gelernt, ihre Beine als Beförderungsmittel zu benutzen.
Er wollte sich schon abwenden, als ihm plötzlich etwas auffiel.
Hatte der Stadtrand von Mom nicht anders ausgesehen als sonst?
Er blickte genauer hin.
»Große Galaxis.« Im gleichen Moment heulte der Alarm durch den Kreuzer.
Mom wurde ein zweites Mal von einem Nor-ex angegriffen!
Der Stadtrand schimmerte in allen Regenbogenfarben und war auf weite Flächen von diesem
teuflischen Eloxat überzogen.
Und wie sah die BERNHARDTS STAR aus?
Die Vorstellung, von einem Nor-ex in unbekannte Tiefen des Raumes gerissen zu werden,
löste bei Wrigley eine Fehlentscheidung aus.
Er hieb auf den Schalter der Bordverständigung.
»To-Funk-Beschuß auf Mom! To-Funk-Beschuß auf Mom«, gellte sein Schrei durch den
Kreuzer!
Es kamen keinerlei Rückfragen. Alle waren von diesem Alarm überrascht worden. In der
Waffensteuerung zeigte es sich, was Drill alles fertigbringen konnte. Die Offiziere und
Mannschaften handelten wie Automaten.
Die Zieloptiken ließen die To-Funkantennen auf Mom einschwenken. Im Schiff brüllten
Transformer, Konverter und Speicherbänke auf. Der Feuerbefehl kam, und aus den Antennen
der Hyperfunkanla 282
ge und den speziellen To-Funk-Kanonen jagten die gebündelten und verstärkten Strahlen zu
der Millionenstadt hinüber.
Die Sekunden rasten dahin.
Wrigley saß wie versteinert in seinem Pilotensitz, nicht fähig, einen klaren Gedanken zu
fassen oder sich zu überlegen, was er befohlen
hatte.
Das Dröhnen, Donnern und Brüllen im Schiff hatte die größte Lautstärke erreicht. Da
schreckte ihn ein Anruf aus der Funk-Z auf.
»Wrigley, die Hyperfunkstation in Cent Field ruft uns mit höchster Sendeleistung. Was sollen
wir tun?«
Unwillkürlich richtete er sich in seinem Sessel auf.
Was sollten sie tun?
Cent Field antworten?
In diesem Moment zerriß der Schleier, der über seinen Gedanken gelegen hatte.
Welchen idiotischen Befehl hatte er gegeben?
Der Kreuzer und die Stadt Mom waren in Gefahr, und er hatte angeordnet, Mom unter To-
Funk-Beschuß zu nehmen?!
Sein Aufschrei blieb ihm im Mund stecken.
Der Stadtrand von Mom war verschwunden! Die Häuser mit den gepflegten Parkanlagen gab
es nicht mehr, aber... Er schloß die Augen, riß sie wieder auf, schluckte, beugte sich vor, bis
sein Gesicht sich ganz dicht vor dem Schirm befand, und versuchte vergeblich, irgendwo
diese in allen Regenbogenfarben schillernde, eloxierte Schicht zu finden.
Wrigley verstand gar nichts mehr.
Noch weniger begriff er, daß der Kreuzer auf dem Landefeld stand.
Aber mit dem Raumhafen hatte sich doch etwas geändert.
Hilflos drehte er sich um, winkte den Mann zu sich heran, der am nächsten hinter ihm stand.
»Sehen Sie sich das mal an! Fällt Ihnen etwas auf?«
»Sterne und Boliden, das Hafengebäude ist ja verschwunden, und wie sieht denn die Stadt
aus. Da fehlt doch auch etwas.«
Die Raumhafengebäude von Mom existierten nicht mehr.
Wrigley fragte unsicher über die Bordverständigung: »Greift das Nor-ex noch an?«
283
Irgendwer in der Funk-Z fluchte drastisch. Dann kam die Erklärung, und in der Zentrale der
BERNHARDTS STAR fluchte man auch.
Keine Spur von einem Nor-ex oder dem verschwundenen Stadtrand von Mom. Über den
Bildschirm sah man nur den aufgewühlten Boden, die gewaltigen Krater, über denen einmal
Gebäude gestanden hatten.
Jeder im Kreuzer war aufgeregt, am stärksten Wrigley, der mit seiner Fehlentscheidung
zugleich eine wichtige Entdeckung gemacht hatte.
Das Nor-ex konnte einen bestimmten Bereich nicht angreifen und verschwinden lassen, wenn
dieser Sektor unter stärkstem To-Funk-Beschuß lag.
Aber was war mit den Utaren passiert, die sich in dem bestrahlten Gebiet aufgehalten hatten?
Lebte überhaupt noch ein einziger? Und was war aus ihrem Kommandanten geworden?
Kerr stieß seinen Kollegen an.
Wrigley kniff die Augen zusammen.
Ein Schweber raste aus Mom kommend auf den Landeplatz ihres Raumers zu.
Die Spannung in der BERNHARDTS STAR stieg wie die Säule eines Fieberthermometers.
Das Ellipsoid landete.
Drei kleine Utaren stiegen aus, und dann folgte ihnen Major Neep, und ihr Major hatte es
tatsächlich eilig, ins Schiff zu kommen. Um seine Begleiter kümmerte er sich nicht. Er rannte
an ihnen vorbei. Er warf sich in die Plus-Sphäre des A-Grav-Schachtes, erreichte die Zentrale
und brüllte: »Alles klar machen zum Start. Kurs Terra.«
Hilflos wie kleine Kinder standen Ga Gasogu, Ya Yaki und Mu Mudo in der Zentrale der
BERNHARDTS STAR.
Mit kühlen Blicken verfolgten sie die Startvorbereitungen.
»Was ist denn passiert?« fragte Wrigley, als er die letzte Kontrolle durchgeführt hatte.
»Was passiert ist?« orgelte Neep nicht gerade freundlich und warf den Utaren böse Blicke zu.
»Endlich sind sie vernünftig geworden. Aber erst mußte halb Mom verschwinden, bis sie
ihren Verstand wiederfanden. Ein Glück, daß das Nor-ex nicht gefräßiger war. Aber
284
daß es einen Mann von den Beinen haut, habe ich am eigenen Leib
erfahren.«
»Irrtum«, widersprach Wrigley; jetzt hieß es Farbe bekennen. »Ich hatte einen falschen
Befehl gegeben. Mom lag unter unserem To-Funk-Beschuß, und der muß dem Nor-ex nicht
bekommen sein.«
Fragend blickte der Kommandant seinen Ersten Offizier an. »Sie haben diesen blödsinnigen
Befehl gegeben? Sie waren das? Okay, das wird unsere Wissenschaftler auf Terra
interessieren.«
Damit war das Gespräch beendet.
Die BERNHARDTS STAR war startklar.
Die As-Onen-Triebwerke brüllten auf, wurden wieder abgeschaltet, und dann rissen
titanische A-Grav-Kräfte den Abermillionen Tonnen schweren Raumer in die Luft.
Die BERNHARDTS STAR verließ Esmaladan und nahm Kurs auf das Sol-System.
285
19. Dharks Vipho meldete sich mit höchster Dringlichkeitsstufe.
Durchruf von der PoiNT OF! Über die Echokontrolle hatte man 0,3 Lichtjahre vor dem Sol-
System ein Nor-ex geortet!
»Komm!« sagte Ren Dhark und zog Dan Riker hinter sich her.
Riker staunte, daß sein Freund nicht den Weg zum A-Grav-Lift einschlug.
Vor einer Tür, die wie alle anderen auf diesem Gang aussah, blieb der Commander stehen.
Kurz war sein Zögern, dann öffnete sie sich automatisch, und der erstaunte Dan Riker sah,
daß mitten im Raum ein kleiner Transmitter stand.
»SchnellVerbindung zur PoiNT OF!«
Sie bemerkten nichts von den Kontrollen, die sie durchliefen. Dhark schaltete den
Transmitter auf Betrieb. Grün kam. Ein Zeichen, daß die Gegenstation auf seinem
Flaggschiff arbeitete. Nach einer kaum angedeuteten Kopfbewegung zu seinem Freund trat
der Commander durch die graue Ringantenne und verschwand.
Riker folgte ihm ohne Zögern.
Auf dem Hauptdeck, in einer Kabine, die vorher von einem der Offiziere bewohnt worden
war, kamen sie auf dem Ringraumer an. Beide jagten über den leicht geschwungenen Gang
der Kommandozentrale zu. Unterwegs hörten sie schon, wie Aggregate und Transformer im
Schiff hochgeschaltet wurden.
Es fehlten nur noch ein paar Kontrollen, um mit der PoiNT OF starten zu können.
Starten, schoß es Dan Riker erst jetzt durch den Kopf.
»Ren, was hast du vor?«
»Nicht viel«, erwiderte Dhark; in seinen braunen Augen leuchtete ein grelles Feuer.
»Wirklich nur eine Kleinigkeit. Ich will versuchen, in das Nor-ex hineinzufliegen!«
286
»Ren, bist du verrückt?«
»Möglich, aber einer muß mit den Verrücktheiten ja mal anfangen, sonst erfahren wir nie,
was ein Nor-ex wirklich ist!«
Captain Wan Chi, ein kleiner, drahtiger Mongole, hatte Dienst in der Distanzortung der
Raumradarstation auf Pluto. Noch nie hatte er eine derartige Erregung in sich verspürt wie
bei dieser Schicht.
Mit der Ortung verfolgte er den Flug des Ringraumers, der quer durch das Sonnensystem mit
kontinuierlicher Beschleunigung Kurs auf den fernen Punkt hielt, wo sich ein Nor-ex
befinden sollte.
Auf die Sekunde genau konnte man ausrechnen, wann die POINT OF die Grenze der
Lichtgeschwindigkeit überschreiten würde.
Langsam richtete sich Wan Chi auf, beugte sich vor und brachte sein Gesicht dicht an den
Oszillo. Die Distanzortung zeigte plötzlich drei verschiedene Werte, deren Unterschiede sich
ebenfalls kontinuierlich vergrößerten. Aber nach wie vor sah er auf seinem Schirm nur jenen
winzigen leicht flirrenden Punkt, der die POINT OF darstellte.
Wan Chi rief seinen Kollegen von der Energieortung an.
»Können Sie mir sagen, was bei der PoiNT OF geschehen ist? Ich habe auf einmal drei
verschiedene Werte.«
»Kann ich«, kam die Antwort. »Der Ringraumer hat zwei Flash ausfliegen lassen. Jeder zieht
auf eigenem Kurs über Grün und Rot ab. Scheint eins der üblichen Manöver zu sein.«
Wie sich dieser Captain an der Energieortung irrte!
Die Echokontrolle in der POINT OF lief ununterbrochen, und über To-Funk wurde Cent Field
die Position des Nor-ex fortlaufend mitgeteilt.
Ren Dhark saß lässig im Pilotensitz. Neben ihm, wie schon so oft, Dan Riker. Bis auf ein
paar Mann, auf die der Commander verzichten konnte, war die Besatzung vollständig. Kurz
vor dem Start hatte er die Männer von seinem Plan unterrichtet und wie üblich auch die Frage
gestellt, wer von Bord gehen wolle, weil ihm dieser Einsatz zu gefährlich sei.
Niemand hatte sich gemeldet.
287
Der Commander hatte nichts anderes erwartet.
Über die Bordverständigung meldete sich jetzt Walt Brugg aus der Funk-Z. »Dhark, es wäre
uns lieb, wenn Sie mal rüberkommen würden, um sich etwas anzusehen.«
»Ich komme!«
Dan Riker übernahm den Ringraumer. Mit schnellem Schritt verließ Ren Dhark die
Kommandozentrale und suchte die Funk-Z auf.
Glenn Morris und Walt Brugg beugten sich über die Echokontrolle. Sie sahen auf, als der
Commander sich zu ihnen stellte. Brugg deutete auf eine Nebenamplitude.
»Dieser Blip ist erst einige Minuten alt. Wir hatten ihn zuerst nicht beachtet. So was kommt
hin und wieder schon mal vor, verschwindet dann aber immer nach kurzer Zeit. Dieser Blip
aber nicht. Der ist sogar in der letzten Minute bedeutend kräftiger geworden.«
Dhark fragte: »Einwandfrei vom Nor-ex?«
»Ja«, erwiderte Glenn Morris. »Wir haben ein halbes Dutzend mal kontrolliert. Der Teufel
soll's holen!«
Dhark überlegte kurz, trat an die Bordverständigung und rief Dan Riker. Der begriff sofort,
betrachtete die Außenfläche des Ringraum-ers und teilte Dhark mit, daß auf der Unitallhülle
noch kein Norexal zu sehen sei.
Dhark nickte und trat wieder zu den beiden Funkspezialisten. »Also im Moment kein Angriff
auf unser Schiff. Gut, daß Sie mich gerufen haben. Behalten Sie diesen Blip im Auge; sofort
Nachricht an mich, wenn sich etwas ändern sollte.«
Als er die Funk-Z Richtung Leitstand verließ, konnte auch er sich keinen Reim auf diese
Erscheinung machen. Eine Idee schoß ihm durch den Kopf. Und die setzte er in die
Wirklichkeit um, kaum daß er wieder im Pilotensitz Platz genommen hatte.
Er rief das Flash-Depot an. Pjetr Wonzeff und Rul Warren. Sie sollten mit der 004 und 005
über Grün und Rot die PoiNT OF verlassen und so lange unverändert den Kurs beibehalten,
bis sie andere Befehle erhielten. Der Commander legte ihnen ans Herz, ununterbrochen über
die Echokontrolle das Nor-ex zu beobachten und sofort, nachdem die PoiNT OF in Transition
gegangen war, auf Cent Field zu schalten.
288
»Unsere To-Funkstellungen müssen unterrichtet bleiben, wo sich das Ding aufhält. Alles
klar?«
Ein zweifaches Okay. Dhark und Riker sahen sich schmunzelnd an. Auf diese beiden Flash-
Piloten war in jeder Lage Verlaß. Der Auftrag lag bei ihnen in besten Händen.
Dann sah Riker überrascht auf, als der Commander die Leistung des Sie verringerte. Die POINT
OF wurde langsamer.
»Ich dachte, du wolltest transitieren, Ren?«
»Ja, aber erst, wenn das Nor-ex angreift.«
Dan Riker verzog das Gesicht. »Das gefällt mir nicht. Untersucht man eine Atombombe in
dem Augenblick, in dem sie explodiert?«
»Ist das Nor-ex eine Atombombe?«
»Auf jeden Fall kein Schoßhündchen, das sich streicheln läßt!«
Dieser Hinweis war berechtigt! Aber konnte man ein Etwas, dem man den Namen Nor-ex das Nichtvorhandensein - gegeben hatte, überhaupt mit normalen Maßstäben messen?
Nach wie vor war die Position des Nor-ex unverändert. Ein Drittel Lichtjahr vor dem
Sonnensystem. Inzwischen schon über zwei Stunden. So etwas war noch nie beobachtet
worden - oder man hatte es einfach übersehen.
Die Funk-Z schwieg. Ren Dhark unterdrückte den Wunsch, nachzufragen. Wie befohlen,
gaben die beiden Flash regelmäßig ihre Positionen durch. Marschall Bulton belästigte sie
nicht mit Anfragen. Die PoiNT OF kam der Plutobahn immer näher. Nur die Raum-
Radarstation II auf Pluto hatte sich vor wenigen Minuten mit der Nachricht gemeldet: Haben
Schiff genau in allen Ortungen!
Pluto stand fast genau zwischen der Erde und dem Nor-ex. Wenn das Ungeheuer angriff,
befand sich der Eisplanet trotz seiner starken To-Funk-Bewaffnung in größter Gefahr.
In der Zentrale breitete sich Stille aus. Dieser Flug in den Raum war etwas anderes, als Kurs auf einen Pulk feindlicher Raumschiffe zu nehmen. Hier flog man auf etwas zu, das niemand kannte. Dan Riker knurrte vor sich hin. Dhark hatte kein Wort verstanden. Fragend blickte er seinen Freund an. »Ich mußte an die Synties denken. Ob's die inzwischen auch erwischt hat?« 289 »Hoffentlich nicht. Wenn ich ehrlich bin, dann warte ich darauf, daß sie sich mit uns in Verbindung setzen. Vielleicht wissen sie mehr über das Nor-ex als wir.« Diese grauweißen, zwei Meter langen und einen halben Meter dik-ken Tropfen stellten eine Lebensform dar, die wahrscheinlich einmalig im Universum war. Dan Riker bewies, daß er ganz anders über die Synties dachte als Ren Dhark. »Haben sie sich schon einmal blicken lassen, wenn wir sie herbeiwünschten?« Dhark lächelte, während sein Blick wieder einmal die Kontrollen seines Instrumentenpults überflog. »Sie trauen uns Menschen eben mehr zu als wir uns selbst. Vielleicht sind sie sogar überzeugt, daß wir spielend leicht mit den Nor-ex fertig werden...« Er wollte es wagen, im Nor-ex zu rematerialisieren. Er wollte in das Unheimliche hineinfliegen, das Städte, Flotten und Menschen verschlungen hatte. Sein Entschluß konnte die Besatzung und sein Schiff vernichten. Es war womöglich gefährlicher, nach einem Sprung im Nor-ex zu rematerialisieren, als im Schutz der Intervallfelder durch eine Sonne zu fliegen. Es hatte ihn etwas beruhigt, daß der Checkmaster die Sprungkoordinaten ausgerechnet hatte. Aber hatte derselbe Checkmaster beim Auftauchen des ersten Nor-ex nicht erklärt, diese unbekannte Gefahr nicht zu kennen? Unwillkürlich wanderten Dharks Gedanken zu den Mysterious, den Erbauern dieses Raumschiffes, das vielleicht einmalig in der Galaxis war. Und zugleich erinnerte er sich an den Bericht Major Neeps, was dieser auf dem Planeten Esmaladan von den Utaren über die Mysterious erfahren hatte. Er fühlte sich innerlich von vielen Wenn und Aber hin und her gerissen und mußte doch zu einem Entschluß kommen. Den Impuls brachte Glenn Morris aus der Funk-Z. »Dhark, der Blip über der Hauptamplitude beginnt schwächer zu werden!« Wieder eine neue Frage! 290 War die Abschwächung dieses Blips das erste Zeichen, daß das Nor-ex zum Angriff auf das Sol-System überging? »Wir springen!« Dharks Stimme klang sicher und laut. Ein Steuerschalter wurde durch Fingerdruck in eine andere Lage gebracht. Der Sie wurde auf Vollast geschaltet. Der Ringraumer beschleunigte mit maximaler Leistung. Die X-Zeit für den Sprung lief, gesteuert vom Checkmaster. Die Distanz zum Nor-ex hatte sich nicht verändert. In der POINT OF setzte wieder das Pfeifen ein, das in allen Räumen gleich gut und laut zu hören war. Dann wurden die beiden Intervalle automatisch abgeschaltet. Die Bildkugel über dem Instrumentenpult wurde dunkel. Es schien den Weltraum mit seinen Abgründen und Quadrillionen von Sternen nicht mehr zu geben. X minus Null! Transition! Ohne Schock. Ohne jede spürbare Wirkung!
