Agnes Blome · Wolfgang Keck · Jens Alber Generationenbeziehungen im Wohlfahrtsstaat
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Agnes Blome · Wolfgang Keck · Jens Alber Generationenbeziehungen im Wohlfahrtsstaat
Agnes Blome Wolfgang Keck Jens Alber
Generationenbeziehungen im Wohlfahrtsstaat Lebensbedingungen und Einstellungen von Altersgruppen im internationalen Vergleich
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Monika Mülhausen Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Titelbild: Conny Schmidt Satz: Anke Vogel Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15660-6
Inhaltsverzeichnis
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort............................................................................................................... 17 Vorwort des Projektleiters................................................................................ 21 1
Einleitung .................................................................................................. 23
2
Generationensolidarität zwischen Staat und Familie ........................... 29 2.1 Die Altersorientierung von Wohlfahrtsstaaten.................................. 30 2.2 Austauschbeziehungen zwischen familialen Generationen .............. 33 2.3 Das Verhältnis von Staat und Familie............................................... 35 2.3.1 Familialismus und Defamilialisierung .............................................. 38 2.4 Intergenerationale Transmission ....................................................... 42
3
Forschungsdesign...................................................................................... 47 3.1 Fragestellungen ................................................................................. 49 3.2 Definition und Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes ......... 51 3.2.1 Die Abgrenzung von Altersgruppen und Generationen.................... 51 3.2.2 Abgrenzung der Untersuchungsfelder Wohlfahrtsstaat und Familie............................................................................................... 53 3.3 Methoden........................................................................................... 57 3.3.1 Institutionenvergleich........................................................................ 58 3.3.2 Verbindung von Mikro- und Makrodaten ......................................... 58 3.3.3 Mikroanalysen und Regressionsmodelle........................................... 59 3.4 Daten ................................................................................................. 60
4
Die vier Wohlfahrtsregime im Vergleich ............................................... 67 4.1 Grundlegende Prinzipien und Charakteristika der ausgewählten Wohlfahrtsregime.............................................................................. 67 4.1.1 Charakterisierung der Länder............................................................ 73 4.1.2 Kontexte: Alterung der Gesellschaft, Haushaltsstrukturen und Erwerbstätigkeit ................................................................................ 78
6
Inhaltsverzeichnis
4.2 4.3 4.3.1 4.3.2
Generationenverhältnis in der Sozialpolitik: Altersorientierung und Rentenlastigkeit von Wohlfahrtsstaaten..................................... 90 Generationenbeziehungen: Kontakthäufigkeit und Einstellungen zur Familie......................................................................................... 95 Räumliche Nähe und Kontakte zwischen Generationen................... 96 Einstellungen zur Familie.................................................................. 99
5
Rentensysteme und die materielle Lebenssituation älterer Menschen .................................................................................... 105 5.1 Institutionelle Regelungen der Rentensysteme und ihre Reformen im Vergleich................................................................... 105 5.1.1 Veränderungen der Anspruchsvoraussetzungen: Altersgrenzen (1), Wartezeiten (2) und Berechnungsgrundlage (3) .............................................................. 111 5.1.2 Alterssicherung von Frauen und die Aufwertung der Familienarbeit (4)............................................................................ 117 5.1.3 Indexierung der Leistungen (5) ....................................................... 121 5.1.4 Steuer- und Abgabenbelastung (6).................................................. 122 5.1.5 Mindestsicherung (7)....................................................................... 124 5.1.6 Leistungen ....................................................................................... 127 5.2 Die materielle Lebenssituation älterer Menschen ........................... 133 5.2.1 Vorgehensweise und Datenlage ...................................................... 133 5.2.2 Wie übersetzen sich institutionelle Regelungen in tatsächliche Renteneinkommen älterer Menschen? ............................................ 135 5.2.3 Unterschiede der Rentenleistungen für Männer und Frauen .......... 141 5.2.4 Die Bedeutung von Renteneinkommen für das Haushaltseinkommen älterer Menschen ......................................... 144 5.2.5 Die Bedeutung von Renten in verschiedenen Einkommenspositionen ................................................................... 148 5.2.6 Altersarmut und ihre Bestimmungsgründe ..................................... 152 5.3 Private Transfers an ältere Menschen ............................................. 158 5.4 Zentrale Befunde und rentenpolitische Implikationen des Vergleichs........................................................................................ 160
6
Die Pflege älterer Menschen .................................................................. 171 6.1 Vergleich der staatlichen Pflegeleistungen ..................................... 174 6.1.1 Gesetzliche Regelungen der Versorgungsverpflichtung................. 176 6.1.2 Anspruchsvoraussetzungen ............................................................. 180 6.1.3 Finanzielle Leistungen zur Pflege................................................... 184 6.1.4 Umfang der staatlich geförderten Pflege......................................... 192
Inhaltsverzeichnis
6.2 6.2.1 6.2.2 6.3
7
Vergleich der Pflegeleistungen in der Familie................................ 196 Pflegearrangements ......................................................................... 201 Der Zusammenhang zwischen öffentlicher Pflege und den Beziehungen zwischen Eltern und Kindern .................................... 209 Fazit ................................................................................................. 213
7
Transferleistungen für Familien ........................................................... 219 7.1 Direkte und indirekte Transferleistungen für Familien................... 220 7.1.1 Direkte Transferleistungen.............................................................. 220 7.1.2 Indirekte Transferleistungen ........................................................... 229 7.1.3 Be- und Entlastung von Familien im Vergleich.............................. 232 7.2 Die Einkommenssituation von Familien......................................... 235 7.2.1 Haushaltsstrukturen und Erwerbstätigkeit ...................................... 236 7.2.2 Einkommenszusammensetzung und –verteilung ............................ 243 7.2.3 Kinderarmut .................................................................................... 252 7.3 Private Transfers an die Kinder....................................................... 258 7.4 Fazit ................................................................................................. 269
8
Kinderbetreuung zwischen Familie und Staat .................................... 275 8.1 Familienbezogene Sachleistungen .................................................. 275 8.1.1 Elternzeit ......................................................................................... 277 8.1.2 Kinderbetreuung.............................................................................. 286 8.2 Kinderbetreuung und Erwerbsbeteiligung von Müttern ................. 293 8.2.1 Kinderbetreuung in der Familie ...................................................... 294 8.2.2 Der Einfluss von Kinderbetreuungsoptionen auf die Erwerbsbeteiligung von Müttern..................................................... 301 8.3 Fazit ................................................................................................. 311
9
Gibt es einen Generationenkonflikt? Einstellungsunterschiede zwischen Altersgruppen in empirischen Studien ................................ 315 9.1 Mögliche Konfliktlinien zwischen Generationen ........................... 316 9.2 Konzepte, Daten und Methoden...................................................... 322 9.3 Einstellungsunterschiede zwischen Altersgruppen und den Geschlechtern .................................................................................. 324 9.3.1 Staatliches Engagement für Familien.............................................. 324 9.3.2 Einstellungen zur Pflege der Eltern................................................. 326 9.3.3 Einstellungen zur Finanzierung der Pflege ..................................... 328 9.3.4 Einstellungen zur Rentenversicherung............................................ 330
8
Inhaltsverzeichnis
9.4 9.5 10
Wahrgenommene Spannungen zwischen den Generationen .......... 331 Fazit ................................................................................................. 335
Alt und Jung im Wohlfahrtsstaat – Wo steht Deutschland im internationalen Vergleich? .................................................................... 337 10.1 Vom Ausland lernen? Die prekäre Übertragbarkeit von Modellen des „best practice“ .......................................................... 337 10.2 Rentnerlastigkeit oder Investitionen in die Jugend? ....................... 340 10.2.1 Rentnerlastigkeit ist nicht Rentnerprivilegierung ........................... 341 10.2.2 Soziale Investitionen in die Jugend? ............................................... 345 10.3 Staat oder Familie – Staat und Familie? ......................................... 353 10.4 Weichenstellungen für die Zukunft................................................. 356 10.5 Kaum Anzeichen für einen Generationenkonflikt .......................... 362
Literaturverzeichnis ........................................................................................ 365 Anhang.............................................................................................................. 399
Abbildungsverzeichnis
9
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 2.1:
Generationenbeziehungen und Generationenverhältnis.......... 43
Abbildung 3.1:
Skizze des Untersuchungsdesigns........................................... 49
Abbildung 4.1: Abbildung 4.2: Abbildung 4.3: Abbildung 4.4:
Strukturdaten zum demografischen Wandel ........................... 79 Haushaltsformen bei Personen im Alter von 16-64 Jahren .... 83 Haushaltsformen bei älteren Menschen .................................. 84 Beschäftigungsquoten von Männern und Frauen 1950-2005................................................................................ 86 Abbildung 4.5: Zusammenhang zwischen Fertilität und Beschäftigungsquoten von Frauen im Längsschnitt (1950-2005)............................................................................. 89 Abbildung 4.6: Wohlfahrtsstaatliche Arrangements (2001) ............................ 91 Abbildung 4.7: Sozialschutzausgaben insgesamt in % des BIP, 1993 und 2003......................................................................... 93 Abbildung 4.8: Sozialschutzausgaben insgesamt pro Kopf der Bevölkerung, 1993 und 2003 .................................................. 93 Abbildung 4.9: Verhältnis der Sozialschutzleistungen für ältere Menschen pro Kopf der über 65-Jährigen und Familien pro Kopf der unter 15-Jährigen (Vielfache), 1993-2003 ........................ 95 Abbildung 4.10: Index zur Wertschätzung der Familie in Europa .................. 100 Abbildung 4.11: Einzelindikatoren zur Wertschätzung der Familie................ 101 Abbildung 4.12: Einstellungsindikatoren Geschlechterrollen ......................... 102 Abbildung 5.1: Abbildung 5.2: Abbildung 5.3: Abbildung 5.4: Abbildung 5.5:
Drei Varianten zur Ermittlung des Rentenniveaus (Nettoersatzraten) .................................................................. 139 Einkommenszusammensetzung von Haushalten mit über 65-Jährigen.................................................................... 145 Bezug von Betriebsrenten nach Altersgruppen im Jahr 2000 ............................................................................... 148 Anteil älterer Menschen nach Einkommenslage (Dezile) und der jeweilige Anteil an Sozialtransfers .......................... 149 Mittlere Einkommensposition von Frauen und Männern über 65 Jahren in Einpersonenhaushalten ............................. 152
10 Abbildung 6.1: Abbildung 6.2: Abbildung 6.3: Abbildung 6.4:
Abbildungsverzeichnis
Verhältnis von potenziellen Pflegerinnen zu potenziell zu Pflegenden 1950-2030 .......................................................... 171 Beeinträchtigung bei verschiedenen Aktivitäten nach Altersgruppen ........................................................................ 199 Hilfeleistungen in Abhängigkeit von der Beeinträchtigung nach Land .............................................................................. 200 Pflegeintensität bei außerhäuslicher Pflege .......................... 205
Abbildung 7.1:
Kindergeldleistung in Relation zum nationalen durchschnittlichen Bruttoeinkommen, 1992 und 2004 ......... 226 Abbildung 7.2: Beschäftigungsmuster von Paaren im Alter zwischen 16 und 64 Jahren, 1994 und 2001 ......................................... 238 Abbildung 7.3: Anteil an Einverdienerhaushalten nach Kinderzahl.............. 240 Abbildung 7.4: Anteil der Sozialtransfers am Haushaltsnettoeinkommen von Familien mit Kindern unter 16 Jahren (1994 und 2001) .................................................................... 244 Abbildung 7.5: Sozialtransfers nach Haushaltstypen..................................... 245 Abbildung 7.6: Durchschnittliche Einkommensposition nach Haushaltstyp .......................................................................... 250 Abbildung 7.7: Durchschnittliche Einkommensposition nach Erwerbsmuster der Paare....................................................... 252 Abbildung 7.8: Armutsquoten nach Haushaltstyp ......................................... 256 Abbildung 7.9: Armutsreduktion durch Sozialtransfers ................................ 258 Abbildung 7.10: Finanzielle Transfers an die Kinder nach Einkommensposition............................................................. 262 Abbildung 7.11: Erbwahrscheinlichkeit in Abhängigkeit von Erbhöhe und Einkommen .................................................................... 266 Abbildung 8.1: Abbildung 8.2: Abbildung 8.3: Abbildung 8.4: Abbildung 8.5:
Abbildung 8.6:
Regionale Unterschiede in der Kinderbetreuung .................. 290 Betreuung durch die Großmütter .......................................... 295 Tägliche Betreuung der Enkel durch Großmütter nach Entfernung............................................................................. 297 Beschäftigungsquote und Arbeitszeit von Vätern nach Alter des Kindes .................................................................... 299 Vergleich der Beschäftigungsquote in Vollzeitäquivalenten zwischen jungen Frauen und Müttern (2001) .................................................................................... 302 Veränderung der Beschäftigungsquote und der Arbeitszeit von Müttern nach Alter des Kindes (1998-2001) ................. 304
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 9.1: Abbildung 9.2: Abbildung 9.3: Abbildung 9.4: Abbildung 9.5:
11
Einstellungen zur staatlichen Verantwortung, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern (2001) ...... 325 Präferenz der familialen Pflege nach Altersgruppen ............ 328 Vertrauen in das Rentensystem nach Altersgruppen und Ländern.................................................................................. 331 Wahrnehmung von Spannungen in der Gesellschaft ............ 332 Wahrnehmung von Spannungen zwischen Jung und Alt nach Altersgruppen ............................................................... 333
13
Tabellenverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Tabelle 3.1:
Datenquellen............................................................................ 63
Tabelle 4.1: Tabelle 4.2: Tabelle 4.3:
Ausgewählte Charakteristika von Wohlfahrtsregimes............ 70 Geschlechterunterschiede bei der Beschäftigung ................... 88 Grundinformationen zu Niveau und Veränderung der Ausgabendaten ........................................................................ 94 Familiennetzwerke älterer Menschen (65+) im Ländervergleich....................................................................... 97
Tabelle 4.4:
Tabelle 5.1: Tabelle 5.2: Tabelle 5.3: Tabelle 5.4: Tabelle 5.5: Tabelle 5.6: Tabelle 5.7: Tabelle 5.8:
Tabelle 5.9:
Tabelle 5.10: Tabelle 5.11: Tabelle 5.12: Tabelle 5.13:
Erste Säule des Alterssicherungssystems, 2004.................... 108 Zentrale Reformen seit 1990 ................................................. 109 Veränderung der Anspruchsvoraussetzungen zwischen 1990 und 2005....................................................................... 112 Kompensationsmechanismen 2004....................................... 119 Aufgrund der Indexierung erwartete Veränderung der Nettoersatzrate zwischen 2003 und 2013.............................. 122 Besteuerung und Abgabenlast von Renteneinkommen, 1990 und 2005....................................................................... 123 Regelungen der Mindestsicherung für ältere Menschen (etwa 2005)............................................................................ 126 Nettorente im ersten Bezugsjahr in Prozent der durchschnittlichen Nettoeinkommen im Jahr vor dem Ruhestand (Nettoersatzrate), 1990 und 2003 ........................ 129 Nettorente im ersten Bezugsjahr in Prozent der durchschnittlichen Nettoeinkommen im Jahr vor dem Ruhestand (Nettoersatzrate), 2050 ......................................... 131 Erwartete Entwicklung des Bruttorentenniveaus.................. 132 Häufigkeit von Renteneinkommen 2000 .............................. 136 Nettoersatzraten nach Geschlecht ......................................... 142 Unterschiede im Renteneinkommen zwischen den Geschlechtern in Paarhaushalten, in denen beide Partner über 65 Jahre alt sind............................................................. 143
14 Tabelle 5.14: Tabelle 5.15: Tabelle 5.16: Tabelle 5.17: Tabelle 5.18: Tabelle 6.1: Tabelle 6.2: Tabelle 6.3: Tabelle 6.4: Tabelle 6.5: Tabelle 6.6: Tabelle 6.7: Tabelle 6.8: Tabelle 6.9: Tabelle 6.10: Tabelle 6.11: Tabelle 6.12:
Tabelle 7.1: Tabelle 7.2: Tabelle 7.3: Tabelle 7.4: Tabelle 7.5: Tabelle 7.6: Tabelle 7.7:
Tabellenverzeichnis
Empfänger von Betriebsrenten und der Anteil der Betriebsrenten am Haushaltseinkommen (2000) .................. 147 Altersarmut............................................................................ 154 Logistische Regression: Einflussfaktoren von Armut im Rentenalter ............................................................................ 157 Unterstützungsleistungen für ältere Menschen in den letzten 12 Monaten ................................................................ 159 Intensität der Rentenreformen............................................... 161 Veränderung der Versorgungsverpflichtung zwischen 1990 und 2005....................................................................... 177 Anspruchsvoraussetzungen für Pflegeleistungen.................. 181 Anteil der staatlichen Leistungen an den Pflegekosten ........ 185 Formalisierungsgrad familialer Pflegetätigkeiten 1990 und 2005................................................................................ 188 Anzahl pflegebedürftiger älterer Menschen, die staatliche Unterstützung erhalten .......................................................... 194 Abschätzung des Pflegebedarfs............................................. 198 Aufteilung häuslicher Pflegearrangements ........................... 202 Betreuung pflegebedürftiger Personen nach Wohnort der Pflege leistenden Person in Prozent ...................................... 204 Wer leistet Pflege? ................................................................ 207 Pflegeleistung nach Personengruppe und Geschlecht c ...... 208 Kontakte zwischen Eltern und Kindern nach Pflegearrangement................................................................. 211 Einfluss der Pflegearrangements auf die Kontakte (ordinales Logit-Modell mit teilweise abhängigen Beobachtungen)..................................................................... 212 Altersgrenzen für den Bezug von Kindergeld 1992 und 2004 ....................................................................................... 222 Höhe des Kindergelds in € PPP (ohne Zuschläge, für die Kinderzahl summiert)............................................................ 224 Modellfamilien ...................................................................... 233 Steuerliche Belastung 2004 inklusive Familientransferleistungen (durchschnittlicher Prozentsatz) 234 Geschlechterungleichheit in der Erwerbsbeteiligung bei Paarhaushalten nach Zahl der Kinder (2001)........................ 241 Kinderarmut .......................................................................... 254 Finanzielle Transfers von den älteren Eltern an die Kinder.. 261
Tabellenverzeichnis
15
Tabelle 7.8:
Erwarteter Erblass älterer Menschen, gewichtet mit der subjektiven Wahrscheinlichkeit, dass diese Erbhöhe eintreten wird......................................................................... 264
Tabelle 8.1:
Anspruchsvoraussetzungen für Elternzeit bzw. Elterngeld im Zeitvergleich .................................................................... 282 Regelungen und Leistungen der nationalen Elternzeitund Erziehungsgeldsysteme (2006) ...................................... 283 Öffentliche Kinderbetreuung für Kinder im Alter von 0 bis 3 (1990-2005) ............................................................... 288 Staatliche Maßnahmen zur finanziellen Unterstützung bei außerhäuslicher Kinderbetreuung (2006)........................ 292 Entfernung von Enkeln zu den Großmüttern ........................ 296 Zwei-Ebenen Poisson-Regression: Einflussfaktoren auf die Arbeitszeit von Müttern mit Kindern im Alter zwischen ein und zwei Jahren ............................................... 308 Zwei-Ebenen Poisson-Regression: Einflussfaktoren auf die Arbeitszeit von Müttern mit Kindern im Alter zwischen ein und zwei Jahren in Deutschland...................... 310 Übersicht über die ausgewählten Einstellungsindikatoren ... 323 Wer soll für die Pflegeleistungen zahlen?............................. 329 Überblick über die Unterschiede zwischen den Altersgruppen und den Geschlechtern auf der Grundlage von logistischen Regressionen .............................................. 334
Tabelle 8.2: Tabelle 8.3: Tabelle 8.4: Tabelle 8.5: Tabelle 8.6:
Tabelle 8.7:
Tabelle 9.1: Tabelle 9.2: Tabelle 9.3:
Tabelle 10.1: Tabelle 10.2: Tabelle 10.3:
Sozialpolitische Veränderungen für Menschen, die derzeit im Rentenalter sind.................................................... 341 Sozialpolitische Veränderungen, die derzeit jüngere Menschen und Familien betreffen (1990-2006).................... 346 Veränderungen der staatlichen Leistungen in vier Politikfeldern......................................................................... 357
Vorwort
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Vorwort
Die Alterung der Bevölkerung gehört zu den größten Herausforderungen Deutschlands in den nächsten Jahrzehnten. Viele der vorhergesagten Szenarien wie die unzureichende Nachhaltigkeit der Rentenversicherung, nachlassende Innovationspotenziale oder die Verkleinerung und Überlastung der Familien zeichnen ein düsteres Bild der Zukunft und beschwören einen sich anbahnenden Generationenkonflikt herauf. Ist es wirklich so schlecht bestellt um die Zukunft Deutschlands? Welche Maßnahmen wurden eingeleitet, um den demografischen Änderungen und seinen Folgen zu begegnen? Diese beiden Fragen standen im Mittelpunkt des Forschungsprojektes „Generationenbeziehungen im Wohlfahrtsstaat“, das von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert wurde. Die AutorInnen dieses Buches haben sich zum Ziel gesetzt, das Zusammenspiel zwischen den Generationen eingehend zu untersuchen. Ihr Ansatz ist synthetischer Natur. Es geht darum, die Austauschbeziehungen zwischen Generationen im Sozialstaat und in der Familie zu betrachten. Wodurch werden die Lebensbedingungen und sozialpolitischen Einstellungen von Altersgruppen geprägt? Mit diesem Ansatz beschreiten sie einen bisher selten gewählten Weg. Ganz bewusst wurde darauf verzichtet, spezialisierte Detailanalysen und Zukunftsprognosen voranzutreiben, die zwar wertvoll sind, aber auch die Gefahr bergen, Entwicklungen unabhängig von den sozialen Kontexten zu beurteilen. In diesem Buch soll nicht nur auf Funktionsdefizite bei der sozialen Sicherung aufmerksam gemacht werden, sondern auch gezeigt werden, in welchem Maße die jüngere Generation von dem erwirtschafteten Wohlstand ihrer Eltern profitiert. Es sollen nicht die Leistungen und Belastungen von jungen und alten Menschen gegeneinander aufgerechnet werden. Die hier vorgelegten Analysen zeigen vielmehr, wie vielfältig die Lebenssituationen der Generationen sind und welche unterschiedlichen Chancen und Risiken sich daraus ableiten. Und nicht zuletzt macht die Studie deutlich, wie verschieden Frauen und Männer in die Generationenbeziehungen eingebunden sind und wie wichtig es ist, die geschlechtsspezifischen Konsequenzen zu bedenken, die Reformen unter dem Motto der Generationengerechtigkeit anstreben. Die Betrachtung des deutschen Sozialstaats aus vergleichender europäischer Perspektive zeigt, dass das deutsche System in seinem Kern immer noch ein System der Versicherung von Risiken aus abhängiger Arbeit ist, dem das Modell
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Vorwort
des männlichen Haupternährers mit durchgängiger Erwerbsbiographie zugrunde liegt. Es bietet dieser Klientel im Vergleich mit den europäischen Nachbarländern mit ähnlich hoher Wirtschaftskraft überdurchschnittliche Leistungen der Lebensstandardsicherung in den Kernsystemen, nicht aber der wachsenden Zahl von Menschen, deren Beschäftigungsbiographie diesem Modell nicht entspricht (insbesondere Frauen). Für die Hans-Böckler-Stiftung ist die Analyse unterschiedlicher Wohlfahrtsstaatsregime und Politikansätze von zentraler strategischer Relevanz, insbesondere im Blick auf die unterschiedlichen Wirkungen auf die Generationen. Im Förderschwerpunkt „Zukunft des Sozialstaates“ werden orientiert am Leitbild der „flexicurity“ europäisch-vergleichende Projekte gefördert, die wissenschaftsgestützt politische Gestaltungspfade aufzeigen. Ohne den Ergebnisse im Einzelnen vorweg greifen zu wollen, möchte ich zwei Aussagen der AutorInnen hervorheben, die als handlungsleitend für eine moderne Sozialpolitik gesehen werden können. Erstens, die Frage der Generationengerechtigkeit entscheidet sich nicht allein in der Rentenpolitik, sondern umfasst ein weites Spektrum sozialpolitischer Maßnahmen. Schon von Geburt an werden Weichenstellungen gesetzt, die für die Nachhaltigkeit der sozialen Sicherung und der Balance zwischen Beiträgen und Leistungen von Generationen entscheidend sind. Unzureichende Startchancen für Kinder haben über den gesamten Lebensverlauf hinweg Folgewirkungen, die sich in einer schwierigen Arbeitsmarktintegration, höheren Armutsrisiken und Versorgungslücken im Alter zeigen. Anlehnend an dem Ansatz des „Gender Mainstreaming“ schlagen die AutorInnen ein „Generation Mainstreaming“ vor, dass sozialpolitische Maßnahmen hinsichtlich ihrer unterschiedlichen Auswirkungen auf Generationen beurteilt, und versucht, eine gleichmäßige Verteilungen der Chancen, Lasten und Leistungen zwischen den Generationen zu erreichen. Die zweite Einsicht ist, dass einige Reformen darauf abzielen, im Namen der Generationengerechtigkeit die Leistungen des Sozialstaats einzuschränken und somit zu einer Entsolidarisierung beitragen. Was als ein nachhaltiger Ausgleich der Beiträge und Leistungen zwischen Generationen angelegt ist, kann soziale Ungleichheiten innerhalb der Generationen fördern. Besonders deutlich wird dies bei den Rentenreformen, die zum einen eine Stärkung der privaten Vorsorge vorsehen und gleichzeitig die staatlichen Rentenzahlungen stärker an die zuvor eingezahlten Beiträge koppeln. Beide Maßnahmen zusammengenommen vertiefen die Kluft zwischen besser Verdienenden mit hohen Vorsorgeleistungen und Geringverdienenden, die weder einer ausreichende private Vorsorge betreiben noch mit ausreichenden staatlichen Renten rechnen können. Finanzielle Transfers zwischen Generationen in der Familie können dies nicht ausgleichen, weil sie ebenfalls die sozialen Ungleichheiten reproduzieren, da Erbschaften und inter-vivo Transfers bei wohlhabenden Familien viel größer sind.
Vorwort
19
Das hier vorliegende Buch zeigt schließlich, dass die Konfliktpotenziale zwischen Generationen wesentlich subtiler gelagert sind als häufig in einer einfachen Kontrastierung zwischen älteren Leistungsempfängern und jüngeren Beitragszahlern angenommen wird. Vor allem die weiterhin bestehende große Solidarität in der Familie trägt dazu bei, dass Konfliktpotenziale zwischen Generationen eher gering sind. Prof. Jens Alber vom Wissenschaftszentrum Berlin und seinen MitarbeiterInnen Agnes Blome und Wolfgang Keck möchte ich sehr herzlich für die weiterführende Projektidee und die hervorragende Bearbeitung der Thematik danken. Auf höchstem wissenschaftlichen Niveau werden transferfähige Handlungspfade entwickelt, die die Debatte um einen „Europäischen Sozialstaat“ weiter beflügeln werden. Das hier vorliegende Buch wurde nicht zuletzt durch die hilfreiche Unterstützung vieler anderer Personen möglich. Auch im Namen der Autoren danke ich Philipp Schnell für seinen engagierten Beitrag als studentischer Mitarbeiter am Projekt. Marion Obermaier und Martina Sander-Blanck haben die Texte Korrektur gelesen und zur Verständlichkeit beigetragen. Bei methodischen Fragen stand uns Ulrich Kohler zur Seite. Viele hilfreiche Hinweise zur Familienpolitik erhielten wir von Thomas Bahle, der Gast am WZB war. Konstruktive Kritik gaben auch die Teilnehmer eines im Rahmen des Projekts veranstalteten ExpertenWorkshops an uns weiter. Diese waren: Karen Anderson, Thomas Bahle, Hilke Brockmann, Irene Dingeldey, Jeanne Fagnani, Stefano Sacchi und Chiara Saraceno. Besonderer Dank gilt den Mitgliedern des Projektbeirats, die viele Verbesserungsvorschläge einbrachten. Dem Projektbeirat gehörten an: Karen Anderson, Ekin Deligöz, Elke Hoffmann, Ute Klammer, Thomas Klein, Jürgen Kohl, Dianne Köster, Harald Künemund, Lutz Leisering, Andreas Motel-Klingebiel, Ingo Nürnberger, Birgitta Rabe, Barbara Riedmüller und Michael Stegmann. Erika Mezger Hans-Böckler-Stiftung
1 Einleitung
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Vorwort des Projektleiters
Zeit ist in den Sozialwissenschaften die knappste Ressource. Wer keine Zeit hat, versucht, sie sich zu kaufen, indem er entweder sich selbst für einen bestimmten Zeitraum von den gewohnten Arbeiten freikauft oder aber MitarbeiterInnen einstellt. Beides erfordert Drittmittel von Geldgebern. Die Hans-Böckler-Stiftung hat uns die Produktion dieses Buches ermöglicht, indem sie uns für fast drei Jahre großzügig Mittel für zwei wissenschaftliche Halbtagsstellen sowie für Sachmittel zur Verfügung stellte. Wir sind der Stiftung zutiefst dankbar dafür, dass sie unser Projekt ermöglicht hat. Dank gebührt insbesondere Frau Dr. Erika Mezger, die unsere Arbeit mit kritischer Sympathie sowie mit flexiblem Verständnis für unvermeidliche Verzögerungen begleitete. Dank gebührt darüber hinaus dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, das uns die erforderliche Infrastruktur einschließlich der Räume und der administrativen Begleitung bereitstellte. Hier danken wir insbesondere Christoph Albrecht sowie Martina Sander-Blanck für ihre hilfreiche Unterstützung. Am Anfang der Projektarbeit war uns in der Rolle der wissenschaftlichen Hilfskraft auch Philipp Schnell eine große Hilfe, der inzwischen als diplomierter Sozialwissenschaftler andernorts schon seine eigenen Projekte durchführt. Besonderer Dank gebührt nicht zuletzt dem wissenschaftlichen Beirat des Projekts, der unter der Leitung von Dr. Erika Mezger ein aufmerksamer, wachsam kritischer, aber stets auch kollegial freundlicher Begleiter unserer Arbeit war. Von den Diskussionen mit unseren Beiräten und den zahlreichen klugen Anregungen, die wir hier erhalten durften, haben wir sehr profitiert, wobei der übliche Vorbehalt, dass alle eventuell verbliebenen Fehler und Schwächen in der Verantwortung des Autorengespanns bleiben, natürlich auch hier gilt. Das Buch handelt von Generationenbeziehungen, und die haben wir auch in der Projektarbeit gepflegt und auf vielfältige Art erfahren dürfen. Es war für mich eine interessante und lehrreiche Erfahrung, zu erleben, wie jüngere Kollegen und Kolleginnen doch oft etwas andere Akzente setzen und die Dinge in einem etwas anderen Licht erscheinen lassen, als ich es bis dato gewohnt war. Durch die Kombination ihres Fleißes und ihres Geschicks im Umgang mit Umfragedaten und amtlichen Quellen mit meiner langjährigen Berufserfahrung ist ein Buch zustande gekommen, das wohl keiner von uns alleine so geschrieben hätte.
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Vorwort des Projektleiters
Was Agnes Blome und Wolfgang Keck auf zwei halben Stellen in weniger als drei Jahren erarbeitet haben, ist beeindruckend. Meine Rolle beschränkte sich auf die Konzipierung des Projekts, seine kritische Begleitung und die Kontrolle der von Agnes Blome und Wolfgang Keck erarbeiteten Papiere. Erstmals fand ich mich auch in der Rolle eines Lektors, der ein ihm unterbreitetes Manuskript kritisch abklopft und umschreibt. Die neue Erfahrung hat meinen alten Eindruck bestärkt, dass es eine zentrale Schwäche des deutschen Buchwesens ist, anders als englische oder amerikanische Verlagshäuser im Bereich der Sozialwissenschaften auf die Rolle des professionellen Lektors zu verzichten. Ohne sie auszukommen, ist schwer und fordert – wie fast alles im Leben – seinen Preis, der sich zwar nicht unbedingt in der Währung des Geldes, wohl aber in der Währung der Qualität niederschlägt. Weil Agnes Blome und Wolfgang Keck sehr viel mehr Arbeit in unser gemeinsames Projekt investiert haben, gebührt ihnen auch die Kennzeichnung ihrer zentralen Rolle in der Reihenfolge der Autorennennung. Es wäre meines Erachtens unangemessen gewesen, hier der Logik der Hierarchie oder der des Alphabetes zu folgen. Deshalb habe ich mich dafür entschieden, die Namen meiner jüngeren Koautoren hier in den Vordergrund zu rücken und damit der Tatsache Rechnung zu tragen, dass sie für dieses Projekt sehr viel mehr Arbeit aufgewendet haben als ich, der es in Zusammenarbeit mit der Hans-Böckler-Stiftung ins Leben rufen durfte. Berlin, im Oktober 2007
Jens Alber
1 Einleitung
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1 Einleitung
Der demografische Wandel und seine Bedeutung für die zukünftige Entwicklung der Generationenbeziehungen rücken zunehmend ins Zentrum öffentlicher Debatten. Nicht wenige Autoren vertreten die Auffassung, die Gesellschaft der Zukunft werde von Generationenkonflikten geprägt sein. Unsere Studie zeigt, was wir aufgrund empirischer Daten über die Lebensbedingungen und Beziehungsmuster verschiedener Altersgruppen in unterschiedlich gestalteten Sozialstaaten wissen. Im Zentrum steht die Frage, wie Staat und Familie die Lebensbedingungen von Generationen prägen und wie sich dieses Wechselspiel auf die sozialpolitischen Einstellungen von Altersgruppen in vier strategisch ausgewählten Ländern – Deutschland, Frankreich, Italien und Schweden – auswirkt. Der Vergleich dieser Länder soll darüber Aufschluss geben, wie verschiedenartig das Zusammenleben zwischen Generationen organisiert sein kann und welche Strategien sich vor dem Hintergrund alternder Gesellschaften als zukunftsfähig erweisen. Der doppelte Trend sinkender Geburtenraten und steigender Lebenserwartung führt fast überall in Europa zu einer beträchtlichen Alterung der Gesellschaft (Grundy 1996; Kaufmann 2005; United Nations 1956). Durchschnittlich werden in Europa derzeit nur 1,5 Kinder pro Frau1 geboren, während die Lebenserwartung eines Neugeborenen 78 Jahre beträgt. Damit verschiebt sich das Generationengefüge. Der Anteil der über 65-Jährigen wird in Relation zum Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter bis 2030 von derzeit 24 Prozent auf etwa 38 Prozent steigen. Diese Entwicklung stellt die Gesellschaften Europas vor neue Herausforderungen. Zu den zentralen Dimensionen des anstehenden sozialen Wandels zählen neben der nachhaltigen Finanzierung der sozialen Sicherung Strukturwandlungen der Familie, Arbeitsmarktanpassungen, ein neuer Umgang mit Migration und Integration, neue Siedlungsstrukturen und regionale Unterschiede sowie veränderte Konsummuster (Hauff und Bachmann 2006). Für das Zusammenleben der Generationen hat die Alterung der Bevölkerung weitreichende Konsequenzen, die vor allem die Familienbeziehungen sowie die sozialrechtliche Stellung verschiedener Altersgruppen betreffen. Mit der niedrigen Kinderzahl schrumpft innerhalb der Familien die Zahl der Seitenver1
Durchschnittswert der EU-Mitgliedsstaaten 2001. Die Werte schwanken zwischen 1,2 in Slowenien und der Slowakei und 2,0 in Irland und Island (European Data Service 2007).
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wandten, während die Generationen für längere Lebensphasen zusammenleben. Damit werden die Familien „länger und dünner“. Das verlängerte Zusammenleben und die verringerte Anzahl der Beziehungsverhältnisse machen eine Intensivierung der Beziehungen zwischen den Generationen in der Familie wahrscheinlich (Bengtson 2001; Hondrich 1999). Auf der Seite des Sozialstaats geht es darum, für eine nachhaltige Balance zwischen Beiträgen und Leistungen zu sorgen. Der steigende Anteil älterer Menschen und der Rückgang der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter stellen insbesondere die Renten- und Pflegesysteme vor eine Bewährungsprobe, weil sich das Verhältnis von Beitragszahlern und Leistungsempfängern bzw. Pflegern und Pflegebedürftigen drastisch verschiebt (Bäcker und Koch 2003; Holzmann et al. 2003; Myles 2002). 1950 kamen in Europa auf eine Person über 65 Jahre rund acht Personen im erwerbsfähigen Alter. Im Jahr 2000 betrug das Verhältnis 1:5, und im Jahr 2030 wird es bei 1:3 liegen.2 Noch stärker wirken sich die demografischen Veränderungen auf die Pflegesituation aus, da der größte Bevölkerungszuwachs bei den hochbetagten Personen zu erwarten ist. Auch wenn ältere Menschen künftig im Alter länger gesund bleiben mögen, geht man aktuell doch von einer Zunahme des Pflegebedarfs aus (Garg 1995; McGlone und Cronin 1994; Schulz et al. 2001). Die erforderlichen Maßnahmen zur Bewältigung des demografischen Wandels beschränken sich jedoch nicht auf die Pflege- und Rentenpolitik. Auch die Familien-, Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik können die Nachhaltigkeit der sozialen Sicherung stärken, indem sie eine Erhöhung der Zahl der Geburten fördern, die Beschäftigungschancen und Produktivität auf dem Arbeitsmarkt verbessern oder die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern (EspingAndersen 2002; Bothfeld 2004; OECD 2002). Eine Einschätzung der Generationenbeziehungen im Wohlfahrtsstaat muss zwei Dimensionen berücksichtigen: die Familie und den Staat. Mit den beiden Dimensionen verbinden sich auch zwei verschiedene Definitionen des Generationenbegriffs. Das familiale Generationenkonzept bezieht sich auf das Zusammenleben von Kindern, Eltern und Großeltern innerhalb der Familie. Der Begriff der staatlich konstituierten Generationen hebt hingegen auf die institutionelle Grenzziehung zwischen verschiedenen Altersgruppen ab, denen unterschiedliche soziale Rechte und Pflichten zugeordnet sind. In Anlehnung an eine Unterscheidung Lutz Leiserings wollen wir beide Bereiche im Folgenden begrifflich getrennt halten. Mit Generationenbeziehungen bezeichnen wir fortan das Zusammenleben von Generationen in der Familie, während das Generationenverhältnis
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Die Zahl wurde auf Basis der Datenbank „World Population Prospects“ der Vereinten Nationen berechnet.
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die institutionelle Unterscheidung verschiedener Alterskohorten kennzeichnet (Leisering 1992: 45). In politischen Diskussionen geht es vor allem um das Generationenverhältnis in alternden Gesellschaften. Hier werden häufig zwei Positionen vertreten, nämlich erstens der Gedanke einer drohenden Gerontokratie (Sinn und Uebelmesser 2002), zweitens der Gedanke einer besonderen Zukunftsfeindlichkeit kontinentaleuropäischer Sozialstaaten (Esping-Andersen und Sarasa 2002; European Commission 1999c). Der erstgenannte Gedanke behauptet, dass das wachsende Gewicht der Rentner an den Wahlurnen immer weniger Spielraum für Reformen lasse, die den Interessen der Rentnergeneration zuwiderlaufen. Der zweite behauptet, dass der Reformbedarf in kontinentaleuropäischen Sozialstaaten besonders hoch sei, weil hier zwei Merkmale zusammenkämen: Auf der Leistungsseite seien sie besonders transfer- und rentenlastig, weil zu viele Zahlungen an ältere Menschen, zu wenige an Kinder und Familien gingen, während soziale Dienstleistungen zugunsten von Geldzahlungen vernachlässigt würden. Auf der Finanzierungsseite seien sie überdies durch das hohe Gewicht an den Faktor Arbeit gekoppelter Sozialbeiträge beschäftigungs- und wachstumsfeindlich. Aus beiden Aspekten wird eine wachsende Macht- und Verteilungsungleichheit zwischen den Generationen abgeleitet, die Grundlage für einen sich anbahnenden Generationenkonflikt sei. Diese Argumentation berücksichtigt allerdings nur eine Seite der Medaille, nämlich die Position von Jung und Alt im Sozialstaat. Dabei wird übersehen, dass junge und alte Menschen zusätzlich über familiale Beziehungen verbunden sind, die zum einen einer einseitigen politischen Einflussnahme der Älteren Grenzen setzen (Baltes und Mittelstraß 1992; Künemund 2004), zum anderen durch die Umverteilung von Ressourcen von Alten zu Jungen gekennzeichnet sind (Attias-Donfut und Wolff 2000b). Zwar betonen einige Autoren, dass die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern aufgrund des Wertewandels brüchiger werden mögen (Etzioni 1993; Saraceno 1997), aber Konsens herrscht darüber, dass sie trotz der zunehmend autonomen Lebensgestaltung der jüngeren und der älteren Generation noch immer sehr eng sind (Attias-Donfut 1995; Kohli 1999; Lowenstein et al. 2004; Lye 1996; Silverstein 2004; Szydlik 2000). Die Literatur zu Austauschbeziehungen zwischen Generationen ist hoch spezialisiert und nur teilweise empirisch gesättigt. Ein vielversprechender neuer Ansatz besteht darin, herauszuarbeiten, wie sich die unterschiedlichen sozialstaatlichen Regelungen konkret in den Lebensbedingungen bestimmter sozialer Gruppen niederschlagen (Goodin et al. 1999; Hedström und Ringen 1990; Smeeding und Rainwater 2001). In der Forschung zu den Generationenbeziehungen in der Familie rückt überdies das Zusammenspiel zwischen staatlichen
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1 Einleitung
und familialen Leistungen in den Mittelpunkt (Attias-Donfut und Wolff 2000a; Daatland und Herlofson 2004; Kohli et al. 1999). Anknüpfend an diese Arbeiten streben wir in der vorliegenden Studie eine doppelte Synthese an: 1.
2.
Durch die Verknüpfung von institutionellen Makrodaten mit Mikrodaten über die Lebenssituation und Einstellungen von Individuen untersuchen wir, wie sich das Zusammenleben von Generationen in verschiedenen sozialstaatlichen Kontexten gestaltet. Dabei geht es sowohl um den Querschnittvergleich von Ländern, die verschiedene institutionelle Kontexte repräsentieren, als auch um die Entwicklung innerhalb eines Landes bei veränderten sozialstaatlichen Bedingungen (Untersuchungszeitraum: seit den 1990er Jahren). Die Betrachtung sozialstaatlicher Leistungen ergänzen wir durch die Berücksichtigung der Hilfeleistungen und Transfers, die Familienmitglieder untereinander austauschen. Dabei geht es um das spezifische Zusammenwirken von Staat und Familie. Ergänzen oder ersetzen sich die Unterstützungsleistungen? Welche Umverteilungsmechanismen gibt es in den beiden Bereichen?
Im anschließenden Kapitel wird zunächst ein konzeptioneller Rahmen entwickelt, der die Wechselwirkungen zwischen Familie und Staat auf die Lebensbedingungen von Generationen erfasst. Damit wird ein Schema intergenerationaler Austauschbeziehungen zwischen jungen und alten Menschen sowie zwischen Eltern und Kindern entwickelt, auf dessen Grundlage die Ressourcenverteilung zwischen den Generationen abgebildet wird. Das dritte Kapitel erläutert das Untersuchungsdesign der Studie, präzisiert die Forschungsfragen und begründet die Auswahl der sozialpolitischen Felder und Untersuchungsländer. Darüber hinaus finden sich Informationen zur Datenlage und den verwendeten Methoden. Kapitel vier gibt einen Überblick über die zentralen Charakteristika der vier ausgewählten Wohlfahrtsstaaten und arbeitet deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede heraus. Weiterhin werden die vier Länder anhand zentraler Indikatoren zur Rolle von Staat und Familie verglichen und in den breiteren europäischen Kontext eingeordnet. Die Kapitel fünf bis acht beinhalten unsere Analysen zu den Politikbereichen Rente, Pflege, Familienleistungen und Kinderbetreuung. Sie alle folgen dem gleichen Muster: Im ersten Abschnitt werden jeweils die institutionellen Regelungen und der sozialstaatliche Leistungskatalog beschrieben. Im zweiten Abschnitt wird die Lebenssituation der Adressatengruppen untersucht. Dabei geht es zum einen um die Frage, wie stark die institutionell gewährten Leistungen die Lebenssituation der Leistungsempfänger beeinflussen, zum anderen wird beschrieben, inwieweit die Familie das staatliche Leistungs-
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spektrum ergänzt oder ersetzt. Im neunten Kapitel soll geklärt werden, inwieweit sich die unterschiedliche Rolle des Staates für die Versorgung von Altersgruppen auch in kohortenspezifischen sozialpolitischen Einstellungen widerspiegelt. Das abschließende Kapitel fasst die Ergebnisse der Untersuchung zusammen und diskutiert sie im Kontext der Debatte um die Reform des Sozialstaats und den Generationenkonflikt.
2.1 Die Altersorientierung von Wohlfahrtsstaaten
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2 Generationensolidarität zwischen Staat und Familie
In diesem Kapitel geht es primär um die Entwicklung eines konzeptionellen Rahmens zur Erfassung von Austauschbeziehungen zwischen Generationen. Drei dieser Beziehungen sind von besonderer Bedeutung: (1) Der Transfer von staatlichen Leistungen an junge und alte Menschen, (2) die direkten Unterstützungsleistungen zwischen Eltern und Kindern und (3) das Verhältnis zwischen familialen und staatlichen Leistungen. Diese Austauschprozesse federn die im Lebensverlauf wechselnden sozialen Risiken ab. Beim Generationenverhältnis auf der Ebene des Sozialstaats geschieht dies vor allem dadurch, dass der wirtschaftlich aktive Teil der Bevölkerung Unterstützungsleistungen für jüngere und ältere Menschen erbringt, die nicht für sich selbst sorgen können. Früher geschah dies weitgehend innerhalb der Familie, in der heutigen Zeit zunehmend durch staatliche Institutionen sowie zivilgesellschaftliche Assoziationen. Mit seiner Definition von Altersgrenzen ist der Wohlfahrtsstaat zur zentralen Institution geworden, welche die Rechte und Pflichten verschiedener Alterskohorten bestimmt (Kohli 1985). Für die Generationenbeziehungen zwischen Eltern und Kindern spielen vor allem die gegenseitigen Unterhalts- und Versorgungsverpflichtungen eine wichtige Rolle. Außerdem gewinnt aufgrund des Wohlstandszuwachses in der Nachkriegszeit die Vererbung an Bedeutung (Bowles und Gintis 2002; Braun et al. 2002; Munnell und Sunden 2003). Die gegenseitigen Unterstützungsleistungen werden gemeinhin als Solidarität der Generationen bezeichnet. Der Begriff der Solidarität ist dabei ein Euphemismus, beruht die gegenseitige Unterstützung zwischen den Generationen doch oftmals nicht auf Freiwilligkeit, sondern auf normativem Druck oder rechtlichem Zwang (Kersting 2003; Land und Rose 1985; Marshall et al. 1993). Der Begriff Solidarität verdeckt außerdem wichtige Unterschiede in den Beziehungsmustern. Ursprünglich bezog sich der Solidaritätsbegriff auf die Beziehungen zu entfernten anderen Menschen. Die Entstehung sozialer Bewegungen und die zunehmende regionale Vernetzung durch Verstädterung, Alphabetisierung und die Verbreitung von Printmedien war im 19. Jahrhundert Grundlage für das Solidaritätsempfinden, das Menschen, die einander nicht kannten, über die Zugehörigkeit zu einem gemeinsamen Sozialmerkmal wie Klasse, Religion oder Ge-
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2 Generationensolidarität zwischen Staat und Familie
schlecht miteinander verband. Die so verstandene „Solidarität“ grenzte sich von der „Brüderlichkeit“ ab, die verwandtschaftliche oder nachbarschaftliche Beziehungen charakterisierte (Hondrich und Koch-Arzberger 1992). Dass im heutigen Sprachgebrauch sowohl das Generationenverhältnis als auch die Generationenbeziehungen in der Familie mit dem Begriff Solidarität beschrieben werden, verweist auf die Veränderung familialer Beziehungsmuster. In modernen Wohlfahrtsstaaten wird die Familie hauptsächlich als Solidargemeinschaft gesehen. Gleichwohl haben Beziehungen zwischen Familienmitgliedern auch heute noch eine besondere Qualität, die Beziehungen zu „entfernten Anderen“ nicht aufweisen. Deshalb ist es wichtig, den Sozialstaat und die Familie aufeinander zu beziehen und die jeweiligen Leistungen und Mängel gemeinsam in den Blick zu nehmen. Nur so lässt sich ein realistisches Bild der Lebensverhältnisse von Altersgruppen und ihren Konfliktpotenzialen entwickeln. Im ersten Teil des Kapitels werden die sozialstaatlich-institutionell geregelten Austauschprozesse zwischen den Altersgruppen anhand der Frage beschrieben, wie sich das Verhältnis sozialstaatlicher Leistungen für jüngere und ältere Menschen darstellt. Der zweite Teil charakterisiert die familialen Austauschprozesse zwischen Eltern und Kindern. Im dritten Teil wird die Beziehung zwischen Staat und Familie veranschaulicht, die in aktuellen Debatten vor allem mit den Begriffen De- oder Refamilialisierung diskutiert wird. Der letzte Abschnitt verbindet alle drei Analyseebenen, um zu einer integrierten Betrachtung intergenerationaler Transmission zu gelangen.
2.1 Die Altersorientierung von Wohlfahrtsstaaten Die Sozialpolitik ebnet zwar soziale Ungleichheiten durch staatliche Umverteilung ein, schafft aber mit dem Aufbau einer zweiten Verteilungsarena neben dem Markt ihrerseits auch neue Ungleichheiten. Indem der Sozialstaat nämlich verschiedene Gruppen in unterschiedlichem Maße zur Finanzierung von Leistungen heranzieht oder zu ihrem Empfang berechtigt, schafft er selbst eine neue Staffelung sozialrechtlich unterschiedlich privilegierter Gruppen, für die der Soziologe Rainer Lepsius (1979) den Begriff „Versorgungsklassen“ geprägt hat. In dem Maße, wie sich Versorgungsklassen, die in unterschiedlichem Maße Leistungen erhalten oder Beiträge bezahlen, nun mit spezifischen Altersgruppen überlappen, wächst die Gefahr von Generationenkonflikten. Da die gegenwärtig Erwerbstätigen hohe Beiträge zur Finanzierung der Rentenversicherung zu leisten haben, wegen des demografischen Wandels und der damit einher gehenden Verschlechterung der Relation von Beitragszahlern und Rentenbeziehern aber nur mit geringeren Rentenzahlungen rechnen können, ist in der Wohlfahrtsstaatsforschung
2.1 Die Altersorientierung von Wohlfahrtsstaaten
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eine intensive Debatte über Generationengerechtigkeit entbrannt. Diverse Autoren argumentieren, dass es eine Bevorzugung älterer Menschen gebe, die zunehmend zulasten der jüngeren Bevölkerung und insbesondere der Kinder gehe (vgl. z.B. Binstock und Quadagno 2001: 343, mit der These „that the elderly have been the recipients of an unfair distribution of public resources for income, health care, and social services“). Während das theoretische Konzept der Generationengerechtigkeit bei Ökonomen wie Sozialwissenschaftlern auf fruchtbaren Boden fiel (z.B. Laslett und Fishkin 1992; Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) 2004), sind nur wenige empirische Studien vergleichend der Frage nachgegangen, inwieweit die altersspezifische Verteilung der Leistungen in verschiedenen Wohlfahrtsstaatstypen über die Zeit variiert. Wichtige Ausnahmen sind die Untersuchungen von Palmer et al. (1988), Hedström und Ringen (1990), Castles und Ferrera (1996) und jüngst Lynch (2001; 2006), die mit ihrer Messung der Altersorientierung von Sozialpolitik die Debatte einen bedeutenden Schritt vorangebracht haben. Bei der Untersuchung der altersspezifischen Verteilung von Beiträgen und Leistungen der sozialen Sicherungssysteme werden zwei Verfahren angewandt. So genannte Bilanzierungsverfahren versuchen, den Saldo aus Beiträgen und Leistungen für bestimmte Geburtskohorten zu schätzen. Der zweite Ansatz, den auch wir hier verfolgen werden, vergleicht hingegen die unterschiedliche Begünstigung von Altersgruppen durch den Wohlfahrtsstaat zu gegebenen Zeitpunkten. Beim Bilanzierungsverfahren finden üblicherweise drei verschiedene Methoden Verwendung: (1) Die sog. „implizite Einkommensteuer“ gibt die Differenz zwischen den Beitragszahlungen für die Rentenversicherung während des Arbeitslebens zu den Rentenzahlungen im Alter an (Thum und von Weizsäcker 2000). (2) Die „interne Rendite“ gibt den Zinssatz an, mit dem die eingezahlten Rentenbeiträge verzinst werden müssten, damit sie den im Rentenalter ausgezahlten Leistungen entsprechen (Eitenmüller 1996; Ottnad und Wahl 2005; Schnabel 1998). (3) Das Verfahren der Generationenbilanzen (Generational Accounting) errechnet den Saldo zwischen den erwarteten Leistungen und Beiträgen eines Mitglieds einer Geburtskohorte während seiner verbleibenden Lebenszeit als Nettobarwert (Auerbach et al. 1998; European Commission 1999c; Feist 2003; Kotlikoff und Raffelhüschen 1999). Die ersten beiden Verfahren beziehen sich auf die langfristige Bilanz des Rentenversicherungssystems, während die Generationenbilanzierung die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte insgesamt untersucht. Unisono kommen alle Studien zu dem Ergebnis, dass in den untersuchten europäischen Ländern – abgesehen von wenigen Ausnahmen wie Irland – ältere Geburtskohorten gegenüber den jüngeren Jahrgängen privilegiert sind. Die Ergebnisse hängen allerdings stark von den Annahmen ab, die in das Modell eingehen (Hills 1995; Rürup 2002). Lynch (2001) weist darauf
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2 Generationensolidarität zwischen Staat und Familie
hin, dass die Technik der Generationenbilanzierung deshalb nur einen beschränkten Erkenntniszuwachs bringen könne, weil die Berechnungen eine konstante Steuer- und Transferstruktur für alle Altersgruppen annehmen. Sobald jedoch die Leistungen und Beiträge von Generationen bilanziert werden sollen, die einen Politikwandel erlebt haben, sei die Methode nicht ausreichend (vgl. auch Kotlikoff und Leibfritz 1998). Aus volkswirtschaftlicher Perspektive wird dieses Verfahren überdies kritisiert, weil nicht beachtet werde, dass ein großer Teil der Anwartschaften und Schuldtitel älterer Menschen gegenüber dem Staat durch intergenerationale Transfers und Vererbung an die jüngere Generation weitergegeben wird (Hauser 2004). Der Vergleich der altersspezifischen Leistungs- und Beitragsstruktur zu einem gegebenen Zeitpunkt vermeidet die Unwägbarkeiten von Projektionen. Empirisch bleibt es allerdings schwierig, sozialstaatliche Leistungs- und Beitragsfunktionen präzise und eindeutig bestimmten Altersgruppen zuzuordnen. Häufig werden nur die positiven Transferleistungen an die Empfänger berücksichtigt, während Steuern und Sozialabgaben unberücksichtigt bleiben (Adema 1997; Kemmerling 2001). In der Regel geht es um einen Vergleich zwischen den Ausgaben des Rentensystems und den übrigen Sozialtransfers (Esping-Andersen und Sarasa 2002; Guillemard 2000; Pampel 1994) sowie um ihren Einfluss auf die Einkommenslagen von älteren Menschen und Kindern (Bradshaw 2000; Cantillion und Van den Bosch 2003; Goodin et al. 1999; Micklewright und Stewart 2000). Außer Acht gelassen wird generell die erwerbstätige Bevölkerung und damit ausgerechnet die Gruppe, die sowohl einen Großteil staatlicher Leistungen erhält, als auch ganz überwiegend die Beiträge entrichtet. Ein Beispiel für eine umfassendere Analyse der Altersorientierung von OECD-Wohlfahrtsstaaten ist die Arbeit von Lynch (2001; 2006). Sie stellt zunächst die Ausgaben für ältere Personen (Rente, Hinterbliebenensicherung, soziale Dienste und Frühverrentungsprogramme) den Ausgaben für Menschen unter 65 Jahren gegenüber (Familienleistungen, aktive Arbeitsmarktpolitik, Berufsunfähigkeit) und verfeinert dann das Resultat mit weiteren Angaben über altersspezifische Leistungen aus anderen Feldern wie etwa Bildung, Arbeitslosenversicherung und Steuern. Obwohl Lynch (2001; 2006) die erwerbstätige Bevölkerung in ihre Analyse mit einbezieht, bleibt das Problem der ungenauen Zuordnung von Ausgaben zu Altersgruppen auch bei ihr bestehen (vgl. auch Green-Pedersen 2004). Insbesondere bei den sozialen Diensten fehlt oftmals eine nähere Abgrenzung des Altersbezugs. Eine Analyse, die allein auf die Ausgabenkategorie abhebt, ist hier wenig sinnvoll, weil die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Bereich oftmals unklar ist und überdies häufig auch von Land zu Land variiert (European Commission 1996: 38). So werden Ausgaben für die Betreuung von Kindern zum Beispiel in manchen Ländern zu den Familientransfers gezählt, in anderen zu den Dienst-
2.2 Austauschbeziehungen zwischen familialen Generationen
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leistungen, in wiederum anderen Ländern zur Bildung. Außerdem sagen die Ausgaben wenig über die Struktur der Bereitstellung sozialer Dienste aus. Deshalb muss man die Analyse der Ausgaben mit einer Analyse der institutionellen Gestaltung der Sozialpolitik verknüpfen, will man zu stichhaltigen Aussagen über die Altersorientierung von Wohlfahrtsstaaten oder die Entstehung altersspezifischer Versorgungsklassen gelangen. Nur eine derartige Verknüpfung bietet eine angemessene Basis für die Überprüfung der Behauptung, der Wohlfahrtsstaat sei gegenwärtig primär eine Veranstaltung zugunsten der älteren Generation (Myles 1984: 24). In der wohlfahrtsstaatlichen Literatur wird zunehmend dafür plädiert, sozialstaatliche Leistungen zugunsten von Familien mit Kindern auch zulasten anderer Gruppen aufzuwerten (Esping-Andersen et al. 2002). Esping-Andersen und Sarasa (2002) heben zwei Aspekte hervor, um die Notwendigkeit einer Umsteuerung zugunsten sozialer Investitionen für Kinder zu verdeutlichen: (1) Die zukünftige Produktivität sei eine wichtige Voraussetzung für die Finanzierung der absehbaren Rentenlasten und (2) je besser es heutigen Kindern gehe, desto bessere Chancen hätten sie, eine produktive Rolle in der Erwerbsphase einzunehmen und somit auch ihre Chancen zur Altersvorsorge zu verbessern. Damit werde der Wohlfahrtsstaat auf der Beitragsseite gestärkt und auf der Ausgabenseite entlastet. 2.2 Austauschbeziehungen zwischen familialen Generationen Die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern sind zwar facettenreich, in der Regel aber geprägt von persönlicher Nähe, gegenseitiger Wertschätzung und der Verpflichtung, sich zu helfen (Bengtson und Roberts 1991; Finch 1989; Szydlik 2000). Auf die besondere Bedeutung der Familienbeziehungen wird in Abschnitt 2.4 noch detaillierter eingegangen. Im Folgenden sollen vor allem die instrumentellen und materiellen Unterstützungsleistungen betrachtet werden, die am stärksten mit den staatlichen Leistungen korrespondieren. Sie beziehen sich zum einen auf die Betreuung und Pflege von Familienmitgliedern, zum anderen auf finanzielle Leistungen bzw. Vergünstigungen, die durch gemeinsames Zusammenleben entstehen. In den westeuropäischen Wohlfahrtsstaaten mit ausgebauten Rentensystemen hat sich zwischen Eltern im fortgeschrittenen Alter und ihren erwachsenen Kindern ein spezifisches Unterstützungsmuster entwickelt: Eltern unterstützen ihre Kinder wie auch die Enkel finanziell, während die erwachsenen Kinder häufiger instrumentelle Hilfen und Zeit „zurückgeben“ (Aldous 1987; Kohli et al. 1999). Die Unterstützungsleistungen sind vor allem an Bedürftigkeit ausgerichtet, das heißt, sowohl finanzielle Transfers als auch instrumentelle Hilfen kommen vor allem Familienmitgliedern zugute, die Unterstützung benötigen.
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2 Generationensolidarität zwischen Staat und Familie
Nur Erbschaften werden in der Regel unabhängig vom Bedarf unter den Nachkommen gleichmäßig aufgeteilt (Ikkink et al. 1999). Ein weiteres generelles Muster spiegelt die Zahl der Kinder wider: Die Unterstützung durch die Eltern ist umso geringer, je mehr Kinder vorhanden sind; umgekehrt erhalten die Eltern aber mehr Hilfe von ihren Kindern (Keister 2003). Bei den finanziellen Leistungen fällt es schwer, Häufigkeit und Höhe zu beziffern. Ein Vergleich mehrerer Studien ergab, dass der Anteil der Eltern, die ihren erwachsenen Kindern finanziell unter die Arme greifen, zwischen 15 Prozent und 50 Prozent schwankt. Hauptgrund für diese enorme Schwankungsbreite der empirischen Befunde sind unterschiedliche Messverfahren. So variiert zum Beispiel der angelegte Schwellenwert, ab dem finanzielle Unterstützung erfasst wird (Reil-Held 2002). Außerdem werden größere Einmalzahlungen zu bestimmten Anlässen wie Heirat oder Wohnungskauf oft nur unzureichend berücksichtigt (Bhaumik 2001). Ein weiteres Problem ist die Bewertung des finanziellen Vorteils, der sich für erwachsene Kinder ergibt, wenn sie weiterhin bei ihren Eltern leben, wie das vor allem in Südeuropa häufig der Fall ist. Bedeutender als die finanziellen Unterstützungsleistungen sind Schenkungen und Erbschaften. Der wachsende Wohlstand in den letzten Dekaden versetzte erstmals in der Geschichte eine breite Bevölkerungsmehrheit in die Lage, Vermögen an ihre Kinder weiterzugeben. Zwar ist die Zahl der Erben gewachsen, aber die Höhe der Erbschaften ist sehr ungleich verteilt. Der Großteil der Bevölkerung kann nur mit kleineren Beträgen rechnen (Munnell und Sunden 2003; Szydlik 2004). Zwar besteht weitgehend Einigkeit, dass sich das Erbschaftsvolumen zumindest in den nächsten beiden Dekaden weiter erhöhen wird, aber die Schätzungen über die voraussichtliche Höhe weichen deutlich voneinander ab (Braun et al. 2002; Kohli et al. 2005). Nicht-monetäre Unterstützungsleistungen sind vor allem bei der Betreuung von Kindern und pflegebedürftigen Menschen von Bedeutung. Diese Aufgaben werden zum größten Teil von Frauen übernommen, auch wenn die Männer sich zunehmend daran beteiligen (Boje 1996) und inzwischen einen nicht unbedeutenden Betreuungsbeitrag leisten (Attias-Donfut und Wolff 2000a; Parker 1993; Schupp und Künemund 2004). Großeltern helfen vor allem in Südeuropa bei der Kinderbetreuung häufig aus (Naldini 2003; Reher 1998). Bei der Betreuung pflegebedürftiger Personen ist die Hilfe von Familienangehörigen in allen europäischen Staaten weit verbreitet. Allerdings unterscheiden sich die Betreuungspotenziale dadurch, dass ältere Menschen in den nordischen Ländern in der Regel nicht innerhalb des gleichen Haushalts oder Hauses wie ihre Familie wohnen und von Familienmitgliedern lediglich ergänzend in der Form einer Unterstützung sozialer Dienste betreut werden. In Südeuropa hingegen überwiegt die
2.3 Das Verhältnis von Staat und Familie
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häusliche Betreuung, die fast ausschließlich von Familienmitgliedern übernommen wird (Alber und Kohler 2004; Lewis 1998). Der Überblick über die Austauschbeziehungen zwischen familialen Generationen zeigt, dass die Familie weiterhin eine zentrale Quelle der Absicherung gegen soziale Risiken darstellt. Im Ländervergleich ergeben sich aber sehr unterschiedliche Kombinationen, wie die Wohlfahrtsproduktion – also die Gesamtheit der Nutzen für Dritte stiftenden Transaktionen – zwischen Staat, Markt, Assoziationen und Familien aufgeteilt ist (Kaufmann 2003: 42). Besonders in Staaten, deren staatliche Organisation auf dem Subsidiaritätsprinzip beruht, ist die Familie nach wie vor eine zentrale Instanz des Schutzes vor sozialen Risiken. Erst wenn die Familie ihre Sicherungsfunktion nicht mehr wahrnehmen kann oder sich der familiäre Rückhalt gelöst hat, leisten sozialstaatliche oder karitative Organisationen dort einen Beitrag. In den nordeuropäischen Staaten ist der staatliche Einfluss auf die Familie hingegen sehr groß. Sozialstaatliche Maßnahmen setzen hier beim Bedarf des Individuums an und berücksichtigen den Familienkontext kaum (Schmidtz und Goodin 1998). Deutlich wird damit, dass eine ausschließliche Bewertung sozialstaatlicher Leistungen oder familialer Solidaritätsbeziehungen das bedeutende Zusammenspiel staatlicher und familiärer Leistungen übersieht. Der folgende Abschnitt geht deshalb näher auf das Wechselverhältnis zwischen Staat und Familie ein.
2.3 Das Verhältnis von Staat und Familie Aktuelle Debatten um die Reform des Sozialstaats kreisen im Kern um die Neudefinition gesellschaftlicher Verantwortung für die Abdeckung sozialer Risiken. Dabei entwickeln sich die Reformkonzepte in zweierlei Richtung. Zum einen wird die Zuständigkeit des Staates z.B. durch den Ausbau der Kinderbetreuung oder die Einführung einer Pflegeversicherung erweitert. Zum anderen werden Leistungen gekürzt und soziale Risiken staatlicher Verantwortung entzogen, wie z.B. bei der teilweisen Privatisierung der Altersvorsorge oder der engeren Definition des Kreises der Leistungsberechtigten in der Arbeitslosenunterstützung. Eine Privatisierung der Risiken bedeutet allerdings auch, dass der Familienrückhalt wichtiger wird und die Generationenbeziehungen in der Familie an Bedeutung gewinnen. Damit verändern die Reformprozesse auch den Stellenwert, den die Familie innerhalb der Sozialpolitik einnimmt. Diese Veränderungen sind Teil einer allgemeineren sozialpolitischen Akzentverschiebung. Traditionell zielte die Sozialpolitik der Nachkriegszeit in den meisten Ländern Westeuropas darauf ab, den Verlust des Erwerbseinkommens zu kompensieren. Als zentraler Maßstab der Beurteilung wohlfahrtsstaatlicher
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2 Generationensolidarität zwischen Staat und Familie
Systeme diente der Grad der Dekommodifizierung, d.h. das Ausmaß, in dem sozialstaatliche Sicherungen ein Leben frei von Arbeit ermöglichten (EspingAndersen 1990). Heute gilt diese Sichtweise in zweierlei Hinsicht als unzureichend. Zum einen kritisierten feministische Studien die mangelnde Berücksichtigung der Situation der Frauen, weil die Beurteilung sozialstaatlicher Leistungen sich einseitig auf die Lohnersatzquote der „Hauptverdiener“ und damit auf Männer als Insider des Arbeitsmarktes bezog, ohne die unentgeltliche Familienarbeit der Frauen in den Blick zu nehmen (Orloff 1993; Sainsbury 1999). Für deren Kompensation sind finanzielle Transfers aber weniger bedeutend als das Angebot sozialer Dienste zur Kinderbetreuung und Pflege. Eine Übernahme traditioneller Familienarbeit durch soziale Dienste hat für Frauen einen doppelten Arbeitsmarkteffekt. Zum einen werden sie von der Familienarbeit entlastet und können damit leichter eine Beschäftigung im formellen Sektor aufnehmen, zum anderen bietet der wachsende Dienstleistungssektor selbst ihnen neue Arbeitsmarktchancen (Esping-Andersen 1999). Statt der „Dekommodifizierung“ wurde damit zunehmend die „Defamilialisierung“ zum neuen Gradmesser sozialstaatlicher Politik, und die vergleichende Analyse der Erbringungs- und Finanzierungsstruktur sozialer Dienste gewann an Bedeutung (Alber 1995; Anttonen und Sipilä 1996; Daly und Lewis 1998; McLaughlin und Glendinning 1994). Die historisch-vergleichende Familienforschung verwies überdies auf das Defizit, das entsteht, wenn die national unterschiedlichen Familienstrukturen bei der Analyse der Entstehung, Gestalt und Reform von Wohlfahrtsstaaten unberücksichtigt bleiben (Kertzer 2001; Reher 1998; Todd 1989). In Ländern mit starkem familialen Zusammenhalt war und ist die Notwendigkeit öffentlicher Hilfeleistungen gering. Darüber hinaus tragen normative Einstellungen dazu bei, dass soziale Dienste keine Akzeptanz finden, wie Millar und Warman (1996: 36) am Beispiel Griechenlands zeigten, wo sich sozialstaatliche und zivilgesellschaftliche Institutionen nur rudimentär entwickelten. In Ländern mit schwachem Familienzusammenhalt wurden Armut und Hilfsbedürftigkeit hingegen viel früher und stärker zum Aufgabenfeld des Staates (Reher 1998). Diese Kritik an der fehlenden Berücksichtigung der Familie in vergleichenden Analysen der Sozialpolitik geht weit über den ersten Ansatz hinaus, der das Zusammenspiel von Sozialstaat und Familie lediglich als Ergänzung der Betrachtung von Sozialstaat und (Arbeits-)Markt sieht. Hier werden unterschiedliche Familiensysteme nämlich als eine zentrale Determinante der Entstehung und Gestaltung des Wohlfahrtsstaats betrachtet. „The way in which the relationship between the family group and its members manifests itself has implications for the way society itself functions. Politicians and public planners would do well to consider the nature of existing family systems when designing certain social policies.” (Reher 1998: 203)
2.3 Das Verhältnis von Staat und Familie
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Es gehört nicht zu den Zielen unserer Studie, im Einzelnen zu untersuchen, wie Familien- und Haushaltsstrukturen die Genese und Entwicklung des Wohlfahrtsstaats beeinflusst haben. Wir wollen aber sehr wohl versuchen, das unterschiedliche Zusammenspiel sozialstaatlicher Regelungen und länderspezifischer Familienstrukturen in den hier ausgewählten Fallstudien herauszuarbeiten und zugleich die Bedeutung geschichtlicher Pfadabhängigkeiten zu erfassen. Im Zentrum unserer Untersuchung steht im Folgenden die Frage, in welchem Mischungsverhältnis staatliche und familiäre Unterstützungsformen in jüngster Zeit auftreten. Der Staat kann durch die Gestaltung seiner familienbezogenen Politik die Familienformen und innerfamiliären Rollenmuster beeinflussen. Er orientiert sich dabei in der Regel an bestimmten Leitbildern, die sich gewöhnlich aus verschiedenen Motiven speisen. Zu nennen sind hier zum Ersten das bevölkerungspolitische Motiv, eine mindestens stabile Bevölkerungszahl zu erhalten3, zum Zweiten das sozialpolitische Motiv, soziale Ungleichheiten auszugleichen, die ihren Ursprung im Familienstand bzw. in der Kinderzahl haben, und zum Dritten ein familial-institutionelles Motiv, nach dem entweder die Familie als soziale Gruppe gestärkt werden soll oder aber einzelne Familienmitglieder als autonome Individuen im Zentrum stehen, deren Unabhängigkeit es emanzipatorisch zu sichern gilt (nach Herlth und Kaufmann 1982). Historisch gesehen bestehen die drei genannten Leitbilder meist nebeneinander, wobei es aber durchaus zu phasenspezifischen Dominanzen kommen kann. In der jüngeren Familienpolitik spielen alle drei Aspekte eine Rolle: sozialpolitisch in der Diskussion um Kinderarmut oder die mögliche Ungleichbehandlung von Kinderlosen und Eltern im Sozialversicherungssystem (Bundesministerium für Familie 2005; Ostner et al. 2001; Schmähl und Rothgang 2004); bevölkerungspolitisch in der Debatte um die demografische Entwicklung und der damit einhergehenden Sorge, dass der Geburtenrückgang zu Finanzierbarkeitsproblemen der Sozialversicherungen oder wirtschaftlicher Stagnation führen wird (Esping-Andersen et al. 2002; Kaufmann 2005); familial-institutionell in der Frage um die Stärkung der einzelnen Familienmitglieder (z.B. in Hinsicht auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf) oder die Unterstützung der Kernfamilie (z.B. Ermöglichung der Übernahme von Betreuungsaufgaben innerhalb der Familie (Esping-Andersen 1999; Leitner et al. 2004b).
3
Eine stabile Bevölkerungszahl wird erreicht, wenn die so genannte Nettoreproduktionsrate von 1.0 erlangt wird. Diese Rate gibt an, in welchem Maße eine Müttergeneration durch die Töchtergeneration ersetzt wird.
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2 Generationensolidarität zwischen Staat und Familie
2.3.1 Familialismus und Defamilialisierung Sowohl der schwedische Soziologe Walter Korpi (2000) als auch Gösta EspingAndersen (1999) plädieren im Aufgriff feministischer Kritik in ihren jüngeren Arbeiten dafür, die Klassifizierung von Sozialstaaten stärker auf die Gestaltung der Arbeitsteilung zwischen Staat und Familie und deren Folgen für die Geschlechterrollen zu beziehen. Dabei rücken die Konzepte des Familialismus und der Defamilialisierung an prominente Stelle, die zwei unterschiedliche Muster der Aufgabenteilung bezeichnen (Esping-Andersen 1999; McLaughlin und Glendinning 1994): “A familialistic system, …, is one in which public policy assumes – indeed insists – that households must carry the principal responsibility for their members’ welfare. A defamilializing regime is one which seeks to unburden the household and diminish individuals’ welfare dependence on kinship” (Esping-Andersen 1999: 51).
Familialistische Staaten schreiben also in erster Linie der Familie die Verantwortung bei der finanziellen Unterstützung und Betreuung ihrer hilfebedürftigen Angehörigen zu. Diese Auffassung entstammt der katholischen Soziallehre, insbesondere dem Subsidiaritätsprinzip, welches die Intervention in die Aufgaben kleinerer Gemeinwesen (hier: die Familie) ablehnt, wenn diese sie aus eigenen Kräften erfüllen können. Bei dieser Art der Aufgabenteilung soll das kleinste Glied (Familie) nicht überfordert werden und die übergeordnete Ebene (Staat) lediglich unterstützend tätig werden (Sachße 2003). Defamilialisierende Wohlfahrtsstaaten suchen hingegen die Familie von ihren Versorgungspflichten zu befreien. In ihnen übernehmen staatliche oder marktförmige Institutionen die Aufgaben, die früher hauptsächlich von Frauen innerhalb der Familie erledigt wurden. Im Idealfall sollen so folgende Ziele erreicht werden (vgl. z.B. Esping-Andersen et al. 2002): 1.
2.
Eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Indem Frauen von familialen Aufgaben entlastet werden, sollen sie die Möglichkeit gewinnen, einer eigenständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen und durch stetigere Berufsverläufe ihre Karriere- und Qualifikationschancen zu wahren. Da es Paaren erleichtert wird, ihren Kinderwunsch zu erfüllen, steigt die Geburtenrate, die Gleichstellung der Geschlechter wird vorangetrieben, und berufliche Qualifikationen werden in zunehmend von Humankapital abhängigen Wissensgesellschaften besser genutzt. Eine Reduzierung des Armutsrisikos. Durch die Abkehr vom EinverdienerModell hin zu zwei oder mehr Erwerbstätigen in einem Familienhaushalt wird das Armutsrisiko bei Verlust eines Einkommens reduziert. Selbst wenn die weiteren Einkommen oft nur durch Teilzeitarbeit oder Jobs mit geringer
2.3 Das Verhältnis von Staat und Familie
3.
4.
39
Qualifikation erwirtschaftet werden, so haben sie doch eine wichtige Pufferfunktion, bewahren die Familie vor vollständiger Abhängigkeit von staatlichen Versorgungsleistungen und entlasten den Staat. Gleichzeitig gewinnt die Familie an Flexibilität, weil die Rollen des Hauptverdieners bzw. der Hauptverdienerin leichter getauscht werden können. Abbau familial bedingter Ungleichheit. Durch den Ausbau der Vorschulerziehung sollen allen Kindern unabhängig vom Einkommen oder der Arbeitsmarktsituation der Eltern gleiche Bildungschancen und damit auch bessere Erwerbschancen sowie ein wirksamer Schutz vor künftigen Verarmungsrisiken geboten werden. Eine Erweiterung des Dienstleistungssektors. Mit der Übernahme von Pflege- und Betreuungsleistungen durch staatliche oder marktförmige Einrichtungen werden neue Beschäftigungsmöglichkeiten im Dienstleistungssektor geschaffen. Mit der steigenden Beschäftigung beteiligt sich ein größerer Anteil der Bevölkerung an den sozialstaatlichen Solidarleistungen. Solange Arbeitsplatzangebot und Arbeitsplatznachfrage in gleicher Weise wachsen, wird die Finanzierungsbasis der Sozialversicherungssysteme verbessert und die Zahl der von Unterstützungsleistungen Abhängigen reduziert.
Während defamilialisierende Wohlfahrtsstaaten die Beschäftigungsquote von Frauen und die Fertilität erhöhen oder zumindest nicht negativ beeinflussen sollen (Leitner et al. 2004b), gehen familialistische Wohlfahrtsstaaten mit einer eher passiven und unterentwickelten Familienpolitik einher. Esping-Andersen sieht im Familialismus als „welfare state (or market) non-provision“ den Gegensatz zu Defamilialisierung (Esping-Andersen 1999). Sein Vorschlag zur empirischen Messung wohlfahrtsstaatlicher Defamilialisierung beinhaltet vier Komponenten: 1. 2. 3. 4.
das Gesamtausmaß sozialer Dienstleistungen, gemessen als Anteil der Ausgaben für soziale Dienste am BIP; das Ausmaß der Unterstützung von Familien mit Kindern, gemessen als Gesamtwert der Familienleistungen und Steuererleichterungen; die Verbreitung von öffentlicher Kinderbetreuung, gemessen als Anteil der Betreuungsplätze für unter 3-Jährige und das Angebot an Pflegeleistungen für ältere Menschen, gemessen als Anteil der über 65-Jährigen, die ambulante Leistungen in Anspruch nehmen.
Zusätzlich bewertet er den familialistischen Charakter eines Landes nach der Intensität der Übernahme bestimmter Verpflichtungen seitens der Familie. Diese sind ausgedrückt (1) in dem Anteil älterer Menschen, die mit Kindern leben, (2)
40
2 Generationensolidarität zwischen Staat und Familie
dem Anteil erwerbsloser Jugendlicher, die bei ihren Eltern wohnen, und (3) der durchschnittlichen Anzahl unbezahlter Wochenarbeitsstunden von Frauen. Leitner (2003) kritisiert, dass die verwendeten Indikatoren lediglich die Ergebnisse familialistischer Strukturen messen und zu wenig über die Strukturen an sich bzw. die Verbindung zwischen Strukturen und Ergebnissen aussagen. Um den Grad der Familialisierung des Wohlfahrtsstaats zu bestimmen, müssten jedoch sowohl familialisierende als auch defamilialisierende politische Maßnahmen in Betracht gezogen werden. Sie schlägt eine alternative Typologisierung vor, die auf Indikatoren zu familialisierenden Maßnahmen wie Zeitrechten (Elternurlaub), Transferleistungen (für die Übernahme der Betreuung) und sozialen Rechten (Anerkennung von Betreuungszeiten im sozialen Sicherungssystem) basiert. Defamilialisierende Maßnahmen zielen auf die außerhäusliche Betreuung und Pflege von Kindern und anderen Angehörigen. Unter Berücksichtigung, dass sowohl familialisierende als auch defamilialisierende Maßnahmen schwache und starke Ausprägungen aufweisen können, ermittelt sie vier Idealtypen:
„expliziter Familialismus“ mit starker Betreuungsrolle der Familie, „optionaler Familialismus“: Stärkung der Optionen der Familie, sowohl Betreuung selbst wahrzunehmen oder soziale Dienste zu nutzen, „impliziter Familialismus“: ohne Maßnahmen in beide Richtungen, so dass die Familie hauptsächlich für die Betreuung zuständig ist, und zuletzt „Defamilialismus“, bei dem die Familie von Betreuungsaufgaben entlastet wird und keine sozialen Rechte erhält, die auf der Anerkennung von Betreuungsarbeit beruhen.
Problematisch an Leitners wie auch Esping-Andersens Typologie ist, dass zum Modell des Defamilialismus sowohl die Verfügbarkeit öffentlicher als auch marktförmiger Betreuungseinrichtungen gezählt wird, ohne zu berücksichtigten, dass diese höchst unterschiedlich zugänglich sind. Ein hohes Betreuungsangebot kann aber dann nicht als Indiz für eine defamilialisierende Politik gelten, wenn es kommerziell erbracht und damit privat bezahlt werden muss (vgl. auch Misra und Moller 2005). Leitner (2003: 357) sieht dies zwar auch, wenn sie auf den stratifizierenden Charakter kommerzieller Dienste verweist, betont aber, dass aufgrund der Datenlage nicht zwischen den beiden Formen der Kinderbetreuung unterschieden werden könne. Die neu eingeführten Konzepte tragen zwar dazu bei, Forschungslücken zum Verhältnis von Staat und Familie zu füllen, thematisieren aber kaum die Frage, inwiefern die Defamilialisierung auch unerwünschte Nebeneffekte zeitigt. Diese Frage wird in der Literatur unter dem Aspekt des „crowding out“ aufgegrif-
2.3 Das Verhältnis von Staat und Familie
41
fen (Künemund und Rein 1999; Lingsom 1997; Motel-Klingebiel et al. 2005). Im Wesentlichen stehen sich hier zwei kontroverse Standpunkte gegenüber: 1.
2.
Substitution: Staatliche Leistungen ersetzen familiale Leistungen nahezu vollständig. Generationenbeziehungen in der Familie lösen sich auf. Damit entstehen zwar mehr Freiheiten bei den früheren Leistungsträgern, gleichzeitig gehen aber enge persönliche Bindungen verloren, und die Gefahr sozialer Vereinzelung und Exklusion erhöht sich (Etzioni 1993; Scheepers et al. 2002; Wolfe 1989). Entlastung: Staatliche Leistungen ersetzen zwar familiale Leistungen, aber nicht vollständig. Indem sie die Leistung der Familien ergänzen oder komplementieren, verteilen sie die Last auf mehrere Schultern, setzen die Familie für ihre eigentliche Funktion der Pflege emotionaler Beziehungen frei und tragen somit zur Stabilisierung der Generationenbeziehungen bei. Während staatliche Dienste primär funktionale Hilfe bieten, geben die Familien vor allem Zuwendung und emotionalen Rückhalt (Leira 1994; Lingsom 1997; Waerness 1990). Indem staatliche Dienstleistungen den familialen Leistungsdruck mindern und damit Konfliktpotenziale reduzieren, wächst die Chance, dass neue Formen der Reziprozität zwischen den Generationen entstehen, eine Tendenz, die in der Literatur auch als „crowding in“ bezeichnet wird (Daatland und Herlofson 2001; Künemund und Rein 1999; Lewinter 2003).
Beide Szenarien müssen sich innerhalb eines Landes keineswegs ausschließen. So könnte z.B. die Entlastungshypothese eher für den Bereich der Kinderbetreuung zutreffen, während die Substitutionsthese eher den Bereich der Pflege älterer oder behinderter Menschen kennzeichnen mag. In eine ähnliche Richtung argumentieren Leitner et al. (2004a), die zwischen De- und Refamilialisierung unterscheiden. Unter Refamilialisierung fallen Maßnahmen, die bereits einmal defamilialisierte Aufgaben wieder auf die Familie zurückverlagern. Als Beispiel wäre die Kostenübernahme im Pflegefall oder die Zugrundelegung der Einkommen beider Partner für die Ermittlung eines Anspruchs auf Mindestrente zu nennen (Larsson 2004). Auch hier scheint es bereichsspezifische Entwicklungen zu geben: Defamilialisierung im Bereich der Kinder, Refamilialisierung im Bereich der älteren Menschen, Behinderten und sozial Schwachen.4
4
Diese Richtung entspricht zum Teil der Forderung Esping-Andersens nach verstärkten sozialen Investitionen in Kinder. Allerdings plädiert Esping-Andersen ebenfalls dafür, nicht die ältere Bevölkerung zu vernachlässigen (Esping-Andersen und Sarasa 2002).
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2 Generationensolidarität zwischen Staat und Familie
2.4 Intergenerationale Transmission Eine Betrachtung der gesamten intergenerationalen Austauschbeziehungen muss sowohl die familiale wie die institutionelle Generationensolidarität in den Blick nehmen. Da Männer und Frauen unterschiedlich in die spezifischen Solidaritätsformen eingebunden sind, ist es überdies notwendig, dabei auch geschlechtsspezifische Unterschiede zu berücksichtigen. In der Familie basieren die Austauschbeziehungen auf normativen Verpflichtungen, emotionaler Bindung und räumlicher Nähe (Bengtson und Roberts 1991). Ein derart weit gefasster Begriff der Generationensolidarität differenziert allerdings nicht zwischen vorgegebenen bzw. vorgefundenen und bewusst gepflegten Beziehungsmustern, so dass zum Beispiel ungewiss bleibt, ob räumliche Nähe eine Verbundenheit zwischen Generationen ausdrückt oder lediglich durch die Wohnsituation, die Arbeitsmarktlage oder die Siedlungsstruktur bedingt ist. Wir wollen familiale Generationensolidarität hier in einem engeren Sinn als Austauschbeziehungen zwischen Generationen verstehen und im Anschluss an eine Studie von Szydlik (2000: 38ff) drei Dimensionen der familialen Generationensolidarität unterscheiden: 1. 2. 3.
Funktionale Solidarität umfasst materielle und instrumentelle Unterstützung. Affektive Solidarität bezieht sich auf das Gefühl der Verbundenheit und Zusammengehörigkeit. Assoziative Solidarität umfasst Kontakte und gemeinsame Aktivitäten.
Austauschbeziehungen zwischen institutionell definierten Generationen sind dagegen anders gelagert. Sie basieren im Wesentlichen auf einer funktionalen Solidarität. Gefühle der Verbundenheit spielen dabei eine untergeordnete Rolle. Sie sind ersetzt durch legislative Regelungen, die Rechte und Pflichten von Altersgruppen auf Basis eines politischen Konsenses definieren, der in der Regel als Ganzes nicht in Frage gestellt wird (Bäcker 2002; Ganßmann 2002). Auch im institutionellen Generationenverhältnis kann aber affektive Solidarität auf vermittelte Weise zum Tragen kommen. Zum einen kann die Verbundenheit zwischen Eltern und Kindern zu einer Projektionsmöglichkeit werden, die es ermöglicht, die Beziehungen zwischen Altersgruppen nachzuvollziehen und damit die Solidarleistungen im Generationenverhältnis zu legitimieren (Baltes und Mittelstraß 1992). Zum anderen trägt die Antizipation des eigenen Alterungsprozesses dazu bei, sich in die Lage der jeweils anderen Altersgruppe zu versetzen, denn im Gegensatz zu anderen Status bestimmenden Faktoren wie Vermögen, Einkommen oder Bildung variiert die Altersposition unweigerlich im Lebenslauf.