Die Bildkugel flammte wieder auf, aber die Intervalle kamen nicht!
»Checkmaster zeigt Rot! Überall!« Ein Schrei vom Rechengehirn. Ein Blick auf die
Bildkugel. Sie war schwarz! Sie zeigte nichts!
Unheimlich das unablässige Flackern der roten Kontrollen am langgestreckten
Instrumentenpult.
Sie hatte ausgesetzt! Die POINT OF trieb im freien Fall dahin!
Wo? Im Nor-ex?
Ren Dhark glaubte, eine Eiskompresse würde sich um sein Herz legen. Zusammengekauert
saß er im Pilotensitz.
»Congollon, wie sieht es bei Ihnen aus?« lautete seine Frage an den Bord-Ingenieur der
POINT OF.
»Alles normal - mit dem Unterschied, daß hier nichts mehr reagiert. Die Aggregate scheinen
zu arbeiten, nur zeigen sämtliche Instrumente Null.« Den Eurasier schien das nicht besonders
aufzuregen.
»Was sagt Doorn?«
»Wie üblich kein Wort.«
»Wie sieht's bei Ihnen aus, Grappa?«
»Alles auf Null!«
Frage an die Funk-Z: »Und wie steht's bei euch?«
»Alles auf Null!«
Das hieß, daß sie auch keine Verbindung mehr mit Terra hatten!
291
Unheimlich die Stille in der Kommandozentrale.
War es ein Trost, daß sie alle noch lebten?
Es war eine Wohltat, wieder die Stimme des Commanders zu hören, der Dan Riker den
Befehl gab. »Schalte auf Sternensog!«
Sternensog kam nicht!
Der Checkmaster versagte. Er wurde mit dieser Situation auch nicht fertig.
»Waffensteuerungen! Versuchen Sie drei Sekunden lang mit allen To-Funk-Kanonen zu
schießen!«
Ren Dhark wartete auf die Antwort. Er kannte sie im voraus.
Die To-Funkkanonen arbeiteten nicht!
Und die Bildkugel war und blieb schwarz. Sie zeigte nicht eine einzige Sonne. Sie zeigte nur
ein Schwarz, das selbst dem Commander unheimlich wurde.
»Dan, paß auf!« Dharks Stimme klang leicht gepreßt. Viele kleine Schweißperlen standen auf
seiner Stirn. Er verließ den Pilotensitz und ging zu den Ortungen, hinter denen Grappa saß,
die Hände im Schoß. Der Blick, den er dem Commander zuwarf, sprach Bände.
»Machen Sie Platz!«
Dhark fühlte die Blicke seiner Offiziere auf sich ruhen.
Auch das belastete ihn. Aber noch furchtbarer traf ihn die Erkenntnis, daß sogar der Raum-
Controller ausgefallen war.
Alles auf Null!
»Mein Gott«, kam es leise über seine Lippen. Zurück zum Pilotensitz. Anruf an Miles
Congollon.
»Verlieren wir Energie, Miles?«
»Nein!«
Wieder war er um eine Hoffnung ärmer.
Befanden sie sich im Innern des Nor-ex? Oder hatte das Nor-ex sie in dem Moment, als sie in
ihm rematerialisierten, ins Nirgendwo geschleudert, wo sich die FO-1, die anderen Raumer
und die Städte und Flotten fremder Rassen befanden? Gab es im Nirgendwo nur Schwärze?
War es ein anderes, unsagbar fremdes Kontinuum?
Er ballte seine Hand und schlug damit gegen die Verkleidung des Instrumentenpults.
Es war und blieb massiv!
292
Ich Narr, dachte er, vielleicht erzeugen nur unsere Vorstellungen im Unterbewußtsein alle
diese Bilder. Vielleicht ist die POINT OF nur noch ein Schatten. Aber konnte es in lichtlosem
Dunkel Schatten geben?
Das Bordchrono zeigte die 27. Minute an.
Seit fast einer halben Stunde Normzeit befanden sie sich in der Schwärze.
Doch galt hier noch die Zeitkonstante? Hatte sie in diesem Bereich die gleichen Werte wie
im Einstein-Kontinuum? Vielleicht waren erst Sekunden vergangen, und sie hatten sie nur so
lang empfunden...
Seine Fingerspitzen lagen auf den Steuerschaltern.
Schalten! Schalten! Schalten...
Er probierte alles, und seine Offiziere standen dicht gedrängt hinter ihm, blickten ihm über
die Schulter und hofften genau wie ihr Commander auf ein Wunder.
Nichts geschah. Im Innern der POINT OF nicht und auch draußen nicht! Wieso funktionierte
dann die Bordverständigung noch?
Dhark rief die Wissenschaftler in die Zentrale. Er brauchte ihnen ihre Lage nicht zu erklären.
Doch auch die Wissenschaftler wußten keinen Rat.
»Danke...« Es klang nicht ironisch, nur müde.
Er ging hinüber zum Checkmaster.
Aber auch das Bordgehirn der Mysterious gab ihm keine Auskunft. Die Rotkontrollen
schienen ihn zu verhöhnen.
Er zeigte seine Entmutigung nicht. Der Reihe nach sah er seine Offiziere an, dabei umspielte
ein dünnes Lächeln seinen Mund. »Wir werden abwarten müssen. Das Nor-ex wird sich bei
uns auf irgendeine Art melden. Ich bin überzeugt...«
»Dhark, kommen Sie doch mal in den Triebwerksraum, ja?« Das war Miles Congollon.
»Ich komme!« Er wandte sich an Dan Riker. »Übernimm bitte«, und dann ging er.
Er war so ehrlich, sich einzugestehen, daß er gern die Kommandozentrale verließ. Er
brauchte ein paar Minuten des Alleinseins; er mußte selbst neuen Mut schöpfen.
Aber hatte es überhaupt Sinn, noch Hoffnung zu haben?
293
Raum-Radarstation I und II auf Pluto gaben Alarm nach Terra!
Die POINT OF war gesprungen, aber ihr Eintauchpunkt ins normale Universum hatte nicht
mehr angemessen werden können!
Marschall Bulton brüllte über To-Funk: »Was sagen die beiden Flash, die vor der Aktion den
Ringraumer verlassen haben? Rufen Sie mich wieder an, wenn Sie Verbindung mit den
Blitzen haben! Aber beeilen Sie sich! Und wie sieht es mit dem Nor-ex aus?«
»Position unverändert.«
»Beeilen Sie sich!« drohte Bulton noch einmal und schaltete ab.
Noch machte sich niemand im Stab der TF große Sorgen um die Besatzung des Flaggschiffs
und den Commander. Zu oft schon war Ren Dhark vermißt worden. Bisher war er immer
zurückgekehrt.
Pjetr Wonzeff und Rul Warren fingen die Anrufe der Stationen auf Pluto auf. Wonzeff in der
004 übernahm den Fall.
»Wir haben den Ringraumer auch aus unseren Ortungen verloren, aber seinen Eintauchpunkt
ins Einstein-Universum anmessen können. Die POINT OF steckt im Nor-ex...«
Marschall Bulton erhielt wenig später diese Auskünfte überspielt. Er hütete sich, am Plan des
Commanders Kritik zu üben, aber Gefallen fand er daran nicht.
Ren Dhark betrat den Triebwerksraum seines Flaggschiffes, der auf der anderen Seite der
Ringröhre lag.
Niemand sah auf, als er eintrat; niemand hatte etwas zu tun. Sie standen herum. Was sich in
ihren Köpfen abspielte, konnte der Commander sich leicht vorstellen.
Er selbst wurde von der Frage beherrscht: Wie kommen wir wieder nach Terra zurück?
Er sah zu den Kontrollen hinüber und konnte Miles Congollon nirgends entdecken. Sein
forschender Blick wurde bemerkt. Der Mann war unterrichtet, daß der Chief den Commander
gebeten hatte, in den Triebwerksraum zu kommen.
»Auf der ersten Galerie, aber auf der anderen Seite...«
Dhark ging um den mächtigen Triebwerkssatz herum und stieg zur ersten Galerie hoch.
294
Congollon und Doorn kehrten ihm den Rücken zu; sie waren intensiv mit einer Arbeit
beschäftigt.
»Congollon«, machte sich Dhark bemerkbar. Der Chefingenieur der POENT OF rückte nur
ein wenig zur Seite, sagte jedoch kein Wort.
Nur Doorn arbeitete, der Mann mit der phänomenalen Fähigkeit, unglaublich schnell Kontakt
zu Geräten und Instrumenten zu finden, deren technische Arbeitsweise ihm unbekannt war.
Aber im Fall der Mysterious-Technologie hatte er nur selten sein unerklärliches Können
unter Beweis gestellt.
Doorn nahm gerade einen Schachtelsatz heraus, der typisch für die Technik der
Geheimnisvollen war, und legte ihn zur Seite. Danach entfernte er noch drei weitere. Ren
Dhark konnte sich nicht erklären, warum der rothaarige Sibirier am Triebwerk montierte. Er
und Doorn waren die einzigen Menschen, die durch intensivstes Studium nach Einnahme der
Mentcaps einen kleinen Überblick über die Funktionen der POINT OF hatten, aber die meisten
Zusammenhänge waren ihnen unbekannt geblieben, da das Mentcap-Archiv nicht vollständig
war.
Er legte Doorn die Hand auf die Schulter. »Was soll das, Doorn?«
»Mal sehen...« Diese Antwort war typisch für den wortkargen Mann, der sich auch vom
Commander der Planeten nicht bei seiner Arbeit stören ließ.
Congollon stieß Dhark leicht an und winkte ihn mit einer Kopfbewegung zurück. Sie
entfernten sich bis zum Geländer der Galerie.
»Deswegen haben Sie mich gerufen?« Dharks Ton war vorwurfsvoll. »Sie wissen doch, in
welcher Lage wir uns befinden.«
»Natürlich.« Der Eurasier sah ihn aus seinen melancholischen Augen nachdenklich an. »Ich
hatte zunächst auch gezögert, Sie anzurufen. Doorn machte nur eine Bemerkung. Er sprach
davon, die Emissionen der Flächenprojektoren umzupolen...«
»Aber was will er denn damit erreichen, Congollon?« unterbrach ihn Dhark. »Das ist doch
Unsinn. Strahlen kann man nicht umpolen.«
Kamen Congollon Bedenken? »Vielleicht hat er sich ungenau ausgedrückt?«
»Congollon!« Dhark sah dem Ingenieur scharf in die Augen. »Sind Sie auch schon ohne
Hoffnung? Haben Sie Angst?« Sie waren zusammen auf Deluge gewesen. Sie hatten im
Höhlensy
295
stem gemeinsam die Hölle durchlebt, während Roccos Komplicen sie gejagt hatten.
Diese Erlebnisse hatten die Männer zusammengeschweißt. Und für diese Männer war Ren
Dhark nicht der Commander geworden, sondern der Partner geblieben.
Nur so war zu verstehen, daß Miles Congollon ihm entgegnete: »Dhark, ich habe nicht mehr
Angst als Sie! Und diese Frage stellen Sie mir nicht noch einmal. Es tut mir leid, daß ich Sie
gerufen habe!«
Der Commander wurde blaß. Congollons Worte hatten ihn getroffen.
»Congollon, ich...«
Abrupt wandte er sich ab, ging die Galerie entlang.
Wurde da sein Name gerufen?
»Dhark!... Dhark!... Kommen Sie doch mal her!«
Der Sibirier rief ihn.
Er ging weiter. Schritte folgten ihm. Eine kräftige Hand packte seine Schulter, riß ihn herum.
Er blickte in das grobporige Gesicht des Sibiriers, sah dessen platte Nase, die roten Haare
und zischte:
»Was soll das?«
Aber an der Sturheit Doorns prallte alles ab.
»Ich will Ihnen etwas zeigen...«
Er zog Ren Dhark mit sich. Wieder sah der Commander die Öffnung im gigantischen
Triebwerk; wieder sah er einige Schachtelsätze am Boden liegen. Doorn nahm einen
Schachtelsatz in die Hand.
»Erinnern Sie sich, Dhark... Projalischer Circ-Zerhacker. Eingebaut vier Trad-Elemente zur
Steuerung der Beschleuniger...«
Zwei Menschen unterhielten sich in einer fremden Sprache. Der eine verstand den anderen.
In Dhark erwachte das Interesse. Einmal blitzte es in seinen Augen auf. Gerade hatte ihm
Doorn bestätigt, daß Congollon ihn falsch verstanden hatte.
Are Doorn hatte nicht von einer Umpolung der Emissionen gesprochen, die die
Flächenprojektoren abstrahlten.
»Dhark, wenn ich es schaffe, die Flächenprojektoren...«
Das Spezial-Vipho des Commanders schlug an. Dan Rikers Stimme erklang. »Ren, komm
sofort zurück in die Zentrale. Wir stecken mitten im Nor-ex. Verdammt, Ren, mittendrin!«
296
Der Commander jagte aus dem Triebwerksraum über das leicht gekrümmte Deck und
spurtete zur Zentrale zurück.
Das Schott sprang auf. Das erste, was er sah, war die Bildkugel.
Sie glühte dunkelrot! Sie zeigte nur diese Farbe, nichts anderes. Aber dieses Rot war
unheimlich. Es war wie eine tödliche Drohung.
Er warf sich in den Pilotensessel. Die Kontrollen auf dem Pult zeigten rot. Die Kontrollen am
Checkmaster sahen so aus wie zu dem Zeitpunkt, als er den Leitstand verlassen hatte. Auch
das geniale Bordgehirn wurde mit diesem Fall nicht mehr fertig.
Dan beugte sich zu seinem Freund. »Es kam ohne Übergang. Zuerst war es viel heller; dann
wurde es allmählich immer dunkler. Während dieses Prozesses machte Grappa ein paar
kleine Beobachtungen. Die Energieortung sprach an. Und die Distanzortung! Demnach ist
das Nor-ex ein unregelmäßiger Kugelkörper mit einem Durchmesser von zirka 8,5
Kilometern. Mitten drin stecken wir. Wenn...«
Er verstummte und starrte die Unitallwand an. Kein Ton kam mehr über seine Lippen.
Ren Dhark dachte pausenlos: Ich werde verrückt... Ich werde verrückt!
Das dunkelrote Glühen kam in die Kommandozentrale... es kam durch die halbmeterdicke
Unitallwand.
Das Nor-ex kam in die PoiNT OF herein!
Das Unitall war für das Ungeheuer kein Hindernis! Es schien nicht einmal vorhanden zu sein.
Dhark hörte das Stöhnen seines Freundes, hörte unterdrückte Schreie. Zu groß war das
Grauen, das auf sie zukam.
Die Bordverständigung war ein einziges Tohuwabohu. Anfragen aus allen Abteilungen.
Schreie, Flüche.
Dhark fühlte das Grauen über seinen Rücken kriechen und dort liegenbleiben wie eine
schmutzige, schleimige Haut.
Seine bewährte Besatzung stand dicht vor der Panik. Er war auch nicht mehr weit davon
entfernt. Am liebsten hätte er seinen Pilotensitz verlassen und wäre davongelaufen... nur weg
von dem Dunkelroten, das sich immer stärker in der Kommandozentrale ausbreitete!
Sah so wirklich ein Nor-ex aus?
Dunkelrot? Und glühend dazu?
297
»Commander... Dhark... Dhark, wir verlangen Auskunft! Warum antworten Sie nicht...?«
Eine Stimme aus der Verständigung hatte lauter als alle anderen geklungen.
Diese Stimme - Dhark wußte nicht, wem sie gehörte - zwang ihn brutal in die Rolle, die er
freiwillig übernommen hatte:
Commander der Planeten. Seine Lippen berührten beinahe die Sprechrillen, als er über die auf Rundspruch geschaltete Anlage rief: »Männer, soll die Flotte erfahren, daß die Besatzung der PoiNT OF in Panik geraten ist? Niemand weiß im Augenblick, wie wir nach Terra zurückkommen. Niemand kann das dunkelrote Glühen erklären, das ins Schiff einbricht. Aber noch leben wir alle. Und heißt es nicht: Der Terraner stirbt erst dann, wenn er die Hoffnung aufgegeben hat? Männer, mehr habe ich euch im Augenblick nicht zu sagen. Nur noch eins: Ich erwarte, daß jeder seine Aufgabe erfüllt...« Ich hab' gut reden, dachte er, als er sich zurücklehnte und die Augen weit aufriß. Das Dunkelrot hatte sich in der Kommandozentrale verdichtet. Das Dunkelrote lag im Kampf mit der Beleuchtung und war auf dem besten Weg, das normale Licht zu verdrängen. »Grappa, die Ortungen...« »Null!« Verbindung zur Funk-Z: »Immer noch kein Kontakt mit Terra möglich?« Auch von dort postwendend die Erwiderung: »Dhark, das Nor-ex muß Hyperraum-Charakter haben.« Der Commander horchte auf. Walt Brugg hatte hastiger als sonst gesprochen. »Wir haben noch einmal alles überprüft. Unsere Funkanlagen arbeiten, auch der To-Funk, nur wird alles reflektiert. Wir kommen über die Distanz von vier Kilometern nicht hinaus...« »Reflektiert, haben Sie gesagt?« Sehr laut hatte Ren Dhark seine Frage gestellt. Er wurde sich dessen erst bewußt, als er es in seinen Ohren gellen hörte. Aber er gab nichts darum. In diesem Moment nicht. Sollten seine Offiziere ruhig erkennen, daß auch in ihm alles fieberte und bis zum Zerreißen gespannt war. 298
»Einwandfrei. Kommt mit fast 100 Prozent zurück, wenn Messungen in diesem Biest
überhaupt stimmen!«
»Reflektiert...?« Eine kurze Pause, dann sein knappes: »Danke.«
Er sprang auf, vergaß sogar zu Dan ein einziges Wort zu sagen, vergaß anzugeben, wo er im
Schiff zu finden sei, und rannte aus der Zentrale.
Hinter seiner Stirn hämmerte ein einziger Begriff:
Reflektiert... reflektiert... reflektiert... Er jagte über das Hauptdeck. Er jagte durch das Dunkelrote, das glühte und immer intensiver
wurde.
Er lief um das Leben seiner Besatzung, um sein Leben und um die Existenz der POINT OF.