43
2.4 Intergenerationale Transmission
Den Familienbindungen als Form der assoziativen Solidarität steht auf institutioneller Ebene kein vergleichbares Pendant gegenüber. So wird häufig kritisiert, dass die effizienzorientierten sozialen Dienstleistungen zu sehr an der funktionalen Aufgabenerfüllung ausgerichtet sind, während die Zeit für persönlichen Kontakt und Zuwendung fehlt (Tüpker 1988). Andere staatliche Maßnahmen zur Förderung der Kontakte zwischen Altersgruppen, wie etwa die in Deutschland begonnene Förderung von Mehrgenerationenhäusern, haben bisher lediglich Modellcharakter (Bundesministerium für Familie 2006d). Das Wechselverhältnis von Familie und Staat ist somit vor allem durch funktionale Solidarität zwischen den Generationen in drei Bereichen gekennzeichnet: Einkommen bzw. Unterhalt, Betreuung von Kindern und die Pflege bedürftiger Menschen (Abbildung 2.1). Familie und Staat haben darüber hinaus noch weitere spezifische Funktionen wie den Transfer von Vermögen durch Schenkungen oder Erbschaften oder schulische Bildung. Abbildung 2.1:
Generationenbeziehungen und Generationenverhältnis Familie Pflege, Betreuung, Unterhalt
Generationenbeziehungen
Kinder
Eltern Betreuung, Erziehung, Unterhalt, Erbschaft
Defam ilialisierung Institutionalisierung
Refam ilialisierung Deinstitutionalisierung Privatisierung
Renten, Altenpflege
Generationenverhältnis
Junge
Alte Bildung, Kinderbetreuung
S taat
Die in Abbildung 2.1 dargestellten Austauschverhältnisse gestalten sich in der Wirklichkeit viel komplexer, da die hier skizzierte Dichotomie zwischen Alten und Jungen bzw. Kindern und Eltern verschiedene Altersabschnitte der beiden Gruppen zusammenfasst. Die intergenerationale Transmission ist dabei durch einen Kreislauf der Umverteilung materieller Ressourcen zwischen den Generationen gekennzeichnet und zum anderen durch einen Ausgleich zwischen dem Leistungsumfang, den Staat und Familie erbringen. Grob vereinfachend werden finanzielle Transfers vor allem über Rentenzahlungen staatlicher Institutionen
44
2 Generationensolidarität zwischen Staat und Familie
von jungen an alte Menschen weitergeleitet. Dies ermöglicht es auf der anderen Seite den älteren Eltern, ihre erwachsenen Kinder finanziell zu unterstützen. Bei den Betreuungs- und Pflegeleistungen stehen Staat und Familie in einem wechselseitigen Austauschverhältnis. Das bedeutet, dass Prozesse der Defamilialisierung die Familienmitglieder von ihren Fürsorgepflichten entlasten. Der Austauschprozess ist allerdings keine Substitution im Sinne eines Nullsummenspiels. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass sich das Niveau der Leistungen ändert, da es im Prinzip weder bei der Betreuung noch bei der Pflege eine vollständige Befriedigung der Bedürfnisse gibt (Waerness 1990). Zum anderen ist ein Teil der Hilfen nicht einfach zwischen Familienmitgliedern und sozialen Diensten übertragbar (Leira 1994). Mit der spezifischen Ausgestaltung der Austauschprozesse zwischen Generationen durch Staat und Familie verbindet sich auch eine bestimmte Prägung geschlechtsspezifischer Unterschiede (vgl. Knijn und Komter 2004). Frauen gelten in der Familie als „Kin-Keeper“, die die Kontakte zwischen den Familienmitgliedern aufrecht erhalten (Bahr 1976; Rosenthal 1985). Männer sind durch die traditionelle geschlechtsspezifische Arbeitsteilung über ihre Erwerbstätigkeit viel umfassender in die staatlichen Sicherungssysteme eingebunden, während Frauen, die in der Regel die informelle Familienarbeit übernehmen und den Hauptteil der Pflege- und Betreuungsarbeiten tragen, oft nur eine abgeleitete Sicherung über ihren Ehemann erhalten. Auf der anderen Seite erhalten Frauen aber mehr Hilfe durch soziale Pflegedienste, da ihre längere Lebenserwartung dazu führt, dass sie im hohen Alter Pflegebedürftigkeit häufiger erleben als Männer (Eggebeen und Hogan 1990). In familialistisch geprägten Familiensystemen ergibt sich daraus ein doppeltes Abhängigkeitsverhältnis für Frauen. Fällt ihnen einerseits der Hauptanteil der Familienarbeit zu, so sind sie damit gleichzeitig auf die Unterstützung anderer Familienmitglieder angewiesen, d.h. vom Einkommen des Mannes und den Pflegeleistungen der Töchter abhängig (Barrett und McIntosh 1982). Prozesse der Defamilialisierung betreffen also nicht nur die Aufgabenverteilung zwischen Staat und Familie, sondern sie vermindern über die Veränderung der innerfamilialen Arbeitsteilung auch die Abhängigkeit der Frauen von der Familie (McLaughlin und Glendinning 1994). Aus diesen konzeptionellen Überlegungen leiten sich zusammenfassend drei Ansprüche an die Forschung ab: 1.
2.
Das Zusammenleben von Generationen muss auf beide Ebenen bezogen werden, also die Generationenbeziehungen in der Familie und das institutionelle Generationenverhältnis. Beim Zusammenspiel zwischen Staat und Familie geht es im Kern um den funktionalen Austausch von materiellen und instrumentellen Leistungen
2.4 Intergenerationale Transmission
3.
45
zwischen den Generationen, so dass die empirischen Analysen sich auf diesen Teilbereich beschränken können. Zu beachten ist allerdings, dass die familialen Generationenbeziehungen durch weitere Formen der Solidarität gekennzeichnet sind, die sich auch positiv auf das Generationenverhältnis auswirken können, hier gleichwohl aber nicht betrachtet werden. Die Frage, wie Staat und Familie die Lebensbedingungen von Generationen prägen, kann nicht unabhängig von den geschlechtsspezifischen Auswirkungen untersucht werden. Da Frauen und Männer unterschiedlich in Familie und staatliche Institutionen eingebunden sind, muss die empirische Analyse die Geschlechterdimension berücksichtigen.
Diese drei Anforderungen haben das im Folgenden zu erläuternde Design unserer Untersuchung bestimmt.
2.4 Intergenerationale Transmission
47
3 Forschungsdesign
Unser Vergleich vierer strategisch ausgewählter europäischer Länder versucht, Makroinformationen über Variationen der Sozialstaatsgestaltung mit Mikroinformationen über Lebensbedingungen, Beziehungsmuster und Einstellungen verschiedener Generationen zu verknüpfen. Damit ist eine doppelte Synthese verschiedener Forschungstraditionen angestrebt, die bislang vorwiegend in themenspezifisch differenzierter Form von Spezialisten vorangetrieben werden: nämlich zum einen die Verbindung der Analyse institutioneller Veränderungen mit der Untersuchung der Entwicklung der Lebensverhältnisse konkreter sozialer Gruppen und zum anderen die Verknüpfung von gruppenspezifischen Lebensbedingungen und sozialpolitischen Einstellungen. Damit möchten wir die momentan bestehende Kluft zwischen weitgehend losgelöst von komparativer Empirie zirkulierenden Reformideen und den wenig auf sozialpolitische Reformdiskussionen bezogenen Einzeluntersuchungen der Spezialisten überwinden und zu einer empirischen Verankerung gesellschaftspolitischer Diskurse beitragen. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die Betrachtung Deutschlands in komparativer Perspektive. Der Vergleich mit anderen europäischen Ländern soll den Blick für Eigentümlichkeiten Deutschlands schärfen sowie Stärken und Schwächen des deutschen Modells im internationalen Vergleich kennzeichnen. Die Länderauswahl orientiert sich an in der Wohlfahrtsstaatsforschung gängigen Typologien, die häufig vier Wohlfahrtsregimetypen unterscheiden: liberale, konservativ-korporatistische, sozialdemokratische und mediterrane (Alber 2002; Esping-Andersen 1990). Italien gilt uns als Repräsentant des angeblich besonders „rentenlastigen“ Wohlfahrtssystems mediterranen Typs, das auf der Grundlage des Subsidiaritätsprinzips der katholischen Soziallehre der Familie eine hohe Verantwortung für die Absicherung sozialer Risiken zuweist und dabei unter Familie nicht nur die Kernfamilie, sondern das erweiterte Verwandtschaftsnetzwerk versteht (Ferrera 1996; Leibfried 1993; Naldini 2003). Schweden dient uns dagegen als Prototyp des sozialdemokratischen Regimetyps, d.h. als Modell eines universellen Wohlfahrtsstaats, der die gesamte Bevölkerung umfasst, individuelle soziale Rechte unabhängig von der Familiensituation gewährt und die Familien durch ein ausgebautes Angebot an sozialen Dienstleistungen von Betreuungs- und Pflegeaufgaben entlastet (Kvist 1999; Palme et al. 2001; Schmidtz und Goodin 1998). Als drittes Vergleichsland haben wir nun
48
3 Forschungsdesign
bewusst nicht ein Land mit liberal-ökonomischer Tradition aus dem angelsächsischen Raum ausgewählt, sondern mit Frankreich ein Land, das ähnlich wie Deutschland zu den konservativ-kontinentaleuropäischen Ländern zählt, bei ähnlicher Institutionenstruktur aber für seine aktivere Familienpolitik bekannt ist und somit möglicherweise besonders dafür geeignet ist, im Sinne des „policy learning“ als Modellfall für deutsche Reforminitiativen zu dienen (Arts und Gelissen 2002). Eine nähere Begründung der Fallauswahl mit einer detaillierteren Charakterisierung unserer Vergleichsländer erfolgt im nächsten Kapitel. Der Zeitraum unserer Untersuchung erstreckt sich auf die Jahre 1990 bis 2005. Diese Zeitspanne wurde aus systematischen und pragmatischen Gründen gewählt. Zum einen waren die 1990er Jahre im besonderen Maße vom Bewusstsein der „Krise des Sozialstaats“ und dem Ruf nach Reformen geprägt (Berthold und Stettes 2001; Hohnerlein 1997; Vogel und Bröndum 2004). Von verschiedenen Seiten, d.h. keineswegs nur von Liberalen, wurde nun ein schlankerer Wohlfahrtsstaat gefordert, der seine Aufgaben auf der Grundlage sich ändernder sozialer und ökonomischer Rahmenbedingungen neu definiert (Esping-Andersen et al. 2002). So standen alle vier hier untersuchten Länder im Zeichen großer Reformdebatten sowie teilweise auch umfangreicher Änderungen sozialstaatlicher Leistungen. Überall wurde z.B. die Rentenversicherung reformiert (Immergut et al. 2007), während es in anderen Bereichen verschiedene länderspezifische Reformschwerpunkte gab. So wurde in Deutschland mit der Pflegeversicherung eine fünfte Säule der sozialen Sicherung eingeführt. Der länderspezifische Reformdruck hing stark von der Struktur und dem Niveau der sozialstaatlichen Leistungen sowie dem Ausmaß früherer Reformen ab. Während z.B. in Deutschland schrittweise Rentenreformen seit den 1970er Jahren den Anpassungsdruck in der Rentenpolitik etwas gemildert hatten, verfügte ein Land wie Schweden bei der Pflege älterer Menschen schon seit längerem über gut ausgebaute staatliche Leistungen, die eine grundsätzliche Neuregelung entbehrlich machten. Darüber hinaus sprach aber auch die Tatsache, dass komparative Daten für frühere Zeiträume nur sehr eingeschränkt zur Verfügung stehen, dafür, das Jahr 1990 zum Ausgangspunkt unserer Untersuchung zu machen. Selbst für die 1990er Jahre gibt es noch viele Lücken des empirischen Materials, so vor allem bezüglich der Austauschbeziehungen zwischen Eltern und Kindern oder auch zum Umfang sozialer Dienstleistungen bei der Betreuung und Pflege. Wie schon erwähnt, will der hier gewählte Ansatz explizit keine Generationenbilanz ziehen, die Beiträge und Leistungen verschiedener Alterskohorten im Lebenslauf gegeneinander abwägt. Das ist mit den hier herangezogenen Daten nicht möglich. Unser Ziel ist es vielmehr, die materiellen Austauschbeziehungen zwischen Altersgruppen innerhalb staatlicher Institutionen und familialer Netzwerke abzubilden und zu zeigen, wie sich dieses Wechselverhältnis zwischen
49
3.1 Fragestellungen
Altersgruppen in verschiedenen institutionellen Kontexten darstellt und seit dem Beginn der 1990er Jahre verändert hat. Die folgenden Abschnitte erläutern unser Vorgehen, indem zunächst die spezifischen Forschungsfragen vorgestellt werden, um dann die gewählten Operationalisierungen, die verwendeten Methoden und die zentralen Datenquellen darzulegen.
3.1 Fragestellungen Im Zentrum unserer Untersuchung steht die Frage, wie Staat und Familie die Lebenssituation von Altersgruppen prägen und inwieweit dies die Einstellungen von alten und jungen Menschen bestimmt. Diese Aufgabenstellung lässt sich in vier spezifische Forschungsfragen unterteilen. Abbildung 3.1 zeigt die zu untersuchenden Zusammenhänge in einer schematischen Darstellung. Die Zahlen verweisen auf die vier Forschungsfragen, die es zu klären gilt. Abildung 3.1: Skizze des Untersuchungsdesigns
Wohlfahrtsstaatliche Leistungen
e
Austauschbeziehungen in der Familie
c
d
Lebensverhältnisse von: - jungen und alten Menschen - Kindern und ihren Eltern
Einstellungsunterschiede zwischen den Altersgruppen: - zum Sozialstaat - zur Verantwortung der Familie
f
50 1.
2.
3.
4.
3 Forschungsdesign
Im ersten Schritt wird untersucht, wie die sozialstaatlichen Leistungen die Lebensbedingungen von Altersgruppen in den vier Ländern prägen. Dabei geht es um Fragen der folgenden Art: Welchen Anteil haben welche sozialstaatlichen Transfers an den Einkommenspaketen verschiedener Altersgruppen? Stimmt es, dass kontinentaleuropäische Sozialstaaten in besonderem Maße transfer- und rentenzentriert sind? In welchem Maße reduzieren sozialstaatliche Transfers die Einkommensungleichheit, insbesondere im unteren Einkommensbereich? In welchem Verhältnis stehen Geld- und Dienstleistungen? Findet bei Reformen eine Verlagerung von einem Leistungsbereich in einen anderen statt? Welche Reformmuster gibt es diesbezüglich in den Ländern? Der zweite Untersuchungsschritt wendet sich den Austauschbeziehungen in der Familie zu. Wie groß ist der Umfang an instrumentellen und finanziellen Hilfen zwischen den Generationen? Was leisten die erwachsenen Kinder für ihre Eltern? Welche Unterstützung geben die älteren Eltern ihren Kindern? Welche länderspezifischen Unterschiede finden sich bei den familiären Leistungen? Im dritten Schritt gehen wir dann die Analyse der Wechselbeziehungen zwischen staatlichen Leistungen und familiärer Unterstützung an. Ergänzen oder ersetzen sich Staat und Familie in ihren Aufgaben? Kristallisiert sich je nach Land eine spezifische Aufgabenverteilung zwischen beiden Institutionen heraus? Springen Familienmitglieder ein, wenn staatliche Leistungen gekürzt werden? Im Einzelnen sollen drei Hypothesen geprüft werden: Die Ungleichheit sozialstaatlicher Leistungen zugunsten der Älteren infolge hoher Rentenzahlungen wird innerhalb der Familie durch die Umverteilung von Leistungen der Eltern an die Kinder abgeschwächt. Hohe Renten verbinden sich mit hohen finanziellen Transferleistungen der Eltern an die Kinder. Defizite im staatlichen Angebot von Betreuungsdiensten werden innerhalb der Familie durch das Betreuungspotenzial der Großeltern teilweise kompensiert. Das erleichtert Müttern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei mangelnder staatlicher Förderung. Enge Generationenbeziehungen sind somit ein partieller Ersatz für fehlendes staatliches Engagement. Kinder tendieren dazu, ihre Familienpflichten bei der Pflege ihrer Eltern zu reduzieren, wenn staatlich finanzierte Pflegedienste zur Verfügung stehen. Der Staat ersetzt die Familie und trägt dazu bei, die Familienbeziehung zu lösen. Im vierten Schritt geht es um die Frage, ob es empirische Indizien für einen Generationenkonflikt gibt. Inwiefern sprechen altersspezifische Einstel-
3.2 Definition und Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes
51
lungsunterschiede zur Sozialpolitik für Konfliktpotenziale? In welchen Bereichen sind sie am größten? Gibt es einen Zusammenhang zwischen wohlfahrtsstaatlichen Arrangements und Einstellungsunterschieden, oder sind die Einstellungsunterschiede zwischen den Altersgruppen innerhalb eines Landes größer als die Unterschiede zwischen den Ländern? Der gepunktete Pfeil in Abb. 3.1 soll illustrieren, dass wir es hier mit komplexen Beziehungen zwischen Einstellungen und Institutionen bzw. Einstellungen und Lebensbedingungen zu tun haben, die wir hier nur grob illustrieren, nicht aber kausalanalytisch klären können. Die genannten Fragestellungen sind sehr umfassend und bedürfen einer genaueren Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes. Im Folgenden wird geschildert, wie wir die Altersgruppen abgegrenzt und das Generationenverhältnis auf der institutionellen Ebene sowie die Generationenbeziehungen in der Familie operationalisiert haben.
3.2 Definition und Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes 3.2.1 Die Abgrenzung von Altersgruppen und Generationen Der Generationenbegriff unterscheidet Individuen oder soziale Gruppen nach Alter, Geburtsjahr oder Abstammungsfolge. In der sozialwissenschaftlichen Literatur finden sich drei übergeordnete Generationenkonzepte: sozio-historische Generationen, familiale Generationen und Generationen, die aufgrund institutioneller Regelungen differenziert werden können (Blome et al. 2006; Eisenstadt 2001; Esler 2001; Lamb 2001; Nash 1978; Szydlik 2001). Der sozio-historische Generationenbegriff hebt die chronologische Abfolge von Geburtskohorten hervor, die in unterschiedlichen kulturellen und gesellschaftlichen Kontexten sozialisiert wurden (Mannheim 1964 (1928)). Geburtskohorten können allerdings erst dann als Generation verstanden werden, wenn ein Generationszusammenhang (Mannheim 1964 (1928)) bzw. ein Generationsbewusstsein (Eisenstadt 1996) besteht, das bestimmte Geburtsjahrgänge in ihren Erfahrungshorizonten und den darauf gründenden Handlungsschemata als gemeinsame Gruppe verbindet, so dass trotz aller antagonistischen Spannungen innerhalb einer Generation ähnliche Reaktionen auf die gemeinsame historische Ausgangslage erkennbar sind (Mannheim 1964 (1928)). Die Bedeutung, die sozio-historische Generationen heute noch haben, ist umstritten. Durch die Pluralisierung von Lebenslagen scheint die Bindekraft gemeinsam erlebter Zeitabschnitte hinter milieu- und schichtspezifischen For-
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3 Forschungsdesign
men der Integration zurückzutreten (Eisenstadt 2003; Nora 1996). Die Vielzahl sozio-historischer Generationen, die in verschiedenen Studien zum 20. Jahrhundert postuliert wurden, zeigt, wie schwierig bzw. beliebig es ist, Generationen auf der Grundlage gemeinsamer historischer Erfahrung zu bestimmen.5 Der familiale Generationenbegriff bezeichnet das Verhältnis zwischen linienverwandten Familienmitgliedern, also die Abstammungsfolgen von Kindern, Eltern, Großeltern usw. (Schütze 2001). Der Anstieg der Lebenserwartung hat zur Folge, dass mehr Generationen längere Lebensspannen zusammenleben. Selbst die Verzögerung der Familiengründung gleicht die Verlängerung der gemeinsamen Lebenszeit nicht voll aus (Engstler und Menning 2005). Allerdings dreht sich aufgrund der niedrigen Fertilitätsraten das Personenverhältnis zwischen den Generationen um. Kamen früher auf wenige Großeltern viele Kinder, so wird es heute zunehmend wahrscheinlich, dass ein einzelner Nachkomme alle vier Großeltern erlebt (Hagestad und Herlofson 2005; Hondrich 1999). Der Begriff der wohlfahrtsstaatlich oder institutionell begründeten Generationen hebt auf staatliche Grenzziehungen anhand des Lebensalters ab (Leisering 2000). Durch die Bindung sozialer Rechte und Pflichten an Altersgrenzen ist es zu einer „Institutionalisierung des Lebenslaufs“ mit relativ starrer Abgrenzung zwischen rechtlich definierten Lebensphasen wie Schulzeit, Erwerbsphase und Ruhestand gekommen (Kohli 1985). Die altersspezifischen Sozialrechte führen dazu, dass Bevölkerungsgruppen in verschiedenen Lebensabschnitten in unterschiedlichem Maß staatliche Leistungen erhalten bzw. Beiträge an den Staat entrichten und in diesem Sinne zu eigenständigen Versorgungsklassen werden (Lepsius 1979). Wir wollen klären, wie der Wohlfahrtsstaat durch seine altersspezifischen Leistungen die Lebensverhältnisse verschiedener Altersgruppen prägt, die innerhalb der Familie Generationen repräsentieren. Eine genaue altersspezifische Zuordnung staatlicher Leistungen ist allerdings aus zwei Gründen schwierig. Zum einen führen institutionelle Regelungen wie die Frühverrentung oder längere Ausbildungszeiten jenseits der Schulpflicht zu einer zunehmenden Variabilität vormals rigider Altersgrenzen. Zum anderen kommen staatliche Leistungen für Kinder letztlich deren Eltern zu und umgekehrt erhalten im Pflegesystem meist die Pflegepersonen, d.h. in vielen Fällen die jüngeren Verwandten der älteren Pflegebedürftigen die Transferleistungen. Um derartige Probleme so weit wie möglich zu umgehen, haben wir unseren Analysen eine möglichst klare Alterszuordnung in vier Gruppen zugrunde gelegt.
5
Siehe z.B. den Eintrag bei Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Generation (Zugriff am 12.02.2007).
3.2 Definition und Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes
1.
2.
3.
4.
53
Personen, die 65 Jahre und älter sind: Sie stellen im Wesentlichen die Empfänger von Renten- und Pflegeleistungen dar und werden von uns überdies innerhalb der Familie als alte Eltern in Hinsicht auf die Austauschbeziehungen mit ihren erwachsenen Kindern analysiert. Personen zwischen 45 und 64 Jahren: Diese so genannte Pivot- oder Sandwich-Generation der 45- bis 64-Jährigen übernimmt Verantwortung für die Pflege ihrer alten Eltern und sorgt andererseits teilweise noch selbst für die eigenen Kinder. Besonders thematisiert wird diese Personengruppe bei der Analyse der Pflegeleistungen und der Einstellung zur Pflege. In allen anderen Aspekten wird sie der Gruppe der jungen Eltern gleichgestellt. Personen zwischen 20 und 44 Jahren: Sie sind die jungen Eltern in der Phase der Familiengründung. Besonderes Augenmerk erhalten sie bei der Untersuchung der sozialen Dienste zur Kinderbetreuung, da in diesen Familien in der Regel Kleinkinder leben. Kinder und Jugendliche zwischen 0 und 15 Jahren: Sie werden in der Untersuchung als eigene Gruppe nur bei der Analyse der Kinderarmut berücksichtigt, die sich allerdings auch auf deren Eltern im Alter von 20 bis 64 Jahre bezieht. Indirekt spielen sie allerdings bei den finanziellen Familienleistungen und bei den Angaben zur Betreuung von Kleinkindern eine Rolle.
Wie schon erwähnt, werden wir die familiale und die institutionelle Ebene durch die Begriffe Generationenbeziehungen und Generationenverhältnisse unterscheiden und mit dem ersten Begriff die Austauschverhältnisse zwischen Eltern und Kindern in der Familie, mit dem zweiten die sozialstaatlichen Verbindungen zwischen Altersgruppen charakterisieren (Kaufmann 1993b; Leisering 1992).
3.2.2 Abgrenzung der Untersuchungsfelder Wohlfahrtsstaat und Familie 3.2.2.1 Wohlfahrtsstaat und Generationenverhältnis Unter wohlfahrtsstaatlichen Leistungen verstehen wir hier das Produkt von staatlichen oder staatlich organisierten Leistungen, die zugunsten Dritter gewährt werden. Der Sozial- oder Wohlfahrtsstaat – wir verwenden diese Begriffe hier in Anlehnung an den internationalen Sprachgebrauch synonym – umfasst sowohl finanzielle Transfers als auch steuerliche Begünstigungen und soziale Dienstleistungen (Alber 1995; Anttonen und Sipilä 1996). Unser Interesse gilt sowohl der altersspezifischen Verteilung der so verstandenen sozialstaatlichen Leistungen (Esping-Andersen und Sarasa 2002; Lynch 2006) als auch den sozialen Auswirkungen oder outcomes dieser Ausga-
54
3 Forschungsdesign
ben (Esping-Andersen und Sarasa 2002; Goodin et al. 1999; Hedström und Ringen 1990). Im Vordergrund unserer Analysen wird der zweite Aspekt stehen. Der Vergleich der sozialstaatlichen Ausgaben wird im Kapitel 4.2 zur Charakterisierung und Einordnung der vier Untersuchungsländer verwendet, bildet dann aber wegen seines unvermeidlich grobschlächtigen Charakters keinen zentralen Baustein unserer Analysen. Das zweite Verfahren ist indessen für die Klärung der Frage, wie sozialstaatliche Leistungen die Lebensverhältnisse von älteren und jüngeren Menschen prägen, zentral. Allerdings muss man sich auch dabei die Implikationen und Restriktionen eines Vergleichs altersspezifischer Leistungen vor Augen halten: 1.
2.
3.
Der Sozialstaat übernimmt verschiedenen Altersgruppen gegenüber höchst ungleiche Verpflichtungen. So sind Renten als Lohnersatzleistungen naturgemäß höher bemessen als der Großteil der lediglich als Lohnergänzung konzipierten Familienleistungen. Der Vergleich altersspezifischer sozialstaatlicher Leistungen vernachlässigt mögliche Umverteilungsprozesse zwischen den Generationen innerhalb der Familie. Da die Untersuchung des Wechselspiels zwischen Staat und Familie aber ein Kerngedanke unserer Analysen ist, wollen wir eine Beschränkung der Altersgruppenvergleiche auf sozialstaatliche Leistungen möglichst vermeiden. Quantitative Daten über sozialstaatliche Ausgaben oder Einkommenspakete der Privathaushalte vermögen den für den Pflege- und Betreuungsbereich zentralen Aspekt der Qualität der Versorgung nur unzureichend zu erfassen.
Aus diesen Gründen besteht unser Ansatz in einer bereichsspezifischen Analyse von Sozialleistungen, die fast ausschließlich bestimmten Altersgruppen zugeordnet sind. Diese institutionelle Betrachtung wird dann ergänzt um die Leistungen, die Eltern und Kinder füreinander erbringen, und schließlich bewertet anhand von Indikatoren wie Einkommen, Erwerbssituation und soziale Kontakte, die Aufschluss geben über die tatsächlichen Lebensverhältnisse. Vier Bereiche der sozialen Sicherung und ihr Einfluss auf die realen Lebensbedingungen bilden den Gegenstand der Analyse: 1. 2. 3. 4.
Staatliche Rentenleistungen und die Einkommenssituation älterer Menschen Staatliche Pflegeleistungen und die Pflegearrangements pflegebedürftiger älterer Menschen Direkte und indirekte Familientransferleistungen und die Einkommenssituation von Familien Staatlich geförderte soziale Betreuungsdienste für Kinder und der Umfang der Kinderbetreuung
3.2 Definition und Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes
55
Der Auswahl dieser Leistungen lag ihr mehr oder minder expliziter Altersbezug zugrunde. Bei den Pflegeleistungen ist dies allerdings nicht in allen Ländern der Fall, da die Leistungen sowohl im deutschen wie im italienischen Pflegesystem für alle behinderten und pflegebedürftigen Personen unabhängig vom Alter gewährt werden. Weil sich der Hauptanteil der Zahlung allerdings auf ältere Menschen konzentriert, halten wir es für gerechtfertigt, den Bereich der Pflege aufzunehmen und als Leistung für die ältere Generation zu betrachten. Von der Betrachtung ausgeschlossen bleiben die Arbeitsmarktpolitik und die Gesundheitsleistungen, weil sie in der Regel keinen direkten Altersbezug haben. Zwei weitere Leistungen wurden aus forschungspragmatischen Gründen von der Analyse ausgeschlossen. Zum einen behandeln wir hier nicht die staatlichen Leistungen für den Übergang zwischen Erwerbstätigkeit und Rente wie Frühverrentungsmaßnahmen oder Altersteilzeitregelungen. Eine detaillierte, vergleichende Analyse zu diesem Aspekt findet sich bei Ebbinghaus (2006). Zum anderen berücksichtigen wir nicht die Leistungen des Bildungswesens, obwohl sie im Kontext der hier diskutierten Fragen zum Umfang sozialer Investitionen für die Zukunft in verschiedenen Wohlfahrtsstaaten eine große Bedeutung haben (vgl. Anweiler et al. 1996; OECD 2000; 2005a). Entscheidend war, dass das Bildungswesen in der Regel nicht als Teil der Sozialpolitik aufgefasst wird (European Commission 1996) und dass seine Berücksichtigung die Ressourcen unseres Projekts gesprengt hätte.
3.2.2.2 Familie und Generationenbeziehungen Generationenbeziehungen bestehen in erster Linie zwischen den Eltern und Kindern sowie in neuerer Zeit vermehrt auch zwischen Großeltern und Enkeln. Die Großfamilie entweder in Form eines Dreigenerationenhaushalts oder als Verbund von zwei und mehr Familien unter einem Dach – war in Westeuropa von jeher die Ausnahme. Nur in Mittelitalien und Südfrankreich waren solche Haushaltsformen häufiger (Hajnal 1982; Kertzer und Barbagli 2003).6 Das Ideal des Mehrgenerationenhaushalts entwickelte sich erst mit der steigenden Lebenserwartung und der Ausbildung einer bürgerlichen Mittelschicht, wurde aber in Westeuropa nie dominant, so dass die Kern- oder Stammfamilie die bei weitem häufigste häusliche Lebensform blieb.
6
Mit der Form des Zusammenlebens ist noch nichts über den Familienzusammenhalt gesagt und die Verpflichtung, die entfernt verwandte Familienmitglieder untereinander hatten. Diese und die nachbarschaftlichen Netzwerke waren in der bäuerlichen Landbevölkerung bedeutend (Burguière et al. 1997).
56
3 Forschungsdesign
Seit den 1960er Jahren ist eine Pluralisierung der Familienformen zu verzeichnen, deren wesentliche Merkmale wie folgt zusammengefasst werden können: (1) instabilere Beziehungen durch häufigere Scheidung und weniger Eheschließungen, (2) spätes Heiratsalter, höheres Alter bei der ersten Geburt, niedrige Fertilität und damit verbunden ein hoher Anteil kinderloser Paare, (3) wachsender Anteil alleinlebender Personen und (4) neue Formen des Zusammenlebens ohne Trauschein (Saraceno 1997). Eine zweite wichtige Veränderung betrifft die geschlechterspezifische Aufgabenteilung in der Familie. Die Bildungsexpansion und die Feminisierung des Arbeitsmarktes in der Nachkriegszeit stellten die eingefahrenen Lebensverlaufsmuster in Frage und eröffneten Frauen mehr Wahlfreiheiten. Heirat war zum einen nicht mehr zwangsläufig mit der Aufgabe weiblicher Erwerbsarbeit verbunden, zum anderen nicht mehr alleinige Voraussetzung der finanziellen Absicherung von Frauen. Die meisten Länder gestehen mittlerweile den neuen Familienformen – geschiedene Paare, zusammenlebende Paare, wiederverheiratete Paare, Einelternfamilien, neu gebildete Familien – ähnliche Rechte und Pflichten zu wie traditionellen Familien (Barrett und McIntosh 1982; Europäische Kommission 2002a; Rubery et al. 1997).7 Allerdings fanden diese Entwicklungen in länderspezifisch unterschiedlichem Ausmaß statt. Während in den katholisch geprägten Ländern sowohl die Ehe wie die geschlechterspezifische Arbeitsteilung lange Zeit dominant blieb, so dass sich erst seit den 1990er Jahren einschneidende Veränderungen zeigten, waren die skandinavischen Länder Vorreiter sowohl bei der Entstehung neuer Familienund Erwerbsformen wie ihrer rechtlichen Sanktionierung durch die staatliche Familienpolitik (Naumann 2006). Diese Veränderungen ließen auch die Generationenbeziehungen nicht unberührt, weil sich die familialen Verpflichtungen zwischen Eltern und Kindern lockerten und teilweise durch sozialstaatliche Leistungen ersetzt wurden. Die Pflichten, die Familienmitgliedern auferlegt sind, zeigen sich nicht nur in den moralischen Werthaltungen, sondern auch in den rechtlichen Regelungen (Finch 1989; Millar und Warman 1996). Naldini (2003) unterscheidet drei Typen des institutionellen Familienverständnisses und ordnet sie verschiedenen europäischen Ländern zu. Der Typ der erweiterten Familienverantwortung sieht nicht nur Eltern und Kinder in einer gegenseitigen Sorgeverpflichtung, sondern weitet die rechtlichen Pflichten auch auf Verwandte des dritten Grades aus. Allerdings gelten die Pflichten sonstiger Verwandter gegenüber den Pflichten zwischen Eltern und Kindern als nachrangig. Mit dem weit gefassten rechtlichen Familienbegriff ist eine Begrenzung staatlicher Verantwortung verbunden, die lediglich subsidiär gilt, wenn hilfsbedürftige Personen nicht durch die Familie unterstützt 7
Eine Ausnahme bildet die Situation homosexueller Paare. In vielen Ländern ist beispielsweise die Adoption für sie nicht gestattet.
3.3 Methoden
57
werden können. Dieser Typus wird in unserem Ländervergleich durch Italien repräsentiert. Der zweite Typ orientiert sich an der Kernfamilie. Hier haben ausschließlich Eltern und Kinder gegenseitige Sorgepflichten. Dadurch wird den Generationenbeziehungen eine besondere Stellung zugeschrieben. In unserer Studie entsprechen Deutschland und Frankreich diesem Typ. Der dritte Typ kennt keine oder nur geringe Versorgungspflichten zwischen Familienmitgliedern, so dass sozialstaatliche Leistungen ausschließlich aufgrund der individuellen Lebenslage gewährt werden. Damit sind die Generationenbeziehungen in nur geringem Maße rechtlich kodifiziert. Schweden kommt in unserer Studie diesem Idealtyp am nächsten (Schmidtz und Goodin 1998).
3.3 Methoden Unsere Untersuchung kombiniert drei methodische Ansätze: Erstens stellen wir einen institutionellen Vergleich verschiedener auf Altersgruppen bezogener Leistungen in den vier ausgewählten Wohlfahrtsstaaten an. Zweitens untersuchen wir, welchen Niederschlag die institutionellen Regelungen in den individuellen Lebensverhältnissen finden. Drittens analysieren wir, welchen Einfluss Staat und Familie zusammen auf die Lebensbedingungen von Altersgruppen haben. Die Kapitel sind nach den vier untersuchten staatlichen Leistungsfunktionen – Rente, Pflege, Familienleistungen, Kinderbetreuung – gegliedert und folgen durchgehend dem gleichen Analyseschema. Erstens erfolgt eine detaillierte Beschreibung der bestehenden institutionellen Regelungen der staatlichen Leistungen eines Bereichs und ihrer Veränderung seit 1990. Zweitens werden soziale Indikatoren zum Leistungsumfang dargestellt. Im dritten Schritt erfolgt der Wechsel von der Makroebene der Institutionen auf die Mikroebene der betroffenen Individuen, indem die Makro-Indikatoren zum Leistungsumfang zunächst mit den empfangenen Leistungen auf der Mikroebene verglichen und dann bezüglich ihrer Verteilung nach Alter, Geschlecht oder Einkommen differenziert werden. Den sozialstaatlichen Leistungen werden dann die Austauschbeziehungen zwischen Generationen in der Familie gegenübergestellt. Wo es die Datenlage zulässt, werden in einem letzten Schritt schließlich Zusammenhangsanalysen präsentiert, die den spezifischen Einfluss von staatlichen Leistungen und familialen Hilfen auf die Lebensverhältnisse verschiedener Altersgruppen untersuchen.
58
3 Forschungsdesign
3.3.1 Institutionenvergleich Der nach wohlfahrtsstaatlichen Politikfeldern gegliederte Ländervergleich schildert das Leistungsspektrum sowie die Reformen im Beobachtungszeitraum. Berücksichtigt werden sowohl qualitative wie quantitative Merkmale. Unter dem ersten Aspekt stehen die Anspruchsvoraussetzungen für Leistungen im Zentrum, unter dem zweiten die institutionelle Leistungshöhe. Auf die Analyse von Ausgabedaten haben wir weitgehend verzichtet, weil sie zwar scheinbar leicht verfügbar, international aber nur schwer vergleichbar sind (Kaufmann 2003). So wird zum Beispiel in Frankreich die Kinderbetreuung in der École maternelle dem Bildungssystem zugerechnet, so dass die Ausgaben sozialer Dienste für Familien in Frankreich trotz einer hohen Kinderbetreuungsquote sehr gering sind. Überdies erfassen Ausgabedaten nur die direkten staatlichen Leistungen, ohne steuerliche Vergünstigungen oder Belastungen zu berücksichtigen, was internationale Vergleiche stark verzerrt (Adema 1997; Kemmerling 2001).8 Ausgabedaten sind ferner unsensibel gegenüber der Ausgestaltung sozialpolitischer Programme, weil sie die Anspruchsvoraussetzungen, welche die Ausgabenhöhe und -verteilung bestimmen, nicht erfassen (Korpi und Palme 2003). Uns geht es hier nicht um die staatlichen Aufwendungen per se, sondern um ihre Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse, die sich aus kruden Ausgabenquoten nicht ableiten lassen. Wir verzichten deshalb auch auf eine globale Abschätzung der „Generosität“ sozialer Sicherungssysteme und spezifizieren stattdessen die Wirkung wohlfahrtsstaatlicher Leistungen anhand von Alters-, Geschlechts- und Einkommensunterschieden. Die Analysen beziehen sich auf die Entwicklungen seit Anfang der 1990er Jahre. Zu berücksichtigen ist dabei, dass zwischen der gesetzlichen Einführung und der Wirkung einer Maßnahme oft eine lange Latenzphase besteht, was insbesondere für Reformen in der Rentenversicherung gilt. Einen Blick auf die Langzeitwirkungen aktueller Reformen werfen wir aber im abschließenden Kapitel.
3.3.2 Verbindung von Mikro- und Makrodaten Die Beziehungen zwischen den skizzierten Forschungsfeldern können nur eingeschränkt kausalanalytisch mit statistischen Methoden belegt werden. Oft müssen wir uns auf die argumentative Plausibilisierung von Zusammenhängen beschränken. Erforderlich dafür sind Indikatoren, die es erlauben, die institutionellen
8
Vgl. zu der Systematik der Unterteilung der Sozialschutzausgaben die Infobox 1 im Anhang.
3.3 Methoden
59
Regelungen mit der Lebenssituation von Altersgruppen in Verbindung zu bringen. In der Regel wenden wir dazu ein dreistufiges Verfahren an: 1.
2.
3.
Die Bildung von Modellfällen zum Vergleich der institutionellen Regelungen, wie z.B. ein Standardrentner mit bestimmter Erwerbsbiographie oder eine Modellfamilie mit bestimmter Kinderzahl. Die Überprüfung der Repräsentativität der Modellfälle auf der Basis von Mikrodaten und die Übersetzung institutioneller Regelungen in faktische Einkommensgrößen. Die Beurteilung des Bedarfsdeckungsgrades staatlicher Leistungen durch Informationen aus Mikrodaten über die Einkommenssituation oder den Pflegebedarf vor und nach dem Leistungsbezug.
3.3.3 Mikroanalysen und Regressionsmodelle Der Vergleich von nur vier Ländern hat den Vorteil, dass relativ detaillierte komparative Analysen durchgeführt werden können, begrenzt aber auch die Anwendungsmöglichkeiten quantitativer Verfahren wie etwa Regressions- oder Konfigurationsanalysen (Ragin 2000). In einigen Bereichen erlaubt unsere Verwendung von Mikrodaten allerdings auch statistische Zusammenhangsanalysen. So können wir zum Beispiel den Einfluss der von Eltern in Anspruch genommenen Kinderbetreuung auf die Arbeitszeit von Müttern untersuchen (vgl. Kapitel 8.2.2), oder analysieren, welchen unterschiedlichen Einfluss Pflegedienste in Schweden und Italien auf die Eltern-Kind-Beziehung haben (vgl. Kapitel 6.2.2). In drei Abschnitten der Studie können wir auch genauer die Auswirkungen institutioneller und familialer Leistungen auf die Lebensbedingungen sozialer Gruppen verfolgen. Bei der Beschreibung der Einkommenssituation älterer Menschen können wir analysieren, welche Einflussfaktoren das Armutsrisiko erhöhen oder mindern. Im Bereich der Pflege untersuchen wir, welchen Einfluss soziale Pflegedienste auf die Kontaktdichte zwischen Kindern und deren pflegebedürftigen Eltern haben. Drittens prüfen wir, inwieweit staatliche Kinderbetreuungsleistungen bzw. eine alternative Betreuung durch Großeltern die Arbeitsmarktintegration von Müttern mit kleinen Kindern fördern. Diese Analyseverfahren werden durch zwei weitere empirische Kapitel ergänzt. Zunächst stellen wir vor der Analyse der einzelnen sozialstaatlichen Leistungsbereiche die Schlüsselmerkmale der vier an der Untersuchung beteiligten Länder dar. Dabei geht es um drei zentrale Aspekte. Erstens zeigen wir auf der Basis von Sozialschutzausgaben, welche Altersorientierung in den vier Sozialstaaten vorherrscht, also in welchem Maße ihre Leistungsstruktur alterslastig ist.
60
3 Forschungsdesign
Zweitens gehen wir auf die historische Entwicklung der Beschäftigungsstruktur ein. Drittens vergleichen wir die Staaten hinsichtlich ihrer Familienstrukturen und der vorherrschenden Familienbilder. Der Analyse der vier Leistungsbereiche schließt sich dann die Untersuchung altersspezifischer Einstellungsunterschiede an. Ziel ist es, zu untersuchen, ob und in welchen Bereichen sozialpolitische Einstellungsunterschiede zwischen Altersgruppen bestehen. Da die Einstellungsdaten aus anderen Quellen stammen als die Daten zu den Lebensverhältnissen, ist eine genaue Analyse des statistischen Zusammenhangs zwischen Lebensverhältnissen und Einstellungen allerdings nicht möglich. Deshalb müssen wir uns hier auf den Makrovergleich der Größe der Generationenkluft in Ländern mit verschiedenen wohlfahrtsstaatlichen Programmen beschränken. 3.4 Daten Die Vielfalt der Themenbereiche und die Zielsetzung eines Länder- und Zeitvergleichs stellen hohe Anforderungen an die verfügbaren Daten. Drei Kriterien waren für uns grundlegend: Erstens muss es möglich sein, für die vier an der Studie beteiligten Länder vergleichbare Informationen zu gewinnen. Zweitens waren Datenquellen zu finden, die einen Zeitvergleich von Anfang der 1990er Jahre und einem möglichst gegenwartsnahen Jahr zulassen. Drittens war für die Auswahl der Indikatoren entscheidend, dass sie eine Verbindung zwischen der institutionellen Analyse verschiedener Politikbereiche und den Lebenslagen der von den institutionellen Regelungen betroffenen Personen erlauben. Am Anfang der Forschungsarbeit stand damit die Sichtung vorhandener Datensätze nach Maßgabe dieser Kriterien.9 Oberste Priorität bei der Auswahl der Datensätze war es für uns, für alle Länder vergleichbare Daten zu erhalten. Aus diesem Grund verzichteten wir auch oftmals auf aktuellere oder detailliertere Erhebungen in einzelnen Ländern. Die Möglichkeit einer Homogenisierung verschiedener Individualdaten ergibt sich nur für Angaben zum Einkommen. In anderen Bereichen weichen die Fragestellungen und Antwortkategorien nationaler Umfragen zu weit voneinander ab, um sie sinnvoll zusammenzufassen. Auf Grundlage früherer Forschungserfahrungen10 entschieden wir uns gegen eine so genannte Output-Harmonisierung von unabhängig 9
10
Über die hier beschriebenen Datensätze hinaus gibt es eine Reihe von Quellen, die wir nach eingehender Prüfung aus Gründen der schwierigen Datenbeschaffung oder der mangelnden Vergleichbarkeit nicht nutzten. Dazu gehören der Family and Fertility Survey (FFS) und der Multinational Time Use Survey (MTUS). Diese resultiert aus der Mitarbeit Wolfgang Kecks an der Konvertierung des Sozio-ökonomischen Panels zum deutschen Datensatz des Europäischen Haushaltspanels (ECHP).
3.4 Daten
61
durchgeführten nationalen Erhebungen, da dieses Verfahren langwierig ist und viele methodische Probleme in sich birgt (European Commission 1999a). Den Makrodaten über die Gestaltung der Sozialpolitik liegen ebenfalls in erster Linie vergleichende Quellen zu Grunde. Allerdings war es hier aufgrund fehlender oder unzureichender Dokumentation oft nicht möglich, die berichteten Indikatoren im Licht der Individualdaten nachzuvollziehen. So werden z.B. für die Familienpolitik zwar die staatlichen Ausgaben für Dienstleistungen dokumentiert, aber die Daten sind bei genauerer Betrachtung nicht vergleichbar, weil einige Länder, wie schon erwähnt, die Betreuung von Kleinkindern dem Bildungssystem zuordnen. Deshalb sahen wir uns wiederholt genötigt, für manche Indikatoren, wie etwa Betreuungsquoten oder Ausgaben für staatliche Pflegeleistungen, doch auf besser dokumentierte nationale Quellen zurückzugreifen, teilweise natürlich um den Preis der Inkaufnahme unterschiedlicher nationaler Definitionen. So sind zum Beispiel die medizinischen Leistungen für Pflege in Frankreich im Gesundheitssystem integriert und werden von den Krankenkassen erstattet. Da diese Leistungen in der Regel parallel zu anderen Pflegeleistungen der Sozialhilfe oder der Rentenversicherung gewährt werden, kann weder der genaue Empfängerkreis von Pflegeleistungen noch die durchschnittliche Höhe der Förderung im Pflegefall abgeschätzt werden. Im Zweifelsfall haben wir uns an der Maßgabe orientiert, die besser dokumentierte Datenquelle zu nutzen. Das zweite Ziel, zumindest für zentrale Indikatoren Zeitreihen seit 1990 zu präsentieren, erwies sich angesichts der Datenlage als schwer realisierbar. Weil die Koordinierung der Sozialpolitik in der Europäischen Union, die eine Nachfrage nach vergleichenden Indikatoren mit sich brachte, erst Ende der 1990er Jahre begann (Atkinson et al. 2002) und Schweden erst 1995 der Europäischen Union beitrat, ohne vorher an gemeinsamen Erhebungsprojekten der EU beteiligt gewesen zu sein, sind vergleichbare Zeitreihen für alle EU-Länder nach wie vor bemerkenswert selten zu finden. Komparative Umfragenprogramme wie das International Social Survey Programme (ISSP) oder die European Value Study (EVS) enthalten zwar Daten für verschiedene Zeitpunkte, aber oftmals nicht für alle vier in unserer Studie berücksichtigten Länder. So konnten die Analysen zu den Austauschbeziehungen zwischen den Familienmitgliedern, den Einstellungsunterschieden oder die Bestimmung der Pflegeleistungen von Familienmitgliedern nur für einzelne Jahre nach 2000 durchgeführt werden. Unser drittes Auswahlkriterium ergab sich aus dem methodischen Anspruch, die Struktur und den Umfang sozialstaatlicher Leistungen mit den Lebenslagen verschiedener Altersgruppen in Verbindung zu bringen. Der grobe Vergleich von Sozialausgabedaten verbot sich, weil er nichts über individuelle Leistungsansprüche und Verteilungsungleichheiten aussagt (vgl. auch Green-Pedersen 2004). So ist für unsere Untersuchung nicht die Höhe der Kosten für Kinderbetreuung ent-
62
3 Forschungsdesign
scheidend, sondern wie viele Betreuungsplätze dadurch finanziert werden und welche Qualität die Betreuung aufweist. Bei den direkten Sozialtransfers ist es noch relativ einfach, die Leistungsgestaltung auf institutioneller Ebene mit Daten zum Leistungsbezug und zur Zusammensetzung des Einkommens auf individueller Ebene zu verbinden. Bei den Dienstleistungen für die Betreuung von Kindern oder die Pflege älterer Menschen ist die Verknüpfung beider Ebenen hingegen weitaus schwieriger, weil in den Befragungen kaum Informationen darüber vorliegen, aus welchen Quellen die erhaltene Hilfe stammt, so dass oft unklar bleibt, welcher Anteil auf den Staat, den Markt oder die Familie entfällt. Auch bei den Be- und Entlastungen im Steuersystem ließen sich die beiden Ebenen mit unseren Daten nicht verbinden, weil Einkommensdaten entweder nur als Nettowert vorliegen oder die steuerliche Belastung lediglich als Pauschalsumme ermittelt werden kann, ohne die Möglichkeit, zu differenzieren, welcher Anteil der Steuern auf politikfeld- bzw. altersgruppenspezifische Bereiche entfällt. Wo vergleichbare Informationen aus verschiedenen Datenquellen erhältlich waren, haben wir die Auswahl von Qualitätskriterien abhängig gemacht. Für den Vergleich der materiellen Lebenssituation standen drei komparative Datensätze zur Verfügung, nämlich die Luxembourg Income Study (LIS), das European Community Household Panel (ECHP) und der European Quality of Life Survey (EQLS). Der EQLS schied als Quelle sehr früh aus, da er zum ersten Mal 2003 erhoben wurde und keine Informationen für die 1990er Jahre enthält. Außerdem sind die Stichprobe und das Erhebungsinstrument im Vergleich zu den beiden anderen Datensätzen von minderer Qualität (Kohler 2007). Letztlich haben wir uns für das ECHP entschieden, weil die harmonisierten Daten über die verschiedenen Erhebungszeiträume hinweg konsistenter erscheinen. Bei der Luxembourg Income Study schwanken zum Beispiel die Armutsquoten für ältere Menschen in Schweden von 19,8 Prozent (1992), 7,8 Prozent (1995) bis hin zu 21,2 Prozent (2000) (vgl. http://www.lisproject.org/keyfigures/povertytable.htm). Eine derartige Fluktuation über die Zeit ist im Licht realer Entwicklungen höchst unplausibel und daher sehr wahrscheinlich ein statistisches Artefakt. Überdies lag im Rahmen von LIS zum Zeitpunkt unserer Analysen kein aktueller Datensatz für Frankreich vor.11 Die Daten der Community Statistics on Income and Living Conditions (EU SILC), die aktuellere Informationen als das ECHP bieten, waren erst kurz vor Projektende 2007 für alle vier Länder erhältlich. Die folgende Tabelle 3.1 gibt einen Überblick über die verwendeten Mikrodaten, ihre Charakteristika und die Bereiche, für die sie genutzt wurden. Daran schließen sich dann Informationen über die für den Institutionenvergleich benutzten Quellen an. 11
An einer Stelle werden die Daten der LIS trotzdem genutzt: bei der Untersuchung der Renteneinkommen inklusive der Betriebsrenten. Die LIS bietet als einzige Quelle Angaben zu Renteneinkommen aus betrieblichen Systemen.
63
3.4 Daten
Tabelle 3.1:
Datenquellen
Datensatz
Zentrale Merkmale
European Community Household Panel (ECHP)
In Auftrag gegeben von Art der Daten: Erhebungsjahr(e) Population Stichprobengröße Dokumentation
Luxembourg Income Study (LIS)
In Auftrag gegeben von Art der Daten Erhebungsjahr(e)
Population
Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe (SHARE)12
Stichprobengröße Dokumentation In Auftrag gegeben von
Art der Daten
Erhebungsjahr(e) Population Stichprobengröße Dokumentation
12
Eurostat Jährliche Panelerhebung 1994-2001 Personen in Haushalten, die älter als 15 Jahre sind 7000-20000 Perracchi (2002), European Commission (1999a) Luxembourg Income Study Group Output harmonisierte Daten nationaler Studien: 1980, 1985, 1990, 1995, 2000 (mit länderspezifischen Abweichungen) Personen in Haushalten, die älter als 15 Jahre sind 15000-25000 Smeeding et al. (1985) Mannheimer Forschungsinstitut Ökonomie und Demographischer Wandel Querschnittsbefragung von Personen mit VignetteSample der Partner 2003 Personen über 50 Jahre und deren (Ehe-) Partner 2000-4000 Börsch-Supan und Jürges (2005)
Untersuchungsbereiche Einkommenspakete Einkommensverteilung Rentenbezüge Sozialtransfers Kinderbetreuung
Betriebliche Renten (Kontrolle Datenkonsistenz)
Finanzielle Transfers zwischen Eltern und Kindern Pflegearrangements Kinderbetreuung von Großeltern Räumliche Nähe und Kontakte zwischen Eltern und Kindern
Die Institution, die die SHARE-Daten zur Verfügung stellt, fordert die Nutzer zur Verbreitung der folgenden Information auf: „This study uses data from the early Release 1 of SHARE 2004. This release is preliminary and may contain errors that will be corrected in later releases. The SHARE data collection has been primarily funded by the European Commission through the 5th framework programme (project QLK6-CT-2001-00360 in the thematic programme Quality of Life). Additional funding came from the US National Institute on Aging (U01 AG0974013S2, P01 AG005842, P01 AG08291, P30 AG12815, Y1-AG-4553-01 and OGHA 04-064). Data collection in Austria (through the Austrian Science Fund, FWF), Belgium (through the Belgian Science Policy Office) and Switzerland (through BBW/OFES/UFES) was nationally funded. The SHARE data set is introduced in Börsch-Supan et al. (2005); methodological details are contained in Börsch-Supan and Jürges (2005).“
64 European Quality of Life Survey (EQLS)
3 Forschungsdesign
In Auftrag gegeben von
Art der Daten Erhebungsjahr(e) Population
Eurobarometer
Stichprobengröße Dokumentation In Auftrag gegeben von Art der Daten Erhebungsjahr(e) Population Stichprobengröße Dokumentation
International Social Survey Programme
European Social Survey
In Auftrag gegeben von Art der Daten Erhebungsjahr(e) Population Stichprobengröße Dokumentation In Auftrag gegeben von Art der Daten Erhebungsjahr(e) Population
World Value Survey 1999-2004
Stichprobengröße Dokumentation In Auftrag gegeben von Art der Daten Erhebungsjahr(e) Population Stichprobengröße Dokumentation
European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions Querschnittsbefragung von Personen 2003 Wohnbevölkerung über 18 Jahre 1000 (Kohler 2008) Eurostat Querschnittsbefragung von Personen 1999, 2001 Staatsbürger der EU über 15 Jahre 1000-2000 European Commission (1999b), European Commission (2002) Konsortium Querschnittsbefragung von Personen (1994), 2002 Wohnbevölkerung über 15 Jahre 1000-2000 Klein und Harkness (2002) Konsortium Querschnittsbefragung von Personen 2002 Wohnbevölkerung über 15 Jahre 2000-4000 Stoop et al. (2002) Konsortium Querschnittsbefragung von Personen Zwischen 1999 und 2004 Wohlbevölkerung über 18 Jahre Ca. 1000 http://www.worldvaluessur vey.org/
Einstellungen zum Rentensystem und Konfliktwahrnehmung zwischen Alt und Jung (Materielle Deprivation, später nicht verwendet)
Einstellungen zur Pflege Einstellungen zu Familienleistungen
Indikatoren zum Familialismus
Indikatoren zum Familialismus
Indikatoren zum Familialismus
3.4 Daten
65
Die folgenden Informationen geben einen Überblick über die verwendeten Quellen für den Institutionenvergleich. Rentensystem Mutual Information System on Social Protection in the Member States of the European Union (MISSOC) Direction de la Recherche, des Études, de l’Évaluation et des Statistiques (DREES ) European Commission 2006a, 2006b, 2006c, 2006d, 2006e European Communities – Commission 1993 INPS 2004, 2005a, 2005b ISTAT 2004a, 2004b Kohler 2005 Observatoire des Retraites 2002 OECD 2005 Riksförsäkringsverket 2002, 2004a, 2004b Social Protection Committee 2004 Verband Deutscher Rentenversicherungsträger 2003, 2004, 2005a, 2005b Pflegeleistungen Alber und Kohler 2004 DREES 2006 Jani-Le Bris 2004 Johansson 2004 Meyer 2004 OECD 1996 Pacolet et al. 2000 Polverini et al. 2004 Statistisches Bundesamt 2005 Trifiletti 1998 Direkte und indirekte finanzielle Familienleistungen Mutual Information System on Social Protection in the Member States of the European Union (MISSOC) Bahle und Maucher 2003, Bradshaw et al. 1993, Bradshaw und Finch 2002 Europäische Kommission 2002, 2004 Gerlach 2004 INPS 1995, 2005a OECD 2001, 2002, 2003a, 2003b, 2004, 2005c, 2006
66
3 Forschungsdesign
Kinderbetreuung Mutual Information System on Social Protection in the Member States of the European Union (MISSOC) Bahle 2007 Bothfeld 2005a, 2005b BMFSFJ 2001, 2004, 2005, 2006a, 2006b BMFSFJ und Fraunhofer Institut 2006 Caisse d’Allocations Familiales 2006 Chastenet 2005 Council of Europe 2005 Duvander et al. 2005 European Commission 2004, 2005, 2006a, 2006b European Foundation for the Improvement of the Living and Working Conditions 2005, 2006 Försäkringskassan 2002 Fortunati 2002 Gornick and Meyers 2003 Neubauer et al. 1993 Neyer 2003 Plantenga 2006, Plantenga and Remery 2005, Plantenga und Siegel 2004 Rostgaard 2000, Rostgaard und Friberg 1998 Skolverket 2005 Statistisches Bundesamt 2004 Statistika centralbyran 2006
4.1 Grundlegende Prinzipien und Charakteristika der ausgewählten Wohlfahrtsregime
67
4 Die vier Wohlfahrtsregime im Vergleich
Der folgende Vergleich zeigt anhand ausgewählter Indikatoren die zentralen Variationen der länderspezifischen Wohlfahrtsarrangements und ordnet die vier Analyseländer in den Kontext westeuropäischer Wohlfahrtsregime ein. In einem ersten Schritt werden die allgemeinen Organisationsprinzipien sowie die institutionelle Ausgestaltung der nationalen Systeme charakterisiert. Anschließend werden zwei für die Untersuchung zentrale Aspekte der Wohlfahrtsregime differenziert betrachtet, nämlich das Generationenverhältnis in der Verteilung wohlfahrtsstaatlicher Leistungen und das vorherrschende Bild der Generationenbeziehungen in der Bevölkerung.
4.1 Grundlegende Prinzipien und Charakteristika der ausgewählten Wohlfahrtsregime Der Begriff des Wohlfahrtsregimes bezeichnet die Art und Weise, wie die Wohlfahrtsproduktion in einem Land zwischen Staat, Markt und Familie bzw. privaten Haushalten organisiert ist (Esping-Andersen 1999).13 Während das zentrale Interesse der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung lange Zeit dem Verhältnis von Staat und Markt galt, ist das Verhältnis von Staat und Familie erst in jüngster Zeit in den Vordergrund gerückt. Da unser Forschungsinteresse den Beziehungen zwischen Generationen gilt, orientiert sich der folgende Überblick nach einer kurzen Vorstellung gängiger wohlfahrtsstaatlicher Typologien vorwiegend auf die länderspezifische Rolle der Familie und ihrer Stellung in der Sozialpolitik. Versuche, die empirische Vielfalt wohlfahrtsstaatlicher Arrangements auf einige grundlegende Typen zu reduzieren, haben in der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung eine lange Tradition.14 Am einfachsten und bekanntesten 13
14
In seiner ersten Klassifikation (Esping-Andersen 1990) bezeichnete Esping-Andersen die idealtypischen Konfiguration noch als „welfare-state regimes“. Erst im Zuge der Kritik an der fehlenden Einbeziehung der Familie änderte er den Begriff in „welfare regimes“. Zu den Forschungstraditionen der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung vgl. als Überblick Kohl (1999), als Beispiele historisch-komparativer Primärforschung Alber (1982) und Flora (1986) sowie Schmidt (1998) und Kaufmann (2003), als Beispiele für Einzelfallstudien Ferrera (1984), Ewald (1986) und Olsson (1990).
68
4 Die vier Wohlfahrtsregime im Vergleich
ist wohl die dichotomische Unterscheidung von Bismarck- und BeveridgeLändern. Zielt die Sozialpolitik in Ländern des ersten Typs primär auf die Sicherung der Arbeiter bzw. Arbeitnehmer ab, so steht in Ländern des zweiten Typs die allgemeine Armutsbekämpfung im Vordergrund. Der erste Typ wird vor allem durch die unter Bismarck geschaffene Sozialversicherungspolitik des Deutschen Reiches repräsentiert, der zweite durch die von Lord Beveridge geprägte Sozialpolitik Großbritanniens nach dem Zweiten Weltkrieg.15 Während das erste Modell vorrangig auf die Absicherung des Einkommensverlustes durch beitragsfinanzierte Arbeitnehmerversicherungen abzielt, strebt das zweite Modell die Armutsbekämpfung durch prinzipiell für alle Bürger geltende steuer- oder beitragsfinanzierte Grundsicherungssysteme an. Welches der beiden Sicherungsprinzipien in der Sozialpolitik eines Landes vorrangig zur Geltung kam, hing unter anderem davon ab, welche sozialen Probleme in der Entstehungsphase des Sozialstaats besonders dringlich waren (Bonoli 2000; Schmidt 1998). Nachhaltiger als diese dichotomische Unterscheidung haben Dreiertypologien die vergleichende Wohlfahrtsstaatsforschung geprägt. Ihnen zufolge kommen in den den Kern des Wohlfahrtsstaats repräsentierenden sozialen Sicherungsprogrammen drei grundlegende Prinzipien zum Tragen, nämlich Sozialversicherung, Staatsbürgerversorgung und Fürsorge (Schmidt 1998; Titmuss 1974). Die Sozialversicherung ist heute meist als Pflichtversicherung der Arbeitnehmer oder aller Erwerbstätiger gegen das Risiko des Einkommensverlustes organisiert und schützt oft auch mittelbar die Angehörigen der aktiv Versicherten. Charakteristisch für die Sozialversicherung ist damit eine Kombination von versicherungstechnischem Äquivalenz- und sozialpolitischem Solidarprinzip. Der Anspruch auf Leistungen wird mit der Zahlung von Beiträgen begründet, und die Höhe der Leistung hängt oft von der mit dem Einkommen variierenden Höhe der Beiträge ab. Der strenge Beitrags-/Leistungsbezug wird aber durch Komponenten des sozialen Ausgleichs gelockert. Letztere werden auch als „versicherungsfremde Leistungen“ bezeichnet und umfassen z.B. mit der Familiengröße variierende Leistungsaufstockungen oder die partielle Anerkennung beitragsfreier Zeiten. Richard Titmuss (1974), der die erste einflussreiche Dreiertypologie von Wohlfahrtsstaaten entwickelt hat, bezeichnete den am Sozialversicherungsprinzip orientierten Ansatz als industrial achievement-performance model, weil die sozialstaatlichen Leistungen hier die Ungleichheit der Markteinkommen reflektieren. Im Unterschied dazu gewährt die Staatsbürgerversorgung allen Staatsbürgern16 unabhängig vom Erwerbsstatus einen allgemein gleichen 15
16
Die Benennung dieses Prinzips nach Beveridge ist insofern irreführend, als der BeveridgeBericht 1942 erschien, die ersten bedarfsgeprüften Grundsicherungssysteme aber schon mehr als 50 Jahre früher in Dänemark und Schweden erprobt wurden (Bonoli 2000). Zum Teil können auch Personen mit Wohnsitz in einem Land Anspruch auf Leistungen haben.
4.1 Grundlegende Prinzipien und Charakteristika der ausgewählten Wohlfahrtsregime
69
Rechtsanspruch auf soziale Leistungen. Diese wegen ihres umfassenden Charakters auch „universell“ genannten Leistungen sind steuerfinanziert. Titmuss (1974) hat diesen Ansatz als institutional redistributive model bezeichnet. Die dritte Ausrichtung der Sozialpolitik folgt dem Fürsorgeprinzip. Auch hier besteht ein grundsätzlicher Rechtsanspruch auf Leistungen, aber diese werden nur gewährt, wenn Bedürftigkeit vorliegt, d.h. wenn es dem Einzelnen nicht gelingt, sich über den Markt oder die Familie selbst abzusichern. Titmuss (1974) spricht hier vom residual welfare model. Die komparative Wohlfahrtsstaatsforschung der jüngsten Zeit ist stark von der Weiterentwicklung der Titmuss’schen Unterscheidung durch den dänischen Soziologen Gøsta Esping-Andersen (1990) geprägt (Arts und Gelissen 2002; Kohl 2000). Danach sind drei grundlegende Wohlfahrtsregime zu unterscheiden, die sich an drei Kriterien festmachen lassen: erstens der Qualität der sozialen Rechte17, zweitens der daraus entstehenden sozialen Ungleichheitsstrukturen und drittens der Beziehung zwischen Staat, Markt und Familie bei der Erbringung von Dienstleistungen. Esping-Andersen (1990) unterscheidet ein sozialdemokratisches, ein konservativ-korporatistisches und ein liberales Regime:
17
Das sozialdemokratische Regime ist dem Gleichheitsideal verschrieben und zeichnet sich durch egalisierende universelle Leistungen für alle Staatsbürger aus. Das konservativ-korporatistische Regime setzt auf die Sozialversicherung, knüpft Sozialrechte an den Berufsstatus und zielt primär auf die horizontale Umverteilung zwischen Lebensphasen, nicht aber auf vertikale Umverteilungseffekte ab. Liberale Wohlfahrtsregime schreiben dem Markt eine zentrale Rolle bei der Wohlfahrtsproduktion zu und begrenzen den Sozialstaat auf am Fürsorgeprinzip orientierte bedarfsgeprüfte Leistungen
Die Qualität der sozialen Rechte wird anhand des Grads der Dekommodifizierung gemessen, d.h. „the degree to which individuals, or families, can uphold a socially acceptable standard of living independently of market participation“ (Esping-Andersen 1990: 37).
70
4 Die vier Wohlfahrtsregime im Vergleich
Tabelle 4.1: Ausgewählte Charakteristika von Wohlfahrtsregimes Wohlfahrtsregimetyp Liberal
Konservativkorporatistisch
Sozialdemokratisch
Werte
Arbeitsethos, Meritokratie
Statuserhalt
Gleichheit, Universalismus
Prinzipien, Instrumente
Bedürfigkeitsgeprüfte Leistungen
Sozialversicherung
Staatsbürgerversorgung
Ziele
Stärkung des Marktes
Stärkung der Zivilgesellschaft, Begrenzung des Marktes
Verbindung von Wohlfahrt und Arbeit
Marginal Marginal Zentral
Zentral Subsidiär Marginal
Marginal Zentral Marginal
Grad der Dekommodifizierung
Gering
Mittel
Hoch
Länderbeispiele
USA, Kanada, Australien, UK
Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich
Dänemark, Schweden, Norwegen
Rolle* von Familie Staat Markt
* Zugeschriebene Rolle von Staat, Markt und Familie bei der Absicherung gegenüber sozialen Risiken Quelle: Esping-Andersen (1990; 1999), Schmid (2002)
Die Stärke von Esping-Andersens Typologie liegt in dem Versuch, unter Bezug auf die kontextspezifischen Machtressourcen zentraler gesellschaftlicher Akteure sowohl spezifische Ursachen der Entstehung der drei Typen als auch konkrete Folgen der staatlichen Politik für die Gestaltung der Sozialstruktur herauszuarbeiten. Genauere Beschreibungen der zugrunde liegenden Prinzipien, Werte und Ideen der drei Wohlfahrtsregime finden sich bei Esping-Andersen (1990; 1999) sowie bei Goodin et al. (1999) und Castles (1993). Statt sie hier noch einmal explizit darzustellen, wollen wir die besonderen Charakteristika der vier von uns untersuchten Länder hervorheben. Nach Esping-Andersens Logik gehören Deutschland, Frankreich und Italien zum konservativ-korporatistischen Wohlfahrtsregimetyp, während Schweden Vertreter des sozialdemokratischen Regimetyps ist. Diese Einordnung hat insbesondere hinsichtlich der kontinentaleuropäischen Staaten viel Kritik hervorgerufen. So wird der französische Wohlfahrtsstaat häufig als eine Mischung aller drei Typen dargestellt, der sich vom deutschen
4.1 Grundlegende Prinzipien und Charakteristika der ausgewählten Wohlfahrtsregime
71
Modell deutlich unterscheide (z.B. Palier und Bonoli 1995).18 Das wird insbesondere dann deutlich, wenn man die bei Esping-Andersen nicht berücksichtigten Familienleistungen betrachtet, die in Frankreich einen eigenen Sozialversicherungszweig19 darstellen (Reuter 2002; Schultheis 1996). Für die südeuropäischen Länder ist wiederholt empfohlen worden, sie einem eigenständigen vierten Regimetyp zuzuordnen (Ferrera 1996; Leibfried 1993). Besondere Merkmale dieses „rudimentären“ (Leibfried 1993), „südlichen“ (Ferrera 1996) oder „mediterranen“ Wohlfahrtsstaats seien z.B. die hohe Fragmentierung der sozialen Sicherungssysteme sowie das Fehlen eines wirksamen Mindestsicherungsnetzes bei gleichzeitig sehr großzügigen Leistungen für die Sondersysteme bestimmter Berufszweige. Das wird übersehen, weil Esping-Andersen als Vertreter der südeuropäischen Länder lediglich Italien berücksichtigt, ohne auf Spanien, Griechenland oder Portugal einzugehen (vgl. Arts und Gelissen 2002). Die schärfste und folgenreichste Kritik an Esping-Andersens Typologie kam von der feministischen Forschung (Lewis 1992; Orloff 1993; Sainsbury 1996).20 Der zentrale Vorwurf lautete, dass Esping-Andersen ebenso wie die gesamte Schule der skandinavischen Machtressourcen-Theoretiker (vgl. Korpi 1983) der Rolle der Familie zu wenig Beachtung schenke und damit vor allem die unentgeltliche Arbeit der Frauen, die den Löwenanteil familiärer Betreuungs- und Pflegedienste ausmache, vernachlässige. Damit werde übersehen, dass Wohlfahrtsstaaten Frauenarbeit diskriminierten, indem sie Frauen nur nachrangig als Ehefrauen oder Mütter absicherten und damit die traditionelle häusliche Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern forcierten. Jane Lewis (1992) und Ilona Ostner (1995) haben eine Alternativtypologie vorgeschlagen, die Wohlfahrtsstaaten anhand ihrer Unterstützung eines männlichen Ernährermodells in stark, schwach oder moderat am male breadwinner-Modell orientierte Systeme einteilt. Nach diesem Kriterium ergibt sich eine andere Zuordnung der Länder als in Esping-Andersens Typologie, so dass Frankreich und Deutschland nun nicht mehr den gleichen Typ repräsentieren. Deutschland gilt als stark dem male breadwinner-Modell verpflichtet, während Frankreich eine eher moderate Politik hinsichtlich der Prämierung konventioneller Formen häuslicher Arbeitsteilung verfolgt. Schweden ist dagegen der Prototyp einer schwachen Unterstützung traditioneller Rollenmuster. In einer 18
19
20
Universalismus, Lohnarbeitszentrierung und Residualismus gelangen demnach nebeneinander zur Wirkung (Bode 1999). Der Vorwurf inkorrekter Einordnung wegen der Vermischung verschiedener Prinzipien kann allerdings bezüglich der meisten Wohlfahrtsstaaten gemacht werden. So finden sich auch in Deutschland universelle und bedarfsgeprüfte Leistungen neben der Sozialversicherung. Die Familienleistungen sind in Frankreich als Familienkassen im Sozialversicherungssystem sécurité sociale organisiert, sie werden zu 60 Prozent vom Staat und zu 40 Prozent von den Arbeitgebern getragen (www.cnaf.fr). Für einen umfassenden Überblick über die feministische Kritik vgl. z.B. Kulawik (2005).
72
4 Die vier Wohlfahrtsregime im Vergleich
verwandten Zuordnung von Wohlfahrtsstaaten zu bestimmten Familienmodellen hat Naldini (2003) Italien als Prototyp eines family/kinship solidarity model bezeichnet, das sich deutlich von einem male breadwinner model und einem dualearner family model abgrenze. Kennzeichen der italienischen Politik ist eine unvollständige Unterstützung der Alleinverdienerehe, die sich zum einen in der rechtlichen Verpflichtung von Verwandten ersten Grades wie auch weiterer Verwandter zu familiärer Unterstützung zeigt, zum anderen in der impliziten Erwartung des Staates, dass die Familienmitglieder die Sorge füreinander tragen und somit den Staat entlasten (Naldini 2003: 31). Anttonen und Sipilä (1996) haben die Debatte um die fehlende Einbeziehung geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung in der vergleichenden Wohlfahrtsregimeforschung um eine Studie über die sozialen Dienste für Kinder und ältere Menschen erweitert. Ihr Argument ist, dass soziale Dienste Frauen von der Betreuungs- und Pflegearbeit entlasten und damit ihre persönliche Autonomie stärken. Sie unterscheiden in ihrer Studie ein Scandinavian model of public services, in dem ältere wie jüngere Menschen umfassende Pflege und Betreuungsdienste erhalten können, von einem family care model, das die südeuropäischen Länder charakterisiere, in denen soziale Dienste wenig verbreitet seien. Einzige Ausnahme sei hier Italien, das ein umfassendes Betreuungsangebot für Kinder ab 3 Jahren biete. Überdies identifizieren sie ein Anglo-Saxon means-tested model sowie ein Central European subsidiarity model, in dem die Verantwortung für die Pflege älterer Menschen bei der Familie liege, während es große länderspezifische Unterschiede bezüglich der Kinderbetreuung gebe. Sowohl Esping-Andersen (1999) als auch Korpi (2000; 2001) sind inzwischen auf die feministische Kritik eingegangen und haben revidierte Typologien vorgelegt, die das Verhältnis von Familie und Staat sowie die staatlichen Dienstleistungen berücksichtigen sollen. So unterscheidet Esping-Andersen (1999) nun familialistische und defamilialisierende Wohlfahrtsregime, aber die daraus gefolgerte Typologie entspricht im Wesentlichen derjenigen der „Three worlds of welfare capitalism“. Lediglich die konservativ-korporatistischen Länder werden noch in zwei weitere Untergruppen aufgeteilt.21 Leitner (2003) hat EspingAndersens Unterscheidung aufgegriffen und in ihrer Studie den Begriff ‚Familia21
Allerdings haben die marktliberalen und die konservativen Wohlfahrtsregime nun in den stets normativ gefärbten Typologien Esping-Andersens ihre Plätze getauscht. Folgt man Philip Manows (2002) Charakterisierung der Esping-Andersen-Typologie als Unterscheidung von „good“, „bad“ und „ugly“, so waren in der frühen, am Grad der Dekommodifizierung festgemachten Typologie die skandinavischen Länder „gut“, die angelsächsischen „schlecht“ und die kontinentaleuropäischen „hässlich“. In seiner neuen, am Grad des Familialismus orientierten Typologie sind noch immer die Skandinavier vorn, aber als hässlich, d.h. die Arbeitsmarktintegration auf falschem Wege befördernden Länder, gelten nun die englischsprachigen Länder, während die kontinentaleuropäischen als „schlecht“, weil an tradierten Rollenbildern orientiert, gelten.
4.1 Grundlegende Prinzipien und Charakteristika der ausgewählten Wohlfahrtsregime
73
lismus’ zu präzisieren versucht, indem sie familienpolitische Maßnahmen danach klassifiziert, wie explizit sie die Familie in der Betreuungs- und Pflegefunktion unterstützen. Im Ergebnis kommt sie aber zu keiner klaren Einordnung der Länder, sondern betont nationale Unterschiede, die entstehen, wenn Familialismus aus dem Blickwinkel der Kinderbetreuung, der Pflege oder der Beeinflussung des Geschlechterverhältnisses untersucht wird. Die typologische Zuordnung zu einem ihrer vier Idealtypen – optionaler Familialismus, expliziter Familialismus, impliziter Familialismus und Defamilialismus (vgl. Kap. 2.3.1) – ist hier abhängig von der betrachteten Maßnahme. Frankreich beispielsweise verfolgt im Bereich der Kinderbetreuung einen optionalen, im Bereich der Pflege älterer Menschen aber einen expliziten Familialismus, der in beiden Fällen nicht geschlechtsneutral wirkt, weil Anreize für eine Teilung der Aufgaben zwischen Männern und Frauen fehlen. Typologien vermögen zwar wichtige erste Hilfen zur Reduzierung der oftmals verwirrenden empirischen Komplexität zu leisten, verzerren mit ihrem Prokrustesbett der Vereinfachung aber auch unweigerlich das Bild einzelner Länder, das sich bei näherer Betrachtung oft als vielschichtig und je nach sozialpolitischem Aufgabenbereich differenziert erweist. Im Folgenden gehen wir daher kurz auf die spezifische Konfiguration der vier an der Untersuchung beteiligten Wohlfahrtsstaaten ein, um dann einige ihrer wichtigen Strukturmerkmale genauer herauszuarbeiten. Dazu zählen Ausmaß und Entwicklung der Alterung der Gesellschaft, die geschlechtsspezifische Arbeitsmarktbeteiligung, der Zusammenhang zwischen Fertilität und geschlechtsspezifischer Beschäftigung und die Struktur der Haushalte. In den Abschnitten 4.2 und 4.3 werden die vier Untersuchungsländer dann hinsichtlich des Generationenverhältnisses im Sozialstaat und der Generationenbeziehungen in den Familien charakterisiert.
4.1.1 Charakterisierung der Länder Im Folgenden stellen wir kurz einige Grundprinzipien der vier untersuchten Länder dar, die ihren Bezug zu gängigen Wohlfahrtsstaatstypologien klären. Deutschland22 Anders als in der sozialwissenschaftlichen Literatur hat sich der Begriff „Wohlfahrtsstaat“ im allgemeinen deutschen Sprachgebrauch nicht durchgesetzt. Dass man in Deutschland nach wie eher vom „Sozialstaat“ bzw. von der „sozialen Marktwirtschaft“ oder dem „sozialen Rechtsstaat“ redet, ist kein Zufall, denn die 22
Vgl. z.B. Alber (1989; 2000; 2003), Bäcker et. al. (2000), Kaufmann (2003), die Beiträge in Leibfried und Wagschal (2000) und Schmidt (1998).
74
4 Die vier Wohlfahrtsregime im Vergleich
Anfangsjahre der Bundesrepublik waren von einem ordnungspolitischen Grundsatzstreit um die im Grundgesetz offengehaltene Gestaltung der Wirtschafts- und Sozialordnung gekennzeichnet. Dabei standen sich die Konzeption eines interventionistischen, die Gesellschaft aktiv gestaltenden „demokratischen Sozialismus“ einerseits und das Konzept der „sozialen Marktwirtschaft“ andererseits gegenüber, das primär auf die Freisetzung der Wachstumskräfte der Marktwirtschaft abzielt (vgl. Hartwich 1978). Im Kontext der Systemrivalität beider deutscher Staaten und einer beeindruckenden Nachkriegsprosperität setzte sich das Ordnungsmodell der sozialen Marktwirtschaft in den 1950er Jahren in Westdeutschland erfolgreich gegen das Konzept des demokratischen Sozialismus durch. Ihm zufolge hat der Sozialstaat eine durchaus spannungsgeladene Doppelrolle. Er soll einerseits durch sozialpolitische Programme für sozialen Ausgleich sorgen, ist andererseits aber nachrangig gegenüber der Wirtschaft und tritt als Quelle der Wohlfahrtsentwicklung gegenüber dem Markt, der Familie und gesellschaftlichen Netzwerken zurück. Die Sozialpolitik der Bundesrepublik ist daher sowohl vom Gebot der „Solidarität“ wie dem der „Subsidiarität“ geleitet. Der deutsche Begriff des „Sozialstaats“ ist damit bewusst ambivalent. Er impliziert einerseits die im Grundgesetz verfassungsrechtlich verankerte Verpflichtung des Staates zu sozialpolitischem Handeln, andererseits aber auch eine Kampfansage gegen das „Ausufern“ sozialstaatlicher Aktivitäten in Richtung eines interventionistischen, als freiheitsgefährdend gedeuteten Wohlfahrtsstaats, der aktive Gesellschaftssteuerung betreiben will und individuelle Freiräume zugunsten der Realisierung von Gleichheits- und Sicherheitszielen einschränkt. Im Zentrum der deutschen Sozialpolitik stehen nach wie vor die z.T. schon im 19. Jahrhundert errichteten sozialen Sicherungssysteme gegen die Standardrisiken des Einkommensverlustes, die aus am Arbeitseinkommen bemessenen Sozialbeiträgen finanziert werden. Anspruchsvoraussetzungen für staatliche Leistungen werden an den Erwerbsstatus geknüpft, und die Leistungen sind ebenso wie die Beiträge größtenteils einkommensbezogen. Damit spiegelt die Gestaltung sozialstaatlicher Leistungen weitgehend die Ungleichheit der Positionen auf dem Arbeitsmarkt wider. Selbstständige sowie Besserverdienende sind im dominant als Arbeitnehmerversicherung organisierten System nicht versichert, sondern zu privater Vorsorge angehalten. Menschen ohne Erwerbstätigkeit sind von dieser Form sozialer Sicherung ausgeschlossen, es sei denn, sie sind über die Ehe oder verwandtschaftliche Beziehungen mit einem Erwerbstätigen verbunden. Dominantes Prinzip des so konzipierten Sozialstaats ist die Lebensstandardsicherung und damit letztlich die Statussicherung eines als Hauptverdiener einer Familie gedachten Erwerbstätigen. Elemente der Mindestsicherung kommen lediglich bei Bedürftigkeit im subsidiär gestalteten Sozialhilfesystem zum Tragen. Für die
4.1 Grundlegende Prinzipien und Charakteristika der ausgewählten Wohlfahrtsregime
75
Organisation der Sozialversicherung gilt das Prinzip der Selbstverwaltung durch gewählte Vertreter der Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Frankreich23 Der französische Wohlfahrtsstaat ähnelt in mancherlei Hinsicht dem deutschen. Das gilt für die Leistungs- und Finanzierungsstruktur wie für die Selbstverwaltung der Sozialversicherung durch die Sozialpartner. Allerdings gibt es auch einige wichtige Abweichungen vom deutschen Modell, weshalb das französische System oft als ein Mischsystem aus Bismarck- und Beveridge-Elementen bezeichnet wird (Barbier und Théret 2003; Palier 2005). Der deutsche Einfluss war bis zum Zweiten Weltkrieg bestimmend und hatte seine Grundlage im französischen Wiedergewinn Elsass-Lothringens, für das bis zum Ende des Ersten Weltkriegs die deutsche Sozialversicherung galt, was die französischen Reformdiskussionen der Zwischenkriegszeit stark geprägt hat (Lechevalier 2001). Elemente des Beveridge-Plans kamen hingegen nach dem Zweiten Weltkrieg zum Tragen, als die politischen Eliten aus dem englischen Exil zurückkehrten und das Ziel eines für alle Staatsbürger umfassende Sozialrechte sichernden État Providence (zu deutsch: Vorsorgestaat) formulierten. Die Reformen der jüngsten Zeit haben darüber hinaus auch die Strukturen der französischen Sozialpolitik stärker an das Beveridge-System angenähert. So ist der staatliche Einfluss auf das Gesundheitswesen verstärkt worden, während mit der sog. contribution sociale généralisée eine neue Finanzierungsform zwischen Steuer und Sozialabgabe gefunden wurde, die zwar wie die Einkommensteuer auf alle Einkommensformen erhoben wird, gleichwohl aber strikt zweckgebunden ist und zusammen mit den Beiträgen von den Sozialkassen eingezogen wird (Barbier und Théret 2003). Das häufig formulierte Streben nach „nationaler Solidarität“ zeigt sich überdies daran, dass es innerhalb der Sozialversicherungen (sécurité sociale) eine Reihe von versicherungsfremden Sonderleistungen gibt, die unter dem Namen actions sociales firmieren. Organisatorisch ist die sécurité sociale allerdings noch immer von einer Vielfalt von Trägern für verschiedene Versicherten- und Risikogruppen gekennzeichnet. Im Gegensatz zu Deutschland sind auch die Familienleistungen Versicherungsleistungen, die über eine Familienkasse finanziert und organisiert werden. Im laizistisch geprägten Frankreich orientierte sich die Familienpolitik überdies programmatisch nie am Subsidiaritätsprinzip, während bei der Einführung der sozialen Sicherung die Leitvorstellung einer geburtenfördernden Sozialpolitik eine zentrale Rolle spielte (Laroque 1948; zitiert nach Veil 2002).
23
Vgl. Ambler (1991), Bode (1999), Ewald (1986), Levy (2000), Palier (2005), Palier und Bonoli (1995).
76
4 Die vier Wohlfahrtsregime im Vergleich
Italien24 In Italien hat der Sozialstaatsgedanke ähnlich wie in Deutschland Verfassungsrang. Die italienische Verfassung schreibt sogar explizit zahlreiche soziale Grundrechte fest. Auch der italienische Wohlfahrtsstaat ist durch parastaatlich organisierte Sozialversicherungssysteme gekennzeichnet, die überwiegend beitragsfinanzierte und einkommensbezogene Leistungen mit statusbewahrender Funktion bieten. Darüber hinaus charakterisiert die im Faschismus (1922–1943) geprägte partikularistische und klientelistische Struktur den italienischen Wohlfahrtsstaat bis heute. Sozialpolitische Programme sind oft als Instrument politischer Loyalitätssicherung auf spezifische Gruppen zugeschnitten, was sich in einer starken organisatorischen Zersplitterung niederschlägt (Ferrera 1984; 1996). Noch deutlicher unterscheidet sich Italiens Sozialpolitik vom französischen oder deutschen System aber durch die außergewöhnlich tragende Rolle, die der Familie zugeschrieben wird. Die familiäre Verantwortung von Eltern und Kindern sowie auch von Seitenverwandten ist für diverse Bereiche rechtlich festgelegt. Darüber hinaus basieren viele Maßnahmen auf der Erwartung, dass die Familie in Notsituationen einspringt, was Naldini, wie oben erwähnt, als family/kinship solidarity model kennzeichnet (Naldini 2003). Eine explizite Familienpolitik fehlt daher ebenso wie die Privilegierung einer bestimmten Familienform durch das Steuersystem. Schweden25 Mit seiner starken Betonung des Ideals der sozialen Gleichheit und des Prinzips des Universalismus gilt Schweden als Prototyp des sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaats. Soziale Rechte gelten für alle Einwohner und gewähren umfassende Einkommenssicherheit für alle, die aus irgendwelchen Gründen nicht – oder nicht mehr – arbeiten können. Zentral für den schwedischen Wohlfahrtsstaat ist eine aktive Arbeitsmarktpolitik, die mit einer breiten Palette von Maßnahmen auf die schnellstmögliche Wiedereingliederung Arbeitsloser in den Arbeitsmarkt abzielt. Mit Ausnahme der von den Gewerkschaften verwalteten Arbeitslosenversicherung sind die Sozialversicherungen staatlich verwaltet. Prägend für das schwedische Verständnis der staatlichen Rolle als Wohlfahrtsproduzent ist das Ideal des folkhem (Volksheim), das der ehemalige Premierminister Per Albin Hansson 1928 so formulierte: Es basiert auf einem Staatsverständnis, das den Staat wie ein gut funktionierendes Zuhause für die Bürger betrachtet. Die Bürger sollen sich untereinander, ähnlich wie in der Familie, als gleich ansehen, zusammen arbeiten und sich gegenseitig unterstützen, so dass den Schwächeren durch die Stärkeren geholfen wird (Hentilä 1978). Ähnlich wie in Frankreich 24 25
Vgl. Ferrera (1984; 1996); Ferrera und Gualmini (2000); Saraceno (2003a; 2003b). Vgl. Henningsen (1986); Olsson (1990); Palme et. al. (2001).
4.1 Grundlegende Prinzipien und Charakteristika der ausgewählten Wohlfahrtsregime
77
spielte auch in Schweden die Sorge über die niedrige Geburtenrate eine maßgebliche Rolle (United Nations 1956). Anders als Frankreich orientierte sich das skandinavische Land aber schon früh am Ideal der Zweiverdienerfamilie. Während die Steuergesetzgebung auf die Privilegierung bestimmter Familienformen verzichtete, wurde die Erwerbstätigkeit von Frauen durch den Ausbau staatlicher Kinderbetreuung unterstützt. Bei dieser Kurzbeschreibung der vier Wohlfahrtsstaaten ging es sowohl um die Verdeutlichung ihrer Verschiedenheit als auch um die Hervorhebung einiger Gemeinsamkeiten. Allen Ländern ist eine Vermischung von Prinzipien der Sozialversicherung, der Fürsorge und der allgemeinen Staatsbürgerversorgung eigen. Sowohl die Schwerpunktlegung wie das spezifische Zusammenwirken dieser Strukturelemente haben aber Auswirkungen auf die jeweiligen Reformpotenziale, weil die bestehenden Leistungsansprüche und Finanzierungsverpflichtungen Interessen strukturieren, die bei einer Umgestaltung des Sozialstaats als Vetogruppen mobilisierbar sind. Bestehende wohlfahrtsstaatliche Arrangements strukturieren also im Sinne einer Pfadabhängigkeit Reformoptionen, weil sie in Gestalt von policy feedbacks spezifische Anreize für das Handeln von Individuen und Gruppen mit sich bringen, das als Antwort auf geltende Politikmuster zu verstehen und zu berücksichtigen ist (vgl. Pierson 1993). Darüber hinaus beeinflusst die Ausgestaltung der Sozialpolitik aber auch die Art und Weise der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern (Pfau-Effinger 2004). Für den umfassenden Anspruch auf Sozialleistungen ist in allen vier Ländern die Erwerbstätigkeit Voraussetzung. Nicht erwerbstätige Personen sind in Deutschland, Frankreich und Italien oftmals mittelbar über erwerbstätige Ehepartner oder Eltern abgesichert, so dass der Anreiz zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit für sie nicht sehr stark ist. Schweden bietet hingegen nur eine geringe abgeleitete Sicherung, die sich z.B. in einer nur für kurze Zeiträume gewährten Hinterbliebenenrente äußert, so dass starke sozialstaatliche Anreize zur Arbeitsaufnahme bestehen. Auch das Steuersystem kann bestimmte Formen der Arbeitsteilung hemmen oder unterstützen. So stellt die gemeinsame Veranlagung von Ehepartnern in Form des deutschen Ehegattensplitting einen Anreiz für die Aufrechterhaltung einer traditionellen Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern dar, während die individuelle Veranlagung wie in Schweden sich neutral gegenüber Allein- oder Doppelverdienertum verhält (Dingeldey 2000). Im Folgenden sollen die vier Länder nun im Hinblick auf die vorherrschenden Muster der Erwerbstätigkeit, des demografischen Wandels und der Haushaltstrukturen genauer charakterisiert werden.