Reflektiert... Reflektiert... Rul Warren in seiner 005 unterhielt sich mit Pjetr Wonzeff. Jeder flog genau auf dem vorgeschriebenen Kurs. Das Sonnensystem lag weit hinter ihnen, und Sol war nur noch ein Stern unter vielen. Vor ihnen lag die Unendlichkeit des Weltalls mit seinen Millionen von Gala-xien. Kalt und unbeweglich stand über ihnen das breite Band der Milchstraße, dieses Sternenmeer, das sie unter Commander Ren Dhark erobern wollten. Doch nach einer Eroberung sah es zur Zeit nicht aus. »Mist!« sagte Rul Warren über To-Funk. »Allmählich werde ich nervös.« »Ich auch«, bestätigte Pjetr Wonzeff, aber weder der eine noch der andere machte einen Vorschlag. Die Automatik gab ununterbrochen die Position des Nor-ex nach Cent Field durch. Auf Terra war man bestimmt nicht weniger unruhig als die beiden Flash-Piloten. Warum meldete sich die PoiNT OF nicht mehr? Steckte sie tatsächlich mitten in dem Nor-ex? 299
20.
Marschall Bulton machte mit seinem Herumlaufen seine Stabsoffiziere verrückt. Es
kümmerte ihn nicht. Wieder und wieder betrachtete er die Sternenkarte, auf der die Position
des Nor-ex zu sehen war.
Eins von vielen!
Acht in der Nähe des Yaga-Systems, in dem die Utaren lebten!
Einige Dutzend mußten im Spiralarm hausen, wenn man die verzweifelten Kämpfe, die sich
dort abspielten, richtig gedeutet hatte.
Plötzlich drehte Bulton sich um, deutete auf das Chrono und erklärte: »Wenn der
Commander sich in einer halben Stunde nicht gemeldet hat, schicken wir zehn Kreuzer zum
Angriff auf das Nor-ex hoch. Bitte, meine Herren, treffen Sie Ihre Vorbereitungen!«
»Und wenn die POINT OF in diesem Ungeheuer steckt, Marschall?« gab General Mays zu
bedenken. »Was passiert mit dem Ringraumer, wenn das Biest wieder in einer
Strukturerschütterung verschwindet? Verschwindet das Flaggschiff dann auf
Nimmerwiedersehen?«
»Mann«, orgelte Bulton und ballte die Hände, »aber irgend etwas müssen wir doch tun!«
»Sollten wir nicht abwarten, bis einer der Flash-Piloten Alarm gibt, Marschall?«
Der lief rot an, riß sich die Uniformmütze vom Kopf, strich sich über sein dünnes Haar, und
platzte dann heraus: »Bei den Flash-Piloten können Sie Sturheit hoch zehn annehmen. Wenn
Wonzeff und Warren Alarm geben, ist es für jede Hilfe zu spät. Die Burschen schwören doch
auf Ihren Commander...«
»Und sind bis heute gut damit gefahren!« konterte General Mays.
Bulton blitzte ihn an, konnte aber nichts mehr sagen, weil die Hy-perfunkstation eine
Alarmnachricht durchgab.
Flash 004 und 005 geben SOS für Flaggschiff der Flotte. Wahrscheinlicher Standort des Schiffes:
Im Nor-ex.
300
»Also doch nicht stur hoch zehn«, murmelte General Mays so laut, daß der Marschall seine
Worte verstehen konnte.
»Wir sprechen uns noch«, zischte ihm der cholerische Marschall zu, der diesen Vorfall in den
nächsten zehn Minuten schon wieder vergessen hatte. »Meine Herren, es bleibt bei meinem
Befehl! Zehn Kreuzer sofort auf Angriffskurs zum Nor-ex schicken! Mays...!«
Der General sah auf.
»Marschall, Sie wünschen...?«
»In fünf Minuten möchte ich mich noch einmal mit Major Neep von der BERNHARDTS
STAR unterhalten. In fünf Minuten!«
Drei Minuten später stand Major Neep vor dem General. Er wußte, worum es ging. Er hatte
dem Marschall noch einmal in allen Einzelheiten zu schildern, was er erlebt hatte, als
Leutnant Wrigley auf Esmaladan befohlen hatte, die Stadt Mom unter To-Funkbeschuß zu
nehmen, während ein Nor-ex angriff.
Hin und wieder nickte der Marschall. Manchmal konnte er ein guter Zuhörer sein. Als Bulton
ihn schließlich unterbrach, war Neep mit seinem Bericht fast am Ende.
»Ihre Bewußtlosigkeit hat also bis kurz nach Einstellung der To-Funkbestrahlung gedauert?
Wie war das Erwachen, Neep?«
Neep berichtete, daß die Utaren mehr Zeit gebraucht hatten, um wieder zu klarem Verstand
zu kommen, und bestritt energisch, irgendwelche Nachwirkungen bemerkt zu haben.
»Man hat mich informiert, daß die Experten gerade auf diesem Gebiet mit großen Reihentests
beschäftigt sind. Sie müßten Ihnen noch ausführlichere Auskünfte geben können, Marschall.
Aber darf ich mir in diesem Zusammenhang eine Frage erlauben?«
»Bitte«, sagte Marschall Bulton ahnungslos und spielte mit seinem Luxschreiber.
»Marschall, warum wird das Nor-ex nicht von Pluto aus angegriffen? Der Planet steht doch
zur Zeit sehr günstig zu dem Ungeheuer, und 0,3 Lichtjahre sind selbst für To-Funkkanonen
vom Modell 40 keine außergewöhnliche Distanz.«
Marschall Bulton legte den Luxschreiber aus der Hand.
Er erhob sich sehr, sehr langsam, atmete einmal tief ein und schüttelte dann den Kopf, als sei
er verzweifelt.
301
Schließlich trat er ans Fenster, kehrte Neep den Rücken, stemmte die Hände gegen seine
Hüften und murmelte etwas vor sich hin.
»Colonel Neep!« schnarrte er plötzlich. Der Major zuckte zusammen. »Marschall...«
»Colonel Neep, Sie melden sich in zehn Minuten mit den Rangabzeichen eines Colonels
zurück! Hoffentlich stellen Sie mir beim nächsten Mal wieder eine Frage dieser Art. Colonel,
ich habe Ihnen zu danken, und ich werde es nicht vergessen. Sie können gehen...«
Ein frischgebackener Colonel, der damit gerechnet hatte, frühestens in fünf Jahren befördert
zu werden, verließ verwirrt das Dienstzimmer des Marschalls.
Bulton nahm die Order, zehn Kreuzer zum Angriff auf das Nor-ex starten zu lassen, zurück.
An ihrer Stelle wurden die Bedienungsmannschaften der To-Funk-Kanonen auf Pluto in
höchste Alarmbereitschaft versetzt. Die Flash 004 und 005 erhielten den Befehl, ab sofort die
Koordinaten des Nor-ex auch den beiden Raum-Radar-Stationen auf Pluto durchzugeben.
Über Funk sagte Wonzeff zu seinem Freund Rul Warren:
»Endlich. Jetzt tut sich was... Hoffentlich geht das bloß gut aus. Ich habe ein Gefühl, als
ob...«
»Auf Gefühle gebe ich nichts«, erwiderte Warren gedankenlos.
Er sollte sich an seine Bemerkung noch erinnern.
Ren Dhark raste über die erste Galerie des gigantischen Triebwerks.
Are Doorn hockte vor seinem Arbeitsplatz. Der Commander bemerkte, daß der Sibirier ihn
nicht hörte.
»Doorn!« Er packte ihn am Oberarm, riß ihn herum.
Der Sibirier fluchte. Werkzeug fiel ihm aus der Hand. Doch als er den Commander erkannte,
verschwand der Ärger aus seinem Gesicht.
»Doorn, alles wird reflektiert! Alles! Verstehen Sie, was los ist?«
Doorn nickte. »Dann kann ich die Schachtelsätze hier wieder einpacken. Volle Reflexion?«
Dhark nickte.
Are Doorn rührte sich nicht. »Dann schießen wir uns selbst ab, wenn wir eine einzige Waffe
einsetzen?«
Dhark nickte.
Er war bis ans Geländer zurückgetreten, lehnte sich dagegen und wartete ab, obwohl er
wußte, daß jede Sekunde unersetzbar war.
Er sah den Sibirier einen Blick durch den Triebwerksraum werfen, der im dunkelroten Licht
unwirklich, gespenstisch wirkte.
»Es wird kräftiger, stärker...« Es - das war das leuchtende Dunkelrote, das Unerklärliche, das
durch die Unitallwandung hereinkam. Ununterbrochen. Doorn murmelte. »Es wird kräftiger...
Und was wird gleich aus unseren Konvertern?«
Daran hatte Ren Dhark die ganze Zeit gedacht. Seine Befürchtung war fast zur Gewißheit
geworden, daß die PoiNT OF eine überdimensionale Bombe war, die bald explodieren
mußte.
Wenn alles reflektiert wurde, dann mußte auch die Steuerung der Konverter versagen und die
Anlagen sich zum Schluß selbst in die Luft jagen. An Bord würde niemand viel davon
bemerken.
Doorn, dachte er, warum findest du jetzt keinen Ausweg?
Er blickte auf seinen Handrücken. In dieser Beleuchtung hatte seine Haut eine fahle Farbe
bekommen.
Leichenfarbe!
Der Sibirier senkte den Kopf, zuckte mutlos mit den Schultern. Mit der Hand machte er eine
Geste, die überall hinwies. Überall, wo das dunkelrote Glühen war. »Fünfdimensional?«
»Wahrscheinlich, sonst könnte es nicht durch die Unitallwandung dringen...«
Doorns grobporiges Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. »Hm, glaub' ich nicht, Dhark.
Das widerspricht allen physikalischen Gesetzen. Holen wir das verdammte Leuchten nicht
selbst herein?«
Dhark war drauf und dran, ihn anzuschreien, daß er sich nicht unterhalten wollte, sondern auf
einen Hinweis wartete, der sie aus dieser Lage herausbringen würde.
»Haben Sie die Richtung bemerkt, aus der es hereinströmte? Es kam aus allen Richtungen.
Von oben, unten, rechts und links. Wenn's nicht funfdimensional ist, dann holen wir es rein.
Bloß womit?«
Der Commander fühlte, daß er nicht mehr die Kraft besaß, Doorns Monologen noch länger
zu folgen.
Doorn kratzte seinen Kopf. »Ich habe Angst davor, daß Bulton Un 303
302 fug macht und das Nor-ex unter To-Funkbeschuß nimmt. Wenn das Dunkelrote draußen genauso existiert wie hier drinnen, dann sind wir organisch ein Bestandteil des Nor-ex geworden und werden mit ihm verschwinden, sobald es sich dem To-Funkbeschuß durch Flucht und Transition entzieht.« Eine lange Rede für den wortkargen Are Doorn. Viel zu lang für Ren Dhark. »Doorn, ich habe von Ihnen einen Tip erwartet...« »Tja, versuchen wir es einmal damit, unser künstlich erzeugtes Gravitationsfeld abzuschalten. Vielleicht ist das der Weg, über den wir das dunkelrote Leuchten hereinholen...« Ren Dhark wußte, welches Risiko dieser Versuch barg. Das Nor-ex brauchte nur in dem Moment stark zu beschleunigen, in dem das Gravitationsfeld der PO1NT OF nicht mehr bestand - und die gesamte Besatzung würde plattgedrückt und zerrissen wie eine schmutzige Folie an den Wänden kleben! »Dhark, ich würde es versuchen, bei allem Risiko!« »Das soll ich verantworten, Doorn? Und was erreichen wir damit? Das ändert unsere Lage nicht im geringsten!« Dhark starrte zu Boden. »Nein«, sagte er, stutzte - und plötzlich strahlten seine braunen Augen. »Are, ich werde den Versuch machen, selbst wenn er uns nur den Schritt weiterbringt, daß das dunkelrote Leuchten aus dem Schiff verschwindet. Hoffentlich haben Sie recht!« Verdutzt blickte Doorn dem Commander nach, der über die Galerie zurücklief und es jetzt eilig hatte, in die Zentrale zu kommen. Im Leitstand ignorierte Dhark alle fragenden Blicke. Rundspruch an alle! »Achtung, wissenschaftliche Station! An Besatzung. Zeitvergleich...!« Er gab die Normzeit durch. »Jetzt...! In dreißig Sekunden wird das Gravitationsfeld der POINT OF abgeschaltet.
Voraussichtliche Dauer etwa fünf bis zehn Minuten. Jeder hat für festen Halt zu sorgen.
Achtung, noch fünfzehn Sekunden...«
»Was hast du denn vor?« fragte Dan Riker bestürzt. »Ren, wenn das Nor-ex plötzlich
beschleunigt...«
Dhark winkte ab. Die nervenzerreißende Ungewißheit war schlagartig von ihm gewichen. Mit
Spannung wartete er darauf, ob es mit dieser Methode gelingen würde, dieses starke
Depressionen auslö
304
sende dunkelrote Leuchten aus dem Ringraumer zu entfernen oder zum Erlöschen zu bringen.
Mit Fingerdruck löste er eine Sperre.
X minus Null!
Der Schalter kippte in die Nullstellung. In der POINT OF herrschte keine Schwerkraft mehr.
Überall im Schiff wurde gestöhnt und geflucht. Wer von der Besatzung war noch an den
Zustand der Schwerelosigkeit gewöhnt?
Auch Dhark hielt sich mit einer Hand am Sessel fest. Er hatte ihn um hundertachtzig Grad
geschwenkt und übersah aus dieser Position die gesamte Zentrale.
Er sah in die Luft!
Er sah in das dunkelrote Leuchten hinein, das die normale Beleuchtung übertönt hatte.
Aber im Gegensatz zu Doorn, der beobachtet haben wollte, daß das Unheimliche von allen
Seiten ins Schiff gedrungen war, konnte er keine Bewegung feststellen.
Fehlschlag, dachte er.
Doorns Vorschlag war also auch falsch!?
Und dann ließ er vor Überraschung die Lehne seines Pilotensitzes los, machte eine
unkontrollierte Bewegung und segelte, langsam höher steigend, durch die
Kommandozentrale.
Schlagartig war das dunkelrote Leuchten verschwunden! Im Leitstand gab es nur
Normallicht! Das konnte er noch feststellen. Im nächsten Augenblick wurde ihm schwarz vor
den Augen.
Mehr instinktiv als bewußt erfaßte er, daß das Nor-ex gerade in dieser Sekunde beschleunigt
hatte.
Er fühlte, daß er in die Tiefe stürzte.
Dann gab es nichts mehr. Für ihn und alle anderen im Flaggschiff der Terranischen Flotte.
Auf die hundertstel Bogensekunde genau waren die To-Funkantennen der Abwehrforts von
Pluto auf das Nor-ex gerichtet, in dem die POINT OF seit Stunden steckte. Schnelle
Suprasensoren sorgten dafür, daß dieser Wert unter allen Umständen gehalten wurde.
305
Die Raum-Radarstation I war zur Waffensteuerung geworden. Drei Majore hatten die
Aufgabe erhalten, aus allen To-Funkantennen gleichzeitig den Angriff auf das Nor-ex zu
eröffnen.
Letzte Kontrollgespräche mit den beiden Flash 004 und 005. Cent Field mischte sich ein.
Stab der TF. Marschall Bulton persönlich. Er sprach nicht viel. Nur einen Satz: »Jagen Sie
das Nor-ex zum Teufel und holen Sie die PoiNT OF heraus!«
Jeder auf Pluto hatte diesen Wunsch.
Dann kam X minus Null.
Ein einziger Knopf wurde gedrückt. Im selben Moment jagten gebündelte und verstärkte
Hyperfunkstrahlen ihrem Ziel zu.
Dutzende von Forts griffen ein Nor-ex an!
Und das, was bisher nur durch die Echo-Kontrolle hatte sichtbar gemacht werden können,
tauchte auf einmal auf dem Bildschirm als grellweiß strahlender Fleck auf!
Nach ein paar Sekunden Beschüß!
Das war noch nie dagewesen! Aber ein Nor-ex war auch noch nie von stationären
Feuerstellungen angegriffen worden.
Jeder wartete darauf, daß sich das Grellweiße zum Dunkelrot verfärbte.
Und abermals war der Ablauf anders!
Das Nor-ex verschwand in einer außergewöhnlich starken Strukturerschütterung aus dem
Raum-Zeit-Gefüge!
»Haben Sie die PoiNT OF in der Ortung?« fragte Marschall Bulton von Terra aus.
Zur selben Zeit rief Pjetr Wonzeff seinen Kameraden Rul Warren in der 005 an. »Rul,
können Sie den Ringraumer finden? Meine Ortungen zeigen nichts!«
Schweigen in Wonzeffs Empfang.
»Warren...«
»Pjetr, die POINT OF ist mit dem Nor-ex verschwunden! Bomben und Boliden, Sie haben
mit Ihrem unguten Gefühl recht gehabt! Große Milchstraße, jetzt ist der Commander da, wo
die anderen verschwundenen Raumer sind...«
Im kleinen Stabssaal der TF sah Marschall Bulton aus verschleierten Augen Colonel Neep
von der BERNHARDTS STAR an. »Neep,
306
warum habe ich Sie nur zum Colonel gemacht?« fragte er dumpf und verließ wie ein
geschlagener Mann den Raum.
Seine Offiziere wagten nicht, sich anzusehen. Jeder fühlte sich für das Verschwinden des
Commanders und der POINT OF mitverantwortlich.
Grelle Blitze!
Flog die Bildkugel auseinander?
Heulen in der POINT OF, Brüllen, Kreischen, Toben!
Der Ringraumer erzitterte!
Fratzen aus energetischen Flächen tauchten auf, verschwanden so schnell, wie sie gekommen
waren.
Das Dunkelrote versuchte, wieder hereinzukommen - und schaffte es doch nicht.
Licht - Dunkelheit - Licht und wieder Dunkelheit! fc Ein Schrei!
Der gellende Schrei eines Menschen, der sich zwischen Bewußtlosigkeit und Wachwerden
befindet. 's Ein Schrei, in dem alle Angst lag, die ein Mensch empfinden kann!
Ren Dhark schrie! Er lag am Boden der Kommandozentrale und schrie - schrie sich wach!
Licht - Dunkelheit - Licht und wieder Dunkelheit!
Das änderte sich nicht, auch als er sich stöhnend aufraffte und auf den Knien zum Pilotsitz
wankte.
Dan Riker hing bewußtlos in seinem Sessel. Mehr sah er im grellen Aufblitzen nicht.
Sein Schiff schrie!
Oder bildete er sich das nur ein? r Er zog sich in seinen Sessel, brach darin fast zusammen.
Sein Kopf wollte auf die Brust fallen, und unwillkürlich glitt sein Blick über die Instrumente.
* Grün- und Rotkontrollen!