78
4 Die vier Wohlfahrtsregime im Vergleich
4.1.2 Kontexte: Alterung der Gesellschaft, Haushaltsstrukturen und Erwerbstätigkeit Demografische Alterung Fast alle europäischen Länder sind vom Doppeltrend der Alterung und Schrumpfung der Bevölkerung betroffen. Die Fertilitätsraten sanken in den letzten 30 Jahren in Europa um mehr als 20 Prozent und liegen mit durchschnittlich 1,5 Kindern pro Frau26 deutlich unterhalb des Wertes von 2,1, der unter geltenden Bedingungen den Bestand der Bevölkerung sichert (Abbildung 1.2). Gleichzeitig stieg die Lebenserwartung kontinuierlich und liegt heute im Schnitt in den EUMitgliedsstaaten bei ca. 78 Jahren. Der Bevölkerungsanteil der über 65-Jährigen liegt heute im europäischen Schnitt bei ca. 16 Prozent, wird im Jahr 2030 aber je nach Land und Prognose der Nettozuwanderung zwischen 20-30 Prozent betragen (Abbildung 1.3). Damit verbunden ist der Anstieg der Altenquote, d.h. des Anteils der über 65-Jährigen im Verhältnis zum Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter, der, wie eingangs schon erwähnt, von gegenwärtig rd. 24 Prozent auf 38 Prozent wachsen wird (Abildung 1.4). Frankreich und Schweden liegen mit ihren Geburtenraten allerdings deutlich näher am Bestandssicherungsniveau als Deutschland und Italien, die auch gemessen am europäischen Durchschnitt auffallend niedrige Fruchtbarkeitsziffern aufweisen. Die volle Tragweite der demografischen Entwicklungen wird sich erst ab dem Jahr 2015 offenbaren, wenn die Baby-Boom-Kohorten der Nachkriegszeit das (derzeitige) Rentenalter erreichen, während die Bevölkerung im erwerbstätigen Alter vorwiegend von den geburtenschwachen Jahrgängen der nach 1970 Geborenen geprägt sein wird. Deutschland und vor allem Italien werden von den Verschiebungen im Generationengefüge dann sehr viel stärker betroffen sein als Schweden oder Frankreich.
26
Dies ist der Durchschnittswert der EU-Mitgliedsstaaten im Jahr 2001. Die Werte schwanken zwischen 1,2 in Slowenien und der Slowakei und 2,0 in Irland und Island (European Data Service 2007).
79
4.1 Grundlegende Prinzipien und Charakteristika der ausgewählten Wohlfahrtsregime
Abbildung 4.1: Strukturdaten zum demografischen Wandel 1.1 Lebenserwartung bei Geburt
1.2 Fertilitätsrate 3
80
2.5
75
Fertilitätsrate
2
70
65
1.5
1
Europa
Europa Frankreich
Frankreich Deuschland
Deuschland Italien
0.5
Italien
Schweden
Schweden
Reproduktionsniveau 2000-05
1990-95
1960-65
0 1950-55
2000-05
1990-95
1980-85
1970-75
1960-65
50
1980-85
55
1970-75
60
1950-55
Lebenserwartung bei Geburt in Jahren
85
80
4 Die vier Wohlfahrtsregime im Vergleich
1.3 Anteil der über 65-Jährigen
1.4 Altenquotec 50
Projektion
Europa
Deuschland
40
Projektion
Europa 45
Frankreich
Frankreich Deuschland
40
Italien
Italien Schweden
Schweden
35 30
30
Altersquotient
25 20
20
15 10
10
5
2030
2020
2010
2000
1990
1980
1970
1960
2030
2020
2010
2000
1990
1980
1970
1960
0 1950
0
1950
Anteil der über 65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung
50
Erläuterung: Die Projektionen basieren auf einer mittleren Variante der Entwicklung der Fertilität und der Zuwanderung. c Die Altenquote ist der Anteil der über 65-jährigen Personen gemessen an der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 64 Jahren. Quelle: United Nations (2004); World Population Prospects
Haushaltsstrukturen bei Familien und älteren Menschen Der veränderte Altersaufbau der Bevölkerung und der soziale Wandel der Lebensformen haben zu einer deutlichen Veränderung der Haushaltsstrukturen geführt (Saraceno 1997). Haushalte spielen als ökonomische Einheiten eine wichtige Rolle bezüglich der Aufteilung der Einkommen unter den Altersgruppen und der Bereitstellung von Betreuungs- und Pflegeleistungen. Diverse Studien haben zwar belegt, dass im Haushalt nur ein Teil der Austauschbeziehungen zwischen Generationen und Familienmitgliedern stattfindet (Bien 2000; Szydlik 2000), aber trotz der Trends zur Kernfamilie und zu autonomen Wohnformen
4.1 Grundlegende Prinzipien und Charakteristika der ausgewählten Wohlfahrtsregime
81
älterer Menschen bilden Haushalte noch immer ein wesentliches Zentrum intergenerationaler Beziehungen. Die langfristigen Trends zur Pluralisierung und Individualisierung von Lebensformen scheinen seit den 1990er Jahren insofern gebrochen, als sich wieder eine verstärkte Tendenz zum Zusammenleben in Kernfamilien zeigt. Das verdeutlicht die Abbildung 4.2, welche die Verteilung der Haushaltsstrukturen für die 16- bis 64-jährige Bevölkerung vor und nach der Jahrtausendwende darstellt. In allen Ländern zeichnet sich eine Tendenz zur Polarisierung der Haushaltsformen zwischen Kernfamilien auf der einen Seite und kinderlosen Paaren bzw. Einpersonenhaushalten auf der anderen Seite ab. Andere Haushaltsformen kommen in Deutschland, Frankreich und Schweden27 nur relativ selten vor. Italien hat hingegen einen erheblichen Anteil an Mehrgenerationenhaushalten und an Haushalten, in denen erwachsene Kinder noch bei den Eltern leben. Die Verteilung der Haushalte nach der Form des Zusammenlebens mit Kindern zeigt große länderspezifische Vielfalt. In Italien stellen Haushalte mit Kindern auch deshalb die deutlich überwiegende Haushaltsform dar, weil der Anteil der Paare mit erwachsenen Kindern auffallend hoch ist. In Schweden dominieren hingegen – zum Teil bedingt durch die Besonderheiten der schwedischen Statistik, die Personen über 18 Jahre auch dann als im eigenständigen Haushalt lebend klassifiziert, wenn sie noch bei den Eltern wohnen – Einpersonenhaushalte sowie Paarhaushalte ohne Kinder. In Deutschland und Frankreich halten sich diese beiden Haushaltstypen in etwa die Waage. Deutliche Unterschiede zeigen sich bei Paarhaushalten, in denen nur Kinder über 15 Jahre leben. Auch wenn die schwedischen Daten aufgrund der anderen Haushaltsdefinition verzerrt sind, zeigen Analysen der SHARE-Daten, dass erwachsene Kinder in Schweden das Elternhaus deutlich früher verlassen als in den anderen drei Ländern (vgl. Kapitel 4.3.1). Besonders spät ziehen erwachsene Kinder hingegen in Italien aus (Aassve et al. 2002). Dazu tragen neben dem allgemeinen Trend zur Verlängerung der Post-Adoleszenz die prekäre Arbeitsmarktsituation mit hoher Jugendarbeitslosigkeit sowie die angespannte Lage auf dem italienischen Wohnungsmarkt bei. Bei Frauen ist der Auszug aus dem Elternhaus in der Regel an das Eingehen einer Partnerschaft bzw. Heirat gebunden (Aassve et al. 2001). In Deutschland und Frankreich stellen Paarhaushalte mit ausschließlich erwachsenen Kindern weniger als ein Fünftel aller Haushalte, aber ihr Anteil ist damit immer noch deutlich höher als in Schweden. Nähere Analysen zur geographischen Entfer27
Da die schwedischen Daten auf einem anderen Haushaltkonzept basieren, wird vor allem der Anteil der Haushalte unterschätzt, in denen erwachsene Kinder mit ihren Eltern leben, während der Anteil der Einpersonenhaushalte überschätzt wird. Außerdem wird die Zahl der Haushalte insgesamt dadurch höher angesetzt. Allerdings zeigen andere Studien, dass erwachsene Kinder selten mit ihren Eltern in einem Haushalt leben, so dass die Ergebnisse nur leicht verzerrt werden.
82
4 Die vier Wohlfahrtsregime im Vergleich
nung zwischen Eltern und Kindern haben allerdings gezeigt, dass der Auszug erwachsener Kinder in Deutschland häufig nur bedeutet, dass sie einen eigenständigen Haushalt im selben Haus gründen (vgl. auch Kapitel 4.3.1). Der Trend zum Alleinleben wurde in jüngster Zeit offenbar gebrochen. Allein in Schweden ist die Haushaltszusammensetzung zwischen 1997 und 2001 stabil geblieben, während sich in den anderen drei Ländern seit 1994 eine Trendwende zum häufigeren Zusammenleben von Familienmitgliedern zeigt. Der Anteil an Einpersonen- und Paarhaushalten ohne Kinder nahm hier ab, was vor allem in Deutschland durch den starken Rückgang des Anteils kinderloser Paarhaushalte infolge des längeren Verbleibens junger Menschen im elterlichen Haushalt erklärt wird (Cherlin et al. 1997; Weik 2002). Der Anstieg des Anteils von Paarhaushalten mit Kindern über 16 Jahre ist vermutlich nicht nur Ausdruck der mit der Bildungsexpansion einhergehenden Verlängerung der Phase der PostAdoleszenz, sondern auch ein Anzeichen für das Zusammenrücken der Familien in ökonomisch unsicheren Zeiten. Die jüngste Trendwende zugunsten der traditionellen Kernfamilie in kontinentaleuropäischen Ländern zeigt sich nicht nur in den Haushaltsstrukturdaten, sondern auch in Meinungsumfragen, die auf eine Mitte der 1990er Jahre einsetzende Akzentuierung traditioneller Familienwerte und herkömmlicher Erziehungsziele verweisen (Hurrelmann und Albert 2006). Die Ehe hat ihre traditionelle Vormachtstellung als dominante Form des Zusammenlebens Erwachsener nur in Schweden erkennbar eingebüßt. Besonders in Italien ist das Zusammenleben von Paaren unabhängig von der Präsenz von Kindern nach wie vor fast ausschließlich an die Ehe gekoppelt. Nur zwei Prozent aller italienischen Paare lebten 2001 in einer anderen Lebensgemeinschaft. Auch in Deutschland (91 Prozent) und Frankreich (84 Prozent) ist die Ehe die bei weitem dominante Lebensform von Paarhaushalten, deren Anteil sich seit 1994 sogar erhöht hat. In Schweden stellen verheiratete Paare zwar auch die deutliche Mehrheit aller Lebensgemeinschaften, aber hier leben bei rückläufigem Anteil nur noch 64 Prozent der Paare unter 65 Jahren in ehelicher Gemeinschaft.28
28
Die Angaben beziehen sich auf Daten des ECHP zwischen 1994 und 2001.
83
4.1 Grundlegende Prinzipien und Charakteristika der ausgewählten Wohlfahrtsregime
11
2001
9
1997
10
11
2001
17
1994
18
4
6
6
4
22
38
4
6
5 4
22
39
27
3
12
1
9
19
11
Deutschland
Frankreich
Italien
Schweden
Abbildung 4.2: Haushaltsformen bei Personen im Alter von 16-64 Jahren
14
2001
15
15
5
1994
16
14
6
2001
12
1994
15
0%
10%
10
11
20%
21
5
4
4
30%
1
17
12
3
3
18
2
12
3 5
40%
50%
13
16
11
18
20
8
8
13
15
22
16
30
23
60%
27
70%
80%
90% 100%
Paar, 1 Kind
Paar, 2 Kinder
Paar, 3+ Kinder
Paar, erwachsene Kinder
Alleinerziehend
Andere
Paar, ohne Kinder
Allein lebend
Erläuterung: Kinder werden ausgewiesen, wenn sie unter 16 Jahre alt sind. Zu beachten ist zudem, dass auch in Haushalten mit Kindern unter 16 Jahren weitere Kinder leben können, die das 17. Lebensjahr bereits erreicht haben. Quelle: ECHP 1994-2001, eigene Berechnungen
84
4 Die vier Wohlfahrtsregime im Vergleich
Deutschland
1994
40
2001
38
Frankreich
Abbildung 4.3: Haushaltsformen bei älteren Menschen
1994
41
33
27
1994
29
25
13
6 4 4
53
53
9
44
10
4
6
6
12
Italien
2001
6 33
48
2001
26
36
17
6
15
Schweden
0 1997
43
10
57
0 2001
41
0%
10%
20%
00
58
30%
40%
50%
60%
Allein lebend
Paar ohne Kinder
Allein mit Kind(ern)
Andere
70%
80%
90%
100%
Paar mit Kind(ern)
Quelle: ECHP 1994, 1997, 2001, eigene Berechnungen
Auch bei älteren Menschen zeigt sich seit den 1990er Jahren ein Bruch des Trends zur Vereinzelung. Der Anteil allein lebender älterer Menschen ist in allen vier Ländern rückläufig In Deutschland und Italien ist überdies der Anteil älterer Paarhaushalte ohne Kinder deutlich geschrumpft, was mit der schon erwähnten Tendenz zum verzögerten Auszug erwachsener Kinder zusammenhängt. Die schwedi-
4.1 Grundlegende Prinzipien und Charakteristika der ausgewählten Wohlfahrtsregime
85
schen Daten sind hier zwar aufgrund der abweichenden Haushaltsdefinition einmal mehr schwer zu interpretieren, aber andere Studien bestätigen (Bernhardt et al. 2005; Kohli et al. 2006), dass ältere Menschen in Schweden fast ausschließlich ohne Kinder im eigenen Haushalt leben (vgl. auch Tabelle 4.4 auf Seite 97). Festzuhalten bleibt, dass ältere Menschen in allen vier Ländern in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle unter sich im eigenen Haushalt leben. In Deutschland und Frankreich leben mehr als drei von vier älteren Menschen alleine oder mit einem Partner zusammen. Deutliche Unterschiede ergeben sich aber – wie noch genauer zu zeigen sein wird (vgl. Kapitel 4.3.1) – zwischen beiden Ländern hinsichtlich der Entfernung, die ältere Menschen und ihre Kinder trennt. Italien ist das Land mit dem kleinsten Anteil unter sich lebender älterer Menschen. Im Jahr 2001 lag der Anteil bei 62 Prozent. Fast ein Viertel der Älteren lebt in Italien noch mit mindestens einem Kind zusammen. Selbst Dreigenerationenhaushalte finden sich in Italien noch relativ häufig. Dabei entstehen diese Haushaltstypen nicht etwa durch die Geburt von Enkelkindern, sondern meist dadurch, dass Großeltern im Falle der Verwitwung wieder zu ihren erwachsenen Kindern ziehen, nachdem diese den elterlichen Haushalt längst verlassen hatten (Saraceno und Naldini 2001). Beschäftigung im Zeitverlauf Unsere vier Untersuchungsländer unterscheiden sich auch deutlich in den Beschäftigungsstrukturen, wobei große Diskrepanzen insbesondere bei der Frauenbeschäftigung auffallen. Das zeigt die geschlechtsspezifische Entwicklung der Beschäftigungsquoten seit den fünfziger Jahren in Abbildung 4.4. Deutlich ist der drastische Rückgang der Männerbeschäftigung in allen vier Ländern. Waren in den 1950er Jahren noch allenthalben über 90 Prozent der Männer im erwerbsfähigen Alter beschäftigt, so schrumpfte der Anteil in jüngster Zeit ausnahmslos weit unter 80 Prozent. Nachdem die nationalen Unterschiede vorübergehend zu Beginn der 1990er Jahre deutlich angewachsen waren, unterschieden sich die männlichen Beschäftigungsquoten im Jahr 2005 zwischen Deutschland, Frankreich und Italien nur noch geringfügig. Nur Schweden hob sich mit einer um fünf Prozentpunkte höheren Quote noch deutlich ab, obwohl auch dort kräftige Beschäftigungsverluste in Kauf zu nehmen waren. Sehr deutliche Unterschiede zeigen sich in Niveau und Verlauf der Frauenbeschäftigung. In jüngster Zeit heben sich drei Beschäftigungsmuster voneinander ab:
86
4 Die vier Wohlfahrtsregime im Vergleich
Beschäftigungsquote von Männern in %
Abbildung 4.4: Beschäftigungsquoten von Männern und Frauen 1950-2005 105 100 95 90 85 80 75 70 65 60 55 50 45 40 35 30 25 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005
Beschäftigungsquote von Frauen in %
85 80 75 70 65 60 55 50 45 40 35 30 25 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 Frankreich
Deutschland
Quelle: Flora et al. (1987), OECD (1984; 1998; 2005b)
Italien
Schweden
4.1 Grundlegende Prinzipien und Charakteristika der ausgewählten Wohlfahrtsregime
1.
2.
3.
87
Schweden hat nach einem rapiden Anstieg in den 1970er Jahren eine sehr hohe Frauenbeschäftigungsquote, die seit den 1980er Jahren auf dem Niveau der Männer liegt. 29 Die Beschäftigungsquoten von Frauen in Frankreich und Deutschland sind nach lange Zeit nur mäßigem Anstieg heute auf einem mittleren Niveau. Erst die 1990er Jahre sahen ein deutliches Wachstum.30 In Italien ist die Beschäftigungsquote von Frauen seit jeher vergleichsweise niedrig, verzeichnet aber seit 1995 einen deutlichen Anstieg.
Auch die Beschäftigungsstruktur der Frauen weicht sowohl im Vergleich zu Männern als auch im Ländervergleich deutlich voneinander ab. Teilzeitarbeit wird wesentlich häufiger von Frauen als von Männern ausgeübt (Tabelle 4.2). Werden die unterschiedlichen Teilzeitquoten berücksichtigt, so verschieben sich die auf Vollzeitäquivalente umgerechneten Beschäftigungsniveaus deutlich (Rubery et al. 1997). Zum einen rücken Frankreich und Schweden näher zusammen, da in Frankreich ein höherer Anteil von Frauen Vollzeit beschäftigt ist als in Deutschland. Zum anderen nähern sich Deutschland und Italien an, da die Teilzeitquote in Italien sehr niedrig, in Deutschland aber im internationalen Vergleich relativ hoch ist (Lewis 1992). Zusätzlich zur geringen Beschäftigungsintensität von Frauen besteht ein deutliches Lohngefälle zwischen Männern und Frauen. Angaben zur Höhe des Lohngefälles variieren aufgrund unterschiedlicher Datensätze und Einkommensvariablen sowie verschiedener Methoden, die Struktureffekte zu kontrollieren (Beblo et al. 2003; European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions 2006; Plantenga 2006; Rubery et al. 2002).31 Konsistente Ländervergleiche lassen sich der Literatur nicht entnehmen. Eindeutig ist, dass Frauen einen niedrigeren Stundenlohn beziehen und dies auch dann, wenn Bildungs- und Berufsunterschiede kontrolliert werden. Darüber hinaus zeigt sich die Tendenz, dass das Lohngefälle in Deutschland am höchsten und in Italien am niedrigsten ist, während Schweden und Frankreich auf einem mittleren Niveau liegen. Frauen verdienen ca. 15 bis 25 Prozent weniger als Männer. Im WSI-FrauenDatenReport wurde für Deutschland untersucht, zu welchem Anteil die Einkommensunterschiede auf Ausstattungseffekte (Struktur29
30 31
Der auffallende Rückgang der Beschäftigungsquoten schwedischer Frauen war in den 1990er Jahren von einer noch stärkeren Abnahme der Beschäftigungsquoten von Männern begleitet und ging auf die Wirtschaftskrise zu Beginn der Dekade zurück (Palme et al. 2001: 37, 82). In Deutschland ist der Anstieg teilweise durch die höhere Erwerbstätigkeit von Frauen in den neuen Bundesländern bedingt, die ab 1990 in der Statistik erfasst werden. Rubery et al. (2002: 57f.) geben am Beispiel Spaniens einen Einblick in die Schwankungsbreite der Berechnungen des Lohngefälles zwischen Männern und Frauen. In den dort zitierten Studien variiert das nicht um Struktureffekte bereinigte Lohngefälle zwischen 17 und 65 Prozent.
88
4 Die vier Wohlfahrtsregime im Vergleich
merkmale wie Qualifikation, Branchenzugehörigkeit, Betriebsgröße etc.) oder auf Gruppeneffekte im Sinne einer Diskriminierung von Frauen zurückzuführen sind. Die Autorin nutzte dafür drei verschiedene Datenquellen, was aufgrund methodischer Unterschiede zu einer großen Spannbreite der Ergebnisse führte: So verdient eine Frau in Westdeutschland nur aufgrund ihres Geschlechts zwischen 12 Prozent und 32 Prozent weniger als ein Mann. In Ostdeutschland sind die Differenzen geringer, hier würde eine Frau zwischen 11 Prozent und 24 Prozent mehr verdienen, wenn sie ein Mann wäre (Ziegler 2005). Tabelle 4.2:
Geschlechterunterschiede bei der Beschäftigung Teilzeitquote 2005 Frauen
Männer
Deutschland
43,8
7,8
Frankreich
30,6
5,7
Italien
26,1
4,6
Schweden
40,4
11,8
Quelle: Labour Force Survey 2005
Die Verbindung von Kind und Karriere stellt insbesondere für Frauen weiterhin ein Dilemma dar, das sich in zweifacher Weise auswirkt: Zum einen führen steigende Qualifikationsanforderungen zu längeren Ausbildungszeiten und Qualifizierungsphasen. Sowohl der spätere Eintritt ins Berufsleben als auch die anhaltenden ökonomischen Unsicherheiten aufgrund unstetiger Beschäftigungsverhältnisse verzögern oder verhindern die Familiengründung. Damit steigt das Alter bei Geburt des ersten Kindes, und die Zeit reicht oftmals nicht mehr, um die gewünschte Kinderzahl zu verwirklichen (Fahey und Spéder 2004). Dadurch verschärft sich das demografische Ungleichgewicht zwischen älteren und jüngeren Personen, was die europäischen Wohlfahrtsstaaten vor enorme Herausforderungen stellt (Birg 2001; 2005). Die Alterung europäischer Gesellschaften kann durch höhere Geburtenraten in den nächsten Jahrzehnten zwar nicht gestoppt – dazu sind die Geburtskohorten der potenziellen Eltern zu klein –, aber doch abgefedert werden. Dies scheint in Frankreich und Schweden mit Fertilitätsraten um 1,9 Kinder pro Frau zurzeit wesentlich besser zu gelingen als in Deutschland und Italien, die im Vergleich europäischer Reproduktionsraten hintere Rangplätze belegen (European Data Service 2007). Am Beispiel Schwedens wird häufig gezeigt, dass hohe Beschäftigungsquoten von Frauen kein Hinderungsgrund sind, Kinder zur Welt zu bringen. Dieser Befund ist insofern richtig, als er verdeutlicht, dass die großen Ni-
89
4.1 Grundlegende Prinzipien und Charakteristika der ausgewählten Wohlfahrtsregime
veauunterschiede bei den Fertilitätsraten nur zum Teil auf den Grad der Arbeitsmarktbeteiligung bzw. die Karriereorientierung von Frauen zurückzuführen sind. Er gilt jedoch insofern nur eingeschränkt, als auch in Ländern mit vergleichsweise hohen Geburtenraten wie Schweden der Anstieg weiblicher Beschäftigung durchaus von einem Rückgang der Geburtenziffern begleitet war. Das macht die Abbildung 4.5 deutlich, die für alle hier untersuchten Länder einen negativen Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Frauenbeschäftigung und der Fertilitätsrate im Längsschnitt seit den 1950er Jahren zeigt (wobei die länderspezifischen Punkte Jahreszahlen in Fünfjahresschritten repräsentieren). Abbildung 4.5: Zusammenhang zwischen Fertilität und Beschäftigungsquoten von Frauen im Längsschnitt (1950-2005) 3,0 R2 = 0,4111
Fertilitätsrate
2,5 Frankreich
2,0
Deutschland Italien Schweden
1,5
R2 = 0,3876
Trend Frankreich Trend Deutschland Trend Italien
1,0
R2 = 0,3338
Trend Schweden
R2 = 0,6707
0,5 0,0 0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
Beschäftigungsquote von Frauen
Quelle: UN World Population Prospects 2004
Die Vorstellung der Wohlfahrtsregime in unseren vier Vergleichsländern soll im Folgenden näher auf die beiden Schlüsselaspekte unserer Untersuchung eingehen, nämlich zum einen auf das Generationenverhältnis in der Verteilung sozialstaatlicher Leistungen, zum anderen auf die Familienorientierung und das Bild der Generationenbeziehungen in der Bevölkerung.
90
4 Die vier Wohlfahrtsregime im Vergleich
4.2 Generationenverhältnis in der Sozialpolitik: Altersorientierung und Rentenlastigkeit von Wohlfahrtsstaaten 4.2 Generationenverhältnis in der Sozialpolitik Diverse Sozialwissenschaftler haben darauf aufmerksam gemacht, dass Wohlfahrtsstaaten sich im Grad ihrer Altersorientierung oder Rentenlastigkeit unterscheiden (z.B. Esping-Andersen und Sarasa 2002; Hedström und Ringen 1990; Lynch 2001). Zwar beanspruchen die als Einkommensersatz konzipierten Renten überall einen weit höheren Anteil der Sozialausgaben als die lediglich als Einkommensergänzung konzipierten Leistungen für Familien, aber das Ausmaß, in dem die Ausgaben zugunsten Älterer den Aufwand zugunsten von Kindern und Jugendlichen übertreffen, variiert von Land zu Land beträchtlich. Im Folgenden ist zu untersuchen, wie sich die Relation in den von uns untersuchten Ländern darstellt und inwiefern es zu nennenswerten Veränderungen im Zeitverlauf gekommen ist.32 Wir konzentrieren uns dabei auf Transferzahlungen und Sachleistungen für die Bereiche hohes Alter und Familie, für welche die Zuordnung zu bestimmten Altersgruppen relativ eindeutig ist und blenden Leistungen, deren Zielgruppen ebenso uneindeutig sind wie die altersspezifische Inanspruchnahme, von der Betrachtung aus. Abbildung 4.6 gibt einen ersten Überblick darüber, wie sich die altersspezifischen wohlfahrtsstaatlichen Arrangements in Europa unterscheiden und wo die vier Untersuchungsländer im europäischen Vergleich einzuordnen sind. Die Abbildung zeigt drei Indikatoren zur Charakterisierung sozialstaatlicher Leistungen im Jahr 2001. Der auf der x-Achse abgetragene Anteil der Ausgaben für hohes Alter an den gesamten Sozialausgaben verdeutlicht, wie rentenlastig die sozialen Sicherungssysteme sind. Der Quotient aus Sachleistungen und Barleistungen auf der y-Achse weist aus, wie stark Dienstleistungen im Vergleich zu Sozialtransfers die nationale Gestalt des Sozialstaats prägen. Schließlich gibt der Durchmesser der Länderkreise an, wie hoch die Pro-Kopf-Ausgaben für Sozialschutz sind.
32
Die Angaben stammen aus dem Online-Angebot des Europäischen Datenservice, der von dem europäischen Statistikamt Eurostat auf der homepage http://epp.eurostat.ec.europa.eu/ zur Verfügung gestellt wird. Zur Systematik der Einteilung der Sozialschutzausgaben vgl. auch Infobox 1 im Anhang.
91
4.2 Generationenverhältnis in der Sozialpolitik
Abbildung 4.6: Wohlfahrtsstaatliche Arrangements (2001)
Quotient aus Sach- und Barleistungen
0.8 SE
0.7
DK
0.6
GR PTFR
FI
0.5 0.4
NL LU
BE
UK DE
ES
AT IT
0.3 0.2 0.1 0.0 25
30
35
40
45
50
55
Anteil der Ausgaben für hohes Alter an den Gesamtausgaben
Erläuterung: Die Größe der Kreise gibt die Sozialausgaben insgesamt pro Kopf der Bevölkerung an. Irland wurde ausgeschlossen, weil die Angaben wenig plausibel wirkten. Quelle: European Data Service (2007), eigene Berechnungen
Sehr deutlich wird, wie stark sich insbesondere die Wohlfahrtsstaaten Italiens und Schwedens voneinander unterscheiden. Über die Hälfte der Ausgaben des italienischen Wohlfahrtsstaats fließt in Leistungen für das hohe Alter. Dabei dominieren monetäre Leistungen gegenüber sozialen Diensten sehr viel stärker als in anderen Ländern, während das Ausgabenvolumen pro Kopf der Bevölkerung deutlich niedriger ausfällt als anderswo. Schweden bietet hingegen weniger als die Hälfte seines Sozialaufwands für das hohe Alter auf, verwendet einen wesentlich höheren Anteil für soziale Dienste und hat nach Luxemburg die höchsten Pro-Kopf-Leistungen für den Sozialschutz. Deutschland und Frankreich nehmen mittlere Positionen ein. Während sie ähnlich geringe Anteile der Sozialausgaben für das hohe Alter aufwenden wie Schweden, treten soziale Dienstleistungen gegenüber monetären Transferzahlungen sehr viel stärker zurück als in Schweden, während das Ausgabenvolumen pro Kopf der Bevölkerung ähnlich ist. Allerdings ähnelt Frankreich mit niedrigerem Gewicht der Ausgaben für das hohe Alter sowie höherem Anteil für soziale Dienste Schweden etwas stärker, als das für Deutschland gilt.
92
4 Die vier Wohlfahrtsregime im Vergleich
Die Abbildungen 4.7 und 4.8 geben genaueren Aufschluss über das Volumen und die Veränderung des Sozialaufwands in unseren vier Untersuchungsländern. Dabei drücken wir das Ausgabenniveau zum einen relativ als Anteil des Bruttoinlandsprodukts aus, zum anderen, um eine Vorstellung vom absoluten Niveau zu geben, als Ausgaben pro Kopf der Bevölkerung in Kaufkraftstandards. Es zeigt sich, dass die vier Länder zwischen einem Viertel und einem Drittel des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für den Sozialschutz aufwenden. Am höchsten ist der Anteil in Schweden, am niedrigsten in Italien. Beim Zeitvergleich fällt der Rückgang der Ausgabenquote in Schweden sowie der Anstieg in Deutschland auf, der im Wesentlichen auf die im Zuge der deutschen Einigung entstandenen Sozialaufgaben zurückgeht. In Frankreich und Italien blieb die Quote praktisch stabil. Die Pro-Kopf-Ausgaben (in Abbildung 4.8) sind überall gestiegen, wobei zu berücksichtigen ist, dass in Kaufkraftstandards berichtete Größen sich wegen der unzureichenden Erfassung der Inflation nur sehr bedingt für Vergleiche über die Zeit eignen. Deutlich wird aber, dass Schweden pro Kopf der Bevölkerung etwa 30 Prozent mehr für den Sozialschutz aufwendet als Italien, während sich Deutschland und Frankreich auf sehr ähnlichen Niveaus zwischen diesen beiden Extremen bewegen. Weder die Ausgabenquoten noch die Ausgaben pro Kopf der Bevölkerung tragen den mit verschiedenen Bevölkerungsstrukturen verbundenen Unterschieden des sozialpolitischen Bedarfs Rechnung. Auf ihrer Grundlage weiß man deshalb nicht, ob ein Ausgabenniveau als hoch erscheint, weil die Leistungen großzügig bemessen sind oder weil die Zielgruppe, die die Leistungen empfängt, besonders groß ist. So können Länder auf der Grundlage der bisher verwendeten Maße allein deshalb als besonders rentenlastig erscheinen, weil ihre Altersstruktur die Gruppe der Rentenempfänger besonders groß sein lässt. Die folgende Tabelle 4.3 sowie die auf ihr basierende Abbildung 4.9 tragen dem Rechnung, indem sie den Grad der Rentenlastigkeit über ein verfeinertes Maß erfassen, das die Größe der Zielgruppen sozialpolitischer Leistungen konstant hält, indem die bereichsspezifischen Ausgaben pro Kopf der jeweiligen Zielgruppe berichtet werden. Die Familienleistungen, zu denen das Kindergeld und andere Geldleistungen zur finanziellen Unterstützung von Familien ebenso gezählt werden wie familienorientierte Dienstleistungen, werden pro Kopf der 0- bis 15-Jährigen berichtet, die Ausgaben für das hohe Alter inklusive der Altersrenten und der Hilfen zur Pflege pro Kopf der über 65-Jährigen. Hier zeigt sich, dass die Sozialausgaben für ältere Menschen in allen vier Ländern deutlich gestiegen sind. Noch stärker sind aber in allen Ländern, außer Schweden, die Familienleistungen gewachsen. Die Veränderungsraten in Tabelle 4.3 machen deutlich, dass mit diesen Veränderungen eine deutliche Konvergenz der Altersorientierung unserer vier Länder verbunden war. Während im bislang am wenigsten alterslastigen
93
4.2 Generationenverhältnis in der Sozialpolitik
Sozialstaat Schwedens eine Verschiebung zugunsten Älterer erfolgte, hat das traditionell besonders rentenlastige Italien in jüngster Zeit diesen Daten zufolge ebenso wie Deutschland die Ausgaben für Kinder und Familien in besonderem Maße erhöht. Italien wendet allerdings auch 2003 nur die Hälfte des schwedischen Betrags für die Familienförderung auf.33 Abbildung 4.7: Sozialschutzausgaben insgesamt in % des BIP, 1993 und 2003
40
8000
35
7000
30
6000
25
5000
20
4000
15
3000
10
2000
5
1000 0
0 DE
FR 1993
IT
SE
2003
Quelle: European Data Service 2007
33
Abbildung 4.8: Sozialschutzausgaben insgesamt in KKS pro Kopf der Bevölkerung, 1993 und 2003
DE
FR 1993
IT
SE
2003
Quelle: European Data Service 2007
Inwieweit der Anstieg der italienischen Zahlen demografisch bedingt bzw. statistisches Artefakt ist, konnte erschöpfend nicht erklärt werden. Die institutionellen Daten zeigen keine wesentliche Leistungsverbesserung im hier betrachteten Zeitraum.
94 Tabelle 4.3:
Ausgaben Familie pro Kopf 0-15, KKS
Ausgaben hohes Alter pro Kopf 65+, KKS
Altersruhegeld pro Kopf 65+, KKS
4 Die vier Wohlfahrtsregime im Vergleich
Grundinformationen zu Niveau und Veränderung der Ausgabendaten Deutschland
Frankreich
Italien
1993
2264,9
2318,2
823,9
Schweden 3910,4
2003
4439,3
3136,7
1574,1
3920,5
Zuwachs (1993=100)
196
135
191
100
1993
13014,1
12724,7
13650,5
12693,4
2003
16170,4
15911,1
15783,8
17608,3
Zuwachs (1993=100)
124
125
116
139
1993
11781,7
12324,4
11607,9
9781,0
2003
14443,5
15133,7
13893,7
12500,8
Zuwachs (1993=100)
123
123
120
128
Erläuterung: Wir geben die jährlichen Ausgaben an, weil es länderspezifische Unterschiede im Auszahlungsmodus gibt. So erhalten z.B. italienische Rentner eine 13. Rentenzahlung, in allen anderen Ländern werden die Renten nur zwölf Mal überwiesen. Quelle: European Data Service 2007, eigene Berechnungen, vgl. zu der Ausgabensystematik auch Infobox 1 im Anhang
Die Abbildung 4.9 verdeutlicht diese Konvergenzprozesse, indem sie die gewandelte Relation von Sozialleistungen für Alt und Jung durch eine Verhältniszahl illustriert. Sie zeigt allerdings auch, dass der italienische Sozialstaat nach wie vor in besonderem Maße rentenlastig ist. Pro Kopf der Zielgruppe wendet der italienische Wohlfahrtsstaat zehnmal so viel für ältere Menschen wie für jüngere auf. In den drei übrigen Staaten hat sich das Verhältnis über die Zeit angeglichen und variiert nur noch schwach zwischen 3,6 in Deutschland und 5,1 in Frankreich. Aufgrund der deutlichen Ausgabensteigerung zugunsten der Familien hat Deutschland im Jahre 2003 Schweden den Rang als am wenigsten rentenlastiger Sozialstaat abgelaufen. Schweden ist das einzige Land, in dem die Ausgaben für ältere Bürger im Jahr 2003 stärker dominieren als zehn Jahre zuvor. Insofern kann es heute nicht mehr als Modellfall eines besonders ausgewogenen sozialstaatlichen Ausgabenprofils hinsichtlich der Altersverteilung gelten, wie frühere Studien das anhand älterer Daten behauptet haben (z.B. Esping-Andersen und Sarasa 2002; Lynch 2001; 2006). Allerdings ist bei Vergleichen dieser Art zu berücksichtigen, dass die Ausgabenniveaus pro Kopf der Zielgruppen nichts über
95
4.3 Generationenbeziehungen: Kontakthäufigkeit und Einstellungen zur Familie
die sehr unterschiedlichen Strukturen der Leistungen aussagen, weil hier zwischen Transferzahlungen und Dienstleistungen nicht unterschieden wird.34 Abbildung 4.9: Verhältnis der Sozialschutzleistungen für ältere Menschen pro Kopf der über 65-Jährigen und Familien pro Kopf der unter 15Jährigen (Vielfache), 1993-2003
18
16.6
16 14
Vielfache
12 10.0 10 8 5.5
5.7
5.1
6
4.5
3.6
3.2
4 2 0
Deutschland
Frankreich 1993
Italien
Schweden
2003
Quelle: European Data Service 2007
4.3 Generationenbeziehungen: Kontakthäufigkeit und Einstellungen zur Familie Untersuchungen zum Familialismus und zur Defamilialisierung haben bislang zumeist eine institutionenbasierte Perspektive eingenommen und gefragt, inwieweit der Staat den Familien Aufgaben zuschreibt oder abnimmt. Spiegelbildlich kann Familialismus aber auch dadurch konstituiert werden, dass Einstellungen und Lebensweisen der Bevölkerung mehr oder weniger auf die Familie zentriert sind. Wird der Fokus allein auf die sozialpolitische Behandlung der Familie 34
Der besonders starke Anstieg altersbedingter Ausgaben in Schweden kann z.T. auch ein Struktureffekt sein, der die schon in 1960er Jahren stark zunehmende Erwerbsbeteiligung schwedischer Frauen zum Ausdruck bringt, die ihren Niederschlag in höheren Rentenzahlungen gefunden haben.
96
4 Die vier Wohlfahrtsregime im Vergleich
gelenkt, übersieht man, dass staatliche Maßnahmen in verschiedene Familienkulturen eingebettet sind, deren Wurzeln weit zurückreichen (Burguière et al. 1997; Hajnal 1982; Lombardini 2005). In den folgenden beiden Abschnitten sollen daher die Familiensysteme der vier Länder anhand der Familienstrukturen und der Einstellungen zur Familie charakterisiert werden, um das Zusammenspiel von Sozialpolitik und Familie in den späteren Analysen besser zu verstehen.
4.3.1 Räumliche Nähe und Kontakte zwischen Generationen Die räumliche Nähe zwischen Familienmitgliedern ist eine wichtige Voraussetzung für Unterstützungsleistungen zwischen den Generationen. Vor allem instrumentelle Hilfen, wie die Betreuung von Kindern oder die Pflege bedürftiger Menschen, können nur dann regelmäßig in der Familie gegeben werden, wenn räumliche Nähe besteht (Marbach 1994; Silverstein und Litwak 1993). Auch die Kontakthäufigkeit steigt in dem Maße, wie die räumliche Distanz zu Verwandten schrumpft, obwohl moderne Kommunikationsmedien die Kontaktaufnahme über weite Entfernungen hinweg sicherlich vereinfacht haben. Räumliche Nähe bringt überdies oft das Bestehen einer engen Verbundenheit zum Ausdruck (Bengtson und Roberts 1991). Leben junge Erwachsene noch bei ihren Eltern, so erhöht dies die Wahrscheinlichkeit deutlich, dass sie bei späterer Pflegebedürftigkeit der Eltern Pflegeaufgaben übernehmen (Tomassini et al. 2003). Allerdings sagt räumliche Nähe nicht immer auch etwas über die Qualität und persönliche Enge der Generationenbeziehungen aus. Oft ist die Nähe des Zusammenlebens auch eine Funktion der gegebenen Gelegenheiten. So können ein hohes Wohlstandsniveau und ein gutes Angebot sozialer Dienstleistungen dazu beitragen, dass auch ältere Eltern unabhängig von ihren Kindern leben können. Die Familienbeziehungen werden dann zwar von Versorgungspflichten entlastet, sind aber aufgrund geringerer Konflikte sehr eng. Sozialwissenschaftler haben dafür die Formel von der inneren Nähe bzw. Intimität auf Distanz geprägt (Lüscher und Liegle 2003; Rosenmayr und Köckeis 1963). Tabelle 4.4 vergleicht die Größe der Familiennetzwerke und die Kontakthäufigkeit zwischen Eltern und erwachsen Kindern in unseren vier Ländern. Nationenspezifische Unterschiede zeigen sich weniger in der Größe des Familiennetzwerks als in der räumlichen Distanz. In Schweden leben verschiedene Generationen meist nicht in häuslicher Gemeinschaft. Dies hat unter anderem topografische Gründe, da in einem dünn besiedelten Flächenstaat wie Schweden der Wegzug der Kinder oft mit der Ansiedlung in weit entfernte Städte verbunden ist. In Ländern mit hoher Bevölkerungsdichte und dichtem Städtenetz wie Deutschland und Italien gibt es dagegen weitaus größere Möglichkeiten, in der
97
4.3 Generationenbeziehungen: Kontakthäufigkeit und Einstellungen zur Familie
Nähe der Eltern zu bleiben. Jeder fünfte ältere Mensch in Italien lebt mit mindestens einem seiner erwachsenen Kinder zusammen. Dieses Zusammenleben geht auch mit materiellen Unterstützungsleistungen einher, da die gemeinsame Haushaltsführung zu Einsparungen führt, die im italienischen Fall vor allem den Kindern zugutekommen (Trifiletti 1998: 182). Deutschland und Frankreich unterscheiden sich bezüglich des Zusammenlebens von Generationen in einem Haushalt nur wenig. Deutsche Kinder leben aber häufiger als Franzosen mit ihren Eltern im selben Haus. Tabelle 4.4: Land
Familiennetzwerke älterer Menschen (65+) im Ländervergleich Erweitertes Familiennetzwerkc
Kernfamilied
Anzahl der Personen Deutschland
Mindestens ein Kind lebt im selben Haushalt
Mindestens ein Kind lebt im selben Hause
Kontakte in der Woche
In %
In %
Mittelwert
8,1
2,5
7,4
22,7
10,8
10,5
2,8
6,6
9,6
9,9
Italien
9,3
2,5
20,7
39
14,8
Schweden
9,5
2,7
1,6
2,5
9,6
Frankreich
c Die erweiterte Familie besteht aus Eltern, Geschwistern, Partnern, Kindern und Enkelkindern der Befragten. d
Die Kernfamilie bezieht sich auf den Partner und die eigenen Kinder.
e
Dieser Indikator schließt ältere Eltern, die mit ihren Kindern im selben Haushalt leben, ein.
Quelle: SHARE 2003
Die Tabelle macht drei verschiedene Muster deutlich. Auf der einen Seite steht Italien, wo über 20 Prozent der älteren Menschen noch mit ihren erwachsenen Kindern in einem gemeinsamen Haushalt leben, während weitere 19 Prozent mit den Kindern das Haus teilen. Diese enge räumliche Nähe ist mit vergleichsweise häufigen Kontakten zwischen Eltern und Kindern verbunden. In Deutschland leben erwachsene Kinder seltener als in Italien im gleichen Haushalt, aber jeder fünfte ältere Mensch mit Kindern lebt mit ihnen zumindest im gleichen Haus. In Schweden und Frankreich ist die räumliche Distanz zwischen den Generationen hingegen größer. Dort leben mehr als 90 Prozent der erwachsenen Kinder nicht mehr mit ihren Eltern zusammen. Hinsichtlich der Kontakthäufigkeit zwischen Eltern und Kindern unterscheiden sich beide Länder nur wenig von Deutschland und anderen deutschsprachigen Ländern, aber deutlich von den sehr viel kontakt-
98
4 Die vier Wohlfahrtsregime im Vergleich
reicheren südeuropäischen Nationen. Die Gründe für das häufigere Zusammenleben der Generationen in Südeuropa sind nicht nur kultureller Art, sondern spiegeln auch die ungünstige Situation auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt wider. Einschlägige Studien verweisen immer wieder auf die hohe Jugendarbeitslosigkeit, die spätere Etablierung auf dem Arbeitsmarkt, das damit verbundene hohe Heiratsalter sowie die hohen Wohnkosten (Aassve et al. 2001; Barbagli et al. 2004) Auch die demografische Entwicklung prägt die Generationenbeziehungen in der Familie. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es in Deutschland etwa fünfmal mehr Kinder unter 15 Jahren als ältere Menschen über 60 Jahre. Im Jahr 2000 hat sich das Verhältnis umgedreht, und es leben nun 1,5 Mal mehr ältere Menschen als Kinder. In stärkerem Ausmaß als frühere Generationen können Kinder heute aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung davon ausgehen, mit mehr Großeltern für längere Zeit zusammenzuleben (Engstler und Menning 2005). Gleichzeitig haben Großeltern eine schrumpfende Zahl von Enkeln, so dass sich ihre Beziehungen auf weniger Kinder konzentrieren und damit auch intensivieren (Hagestad 2006). Darüber hinaus haben sich auch die Lebensbedingungen älterer Menschen verändert, so dass sie heute erwarten können, längere Zeit behinderungsfrei zu leben. Durch den Wohlstandszuwachs in langen Friedensjahren verfügen zum ersten Mal in der Geschichte ältere Menschen auch in der Breite über größere ökonomische Ressourcen. Damit sind die Voraussetzungen dafür gegeben, dass sich die Generationenbeziehungen auch aus der Perspektive der Enkel intensivieren (vgl. Chvojka 2003). Intergenerationale Unterstützungsleistungen werden damit wohl künftig an Bedeutung gewinnen. Allerdings stellen die demografischen Veränderungen für die Generationenbeziehungen auch ein Problem dar, weil eine schrumpfende Zahl von Nachfahren für die Versorgung und Pflege der wachsenden Zahl älterer Menschen aufkommen muss. Diese Entwicklung ist im Grunde zwar allen hier untersuchten Ländern gemeinsam, aber die Zahlenverhältnisse unterscheiden sich doch von Land zu Land beträchtlich. So werden Deutschland und Italien in den nächsten 30 Jahren vom demografischen Wandel stärker betroffen sein als Frankreich oder Schweden. Darüber hinaus stellt sich die Balance zwischen Leistungen des Staates und der Familie in den einzelnen Ländern unterschiedlich dar, so dass es bei prinzipiell ähnlicher Problemlage doch landesspezifisch anderer Maßnahmen bedarf, um die geltenden Wohlfahrtsarrangements den sich ändernden demografischen Bedingungen anzupassen. Reformprozesse in Demokratien sind überdies auf den Gewinn von Mehrheiten angewiesen, und hier spielen Einstellungen und Erwartungshaltungen eine wesentliche Rolle. Abschließend wollen wir deshalb betrachten, welchen Stellenwert die Familie in den Köpfen der Bürger unserer Länder hat und welche Rolle sie von ihr in der Wohlfahrtsproduktion erwarten.
4.3 Generationenbeziehungen: Kontakthäufigkeit und Einstellungen zur Familie
99
4.3.2 Einstellungen zur Familie Austauschbeziehungen zwischen Generationen basieren auf moralischen Einstellungen, die das Handeln der Familienmitglieder prägen (Finch und Mason 1993; Lowenstein et al. 2004). Das Ausmaß, in dem Familienmitgliedern die Verantwortung für Betreuungs- und Pflegeaufgaben zugeschrieben wird, variiert von Land zu Land beträchtlich (vgl. auch Kapitel 9). Innerhalb der Familie sind diese Aufgaben meist geschlechtsspezifisch verteilt. Die Familienorientierung in unseren vier Untersuchungsländern wird im Folgenden anhand der Einstellungen zu beiden Aspekten – den Familienaufgaben und den Geschlechterrollen – charakterisiert und in den europäischen Kontext eingeordnet.35 Ein erstes Bild der Familienorientierung in europäischen Staaten gibt ein Index wieder, der vier Einstellungsindikatoren zur Bedeutung der Familie zusammenfasst (Abbildung 4.10). Der Wert Null repräsentiert den Durchschnitt aller beteiligten Länder. Positive Werte signalisieren eine überdurchschnittliche Familienorientierung, negative Werte eine unterdurchschnittliche. Zwei Ergebnisse sind besonders bemerkenswert: Erstens ergibt sich eine Polarität zwischen süd- und nordeuropäischen Ländern, die sich ähnlich bereits bei der räumlichen Nähe und den Kontakten zwischen Eltern und Kindern gezeigt hat. Zweitens entsprechen die Ländergruppierungen den gängigen institutionellen Charakterisierungen von Wohlfahrtsstaaten (vgl. Kapitel 4.1). Südeuropäische Länder zeichnen sich durch eine überdurchschnittliche Familienorientierung aus, während nordeuropäische EU-Staaten mit vergleichweise schwacher Betonung des Stellenwerts der Familie unterhalb des europäischen Durchschnitts liegen.
35
Die Auswahl dieser zwei Dimensionen ergab sich eindeutig bei einer Faktoranalyse der zur Verfügung stehenden Einstellungsindikatoren.
100
4 Die vier Wohlfahrtsregime im Vergleich
Abbildung 4.10:
Index zur Wertschätzung der Familie in Europa
Schweden
Dänemark
Niederlande
Finnland
Großbritannien
Deutschland
Irland
Belgien
Österreich
Luxembourg
Frankreich
Portugal
Spanien
Griechenland
Italien -0,6
-0,5
-0,4
-0,3
-0,2
-0,1
Weniger familienorientiert
0
0,1
0,2
0,3
0,4
0,5
Stärker familienorientiert
Erläuterung: Als Indikatoren wurde die Zustimmung zu folgenden Fragen verwendet: (1) Kinder benötigen ein Zuhause mit Vater und Mutter, (2) Man muss seine Eltern unabhängig von ihren Fehlern respektieren, (3) Es sollte eine gesetzliche Verpflichtung geben, dass Kinder ihre Eltern finanziell unterstützen, falls diese nicht über genügend Einkommen verfügen und (4) Eltern müssen zusammenbleiben, wenn sie zusammen ein Kind haben. Quelle: World Value Survey (1999-2004), Eurobarometer (56.1) und European Social Survey (2004); eigene Berechnungen
4.3 Generationenbeziehungen: Kontakthäufigkeit und Einstellungen zur Familie
101
Ein genauerer Blick auf die einzelnen Einstellungsdimensionen zeigt aber einige länderspezifische Differenzierungen, insbesondere was den Vergleich Deutschlands und Frankreichs betrifft (Abbildung 4.11). In Frankreich wird unbedingter Respekt gegenüber den Eltern und eine Verantwortung der Kinder, für ihre Eltern zu sorgen, sehr viel häufiger genannt als in Deutschland. Schweden ist bei allen Einstellungsindikatoren das Land mit der niedrigsten Familienorientierung, während Italiener durchweg die stärkste Betonung von Familienwerten an den Tag legen. Die durchschnittliche Differenz zwischen Schweden und Italien ist mit 35 Prozentpunkten bemerkenswert hoch. Auch Frankreich und Deutschland heben sich aber von Schweden ab, das ob seiner außergewöhnlich schwachen Familienorientierung deutlich hervorsticht.
Anteil der Personen, die (eher) zustimmen
Abbildung 4.11:
Einzelindikatoren zur Wertschätzung der Familie
100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 Kinder benötigen ein Man muss seine Es sollte eine Eltern müssen Zuhause mit Vater Eltern, unabhängig gesetzliche zusammenbleiben, und Mutter von ihren Fehlern Verpflichtung geben, wenn sie zusammen respektieren dass Kinder ihre ein Kind haben * Eltern finanziell unterstützen.
Schweden
Frankreich
Deutschland
Italien
* Italien fehlt bei diesem Indikator, da es nicht am European Social Survey 2004 teilgenommen hat. Quelle: World Value Survey (1999-2004), Eurobarometer (56.1) und European Social Survey (2004); eigene Berechnungen
Die Betonung familialen Zusammenhalts ist oft mit klaren Vorstellungen über die Aufteilung der Familienarbeit zwischen den Geschlechtern verbunden (Gomilschak et al. 2000; Rossi und Rossi 1990). So ergibt sich bei den einzelnen Einstellungsitems zu den Geschlechterrollen eine ähnliche Länderrangfolge wie bei der generellen Familienorientierung (Abbildung 4.12). In Italien tendieren
102
4 Die vier Wohlfahrtsregime im Vergleich
auffällig viele Männer wie Frauen zu der Auffassung, Mütter sollten nicht erwerbstätig sein. Über 70 Prozent der italienischen Befragten meinen, dass die Beziehung von Mutter und Kind bzw. das Familienleben unter der Berufstätigkeit der Frau leiden.36 Im Gegensatz dazu lehnt nur eine kleine Minderheit der Schweden die Erwerbstätigkeit der Frau ab, und weniger als ein Drittel der Befragten sieht darin eine Belastung für Kind oder Familie. Nur geringe Unterschiede zeigen sich bezüglich der Geschlechterrollen zwischen Frankreich und Deutschland. Bemerkenswert ist hingegen der große Abstand zwischen Schweden und Italien, der bis zu 50 Prozentpunkte beträgt und es als sehr unwahrscheinlich erscheinen lässt, dass beide Länder in absehbarer Zukunft zu einer ähnlichen Familienpolitik finden werden.
Anteil der Personen, die (eher) zustimmen
Abbildung 4.12:
Einstellungsindikatoren Geschlechterrollen
100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 Herzliches Verhältnis zwischen berufstätiger Mutter und Kind
Schuldkind Familie leidet Der Mann Mutter mit leidet unter unter sollte Geld kleinem Kind berufstätiger berufstätiger verdienen, die sollte nicht Mutter Mutter Frau im arbeiten Haushalt arbeiten
Schweden
Frankreich
Deutschland
Mutter mit Schulkind sollte nicht arbeiten
Italien
Quelle: International Social Survey Programme (ISSP) 2002, 1994 für Italien; eigene Berechnungen
Die Einstellungsdaten spiegeln in bemerkenswertem Maße objektive Unterschiede wider, wie sie in der Typologie zum Grad der wohlfahrtsstaatlichen Defamilialisierung sowie der Verbreitung weiblicher Erwerbstätigkeit und der Enge familiärer Kontakte zum Ausdruck kamen. Welche kausalen Zusammenhänge zwi36
Allerdings muss beachtet werden, dass Italien 2002 nicht am International Social Survey Programme (ISSP) teilgenommen hatte und die Daten deshalb aus dem Jahr 1994 stammen.
4.3 Generationenbeziehungen: Kontakthäufigkeit und Einstellungen zur Familie
103
schen institutionellen Strukturen, Merkmalen der Sozialstruktur und individuellen Einstellungen bestehen, ist eine offene Frage. Ob die Einstellungen die Institutionen reflektieren oder die Institutionen sich den kulturellen Gegebenheiten anpassen, können wir hier nicht klären. Andere Studien verweisen darauf, dass intervenierende Faktoren wie die religiöse Orientierung oder der Grad der Modernisierung wichtige Erklärungsmomente für die länderspezifischen Einstellungsmuster liefern (vgl. Gerhards und Hölscher 2003; Gomilschak et al. 2000; Sjöberg 2004). Unser Anliegen hier ist es lediglich, zu zeigen, dass die institutionellen Rahmenbedingungen nicht unabhängig von den Präferenzen der Bürger zu sehen und damit auch nicht beliebig veränderbar sind. Welche spezifischen Übereinstimmungen es zwischen der institutionellen Gestaltung des Wohlfahrtsstaats und den Einstellungen verschiedener Altersgruppen gibt, werden wir in Kapitel 9 näher untersuchen. Die Charakterisierung der vier an der Untersuchung beteiligten Wohlfahrtsstaaten hat zum einen gezeigt, dass die gängigen Typologien nicht ausreichend sind, um die spezifische Struktur von Wohlfahrtsregimen einzufangen. Je nachdem wie der Fokus gesetzt wird, ergeben sich abweichende Klassifizierungen. Das unterstreicht, wie unumgänglich es ist, einzelne sozialpolitische Aufgabenbereiche getrennt zu untersuchen und zu bewerten. Zweitens wurde deutlich, dass die Herausforderungen aufgrund der demografischen Entwicklung für die Länder zwar recht ähnlich sind, die derzeitige Ausgangslage aber sehr unterschiedlich aussieht. Dies gilt vor allem für Italien und Schweden, die sich in fast allen hier betrachteten Dimensionen diametral gegenüberstehen. Im Kern geht es dabei um die unterschiedliche Einbindung der Familie in das länderspezifische Wohlfahrtsarrangement und um die Legitimität staatlicher Eingriffe. Aus deutscher Perspektive sind diese beiden Länder ein guter Referenzrahmen, um zu beurteilen, wo der deutsche Sozialstaat steht und wohin er durch die eingeleiteten Reformen steuert. Die beschriebene Koinzidenz der Struktur von Staat, (Arbeits-)Markt und Familie macht allerdings klar, dass erfolgreiche Problemlösungen nicht einfach von Land zu Land übertragbar sind, weil sie in ein Ensemble von institutionellen, sozialstrukturellen und kulturellen Gegebenheiten eingebettet sind, in dem sie erst ihre Wirkung entfalten. Aus diesem Grunde ist Frankreich aus deutscher Perspektive ein besonders wichtiges Vergleichsland, weil es in mancherlei Hinsicht Deutschland am ähnlichsten ist, in der Familienpolitik aber erfolgreich etwas andere Wege beschritten hat. In den folgenden vier Kapiteln untersuchen wir die sozialpolitischen Bereiche Rente, Pflege, Transferleistungen für Familien und Kinderbetreuung und verknüpfen die institutionelle Gestaltung der staatlichen Leistungen mit den individuellen Lebensbedingungen der davon betroffenen Personen.
5.1 Institutionelle Regelungen der Rentensysteme und ihre Reformen im Vergleich
105
5 Rentensysteme und die materielle Lebenssituation älterer Menschen Dieses Kapitel untersucht, inwieweit die Rentensysteme in der Lage sind, eigenständige und angemessene Einkommen im Ruhestand zu sichern. Dabei werden wir Angaben über die institutionelle Ausgestaltung der Renten mit Daten über die Einkommen älterer Menschen verknüpfen. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei geschlechtsspezifischen Unterschieden. Beim Vergleich institutioneller Regelungen im ersten Teil des Kapitels sind die folgenden Fragen zentral:
Welche Ziele sind in der Gestaltung des Rentensystems institutionalisiert? An welche Voraussetzungen ist der Leistungsanspruch gebunden? Nach welcher Formel berechnen sich die Renten? In welchem Ausmaß gibt es Umverteilungsmaßnahmen und wem kommen sie zugute? Was sind die wesentlichen Kennzeichen der Reformen im letzten Jahrzehnt?
Der zweite Teil untersucht, wie sich die institutionellen Regelungen in den individuellen Renteneinkommen widerspiegeln. Dabei stehen die folgenden Fragen im Vordergrund:
Wer erhält Renten und in welcher Höhe? Welche Bedeutung haben Renteneinkommen für das Haushaltseinkommen älterer Menschen? Wie ungleich sind die Einkommen älterer Menschen verteilt und welchen Beitrag haben Rentenleistungen daran? Inwieweit bieten die Rentensysteme wirksamen Schutz vor Altersarmut?
5.1 Institutionelle Regelungen der Rentensysteme und ihre Reformen im Vergleich Alterssicherungssysteme bestehen in der Regel aus einem komplexen Zusammenspiel mehrerer Elemente, welche den Zugang zu Leistungen und die Höhe der Ansprüche bestimmen. Von zentraler Bedeutung ist spätestens seit dem einflussreichen Bericht der Weltbank (1994) die Unterscheidung so genannter Säulen.37 Nach einer Typologie der Europäischen Kommission sind unter der ersten 37
Rentensysteme können nach unterschiedlichen Aspekten klassifiziert werden, beispielsweise nach der Art der Finanzierung (Umlageverfahren vs. Kapitaldeckung), der Art der Verordnung
106
5 Rentensysteme und die materielle Lebenssituation älterer Menschen
Säule eines Alterssicherungssystems die gesetzlichen Rentensysteme zu verstehen, unabhängig davon, ob sie auf Grund- oder Lebensstandardsicherung abzielen. Die zweite Säule umfasst betriebliche Rentensysteme, die nicht gesetzlich vorgeschrieben sind und bei denen die Mitgliedschaft an Erwerbstätigkeit gebunden ist. In der dritten Säule sind die privaten Vorsorgesysteme, die auf individuellen Verträgen unabhängig von der Erwerbstätigkeit beruhen, zusammengefasst (vgl. Social Protection Committee 2004). Der institutionelle Vergleich beschränkt sich auf die erste Säule der Sicherungssysteme. Eine Ausnahme betrifft die steuerlich geförderten privaten Zusatzsysteme wie die deutsche Riester-Rente. Die erste Säule stellt in der Regel nicht nur den Kern nationaler Alterssicherungssysteme dar, sondern macht auch deutlich, welche Zielvorstellungen die verschiedenen Wohlfahrtsstaaten bezüglich der sozialen Sicherung im Alter verfolgen. Zentrale Unterschiede betreffen hier die Definition der Zugangsvoraussetzungen und die Abgrenzung des versicherten Personenkreises, die an einer Bedarfsprüfung, einer Mindestzahl von Beitragszahlungen oder am Wohnbürgerstatus festgemacht sein kann, sowie die Gestaltung und Höhe der Leistungen als Grund- oder Lebensstandardsicherung. Weitere wichtige Variationsdimensionen betreffen die Finanzierung sowie die Organisationsform. Finanzierungsfragen stellen sich im Zusammenhang mit politischen Diskussionen um die Nachhaltigkeit der sozialen Sicherungssysteme. In diesem Kapitel werden diese Aspekte nicht näher betrachtet, weil wir uns auf die Leistungen für ältere Menschen und deren Lebenslagen konzentrieren. Organisatorisch unterscheiden sich Rentensysteme nach dem Umfang der Risikoabdeckung sowie dem Grad der Fragmentierung.38 In Deutschland wird ähnlich wie in Frankreich und Italien neben dem Risiko Alter auch das der Invalidität sowie die Hinterbliebenenversorgung unter einem Dach abgesichert. Invaliditätsrenten werden hier allerdings aufgrund ihres fehlenden Altersbezugs nicht behandelt. Die Regelungen zum Hinterbliebenenschutz klammern wir in unsere Studie ebenfalls aus, weil sie zum einen keine altersbezogene Leistung bieten, und weil die von uns als zentraler Leistungsindikator verwendeten Einkommensersatzraten die Hinterbliebenenversorgung nicht berücksichtigen. Der Fragmentierungsgrad der Rentenversicherung ist in Schweden und seit der Organisationsreform 2005 auch in Deutschland eher gering. Frankreich und
38
(Gesetzgebung, kollektive oder individuelle Verträge), ob die Mitgliedschaft obligatorisch oder freiwillig ist oder welcher Art die Leistung ist (leistungs- oder beitragsdefiniert). Zudem muss beachtet werden, dass auch hybride Systeme existieren, z.B. ein Mix aus Umlageverfahren und Kapitaldeckung oder aus leistungs- und beitragsdefinierten Leistungen (vgl. Social Protection Committee 2004). Darüber hinaus unterscheiden sie sich auch in der Frage der Verwaltungsorganisation. In Schweden gibt es eine staatliche Zentralverwaltung, in den drei übrigen Ländern werden die Systeme der Alterssicherung unter Beteiligung der Sozialpartner verwaltet.
5.1 Institutionelle Regelungen der Rentensysteme und ihre Reformen im Vergleich
107
Italien repräsentieren hingegen Länder mit starker organisatorischer Fragmentierung des gesetzlichen Rentensystems.39 In beiden Ländern unterteilt sich die erste Säule in verschiedene Rentenkassen für einzelne Berufsgruppen. In unserer Untersuchung berücksichtigen wir im Folgenden nur die Regelungen der größten Kassen beider Länder. In Italien ist das der „Fondo pensioni lavoratori dipendenti“ (Fpld) für die abhängig Beschäftigten. Die Regelungen des wichtigsten Sonderfonds für Selbständige (Kleinkaufleute, Landwirte, Handwerker) sind an das System des Fpld angeglichen (Götz 2003). In Frankreich besteht die obligatorische gesetzliche Rentenversicherung (régime général) sowohl aus einer staatlich organisierten Basissicherung (régime de base) als auch aus beruflichen obligatorischen Zusatzkassen (rétraite complémentaire), die von den Sozialpartnern verwaltet werden. Beide zusammen werden als „duales System der ersten Säule“ bezeichnet (Veil 2004). In beiden Zweigen des régime général wird nach Berufsgruppen und beruflichem Status differenziert, so dass verschiedene Kassen für bestimmte Berufsgruppen oder Branchen existieren. Die wichtigsten beruflichen Zusatzkassen sind in zwei Dachverbänden zusammengeschlossen, dem Dachverband ARRCO (Association des régimes de retraite complémentaire) für die Beschäftigten, deren Gehalt oberhalb der Bemessungsgrenze des Basissystems liegt, sowie dem Dachverband AGIRC (Association générale des institutions de retraite des cadres) für Berufsgruppen mit Führungsaufgaben (cadres40). Die erste Säule kann auf verschiedene Weise Grundsicherungskomponenten inkorporieren (Palme 1990). Während Schweden und Frankreich Mindestsicherungselemente in das gesetzliche Rentensystem integriert haben, kennen Deutschland und Italien Grundsicherungsregelungen für ältere Menschen nur außerhalb des Rentensystems. Allerdings können niedrige Renten in beiden Ländern unter gewissen Bedingungen auf ein bestimmtes Minimum angehoben werden.41 Schweden hat in der Rentenreform von 1998 die ehemals universelle Volksrente abgeschafft und durch eine Garantierente ersetzt, die zwar weiterhin allen Staatsbürgern offensteht, deren Leistung jetzt aber bedürftigkeitsgeprüft ist. Die französische Mindestrente besteht seit jeher aus einer bedürftigkeitsgeprüften Grundsicherungskomponente und einer beitragsabhängigen Mindestrente. 39 40 41
Es gibt Bestrebungen, die einzelnen Kassen unter einem Dach zusammenzufassen (Götz 2003; Lewerenz 2003). Cadres sind einfache und höhere leitende Angestellte. Ingenieure sind ihnen gleichgestellt. Die Sozialpartner legen jährlich fest, welche Berufsgruppen zu der Gruppe der cadres gehören sollen. In Italien gab es bislang auch eine Mindestrente innerhalb des Systems. Sie wurde jedoch für neue Versicherte ab dem Jahr 1996 abgeschafft. Rentner, die vor diesem Zeitpunkt ein Versicherungsverhältnis hatten, erhalten noch Leistungen aus dem Mindestrentensystem. Deutschen Versicherten wird für Zeiten mit geringem Entgelt bis 1991 unter bestimmten Voraussetzungen eine Aufstockung ihrer Ansprüche gewährt (vgl. Kap. 5.1.5), für Zeiten ab 1992 werden geringe Beiträge nur noch im Zusammenhang mit einer Kindererziehung aufgestockt.
108
5 Rentensysteme und die materielle Lebenssituation älterer Menschen
Schweden ist das einzige Land, das seit seiner großen Rentenreform mit der sog. Prämienrente auch ein kapitalfundiertes Element in die erste Säule integriert hat. Tabelle 5.1:
Erste Säule des Alterssicherungssystems, 2004 Erste Säule
Risiko
Teilnahme
Zugang
Deutschland
Gesetzliche Rentenversicherung
Alter, Invalidität, Hinterbliebene
obligatorisch
Beiträge
Frankreich
Basisrente
Alter, Invalidität, Hinterbliebene, Arbeitslosigkeit Älterer
obligatorisch
Beiträge
obligatorisch
Beiträge
obligatorisch
Beiträge, Bedürftigkeit
Berufliche Zusatzrente Minimum Vieillesse Italien
Rentenversicherung
Alter, Invalidität, Hinterbliebene
obligatorisch
Beiträge
Schweden
Prämienrente
Alter, Hinterbliebene
obligatorisch
Beiträge
obligatorisch
Beiträge
obligatorisch
Wohnsitz, Bedürftigkeit
Einkommensrente Garantierente
Quelle: Natali (2004a; 2004b; 2004c; 2004d)
In Italien, Frankreich und Deutschland haben private Sicherungsformen im Rahmen einer „schleichenden“ Privatisierung der Alterssicherung zulasten der öffentlichen Systeme in jüngster Zeit an Bedeutung gewonnen (Reinhard 2001). Die private Absicherung wird dabei mit dem Ziel, die öffentliche Rentenversicherung zu entlasten, steuerlich mehr oder weniger stark gefördert. Da die private Vorsorge bislang aber auf freiwilliger Basis erfolgt, kommen die neuen Förderungsinstrumente fast ausschließlich den Besserverdienenden zugute, die sich eine Erhöhung der Sparquote leisten können. In Tabelle 5.2 findet sich ein Überblick über die zentralen Reformen der 1990er Jahre, die hier behandelt werden.
5.1 Institutionelle Regelungen der Rentensysteme und ihre Reformen im Vergleich
Tabelle 5.2:
109
Zentrale Reformen seit 1990 Zentrale Reformen
Deutschland
Rentenreformgesetz 1992 Rentenreformgesetz 1999 Riester-Reform 2001 RV-Nachhaltigkeitsgesetz 2004
Frankreich
Balladur-Reform 1993 Fillon-Reform 2003
Italien
Riforma Amato 1992 Riforma Dini 1995 Riforma Prodi 1997 Riforma Maroni 2004
Schweden
Pensionsreformen 1998
Quelle: eigene Zusammenstellung
Die Rentensysteme und ihre Veränderungen sollen anhand der folgenden Hauptindikatoren miteinander verglichen werden: 1.
2.
3.
Regelaltersgrenze: Sie entscheidet über die Dauer des Leistungsempfangs und beeinflusst überdies die Höhe der Zahlungen, weil Verrentungen vor oder nach der gesetzlich vorgeschriebenen Altersgrenze zu Leistungskürzungen oder -erhöhungen führen. Wartezeit oder erforderliche Mindestbeitragszeit: Sie bestimmt, wie viele Beiträge mindestens bezahlt sein müssen, um einen Rentenanspruch zu erwerben..Je kürzer dieser Zeitraum bemessen ist, desto mehr profitieren Personen mit kurzen Erwerbskarrieren vom Rentensystem. Rentenformel oder Rentenberechnungsgrundlage: Sie definiert, auf welche Weise die Leistungen mit der Höhe oder Dauer der Beiträge verknüpft sind. Dabei sind vor allem zwei Parameter zentral: zum einen die Anzahl der Beitragsjahre, die als Wert in die Berechnung einfließt, und zum anderen die Form der Berücksichtigung des Einkommens im Lauf der Versicherungskarriere. Je stärker die Höhe der Zahlungen von der Zahl der Versichertenjahre abhängt, desto ungünstiger sind die Renten für Personen mit kurzen oder unterbrochenen Erwerbskarrieren wie etwa Frauen. Beim zweiten Faktor ist von entscheidender Bedeutung, ob das Einkommen der gesamten Versicherungskarriere oder nur bestimmte Jahre wie etwa die letzten Jahre vor dem Ruhestand oder die „besten“ Erwerbsjahre bei der Rentenberechung berück-
110
4.
5.
6.
7.
5 Rentensysteme und die materielle Lebenssituation älterer Menschen
sichtigt werden. Je länger die berücksichtigte Phase ist, desto ungünstiger wirken sich die Unterbrechung von Karrieren oder Phasen des Niedrigverdiensts auf den Rentenanspruch aus. Anerkennung von beitragslosen Zeiten: Hier geht es insbesondere um die Frage, in welchem Maße das Rentensystem beitragsfreie Zeiten infolge von Kinderbetreuung oder Pflege als beitragsäquivalent honoriert. Dies hat insbesondere für die geschlechtsspezifische Verteilung der Rentenansprüche hohe Bedeutung. Indexierung: Laufende Rentenzahlungen werden gewöhnlich entweder an die Lohn- oder die Preisentwicklung angepasst. Meist profitieren Rentner von der Ankopplung an die Löhne mehr, weil damit über die bloße Kaufkraftsicherung hinaus die Teilhabe am wirtschaftlichen Wachstum begründet wird (obwohl in einzelnen Jahren bzw. bestimmten kurzen Phasen ausnahmsweise auch die Bindung an die Preise vorteilhafter sein kann). Besteuerung und Abgabenbelastung: In manchen Ländern sind Renteneinkommen von der Besteuerung und von Sozialabgaben befreit, in anderen sind sie zumindest teilweise der Abgabepflicht unterworfen. Diese Unterschiede sind von wesentlicher Bedeutung für die Kaufkraft der Rentenzahlungen und somit im internationalen Vergleich zu beachten. Grund- und Mindestsicherungskomponenten: Form und Ausmaß der Berücksichtigung von Grundsicherungselementen haben große Bedeutung für die Bekämpfung der Altersarmut sowie für die Höhe geschlechtsspezifischer Unterschiede der Alterseinkünfte. Wie schon erwähnt, kann die Grundsicherung entweder als Mindestrente oder staatsbürgerbasierte Grundrente in das Rentensystem integriert sein oder als einkommens- oder bedürftigkeitsgeprüfte Sozialleistung außerhalb des Rentensystems gewährt werden.
Im Folgenden werden die nationalen Systeme und die Reformen im vergangenen Jahrzehnt anhand der definierten Indikatoren dargestellt. In den Überschriften weisen die in Klammern gesetzten Zahlen auf die oben aufgestellte Nummerierung der Indikatoren hin. Die ersten drei Indikatoren beziehen sich auf die Anspruchsvoraussetzungen und werden im ersten Unterkapitel zusammenfassend behandelt. Ein Gesamtüberblick über die einzelnen Parameter und ihre Veränderungen findet sich in den Anhangtabellen zur Rentenversicherung (vgl. Tabelle I und II im Anhang).
5.1 Institutionelle Regelungen der Rentensysteme und ihre Reformen im Vergleich
111
5.1.1 Veränderungen der Anspruchsvoraussetzungen: Altersgrenzen (1), Wartezeiten (2) und Berechnungsgrundlage (3) In allen vier Systemen können bedeutsame Veränderungen festgestellt werden, die in Tabelle 5.3 überblicksartig dargestellt werden.42 Änderung der Altersgrenzen Die durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs geforderte Beseitigung geschlechtsspezifischer Altersgrenzen betraf vor allem Frauen.43 So gab Deutschland mit der Angleichung seiner Altersgrenzen die traditionelle Sichtweise auf, dass ein früheres Renteneintrittsalter für Frauen die Doppelbelastung durch Kindererziehung und Beruf kompensiere. Bei vorzeitiger Inanspruchnahme der Rente vor Erreichen der Regelaltersgrenze von 65 Jahren – die nach der 1992er Reform nun prinzipiell für Männer und Frauen gleichermaßen ab 63 Jahren möglich ist – sind Abschläge von 0,3 Prozent pro Monat in Kauf zu nehmen, die sich für zwei Jahre also auf 7,2 Prozent addieren (vgl. Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung 2004).
42
43
Übergangszeiten und deren Auswirkungen für verschiedene Rentenzugänge können hier nicht im Einzelnen behandelt werden. Generell werden diejenigen reformierten Regelungen dargestellt, die nicht mehr für Mischsysteme oder Übergänge gelten, d.h. also Regelungen für diejenigen, die vollständig vom neuen System betroffen sind. Zudem wird darauf verzichtet, Reformzwischenschritte darzustellen. Die Angleichung der Altersgrenzen erfolgte aufgrund eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil v. 26. Februar 1986, Rs. 152/84 – Marshall), wonach es unzulässig ist, eine Frau nur wegen Erreichens des Alters zu entlassen, in dem sie Anspruch auf staatliche Rente hat, wenn dieses Alter für Männer und Frauen unterschiedlich ist.
Anhebung für alle auf 65
Deutschland Keine Veränderung 65 bzw. 60 (langjährig Versicherte)
Frankreich
Keine Veränderung: 0,25 (1 trimestre)
Senkung von 15 auf 5
44
Anhebung von 37,5 auf 40
Anhebung von 35 auf 40
Abschaffung der Mindestbeitragszeit für die Einkommensrente 40 (volle Garantierente)
Abschaffung der Wartezeit für die Einkommensrente 3 (anteilige Garantierente)
Flexibilisierung Frühestens 61
Schweden
Es können lediglich Personen ab 57 in Rente gehen, die mindestens 35 Beitragsjahre vorweisen können (pensione di anzianità). Ihre Rente muss zudem mindestens das 1,2-fache der Mindestsicherung betragen. Ab 2008 gilt für diese Personen dann ein Mindestrentenalter von 60 Jahren, bis 2014 wird es für Männer auf 61 und ab 2014 auf 62 Jahre erhöht. Frauen können noch bis 2015 nach 35 Beitragsjahren im Alter von 57 in den Ruhestand wechseln – allerdings unter der Voraussetzung, dass ihre Rente allein nach den neuen Regelungen berechnet wird. Trotzdem können weiterhin Personen, die 40 Jahre Beitragszeit vorweisen, unabhängig vom Alter in Rente gehen (European Commission 2006c). Die Regelaltersgrenze für den Bezug einer Altersrente (pensione di vecchiaia) wurde für Personen, deren Rente ausschließlich nach dem neuen System berechnet wird, auf 65 für Männer und 60 für Frauen festgelegt (INPS 2005c).
Abschaffung der geschlechtsspez. Unterschiede: von 15 für Frauen auf allgemein 35
Mindestbeitragszeit in Jahren für den Bezug einer Altersrente vor gesetzl. Rentenalter
Keine Veränderung 5
5744 (langjährig Versicherte)
Anhebung und teilweise Flexibilisierung 65 (Männer) 60 (Frauen)
Italien
Veränderung der Anspruchsvoraussetzungen zwischen 1990 und 2005
Erforderliche Wartezeit in Jahren für den Bezug einer Rente
Regelaltersgrenze
Tabelle 5.3:
112 5 Rentensysteme und die materielle Lebenssituation älterer Menschen
Lohneinkommen während gesamter Versicherungszeit
Einführung eines Nachhaltigkeitsfaktors Reflexion des sich verändernden Verhältnisses zwischen Beitragszahlern und Rentnern
Einkommen aus der Versicherungskarriere
Zusätzliche Faktoren
Quelle: eigene Zusammenstellung
* 1 trimestre = 3 Monate
Keine Veränderung Alle Beitragsjahre
Anzahl der Beitragsjahre
Rentenberechnungsgrundlage
Keine Veränderung: Keine
Basissystem: Durchschnittl. preisbereinigter Bruttolohn der 25 besten Versicherungsjahre (vormals 10) Berufliches Zusatzsystem: Lohneinkommen während gesamter Versicherungszeit
Basissystem: Erhöhung der erforderlichen Versicherungsdauer von 150 auf 160 trimestres*
Einführung eines Transformationskoeffizienten Reflexion der Restlebenserwartung, Wahrscheinlichkeit Hinterbliebener sowie deren Leistungsbezug
Erhöhung von 5 letzten Jahren auf gesamte Erwerbskarriere Individuelle Beitragssumme (wird regelmäßig gemäß Entwicklung des nominalen BIP – Durchschnitt der letzten 5 Jahre – aufgewertet
Geringe Veränderung Von max. 40 Jahren auf alle Beitragsjahre
Einführung eines Annuitätsfaktors: Reflexion der Restlebenserwartung sowie wirtschaftl. Entwicklung („Norm“)
Erhöhung von 15 besten Jahren auf gesamte Erwerbskarriere Individuelle Beitragssumme (jährliche Verzinsung auf Grundlage des Einkommensindex’ (Reallohndurchschnitts- + Preisentwicklung)
Erhöhung der erforderlichen Versicherungsdauer von 30 auf alle Beitragsjahre
5.1 Institutionelle Regelungen der Rentensysteme und ihre Reformen im Vergleich
113
114
5 Rentensysteme und die materielle Lebenssituation älterer Menschen
In Italien und Schweden wurden die Altersgrenzen ebenfalls flexibilisiert. Die 1995 in Italien eingeführte Flexibilisierung gilt allerdings nur für Personen, die mindestens 35 Beitragsjahre vorweisen können und deren Rente mindestens das 1,2-fache der Mindestsicherung beträgt (pensione di anzianità).45 Für alle übrigen Rentner gelten für die Altersrente (pensione di vecchiaia) weiterhin geschlechtsspezifische Altersgrenzen, die aber angehoben wurden: Männer dürfen ab 2008 erst mit 65, Frauen hingegen bereits mit 60 in den Ruhestand wechseln (Franco 2002; INPS 2005b). Mit der Flexibilisierung der Altersgrenze in Schweden soll den Menschen freigestellt werden, den Zeitpunkt des Wechsels in den Ruhestand selbst zu bestimmen. Allerdings fallen die Leistungen umso niedriger aus, je früher man in Rente geht, während eine Verlängerung der Erwerbstätigkeit mit einer Erhöhung des Rentenanspruchs verbunden ist. Damit soll die Chance geboten werden, Verluste, die aufgrund der Einbeziehung der demografischen Entwicklung in die Leistungsberechnung entstehen können, durch eine längere Lebensarbeitszeit zu kompensieren. Problematisch an der Erhöhung der Altersgrenzen ist allerdings, dass der Arbeitsmarkt Erwerbsmöglichkeiten für ältere Arbeitnehmer oftmals gar nicht ausreichend zur Verfügung stellt.46 Überdies hat die Verlängerung der Erwerbsarbeitszeit höchst ungleiche, nämlich schichtspezifische Folgen. Sie bedeutet nämlich, dass Personen mit geringer Lebenserwartung überproportional von der Verkürzung der Rentenbezugsdauer betroffen sind. Da Männer und Personen aus unteren sozialen Schichten eine niedrigere Lebenserwartung haben, trifft diese Gruppen die neue Stoßrichtung der Reformen in besonderem Maße (vgl. z.B. Lauterbach et al. 2005). Erforderliche Warte- und Mindestbeitragszeiten Mit der Einführung der flexiblen Altersgrenzen ist in Schweden für die Einkommensrente keine bestimmte Warte- und Mindestbeitragszeit mehr erforderlich. Die Antragsteller müssen aber mindestens 61 Jahre alt sein. Für den Bezug einer anteiligen Garantierente muss eine Mindest-Wohnsitzdauer von 3 Jahren nachgewiesen werden.47 Zudem kann die Garantierente nicht vor dem 65. Lebensjahr in Anspruch genommen werden (Anderson und Immergut 2007). Italien hat die Wartezeit für den Rentenanspruch von 15 auf nunmehr 5 Jahre Beitrags45
46
47
Galt 1995 noch eine flexibilisierte Altersspanne zwischen 57 und 65 Jahren als Voraussetzung für den Bezug einer solchen Rente für langjährig Versicherte, so wurden die Grenzen in späteren Reformen angehoben (vgl. Fn.43). Die Länder weisen große Differenzen auf, was die Erwerbsbeteiligung älterer Arbeitnehmer angeht: Im Jahr 2003 liegt die Erwerbstätigenquote der 55- bis 64-Jährigen in Italien bei 30,3 Prozent, in Deutschland bei 39 Prozent, in Frankreich bei 39,3 Prozent und in Schweden bei 69 Prozent (OECD 2004). Für den Bezug einer vollen Garantierente müssen 40 Jahre Wohnsitzdauer nachgewiesen werden.
5.1 Institutionelle Regelungen der Rentensysteme und ihre Reformen im Vergleich
115
zeit gesenkt, was insbesondere Frauen mit geringer Erwerbstätigkeit nun den Zugang zu staatlichen Renten eröffnet.48 In Frankreich und Deutschland gab es hinsichtlich der Zugangsvoraussetzungen weniger einschneidende Veränderungen. Versicherte, die vor der gesetzlichen Regelaltersgrenze in den Ruhestand wechseln wollen, müssen in Frankreich ab 2008 160 trimestres, also 40 statt wie bisher 37,5 Jahre, und in Deutschland – neuerdings geschlechtsunabhängig – 35 Jahre Beitragszeit vorweisen. Allerdings kann eine derartige Rente für langjährig Versicherte in Deutschland nur noch mit Abschlägen bezogen werden. In allen vier Ländern werden aber zusätzlich Berücksichtigungs- und Anrechnungszeiten anerkannt. Berechnungsgrundlage Sämtliche vier Rentensysteme kannten zu Beginn der 1990er Jahre Regelungen, die im Falle erwerbsloser Phasen für einen gewissen Ausgleich sorgten. Deutschland erreichte dieses Ziel über die Anerkennung bestimmter beitragsloser Phasen als beitragsäquivalente Zeiten.49 Während solche Zeiten auch in Frankreich und Italien rentenrechtlich anerkannt wurden, verfolgten beide Länder ebenso wie Schweden schwerpunktmäßig eine Strategie der Nichtberücksichtigung einkommensloser oder einkommensschwacher Zeiten. So legte Schweden der Rentenberechnung lediglich die 15 einkommensstärksten Jahre zugrunde, was insbesondere Frauen und andere Personen mit unstetigen Erwerbskarrieren begünstigte. In ähnlicher Form zogen Italien und Frankreich als Berechnungsgrundlage nur die letzten 5 bzw. 10 Berufsjahre heran, in denen das Einkommen in der Regel seinen Höhepunkt erreichte. Derartige Abweichungen vom versicherungstechnischen Äquivalenzprinzip wurden in allen vier Ländern im Zuge der Reformen der 1990er Jahre eingeschränkt. Dabei kamen je nach Ausgangslage zwei Strategien zum Zuge: a.
b.
48
49
die Verringerung oder Streichung der als beitragsäquivalent angerechneten Zeiten bzw. der Übergang zur Steuerfinanzierung solcher als versicherungsfremd bezeichneter Leistungen; die Erhöhung der Mindestbeitragszeit und/oder der Zahl leistungsrelevanter Versicherungsjahre bei der Ermittlung des Rentenanspruchs.
Mit dem Rentenbezug verknüpft sich auch das individuelle Recht auf eine Aufstockung auf ein Mindestniveau, so dass durch die Senkung der Mindestwartezeit mehr Menschen eine Mindestrente erhalten als zuvor. Allerdings wurden die Voraussetzungen für den Bezug der Mindestrente ebenfalls geändert (vgl. 5.1.5). Dazu gehörten beispielsweise Zeiten der Ausbildung oder des Lohnersatzes.
116
5 Rentensysteme und die materielle Lebenssituation älterer Menschen
Deutschland, das seit jeher der Ermittlung des Rentenanspruchs die gesamte Versicherungszeit zugrunde gelegt hatte, folgte der ersten Reformstrategie, indem es Anrechungszeiten für den Schul- oder Hochschulbesuch von ursprünglich dreizehn auf zunächst sieben, dann drei Jahre reduzierte. Ab 2009 wirken sich nur noch der Besuch einer Fachschule und berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen rentensteigernd aus. Allerdings wurden auf der anderen Seite neue Berücksichtigungs- und Beitragszeiten für Kindererziehung und häusliche Pflege eingeführt, so dass sich die Zielgruppe staatlicher Begünstigung im Rentensystem von den Mittelschichten zu den Frauen verlagerte. Schweden, Italien und Frankreich gingen nach dem zweiten Muster vor. Schweden betrachtet nun statt der 15 „besten“ Jahre ähnlich wie Deutschland die gesamte Erwerbskarriere als Grundlage der Rentenberechnung. Auch Italien stellte von der Berücksichtigung der fünf letzten Jahre auf die gesamte Erwerbsbiographie um, so dass die bisherige Privilegierung nach dem Senioritätsprinzip honorierter Versicherter beseitigt wurde. Frankreich hielt im Basissystem zwar an der.Zugrundelegung von „besten“ Versicherungsjahren fest, erhöhte aber die Anzahl von 10 auf nunmehr 25 Jahre. Zusätzlich zu diesen Änderungen legten Schweden, Italien und Deutschland nun der Rentenberechnung im Interesse der Sicherung der Nachhaltigkeit auch weitere Faktoren wie die demografische oder wirtschaftliche Entwicklung zugrunde.50 Zwar wurden all diese Reformen auch im Hinblick auf die Generationengerechtigkeit mit dem Ziel begründet, jüngere Generationen von der Rentenfinanzierung zu entlasten, aber damit ist auch verbunden, dass die heute Jüngeren als künftige Rentnergeneration mit erheblichen Leistungskürzungen zu rechnen haben. Insgesamt standen die Reformen der jüngsten Zeit in allen Ländern im Zeichen der Stärkung des versicherungstechnischen Äquivalenzprinzips. Allerdings finden sich im Gegenzug auch einige Maßnahmen, die der damit verbundenen Schwächung des Solidarprinzips entgegenwirken sollen. Dies betrifft vor allem Maßnahmen zur Aufwertung der Familienarbeit, die nun zunehmend als ein der Erwerbstätigkeit gleichwertiger Beitrag zur Sicherung der finanziellen Nachhaltigkeit der Rentensysteme anerkannt wird. Damit soll auch die eigenständige Alterssicherung von Frauen unterstützt werden. Auf beide Aspekte geht der folgende Abschnitt ein.
50
In Deutschland beeinflusst der Nachhaltigkeitsfaktor die Leistungshöhe nicht nur bei der erstmaligen Leistungsberechnung, sondern zusätzlich bei der jährlichen Anpassung laufender Renten (vgl. Kap. 5.1.3.)
5.1 Institutionelle Regelungen der Rentensysteme und ihre Reformen im Vergleich
117
5.1.2 Alterssicherung von Frauen und die Aufwertung der Familienarbeit (4) Der „gender gap“ in der Rentenversicherung Trotz der Zunahme der Frauenerwerbstätigkeit in den letzten Jahrzehnten bestehen in der Alterssicherung von Frauen noch immer bedeutende Defizite. Diese hängen nicht etwa mit diskriminierenden Bestimmungen der Rentensysteme, sondern gerade mit deren geschlechtsblinden Konstruktionsprinzipien zusammen, die den Rentenanspruch für Männer und Frauen gleichermaßen an die Erwerbsbiographie koppeln. Damit wird der unterschiedlichen Position beider Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt nicht Rechnung getragen, so dass die häufigere Unterbrechung der Erwerbstätigkeit, die höhere Teilzeitquote und die niedrigere Bezahlung von Frauen sich in bescheideneren Rentenansprüchen niederschlagen. Von entscheidender Bedeutung ist dann, in welchem Maße die Rentensysteme Kompensationsmechanismen vorsehen, die geschlechtsspezifische Unterschiede der Erwerbsbiographie teilweise ausgleichen, indem sie bestimmte Ausfallzeiten als beitragsäquivalent anerkennen. Ein „gender gap“ bei der Rentenhöhe ist in allen vier Untersuchungsländern festzustellen, aber das Ausmaß der Lücke variiert beträchtlich. In Schweden erhielten Frauen im Jahr 2003 durchschnittlich 70 Prozent der Rente der Männer, wenn neben der einkommensbezogenen Rente noch die Garantierente sowie der Wohnkostenzuschuss mitgerechnet werden, andernfalls 51 Prozent (Riksförsäkringsverket 2004). In Italien bestand im Jahr 2003 ein ähnliches Verhältnis: Inklusive der Mindestrente erhielten italienische Frauen 70 Prozent der Rente der Männer (INPS 2004). In Deutschland erreichten Frauen – wenn allein die Gesetzliche Rentenversicherung GRV betrachtet wird – im Jahr 2003 hingegen nur 56 Prozent der Rente der Männer (Verband Deutscher Rentenversicherungsträger 2005b). Wird die Grundsicherung mit einbezogen, dürfte der Anteil etwas höher liegen. Gegenüber dem Jahr 1993 hat sich damit eine leichte Verbesserung ergeben, denn damals erreichte die durchschnittliche Frauenrente lediglich 53 Prozent der mittleren Männerrente. In Frankreich gehen die Frauenrenten im Jahr 2001 trotz der vergleichsweise hohen Frauenerwerbstätigkeit auch nicht über das Niveau von ca. 56 Prozent der Männerrenten hinaus (Mesnard und Raynaud 2002; Raynaud 2003).51 Kompensationsmechanismen Alle hier untersuchten Rentensysteme kennen Regelungen, die auf eine Kompensation der aus Familien- oder Erziehungsarbeit resultierenden Sicherungslücken abzielen. Dazu gehört zum einen die rentenrechtliche Anerkennung von 51
Vgl. auch Tabelle 11 in Teil II des Rentenkapitels.
118
5 Rentensysteme und die materielle Lebenssituation älterer Menschen
Zeiten der Kindererziehung und zum zweiten die Berücksichtigung von Pflegezeiten. Bei der Anrechnung beitragsfreier Zeiten aufgrund von Familienarbeit ist von zentraler Bedeutung, ob die Leistungen additiv oder substitutiv zu einer Erwerbstätigkeit gewährt werden. Werden sie lediglich substitutiv anerkannt, so „bestraft“ das Rentenrecht die Ausübung bezahlter Arbeit (Nullmeier und Rüb 1993) und bietet somit einen Anreiz zum Verzicht auf Erwerbstätigkeit. Eine additive Anrechnung honoriert hingegen Erwerbsarbeit und fördert den schnellen Wiedereinstieg von Müttern in die Berufstätigkeit, weil sie ihre Rentenansprüche damit deutlich aufstocken können. In Deutschland stellt auch der Versorgungsausgleich für geschiedene Personen bzw. das mit der 2001er Reform eingeführte und dem Versorgungsausgleich nachempfundene freiwillige Rentensplitting einen wichtigen Kompensationsmechanismus dar, der Ehepartner auch dann an den während der Ehe erworbenen Rentenansprüchen beteiligt, wenn sie selbst keiner Erwerbstätigkeit nachgingen. Das neue Rentensplitting ist als eine Option alternativ zur traditionellen Hinterbliebenenversorgung vorgesehen.52 Die teilweise Anrechnung von Kindererziehungszeiten als Beitragsäquivalent wird in Deutschland schon seit den 1980er Jahren praktiziert.53 Frankreichs Rentenversicherung erkennt die Erziehungsarbeit sogar schon seit den 1970er Jahren an, allerdings nur in Form von Berücksichtigungszeiten bei der Berechnung der Wartezeit. Italien und Schweden haben ähnliche Anrechnungsmöglichkeiten erst Mitte der 1990er Jahre eingeführt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Anrechnungszeiten oder ähnliche Kompensationsmechanismen in beiden Ländern nicht als notwendig erachtet wurden, solange die Rentenberechnung nur die besten Jahre der Erwerbsbiographie berücksichtigte und damit Unterbrechungen der Erwerbskarriere rentenrechtlich nicht zum Tragen kamen. Tabelle 5.4 bietet einen Überblick über die zurzeit geltenden Kompensationsmechanismen.
52
53
Die hinter dem Rentensplitting stehende Idee ist die Aufteilung der innerhalb und außerhalb der Ehe erworbenen Rentenanwartschaften bei Rentenbeginn. Die in der Ehezeit erworbenen Rentenansprüche werden also als gemeinschaftliche Lebensleistung betrachtet. Am Splitting wird kritisiert, dass es in dieser Form im Prinzip keine echte eigenständige Sicherung für den begünstigten Ehepartner darstellt, da es erst nach Beendigung beider Versichertenkarrieren vorgesehen ist und somit die Höhe des eigenständigen Rentenanspruchs nicht mehr beeinflussen kann (vgl. Langelüddeke und Rabe 2001). Allerdings lediglich substitutiv, so dass bei gleichzeitiger Erwerbstätigkeit keine Aufstockung des Anspruchs erfolgte (Nullmeier und Rüb 1993).
5.1 Institutionelle Regelungen der Rentensysteme und ihre Reformen im Vergleich
Tabelle 5.4:
119
Kompensationsmechanismen 2004 Kompensationsmechanismen Kindererziehung
Pflege von Angehörigen
Deutschland
Für Geburten ab 1986: 1 Jahr (Bewertung mit 0,75 Entgeltpunkten pro Jahr (substitutiv)) Für Geburten ab 1992: 3 Jahre (Bewertung mit 1 Entgeltpunkt pro Jahr (additiv)), Aufwertung der Rentenansprüche um 50 % auf max. 100 % für Zeiten des geringen Verdiensts während Kindererziehung
Je nach geleisteten Beiträgen, die sich nach Stufe der Pflegebedürftigkeit und Umfang der Pflegetätigkeit richten (substitutiv)
Frankreich
Für Frauen: Wahl zwischen a) Erhöhung der Versicherungszeit um bis zu 8 trimestres pro Kind oder b) Verlängerung der Versicherungszeit um die Zeit, während der die Mutter in Elternurlaub war Für Männer: Verlängerung der Versicherungszeit um die Zeit, während der der Vater in Elternurlaub war Rentenaufstockung ab 3. Kind
Keine Kompensation
Italien
Nur für Frauen: Möglichkeit des früheren Renteneintritts von 4 Monaten pro Kind (max. 12 Monate) oder Erhöhung des Rentenanspruchs (additiv, gilt nur für berufstätige Frauen)
Ein Monat pro Jahr für Zeiten der Pflege eines Familienangehörigen (substitutiv, maximal 18 Monate)
Schweden
Für die ersten 4 Jahre im Falle einer oder mehrerer Geburten: Ersatz des Erwerbseinkommens mit Grundsicherungskomponente (75 % des Durchschnittseinkommens) oder additive Anrechnung
Keine Kompensation
Quelle: eigene Zusammenstellung
Kindererziehung Jahre der Kindererziehung werden in unseren Ländern heute in sehr unterschiedlicher Form berücksichtigt. Italien koppelt die Anrechnungsmöglichkeit explizit an die Ausübung einer Erwerbstätigkeit, so dass nur berufstätige Mütter einen Anspruch erwerben können, der sich aber nicht direkt rentensteigernd auswirkt, sondern lediglich bei der Berechnung der Wartezeit für eine Frühverrentung
120
5 Rentensysteme und die materielle Lebenssituation älterer Menschen
ohne Abschläge geltend gemacht werden kann. In Schweden können Eltern zwischen drei Methoden zur Berechnung ihrer Anwartschaften wählen.54 Je nach gewählter Variante ergeben sich unterschiedliche Anreize. So kann beispielsweise der Einkommensausfall kompensiert werden, der sich daraus ergibt, dass sich ein Elternteil für eine bestimmte Anzahl an Jahren der Erziehungsarbeit widmet. Aufgrund der Orientierung am vorherigen Einkommen soll für die in der Regel das höhere Erwerbseinkommen beziehenden Väter ein Anreiz geschaffen werden, die Auszeit in Anspruch zu nehmen. Deutschland hat jüngst seine jahrelange Praxis aufgegeben, Kindererziehungszeiten nur substitutiv für den Fall anzurechnen, dass die erziehende Person auf eine Erwerbstätigkeit verzichtet. Seit 2001 besteht unabhängig von der Beschäftigungssituation ein Anspruch auf die rentenrechtliche Gutschrift einer dreijährigen Auszeit sowie einer Aufstockung im Falle anschließender Teilzeitbeschäftigung der erziehenden Person bis zum 10. Lebensjahr des Kindes.55 Frankreichs Regelungen sind in punkto geschlechtsspezifischer Belohnung zweigeteilt: Die Addition zweier zusätzlicher Jahre pro Kind zur Versicherungsdauer kommt Müttern zugute; die einkommensgestaffelte Rentenaufstockung ab dem dritten Kind wird vom Vater und der Mutter beansprucht, so dass wegen des in der Regel höheren Verdienstes der Männer davon eher Väter profitieren. Prinzipiell setzt Frankreich auf die Begünstigung kinderreicher Familien unabhängig davon, ob ein Elternteil während der Erziehungszeit die Erwerbstätigkeit aufgibt oder nicht. Damit sind die Maßnahmen auch weniger auf die Überwindung traditioneller Rollenmuster angelegt als in Schweden. Pflege von Angehörigen Rentenrechtliche Ausgleichsmechanismen für Zeiten der Pflege von Familienangehörigen existieren in Deutschland und Italien, nicht aber in Schweden und Frankreich. In Italien gelten für Pflegezeiten dieselben Bedingungen wie bei den Kindererziehungszeiten, außer dass lediglich ein Monat Pflege pro Jahr als ren54
55
Nach Variante 1 bemisst sich die Anwartschaft nach der Differenz zwischen den Einkünften des Elternteils vor der Geburt und dem entsprechenden Einkommen im Kinderjahr. Je höher also das individuelle Einkommen vor der Geburt war, desto höher fallen die Anwartschaften aus. Die Anwartschaft nach Variante 2 ergibt sich aus der Differenz zwischen dem beitragspflichtigen Einkommen des Elternteils im Kinderjahr und 75 Prozent des allgemeinen Durchschnittseinkommens. Dies ist für Eltern mit keinem oder nur geringem Einkommen von Vorteil. Variante 3 fügt dem beitragspflichtigen Einkommen während des Kinderjahres einen Betrag in Höhe eines Grundbetrags hinzu. Diese additive Anrechnung begünstigt Eltern, die trotz der Geburt eines Kindes und anschließender Kinderbetreuung weiter erwerbstätig sind (Christensen 1999). Für Zeiten ab 1992, in denen aufgrund von Kindererziehung zwischen dem vierten und zehnten Lebensjahr eines Kindes weniger als der Durchschnittsverdienst erreicht wird, werden die geleisteten Beiträge um 50 Prozent auf maximal 100 Prozent des Durchschnittsverdiensts aufgestockt. Diese Maßnahme folgt den Regelungen der abgeschafften Rente nach Mindesteinkommen.
5.1 Institutionelle Regelungen der Rentensysteme und ihre Reformen im Vergleich
121
tenbegründende Pflegeleistung angerechnet wird. In Deutschland werden seit der Einführung der Pflegeversicherung 1995 für Pflegepersonen Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet. Deren Höhe richtet sich nach dem Umfang der Pflegetätigkeit und dem damit verbundenen Grad der Einschränkung der Erwerbsarbeit. Explizit werden somit Zeiten des Erwerbsausfalls kompensiert, die aufgrund der Einstufung der zu pflegenden Person in Pflegestufen angerechnet werden. Für Pflegezeiten gilt damit noch immer eine Substitutionslogik, während die Anerkennung von Kindererziehungszeiten inzwischen additiv erfolgt. Gilt eine gepflegte Person amtlich als nicht pflegebedürftig, so erhält die Pflege leistende Person auch bei Aufgabe der Erwerbstätigkeit keine Leistungen. Eltern haben hingegen unabhängig davon, ob sie ihr Kind selbst betreuen oder nicht, einen Anspruch auf die rentenrechtliche Gutschrift. Das deutsche Rentenrecht bewertet damit Zeiten der Kindererziehung höher als Pflegearbeit.
5.1.3 Indexierung der Leistungen (5) Das Niveau der Bestandsrenten hängt ganz wesentlich auch davon ab, ob und inwieweit die Renten an die Wirtschaftsentwicklung angepasst werden. Alle vier Untersuchungsländer haben in jüngster Zeit Maßnahmen getroffen, um im Indexierungsverfahren angelegte Wachstumstendenzen zu dämpfen. In Schweden werden die Renten an Wert verlieren, wenn sich die Löhne unterhalb der festgesetzten „Norm“ von 1,6 Prozent entwickeln.56 In Deutschland folgt die Indexierung zwar weiterhin der Lohnentwicklung, aber durch die modifizierte Anpassungsformel werden die Renten nur noch an die Entwicklung der um die Alterssicherungsbeiträge geminderten Bruttolöhne angepasst, was im Gegensatz zur reinen Bruttolohnindexierung einen verlangsamten Anstieg nach sich ziehen wird.57 Mit der Einführung des sog. Nachhaltigkeitsfaktors im Jahr 2004 werden die Leistungen darüber hinaus weniger stark ansteigen, wenn sich die quantitative Relation zwischen Erwerbstätigen und Rentenempfängern ungünstig entwickelt. Italien ist von einem Anpassungsmodus, der sowohl die Entwicklung der Löhne wie die der Lebenshaltungskosten berücksichtigte, zu einem reinen Inflationsausgleich übergegangen.58 Frankreich hat ebenfalls auf die Anpassung der 56
57 58
Folgende Regelung gilt in Schweden: Erreicht die Steigerung der Löhne die Höhe der „Norm“, so werden die Renten mit der Preissteigerungsrate angepasst; ist die Reallohnsteigerungsrate niedriger als die „Norm“, so erhalten die Rentner keinen vollen Ausgleich für die Inflation (Köhler 2004; Scherman 2004). Keinerlei Anpassung der Renten gab es bereits in den Jahren 2004 bis 2006 (vgl. Deutsche Rentenversicherung Bund 2006). Darüber hinaus findet alle zehn Jahre eine Prüfung der Entwicklung der Lebenserwartung und eventuelle Neuanpassung statt (vgl. Tabelle 3, letzte Zeile).
122
5 Rentensysteme und die materielle Lebenssituation älterer Menschen
Renten an die Lebenshaltungskosten umgestellt. Die folgende Tabelle 5.5 zeigt die Auswirkungen dieser Anpassungsregelungen, indem für einen Durchschnittsrentner die Veränderung der Nettoersatzrate (entnommen aus Tabelle 5.8, vgl. Kap. 5.1.6) im Zeitraum von 10 Jahren nach 2003 angegeben wird (Social Protection Committee 2004: 6). Deutlich wird hier, dass die Rentner überall Einbußen in Kauf zu nehmen haben, die in Deutschland aber geringfügiger sind als in den anderen drei Ländern. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass der im Jahr 2004 in Kraft getretene Nachhaltigkeitsfaktor in diese EU-Modellrechnung noch nicht einbezogen war. Tabelle 5.5
Aufgrund der Indexierung erwartete Veränderung der Nettoersatzrate zwischen 2003 und 2013 Indexierungsregelung
Erwartete Veränderung in Prozentpunkten
Deutschland
Gemäß Veränderungen des Bruttolohns gemindert um Beitragssätze für gesetzliche und private Alterssicherung
- 1.5
Frankreich
Basissystem: Veränderung der Lebenshaltungskosten
- 12.6
Berufliches Zusatzsystem: Entwicklung der Löhne und Gehälter gemindert um 1 Prozent, allerdings nie höher als Entwicklung des Preisniveaus Italien
Anstieg der Lebenshaltungskosten (degressiv gestaffelt)
Schweden
Entsprechend der durchschnittlichen Einkommensentwicklung nach Abzug von 1,6 Prozentpunkten („Norm“)
(- 14.2)* - 11.1
* Angabe nur für die erwarteten Veränderungen der Bruttoersatzrate möglich Quelle: Social Protection Committee 2004, eigene Zusammenstellung
5.1.4 Steuer- und Abgabenbelastung (6) Beim Vergleich von Bruttorenten ist die unterschiedliche Belastung der Rentner mit Steuern oder Sozialabgaben zu bedenken, die den Vergleich von Nettorenten als geeigneter erscheinen lässt. Wie sehr die jüngsten Reformen die steuerliche Belastung der Rentner verändert haben, zeigt die Tabelle 5.6.
123
5.1 Institutionelle Regelungen der Rentensysteme und ihre Reformen im Vergleich
Tabelle 5.6:
Besteuerung und Abgabenlast von Renteneinkommen, 1990 und 2005 Besteuerung
Sozialabgaben
1990
2005
1990
2005
Deutschland
Nur Ertragsanteil unterliegt Einkommensteuer (etwa 1/3 bzw. 1/4 der Rente), Grundfreibetrag
Nachgelagerte Besteuerung (nach Übergangsphase ab 2040 voll)
½ Krankenversicherung (KV)
½ KV und Pflegeversicherung (PV)
Frankreich
Einkommensteuer
Einkommensteuer sowie spezielle Sozialsteuer CSG (Ausnahmen für Rentner mit sehr wenig Einkommen) und Steuer zur Rückzahlung der Sozialversicherungsschulden RDS
Keine
Keine
Italien
Einkommensteuer; Abzugsbeträge für unterhaltsabhängige Personen + einkommensabhängige Freibeträge. Rentner, die ausschließlich die Mindestrente beziehen, sind befreit
Einkommensteuer; Abzugsbeträge für unterhaltsabhängige Personen + einkommensabhängige Freibeträge
Keine
Keine
Schweden
Einkommensteuer, spezieller Rentenfreibetrag für Renten unterhalb bis zu etwa 66,5 % des Mindestrentenniveaus
Einkommensteuer
Keine
Keine
Quelle: OECD (2005d), eigene Zusammenstellung
In Deutschland galt bis 2004, dass die Renten nicht in voller Höhe, sondern nur mit ihrem sog. Ertragsanteil der Einkommensbesteuerung unterlagen. Dieser Ertragsanteil war gesetzlich festgelegt und bestimmte sich nach dem Alter des Rentners bei Rentenbeginn. Bei einem 60-Jährigen betrug er beispielsweise 32 Prozent und bei einem 65-Jährigen 27 Prozent. Die meisten Rentner lagen damit unter dem steuerlichen Grundfreibetrag, so dass sie keine Steuern zahlen mussten. Mit dem Alterseinkünftegesetz 2004 gilt, dass nach einer langen Übergangsphase Alterseinkünfte im Alter voll besteuert werden, während die Beiträge in
124
5 Rentensysteme und die materielle Lebenssituation älterer Menschen
der Erwerbstätigenphase nun bis zu einem jährlichen Höchstbetrag unversteuert bleiben. Darüber hinaus müssen deutsche Rentner seit 1995 nicht nur den schon früher eingeführten halben Beitrag zur Krankenversicherung, sondern auch den zunächst nur halben, seit 2004 aber vollen Beitrag zur Pflegeversicherung zahlen. In Frankreich werden die Bürger mit den in den 1990er Jahren eingeführten Sozialsteuern (cotisation sociale généralisée CSG und contribution au remboursement de la dette sociale RDS) zusätzlich belastet, und in Schweden unterliegen die Renten neuerdings voll, d.h. ohne Anerkennung eines Grundfreibetrags, der Besteuerung.
5.1.5 Mindestsicherung (7) Fragen der Mindestsicherung finden in den jüngsten Reformdebatten zunehmend Beachtung. Das hängt damit zusammen, dass das Problem der Altersarmut zumindest in den nord- und kontinentaleuropäischen Ländern aufgrund des Ausbaus der Alterssicherungssysteme lange Zeit als gelöst galt, während sich seit den Rentenreformen der 1990er Jahre die Besorgnis verbreitet, Altersarmut könne künftig wieder verstärkt auftreten (Lamping und Rüb 2004; Viebrok et al. 2004). Dem liegt die Tatsache zugrunde, dass alle Untersuchungsländer die Mindestsicherung im Zuge der Reformen geschwächt haben, um die versicherungstechnische Äquivalenz von Beiträgen und Leistungen zu stärken. Da Niedrigrenten insbesondere von Frauen bezogen werden, sind sie von diesen Reformen in besonderem Maße betroffen. In Italien gab es bis zur Reform eine Mindestrente, die auf einer individuellen Einkommensprüfung basierte. Seit Mitte der 1990er Jahre wird für die Anspruchsberechtigung der Zugangsrentner zusätzlich das Einkommen des Ehepartners berücksichtigt. Versichertenzugänge ab 1996 haben überhaupt keinen Anspruch mehr auf die Mindestrente, sondern werden lediglich durch die Sozialhilfe abgesichert sein.59 Schweden hat die ehemals universelle Volksrente durch eine einkommensgeprüfte Garantierente ersetzt. Damit hat das Land die Abkehr von einem Solidaritätsverständnis vollzogen, das allen Staatsbürgern unabhängig von einer Bedürftigkeit den Anspruch auf eine Grundsicherung im Alter zusicherte. 2003 wurde für mittellose Personen, die keinen Anspruch auf die Garantierente haben (vor allem Einwanderer), eine zusätzliche, bedürftigkeitsgeprüfte Leistung eingeführt. Zudem werden in vielen Fällen Wohnkostenzuschüsse gewährt.
59
Darunter fallen der assegno sociale und die maggiorazioni sociali. Beide Maßnahmen sind nur für Rentner bestimmt, die die italienische Staatsbürgerschaft besitzen und mindestens 65 Jahre bzw. im Fall der maggiorazioni 70 Jahre alt sind.
5.1 Institutionelle Regelungen der Rentensysteme und ihre Reformen im Vergleich
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Das deutsche Rentenrecht sah nie eine systemimmanente allgemeine Grundsicherung vor, weil die Mindestsicherung stets als Aufgabe der Sozialhilfe galt. Für Beitragszeiten vor 1992 war allerdings die Aufstockung der Beiträge vorgesehen, falls 35 Versicherungsjahre vorlagen und das beitragspflichtige Erwerbseinkommen unter der Grenze von 75 Prozent des Durchschnittsverdiensts blieb. Seit 1992 gilt diese Regelung nur noch eingeschränkt für Niedrigeinkommen aufgrund von Kindererziehung, so dass sich geringe Erwerbseinkommen in der Mehrzahl der Fälle wieder unmittelbar in Niedrigrenten übersetzen. Allerdings besteht bei geringfügigem oder gar nicht vorhandenem Renteneinkommen für alte Menschen seit 2003 ein Anspruch auf die neu eingeführte bedarfsorientierte Grundsicherung, die seit 2005 ins Sozialhilferecht integriert ist. Im Gegensatz zur herkömmlichen Sozialhilfe bleiben Einkommen von Kindern bis zu 100.000 Euro pro Kind aber unberücksichtigt, so dass hier eine Verlagerung der Fürsorgepflicht von der Familie auf den Staat erfolgte. Frankreich setzt beim sog. minimum vieillesse auf einen Mix aus beitragsabhängiger Mindestsicherung und bedürftigkeitsgeprüfter Solidarleistung. Der Anspruch auf Letztere ist vom Hauhaltseinkommen eines Paares abhängig und insofern kein Individualrecht. Die Kaufkraft des – beide Mindestleistungen umfassenden – minimum vieillesse nimmt aufgrund der Indexierungsweise, die der Regelung der Indexierung der Basisrente folgt, seit Jahren kontinuierlich ab. Damit verringert sich seit längerem auch das Verhältnis zum gesetzlichen Mindestlohn Salaire minimum interprofessionnel de croissance (SMIC), so dass die Renten auch hinter den Erwerbseinkommen im Niedriglohnbereich zurückbleiben (Kohler 2005). Die sog. Fillon-Reform des Jahres 2003 sieht nun vor, Arbeitnehmern, die 40 Jahre lang für den gesetzlichen Mindestlohn SMIC gearbeitet haben, ab 2008 eine Rente in Höhe von mindestens 85 Prozent des SMIC zu garantieren.
126
5 Rentensysteme und die materielle Lebenssituation älterer Menschen
Tabelle 5.7:
1
Regelungen der Mindestsicherung für ältere Menschen (etwa 2005) Art der Einkommensgarantie
Leistungsberechtigte
Bedürftigkeits-/ Einkommensprüfung
Höhe der Leistung (in % des durchschnittlichen nationalen Bruttogehalts)60
Deutschland
Bedarfsgeprüfte Grundsicherung
Personen älter als 65
Ja (Bedürftigkeit)
22
Frankreich
Mindestrente und Sozialzuschlag (allocation de solidarité aux personnes âgées)
Personen älter als 65
Ja (Mindestrente: Einkommen, Sozialzuschlag: Bedürftigkeit)
31
Italien1
Sozialzuschlag (assegno sociale bzw. maggiorazioni sociali)
Bürger älter als 65 bzw. 70
Ja (Bedürftigkeit)
25 bzw. 32
Schweden
Garantierente und Sozialbeihilfe
Personen älter als 65
Ja (Garantierente: Einkommen, Sozialbeihilfe: Bedürftigkeit)
max. 33 bzw. 23
Regelung für Versicherte ab 1996
Quelle: European Commission (2006b); OECD (2005d; 2005e)
Der Grundtenor der Reformen lief in allen hier untersuchten Ländern darauf hinaus, die Leistungen stärker an die Beitragszahlungen zu koppeln und so das versicherungstechnische Äquivalenzprinzip zu stärken. Durch die Bedürftigkeitsbzw. Einkommensprüfung der Leistungen werden niedrige Renten nicht mehr per se aufgestockt, sondern im Zusammenhang mit dem Hauhaltseinkommen betrachtet. Da es in allen vier Ländern vor allem Frauen sind, die niedrige Renten beziehen, hat diese scheinbar geschlechtsblinde Neuregelung insbesondere für sie negative Konsequenzen. In Italien verhalf die Mindestrente Frauen bis zur Reform zu einem ausreichenden eigenen Renteneinkommen, während sie heute aufgrund der Zugrundelegung des Haushaltseinkommens bei der Anspruchsermittlung wieder in größerem Ausmaß vom Ehegatten abhängig sind (Saraceno 60
Dadurch, dass es in den Ländern zusätzliche Beihilfen für ältere Menschen gibt (z.B. Sachleistungen, Wohngeld, etc.), die hier nicht aufgeführt sind, können keine vergleichenden Rückschlüsse auf tatsächliche Einkommensniveaus durch die Mindestsicherung gezogen werden (European Commission 2006b).
5.1 Institutionelle Regelungen der Rentensysteme und ihre Reformen im Vergleich
127
2004). Auch in Deutschland funktioniert die bedarfsorientierte Grundsicherung nach dieser Logik, jedoch bleiben nun bei der Anspruchsermittlung immerhin die Einkommen der Kinder unberücksichtigt. In Frankreich blieb die Mindestrente zwar institutionell unverändert, aber vom damit verbundenen Zurückbleiben hinter der Preis- und Lohnentwicklung waren wiederum insbesondere Frauen betroffen, die den Großteil der Bezieher der Mindestrente stellen (Tourne 2000; Veil 2002). Meist handelt es sich dabei um Hinterbliebene oder geschiedene Personen. Schweden garantiert Personen mit geringen Renten zwar immer noch eine Grundsicherung, aber die ehedem universell für alle Staatsbürger gewährte Leistung wurde durch die Bindung an eine individuelle Einkommensprüfung verwässert. Die französischen und schwedischen Formen der Mindestsicherung tragen dennoch zur eigenständigen Sicherung älterer Menschen (und insbesondere älterer Frauen) in stärkerem Maße bei als die deutschen und italienischen Regelungen, die den Anspruch auf Mindestsicherung in stärkerem Maße vom Haushaltseinkommen abhängig machen, so dass die wirtschaftliche Abhängigkeit vom Hauptverdiener – also in der Regel vom Mann – größer ist.
5.1.6 Leistungen In diesem Abschnitt geht es um das Leistungsniveau der gesetzlichen Rentensysteme, seine Veränderung seit den 1990er Jahren und seine prognostizierte Entwicklung bis zum Jahr 2050. Dabei greifen wir sekundäranalytisch auf vorhandene Studien zum Vergleich der Lohnersatzraten zurück, die zeigen, wie hoch die Renten im Vergleich zum vorher erzielten Erwerbseinkommen sind. Ersatzraten der Rentensysteme Ersatzraten setzen die Höhe der Rente zum Zeitpunkt des Renteneintritts ins Verhältnis zum individuellen Verdienst des Vorjahres. Damit soll gezeigt werden, in welchem Maße es die Rentensysteme den Ruheständlern ermöglichen, ihren vorherigen Lebensstandard als Erwerbstätige aufrechtzuerhalten. Der Berechnung wird ein hypothetischer Rentner mit bestimmten Verdienst sowie typischer Erwerbskarriere zugrunde gelegt. Je nach Ausgestaltung des Rentensystems werden überdies spezifische Annahmen bezüglich der wirtschaftlichen und demografischen Entwicklung berücksichtigt (Social Protection Committee 2004). Derartige Vergleiche des Rentenanspruchs des sog. Standardrentners sind aus vielerlei Gründen nicht unproblematisch. Vor allem lassen sie die Frage offen, inwieweit der zugrunde gelegte Standardrentner repräsentativ für die tatsächliche Rentnerpopulation ist. Oft weisen nur wenige Erwerbstätige das Profil auf, das den Modellannahmen für den Standardrentner zugrunde liegt, nämlich
128
5 Rentensysteme und die materielle Lebenssituation älterer Menschen
eine langjährige Erwerbsbiographie von – je nach Land – 35 bis 45 Jahren sowie lebenslanger Bezug des Durchschnittseinkommens aller Versicherten.61 Darüber hinaus sind neben den unterschiedlichen Besteuerungsregeln für Renten auch die unterschiedlichen Zielsetzungen der nationalen Rentensysteme zu beachten, die in verschiedenem Maße auf die Mindestsicherung oder die Lebensstandardsicherung zugeschnitten sein können. Trotz dieser Einwände gibt der Vergleich von Nettoersatzraten einen guten ersten Überblick über die Gestaltung rentenrechtlicher Leistungen für bestimmte Modellfälle, solange man sich vor Augen hält, dass diese Modellfälle keineswegs als für das jeweilige Land typisch gelten können. Wir stützen uns hier auf die einschlägigen Versuche zweier internationaler Organisationen, nämlich der OECD und der Europäischen Kommission, die seit Jahren um die Erstellung möglichst vergleichbarer Informationen auf der Grundlage nationaler Berichte ihrer Mitgliedsländer bemüht sind (European Communities – Commission 1993; OECD 2005d; Social Protection Committee 2004). Die Angaben für die Jahre 1990 und 2003 in Tabelle 5.8 sind nicht vergleichbar, weil für die beiden Jahre unterschiedliche Modellannahmen gemacht wurden. Während sich die Zahlen für 1990 allein auf die erste Säule im Privatsektor beziehen, berücksichtigen die Angaben für 2003 darüber hinaus auch die Betriebsrenten. Nähere Angaben zu den für beide Jahre getroffenen Modellannahmen finden sich in den Anmerkungen zur Tabelle.62
61
62
Aufgrund fehlender Daten sind wir leider nicht in der Lage, für alle Länder nachzuvollziehen, wie typisch der Standardrentner ist. Einige Angaben verdeutlichen jedoch dessen geringe Repräsentativität insbesondere hinsichtlich der Frauen: In Deutschland betrug die durchschnittliche Anzahl der Versicherungsjahre (inklusive beitragsfreier Zeiten!) des Rentenzugangs des Jahres 2003 für Männer 39,5 (West) bzw. 44,5 (Ost) und für Frauen 25 (West) bzw. 41 (Ost). Zum Vergleich: Im Rentenzugang des Jahres 1991, der zum größten Teil noch zum derzeitigen Rentenbestand gehören dürfte, betrug die durchschnittliche Anzahl der Versicherungsjahre in den alten Bundesländern für Männer 37,1 und für Frauen 23,3. Vom Rentenbestand des Jahres 2004 erreichten nur etwa 60 Prozent der Männer in den alten Bundesländern durchschnittlich 1 oder mehr als 1 Entgeltpunkt pro Versicherungsjahr. M.a.W.: 40 Prozent aller männlichen Rentner erreichen das hypothetische Niveau des Standardrentners nicht; bei den Frauen in den alten Bundesländern bleiben sogar fast 85 Prozent hinter den Modellannahmen zurück. Die Geburtskohorte des Jahres 1939 beantragte im Durchschnitt im Alter von 62,5 eine Altersrente (Verband Deutscher Rentenversicherungsträger 2005a; 2005b). In Frankreich konnten im Jahr 2001 lediglich 85 Prozent der 65- bis 69-Jährigen Männer und 39 Prozent der Frauen im gleichen Alter die erforderliche Mindestbeitragszeit von – damals – 37,5 Jahren für den Bezug der Basisrente der ersten Säule vorweisen (Europäische Kommission 2005b). Die schwedische Zahl für 1993 haben wir nationalen Quellen entnommen, da das Land Anfang der 1990er Jahre noch nicht der EU angehörte und somit in Berichten der Europäischen Kommission noch nicht berücksichtigt wurde. Die Modellannahmen sind aber vergleichbar, weil es sich auch im schwedischen Fall um Angaben für den hypothetischen Standardrentner mit langer Versicherungsbiographie und durchschnittlichem Verdienst handelt (vgl. Lißner und Wöss 1999).
129
5.1 Institutionelle Regelungen der Rentensysteme und ihre Reformen im Vergleich
Tabelle 5.8:
Nettorente im ersten Bezugsjahr in Prozent der durchschnittlichen Nettoeinkommen im Jahr vor dem Ruhestand (Nettoersatzrate), 1990 und 2003 Nettoersatzrate 1990
2003
Deutschland
77
76,1
Frankreich
88
78,8
Italien
89
88,9
Schweden
(71)
74,6
Erläuterung: Den Ersatzraten von 1990 liegen folgende Annahmen zugrunde: Die Berechnung wurde auf den Zeitpunkt des Rentenzugangs sowie auf Erwerbstätige im Privatsektor beschränkt. Zugrunde gelegt wurde eine volle Erwerbsbiographie (je nach Definition des nationalen Systems: für Deutschland 45 Jahre, für Italien 35 Jahre, für Frankreich 37,5 Jahre). Lediglich die erste Säule wurde einbezogen, zusätzliche Mindestsicherungselemente außer Acht gelassen. Die Ersatzraten für 2003 weichen insofern von den Annahmen für 1990 ab, als dass Renteneinkommen aus betrieblichen Alterssicherungssystemen ebenfalls berücksichtigt werden und die zugrunde gelegte Erwerbskarriere für alle Länder einheitlich ist. Die 2003er Ersatzrate wird für einen nicht verheirateten, stets vollzeitbeschäftigten Erwerbstätigen, der vor 40 Jahren in das Erwerbsleben eintrat und heute in den Ruhestand geht, angegeben. Das Renteneintrittsalter ist 65. Die französischen Angaben beziehen sich auf die Situation vor Inkrafttreten der FillonReform des Jahres 2003. Quelle: European Communities – Commission (1993); Lißner und Wöss (1999); Social Protection Committee (2004).
Ländervergleich Im Jahr 1990 gewährten Italien und Frankreich ein deutlich höheres Rentenniveau als Deutschland und Schweden. Das vergleichsweise niedrige Niveau der deutschen Renten geht wohl auf die Eigenheiten der deutschen Rentenformel zurück, der mit der breiten Berücksichtigung der gesamten Erwerbsbiographie eine Vorzugsbehandlung bestimmter Phasen des Erwerbslebens fremd ist. Im Gegensatz dazu führte die ausschließliche Zugrundelegung der letzten fünf Berufsjahre in Italien zu einer besonders günstigen Berechnung, weil geringere Verdienste zu Beginn des Berufslebens ebenso unberücksichtigt blieben wie langjährige Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit. Ähnliches gilt für Frankreich, wo die Rentenformel zu Beginn der 1990er Jahre nur die zehn einkommensstärksten Erwerbsjahre zugrunde legte.63 Im Jahr 2003 hat sich an der Rangfolge der Länder trotz 63
Für die Berechnung der Modellrenten sollten diese Unterschiede insofern irrelevant sein, als für den Standardrentner in jedem Falle der Bezug des Durchschnittsverdiensts aller Versicherten unterstellt wird. Allerdings rechnen das französische und das italienische System in der
130
5 Rentensysteme und die materielle Lebenssituation älterer Menschen
der nun erfolgten Berücksichtigung von Betriebsrenten nur wenig verändert. Italien hat nach wie vor die günstigsten Regeln für Rentner, die die Modellannahmen erfüllen, während Frankreich bei geschrumpftem Abstand zu den anderen Ländern immer noch auf Platz 2 rangiert. Zu berücksichtigen ist dabei, dass sich die im Modelfall unterstellte Erwerbsdauer für Deutschland um 5 Jahre reduzierte, während sie sich in Italien und Frankreich um 5 bzw. 2,5 Jahre erhöhte. Die folgende Tabelle zeigt, welche Nettoersatzraten für das Jahr 2050 prognostiziert werden. Durch den Vergleich zweier Quellen macht sie überdies deutlich, wie sehr die Prognosen von den getroffenen Modellannahmen abhängen. Während sich die Projektion der Europäischen Kommission auf die erste und zweite Säule einschließlich der Betriebsrenten bezieht, berücksichtigt die OECDPrognose Betriebsrenten nur dann, wenn sie für mindestens 90 Prozent der Versicherten gelten (OECD 2005d: 40). Den EU-Berechnungen zufolge können deutsche und italienische Rentner, welche die Modellannahmen für den Standardrentner erfüllen, bis 2050 sogar mit einem Anstieg des Nettorentenniveaus rechnen, wenn man die Betriebsrenten mit einbezieht. Der Projektion liegen hier allerdings sehr optimistische Annahmen bezüglich der künftigen Verbreitung von Betriebsrenten zugrunde, und für Deutschland rechnet der noch vor Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors verfasste Bericht überdies mit sinkenden Nettolöhnen und -gehältern infolge steigender Rentenversicherungsbeträge (Social Protection Committee 2004: 18). Für Schweden und Frankreich wird hingegen eine deutliche Senkung des Rentenniveaus prognostiziert, die sich im Falle Schwedens sogar auf fast 20 Prozentpunkte beläuft. Das hängt in Schweden u.a. damit zusammen, dass Betriebsrenten dort schon heute fast flächendeckend verbreitet sind, so dass mit einem künftigen Wachstum kaum mehr zu rechnen ist. Überdies wird erwartet, dass die Reformen mit der Einführung des Annuitätsfaktors, der der zunehmenden Langlebigkeit Rechnung trägt, sowie der Umstellung der Rentenformel auf die Berücksichtigung der gesamten Erwerbsbiographie spürbar greifen werden. Der Annuitätsfaktor bewirkt u.a., dass die Lohnersatzrate der Renten umso stärker sinkt, je höher die Lebenserwartung der in den Ruhestand wechselnden Alterskohorten ist. Damit geht die steigende Lebenserwartung nicht mehr wie zuvor zulasten der schwedischen Rentenversicherung. Bliebe die Lebenserwartung zwischen 2003 und 2050 konstant, so würde das schwedische Rentenniveau den Projektionen zufolge im Jahr 2050 nicht auf 55,7 Prozent, sondern lediglich auf 62.8 Prozent sinken (Social Protection Committee 2004: 41). Für Frankreich geht die Projektion auf die Entwicklung der Betriebsrenten nicht ein, so dass die Daten allein die erwartete Entwicklung der ersten Säule widerspiegeln. Rentenformel nicht mit Entgeltpunkten, sondern mit Geldwerten, so dass der Bezug auf die besten oder letzten Jahre die günstige Reallohnentwicklung erfasst.
5.1 Institutionelle Regelungen der Rentensysteme und ihre Reformen im Vergleich
Tabelle 5.9:
131
Nettorente im ersten Bezugsjahr in Prozent der durchschnittlichen Nettoeinkommen im Jahr vor dem Ruhestand (Nettoersatzrate), 2050 Nettoersatzrate*
Quelle
EU: Erste und breit definierte zweite Säule
OECD: Erste und eng definierte zweite Säule
2003
2050
2050
Deutschland
76.1
83.6
71.8
Frankreich
78.8
66.2
65
Italien
88.9
94.2
88
Schweden
74.6
55.7
68.2
* Der EU-Projektion liegen folgende Annahmen zugrunde: 40 Jahre Vollzeitbeschäftigung mit jährlich 100%igem Durchschnittsverdienst, Renteneintrittsalter: 65, Renteneinkommen aus der ersten und zweiten Säule des Rentensystems, verschiedene Lohnwachstumsraten je Land zwischen 2000 und 2050 (DE: 1.8; FR: 1.7; IT: 1.8 und SE: 1.8), verschiedene BIP-Wachstumsraten je Land (DE: 1.4; FR: 1.7; IT: 1.4; SE: 1.8), Inflationsrate von 2 Prozent, reale Rendite: 2 Prozent (ohne Verwaltungskosten und Steuern), Daten über zukünftige Beschäftigungsquoten und demografische Projektionen von der Arbeitsgruppe „Working Group on Ageing“ (Report „Budgetary Challenges posed by Population Ageing“), Einkommensteuer- und Sozialabgabengrenzen steigen im selben Ausmaß wie die Einkommen (Social Protection Committee 2004). Der OECD-Projektion liegen folgende Annahmen zugrunde: Vollzeitbeschäftigung mit jährlich 100%igem Durchschnittsverdienst, „volle Berufskarriere“, Renteneintrittsalter je nach gesetzlich festgelegtem Eintrittsalter, einbezogen sind alle obligatorischen Rentensysteme für Erwerbstätige im Privatsektor, unabhängig davon, ob sie öffentlich oder privat sind. Systeme, die quasi alle Versicherten umfassen, wurden auch integriert (z.B. betriebliches System in Schweden, das ca. 90 Prozent umfasst) ebenso wie Elemente der Mindestsicherung älterer Menschen. Reales Lohnwachstum 2 Prozent/Jahr, Steuer- und Sozialabgaben für Rentner nach den 2002 geltenden Regelungen, Preisinflation 2.5 Prozent, reale Rendite auf kapitalfundierte Rente 3.5 Prozent pro Jahr, Diskontsatz 2 Prozent pro Jahr (OECD 2005d). Quelle: Social Protection Committee (2004), OECD (2005d)
Die OECD-Projektion kommt zwar zu ähnlichen Resultaten bezüglich der Rangfolge der Länder im Jahr 2050, prognostiziert aber insbesondere für Deutschland – wohl wegen der engeren Definition von Betriebsrenten – ein wesentlich niedrigeres Nettorentenniveau als der EU-Bericht.64 Für Schweden erwartet sie hingegen ein höheres Niveau, das nicht, wie im EU-Dokument, knapp 28 Prozentpunkte, sondern lediglich knapp vier Prozentpunkte unter dem deutschen Niveau 64
Der neu eingeführte Nachhaltigkeitsfaktor blieb auch in der OECD-Berechnung noch unberücksichtigt.
132
5 Rentensysteme und die materielle Lebenssituation älterer Menschen
liegen wird. Insofern sind die Daten aus verschiedenen Quellen zu inkonsistent, um ein eindeutiges Urteil darüber zu erlauben, welches Land die Rentenversicherung in jüngster Zeit am einschneidendsten reformiert hat Für die Entwicklung des Bruttorentenniveaus präsentiert der EU-Bericht differenziertere Zahlen, die zeigen, mit welcher Entwicklung für die beiden Säulen getrennt zu rechnen ist (s. Tabelle 5.10). Das macht deutlich, dass für die erste Säule ausnahmslos für alle Länder mit Absenkungen des Rentenniveaus gerechnet wird, die in Schweden und Italien aber drastischer ausfallen werden als in Deutschland und Frankreich. Deutlich wird hier auch, dass die für Deutschland und Italien erwartete Steigerung des Nettorentenniveaus (vgl. Tabelle 9) auf das in der Berechnung unterstellte Sinken der Nettolöhne sowie auf den unterstellten Wachstumseffekt der Betriebsrenten zurückzuführen ist, für den im Falle Frankreichs keine Erwartungen formuliert wurden, während im schwedischen Fall ein praktisch konstantes Gewicht der Betriebsrenten unterstellt wird. Tabelle 5.10:
Erwartete Entwicklung des Bruttorentenniveaus
2003
2050
Veränderung in Prozentpunkten
1. Säule
2. Säule
Insgesamt
1. Säule
2. Säule
Insgesamt
Deutschland
44,6
5,5
50,1
37,8
12,8
50,5
Frankreich
65,0
k. A.
65,0
56,8
k. A.
Italien
79,6
0
79,6
64,6
19,5
57
13,9
70,9
40,1
14,2
Schweden
1. Säule
2. Säule
Insgesamt
-6,8
7,3
0,4
56,8
-8,2
k. A.
-8,2
84,1
-15
19,5
4,5
54,4
-16,9
0,3
-16,5
Quelle: Social Protection Committee (2004)
Ausdehnung der zweiten und dritten Säule In allen vier Ländern wird das künftige Einkommensniveau der Rentner davon abhängen, wie stark die Leistungssenkungen in der ersten Säule durch den Aufbau betrieblicher oder privater Vorsorgeformen abgepuffert werden. Deutschland, Frankreich und Italien haben zur Förderung der Privatvorsorge und zur partiellen Kompensation der Rentenkürzungen diverse Formen der Subventionierung eingeführt. Da die Vorsorge in Deutschland freiwillig ist, nehmen breite Bevölkerungsschichten die Förderung bislang aber nicht in Anspruch.65 Dabei handelt es sich gerade um die Gruppen, die von den Leistungseinbußen am meisten betroffen sein 65
Ende 2005 hatten knapp 6 Millionen Förderberechtigte die so genannte Riester-Rente abgeschlossen. Ihr Anteil an den aktiv Versicherten insgesamt (ca. 33 Millionen) macht daher etwa 18 Prozent aus.
5.2 Die materielle Lebenssituation älterer Menschen
133
werden, nämlich Geringverdiener, Personen mit unterbrochenen Erwerbskarrieren und insbesondere Frauen. Auch in Frankreich ist die Inanspruchnahme der steuerlichen Förderung freiwillig. Derzeit zahlen etwa 10 Prozent der Franzosen in eine betriebliche und etwa 8 Prozent in eine private Zusatzsicherung, die steuerlich gefördert wird (vgl. The Social Protection Committee 2005). Italien hat im Jahr 2004 den Transfer der sog. TFR-Beiträge zu Pensionsfonds verpflichtend gemacht.66 Allerdings können bislang nur Beschäftigte aus Branchen, in denen es betriebliche Fonds gibt, ihre Beiträge transferieren, dies entspricht gerade mal 40 Prozent der abhängig Beschäftigten (Rürup und Gruescu 2004). Die gesamten Basis-Informationen zu den institutionellen Regelungen der Rentensysteme und deren Veränderungen im internationalen Vergleich fassen die Tabelle I und Tabelle II im Anhang noch einmal in übersichtlicher Form zusammen.
5.2 Die materielle Lebenssituation älterer Menschen 5.2.1 Vorgehensweise und Datenlage In diesem Abschnitt geht es um drei Ziele. Erstens wird untersucht, wie sich die institutionellen Regelungen zur Rentenversicherung in individuelle Renteneinkommen übersetzen. Besondere Beachtung findet dabei die Situation von Frauen. Zweitens wird der Beitrag der Renten zum Haushaltseinkommen älterer Menschen geklärt. Drittens wird die Einkommensverteilung unter älteren Menschen unter besonderer Berücksichtigung der Einkommensarmut analysiert. Dabei soll auch geklärt werden, welche Risikogruppen besonders anfällig für Altersarmut sind. Ergänzt wird der Abschnitt schließlich um einen kurzen Exkurs über die finanziellen Transfers von erwachsenen Kindern an ihre im Ruhestand lebenden Eltern. Die genaue Verknüpfung von institutionellen Regelungen im Rentensystem mit der materiellen Lebenssituation ist aus zwei Gründen schwierig: Zum einen wirken sich die meisten Änderungen der Rentenversicherung erst in der Zukunft aus. So haben die gravierenden Rentenreformen der letzten 15 Jahre für heutige Rentenempfänger, abgesehen von der Mindestsicherung und den Regelungen zur 66
Eine Besonderheit des italienischen Systems der Alterssicherung stellt der sog. Trattamento di fine rapporto (TFR) dar. Es handelt sich um eine Abfindung, die am Ende eines Beschäftigungsverhältnisses vom Arbeitgeber gezahlt wird. Dafür werden 6,91 Prozent des jährlichen Bruttogehaltes des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber beiseite gelegt. Die Neuregelung sieht einen Transfer dieser TFR-Beiträge zu Pensionsfonds vor. Arbeitnehmer müssen sich formal gegen den Transfer aussprechen, wenn sie den TFR in der alten Form zur Alterssicherung nutzen wollen. Tun sie das nicht, wird der TFR automatisch an Pensionsfonds weitergeleitet.
134
5 Rentensysteme und die materielle Lebenssituation älterer Menschen
Rentenanpassung, nur einen geringen Einfluss auf die Rentenhöhe. Dem tragen wir im Folgenden dadurch Rechnung, dass wir Mikrodaten über die Renteneinkommen mit den rentenrechtlichen Regelungen zu Beginn der 1990er Jahre in Beziehung setzen, wobei die beschriebenen Reformgesetze berücksichtigt, wurden, so weit sie schon Auswirkungen auf die derzeitigen Rentnerkohorten hatten. Dazu gehören die Reformen der Mindestsicherung oder Änderungen der Rentenindexierung. Geht man von einem durchschnittlichen Rentenzugangsalter von 60 Jahren aus, so dürfte der Rentenzugang für den Großteil der Ruheständler des Jahres 2000 zwischen der Mitte der 1980er und der Mitte der 1990er Jahre und damit vor den oben beschriebenen Rentenreformen erfolgt sein. Die zweite Schwierigkeit resultiert daraus, dass das Rentenniveau sowohl von den rentenrechtlichen Regelungen als auch von den Erwerbsverläufen abhängt. Unterschiede zwischen den Durchschnittsrenten einzelner Länder lassen sich daher nur begrenzt auf Variationen des Rentenrechts zurückführen, sondern reflektieren zum Großteil landesspezifische Beschäftigungsmuster und Erwerbsbiographien.67 Deshalb sind die im Abschnitt 4.1.2 beschriebenen Beschäftigungsmuster von Frauen und Männern im Auge zu behalten, wenn es um die Interpretation nationaler Unterschiede geht. Auf die ursprüngliche Absicht, auf der Basis der Luxembourg Income Study (LIS) zu analysieren, wie sich die Rentenreformen in Veränderungen des Haushaltseinkommens der Rentner zwischen den 1980er Jahren und dem Jahr 2000 niedergeschlagen haben, mussten wir aus zwei Gründen verzichten. Zum einen haben sich seit den achtziger Jahren neben den rentenrechtlichen Regelungen auch die Erwerbsmuster verändert, so dass ungewiss bliebe, worauf die gemessenen Veränderungen der Einkommenssituation der Rentner zurückzuführen wären. Zum anderen aber standen letztlich unüberwindliche Datenprobleme im Wege, denn die Inspektion der LIS-Daten hat sehr große Dateninkonsistenzen ergeben. Weil die Zusammensetzung der Renteneinkommen in den 1980er Jahren weniger detailliert erfasst wurde, wäre ein intertemporaler Vergleich für Frankreich, Italien und Schweden nur mit großen Einschränkungen möglich gewesen. Überdies zeigten sich bei den Haushaltseinkommen immer wieder höchst unplausible Angaben. So stieg z.B. das Armutsrisiko (60 Prozent des Medianeinkommens) der über 65Jährigen in Schweden in den LIS-Daten von 7,8 Prozent im Jahr 1995 auf 21,2 Prozent im Jahr 2000 (http://www.lisproject.org/frontkf.php). Mit den Daten des European Community Household Panel (ECHP) ergibt sich hingegen nur ein Anstieg um drei Prozentpunkte von 4,5 auf 7,5 Prozent. Zwischen beiden Datensätzen ergaben sich noch weitere Abweichungen, die über den für Stichproben üblichen
67
Dies trifft auch innerhalb eines Landes zu, da sich zwischen den Geburtskohorten der Rentner in der Regel Verschiebungen der Erwerbsmuster ergeben.
5.2 Die materielle Lebenssituation älterer Menschen
135
Standardfehler weit hinausgingen. Da die ECHP-Daten im Zeitvergleich konsistentere Ergebnisse hervorbrachten, haben wir in erster Linie diese verwendet.
5.2.2 Wie übersetzen sich institutionelle Regelungen in tatsächliche Renteneinkommen älterer Menschen? Der in Abschnitt 5.1 angestrengte Vergleich des Rentenniveaus eines Standardrentners vermag zwar die Auswirkungen rentenrechtlicher Regelungen unter Konstanthaltung der für alle Länder als gleich angenommenen Modellbedingungen auf plastische Weise abzubilden, sagt aber nichts über die reale Einkommenssituation der Rentner aus. Wie viele Menschen tatsächlich einen Rentenanspruch geltend machen können, bleibt damit ebenso offen wie die Frage, wie hoch die Rente ist, die sie beziehen, und welchen Beitrag die Renteneinkünfte zu ihrem Haushaltseinkommen leisten. Diese Fragen wollen wir nun mit Hilfe der Mikrodaten klären. Zunächst wird gezeigt, wie hoch die Bezugsraten von Renten tatsächlich sind, dann wird untersucht, wie sich die Durchschnittshöhe der Rente von der Standardrente unterscheidet und inwiefern die Rentenzahlungen das Problem der Altersarmut entschärfen.
5.2.2.1 Bezugsraten von Renten Die Tabelle 5.11 präsentiert vier Indikatoren zur Häufigkeit des Rentenbezugs. Zunächst wird auf der Individualebene gezeigt, wie viel Prozent aller Männer und Frauen über 65 Jahren eine Rente aus der 1. oder 2. Säule der Rentenversicherung beziehen. Dann wird dargestellt, welcher Anteil der Haushalte älterer Menschen ohne jegliche Rente auskommen muss. Schließlich wird gezeigt, wie häufig der Mehrfachbezug von Renten in den Haushalten Älterer ist.
136
5 Rentensysteme und die materielle Lebenssituation älterer Menschen
Tabelle 5.11: Land
Häufigkeit von Renteneinkommen 2000 Anteil an Rentenempfängern bei den über 65-Jährigen (in %)* Männer
Frauen Davon nur Hinterbliebenenrenten
Haushalte, in denen ältere Menschen leben, die kein Renteneinkommen beziehen (in %)
Haushalte mit mindestens zwei älteren Menschen, die zwei oder mehr Renteneinkommen beziehen (in %)
Deutschland
98
96
9
1,9
92
Frankreich
99
93
5
1,3
86
Italien Schweden
94
87
16
5,1
73
100
99
K.A.
0,7
98
*Für Männer sind die Hinterbliebenenrenten nicht gesondert ausgewiesen, da auf Basis des ECHP in allen vier Ländern nur weniger als 1 Prozent der Männer ausschließlich solche Leistungen beziehen. In Schweden gibt es keine dauerhaften Hinterbliebenenleistungen. Übergangsgelder nach dem Tod des Partners sind in die staatlichen Renten mit eingerechnet. Quelle: ECHP 2001, eigene Berechnungen68
In allen vier Untersuchungsländern zählen fast sämtliche Männer im Ruhestandsalter auch zu den Rentenempfängern. Nur in Italien liegt der Anteil deutlich unter 100 Prozent. Am größten ist der Deckungsgrad naturgemäß im schwedischen Rentensystem, das lange Zeit eine Volksrente für alle Staatsbürger vorsah, so dass nicht nur Männer, sondern auch Frauen nahezu ausnahmslos eine Rente beziehen. Daher bleibt auch praktisch kein Haushalt älterer Menschen in Schweden ohne Rentenbezug, und selbst der Anteil der Haushalte mit Mehrfachrentenbezug ist mit 98 Prozent sehr hoch. Da die schwedische Frauenerwerbstätigkeit in der hier betrachteten Kohorte noch nicht sehr weit verbreitet war (Hoem 1995), ist auch das ein Indiz für die Bedeutung der Volksrente. Deutschland und Frankreich erreichen bei den Männern eine fast ebenso hohe Deckungsquote wie Schweden, und selbst bei den Frauen hat die zumindest gelegentliche Erwerbstätigkeit ausgereicht, um fast allen einen Rentenanspruch zu sichern. Selbst wenn die Hinterbliebenenrenten unberücksichtigt bleiben, liegt der Anteil von Frauen mit eigenständigem Rentenanspruch in beiden Ländern deutlich über 80 Prozent. Dazu tragen insbesondere die niedrigen Wartezeiten bei, die gewährleisten, dass auch kurze oder unterbrochene Erwerbskarrieren einen Rentenanspruch begründen. Der Anteil der Haushalte älterer Menschen, 68
Diese Angaben ließen sich gut mit Daten der Luxembourg Income Study 1999/2000 replizieren.
5.2 Die materielle Lebenssituation älterer Menschen
137
die ohne Rente auskommen müssen, bleibt daher in beiden Ländern klein. Der Mehrfachbezug von Renten ist in den französischen Haushalten älterer Menschen allerdings deutlich seltener als in den deutschen. Italien hatte nicht nur niedrigere Erwerbsquoten von Frauen, sondern im Rentensystem auch eine deutlich höhere Wartezeit, so dass nur 87 Prozent aller älteren Frauen eine Rente erhalten. Klammert man die Hinterbliebenenrenten aus und berücksichtigt nur eigenständige Rentenansprüche, so sinkt der Anteil sogar auf 71 Prozent. Damit liegt auch der Anteil älterer Paarhaushalte mit Mehrfachbezug von Renten deutlich niedriger als in den anderen Ländern, während der Anteil der Haushalte ohne jeglichen Rentenbezug mit fünf Prozent höher ist. Das für lange Zeit vorherrschende Modell des männlichen Alleinverdieners hat also im italienischen Rentensystem deutliche Spuren hinterlassen und setzt sich damit auch im Rentenalter fort. Auffällig ist überdies aber, dass die Rentenbezugsquote italienischer Männer niedriger ist als die schwedischer oder deutscher Frauen. Das verweist auf das fragmentierte Rentensystem in Italien, in dem die Insider der Schlüsselbranchen seit langem einen großzügigen Sozialversicherungsschutz genießen, während marginalere Gruppen des Arbeitsmarktes nur unzureichend in den Sozialstaat integriert sind. Zudem trägt die ausgeprägte Schattenwirtschaft zur lückenhaften sozialen Absicherung von Arbeitnehmern im Alter bei (Ferrera und Gualmini 2000).
5.2.2.2 Theoretisches Rentenniveau der Modellrente und empirische Einkommensersatzrate Das institutionelle Rentenniveau des Standardrentners hat mit dem empirisch vorfindbaren Rentenniveau nur wenig gemein, weil viele Menschen die Modellannahmen der Standardrentenberechnung nicht erfüllen. Beim Vergleich empirisch ermittelter Rentenniveaus muss allerdings zweierlei bedacht werden. Zum einen verbreitern universelle Renten sowie Mindestrentenregelungen die Basis der Rentenbezieher, so dass mehr Personen mit niedrigem Renteneinkommen hinzukommen und das durchschnittliche Rentenniveau senken. Zum anderen sind niedrige individuelle Renten noch kein Indikator für prekäre Lebensbedingungen, denn es kommt darauf an, wie viele Menschen vom Renteneinkommen leben müssen und welche Ressourcen auf Haushaltsebene zur Verfügung stehen. So kann ein Paar mit zwei kleineren Renten über mehr Einkommen verfügen als ein Paar, dem lediglich eine hohe Rente zur Verfügung steht. Deshalb ist es wichtig, über die Individualsituation hinaus auch den Haushaltskontext zu betrachten. Die Abbildung 5.1 zeigt daher drei Varianten der Erfassung des Rentenniveaus. Zunächst wird noch einmal die theoretische Nettoersatzrate für einen
138
5 Rentensysteme und die materielle Lebenssituation älterer Menschen
Standardrentner aus Tabelle 5.9 präsentiert. Dem wird das empirisch ermittelte durchschnittliche Rentenniveau auf Individualebene gegenübergestellt, das wie folgt errechnet wurde: Im Zähler steht das auf Basis des ECHP ermittelte durchschnittliche Renteneinkommen der 65- bis 75-Jährigen aus staatlichen und betrieblichen Rentenzahlungen ohne Hinterbliebenenrenten.69 Im Nenner stehen die durchschnittlichen Arbeitseinkommen der 50- bis 59-Jährigen als Vergleichsbasis. Damit soll gezeigt werden, in welchem Maße die Renten dazu ausreichen, das am Ende des Berufslebens erreichte Einkommensniveau zu halten.70 Zu beachten ist allerdings, dass sich die Maßzahl damit nicht auf den Einkommensersatz für eine bestimmte Person bezieht, sondern die durchschnittlichen Individualeinkommen zweier nahe bei einander liegender Geburtskohorten zueinander in Bezug setzt (European Commission 2006b; Raitano 2005). Der dritte Indikator wechselt dann auf die Haushaltsebene und zeigt die Nettoersatzraten, die sich ergeben, wenn man für die gleichen Kohorten die Haushaltseinkommen vergleicht. Dabei werden im Zähler die individuellen Renteneinkommen aller Haushaltsmitglieder kumuliert und nach der Haushaltsgröße gewichtet, während im Nenner nach dem gleichen Verfahren die Arbeitseinkommen der 50- bis 59Jährigen kumuliert und nach Haushaltsgröße gewichtet werden.71 Weil damit das verfügbare Haushaltseinkommen betrachtet wird, beschreibt dieser dritte Indikator wohl am besten, inwieweit die Rentenzahlungen älteren Menschen die Aufrechterhaltung des Lebensstandards ermöglichen.
69
70
71
Hinterbliebenenrenten sind hier bei den Mikrodaten ausgeschlossen, da auch die theoretischen Nettoersatzraten nur die individuell erworbenen Anwartschaften berücksichtigen. Um die Vergleichbarkeit zu wahren, wurden deshalb nur Altersrenten berücksichtigt. Hier wiederum, der Methode des Social Protection Committee folgend, sowohl staatliche als auch betriebliche Renten. Wir sehen darin eine Möglichkeit, trotz fehlender Informationen zu den früheren Erwerbsverläufen und Erwerbseinkommen der Rentner den Lohnersatz durch Rentenleistungen annäherungsweise abzubilden. Als Äquivalenzskala wurde die revidierte OECD Skala verwendet (Hagenaars et al. 1996). Nach dieser Skala bekommt die erste erwachsene Person im Haushalt das Bedarfsgewicht 1, jede weitere Person über 15 Jahren ein Gewicht von 0,5 und Kinder unter 15 Jahren ein Gewicht von 0,3 zugewiesen. Das Haushaltsnettoeinkommen wird dann durch die über die Personen im Haushalt aufsummierten Gewichte geteilt (vgl. Anhang Infobox II).
139
5.2 Die materielle Lebenssituation älterer Menschen
Abbildung 5.1: Drei Varianten zur Ermittlung des Rentenniveaus 110 100 90 80
%
70 60 50 40 30 20 10
76
79
89
75
60
58
59
64
88
68 105 87
0 Rentenniveau für Standardrentner 2003
Niveau des Durchschnittsrentners auf Individualebene 2000
Niveau des Durchschnittsrentners auf Haushaltsebene 2000
Nettoersatzraten Deutschland
Frankreich
Italien
Schweden
Quelle: ECHP 2001, eigene Berechnungen und Social Protection Committee 2004.
Die Mikrodaten zeigen, dass der Durchschnittsrentner in allen vier Ländern mit einem deutlich niedrigeren Rentenniveau auskommen muss als der hypothetische Standardrentner der Modellrechnungen. Am geringsten ist der Unterschied zwischen hypothetischer und empirischer Ersatzrate in Schweden, wo Männer und Frauen hohe Erwerbsquoten erreichen und somit den Modellannahmen nahekommen. Am größten ist die Diskrepanz in Italien, wo offensichtlich nur ein sehr viel kleinerer Teil der Rentner eine Erwerbsbiographie vorzuweisen hat, die den Bedingungen des Standardrentners entspricht. Der späte Eintritt ins Berufsleben, Phasen der Arbeitslosigkeit und im Rentensystem nicht anerkannte Ausfallzeiten – insbesondere für Frauen – sowie nicht gezahlte Versicherungsbeiträge führen dazu, dass die Renten von rund 50 Prozent der italienischen Frauen und 25 Prozent der Männer auf das Mindestrentenniveau aufgestockt werden müssen, obwohl die Berechnungsgrundlage der Renten früher nur die fünf letzten Beitragsjahre in Betracht zog. Auch in Frankreich ist die Ersatzrate der Durchschnittsrente mit 21 Prozentpunkten Differenz deutlich geringer als im hypothetischen
140
5 Rentensysteme und die materielle Lebenssituation älterer Menschen
Standardfall. Geringer fällt die Diskrepanz in Deutschland aus, wo den Durchschnittsrentner vom Modellrentner nur 16 Punkte trennen, was zum einen mit der relativ großzügigen Anrechnung von beitragsfreien Zeiten zusammenhängen mag und zum anderen die langen Erwerbskarrieren in Ostdeutschland widerspiegelt, die zu hohen Anwartschaften führten. Damit verschiebt sich auch die Rangordnung zwischen den Ländern. Galten bei den Modellrenten Italien und Frankreich als die Länder mit den großzügigsten Leistungen, so schneidet der Durchschnittsrentner in Schweden und Deutschland besser ab als in den beiden romanischen Ländern. Allerdings sind die Länderunterschiede bei Betrachtung des empirischen Rentenniveaus erheblich geschrumpft und bewegen sich nur noch zwischen 58 Prozent in Frankreich und 64 Prozent in Schweden, statt wie im hypothetischen Modellfall zwischen 75 Prozent in Schweden und 89 Prozent in Italien. Wie stellt sich die Situation aber auf der Haushaltsebene dar, wenn die verfügbaren Einkommen aller Haushaltsmitglieder betrachtet werden? Hier zeigt sich ein zunächst überraschendes Bild. In Deutschland, Italien und Schweden ist die auf Haushaltsebene erreichte Nettoersatzrate der Renten deutlich höher als die Standardrente der Modellrechnungen. Dabei entspricht die Rangfolge zwischen den drei Ländern nun wieder der bei der Modellrente, das heißt Italien und Schweden erreichen für Rentnerhaushalte ein höheres Sicherungsniveau als Deutschland. Im schwedischen Fall erklärt sich das gute Sicherungsniveau auf Haushaltsebene wohl durch das Zusammenwirken von drei Faktoren, nämlich den hohen Beschäftigungsquoten von Frauen, den niedrigen Hürden zum Erwerb von Rentenanwartschaften und der generell gewährten Volksrente, so dass fast alle Paarhaushalte durch ein doppeltes Renteneinkommen abgesichert sind. Die besonders hohe Ersatzrate italienischer Haushalte wird hingegen nicht durch ein außergewöhnlich hohes Niveau der Renten erklärt, sondern durch Struktureffekte. Zum einen sind die Erwerbseinkommen 50- bis 59-jähriger Italiener gering, so dass bei der Berechnung der Ersatzraten der Nenner besonders klein ist. Zum anderen verringert sich durch den späten Auszug der erwachsenen Kinder in Italien die Haushaltsgröße im Alter am deutlichsten.72 Damit reduzieren sich die Äquivalenzgewichte bei der Ermittlung des Haushaltseinkommens, so dass die verfügbaren Einkommen der italienischen Rentnerhaushalte relativ hoch erscheinen. Aus dem Rahmen fällt bei der Betrachtung der Haushaltseinkommen Frankreich, wo das Rentenniveau aus nicht völlig geklärten Gründen für Rentnerhaushalte niedriger ist als für den individuellen Modellrentner. Das niedrige französi72
Die Zahl der Haushaltsmitglieder sinkt in Haushalten, in denen über 65-Jährige leben im Vergleich zu Haushalten mit 50- bis 59-Jährigen in Italien um eine Person, in Deutschland und Frankreich um 0,8 Personen und in Schweden um 0,5 Personen. Allerdings basieren die schwedischen Zahlen auf einem abweichenden Haushaltskonzept.
5.2 Die materielle Lebenssituation älterer Menschen
141
sche Sicherungsniveau auf Haushaltsebene spiegelt aber eher hohe Erwerbseinkommen und hohe Doppelverdienerquoten in der Vergleichskohorte der 50- bis 59-Jährigen wider als niedrige Renteneinkommen. Festzuhalten bleibt, dass die Rentnerhaushalte außerhalb Frankreichs mit Werten über 85 Prozent bemerkenswert hohe Ersatzraten erreichen, die eine weitgehende Fortführung des gegen Ende des Berufslebens erreichten Lebensstandards ermöglichen.
5.2.3 Unterschiede der Rentenleistungen für Männer und Frauen Die generalisierende Betrachtung von Durchschnittsrenten lässt die beträchtliche geschlechtsspezifische Variation der Renten außer Acht. Wie im Abschnitt 4.1.2 gezeigt wurde, unterscheiden sich Männer und Frauen aber stark in ihren Erwerbsverläufen, was sich auch in unterschiedlichen Rentenansprüchen niederschlägt. Das haben bereits die nach Geschlecht differenzierten Bezugsraten im vorigen Abschnitt angedeutet, aber die geschlechtsspezifische Höhe der Renten zeigt den Effekt noch sehr viel deutlicher. Tabelle 5.12 präsentiert dazu zwei Indikatoren, die das Rentenniveau in Relation zum Erwerbseinkommen für Frauen und Männer angeben. Der erste Indikator bezieht die Durchschnittsrente von Frauen und Männern im Alter zwischen 65 und 75 Jahren auf das Durchschnittseinkommen aus abhängiger Beschäftigung der erwerbstätigen 50- bis 59-Jährigen. Der zweite Indikator trägt den Einkommensunterschieden zwischen Frauen und Männern Rechnung, indem er das geschlechtsspezifische Renteneinkommen auch auf die geschlechtsspezifischen Erwerbseinkommen der Vergleichskohorte bezieht. Der Unterschied in der Rentenhöhe von Männern und Frauen ist in Deutschland und Frankreich am größten. In beiden Ländern ist die Lohnersatzquote der Renten für Männer doppelt so hoch wie für Frauen. In Italien, wo Männer im Durchschnitt einen 1,8-fach höheren Lohnersatz erhalten, ist der Unterschied fast genauso groß. Nur Schweden zeichnet sich durch eine größere Gleichheit der Renten aus, aber selbst dort übersteigen die Renteneinkommen der Männer die der Frauen um den Faktor 1,4. Werden die Nettoersatzraten relativ zum geschlechtsspezifischen Erwerbseinkommen ausgewiesen, so verringern sich die Unterschiede zwischen den Geschlechtern beträchtlich. Das zeigt, dass den unterschiedlichen Rentenansprüchen von Männern und Frauen nicht Diskriminierungen im Rentenrecht, sondern verschiedene Erwerbskarrieren zugrunde liegen. Nur in Schweden, wo die Erwerbsquote der Frauen schon seit längerem hoch ist, erreichen Frauen die gleiche Lohnersatzquote wie Männer. Auch in Deutschland schrumpfen die geschlechtsspezifischen Unterschiede beträchtlich, ohne allerdings gänzlich zu verschwinden. Das zeigt, dass die Erwerbsverläufe von Männern und Frauen hier unterschiedlicher sind als in Schweden. Das glei-
142
5 Rentensysteme und die materielle Lebenssituation älterer Menschen
che gilt in noch stärkerem Maße für Frankreich und Italien. Hieran wird deutlich, dass die geringe Anzahl der Beitragsjahre auch dann noch schwer zu Buche schlägt, wenn die Berechnungsgrundlage der Renten gar nicht auf die volle Erwerbsbiographie, sondern nur auf die zehn besten Jahre (wie in Frankreich) oder fünf letzten Jahre (wie in Italien) abstellt, da die Zahl der Beitragsjahre zudem als Faktor in die Rentenformel eingeht und damit doch die Rentenhöhe bestimmt. Sind die Erwerbsverläufe von Männern und Frauen sehr verschieden, so reichen auch derartige Kompensationsmechanismen zur Egalisierung rentenrechtlicher Ansprüche nicht aus. So erreicht nur die Hälfte aller italienischen Frauen einen Rentenanspruch über dem Mindestrentenniveau (Ministero del Welfare 2002). Das hängt auch damit zusammen, dass Sonderregelungen für den frühen Übergang von Frauen in den Ruhestand mit der Konsequenz reduzierter Rentenleistungen verbunden waren (Myles 2002). Tabelle 5.12: Land
Nettoersatzraten nach Geschlecht Als Anteil des Durchschnittseinkommens abhängig Beschäftigter im Alter zwischen 50 und 59 Jahren Männer
Frauen
Als Anteil der geschlechtsspezifischen Durchschnittseinkommen abhängig Beschäftigter im Alter zwischen 50 und 59 Jahren Männer
Frauen
Deutschland
80
41
65
59
Frankreich
77
39
64
52
Italien
72
41
66
49
Schweden
75
55
64
65
Erläuterung: Die Nettoersatzrate verbindet die durchschnittlichen staatlichen und betrieblichen Renteneinkommen ohne Hinterbliebenenrenten der 65- bis 75-Jährigen mit den Arbeitseinkommen der 50- bis 59-Jährigen auf Basis des ECHP. Die Maßzahl bezieht sich nicht auf den Einkommensersatz durch Rentenleistungen für eine bestimmte Person, sondern bezieht sich auf einen Durchschnittswert auf Basis individueller Einkommen zweier nahe liegender Geburtskohorten Quelle: ECHP 2001, eigene Berechnungen
Um Frauen unabhängiger vom Einkommen ihres Partners werden zu lassen, stand die Stärkung ihrer eigenständigen Alterssicherung fast überall im Zentrum der jüngsten Reformbemühungen. Die Betrachtung der Bezugsraten hat gezeigt, dass die überwiegende Mehrheit der Frauen im Rentenalter schon heute über eine eigenständige Rente verfügt. Lediglich in Italien ist der Anteil älterer Paarhaushalte mit nur einem Renteneinkommen noch relativ hoch. Auch in Mehrverdienerhaushalten kann allerdings weiterhin ein starkes Einkommensgefälle zwi-
143
5.2 Die materielle Lebenssituation älterer Menschen
schen den Geschlechtern bestehen. Tabelle 5.13 zeigt, wie groß die geschlechtsspezifischen Unterschiede in den Rentnerhaushalten sind.73 In Deutschland und Frankreich sind die Unterschiede am größten. Im Durchschnitt beziehen Frauen hier nur über wenig mehr als die Hälfte des Einkommens der Männer. Schwedische Rentnerpaare zeichnen sich durch wesentlich größere Einkommensgleichheit aus. Die Frauenrente beträgt in Schweden im Schnitt rund 69 Prozent der Rente des Partners. Der hohe Rentenanteil der Frauen in italienischen Rentnerhaushalten von 79 Prozent stellt einen Sonderfall dar, der sich vor allem aus den niedrigen Renteneinkommen des Partners erklärt. In Italien nehmen Frauen insbesondere dann eine Erwerbstätigkeit auf, wenn das Einkommen des Mannes nicht für den Unterhalt ausreicht (Saraceno 2000). Werden Frauen ohne eigenständiges Renteneinkommen mit berücksichtigt, dann vergrößern sich, wie erwartet, vor allem in Italien die Geschlechterunterschiede, da viele italienische Rentnerinnen keine Rentenanwartschaften erworben haben (vgl. Tabelle 5.11). Tabelle 5.13:
Unterschiede im Renteneinkommen zwischen den Geschlechtern in Paarhaushalten, in denen beide Partner über 65 Jahre alt sind Deutschland
Frankreich
Italien
Schweden
Renteneinkommen von Frauen in Prozent der Männerrente, falls beide über Renteneinkünfte verfügen
53
54
79
69
Renteneinkommen von Frauen in Prozent der Männerrente in allen RentnerPaarhaushalten
49
47
58
68
Erläuterung: Die Unterschiede wurden nur berechnet, wenn beide Partner ein Renteneinkommen erhalten. Quelle: ECHP 2001, eigene Berechnungen
Weil die Lebensverhältnisse von Rentnern wesentlich durch das verfügbare Einkommen des Haushalts bestimmt werden, wendet sich der folgende Abschnitt der Haushaltsebene detaillierter zu und betrachtet, welche Bedeutung die Renten
73
Die mit den ECHP-Daten ermittelten Quotienten stimmen sehr gut mit den Angaben überein, die sich aus Daten der Rentenversicherungen ergeben (vgl. Kap. 5.1.2). Nur in Italien unterschieden sich die Zahlen um etwa 10 Prozentpunkte. Allerdings ändert sich dadurch nicht die Länderreihenfolge.
144
5 Rentensysteme und die materielle Lebenssituation älterer Menschen
für das Haushaltseinkommen haben und welche sonstigen Einkünfte Rentnerhaushalten noch zur Verfügung stehen.
5.2.4 Die Bedeutung von Renteneinkommen für das Haushaltseinkommen älterer Menschen Die Einkommenssituation älterer Menschen hängt zwar überwiegend, nicht aber ausschließlich von der Höhe der Renten ab. Im Folgenden wird untersucht, aus welchen Einnahmequellen sich das Haushaltseinkommen der Ruhestandsbevölkerung speist. Abbildung 5.2 zeigt dazu die länderspezifische Zusammensetzung der Haushaltseinkommen älterer Menschen zu zwei Zeitpunkten. In allen vier Ländern dominieren die Renteneinkommen. In Schweden, Frankreich und Deutschland machen sie weit über 80 Prozent der Einkommen älterer Menschen aus. Der niedrigere Anteil in Italien liegt vor allem an der abweichenden Haushaltsstruktur, da erwerbstätige Kinder häufiger zusammen mit ihren älteren Eltern leben, so dass der Anteil der Arbeitseinkommen entsprechend ansteigt. Bemerkenswert ist überdies aber auch der relativ hohe Anteil sonstiger Sozialtransfers in Italien. Er zeigt, was schon bei Betrachtung der Bezugsraten deutlich wurde. Trotz der Mindestrente haben vergleichsweise viele ältere Menschen und insbesondere Frauen keinen Anspruch auf Rentenleistungen, so dass sie die bedürftigkeitsgeprüfte Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssen. Daran hat sich bis zum Jahr 2000 wenig geändert. Auch die übrigen länderspezifischen Muster bleiben im Zeitvergleich recht stabil. In Schweden haben die Rentenleistungen noch etwas an Bedeutung gewonnen. In Deutschland stieg hingegen der Anteil der Arbeitseinkommen um drei Prozentpunkte an. Dabei zeigen sich in der Einkommenszusammensetzung deutliche Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Während in Ostdeutschland die Renteneinkommen stark dominieren, machen in Westdeutschland Kapitaleinkommen und andere Sozialtransfers 10 bis 15 Prozent der Haushaltseinkünfte aus (Bundesministerium für Familie 2006b: 192). Bemerkenswert ist aber die Abnahme der Kapitaleinkommen in jüngster Zeit, die wohl mit der angespannten Kapitalmarktlage um die Jahrtausendwende zusammenhängt.
145
5.2 Die materielle Lebenssituation älterer Menschen
Schweden
Abbildung 5.2: Einkommenszusammensetzung von Haushalten mit über 65-Jährigen
2000
88
1996
0
0 6 4 50
85
74
0 6
17
30
8
16
31
Italien
2000
5 4 30
Deutschland
Frankreich
1993
1
72
2000
84
03
7
60
1993
83
0 4
6
7 0
2000
82
11
10
50
1993
82
02 7
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
9 0
100%
% des Haushaltseinkommens Renten
Familie
Andere Sozialtransfers
Arbeitseinkommen
Kapitaleinkommen
Andere Quellen
Quelle: ECHP 1994-2001, eigene Berechnungen
146
5 Rentensysteme und die materielle Lebenssituation älterer Menschen
Eine detailliertere Analyse der Rentenzusammensetzung ist mit den Daten der Luxembourg Income Study möglich und zeigt deutliche nationale Unterschiede (Tabelle 5.14). Für Schweden fällt die große Bedeutung der auf Kollektivverträgen basierenden Betriebsrenten auf, welche für die große Mehrheit der schwedischen Rentner eine zusätzliche Einkommensquelle darstellen. In Italien sind Betriebsrenten dagegen kaum verbreitet.74 In den wenigen Fällen, in denen Betriebsrenten vorhanden sind, tragen sie allerdings zu einem hohen Anteil zum Einkommen in Rentnerhaushalten bei, was einmal mehr auf die vergleichsweise starke Insider-Outsider Segmentierung im italienischen Sozialstaat verweist. Für Frankreich liegen keine Angaben zu den Betriebsrenten vor, weil die obligatorische Zusatzrente auf der Ebene von Wirtschaftsbranchen organisiert ist und kaum Raum für zusätzliche Betriebsrenten lässt. Der Anteil der Personen, die derzeit in Frankreich Beiträge für eine betriebliche Zusatzrente leisten, liegt bei ca. 8 Prozent (Social Protection Committee 2005). Deutschland erreicht einen mittleren Deckungsgrad der Betriebsrenten, der allerdings näher beim italienischen als beim schwedischen Niveau liegt. Rund ein Sechstel der Menschen im Ruhestand bezieht hierzulande ein Einkommen aus Betriebsrenten. In den 1990er Jahren ist die betriebliche Rentenvorsorge außerhalb des öffentlichen Dienstes zurückgegangen. Seit der Einführung der staatlichen Förderung von Betriebsrenten im Jahr 2001 und der damit verbundenen Entlastung der Arbeitgeber steigt die Zahl der Betriebsrentenabschlüsse wieder deutlich an (Bundesministerium für Arbeit und Soziales und TNS Infratest Sozialforschung 2007). In allen vier Ländern erhalten Frauen seltener Betriebsrenten als Männer, und wenn sie einen Anspruch haben, so ist er in der Regel geringfügiger (Behrendt 2000).
74
Allerdings erhalten viele Erwerbstätige in Italien beim Übergang in den Ruhestand eine einmalige Auszahlung von während ihrer Erwerbszeit betrieblich angesparten Leistungen (TFR). Diese taucht in den Renteneinkommen nicht auf. Häufig wird das Geld dazu genutzt, um Wohneigentum zu erwerben, und stellt somit eine wichtige zusätzliche Absicherung im Alter dar (Ferrera und Jessoula 2005). Dass der TFR eine betriebliche Komponente der Alterssicherung darstellt, zeigt sich auch an dem Vorhaben, den TFR in betriebliche Renten umzuwandeln, indem die Beiträge in einen Rentenfonds eingezahlt werden.
147
5.2 Die materielle Lebenssituation älterer Menschen
Tabelle 5.14:
Empfänger von Betriebsrenten und der Anteil der Betriebsrenten am Haushaltseinkommen (2000) Anteil der Empfänger von Betriebsrenten c
Deutschland Frankreich Italien Schweden
Anteil der Betriebsrenten am Haushaltseinkommen d
Anteil der Betriebsrenten am HaushaltsEinkommen von Betriebsrentenempfängern e
12,5
2,2
17,9
-
-
-
2,3
1,1
51,3
79,7
10,9
13,8
c: Anteil der Empfänger von Betriebsrenten an der Bevölkerung über 65 Jahre. d: Anteil der Betriebsrenten am Haushaltseinkommen in Haushalten, in denen Personen älter als 65 Jahre leben. e Anteil der Betriebsrenten am Haushaltseinkommen in Haushalten, in denen Personen älter als 65 Jahre eine Betriebsrente beziehen. Quelle: Luxembourg Income Study 2000, eigene Berechnungen
Da Angaben über die Verbreitung von Betriebsrenten im Zeitverlauf fehlen, stellen wir in Abbildung 5.3 die Bezugsraten von Betriebsrenten differenziert nach Altersgruppen dar. Erhalten jüngere Alterskohorten häufiger Leistungen aus betrieblichen Renten, so verweist dies auf die gestiegene Verbreitung betrieblicher Abschlüsse. In Schweden zeigt sich sehr deutlich ein kontinuierlicher Ausbau der Betriebsrenten. Stagnation kennzeichnet hingegen die Situation in Deutschland und Italien. Deutschland ist das einzige Land, bei dem sich für die jüngeren Jahrgänge sogar eine Abnahme des Betriebsrentenbezugs zeigt. Im Einklang mit anderen Befunden zeigen diese Daten, dass sich das Angebot an Betriebsrenten in den 1990er Jahren reduziert hat, da die Unternehmen zunehmend die hohe Kostenbelastung scheuen. Wie oben beschrieben, nimmt die Zahl der Betriebsrentenabschlüsse aber seit 2001 wieder zu. Künftige Rentenreformen werden wohl auf eine Ausweitung der betrieblicher Rentenversicherung bedacht sein, aber inwieweit diese Leistungen obligatorisch oder freiwillig sein sollten, bleibt umstritten. In Deutschland bleibt die betriebliche und private Altersvorsorge bislang weiterhin auf freiwilliger Basis und wird nur durch staatliche Anreize für Versicherungsnehmer und Arbeitgeber gefördert. In Italien sind betriebliche Renten ebenfalls freiwilliger Natur, aber nach der neuesten Reform müssen sich Arbeitnehmer explizit gegen eine Ver-
148
5 Rentensysteme und die materielle Lebenssituation älterer Menschen
wendung ihrer TFR-Beiträge als Rentenvorsorge aussprechen, wenn die Leistungen nicht automatisch in einem Rentenfonds angelegt werden sollen. In Schweden ist die betriebliche Altersvorsorge für normale Beschäftigungsverhältnisse obligatorisch und ein integraler Bestandteil des Rentenversicherungssystems. In Frankreich wurden mit der Rentenreform von 2003 Möglichkeiten der steuerlichen Förderung des Vorsorgesparens geschaffen, während auf betrieblicher Ebene überdies ein Vermögensbildungsplan als Form zusätzlicher Alterssicherung aufgelegt wurde (PERCO, Plan d’épargne pour la retraite collectif). Abbildung 5.3: Bezug von Betriebsrenten nach Altersgruppen im Jahr 2000 100 88
90 Anteil an allen älteren Menschen
83 80 80
75
70 60 50 40 30 20
15 14
11 11
10
4
3
1
2
0 Deutschland 65-69
Italien 70-74
Schweden 75-79
80-84
Quelle: Luxembourg Income Study 2000, eigene Berechnung
5.2.5 Die Bedeutung von Renten in verschiedenen Einkommenspositionen Sozialstaatliche Transfers tragen je nach Einkommenslage zum Haushaltseinkommen der Empfänger in sehr unterschiedlichem Ausmaß bei. Im Folgenden wollen wir analysieren, wie sich die Einkommen älterer Menschen über verschiedene
149
5.2 Die materielle Lebenssituation älterer Menschen
Einkommenspositionen verteilen und wie hoch der Anteil der Rentenleistungen in der jeweiligen Einkommensposition ist. Damit kann ermittelt werden, inwieweit Renten und andere Sozialtransfers umverteilend wirken und vor allem den niederen Einkommensschichten zugutekommen, oder aber die Ungleichheit der Arbeitseinkommen im Rentenalter reproduzieren. Die Abbildung 5.4 zeigt, wie häufig ältere Menschen in bestimmten Einkommenslagen vertreten sind und wie hoch der durchschnittliche Anteil der Sozialtransfers in jeder Einkommensposition ist. Abbildung 5.4: Anteil älterer Menschen nach Einkommenslage (Dezile) und der jeweilige Anteil an Sozialtransfers 20 Anteil an allen über 65-Jährigen
18
98
16
97
14
93
12
89
90
10
93
89
95 89 91
96 89
83 82
92
88
87
87
8
84
95
92
78 74 86 89 85 83
6
83 67 84
76
74
80
70 54 84 76
9
10
84
60
97 4 2 0 0
1
2
3
4
5
6
7
8
Einkommensdezile (bezogen auf die Gesamtbevölkerung)
Frankreich
Italien
Schweden
Deutschland
Erläuterung: Die Zahl in den Blasen gibt den durchschnittlichen Anteil an Renten und Sozialtransfers am Gesamteinkommen älterer Menschen für das jeweilige Einkommensdezil an. Die Position der Blase gibt für jedes Land den Anteil der über 65-Jährigen wieder, der sich in der jeweiligen Einkommenslage (bestimmt über alle Haushalte) befinden. Die dicke Linie gilt als Orientierung. Wenn die Einkommensverteilung innerhalb der über 65-Jährigen der der Gesamtbevölkerung entspricht, so sollten per Definition in jedem Einkommensdezil zehn Prozent der älteren Menschen sein. Abweichungen nach oben zeigen an, dass ältere Menschen im jeweiligen Einkommensdezil überrepräsentiert sind, Abweichungen nach unten sagen aus, dass ältere Menschen unterrepräsentiert sind. Lesebeispiel: Im untersten Einkommensdezil Schwedens sind ältere Menschen um rund fünf Prozentpunkte seltener zu finden als die Gesamtbevölkerung, und Sozialtransfers machen 97 Prozent ihres Einkommens aus. Quelle: ECHP 2001, eigene Berechnung
150
5 Rentensysteme und die materielle Lebenssituation älterer Menschen
Drei Ergebnisse sind hier besonders bedeutsam: 1.