Sie leuchteten auch in der Dunkelheit, und sie waren zu sehen, wenn die Bildkugel Blitze
ausspie!
Die POINT OF flog'
O
307
Sie wurde geflogen! Sie war kein steuerloses Schiff!
»Großer Himmel, was war...?«
Er hielt sich an den Lehnen fest. Er schluckte.
Die Kontrollen - was war damit? Sein Denken setzte wieder ein. Langsam zuerst.
Das Nor-ex.
Er erinnerte sich - und dann, als die Bildkugel wieder ein halbes Dutzend Blitze zeigte, die
gar nicht wie normale Blitze oder Entladungen aussahen, begriff er.
Er war durch die Luft geschwebt.
Im selben Moment war das Dunkelrote aus der Kommandozentrale verschwunden. Und
dann?
Dann mußte das Nor-ex beschleunigt haben - das Nor-ex, das auf diesen Augenblick nur
gewartet hatte!
Aber stimmte sein Verdacht? War alles so abgelaufen?
Er brachte die Arme hoch. Er hatte an seine Mannschaft gedacht. Die letzten Kräfte wurden
in ihm wach. Seine Fingerspitzen lagen auf den Steuerschaltern.
Er machte nur zwei Versuche, den dritten unterließ er.
Die Steuerung war gesperrt! Die POINT OF gehorchte nicht mehr seinem Kommando! Sie
war von der Gedankensteuerung übernommen worden! Sie kämpfte gegen unbekannte
Gewalten um die Existenz des Schiffes.
»Große Milchstraße...« Nur er selbst hörte sich schreien. Alle anderen in der Zentrale lagen
noch bewußtlos am Boden oder hingen wie Dan Riker in ihren Sesseln!
Die POINT OF schoß! Die Bildkugel spiegelte das Feuer des Ring-raumers wider! Das Schiff
lag mit einem unerbittlichen Gegner im Kampf! Daher das infernalische Brüllen, Donnern
und Toben!
Freimachung der allerletzten Energiereserven!
Er kniff die Augen zusammen. Er glaubte nicht, was er zu sehen bekam! Diese Strahlarten
kannte er nicht! Diese Strahlbahnen konnte seine POINT OF nicht emittieren! Sie verfügte nur
über Dust-, Nadel -und Strich-Punkt-Strahlen und über To-Funk-Kanonen. Aber nicht über
dieses grellgelbe Blitzen, das in unregelmäßigen Intervallen in den Raum schoß.
308
Da barst die Bildkugel über seinem Instrumentenpult!
Nein! Die Schwärze riß auf. Der Weltraum mit seinen Sternen stürzte in die Zentrale. Sterne,
Abermillionen ferne Sonnen!
Und vor den vielen Sonnen sah er etwas Riesiges sich verzweifelt wehren!
Eine Wolke?
Oder sogar Leben?
Leben, das sich verzweifelt gegen seine Vernichtung wehrte?
Aufhören! Aufhören! Aufhören...! Nur noch dieser Begriff existierte in seinem Kopf.
Seine Finger lagen noch immer auf den Steuerschaltern.
Ein Steuerschalter kippte in eine andere Lage! ' Die POINT OF gehorchte wieder seinem
Kommando! Die Gedankensteuerung hatte sie an ihn abgegeben. Es gab keine Blitze mehr.
Ein Blick zur Bildkugel!
Die Wolke, dunkelrot leuchtend, wurde kleiner und kleiner. Sie setzte sich ab. Sie floh vor
der POINT OF!
Ren Dhark wußte nicht, daß ein schwaches Lächeln seinen Mund umspielte. Sein Blick hatte
sich an der Bildkugel festgebrannt und sah die Wolke kleiner und kleiner werden. . Sie war
kaum noch zu erkennen!
Warum änderte sie plötzlich ihren Kurs?
Er hatte sich diese Frage gerade gestellt, als es in der Bildkugel aufflammte, die
Kommandozentrale vom grellen Licht überflutet wurde und er geblendet die Augen schließen
mußte.
»So nah... plötzlich so nah?« fragte er sich, als er wieder etwas sehen konnte und das
Flammende, Unregelmäßige betrachtete. Es fiel ihm schwer, das Etwas zu klassifizieren.
Auch eine Wolke - eine Wolke, die lebte? Eine Wolke, die die POINT OF gleich angreifen
würde?
Folge mir nicht! Ren Dhark zuckte zusammen, als er die fremde Stimme in seinem Kopf hörte. Im ersten Augenblick glaubte er, der CAL der Giants oder der robonische Mutant habe sich auf telepathischem Weg mit dun in Verbindung gesetzt, bis ihm klar wurde, daß diese Para-Rufe ganz anders geklungen hatten. 309 Folge mir nicht... ? Sollte diese Wolke... ? Er wagte seine Gedanken nicht zu Ende zu denken, weil sie einfach zu phantastisch waren.
Neben ihm stöhnte Dan Riker.
Dhark konnte sich um seinen Freund nicht kümmern.
Das »Folge mir nicht« hatte ihn gepackt!
Drei Steuerschalter nahmen unter dem Druck seiner Fingerspitzen andere Stellungen ein.
Dhark hatte auf Sternensog geschaltet! Er flog nach Sicht, direkt auf die grell weiße Wolke
zu.
Er folgte ihr doch!
»... oder du hast mir zu verraten, wo unsere Raumer sind, wo die Schiffe der anderen, ihre
Städte und Bewohner!« Voller Grimm sagte er es - ohne zu ahnen, daß seine Gedanken
gelesen wurden.
Die Para-Antwort traf ihn unvorbereitet.
Existenz ist kein feststehender Begriff. Ich kann dir meine Existenz so wenig erklären, wie ich
deine verstehen kann. »Ich verstehe kein Wort!« knurrte Dhark, der mit dieser sibyllini-schen Auskunft keineswegs zufrieden war. Die PoiNT OF raste auf die grelle Wolke zu, die die rote verschlungen hatte. Aber die Überlichtbeschleunigung des Ringraumers reichte nicht aus, sie einzuholen. Es schien ihr ein leichtes zu sein, den Abstand zum Schiff zu halten. Dhark fluchte, was selten vorkam, aber nun rutschte ihm das Kraftwort glatt über die Lippen. »Mit welchen Strahlen hat eben die Gedankensteuerung auf dieses Nor-ex geschossen?« Neben ihm kam Dan Riker zu sich, war aber noch nicht einsatzfähig. Hinter dem Rücken des Commanders meldeten sich fast gleichzeitig Tino Grappa und kurz darauf zwei weitere Offiziere. Die Besatzung der POINT OF wurde allmählich wieder einsatzklar. Dan wollte ihm Fragen stellen. »Stör mich jetzt nicht. Keine Zeit!« fiel Dhark Riker barsch ins Wort. Er wunderte sich über das Aufflackern einiger Grünkontrollen, die eigentlich gar nicht hätten aufleuchten dürfen. Das Spiel auf dem Instrumentenpult wiederholte sich. 310 Wollte ihm der Checkmaster auf diesem Weg zeigen, wie er die grellgelben Blitze auslösen konnte? »Großer Himmel, ich kann doch nicht ins Blaue schießen«, stöhnte er und lehnte sich im selben Moment in seinem Pilotensessel zurück. Grappa meldete eine Strukturerschütterung. Das helleuchtende Nor-ex war verschwunden. Es hatte sich seinem geplanten Angriff durch eine Transition entzogen. »Grappa«, sagte er ohne Nachdruck, weil ihm klar war, daß er von dem jungen Leutnant jetzt nicht zuviel verlangen konnte, »haben Sie festgestellt, wo das Nor-ex wieder das Normalgefüge erreicht hat?« »Nein«, Grappas Stimme klang noch schwach. »Übrigens, Dhark, das, was wir vor uns hatten, war - wenn es überhaupt ein Nor-ex war - eins von ganz anderer Art!« »Was sagen Sie? Wissen Sie, daß das Helleuchtende das Dunkelrote in sich aufgenommen hat - und erst durch diesen Vorgang sichtbar wurde?« Er hörte die Antwort des Ortungsspezialisten schon nicht mehr. Er zwinkerte mit den Augen, musterte verblüfft die Bildkugel und suchte vergeblich nach einer ihm bekannten Sternkonstellation. Nicht ein Sternbild war ihm bekannt! Und die Astronomen waren noch nicht wieder bei Bewußtsein. »Wunderbar«, stellte Dhark mit sarkastischem Unterton fest. »Das Nor-ex, in dem wir gesteckt haben, hat transitiert und die POINT OF mitgerissen. Jetzt dürfen wir wieder einmal herumraten, wo wir uns befinden.« Seine Sorge war unbegründet. Der Checkmaster gab ihm die Koordinaten ihrer derzeitigen Position und von Terra. Während Dan Riker durch Rundfrage feststellte, ob alle Abteilungen wieder einsatzklar waren, meldete Glenn Morris aus der Funk-Z: »Cent Field strahlt seit einigen Minuten einen Dauer-Suchruf nach uns ab. Ich habe schon geantwortet und sogar Aufklärung auf meine Anfrage erhalten... Dhark, man hat von Pluto aus das Nor-ex, in dem wir steckten, mit allen verfügbaren To-Funk-Kanonen angegriffen...« »Wie schön«, knurrte Dan Riker. »Wie wunderschön! Jetzt ist mir auch klar, warum wir alle bewußtlos geworden sind. Nicht das Nor-ex hat uns geschockt, sondern unsere eigene Waffe.« 311 Ein Verdacht stieg in ihm auf. »Du, Ren, wenn dieser Befehl nicht von Marschall Bulton gekommen ist, trete ich als Flottenchef zurück! Der Befehl, mit allen To-Funk-Kanonen auf uns und das Nor-ex zu schießen, kann nur von ihm kommen. Ich erinnere mich nämlich, mit welchem Interesse er den Bericht dieses Major Neep von der BERNHARDTS STAR gelesen hat. Sag mal«, er schaute seinen Freund prüfend an, »hörst du mir überhaupt zu?« Das tat Dhark nicht. Er hatte am Instrumentenpult einige Schaltungen vorgenommen, die er in dieser Reihenfolge
noch nie durchgeführt hatte.
Und als er nach dem Muster der scheinbar sinnlos aufgeflackerten Grünkontrollen den letzten
Steuerschalter bewegt hatte, strahlte die POINT OF aus allen Antennen grellgelbe Blitze
nach allen Seiten ab.
Hatte auf dem Planeten Esmaladan nicht ein Utare zu Major Neep gesagt: Ihr Terraner kennt
eure POINT OF, das Schiff der Grakos, noch lange nicht!
312
27.
Noch immer machten Nor-ex beiderlei Arten die Milchstraße unsicher. Und inzwischen hatten auch weitere Raumschiffe der TF das gleiche Phänomen beobachtet, dessen Zeuge Ren Dhark an Bord der POINT OF geworden war: Ein helleuchtendes Nor-ex der > neuen < Art verschlang ein dunkelrotes vom >alten< Typus. »Als ob eine Mutter ihre mißratenen Kinder wieder einfangen würde... eine intelligente Mutter, denn das beweisen ihre ParaBotschaften!« Niemand konnte mehr sagen, wer diesen Satz zuerst geprägt hatte, doch er war unter den terranischen Raumfahrern mittlerweile zum geflügelten Wort geworden. Doch selbst wenn diese Aussage der Wahrheit entsprechen sollte, so hieß das nicht, daß die Gefahr geringer geworden wäre. Noch immer wiesen Funksprüche und gewaltige Energieemissionen darauf hin, daß die intelligenten, raumfahrenden Rassen dieses Spiralarms sich mit den Nor-ex fürchterliche Kämpfe lieferten - und so gut wie immer eine Niederlage erlitten. Als ob eine Mutter ihre mißratenen Kinder wieder einfangen würde... Auch Ren Dhark ging dieser Satz wieder und wieder durch den Kopf. Und er zwang ihn
schließlich zum Handeln.
»Ich möchte die letzten Meldungen über die Nor-ex hören, Bulton!« begann Dhark, kaum daß
er und Dan Riker Marschall Bultons Büro betreten hatten.
Der Marschall zögerte einen Moment, blickte den jungen Com-mander fragend an und
erwiderte dann: »Uns liegen nur noch energetische Ortungsresultate vor. Bitte, hier!« Er
schob ihm drei Folien zu.
313
Die Werte waren eine halbe Stunde alt. In aeht- bis zehntausend Lichtjahren Entfernung
hausten noch drei Nor-ex und wurden von den Raumflotten unbekannter Rassen mit aller
Wildheit, aber vergeblich bekämpft.
»Irgendeine Meldung von Colonel Huxley?«
Der grauhaarige Colonel war mit einem der modernsten Kreuzer der TF unterwegs ins
Tantal-System.
»Ich habe ihn rufen lassen. Die WEGAII meldet sich nicht!«
Dan Riker brummte: »Huxley ist einer unserer besten Raumschiffkommandanten. Ich kann
mir nicht vorstellen, daß auf seinem Schiff etwas schiefgegangen ist.«
Ren Dhark schwieg. Über seiner Nasenwurzel standen zwei scharfe, senkrechte Falten.
»Bulton, drei Kreuzer zum Planeten der Nogk. Sie haben unter allen Umständen
festzustellen, was aus der WEGA II und den Nogk geworden ist. Übrigens...« -jetzt erst
erinnerte er sich, daß auch Ralf Larsen mit der HOPE zur Welt der Utaren unterwegs war - »...
ist Larsen auf Esmaladan auch in Schwierigkeiten gekommen?«
»Nein«, beeilte sich Bulton zu sagen. »Larsen ist glatt gelandet, hat die To-Funkaggregate
und Kristalle ausgeladen und will, wenn ich seinen Funkspruch richtig verstanden habe, so
schnell wie möglich wieder starten.«
Ren Dhark wurde hellhörig. »Legen Sie mir seinen Funkspruch bitte einmal vor, Bulton.«
Er las ihn. Seine Bedenken wurden noch größer. Der Wortlaut der Meldung gefiel ihm nicht.
»Dan, was hältst du davon?«
Dan Riker konnte nichts Besonderes entdecken. »Ein normaler Funkspruch. Was sonst?«
Ren Dhark winkte ab. Er hätte selbst nicht sagen können, was ihn daran mißtrauisch machte.
Es war mehr ein Gefühl. Und aus diesem Gefühl heraus gab er Bulton den Befehl:
»Veranlassen Sie, daß der Funkkontakt zur HOPE nicht abreißt. Rufen Sie alle zehn Minuten
das Schiff, wenn es Esmaladan wieder verlassen hat.«
Dan stutzte. »Ren, willst du mir nicht erklären...?«
Ren Dhark schien die Frage überhaupt nicht wahrzunehmen. »Bulton, ich benötige einen gemischten Raumschiffverband. Stärke 314 etwa dreißig Einheiten. Nur Schiffe mit den modernsten To-Funk-Kanonen. Wir haben jetzt 18:56 Uhr Normzeit. Um 20 Uhr muß der Verband klar sein. Dan, wenn du deiner Frau noch schnell >Auf Wiedersehen sagen willst, du hast vierzig Minuten Zeit.« Riker brauste leicht auf. »Darf man auch erfahren, was du jetzt schon wieder vorhast?« »Ahnst du es nicht, mein Lieber?« konterte Dhark mit einer Gegenfrage. »Das Nor-ex jagen. Mit dem Nor-ex der neuen Form Verbindung aufnehmen und es - wenn möglich - zwingen, unsere Milchstraße zu verlassen.« Hatte Ren Dhark vergessen, wie es ihm und der PoiNT OF hinter der Plutobahn ergangen war, als sie im Nor-ex rematerialisiert hatten? Dan meldete Bedenken an. Dhark ließ sich von seinem Vorhaben nicht abbringen. »Wir müssen alles Menschenmögliche tun. Das sind wir Terra und den Menschen schuldig. Dan, jetzt hast du nur noch fünfunddreißig Minuten Zeit, Anja zu besuchen...« Die POINT OF hatte mit einunddreißig Kugelraumern verschiedener Klassen Terra verlassen und stand nach einer weiten Transition mitten im Raum. Die Echokontrolle des Ringraumers lief mit maximaler Leistung. Es war nicht schwer, den Standort eines Nor-ex auszumachen, das irgendwo gerade wieder dabei war, Städte oder Teile riesiger Städte auf irgendeinem Planeten verschwinden zu lassen. Die auf Hyperba-sis arbeitende Energieortung fixierte den Standort, an dem riesige Raumschiffverbände versuchten, das Ungeheuer aus dem Raum von ihren Welten zu vertreiben. Glenn Morris in der Funk-Z ließ den Commander nicht lange warten. Er hatte die Daten der Energiekontrolle benutzt, seine Echokontrolle darauf eingestellt und konnte nun melden, daß in 11 573 Lichtjahren Entfernung zwei Nor-ex der alten Form existierten. Gleichzeitig gingen die Koordinaten an alle Kommandanten des Verbandes. »Noch eins, Dhark«, gab Morris durch. »Das Gebiet, das wir anfliegen wollen, ist nicht sauber...« 315 »Wie soll ich das verstehen?« fragte Dhark mit einer gewissen Schärfe in der Stimme zurück. Er war nicht in der Stimmung, Rätsel zu lösen. Daß sie einen ihnen noch vollkommen unbekannten Teil der Milchstraße anflogen, spielte keine Rolle. Seit die Terraner über eine Flotte verfügten, die in jedem Monat größer wurde, gehörte es zur Routinearbeit, die Galaxis mit ihren Abermillionen Sonnen kartographisch zu erfassen. Dabei kamen diese Schiffe automatisch in Sektoren, die noch nie einen terranischen Raumer gesehen hatten. »Hinter der Front der unbekannten Schiffsverbände liegt eine kleine, aber extrem dichte Dunkelwolke. Wir haben die astronomische Abteilung schon unterrichtet.« »Sie wird uns keinen Kummer machen!« bemerkte Ren Dhark, schaltete ab und drehte sich mitsamt seinem Schwenksessel um. Ein Blick zum Checkmaster zeigte ihm, daß die neuen Sprungdaten bereits noch einmal überprüft wurden. Eine Zusatzkontrolle, die eigentlich beim Checkmaster nicht nötig war. Aber der Commander hatte von Anfang an darauf bestanden, daß er auch der Mysterious-Technik nicht absolut traute und sie oft unwillkürlich mit der terranischen verglich, in der Pannen zur Tagesordnung gehörten. Der Verband stand zwischen zwei Sonnen der Spektralklasse A, beides Sterne, deren Sonnenmassen um ein Vielfaches größer waren als die Masse von Sol. Die Rundumortung lief; Tino Grappa hatte alle Ortungen auf maximale Leistung geschaltet und war so in der Lage, auch ein kleines anfliegendes Raumschiff so früh zu erfassen, daß an Bord alle Maßnahmen zu einer eventuellen Verteidigung getroffen werden konnten. Dan dachte an das letzte Abenteuer mit einem Nor-ex. Er war nicht darauf erpicht, abermals in einem Nor-ex zu rematerialisieren. Bei diesem letzten Versuch hatte sich herausgestellt, daß die POINT OF doch durch eine fremde Macht zu beherrschen war. Die Erbauer des Ringraumers - die Mysterious - hatten demnach keine Erfahrungen mit diesen unerklärlicher Raumungeheuern gehabt. Auf Anfrage hatte der Checkmaster das auch bestätigt. Die X-Zeit bis zur Transition lief. In 11 573 Lichtjahren Entfernung tobte nach wie vor der Kampf riesiger Flotten gegen ein Nor-ex. Plötzlich krachte Ren Dharks Faust gegen die Verkleidung des In
316
strumentenpults. »Wenn mir doch nur ein Experte sagen könnte, warum wir ausgerechnet mit
To-Funkstrahlen diese Erscheinungen verjagen können...«
Dan Rikers Meinung von den terranischen Wissenschaftlern war zur Zeit nicht besonders gut.