2.
3.
Ältere Menschen sind häufiger als die Gesamtbevölkerung im unteren und mittleren Einkommensbereich zu finden. Im untersten Einkommensdezil sind sie dagegen, außer in Frankreich, seltener vertreten. Rentenleistungen und andere Sozialtransfers haben in allen Ländern ein besonderes Gewicht im unteren und mittleren Einkommensbereich, wo sonstige Einkünfte in der Regel nicht mehr als zehn Prozent des Haushaltseinkommens älterer Menschen ausmachen. Ältere Menschen sind seltener in höheren Einkommenspositionen zu finden als die Gesamtbevölkerung, und in den höheren Einkommenslagen sinkt der Anteil der Renten am Haushaltseinkommen beträchtlich, macht aber auch dort noch weit mehr als die Hälfte der Einkünfte aus.
Deutliche Länderunterschiede zeigen sich vor allem im unteren und oberen Einkommensbereich. Frankreich ist das einzige Land, in dem ältere Menschen im untersten Einkommensbereich überrepräsentiert sind. Gleichzeitig erreicht ein relativ hoher Anteil älterer Menschen in Frankreich hohe Einkommenspositionen, und auch dort haben Sozialtransfers einen Anteil von über 80 Prozent. Dies verweist auf eine starke Spreizung der französischen Rentenzahlungen, u.a. infolge der sehr hohen Beitragsbemessungsgrenze bei der obligatorischen Zusatzrente. In Schweden scheint die Volksrente einem Großteil älterer Menschen – und vor allem der Frauen – eine ausreichende Grundversorgung im unteren Einkommensdrittel zu bieten, denn Rentner sind in unteren Einkommenslagen kaum häufiger zu finden als die Gesamtbevölkerung. Umgekehrt finden sich ältere Schweden seltener als die Ruheständler der anderen Länder in den oberen Einkommensschichten. Dies spricht für eine stark umverteilende Wirkung des schwedischen Rentensystems durch die universelle Volksrente und die egalisierende Berechnungsgrundlage, die bis zur Reform nur auf die 15 besten Berufsjahre abstellte und damit die Ungleichheit der Erwerbsverläufe und -einkommen nivellierte. Auch in den oberen Einkommensschichten bleibt der Anteil der Renten hoch, was vor allem an der weiten Verbreitung der Betriebsrenten liegt. In Italien fällt die relativ breite Streuung der Renten auf, deren Beitrag zum Haushaltseinkommen in den unteren Einkommensdezilen weitgehend gleich bleibt und erst in den drei oberen Dezilen deutlich sinkt, weil Arbeitseinkommen seitens der in Rentnerhaushalten lebenden Erwerbstätigen die Einkommenssituation in einem Umfang von 30 bis 40 Prozent mitprägen. Das unterstreicht, welch bedeutendes Gewicht dem Familienzusammenhalt in Italien auch für die Alterssicherung zukommt. Die Einkommenssituation älterer Menschen in Deutschland stellt sich im Vergleich zu den anderen Ländern als relativ gleichmäßig dar, aber
5.2 Die materielle Lebenssituation älterer Menschen
151
auch hier sind ältere Menschen in den unteren Einkommensschichten häufiger, in den oberen seltener zu finden als die Gesamtbevölkerung. Ähnlich wie in den anderen Ländern nimmt überdies der Anteil der Renten und Sozialtransfers mit steigendem Einkommen ab. Die Einkommensposition im Alter stellt sich für Frauen und Männer höchst unterschiedlich dar. Abbildung 5.5 zeigt die mittlere Einkommensposition der Einpersonenhaushalte älterer Männer und Frauen in der Einkommensverteilung aller Privathaushalte.75 Allein lebende ältere Frauen verfügen in allen Ländern über ein niedrigeres Haushaltsnettoeinkommen als allein lebende ältere Männer. Während die Geschlechterlücke aber in Schweden gering ist, so dass sich Männer- und Frauenrentnerhaushalte ähnlich zwischen dem dritten und vierten Einkommensdezil bewegen, ist die Spreizung in den anderen Ländern sehr viel größer. Die größere Gleichheit in Schweden ist allerdings auch für beide Geschlechter mit einer vergleichsweise niedrigen Einkommensposition verbunden, d.h., ältere Menschen beiderlei Geschlechts sind in Schweden in niedrigeren Regionen der Einkommensverteilung zu finden als in den anderen Ländern. Das spiegelt vermutlich das relativ große Gewicht der allgemeinen Volksrente und die fehlende oder für ältere Kohorten geringe Hinterbliebenenversorgung wider. Am höchsten in der Einkommensverteilung ihrer Heimat sind die deutschen Rentnerinnen und Rentner angesiedelt. Die Männer sind zwischen dem fünften und sechsten Dezil zu finden, die Frauen oberhalb des vierten, womit sie in der heimischen Einkommenshierarchie sogar noch höher rangieren als die männlichen Rentnerhaushalte in Schweden. Damit ist das relativ hohe Einkommensniveau der Rentnerhaushalte in Deutschland aber auch mit einem Ausmaß geschlechtsspezifischer Ungleichheit verknüpft, das höher ist als in den drei übrigen Ländern (vgl. Abschnitt 5.2.2). Die bisherigen Analysen der Mikrodaten haben gezeigt, dass die Renten – zumindest wenn man die Einkommenssituation von Haushalten betrachtet – einen ausreichenden Ersatz für die Erwerbseinkommen darstellen. Gleichwohl sind ältere Menschen im unteren und mittleren Einkommensbereich überrepräsentiert. Dies wirft die Frage auf, inwieweit die im niedrigen Einkommensbereich so überwiegenden Renteneinkünfte sowie andere Sozialtransfers ältere Menschen wirksam vor Armut schützen. Dies wird im nächsten Abschnitt untersucht.
75
Einpersonenhaushalte werden betrachtet, weil nur in ihrem Fall die geschlechtsspezifische Zuordnung der Einkommen eindeutig ist.
152
5 Rentensysteme und die materielle Lebenssituation älterer Menschen
Abbildung 5.5: Mittlere Einkommensposition von Frauen und Männern über 65 Jahren in Einpersonenhaushalten
Mittlere Einkommensposition (Dezil) gemessen an allen Privathaushalten
6 5.5 5 4.5 4 3.5 3 2.5 2 1.5 1 Deutschland
Frankreich
Männer, Einpersonenhaushalt
Italien
Schweden
Frauen, Einpersonenhaushalt
Quelle: ECHP 2001, eigene Berechnungen
5.2.6 Altersarmut und ihre Bestimmungsgründe Die Bekämpfung von Armut gilt als zentrale Aufgabe der Sozialpolitik. So richteten sich die sozialpolitischen Programme in den 1960er und 1970er Jahren stark an der Bekämpfung der Altersarmut aus. Mit der anhaltenden wirtschaftlichen Prosperität, den steigenden Beschäftigungsniveaus und dem Ausbau der Rentenversicherungssysteme reduzierten sich die Armutsrisiken von älteren Menschen deutlich. Tabelle 5.15 zeigt drei zentrale Armutsindikatoren, die sich jeweils an der von der EU bevorzugten Armutsgefährdungsgrenze orientieren. Diese ist definiert als 60 Prozent vom Median des Haushaltsäquivalenzeinkommens in der Bevölkerung. Der erste Indikator, die Armutsquote, gibt den Anteil der Personen
5.2 Die materielle Lebenssituation älterer Menschen
153
an, deren Einkommen unterhalb dieses Grenzwertes liegt.76 Die Armutslücke gibt den durchschnittlichen Einkommensabstand einkommensarmer Personen zur Armutsgrenze in Prozent der Armutsgrenze an. Die Armutspersistenz ist ein Indikator für den Anteil der Bevölkerung, der dauerhaft unter der Armutsgrenze bleibt. Als dauerhaft arm werden alle Personen gewertet, deren Einkommen sowohl im Basisjahr (hier 1997) unter der Armutsgrenze lag als auch in mindestens zwei der drei darauffolgenden Jahre. Nur in Schweden kann man von relativ seltener Altersarmut sprechen. Die Armutsraten älterer Menschen liegen deutlich unter dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung und sind mit deutlich weniger als zehn Prozent auch im Ländervergleich auf relativ niedrigem Niveau. Auch die Armutslücke, also der Einkommensabstand zur Armutsgrenze, ist für arme Schweden höheren Alters geringer als für jüngere Arme. Auffällig ist, dass in Schweden Frauen doppelt so häufig von Altersarmut betroffen sind wie Männer. Dies entspricht zwar dem obigen Befund zu den Einkommenspositionen, ist aber angesichts der Volksrente und der großzügigen Berechnungsgrundlage der Renten erstaunlich. Eine Erklärung ist, dass bis in die 1960er Jahre hinein Frauen nicht häufiger erwerbstätig waren als in Deutschland und Frankreich (vlg. Kapitel 4.1.2) und damit auch keine hohen Rentenanwartschaften über die staatlich garantierte Volksrente hinaus erwarben. Die prekäre Lage älterer Schwedinnen ist umso eindrücklicher, wenn man berücksichtigt, dass Frauen und Männer in der schwedischen Gesamtbevölkerung etwa gleich häufig von Armut betroffen sind. Unterproportionale Altersarmutsraten, gemessen am Armutsrisiko der Gesamtbevölkerung, weist neben Schweden nur Italien auf. Das italienische Niveau der Altersarmut ist aber im Ländervergleich dennoch am höchsten. Fast jeder fünfte ältere Mensch in Italien lebt unterhalb der Armutsrisikogrenze. Wie das Armutsniveau, so ist auch die Armutspersistenz in Italien – anders als in den Vergleichsländern – bei älteren Menschen geringer als in der Gesamtbevölkerung. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass erwachsene Kinder häufig mit im Haushalt leben. Der Einstieg der Kinder in die Erwerbsarbeit und ihr beruflicher Aufstieg tragen wesentlich zur Verbesserung des Haushaltseinkommens der 76
Armutsquoten müssen mit Vorsicht interpretiert werden. Durch die Festsetzung von staatlichen Mindesteinkommen bei der Sozialhilfe oder der Grundrente gibt es eine Verdichtung der Einkommensverteilung in einem bestimmten Einkommensabschnitt im unteren Einkommensbereich. Je nachdem wie die Armutsgrenze gewählt ist, liegt dieser Einkommensabschnitt unterhalb oder oberhalb der Armutsgrenze. Eine leichte Verschiebung der Armutsgrenze kann so zu einer drastischen Erhöhung oder Reduktion der Armut bei bestimmten sozialen Gruppen führen. Zudem beeinflusst die Methode der Äquivalenzgewichtung die Armutsquote gerade bei verschiedenen Altersgruppen, denn je nach Alter variiert die Haushaltszusammensetzung. Da die pragmatischen Äquivalenzskalen Personen im Haushalt unterschiedlich stark gewichten, ergeben sich nur durch die Wahl der Äquivalenzskala Schwankungen der Armutsquoten.
154
5 Rentensysteme und die materielle Lebenssituation älterer Menschen
Ruheständler bei. Frauen sind in Italien nicht wesentlich häufiger von Armut betroffen als Männer, und im Ländervergleich weist Italien sogar die geringste Geschlechterdifferenz auf. Hauptgrund dafür sind einerseits relativ großzügige Witwenrenten und andererseits, dass auch Männer oftmals nur unzureichende Rentenansprüche erworben haben, so dass ihre Armutsrate im Ländervergleich hoch ist.77 Tabelle 5.15: Altersarmut Gruppe
Deutschland
Armutsquote
Quotient Frauen/ Männer
Armutslücke
2001
2001
2001
Armutspersistenz c 19972001
65 Jahre u. älter
12,0
1,59
20,0
7,4 (61)
Gesamt
10,4
1,21
25
5,5 (48)
Frankreich
65 Jahre u. älter
18,9
1,23
21,6
12,9 (74)
Gesamt
13,9
1,01
25
8,4 (57)
Italien
65 Jahre u. älter
18,0
1,16
23,8
10,8 (56)
Gesamt
18,5
1,06
31
12,7 (65)
65 Jahre u. älter
7,5
1,95
15,5
-
Gesamt
9,8
0,99
28
-
Schweden
Erläuterung: Als Armutsgrenze gilt 60 Prozent des Medians des Haushaltsäquivalenzeinkommens c Die erste Zahl in der Spalte drückt aus, wie hoch der Anteil der dauerhaft unter der Armutsgrenze lebenden Personen an der Gesamtpopulation ist. Die Zahl in Klammern ist ein Prozentwert, der angibt, welcher Anteil der 1997 Armen auch in den Folgejahren arm bleibt. Quelle: ECHP 1994-2001, eigene Berechnungen
Die französische Quote der Altersarmut ist höher als im Bevölkerungsdurchschnitt. Mit einem Abstand von 5 Prozentpunkten im Vergleich zur Gesamtbevölkerung sind ältere Menschen in Frankreich stark überproportional von Armut 77
Eine geschlechterspezifische Analyse der Haushaltseinkommen ohne Witwen- und Waisenrenten hat gezeigt, dass Hinterbliebenenrenten vor allem in Deutschland und Italien die Einkommenssituation von allein stehenden Frauen im Vergleich zu Männern verbessern. In Frankreich ist diese Verbesserung der Einkommenssituation von Frauen weit weniger stark ausgeprägt, was auf ein niedrigeres Niveau der Hinterbliebenenversorgung hindeutet. Für Schweden liegen keine Daten vor. Da es allerdings in Schweden nur Übergangsgelder bei Tod des Partners gibt, dürften sich die Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern kaum verändern.
5.2 Die materielle Lebenssituation älterer Menschen
155
betroffen. Zudem ist die Dauerhaftigkeit der Armut bei älteren Menschen sehr hoch. Drei von vier älteren Menschen in Frankreich, die 1997 als arm galten, sind es auch in den Folgejahren. Nur wenige Wege führen aus der Armut im Alter heraus. Ein Grund dafür ist die ungünstige Indexierung der Renteneinkommen (vgl. Abschnitt 5.1.3). In Deutschland übertrifft die Armutsquote der Altenbevölkerung trotz des beträchtlichen Ausbaus der Alterssicherung ebenfalls die der Gesamtbevölkerung, wobei Frauen im Rentenalter deutlich häufiger in Armut leben als Männer. Die übrigen Kennziffern zur Tiefe und Persistenz der Armut sind höher als in Schweden, aber niedriger als in Italien und Frankreich. Insofern fällt die Armutsvermeidungskapazität der deutschen Alterssicherung im internationalen Vergleich weder besonders negativ noch sonderlich positiv auf. Das Risiko, im Alter in Armut zu leben, kann je nach Land unterschiedliche Bestimmungsgründe haben. Die in Tabelle 5.16 präsentierten Regressionsmodelle untersuchen fünf Einflussfaktoren neben dem Geschlecht. Zu erwarten ist, dass Personen, die ohne Partner leben, ein höheres Armutsrisiko aufweisen. Bei Verwitwung sollte der Effekt durch die Hinterbliebenenrenten gemindert sein, außer für Schweden, wo es keine fortdauernden Hinterbliebenenleistungen gibt. Ein höheres Armutsrisiko älterer Jahrgänge sollte vor allem in den Ländern zu finden sein, in denen die Indexierung der Renten sich nicht oder nur teilweise an der Lohnentwicklung orientiert. Dies trifft vor allem auf Frankreich und Schweden zu. Allerdings können unterschiedliche altersspezifische Erwerbsmuster diese Effekte überlagern. Da für Personen, die nicht mehr erwerbstätig sind, keine Informationen zum Beruf oder der früheren Beschäftigung vorlagen, wurde als Ersatz die Bildungsqualifikation herangezogen. Die Erwartung ist hier, dass Rentenleistungen umso höher ausfallen, je besser der Bildungsabschluss ist, da mit höherer Bildung in der Regel lukrativere und weniger unterbrochene Erwerbskarrieren verbunden sind. Darüber hinaus spielt das Zusammenleben mit Erwerbstätigen im Haushalt eine wichtige Rolle. Vor allem in Italien tragen Einkommen aus der Erwerbstätigkeit jüngerer Haushaltsmitglieder zur Aufbesserung des Haushaltseinkommens älterer Menschen bei. Deshalb sollten erwerbstätige Personen im Haushalt das Armutsrisiko reduzieren, und dies besonders augenscheinlich in Italien. Schließlich ist zu erwarten, dass ein eigenständiges Renteneinkommen die Wahrscheinlichkeit, arm zu sein, reduziert. Die statistische Analyse zeigt, dass in allen Ländern die Unterschiede zwischen Männern und Frauen über andere soziale Merkmale vermittelt sind. Hält man diese Einflussfaktoren statistisch konstant, so haben Frauen kein substanziell höheres Armutsrisiko im Alter als Männer. Entscheidend für ein erhöhtes Armutsrisiko sind länderübergreifend zwei Faktoren: erstens der Familienstand und zweitens die berufliche Karriere. Verwitwete und allein lebende Personen
156
5 Rentensysteme und die materielle Lebenssituation älterer Menschen
sind eher von Armut betroffen als verheirate oder zusammenlebende Paare. Durch die höhere Lebenserwartung von Frauen, das niedrigere Heiratsalter und den demografischen Frauenüberschuss nach dem 2. Weltkrieg leben Frauen häufiger in dieser Situation als Männer. Weitere Analysen von Interaktionseffekten zeigen, dass nicht nur verwitwete oder ledige Frauen ein erhöhtes Armutsrisiko aufweisen, sondern dass das Leben ohne Partner auch für Männer das Armutsrisiko erhöht. Dies gilt, wie erwartet, insbesondere für Schweden, da das Rentensystem dort keine dauerhafte Hinterbliebenenrente gewährt. In allen Ländern führt ein höherer Bildungsabschluss zu einer starken Reduzierung des Armutsrisikos im Alter. Die damit verbundenen besseren Erwerbschancen tragen entscheidend zur Verbesserung der Lebenslage im Alter bei. Die zentrale Bedeutung von Bildung für den weiteren Lebensverlauf wird damit einmal mehr bestätigt. In den hier betrachteten Geburtskohorten haben Frauen im Durchschnitt geringere Bildungsabschlüsse als Männer. Dies ist neben dem Familienstand der zweite Faktor, der die Einkommensungleichheit zwischen Männern und Frauen im Alter erklärt. Nur in Schweden sind die Unterschiede eher gering. Neben diesen generellen Mustern zeigen sich einige länderspezifische Risikofaktoren für Altersarmut. In Deutschland haben geschiedene ältere Menschen, die nicht wieder mit einem Partner zusammenleben, ein überhöhtes Armutsrisiko. Durch die längere Lebenserwartung und das jüngere Heiratsalter von Frauen betrifft dies wiederum mehr Frauen als Männer. Wie angenommen, findet in Italien, aber auch in Deutschland, eine deutliche Armutsreduktion statt, wenn erwerbstätige jüngere Personen im Haushalt der älteren Menschen leben. Dies betrifft rund ein Viertel der Rentnerhaushalte in Italien und immerhin noch 12 Prozent in Deutschland. In Frankreich ist zwar ein Effekt in die gleiche Richtung zu erkennen, aber er erreicht dort nicht das Niveau statistischer Signifikanz. Ein eigenständiges Renteneinkommen mindert überall das Armutsrisiko im Alter, aber nur in Italien und Schweden ist der Effekt statistisch signifikant. Er hat für beide Länder aber sehr unterschiedliche Bedeutung. Während in Schweden nur eine kleine Minderheit von Personen ohne die universelle Volksrente bleibt, ist der Anteil der Personen ohne eigenen Rentenanspruch in Italien mit 29 Prozent bei den Frauen und 6 Prozent bei den Männern recht groß.
157
5.2 Die materielle Lebenssituation älterer Menschen
Tabelle 5.16:
Logistische Regression: Einflussfaktoren von Armut im Rentenalter
Abhängige Variable: Haushaltseinkommen unterhalb der Armutsgefährdungsgrenze, 1=Ja Unabhängige Variablen Frau
Deutschland
Frankreich
Italien
Schweden
b
b
b
b
-0,28
0,00
-0,18
0,34
0,42**
0,53***
1,47***
Familienstand: Referenz verheiratet/zusammenlebend Verwitwet Ledig Geschieden
0,53* *
***
0,77
0,68
1,22***
***
-0,03
0,71
0,95*
1,10
2,30
**
Alter: Referenz 65-69 Jahre 70-74 Jahre
-0,03
-0,12
-0,17
0,89
75-79 Jahre
0,04
0,18
-0,23
0,98*
80 Jahre und älter
-0,55
0,52**
-0,54**
1,02*
Bildung: Referenz niedriger Bildungsabschluss Mittlerer Abschluss
-1,46***
-1,71***
-1,38***
-1,21**
Hoher Abschluss
-2,63***
-2,22***
-1,05**
-1,55*
Eigenes Renteneinkommen
-0,56
Erwerbstätige Person im Haushalt
-1,55
N: 2
Pseudo R
***
-0,18
***
-4,46***
***
--- c
-0,63
-0,37
-1,47
1593
1959
2415
979
0,16
0,06
0,08
0,16
Erläuterung: Es ist nicht zulässig, die Größe der angegebenen Koeffizienten zwischen den einzelnen Ländermodellen zu vergleichen, da die Koeffizienten sich modellspezifisch ergeben. Das Hauptaugenmerk liegt in dieser Tabelle auf der unterschiedlichen Einflussstärke und -richtung der Koeffizienten innerhalb eines Landes. c Kommt in Schweden nicht vor. Dies liegt zum einen am abweichenden Haushaltskonzept. Haushalte werden als gemeinsame Steuereinheiten definiert. Erwachsene Kinder, die bei ihren Eltern leben, bilden eine eigene Steuereinheit und werden dadurch als getrennter Haushalt gewertet. Außerdem leben ältere Menschen in Schweden allgemein sehr selten mit ihren Kindern zusammen. Signifikanzen: * p<0.05, ** p<0.01, *** p<0.001 Quelle: ECHP 2001, eigene Berechnungen
Der Vergleich der Altersgruppen zeigt, dass in Frankreich und Schweden ein höheres Alter das Armutsrisiko im Vergleich zur Altersgruppe der 65- bis 69Jährigen steigert. Vor allem in Schweden haben früher geborene Kohorten eine
158
5 Rentensysteme und die materielle Lebenssituation älterer Menschen
höhere Wahrscheinlichkeit, ein niedriges Einkommen zu beziehen. Ein Grund dafür kann sein, dass die einkommensbezogene Zusatzrente (ATP) erst 1959 eingeführt wurde und das schwedische Beschäftigungswunder erst in den 1960er und 1970er Jahren einsetzte. Deshalb erlangten viele der heute hochbetagten Rentner keine hohen Anwartschaften. In Frankreich kann neben den veränderten Erwerbskarrieren der Grund in der ungünstigen Indexierung der Renten zu finden sein, die im Lauf der Jahre zu einem relativen Wertverlust im Vergleich zu den Erwerbseinkommen führt, der vor allem Rentner im hohen Alter schlechter stellt. Die Analyse der Struktur der Haushaltseinkommen hat gezeigt, dass Renten die zentrale Einkommensquelle im Alter sind. Im Prinzip müssen die Rentenzahlungen unabhängig davon, ob sie aus umlagefinanzierten staatlichen Systemen oder aus kapitalgedeckten privaten Versicherungen stammen, aus der aktuellen Wertschöpfung der Volkswirtschaft erbracht werden (Mackenroth 1952). Das heißt nichts anderes, als dass im Wesentlichen die jüngeren Generationen im erwerbsfähigen Alter die Rentenleistungen der älteren erwirtschaften müssen. Dieser Transfer von Jung zu Alt ist der Kern des Generationenvertrags auf der Ebene des Generationenverhältnisses. Auf der Ebene der Generationenbeziehungen in der Familie dreht sich die Transferrichtung in der Regel um. Die im Durchschnitt relativ gute Einkommensabsicherung heutiger Rentner entlastet ihre Kinder von der Aufgabe, Unterstützungsleistungen zu erbringen. Deshalb und weil aufgrund der Datenlage eine Verknüpfung zwischen Renteneinkommen und privaten Transfer nicht möglich war, wird den privaten Transfers an ältere Menschen hier nur wenig Raum gewidmet. Im folgenden Abschnitt sollen anhand der SHARE-Daten Transfers innerhalb der Familie von erwachsenen Kindern an ihre Eltern untersucht werden. 5.3 Private Transfers an ältere Menschen Empirische Studien für Deutschland haben gezeigt, dass finanzielle Transfers von Kindern und Enkeln an Eltern oder Großeltern selten sind (Kohli 1999). Obwohl sie beruflich eingespannt sind und oft unter Zeitdruck stehen, leisten jüngere Menschen den Älteren primär Hilfestellung bei der Erledigung von Arbeiten, emotionale Unterstützung sowie pflegerische Hilfe (Kohli et al. 1999; Szydlik 2002). Dies zeigt sich auch im internationalen Vergleich. Die Tabelle 5.17 gibt an, wie häufig finanzielle Transfers an über 65-Jährige sind, welchen Anteil daran Unterstützungsleistungen von Nachkommen an ihre Eltern haben
159
5.3 Private Transfers an ältere Menschen
und wie hoch im Durchschnitt die Leistungen innerhalb der letzten 12 Monate waren.78 Tabelle 5.17:
Unterstützungsleistungen für ältere Menschen in den letzten 12 Monaten Finanzielle Unterstützung insgesamt (>250 €) in %
Finanzielle Unterstützung von Kindern erhalten (>250 €) in %
Median aller finanziellen Leistungen innerhalb eines Jahre in €
Deutschland
4,2
3,1
600
Frankreich
2,4
1,5
2000
Italien
1,9
0,9
600
Schweden
3,1
1,8
760
Quelle: SHARE 2003, eigene Berechnungen79
In allen Ländern erhält nur eine kleine Minderheit älterer Menschen finanzielle Unterstützung von Privatpersonen, die über 250 Euro im Jahr hinausgeht. Die Quote ist in Deutschland am höchsten, und hier sind es auch vorrangig die eigenen Kinder, die Geld geben. Allerdings ist der mittlere Gesamtbetrag mit 600 Euro im Jahr bescheiden. In Frankreich und Schweden kommen Unterstützungszahlungen seltener vor, sind dafür aber im Schnitt höher als in Deutschland. In beiden Ländern stammen rund 60 Prozent der finanziellen Hilfeleistungen von den Kindern. In Italien sind private Transfers von der jüngeren zur älteren Generation am seltensten. Allerdings mag dieses Ergebnis dadurch verzerrt sein, dass ein Fünftel der erwachsenen Kinder mit den Eltern in einem Haushalt leben und die finanzielle Lage des Haushalts mit ihrem Erwerbseinkommen aufbessern. Im Haushaltskontext übliche Unterstützungen wie die geteilte Finanzierung der Wohnung oder des Essens wurden in der hier ausgewerteten Frage explizit ausgeschlossen. Unsere multivariaten Analysen zur Armutsgefährdung haben aber gezeigt, dass ein zusätzliches Erwerbseinkommen im Haushalt, das in der Regel durch die erwachsenen Kinder bzw. deren Partner erzielt wird, Armut im Rentenalter reduziert.
78
79
Nachkommen, die finanzielle Unterstützung leisten, sind in der Regel leibliche Kinder. In der Analyse wurden aber auch Zahlungen von Schwiegersöhnen/-töchtern und von Enkeln mit berücksichtigt, die aber einen geringen Stellenwert haben. Die Daten des European Social Survey 2004 bestätigen die geringe Bedeutung finanzieller Unterstützung von den Kindern an die Eltern. In Schweden geben 5,3 Prozent der Eltern an, geringe oder umfangreiche finanzielle Unterstützung von ihren Kindern zu erhalten, in Frankreich sind es 3,6 Prozent und in Deutschland 9,5 Prozent. In der Mehrzahl sind es aber nur geringe finanzielle Unterstützungsleistungen, die von den Kindern an die Eltern fließen.
160
5 Rentensysteme und die materielle Lebenssituation älterer Menschen
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass familiale Transfers für die materiellen Lebensbedingungen älterer Menschen eine untergeordnete Rolle spielen. Die Einkommenssituation im Alter hängt im Wesentlichen von Renten ab, und die staatlichen Renten tragen daran den Hauptanteil. Die Einkommenssicherung älterer Menschen durch Junge findet daher im Wesentlichen auf der Ebene des institutionellen Generationenverhältnisses statt und wird über staatliche Regelungen normiert. Die wesentlichen Trends der Rentenpolitik sollen abschließend noch einmal zusammengefasst werden. 5.4 Zentrale Befunde und rentenpolitische Implikationen des Vergleichs Entsolidarisierungstendenzen aufgrund der Reformen Unsere empirischen Analysen sind von der Situation zu Beginn der 1990er Jahre ausgegangen. Inzwischen haben die Rentenreformen des letzten Jahrzehnts die rentenrechtlichen Regelungen zum Teil drastisch verändert, aber der Effekt wird erst in der Zukunft voll spürbar werden. In einigen Ländern bedurfte es vieler kleiner Reformen, in anderen konnten die zentralen Parameter mit einer einzigen „Jahrhundertreform“ überholt und neuen Gegebenheiten angepasst werden. Sämtlichen Reformen ging es primär darum, die finanzielle Nachhaltigkeit der Systeme zu sichern, ohne ihre soziale Sicherungsfunktion auszuhöhlen. Die eingeschlagene Richtung der Reformen lässt sich aber doch als Privatisierungsund Entsolidarisierungstendenz beschreiben. Der Schwerpunkt der Reformen lag auf der Individualisierung sozialer Risiken durch die Stärkung des Äquivalenzprinzips und die Schwächung von Mindestsicherungskomponenten sowie der zunehmenden Privatisierung durch den Aufbau einer dritten Säule. Der einzige „Gegentrend“ liegt im Ausbau familienbezogener Rechte. Obwohl die Richtung der Reformen überall ähnlich war, unterschied sich die länderspezifische Intensität des Umbaus. Das zeigt die Tabelle 5.18, welche die Intensität der Reformen innerhalb der ausgewählten Vergleichsdimensionen als „hoch“, „mittel“ oder „schwach“ einstuft. Die Intensität der Reformen variiert natürlich mit den Ausgangsbedingungen. So musste ein Land wie Deutschland, das von jeher der Berechnung der Renten die gesamte Erwerbsbiographie zugrunde legte, die Rentenformel weniger ändern als die drei anderen Länder, die bislang nur einen Ausschnitt der Erwerbskarriere betrachtet hatten. Die Tabelle soll auch nicht beurteilen, welche Reform die Nachhaltigkeit der Rente besser gewährleistet, sondern lediglich zusammenfassend beschreiben, was in den einzelnen Ländern geschehen ist, um jenseits der verwirrenden Vielfalt empirischer Details als Komplexität reduzierende Grundlage für die folgenden Schlussfolgerungen zu dienen.
161
5.4 Zentrale Befunde und rentenpolitische Implikationen des Vergleichs
Die Zusammenfassung zeigt, dass Italien seinen rentenpolitischen Kurs am stärksten korrigierte, während Frankreich in stärkerem Maße als die anderen Länder auf Kontinuität bedacht war. Schweden liegt zwischen diesen Extremen. Statt vieler kleiner Reformen hat das Land eine große, oft als „Jahrhundertreform“ bezeichnete Wende vollzogen, indem es sich radikal von der Tradition der universellen Volksrente abwendete und die Leistungen eng an die gezahlten Beiträge und den zu erwartenden demografischen Wandel koppelte. Auch Deutschland erscheint einmal mehr als ein Land, das einen mittleren Weg verfolgte, wobei das Äquivalenzprinzip hier schon ursprünglich stärker was als in den übrigen Ländern. Tabelle 5.18: Intensität der Rentenreformen Deutschland
Frankreich
Italien
Schweden
Mittel
Schwach
Hoch
Mittel
Leichte Anhebung
Keine Änderung
Abschaffung v. Privilegien, allerdings immer noch geschlechtsspez. Unterschiede
Flexibilisierung
Erforderliche Wartezeit
Schwach
Schwach
Hoch
Schwach
Keine Änderung
Keine Änderung
Senkung von 15 auf 5
Keine Änderung
Mindestbeitragszeit für den Bezug einer Altersrente vor gesetzl. Rentenalter
Mittel
Mittel
Hoch
Hoch
Abschaffung der Anhebung um 2,5 Geschlechterunter- Jahre schiede: Anhebung von 15 auf 35 Jahre für Frauen
Anhebung um 5 Jahre
Abschaffung der Mindestbeitragszeit für die Einkommensrente
Rentenberechnungsgrundlage
Mittel
Hoch
Hoch
Hoch
Keine Veränderung, außer Einführung Nachhaltigkeitsfaktor
Anhebung der Anzahl der erforderlichen Versicherungsjahre sowie relevanten Einkommensjahre
Erhöhung von 5 letzten Jahren auf gesamte Erwerbskarriere + Einführung Transformationskoeffizient
Erhöhung von 15 besten Jahren auf gesamte Erwerbskarriere und von max. 30 auf alle Beitragsjahre + Einführung Annuitätsfaktor
Altersgrenze
Fortsetzung auf der folgenden Seite
162
5 Rentensysteme und die materielle Lebenssituation älterer Menschen
Deutschland
Frankreich
Italien
Schweden
Anerkennung von Familienzeiten
Hoch
Schwach
Mittel
Hoch
Anhebung der Leistungen für Kinder, Einführung v. Leistungen für Pflege
Keine Leistungsveränderung bei Kindererziehungszeiten, lediglich Erweiterung der Anspruchsberechtigung auf Männer
Einführung von relativ geringen Leistungen für Kinder und Pflege
Einführung von versch. Modellen der Anrechnung v. Kindererziehungszeiten
Indexierung
Mittel
Hoch
Hoch
Mittel
Weiterhin Bruttolohnentwicklung, jedoch gemindert um Beitragssätze für Alterssicherung
Von Entwicklung des Bruttolohns zu Lebenshaltungskosten
Von Entwicklung des Bruttolohns + Inflation zu Lebenshaltungskosten allein
Von Lebenshaltungskosten zu Einkommen minus „Norm“
Besteuerung und Abgabenbelastung
Hoch
Mittel
Schwach
Schwach
Übergang zur nachgelagerten Besteuerung + zusätzlich zu ½ KV- auch PVBeitrag
CSG zusätzlich zur Einkommensbesteuerung
Weniger Freibeträge
Abschaffung von Freibeträgen
Grund- und Mindestsicherungskomponenten
Hoch
Schwach
Hoch
Hoch
Rente nach Mindesteinkommen nur noch für Kindererziehung + Einführung der bedarfsorientierten GS
Keine Veränderung
Einkommensprüfung auch des Partners bzw. Abschaffung der Mindestrente für Neu-Versicherte
Abschaffung der universellen Volksrente, Einkommensprüfung
Erläuterung: Die Tabelle ist als Ländervergleich zu lesen, d.h., die Veränderung der einzelnen Systemparameter werden nach der im Vergleich der vier Länder festgestellten Stärke der Veränderung als „hoch“, „mittel“ oder „schwach“ beurteilt. Quelle: eigene Zusammenstellung
Stärkung der Äquivalenz von Beiträgen und Leistungen: Wer hat, dem wird gegeben Auf unterschiedlichen Wegen haben alle vier Länder das versicherungstechnische Äquivalenzprinzip gestärkt, indem sie die Renten stärker an die erbrachten Vorleistungen in Gestalt von Beiträgen während des Erwerbslebens koppelten. Während Deutschland und Frankreich dafür nur leichte Korrekturen an der bestehenden Rentenformel vornahmen, führten Schweden und Italien das so ge-
5.4 Zentrale Befunde und rentenpolitische Implikationen des Vergleichs
163
nannte Notional Defined Contribution (NDC)-Prinzip ein, nach dem sich die Leistung – ähnlich wie in privaten Sicherungssystemen – ausschließlich nach den auf individuellen (fiktiven) Konten gutgeschriebenen Beiträgen und deren Erträgen bemisst. Die neuen Formen der staatlichen Förderung privater Vorsorge – sei es in Gestalt der Subventionierung der 2. und/oder der 3. Säule wie in Deutschland, Frankreich und Italien oder in Form der neuen obligatorischen Prämienrente in Schweden – folgen nach dem Motto „Wer hat, dem wird gegeben“ dem Matthäus-Prinzip. Personen mit hohen Einkommen und höheren Beiträgen erhalten die höchste steuerliche Förderung. Hinzu kommt, dass das Erwerbsarbeitsprinzip gestärkt wird, da die steuerliche Förderung der Zahlung von Beiträgen in private Systeme an die Erwerbsarbeit gekoppelt ist. Durch die stärkere Erwerbsbezogenheit werden diejenigen begünstigt, die ein stabiles und kontinuierliches Arbeitsverhältnis besitzen. Benachteiligt werden hingegen alle diejenigen, die nicht oder mit Unterbrechungen erwerbstätig sind bzw. nur geringe Verdienste erzielen. Eine erwähnenswerte Ausnahme vom Prinzip der Stärkung des Äquivalenzprinzips in der Förderung neuer Versicherungsformen stellt die Kinderzulage bei der deutschen Riesterrente dar, die Familien mit Kindern eine günstigere Sparquote einräumt. Kompensationsmechanismen zur Aufwertung der Familienarbeit Alle Länder haben auch Kompensationsmechanismen eingeführt oder ausgeweitet, die der Verstärkung des Versicherungsprinzips entgegenwirken sollen. Dies betrifft vor allem Maßnahmen zur Aufwertung der Familienarbeit, die als Beitrag zur Erhaltung und finanziellen Nachhaltigkeit der Rentensysteme anerkannt wird. Zugleich soll damit die eigenständige Alterssicherung von Frauen unterstützt werden. Hier sind allerdings größere Unterschiede zwischen den Ländern festzustellen. Die Anerkennung von Kindererziehungszeiten in Deutschland und Schweden kann insgesamt als großzügig bezeichnet werden. In Frankreich wirken die zusätzlich angerechneten trimestres nicht wie in den anderen beiden Ländern rentensteigernd, sondern dienen lediglich dazu, die erforderliche Mindestbeitragszeit für eine Rente ohne Abschläge zu erreichen. Auch die im italienischen System angelegten Anerkennungszeiten kompensieren den Verlust von Erwerbsarbeitszeit aufgrund der Kindererziehung nicht vollständig. Das italienische Rentenrecht gibt aber die Möglichkeit, Zeiten der Pflege bedürftiger Familienangehöriger anzurechnen, wenn auch bislang nur in bescheidenem Maß. In ähnlicher Form werden in Deutschland Beiträge für pflegende Angehörige entrichtet. Die Rentensysteme Frankreichs und Schwedens kennen entsprechende Regelungen bislang nicht und ignorieren pflegebedingte Abwesenheitszeiten vom Arbeitsmarkt.
164
5 Rentensysteme und die materielle Lebenssituation älterer Menschen
Schwächung der Mindestsicherung Zur Stärkung des Äquivalenzprinzips gesellten sich in allen vier Ländern Schwächungen der Mindestsicherung. Da es in erster Linie Frauen sind, die niedrige Renten beziehen, waren sie von diesen Neuerungen besonders stark betroffen. Damit wurden die Kompensationsmechanismen zur Anerkennung der Familienarbeit durch die Schwächung der Mindestsicherung zum Teil wieder konterkariert. In Frankreich erodierte die Kaufkraft der Mindestsicherung, weil der Gesetzgeber auf eine Anpassung an die Wirtschaftsentwicklung verzichtete. In Deutschland gab es zwei zentrale Reformen: Zum einen gilt die Rente nach Mindesteinkommen nun nur noch für Beitragszeiten vor 1992. Für die Zeit danach können lediglich noch Beiträge, die aufgrund von Kindererziehung niedrig sind, aufgestockt werden. Die vorher geltende Rente nach Mindesteinkommen ist damit eingeschränkt worden und hat eine Familienkomponente erhalten. Zum anderen haben aber ältere Menschen mit unzureichenden Alterseinkommen seit 2003 einen Anspruch auf die bedarfsorientierte Grundsicherung. Der Anspruchsermittlung liegt zwar die Betrachtung der Renteneinkommen auf der Haushaltsebene zugrunde, dabei bleibt seit der Reform aber das Einkommen der Kinder unberücksichtigt, so dass die Familien hier entlastet wurden. Von einem gegenläufigen Trend war die Entwicklung in Italien gekennzeichnet. Dort werden Niedrigrenten seit der Reform nicht mehr per se aufgestockt, sondern sind von einer Einkommensprüfung auf Haushaltsebene abgängig. Damit werden Frauen wieder in verstärktem Maße wirtschaftlich vom Ehegatten abhängig. Schweden garantiert Personen mit geringen Renten zwar nach wie vor eine Grundsicherung, aber die gibt es seit der Reform nicht mehr in Gestalt der universellen Volksrente, sondern sie ist nun von einer individuellen Einkommensprüfung abhängig. Mit Ausnahme Frankreichs haben unsere Untersuchungsländer also den Zugang zur Mindestsicherung erschwert. Deutschland ist allerdings insofern ein Sonderfall, als die Streichungen alter Formen bei Schaffung neuer Möglichkeiten der Grundsicherung schwer auf einen Generalnenner zu bringen sind. Reformvorschläge, wie der Entsolidarisierung entgegenzuwirken ist Die stärkere Kopplung der Renten an die Erwerbs- und Beitragskarriere bewirkt in Kombination mit der Zunahme atypischer oder phasenweise unterbrochener Erwerbsarbeitsverhältnisse eine Gefahr, dass die Rente für eine zunehmende Zahl älterer Menschen künftig zur Sicherung des Lebensstandards im Alter nicht mehr ausreicht. Dies gilt umso mehr, als Menschen in prekäreren Beschäftigungsverhältnissen von den neuen Formen der steuerlichen Förderung privater Vorsorge typischerweise nicht profitieren können. Die rentenpolitische Umverteilung von unten nach oben, die in der Rentenversicherung heute schon dadurch besteht, dass
5.4 Zentrale Befunde und rentenpolitische Implikationen des Vergleichs
165
die Angehörigen höherer Einkommensschichten langlebiger sind und damit die Rente für längere Zeit beziehen, würde damit in Zukunft noch verstärkt. Zur Lösung dieses Problems werden in Deutschland zwei Vorschläge diskutiert, die das Solidarprinzip stärken sollen. Da ist zum einen die von der BfA entwickelte Idee, generell bis zu fünf Versicherungsjahre als flexible Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung gutzuschreiben (Langelüddeke et al. 1999; Rabe und Langelüddeke 1999). Damit würde besonders Versicherten mit unterbrochenen Erwerbskarrieren bzw. Phasen geringen Verdienstes geholfen. Der zweite Vorschlag basiert auf der Idee einer sozialen Grundsicherung, die allen Personen eine eigenständige soziale Sicherung böte und ergänzt würde durch eine obligatorische berufliche oder individuelle Vorsorge (Hans-BöcklerStiftung 2003). Das teilweise prekäre Sicherungsniveau der heutigen Renten Die individuelle Durchschnittsrente bleibt überall weit unter dem Niveau der Standardrente. Auch das Niveau der Durchschnittsrente erreichen viele Rentner aber nicht, so dass ein nicht geringer Teil von den in allen Ländern angebotenen Mindestsicherungsklauseln Gebrauch machen muss. Das deutsche Rentensystem hat die Leistungshöhe von jeher an der gesamten Beitragszeit orientiert. Viele Rentenbezieher, insbesondere auch Frauen in den neuen Bundesländern, können aber lange Beitragszeiten vorweisen, da in der ehemaligen DDR die Erwerbstätigkeit von Frauen einen höheren Stellenwert hatte. Deshalb weicht die institutionelle Modellrente weniger stark vom durchschnittlichen individuellen Rentenniveau ab als in Frankreich oder Italien, wo die Lücke, die den Durchschnittsrentner vom Standardrentner trennt, insbesondere aufgrund der unstetigen Erwerbskarrieren von Frauen besonders groß ist. Auf Haushaltsebene betrachtet, stellt sich das Sicherungsniveau im Vergleich zur Erwerbsphase wegen der Aufsummierung mehrerer Renteneinkommen als günstiger dar als im Falle der Individualbetrachtung. Da die Rentenbezugsraten sowohl bei Männern als auch bei Frauen sehr hoch sind, verfügen die meisten Paarhaushalte mit älteren Menschen heute über zwei individuelle Renteneinkommen. Nur Italien bildet in dieser Hinsicht eine Ausnahme, weil viele Italienerinnen kein eigenes Renteneinkommen haben. Dennoch erreichen auch italienische Rentnerhaushalte ein relativ hohes Sicherungsniveau, weil häufig noch Erwerbseinkommen die Rente ergänzen. Frankreich ist das einzige Land, in dem das Sicherungsniveau der Standardrente auch auf Haushaltsebene weit verfehlt wird. Der Ausbau der Rentensysteme seit den 1960er Jahren hat dazu geführt, dass die Altersarmut beträchtlich reduziert wurde und es der Mehrheit der älteren Menschen finanziell deutlich besser geht. Gleichzeitig wuchs damit auch die ökonomische Unabhängigkeit von der Familie. In allen vier Untersuchungslän-
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5 Rentensysteme und die materielle Lebenssituation älterer Menschen
dern liegt das Einkommen der Mehrheit der Rentnerhaushalte heute im unteren bis mittleren Einkommensbereich. Niedrigeinkommen sind damit bei Rentnern, abgesehen von Frankreich, selten. Trotzdem ist das Problem der Altersarmut nicht vollständig beseitigt, und es hat in den vier Ländern sehr unterschiedliche Ausmaße. Einzig für Schweden kann man von einer geringen Armutsquote alter Menschen sprechen. In Deutschland ist die Altersarmut moderat, und die Armutsquote älterer Menschen bleibt unter dem Niveau der Gesamtbevölkerung. Frankreich und Italien haben hingegen noch hohe und im Falle Frankreichs auch überproportionale Armutsquoten älterer Menschen.
Die Geschlechterungleichheit in den Rentensystemen Die institutionellen Regelungen der Rentensysteme sind heute meist – nicht zuletzt dank des Einflusses europäischer Rechtsprechung – geschlechtsneutral definiert. Dennoch resultieren gerade aus der vermeintlichen institutionellen Geschlechtsblindheit durchaus auch geschlechtsspezifische Bevorzugungen und Benachteiligungen. Weil die Erwerbskarriere von Frauen meist lückenhafter und stärker vom Bezug von Niedriglöhnen gekennzeichnet ist als die von Männern, verfügen Frauen in der Regel über niedrigere Rentenanwartschaften, und dies gilt umso mehr, je stärker die Äquivalenz von Leistungen und Beitragszahlungen im Rentenrecht betont wird. Umgekehrt kommen die Aufwertung der Familienarbeit und andere Abschwächungen des Äquivalenzprinzips wie etwa die Verkürzung von Wartezeiten eher Frauen zugute, die aufgrund ihrer größeren Langlebigkeit die Rente im Durchschnitt auch einige Jahre länger beziehen als Männer. Unser Ländervergleich hat ein immer noch großes Gefälle des Rentenbezugs von Männern und Frauen ergeben, das aber von Land zu Land unterschiedlich ausfällt. Die vergleichende Beurteilung des Sicherungsniveaus deutscher Rentnerinnen ist dabei sehr komplex. Auf der einen Seite erreichen allein lebende deutsche Rentnerinnen eine relativ hohe Position im Einkommensgefüge (vgl. Abbildung 5.5). Auf der anderen Seite ist der Abstand zur Lohnersatzquote der Männer größer als in Schweden oder Italien (Tabelle 5.12). Allerdings erklärt sich die gute Positionierung deutscher Rentnerinnen im Einkommensgefüge zum Teil durch großzügige, abgeleitete Sicherungsansprüche wie die Hinterbliebenenrente, während eigenständige Renteneinkommen, die in der zweiten Betrachtungsweise maßgebend sind, die Geschlechterunterschiede auf dem Arbeitsmarkt widerspiegeln. Eindeutig ist Schweden das Land mit der größten Geschlechtergleichheit im Rentenbereich, während Frankreich und Italien durch vergleichsweise große Sicherungslücken von Frauen auffallen. In Italien erwerben 30 Prozent der älteren Frauen keine eigenen Rentenansprüche, so dass sie in einer prekären und abhängigen Situation bleiben.
5.4 Zentrale Befunde und rentenpolitische Implikationen des Vergleichs
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Unsere multivariaten Analysen zur Verbreitung des Armutsrisikos im Alter haben gezeigt, dass geschlechtsspezifische Unterschiede schwinden, wenn andere Einflussgrößen statistisch kontrolliert werden, von denen Frauen häufiger betroffen sind als Männer. So erhöht sich das Risiko, arm zu sein, wenn der Partner stirbt. Darüber hinaus sind Armutsrisiken im Alter aber auch eine Konsequenz aus fehlenden Qualifikationen, denn niedrige Bildungsabschlüsse führen in allen Ländern zu einer starken Erhöhung des Armutsrisikos. Da sich bei den hier untersuchten Geburtskohorten das Bildungsniveau von Männern und Frauen noch stark zuungunsten der Frauen unterscheidet, sehen sich die im Durchschnitt schlechter qualifizierten Frauen dadurch auch einem höheren Armutsrisiko ausgesetzt. Die Gefahr einer neuen Altersarmut Unsere Analysen haben klar ergeben, dass die Rente die zentrale Einkommensquelle im Alter ist. Dabei dominieren bei weitem die staatlichen Rentenleistungen. Vor allem für untere Einkommenspositionen sind Renten meist die einzige verfügbare Einkommensquelle, da Vermögen und Kapitalerträge kaum vorhanden sind. Hinzu kommt, dass betriebliche und private Rentenleistungen bei ärmeren Haushalten seltener sind. Wo Personen im unteren Einkommensbereich über Bezüge aus privaten Rentenverträgen verfügen, sind die Beträge relativ niedrig (Behrendt 2000). Jede Reform der Rentensysteme, die eine Verringerung des staatlichen Rentenniveaus mit sich bringt, wird ältere Menschen mit vormals niedrigen Erwerbseinkommen und verkürzten Beitragszeiten am stärksten treffen, weil dort die Abhängigkeit von staatlichen Renten am höchsten ist. Die Stärkung des Äquivalenzprinzips, die verringerte Bedeutung der Mindestsicherung und die Privatisierung gefährden vor allem zukünftige Rentner, die im Verlauf ihres Erwerbslebens niedrige Löhne bezogen haben, unterbrochene Erwerbskarrieren verzeichneten oder keine ausreichende private Vorsorge aufbauen konnten. Aber auch bei der derzeitigen Rentnergeneration kann es mit zunehmendem Alter wieder zu stärkeren Verarmungstendenzen kommen, weil die Veränderung der Indexierungsregeln und die je nach Land unterschiedliche zusätzliche Belastung der Renteneinkommen durch Steuern oder Sozialabgaben das individuelle Rentenniveau im Vergleich zur allgemeinen Einkommensentwicklung absenken. Aus all diesen Tendenzen ergibt sich auf absehbare Zeit eine zunehmende Armutsgefährdung im hohen Alter. Die Alterssicherung der Frauen wird sich vermutlich positiv entwickeln, weil Frauen durch höhere Bildungsabschlüsse und größere Erwerbsbeteiligung zunehmend besser in den Arbeitsmarkt integriert sind. Zudem kommt ihnen mit der Anerkennung von Erziehungs- und Pflegezeiten die einzige Reformtendenz zugute, die dem stärkeren Beitrag-Leistungsbezug entgegenwirkt. Frauen werden die Leistungseinschnitte in der Rentenversicherung deshalb wohl auffangen
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5 Rentensysteme und die materielle Lebenssituation älterer Menschen
können und nicht mit einem deutlichen Absinken des Rentenniveaus rechnen müssen. Männer sind dagegen die Verlierer des Übergangs von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft. Ihre Beschäftigungsquoten sind in den letzten Jahrzehnten rückläufig, unterbrochene Erwerbskarrieren werden häufiger, und damit werden auch die rentenrechtlichen Lücken künftig größer. Eine Zunahme der Altersarmut ist vor allem in Italien zu erwarten, da das reformierte italienische Rentensystem am striktesten dem Äquivalenzprinzip folgt. In abgemilderter Form gilt dies auch für Frankreich. In Schweden sind die Entwicklungen schwer zu beurteilen, da die obligatorische private Zusatzversicherung stark von der Kapitalmarktentwicklung abhängt. Die Abschaffung der Volksrente und die Kopplung der Rente an die Beitragshöhe führen allerdings auch im schwedischen Rentensystem zu einer Gefährdung der Alterssicherung bei Niedrigverdienern. Die geringsten Einbußen sind wohl in Deutschland zu erwarten. Zum einen war hier das Rentenniveau seit jeher abhängig von der gesamten Erwerbszeit, so dass sich im Vergleich zum bisherigen Status Quo bis auf den neuen Nachhaltigkeitsfaktor nicht viel ändert, während zum anderen der Zugang zur Mindestsicherung für ältere Menschen vereinfacht wurde. Die größten Risiken für die Altersicherung ergeben sich aus unsteten Erwerbsverläufen und niedrigen Erwerbseinkommen. Das bedeutet aber auch, dass die Bekämpfung von Altersarmut schon in den Frühphasen des Lebenszyklus beginnen muss. Rentenreformen beginnen – um es mit einer Formel Gøsta Esping-Andersens (2006) zu sagen – mit Babys. Damit ist gemeint, dass die Erwerbschancen wesentlich vom Bildungsniveau abhängen, das ganz entscheidend schon in den frühen Phasen der Kindheit geprägt wird. Deshalb bilden die Förderung von Kindern im Vorschulalter und die Verbesserung des Bildungswesens die Basis, auf der eine nachhaltige Alterssicherung aufbauen kann. Refamilialisierungstendenzen Materielle Unterstützungsleistungen von erwachsenen Kindern an ihre Eltern sind in allen hier untersuchten Ländern selten. Gesetzliche Verpflichtungen der Kinder zur Unterstützung der Eltern wurden überdies in jüngster Zeit eingeschränkt. Nur Italien bildet hier eine Ausnahme, weil zum einen der Kreis der Unterhaltspflichtigen rechtlich noch breit gezogen ist, während erwachsene Kinder mit eigenem Einkommen noch häufig im Haushalt ihrer Eltern leben. Für Deutschland, Frankreich, Schweden sowie in eingeschränkter Form auch für Italien gilt aber, dass ältere Menschen durch die staatliche Rente sowie durch Eigenvorsorge vom Einkommen anderer Familienmitglieder weitgehend unabhängig geworden sind. Das muss nicht immer so bleiben, denn die mit den Rentenreformen erfolgte Stärkung des Äquivalenzprinzips erhöht die Abhängigkeit von Personen mit
5.4 Zentrale Befunde und rentenpolitische Implikationen des Vergleichs
169
niedrigen Rentenansprüchen von sonstigen Einkommensquellen. Damit könnte familiäre Unterstützung wieder stärker gefragt werden, obwohl die rechtlichen Verpflichtungen der Familienmitglieder gelockert wurden. Von daher könnte ein Bedarf entstehen, die implizite Refamilialisierung finanzieller Absicherung im Zuge der Rentenreformen auch explizit durch rechtliche Neuregelungen familiärer Unterstützungsverpflichtungen zu untermauern. Aktuell besteht jedenfalls eine gewisse Spannung zwischen dem Zurückschrauben staatlicher Alterssicherung einerseits und der rechtlichen Lockerung von Familienverpflichtungen andererseits, so dass künftige Versorgungslücken nicht auszuschließen sind.
171
5.4 Zentrale Befunde und rentenpolitische Implikationen des Vergleichs
6 Die Pflege älterer Menschen
Dieses Kapitel stellt zum einen den Leistungskatalog der staatlichen Pflegepolitik dar und unternimmt zum anderen eine Abschätzung der innerhalb der Familie und durch informelle soziale Netzwerke erbrachten Pflegeleistungen.80 Im Zentrum stehen die Fragen, inwieweit sich staatliche und familiale Leistungen bei der Pflege älterer Menschen ergänzen oder ersetzen und welche spezifischen Pflegearrangements sich in den vier untersuchten Ländern daraus ergeben. Abbildung 6.1: Verhältnis von potenziellen Pflegerinnen zu potenziell zu Pflegenden 1950-2030 16 Prognose 14
Verhältnis
12 10 8 6 4 2
19 50 19 55 19 60 19 65 19 70 19 75 19 80 19 85 19 90 19 95 20 00 20 05 20 10 20 15 20 20 20 25 20 30
0
Frankreich
Deutschland
Italien
Schweden
Definition: Das Verhältnis berechnet sich aus der Anzahl der 45- bis 64-jährigen Frauen dividiert durch die Zahl der über 80-jährigen Personen im entsprechenden Jahr. Quelle: United Nations: World Population Prospects (2004), eigene Berechnungen 80
Da der Hauptteil der Pflegeleistungen durch das soziale Netzwerk von Familienmitglieder erbracht wird (Meyer 2004), verwenden wir synonym den Begriff der familialen Pflege.
172
6 Die Pflege älterer Menschen
In kaum einem anderen Bereich hat der demografische Wandel derart umfangreiche Konsequenzen wie bei der Pflege älterer Menschen. Zwar steigt die Zahl der erwachsenen Kinder im Alter zwischen 45 und 65 Jahren, die für ihre pflegebedürftigen Eltern sorgen können, bis 2030 sogar leicht an. Jedoch nimmt die Zahl der Hochaltrigen, also jenes Personenkreises, der das höchste Pflegerisiko aufweist, überproportional zu. Daraus folgt, dass auf jede potenziell zu pflegende Person im Zeitverlauf weniger potenzielle Pfleger in der Familie – vorwiegend Töchter und Schwiegertöchter – kommen (Abbildung 6.1). Das Ungleichgewicht zwischen Pflegebedarf und Pflegepotenzial in der Familie wird durch zwei Entwicklungen verstärkt: (1) Jüngere Generationen und vor allem die den Hauptanteil der Pflege leistenden Frauen sind vermehrt erwerbstätig und haben weniger Zeit, ihre Eltern zu pflegen. (2) Ältere Menschen leben immer öfter alleine im eigenen Haushalt und können nicht mit einer täglichen Unterstützung ihrer Kinder rechnen. Es gibt aber auch gegenläufige Tendenzen. So kann davon ausgegangen werden, dass ältere Menschen für längere Lebensphasen behinderungsfrei bleiben. Dadurch gibt es mehr ältere Menschen, die selbst die Pflege für ihren Partner übernehmen können. In Deutschland waren im Jahr 2002 schon 33 Prozent aller Hauptpfleger in der Familie älter als 65 Jahre (Meyer 2004). Obwohl sich der Anteil pflegebedürftiger Personen unter den Hochbetagten vermutlich verringern wird, wird zurzeit in allen hier untersuchten Ländern von einer steigenden Absolutzahl pflegebedürftiger Menschen ausgegangen (Bundesministerium für Familie 2001; Duée und Rebillard 2006; European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions 2002; Presidenza del Consiglio dei Ministri 2000) Staatliche Pflegeleistungen wurden in den meisten europäischen Staaten erst seit Ende der 1980er Jahre zu einem eigenständigen Politikfeld. Zuvor blieb die Deckung des Pflegebedarfs entweder der Familie überlassen, oder die Pflege älterer Menschen wurde in die Krankenversicherung integriert oder durch die Sozialhilfe gedeckt. Nur die skandinavischen Länder, die schon seit den 1960er Jahren ein einheitliches Konzept von „social care“ für Kinder, behinderte und pflegebedürftige Menschen entwickelten, etablierten sehr früh eine eigenständige staatliche Pflegepolitik mit ausgedehnten Dienstleistungen. Die Bedeutung von sozialen Diensten als Gestaltungsmerkmal des Wohlfahrtsstaats wurde lange Zeit unterschätzt oder missachtet (Alber 1995). Es gibt aber große länderspezifische Unterschiede bei der Verbreitung und dem Zugang zu öffentlichen oder kommerziellen Dienstleistungen zur Betreuung und Pflege (Bettio und Plantenga 2004; Rostgaard und Fridberg 1998). In der sozialpolitischen Debatte geht es primär um die Bereitstellung oder Unterstützung von sozi-
5.4 Zentrale Befunde und rentenpolitische Implikationen des Vergleichs
173
alen Diensten, also jenen Dienstleistungen, die durch staatliche Stellen kontrolliert und (mit-)finanziert werden (Anttonen und Sipilä 1996).81 Das besondere Interesse an der Analyse von Pflegedienstleistungen in der neueren Zeit hat vor allem zwei Gründe. Zum einen erhöht sich der sozialpolitische Problemdruck durch die steigende Zahl pflegebedürftiger Personen, die aufgrund familialer, kultureller und demografischer Veränderungen nicht mehr (ausschließlich) durch Pflege leistende Familienangehörige betreut werden können. Der Ausbau stationärer Pflegeeinrichtungen gilt hierfür nicht mehr als Lösung, weil ein medizinischer und ethischer Paradigmenwechsel stattgefunden hat, der die individuelle Autonomie der pflegebedürftigen Person im gewohnten sozialen Umfeld zum Maßstab guter Pflege macht. Außerdem sprechen die hohen Kosten sowie die oftmals kritisierte mangelnde Qualität stationärer Betreuung gegen deren Ausbau (Lingsom 1997; OECD 1996). Eine staatliche Einflussnahme auf die Pflege älterer Menschen erfolgt aber auch indirekt über die Formulierung arbeitsmarktpolitischer Zielsetzungen oder durch die Politik zur Gleichstellung der Geschlechter. Das Ziel der LissabonAgenda der Europäischen Union, die Beschäftigungsquoten zu erhöhen und vor allem Frauen stärker in den Arbeitsmarkt einzubinden, verlangt nach Kompensationen für die damit verbundene Reduzierung der Familienarbeit. Der Ausbau sozialer Dienstleistungen entlastet nicht nur Familienmitglieder von Betreuungsund Pflegeaufgaben, sondern bewirkt auch neue Beschäftigungsimpulse im Dienstleistungssektor (Borgermans et al. 2001; Esping-Andersen 2002). In der Praxis hängt es allerdings sehr von den spezifischen Regelungen ab, inwieweit Familien wirklich von der Pflege- und Betreuungsarbeit entlastet werden. Drei Aspekte spielen dabei eine zentrale Rolle:
81
Erstens der legislative Rahmen, der die Verantwortung zur Unterstützung zwischen Familienmitgliedern bestimmt und festlegt, wann und in welchem Umfang staatliche Stellen Pflegeleistungen gewähren. Das europäische Spektrum reicht dabei von einklagbaren sozialen Rechten auf Pflege- und Betreuungsleistungen wie in den skandinavischen Ländern bis zur gesetzlichen Verpflichtung des erweiterten Familiennetzwerkes zur Pflege und finanziellen Unterstützung, wie in den meisten südeuropäischen Ländern (Millar und Warman 1996). Zweitens die staatliche Honorierung der Pflege- und Betreuungsleistungen durch Familienmitglieder. Dabei wird die Pflege und Betreuung zwar weiKommerzielle Dienstleistungen finden sich in der Regel für Angebote, die über die Grundversorgung hinausgehen, wie Freizeit- und Ferienangebote. Der überwiegende Teil der Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen ist in den vier Ländern staatlich organisiert oder von Wohlfahrtsorganisationen bereitgestellt.
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6 Die Pflege älterer Menschen
terhin von Familienmitgliedern geleistet, von Seiten des Staates aber vergütet. Dies kann einerseits durch die rechtliche Gleichstellung der Familienarbeit mit der Erwerbsarbeit geschehen, z.B. durch die in Kapitel 5 erörterte Anrechnung von Pflege- und Betreuungszeiten in der Rentenversicherung. Anderseits können Zahlungen gewährt werden, die entweder formalen Arbeitslöhnen gleichgestellt sind oder zumindest eine symbolische Honorierung der erbrachten Leistungen darstellen. Drittens die Verfügbarkeit und der Zugang zu öffentlichen Sozialdiensten, die Pflege und Betreuungsleistungen anbieten. Die Entscheidung über das geeignete Pflegearrangement hängt dann sehr stark von den Kosten für die Pflegeleistungen und von der Qualität der Pflege ab.
Das Kapitel gliedert sich im Folgenden in drei Abschnitte. Der Vergleich der institutionellen Regelungen zur Pflege auf der Grundlage der oben skizzierten Dimensionen – legislative Verantwortlichkeit, finanzielle Unterstützung und Angebot sozialer Pflegedienste – soll klären, welche Rolle dem Staat bzw. der Familie bei der Pflege zukommt und welche Veränderungen sich seit Anfang der 1990er Jahre ergaben. Der zweite Teil stellt die Verteilung der Pflegeleistungen zwischen Staat und Familie anhand ausgewählter Indikatoren dar. Im dritten Teil wird der Pflegebedarf abgeschätzt und untersucht, welchen Anteil vor allem die erwachsenen Kinder bei der Pflege leisten. Abschließend geht es um die Frage, ob Pflegedienste nicht nur die familialen Pflegeaufgaben teilweise ersetzen, sondern auch dazu führen, dass Kinder weniger Kontakt zu ihren pflegebedürftigen Eltern haben.
6.1 Vergleich der staatlichen Pflegeleistungen Pflege setzt voraus, dass eine Person dauerhaft bestimmter Leistungen bedarf, die sie aufgrund ihres physischen oder psychischen Zustands nicht mehr eigenständig erbringen kann. Bedürftigkeit leitet sich allerdings nicht nur vom körperlichen und mentalen Zustand ab, sondern wird auch durch die Beschaffenheit des Lebensumfelds, wie Wohnsituation oder Transportmöglichkeiten, bestimmt. In der Praxis entstehen daraus eine Vielzahl von Abgrenzungsschwierigkeiten, die mit der Frage zusammenhängen, wer in welchem Maße für bestimmte Bedürfnisse verantwortlich ist (Daatland 1992; Powers 1999) Eine zusammenfassende Beurteilung der erbrachten Pflegeleistungen kann letztlich nicht gegeben werden, da vor allem in der Familie die Übergänge zwischen Pflege und gegenseitiger Unterstützung fließend sind und viele Leistungen von Familienmitgliedern nicht als Pflege gewertet werden (Wenger et al. 1996). Deshalb ist es sinnvoll, prag-
6.1 Vergleich der staatlichen Pflegeleistungen
175
matisch vorzugehen und institutionelle Abgrenzungen zur Pflegebedürftigkeit für den Vergleich heranzuziehen. Allerdings ergeben sich auch hier drei Probleme: Erstens gibt es zwischen den Staaten und oftmals auch innerhalb eines Landes keine einheitlich rechtlich-administrative Definition von Pflegebedürftigkeit. Für einen regionalen Vergleich heißt dies, dass der Pflegeumfang nur relativ zum geltenden Pflegekonzept gemessen werden kann. Darüber hinaus werden Pflegeleistungen in der Familie nur statistisch erfasst, sofern sie im staatlichen System anerkannt und mitfinanziert sind. Zweitens betont der institutionelle Pflegebegriff die faktische oder instrumentelle Pflegearbeit. Der Begriff der „Pflege“ hat jedoch eine doppelte Bedeutung, die im Englischen sehr gut deutlich wird: „To care for“ bedeutet Pflegearbeit leisten, „to care about“ bedeutet, sich um jemanden kümmern. Einige Studien, die den emotionalen, mitfühlenden Aspekt der Pflege betonen, monieren, dass solche Leistungen nur unzureichend von sozialen Diensten erbracht werden können (Finch und Groves 1983; Gilligan 1980; Leira 1994). Die hauptsächlich von Frauen geleistete Pflege in der Familie gilt aus dieser Perspektive als komplementär zur Arbeit sozialer Dienste, welche die emotionale Komponente der Pflege in der Familie nicht vollständig ersetzen können. Kritisiert wird überdies oft, dass der institutionelle Pflegebegriff zu stark medizinisch orientiert ist und die Bedürfnisse der abhängigen Person nur unzureichend berücksichtigt (Thomas 1993). Drittens wird die Situation der pflegenden Person im sozialstaatlichen Pflegesystem nur wenig beachtet. Es gibt zwar in allen hier verglichenen Ländern auch spezielle soziale Dienstleistungen für pflegende Familienangehörige, jedoch zielen die staatlichen Maßnahmen hauptsächlich auf die Situation der pflegebedürftigen Person ab. Insbesondere honoriert die staatliche Förderung familialer Pflege die Menge geleisteter Arbeit, ohne die spezifische Belastungssituation der Pflege leistenden Person zu berücksichtigen (Jani-Le Bris 1993; Twigg und Atkin 1994). Nur in Schweden gibt es seit der Sozialreform 1998 ein erweitertes Angebot an sozialen Diensten für Pflege leistende Personen (Jegermalm 2005). Ein Vergleich von Pflegearrangements muss den Wandel berücksichtigen, der sich in den letzen 45 Jahren vollzogen hat. Bis in die 1960er Jahre hinein gab es in fast allen europäischen Ländern nur die Alternative zwischen Pflege in der Familie und der stationären Pflege in Institutionen, seien es Krankenhäuser, Hospize, Pflege- oder Altenheime (Rostgaard und Fridberg 1998). Ausgehend von Großbritannien und den skandinavischen Ländern entwickelten sich in den 1960er Jahren zunehmend ambulante soziale Pflegedienste, die Unterstützung bei der häuslichen Pflege leisteten. Der Ausbau solcher Pflegedienste verfolgte eine doppelte Zielsetzung. Zum einen hatte sich das Pflegekonzept gewandelt. Aus medizinischen und psychologischen Gründen, aber auch auf der Grundlage ethischer Erwägungen wurde die Wahrung der Autonomie der pflegebedürftigen
176
6 Die Pflege älterer Menschen
Personen zum neuen Leitstern der Pflegepolitik. Familiale und institutionelle Bevormundung sollten vermieden werden. Am stärksten hat sich dieser Grundgedanke in den skandinavischen Staaten durchgesetzt, in denen die Erfüllung der Pflegebedürfnisse zu einem gegenüber dem Staat einklagbaren Sozialrecht geworden ist. Zum anderen waren finanzielle Gründe mit entscheidend. Die Kosten der Heimpflege sind im Vergleich zur ambulanten Pflege, die zusätzlich häufig auf die Unterstützung von Familienmitgliedern baut, deutlich höher. Der steigende Anteil pflegebedürftiger Personen erhöhte den Druck, kostengünstigere Pflegeoptionen zu finden (OECD 1996; Ungerson 1995). Der Kostendruck führt mittlerweile auch bei der ambulanten Pflege dazu, dass die Zielsetzung der Autonomie der pflegebedürftigen Person in Widerspruch zu den zunehmend kürzeren Pflegezeiten gerät, in denen nur das Notwendigste an Pflege geleistet werden kann (Jani-Le Bris 2004). In den folgenden Abschnitten soll geklärt werden, inwieweit der Staat sich in der Verantwortung sieht, Pflegeleistungen zu übernehmen. Dazu wird zunächst beschrieben, wie die gesetzlichen Unterhaltsregelungen in den vier Ländern aussehen. Der erste Abschnitt behandelt die Anspruchsvoraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit der Staat Pflegeleistungen gewährt. Im zweiten Abschnitt stehen Art und Umfang der gewährten Leistungen im Mittelpunkt.
6.1.1 Gesetzliche Regelungen der Versorgungsverpflichtung Der legislative Rahmen, der festlegt, welche Versorgungsverpflichtungen gegenüber bedürftigen Personen bestehen, reicht über die spezifischen Regelungen zur Versorgung im Pflegefall oftmals hinaus. Einerseits geht mit der Bedürftigkeit in persönlichen, häuslichen und medizinischen Belangen einher, dass die entstehenden Pflegekosten das Einkommen der pflegebedürftigen Person überfordern und als Folge finanzielle Bedürftigkeit nach sich ziehen, die im Rahmen der gesetzlichen Mindestsicherung aber geregelt ist. Zum anderen werden in Ländern, in denen keine spezifische Pflegegesetzgebung vorliegt, die Versorgungsverpflichtungen der Familienmitglieder und des Staates zivilrechtlich geregelt. Deshalb bezieht sich der institutionelle Rahmen, der die Pflegearrangements bestimmt, nicht allein auf Regelungen innerhalb der Gesetzgebung zur Pflege. Rechte und Pflichten bei der Pflege älterer Menschen betreffen zum einen die Bestimmung der Zuständigkeit, also die Frage, welche Personen oder Institutionen verantwortlich sind, die Pflege zu erbringen, und zum anderen deren Finanzierung. Tabelle 6.1 zeigt die wichtigsten Regelungen und deren Veränderung seit 1990 im Überblick.
177
6.1 Vergleich der staatlichen Pflegeleistungen
Tabelle 6.1:
Veränderung der Versorgungsverpflichtung zwischen 1990 und 2005 Pflegezuständigkeit
Deutschland
Frankreich
Finanzierung der Pflege
1990
Private Verantwortung; Pflegedienste werden von freien Trägern und Assoziationen bzw. der Familie und durch das erweiterte soziale Netzwerk geleistet. Es gibt kein soziales Recht auf Pflege.
2005
Seit 1995: Rechtlicher Anspruch des Pflegebedürftigen auf Grundleistungen (in Form von Geld und/oder Dienstleistungen). Kinder sind verpflichtet, für den Mehraufwand der Pflegekosten aufzukommen, wenn das Einkommen des Pflegebedürftigen nicht ausreicht. Der Selbstbehalt der Kinder hat sich allerdings im Vergleich zu 1990 erhöht. Unterstützung durch Sozialhilfe gibt es weiterhin, wenn der Beitrag der Kinder zur Deckung der Kosten nicht ausreicht.
1990
Trennung zwischen medizinischen und sonstigen Pflegeleistungen. Anspruch auf medizinische Leistungen durch die Krankenversicherung, ansonsten private Verantwortung.
Teilweiser Versicherungsschutz im Pflegefall durch Krankenversicherung und bedarfsgeprüft durch die Rentenversicherung für sozialversicherte Personen, sonst private Verantwortung. Wenn das Einkommen nicht ausreicht, werden Kinder herangezogen. Reicht es immer noch nicht, dann Unterstützungsleistungen durch die Sozialhilfe. Nach dem Tod können gewährte Leistungen aus dem Erbe zurückgefordert werden.
2005
Staat hat seit 2002 eine rechtliche Verantwortung, den Pflegebedarf zu decken, jedoch gibt es kein individuell einklagbares Recht auf Pflegeleistungen. Leistungen der Krankenversicherung bleiben weiterhin bestehen.
Teilweiser Versicherungsschutz im Pflegefall durch Krankenversicherung und bedarfsgeprüft durch die Rentenversicherung für sozialversicherte Personen. Bei geringen Einkommen werden Pflegekosten aus der Sozialhilfe gezahlt. Seit 2002 keine Unterhaltspflicht von Kindern für entstehende Pflegekosten und keine Rückforderung aus dem Erblass.
Fortsetzung auf der folgenden Seite
Private Verantwortung; wenn Einkommen nicht ausreicht, wird das Einkommen der Kinder herangezogen. Reicht auch dies nicht, dann werden Leistungen der Sozialhilfe (Hilfe zur Pflege) gewährt.
178
6 Die Pflege älterer Menschen
Pflegezuständigkeit Italien
Schweden
Finanzierung der Pflege
1990
Unterhaltspflicht besteht bis zum Verwandtschaftsverhältnis dritten Grades (Neffen und Nichten) in hierarchischer Abfolge. Unterhalt kann entweder durch finanzielle Unterstützung geleistet werden oder durch Aufnahme und Betreuung der pflegebedürftigen Person im Haushalt. Erst wenn das erweiterte Familiennetzwerk nicht die Mittel zur Versorgung der pflegebedürftigen Person aufbringen kann, werden Leistungen der Sozialhilfe zur Deckung der Pflegekosten gewährt.
2005
Keine Veränderung
Einzelne Kommunen bieten finanzielle Leistungen, um die Pflegekosten zu decken, oder Gutscheine für den Bezug von sozialen Diensten. In der Regel sind die Leistungen bedarfsgeprüft und nicht kostendeckend.
1990
Rechtsanspruch auf staatliche Pflegeleistungen bei Pflegebedarf. Keine Versorgungsverpflichtung durch Familienangehörige
Keine Versorgungsverpflichtung durch Familienangehörige, Kosten der Pflege werden weitgehend durch den Staat gedeckt.
2005
De jure Rechtsanspruch auf staatliche Pflegeleistungen bei Pflegebedarf und keine explizite Versorgungsverpflichtung der Familie, allerdings werden zunehmend staatliche Leistungen verwehrt, wenn Familienmitglieder als Pflegeleistende zur Verfügung stehen.
Keine Veränderung
Quelle: Eigene Zusammenstellung
In Deutschland war die Organisation der Pflege bis zur Einführung der Pflegeversicherung 1995 durch das Subsidiaritätsprinzip geprägt. Pflegeleistungen mussten in eigener Verantwortung arrangiert und finanziert werden. Reichten die finanziellen Mittel für die Bezahlung von Leistungen sozialer Dienste nicht aus, so waren laut Gesetz die Kinder verpflichtet, mit einem Teil ihres Einkommens für die Eltern einzuspringen. Erst wenn nach Anrechnung der Kindereinkommen die Pflegekosten nicht vollständig gedeckt werden konnten, übernahm die Sozialhilfe den verbleibenden Anteil innerhalb der Hilfe zur Pflege. Mit der Einführung der Pflegeversicherung erwarb die pflegebedürftige Person dann Ansprüche auf Pflegeleistungen, die einkommensunabhängig als finanzielle Leistungen und/oder als Dienstleistungspakete gewährt wurden. Die festen Leistungssätze sollen eine Grundversorgung sichern (Leisering 1997; Rothgang 1995). Gerade bei erhöhter Pflegebedürftigkeit reicht die Pauschale nicht aus, um die Pflegekosten zu decken (Ostner 1998), und viele notwendige Leistungen – wie z.B. die Pflege von Perso-
6.1 Vergleich der staatlichen Pflegeleistungen
179
nen, die an Demenz leiden – fallen nicht unter die garantierten Pflegeleistungen (Meyer 2004). Kinder sind weiterhin gegenüber ihren Eltern unterhaltspflichtig, wenn die Leistungen aus der Pflegeversicherung und das Einkommen der pflegebedürftigen Person die Pflegekosten nicht decken, allerdings hat sich der zur eigenen Verfügung stehende Freibetrag (Selbstbehalt) erhöht. In Frankreich war ähnlich wie in Deutschland Anfang der 1990er Jahre die Familie hauptverantwortlich für die Pflege und deren Finanzierung. Wenn die zu pflegende Person oder deren Kinder die Pflegekosten nicht aufbringen konnten, übernahm die Sozialhilfe die Kosten, forderte aber nach dem Tod der pflegebedürftigen Person die Leistungen aus dem Erbe zurück. Medizinische Leistungen zur Pflege, aber teilweise auch Leistungen für die persönliche Pflege, wurden durch die Krankenkasse finanziert. Die Rentenversicherung gewährte nach Bedarfsprüfung finanzielle Leistungen für Hilfe im Haushalt (aide ménagère), sofern die pflegebedürftige Person versichert ist (Bahle 2007). In zwei Reformschritten wurden staatliche Leistungen für pflegebedürftige ältere Menschen eingeführt, 1997 die prestation spécifique dépendance (PSD) und diese ablösend 2002 die allocation personnalisée d’autonomie (APA). Dem Staat wurde nun die Pflicht zur Erbringung von Pflegeleistungen zugeschrieben (Jani-Le Bris 2004). Die Pflegeleistungen werden durch Steuern finanziert und sind der Sozialhilfe zugeordnet. Leistungen werden einkommensabhängig gewährt und betreffen stationäre und ambulante Pflegekosten sowie Zahlungen an pflegende Angehörige mit Ausnahme des Lebenspartners. Eine Unterhaltspflicht der Kinder besteht im Rahmen der Pflegeleistungen seit 2002 nicht mehr.82 Durch die APA wurden im Vergleich zur PSD die rechtlichen Rahmenbedingungen stärker zentralisiert, die Einkommensabhängigkeit der Leistungen abgeschwächt und die Anzahl der Anspruchsberechtigten deutlich ausgeweitet, indem eine weitere Pflegestufe in den Förderkatalog aufgenommen wurde (Jani-Le Bris 2004). Die italienische Verfassung verpflichtet zwar den Staat, bedürftige Personen zu unterstützen, aber nur dann, wenn die Familie dazu nicht in der Lage ist. Als unterhaltspflichtige Familienmitglieder gelten Kinder, Eltern, Enkelkinder, Geschwister, Onkel, Tanten sowie Neffen und Nichten der bedürftigen Person. Die Unterhaltsverpflichtung von Familienmitgliedern eines höheren Verwandtschaftsgrades tritt allerdings erst dann ein, wenn Angehörige mit niedrigerem Verwandtschaftsgrad ihren Verpflichtungen nicht nachkommen können (Polverini et al. 2004). Der Unterhalt wird gewährleistet, indem die Familienmitglieder die Kosten der Pflege tragen oder die pflegebedürftige Person in ihrem Haushalt aufnehmen. Wird der Verpflichtung nicht nachgekommen, kann strafrechtlich gegen die betreffenden Familienmitglieder vorgegangen werden. Spezielle gesetzliche Re82
Bei Anspruch auf Sozialhilfe besteht die Unterhaltspflicht der Kinder allerdings weiterhin.
180
6 Die Pflege älterer Menschen
gelungen zur Pflege gibt es nicht, da sie als Familienpflicht angesehen wird. Nur im Ausnahmefall werden die Kosten durch die Sozialhilfe gedeckt. In Schweden gibt es keine rechtliche Verpflichtung für Angehörige, Pflege zu leisten bzw. die Pflegekosten zu tragen. Es liegt im Ermessen der Familie zu entscheiden, welches Pflegearrangement erwünscht ist. Nationale Richtlinien haben zum Ziel, der pflegebedürftigen Person eine größtmögliche Unabhängigkeit von der Familie zu gewähren (Johansson 2004). Die Aufgabe, öffentliche Pflegedienstleistungen anzubieten, kommt den Gemeinden und Landkreisen zu. Außerdem sind die Kommunen seit 1982 verpflichtet, pflegebedürftigen Menschen adäquate Wohnungen zur Verfügung zu stellen. In der Praxis wurde der Umfang der Leistungen der sozialen Dienste teilweise schon in den 1980er Jahren eingeschränkt, indem die medizinischen Anspruchsvoraussetzungen verschärft wurden. Vor allem Personen mit geringem Pflegebedarf verloren ihren Anspruch auf Pflegedienste (OECD 1996; Sundström und Malmberg 1996). Richtlinien zur Umsetzung der Reform der sozialen Dienste (Socialtjänstlagen 1998) forderten die Kommunen aber zur verstärkten Förderung pflegender Familienangehöriger auf. Gleichzeitig wurden auf nationaler Ebene Fördergelder für diese Aufgabe vergeben (Johansson 2004). Die Pflege in der Familie wird in Schweden also nicht kraft rechtlich definierter Pflichten gefordert, sondern durch staatliche Hilfen gefördert. So können zum Beispiel pflegende Familienangehörige selbst eine Reihe sozialer Dienste in Anspruch nehmen, um ihren Pflegeaufgaben gerecht werden zu können (Jegermalm 2002). Dazu zählen zum Beispiel Fortbildungen und Urlaubsvertretungen.
6.1.2 Anspruchsvoraussetzungen Die Bestimmungen, die festlegen, wann eine Person pflegebedürftig ist und damit Anspruch auf Pflegeleistungen hat, sind ein zentrales Kriterium für den Umfang der staatlich gewährten Pflegeleistungen. Wie oben ausgeführt, ist Pflegebedürftigkeit ein unscharfes Konzept, das nicht nur durch die gesundheitliche Situation der Person selbst, sondern auch durch deren Lebensumfeld bestimmt ist. Die institutionelle Grenzziehung, wann eine Person pflegebedürftig ist, bleibt daher willkürlich und unterscheidet sich zwischen den Ländern, aber auch teilweise innerhalb eines Landes. Allein definitionsbedingt schwankt die Zahl der Pflegebedürftigen von Land zu Land, ohne dass damit eine Aussage über den tatsächlichen Pflegebedarf gemacht werden kann. Deshalb sollen zunächst, soweit vorhanden, die gesetzlichen Regelungen zur Anerkennung von Pflegebedürftigkeit in den vier Ländern verglichen werden.
181
6.1 Vergleich der staatlichen Pflegeleistungen
Tabelle 6.2:
Anspruchsvoraussetzungen für Pflegeleistungen 1990
2005
Deutschland
Keine Leistungen, nur indirekt über Sozialhilfe: medizinisch geprüft und bedarfsgeprüft.
Medizinisch geprüft, 2-mal jährlich, Einordnung in Pflegestufen. Mindestens 90 Min. täglicher Pflegeaufwand, länger als 6 Monate andauernd.
Frankreich
Leistungen für medizinische Dienste durch die Krankenkasse und für häusliche Dienste durch die Rentenversicherung (bedarfsgeprüft), sofern Sozialversicherungsschutz vorliegt. Sonst nur Leistungen über die Sozialhilfe nach Bedarfsprüfung. Keine einheitlichen Regeln zur Prüfung der Pflegebedürftigkeit.
APA: Medizinisch geprüft, Einordnung in sechs Pflegestufen, wobei die vier höchsten Stufen einen Leistungsanspruch garantieren. Leistungen werden einkommensabhängig gewährt. Leistungen aus der Renten- und Krankenversicherung bestehen weiter sofern Sozialversicherungsschutz vorliegt. Weiterhin keine einheitlichen Regeln zur Prüfung der Pflegebedürftigkeit.
Italien
Leistungen durch Anerkennung einer Behinderung, medizinisch geprüft und mit Ausnahme von Schwerstpflegebedürftigen bedarfsgeprüft.
Keine Veränderung
Schweden
Anspruch auf Pflegedienstleistungen, wobei die Pflegebedürftigkeit durch Pflegemanager geprüft wird. Dabei gelten kommunale Regelungen. Es gibt keine nationalen Standards.
Keine Veränderung
Quelle: Eigene Zusammenstellung
In Deutschland kehrte sich mit der Einführung der Pflegeversicherung die Entscheidungslogik bei der Feststellung von Pflegebedürftigkeit um. Vor 1995 führte die medizinische Feststellung dauerhafter Pflegebedürftigkeit dazu, dass bestimmte Leistungen der Krankenversicherung nicht mehr gewährt wurden, sondern privat finanziert werden mussten. Mit dem Status der Pflegebedürftigkeit war somit eine Verschlechterung der sozialen Sicherung verbunden. Die Pflegeversicherung brachte hier mit der Anerkennung eines Leistungsanspruchs eine erheblich Verbesserung (Ostner 1998). Versicherungsschutz aus der sozialen
182
6 Die Pflege älterer Menschen
Pflegeversicherung erhalten alle versicherungspflichtigen Personen, d.h. alle Personen, die auch der gesetzlichen Krankenversicherung angehören.83 Privat versicherte Personen sind zum Abschluss einer privaten Zusatzversicherung zur Pflege verpflichtet. Als pflegebedürftig werden Personen eingestuft, „die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße … der Hilfe bedürfen.“ (SGB, XI §14). Der Grad der Pflegebedürftigkeit wird in drei Stufen mit verschiedenen Leistungshöhen eingeteilt.84 Mindestanforderung für die Pflegeleistung ist ein länger als 6 Monate andauernder täglicher Pflegebedarf von mindestens 90 Minuten, wobei die Hälfte der Zeit für die persönliche Grundpflege aufgewendet werden muss. In Frankreich wurden Pflegeleistungen mit den Reformen von 1997 (PSD) und 2002 (APA) zunehmend zentralisiert und verallgemeinert.85 Die Zentralisierung erfolgte einerseits dadurch, dass die Kriterien für Pflegebedürftigkeit auf nationaler Ebene standardisiert wurden und andererseits dadurch, dass der Leistungskatalog, der bei einer bestimmten Pflegestufe in Anspruch genommen werden kann, vereinheitlicht wurde. Verwaltet werden die Pflegeleistungen allerdings weiterhin von den Landkreisen, und die individuellen Pflegearrangements legen Fallmanager fest. Der Zugang zu Pflegeleistungen wurde zum einen erleichtert, indem die Einkommensabhängigkeit staatlicher Leistungen gemindert, und zum anderen, indem die 2002 eingeführte allocation personnalisée d’autonomie (APA) um eine Pflegestufe erweitert wurde. Anspruch auf Pflegeleistungen der APA haben Personen über 60 Jahre, die in einem medizinischen Test (AGGIR) in den vier unteren Stufen der insgesamt sechs Stufen umfassenden Skala autonomer Lebensführung eingeordnet werden. Die niedrigste geförderte Pflegestufe ist für Menschen vorgesehen, die geistig und körperlich noch selbständig in ihrer Wohnung leben können, aber Hilfe bei der persönlichen Pflege oder Ernährung benötigen. Die APA bezuschusst die Kosten der Pflege in Abhängigkeit von der Pflegestufe und der Einkommenssituation der pflegebedürftigen Person bis zu einem Maximalbetrag. Davon können entweder soziale Dienstleistungen in Anspruch genommen werden, oder die pflegebedürftige Person erhält Geldmittel, um solche Leistungen zu bezahlen. Da die APALeistungen nur Grundleistungen darstellen, die durch den regionalen Rat der 83 84 85
Gesetzlich kranken- und pflegeversichert sind in Deutschland über 90 Prozent der Bevölkerung. Bei erhöhten Betreuungsbedarf durch umfangreichen Pflegebedarf können zusätzliche Leistungen in gewährt werden (SGB XI, § 45a,b). Die Vergrößerung des Kreises der Anspruchsberechtigten geschah allerdings erst 2002 durch die Einbeziehung einer weiteren Pflegestufe in die Förderung. Die Leistungen des PSD waren sogar restriktiver als die Regelung zuvor und führten zu einer Abnahme der Zahl der Anspruchsberechtigten (Bahle 2007).
6.1 Vergleich der staatlichen Pflegeleistungen
183
Gemeinden (conseil général) erweitert werden können, gibt es trotz einheitlicher Bewertungsstandards weiterhin regionale Unterschiede im gewährten Leistungsumfang (Martin et al. 1998: 165). Zudem bestehen keine nationalen Qualitätsstandards hinsichtlich der Qualifikation des Betreuungspersonals und des Niveaus der Leistungen (Jani-Le Bris 2004). Die vielen Sterbefälle älterer Menschen während der Hitzewelle im Jahr 2003 haben Versorgungsdefizite deutlich gemacht und eine erneute Debatte über das französische Pflegesystem ausgelöst. In Italien wächst der politische Druck, Pflegeleistungen für ältere Menschen in das staatliche soziale Sicherungssystem aufzunehmen (Polverini et al. 2004). Auf regionaler Ebene gibt es bereits einige Gesetzesinitiativen, die pflegebedürftigen älteren Menschen besondere Leistungen zusprechen, aber selbst dort geht es mit der Implementierung der Gesetzesvorlagen nur langsam voran (Minguzzi 2003). Auch hier hat sich auf nationaler Ebene der Druck durch die hohen Todeszahlen älterer Menschen im heißen Sommer 2003 erhöht. Insgesamt sind jedoch kaum Veränderungen in den letzten 15 Jahren zu beobachten. Regional unterschiedlich wird der Ausbau staatlicher oder kirchlicher Pflegedienste gefördert. Es gibt jedoch in der Regel keinen individuellen Anspruch auf Pflegeleistungen, sondern durch die Subventionierung von Pflegeeinrichtungen werden die individuell zu tragenden Pflegekosten reduziert (Florea et al. 1992). Zwar wird anerkannt, dass die Familie infolge demografischer und sozio-struktureller Veränderungen die Pflegeaufgaben kaum allein bewältigen kann, jedoch gibt es starke finanzielle Restriktionen sowie aufgrund der Regionalreform auch eingeschränkte zentralstaatliche Entscheidungskompetenzen, so dass der Ausbau von Pflegediensten gebremst ist (Trifiletti 1998). Die Pflege älterer Menschen ist größtenteils innerhalb der Gesetze zur Behinderung geregelt, und die gewährten Leistungen reichen nicht aus, um soziale Dienste dauerhaft zu bezahlen, so dass die Familie und illegal beschäftigte Pflegekräfte den überwiegenden Teil der Pflege leisten. Darüber hinaus ist das Angebot an adäquaten Pflegediensten vor allem in Süditalien sehr gering, so dass häufig gar keine Alternative zur Pflege durch Angehörige besteht oder lange Wartezeiten in Kauf genommen werden müssen, selbst wenn die privaten Mittel für einen Pflegedienst vorhanden sind (Polverini et al. 2004). Ein 1992 erlassenes nationales Gesetz, das die Regionen verpflichtet, das Angebot an sozialen Dienstleistungen auszubauen, führte zu einem insgesamt geringen und regional sehr unterschiedlichen Ausbau der Dienste (Trifiletti 1998). Vor allem kirchliche Organisationen bieten soziale Dienste an, die zum größten Teil aus Steuereinnahmen der Kirche getragen werden. Im europäischen Vergleich sind stationäre wie ambulante Pflegedienste in Italien weiterhin selten (Pacolet et al. 2000; Tomassini et al. 2004). In Schweden kann eine pflegebedürftige Person Anspruch auf Pflegeleistungen gegenüber der öffentlichen Hand geltend machen. Leistungen werden
184
6 Die Pflege älterer Menschen
gewährt, wenn die kommunalen Pflegemanager oder Pflegeteams Pflegebedürftigkeit festgestellt haben. Die Person, die Pflegeleistungen beantragt, kann gegen die Entscheidung des Pflegemanagers gerichtlich Einspruch erheben. Die Kriterien der Bedürftigkeitsprüfung und der sich daraus ergebende Anspruch auf Pflegeleistungen werden seit der Ådel-Reform (1992) von den Kommunen selbstständig geregelt. Es gibt keine national einheitlichen Kriterien zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit. Seit den 1980er Jahren zeigt sich die Tendenz, dass Personen mit geringem Pflegebedarf eher ihren Leistungsanspruch verlieren, während Personen mit erhöhtem Bedarf vermehrt Leistungen erhalten (OECD 1996). Außerdem unterscheidet sich der Umfang der gewährten Dienstleistungen zwischen den Kommunen im Extremfall um ein Vielfaches (Johansson 2004: 20). So schwankt der Anteil der über 80-Jährigen, die Hilfe im Haushalt erhalten, je nach Gemeinde zwischen 17 Prozent und 80 Prozent (Berg et al. 1993). Ein weiterer Grund für die große kommunale Variation der Pflegeleistungen ist ein Passus in den nationalen Rahmenrichtlinien, der bestimmt, dass ein Anspruch auf Pflegeleistungen nur dann besteht, wenn die Bedürfnisse der zu pflegenden Person nicht in einer anderen Weise gedeckt werden können. Dieser eingeschränkte Rechtsanspruch wird von den kommunalen Pflegemanagern zunehmend dahingehend genutzt, bei der Beurteilung der Pflegebedürftigkeit mögliche Pflegeoptionen in der Familie mit einzubeziehen (Szebehely 1998). Die Kriterien für den Anspruch auf Pflegeleistungen sind in Schweden eine wichtige politische Stellschraube, um auf kommunaler Ebene die Pflegekosten zu kontrollieren.
6.1.3 Finanzielle Leistungen zur Pflege In diesem Abschnitt geht es um spezifische finanzielle Leistungen staatlicher Institutionen für pflegebedürftige Personen oder deren pflegende Familienangehörige. Durch ihre Finanzierungsregeln können staatliche Stellen starken Einfluss auf die Struktur von Pflegearrangements nehmen. Je höher der Eigenanteil an den Pflegekosten ist, der durch die pflegebedürftige Person oder deren unterhaltspflichtige Familienangehörige getragen werden muss, desto größer ist der ökonomische Druck, die preiswerteste Pflegeform zu wählen. Insbesondere in Ländern mit einem hohen Eigenanteil an der Finanzierung der Pflegekosten sind pflegebedürftige Menschen mit geringem Einkommen daher auf die Hilfe von Familienangehörigen angewiesen (Motel-Klingebiel et al. 2005). Politisch wird zunehmend gefordert, die Pflegeleistungen von Familienmitgliedern zu honorieren. Zum einen soll damit eine stärkere Gleichstellung von Familien- und Erwerbsarbeit und somit auch eine Reduzierung der Ungleichheit zwischen Frauen und Männern erreicht werden, die sich aus der geschlechtsspezifischen Auftei-
185
6.1 Vergleich der staatlichen Pflegeleistungen
lung der Arbeitssphären ergibt. Zum anderen soll vor dem Hindergrund knapper Budgets die günstigere Pflege durch Angehörige weiterhin attraktiv bleiben. Die private Finanzierung von Pflegediensten hängt auch von der Höhe der staatlichen Rente ab (Bettio und Plantenga 2004). Besteht kein Rechtsanspruch auf staatliche Pflegeleistungen, wie in Italien, oder reichen die staatlichen Leistungen nur zur Teildeckung der Pflegekosten aus, wie in Deutschland, dann bestimmen vor allem Renteneinkommen den Grad der Wahlfreiheit von Pflegearrangements (vgl. Trifiletti 1998: 190). Auf die Rentenleistungen wird in diesem Kapitel aber nicht noch einmal eingegangen (vgl. hierzu Kapitel 5). Finanzierung oder Bereitstellung von sozialen Diensten Je nach Organisation des Pflegesektors gewähren staatliche Institutionen Hilfen zur Finanzierung von Pflegeleistungen oder einen Rechtsanspruch auf staatlich angebotene Sozialdienste.86 Hier werden nur Leistungen miteinander verglichen, die für pflegebedürftige Personen individuell gewährt werden. In allen Ländern gibt es zusätzliche Mittel und Subventionen, die den Aufbau sozialer Dienste fördern oder teilweise auch laufende Kosten decken (Ferrario 2005). Tabelle 6.3:
Anteil der staatlichen Leistungen an den Pflegekosten 1990
Etwa 2005
Deutschland
Nur nach Bedarfsprüfung
Grundversorgung, anteilig nach Pflegeform und Pflegebedarf. Zusätzliche bedarfsgeprüfte Leistungen bestehen weiterhin
Frankreich
Maximal 80-90 % der Kosten für die medizinische Pflege. Weitere Leistungen aus der Renten- oder Sozialversicherung nur nach Bedarfsprüfung
Keine Veränderung, nur Leistungen aus der Sozialversicherung sind leichter zugänglich (APA) und nur noch einkommensgeprüft
Italien
Generell für schwer Pflegebedürf- Keine Veränderungen auf natiotige als Zuschuss für Behinderte, naler Ebene, aber vereinzelt sonst Bedarfsprüfung kommunale Reformen
Schweden
Über 90 % der Pflegekosten werden gedeckt
Über 90 % der Pflegekosten werden gedeckt, Tendenz sinkend
Quelle: Eigene Zusammenstellung 86
Geldleistungen, die an die pflegebedürftige Person ausgezahlt werden, damit diese ihren Pflegebedarf eigenständig organisiert, sind nur dann berücksichtigt, wenn eine klare Bindung besteht, damit soziale Dienste zu bezahlen. Sind die Geldleistungen frei verfügbar, dann erhalten vor allem Familienangehörige diese finanzielle Unterstützung, weshalb wir sie erst im nächsten Abschnitt behandeln.
186
6 Die Pflege älterer Menschen
In Deutschland gab es vor der Einführung der Pflegeversicherung staatliche Leistungen zur Deckung der Pflegekosten nur bei Bedürftigkeit. Wegen der hohen Kosten insbesondere bei stationärer Betreuung bezogen 1991 immerhin 656.000 ältere Menschen Hilfe zur Pflege im Rahmen der Sozialhilfe. Mit der Einführung der Pflegeversicherung werden Leistungen für die Grundversorgung gewährt. Die Leistungshöhe unterscheidet sich nach Pflegebedarf und Pflegeform. Der maximale Pflegesatz für die stationäre Pflege in der höchsten Pflegestufe im Jahr 2003 beträgt 1432 Euro (Meyer 2004). Damit werden nur etwa 50 Prozent der durchschnittlichen Pflegekosten gedeckt. Der hohe Eigenanteil führt dazu, dass im Jahr 2003 immer noch rund 320.000 ältere Menschen Hilfe zur Pflege aus der Sozialhilfe erhalten (Statistisches Bundesamt 2004a). Da sowohl die ambulante wie die stationäre Versorgung teurer ist, setzen die niedrig gehaltenen Pflegesätze starke Anreize, die kostengünstigere Pflege durch private Pflegepersonen zu wählen. Für Frankreich ist es schwer, einen genauen Überblick über die Finanzierung von sozialen Diensten zu geben, da die Angaben nicht vereinheitlicht werden können. Selbst nach der Einführung nationaler Rahmenregeln führen regionale Unterschiede und parallele Leistungszuwendungen verschiedener staatlicher Institutionen dazu, dass es für die staatlich geförderte Pflege älterer Menschen keine einheitliche Grundlage gibt. Nur für die ambulanten und stationären medizinischen Kosten der Pflege gilt allgemein, dass die Krankenkassen 80 bis 90 Prozent der Auslagen übernehmen, wobei die Leistungen teilweise auch persönliche Pflege mit einschließen. Der verbleibende Anteil wird in der Regel durch eine Zusatzversicherung für die Pflege gedeckt, welche die meisten Krankenversicherten abgeschlossen haben (Rostgaard und Fridberg 1998). Alle weiteren staatlichen Leistungen sind von einer Bedürftigkeitsprüfung abhängig, für die unterschiedliche Kriterien gelten. Vor 2002 konnten die Kinder verpflichtet werden, die Pflegekosten zu übernehmen, sofern sie ein ausreichendes Einkommen hatten. Dies betraf Aufwendungen für die Unterbringung und Verpflegung bei stationärer Pflege, die bis zu einem Anteil von 90 Prozent des anrechnungsfähigen Familieneinkommens privat finanziert werden mussten. Darüber hinaus entstehende Kosten wurden von der Sozialhilfe getragen. Bei den ambulanten Diensten gibt es weiterhin drei Finanzierungsquellen: Die Krankenversicherung übernimmt, wie oben erwähnt, den Hauptanteil der medizinischen Pflegekosten. Die Rentenversicherung gewährt auf Basis des Sozialhilfesatzes Leistungen zur häuslichen Hilfe, wenn Bedürftigkeit vorliegt. Drittens finanziert auch die Sozialhilfe soziale Dienste für Pflegebedürftige. Vor 1997 galt dies nur für die drei höchsten Pflegestufen und für ältere Menschen, deren Einkommen unterhalb des Sozialhilfesatzes lag. Dabei blieben die Kinder unterhaltspflichtig. Mit der Einführung der neuen Pflegeleistung (APA) wurden die Einkommensgrenzen gelo-
6.1 Vergleich der staatlichen Pflegeleistungen
187
ckert, und ab 2002 wurde eine weitere Pflegestufe in die Förderung aufgenommen. Kinder sind nicht mehr unterhaltspflichtig. Die Leistungen der APA sind aber ähnlich wie in Deutschland nach oben hin begrenzt. In Italien gibt es auf nationaler Ebene keine direkten Leistungen zur Erstattung der Pflegekosten. Zudem ist der Bereich der stationären und ambulanten Pflege im Vergleich zu den anderen drei Ländern wenig ausgebaut (Pesarsi und Gori 2005). Nur schwere Pflegefälle, denen ein Behinderungsgrad von 100 Prozent zuerkannt wird, erhalten unabhängig vom Einkommen einen Zuschuss, um damit Mehrkosten infolge der Behinderung auszugleichen. Im Jahr 2003 lag der monatliche Zuschuss bei 437 Euro. Nur wenn die verfügbaren Einkommen des erweiterten Familienkreises nicht ausreichen, erstattet die Sozialhilfe die Pflegekosten. Im Regelfall wird aber davon ausgegangen, dass Familienmitglieder Pflegeleistungen übernehmen. In einigen Städten Norditaliens wurden Pflegegutscheine eingeführt. Die pflegebedürftige Person kann mit dem Wert des Gutscheins soziale Dienste nach eigenem Ermessen anfordern oder einen Familienangehörigen für die Pflegeleistungen bezahlen. Der Umfang der finanziellen Leistungen unterscheidet sich aber zwischen den einzelnen Kommunen deutlich (Polverini et al. 2004). In Schweden blieben die Finanzierungsformen der sozialen Dienste weitgehend unverändert. Die Kosten für ambulante oder stationäre Leistungen werden bei Pflegebedürftigkeit zu über 90 Prozent aus lokalen und nationalen Steuermitteln finanziert. Die pflegebedürftige Person muss in der Regel einen Eigenanteil von lediglich 5 bis 6 Prozent (2003) der Pflegekosten aufbringen (Johansson 2004). Seit den 1990er Jahren hat sich dieser Eigenanteil leicht erhöht. Da der Großteil der Pflegekosten durch staatliche Leistungen gedeckt ist, besteht eine weitgehende Wahlfreiheit der Pflegearrangements. Finanzielle Leistungen für Pflege leistende Familienangehörige Die Unterscheidung zwischen der informellen Pflege durch Familienmitglieder und formeller Pflege als Leistung sozialer Dienste ist schon Anfang der 1990er Jahre als unzureichend charakterisiert worden (McLaughlin und Glendinning 1994; Ungerson 1995). Durch staatliche Finanzierungshilfen gewinnt nämlich zunehmend auch die familiale, häusliche Pflege einen formellen Charakter. Je nach Art der Finanzierungshilfen, der Höhe der Leistungen und der arbeitsrechtlichen Anerkennung privater Pflegeleistungen genießt die Pflege durch Angehörige einen unterschiedlichen Stellenwert. Insgesamt lassen sich vier Stufen zunehmender Formalisierung der Pflege innerhalb der Familie unterscheiden: 1. 2.
Keine staatliche Unterstützung: Die Familie muss die Pflegekosten und den Pflegeaufwand selbst tragen. Symbolische Zahlungen: Entweder in direkter Form, indem Personen, die Pflege leisten, eine kleine Entschädigung erhalten, oder indirekt, indem der
188
3.
4.
6 Die Pflege älterer Menschen
pflegebedürftigen Person Mittel für den Mehraufwand durch die Pflege gewährt werden, die zum großen Teil an die pflegenden Familienmitglieder weitergereicht werden. Quasi-Lohn: Pflegeleistungen werden anerkannt und honoriert, allerdings deutlich unterhalb des marktüblichen Lohnniveaus im Pflegesektor. Teilweise besteht dabei eine Integration der Pflegeleistenden in die sozialen Sicherungssysteme. Vollständig formalisiert: Pflege leistende Familienangehörige erhalten einen formalen Arbeitsvertrag, in der Regel von der Kommune, und sind voll in die sozialen Sicherungssysteme integriert.
In der ersten Stufe verbleibt der gesamte Finanz- und Zeitaufwand ohne staatliche Unterstützung bei der Familie. Die zweite und dritte Stufe können als eine implizite Förderung der familialen Pflege durch den Staat aufgefasst werden, die den pflegenden Familienangehörigen zwar Kompensationen zugesteht, ihre Arbeit aber nicht einer Erwerbstätigkeit gleichstellt. Wenn keine oder nur begrenzte alternative staatliche Möglichkeiten der Finanzierung sozialer Dienste bestehen, läuft die staatliche Hilfe auf eine Förderung der kostengünstigen familialen Pflege hinaus. Die vierte Stufe integriert pflegende Privatpersonen in den Arbeitsmarkt und stellt die familiale Pflege den sozialen Diensten gleich. Im Idealfall hat die pflegebedürftige Person dann bei der Pflegeform volle Wahlfreiheit. Tabelle 6.4 zeigt im Länder- und Zeitvergleich die Unterschiede der staatlichen Förderung familialer Pflegeleistungen. Tabelle 6.4:
Formalisierungsgrad familialer Pflegetätigkeiten 1990 und 2005 1990
2005
Deutschland
Symbolisch, keine spezifischen Leistungen, indirekt durch Mittelübertragung an pflegende Person
Quasi-Lohn, teilweise formalisiert (Sozialversicherung)
Frankreich
Quasi-Lohn bei Bedürftigkeit, keine spezifischen Leistungen, indirekt durch Mittelübertragung an pflegende Person
Vollständig formell, allerdings Privatvertrag mit Niedriglohn
Italien
Symbolisch, keine spezifischen Leistungen, indirekt durch Mittelübertragung an pflegende Person
Symbolisch, national keine spezifischen Leistungen, regional abweichend gibt es spezielle Hilfen für die pflegende Person
Schweden
Quasi-Lohn oder vollständig formell
Keine Veränderung
Quelle: Eigene Zusammenstellung
6.1 Vergleich der staatlichen Pflegeleistungen
189
In Deutschland wurden Pflegeleistungen durch Privatpersonen in den letzten 20 Jahren zunehmend formalisiert. Bis 1988 gab es keine finanziellen Unterstützungsleistungen für Pflegebedürftige oder pflegende Familienangehörige. Mit der Reform des Gesundheitsgesetzes wurde ein Pflegezuschuss für pflegebedürftige Personen eingeführt, der allerdings nicht die Deckung der Pflegekosten zum Ziel hatte. Der Zuschuss war für den Mehraufwand der pflegebedürftigen Person gedacht, wurde faktisch jedoch häufig an die pflegenden Familienmitglieder weitergegeben (Ungerson 1995). Mit der Einführung der Pflegeversicherung 1995 wurde der formelle Status der „Pflegeperson“ geschaffen. Pflegepersonen sind nicht im Pflegebereich angestellte Personen, die eine anspruchsberechtigte Person pflegen. Die finanziellen Leistungen für Pflegepersonen liegen deutlich unterhalb der Löhne und Gehälter von erwerbstätigem Pflegepersonal. Bei der Festsetzung des Betrags wurde davon ausgegangen, dass die Pflegeperson ihren Lebensunterhalt nicht durch die Pflegeleistung verdient. Pflegepersonen sind in der Regel in die Renten- und Unfallversicherung einbezogen, wobei die Pflegeversicherung die Beiträge übernimmt. Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge werden hingegen nicht bezahlt.87 Mit dieser Neuregelung wurden Anreize für die familiale Pflege geschaffen, ohne die pflegende Person rechtlich mit erwerbstätigen Personen gleichzustellen. Zwar besteht für die Pflegebedürftigen die Alternative, die benötigten Leistungen auch von sozialen Diensten zu beziehen, allerdings „soll die Pflegeversicherung mit ihren Leistungen vorrangig die häusliche Pflege und die Pflegebereitschaft der Angehörigen und Nachbarn unterstützen“ (SGB XI §3). Dies wird vor allem dadurch erreicht, dass die Pflegeversicherung die Pflegekosten nur unvollständig deckt (Döhner und Kofahl 2001). Je höher der Grad der Pflegebedürftigkeit ist, desto weniger decken die Leistungen der Pflegeversicherung die entstehenden Kosten (Ostner 1998). Implizit wird damit ein Anreiz geboten, die familiale Pflege oder eine Mischform zu wählen, auf formelle Pflegearrangements aber zu verzichten. Anfang der 1990er Jahre gab es in Frankreich keine einheitliche Zuständigkeit staatlicher Stellen bei Pflegebedürftigkeit. Leistungen wurden teilweise von der Rentenversicherung (häusliche Pflege) oder der Krankenversicherung (medizinische Leistungen und persönliche Pflege) übernommen. Darüber hinaus gab es finanzielle Leistungen aus der Sozialhilfe speziell für behinderte Menschen (allocation compensatrice pour tierce personne, ACTP).88 Bis auf die medizinischen Leistungen wurden finanzielle Hilfen nur anteilig oder bedarfsgeprüft 87 88
Weiterhin haben Pflegepersonen Anspruch auf Finanzierung pflegerischer Fortbildung und auf Wiedereingliederungshilfen in den Arbeitsmarkt (SGB XI, § 43). Rund ein Zehntel der pflegebedürftigen älteren Menschen, die Leistungen aus der Sozialhilfe bezogen, hatten zudem Anspruch auf eine zusätzliche Altersversorgung (majoration pour tierce personne, MTP, Martin et al. 1998).
190
6 Die Pflege älterer Menschen
gewährt. Da die Sozialhilfe kommunal verwaltet und finanziert wurde, gab es große regionale Unterschiede im Leistungsumfang (Rostgaard und Fridberg 1998). Die finanziellen Leistungen aus der Sozialhilfe konnten von der pflegebedürftigen Person eingesetzt werden, um soziale Dienstleistungen zur Pflege zu bezahlen. Allerdings verblieben die Mittel häufig innerhalb der Familie, so dass sie als symbolische Honorierung informeller Pflege gewertet werden konnten (Martin et al. 1998). Da diese Leistungen aber von einer Bedürftigkeitsprüfung abhingen, erhielt nur ein Teil der Pflege leistenden Familienmitglieder finanzielle Zuwendungen durch den Staat. Steuer zahlende Haushalte hatten allerdings die Möglichkeit, für jede zu pflegende Person im Haushalt eine Steuerermäßigung zu beantragen (Rostgaard und Fridberg 1998). Dies änderte sich mit der Reform der Pflegeleistungen 1997 und 2002. Seither kann die pflegebedürftige Person die beanspruchten Mittel auch dazu einsetzen, pflegende Familienmitglieder oder Freunde zu bezahlen. Dies muss formell durch einen Lohnvertrag geschehen, der auch Sozialversicherungsleistungen für die pflegende Person mit einschließt. Das gezahlte Gehalt ist steuerpflichtig und liegt in der höchsten Pflegestufe bei maximal 1066 Euro (2002). Obwohl die Pflegearbeit von Familienmitgliedern formell anerkannt wird, bleibt die Bezahlung hinter den Löhnen im Pflegesektor zurück. Weiterhin werden diese Leistungen einkommensabhängig gewährt. Da jedoch Kinder nicht mehr unterhaltspflichtig sind und die Einkommensgrenzen gelockert wurden, stehen die Leistungen heute einem größeren Kreis Pflege leistender Angehöriger zu. In Italien haben sich die finanziellen Unterstützungsleistungen für pflegebedürftige ältere Menschen seit 1990 auf nationaler Ebene kaum verändert. Es gibt keine speziellen Regelungen für pflegebedürftige ältere Menschen, sondern Pflegeleistungen sind vom Vorliegen einer Behinderung abhängig. Außerdem stammen die Hilfen aus verschiedenen teils regional, teils kommunal verwalteten Sicherungssystemen, so dass es schwer ist, den Umfang der Förderung insgesamt abzuschätzen (Polverini et al. 2004).89 Nur für schwer pflegebedürftige Personen gibt es den oben erwähnten einkommensunabhängigen Pflegezuschuss von 437 Euro (2003). Pflegende Familienangehörige, die erwerbstätig sind, können pro Monat drei Tage bezahlten Urlaub für die Pflege ihrer Angehörigen nehmen.90 Die anderen finanziellen Leistungen sind bedarfsgeprüft. Da die Unterhaltsverpflichtungen für Familienangehörige sehr weitreichend sind, werden diese Leistungen nur selten gewährt. In einigen Regionen wurden in den letzten Jahren finanzielle Hilfen für die Pflege leistenden Familienangehörigen eingeführt, die 89 90
Schätzungen für das Jahr 2006 ergeben, dass bei schwerer Pflegebedürftigkeit die Pflegeleistungen bei einem Durchschnittseinkommen rund 740 Euro betragen (Lamura et al. 2006). Ist die Pflegebedürftigkeit geringer, so sind es nur drei bezahlte Arbeitstage im Jahr (Gesetz 104, 5. Februar 1992).
6.1 Vergleich der staatlichen Pflegeleistungen
191
allerdings wiederum meist bedarfsgeprüft sind und keinen Lohnersatz darstellen (Polverini et al. 2004; Trifiletti 1998). Innerhalb der Sozialhilfe gibt es keine besonderen Regelungen, die den erhöhten finanziellen Aufwand bei Pflegebedürftigkeit abdecken. Seit 2000 sind Kommunen dazu verpflichtet, in Abhängigkeit von der Pflegebedürftigkeit und der finanziellen Lage der betreffenden Person Gutscheine für Pflegeleistungen auszugeben, mit denen soziale Dienste angefordert werden können, die letztlich von den Gemeinden finanziert werden. Jedoch gilt dies nicht dauerhaft, sondern muss für jede Pflegeleistung erneut beantragt werden und betrifft damit vor allem den Zusatzbedarf in Notzeiten, wie etwa im Falle einer Erkrankung der pflegenden Person (Battistella 2002). Bei finanziellen Notlagen kann ein zinsloser Kredit von der Kommune beantragt werden. Die staatlichen Transfers stellen einen symbolischen Ausgleich für die Pflegelasten dar. Der beschränkte finanzielle Zuschuss wird oftmals zur illegalen Beschäftigung von Pflegekräften verwendet (Lamura et al. 2006). In Schweden gibt es bereits seit den 1940er Jahren finanzielle Leistungen für Pflege leistende Familienangehörige. Seit 1992 sind ausschließlich die Kommunen zuständig für die Zahlungen, die sich in der Höhe regional stark unterscheiden. Es gibt drei Formen von finanziellen Leistungen: 1.
2.
3.
Barzahlungen an die pflegebedürftige Person, die dazu dienen, pflegende Familienangehörige zu bezahlen. Es gibt keinen Rechtsanspruch auf diese Zahlungen, sondern sie werden meist dann gewährt, wenn die Gemeinde die Versorgung durch Pflegedienste nicht gewährleisten kann. Formelle Anstellungsverhältnisse für Familienpfleger, wenn diese im erwerbsfähigen Alter sind und ihre bisherige Arbeit zugunsten der Pflege eines Familienangehörigen aufgegeben oder reduziert haben. Die Bezahlung entspricht dem Gehalt von Angestellten im öffentlichen Pflegebereich. Seit 1989 ist es möglich, insgesamt 30 bezahlte Tage als Urlaub zur Pflege zu erhalten. Die 30 Tage gelten für die Lebenszeit einer zu pflegenden Person.
Schon seit den 1980er Jahren ist der Pflegesektor in Schweden von Kürzungen betroffen. Die Zahl der Personen, die Anspruch auf Pflegeleistungen haben, reduzierte sich deutlich. So sank der Anteil der über 65-Jährigen, die häusliche Pflege erhielten, von 16 Prozent im Jahr 1980 auf 8 Prozent im Jahr 2000 (Jegermalm 2005). Die Pflegezuwendungen konzentrierten sich nun vor allem auf schwer pflegebedürftige Menschen, die pro Fall einen höheren Aufwand beanspruchten (Johansson 2004; Palme et al. 2001). Die Fokussierung der Leistungen auf schwere Pflegefälle, die meist von Pflegediensten oder in stationären Einrichtungen betreut werden, reduzierte die staatliche Unterstützung für pflegende Familienangehörige. So sank die Zahl formeller Anstellungsverhältnisse
192
6 Die Pflege älterer Menschen
für Familienpfleger von ursprünglich 18.517 (1970) über 6.981 (1990) auf zuletzt im Jahr 2003 2.002 (Johansson 2004; Szebehely 1998). Weil viele ältere Menschen mit geringem Pflegebedarf keinen Anspruch auf Pflegeleistungen mehr haben, ist anzunehmen, dass informelle Pflegeleistungen in jüngster Zeit zunahmen. Die relativ geringe Zahl Pflege leistender Familienangehöriger, die finanzielle Unterstützung erhalten, ist ein Indiz dafür, dass auch in Schweden ein Großteil der familialen Pflege unentgeltlich und informell von Angehörigen und Bekannten geleistet wird (Johansson 2004; Sundström et al. 2002).
6.1.4 Umfang der staatlich geförderten Pflege Die Bestimmung der Zahl der pflegebedürftigen Personen und ihrer Versorgung ist nur sehr eingeschränkt möglich. Fünf Gründe sind hierfür entscheidend: 1.
2.
3.
4.
5.
91
Über die Pflegeleistungen, die innerhalb der Familie erbracht werden, gibt es nur Schätzungen, die auf sehr unterschiedlichen Definitionen von Pflege basieren. In Ländern wie Italien und Deutschland gibt es eine große Zahl privat und oft illegal beschäftigter Pflegepersonen in der häuslichen Pflege. Dabei handelt es sich meist um Immigranten aus osteuropäischen Staaten. Schätzungen gehen von 250.000 bis 350.000 Personen in Italien (Polverini et al. 2004)91 und von 500.000 Pflegekräften in Deutschland aus (Ostner 1998). Da die Organisationsstrukturen in Frankreich, Italien und Schweden stark dezentralisiert sind und große Unterschiede sowohl in der Definition der Pflegebedürftigkeit als auch im Leistungsumfang der sozialen Dienste bestehen, sind vergleichbare Angaben auf nationaler Ebene nur schwer zu gewinnen. Die Abweichungen der in verschiedenen Quellen berichteten Kennziffern sind beträchtlich und belegen die Aussage (vgl. z.B. Jani-Le Bris 2004). Es bleibt offen, welche ambulanten sozialen Dienste als Pflegedienste gewertet werden und inwieweit das Angebot zwischen den Ländern vergleichbar ist. In Schweden rechneten die sozialen Dienste im Jahr 2003 insgesamt 924.000 Leistungen ab, während nur 128.000 Personen offiziell als Pflegeempfänger registriert waren (Johansson 2004: 27). Das spricht für eine hohe Konzentration der Pflegeleistungen auf wenige Personen. Eine Bewertung des Umfangs der Pflegeleistungen hinsichtlich der Verwirklichung sozialpolitischer Ziele ist nur eingeschränkt möglich, da die Die Zahl lag vor dem Legalisierungsgesetz 2002 etwa doppelt so hoch. Von den damals rund 700.000 legalisierten Aufenthalts- und Beschäftigungsverhältnissen entfielen ca. 350.000 auf häusliche Pflegekräfte (Melchiorre et al. 2004: 10).
6.1 Vergleich der staatlichen Pflegeleistungen
193
Entwicklung der sozialen Dienste nicht nur die Großzügigkeit sozialpolitischer Regelungen, sondern auch die Intensität des Bedarfs reflektiert. So lag der Anteil allein lebender älterer Menschen in Schweden schon 1960, also zu einem Zeitpunkt, als ambulante Pflegedienste noch kaum existierten, deutlich höher als in Italien heute (OECD 1994). Schweden hatte bei der Versorgung pflegebedürftiger Menschen also schon früh einen sehr viel höheren Problemdruck als Italien. In welchem Maße der staatliche Ausbau sozialer Dienste lediglich eine Reaktion auf gesellschaftliche Probleme darstellt oder aber ein unterschiedliches sozialpolitisches Engagement bzw. unterschiedliche Wertvorstellungen der politischen Eliten indiziert, bleibt daher eine offene Frage. Die Mehrzahl der vergleichenden Arbeiten zur Pflege älterer Menschen berücksichtigen die Probleme eines Vergleichs nur am Rande. Im Bewusstsein der mit Vergleichen verbundenen Schwierigkeiten beschränken wir uns im Folgenden auf die Klärung zweier Fragen: Welche Leistungen bieten die staatlichen Institutionen an, und wie sind sie auf die verschiedene Pflegeformen verteilt? Die umfangreichsten Veränderungen fanden in Deutschland statt. Durch die Einführung der Pflegeversicherung stieg die Zahl der Empfänger von staatlichen Pflegeleistungen um mehr als das 2,5-fache, während sich die Verteilung der Leistungen deutlich zugunsten familialer Pflege verschob (Tabelle 6.5). Vor 1996 wurden die Hilfen für pflegebedürftige Menschen vorwiegend für die Betreuung in stationären Einrichtungen aufgewendet. Direkte Leistungen für pflegende Familienangehörige gab es nicht. Mit der Pflegeversicherung, die über 90 Prozent der in Deutschland lebenden Personen umfasst, erhöhte sich die Zahl der Empfänger in allen drei Pflegeformen deutlich, am stärksten jedoch bei der Pflege durch Angehörige. Die starke Förderung der familialen Pflege kann einerseits als Anerkennung bisher informeller Pflegeleistungen gewertet werden. Sie beinhaltet aber durch die Abstufung der Pflegeleistungen nach Pflegeform auch einen politisch gewollten Anreiz, familiale Pflegearrangements zu wählen.
194 Tabelle 6.5:
6 Die Pflege älterer Menschen
Anzahl pflegebedürftiger älterer Menschen, die staatliche Unterstützung erhalten Deutschland 1991
Frankreich
Italien
Schweden
20034
1996
2004
1989
1998
1993
2003
Empfänger von Pflegeleistungen Insgesamt in Tsd. % 65 Jahre u. älter
656 5,5
1.776 12,1
1.042 11,5
1.080 10,7
380 4,5
k.A.
311 20,3
256 16,6
Institutionelle Pflege Insgesamt in Tsd. % 65 Jahre u. älter % der Empfänger
378 3,2 57,6
611 4,2 34,4
5662 6,2 54,3
6502 6,5 60,2
184 2,2 48,4
213 2,1
129 8,4 39,0
111 7,2 43,4
Ambulante Pflege Insgesamt in Tsd. % 65 Jahre u. älter % der Empfänger
278 2,3 42,4
365 2,5 20,6
4763 5,3 45,7
430 4,3 39,8
1965 2,3 51,6
k.A. 1637, 8 10,6 52,4
1288 8,3 50,0
Familienpflege Insgesamt in Tsd. % 65 Jahre u. älter % der Empfänger
01 0 0
800 5,5 45,0
k.A.
k.A.
06 0 0
k.A.
19 1,2 6,1
17 1,1 6,6
1 Es ist nicht klar, wie groß die Anzahl der pflegenden Familienangehörigen ist, die im Rahmen der Krankenversicherung vom Pflegezuschuss profitieren. Da dieser Zuschuss nicht als Honorar für die Pflege gedacht war, blieb er hier unberücksichtigt. 2 Dies entspricht der Gesamtzahl der stationären Plätze. Im Jahr 2004 wurden nur 486.000 Personen in stationären Einrichtungen durch Pflegeleistungen (APA) und andere Leistungen der Sozialhilfe gefördert (DREES 2006). Die verbleibenden 164.000 Personen mussten die Kosten für Unterkunft und Verpflegung selbst tragen. Da aber die medizinischen Leistungen nahezu vollständig übernommen werden, kann die Gesamtzahl der Plätze als staatlich gefördert angesehen werden. 3 Hier sind nur die von der Renten- und Sozialversicherung (teil-)finanzierten Leistungen zur häuslichen Pflege enthalten (services d’aide ménagère) sowie die medizinische Pflege (services de soins à domicile), die von den Krankenkassen gewährt wird. Davon erhalten ca. 319.000 Personen Leistungen aus der Rentenkasse, ca. 100.000 aus der Sozialhilfe (ACTP) und 57.000 Personen Leistungen ambulanter Pflegedienste. Die Gesamtzahl ist unterschätzt, da keine Angaben über Leistungen zur häuslichen Pflege von allen Rentenversicherungen vorliegen. Die hier angegebene Zahl weist nur die größte Rentenversicherung für Lohnarbeiter aus. Die Leistungen bestehen zu einem großen Teil aus Geldleistungen (1996: für 190.000 Personen). Leider gibt es keine Daten darüber, wie die Geldleistungen zwischen familialer Pflege und ambulanten Diensten verteilt sind. 4 Hier sind nur die Empfänger von Leistungen aus der Pflegeversicherung angegeben. In Deutschland erhielten auch 2003 noch ca. 320.000 Personen Hilfe zur Pflege aus Mitteln der Sozialhilfe. Da die Pflegeversicherung einen hohen Deckungsgrad hat, kann davon ausgegangen werden, dass solche Hilfe in der Regel zusätzlich zu Leistungen aus der Pflegeversicherung gewährt wird, wenn der
6.1 Vergleich der staatlichen Pflegeleistungen
195
Eigenanteil nicht aus dem Einkommen der pflegebedürftigen Person gedeckt werden kann. Die Gesamtzahl der pflegebedürftigen Personen, die staatliche Leistungen zur Pflege erhalten, sollte nur geringfügig über den hier angegebenen Zahlen liegen. 5 Pflegedienste in Italien sind subventioniert, so dass die pflegebedürftige Person nur einen reduzierten Anteil der Pflegekosten tragen muss. Eine individuelle garantierte Übernahme der Pflegekosten gibt es nur im Fall von Bedürftigkeit. Zahlen aus der Sozialhilfestatistik liegen leider nicht vor, da innerhalb der Sozialhilfe Leistungen zur Pflege, die von den Kommunen gewährt werden, nicht einheitlich erfasst werden. 6 Es wurden keine Pflegezuschüsse berücksichtigt, die im Rahmen der Behindertenhilfe für pflegebedürftige Personen gewährt und häufig an Pflege leistende Familienangehörige weitergegeben werden. 7 Laut OECD (1996) war die Anzahl der Leistungsbezieher in der ambulanten Pflege in Schweden im Jahr 1991 deutlich höher (home help 265.000 + home nursing 65.000 = 21,9 Prozent der über 65Jährigen). Die Angaben scheinen im Zeitvergleich unplausibel. Vermutlich wurden Personen, die mehrere Dienste erhalten, doppelt gezählt. 8 Umfasst nur häusliche Hilfe zur Pflege. Insgesamt profitiert ein weitaus größerer Teil der Bedürftigen von staatlichen Dienstleistungen wie Transportdiensten, Essen auf Rädern oder der behindertengerechten Anpassung der Wohnung (Johansson 2004: 27; OECD 1996: 169). Quellen: Deutschland: Alber und Schölkopf (1999: 308); Statistisches Bundesamt (2005a); Frankreich: Bahle (2007); Rostgaard und Fridberg (1998); Weber (2006), Italien: Florea at al. (1992); Schweden: Johansson (2004); Rostgard and Fridberg (1998: 215)
In Schweden gab es bei den staatlichen Pflegeleistungen in den letzen 15 Jahren deutliche Einschnitte. Die Kürzungen gehen nicht auf gesetzliche Neuregelungen zurück, die im Gegenteil sogar den Ausbau bestimmter sozialer Dienste vorsahen, sondern auf die striktere Anwendung der Kriterien, die den Anspruch auf Pflegebedarf festlegen (Johansson 2004). Dadurch kam es zwischen 1993 und 2003 trotz des steigenden Anteils älterer Menschen in der Bevölkerung zu einem Rückgang der Zahl der Leistungsempfänger. Wie bereits erwähnt, konzentrierte sich der Anspruch auf soziale Dienste nun auf schwere Pflegefälle, für die sich die durchschnittlich geleisteten Pflegestunden sogar erhöhten (Szebehely 1998). An der Verteilung der Pflegeformen änderte sich nur wenig. Relativ zur ambulanten und familialen Pflege nahm der Anteil stationärer Pflege trotz absolut rückläufiger Zahlen leicht zu. Das bestätigt die stärkere Fokussierung auf schwere Pflegebedürftigkeit, die eher mit der Unterbringung in stationären Einrichtungen einhergeht. Frankreich sah in der letzten Dekade zwar weitreichende Pflegereformen, aber die bewirkten keine deutliche Verbesserung der Pflegesituation. Die von 1997 bis 2001 geltende prestation spécifique dépendance (PSD) führte sogar zu einer deutlichen Abnahme der Empfänger von Pflegeleistungen, da die Förderung nun engere Kriterien bei der Bestimmung des Pflegebedarfs vorsah (Bahle 2007). Erst mit der Einbeziehung einer weiteren Pflegestufe und der gemilderten
196
6 Die Pflege älterer Menschen
Einkommensprüfung erhöhte sich die Zahl der Leistungsempfänger wieder. Im Jahr 2004 erhalten zwar mehr Personen Leistungen aus der Pflegeversicherung als vor den Reformen von 1996, aber der Anteil der Leistungsempfänger an der Bevölkerung über 65 Jahren ist rückläufig. Es ist schwer zu beurteilen, welche Pflegeformen durch die französischen Regelungen bevorzugt werden. Zum einen gibt es weiterhin drei Leistungsträger (Krankenversicherung, Rentenversicherung und Sozialhilfe), die sehr unterschiedliche Praktiken bei der Vergabe der Leistungen haben. Nur innerhalb der allocation personnalisée d’autonomie (APA) erhält die pflegebedürftige Person finanzielle Mittel, die sie selbst nach eigenem Gutdünken für die Pflege ausgeben kann. Aufgrund der höheren Kosten ambulanter Pflege und der unterschiedlichen Leistungssätze kommt es ähnlich wie in Deutschland zur impliziten Förderung familialer Pflege. Über die Verwendung der Geldleistungen zur Pflege liegen keine Daten vor. In Italien waren die Veränderungen in den letzten 15 Jahren am geringsten. Es gab auf nationaler Ebene zwar Gesetzesinitiativen, die eine Förderung sozialer Dienste vorsahen, aber die Zuständigkeit für die Umsetzung der Regelungen lag bei den Regionen und Kommunen, welche die neuen Gesetze nur zögerlich und regional sehr unterschiedlich implementierten. Mit Ausnahme einiger städtischer Regionen gibt es weiterhin keine allgemeinen individuellen Leistungen zur Pflege. Die einzige nicht bedarfsgeprüfte Leistung wird für Schwerbehinderte im Rahmen der Behindertenhilfe gewährt. Der Anspruch auf bedarfsgeprüfte Leistungen ist wegen der nach wie vor weit gefassten Unterhaltsverpflichtungen der Familienmitglieder sehr beschränkt. Eine wesentliche Komponente der Förderung des Pflegebereichs besteht in der steuerlichen Subventionierung von Pflegeeinrichtungen, welche die Pflegekosten künstlich niedrig hält. Insgesamt ist der Bereich stationärer und ambulanter Einrichtungen zur Pflege aber noch vergleichsweise wenig ausgebaut, wobei der Versorgungsgrad in Norditalien höher ist als im Süden. Vergleichbare Daten zur staatlichen Pflege liegen uns nicht vor.92 Tendenziell kann von einer leichten Zunahme der staatlichen Förderung ausgegangen werden, die für alle Pflegeformen, vor allem aber für die ambulanten Dienste gilt. Die Zahl stationärer Pflegeplätze dürfte allerdings relativ zur gestiegenen Zahl älterer Menschen geschrumpft sein.
6.2 Vergleich der Pflegeleistungen in der Familie Pflegearbeit wird weiterhin hauptsächlich durch Familienmitglieder, Freunde oder Bekannte geleistet, auch wenn staatliche und marktwirtschaftliche Pflegeleistungen 92
Auch die OECD veröffentlichte in ihrem neuesten Bericht zur Pflege keine Daten zur Pflegesituation in Italien (OECD 2005c).
6.2 Vergleich der Pflegeleistungen in der Familie
197
in den letzten zwei Jahrzehnten zugenommen haben. Selbst in Schweden, dem Land mit dem größten Angebot an professionellen Sozialdiensten, erhalten Umfragen zufolge im Jahr 2000 rund zwei Drittel der pflegebedürftigen Menschen über 75 Jahre Hilfe nur von Angehörigen oder Bekannten. Weitere 16 Prozent erhalten neben den Leistungen sozialer Pflegedienste zusätzlich informelle Unterstützung. Im Vergleich zu 1994 hat sich dieser Anteil sogar deutlich erhöht, was die oben getroffene Einschätzung einer impliziten Refamilialisierung der schwedischen Pflegepolitik bestätigt (Johansson et al. 2003; Sundström et al. 2002). Im Folgenden wird ein Überblick darüber gegeben, in welchem Umfang Familienmitglieder und Bekannte pflegebedürftige ältere Menschen unterstützen und wie die Pflege organisiert ist. Dabei wird zum einen die Häufigkeit und Intensität informeller Pflegeleistungen analysiert und zum anderen die Frage gestellt, wer die Pflegeleistungen erbringt. Es soll abgeschätzt werden, wie groß der Anteil der intergenerationalen Leistungen in der Pflege ist und in welchem Maße Pflegeaufgaben geschlechtsspezifisch aufgeteilt sind. Abschließend wird untersucht, inwiefern staatliche Pflegeleistungen zu weniger Kontakten und größerer räumlicher Entfernung zwischen Eltern und Kindern führen. Damit geht es um die Frage, inwiefern Defamilialisierung, also die Übernahme familialer Aufgaben durch professionelle Pflegedienste, gleichbedeutend mit einer Reduktion der Familiensolidarität ist. Die Gegenüberstellung von informeller und formeller Pflege ist nicht unproblematisch (Ungerson 1995). Wie im vorigen Abschnitt gezeigt, sind staatliche und private Formen der Pflege inzwischen in allen Ländern eng verschränkt. Wenn es im Folgenden um die Pflege durch Angehörige oder Bekannte geht, so heißt dies also nicht, dass die betroffenen Personen keine staatliche Unterstützung bekommen. Aus Mangel an vergleichenden Daten ist leider keine Analyse des Wandels über die Zeit möglich. Uns sind nur für Deutschland und Schweden nationale Studien bekannt, die schon Anfang der 1990er Jahre Informationen über familiale Pflegearrangements sammelten. Wir beschränken uns deshalb hier auf die Auswertung des Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe (SHARE), der 2003 in elf europäischen Ländern durchgeführt wurde und sehr detaillierte Angaben über familiale Unterstützung erfragte. Die empirische Erfassung von Pflegeleistungen ist aus zwei Gründen problematisch. Erstens ist es schwer, verschiedene Arten der Unterstützung von Familienmitgliedern eindeutig dem Pflegebereich zuzuordnen, weil keine genauen Informationen zur Pflegebedürftigkeit der unterstützen Person vorliegen. Zweitens beeinflussen strukturelle und kulturelle Faktoren die Wahrnehmung, ob eine Hilfestellung als Pflegeleistung gilt oder nicht. Ein anschauliches Beispiel ist die Unterstützung bei Einkäufen. Eine Hausfrau, die seit vielen Jahren die Einkäufe erledigt, wird dies auch dann kaum als Pflegetätigkeit auffassen, wenn ihr Mann
198
6 Die Pflege älterer Menschen
plötzlich gehbehindert und somit auch physisch nicht mehr in der Lage ist, Einkäufe zu erledigen. In der umgekehrten Situation, in der der Mann nun die Einkäufe erledigen muss, wird dies viel eher als Pflegetätigkeit wahrgenommen. Unterschiedliche Einschätzungen von Pflegeleistungen entstehen ferner auch dadurch, dass sie von Personen innerhalb oder außerhalb des Haushalts erbracht werden. Wenn im genannten Beispiel eine dritte Person außerhalb des Haushalts die Einkäufe erledigt, wird dies vermutlich eher als Pflegetätigkeit wahrgenommen. Deshalb ist es notwendig, als erstes den Pflegebedarf einzuschätzen und ein Bild des häuslichen Kontextes zu entwickeln, wenn spezifische Tätigkeiten des Alltags von einer älteren Person nicht mehr ausgeführt werden können. Der Anteil der über 65-Jährigen, die angeben, zumindest eine Aktivität des täglichen Lebens, wie anziehen, waschen oder kochen, nicht oder nur eingeschränkt ausüben zu können, schwankt zwischen 29 Prozent in Deutschland und 35 Prozent in Frankreich (Tabelle 6.6). Wird der unterschiedliche Anteil Hochaltriger berücksichtigt, indem man die Daten auf die Altersstruktur in Deutschland normiert, dann erscheint Schweden als das Land, in dem die wenigsten älteren Menschen mit Beschwerden leben. Insbesondere der Anteil an Personen, die bei drei oder mehr Aktivitäten beeinträchtigt sind, ist in Schweden bei Berücksichtigung der Altersstruktur niedrig. Tabelle 6.6:
Abschätzung des Pflegebedarfs
Zahl der Deutschland BeeinStich trächprobe tigungen
Frankreich
Italien
Schweden
Stich probe
Standardisiert
Stich probe
Standardisiert
Stich probe
Standardisiert
0
71,0
65,4
67,8
69,3
69,6
68,2
73,4
1
11,7
13,4
12,7
10,9
10,0
13,4
12,1
2
5,6
4,9
4,8
5,7
5,9
5,0
4,5
3+
17,4
21,3
19,6
19,7
20,4
18,5
14,5
Erklärung: Insgesamt wurde nach 13 Beeinträchtigungen gefragt. Diese sind: Ankleiden, Bewegen, Waschen, Essen, Aufstehen/Hinlegen, auf die Toilette gehen, Karte lesen, Kochen, Einkaufen, Telefonieren, Medikamente einnehmen, Reparaturen/Gartenarbeit und mit Geld umgehen, Stichprobe bedeutet, dass die Angaben auf der gewichteten nationalen Stichprobe des SHAREDatensatzes basieren, die in ihrer Altersverteilung der Bevölkerung im jeweiligen Land angepasst wurde. Quelle: SHARE 2003
Pflegebedürftigkeit ist in allen Ländern erst im hohen Alter verbreitet (Abbildung 6.2). Selbst die meisten 65- bis 74-Jährigen äußern keine dauerhaften ge-
199
6.2 Vergleich der Pflegeleistungen in der Familie
sundheitlichen Einschränkungen. Ab dem Alter von 75 Jahren steigt die durchschnittliche Zahl der Beeinträchtigungen und damit die Pflegebedürftigkeit aber progressiv an. Bei Menschen, die älter als 90 Jahre sind, kumulieren sich die Beeinträchtigungen. Sie sind in der Mehrheit pflegebedürftig und auf die Hilfe anderer Personen angewiesen.
Durchschnittliche Anzahl der Beeinträchtigungen
Abbildung 6.2: Beeinträchtigung bei verschiedenen Aktivitäten nach Altersgruppen 6
5
4
3
2
1
0 65-69
70-74
Deutschland
75-79 80-84 Altersgruppen Frankreich
85-89 Italien
90+ Schweden
Erläuterung: Der Wert gibt die durchschnittliche Zahl an Beeinträchtigungen je Altersgruppe an. Insgesamt wurde nach Schwierigkeiten bei 13 Aktivitäten gefragt (vgl. Tabelle 6.6). Quelle: SHARE 2003
Jeder zweite ältere Mensch, der von einer Beeinträchtigung seiner Aktivitäten berichtet, erhält Hilfe von einer anderen Person. Beim Vorliegen zweier Behinderungen sind es bereits 75 Prozent, die Hilfe erhalten, und bei drei und mehr Beeinträchtigungen weit über 90 Prozent. Dabei gibt es zwischen den vier Ländern kaum Unterschiede. In allen Ländern erhalten Menschen, die in mehreren Bereichen alltägliche Schwierigkeiten haben, in der Regel Hilfe von anderen
200
6 Die Pflege älterer Menschen
Personen. Unterschiede ergeben sich aber hinsichtlich der Unterstützungshäufigkeit bei einzelnen Aktivitäten (Abbildung 6.3). Bei Beeinträchtigungen, welche die persönliche Hygiene und Versorgung betreffen, erhalten fast alle älteren Menschen Italiens Unterstützung. In Deutschland liegt der Prozentanteil teilweise um mehr als zehn Prozentpunkte niedriger. Ein Vergleich der durchschnittlichen Unterstützungshäufigkeit zeigt, dass ältere Menschen in Italien am häufigsten Hilfeleistungen erhalten, in Deutschland hingegen am wenigsten. Allerdings liegt dies auch daran, dass Beeinträchtigungen bei älteren Menschen in Italien stärker kumulieren, so dass die Hilfsbedürftigkeit größer ist.
100 95 90 85 80 75
Deutschland Frankreich Italien Schweden
70 65 60
An kle id e Be n we ge n W as ch e Au n fst E eh en sse n ,h inl eg en To i Ka lette rte les en Ko ch Ei en nk Me a dik Te ufe a n l e m Re fon e n pa ra te e iere n tur i en nneh ,G me a Um rten n a ga ng rbei mi t t Du Ge rch ld sc hn it t
Anteil der Personen mit Beeinträchtigungen, die Hilfe erhalten
Abbildung 6.3: Hilfeleistungen in Abhängigkeit von der Beeinträchtigung nach Land
Erläuterung: Die Angaben beziehen sich nicht ausschließlich auf Hilfen für die genannte Beeinträchtigung, sondern gelten allgemein für Personen, die zumindest bei der genannten Tätigkeit beeinträchtigt sind, womöglich aber auch noch in anderen Aspekten. Bei bestimmten Einschränkungen ist eine Kumulation mit anderen Schwierigkeiten wahrscheinlicher als bei anderen. Quelle: SHARE 2003
6.2 Vergleich der Pflegeleistungen in der Familie
201
Die hohen Quoten an Hilfeleistungen bei den einzelnen Verrichtungen sprechen dafür, dass die SHARE-Daten die Pflegebedürftigkeit recht erschöpfend abbilden.93 Der Anteil der über 65-Jährigen, der in mehreren Aktivitäten eingeschränkt ist und Hilfe erhält, ist mit 22 Prozent in Deutschland, Italien und Schweden fast gleich hoch, in Frankreich mit knapp 25 Prozent nur unwesentlich höher. Wird die landesspezifische Altersstruktur berücksichtigt, so erhalten ältere Menschen in Schweden die geringste Unterstützung, sind aber auch weniger häufig beeinträchtigt. Die Ergebnisse decken sich gut mit anderen Studien, in denen der Anteil der Personen, die Pflege leisten, je nach Land zwischen 18 und 25 Prozent schwankt (Alber und Kohler 2004; Johansson 2004). Die im Vergleich zur Empfängerquote staatlich geförderter Pflegeleistungen höhere Quote pflegedürftiger Menschen in Privathaushalten zeigt, dass Pflegebedürftigkeit häufig schon besteht, bevor die Kriterien für eine staatliche Förderung erfüllt sind. Gerade bei geringfügigen Beeinträchtigungen ist die Hilfe von Familienmitgliedern und Bekannten eine wichtige Ressource für ältere Menschen, um weiterhin im eigenen Haushalt leben zu können. Der nächste Abschnitt untersucht genauer, wie die Pflege organisiert ist.
6.2.1 Pflegearrangements Pflegearrangements können sehr facettenreich sein. Ein Grund für ihre große Vielfalt ist, dass sie oft in Kombination von Privatpersonen und Sozialdiensten erbracht werden. Zwar gibt es in der Regel eine Person, die den Hauptanteil der Pflege trägt, insgesamt jedoch ist es sinnvoller, Pflege als ein Leistungspaket aufzufassen, zu dem verschiedene Seiten beitragen (Lewis 1998). Ein weiterer Grund ist, dass die Pflege eines bedürftigen Menschen Auswirkungen auf die gesamte Zeit- und Arbeitsorganisation einer Familie hat. So pflegen Schwiegertöchter zum Beispiel häufiger die Eltern ihres Partners als der Sohn selbst, dies dann aber mit der Konsequenz, dass der Ehegatte sich stärker an sonstigen Familienarbeiten beteiligt und damit seine Partnerin entlastet (Martin-Matthews und Campbell 1995). Neben der Aufteilung der Pflegeaufgaben zwischen Familienmitgliedern und Freunden ist das Zusammenspiel zwischen familialer Pflege und ambulanten Pflegedienstleistungen von besonderer Bedeutung. Nur selten sind soziale Dienste die einzige Quelle von Pflegeleistungen. Selbst in der Heimun93
Die Validität wird auch dadurch unterstützt, dass über 90 Prozent der Personen, die angeben, Hilfe bei der persönlichen Pflege zu erhalten, berichten, dass sie zumindest bei einer der in Abbildung 3 genannten Aktivitäten Schwierigkeiten haben. Nur in Frankreich ergibt sich ein unplausibler Befund. Dort haben rund 30 Prozent aller Personen, die angeben, Hilfe von Pflegediensten zu erhalten, keinerlei gesundheitliche Beeinträchtigungen.
202
6 Die Pflege älterer Menschen
terbringung ist ein Engagement von Familienangehörigen, das über einfache Besuche hinausgeht, willkommen und wird in Ländern wie Italien sogar erwartet (Polverini et al. 2004). Die im vorigen Abschnitt herausgearbeiteten Unterschiede der staatlichen Pflegedienste lassen erwarten, dass sich die nationalen Pflegearrangements deutlich unterscheiden. Die spärlichen Pflegedienste Italiens führen dazu, dass der Großteil der Pflege von Angehörigen geleistet wird. In Schweden übernehmen soziale Dienste zwar große Teile der Pflege, aber selbst dort überwiegt die Pflege durch Angehörige. In Deutschland und Frankreich tragen Familienmitglieder den Hauptteil der Pflegelast, allerdings mit deutlicher Unterstützung von sozialen Diensten. Tabelle 6.7 stellt die länderspezifische Aufteilung in familiale und öffentliche Pflege dar. Da die Länder eine unterschiedliche Altersstruktur aufweisen und der Pflegebedarf dadurch voneinander abweicht, wurden die Rohdaten gemäß der Altersverteilung in der gewichteten deutschen Stichprobe standardisiert. Die Zahlen in Klammern geben die standardisierten Werte wieder. Da die Befragung nur Personen in Privathaushalten umfasst, kann keine Einschätzung der stationären Pflege gegeben werden, obwohl dies der Bereich ist, der bei den institutionellen Daten am besten dokumentiert war. Tabelle 6.7:
Aufteilung häuslicher Pflegearrangements Nur Angehörige
Nur Pflegedienste
Mischform
Unbekanntc
Deutschland
60,5
3,5
24,7
11,2
Frankreich
38,0 (37,1)
10,0 (10,6)
44,2 (46,2)
7,8 (6,2)
Italien
72,4 (70,6)
1,4 (1,7)
17,2 (17,3)
9,1 (10,5)
Schweden
53,6 (46,2)
12,3 (15,3)
21,7 (26,2)
12,5 (12,3)
Erläuterung: Die Angaben in Klammern sind altersstandardisiert. Referenz ist die gewichtete Altersverteilung in Deutschland. c Der Pflegetyp ist bei Befragten unbekannt, wenn sie bei der Frage, ob sie bei den Aktivitäten, die ihnen Schwierigkeiten bereiten, Hilfe erhalten, mit Ja antworteten, aber später keine Angabe zu finden ist, wer diese Hilfe leistet und sich dies auch aus der Haushaltsstruktur nicht ableiten lässt. Quelle: SHARE 2003, eigene Berechnungen
In Italien werden fast drei von vier bedürftigen Personen durch Angehörige versorgt. Ausschließliche Pflege durch ambulante Pflegedienste ist selten. Berücksichtigt man, dass auch der Anteil der stationären Pflege in Italien bei nur zwei Prozent liegt (vgl. Tabelle 6.5 in Kapitel 6.1.4), so verstärkt sich das Bild einer großen Pflegebelastung der Familien. Obwohl die staatlichen Leistungen zur Pflege in
6.2 Vergleich der Pflegeleistungen in der Familie
203
Deutschland großzügiger sind, sind auch hier in mehr als 80 Prozent der Fälle Familienangehörige oder Bekannte an der Pflege älterer Menschen beteiligt. Im Vergleich zu Italien sind aber die gemischten Pflegearrangements häufiger, und der Anteil der Personen, die stationär gepflegt werden, ist – wie im vorigen Abschnitt gezeigt – größer. In Schweden ist zwar die Rate der ausschließlich durch Pflegedienste versorgten Personen am höchsten, aber auch dort erhalten immerhin mehr als die Hälfte aller pflegebedürftigen Personen die Hilfe ausschließlich durch Angehörige. In Frankreich ist der Anteil älterer Menschen am höchsten, die zumindest teilweise durch Pflegedienste versorgt werden. Eine genauere Aufschlüsselung des Anteils derjenigen, die finanzielle Unterstützung durch die APA (allocation personnalisée d’autonomie) erhalten, ist leider nicht möglich. Regionale Studien lassen aber vermuten, dass die Pflegegelder für ambulante Pflegedienste bzw. die Beschäftigung von Haushaltshilfen verwendet werden (CLIC 2005). Pflegearrangements unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich der Person oder Institution, die die Pflege leistet, sondern auch dahingehend, ob die Hilfe innerhalb eines Haushalts erbracht wird oder von Angehörigen oder Bekannten, die außerhalb des Haushalts leben. Anzunehmen ist, dass die Pflege innerhalb des Haushalts intensiver ist, weil das Zusammenleben im gemeinsamen Haushalt die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung vermutlich fördert. Im Ländervergleich ist der Anteil erwachsener Kinder, die im Elternhaus leben, sehr unterschiedlich (vgl. Kapitel 4.3.1). Während in Italien die Eltern mit den erwachsenen Kindern enger zusammenleben und oft sogar einen gemeinsamen Haushalt teilen, findet sich in Deutschland bei ähnlich engen Beziehungen eher ein getrenntes Zusammenleben in verschiedenen Haushalten, wenngleich oft in unmittelbarer Nachbarschaft. In Frankreich und Schweden ist die räumliche Distanz zwischen Eltern und Kindern dagegen größer. Deshalb sollten sich auch hinsichtlich der Struktur und Intensität der Pflege durch Angehörige deutliche Länderunterschiede ergeben. Das empirische Muster entspricht mit einigen Abstrichen den aufgrund der Formen des Zusammenlebens zu erwartenden Ergebnissen (Tabelle 6.8). Die SHARE-Daten geben allerdings für die Pflege durch Haushaltsmitglieder nur eingeschränkte Informationen, die hier durch Annahmen über im Haushalt lebende Partner oder erwachsene Kinder ergänzt wurden.94 Der Schätzfehler dürfte für Italien am größten sein, da Mehrgenerationen- und Mehrfamilienhaushalte häufiger sind, und für Schweden am geringsten, da ältere Menschen dort meist 94
Für Personen, die angaben, Hilfe zu erhalten, aber keinen Hilfespender außerhalb des Haushalts nannten, wurde unterstellt, dass sie Hilfe vom Partner oder den erwachsenen Kindern im Haushalt erhielten. Da Hilfeleistungen anderer Personen im Haushalt nur berücksichtigt wurden, wenn sie tägliche persönliche Pflege angaben, dürfte der Anteil der Pflege durch Haushaltsmitglieder etwas unterschätzt sein.
204
6 Die Pflege älterer Menschen
für sich im eigenen Haushalt leben. Für beide Länder zeigt sich aber deutlich der Kontrast der Pflegeformen, der mit unterschiedlichen Haushaltsstrukturen einhergeht. Während in Italien die Pflege durch Haushaltsmitglieder dominiert, sind es in Schweden außerhalb des Haushalts lebende Angehörige und Bekannte, die den Großteil der Pflege bestreiten. In Frankreich ist auffällig, dass trotz des geringen Anteils erwachsener Kinder in Haushalten älterer Menschen Hilfen durch Haushaltsmitglieder ebenso häufig sind wie Pflegeleistungen, die von Personen außerhalb des Haushalts erbracht werden. Der Grund für dieses Ergebnis liegt im hohen Pflegeanteil der Partner, während Kinder und andere Angehörige in Frankreich weniger an der Pflege beteiligt sind. In Deutschland ist die Pflege durch Personen außerhalb des Haushalts weiter verbreitet, was noch einmal illustriert, dass auch von den Eltern getrennt lebende Kinder rege Unterstützung leisten, weil sie häufig in unmittelbarer Nachbarschaft wohnen. Außerdem zeichnet sich Deutschland durch den höchsten Anteil von Mischformen der Pflege aus. Fast jede dritte pflegebedürftige Person erhält hierzulande sowohl Hilfe von Haushaltsmitgliedern als auch von Personen außerhalb des Haushalts. Tabelle 6.8:
Betreuung pflegebedürftiger Personen nach Wohnort der Pflege leistenden Person in Prozent Innerhalb des Haushaltsc
Deutschland Frankreich
Außerhalb des Haushalts
Mischform
28,5
39,4
32,2
38,2 (42,2)
37,9 (31,0)
24,0 (26,9)
Italien
49,7 (49,7)
28,4 (28,3)
21,9 (22,0)
Schweden
27,4 (31,7)
54,7 (49,2)
17,9 (19,2)
Erläuterung: Angaben in Klammern sind altersstandardisiert. Referenz ist die gewichtete Altersverteilung in Deutschland. c In den SHARE Daten wird nur nach (fast) täglicher persönlicher Pflege im Haushalt gefragt. Es gibt keine Informationen zu häuslichen Hilfen oder persönlicher Pflege, die weniger häufig geleistet wird. Deshalb wurde die Annahme gemacht, dass wenn eine Person angibt, generell Hilfe bei bestimmten Beeinträchtigungen zu erhalten und im Haushalt entweder noch der Partner oder erwachsene Kinder leben, diese dann auch Hilfe leisten. Quelle: SHARE 2003, eigene Berechnungen
Der Vergleich der altersstandardisierten Werte zeigt, dass das vorgefundene Pflegearrangement stark altersabhängig ist. Je älter die Person ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass der Partner bereits gestorben ist und die Pflege von Angehörigen in Anspruch genommen werden muss, die nicht mehr im Haushalt leben. Dieser Alterseffekt zeigt sich deutlich in Schweden und Frankreich. In beiden Ländern
205
6.2 Vergleich der Pflegeleistungen in der Familie
gibt es im Vergleich zu Deutschland mehr hochaltrige Personen, so dass der Anteil außerhäuslicher Pflege bei der altersstandardisierten Betrachtung sinkt. Abbildung 6.4: Pflegeintensität bei außerhäuslicher Pflege
Deutschland
56
Frankreich
29
48
Italien
41
58
Schweden
13
0%
20%
30%
7
9
35
32
10%
7
5 3
28
40%
50%
60%
2
28
70%
80%
90%
100%
Anteil aller Pflegeleistenden außerhalb des Haushalts Täglich
Wöchentlich
Monatlich
Seltener
Quelle: SHARE 2003; eigene Berechnungen
Die unterschiedliche Bedeutung der Pflege durch Familienangehörige zeigt sich auch bei der Häufigkeit der Pflegeleistungen. Leider liegen uns keine detaillierten Angaben zur Pflegeintensität innerhalb des Haushalts vor, weil nur nach der (fast) täglichen persönlichen Pflege einer bedürftigen Person gefragt wurde. Es kann aber angenommen werden, dass die Hilfeleistungen von Haushaltsmitgliedern häufiger sind, weil sie an der gemeinsamen Haushaltsführung beteiligt und bei Problemen eher präsent sind. Bei der Betrachtung der Intensität außerhäuslicher Pflege verstärkt sich der Unterschied zwischen Schweden auf der einen Seite und Deutschland, Frankreich und Italien auf der anderen (Abbildung 6.4). In Schweden ist die intensive Pflege durch Haushaltsmitglieder am wenigsten häufig, und auch die Hilfeleistungen von Angehörigen und Bekannten außerhalb
206
6 Die Pflege älterer Menschen
des Haushalts erfolgen viel seltener als in den übrigen Ländern. Dies ist ein starkes Indiz dafür, dass öffentliche Dienstleistungen familiale Pflegeleistungen in Schweden weitgehend ersetzen. Der Gegenpol findet sich in Italien. Dort macht es eine geringe Verfügbarkeit staatlich geförderter Sozialdienste erforderlich, dass Angehörige die Pflegeaufgaben übernehmen, was sich sowohl am hohen Anteil der Pflege im Haushalt zeigt, als auch in der hohen Intensität außerhäuslicher Pflege. Deutschland und Frankreich nehmen hier eine Mittelposition ein. In beiden Ländern bedeutet außerhäusliche Pflege, dass die pflegebedürftige Person zumindest einmal in der Woche, meist häufiger, von einer nahestehenden Person betreut wird. Wie sich am höheren Anteil außerhäuslicher Betreuung zeigt, ist der Umfang der Leistungen in Deutschland aber größer. Die bisherige Betrachtung verschiedener Pflegearrangements droht eine zentrale Gegebenheit zu übersehen. Egal ob die Pflege durch Angehörige oder soziale Dienste geleistet wird, in der überwiegenden Mehrheit sind es stets die Frauen, die den Großteil der Pflegearbeit verrichten (Finch und Groves 1983; Ungerson 1990). Auch der Ausbau sozialer Dienste in den skandinavischen Ländern hat an dieser geschlechtsspezifischen Aufteilung der Pflegearbeit wenig geändert (Siim 1987). Unsere Daten zeigen aber, dass die empirischen Befunde sowohl zur geschlechtsspezifischen wie zur altersspezifischen Belastung durch Pflegearbeit differenzierter sind, als oft unterstellt wird. Die Analyse der intergenerationalen Verteilung von Pflegeaufgaben zeigt, dass die Pflege keineswegs nur von der jüngeren Generation erbracht wird. In allen vier Ländern erhalten gut die Hälfte der pflegebedürftigen Personen Hilfe von ihrem Partner (Tabelle 6.9).95 Zweitens ist nur eine Minderheit der älteren Generation pflegebedürftig. Selbst wenn man den Begriff der Pflegebedürftigkeit sehr weit fasst und schon bei drei Beeinträchtigungen täglicher Aktivitäten ansetzt, kommt man höchstens auf Pflegebedüftigkeitsquoten von ca. 20 Prozent (vgl. Tabelle 6.6). Die so genannte Sandwich-Generation, also jene, die sowohl noch für eigene Kinder sorgen als auch ihre bedürftigen Eltern pflegen, ist also keineswegs der Regelfall, sondern ausgesprochen selten (Künemund 2006). Fakt ist hingegen eine sehr ungleiche Belastung zwischen Kindern, die pflegebedürftige Eltern haben, und solchen, die keine derartige Verantwortung tragen.
95
Die Bedeutung der intragenerationalen Pflege durch den Partner zeigt sich auch bei den staatlichen Pflegeleistungen. In Deutschland bildeten im Jahr 2003 die Partner mit 28 Prozent die größte Gruppe der Hauptpflegepersonen (Meyer 2004).
207
6.2 Vergleich der Pflegeleistungen in der Familie
Tabelle 6.9:
Wer leistet Pflege? Deutschland
Frankreich
Italien
Schweden
Partner
55,9
58,2
48,6
53,4
Kind
43,1
37,8
41,7
44,2
Schwiegertochter/sohn
13,8
3,5
2,7
3,8
Anderer Verwandter
9,6
10,4
13,3
11,4
15,3
11,4
17,6
15,5
137,7
121,3
123,9
128,3
Andere Person Insgesamt c
c Zahlen über 100 Prozent zeigen den Anteil von Mehrfachbetreuungen an, der in Frankreich am geringsten und in Deutschland am höchsten ist. Quelle: SHARE 2003, eigene Berechnungen
In Italien spiegelt sich der breit gezogene Kreis rechtlicher Versorgungsverpflichtungen der Familienangehörigen auch in der Aufteilung der Pflegeleistungen auf das erweiterte Familiennetzwerk sowie in dem hohen Anteil von Mehrfachnennungen wider. Weil öffentliche Hilfen selten sind, müssen offenbar viele Schultern die Last teilen, darunter auch oft Freunde oder Nachbarn. Der hohe Anteil von nicht verwandten Personen kann auch ein Indiz für die Bedeutung informeller, bzw. illegaler Beschäftigung sein, deren Zahl auf mehrere 100.000 geschätzt wird. In Frankreich fällt der hohe Anteil Pflege leistender Partner sowie die seltene Beteiligung der Kinder auf. In Deutschland leistet die Kernfamilie den Hauptteil der Pflegearbeit, das heißt neben dem Partner oder der Partnerin tragen auch Kinder und Schwiegertöchter einen vergleichsweise hohen Anteil der Pflegelast. Da überdies zusätzlich auch Arbeit von nicht verwandten Personen übernommen wird, steht einer pflegebedürftigen Person in Deutschland ein vergleichsweise großer Kreis an Helfern gegenüber. Für alle Länder zeigt sich aber, dass neben Familienmitgliedern auch nicht verwandte Personen einen relevanten Beitrag zur Pflege leisten, was für eine beträchtliche Vitalität der Zivilgesellschaft spricht. Innerhalb von Partnerschaften leisten Männer und Frauen einen bemerkenswert ausgeglichenen Beitrag zur Erbringung von Pflegeleistungen (Tabelle 6.10). Zwar sind Frauen aufgrund ihrer höheren Lebenserwartung auch häufiger von Pflegebedürftigkeit betroffen, aber wegen ihres niedrigeren Heiratsalters sollte dieser Effekt innerhalb von Partnerschaften nicht zum Tragen kommen. Unsere Daten zeigen nun, dass Frauen in der Tat häufiger über Beeinträchtigungen bei Aktivitäten des täglichen Lebens berichten und insofern hilfsbedürftiger
208
6 Die Pflege älterer Menschen
sind als Männer. Das mag auch methodische Gründe haben. So tendieren Frauen wohl eher dazu, gesundheitliche Probleme einzugestehen, und aufgrund ihrer körperlichen Konstitution sind sie bei bestimmten Aktivitäten, wie dem Tragen schwerer Gegenstände, eher eingeschränkt als Männer. Auch wenn die Pflegeleistungen der Männer leicht überschätzt sein mögen, so ist ihr Beitrag zur Pflege in Paarhaushalten aber aufgrund unserer Daten bemerkenswert hoch (vgl. Arber und Gilbert 1988; Parker 1993; Schupp und Künemund 2004). Sobald die Hilfe nicht mehr vom Lebenspartner geleistet wird, sind es ganz überwiegend Frauen, die pflegen. So kommen in Deutschland, Frankreich und Italien auf einen Pflege leistenden Sohn mehr als drei pflegende Töchter. Nur in Schweden ist das Verhältnis ausgeglichen. Damit bestätigt sich einmal mehr die stärkere Ausgewogenheit der geschlechtsspezifischen Aufgabenteilung in Schweden, die nicht nur durch sozialstaatliche Regelungen gefördert wird, sondern auch kulturell verfestigt ist (Naumann 2005). Betrachtet man, wer von den Ehepartnern in der Kindergeneration die Pflege leistet, so sind es in ganz überwiegender Mehrheit die Schwiegertöchter. Nimmt man, um ausreichende Fallzahlen zu bekommen, alle zehn Länder in der SHARE-Untersuchung zusammen96, so sind im Durchschnitt 90 Prozent der Pflege leistenden Partner der Kinder Schwiegertöchter. Allerdings übernehmen die Söhne dafür einen Teil der Familienarbeit, so dass die Aufgabenverteilung teilweise nur verschoben wird, ohne unbedingt ungleicher zu werden (Martin-Matthews und Campbell 1995). Tabelle 6.10:
Pflegeleistung nach Personengruppe und Geschlecht c Deutschland
Frankreich
Italien
Schweden
Frauen Männer
Frauen Männer
Frauen Männer
Frauen Männer
Partner
49,1
50,9
44,3
55,7
38,2
61,8
51,1
48,9
Kind
69,7
30,3
70,6
29,4
75,7
24,3
48,7
51,3
N<30
N<30
N<30
N<30
N<30
N<30
N<30
N<30
Schwiegertochter/-sohn
c Bei anderen Verwandten and anderen Personen wurde das Geschlecht der Pflege leistenden Person nicht durchgehend erfasst. Deshalb liegen keine geschlechtsspezifischen Angaben vor. Quelle: SHARE 2003, eigene Berechnungen
Die hier gezeigten Befunde sprechen gegen die Vorstellung, dass staatliche Pflegeleistungen die Pflege in der Familie ersetzen. Der Ländervergleich und insbesondere der Kontrast zwischen Italien und Schweden zeigt zwar, dass eine größe96
Die beteiligten Länder sind: Dänemark, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Niederlande, Österreich, Schweden, Schweiz und Spanien.
6.2 Vergleich der Pflegeleistungen in der Familie
209
re Beteiligung von öffentlichen Pflegediensten mit einer geringeren Intensität der Pflege durch Angehörige und Bekannte einhergeht, aber in der Regel werden diese Hilfen nicht eingestellt, sondern in verminderter Intensität weiter geleistet. Der Staat ersetzt also die Familie nicht, sondern entlastet sie. Selbst in Schweden wird nur eine Minderheit der pflegebedürftigen Personen ausschließlich durch ambulante Pflegedienste versorgt. Weitaus häufiger ergänzen sich die Pflegedienste mit Pflege leistenden Familienangehörigen. Darüber hinaus dienen staatliche Leistungen vorrangig schwereren Pflegefällen. Wie sich das Zusammenspiel von öffentlicher Pflege und Familienhilfe auf die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern auswirkt, soll im Folgenden untersucht werden.
6.2.2 Der Zusammenhang zwischen öffentlicher Pflege und den Beziehungen zwischen Eltern und Kindern Familie und Sozialstaat werden häufig als Alternative zueinander gesehen, wenn es um die Absicherung sozialer Risiken geht. Das schwedische Beispiel verdeutlicht, wie staatliche Pflegeleistungen und familiale Leistungen ineinandergreifen und sich teilweise, keineswegs aber vollständig, ersetzen. Als Land mit dem größten Angebot an öffentlichen Hilfen zeichnet sich Schweden im Ländervergleich durch den geringsten Umfang familialer Pflegeleistungen aus, und der Abbau staatlicher Pflegeleistungen in jüngster Zeit hat zur vermehrten Übernahme von Pflegeaufgaben in den Familien geführt (Johansson 2004; Kröger 2005). Insofern fand in Schweden in gewissem Umfang ein Refamilialisierungprozess statt. Inwieweit eine Verdrängung der Familie durch staatliche Leistungen besteht und ob diese wünschenswert ist, wird kontrovers diskutiert. Befürworter sehen in der teilweisen Übernahme von Pflegeaufgaben durch staatliche Einrichtungen eine Entlastung der Familien, die letztlich zu einer Stärkung des Familienzusammenhalts führt, da Angehörige nicht mehr so stark in Familienpflichten eingespannt sind und mehr Freiraum für emotionale Zuwendung finden. Außerdem wird angeführt, dass mit Prozessen der Defamilialisierung auch die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung zwischen vorwiegend von Frauen geleisteter informeller Arbeit und von Männern erbrachter Erwerbsarbeit reduziert und Frauen zu größerer Autonomie auf der Grundlage eigenständiger Erwerbseinkommen verholfen werde (Kolberg 1991). Kritiker der staatlichen Übernahme traditioneller Familienverpflichtungen sehen darin die Gefahr einer Zersetzung der Familiensolidarität, die sie als unverzichtbare Basis des gesellschaftlichen Zusammenhalts sehen (Etzioni 1993; Wolfe 1989). Die Verstaatlichung der Betreuungs- und Pflegeaufgaben gehe mit einer höheren Arbeitsmarktbeteiligung der Frauen einher, die für nachbarschaft-
210
6 Die Pflege älterer Menschen
liche Hilfen und zivilgesellschaftliches Engagement immer weniger Raum lasse. Ein zweites Argument verweist auf die Entmündigung und Schwächung von Eigeninitiative, die mit der staatlichen Übernahme von Familienleistungen einhergehe. Aus dieser Sicht verdrängt und zersetzt der Staat die Familie, ein Zusammenhang, für den auf Englisch der Begriff „Crowding-out“ geprägt wurde. Darüber finde auch keine Gleichstellung der Geschlechter statt, da sich das traditionelle Aufgabenfeld von Frauen in der Familie nun lediglich auf den geschlechtsspezifisch segregierten Arbeitsmarkt verlagere. So seien vor allem in den Berufsfeldern Kinderbetreuung und Pflege älterer Menschen ganz überwiegend Frauen beschäftigt, und aus der patriarchalen Familie werde der patriarchale Sozialstaat (Siim 1987). Diese stark normativ aufgeladene Debatte entbehrt oft eines Bezugs zu empirischer Forschung. Eine Reihe von empirischen Studien kam zu dem Schluss, dass es keine überzeugenden Anzeichen eines Verdrängungsprozesses gebe und dass die Familienbeziehungen teilweise sogar intakter seien, wenn es umfangreiche staatliche Dienstleistungen gibt (Attias-Donfut und Wolff 2000a; Künemund und Rein 1999; Motel-Klingebiel et al. 2005; van Oorshot und Arts 2005). Dieser Befund ergibt sich allerdings entweder aus Querschnittsvergleichen, die den Prozess einer Lösung von Familienbeziehungen durch staatliche Leistungen nicht verfolgen können, oder aus Ländervergleichen, die implizit annehmen, dass vor dem Ausbau staatlicher Dienstleistungen die Familienbeziehungen in allen Ländern ähnlich eng waren. Historisch-vergleichende Studien haben aber gezeigt, dass diese Annahme nicht zutrifft (Hajnal 1982; OECD 1994; Reher 1998). Die verwendeten Indikatoren zur Bestimmung der Familienbeziehungen sind zudem oft unzureichend, da sie nicht die Intensität und Enge der Beziehung erfassen oder sich nur auf die Beziehung zu dem Kind beziehen, das dem Elternteil am nächsten steht. Die wenigen Längsschnittstudien kommen zu widersprüchlichen Ergebnissen. In einigen wird kein Zusammenhang zwischen der Zunahme staatlicher Leistungen und der Abnahme von Familienbeziehungen festgestellt (Kahn und Antonucci 1980; Lingsom 1997). Andere Studien zeigen hingegen einen klaren Zusammenhang (Paxton 1999). Das Problem ist, dass die Kausalbeziehung zwischen beiden Aspekten unklar bleibt. Wenn sich nach der Einführung staatlicher Leistungen die Familienbande lösen, so kann dies auch daran liegen, dass sich Werte verändert haben, mehr Mobilität über größere Distanzen stattfindet oder die Erwerbsbeteiligung gestiegen ist. Auch mit den SHARE Daten kann die Frage nach dem Verdrängungsprozess aufgrund des fehlenden Panelcharakters der Erhebung nicht eindeutig geklärt werden. Allerdings lässt sich ermitteln, ob es einen Zusammenhang zwischen Pflegearrangements und der Kontakthäufigkeit zwischen Eltern und Kin-
211
6.2 Vergleich der Pflegeleistungen in der Familie
dern gibt. Außerdem haben die Daten den großen Vorteil, dass Angaben für jedes Kind vorliegen97 und nicht, wie bei den meisten bisherigen Studien, Informationen nur für ein Kind vorhanden sind bzw. Durchschnittswerte für alle Kinder gegeben werden. Die Angaben zur Kontakthäufigkeit legen nahe, dass beide der oben genannten Positionen zum Verhältnis von Staat und Familie ihre Berechtigung haben (Tabelle 6.6). In Deutschland, Frankreich und Italien haben ältere Menschen, die ausschließlich durch Pflegedienste versorgt werden, deutlich weniger Kontakte zu ihren Kindern. Das heißt nicht, dass die Präsenz sozialer Dienste dazu führt, dass Kontakte abgebrochen werden, sondern es kann genauso gut bedeuten, dass aufgrund der schlechten Kontakte der pflegebedürftigen Person nichts anderes übrig geblieben ist, als auf die Hilfe von Pflegediensten zurückzugreifen. In Schweden, dem Land, das durch seine ausgebauten sozialen Dienste häufig als Modell der Defamilialisierung genannt wird, sind die Kontakte zu Kindern bei ausschließlich ambulanter Pflege sogar höher als bei der Pflege durch Angehörige. Sobald Pflegedienste hingegen nur einen Teil der Pflegeaufgaben übernehmen und Familienmitglieder an der Pflege beteiligt bleiben, ergeben sich im Vergleich zu rein familialen Pflegearrangements kaum Unterschiede. Tabelle 6.11:
Kontakte zwischen Eltern und Kindern nach Pflegearrangement Anzahl der Kontakte Nur Angehörige
Nur Pflegedienste
Mischform
Deutschland
3,4
(2,1)
3,3
Frankreich
3,7
3,4
3,9
Italien
5,3
(2,6)
5,4
Schweden
2,9
3,6
3,0
Erläuterung: Der Indikator gibt die durchschnittliche Zahl der Kontakte in einer Woche an. Die Werte sind allerdings aus einer siebenstufigen Skala abgeleitet. Zahlen in Klammern basieren auf weniger als 30 Fällen und müssen aufgrund höherer Fehlerwahrscheinlichkeit vorsichtig interpretiert werden. Quelle: SHARE 2003, eigene Berechnungen.
97
Mit der Einschränkung, dass die Häufigkeit der Kontakte nur für die ältesten vier Kinder erfragt wurden. Da die große Mehrheit der Befragten jedoch nicht mehr als vier Kinder hat, ist die Datenlücke begrenzt.
212 Tabelle 6.12: Pflege
6 Die Pflege älterer Menschen
Einfluss der Pflegearrangements auf die Kontakte (ordinales Logit-Modell mit teilweise abhängigen Beobachtungen) Deutschland
Frankreich
Italien
Basis
Basis
Basis
b
Interaktion b
b
Interaktion
Schweden Interaktion b
Basis b
Interaktion
b
b
Soziale Dienste leisten Teil
-0,23
0,27
-0,33
0,43
0,16
-0,78
-0,17
0,89
b
Nur soziale Dienste
-1,56
-0,92
-0,2
1,28
-0,68*
-1
0,23
1,51*
Bruder oder Schwester
-0,35
0,11
0,03
-0,08
0,03
0,48
-0,63**
-1,07*
Kind
2,56***
2,53***
2,85***
2,50***
-0,04***
3,77***
1,27***
1,40***
Kind nicht, aber Bruder oder Schwester
-0,38
0,12
-0,39
0,86
Kind nicht, aber sozialer Dienst
-0,62
-0,6
1,19
-0,69
Pseudo R2
0,12
0,15
0,11
0,12
0,13
0,17
0,03
0,05
N
410
410
524
524
369
369
475
475
Erläuterung: Kontrollvariablen sind: Alter des Kindes, Geschlecht des Kindes, Kind hat eigene Kinder, Partner der pflegebedürftigen Person lebt im Haushalt, Zahl der Beeinträchtigungen des Elternteils, Zahl der Kinder des Elternteils, Alter der pflegebedürftigen Person. Die abhängige Variable zum Kontakt der Eltern zu dem Kind hat die Ausprägungen: 1) nie, 2) mehrmals im Jahr, 3) einmal im Monat, 4) mehrmals im Monat, 5) einmal pro Woche, 6) mehrmals pro Woche, 7) täglich. Quelle: SHARE 2003
Dieser Befund kann allerdings auch durch andere Einflussfaktoren geprägt sein, wie z.B. die Anzahl der Kinder, von der abhängt, ob Kontakte auf mehrere Personen verteilt sind, oder den Grad der Pflegebedürftigkeit, der die Kontaktaufnahme erschwert. Eine Modellschätzung, die mehrere Einflussgrößen statistisch kontrolliert, ergibt keine signifikante Reduktion der Kontakthäufigkeit zwischen Eltern und Kindern, wenn ambulante Pflegedienste an der Pflege beteiligt sind oder diese vollständig übernehmen. Nur in Italien haben Kinder signifikant weniger Kontakt, wenn Pflegedienste ausschließlich die Pflege leisten. Wenn Kinder zur Pflege älterer Menschen beitragen, dann haben sie in allen Ländern auch deutlich häufiger Kontakt, was insofern selbstverständlich ist, als Pflege Kontakt voraussetzt. Der Befund kann aber auch darauf hindeuten, dass Kinder, die keine Pflegeaufgaben übernehmen, die Kontakte zu ihren Eltern reduzieren. Um dies
6.3 Fazit
213
zu überprüfen, wurden in einer zweiten Modellschätzung Interaktionseffekte eingeführt, die den Einfluss auf die Kontakthäufigkeit prüfen, wenn ein Kind keinen Beitrag zur Pflege leistet. Hier wird deutlich, dass Kinder, die keine Pflege leisten, sich von pflegenden Geschwistern bezüglich der Kontakthäufigkeit mit den Eltern kaum unterscheiden. Nur in Schweden haben Kinder, die nicht an der Pflege ihrer Eltern beteiligt sind, während ein Bruder oder eine Schwester Pflege leistet, weniger Kontakt. Der Verzicht auf die Übernahme von regelmäßigen Pflegeaufgaben führt nicht zu einer Distanzierung zwischen den Generationen, auch dann nicht, wenn Pflegedienste einspringen. Offenbar entlasten professionelle Dienste die Familie von Pflegefunktionen, ohne die emotionale Nähe der Generationenbeziehungen in der Familie zu beeinträchtigen. Auf der Grundlage der SHARE-Daten finden sich somit für die Verdrängungshypothese keine überzeugenden Hinweise. Die Unterschiede in der Kontakthäufigkeit, wie sie sich vor allem zwischen Italien und Schweden finden, sind somit wohl weniger durch die sozialstaatlichen Leistungsstrukturen als durch unterschiedliche kulturelle Werthaltungen zu erklären (Burguière et al. 1997; Naldini 2003).