»Von denen kommt doch momentan nur Schulterzucken. Aber ich verstehe dich nicht, Ren...
An das Nor-ex der anderen Form denkst du gar nicht mehr?«
Dhark sah Riker an, als zweifle er an dessen Verstand. »Kennst du mich erst seit gestern?
Hast du vielleicht die Freundlichkeit, dich zu erinnern, wieviel Kopfzerbrechen mir der CAL
mit seinen paranormalen Fähigkeiten gemacht hat? Muß man große Reden führen, wenn man
vor Sorgen kaum noch Ruhe findet?«
»Hallo«, stieß Dan Riker teils überrascht, teil konsterniert aus. »So solltest du meine
Bemerkung auch nicht verstehen. Früher hast du mir immer von deinen Sorgen erzählt.
Warum tust du es denn heute nicht mehr?«
Sie hatten noch acht Minuten bis zur Transition, die sie in einem einzigen Sprung zum
Kampfgeschehen bringen sollte.
Ein flüchtiger, aber scharfer Blick Dharks über alle Instrumente. Keine Meldung aus der
Funk-Z. Mit anderen Worten: Es gab auf keinem der einunddreißig sie begleitenden Schiffe
eine Panne. Er drehte sich leicht in seinem Pilotensitz.
Er wollte noch mehr sagen, aber gleichzeitig mit Tino Grappas Aufschrei kam ein Durchruf
aus der astronomischen Abteilung. Jens Lionel hatte schon einige Male Proben seines
Könnens abgelegt, aber diesmal übertraf er sich selbst.
Er bekam kein verständliches Wort über die Lippen
»Der soll seinen Mund halten!« schrie Grappa unbeherrscht dazwischen.
Ren Dhark unterbrach die Verbindung zur astronomischen Abteilung ab. »Grappa, was ist?«
Befehl und Frage zugleich.
Noch drei Minuten bis zur Transition. »An uns ist etwas vorbeigerast, Dhark - etwas, das mit
den Ortungen kaum zu erfassen war. Dennoch haben sie Werte ausgeworfen... Großer
Himmel, Commander, der Checkmaster streikt!«
Damit war eigentlich schon alles gesagt. Grappa hatte den Check 317
master um Auskunft über die rätselhafte Erscheinung gebeten - und der Checkmaster zeigte
rot!
Keine Auskunft möglich!
Ren Dhark ließ sich von der Aufregung in seiner Kommandozentrale nicht anstecken.
»Grappa, haben Sie wenigstens die Richtung feststellen können?«
»Die Richtung?« echote der junge Mann aus Mailand. »Die Richtung? Mein Gott, wenn jetzt
der Checkmaster wieder streikt. Nein, Dhark, bei dem Tempo, wie es kam und wieder
verschwand... So, als ob gerade unser Raumgefüge von draußen angekratzt worden wäre.
Moment, ich frage ab!«
Dan Riker murmelte: »Ich verstehe kein Wort.«
Kein Wunder, denn Grappa hatte sich alles andere als sachlich ausgedrückt, und von einem
Ankratzen des Raum-Zeit-Gefüges hatte vor ihm bestimmt noch kein Mensch gesprochen.
Der Checkmaster gab Antwort. Seine unpersönlich klingende Stimme klang in jedem Kopf
auf.
Die unbekannte Gefahr aus dem Raum ist in Richtung Rot 78:45,03 und Grün 02:56,81 gezogen. Der Verdacht besteht, daß sie das Gefalle der Zeitkonstante benutzt hat! Dan Riker sagte noch: »Das Gefalle der Zeitkonstante...«, da handelte Ren Dhark bereits. Durchruf zur Funkzentrale: »An alle Schiffe: Kommandant der LYRA übernimmt TransitionsLeitung! POINT OF setzt sich im Sprung ab! Aktion gegen Nor-ex wie besprochen durchführen. Ende!« Gleichzeitig kippten ein halbes Dutzend Steuerschalter in andere Stellungen. In dem Ringraumer war wieder das durchdringende Pfeifen zu hören. Die Bildkugel über dem Pult wurde schwarz. Transition in Nullzeit! Ein Sprung ohne spürbare Auswirkungen auf die Besatzung der POINT OF. Dann sprangen die Sterne wieder von der Kugel in die Zentrale herein. Aber es gab in diesem
Raumabschnitt nicht nur punktförmige Lichtquellen greller Sonnen, sondern auch ein
fürchterliches Gewirr energetischer Kampfstrahlen, die in zwei fernen Zielpunkten endeten.
Die Bordverständigung zu den Waffensteuerungen WS-Ost und WS-West stand.
318
»To...«
Tino Grappa schrie schon wieder. »Nicht schießen! Nicht! Das andere Nor-ex ist da! Das mit
der anderen Form!«
Ren Dhark preßte die Lippen zusammen. Grappa hatte ihn daran gehindert, den Feuerbefehl
für alle To-Funk-Kanonen zu geben.
Und das war gut, dachte er, während sein Blick sich an der Bildkugel festsaugte.
Tank-Raumer lagen im Kampf mit den beiden Nor-ex!
Tank-Raumer, denen die Terraner bereits zweimal begegnet waren.
Einmal in der Nähe des Col-Systems, und ein zweites Mal bei ihrem Vorstoß ins Zentrum der
Milchstraße. Seit damals wußte er auch, daß die Wesen, die man wegen ihres Aussehens
zunächst >Ducks< getauft hatte, sich selbst Sukooren nannten.
Und hier fraßen zwei Nor-ex einen Flottenverband der Sukooren nach dem anderen auf! Sie
verschwanden einfach, die tankförmigen Schiffe, die einen Durchmesser von hundertachtzig
Meter besaßen und siebenhundertfünfzig Meter lang waren.
Aber hatte Grappa nicht von einem Nor-ex der anderen Art gesprochen? Ren Dhark riß sich aus seinen Gedanken. »Morris, die Koordinaten der Raumungeheuer!«
rief er über die Bordverständigung.
Die Angaben kamen. Die POINT OF nahm Fahrt auf. Abermals unterrichtete Ren Dhark seinen
Freund Dan nicht über sein Vorhaben.
Er hatte wirklich keine Zeit dazu.
Während der Sie auf Vollast sprang und den Ringraumer enorm beschleunigte, erhielt Glenn
Morris Order, den terranischen Flottenverband über die Tank-Raumer zu informieren. »Aber
Tempo, die Schiffe transitieren in dreißig Sekunden!«
Glenn Morris brachte dieses Wunder zustande.
Ren Dhark hatte für seine Vollzugsmeldung nur ein knappes Okay übrig. Er wunderte sich,
daß die Sukooren von der POINT OF keine Notiz nahmen. Sollten ihnen die beiden Nor-ex
schon so großen Schaden zugefügt haben, daß sie mit dem Mut der Verzweiflung gegen sie
kämpften?
Distanz zum nächsten Nor-ex 136 Millionen Kilometer!
In der POINT OF brüllten kurzfristig die M-Konverter auf, als der
319
Commander auf Sternensog umschaltete. Von einem Augenblick zum anderen ging der
Ringraumer auf Überlichtgeschwindigkeit, ohne das normale Raum-Zeit-Gefüge zu
verlassen.
»WS-Ost... WS-West... Feuer frei...!«
Auf diesen Befehl hatten Clifton und Rochard schon lange gewartet.
Dan verstand seinen Freund nicht. »Hattest du nicht einen anderen Plan, Ren?«
»Ja, aber in meinem Plan hatte das Nor-ex der alten Form keinen Platz. Jetzt bleibt uns nichts
anders übrig, als nach der alten Methode vorzugehen. Hoffentlich schmeckt unser Vorgehen
dem Nor-ex der neuen Art nicht. Dan, wir können im Moment nichts anderes tun, als hoffen,
endlich mal wieder ein bißchen Glück zu haben.«
Durchruf aus dem Triebwerksraum:
»Dhark, die M-Konverter 12, 17 und 18 sind ertobit! Himmel und Hölle, jetzt hab' ich
kapiert, was dieser Ausdruck bedeutet! Dhark, diese drei M-Konverter geben keinen Krümel
Energie mehr ab!« Miles Congollons Stimme war nicht wiederzuerkennen.
Dhark und Riker zuckten zusammen. Vor vier Monaten hatten sie diesen unverständlichen
Ausdruck des Checkmasters zum erstenmal gehört. Niemand hatte etwas mit ihm anfangen
können.
Nun aber war er klar: Ein M-Konverter war dann ertobit, wenn er keine Energie mehr liefern
konnte.
Ren Dhark war heiß geworden bei der Vorstellung, daß eines Tages alle dreiundzwanzig
halbkugelförmigen M-Konverter keine Energie mehr lieferten.
Unwillkürlich erinnerte er sich jener Zeit, in der Manu Tschobe in einem Nebenraum der
Ringraumer-Höhle in Deluge das Mentcap-Archiv entdeckt hatte. Über viele Einzelheiten der
PoiNT OF hatten diese Mentcaps ihnen Auskünfte geliefert, aber nie angegeben, wie die M-
Konverter neu beschickt werden konnten.
Drei von dreiundzwanzig arbeiteten nicht mehr!
Knapp ein Achtel!
Hastige Rückfrage des Commanders: »Miles, haben wir für alle Fälle noch genug Saft?«
»Wenn keine weiteren Konverter ertobit werden... Energie genug, Dhark! Verdammt, ist es
ein mieses Gefühl...«
320
Ich fühle mich nicht viel besser, dachte Dhark.
Dann blieb keine Zeit mehr zu intensivem Nachdenken.
Die POINT OF hatte aus allen verfügbaren Antennen das To-Funk-Feuer auf das nächste Nor ex eröffnet! Der Augenblick konnte nicht mehr fern sein, in dem das Unsichtbare zu einem
schwammigen Gebilde werden würde, das immer deutlicher sichtbar wurde und dabei heller
und heller leuchtete. Aus Erfahrung wußten die Terraner, daß mit steigender Leuchtintensität
die Angriff s wut des Nor-ex nachließ, bis es plötzlich aufflammte, sich dunkelrot verfärbte,
und dann in einer starken Strukturerschütterung verschwand.
Unbeirrt hielt der Ringraumer seinen Kurs. Das zweite Nor-ex stand so weit auf Grün, daß es
dem Schiff aller Wahrscheinlichkeit nach nicht gefährlich werden konnte.
Grappa meldete sich, aber dieses Mal schrie er nicht: »Es wird deutlicher. Es wird heller...«
Dhark drehte sich abrupt zu dem jungen Ortungsoffizier um. Warum sagte Grappa nichts
mehr?
Die POINT OF hatte sich dem Nor-ex bis auf 69 Millionen Kilometer genähert. Der
Ringraumer ging vom überlichtschnellen Flug auf eine Geschwindigkeit von 0,54 Licht. Das
hatte Dhark gerade beobachtet, als er sich ungewollt zu Grappa umdrehte. Der sah ihn
verwirrt an.
»Dan, übernimm das Schiff!«
Sie waren aufeinander prachtvoll eingespielt. Nicht einmal ein Okay war erforderlich. Dhark
stand neben Tino Grappa, blickte über seine Schulter auf die Ortungen.
»Schiebt sich nicht etwas dazwischen?« fragte Grappa, der sich seiner Sache keineswegs
mehr sicher war.
»Man könnte es fast glauben und...«
Da hörte jedes Besatzungsmitglied des Ringraumers in seinem Kopf die Frage: Warum
verfolgst du mich schon wieder?
Para-Impulse! Parakräfte, die von dem Nor-ex der anderen Art ausgingen!?
»Feuer unter keinen Umständen einstellen», brüllte Ren Dhark. Intuitiv fühlte er, daß er das
Nor-ex der anderen Art dazu zwingen mußte, die Para-Verbindung zu ihnen nicht abreißen zu
lassen.
Starke Strukturerschütterungen in nächster Nähe. Vier Kreuzer und
321
drei Jäger der TF waren aus dem Hyperraum wieder ins Normalkon-tinuum gekommen. Fast
gleichzeitig eröffneten alle sieben Schiffe ihr To-Funk-Feuer auf das Ziel, das unter dem
wilden Beschüß der Tank-Raumer lag.
Das Nor-ex der anderen Art mußte über die Verstärkung des To-Funk-Beschusses nicht
sonderlich erfreut sein.
Stellt sofort den Beschüß ein! gellte es regelrecht in den Köpfen der Männer, und jeder
duckte sich unwillkürlich.
Wir stellen den Beschüß nicht ein, dachte Ren Dhark nur noch, als er mit den letzten Resten
seiner Sinneskräfte erkannte, daß er in den Abgrund eines hypnotischen Sturmes geschleudert
wurde.
Checkmaster, übernehmen! Checkmaster, übernehmen! Das waren seine letzten, klaren Gedanken. Ob der Checkmaster seine Impulse empfangen
hatte und die PoiNT OF übernahm, konnte er nicht mehr feststellen.
Im Ringraumer gab es keinen einzigen Menschen mehr, der noch Herr seines Willens war,
und in den sieben Kugelraumern der TF, die auf gleichem Kurs den Nor-ex entgegenflogen,
herrschten dieselben Zustände.
Als Ren Dhark die Augen aufschlug, sah er in Dan Rikers Gesicht. Besorgt wurde er
gemustert.
Halb benommen richtete sich der Commander auf. Ein Blick sagte ihm, daß er sich in der
Zentrale seiner PoiNT OF befand. Erst nach weiteren Sekunden setzte sein Verstand wieder
voll ein. Dan half ihm, als er aufstand und zum Pilotensitz wankte. Die Bildkugel zeigte ihm
einen fremden Sternenhimmel.
»Wo sind wir, Dan?«
Der andere lachte verärgert auf. »Wir hatten noch keine Zeit, uns darum zu kümmern. Auf
jeden Fall haben wir die sieben Kreuzer verloren, und das Nor-ex auch. Oder es uns!«
Jeder an Bord hatte plötzlich unter starkem hypnotischem Einfluß gestanden hatte, war
darunter regelrecht zusammengebrochen. Das Nor-ex der anderen Art mußte über
unheimliche Parakräfte verfügen. Es hatte sie angewandt, um seine Verfolger abzuschütteln.
322
Dhark erholte sich rasch. Er und seine Offiziere sahen leicht angeschlagen aus. Kein Wunder
bei dieser psychischen Belastung.
»Ren, du warst der letzte, der wach wurde...«
Doch schon kamen seine Befehle: »Sofort Verbindung mit Terra und den sieben vermißten
Kreuzern herstellen!
Checkmaster: Positionsbestimmung!
Auftrag an die Bordastronomen, so schnell wie möglich ein bekanntes Sternbild zu
identifizieren!« Unter Umständen eine Aufgabe, die die Astronomen nicht lösen konnten.
Da meldete sich Glenn Morris aus der Funk-Z. Was er zu sagen hatte, klang nicht gut, weil
sein Tonfall so eigenartig war.
»Dhark, kommen Sie doch bitte mal.«
Er kam. Riker hatte das Raggschiff übernommen. Ren Dhark stand an der Echokontrolle.
Wieder einmal sollte er Blips entziffern, ihre Bedeutung erklären.
»Wir beobachten es erst seit zwei Minuten. Vorher war dort noch nichts.«
»Wo... dort?« lautete Dharks knappe Gegenfrage.
»3728 Lichtjahre auf Rot, Commander. Eine Emissionsquelle die in ihren Amplituden
irgendwie an das Nor-ex der anderen Art erinnert!«
Morris Behauptung war gewagt. Das sagte sich Ren Dhark auch, aber er fühlte, daß der
Funkoffizier recht haben könnte. Und 3728 Lichtjahre waren für das Flaggschiff keine
Distanz. Dann überraschte er die Männer in der Funk-Z. »Tempo, meine Herren. Wenn ich
wieder in der Zentrale bin, möchte ich die genauen Koordinaten der Emissionsquelle
vorliegen haben.« Sprach's und ging hinaus.
Dan empfing ihn mit der Frage: »Was sollen diese Werte, Ren?«
»Gib sie an den Checkmaster weiter. Schnell, Dan. Vielleicht bekommen wir das Nor-ex
doch noch einmal zu fassen!«
Dan starrte ihn wie ein Weltwunder an. »Du willst noch einmal eine Kostprobe seiner
Parafähigkeiten bekommen?«
»Gib die Daten an den Checkmaster. PoiNT OF klar machen zur Transition!«
Widerspruchslos gehorchte Riker. Dabei war es wirklich ein waghalsiges Unternehmen, dem
Ungeheuer aus dem Raum noch einmal zu begegnen!
323
Die letzte Meldung aus der Funk-Z vor der Transition lautete: »Standort der Emissionsquelle
leicht verändert. Sonst keine Vorkommnisse.«
Auch Ren Dhark übersah den Fehler, den Glenn Morris begangen hatte. Die leichte
Veränderung des Emissionsstandortes würden sie gleich alle zu spüren bekommen.
Vor dem Nor-ex der anderen Art wollte Dhark mit der PoiNT OF den Normalraum wieder
erreichen.
Die POINT OF sprang.
Die Bildkugel blieb schwarz!
Nein, das stimmte nicht.
In der Schwärze brodelte dunkelgrauer Nebel in Turbulenzen. Überall. Direkt um die POINT
OF herum und in weiter Ferne.
Totenstille in der Zentrale. Hinter den Ortungen klang Keuchen auf. Tino Grappa
verzweifelte. Alle Ortungen arbeiteten, aber sie mußten alle falsche Werte liefern.
Auf tausend Lichtjahre Distanz kein einziger Stern? Unmöglich!
Nicht die Spur von freier Energie anzumessen? Was hatte dann die Turbulenzen der
schwarzgrauen Nebelwolken ausgelöst?