6.3 Fazit Abschließend wollen wir die zentralen Befunde noch einmal zusammenfassen und die wesentlichen Einsichten benennen, die sich aus dem Vergleich staatlicher und familialer Pflegeleistungen ergeben Schrumpfung länderspezifischer Differenzen und Konvergenz zur Mitte Deutschland ist eindeutig das Land mit den größten Veränderungen der Pflegearrangements seit den frühen 1990er Jahren. Mit der Einführung der Pflegeversicherung hat sich der Kreis der Empfänger staatlicher Pflegeleistungen stark erweitert. Gleichzeitig kam es zu einem deutlichen Wachstumsschub ambulanter Sozialdienste. Damit hat sich die Pflegelast deutlich von den Familien zu professionellen Diensten verschoben, so dass von einer gewissen Defamilialisierung der Pflegearbeit gesprochen werden kann. Schon heute ist aber absehbar, dass der mit dem demografischen Wandel wachsende Bedarf künftig zu Finanzierungsengpässen führen wird, die neue Reformen erforderlich machen werden. Am anderen Pol der Entwicklung steht Schweden. Dort war die Entlastung der Familien von Pflegeaufgaben durch ein ausgedehntes Netz öffentlich finanzierter professioneller Hilfen schon früh weit gediehen. In jüngster Zeit wurden die staatlichen Pflegeleistungen aber reduziert und auf Personen mit hohem Pflegebedarf konzentriert. Zwar hat sich die durchschnittliche Zahl der Betreuungsstunden für diese Personengruppe sogar erhöht, so dass die Familien hier weiter
214
6 Die Pflege älterer Menschen
entlastet werden, aber bei leichteren Pflegefällen wird die Familie wieder stärker in die Pflicht genommen. Der gesetzlich garantierte Rechtsanspruch auf öffentliche Pflegeleistungen „soweit keine andere Alternative möglich ist“ wird in der Praxis zunehmend restriktiv ausgelegt, so dass Familienangehörige nun wieder häufiger als Alternative zu staatlichen Pflegediensten gelten. Als Konsequenz kam es zu einer Zunahme der informellen Pflege durch Familienmitglieder. Allerdings wird dieser Prozess nach wie vor durch staatliche Förderprogramme flankiert, die den weiteren Ausbau sozialer Dienstleistungen zur Unterstützung der Familien vorsehen. In Frankreich waren die Reformen darauf ausgerichtet, das mehrgleisige und ineffektive Pflegesystem besser zu koordinieren und zu vereinheitlichen. Mit dem ersten Reformschritt, der Einführung der prestation spécifique dépendance (PSD) verringerte sich aber die Anzahl der Empfänger von Pflegeleistungen deutlich. Erst als 2002 im Rahmen der allocation personnalisée d’autonomie (APA) eine weitere Pflegestufe in die Förderung aufgenommen wurde, stieg der Anteil der Empfänger von Pflegeleistungen wieder in etwa auf das Niveau der frühen 1990er Jahre. Noch gilt das französische Pflegesystem aber als lückenhaft, so dass weitere Reformschritte zu erwarten sind (Jani-Le Bris 2004). Italien ist das einzige Land, in dem die Pflege nach wie vor ganz im Zeichen der Familie steht. Nur auf regionaler und kommunaler Ebene wurden die staatlichen Pflegeleistungen ausgebaut. Nach wie vor fehlt es an einheitlichen Standards und nationaler Koordinierung, so dass bei der Versorgung mit sozialen Diensten immer noch ein großes Nord-Süd-Gefälle besteht. Während Italien also durch seine starke Familialisierung der Pflegearbeit nach wie vor abseits steht, schleifen sich die Unterschiede zwischen den anderen Ländern zunehmend ab, und es ist eine Konvergenz zur Mitte im Sinne einer Kombination öffentlicher und familialer Pflegeleistungen zu erkennen. Das neue Motto der Pflegepolitik: Anerkennung der familialen Pflege, Ja – Gleichstellung mit professionellen Pflegediensten, Nein Pflege wird in allen Ländern Europas hauptsächlich von Familienmitgliedern durchgeführt, das heißt der Großteil der Pflegeleistungen ist informell und unbezahlt (Lewis 1998; Pacolet et al. 2000). Allerdings finden sich in allen Ländern Initiativen zur Aufwertung der informellen Pflegearbeit, die aber unterschiedlich weit gehen. Gemeinsam ist allen Ländern überdies das Bestreben, die kostenintensive stationäre Pflege zu vermeiden und stattdessen die häusliche Pflege zu fördern, unter anderem durch den Ausbau ambulanter Pflegedienste. Das hat zum einen finanzpolitische Gründe, basiert aber darüber hinaus auf der Vorstellung, dass die häusliche Pflege im vertrauten Umfeld unter Mitwirkung nahestehender Personen der stationären Unterbringung qualitativ überlegen ist, weil sie im
6.3 Fazit
215
Allgemeinen die besten Voraussetzungen für die pflegebedürftige Person bietet, sich Würde und einen gewissen Grad der Autonomie zu bewahren. In Deutschland, Frankreich sowie in eingeschränktem Maße auch in Italien hat der Gesetzgeber die Leistungen pflegender Familienangehöriger formeller Arbeit zunehmend gleichgestellt. Da familiale Pflege weiterhin als kostengünstige Alternative zu sozialen Diensten begrüßt wird, bleiben ihre finanzielle Honorierung und ihre Integration in die sozialen Sicherungssysteme aber weiterhin unvollständig. Erkennbares Motto der Pflegepolitik ist in allen drei Ländern, die familiale Pflege gesetzlich anzuerkennen, ohne sie professionellen Pflegediensten gleichzustellen. Der positive Aspekt ist dabei, dass bisher nicht sozialversicherte Familienarbeit, die meist von Frauen geleistet wird, nun staatlich anerkannt und formalisiert ist. Die negative Konsequenz ist, dass die finanziellen Leistungen deutlich unterhalb eines marktüblichen Gehalts bleiben, so dass dadurch auch die „Minderwertigkeit“ der Familienarbeit institutionalisiert wird und auch keine Anreize gegeben werden, die ungleiche Aufgabenverteilung zwischen Männern und Frauen zu verringern (Tronto 2001). In Deutschland gilt die Pflege durch Angehörige als kostengünstigste Alternative und damit als besonders förderungswürdig. Die Pflegeversicherung hat zwar eine Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Pflegearrangements geschaffen, aber als Richtlinie der Reform galt, dass die Pflege in der Familie vorrangig zu fördern ist. Pflegende Privatpersonen können daher aus Mitteln der Pflegeversicherung eine Bezahlung erhalten. Das Entgelt entspricht jedoch nicht dem Lohnniveau auf dem Arbeitsmarkt, und die soziale Absicherung ist nur eingeschränkt. Die Fördersätze für ambulante und stationäre Pflege sind höher als die für private Pflegepersonen, aber weil mit ihnen auch ein höherer Eigenanteil zur Deckung der Kosten jenseits der Fördersätze verbunden ist, besteht für die Privathaushalte ein deutlicher Anreiz, auf die Inanspruchnahme sozialer Dienste zu verzichten. In Frankreich werden die Pflegeleistungen im Rahmen der Sozialhilfe und der Rentenkasse nach wie vor meist in bar ausgezahlt. Das gibt der pflegebedürftigen Person eine gewisse Entscheidungsfreiheit, über das Pflegearrangement selbst zu bestimmen. Der hohe Anteil älterer Menschen, die in Umfragen angeben, öffentliche oder kommerzielle Pflegedienste zu nutzen, zeigt, dass die Familie im französischen Pflegearrangement eine geringere Rolle spielt als in Deutschland. Der Bezug von Pflegeleistungen der Krankenkassen setzt überdies die Anbindung an soziale Dienste voraus, weil die Leistungen nur gewährt werden, wenn neben der persönlichen Pflege auch medizinische Leistungen von qualifiziertem Fachpersonal erbracht werden. Italien bildet durch die starke rechtliche Untermauerung familiärer Versorgungspflichten zwar nach wie vor eine Ausnahme, hat aber immerhin im Renten-
216
6 Die Pflege älterer Menschen
recht auch Berücksichtigungszeiten für die Pflege eines Familienangehörigen eingeführt. Nur Schweden hat bislang die Pflegearbeit in der Familie der Arbeit im formellen Pflegesektor formal gleich gestellt. Allerdings gilt die Gleichstellung nur für Personen, die wegen der Pflegearbeit ihre bisherige Erwerbstätigkeit aufgeben oder reduzieren. Damit ist letztlich auch die schwedische Pflegepolitik doppelbödig. Obwohl staatlich geförderte Pflegedienste eine größere Rolle spielen als in den anderen Ländern, erhalten auch in Schweden mehr als die Hälfte der pflegebedürftigen Personen die Pflege ausschließlich durch Angehörige. Die staatliche Pflegepolitik ist überdies bestrebt, die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung professioneller Pflege durch Sozialdienste zu verschärfen und damit Familienangehörige zwar nicht rechtlich, wohl aber in der Praxis stärker in die Pflicht zu nehmen. Pflege als Frauensache heute und immerdar? Pflegearbeit ist bislang ganz überwiegend Frauensache. Für die öffentlich finanzierte Pflege gilt das sogar in einem doppelten Sinn, denn die Frauen sind sowohl auf der Empfänger- wie auf der Erbringerseite der Leistungen überrepräsentiert. Auf der Seite der Leistungsempfänger überwiegen Frauen, weil sie unter den Hochaltrigen häufiger zu finden sind als Männer, und weil sie durch den in der Regel früheren Tod ihres Partners öfters allein leben und damit von externen Hilfen abhängig werden. Am stärksten ausgeprägt ist das quantitative Verhältnis zugunsten von Frauen in der stationären Pflege. In den stationären Pflegeeinrichtungen Deutschlands und Schwedens kommen auf einen Mann drei Frauen (Johansson 2004). Aber auch auf der Seite der Leistungserbringer überwiegen die Frauen. Im staatlichen Pflegesektor Schwedens sind zu 91 Prozent Frauen beschäftigt. Der Ausbau sozialer Dienste ändert also nichts an der bestehenden geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, sondern überträgt die Segregation der Geschlechter nur von der informellen Pflegearbeit auf den formellen Arbeitsmarkt. Im Bereich der informellen Familienpflege sollte man die Überrepräsentation von Frauen allerdings nicht überschätzen. Wie unsere Analysen gezeigt haben, ergibt sich hier ein vielschichtiges Bild, das für eine Differenzierung des gängigen Stereotyps von der Tochter, die ihre Eltern pflegt, spricht. Richtig ist, dass es vor allem Töchter und Schwiegertöchter sind, die pflegebedürftige Eltern betreuen. Darüber hinaus wird ein großer Teil der Pflegeaufgaben aber auch von Partnern übernommen, und hier tragen männliche Partner einen etwa gleichen Teil bei wie weibliche. Überdies lastet die Verantwortung für die Pflege, selbst wenn es in der Regel eine Hauptpflegeperson gibt, häufig auf mehreren Schultern, weil neben Angehörigen auch Nachbarn und Freunde einen wichtigen Beitrag leisten.
6.3 Fazit
217
Eine Professionalisierung der Pflegearbeit im Rahmen sozialer Dienste nach schwedischem Modell würde also wohl sogar eine stärkere Verweiblichung der Pflegearbeit mit sich bringen. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass das schwedische Muster hier eher für die Vergangenheit als für die Zukunft typisch ist. Da Männer weiterhin stärker vom De-Industrialisierungsprozess betroffen sein werden als Frauen, deren Bildungsqualifikationen die der Männer überdies zunehmend übertreffen, ist nicht auszuschließen, dass künftig auch die Männer Pflegedienste als Chance auf dem Arbeitsmarkt begreifen. Public Private Partnership in der Pflege – ein Modell für die Zukunft? Unsere Untersuchung der Pflegearrangements älterer Menschen hat klar ergeben, dass von einer Ersetzung oder gar Zersetzung der Familie durch den Staat nicht die Rede sein kann. Die Verbesserung der staatlichen Pflegeleistungen in Deutschland, Frankreich und Italien seit 1990 und das hohe Leistungsniveau in Schweden sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass Familienmitglieder noch immer den Großteil der Pflege leisten. Die moderne Pflege ist als ein komplexes Leistungspaket zu sehen, zu dem neben staatlich geförderten Pflegediensten, Ehepartnern, Töchtern und sonstigen Angehörigen auch Nachbarn und Freunde beitragen. So bekommt eine pflegebedürftige Person, die noch im eigenen Haushalt lebt, in der Regel auch Unterstützung von Angehörigen und Bekannten, und die ausschließliche Betreuung durch Pflegedienste kommt nur selten vor. Staatlich geförderte Pflegedienste ersetzen die Hilfe in der Familie also nicht vollständig, sondern ergänzen und entlasten die Pflege leistenden Angehörigen. Dafür spricht auch die Tatsache, dass sich die Kontakte zwischen Kindern und deren pflegebedürftigen Eltern nicht verringern, wenn soziale Dienste einen Teil der Pflege übernehmen. Statt von einer Rivalität oder Konkurrenzbeziehung von Staat und Familie auszugehen, sollte man deshalb eher nach geeigneten Wegen suchen, die Kooperation von beiden im Sinne einer Public Private Partnership in der Pflege zu fördern. Die deutsche Pflegeversicherung kann in mancherlei Hinsicht als Vorreiter einer neuen derartigen Symbiose gelten. In ihrem Rahmen erhalten Familienmitglieder als so genannte „Pflegepersonen“ finanzielle Leistungen und eine teilweise soziale Absicherung. Damit werden finanzielle staatliche Hilfen mit instrumentellen und emotionalen Hilfen in der Familie verquickt. In Frankreich und Italien sind solche Regelungen bislang nur ansatzweise entwickelt, und die Gewährung der Leistung ist vom Einkommen der pflegebedürftigen Person abhängig. Schweden ist schon seit den 1960er Jahren einem anderen Entwicklungspfad gefolgt, der zunächst voll auf die Defamilialisierung der Pflegearbeit setzte. Hauptziel war es, die Familie und vor allem Frauen von ihren Pflegepflichten zu entlasten und die instrumentellen Hilfen so weit wie möglich durch
218
6 Die Pflege älterer Menschen
Pflegedienste zu ersetzen. Unter dem Druck der Wirtschaftskrise der 1990er Jahre und der steigenden Kosten der Pflegedienste ist es jüngst aber zu einer impliziten Wende der schwedischen Pflegepolitik gekommen, die auf eine partielle Reaktivierung familialer Pflege setzt, so dass auch hier in gewissem Sinne von neuen Paketlösungen gesprochen werden kann (Thorslund et al. 1997). Die flexible Kombination staatlicher und familialer Hilfen erscheint deshalb in allen Ländern zunehmend als geeigneter Weg zur Vermeidung einer Überforderung beider Seiten. Natürlich liegen dem Gedanken einer „Public Private Partnership“ bei knapper Finanzlage des Staates auch finanzpolitische Interessen zugrunde, da die Familie als die kostengünstige Pflegeoption gilt. Eine der Erwerbsarbeit gleichgestellte Honorierung familialer Pflege oder eine nicht an Kostenerwägungen gebundene freie Wahl des Pflegearrangements durch den Pflegebedürftigen hat es aber selbst zu Hochzeiten des schwedischen Wohlfahrtsstaats nicht gegeben und ist aufgrund der demografischen Entwicklungen auch in Zukunft wenig wahrscheinlich. Die Public Private Partnership ist deshalb wohl die am ehesten nachhaltige und zukunftsfähige Form der Lösung des Pflegeproblems.
6.3 Fazit
219
7 Transferleistungen für Familien
Die letzten Jahrzehnte sahen einen tiefgreifenden Wandel der Familienformen, der die Sozialpolitik vor neue Herausforderungen stellt (Harper 2006; Saraceno 1997). Erfolgreiche Familien- und Kinderpolitik ist Querschnittspolitik, die verschiedene Politikbereiche koordiniert, wie insbesondere die Betreuungs-, Bildungs- und Steuerpolitik (Dingeldey 2004), darüber hinaus aber auch die Einkommens- und Wohnungspolitik, die Arbeitsmarkt- und Gesundheitspolitik, die Frauen- und Gleichstellungspolitik. Wir konzentrieren uns in diesem und dem folgenden Kapitel vor allem auf die kinderbezogene Familienpolitik im engeren Sinn, wobei wir zwischen Transfer- und Dienstleistungen unterscheiden. Die kategoriale Unterscheidung ist allerdings nicht immer eindeutig (Bahle 1995; Kaufmann 1993).98 Transferleistungen für Kinder können universell für alle oder kategorial für bestimmte Kinder gewährt werden. Als Dienstleistungen betrachten wir hier die sozialen Kinderbetreuungsdienste. Im Einzelnen werden wir die folgenden Maßnahmenbündel unter die Lupe nehmen:
direkte und indirekte Transferleistungen für Kinder bzw. Familien; Elternzeit, d.h. rechtliche Regelungen, die eine – bezahlte – Abwesenheit vom Arbeitsplatz aufgrund von Kindererziehung ermöglichen; Kinderbetreuung, die durch den Staat geleistet und/oder finanziert wird.
Unberücksichtigt bleiben somit sozialversicherungsrechtliche Leistungen für Familien wie die Anerkennungszeiten im Rentensystem oder die kostenlose Mitversicherung in der Krankenversicherung und darüber hinaus auch besondere Unterstützungen im Rahmen von Mindestsicherungssystemen. Auch Wohnungszuschüsse werden nicht berücksichtigt. Anrechnungszeiten haben wir bereits im Kapitel über die Rentenpolitik behandelt, während wohnungspolitische Unterstützungen im europäischen Vergleich äußerst heterogen sind und überdies weniger von der Familiengröße als vom Einkommen des Haushalts abhängig sind,
98
Ein einfaches Beispiel ist die steuerliche Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten. Kinderbetreuung wird in der Regel den sozialen Diensten, also den Sachleistungen zugeordnet, Steuererleichterungen gehören hingegen zu den Barleistungen.
220
7 Transferleistungen für Familien
so dass es sich nicht um familienbezogene Leistungen im engeren Sinne handelt (Bradshaw und Finch 2002). Unsere Analyse der ausgewählten Maßnahmen orientiert sich dann an zwei Leitfragen: 1. 2.
Inwieweit gelingt es, die Familien vom mit der Geburt von Kindern einhergehenden Mehraufwand zu entlasten? Inwieweit tragen die Hilfen dazu bei, beiden Eltern eine Erwerbstätigkeit zu ermöglichen?
Während in diesem Kapitel die vergleichende Beschreibung der Transferleistungen im Vordergrund steht, wird Kapitel 8 primär auf die Betreuungsdienste, einschließlich der Regelungen zur Elternzeit, eingehen.
7.1 Direkte und indirekte Transferleistungen für Familien Dieser Abschnitt untersucht, welchen Anspruch Eltern auf einkommensbezogene und nicht-einkommensbezogene Barleistungen (direkte Transferleistungen) haben. Darüber hinaus geht es um indirekte Vergünstigungen für Familien im Steuer- und Sozialversicherungswesen, insbesondere um die Art und Weise, wie Steuerfreibeträge und -gutschriften Familien mit Kindern berücksichtigen. Abschließend wird geprüft, welche Haushaltstypen durch die Gestaltung der Leistungen begünstigt oder benachteiligt werden (vgl. Bahle und Maucher 2003; Dörfler und Krenn 2005).
7.1.1 Direkte Transferleistungen Direkte Geldzahlungen wie das Kindergeld stellen seit langem ein zentrales Instrument staatlicher Familienpolitik dar. Sie unterscheiden sich zum einen bezüglich der Anspruchsvoraussetzungen, zum anderen hinsichtlich des Niveaus, das oft mit dem Geburtsrang der Kinder variiert. Die verschiedenen Formen von Transferzahlungen werden im Folgenden vorgestellt.
7.1.1.1 Kindergeld Prinzipiell kann zwischen Ländern mit differenzierten, auf der Sozialversicherungslogik aufbauenden Leistungen einerseits und Ländern mit universellen
7.1 Direkte und indirekte Transferleistungen für Familien
221
staatlichen Leistungen andererseits unterschieden werden (Montanari 2000). Systeme, die auf der Sozialversicherungslogik basieren, haben ihren Ursprung in der Idee eines Familienlohns und verstehen die Leistungen als familiengerechte Aufstockung eines Erwerbseinkommens. Das bedeutet, dass typischerweise nur abhängig Erwerbstätige über einen Anspruch verfügen. Universelle Kindergeldsysteme sind dagegen am Leitbild staatlicher Umverteilung zugunsten von Kindern orientiert, erachten jedes Kind als gleichermaßen berechtigt und finanzieren die Leistungen typischerweise aus dem allgemeinen Steueraufkommen (Bahle und Maucher 2003). Vorreiter der Kindergeldgesetzgebung in Europa waren Belgien und Frankreich (1930 bzw. 1932). Nach ihrem Vorbild eines an der Erwerbstätigkeit ansetzenden und nach Berufsstatus und/oder Branchen differenzierten Systems entwickelten später auch Italien und Deutschland ähnliche Programme. Die skandinavischen Staaten schlugen nach dem Zweiten Weltkrieg hingegen den anderen Weg ein und schufen universelle Kindergeldsysteme. Seither haben die meisten europäischen Länder ihre Systeme mehr oder weniger tiefgreifend reformiert. Ein nach Erwerbsstatus differenziertes Kindergeldsystem existiert zurzeit nur noch in Belgien. Deutschland und Frankreich gewähren das Kindergeld heute unabhängig von der Erwerbstätigkeit der Eltern. Italien zahlt Leistungen nur an Familien unterhalb einer Einkommensgrenze und besteht zusätzlich auf der Erwerbsbeteiligung wenigstens eines Elternteils als Voraussetzung des Leistungsanspruchs. Zentrale institutionelle Variationsdimensionen von Kindergeldsystemen sind: 1. die Differenzierung der Leistungen nach Zahl und Alter der Kinder, 2. die Differenzierung der Leistungen nach dem Einkommen der Eltern, 3. die Regelmäßigkeit von Leistungserhöhungen. Frankreich staffelt seine Leistungen nach dem Geburtsrang und dem Alter der Kinder. Für das erste Kind werden keine Leistungen gewährt. Erhöhte Sätze gelten für Kinder ab dem 11. Lebensjahr sowie nach Erreichen des 16. Lebensjahrs.99 In Italien spielen das Hauhaltseinkommen sowie die Anzahl der Haushaltsmitglieder die zentrale Rolle für den Leistungsanspruch. Der Begriff Kindergeld ist daher nicht ganz korrekt. Im Italienischen wird die Leistung als assegno per il nucleo familiare bezeichnet, also wörtlich Beihilfe für die Kernfamilie. Damit wird ausgedrückt, dass nicht nur die Anwesenheit von Kindern, sondern auch die von anderen bedürftigen Verwandten im Haushalt eine Leistungsberechtigung begründet. Darin kommt die für südeuropäische Länder wie Italien oder auch Spanien typische Kombination von Familienpolitik und Armutsbekämpfung 99
Ausgenommen hiervon ist das älteste Kind in Familien mit weniger als drei Kindern.
222
7 Transferleistungen für Familien
unter dem Stichwort „Familienlohn“ zum Ausdruck (Flaquer 2000). Im Gegensatz zu Frankreich sind die Leistungen nicht nach dem Alter der Kinder gestaffelt. Nur solche Eltern erhalten Kindergeld, deren Haushaltseinkommen sich zu mindestens 70 Prozent aus Erwerbsarbeit zusammensetzt und unter einer mit der Haushaltsgröße variierenden Einkommensgrenze bleibt. Eltern ohne Berufstätigkeit bleiben damit ohne Anspruch. In Deutschland wurden die Leistungen noch Anfang der 1990er Jahre nach dem Geburtsrang differenziert. Seit 1996 sind aber die Sätze für das erste und zweite, seit 2002 die für das erste bis dritte Kind vereinheitlicht. Für alle nachfolgenden Kinder gilt ein erhöhter Satz. Eine Einkommensprüfung für die Leistungen gab es bis zur Einführung des allgemeinen Kindergelds mit der Einkommensteuerreform von 1974. Zwischen 1994 und 1996 wurde das Kindergeld für die Bezieher höherer Einkommen ab dem dritten Kind von 220 DM auf 70 DM reduziert. 1996 wurde auch diese Einkommensprüfung endgültig abgeschafft (Gerlach 2004). In Schweden ist das allgemeine Kindergeld für alle Kinder gleich, also weder nach dem Geburtsrang noch nach dem Alter der Kinder gestaffelt. Allerdings gibt es für Familien mit drei oder mehr Kindern Zusatzleistungen, die unten behandelt werden (vgl. 7.1.1.2). Tabelle 7.1:
Altersgrenzen für den Bezug von Kindergeld 1992 und 2004 Altersgrenzen 1992
2004
Deutschland
16, Verlängerung möglich bis 21 (bei Arbeitslosigkeit) bzw. 27 (berufliche Ausbildung, Studium, Ersatzdienst)
18, Verlängerung möglich bis 21 (bei Arbeitslosigkeit) bzw. 27 (berufliche Ausbildung, Studium, Ersatzdienst)
Frankreich
18 bzw. 20, wenn in beruflicher Ausbildung mit Einkommen unterhalb 55% des SMIC*
18 bzw. 20, wenn in beruflicher Ausbildung mit Einkommen unterhalb 55% des SMIC*
Italien
18
18
Schweden
16 bzw. bis 20 wenn in Oberstufe
16 bzw. bis 20 wenn in Oberstufe
* Der SMIC – salaire minimum interprofessionnel de croissance – ist der allgemein garantierte, gesetzliche Mindestlohn. Quelle: European Commission (1992; 2004)
7.1 Direkte und indirekte Transferleistungen für Familien
223
Alle vier Länder haben den Leistungsanspruch an Altersgrenzen der Kinder gebunden, die allerdings in Ausnahmefällen, wie z.B. bei verlängerter Ausbildung, überschritten werden können. Während Deutschland die allgemeine Altersgrenze auf 18 Jahre erhöhte, ließen die anderen Länder die Grenzen unverändert. Die deutschen Altersgrenzen sind am großzügigsten. Bislang wurde jungen Menschen in Ausbildung bzw. Studium Kindergeld bis zum 27. Lebensjahr gewährt (vgl. Tabelle 7.1). Nach der Reform des Jahres 2006 gilt ab 2007 eine Altersgrenze von 25 Jahren. Tabelle 7.2 und Abbildung 7.1 zeigen die Entwicklung der Kindergeldleistungen im zeitlichen und länderübergreifenden Vergleich. Die Tabelle gibt die Höhe der Leistungen in Kaufkraftparitäten wieder, die Abbildung zeigt die Entwicklung in Relation zum nationalen durchschnittlichen Bruttoeinkommen.100 Zu Italien ist anzumerken, dass sich Angaben nur auf die Höhe des Kindergelds für Paarhaushalte, nicht aber auf Alleinerzieherhaushalte beziehen. Alleinerzieherhaushalte erhalten andere, in der Regel etwas geringere Sätze (vgl. die Tabellen III und IV im Anhang und Kap. 7.1.1.2). Da die Höhe des Kindergelds überdies einkommensabhängig ist, sind für Italien die Leistungen für ausgewählte Einkommensniveaus dargestellt.101
100 Zugrunde gelegt ist das von der OECD angegebene durchschnittliche Bruttoeinkommen eines Average Production Worker (APW). 101 Die Einkommensgruppen wurden hier aufgrund der politischen Grenzziehungen ausgewählt. Das dargestellte „oberste Einkommensniveau” beziffert die Grenze, bis zu der Eltern, die nur ein Kind haben, noch anspruchsberechtigt sind. Bei mehreren Kindern haben auch Eltern mit höherem Einkommen Anspruch auf Leistungen (vgl. Tabelle IV im Anhang). Im Jahr 2004 entspricht das Einkommen der hier ausgewählten untersten Gruppe etwa 53 Prozent des durchschnittlichen nationalen Bruttoeinkommens eines Industriearbeiters („Average Production Worker“ – APW), das aus der mittleren Gruppe ca. 109 Prozent und das aus der Gruppe mit dem höchsten Einkommensniveau 172 Prozent.
224
7 Transferleistungen für Familien
Tabelle 7.2:
Höhe des Kindergelds in € PPP (ohne Zuschläge, für die Kinderzahl summiert) 1992
2004
Für 1. Kind
Für 2 Kinder
Für 3 Kinder
Für 1. Kind
Für 2 Kinder
Für 3 Kinder
Deutschland
31,13 (70)
88,94 (200)
192,94 (420)
136,95 (154)
273,90 (308)
410,85 (462)
Frankreich
keine Leistung
86,56 (632)
206,06 (1441)
keine Leistung
104,42 (113,50)
237,46 (258,12)
Unterstes Einkommensniveau
124,20 (160000)
178,54 (230000)
191,90 (300000)
128,77 (130,66)
246,85 (250,48)
353,74 (358,94)
Mittleres Einkommensniveau
62,10 (80000)
108,68 (140000)
140,72 (220000)
25,45 (25,82)
80,42 (81,60)
214,28 (217,43)
Oberstes Einkommensniveau
15,53 (20000)
62,10 (80000)
108,74 (170000)
12,72 (12,91)
22,90 (23,24)
90,60 (91,93)
62,97 (640)
125,94 (1280)
188,91 (1920)
85,26 (950)
170,53 (1900)
255,79 (2850)
Italien
Schweden
Erläuterung: Wert in Klammern: nationale Währung Quelle: European Commission (1992; 2004); INPS (1995; 2005); eigene Berechnungen
Aus der Tabelle ergeben sich die folgenden Schlüsse: Die vier Länder unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich der Höhe der Förderung, sondern auch bezüglich der Schwerpunktsetzung, welchem Kind in der Geburtenfolge die höchste Förderung zu gelten habe. Die vorherrschende, in jüngster Zeit aber abgemilderte Tendenz war lange Zeit, dass höherrangige Kinder höhere Leistungen erhalten, obwohl der mit dem ersten Kind verbundene Mehraufwand vermutlich am größten ist und viele Paare heute schon auf Erst- oder Zweitkinder verzichten. Frankreich und in geringerem Maße auch Deutschland setzen vorrangig auf die Förderung von Großfamilien, so dass für Kinder höherer Ordnung höhere Sätze gelten. 1992 erhielten Familien mit drei Kindern in Frankreich die höchsten Leistungen, aber die drei übrigen Länder wichen nicht weit davon ab. Im Jahr 2004 sticht Deutschland mit den höchsten Leistungen für Dreikinder-Familien hervor, während die übrigen Länder erst mit größerem Abstand folgen.
7.1 Direkte und indirekte Transferleistungen für Familien
225
Schweden misst beim allgemeinen Kindergeld allen Kindern denselben „Wert“ bei, kennt aber Sonderzulagen für Großfamilien (s.u.). Ähnliches gilt für Deutschland, wo erhöhte Sätze seit jüngstem nur noch ab dem vierten Kind gezahlt werden.102 Für Italien ergibt sich kein konsistentes Bild: Im unteren bzw. mittleren Einkommensbereich sind die Leistungen für ein Erstgeborenes höher als für nachfolgende Kinder, im höheren Einkommensbereich ist es umgekehrt.
Die Abbildung 7.1 veranschaulicht die Niveauveränderungen in Bezug zum durchschnittlichen Bruttoeinkommen103 seit den frühen 1990er Jahren (vgl. Bahle und Maucher 2003).104 Am größten ist die Vielfalt beim Kindergeld für das erste Kind. Frankreich gewährt hier keine Leistungen, in Deutschland war das Niveau zu Beginn der 1990er Jahre sehr bescheiden, in Italien schwankt der Wert je nach Einkommensgruppe, während das schwedische Niveau relativ hoch war. Im Jahr 2004 fällt Deutschland durch die deutliche Erhöhung seiner Leistungen auf. Das deutsche Kindergeld für Erstgeborene übertrifft nun sogar das schwedische Niveau, das anfangs der 1990er Jahre noch mehr als doppelt so hoch war. In Italien schwanken die Leistungen nach wie vor stark mit dem Einkommen der Eltern, und nur Eltern aus der untersten Einkommensgruppe kommen über das deutsche oder schwedische Leistungsniveau hinaus (sofern sie durch Erfüllung des Erwerbstätigkeitskriteriums über einen Anspruch verfügen).
102 Die Kindergeldanhebung für das erste Kind geht auf die Reform des bis dahin dualen Systems des Familienlastenausgleichs 1996 zurück, wonach Familien mit Kindern Anspruch sowohl auf Kindergeld als auch auf einen Kinderfreibetrag hatten. Seither kommen beide Optionen nicht mehr nebeneinander zur Anwendung, sondern es wird, je nachdem was für die Familie günstiger ist, entweder das Kindergeld oder der Kinderfreibetrag gewährt (Gerlach 2004). 103 Das nationale Durchschnittseinkommen basiert auf Annahmen und Berechnungen der OECD zur Position des sog. Average Production Worker, der durch folgende Kennzeichen charakterisiert ist: a) Wirtschaftssektor: verarbeitende Industrie; b) Art der Tätigkeit: Produktionsarbeiter; c) Geschlecht: Männer und Frauen insgesamt. 104 An dieser Stelle kann auf das unterschiedliche Lohnwachstum und die eventuell daraus entstehenden Verzerrungen der relativen Höhe der Familienbeihilfen nicht näher eingegangen werden.
226
7 Transferleistungen für Familien
Abbildung 7.1: Kindergeldleistung in Relation zum nationalen durchschnittlichen Bruttoeinkommen, 1992 und 2004 20
18
16
% des Bruttoeinkommens
14
12 Kind 3 Kind 2 Kind 1
10
8
6
4
2
0 1992
2004 DE
1992
2004 FR
1992
2004
IT niedrig
1992
2004
IT mittel
1992
2004
IT hoch
1992
2004 SE
Quelle: European Commission (1992; 2004); OECD (2005); INPS (1995; 2005); eigene Berechnungen
Für das zweite Kind gewährte Schweden zu Beginn der 1990er Jahre noch das höchste Kindergeld, war aber im Jahr 2004 auf den dritten Platz hinter Italien (für Niedrigeinkommen) und Deutschland abgerutscht. Betrachtet man die Leistungen zusammengefasst für zwei Kinder, so sticht Anfang der 1990er Jahre wiederum das zumindest nominal hohe Niveau des Kindergelds für Niedriglohnbezieher in Italien hervor. Für italienische Familien aus höheren Einkommensschichten gelten aber sehr viel geringere Sätze. Schweden gewährte für Familien mit zwei Kindern und durchschnittlichen Einkommen 1992 das höchste Kindergeld, hat seine Führungsposition 2004 aber an Deutschland abgetreten. Das ob seiner aktiven Familienpolitik häufig gepriesene Frankreich fiel bereits im Jahr 1992 durch das niedrige Niveau des Kindergelds für Familien mit zwei Kindern auf. Bis zum Jahr 2004 minderte sich der Anteil des Kindergelds relativ zum Durchschnittseinkommen sogar noch einmal um einen Prozentpunkt, während sich in den übrigen drei Länder die Leistungen relativ zum Durchschnittseinkommen erhöhten. Allerdings bietet Frankreich im Zuge der so genannten „Politik des dritten Kindes“ überdurchschnittlich hohe Transfers für Großfamilien ab dem dritten Kind. Während es 1992 aber damit für Dreikinderfamilien noch das
7.1 Direkte und indirekte Transferleistungen für Familien
227
höchste Leistungsniveau erreichte, haben die anderen Länder es im Jahr 2004 auch hier überholt. Der Anstieg der deutschen Leistungen spiegelt die Reform des Familienleistungsausgleichs aus dem Jahr 1996 wider (Gerlach 2004). Auch die Logik der Förderung hat sich seither von der Prämierung größerer Familien hin zur gleichen Förderung für jedes Kind (bis zum dritten) verschoben. Italien hat dagegen an seiner Logik der bevorzugten Förderung von einkommensschwachen Familien festgehalten und diese Tendenz sogar noch gestärkt. Während die Leistungen für gering verdienende Familien um etwa sechs Prozentpunkte stiegen, wurde das ohnehin marginale Kindergeld für Eltern im obersten Einkommensbereich gesenkt. Damit ergeben sich für unsere vier Länder sehr unterschiedliche Entwicklungstendenzen. Am einen Pol steht Deutschland mit seiner deutlichen Kindergelderhöhung auch relativ zu den Bruttoeinkommen. Am anderen Pol steht Frankreich mit der deutlichen Senkung des Leistungsniveaus. Dazwischen stehen Schweden mit konstantem Leistungsniveau sowie Italien mit seiner noch verstärkten Ausrichtung der Förderung auf Familien im Niedriglohnbereich.
7.1.1.2 Sonstige Leistungen Die Familienpolitik kennt neben dem Kindergeld noch eine Reihe von weiteren Geldzahlungen. Dazu zählen Leistungen:
für alleinerziehende Eltern, für behinderte Kinder, für kinderreiche Familien, für Mehrlingsgeburten, für Familien mit niedrigem Einkommen.
Wegen der wachsenden Zahl alleinerziehender Eltern konzentrieren wir uns hier auf die Leistungen für Alleinerziehende sowie darüber hinaus auf die spezifische Unterstützung kinderreicher Familien. In Frankreich haben allein stehende Eltern Anspruch auf eine besondere Hilfe (allocation de parent isolé/API) sowie auf ein Unterhaltsgeld (allocation de soutien familial/ASF) für den Fall, dass der Partner der Verpflichtung zur Unterhaltszahlung nicht nachkommt.105 Außerdem wird eine bedarfsgeprüfte 105 Die API ist im Prinzip ein einkommensgeprüftes Mindesteinkommen für alleinerziehende Eltern mit mindestens einem Kind von derzeit monatlich 735,75 Euro plus 183,94 Euro je zusätzlichem Kind (vgl. http://vosdroits.service-public.fr/particuliers/F389.xhtml, verfügbar am 8.8.2006). Sie wird für eine Dauer von längstens 12 Monaten gezahlt, wobei jedoch eine Verlängerung bis zur
228
7 Transferleistungen für Familien
Familienzulage an diejenigen gezahlt, die für den Unterhalt von mindestens drei Kindern im Alter von 3 und 21 Jahren aufkommen. In Deutschland können alleinerziehende Eltern Hilfe beantragen, wenn Unterhaltszahlungen für das Kind vom anderen Elternteil ausbleiben. Ihnen wird dann ein Unterhaltsvorschuss von derzeit 127 Euro für unter 6-Jährige und 170 Euro für 6- bis 12-Jährige für längstens 72 Monate gewährt. Alleinerziehende erhalten außerdem besondere Steuervergünstigungen (s.u.). Darüber hinaus sieht das deutsche Recht seit 2005 einen besonderen Kinderzuschlag für bedürftige Eltern vor, der bis zu 140 Euro je Kind beträgt und für maximal drei Jahre gezahlt wird. Den Kinderzuschlag erhalten nur Familien, in denen die Eltern ihren eigenen Bedarf aus eigenen Mitteln decken können. Damit soll erreicht werden, dass Beschäftigung für alle Erwerbsfähigen attraktiv bleibt (Bundesagentur für Arbeit 2005). Erwerbseinkommen der Eltern, das deren Eigenbedarf übersteigt, wird zu 70 Prozent auf den Kinderzuschlag angerechnet. In Italien erhalten Eltern von mehr als drei Kindern besondere Zulagen, die das Kindergeld allerdings nur in geringem Maße erhöhen (Menniti et al. 1997). Alleinerziehende Eltern haben prinzipiell ebenfalls Anspruch auf erhöhte Kindergeldzahlungen, aber deren Höhe hängt vom Haushaltseinkommen und der Haushaltszusammensetzung ab, weil die für das Kindergeld geltenden Einkommensgrenzen von der Zahl aller Haushaltsmitglieder abhängt. Deshalb ist die Leistung für Paare mit einem Kind in einer gegebenen Einkommensgruppe höher als für Alleinerziehende, da die „Beihilfe für die Kernfamilie“ dann für mehr Personen reichen muss. Lediglich wenn vier oder fünf Kinder (je nach Einkommensgruppe) vorhanden sind, übertreffen die Leistungen für Alleinerziehende wegen der für sie höheren Einkommensgrenzen den Satz für Paarhaushalte. Schweden zahlt ein zusätzliches Kindergeld an Familien mit mehr als zwei Kindern. Die Höhe der Zulage steigt mit der Anzahl der Kinder. Ab dem fünften Kind beträgt sie genauso viel wie das Kindergeld (950 SEK, etwa 105 Euro).106 Alleinerziehende Eltern haben einen Anspruch auf Unterhaltszahlungen von 1173 SEK/Monat (etwa 130 Euro), die entweder vom anderen Elternteil oder vom Staat erbracht werden. Im letzteren Fall müssen sie allerdings vom zahlungspflichtigen Elternteil zurückerstattet werden.
Vollendung des dritten Lebensjahrs des jüngsten Kindes möglich ist, wenn sich die Unterhaltspflicht auf Kleinkinder erstreckt. Die ASF gilt für Kinder, die nicht von beiden Elternteilen anerkannt sind oder deren Vater oder Mutter der Verpflichtung zur Unterhaltszahlung nicht nachkommt. Die Leistung unterliegt nicht der Einkommensprüfung und beträgt derzeit 82,36 Euro je Monat und Kind (vgl. http://www.caf.fr/catalogueasf/bas.htm, verfügbar am 8.8.2006). 106 Ein zusätzliches Kindergeld wird seit 2005 bereits an das zweite Kind ausgezahlt und beträgt im Jahr 2006 11 Euro (www.forsakringskassan.se).
7.1 Direkte und indirekte Transferleistungen für Familien
229
7.1.2 Indirekte Transferleistungen Welchen Stellenwert Kinder und die Erwerbsbeteiligung von Frauen in einer Gesellschaft haben, zeigt sich u.a. an der Gestaltung des Steuersystems. Hier sind drei Grundtypen der Steuerermäßigung für Kinder zu unterscheiden: Freibeträge, Abzüge von der Steuerschuld und das Familiensplitting, wobei Letzteres an die steuerliche Veranlagung in der Einkommensteuer gebunden ist (Bahle und Maucher 2003). Allgemein gilt, dass Kinderfreibeträge Eltern aus höheren Einkommensschichten in progressiven Steuersystemen besserstellen, da mit der Reduktion des zu versteuernden Einkommens auch der Steuersatz sinkt. Familien, deren Einkommen unterhalb der Steuerfreigrenze bleibt, kommen die Kinderfreibeträge hingegen nicht zugute. Die direkten Geldtransfers und die indirekten Steuervergünstigungen können für Familien mit Kindern komplementär oder substitutiv gelten. Im internationalen Vergleich dominieren für Familien mit zwei Kindern die Transferzahlungen gegenüber den Steuervorteilen bei weitem. Steuervergünstigungen für Familien mit Kindern machten historisch nie mehr als drei Viertel der Kindergeldleistungen aus (vgl. Bahle und Maucher 2003). Lediglich in Frankreich sowie in Deutschland seit der starken Erhöhung der Kinderfreibeträge des Jahres 1986 kann von einer annähernden Gleichrangigkeit beider Instrumente gesprochen werden.
7.1.2.1 Steuerliche Veranlagung: Ehegatten- und Familiensplitting vs. Individualbesteuerung Die familienspezifische steuerliche Veranlagung kann je nach Ausgestaltung bestimmte Familienformen besserstellen als andere. Lediglich in Deutschland und Frankreich existiert eine gemeinsame Steuerveranlagung, die den Paarhaushalt zur einkommensteuerlich relevanten Einheit macht, so dass verheiratete107 Paare gemeinsam besteuert werden. In beiden Ländern bedeutet die gemeinsame Veranlagung, dass die Einkommen der Ehepartner addiert und durch zwei dividiert werden. Auf den daraus entstehenden Betrag wird der Einkommensteuertarif angewandt, und die sich ergebende Steuerschuld wird verdoppelt (Baclet et al. 2005). Durch die damit verbundene Begünstigung insbesondere von Alleinverdiener-Ehen wird der gemeinsamen Steuerveranlagung eine negative Anreiz107 In Frankreich wurde nach langen Debatten im Jahr 1999 die gemeinsame Besteuerung auch auf unverheiratete Paare ausgeweitet, die den so genannten pacte civil de solidarité unterschrieben haben, also eine „eingetragene Lebensgemeinschaft“ bilden. Sie kann allerdings erst ab dem 3. Jahr des Bestehens dieses Zivilpakts beantragt werden.
230
7 Transferleistungen für Familien
wirkung für die Erwerbstätigkeit von Frauen bzw. eine Quasi-Belohnung ihrer Nicht-Erwerbstätigkeit zugeschrieben (Daly und Klammer 2005; Dingeldey 2000). Der Unterschied zwischen Frankreich und Deutschland besteht in der Art und Weise der steuerlichen Berücksichtigung von Kindern. In Deutschland werden Kinderfreibeträge alternativ zum Kindergeld gewährt (vgl. unten Kap. 7.1.2.2). In Frankreich hingegen wird zusätzlich zum Kindergeld das gesamte Haushaltseinkommen entsprechend der Zahl der Familienmitglieder in Teile zerlegt (Familiensplitting, auf Französisch quotient familial).108 Der Splittingdivisor wird dabei um die Anzahl der Kinder erhöht. Für das erste und zweite Kind erhöht sich der Divisor um jeweils 0,5, für jedes weitere Kind um 1. Bei einer Familie mit zwei Kindern kommt demnach ein Splittingdivisor von 3 zur Anwendung (Baclet et al. 2005). In einem voll individualisierten Steuersystem, wie es in Schweden zu finden ist, haben weder der Familienstand noch der Erwerbsstatus des Ehepartners Einfluss auf den zu berechnenden Steuertarif. Ein solches Steuersystem gilt daher im Gegensatz zur familien- bzw. ehegattenorientierten Haushaltsbesteuerung als beschäftigungsfördernd, weil hier die Berufstätigkeit beider Ehepartner steuerlich nicht bestraft wird.109 Italien ist als ein Mischsystem zu sehen, in dem die Ehegatten zwar getrennt besteuert werden, das aber mit dem Instrument des Ehegattenfreibetrags dennoch Steuerentlastungen für Alleinverdienerhaushalte bzw. Haushalte mit einem Haupt- und einem Geringverdiener gewährt.110
7.1.2.2 Familienbezogene Steuerfreibeträge und Steuerabsetzbeträge In Schweden existieren aufgrund der Individualbesteuerung keine expliziten steuerlichen Unterstützungsleistungen für Familien mit Kindern. Die Gestaltung der Steuerprogression prämiert überdies ungleiche Partnereinkommen nicht. Die anderen Länder berücksichtigen in ihren Steuersystemen zusätzliche finanzielle Belastungen, die Haushalten im Zusammenhang mit unterhaltsberechtigten Kindern entstehen.
108 Kinder über 18 Jahre sind grundsätzlich getrennt zu veranlagen. Sie können jedoch unter gewissen Bedingungen in die Haushaltsbesteuerung einbezogen werden. 109 Andere Länder, die auch ein individualisiertes Steuersystem haben, gewähren im Gegensatz zu Schweden allerdings häufig trotzdem steuerliche Entlastungen für Allein- und Hauptverdiener (Dingeldey 2000). 110 Im Jahr 2004 beispielsweise wurden einem Paarhaushalt je nach Einkommen des Hauptverdieners Steuerermäßigungen zwischen 422,23 Euro und 546,18 Euro gewährt, wenn das Einkommen des unterhaltsabhängigen Ehegatten (coniuge a carico) den Betrag von 2840,51 Euro nicht überschritt (OECD 2005).
7.1 Direkte und indirekte Transferleistungen für Familien
231
Kinderfreibetrag In Deutschland besteht die Wahl zwischen dem Kindergeld und einem steuerlichen Kinderfreibetrag, der im Jahr 2004 2904 Euro für Alleinstehende betrug. In der Regel fahren gering Verdienende besser, wenn sie sich das Kindergeld auszahlen lassen, Wohlhabende hingegen, wenn sie das zu versteuernde Einkommen durch den Freibetrag reduzieren. Bei Ehegatten, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden, verdoppeln sich die Freibeträge. Allerdings kommen sie erst zur Wirkung, wenn die steuerliche Entlastung höher ist als das Kindergeld. In Italien werden zusätzlich zum oben beschriebenen Ehegattenfreibetrag Kinderfreibeträge gemäß der Kinderzahl gewährt. Bei gemeinsamer Steuerveranlagung, d.h. im Falle eines Alleinverdieners, erhält dieser die volle Steuervergünstigung. Ist kein Ehepartner vom anderen unterhaltsabhängig, kann die Vergünstigung zwischen beiden zu einem frei vereinbarten Satz geteilt werden. Im Jahr 2004 variierte die Vergünstigung bei Höchsteinkommen zwischen 285,08 Euro für ein Kind und 2065,84 Euro für vier Kinder.111 In Frankreich gibt es über das Familiensplitting hinaus keine besonderen Steuergutschriften im Rahmen der Familienpolitik (Europäische Kommission 2002). Alleinerzieherfreibetrag Alleinerziehende sind in Frankreich zusätzlich zu den Transferleistungen und der Erhöhung des Splittingdivisors entsprechend der Kinderzahl zu einer weiteren Erhöhung des Divisors um 0,5 berechtigt (vgl. Kap. 7.1.2.1). Das deutsche Steuersystem kennt neben dem Instrument des Kinderfreibetrags die Möglichkeit eines Haushaltsfreibetrags. Ursprünglich war der Haushaltsfreibetrag als steuerliche Vergünstigung für Alleinerziehende konzipiert. Er wurde steuerpflichtigen Alleinerziehenden zusätzlich zum Grundfreibetrag gewährt und stellte eine mit dem Splittingvorteil bei der Ehegattenbesteuerung vergleichbare Vergünstigung dar. Aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1998, das im Haushaltsfreibetrag eine Schlechterstellung verheirateter Eltern gegenüber nichtehelichen Lebensgemeinschaften sah, wurde der Haushaltsfreibetrag stufenweise abgebaut, um ab 2005 ganz zu entfallen. Um Alleinerziehende dennoch weiter zu unterstützen, wurde der so genannte „Entlastungsbetrag für Alleinerziehende“ eingeführt, der nach demselben Prinzip wie der Haushaltsfreibetrag funktioniert, jedoch jetzt nur noch für „echte“ Alleinerziehende gilt. Das bedeutet, dass der Entlastungsbetrag nur für Elternteile gewährt wird, die
111 Auch andere Familienmitglieder, insofern sie unterhaltsabhängig sind, berechtigen zu Steuervergünstigungen (OECD 2005).
232
7 Transferleistungen für Familien
entweder mit einem noch nicht volljährigen Kind eine Haushaltsgemeinschaft in einer gemeinsamen Wohnung bilden oder mit volljährigem Nachwuchs zusammenwohnen, für den noch Anspruch auf Kindergeld besteht.
Der alleinerziehende Elternteil darf die Vergünstigung aber nur dann in Anspruch nehmen, wenn er wirklich alleine lebt. Der klassische Fall des zusammenlebenden, nicht verheirateten Paares wird damit nicht mehr gefördert.
7.1.3 Be- und Entlastung von Familien im Vergleich Internationale Vergleiche familienpolitischer Leistungen orientieren sich meist an bestimmten Modellfamilien (vgl. zum Beispiel den Ansatz von Bradshaw et al. 1993; Bradshaw und Finch 2002). Dabei wird das Ensemble staatlicher Unterstützungsleistungen („child benefit packages“) ermittelt, die der finanziellen Entlastung von Haushalten mit Kindern dienen – also sämtliche steuerlichen Begünstigungen, direkten Transferzahlungen, Gebührenbefreiungen und Subventionen. Allerdings sind diesem Ansatz insbesondere dann, wenn es um Vergleiche über die Zeit gehen soll, wegen der lückenhaften Verfügbarkeit der erforderlichen Indikatoren auch Grenzen gesetzt, so dass wir ihm hier nur mit Einschränkungen und in modifizierter Form folgen können. Während Bradshaw und Finch (2002) in ihrer Studie zum Beispiel für sechs Modellfamilien jeweils fünf unterschiedliche Einkommensszenarien berechneten, beschränken wir uns hier auf die folgenden Fälle: 1.
2.
3.
4.
ein kinderloses Paar, bei dem beide Partner erwerbstätig sind und einer ein durchschnittliches, der andere 1/3 des durchschnittlichen Erwerbseinkommens verdient. Dieses Modell dient uns hier als Basis für den Vergleich der Bevorzugung oder Benachteiligung von Familien mit Kindern gegenüber kinderlosen verheirateten Paaren; ein verheiratetes Paar mit zwei Kindern im Alter von 7 und 14 Jahren, bei dem nur einer der Partner erwerbstätig ist und ein durchschnittliches Erwerbseinkommen erzielt; ein verheiratetes Paar mit zwei Kindern im Alter von 7 und 14 Jahren, bei dem beide Partner erwerbstätig sind und einer ein durchschnittliches, der andere 1/3 des durchschnittlichen Erwerbseinkommens erzielt; einen alleinerziehenden Erwerbstätigen mit zwei Kindern im Alter von 7 und 14 Jahren mit 2/3 des durchschnittlichen Erwerbseinkommens.
233
7.1 Direkte und indirekte Transferleistungen für Familien
Diese in Tabelle 7.3 noch einmal zusammengefassten Fälle bringen die Zielsetzungen der nationalen Familienpolitik gut zum Ausdruck, weil sie jeweils die „Extreme“ darstellen, nämlich zum einen das traditionelle Alleinverdienermodell und zum anderen das heute häufiger werdende Doppelverdienermodell (Korpi 2000).112 Tabelle 7.3:
Modellfamilien Einkommen in Prozent des durchschnittlichen Einkommens Alleinverdiener
Doppelverdiener
Verheiratetes Paar, 2 Kinder im Alter von 7 und 14
100
100 + 33
Alleinerziehendes Elternteil, 2 Kinder im Alter von 7 und 14
67
Verheiratetes Paar, keine Kinder
100 + 33
Die folgende Tabelle 7.4 stellt die Be- und Entlastungen durch das Steuersystem und das Kindergeld für diese Modellfamilien dar. Zugrunde gelegt wurden Einkommens- sowie Abgabendaten der OECD (2005). Der Vorteil dieser Daten besteht darin, dass sie für unterschiedliche Bruttoeinkommen den Vergleich von Familien mit kinderlosen Paaren oder alleinerziehenden Eltern erlauben. Ein Zeitvergleich mit der Situation Anfang der 1990er Jahre ist allerdings nicht möglich, weil die OECD-Daten für den früheren Zeitpunkt noch nicht zwischen Kinderlosen und Paaren mit Kindern unterschieden. Die Tabelle zeigt den durchschnittlichen Steuersatz, der für die Bruttoeinkommen der Modellfamilien im Jahr 2004 galt. Mit eingerechnet sind sowohl die staatlichen Leistungen für Familien – d.h. das Kindergeld und/oder entsprechende steuerliche Vergünstigungen – als auch die zu entrichtenden Sozialabgaben. Ob die soziale Sicherung durch Steuern oder durch Sozialabgaben der Arbeitnehmer finanziert wird, hat Auswirkungen auf den Entlastungsgrad der Fa112 Damit geht unser Ansatz nicht sehr weit in die Tiefe. So sind beispielsweise Familien ohne Erwerbseinkommen sowie diverse für die Familieneinkommen relevante Leistungen wie Wohn- und Gesundheitskosten aufgrund fehlender Daten nicht mit einbezogen (vgl. dazu Bradshaw und Finch 1993; 2002). Einen detaillierteren Vergleich Deutschlands und Frankreichs bieten Baclet et al. (2005).
234
7 Transferleistungen für Familien
milien. Während die Höhe der Sozialabgaben nämlich für Eltern wie für Kinderlose gleich hoch ist, sinkt das zu versteuernde Einkommen im Steuersystem durch die Berücksichtigung von Kindern, so dass die Steuerlast für Eltern niedriger ist als für Kinderlose. Deutschland erweist sich mit einer Quote von etwa 21 Prozent als Land mit der höchsten Sozialabgabenlast pro Beschäftigtem (Frankreich: ca. 14 Prozent, Italien: 9 Prozent und Schweden: 7 Prozent; vgl. OECD (2005: 45)). Tabelle 7.4:
Steuerliche Belastung 2004 inklusive Familientransferleistungen (durchschnittlicher Prozentsatz) Verheiratetes Paar ohne Kinder, 2 Einkommen: 100 % plus 33% des Durchschnittseinkommens
Verheiratetes Paar, 2 Kinder, 1 Einkommen: 100 % des Durchschnittseinkommens
Verheiratetes Paar, 2 Kinder, 2 Einkommen: 100 % plus 33% des Durchschnittseinkommens
Alleinerziehendes Elternteil, 2 Kinder, 1 Einkommen: 67% des Durchschnittseinkommens
Deutschland
34,02
18,07
25,50
15,49
Frankreich
22,91
9,54
12,26
1,42
Italien
23,15
9,25
16,66
-10,77
Schweden
22,66
12,87
15,85
1,47
Erläuterung: Berechnung: 100 – ((Nettoeinkommen + Familientransfers)/Bruttoeinkommen)*100) Quelle: OECD (2005); eigene Berechnungen
Der internationale Vergleich legt eine beträchtliche Vielfalt der familienpolitischen Behandlung von Familien an den Tag. Die folgenden Punkte sind dabei besonders erwähnenswert:
Deutschland ist das Land mit der höchsten Abgabenlast für die Modellfamilien.113 Das liegt vor allem an den hohen Sozialabgaben, die keinen Unter-
113 Zu beachten ist, dass diese Schlussfolgerungen nur für die gewählten Modellfamilien gelten. Für Familien mit mehr (oder weniger) als zwei Kindern oder mit anderen Einkommen kann der internationale Vergleich andere Ergebnisse hervorbringen. So haben beispielsweise Baclet et al. (2005) in ihrer vergleichenden Untersuchung der Verteilungseffekte staatlicher Familienförderung in Deutschland und Frankreich festgestellt, dass Familien mit Kindern vom deutschen System stärker profitieren als vom französischen System, wo lediglich kinderreiche Familien – unabhängig von ihrem Einkommen – deutlich entlastet werden. Die Autoren fassen zusammen, dass in Deutschland eine Umverteilung von Kinderlosen zu Familien mit Kindern unabhängig
7.2 Die Einkommenssituation von Familien
235
schied zwischen Kinderlosen und Eltern machen. Während Frankreich und Italien die soziale Sicherung vornehmlich über Arbeitgeberbeiträge finanzieren, setzt Schweden sehr viel stärker auf die Finanzierung durch Steuern. Obwohl das Land keine Kinderfreibeträge kennt, ist die steuerliche Belastung für alle Modellfamilien im Jahr 2004 deutlich geringer als in Deutschland. In Deutschland und Italien führt ein zweites Einkommen zu einer deutlich höheren Abgabensteigerung als in Frankreich oder Schweden (vgl. Spalte 2 und 3). Alleinerziehende werden in Deutschland sehr viel weniger entlastet als in den anderen Ländern. In Italien ist der Saldo aus Vergünstigungen und Abgaben für alleinerziehende Elternteile zweier Kinder sogar positiv (Spalte 4). Paare ohne Kinder müssen in allen vier Ländern den höchsten Steuer- und Abgabensatz zahlen, aber in keinem Land ist die Abgabenlast so hoch wie in Deutschland (Spalte 1).
Im Folgenden wollen wir auf der Grundlage von Mikrodaten untersuchen, inwiefern sich die beschriebenen Be- und Entlastungen im Steuer- und Transfersystem auch in der „realen“ Einkommenssituation und dem Verarmungsrisiko von Familien widerspiegeln.
7.2 Die Einkommenssituation von Familien Im Zentrum der folgenden Analysen steht die Frage, inwieweit familienpolitische Maßnahmen dazu beitragen, Kinderarmut zu vermeiden. Die Untersuchung gliedert sich in vier Abschnitte. Zunächst werden Strukturunterschiede bezüglich der Zusammensetzung der Familienhaushalte dargestellt. Dabei sollen Haushalte in Anlehnung an die im institutionellen Teil untersuchten Modellfamilien nach der Familienform, der Kinderzahl und der Anzahl der erwerbstätigen Personen differenziert werden, um zu zeigen, auf welche soziale Realität die familienpolitischen Maßnahmen treffen. Der zweite Abschnitt untersucht, welchen Anteil Sozialtransfers am Haushaltseinkommen von Familien haben. Damit werden die direkten Leistungen der Familienförderung in den Blick genommen, die den Großteil staatlicher Hilfen ausmachen (Bahle und Maucher 2003). Die steuerliche Belastung von Familienhaushalten kann mit den vorhandenen Daten leider nicht abgebildet werden, da das European Community Household Panel in den meisten Ländern nur die Nettoeinkommen erfasst.114 Der dritte Abschnitt klärt, von deren Anzahl stattfindet, in Frankreich hingegen eine Umverteilung von Haushalten mit wenigen Kindern zu Haushalten mit mehr als drei Kindern (Baclet et al. 2005: 33). 114 In den beiden Ländern, die Angaben zum Bruttoeinkommen machen (Frankreich und Italien), gibt es kein erfragtes Nettoeinkommen, sondern der Nettobetrag wird über einen Umrech-
236
7 Transferleistungen für Familien
wie häufig Kinderarmut vorkommt und analysiert mithilfe der LIS-Daten, inwieweit staatliche Leistungen dazu beitragen, das Armutsrisiko zu reduzieren. Im vierten Abschnitt betrachten wir schließlich die Rolle privater Transfers zwischen den Generationen.115
7.2.1 Haushaltsstrukturen und Erwerbstätigkeit Kapitel 4.1.2 hat gezeigt, wie stark sich die Haushaltsstrukturen zwischen den Ländern unterscheiden. Die zentralen Befunde für Haushalte mit Personen im Alter von 16 bis 64 Jahren waren: Deutschland und Frankreich weisen eine sehr ähnliche Haushaltsstruktur auf. Während in Frankreich aber Familienhaushalte mit zwei und mehr Kindern überwiegen, gibt es in Deutschland einen größeren Anteil allein lebender Personen. Hinsichtlich des Anteils von Alleinerziehenden oder DreigenerationenHaushalten gruppieren sich beide Länder in der Mitte zwischen Italien auf der einen und Schweden auf der anderen Seite. In Italien sind Single-Haushalte selten, Familienhaushalte hingegen weit verbreitet. Dies liegt vor allem am späten Auszug erwachsener Kinder aus dem Elternhaus. In 27 Prozent der Haushalte leben erwachsene Kinder mit ihren Eltern zusammen. Italien ist überdies das einzige Land mit einem nennenswerten Anteil an Dreigenerationen-Haushalten. Alleinerziehende sind hingegen seltener als in den anderen Ländern. Schweden hat mit einer Quote von sechs Prozent den höchsten Anteil Alleinerziehender. Zudem sind Familienhaushalte weniger häufig als in den anderen drei Ländern, weil erwachsene Kinder schon früh das Elternhaus verlassen. Auch Haushalte mit drei und mehr Generationen gibt es daher kaum.116 Die unterschiedlichen Haushaltsstrukturen zeigen, wie die soziale Wirklichkeit beschaffen ist, auf die familienpolitische Maßnahmen gemünzt sind. Hilfeleistungen für alleinerziehende Elternteile betreffen in Schweden z.B. weit mehr nungsfaktor ermittelt. Die Luxembourg Income Study (LIS) erfasst zwar Steuern und Sozialabgaben, stellt aber keine Daten für Italien zur Verfügung, während die aktuellsten Daten für Frankreich aus dem Jahr 1994 stammen. 115 Leider liegen keine Daten vor, die es erlauben, staatliche und private Transfers in ihrer Wechselwirkung zu analysieren. Regelmäßige private Transfers werden zwar im ECHP erfasst, beziehen sich aber vor allem auf Unterhaltszahlungen. 116 Das Ergebnis ist allerdings auch durch das abweichende Haushaltskonzept verzerrt. Haushalte sind in Schweden nicht gemeinsame Wohnformen, sondern Personengemeinschaften mit der gleichen Steuernummer. Dadurch wird die Zahl der erwachsenen Kinder, die noch bei den Eltern leben, unterschätzt, weil diese, sobald sie ein eigenes Einkommen beziehen, als eigener Haushalt gewertet werden.
7.2 Die Einkommenssituation von Familien
237
Haushalte als in Italien. Damit ergibt sich für Schweden nicht nur ein größerer Problemdruck, sondern Hilfen für Alleinerziehende verursachen auch weitaus höhere Kosten. Von ähnlichem Belang für die Familienpolitik ist der Verbreitungsgrad der Ehe. Während die Ehe in Italien noch allgemein als die normale Lebensform von Paaren gilt, so dass an den Ehenachweis gebundene Hilfen zwar allen Paaren zugutekämen, damit aber auch in beträchtlichem Umfang reine Mitnahmeeffekte mit sich brächten, würde eine ähnlich gezielte Forderung in Schweden de facto einen Großteil der Paarhaushalte diskriminieren und damit wohl auch auf Akzeptanzprobleme stoßen. In Deutschland und Frankreich könnten Maßnahmen zugunsten verheirateter Paare hingegen durchaus relevante Anreizeffekte zugunsten der Heirat zeitigen, wobei die Pluralisierung der Formen des Zusammenlebens aber auch hier Forderungen nach rechtlicher Gleichstellung Auftrieb gibt (vgl. Kapitel 4.1.2). Die Analyse der Haushaltsstrukturen weist ferner darauf hin, dass sich familienpolitische Leistungen in allen Ländern faktisch auf Kleinfamilien konzentrieren, weil Familien mit mehr als drei Kindern in allen Ländern selten geworden sind. Großzügige finanzielle Leistungen für kinderreiche Familien geraten damit leicht zur Symbolpolitik, weil sie sich auf eine sehr kleine Zielgruppe beschränken und in zunehmender Spannung zur sozialen Realität stehen. Damit kommt die Förderung von Kindern mit höherem Geburtsrang den Staat zwar relativ billig, kann andererseits aber auch nur wenig zur Erhöhung der Fruchtbarkeitsziffern beitragen, weil häufig gar nicht mehr Dritt- oder Viertkinder, sondern schon Erst- oder Zweitkinder ausbleiben. In der familiensoziologischen Literatur gelten Maßnahmen zur Förderung der Arbeitsmarktintegration von Müttern deshalb häufig als wirksamerer Anreiz zur Erhöhung der Geburtenziffern (Alich 2006; Berinde 1999). Abbildung 7.2 zeigt, dass auch der länderspezifische Anteil von Doppelverdienerhaushalten stark variiert. In Schweden gehen in mehr als der Hälfte aller Paarhaushalte beide Partner einer Vollzeiterwerbstätigkeit nach. Schließt man Teilzeitarrangements mit ein, so verfügen sogar mehr als zwei Drittel aller schwedischen Paare über zwei Erwerbseinkommen. In Deutschland und Frankreich lag der Anteil an Doppelverdienerhaushalten mit über 50 Prozent im Jahr 2001 ebenfalls recht hoch. Allerdings unterscheiden sich die beiden Länder im Anteil der Teilzeitbeschäftigten. Während in Deutschland nur rund 54 Prozent der Doppelverdienerhaushalte zwei Vollzeitstellen haben, sind es in Frankreich 80 Prozent. Italien ist das Land mit dem höchsten Anteil an Einverdienerhaushalten entsprechend dem klassischen Modell des „male breadwinner“. Wenn italienische Paare allerdings zwei Einkommen erzielen, dann handelt es sich meist um zwei Vollzeitstellen.
238
7 Transferleistungen für Familien
1994
12
2001
9
1994
13
2001
12
1994
9
2001
8
1997
8 2
2001
6 3
3
36
3
20
30
26
34
4
37
43
11
45
3
31
13
33
2
31
32
11
Schweden
Italien
Frankreich
Deutschand
Abbildung 7.2: Beschäftigungsmuster von Paaren im Alter zwischen 16 und 64 Jahren, 1994 und 2001
0%
42
2
22
21
36
11
12
11
56
60
10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% kein Erwerbseinkommen
1* Teilzeit
1* Vollzeit
1*Vollzeit und 1* Teilzeit
2* Vollzeit Erläuterung: Paare, bei denen beide Partner Teilzeit beschäftigt sind, werden hier als eine Vollzeitbeschäftigung gewertet. Ihr Anteil ist allerdings sehr gering. Er liegt in allen vier Ländern im Jahr 2001 unter 1 Prozent aller Paarhaushalte. Quelle: ECHP 1994-2001
7.2 Die Einkommenssituation von Familien
239
Die Unterschiede der Haushalts-Erwerbsmuster ebnen sich zwischen den Ländern ein, wenn man auch die Einkommen weiterer Haushaltsmitglieder, wie etwa die erwachsener Kinder, mit berücksichtigt. So verfügen rund 28 Prozent der italienischen Paarhaushalte noch über ein Erwerbseinkommen eines weiteren Haushaltsmitglieds. In Deutschland sind es 29 Prozent und in Frankreich 17 Prozent. Für Schweden liegen wegen der anderen Haushaltsstatistik keine Daten vor. Aus der SHARE-Erhebung ist aber bekannt, dass erwachsene Kinder in Schweden kaum noch im Elternhaushalt leben, insbesondere dann nicht, wenn sie über ein eigenes Einkommen verfügen. Bei Betrachtung aller Haushaltsmitglieder gleichen sich damit die Einkommensmuster der Haushalte beträchtlich an. Der Anteil der Doppelverdienerhaushalte hat überdies in allen vier Ländern deutlich zugenommen. In Deutschland geht die Zunahme primär mit der Verbreitung von Vollzeit/Teilzeitarrangements einher, während in den übrigen Ländern auch der Anteil der Paare mit Vollzeitbeschäftigung beider Partner deutlich gestiegen ist. Die geschlechtsspezifische Verteilung der Erwerbsarbeit ist, wie schon aus dem hohen Anteil der Doppelverdienerhaushalte folgt, in Schweden am egalitärsten. Gemessen an einem Skalenwert der geschlechtsspezifischen Verteilung von Erwerbsarbeit, der zwischen – 1 und + 1 variieren kann117, liegt der schwedische Wert bei 0,11, also sehr nahe am Nullpunkt völliger Gleichverteilung. Dazu trägt zum einen die hohe Frauenbeschäftigungsquote bei, zum anderen ist auch die Quote teilzeitbeschäftigter Männer in Schweden mit 11 Prozent vergleichsweise hoch (vgl. Kapitel 4.1.2). In Deutschland und Frankreich ist die Geschlechterdifferenz deutlich größer (Skalenwert jeweils 0,25). Der höhere Anteil vollzeitbeschäftigter Frauen in Frankreich wird dabei durch den insgesamt höheren Anteil an Doppelverdienerhaushalten in Deutschland ausgeglichen. Italien ist das Land mit der stärksten geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung (Skalenwert: 0,34). Noch immer ist in mehr als 40 Prozent der italienischen Paarhaushalte der Mann Alleinverdiener (vgl. Tabelle 7.5). Die ausgeprägten nationalen Unterschiede hängen zum einen mit der verschiedenen Struktur der Arbeitsmärkte, zum anderen mit den geschilderten Differenzen in der steuerlichen Behandlung der Doppelerwerbstätigkeit zusammen. Zu den strukturellen Faktoren, welche die Beschäftigungschancen von Frauen fördern oder hemmen, zählen insbesondere die Größe des Dienstleistungssektors und die Flexibilität von Arbeitszeiten. Die geringe Verbreitung doppelter Vollzeitbeschäftigung in deutschen Paarhaushalten spiegelt hingegen wohl vor allem 117 Basis ist eine Skala, welche die Differenz der Werte für Männer und Frauen angibt und auf den Ausprägungen nicht erwerbstätig (0), teilzeitbeschäftigt (0,5), vollzeitbeschäftigt (1) basiert. – 1 bedeutet dann, dass nur Frauen erwerbstätig sind, +1, dass nur Männer einer Erwerbsarbeit nachgehen. Der Wert 0 zeigt an, dass Frauen und Männer im Durchschnitt der Paare gleiche Erwerbsmuster haben.
240
7 Transferleistungen für Familien
die steuerliche Benachteiligung dieses Musters der Arbeitsteilung durch das Ehegattensplitting wider. Auch das italienische Muster reflektiert die steuerliche Förderung der Alleinverdiener-Ehe (vgl. Tabelle 7.4 in Abschnitt 7.1.3). Abbildung 7.3: Anteil an Einverdienerhaushalten nach Kinderzahl 70 60
% der Haushalte
50 40 30 20 10 0 0
1
2
3+
Anzahl der Kinder Deutschland
Frankreich
Italien
Schweden
Quelle: ECHP 2001
Von noch größerer Bedeutung ist aber wohl vermutlich, wie stark die Geburt von Kindern die Beschäftigungskarrieren von Frauen unterbricht. Abbildung 7.3 zeigt, dass sich der Anteil der Einverdienerhaushalte bei kinderlosen Paaren in den vier Ländern kaum unterscheidet. Die entscheidende Weichenstellung erfolgt erst nach der Geburt von Kindern. In Schweden werden Einverdienerhaushalte seltener, wenn ein Kind unter 16 Jahren im Haushalt lebt, und der Anteil verringert sich noch weiter, wenn zwei kleine Kinder zum Hauhalt gehören.118 Erst mit dem 118 Als Indikator wurde hier die Veränderung des Anteils der Einverdienerhaushalte gewählt, da bei den Mehrverdienerhaushalten deutliche Unterschiede hinsichtlich des Anteils der Teilzeitbeschäftigten bestehen. Bei den Hauhalten ohne Erwerbseinkommen unterscheidet sich die Veränderung zwischen den Ländern nur unwesentlich.
241
7.2 Die Einkommenssituation von Familien
dritten Kind steigt der Anteil der Einverdienerhaushalte wieder, aber die Quote liegt auch dann nicht wesentlich höher als bei kinderlosen Paaren. In Deutschland, Frankreich und Italien ist die Situation gerade umgekehrt. Dort steigt der Anteil an Einverdienerhaushalten mit jedem zusätzlichen Kind unter 16 Jahren deutlich. In Italien ist die Differenz zwischen kinderlosen Paaren und Paaren mit einem Kind am größten. In Deutschland und Frankreich zeigt sich der Verzicht auf eine Doppelerwerbstätigkeit hingegen dann am stärksten, wenn mehr als zwei Kinder im Haushalt leben. Deutschland unterscheidet sich überdies in der Struktur der Mehrverdienerhaushalte von den anderen Ländern, denn hierzulande sinkt vor allem der Anteil der Haushalte mit zwei Vollzeitstellen. Leben drei oder mehr Kinder im Haushalt, so gehen in Deutschland beide Partner nur noch in 8 Prozent der Paarhaushalte einer Vollzeitbeschäftigung nach, während es in Frankreich 19 Prozent, in Italien 25 Prozent und in Schweden sogar 50 Prozent sind. Deutschland ist auch das Land, in dem die geschlechtsspezifischen Unterschiede der Erwerbsbeteiligung in Paarhaushalten am stärksten zunehmen, wenn ein zweites Kind hinzukommt (Tabelle 7.5). Das Ausmaß geschlechtsspezifischer Differenzen erreicht dann fast das Niveau Italiens. Erst bei drei und mehr Kindern vergrößern sich die Unterschiede zwischen beiden Ländern wieder, während nun Frankreich nach Italien durch die größte Geschlechterdifferenz auffällt. Bemerkenswert ist das völlig andere Muster in Schweden. Zwar steigt auch hier die Geschlechterungleichheit mit der Zahl der Kinder leicht an, aber selbst in Haushalten mit drei und mehr Kindern ist größere Gleichheit der Erwerbsbeteiligung zu finden als in kinderlosen Paarhaushalten in Deutschland, Frankreich oder Italien. Tabelle 7.5: Land
Geschlechterungleichheit in der Erwerbsbeteiligung bei Paarhaushalten nach Zahl der Kinder (2001) Alle Paarhaushalte
Paar ohne Kinder
Paar, 1 Kind
Paar, 2 Kinder
Paar, 3+ Kinder
Deutschland
0,25
0,14
0,32
0,48
0,52
Frankreich
0,25
0,14
0,27
0,37
0,55
Italien
0,34
0,23
0,44
0,50
0,61
Schweden
0,11
0,08
0,14
0,13
0,20
Erläuterung: Die Skala reicht von -1 bis +1. -1 bedeutet, dass nur Frauen ausschließlich vollzeiterwerbstätig sind. +1 bedeutet, dass nur Männer ausschließlich vollzeiterwerbstätig sind. Null bedeutet, dass im Durchschnitt die Erwerbsbeteiligung von Männern und Frauen in Paarhaushalten gleich ist. Quelle: ECHP 2001
242
7 Transferleistungen für Familien
Das schwedische Beispiel illustriert deutlich, wie familienpolitische Maßnahmen wirken können. Die am Individuum ansetzende Steuerpolitik und die auf Ermöglichung einer Doppelerwerbstätigkeit ausgerichtete Familienpolitik führen zu einem hohen Anteil an Zweiverdienerhaushalten auch dann, wenn Kinder da sind. Dass die Präsenz von Kindern das Arbeitsangebot schwedischer Eltern kaum reduziert, kann als Indiz für ein gut ausgebautes Betreuungsangebot und eine auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf abzielende Familienpolitik gelten. Die französische Familienpolitik ähnelt dem schwedischen Modell zwar, aber der vollen Umsetzung des Zweiverdienermodells steht die eingeschränkte Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt entgegen. In Deutschland und Italien ist die Familienpolitik hingegen auf die Ehe zentriert und nach wie vor stärker am Alleinverdienermodell orientiert. Vor allem in Italien dominieren bei Paaren mit Kindern die Alleinverdienerhaushalte. In Deutschland ist zwar der Anteil der Haushalte, in dem beide Partner erwerbstätig sind, höher als in Frankreich, aber in der Mehrzahl handelt es sich dabei um die Kombination eines Hauptverdieners und einer Hinzuverdienerin, während französische Paare die Erwerbsarbeit in stärkerem Maße partnerschaftlich teilen. Geschlechterunterschiede bei den Arbeitseinkommen sind in Deutschland etwa genauso groß wie in Italien, und auch der Rückgang der Erwerbstätigkeit im Falle der Geburt von Kindern erreicht ein ähnliches Niveau. Neben familienpolitischen Maßnahmen und unterschiedlichen Arbeitsmarktstrukturen prägen auch kulturelle Faktoren wie etwa unterschiedliche Wertorientierungen die Erwerbsmuster in Paarhaushalten. Schweden zeichnet sich durch ein spezifisches Leitbild seiner Familienpolitik aus, demzufolge die Familie nicht als privater Raum zu gelten hat, in dem die Familienmitglieder ihre Unterstützungs- und Abhängigkeitsbeziehungen frei bestimmen. U.a. aufgrund des Drucks der schwedischen Frauenbewegung in den 1960er Jahren sieht sich der Staat für die Regulierung der als egalitär konzipierten familiären Beziehungen zuständig und übernimmt auch selbst einen Großteil ehemals familiärer Aufgaben (Naumann 2005). Damit manifestieren sich auch unterschiedliche Werthaltungen und Prioritätensetzungen der schwedischen Frauen, welche die in Kontinentaleuropa gängigen Muster der geschlechtsspezifischen Teilung von formeller und informeller Arbeit sowie der Einkommen und Qualifikationen nie akzeptiert haben. So hat eine schwedische Studie z.B. ergeben, dass eine größere Abhängigkeit vom Einkommen des Partners nur geringen Einfluss auf die Teilung der informellen Arbeit im Hauhalt hat und auch die Verteilung der formellen Arbeitszeit zwischen den Partnern kaum beeinflusst (Halleröd 2005). In Italien zeigt sich die Bedeutung des kulturellen Kontextes dagegen in umgekehrter Richtung, denn dort geht die niedrige Erwerbsbeteiligung von Frauen nicht nur auf die Arbeitsmarktlage und den beschränkten Zugang zu öffentlichen Betreu-
7.2 Die Einkommenssituation von Familien
243
ungseinrichtungen zurück, sondern reflektiert auch unterschiedliche Werthaltungen der Italienerinnen. So kamen Del Boca et al. (2005) zu dem Ergebnis, dass italienische Frauen auch bei Kontrolle individueller, familienspezifischer und sozialstruktureller Faktoren signifikant weniger arbeiten als Frauen in Frankreich oder Großbritannien. Inwieweit die nationalen Werthaltungen den institutionellen Weichenstellungen folgen oder die Institutionen umgekehrt lediglich die kulturellen Orientierungen widerspiegeln, bleibt damit eine offene Frage. Im folgenden Abschnitt wollen wir untersuchen, wie staatliche Sozialtransfers die Einkommenssituation von Familienhaushalten beeinflussen.
7.2.2 Einkommenszusammensetzung und -verteilung Da Angaben zu Steuern und Sozialabgaben im ECHP unerhoben blieben, ist eine enge Verzahnung mit dem institutionellen Teil nicht möglich. Dennoch ergänzen die Informationen aus den Mikrodatensätzen die institutionelle Perspektive, weil sie nicht nur die direkten Familienleistungen berücksichtigen, sondern auch die Verteilung anderer Sozialtransfers mit einbeziehen. Die Einkommen von Familien mit Kindern bestehen im Wesentlichen aus zwei Komponenten, nämlich Erwerbseinkommen und Sozialtransfers. Kapitaleinkünfte und private Transfers machen in allen Ländern nur einen sehr kleinen Teil der Haushaltseinkommen aus. Überdies werden private Transfers in den hier verwendeten ECHP-Daten nur unzureichend erfasst, weil ausschließlich auf regelmäßige Leistungen wie Unterhaltszahlungen abgehoben wurde. Eine genauere Analyse der privaten Transferzahlungen auf der Basis von SHARE-Daten wird im Abschnitt 7.3 erfolgen. Ein Überblick über die Zusammensetzung der sozialpolitischen Transferzahlungen, die Familien mit Kindern unter 16 Jahren beziehen, zeigt, dass neben den familienpolitischen Leistungen im engeren Sinne auch weitere soziale Transferzahlungen in allen Ländern einen wichtigen Beitrag zum Haushaltseinkommen leisten (Abbildung 7.4). Die Unterschiede zwischen der Höhe der Transferzahlungen in Deutschland und Frankreich auf der einen Seite und Schweden auf der anderen Seite resultieren hauptsächlich aus dem hohen Anteil der nicht unmittelbar familienzentrierten Transferzahlungen. In Schweden machen die staatlichen Transferzahlungen insgesamt rd. 30 Prozent des Familieneinkommens aus. In Italien erhalten Familien mit Kindern hingegen nur eine vergleichsweise geringe staatliche Unterstützung. Berücksichtigt man, dass in Italien ein gewichtiger Teil der sonstigen Sozialtransfers aus Rentenzahlungen besteht, die aus der Präsenz von Großeltern im Haushalt resultieren, so liegt der bereinigte Anteil staatlicher Transferleistungen am Nettoeinkommen italienischer Familien bei nur etwa fünf Prozent. Beim internationalen wie insbesondere auch beim intertemporalen Ver-
244
7 Transferleistungen für Familien
gleich ist allerdings zu bedenken, dass steigende Anteile der Transfereinkommen sowohl auf einen Anstieg der Sozialleistungen wie auf einen Rückgang der Erwerbseinkommen zurückgehen können. Deshalb muss die hier erfasste Veränderung des Gewichts sozialer Transferleistungen im Lichte der früheren Befunde zur Veränderung familienpolitischer Regelungen interpretiert werden. Abbildung 7.4: Anteil der Sozialtransfers am Haushaltsnettoeinkommen von Familien mit Kindern unter 16 Jahren (1994 und 2001)
% des Haushaltsnettoeinkommens
35 1 2,2
30 25
6,4 6,3
20 15
1,4 1,8
4,5
0,1
0,9
0,4
4,1
0,3 1,9
10
1,5 2,7
6,5
4,4
7,1 1,4
4,3
0,2
3,6 3,2 5,4
1,2 11,5
5
9,5
6,6
4,7 8
0,1 3
2 0,4 1,3
1
0 1994
2001
Deutschland Familie
1994
2001
1994
Frankreich Bedürftigkeit
2001
13,9
13,8
1997
2001
0 0,2
Italien Arbeit
Ausbildung
Schweden Andere
Erläuterung: Arbeit umfasst Arbeitslosenunterstützung und Krankheits-/Invaliditätszahlungen. Bedürftigkeit umfasst Sozialhilfe und Wohngeld. Quelle: ECHP 1994-2001
Allein in Deutschland ist der Anteil der Sozialtransfers am Haushaltsnettoeinkommen in jüngster Zeit gestiegen. Das stimmt mit den institutionellen Angaben zur Leistungserhöhung sowie zur Verlagerung der Familienförderung vom Steuersystem zu den Sozialtransfers im Rahmen der Reform des Familienlastenaus-
245
7.2 Die Einkommenssituation von Familien
gleichs von 1996 überein (vgl. Abbildung 7.1).119 Die deutlichste Verbesserung gab es für Haushalte mit niedrigen Einkommen, welche die steuerlichen Vorteile zuvor gar nicht oder nur in geringem Maße nutzen konnten. In Frankreich und Italien ging der Anteil der sozialen Transferzahlungen deutlich zurück. Während in Frankreich sämtliche Komponenten schrumpften, gewannen in Italien allein die familienpolitischen Transfers etwas an Bedeutung, was wohl auf die oben beschriebene Erhöhung des Kindergelds im unteren und mittleren Einkommensbereich zurückzuführen ist. In Schweden blieb der Anteil der Familienleistungen konstant, während sich der Anteil der übrigen Sozialtransfers etwas reduzierte. Abbildung 7.5: Sozialtransfers nach Haushaltstypen 7.5.1 Deutschland 55
% des Haushaltsnettoeinkommens
50 45 10.6
40 35
11.8
30
14.7
25
10.3
2.6
20
1.5
15
3.3
2.5 1.0
10
18.6
5.4
20.7
5 3.3
0 1994
2001
Alleinerziehend
Quelle: ECHP
0.3
7.7
Ŷ Familie
0.4
1994
7.2
2001
1994
Ŷ Bedürftigkeit
19.4 0.3
7.6
Paar, 1 Kind
0.7
3.9 12.0
12.5
2001
1994
Paar, 2 Kinder
2001
Paar, 3+ Kinder
Ŷ Andere Sozialtransfers
119 Das Bild ist allerdings dadurch verzerrt, dass die im Rahmen derselben Reform erfolgte Streichung zusätzlicher steuerlicher Vergünstigungen für Familien mit Kindern in den Daten nicht berücksichtigt wird.