Ren Dharks Blick wanderte über die Instrumente. Fast überall war der Wert Null abzulesen.
Sogar das Triebwerk war abgeschaltet worden. Hatte die Gedankensteuerung wieder einmal
eingegriffen?
»Ren, wo sind wir?« So hilflos hatte Dan Riker noch nie gefragt.
Der Commander konnte es ihm nicht sagen. Sein Verdacht war zu absurd. Er hatte nicht den
leisesten Beweis, im Nor-ex der anderen Art rematerialisiert zu haben. Er hatte ja nicht
einmal den Beweis, daß ihr Ziel das Nor-ex gewesen war!
Ich habe zu stark auf meine Gefühle geachtet, machte er sich in Gedanken Vorwürfe, als die
Funk-Z ihm meldete, keinen Empfang zu haben. Nur das typische Rauschen des Hyperspace
sei zu hören.
Im Triebwerksraum saß Are Doorn vor den Kontrollen. »Doorn, ich schalte den Sternensog
auf maximale Leistung. Bedenken?«
»Keine!«
Steuerschalter kippten in andere Stellungen.
Der Sternensog kam - für den Bruchteil einer Sekunde! Dann gab es ihn nicht mehr.
324
Die Flächenprojektoren der POINT OF emittierten keine Strahlen mehr. Hastig klatschte Dharks
Hand auf die Nottaste!
Alle Hauptfunktionen des Flaggschiffs waren abgeschaltet.
»Verdammt!« fluchte er. Ein forschender Blick zur Bildkugel. »Aber es muß doch
festzustellen sein, welcher Art diese Nebel sind!
Neben ihm flüsterte Dan Riker: »Du bist also auch mit deinem Latein zu Ende, Ren?«
Er war es. Er kannte nur noch einen Ausweg, wenn der winzige Spalt in der imaginären Tür
noch offenstand.
Springen! Aus dem Stand in Transition zu gehen.
»Ja...« sagte der Commander halblaut, »dazu muß ich vorher die Intervalle abschalten.«.
Dan hatte seine Worte verstanden. »Dann sind wir verloren!«
Krachend sprang das Schott zur Zentrale auf. Brom, einer der Energieexperten der POINT OF,
stürmte herein. Wortlos reichte er dem Commander ein paar Folien, auf denen Diagramme zu
sehen waren.
»Was soll ich damit?«
»Ansehen!« sagte Brom kurzatmig. »Meine Kollegen wollten es zuerst nicht glauben, aber
jetzt glauben es alle... Commander, wir stecken mit dem Schiff im Kern eines uns
unbekannten energetischen Umwandlungsprozesses...«
Plötzlich konnte Ren Dhark die Diagramme lesen, nachdem er erfahren hatte, was sie
bedeuten sollten.
Die Falten auf seinem Gesicht waren tief und scharf geworden. Seine Hände zitterten leicht.
»Brom, stimmt dieses Diagramm wirklich?«
Das >Ja< des anderen klang gepreßt. »Ich glaube, wir befinden uns an einem Ort im Weltall,
an dem etwas neu in Erscheinung tritt, ohne wirklich neu zu sein!«
Für einen Augenblick verschwamm das Diagramm vor Dharks Augen. Er hatte Brom
verstanden. Sein Schiff hielt sich in einem Sektor auf, in dem die Raumkrümmung nicht mehr
den allgemeinen Werten entsprach, sondern durch die Anwesenheit von Materie
unvorstellbar großer Dichte oder gewaltiger Energiemengen in ebensolcher Konzentration
gezwungen worden war, einen Buckel zu bilden!
Mit anderen Worten: An dieser Stelle war das Raum-Zeit-Gefüge
325
nicht mehr stabil. Die PoiNT OF konnte von einem Moment zum ändern in ein anderes
Universum geschleudert werden.
Ren Dhark ließ die Hände sinken. Jetzt hatte er alles verstanden! Viel mehr als der
Energieexperte ahnte!
Blitzartig erinnerte er sich all der Berichte über das verheerende Wüten der Nor-ex. Hatten
sie nicht Schiffe, ganze Städte und Rotten verschwinden lassen? Und waren sie nach ihren Raubzügen nicht auf ziemlich rätselhafte Art verschwunden? Und zum Schluß hatte das Nor ex einer anderen Art auf sie Jagd gemacht und sie buchstäblich aufgefressen! Die PoiNT OF steckte im Nor-ex der anderen Art, und dieses Nor-ex war damit beschäftigt, die geraubten Massen seiner von ihm aufgefressenen Artgenossen in Energie umzuwandeln! Materie von jenseits des Gefüges wurde wieder ins Kontinuum zurückgeholt und trat damit neu in Erscheinung, ohne wirklich neu zu sein. Und im Moment des Erscheinens wurde die Masse in Energie umgewandelt! Konnte zu diesen Massen nicht auch die FO-1, CAESAR, YAMID, SHARK und FLYING DOG zählen - die durch ein Nor-ex verschwundenen Raumschiffe? Dhark hatte sie nicht vergessen. Jeden Tag hatte er an die Besatzungen dieser Raumer gedacht, aber nirgendwo einen Weg gesehen, auf dem er ihnen hätte zu Hilfe kommen können. War diese Situation nicht zwingend, jetzt alles zu versuchen und aufs Ganze zu gehen, um mit einer allerletzten Chance wenigstens die Besatzungen der verschwundenen Raumer zu bergen? »Brom!« Der Commander erhob sich. »Was passiert nach Ihrer Meinung, wenn die PoiNT OF in ein anderes Raumgefüge einbricht... mit eingeschalteten Intervallfeldern?« Brom preßte die Lippen zusammen. Man sah ihm an, wie stark es hinter seiner Stirn arbeitete. Die Augen halb geschlossen, den Atem angehalten und die Hände leicht geballt, stand der Experte für energetische Erscheinungen vor dem Commander. Endlich öffnete er seinen Mund. »Dhark, die PoiNT OF kann bei einem Übertritt in ein anderes Raumgefüge trotz Intervallfelder von einem Moment zum anderen vergehen. Sie kann diesen Übertritt aber auch schadlos überstehen. Ich glaube, die Chancen stehen fünfzig zu fünfzig...« 326 »So gut sind sie?« rief Ren Dhark, und die Falten in seinem Gesicht verschwanden. »Okay, und jetzt verraten Sie mir auch noch, wie wir mit der PoiNT OF aus dem Nor-ex heraus- und in das andere Raum-Zeit-Gefüge hineinkommen!« Dan Riker wurde blaß. Einige Offiziere in der Zentrale suchten nach Halt. Was ihr Commander gerade gesagt hatte, übertraf ihre schlimmsten Befürchtungen. Sie steckten nicht in einem gewöhnlichen, räuberischen Nor-ex, sondern in dem, das seine Artgenossen aufgefressen hatte? Und Dhark wollte nicht nur aus dieser Situation heraus, sondern auch noch in ein anderes Universum einbrechen? Gab es denn andere Universen? War nicht selbst der Hyperspace ein hypothetisches Etwas? Dhark hatte Brom zuviel zugemutet. Der Mann zitterte. Seine Augenlider flackerten. »Commander...« Ren Dhark winkte ab. Dies war ein weiterer Beweis dafür, daß es im terranischen Bereich wohl ausgezeichnete Fachleute gab, aber, von zwei Ausnahmen abgesehen, keinen Menschen mit einem wirklich umfassenden Wissen, das zum größten Teil aus dem Schatz der Mysterious stammte. Die Ausnahmen hießen Ren Dhark und Are Doorn. Sie hatten nicht nur das Wissen der Mysterious durch Einnahme von Mentcaps in sich aufgenommen, sondern auch ihr auf diese bequeme Weise erhaltenes Wissen durch eisernen Fleiß in ihrem Gedächtnis verankert. »Are, kommen Sie mal 'rüber!« Kurz darauf erschien der bullige Sibirier, der stets dann zufrieden war, wenn er nicht reden mußte. Dhark zeigte ihm das wichtigste der Diagramme und gab seine Erklärungen dazu ab. »...Wir haben eine Chance, Are, eine winzige Chance, die FO-1, YAMID, SHARK, CAESAR und FLYING DOG zu finden, wenn wir nicht zu spät in den anderen Weltraum kommen. Wir haben die Chance, einen Teil von dem zu finden, was sämtliche Nor-ex geraubt haben. Haben Sie begriffen, worum es geht?« »Hm...« Den anderen hatte es die Sprache verschlagen. Sie verstanden ihren Commander nicht mehr. Sie selbst hatten bis jetzt keinen Ausweg aus 327 dieser Lage gefunden und befanden sich in höchster Gefahr, und Ren Dhark dachte an die verschwundenen terranischen Raumschiffe und ihre Besatzungen.
»Dan...« Riker zuckte zusammen. Automatisch sagte er ja. »Wie hoch ist die Belastung der Intervallfelder?« Sie war unverändert. »Gut. Hoffentlich bleibt es so. Aber noch eins, Brom...« Er deutete auf die Bildkugel, die immer noch die schwarzgrauen Nebel voller Turbulenzen zeigte. »Sie haben vorhin behauptet, wir steckten im Kern eines der Wissenschaft unbekannten energetischen Umwand lungsprozesses. Wie ist es dann möglich, daß wir davon nichts feststellen können?« Brom bewies mit seiner Antwort, daß er zu den unauffälligen Könnern zählte, die hin und wieder geniale Hinfalle hatten: »Dhark, ich hatte bei meinen Untersuchungen, die zunächst keine Resultate erbrachten, an eine Frequenzverschiebung geglaubt. An eine Verschiebung, die von zehn hoch zweiundzwanzig Hertz einen gewaltigen Satz nach oben macht. Als ich dann die Umstellungen vorgenommen hatte, konnte ich meine Diagramme erstellen. Com-mander, wir stecken in einer Hölle...« »Nein!« widersprach Dhark gelassen. »Das kann nicht stimmen. Die Belastung der Intervalle ist normal...« »Wissen wir denn, ob die Intervalle der PoiNT OF, die unser Schiff in einen eigenen Miniweltraum hüllen, eine normale Erscheinung im Raum-Zeit-Gefüge sind?« »Brom!« Ren Dhark warf ihm einen bewundernden Blick zu. »Sie sind Ihr Gewicht in Gold wert, allein für Ihre letzte Bemerkung. Nun jedoch bin ich beruhigter als eben, falls uns das Nor-ex mit seinen Parafähigkeiten keinen Strich durch die Rechnung macht. Are«, fragend sah er den Sibirier an, der wie unbeteiligt neben ihnen stand und nicht einmal zugehört hatte, »haben Sie einen Weg gefunden, hier heraus und in einen anderen Weltraum hineinzukommen?« Doorn grinste, verschränkte die Arme und nickte. »Wenn das stimmt, was dieses Diagramm aussagt, dann gehört eigentlich nicht viel dazu, uns in das andere Universum zu schleudern. 328
Vielleicht gehe ich von falschen Voraussetzungen aus, denn die My-sterious haben uns darüber leider nichts verraten, und der da...« - er warf dem da einen abfälligen Blick zu und hatte damit den Checkmaster gemeint - »wird uns auch nichts sagen können. Der Transport von Massen oder Energien von einem Raumgefüge ins andere ist nur in instabilen Grenzbereichen möglich. So behauptet es die Theorie. Wenn wir nun die Belastung noch stärker werden lassen, dann müßte die POINT OF theoretisch in das andere Universum geschleudert werden. Allein durch den Sog...« »... oder in die hinterste Ecke unseres Weltalls, Doorn!« warf Dhark ein. »So gut möglich wie meine Vermutung, Dhark!« Mehr hatte Doorn nicht zu sagen. »Und was passiert mit diesem Nor-ex? Wir dürfen es über unsere eigenen Nöte nicht vergessen...« »Tja, Dhark, wenn wir Pech haben und quer durch unser Raum-Zeit-Gefüge geschleudert werden, dann könnte bei diesem Vorgang aus dem Nor-ex eine Nor-ex-Infektion unseres Universums werden. Wir haben es doch erlebt, als wir mit To-Funk-Kanonen eins der anderen Art in mehrere Teile zerbliesen und die Viecher plötzlich zu Dutzenden um uns herumflogen.« Brom, der erst seit ein paar Wochen auf der PoiNT OF flog, hatte den Sibirier bisher nicht näher kennengelernt und ihn im stillen für ein Protektionskind des Commanders gehalten. Jetzt aber revidierte er schnell seine Ansicht. Er war über das Wissen dieses Mannes, der mehr einem Boxer als einem Experten glich, maßlos verblüfft. »... und wir müßten zuerst feststellen, aus welcher Richtung der Strom der Massen oder Energien kommt, und dann in diese Richtung alle Gravitationsschleudern einsetzen - auf einen einzigen Punkt gerichtet...« »Bei verschwommenen Grenzen, mein Lieber?« hielt ihm Dhark leicht spöttisch vor. Are Doorn war nicht aus der Ruhe zu bringen. »Uninteressant, wenn wir den Checkmaster zur Waffensteuerung einsetzen!« Dhark fühlte die Verantwortung wie eine Zentnerlast. Wie leicht 329
hatte es jeder andere im Schiff. Manchmal beneidete er sie darum, wenn es galt,
Entscheidungen zu treffen, die über Leben oder Tod bestimmen mochten.
Er dachte an die Gefahr einer Reflexion innerhalb dieses Nor-ex. Die volle Wirkung aller
Gravitationsschleudern könnte in der POINT OF wirksam werden. Im gleichen Moment würde
es dann kein Leben mehr im Schiff geben.
Und abermals erinnerte er sich der Besatzungen der verschwundenen terranischen Schiffe
und der winzigen Hoffnung, die in ihm noch lebte, die Schiffe und die Männer noch einmal
wiederzusehen.
»Brom, gleich tragen Sie einen Teil meiner Verantwortung mit. Bestimmen Sie zusammen
mit Ihren Kollegen, aus welcher Richtung das Etwas in unserem Bereich in Erscheinung tritt.
Ich benötige sehr exakte Angaben. Sie wissen, worum es geht. Wie lange werden Sie
brauchen?«
Lächelte Brom?
Ja, er schmunzelte, wie ein Mann, der sich seiner Sache sicher ist.
»Ich muß an den Geräten keine neuen Frequenzverschiebungen mehr eichen. In einer
knappen halben Stunde werden Sie ein mehrfach überprüftes Resultat vorliegen haben.«
»Danke...«
Brom ging. Die Offiziere sahen ihm nach. Ihre Hoffnung war in den letzten Minuten
gewachsen. Aber zerstörte sie Ren Dhark nicht wieder, als er zu Doorn sagte:
»Hoffentlich läßt uns das Nor-ex in der kommenden halben Stunde in Ruhe. Mir ist es
unheimlich, daß es von unserer Existenz noch keine Notiz genommen hat.«
330
22. Der Checkmaster, eine Konstruktion der Mysterious, die von den Utaren die Grakos genannt wurden, war der terranischen Wissenschaft ein einziges Rätsel. Niemand konnte sagen, wie weit der Arbeitsbereich dieses Rechengehirns reichte, und noch weniger war erkennbar, auf welcher Basis es überhaupt arbeitete. Nur eins stand fest: daß der Checkmaster weder nach den Prinzipien terranischer Computer, noch denen der Giants funktionierte. Ren Dhark, der dem Checkmaster einen prüfenden Blick zuwarf, war für einen Moment mißtrauisch geworden. In Gedanken hatte er sich die Frage gestellt, ob das Bordgehirn des Ringraumers seinen Versuch mitmachen oder die Gedankensteuerung einsetzen würde, um sein geplantes Unternehmen zu verhindern. Als die Haupt-Grünkontrolle am Checkmaster aufleuchtete, holte Ren Dhark tief Luft. Seinem Experiment stand nichts mehr im Wege. Tino Grappa hinter den Ortungen fühlte seinen Blick. »Position des Nor-ex unverändert.« Die Vorbereitungen waren wirklich nicht mehr als Routine. Ziel war das Nor-ex der anderen Form - die noch unbekanntere Art einer unbekannten Erscheinung, die jedoch Intelligenz besitzen mußte, denn sonst hätte sie sich nicht auf paranormalem Weg mit ihnen in Verbindung setzen können. Dan Riker informierte Miles Congollon und Are Doorn im Trieb-werksraum, die Besatzung der Funk-Z und die übrigen wichtigen Abteilungen des Ringraumers. Der Eintauchpunkt aus dem Sprung lag genau fest: Im Nor-ex der neuen Form - oder in dem Bereich, in dem nach der Meinung der Experten Neues, das in Wirklichkeit nicht neu war, geschaffen wurde. Im Schiff wollte jenes undefinierbare Pfeifen einsetzen, als die bei 331 den Intervalle der PoiNT OF abgeschaltet wurden. Aber Tausende von Schaltungen wurden in Bruchteilen von Mikrosekunden aufgebaut, umgeändert und zugleich wirksam. Ertobit! Ren Dhark konnte sich nicht erklären warum ihm gerade in diesem Moment dieser Ausdruck
einfallen mußte, den es in der terranischen Sprache nicht gab. Der Checkmaster hatte ihn
geprägt, aber keine Definition dazu geliefert. Erst Miles Congollon hatte die Bedeutung
dieses Begriffs erkannt.
Ertobite Konverter der PoiNT OF waren Konverter, die keine Energie mehr lieferten,
ausgebrannte Anlagen, die von einem undurchdringlichen Unitallmantel umgeben waren.
Doch was würde mit der PoiNT OF geschehen, wenn weitere Konverter gleich reihenweise
ausfallen würden?
Er kam nicht mehr dazu, darüber zu grübeln.
Die POINT OF transitierte!
Dan Rikers Hand griff nach ihm.
Dhark hielt sich an seinem Pilotensitz fest.
Karminrotes Leuchten sprang aus der Bildkugel in die Kommandozentrale des Flaggschiffes
der Terranischen Flotte!
Der Commander sah es nicht. Sein Blick huschte über die Instrumente. Eisiger Schreck
zuckte durch sein Herz.
Die Intervallfelder um den Ringraumer standen schon wieder. Die PoiNT OF befand sich
erneut in ihrem privaten Mini Weltraum!
Und in der Bildkugel war kein einziger Stern zu sehen. Gleichmäßig und wohl für alle
Ewigkeiten unverändert das Karminrot, das nicht einmal besonders stark leuchtete!
»Ren«, flüsterte Dan, »Ren, du großer Himmel, was ist das denn?«
Der Commander konnte ihm nicht antworten. Mit heiserer Stimme meldete einer der
Offiziere am Bordgehirn: »Checkmaster ausgefallen!«
Mit anderen Worten: Die POINT OF war ihrer Seele beraubt!
Ren Dhark schüttelte Rikers Arm ab. Sein Gesicht war versteinert, das etwas eckige Kinn
jetzt noch ausgeprägter. Leicht beugte er sich vor, leicht kniff er die Augen zusammen, und
das Leuchten darin war nun nicht mehr zu sehen. Mit aller Gewalt konzentrierte er sich.
332
Über die Gedankensteuerung wollte er den Checkmaster zwingen, wieder seinen Dienst
aufzunehmen.
Der Schweiß trat ihm auf die Stirn. Er glaubte, sich minutenlang konzentriert zu haben,
obwohl nur ein paar Sekunden vergangen waren. Aber die Gedankensteuerung meldete sich
nicht, griff auch nicht in das Geschehen ein.
Der Mensch in der Ringröhre hatte jetzt allein sein Schicksal in der
Hand!
Was war dieses Karminrote? Befanden sie sich im Nor-ex der neuen Art? Oder hatten sie
über diese Erscheinung einen anderen Weltraum erreicht, in dem es nur dieses rote, aber
relativ schwache Leuchten gab?
»Grappa...« Dharks Stimme dröhnte durch die Kommandozentrale. »Grappa, wie arbeiten
unsere Ortungen?« Der Commander traute plötzlich den Meßgeräten an seinem
Instrumentenpult nicht mehr. Mit wenigen Ausnahmen bewegten sie sich dicht vor dem
Nullbereich, zeigten nur minimale Werte an.
Grappa räusperte sich. »Dhark... ich habe... ich bekomme Unend-lichkeitswerte, selbst mit
der Energieortung. Ich taste mit allen Systemen ins Unendliche. Wir stehen mit dem Schiff
sowohl in Masse wie in Energie. Und Masse und Energie sind überall gleich stark...«
Der Ortungsexperte schwieg. Alle in der Kommandozentrale der POINT OF schwiegen.
Niemand verließ seinen Platz. Die drei Offiziere, die auf der Galerie Dienst taten, hielten sich
am Schutzgeländer fest, starrten zu ihm herunter.
»Dan«, flüsterte der Commander, »wir haben ein anderes Universum erreicht. Wir sind im
Karmin...«, und weiter dachte er: Werden wir jemals wieder den Weg in unser Konünuum
finden?
So laut wie in diesem Moment hatte er es in der Bordverständigung noch nie knacken hören.
Elis Yogans Gesicht tauchte auf dem kleinen Bildschirm links von Dhark auf. Es spiegelte
grenzenlose Bestürzung wider.
»Dhark, ich habe Funkkontakt mit der FO-1, mit Prewitt...!«
Funkkontakt mit der FO-1, dem Forschungsraumer, der auf Hope von einem Nor-ex
verschlungen worden war?
»Funkkontakt, Yogan? Sie irren sich bestimmt nicht?«
333
»Irren? Ich... mich, Dhark?« Elis Yogan lachte wie ein Idiot, wak-kelte mit dem Kopf, und
dann hatte er zur Zentrale durchgestellt.
Commander Ren Dhark sah nicht nur auf dem kleinen Bildschirm Prewitt in die Augen - er
konnte mit Huxleys Erstem Offizier auch sprechen!
Und Prewitt lachte!
»Großer Himmel, Commander Dhark! Bei allen Sternen, Sie haben uns doch noch gefunden!
Ich hab's ja immer gesagt! Ich hab's gewußt, daß Sie uns nicht im Stich lassen würden...«
Dhark erfaßte den Sinn der Worte nicht. Abermals hielt er sich an seinem Pilotensitz fest. Er
wollte schlucken, aber seine Zunge war wie gelähmt. Er konnte Prewitt nur anstarren. Zu
überraschend war dieses Wiedersehen, zu unglaubwürdig - einfach unmöglich.
Und doch!
Er sah ihn auf dem Bildschirm!
Sein Schiff hatte Kontakt mit der FO-1!
Oder...?
Dan hatte seinen Freund beobachtet. Er wurde mit diesem Ereignis auch nicht fertig. Er
glaubte einfach nicht daran. Er hielt alles für einen Spuk, der ihnen von einer raffinierten
Technik vorgegaukelt wurde.
Blitzartig verschwand aus Dharks Gesicht jede Überraschung. Seine Züge erstarrten, seine
Stimme klang scharf und schneidend, wie man sie bisher selten gehört hatte.
»Prewitt, bleiben Sie auf dem Boden. Beantworten Sie mir zwei Fragen...«
Sie wurden nie gestellt.
Tino Grappa hatte die FO-1 erfaßt. Mit der Masseortung. »Aber ich kann nicht sagen, wo
sich das Schiff befindet, Dhark. Ich hab sie drin, aber sie scheint überall zu sein. Es ist zum
Verrückt werden...«
Prewitt hatte mitgehört.
»Commander, verrückt sind wir alle fast geworden... als wir uns plötzlich hier
wiederfanden...« Sein Gesicht veränderte sich. Es zeigte Erschrecken, Angst. »Commander,
sind Sie mit Ihrem Schiff auch hierhergeschafft worden, in dieses rote Nichts?«
Er wußte nichts von einem Nor-ex!
334
Prewitt konnte davon nichts wissen.
Sein Nichtwissen bestätigte, daß er keine Fiktion war, sondern der echte Stellvertreter von
Colonel Frederic Huxley, dem Kommandanten der FO-1!
»Prewitt, wir sind nicht hierhergeschafft worden. Wir sind durch einen Versuch hierher
gekommen...« Aber er verschwieg, daß er im Moment noch keinen Weg sah, wieder ins
normale Kontinuum zurückzukehren. »Prewitt, ich erwarte jetzt von Ihnen einen umfassen den Bericht und zuvor Ihre Angaben, was Sie über die CAESAR, die YAMID, die SHARK und die
FLYING DOG wissen!«
»Was?« Prewitts Gesichtsausdruck konnte man nur als verständnislos bezeichnen. »Was?
Nicht nur wir sind verschwunden? Andere Schiffe auch noch?«
Das war seine Antwort auf die Frage des Commanders. Dann schüttelte der erfahrene
Offizier wieder und wieder den Kopf. Er wußte nichts von Robonen, hatte nichts von großen
Raumschiffverbänden fremder Rassen bemerkt.
Der Fall erschien immer unglaublicher. Die FO-1 konnte doch funken; demnach war
anzunehmen, daß die anderen verschwundenen Schiffe der TF auch ihre Sender benutzen
konnten, und Prewitt wollte keinen einzigen Spruch aufgefangen haben?
»Commander, wir arbeiten mit Nogkschen Sendern!«
»Daran hatte ich nicht gedacht, Prewitt. Mann, passen Sie auf. Wir können Ihr Schiff mit der
Masseortung wohl erfassen, aber Ihren Standort nicht fixieren. Strahlen Sie ununterbrochen
einen Peilstrahl ab, damit wir Sie mit der Funkortung festnageln können...«
Die Funk-Z der POINT OF war vollbesetzt. Morris, Brugg und Yogan hatten die Hauptlast der
Arbeit übernommen.
Brugg war dafür, nur mit der Echokontrolle zu arbeiten. Nur mit ihr hatte man anfangs das
Nor-ex erfassen können.
Glenn Morris war einverstanden, kümmerte sich um die Arbeit seines Kollegen Brugg nicht
mehr und holte Elis Yogan vor die Oszillos der Funkortung.
Auch in der Funk-Z bewegten sich die Werte der Meßinstrumente dicht vor dem Nullbereich.
Auch hier hatte man die Feststellung gemacht, plötzlich mit einem Minimum an Energie
maximale Leistung
335
erzielen zu können. Aber noch zerbrach sich kein Mensch über dieses Phänomen den Kopf.
Hinter ihnen fluchte Walt Brugg und nannte die Echokontrolle ein Mistding, das ihn auf den
Arm nehmen wollte.
Kurz darauf fluchten auch Morris und Yogan los.
In der Kommandozentrale des Ringraumers hörten Dhark und seine Offiziere mit.
Grappa knurrte: »Denen ergeht es nicht anders als mir...«
Überall und nirgends sollte sich die FO-1 befinden! Genauso wie überall Energie und Masse
vorhanden waren, überall in der gleichen Stärke und Menge.
Ren Dhark lehnte sich leicht zurück. Die Meßinstrumente seines Pultes begannen ihm
Kopfschmerzen zu bereiten. Miles Congollon im Triebwerksraum half ihm auf die Spur.
»Natürlich haben wir Energieverbrauch im Schiff, Dhark, aber der ist konstant bis auf ein
Zweihundertstel des Normalverbrauchs abgesunken. Wir brauchen einfach nicht mehr
Energie. Wir kriegen hier alles mit einem bißchen Saft geschafft!«
Dhark hatte darauf nichts erwidert, aber eines begriffen: Auch im Karmin-Universum flog die
PoiNT OF im Schutz ihrer Intervallfelder! Nur benötigte das Schiff zur Erstellung der beiden
ineinanderragen-den Mini-Welträume lächerlich gering anmutende Energiemengen!
»Dan...«
Riker zuckte leicht zusammen. »Ja?«
»Bring' unsere Physiker auf Trab. Ich möchte sie in einer Minute in der Zentrale sehen. Wer
ist eigentlich ein besonders guter Kontinu-umexperte?«
Dan Riker hatte andere Sorgen. »Bist du überzeugt, daß wir uns in einem anderen Universum
befinden und nicht in dem Nor-ex der neuen Art, Ren?«
»Bitte«, antwortete Dhark ein bißchen schroff, »sorge einfach dafür, daß die Experten hier
erscheinen.«
Der Peilstrahl der FO-1 stand. Die Hyperempfänger des Ringraumers fingen ihn auf, aber er
schien aus allen Richtungen zu kommen. Sein Ausgangspunkt war nicht zu fixieren!
In der Funk-Z fluchte Walt Brugg ununterbrochen. Als er endlich
336
damit aufhörte, rief er seinen beiden Freunden Morris und Yogan zu: »Verdammt noch mal,
warum strahlt die FO-1 den Peilstrahl nicht über To-Funk ab und läßt ihn dabei langsam über
die Gradeinteilung wandern? Irgendwann müssen wir ihn dann doch genau in die Antenne
bekommen!«
Glenn Morris hatte Bedenken.
Dieses Karmin-Universum war ihm nicht geheuer. »Erst wollen wir Dhark fragen.«
Der Commander hatte keine Bedenken. Eine entsprechende Anweisung ging an die FO-1.
Prewitt bestätigte. Ungeduld schwang in seiner Stimme mit. Er wollte nicht verstehen, daß
die PoiNT OF ihren Peilstrahl nicht fixieren konnte.
»Boliden und Kometen, wir strahlen ihn doch nicht mit einer Kugelantenne ab...«
Das hatte Ren Dhark mitbekommen. Gerade in dem Moment, als die Physiker die
Kommandozentrale betraten. Und da interessierten sie ihn nicht mehr.
»Prewitt«, rief er dem Notkommandanten der FO-1 zu, »haben Sie um Ihren Kahn vielleicht
den Deflektorschirm stehen?«
»Ja«, erwiderte der Offizier ahnungslos.
»So?! Dann schalten Sie den Unsichtbarkeitsschirm mal ab!«
»Commander...« Aus weit aufgerissenen Augen musterte der sonst so furchtlose Mann den
Commander der Planeten, »das... das dürfen Sie nicht verlangen! Commander, dann sind wir
verloren. Nur der Deflektorschirm hat uns bisher vor dem Wahnsinn bewahrt. Erst als wir ihn
wieder aufgebaut hatten, verschwand in uns die Angst, wahnsinnig zu werden.«
Dhark hörte zum erstenmal davon. »Warum haben Sie das in Ihrem Bericht verschwiegen,
Prewitt?«
Der hob zur Entschuldigung die Schultern. »Vergessen, Commander, total vergessen...«
»Wir müssen es dennoch versuchen, Prewitt. Informieren Sie Ihre Leute. Wir wissen sonst
keine Möglichkeit mehr, Ihren Standort auszumachen. Ich glaube, wir kommen mit einer
Versuchsdauer von einer Minute aus. Bitte, Zeitvergleich...«
Die Physiker hatten zu warten.
337
Die Minute lief an, in der die FO-1 ihren Deflektorschirm abschaltete. Es war die Minute der
Katastrophe.
Tino Grappa konnte mit seiner Masseortung die FO-1 nicht mehr erfassen.
In der Funk-Z war von dem Sender des Forschungsraumers nichts mehr zu hören.
Alle Rufe nach dem Schiff blieben ohne Antwort.
»Vielleicht hören wir das Schiff wieder, wenn die Minute vorüber ist!« Aber Dhark glaubte
selbst nicht daran.
Die Minute war zu Ende.
Die FO-1 war und blieb im Karmin verschwunden.
Jetzt hatte Ren Dhark Zeit, sich mit den Physikern zu unterhalten. Dan verstand ihn nur zu
gut, als er sah, wie Ren sich den Schweiß von der Stirn wischte. Er wußte, was jetzt in Dhark
vorging.
Ein Mann machte sich die schwersten Vorwürfe, womöglich das Leben einer Raumschiff-
Besatzung aufs Spiel gesetzt zu haben.
Riker seufzte in Gedanken.
Durch diesen unerwarteten Zwischenfall würde sich ihr Aufenthalt im Karmin viel länger
ausdehnen, als jeder von ihnen erwartet hatte; denn daß Ren Dhark niemals den Befehl geben
würde, einen Durchbruch ins Normalkontinuum zu versuchen, bevor die FO-1 gefunden
wäre, stand jetzt schon fest.
Der Commander ließ seine Männer nicht im Stich!
Marschall Bulton war ein Nervenbündel geworden.
Henner Trawisheim, Ren Dharks Stellvertreter auf Terra, bekam das zu spüren.
Bulton sprach ihn zum drittenmal in einer Stunde.
»Wir versuchen es immer noch, Trawisheim, immer mit dem gleichen Resultat. Im letzten
Moment haben wir Colonel Ralf Larsen erwischt. Dieser verdammte Narr wollte doch auf
eigene Faust gegen die Nor-ex vorgehen. Jetzt befindet er sich auf dem Rückflug zur Erde.
Das ist aber auch alles. Der Commander ist mit der POINT OF verschollen. Von der WEGA II
unter Huxley keine Spur. Ich hätte mir nie vorstellen können, daß dieser Mann sich einmal
wie ein Idiot
338
verhalten könnte. Verflucht, er ist doch kein Ren Dhark! Der kann sich so etwas leisten. Der
ist immer wieder zurückgekommen...«
Trawisheim fand es an der Zeit, den nervösen Marschall zu unterbrechen, und ihm gefiel
auch nicht, daß Bulton den bewährten Colonel Huxley derart unsachlich beurteilte.
»Auch Huxley ist immer wieder zurückgekommen, Marschall. Ich gebe Ihnen den guten Rat,
behalten Sie die Nerven.«
»Sie haben gut reden«, knurrte der cholerische Mann. »Zum Schluß bin ich der Sündenbock.«
»Bulton, Sie sollten Dharks besten Raumer-Kommandanten etwas mehr zutrauen!«
Trawisheims Stimme klang schärfer.
Mit einer Handbewegung wischte Bulton den Einwand beiseite. »Gerade darum mache ich
mir Sorgen. Aber Sie hinter ihrem verdammten Schreibtisch, Sie haben ja keine Ahnung!«
»Bulton...«
Der Marschall war auch von Ren Dharks Stellvertreter nicht zu bremsen.
»Bulton. .. Bulton... Bulton...«, äffte er Trawisheims Stimme wütend nach. »Zum Schluß bin
ich der Sündenbock. Ich pfeife auf sämtliche Befehle. Ich bin für die Offiziere und
Besatzungsmitglieder der TF verantwortlich, und das schwöre ich Ihnen, Trawisheim, in
einer halben Stunde beginnt die größte Suchaktion, die die Erde jemals erlebt hat. Ich schicke
mehr als die Hälfte der Flotte in den Raum, um sie nach den vermißten Schiffen forschen zu
lassen, und wenn Sie es mir noch hundertmal untersagen. Ende! «
Der Bildschirm auf Henner Trawisheims Schreibtisch wurde grau. Bulton hatte abgeschaltet.
Der junge Mann, der eine der erstaunlichsten Karrieren gemacht hatte, lehnte sich zurück,
blickte die Wand an und sah sie doch nicht. Er beschäftigte sich in seinen Gedanken mit dem
aufsässigen Marschall Bulton.
Ihm gefiel dieser Choleriker. Ihm gefiel der Mensch Bulton, der den Mut hatte, sich über
Vorschriften einfach hinwegzusetzen, weil er glaubte, als Verantwortlicher der Flotte so
handeln zu müssen.
Hoffentlich starb diese Spezies Mensch niemals aus. Solange sie in ausreichender Zahl existierte, brauchte die Menschheit um ihren Bestand nicht zu fürchten. 339 Henner Trawisheim dachte gar nicht daran, die Suchaktion nach der WEGA II und der POINT OF zu unterbinden. Er sorgte sich auch um das Schicksal der Besatzungen, er sorgte sich, weil auch er sich nichts unter den Nor-ex der beiden Formen vorstellen konnte. Die Physiker der POINT OF hatten Commander Dhark nicht weiterhelfen können. Die Versuche der Funk-Z, wieder mit der FO-1 in Verbindung zu treten, blieben erfolglos. Dan Riker saß im Copilotensitz, hatte seine rechte Hand zur Faust geballt und preßte sie gegen die Lippen. Hinter seiner Stirn lauerte ein ganzer Fragenkomplex. Sie befanden sich im Karmin, einem anderen Universum. In diesem Weltraum waren Masse und Energie gleichmäßig verteilt; in unendlicher Ferne ebenso dicht wie in nächster Nähe. Aber war das nicht Nonsens? War das nicht ein Widerspruch in sich? Bestand wirklich die Möglichkeit, daß in einem anderen Universum auch andere physikalische Gesetze galten? »Ren, wir haben uns bluffen lassen!« Er war derjenige, der sich am meisten über seine Bemerkung wunderte. Vor einer Sekunde hatte er einen solchen Gedanken noch nicht gehabt. Der Freund blickte ihn erstaunt an. »Ja, Ren, wir haben uns bluffen lassen.« Schlagartig wußte Riker, was er zu sagen hatte. »Wir haben uns durch den Checkmaster bluffen lassen, weil er sich abschaltete. Hm... besonders gut ist das Ding auch nicht. Vogel-Strauß-Politik! Wir aber sollten den Kopf nicht in den Sand stecken! Warum versuchst du nicht, die POINT OF zu beschleunigen? Warum hängen wir hier herum und versuchen, Probleme zu lösen?« Seine Vorschläge mochten nicht besonders ausgereift sein, aber sie hatten dennoch etwas Gutes: Sie zwangen zum Handeln! Und dann nahm die POINT OF Fahrt auf. Kurs aufs Irgendwohin! Fahrt ohne Ortungsresultate. Fahrt ohne arbeitende Bildkugel. Hinter seinen Ortungen preßte Grappa die Hände vor die Augen. In der Funk-Z erstarrten Morris, Yogan und Brugg plötzlich und konnten den Blick nicht vom Oszillo der Echokontrolle nehmen. 340
Noch ahnte Ren Dhark nicht, was einige seiner Offiziere bemerkt hatten. Er wunderte sich nur, daß im Karmin der Sie der POINT OF ebenso einwandfrei arbeitete wie im heimatlichen Raum-Zeit-Gefüge. Widersprach das nicht der Behauptung, im Karmin seien Masse und Energie überall gleichmäßig verteilt? Elis Yogan befreite sich als erster von der Schockwirkung. »Commander, wir fliegen auf ein Nor-ex der neuen Art zu! Wir haben das Biest in der Echokontrolle!« Grappa bestätigte die Behauptung des Funkoffiziers. Ein dünnes Lächeln umspielte Ren Dharks Lippen. Ein Lächeln, das Dan Riker nicht besonders gut gefiel. Aber er konnte Dharks Anweisung an die beiden Waffensteuerungen nicht verhindern. Sie erhielten vom Commander den Befehl, alle Antennen des Ringraum-ers auf To-Funkbeschuß umzuschalten. »Yogan, geben Sie den beiden Waffensteuerungen die Koordinaten des Nor-ex durch...« »Das geht nicht, Commander. Wir haben keine Koordinaten des Nor-ex vorliegen. Wir können nur erkennen, daß wir auf das Biest zufliegen. Dhark, wir glauben, daß es im Karmin gar keine Richtung gibt... wenigstens nicht das, was wir in unserem Weltraum unter Richtung verstehen. Darum... darum...« Hatte Elis Yogan den Mut verloren, weiterzusprechen? Dhark forderte ihn auf. Das unternehmungslustige Lachen spielte immer noch um seine Lippen. »Darum konnten wir vorhin, als noch Kontakt mit der FO-1 bestand, auch den Standort des Schiffes nicht ausmachen. Großer Himmel, wenn's nicht so verrückt klingen würde... möchte sagen: Hier braucht man bloß loszufliegen, um ans Ziel zu kommen...« »Oder zu schießen, um das Ziel zu treffen!« rief Ren Dhark lauter als gewohnt in die Sprechrillen der Bordverständigung. »Hallo, Waffensteuerungen! Mit allen To-FunkKanonen nach allen Seiten schießen! Dauerfeuer!« Es war wieder einmal ein Versuch - aber es war auch ein Versuch, der gar nicht so abwegig
war. Hatte To-Funkfeuer nicht genügt, um das Nor-ex aus dem heimatlichen Weltraum zu vertreiben? Und warum sollte To-Funkfeuer im 341 Karmin nicht der Schlüssel sein, wieder ins heimatliche Kontinuum zurückzufinden vielleicht durch ein Nor-ex, das vor dem Beschüß flüchtete? »Sterne und Boliden, Ren... du riskierst wieder einmal alles!« flüsterte Dan Riker ihm zu. Dhark war anderer Meinung. Er achtete nicht einmal auf die Instrumente seines Pults. Sein Blick lag auf der Bildkugel. Sie gab das Dauerfeuer aus den Antennen seines Schiffes nicht wieder. Sie zeigte ein unverändertes Karminrot. Und dann war alles nicht mehr wahr. Dann war alles anders. Auch Dhark hatte geglaubt, die Bildkugel würde explodieren. Das Karminrote schien in die Zentrale zu fliegen und verschwand doch nur aus der Bildkugel. Das Karminrote wurde von einem blassen rosa Schimmer abgelöst, der aber nur Hintergrund war. Dominierend in der Kugel ein schwarzer Ball, der langsam pulsierte. Ein schwarzer Ball, auf den sich alle To-Funkstrahlen vereinigt hatten! Alle! Obwohl sie von der PoiNT OF in alle Richtungen abgestrahlt wurden! Du hast mich also doch gefunden! Durch die Besatzung der POINT OF ging es wie ein wilder Schmerz!
Sie standen dem Nor-ex gegenüber! Aber welchem Nor-ex? Einem der alten oder einem der
neuen Art?
Ren Dhark glaubte, seine Schläfen würden platzen. Er preßte beide Hände dagegen.
Wer bist du ? Seine Frage an das Nor-ex war überfällig - längst überfällig. Verblüffend die Antwort, die in jedem Kopf aufklang: Dein Gastgeber! Niemand lachte. Niemand hatte diese Erwiderung erwartet, auch Ren Dhark nicht. Und dann kam schon der nächste paranormale Impuls. Ja. Deine Gedanken sind richtig. Mein Universum ist nicht groß. Es hat nur Platz für einige meiner Art, und es ist in seinem Masse-Haushalt nicht stabil. Genauso, wie wir nicht stabil sind. Darum können wir von einem Raum zum anderen wandern. Darum können 342 wir uns aus stabilen Welträumen die Masse besorgen, die wir unbedingt benötigen. Und dein Weltall ist das reichste aller Kontinua, aber auch das gefährlichste. Seitdem meine Parasiten auf euch gestoßen sind, wissen wir, daß wir miteinander sprechen müssen, um nebeneinander in Frieden leben zu können... Zum erstenmal in seinem Leben erhielten Ren Dhark und seine Männer einen Begriff von dem unvorstellbaren Variationsreichtum der Schöpfung. Sie hatten Kontakt mit intelligentem Leben aus einem anderen Universum - und dieses intelligente Leben hatte ihnen soeben Verhandlungen angeboten, um miteinander in Frieden leben zu können! In der Zentrale der POINT OF war es sekundenlang still wie in einem der herrlichen Dome Terras, in dem Menschen knieten, um zu beten. Ein unsichtbares Band schien plötzlich zwei Universen miteinander zu verbinden, nur weil der Begriff Frieden hier wie drüben die gleiche Bedeutung zu haben schien. Ren Dhark hörte sich ergriffen atmen. Er wußte, daß er diesen Augenblick nie vergessen würde. Er wußte auch, daß er etwas Ähnliches so schnell nicht wieder erleben würde. Aber er begriff auch, warum sie hatten glauben müssen, es mit zwei verschiedenen Nor-exArten zu tun zu haben. Der schwarze, schwach pulsierende Ball vor dem rosa Hintergrund war in diesem Kontinuum das Nor-ex! Es hatte selbst von seinen Parasiten gesprochen. Ein eigenartiger Ausdruck, der in diesem Zusammenhang so leicht nicht zu verstehen war. Dhark grübelte noch darüber nach, als der schwarze Ball sich auf paramentalem Weg erneut meldete. Ohne Schmarotzer können wir nicht leben. Sie verzehren einen Teil unserer Masse, aber wir können sie auch aussenden, uns Masse aus anderen Universen zu besorgen. Kein Hinweis auf die verschwundenen Schiffe der Terranischen Flotte! Kein Hinweis auf die Raumer und Städte anderer intelligenter Rassen!
Das Nor-ex reagierte auf Ren Dharks konzentrierte Gedankenfragen nicht!
Dann erinnerte er sich, daß der schwarze, leicht pulsierende Ball noch immer unter To-
Funkbeschuß stand.
343
Ändere nichts an der Situation, hörte er das Nor-ex. Meine Schmarotzer, die ich alle aus
eurem Universum zurückgeholt habe, saugen sich mit euren Energien voll und wandeln sie in
Masse um.
Umwandlung von Energie in Materie?
Ren Dhark mußte seine inneren Kräfte mobilisieren, um sich mit dieser Vorstellung vertraut
zu machen. War im Karmin ein Traum der terranischen Wissenschaftler etwas Alltägliches?
Gehörte es zu diesem Weltall, Energie in Materie zu verwandeln, wie man in dem Raum-
Zeit-Gefüge der Menschen Materie in Energie umwandelte?
Gewaltsam mußte Dhark sich zwingen, seine Gedanken in andere Bahnen zu lenken. Der
schwarze Ball mußte ihm Auskunft über die verschwundenen Raumer geben! Er würde
darauf bestehen!
Und Dan Riker, der so fassungslos war wie alle übrigen Männer in der PoiNT OF, störte
seinen Freund nicht einmal mit einem Blick. Er ahnte, was hinter Dharks Stirn vorging.
Erneut weigerte sich das Nor-ex, diese Frage zu beantworten.
Ich habe auch keinen Grund, euch zu loben, aber Anlaß, euch Menschen zu fürchten. Noch nie hat es eine Rasse gegeben, die meinen Schmarotzern mit tödlich wirkenden Waffen entgegengetreten ist. Nur darum bin ich bereit, in Frieden mit euch zu leben, weil ich die Existenz meiner Art in diesem Universum nicht aufs Spiel setzen will. Bist du bereit, meine Parasiten nicht mehr anzugreifen, wenn sie aus eurem Kontinuum Masse in das Karmin schaffen? Ren Dhark ballte die Hände. Er wußte, daß das Nor-ex jeden seiner Gedanken las und auch jetzt seine Wut über diese unverschämte Forderung erkannte. Der schwarze pulsierende Ball schien ungeduldig zu werden. Wenn wir uns nicht einigen, werden wir einen Kampf auf Leben und Tod führen, drohte das Nor-ex. Die Parasiten unserer Art werden euch aus eurem Universum herausreißen. Ich habe dir schon einmal gesagt, daß wir in nicht großer Zahl im Karmin leben, aber die Zahl unserer Schmarotzer geht in die Millionen. Wie sie zu vernichten sind, habt ihr nur durch euren To-Funkbeschuß gezeigt. Meine Art wird von diesem Mittel Gebrauch machen, wenn der Kampf zwischen uns beginnt! »Um alles in der Welt», stöhnte Dan Riker auf, der in seinem Kopf 344
ebenso die Gedanken des Nor-ex empfing wie jeder Mann an Bord, »Ren... akzeptiere das Angebot. Vergiß die Menschen nicht...« Dhark akzeptierte nicht! Er ließ das Nor-ex fühlen, daß er nicht einmal Angst hatte, im Karmin zu enden, und er gab dem schwarzen Ball zu verstehen, daß die Menschen es gewohnt waren, um ihr Leben zu kämpfen. Nur darum habe ich deine Schiffe und deren Besatzungen verschont, die meine Parasiten ins Karmin geschafft haben. Nur sie allein! Meine Art wollte sie studieren, weil uns noch nie eine Gefahr dieser Größe begegnet ist. Niemals hätte ich geglaubt, du könntest mich im Karmin aufspüren. Du hast es bewiesen, aber neben dir noch ein Mann deiner Art, nur hat er einen anderen Weg benutzt, um den Abgrund zwischen unseren beiden Kontinua zu durchbrechen. Das Nor-ex war schlau. Erst jetzt hatte es bekanntgegeben, daß die verschwundenen Raumer der TF noch existierten. Damit wollte es sich ein Druckmittel schaffen. So kommen wir nie zu einem Abschluß, dachte Dhark, und ihm war es sogar recht, daß der schwarze Ball alle seine Gedanken lesen konnte. Ich bin bereit, deinen Parasiten einen kleinen Teil der Schätze unseres Universums zu überlassen, wenn du dich verpflichtest, alles Leben, das deine Schmarotzer ins Karmin verschleppt haben, wieder zurückzugeben, und du versicherst, niemals mehr intelligentem Leben und seinen Erzeugnissen Schaden zuzufügen. Nur unter diesen Bedingungen kann ich im Namen meiner Rasse Frieden mit dir und deiner Art schließen! Habe ich dir nicht schon gesagt, daß ich nur die Existenz deiner Rassegenossen nicht verändert habe? Ich schicke die Schiffe und ihre Besatzungen in euer Raumgefüge zurück.
Auch dich und dein Schiff. Aber ich kann nur noch das zurückgeben, was ich besitze. Das ist viel. Meine An hat noch nie etwas zurückgegeben! Bedenke es, und bedenke auch, daß wir es gewohnt sind, uns an Verträge zu halten. Mehr konnte Dhark nicht erreichen, und es erschien ihm gar nicht befremdlich, daß er dem Nor-ex glaubte - alles glaubte, auch daß die vielen tausend Raumschiffe anderer Rassen nicht mehr existierten. Einverstanden, ich hoffe, daß unsere beiden Rassen es nie bereuen werden, diesen Vertrag geschlossen zu haben! 345 Es erfolgte keine Antwort. In der Bildkugel wurde der schwarze pulsierende Ball plötzlich kleiner, war nur noch ein Punkt vor dem schwach rosafarbenen Hintergrund des Karmin. Ren Dhark fühlte leichtes Prickeln auf der Kopfhaut. Das Prickeln wurde stärker, breitete sich über den gesamten Körper aus und verwandelte sich mehr und mehr in eine schmerzhafte Erscheinung. Walt Brugg aus der Funk-Z meldete sich über die Bordverständigung: »Dhark, wir haben plötzlich unsere verschwundenen Schiffe im Empfang. Man weiß, daß auch die PoiNT OF im Karmin steckt. Aber wußten Sie, daß Huxley mit seiner WEGA II ebenfalls hier ist? Er hat's auch geschafft, ins Karmin zu kommen...« Colonel Huxley war also der Mann gewesen, der nach den Worten des Nor-ex einen anderen Weg benutzt hat, um den Abgrund zwischen den beiden Kontinua zu durchbrechen! Colonel Frederic Huxley, der alte Draufgänger! »Brugg, geben Sie die Verbindung mit Huxley herein...« Es kam nicht mehr dazu! Das Nor-ex schleuderte die PoiNT OF aus dem Karmin heraus und zurück in ihr normales Raum-Zeit-Gefüge. 0,3 Lichtjahre vom Sol-System entfernt wurde der Ringraumer wieder existent. »Großer Gott, was ist denn hier los?« erklang es aus der Funk-Z. »Hören Sie sich das einmal an, Commander!« Doppelwulstraumer mit unverminderte Geschwindigkeit weiter im Anflug auf Terra... REN DHARK Band 11
Wunder des blauen Planeten erscheint im Juli 1998 346
Ren Dhark - Programm Kurt Brand schuf von 1966 bis 1969 die Heftserie Ren Dhark. Für die Buchausgabe des Bernt Verlages wird der SF-Klassiker neu bearbeitet, ergänzt und fortgeschrieben, denn in den Tiefen des Alls ist das Rätsel der Mysterious noch immer zu lösen... Bereits erschienen und lieferbar: Buchausgabe (jeweils ca. 352 Seiten) Ren Dhark Band l "Sternendschungel Galaxis"
Ren Dhark Band 2 "Das Rätsel des Ringraumers"
Ren Dhark Band 3 "Zielpunkt Terra"
Ren Dhark Band 4 "Todeszone T-XXX"
Ren Dhark Band 5 "Die Hüter des Alls"
Ren Dhark Band 6 "Botschaft aus dem Gestern" (G'Loorn-Zyklus)
Ren Dhark Band 7 "Im Zentrum der Galaxis" (G'Loorn-Zyklus)
Ren Dhark Band 8 "Die Meister des Chaos" (G'Loorn-Zyklus)
Ren Dhark Band 9 "Das Nor-ex greift an!"
Ren Dhark Band 10 "Gehetzte Cyborgs"
Buchausgabe (ca. 192 Seiten) Ren Dhark Sonderband "Die Legende der Nogk" In Vorbereitung: Ren Dhark Band 11 (erscheint Mitte Juli 1998) Ren Dhark Sonderband 2 (erscheint Mitte Juli 1998) Ren Dhark Band 12 (erscheint Anfang November 1998)
Weitere Bände erscheinen im Abstand von drei bis vier Monaten Hansjoachim Bernt Verlag Postfach 22 01 22, 56544 Neuwied Internet: http://www.bernt.de
Kurt Brand SF-Edition Der "Vater" unserer Science Fiction - Bestsellerserie REN DHARK, Kurt Brand, war unbestritten einer der bekanntesten und beliebtesten Autoren der deutschen Nachkriegs SF. Es waren größtenteils Space Operas voller neuer, farbiger Ideen mit faszinierenden Hintergründen, die Brand in der Gunst der SF - Leser innerhalb weniger Jahre nach oben katapultierten. Wir veröffentlichen in dieser Edition in jedem Band jeweils drei seiner frühen Leihbücher bzw. Heftromane, wobei es sich teilweise um sehr gesuchte Romane handelt. Eine HJB - Hardcoverausgabe Bereits erschienen und lieferbar: Buchausgabe (ca. 352 Seiten) Kurt Brand Edition Band l "Der Galaxant", "Sterbliche Sternengötter", "Der Gral-Mutant" Weitere Bände sind im Abstand von ca. 12 Monaten geplant. Hansjoachim Bernt Verlag Postfach 22 01 22, 56544 Neuwied Internet, http://www.bernt.de : t-
I
"POINT OF" - Modell Für die 98 besten Freunde von REN DHARK Sehr geehrter Leser, auf der gegenüberliegenden Seite ist das Mastermodell der POINT OF abgebildet. Kurz nach Erscheinen dieses Buches verfügen wir über 98 Exemplare, die wir fertig montiert und bemalt anbieten. Bemalt ist die POINT OF unitall-blau mit gelbem Streifen. Der Sockel ist dunkelgrau. Beide Elemente sind mit Schattierungen versehen. Das Modell ist im Maßstab 1:1000 aus gehärtetem Kunststoff gefertigt (Ringdurchmesser 18 cm). Sie können - natürlich ganz unverbindlich! gegen Einsendung eines frankierten Rückumschlags kostenlos ein Farbfoto des Modells beim Bernt-Verlag anfordern! Hansjoachim Bernt Verlag, Abt. PO, Postfach 22 01 22, 56544 Neuwied Internet: http://www.bernt.de
Ren Dhark Sonderband
"Die Legende der Nogk" Der erste REN DHARK SONDERBAND ist erschienen!
Auf 192 Seiten erzählt der Autor Manfred Weinland
eine spannende Episode aus der Geschichte der Nogk des wohl faszinierendsten Fremdvolkes innerhalb
des REN DHARK Kosmos.
Der Inhalt:
Der Nogk Charraua erfährt von dem Schläfer von mysteriösen Vorgängen um sein Volk
in der Vergangenheit.
Auch Commander Huxley ist mit an Bord,
als Charraua seine Suche beginnt...
Gehen Sie mit auf die Reise,
denn in den Tiefen des Alls
sind noch immer Geheimnisse zu lösen...
Bereits erschienen und lieferbar:
Hardcover, 192 Seiten REN DHARK SONDERBAND "Die Legende der Nogk" Hansjoachim Bernt Verlag Postfach 22 01 22, 56544 Neuwied Internet: http://www.bernt.de