246
7 Transferleistungen für Familien
7.5.2 Frankreich 55
% des Haushaltsnettoeinkommens
50 45 40 35
5.5 4.7
30
9.1 6.5
25
16.7
2.9 5.4
20 14.1
15
3.8
10
6.0
14.9 10.4
5 0 1994
2001
Alleinerziehend
Quelle: ECHP
Ŷ Familie
2.7
4.0 2.0
9.1
7.7
1994
2001
4.8
2.2 3.4
3.4
1994
2001
1.0
Paar, 1 Kind
Ŷ Bedürftigkeit
Paar, 2 Kinder
22.5 17.9
1994
2001
Paar, 3+ Kinder
Ŷ Andere Sozialtransfers
247
7.2 Die Einkommenssituation von Familien
7.5.3 Italien 55
% des Haushaltsnettoeinkommens
50 45 40 35 30 25 20 15 11.6
10
3.8
5
0.0
1.5 2.7
4.4
1994
2001
0
Alleinerziehend
Quelle: ECHP
Ŷ Familie
5.4 0.3 0.6
1994
3.9
0.1 0.7
2001
Paar, 1 Kind
Ŷ Bedürftigkeit
3.2 1.2 0.2
1994
1.7 0.2 1.0
2001
Paar, 2 Kinder
3.3 1.5 0.5
1994
2.1 3.6
0.4
2001
Paar, 3+ Kinder
Ŷ Andere Sozialtransfers
248
7 Transferleistungen für Familien
7.5.4 Schweden 55
% des Haushaltsnettoeinkommens
50 11.5
45 40
16.7
35 20.9
30
10.7 6.7
12.3
25 20
9.2 9.8 9.2
15
3.2 20.9
10
19.2
5
3.7
9.3
1997
2001
3.8
17.5
18.7
1997
2001
1.1
2.2
9.5
5.1 8.2
12.3
12.3
1997
2001
0 1997
2001
Alleinerziehend
Quelle: ECHP
Ŷ Familie
Paar, 1 Kind
Ŷ Bedürftigkeit
Paar, 2 Kinder
Paar, 3+ Kinder
Ŷ Andere Sozialtransfers
Abbildung 7.5.1-4 schlüsselt die Bedeutung der Sozialtransfers für verschiedene Haushaltstypen auf. In Deutschland, Frankreich und Schweden steigt der Anteil der Familienleistungen mit der Zahl der im Haushalt lebenden Kinder. Der Anstieg ist in Frankreich besonders groß, was an der nach dem Geburtsrang gestaffelten Leistungshöhe liegt. Ein Teil der Leistungsunterschiede erklärt sich allerdings auch durch Unterschiede im Einkommensniveau. Der hohe Anteil der Familienleistungen bei Alleinerziehenden resultiert vor allem aus deren niedrigen Haushaltseinkommen, was auch der hohe Anteil bedarfsgeprüfter Leistungen bestätigt. Deutlich wird damit, dass Alleinerziehende in Deutschland, Frankreich und vor allem auch Schweden in hohem Maße auf Sozialtransfers angewiesen sind, um ein ausreichendes Einkommen zu erreichen. Der Ländervergleich zeigt unterschiedliche Schwerpunktsetzungen bei der Unterstützung bestimmter Familienstrukturen. In Schweden wird für alle Familienhaushalte ein recht hohes Niveau an Sozialleistungen gewährt, und bei Allein-
7.2 Die Einkommenssituation von Familien
249
erziehenden machen staatliche Leistungen sogar rund 50 Prozent des Einkommens aus. In Frankreich erreichen Familienleistungen vor allem bei kinderreichen Familien einen hohen Anteil des Haushaltseinkommens. In Italien haben sozialstaatliche Transfers vergleichsweise geringe Bedeutung. Selbst für Alleinerziehende und kinderreiche Familien verbessert sich das Einkommen durch Sozialtransfers kaum, und die Familienleistungen bleiben sehr bescheiden. Das liegt an dem Paradox, dass Italien einerseits für Familien mit niedrigen Einkommen hohe Kindergeldzahlungen gewährt, andererseits die Zahlungen aber von der Erwerbstätigkeit zumindest eines Elternteils abhängig macht. Grund für ein niedriges Einkommen ist jedoch insbesondere im Falle von Alleinerziehenden oft die Erwerbslosigkeit, so dass eine effektive Förderung einkommensschwacher Familienhaushalte in Italien häufig verfehlt wird (Saraceno 2000). Im Zeitvergleich zeichnet sich für alle Haushaltstypen ein meist ähnliches Entwicklungsmuster ab. So hat sich z. B. der Anteil der Sozialtransfers in Deutschland für alle Haushaltstypen erhöht. In Italien und Schweden weicht die Entwicklung für kinderreiche Familien vom allgemeinen Muster sinkender Transferanteile ab, weil für sie der Anteil der Sozialtransfers am Haushaltseinkommen wächst. Bemerkenswert ist auch der deutliche Rückgang des Gewichts staatlicher Leistungen für Alleinerziehende in Italien. Wie schon erwähnt, spiegeln die Veränderungen der Einkommenszusammensetzung allerdings nicht nur die Entwicklung der Sozialtransfers wider, sondern reflektieren auch die Entwicklung der Markteinkommen, so dass schrumpfende Anteile von Sozialtransfers auch auf eine verbesserte Integration in den Arbeitsmarkt zurückgehen können. Die Abbildung 7.6 zeigt anhand der die Haushaltsgröße berücksichtigenden Haushalts-Äquivalenzeinkommen einen Vergleich der durchschnittlichen Position, die verschiedene Haushaltstypen in der nationalen Einkommensverteilung einnehmen. Allen Ländern ist gemeinsam, dass sich die Einkommensposition mit zunehmender Zahl der Kinder verschlechtert. Nur kinderlose Paare sowie Paare mit lediglich einem Kind erreichen überall überdurchschnittliche Einkommen. In Deutschland und Italien ist bereits das Einkommen von Paaren mit zwei Kindern unterdurchschnittlich, während vergleichbare Familien in Frankreich und Schweden besser abschneiden. Alleinerziehende fallen in Deutschland, Frankreich und Schweden durch das niedrigste Einkommen auf. Das relativiert auch den oben dokumentierten hohen Anteil der Sozialtransfers an ihrem Haushaltseinkommen: Nicht die Höhe der Leistungen, sondern das niedrige Niveau des Gesamteinkommens erklärt hier das hohe Gewicht der staatlichen Unterstützungszahlungen. Die Alleinerziehenden Deutschlands fallen im Ländervergleich durch die niedrigste Einkommensposition auf. In Italien sind es kinderreiche Familien, die in der Einkommenshierarchie am schlechtesten dastehen. Die größ-
250
7 Transferleistungen für Familien
te Spannweite der Einkommensposition verschiedener Haushaltstypen verzeichnen Deutschland und Schweden.120 Abbildung 7.6: Durchschnittliche Einkommensposition nach Haushaltstyp 10 hoch
Einkommensdezil
9 8 7 6 5 4 3 2
niedrig
1
1994
2001
Deutschland
1994
2001
Frankreich
1994
2001
Italien
1997
2001
Schweden
Alleinerziehend
Paar ohne Kinder
Paar 1 Kind
Paar 2 Kinder
Paar 3 und mehr Kinder Bevölkerungsschnitt Erläuterung: Die Einkommensposition ergibt sich aus dem durchschnittlichen Rang des Einkommensdezils (auf Basis aller Privathaushalte) für einen Familientyp. Der Mittelwert aller Haushalte liegt bei 5,5. Dieser ist durch die gestrichelte Linie angezeigt. Quelle: ECHP 1994-2001
Der Zeitvergleich ergibt je nach Familientyp und Land unterschiedliche Muster. Auffallend ist, dass sich die ohnehin schon privilegierte Position kinderloser Paare in Deutschland und Frankreich noch verbessert hat. Dagegen hat sich die Ein120 Zu beachten ist dabei, dass der Vergleich der Einkommensposition verschiedener Dezile die Größe des Abstands zwischen den Dezilen unberücksichtigt lässt. Da die Einkommensungleichheit in Schweden geringer ist, sind dort auch die Niveauunterschiede zwischen den Dezilen geringer, so dass Schweden trotz der hier gezeigten größeren Ungleichheit zwischen einzelnen Haushaltstypen eine insgesamt größere Gleichheit der Einkommensverteilung aufweist als die anderen Länder (Burniaux et al. 1998).
7.2 Die Einkommenssituation von Familien
251
kommensposition von Paaren mit Kindern unter 16 Jahren in Deutschland verschlechtert, während Alleinerziehende sich zwar leicht verbessern konnten, nach wie vor aber eine geringeres Einkommen erzielen als die anderen Haushaltstypen. In Frankreich hat sich die Einkommenslage Alleinerziehender weiter verschlechtert. Auch in Schweden entwickelte sich die Position Alleinerziehender seit 1997 zu ihren Ungunsten, während Familien mit ein oder zwei Kindern ihre überdurchschnittliche Einkommenslage noch gefestigt haben. In Italien fällt die Verringerung der Unterschiede zwischen den Haushaltstypen auf, die vor allem auf die Verschlechterung der Einkommensposition kinderloser Paare zurückgeht. Haushalte, die auf mehrere Erwerbseinkommen zurückgreifen können, erzielen in der Regel auch ein höheres Einkommen. Allerdings ergeben sich auch hier im Ländervergleich große Unterschiede (Abbildung 7.7). Im Jahr 2001 kamen nur Haushalte, in denen beide Partner erwerbstätig waren, auf ein deutlich überdurchschnittliches Einkommensniveau.121 Auffällig ist der große Unterschied zwischen Ein- und Mehrverdienerhaushalten in Italien. Obwohl hier traditionell das Einverdiener-Modell dominiert, so dass eigentlich familiengerecht hohe Löhne zu erwarten wären, reicht ein einzelnes Erwerbseinkommen nicht aus, um italienische Familien auf ein durchschnittliches Einkommensniveau zu bringen. Alleinverdienerhaushalte erreichen nicht einmal eine höhere Einkommensposition als Haushalte, die über kein oder nur ein reduziertes Erwerbseinkommen verfügen. Sobald hingegen beide Partner erwerbstätig sind, verbessert sich die Einkommensposition deutlich und liegt auch im Ländervergleich am höchsten. Die Betrachtung der Veränderungen der Einkommensposition ergibt kein für alle Haushaltstypen oder Länder einheitliches Bild. Am unstetigsten verlief die Entwicklung für Haushalte, in denen ein Partner vollzeit-, der andere teilzeitbeschäftigt war. In Deutschland verschlechterte sich die Einkommensposition von Haushalten mit diesem Erwerbsmuster nach 1994 deutlich, während sie sich in Frankreich und Schweden verbesserte. Die Einkommenslage von Haushalten, die über keinerlei Erwerbseinkommen verfügen, hat sich in allen Ländern mit Ausnahme Italiens verbessert. Das spricht für eine ungebrochene bzw. sogar gestiegene Kompensationswirkung sozialstaatlicher Transferzahlungen (vgl. Kapitel 7.2.2). Wie verbreitet dennoch Armutsrisiken für Familien sind, untersucht der folgende Abschnitt.
121 Die Angaben für Frankreich zu den Haushalten, in denen nur ein Partner teilzeitbeschäftigt ist, sind aufgrund der geringen Fallzahlen zweifelhaft und werden deswegen nicht näher interpretiert.
252
7 Transferleistungen für Familien
Abbildung 7.7: Durchschnittliche Einkommensposition nach Erwerbsmuster der Paare 10
hoch 9
Einkommensdezil
8 7 6 5 4 3 2
niedrig 1
1994
2001
1994
Deutschland
2001
Frankreich
1994
2001
1997
Italien
2001
Schweden
Kein Erwerbseinkommen
1* Teilzeit
1* Vollzeit
Vollzeit+Teilzeit
2* Vollzeit Bevölkerungsschnitt
Erläuterung: Die Einkommensposition ergibt sich aus dem durchschnittlichen Rang des Einkommensdezils (auf Basis aller Privathaushalte) für einen Familientyp. Der Mittelwert über alle Haushalte liegt bei 5,5. Dieser ist durch die gestrichelte Linie angezeigt. Quelle: ECHP 1994-2001, Paarhaushalte im Alter zwischen 16 und 64 Jahren
7.2.3 Kinderarmut Während die Altersarmut in den meisten Ländern Europas aufgrund des Ausbaus der Rentenversicherungssysteme sowie des relativ stetigen Wohlstandszuwachses in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen ist,122 alarmiert die seit geraumer Zeit zunehmende Armut von Familien mit Kindern immer stärker die Öffentlichkeit (Bundesministerium für Familie 2006; Die Bundesregierung 2005). Die Gründe 122 Die Armutsquote älterer Menschen liegt allerdings in vielen Ländern weiterhin über der Quote des Bevölkerungsdurchschnitts (Smeeding und Sandström 2005).
7.2 Die Einkommenssituation von Familien
253
dafür liegen zum einen im Wandel der Familienstrukturen mit steigenden Anteilen alleinerziehender Elternteile oder wechselnder Partnerschaften. Zum Zweiten waren Wohlstandsgewinne der Familien seit den 1970er Jahren meist der Erwerbstätigkeit beider Partner geschuldet. Mit zunehmender Arbeitslosigkeit und schrumpfendem Wirtschaftswachstum verschlechterten sich aber in den 1980er und frühen 1990er Jahren die Erwerbschancen, so dass sich insbesondere für kinderreiche Familien die Einkommensposition verschlechterte und die Armutsgefährdung stieg (Hagenaars et al. 1996; Palmer et al. 1988). In unserem Beobachtungszeitraum seit den 1990er Jahren ist allerdings kein einheitlicher Trend der Entwicklung der Kinderarmut in Europa zu verzeichnen. Begleitet von sozialpolitischen Maßnahmen war das Armutsrisiko von Familien mit Kindern in einigen Ländern sogar rückläufig (Oxley et al. 2001). Vor allem in den nordischen Ländern, in denen eine hohe Arbeitsmarktintegration mit großzügigen sozialstaatlichen Transfers für Familien einhergeht, ist Kinderarmut selten. In südeuropäischen Ländern, wo die Erwerbstätigkeit von Müttern seltener ist und die staatliche Armutsbekämpfung weniger intensiv, finden sich hingegen die höchsten Armutsraten in Westeuropa (Bradbury und Jäntti 1999; Bradshaw 2000). Auch die auf Basis der ECHP-Daten für das Jahr 2001 ermittelten Armutsgefährdungsquoten zeigen diese länderspezifischen Unterschiede. Berücksichtigt man weitere Indikatoren wie die Intensität und Dauerhaftigkeit der Armut, so verstärken sich die Unterschiede sogar noch (Tabelle 7.6). Italien hat nicht nur die höchste Quote von Familien mit Kindern, deren Einkommen unterhalb der Grenze relativer Einkommensarmut bleibt, sondern auch die Armutslücke, die arme Familienhaushalte von der Armutsgrenze trennt, ist dort am größten. Für mehr als ein Sechstel der italienischen Familien hat sich die Armut überdies als langfristiges bzw. chronisches Phänomen verfestigt. Zudem ist das Armutsrisiko italienischer Familien mit Kindern weit höher als im Bevölkerungsdurchschnitt. Völlig anders stellt sich die Lage von Familien mit Kindern in Schweden dar. Hier geht eine unterdurchschnittliche Armutsquote mit einer geringen Armutslücke einher. Deutschland und Frankreich liegen zwischen diesen beiden Extremfällen und erreichen hinsichtlich der Armutslücke und der Persistenz von Armut ein ähnliches Niveau. Unterschiede zwischen beiden Ländern ergeben sich vor allem bei der Quote der Armut, denn in Deutschland sind Kinder seltener von Armut betroffen als in Frankreich. In beiden Ländern tragen Familien mit Kindern aber im Jahr 2001 ein überproportionales Armutsrisiko, gemessen am Bevölkerungsdurchschnitt. Auch das Risiko dauerhafter Armut hat sich relativ zur Gesamtbevölkerung vergrößert.
254 Tabelle 7.6:
7 Transferleistungen für Familien
Kinderarmut Gruppe
Deutschland
Frankreich
Italien
Schwedenc
Armutsquote
Armutslücke
Armutspersistenz
1994
2001
1994
2001
Gesamt
13,5
10,4
34
25
1994-97 7,3
1997-01 5,5
Kinderarmut
12,4
11,1
28
21
6,2
6,2
Gesamt
16,3
13,9
32
25
9,8
8,4
Kinderarmut
16,0
15,3
27
21
9,5
8,8
Gesamt
20,8
18,5
38
31
13,5
12,7
Kinderarmut
25,7
22,1
39
32
20,2
17,1
Gesamt
8,2
9,8
30
28
-
-
Kinderarmut
6,4
7,3
21
18
-
-
Erläuterung: Als Armutsgrenze gilt 60 Prozent des Medians des Haushaltsäquivalenzeinkommens c Die schwedischen Daten beziehen sich auf das Jahr 1997 statt 1994. Die Armutspersistenz kann zudem nicht ausgewiesen werden, da keine Paneldaten zur Verfügung stehen. Quelle: ECHP 1994-2001
Die länderspezifischen Unterschiede haben sich in jüngster Zeit angeglichen. Während die Kinderarmut in Deutschland, Frankreich und Italien seit 1994 laut ECHP-Daten zurückging, ist sie in Schweden gestiegen. Gemessen am nationalen Durchschnittsniveau der Armut, verbesserte sich die relative Position von Familien mit Kindern nur in Italien und Schweden. In allen Ländern ist aber die Armutslücke kleiner geworden. Die damit signalisierte Verringerung der Intensität oder Tiefe der Armut zeigt sich nicht nur für Familien mit Kindern, sondern auch für die als arm klassifizierten Haushalte insgesamt. Eine Differenzierung nach Haushaltstypen (Abbildung 7.8) ergibt sehr unterschiedliche Verteilungsmuster der Armutsrisiken. Wie schon bei der Analyse der Einkommensposition angedeutet, sind es in Deutschland, Frankreich und Schweden insbesondere Alleinerziehende, die dem Armutsrisiko ausgesetzt sind. Für Deutschland fällt aber auch auf, dass die ECHP-Daten einen Rückgang der Armutsgefährdungsquote Alleinerziehender seit 1994 ergeben. Allerdings ist deren Armutsrisiko nach wie vor höher als das der anderen Haushalte. In Italien ist das Armutsrisiko insbesondere für kinderreiche Familien hoch. Die erhöhte Armutsgefährdung von Paaren mit zwei Kindern ist ein in keinem der drei ande-
7.2 Die Einkommenssituation von Familien
255
ren Länder zu findendes Spezifikum Italiens. Das italienische Syndrom einer hohen Armutsgefährdung von Haushalten mit mehreren Kindern sowie einer schwachen Arbeitsmarktverankerung von Familien - die sich oben im Anstieg des Anteils von Einverdienerhaushalten sowie in der schlechten Einkommensposition dieser Haushalte zeigte - lässt die Lage der italienischen Familien als alarmierend erscheinen. Da gleichzeitig auch die staatlichen Transferleistungen für Familien gering sind, ist die niedrige Geburtenrate des Landes von 1,34 Kindern pro Frau (2005) alles andere als erstaunlich (European Data Service 2007). In Deutschland und Frankreich sind neben den Alleinerziehenden auch Großfamilien mit drei und mehr Kindern einem überproportionalen Armutsrisiko ausgesetzt. Die hohen Kindergeldleistungen Frankreichs für kinderreiche Familien reichen offenbar nicht aus, um Großfamilien wirksam vor Armut zu schützen. Hauptgrund dafür ist die starke Reduktion der Erwerbsbeteiligung in Haushalten mit hoher Kinderzahl (vgl. Abbildung 7.3). In Schweden sind zwar die gleichen Haushaltstypen vermehrt von Armut betroffen, aber die Unterschiede im Grad der Armutsgefährdung einzelner Haushaltstypen sind weitaus geringer als in den anderen Ländern. Die doppelte Absicherung durch die Erwerbstätigkeit beider Partner einerseits und relativ hohe staatliche Transferzahlungen andererseits bewahrten schwedische Familien recht wirksam vor relativer Einkommensarmut. Die recht günstige Lage schwedischer Familien schlägt sich auch in der mit 1,94 Kindern pro Frau vergleichsweise hohen Geburtenziffer des Landes im Jahr 2005 nieder (European Data Service 2007). Die Veränderungen über die Zeit verliefen in Schweden und Italien für alle Haushaltstypen ähnlich. Damit verteilt sich auch die leichte Zunahme der Kinderarmut in Schweden gleichförmig auf alle Haushaltstypen. In Deutschland resultiert der Rückgang der Kinderarmut im Wesentlichen aus der verbesserten Situation Alleinerziehender. Dazu beigetragen haben die Neuregelungen im Familienlastenausgleich, die Alleinerziehenden mit geringen Einkommen über Erziehungsgeld, Kindergeld und Sozialhilfe eine deutliche Erhöhung ihrer Einkommen ermöglicht haben (Deutsche Bundesbank 2002). Das ändert jedoch nichts an zwei Tatsachen: Erstens ist das Armutsrisiko alleinerziehender Elternteile immer noch höher als das anderer Haushaltstypen, und zweitens ist das Armutsrisiko Alleinerziehender in Deutschland nach wie vor höher als in den anderen Ländern, so dass hier immer noch sozialpolitischer Nachholbedarf besteht. Auffallend ist in Deutschland ferner, dass sich das Armutsrisiko von Paaren mit Kindern seit 1994 erhöht hat. In Frankreich hat sich die Armutssituation nur für Familien mit einem Kind unter 16 Jahren verbessert. Alle anderen französischen Familien mit Kindern sind 2001 häufiger von Armut betroffen als 1994.
256
7 Transferleistungen für Familien
Armutsgefährdungsquote (60 % des Medianeinkommens)
Abbildung 7.8: Armutsquoten nach Haushaltstyp 60
50
40
30
20
10
0 1994
2001
Deutschland
1994
2001
1994
Frankreich
2001 Italien
1997
2001
Schweden
Allein erziehend
Paar ohne Kinder
Paar 1 Kind
Paar 2 Kinder
Paar 3 und mehr Kinder
Bevölkerungsdurchschnitt
Quelle: ECHP 1994-2001
Die unterschiedliche Bedeutung, die staatliche Transferzahlungen für das Einkommen von Familien mit Kindern haben, zeigt die Abbildung 7.9. Sie stellt dar, in welchem Maße sozialstaatliche Transferzahlungen das Armutsrisiko senken.123 Drei Aspekte sind hier besonders erwähnenswert: 1.
In Schweden reduzieren Transferzahlungen das Armutsrisiko von Familien in sehr viel stärkerem Maße als in den anderen Ländern. Auch in Deutschland und Frankreich wäre die Quote relativer Einkommensarmut von Familien mit Kindern deutlich höher, wenn es keine staatlichen Sozialleistungen gäbe.
123 Zu berücksichtigen ist, dass solche Darstellungen insofern hypothetischer Natur sind, als sie zwar die Markteinkommen unter Ausblendung der Transferzahlungen erfassen, dabei aber unterstellen, dass in einer Welt ohne Transferzahlungen die Abgabenlast genauso aussähe. Insofern ist der Vergleich von Nettoeinkommen vor und nach der staatlichen Umverteilung nicht ganz realitätsgerecht und mit Vorsicht zu interpretieren.
7.2 Die Einkommenssituation von Familien
2.
3.
257
Die armutsreduzierende Bedeutung der sozialen Transferzahlungen hat in Deutschland in jüngster Zeit zugenommen, während sie in den anderen Ländern zurückging. In Italien spielen die staatlichen Transferzahlungen für die Bekämpfung der Armut von Kindern nur eine vergleichsweise geringe und überdies schrumpfende Rolle. Insofern versagt der italienische Sozialstaat fast völlig vor der Aufgabe, die Armutsquote der Familien zu senken.
Zu bedenken ist, dass der hier gewählte relative Armutsindikator auch von der Einkommensverteilung eines Landes insgesamt abhängig ist. Je ungleicher die Einkommen in einem Land verteilt sind, desto klarer trennt die Armutsgrenze einkommensschwache von einkommensstarken Haushalten und desto höhere Einkommenssteigerungen sind nötig, um über die Armutsgrenze zu gelangen, was sich in einer relativ großen Armutslücke ausdrückt. In Schweden ist die Einkommensverteilung weniger ungleich als in den anderen Ländern. Deshalb erklärt sich die deutliche Armutsreduktion nicht nur aus den großzügigen staatlichen Leistungen, sondern auch aus dem relativ geringen Abstand der armen Haushalte zur Armutsgrenze. Ganz anders ist die Situation in Italien. Hier trägt neben den geringen staatlichen Transferzahlungen auch die größere Einkommensungleichheit dazu bei, dass die gewährten Sozialtransfers nur eine geringe Auswirkung auf die Armutsquote haben. Der Zeitvergleich zeigt, dass staatliche Leistungen für die Verminderung der relativen Einkommensarmut von Familien nur in Deutschland an Bedeutung gewinnen. Die Abnahme der Kinderarmut zwischen 1994 und 2001 ist zumindest teilweise durch eine Zunahme der staatlichen Transferleistungen zu erklären, die sich im Wesentlichen durch die Veränderung des Familienlastenausgleichs ergab. Umgekehrt erklärt sich die Zunahme der Kinderarmut in Schweden vor allem durch den Rückgang an Sozialleistungen für Familien im unteren Einkommensbereich. In Frankreich und vor allem in Italien reduzierte sich das Armutsrisiko trotz verminderter staatlicher Unterstützungsleistungen, was auf eine verbesserte Arbeitsmarktintegration der Familien im niedrigen Einkommensbereich hindeutet.
258
7 Transferleistungen für Familien
Armutsgefährdungsquote (60% des Medianeinkommens)
Abbildung 7.9: Armutsreduktion durch Sozialtransfers 35
30 2
6 25
1
5
1 3 20
8
8
4
12
26 22
10 16 5
10
12
7
4 15
1
12
11
15
11 6
7
1997
2001
0 1994
2001
Deutschland
1994
2001
Frankreich
Armutsquote (nach Sozialtransfers)
1994
2001 Italien
Schweden
Reduktion durch andere Sozialtransfers
Reduktion durch Familienleistungen
Quelle, ECHP 1994-2001
7.3 Private Transfers an die Kinder Die Ungleichverteilung sozialstaatlicher Leistungen für verschiedene Altersgruppen wird in dem Maße ausgeglichen, wie es private Transfers in die gegenläufige Richtung gibt (Attias-Donfut und Wolff 2000). So wird die Umverteilung von Erwerbstätigen zu Rentnern in der Rentenversicherung in einem gewissen Maße konterkariert, wenn die Älteren einen Teil ihrer Alterseinkünfte an junge Menschen zurückübertragen.124 In diesem Abschnitt untersuchen wir die Zahlungen, die ältere Eltern an ihre erwachsenen Kinder und Enkel leisten, sowie die
124 Selbst wenn der Wohlstandszuwachs unter den meisten älteren Menschen auch für den eigenen Konsum ausgegeben wird, so wird dadurch die Nachfrage angeregt und die wirtschaftliche Wertschöpfung erhöht, die auch den Jüngeren zugutekommt.
7.3 Private Transfers an die Kinder
259
Höhe der Erbschaften, mit denen die jüngere Generation rechnen kann.125 Zwei Fragen stehen dabei im Mittelpunkt: Wie verbreitet sind intergenerationale Transfers von Eltern an Kinder, und wie sind sie über verschiedene Einkommenspositionen hinweg verteilt? Nationale Studien haben wiederholt herausgestrichen, dass Eltern ihre erwachsenen Kinder in beträchtlichem Ausmaß unterstützen und dass die Familie bei finanziellen Schwierigkeiten einen großen Rückhalt darstellt (Arrondel und Masson 2001; Attias-Donfut et al. 2005; Kohli 1999; Motel und Szydlik 1999; Saraceno et al. 2005). Die Altersgruppe der über 65-Jährigen konnte dank langer Jahre der Prosperität und des Friedens seit der Mitte des 20. Jahrhunderts einen beträchtlichen Wohlstand anhäufen, der in Form von Kapital- und Immobilienvermögen in den nächsten 20 bis 30 Jahren an die Kinder übertragen werden wird (Hauser 2004; Lauterbach und Lüscher 1996; Munnell und Sunden 2003). Der immer wieder behaupteten Rentnerzentrierung europäischer Sozialstaaten steht somit die Kinderzentrierung familiärer Austauschprozesse gegenüber. Dabei ist allerdings auch zu beachten, wie ungleich verteilt die Einkommen und vor allem die Vermögen sind, die an die nachrückende Generation verteilt werden (Becker und Hauser 2003; Motel-Klingebiel 2006; Stein 2004). Während sich der sozialstaatliche Verteilungsprozess an einer Bedarfslogik orientiert, dominiert bei privaten intergenerationalen Transfers eher das Matthäusprinzip. Zwar erhalten innerhalb der Familien finanziell schlechter gestellte Kinder meist mehr Unterstützung zu Lebzeiten der Eltern als ihre besser situierten Geschwister (Ikkink et al. 1999)126, aber das ändert nichts am hohen Grad der Ungleichheit zwischen verschiedenen Familien. Eltern mit geringen Einkommen aus abhängiger Erwerbstätigkeit, die es schwer hatten, Vermögenswerte aufzubauen, können auch nur wenig an ihre Nachkommen weitergeben. Deshalb haben ausgleichende Transferzahlungen zwischen den Generationen den Effekt, die Ungleichheit innerhalb der Generationen zu stabilisieren oder gar zu vergrößern (Bowles und Gintis 2002). Wie umfangreich intergenerationale Transfers sind und wie ungleich sie verteilt sind, kann in der Regel nur mithilfe sehr detaillierter Umfragen erfasst werden. Leider stehen uns keine komparativen Daten zur Verfügung, die einen Vergleich über die Zeit erlauben. Studien mit differenzierter Einkommenserhebung wie die Luxembourg Income Study (LIS) oder das hier meist verwendete European Community Household Panel (ECHP) beinhalten zu privaten Transfers nur einen Frageabschnitt, der sich im Wesentlichen auf die regelmäßigen Unterhaltszahlungen konzentriert. Da weite Teile der Transfers Einmalzahlungen 125 Die umgekehrte Richtung der finanziellen Unterstützung von den Kindern an die Eltern wurde bereits in Kapitel 5.3 untersucht. 126 Erbschaften werden hingegen oft auf mehrere Kinder oder Erbparteien gleich verteilt wird, so dass vorher konzentriertes Vermögen breiter gestreut wird (Kohli et al. 2005; Szydlik 2004),
260
7 Transferleistungen für Familien
darstellen, die an bestimmte Ereignisse gebunden sind (Bhaumik 2001) oder zumindest unregelmäßig gegeben werden, vermittelt diese Form der Erfassung ein unzureichendes Bild. Die hier verwendeten Daten des Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe (SHARE) erfassen die privaten finanziellen Transfers in den letzten zwölf Monaten und berücksichtigen auch, an welche Personengruppe die Zahlungen geleistet werden. Allerdings wurden nur Transfers berücksichtigt, welche in der Summe 250 Euro überstiegen. Da kleinere Zuwendungen damit ausgeblendet bleiben, wird die Gesamthöhe der Schenkungen von Eltern an Kinder unterschätzt. In einer Arbeit von Reil-Held (2002), die verschiedene Studien über intergenerationale Transfers in Deutschland um das Jahr 2000 vergleicht, macht die Autorin deutlich, wie groß die Schwankungsbreite der Ergebnisse ist, je nachdem wie spezifisch die Fragestellung bestimmten Transfersituationen nachging und wie der Grenzwert bestimmt wurde, ab dem eine Zahlung erfasst wird. Der Anteil der Eltern, die ihre Kinder finanziell unterstützen, schwankt demnach zwischen 15 und 60 Prozent. Die hier präsentierten Daten geben aufgrund der hohen Eingangsgrenze und des beschränkten Erfassungszeitraums zweifellos nur einen Teil der Transferzahlungen älterer Menschen wieder, bieten aber zumindest einen Einblick in das Ausmaß substanzieller Unterstützungsleistungen. Sie erfassen allerdings nicht, was einzelne Kinder und Enkel erhalten, sondern was ältere Eltern, die Kinder haben, den Nachkommen geben. Das ermöglicht aber immerhin die Kalkulation von Pro-Kopf-Leistungen je Kind oder Enkel. Tabelle 7.7 zeigt die Häufigkeit und durchschnittliche Höhe von Transferzahlungen älterer Eltern an ihre Kinder oder Enkel. Deutlich wird ein zwiespältiger Befund: Zum einen leisten viele Eltern keine Unterstützung, zum anderen ist die Hilfe, wenn sie geleistet wird, von beträchtlicher Höhe. Über zwei Drittel der älteren Menschen, die Kinder haben, leisten gar keine oder allenfalls nur geringe Zahlungen an ihre Nachkommen. Auch jene Eltern, die angeben, ihren Kindern finanziell unter die Arme zu greifen, geben nicht allen Nachkommen gleichermaßen Geld. So erhält etwa ein Viertel der Kinder von Eltern, die über Zahlungen berichten, keine oder nur ganz geringe Hilfen. Andererseits ist die Höhe der jährlich erhaltenen Unterstützung pro Kind hoch und liegt in Frankreich sogar bei einem durchschnittlichen Monatseinkommen. Außerdem gibt es teilweise sehr hohe Schenkungen zu bestimmten Anlässen wie etwa Hochzeit, Geburt eines Enkels oder Eigentumserwerb der Kinder. Solche hohen finanziellen Hilfen sind zwar nicht häufig, aber es kann davon ausgegangen werden, dass ein weitaus größerer Teil der Kinder als Empfänger erfasst würde, wenn der Referenzzeitraum über die hier erfassten letzten zwölf Monate hinausgehen würde.
261
7.3 Private Transfers an die Kinder
Das Ausmaß der Unterstützung variiert von Land zu Land beträchtlich und ist nirgends so weitverbreitet wie in Deutschland. Knapp ein Drittel der deutschen Eltern im Ruhestandsalter leistet den Kindern oder Enkeln finanzielle Unterstützung. Dabei werden Enkel sogar häufiger als Empfänger von Zahlungen genannt als Kinder.127 Der durchschnittliche Betrag, der pro Kind oder Enkel empfangen wird, ist allerdings in Deutschland am niedrigsten. Dies liegt vor allem daran, dass Enkel im Schnitt weniger erhalten als die Kinder. Vergleicht man nur die Zahlungen an die Kinder, so sind sie in Deutschland mit 1000 Euro auf ähnlichem Niveau wie in Italien und Schweden. Nur in Frankreich erhalten die Kinder rund doppelt so viel. Tabelle 7.7: Land
Finanzielle Transfers von den älteren Eltern an die Kinder keine oder geringe Transfers (<250 €) c
Kinder erhalten Transfers d
Enkel erhalten Transfers d
Betrag in € pro Kind oder Enkel (Median)
Deutschland
68,3
17,0
17,8
600
Frankreich
83,5
13,1
4,3
1500
Italien
82,9
13,1
5,0
1000
Schweden
75,2
19,5
8,0
650
c Finanzielle Transfers werden nur erfasst, wenn sie innerhalb von 12 Monaten 250 Euro übersteigen. d Einige Eltern geben sowohl Geld an die Kinder als auch an ihre Enkel. Deshalb addieren sich die Prozentanteile nicht zu 100 Prozent auf. Quelle: SHARE 2003
In Schweden zahlt ein Viertel der älteren Eltern Unterstützungen an Kinder oder Enkel. Leistungen für Kinder kommen sogar noch häufiger vor als in Deutschland, aber schwedische Enkel werden deutlich seltener unterstützt. In Frankreich und Italien unterstützt nicht einmal jedes fünfte Elternpaar die Nachkommen finanziell. In beiden Ländern sind aber die durchschnittlichen Unterstützungsleistungen höher als in Deutschland oder Schweden. Die großzügigere Hilfe der Eltern zeigt sich auch dann noch, wenn die niedrigeren Transfers an die Enkel unberücksichtigt bleiben, die in Deutschland und Schweden dazu beitragen, den Medianwert zu senken. Für Italien ist zu berücksichtigen, dass ein großer Teil der erwachsenen Kinder noch zusammen mit den Eltern lebt (vgl. Kapitel 4.3.1). 127 Dies ist umso bemerkenswerter, da davon ausgegangen werden kann, dass ein Teil der Transfers an die Kinder mit einem Enkel in Verbindung steht, so z.B. im Falle eines Mietzuschusses für eine größere Wohnung.
262
7 Transferleistungen für Familien
Die Eltern tragen dann häufig die Wohnkosten sowie auch einen Teil der weiteren Kosten des Lebensunterhalts, aber diese Unterstützungsleistungen sind in den hier berichteten Zahlen nicht enthalten (Tomassini et al. 2003). Insofern lässt sich auch nicht behaupten, dass Eltern in Schweden ihre Kinder häufiger unterstützen als in Italien; sie tun es vermutlich nur auf eine andere Art (vgl. (Silverstein und Litwak 1993). Auch in Deutschland sind die Hilfen von Eltern an Kinder umfangreicher als in der Tabelle dargestellt und müssten für Vergleichszwecke angehoben werden, weil hier nicht nur finanzielle Transferzahlungen am häufigsten sind, sondern die Eltern auch oft mit den Kindern gemeinsam in einem Haus leben und sie somit unterstützen. Abbildung 7.10: Finanzielle Transfers an die Kinder nach Einkommensposition
Anteil der Eltern, die Transfers an Kinder leisten
60
50
40
30
20
10
0 1
2
3
4
5
Einkommensquintile Deutschland
Frankreich
Italien
Schweden
Quelle: SHARE 2003
Schenkungen sind stark von der Einkommenslage der Eltern abhängig und deshalb sehr ungleich verteilt (Jürges 1999). Im unteren Einkommensquintil leisten nur 10 bis 20 Prozent der Eltern Transfers im hier erfassten Umfang an die Kin-
7.3 Private Transfers an die Kinder
263
der, während es im höchsten Einkommensquintil – je nach Land – 25 bis 50 Prozent der Eltern sind (Abbildung 7.10). Die größten Verteilungsungleichheiten ergeben sich in Deutschland und Italien. Dort verdoppeln bis verdreifachen sich die Transfers zugunsten der Kinder beim Übergang von der niedrigsten zur höchsten Einkommensposition. Da die hier nicht erfassten kleineren Zahlungen im unteren Einkommensbereich häufiger sind, dürften die SHARE-Daten den Grad der Ungleichheit allerdings überzeichnen. Private Schenkungen zwischen den Generationen verlaufen somit zwar entgegengesetzt zur Richtung sozialstaatlicher Transfers, können ob ihres relativ geringen Umfangs aber kaum als wirksames Gegengewicht gesehen werden. Für viele Eltern im Rentenalter reicht das Einkommen nicht aus, um ihre Kinder in nennenswertem Maße finanziell zu unterstützen. Allerdings ist die Unterstützung auch oft kaum erforderlich, weil die Kinder oft schon in einem Alter sind, in dem sie sich bereits beruflich etabliert haben und über ausreichende Eigenmittel verfügen (Barbagli et al. 2004). Das Bild der privaten Transferströme zwischen den Generationen bliebe höchst unvollständig, würde nicht auch der Vermögenstransfer über Erbschaften berücksichtigt. Tabelle 7.8 zeigt aus der Sicht der über 65-jährigen Eltern, wie hoch sie die Wahrscheinlichkeit einschätzen, ein Erbe zu hinterlassen.128 Die Befragten sollten nicht nur einschätzen, ob sie eine Erbschaft in einer gewissen Höhe hinterlassen, sondern auch mit welcher Wahrscheinlichkeit. Nur die Angaben in der zweiten und dritten Spalte der Tabelle entsprechen dem Personenanteil in den Länderstichproben. In den Spalten vier bis sechs wird der Personenanteil je Erbhöhe wiedergegeben, allerdings gewichtet um die Wahrscheinlichkeit, dass diese Erbhöhe auch erreicht wird. Der Effekt, der sich durch die Gewichtung ergibt, lässt sich zwischen Spalte drei und vier für sämtliche Erbschaften vergleichen. Im Unterschied zu den recht seltenen Schenkungen zu Lebzeiten gibt eine deutliche Mehrheit der Eltern an, wahrscheinlich ein Erbe zu hinterlassen. Selbst wenn die Angaben mit der Erbwahrscheinlichkeit gewichtet werden, sind es immer noch 70 Prozent der über 65-Jährigen, die davon ausgehen, Vermögen zu hinterlassen.129
128 Dabei ist uns bewusst, dass Erbschaften nicht ausschließlich den Kindern zufließen, aber im Regelfall darf man wohl unterstellen, dass sie den Hauptteil des Erbes erhalten. Die Erbhöhe ist insgesamt angegeben und nicht durch die Anzahl der Kinder geteilt, so dass die Erbschaftserwartungen je Kind niedriger ausfallen werden. 129 Die Gewichtung bewirkt, dass z.B. Personen, die angeben, mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit ein Erbe zu hinterlassen, nur zur Hälfte als Erblasser gezählt werden.
264 Tabelle 7.8:
7 Transferleistungen für Familien
Erwarteter Erblass älterer Menschen, gewichtet mit der subjektiven Wahrscheinlichkeit, dass diese Erbhöhe eintreten wird
Land
Kein Erbe
Erbe überhaupt (Anteil)
Erbe überhaupt (gewichtet)
Erbe über 50.000 € (gewichtet)
Erbe über 150.000 € (gewichtet)
Deutschland
15,6
84,4
70,3
49,1
34,4
Frankreich
14,4
85,6
73,4
58,3
37,5
Italien
18,6
81,4
68,9
56,9
43,6
Schweden
7,2
92,8
77,7
55,6
27,1
Quelle: SHARE 2003
Schweden fällt als das Land mit der größten Vererbungswahrscheinlichkeit und gleichzeitig auch der größten Gleichheit der Erbschaften auf, in dem sehr hohe Erbschaften relativ selten bleiben. Mehr als 90 Prozent der Schweden gehen davon aus, ein Erbe zu hinterlassen. Die Erbmasse liegt allerdings bei der Mehrheit deutlich unter 150.000 Euro. In Italien ist die Situation genau umgekehrt. Fast 20 Prozent der älteren Italiener schätzen, dass sie nicht in der Lage sein werden, ihren Nachkommen ein Erbe zu vermachen – der höchste Wert im Ländervergleich. Andererseits ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass das Erbe 150.000 Euro übersteigen wird, in Italien am größten. Diese Zahlen spiegeln sehr gut die höchst ungleichen Einkommensverhältnisse innerhalb Schwedens und Italiens wider, wie sie etwa durch den GINI-Koeffizienten ausgedrückt werden.130 Die geringere Einkommens- und Vermögensungleichheit in Schweden überträgt sich auch in niedrigere Erbschaften, die dafür aber weitverbreitet sind. Die intergenerationale Transmission sozialer Ungleichheit bleibt damit in Schweden relativ gering. In Italien wird die Ungleichheit der Einkommens- und Vermögensverteilung hingegen durch Erbschaften eher verstärkt als abgeschwächt. Deutschland und Frankreich liegen hinsichtlich der Verteilung der Erbschaften näher beim italienischen als beim schwedischen Pol. In beiden Ländern glauben ungefähr 15 Prozent der Eltern nicht, dass sie eine Erbschaft hinterlassen werden, und gleichzeitig liegt die Erbwahrscheinlichkeit eines großen Vermögens bei weit über 30 Prozent. 130 Der Gini-Koeffizient ist ein Maß für die Einkommensungleichheit. Er schwankt zwischen 0 und 100. Null bedeutet, dass alle in der Bevölkerung das gleiche Einkommen haben, und 100 bedeutet, dass alle bis auf eine Person kein Einkommen haben. In Italien liegt der GiniKoeffizient 2005 bei 33, in Schweden bei 23. Deutschland und Frankreich liegen dazwischen mit einem Wert von 28 (European Data Service 2007).
7.3 Private Transfers an die Kinder
265
Ein Vergleich der Erbwahrscheinlichkeit und Erbhöhe nach Einkommenspositionen bekräftigt die Einschätzung der Ungleichverteilung intergenerationaler Transfers (vgl. Abbildung 7.11.1-4). In allen Ländern gilt, dass eine Erbschaft in niedrigeren Einkommensschichten unwahrscheinlicher ist und auch deutlich niedriger ausfällt als in höheren Schichten. Über dieses schwerlich überraschende Muster hinaus ergeben sich aber auch einige länderspezifische Befunde, die zum Teil kontraintuitiv sind. So sind Erbschaften in Italien zwar sehr ungleich verteilt, aber gleichzeitig bestimmt das Einkommen der Eltern die Höhe der Erbschaft nur relativ schwach, so dass z.B. eine Erbschaftserwartung von 150.000 Euro auch für Personen im untersten Einkommensquintil viel wahrscheinlicher ist als in den anderen drei Ländern. Gleichzeitig unterscheiden sich die Erbschaftserwartungen von Personen mit höheren und niedrigeren Einkommen in Italien am wenigsten.131 In Deutschland, Frankreich und Schweden schlagen die Einkommensunterschiede sehr viel stärker auf die Erbschaftserwartungen durch. Der höchste Gradient besteht in Deutschland (b=11,1), gefolgt von Frankreich (b=10,9) und Schweden (b=10,1). In diesen drei Ländern ist also das aktuelle Einkommen älterer Menschen ein guter Indikator für die künftige Vererbung von Vermögenswerten. Damit zeigt sich, dass nicht nur die Schenkungen, sondern auch die Erbhöhe und die Erbwahrscheinlichkeit stark vom Einkommen der Eltern abhängen. Gerade in Deutschland paart sich ein hoher Anteil elterlicher Leistungen mit einer im Ländervergleich auffallend starken Ungleichverteilung der Zahlungen. Der intergenerationale Transfer privater Unterstützungsleistungen der Familie schwächt somit zwar die soziale Ungleichheit zwischen den Generationen, verstärkt aber die Ungleichheit innerhalb der Generationen.
131 Das Maß ist hier die durchschnittliche Steigerung der Erbschaftserwartung zwischen den Einkommenspositionen auf Basis einer linearen Trendschätzung (für Italien: b=7.9). Die Einkommens- und Erbschaftsangaben für Italien könnten allerdings verzerrt sein, denn für das höchste Einkommensquintil ergeben sich niedrigere Erbwahrscheinlichkeiten als für das vierte Quintil mit einem deutlich niedrigeren Durchschnittseinkommen. Dieses unerwartete Muster findet sich nur in Italien, und es ist unklar, in welchem Maß es auf Mess- bzw. Datenfehler zurückgeht.
266
7 Transferleistungen für Familien
Abbildung 7.11: Erbwahrscheinlichkeit in Abhängigkeit von Erbhöhe und Einkommen 1. Deutschland
90
Erbwahrscheinlichkeit
80 70 60 50 40 30 5 20
4 3
10 2
0 >0
1 >50.000
Erbhöhe
>150.000
Einkommensquintile
267
7.3 Private Transfers an die Kinder
2. Frankreich
90
Erbwahrscheinlichkeit
80 70 60 50 40 30 5 20
4 3
10 2
0 >0
1 >50.000
Erbhöhe
>150.000
Einkommensquintile
268
7 Transferleistungen für Familien
3. Italien
90
Erbwahrscheinlichkeit
80 70 60 50 40 30 5 20
4 3
10 2
0 >0
1 >50.000
Erbhöhe
>150.000
Einkommensquintile
269
7.4 Fazit
4. Schweden
90
Erbwahrscheinlichkeit
80 70 60 50 40 30 5 20
4 3
10 2
0
Einkommensquintile >0
1 >50.000
>150.000
Erbhöhe
Quelle: SHARE 2003
7.4 Fazit In diesem Kapitel ging es um die Frage, in welchem Maße familienpolitische Maßnahmen die mit der Geburt von Kindern verbundenen Belastungen reduzieren und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für beide Eltern fördern. Darüber hinaus analysierten wir mithilfe von Individualdaten, wie verbreitet der Empfang sozialstaatlicher und privater Transferzahlungen ist, und welche Bedeutung er für das Familieneinkommen hat. Vier Einsichten sind besonders festzuhalten.
270 1.
7 Transferleistungen für Familien
Die unterschiedliche Förderung von Familien mit Kindern spiegelt sich in unterschiedlichen Armutsrisiken wider
Die Untersuchung der direkten Transferleistungen für Familien hat große länderspezifische Variationen ergeben. Nur Deutschland hat das Kindergeld in jüngster Zeit auch in Relation zu den Löhnen und Gehältern deutlich erhöht. Italien hat zwar die Leistungssätze für die Bezieher von niedrigen Erwerbseinkommen leicht gesteigert, bindet den Anspruch aber immer noch an die Erwerbstätigkeit. Frankreich und Schweden haben ihre Leistungen im untersuchten Zeitraum unverändert gelassen. In Deutschland, Schweden und Italien ist der Leistungsanspruch zwar im Prinzip für jedes Kind gleich, aber für Kinder mit höherem Geburtsrang gibt es Zusatzleistungen, die den Mehraufwand in Großfamilien decken sollen. Damit werden teilweise unwirksame Anreize gesetzt, die daran vorbeigehen, dass immer mehr junge Menschen gerade auf Erst- oder Zweitkinder verzichten. Frankreich ist das einzige Land, das nach Geburtsrang und Alter unterschiedliche Anspruchsrechte vorsieht und für das erste Kind nach wie vor gar kein Kindergeld bezahlt. Die unterschiedlichen Leistungen schlagen sich auch in Mikrodaten zur Einkommenssituation der Familien nieder. Neben den spezifischen Familienleistungen tragen aber auch andere Sozialtransfers zum Familieneinkommen bei, so dass in Schweden die staatliche Unterstützung über das Kindergeld hinaus noch einmal verdoppelt wird. Das ist neben der häufigen Erwerbstätigkeit beider Eltern einer der Gründe für die niedrige Kinderarmutsrate in dem skandinavischen Land. Der französische Sozialstaat, der häufig als Vorbild für seine hohen Familienleistungen für kinderreiche Familien zitiert wird (Bundesministerium für Familie 2006), senkt zwar die Armutsgefährdung von Kindern ebenfalls recht deutlich, aber dennoch bleibt das Armutsrisiko für französische Familien höher als in Deutschland oder Schweden, wozu neben dem staatlichen Verzicht auf Leistungen für das erste Kind auch unzureichende Markteinkommen kinderreicher Familien beitragen. In Deutschland ist das Armutsrisiko für Familien mit Kindern vor Bezug sozialstaatlicher Leistungen seit 1994 gestiegen, aber das deutlich erhöhte Kindergeld hat dennoch zu einem leichten Rückgang der Armutsquote nach Berücksichtigung aller Einkommen einschließlich der sozialstaatlichen Transfers geführt. Die italienische Steuer- und Transferpolitik richtet ihr Hauptaugenmerk zwar auf gering verdienende Eltern und Alleinerziehende, aber die bleiben dennoch oft vom Bezug von direkten Transferleistungen ausgeschlossen, weil sie die Anspruchsvoraussetzung der Erwerbstätigkeit nicht erfüllen können. Die italienische Familienpolitik zielt also nicht auf die Bekämpfung der Kinderarmut per se ab, sondern auf die Entlastung von Familien, die trotz Erwerbstätigkeit bedürftig bleiben. Die Folge davon ist, dass Kinderarmut in
7.4 Fazit
271
Italien am häufigsten zu finden ist und besonders Großfamilien mit mehreren Kindern trifft. 2.
Aktivierende Sozialpolitik trägt zur Vermeidung von Armut bei
Eine aktivierende Sozialpolitik, die auf die Arbeitsmarkteinbindung beider Partner setzt, ist ein probates Mittel zur Reduzierung des Armutsrisikos von Familien mit Kindern. Die vier Länder unterscheiden sich aber deutlich hinsichtlich der Anreize, die sie in ihrer Familienpolitik für die Erwerbstätigkeit beider Eltern setzen. Nur in Frankreich und Schweden ist das Steuersystem so gestaltet, dass eine Doppelerwerbstätigkeit steuerlich nicht bestraft wird. Deutschland und Italien belohnen hingegen hohe Lohnunterschiede zwischen den Partnern, so dass der Anreiz für Ehefrauen und Mütter, die Erwerbstätigkeit aufzugeben oder einzuschränken, groß ist. Der Anteil der Zweiverdienerhaushalte, in denen beide Partner vollzeiterwerbstätig sind, ist daher in Schweden und Frankreich hoch, in Deutschland und Italien hingegen sehr viel niedriger. Deutschland stellt aber insofern einen Mischtyp dar, als Paarhaushalte hier häufig die Vollzeitbeschäftigung des Mannes durch eine Teilzeitbeschäftigung der Frau ergänzen. In Italien dominiert hingegen fast ungebrochen das klassische Male-Breadwinner-Modell. Die Länderunterschiede sind besonders gravierend, wenn die Haushalte nach der Kinderzahl differenziert werden. Für Deutschland, Italien und auch Frankreich gilt, dass die Doppelerwerbstätigkeit beider Partner umso seltener ist, je mehr kleine Kinder (unter 15 Jahren) im Haushalt leben. In Schweden bleibt die Zahl der Kinder hingegen fast ohne messbaren Einfluss auf die Erwerbstätigkeit beider Eltern. Das unterscheidet das Land deutlich von Deutschland und Italien. In Italien variieren der Anteil der Einverdienerhaushalte und die geschlechtsspezifischen Muster der Arbeitsteilung am stärksten mit der Zahl der Kinder. In Deutschland ist die Quote voller Doppelerwerbstätigkeit der Eltern in Familien mit zwei und mehr Kindern am niedrigsten. Beide Länder weisen auch das größte Geschlechterungleichgewicht bei der häuslichen Arbeitsteilung auf. Je mehr Kinder im Haushalt leben, desto weniger wahrscheinlich ist es, dass die Mutter einer Erwerbsarbeit nachgeht. Die familienbezogenen Regelungen der Steuer- und Transferpolitik entfalten also eine starke Anreizwirkung für die Gestaltung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung. Noch bedeutender ist allerdings die Verfügbarkeit von Betreuungsmöglichkeiten, die im nächsten Kapitel untersucht wird.
272 3.
7 Transferleistungen für Familien
Vor allem Alleinerziehende sind vom Teufelskreis der Armut infolge der Exklusion vom Arbeitsmarkt und der Abhängigkeit von Transferzahlungen betroffen
Die Untersuchung der steuerlichen Be- und Entlastung von Familien hat ergeben, dass Familien mit Kindern in allen vier Ländern im Vergleich zu kinderlosen Paaren steuerliche Vorteile genießen. Deutschland fällt aber durch die vergleichsweise schwache Entlastung von Familien mit Kindern im Steuersystem auf. Hier zeigt sich eine mangelhafte Koordination verschiedener familienpolitischer Leistungen, denn dem vergleichsweise großzügigen Kindergeld stehen hohe Steuersätze und Sozialabgaben gegenüber. Vor allem der hohe Anteil an Sozialabgaben, die im Gegensatz zur Einkommensteuer keinerlei Familienkomponente enthalten, fällt im internationalen Vergleich auf. Frankreich zeichnet sich durch eine recht konsistente Politik der Unterstützung kinderreicher Familien und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf aus. Die steuerliche Entlastung für französische Familien ist am größten, wenn beide Partner erwerbstätig sind, und die Transferleistungen steigen mit der Anzahl und dem Alter der Kinder. Allerdings sind die französischen Kindergeldzahlungen zwischen 1992 und 2004 in Relation zum Durchschnittseinkommen gesunken. Besonderer Förderung bedürfen in allen Ländern Alleinerziehende. Auch wenn in Frankreich, Italien und Schweden Alleinerziehende quasi steuerfrei bleiben, ist ihre Abhängigkeit von staatlichen Transferzahlungen hoch und ihre Armutsgefährdung überdurchschnittlich. In Deutschland ist die Abgabenlast Alleinerziehender zwar auch geringer als die von Doppelverdienern ohne Kinder, aber im internationalen Vergleich fällt die Entlastung schwach aus, und Alleinerziehende sind hier ähnlich wie in Frankreich und Schweden am häufigsten von Armut betroffen, wobei der Unterschied zur Armutsquote der übrigen Familientypen hierzulande stärker ausfällt als in den anderen Ländern. 4.
Private Transfers zwischen den Generationen können das Problem der Armutsgefährdung von Familien mit Kindern nicht beheben
Private Transferleistungen von der älteren an die jüngere Generation sind sehr ungleich verteilt. Je höher das Einkommen der Eltern im Rentenalter ist, desto wahrscheinlicher ist es auch, dass sie ihren Kindern und Enkeln finanziell unter die Arme greifen. Der Umfang finanzieller Hilfen von Eltern an Kinder ist zwar deutlich höher als in umgekehrter Richtung, (vgl. Kapitel 5.3), aber es sind dennoch weniger als ein Drittel der Eltern, die ihre erwachsenen Kinder oder die Enkel binnen eines Jahres mit mehr als 250 Euro unterstützen. In Deutschland sind Schenkungen am weitesten verbreitet, wobei die Enkel noch häufiger Geld-
7.4 Fazit
273
geschenke erhalten als die Kinder. Die Generationenbande sind also in Deutschland sehr eng geknüpft, was sich auch am häufigen Zusammenleben in einem Haus zeigt. In Italien findet sich dagegen ein weit geringerer Unterstützungsgrad zugunsten der jüngeren Generation in Form von Schenkungen. Italiener im Seniorenalter unterstützen ihre Nachkommen aber oft in anderer Form, wie z.B. der teilweisen oder vollständigen Übernahme der Wohn- oder Lebenshaltungskosten, wenn die Kinder bei den Eltern wohnen – was in Italien häufiger und länger der Fall ist als in den anderen Ländern. Erbschaften sind ähnlich ungleich verteilt wie Schenkungen. Je niedriger das Einkommen der Eltern ist, desto wahrscheinlicher ist, dass sie gar kein oder nur ein geringes Erbe hinterlassen. Damit mildern Erbschaften zwar die Ungleichheit zwischen den Generationen, verfestigen aber intragenerationale Einkommens- und Vermögensungleichheiten. Insgesamt betrachtet, sind private Transfers von Eltern an Kinder als Kehrseite der Rentenzahlungen zwar ein wichtiger Aspekt der Umverteilung zwischen Generationen, aber zur Vermeidung von Armut unter Familien mit Kindern vermögen sie wegen der häufig nur geringen Summen und der höchst ungleichen Verteilung nur wenig beizutragen.
8.1 Familienbezogene Sachleistungen
275
8 Kinderbetreuung zwischen Familie und Staat
Dieses Kapitel untersucht, inwieweit die Betreuung von Kindern vorrangig in der Familie erfolgt oder vom Staat übernommen wird. Für die Erwerbstätigkeit von Frauen stellen Kinder nach wie vor das größte Hindernis dar. So ist die Beschäftigungsquote kinderloser Frauen deutlich höher als die von Müttern, die zudem, wenn sie erwerbstätig sind, eine geringere Arbeitszeit aufweisen (Uunk et al. 2005). Im Folgenden werden wir daher analysieren, inwieweit familienpolitische Maßnahmen zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf greifen und die Erwerbsbeteiligung von Müttern fördern. Im Vordergrund stehen drei Fragen: 1. 2.
3.
Inwieweit unterscheiden sich die Länder im Ausmaß der familienpolitischen Unterstützung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Inwieweit unterscheiden sich die Länder hinsichtlich des Ausmaßes, in dem Mütter ihre Erwerbstätigkeit bzw. ihre Arbeitszeit nach der Geburt eines Kindes reduzieren? Inwieweit stellen Großeltern und Väter eine Alternative zur öffentlichen Kinderbetreuung dar?
8.1 Familienbezogene Sachleistungen Bei familienbezogenen Sachleistungen handelt es sich in erster Linie um die staatliche Unterstützung der Kinderbetreuung. Zum einen sind dies die rechtlichen Regelungen, die eine bezahlte Abwesenheit vom Arbeitsplatz aufgrund von Kindererziehung ermöglichen (Elternzeit132), zum anderen die durch den Staat geleistete und/oder finanzierte Kinderbetreuung. Vorrangiges Ziel dieser Maßnahmen ist die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ihre Wirkung ist allerdings umstritten. Für die Elternzeit wird oft konstatiert, dass das Recht auf bezahlte Elternzeit die Frauenbeschäftigungsquote erhöht und Frauen die frühere Rückkehr in den Beruf ermöglicht (Ruhm 1998; Waldfogel et al. 1999). Ob die Inanspruchnahme von Elternzeit überdies aber auch die langfristigen Karriere132 Wir verwenden im Bericht die aktuelle deutsche Redewendung „Elternzeit“, die früher als Elternurlaub bezeichnet wurde. Im Englischen wird der Begriff „Parental leave“ benutzt.
276
8 Kinderbetreuung zwischen Familie und Staat
und Einkommenschancen mindert, wie beispielsweise Moss and Deven (1999) oder Blau und Ehrenberg (1999) argumentieren, wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Waldfogel (1997; 1998) bzw. Joshi et al. (1996) haben z.B. für die USA und Großbritannien gezeigt, dass das betriebliche Angebot einer Elternzeit positive Auswirkungen auf Löhne und Gehälter hat, wenn die Eltern zum selben Arbeitgeber zurückkehren.133 Vermutlich geht dieses Ergebnis aber auf einen Selektionseffekt zurück, denn es handelte sich um Frauen, die in den wenigen Firmen mit Elternzeiten als zusätzlicher Bonusregelung arbeiteten und somit auf dem Arbeitsmarkt eine privilegierte Position innehatten. Ist die Elternzeit hingegen ein soziales Recht, das allgemein mit einer Erwerbstätigkeit verknüpft ist, so kommen auch Eltern in den Genuss der Leistung, die schlechtere Arbeitsbedingungen haben, und der langfristige Karriereeffekt ist weniger gewiss (Pylkkänen und Smith 2003). Datta Gupta und Smith (2002) haben die Löhne von Männern und Frauen in der Familiengründungsphase verglichen und festgestellt, dass sich die Löhne, unabhängig davon, ob Kinder vorhanden sind oder nicht, ungleich entwickeln. Dies kann als ein Hinweis darauf gelten, dass Arbeitgeber Frauen generell unterstellen, früher oder später eine Elternzeit zu beanspruchen und ihnen deshalb schlechtere Arbeitsplätze zuweisen, bei denen eine Abwesenheit weniger kostspielig ist (Gornick und Meyers 2003: 238f.). Dieses Muster scheint vor allem in den skandinavischen Ländern häufiger aufzutreten (Stoiber 1990). Stafford und Sundström (1996) bzw. Albrecht et al. (1999) gehen von einer ähnlichen Annahme des Arbeitgeberverhaltens gegenüber Müttern aus und bezeichnen den Effekt als Signalmodell: Arbeitgeber sehen die Entscheidung von Frauen, ihre Berufstätigkeit zu unterbrechen, als Signal einer geringeren Karriereorientierung und investieren daher weniger in das Humankapital von Müttern. Mittelfristig entstünden schlechtere Erwerbschancen für Frauen dann dadurch, dass sie von Weiterbildung oder Beförderung ausgeschlossen blieben (vgl. auch Ziefle 2004). Von großer Bedeutung für die beruflichen Auswirkungen der Elternzeit ist offenbar ihre Dauer. Zwar ist nicht vollständig geklärt, ab wann genau die Dauer der Inanspruchnahme zum Nachteil wird, aber man geht davon aus, dass sich eine relativ kurze Zeit ( 1 Jahr) vorteilhafter auf die Wiederaufnahme der Berufstätigkeit und damit auf die weiteren Karrierechancen von Eltern auswirkt, während eine längere Inanspruchnahme (bis zu 3 Jahren) eher nachteilig wirkt. So zitiert der OECD Employment Outlook (2001a) finnische Studien, wonach 133 In den USA haben nur Angestellte in Firmen mit mehr als 50 Beschäftigten ein Anrecht auf – unbezahlte – Elternzeit. Es gibt zusätzliche Programme auf Bundesstaatsebene. Bezahlte Elternzeit wird nur auf betrieblicher Ebene gewährt (Gornick und Meyers 2003). In Großbritannien wurde die Elternzeit von 13 Wochen pro Kind (davon konnten nur 4 Wochen pro Jahr genommen werden) auf mittlerweile 12 Monate ausgedehnt (Gregg und Waldfogel 2005).
8.1 Familienbezogene Sachleistungen
277
längere Auszeiten vom Arbeitsmarkt wegen Kindererziehung zu einem beträchtlichen Rückgang der Frauenbeschäftigung führen (Ilmakunnas 1997). Für Frankreich konnte gezeigt werden, dass die Lockerung der Anspruchsvoraussetzungen für Elternzeit im Jahr 1994 zu einem deutlichen Rückgang der Mütterbeschäftigungsquote führte (Fagnani 1998; Morgan und Zippel 2003). Auch Ziefle (2004) hat in ihrer Analyse von Karriereverlaufsdaten des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) für Deutschland festgestellt, dass lange Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit negative Folgen für die Karriere zeitigen. Dabei entstehen deutliche Karrierenachteile für Frauen nicht unmittelbar beim Wiedereinstieg in den Beruf, sondern erst kumulativ im Rahmen des späteren Erwerbsverlaufs. Die positive Wirkung staatlicher Kinderbetreuung auf die Frauenbeschäftigung kann als empirisch nachgewiesen gelten. Zum einen erhöhen umfassende Kinderbetreuungsangebote das Arbeitsangebot von Frauen, zum anderen schaffen sie selbst neue Beschäftigungschancen (z.B. Esping-Andersen 2001). Zahlreiche empirische Studien haben diese Effekte belegt (Anderson und Levine 2000; Büchel und Spieß 2002; Hofferth und Collins 2000; Jaumotte 2003). Im Detail kommt es aber offenbar sehr auf Faktoren wie die Erschwinglichkeit, die Verfügbarkeit, die Öffnungszeiten und die Flexibilität der Kinderbetreuungseinrichtungen an. Welche dieser Faktoren entscheidend sind, haben z.B. Freeman und Schettkat (2005) und Simonsen (2006) untersucht. Erstere stellten fest, dass die Verfügbarkeit von Betreuungseinrichtungen von größerer Bedeutung ist als deren Kosten. Simonsen kam aber für Dänemark zu dem Ergebnis, dass ein kostenloser Zugang zur staatlichen Kinderbetreuung die Beschäftigungsraten signifikant erhöht, während ein Anstieg der Kosten sich negativ auf das Arbeitsangebot von Frauen auswirkt. Wir geben im Folgenden einen Überblick über die in Deutschland, Frankreich, Italien und Schweden geltenden Regelungen zur Elternzeit und Kinderbetreuung, um dann deren Auswirkungen auf die Müttererwerbstätigkeit zu untersuchen.
8.1.1 Elternzeit Gesetzliche Regelungen, die Müttern im Anschluss an die Geburt eines Kindes längerfristige Erwerbsunterbrechungen ermöglichen, finden sich in Europa seit mehr als 100 Jahren. Die frühen Programme zielten als Mutter- bzw. Wöchnerinnenschutz ausschließlich auf Frauen ab, wurden nur wenige Wochen gewährt und waren nicht als Lohnersatzleistung konzipiert.134 Deutschland hatte 1883 ein richtungweisendes duales Modell mit arbeitsrechtlichem Wöchnerinnenschutz 134 Das erste Programm wurde1877 in der Schweiz eingeführt. (Hauser 2004a).
278
8 Kinderbetreuung zwischen Familie und Staat
und versicherungsrechtlicher Wöchnerinnenunterstützung im Rahmen der Krankenversicherung eingeführt (Hauser 2004a). Schweden folgte 1901, Italien 1924 und Frankreich im Jahr 1928 mit ähnlichen Programmen für den Schutz von Arbeiterinnen. Schweden war dann das erste Land, das 1974 eine Elternzeit einführte, die geschlechtsunabhängig von beiden Elternteilen in Anspruch genommen werden konnte. Die Europäische Kommission erließ im Jahr 1996 eine Richtlinie zum Elternurlaub, die die Mitgliedsländer der EU zur Gewährung einer Elternzeit zusätzlich zum Mutterschutz verpflichtete. Die Richtlinie garantiert Eltern nach einer Entbindung oder Adoption ein individuelles, nicht übertragbares Recht auf eine mindestens dreimonatige Unterbrechung der Erwerbsarbeit mit Rückkehrrecht an den Arbeitsplatz. Eine vorherige Erwerbsarbeit kann zwar zur Bedingung gemacht werden, aber die vorgeschriebene Dauer darf nicht mehr als ein Jahr betragen. Die Richtlinie empfiehlt, die Elternzeit flexibel bis zum achten Lebensjahr des Kindes zu gestalten. Sie hat zahlreiche Reformen in den Mitgliedsländern ausgelöst, in denen seither ein Anspruch auf Elternzeit gilt, die das Arbeitsverhältnis fortbestehen lässt (European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions 2005). Die meisten Länder gewähren zusätzlich zur Elternzeit ein Erziehungsgeld, das als Lohnersatzleistung oder als Pauschalbetrag gestaltet ist. Elternzeit und Erziehungsgeld sind prinzipiell voneinander unabhängige Maßnahmen. Während die Elternzeit immer eine vorherige Erwerbstätigkeit voraussetzt, kann das Erziehungsgeld – je nach Gesetzgebung – auch beantragt werden, wenn vor der Geburt eines Kindes kein Erwerbsverhältnis bestand. Die Elternzeit muss beim Arbeitgeber, das Erziehungsgeld bei den zuständigen Behörden beantragt werden. Die folgenden Abschnitte geben einen kurzen Überblick über die Entwicklung beider Maßnahmen in unseren vier Untersuchungsländern. Deutschland Das 1986 eingeführte Erziehungsgeld zielte zwar auf die verbesserte Vereinbarkeit von Elternschaft und Erwerbstätigkeit, aber es handelt sich weder um eine Lohnersatzleistung, noch ist der Bezug des Erziehungsgeldes an eine vorherige Erwerbstätigkeit geknüpft (Bothfeld 2005b). Während der – damals so bezeichnete – Erziehungsurlaub stufenweise auf drei Jahre ausgeweitet wurde, wird das einkommensgeprüfte Erziehungsgeld seit 2001 maximal für 24 Monate gezahlt.135 Das Niveau und die Einkommensgrenzen blieben lange Zeit unverändert und wurden erst im Jahr 2000 mit der Reform des Bundeserziehungsgeldgesetzes umgestaltet und flexibilisiert (Gerlach 2004): Die Einkommensgrenze für Ver135 Die Leistung wurde ab 1987 zunächst für 12 Monate gezahlt.
8.1 Familienbezogene Sachleistungen
279
heiratete liegt 2006 in den ersten sechs Lebensmonaten bei 30.000 Euro, bei anderen Berechtigten (Alleinerziehende) bei 23.000 Euro des pauschalierten Jahresnettoeinkommens. Alternativ zum monatlichen Erziehungsgeld in Höhe von bis zu 300 Euro (Regelbetrag) über einen Zeitraum von 24 Monaten erhalten Eltern, die sich für eine verkürzte Bezugsdauer von 12 Monaten entscheiden, bis zu 450 Euro monatlich (sog. Budget). Wenn sich Eltern für das Budget entscheiden, darf ihr monatliches Einkommen 22.086 Euro bzw. 19.086 Euro bei Alleinerziehenden nicht überschreiten. Die Einkommensgrenzen für den Regelbetrag sowie für das Budget erhöhen sich um einen Kinderzuschlag in Höhe von 3.140 Euro für jedes weitere Kind des Berechtigten (Bundesministerium für Familie 2006a). Ab dem 7. Lebensmonat liegen die Einkommensgrenzen zwischen 16.500 Euro und 22.086 Euro für Verheiratete und zwischen 13.500 Euro und 19.086 Euro für andere Berechtigte. Jenseits der Grenzen wird die Förderung nicht völlig gestrichen, sondern graduell abgeschmolzen. Im Jahr 2006 wurde das Elterngeld umfassend reformiert und in eine ab 2007 geltende Lohnersatzleistung mit zwei „Papa-Monaten“ von insgesamt 14 Monaten umgewandelt. Insofern ist Deutschland jüngst dem schwedischen Vorbild (s.u.) gefolgt. Der Hauptunterschied zwischen beiden Systemen liegt darin, dass im deutschen nur 67 Prozent und im schwedischen 80 Prozent des vorherigen Nettoeinkommens gewährt werden. Frankreich Das Erziehungsgeld (Allocation parentale d’éducation – APE) wurde 1985 eingeführt und wandte sich zunächst an Familien mit mindestens drei Kindern. Im Jahr 1994 erweiterte das Familiengesetz das Recht auf Erziehungsgeld auf Familien mit zwei Kindern. Es gilt die Bedingung, dass ein Elternteil seine berufliche Tätigkeit aufgibt oder einschränkt (Elternzeit – congé parental d'éducation), um sich der Erziehung eines Kindes bis zu drei Jahren zu widmen. Während dieser Periode behält der Urlaubnehmer einen Rechtsanspruch auf seinen Arbeitsplatz. Für den Leistungsbezug waren Eltern berechtigt, die eine Erwerbstätigkeit von mindestens zwei Jahren innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Geburt nachweisen konnten. Die Reform des Jahres 2004 läutete eine familienpolitische Wende ein. Erstmals sollte das Erziehungsgeld bereits ab dem ersten und nicht erst ab dem zweiten Kind gezahlt werden, womit sich die Ausrichtung der Familienpolitik auf kinderreiche Familien abschwächte. Das Erziehungsgeld und auch die Beihilfen zur Kinderbetreuung (APE) wurden durch eine einzige, mehrere Maßnahmen umfassende, so genannte kombinierte Leistung für Kleinkinder (prestation d'accueil du jeune enfant – PAJE) abgelöst (Neumann und Veil 2004).136 Die 2006 geltende Elterngeldregelung (complément de libre choix 136 Die PAJE setzt sich zusammen aus einem Geburts- bzw. Adoptionszuschuss (prime à la naissance ou à l’adoption), einer Grundbeihilfe (allocation de base), der Zulage bei Aufgabe oder
280
8 Kinderbetreuung zwischen Familie und Staat
d’activité) bindet den Leistungsanspruch an den Nachweis einer früheren Erwerbstätigkeit von 8 Quartalen (trimestres im Sinne der Rentenversicherung) in den zwei Jahren vor Ankunft des ersten Kindes, wobei sich die Spanne beim zweiten Kind auf vier, beim dritten Kind auf fünf Jahre erhöht. Die Höhe der Leistung hängt nicht vom vorherigen Lohn, sondern (a) vom Anspruch auf die Grundbeihilfe des PAJE137 ab und (b) vom Ausmaß der Reduzierung der Arbeitszeit. Bei Bezug der Grundleistung und vollständiger Arbeitsaufgabe erhält der Elternteil 353,67 Euro, bei Teilzeitbeschäftigung bis zu 50 Prozent der gesetzlichen Arbeitszeit 228,63 Euro und bei einer Arbeitszeit zwischen 50 Prozent und 80 Prozent 131,88 Euro. Die Bezugsdauer der Leistung beträgt beim ersten Kind sechs Monate, bei jedem weiteren bis zu drei Jahre (Caisse d’Allocations Familiales 2006). Seit 2005 wird Eltern ermöglicht, neben dem dreijährigen Erziehungsurlaub ab dem dritten Kind eine kürzere Elternzeit von nur einem Jahr in Anspruch zu nehmen. In dieser Zeit erhalten sie eine höhere Unterstützung als bei einer dreijährigen Auszeit, nämlich 750 Euro (Europäische Kommission 2006b; Reuter 2002). Italien Anfang der 1990er Jahre konnten abhängig beschäftigte Mütter nach Ablauf des fünfmonatigen Pflichtzeitraums für den Mutterschaftsurlaub zusätzlich sechs Monate in Elternzeit gehen, solange ihr Kind noch nicht ein Jahr alt war. Der Lohnersatz betrug innerhalb dieser sechs Monate 30 Prozent des vorherigen Lohnes. Eine Reform im Jahr 2000 brachte eine Leistungserweiterung. Zum einen sind Eltern nun bis zum achten Lebensjahr des Kindes zur Elternzeit berechtigt, zum anderen können insgesamt zehn Monate in Anspruch genommen werden. Mittlerweile haben auch Väter Anspruch auf Elternzeit. Wenn sie eine mindestens dreimonatige Auszeit nehmen, erhalten die Eltern noch einen weiteren elften Monat. Gleich geblieben ist allerdings der Lohnersatz von 30 Prozent, der auch nur für sechs Monate geleistet wird (European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions 2005). Schweden Schweden hat schon seit 1974 eine Elternzeit mit Lohnersatzleistung als Teil des Sozialversicherungssystems. 1980 wurde schwedischen Vätern das Recht auf Verminderung der Erwerbstätigkeit (complément de libre choix d’activité) und der Zulage für die Kinderbetreuung (complément de libre choix du mode de garde). 137 Diese Grundbeihilfe von € 168,20/Monat/Familie wird einkommensabhängig gewährt: Die Jahresverdienstgrenze liegt bei einem Kind bei € 25.430 (Alleinverdiener) bzw. € 33.606 (Alleinerziehende oder Doppelverdiener). Die Grenze erhöht sich pro weiteres Kind um etwa € 6.000 (Caisse d'Allocations Familiales 2006).
8.1 Familienbezogene Sachleistungen
281
einen zweiwöchigen Vaterurlaub nach der Geburt des Kindes eingeräumt. Die Elternzeit, die damals einen Anspruch auf 26 Wochen und 90 Prozent Ersatz des Nettolohns (Sjukpenninggrundade inkomst) gewährte, wurde zwischen 1975 und 1989 ausgeweitet und betrug Anfang der 1990er Jahre insgesamt 15 Monate, die sich die Eltern nach freiem Gutdünken aufteilen durften. Seit 1980 gilt überdies die so genannte „speed premium“, die für ein weiteres Kind, das in einem bestimmten Zeitraum zusätzlich geboren wurde, die gleich hohe Lohnersatzleistung wie beim Kind zuvor gewährt.138 Der Zeitraum beschränkte sich zunächst auf 24 Monate, wurde aber 1986 auf 30 Monate ausgeweitet (Andersson et al. 2006). 1995 wurde der „Papa-Monat“ bzw. „Mama-Monat“ eingeführt. Für beide Elternteile galt nun die Pflicht, mindestens von einem Monat der gesamten Elternzeit Gebrauch zu machen, wenn sie den Anspruch auf die volle Elternzeit nicht verlieren wollten. Ähnlich wie im reformierten deutschen System, das von 2007 an gilt, wird in Schweden nach dem Prinzip „use it or lose it“ verfahren. Nach einer weiteren Reform des Jahres 2002 gilt nun, dass das Elternschaftsgeld (föräldrapenning) für 480 Tage pro Kind gewährt wird. 390 Tage entspricht die Leistung dem Satz für Geldleistungen bei Krankheit (80 Prozent des Nettolohns) mit einem Minimum139 von SEK 180 (19 Euro) pro Tag (garantierter Grundbetrag, grundbelopp). Für die restlichen 90 Tage wird der Mindestbetrag gewährt. Außerdem wurden der „Mama- bzw. Papa-Monat“ auf zwei Monate pro Elternteil ausgedehnt. Die Mutter kann die Leistung frühestens 60 Tage vor dem errechneten Geburtstermin in Anspruch nehmen. Zudem besteht die Möglichkeit, dass eines der beiden Elternteile bis zum 8. Lebensjahr des Kindes eine Elternzeit nimmt. Dabei steht es den Eltern frei, die Dauer oder den Zeitpunkt selbst zu bestimmen. Wenn beide Elternteile das Kind versorgen, haben sie jeweils Anspruch auf die Hälfte der Tage. Dieser Anspruch kann auf den anderen Elternteil übertragen werden, allerdings mit Ausnahme der 60 Tage, die speziell für jeden Elternteil vorgesehen sind (Europäische Kommission 2006d; Försäkringskassan 2002). Tabelle 8.1 gibt zusammenfassend einen Überblick über die in den Jahren 1990 und 2006 geltenden Anspruchsvoraussetzungen in den vier Ländern.
138 Die Leistung wird deshalb „Prämie“ genannt, weil der Elternteil, der zwischen zwei Geburten aufgrund von Erwerbslosigkeit oder Teilzeitbeschäftigung kein oder nur ein geringes Einkommen erzielte, trotzdem Anspruch auf die höhere Leistung hat. 139 Arbeitslose erhalten ebenfalls die 80%ige Lohnersatzleistung, wenn der Zeitraum zwischen dem Beginn der Arbeitslosigkeit und der Schwangerschaft höchstens sechs Monate beträgt. Eltern, die über einen längeren Zeitraum arbeitslos gemeldet sind, erhalten das Minimum. Auch Eltern, die keinen Arbeitslohn erhalten, haben einen Anspruch auf die Mindestleistung, wenn sie ihren Wohnsitz in Schweden nachweisen können (Försäkringskassan 2002).
282 Tabelle 8.1:
8 Kinderbetreuung zwischen Familie und Staat
Anspruchsvoraussetzungen für Elternzeit bzw. Elterngeld im Zeitvergleich 1990
2006
Erziehungsgeld: alle Personen, die das Sorgerecht für ein Kind haben, unabhängig davon, ob sie erwerbstätig sind oder nicht. Reduzierung der Erwerbstätigkeit auf höchstens 19h/Woche. Seit 1992 36 Monate Elternzeit, Beschäftigungsgarantie. Anspruch auf Erziehungsgeld seit 1993 für 24 Monate, vorher 18 Monate (es gelten Einkommensgrenzen)
Elternzeit: abhängig Beschäftigte
Frankreich
Erziehungsgeld: Eltern mit mindestens drei Kindern
Erziehungsgeld: mindestens ein Kind unter 3 Jahren sowie Nachweis einer früheren Erwerbstätigkeit von 8 Quartalen – auch mit Unterbrechung – in den 2 Jahren vor Ankunft des ersten Kindes bzw. in vier Jahren beim zweiten Kind bzw. in fünf Jahren ab dem dritten Kind
Italien
Abhängig beschäftigte Mütter. Fakultativ 6 Monate Zusatzurlaub nach dem 5-monatigen Mutterschutz zu 30% des vorherigen Lohns.
Abhängig beschäftigte Mütter und Väter. Insgesamt fakultativ 10 Monate Zusatzurlaub nach dem 5monatigen Mutterschutz, davon werden 6 Monate zu 30% des vorherigen Lohns bezahlt.
Schweden
Für Mindestsatz mindestens 180 Tage ununterbrochene Versicherung vor Antragstellung. Für 90%igen Lohnersatz: durchgängiger Versicherungszeitraum von 240 Tagen vor der Entbindung
Eltern, die mindestens 240 aufeinander folgende Tage vor der Entbindung erwerbstätig waren und in die KV einbezahlt haben, erhalten volle Leistung (80% des vorherigen Nettolohns). Alle anderen Grundbetrag
Deutschland
Erziehungsgeld: Mütter bzw. Väter mit Wohnsitz in Deutschland, die ihr unter 2 Jahre altes Kind selbst im eigenen Haushalt betreuen und die nicht oder nur eingeschränkt (bis zu 30 Stunden wöchentlich) erwerbstätig sind.
Quelle: Europäische Kommission (2006a; 2006b; 2006c; 2006d); Neubauer et al. (1993)
Obwohl die Elternzeit prinzipiell sowohl von Müttern als auch von Vätern in Anspruch genommen werden kann, sind es zumeist die Mütter, die ihre Erwerbsarbeit unterbrechen. Untersuchungen haben gezeigt, dass insbesondere zwei
283
8.1 Familienbezogene Sachleistungen
Faktoren Väter zu einer Inanspruchnahme bewegen (Moss und Deven 1999): (1) ein hohes Lohnersatzniveau und (2) der Verfall des Anspruchs, wenn er nicht vom Vater genutzt wird („use it or lose it“-Prinzip). Einige Länder haben die Gewährung der gesamten Elternzeit mittlerweile an die Voraussetzung gekoppelt, dass der Vater eine bestimmte Zeit davon in Anspruch nimmt (European Commission 2005). Die folgende Tabelle 8.2 zeigt die Merkmale und Leistungen der aktuell geltenden Elternzeitsysteme. Tabelle 8.2:
Regelungen und Leistungen der nationalen Elternzeit- und Erziehungsgeldsysteme (2006) Dauer (in Monaten)
Geldleistung
Max. Alter des Kindes
Gleichzeitige Erwerbstätigkeit
Sonstiges
Deutschland*
36
Einheitlicher Satz für 2 Jahre, einkommensgeprüft
3; 1 Jahr davon bis Kind 8 Jahre alt ist
Ja, Teilzeit bis zu 30h/Woche
Frankreich
36
Einheitlicher Satz je Ein Kind nach Arbeitsmuss unter 3 reduktion, Zahlung Jahre alt sein für das 1. Kind 6 Monate, ab jedem weiteren Kind für 36 Monate. Keine Einkommensprüfung
Ja, Teilzeit bis 80% der vorherigen Arbeitszeit
Italien
10
30% des vorherigen Verdiensts
8
Ja
Schweden
16
80% des vorherigen Verdiensts im ersten Jahr, danach einheitlicher Satz
8
Ja, bis zu 75% Mutter und der normalen Vater müssen Arbeitszeit jeweils 2 Monate in Anspruch nehmen, die anderweitig verfallen
Ein zusätzlicher Monat, wenn der Vater mindestens 3 Monate in Anspruch nimmt
* Da die neue Elterngeldregelung erst 2007 in Kraft trat, wird hier auf die im Jahr 2001 eingeführte Neuregelung eingegangen. Quelle: Europäische Kommission (2006a; 2006b; 2006c; 2006d); Neyer (2003); Plantenga und Siegel (2004)
284
8 Kinderbetreuung zwischen Familie und Staat
Über die schon beschriebenen Differenzen bei der Dauer der Elternzeit hinaus variieren auch die Geldleistungen. Einem einheitlichen Satz, der entweder einkommensabhängig (Deutschland) oder je nach Arbeitsreduktion (Frankreich) gewährt wird, steht der Lohnersatz unterschiedlichen Niveaus gegenüber (Schweden, Italien). Alle vier Länder eröffnen die Möglichkeit einer Erwerbstätigkeit neben dem Bezug des Erziehungsgeldes. In Schweden und Italien hat sich außerdem das Prinzip „use it or lose it“ durchgesetzt, mit dem Väter dazu angeregt werden sollen, ebenfalls in Elternzeit zu gehen. Auch im reformierten deutschen System wird eine solche Regelung ab 2007 gelten. Wer die Elternzeit in Anspruch nimmt, ist eine wichtige Frage, wenn man die Auswirkungen auf die Erwerbstätigkeit von Eltern mit kleinen Kindern untersuchen möchte. Solche Daten sind allerdings nur teilweise vorhanden und in der Regel nicht miteinander vergleichbar (vgl. Bruning und Plantenga 1999; Council of Europe 2005). Für Deutschland gibt es Survey-Daten über die Inanspruchnahme der Elternzeit von Müttern, die sich auf die gesamte rechtlich mögliche Dauer der Elternzeit von drei Jahren beziehen (Beckmann und Kurtz 2001; Statistisches Bundesamt 2004b). Damit kann der Verbleib von Eltern in der Elternzeit und damit die Dauer der Erwerbsunterbrechung ermittelt werden. Schweden hat hingegen offizielle Angaben lediglich darüber, wie viele Eltern einen Antrag auf Elternzeit gestellt haben, ohne nähere Auskunft über die beantragte Frist zu geben. So erscheint beispielsweise die Väterquote von 42 Prozent in Schweden sehr hoch, sagt aber nichts darüber aus, wie lange die Väter ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen. Der volle Elternzeitanspruch wurde im Jahr 2002 nur zu 16 Prozent von Männern genutzt (Duvander et al. 2005). Für Frankreich sind lediglich Daten über den Erhalt der Transferleistung verfügbar, nicht aber über die Form der in Anspruch genommenen Elternzeit. Trotz des Mangels an vergleichbaren Daten lassen sich einige nationale Muster der Inanspruchnahme identifizieren. In Deutschland bestand im Jahr 2000 zunächst einmal ein deutlicher Unterschied zwischen den neuen und den alten Bundesländern, 94 bzw. 83 Prozent im ersten Lebensjahr des Kindes (Beckmann und Kurtz 2001). Das geht vermutlich vor allem auf das geringere Angebot an Teilzeitstellen in Ostdeutschland zurück (Bothfeld 2005a). Im dritten Lebensjahr des Kindes beanspruchen immerhin noch 41 Prozent der Mütter in den alten, aber nur noch 14 Prozent in den neuen Bundesländern die Elternzeit.140 Westdeutsche Mütter nehmen im Durchschnitt 2 bis 3 Jahre, ostdeutsche Mütter durchschnittlich 1 bis 2 Jahre in Anspruch (Beckmann und Kurtz 2001). Neuere Umfragen, die nach der Reform des Bundeserziehungsgeldgesetzes 140 Allerdings ist auch die Quote der arbeitslosen bzw. nicht erwerbstätigen Frauen mit einem zweijährigen Kind mit 31 Prozent in Ostdeutschland höher als in Westdeutschland mit 18 Prozent (Engelbrech und Jungkunst 2001).
8.1 Familienbezogene Sachleistungen
285
durchgeführt wurden, zeigen, dass weiterhin ein traditionelles Elternzeitmodell bevorzugt wird, indem der Vater nach der Geburt unverändert weiter arbeitet, während die Mutter ihre Erwerbstätigkeit vollständig unterbricht bzw. später eine Teilzeitbeschäftigung aufnimmt. Es bestätigt sich außerdem das Bild, dass Mütter in Westdeutschland im ersten Lebensjahr des Kindes eher eine Erwerbstätigkeit aufnehmen als Mütter in Ostdeutschland (19,2 Prozent vs. 10,2 Prozent). Diese Tendenz dreht sich im zweiten Lebensjahr des Kindes aber wieder um (West: 31.5 Prozent, Ost: 43 Prozent). Das Muster, dass ein Vater die Elternzeit in Anspruch nimmt, während die Mutter arbeiten geht, findet sich nur in Westdeutschland und nur im ersten Lebensjahr des Kindes (3,7 Prozent - Bundesministerium für Familie 2006a). Die großzügige Ausgestaltung der französischen Regelung, nach der die Geldleistung umso höher ist, je mehr die Arbeitszeit verringert wird, führt einer Studie zufolge dazu, dass vor allem gering verdienende Frauen die Elternzeit in Anspruch nehmen. Zudem bietet die Maßnahme den Anreiz, die Erwerbstätigkeit auf Null zu reduzieren (Fagnani 1999). Die im Vergleich extrem niedrige Nutzungsrate italienischer Mütter von 40 Prozent141 lässt sich einer Studie des italienischen Statistischen Amtes zufolge mit der Geringfügigkeit der Geldleistung erklären. Hinzu kommt, dass mehr als 90 Prozent der Mütter die unbezahlte Elternzeit ab dem sechsten Monat nicht in Anspruch nehmen (European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions 2005; Sabbadini 2005). In Schweden nutzen die meisten Mütter die Chance zur Erwerbsunterbrechung (90 Prozent). Anders als in den anderen Staaten machen hier aber auch mehr als 40 Prozent der Väter von der Möglichkeit der Auszeit Gebrauch. Wie erwähnt, nehmen allerdings nur etwa 16 Prozent die volle Elternzeit in Anspruch. Dies spricht dafür, dass die Männer nur den „Pflichtanteil“ ableisten. Durchschnittlich wird die Elternzeit 11 Monate in Anspruch genommen (Duvander et al. 2005; Knijn et al. 2003). Zusammenfassung Die Wirkungen der Elternzeit auf die Erwerbstätigkeit von Müttern hängen stark von den Details ihrer Gestaltung ab. Die zwar eher kurzfristige, aber großzügige Bemessung des Elterngeldes in Schweden fördert - insbesondere in Kombination mit umfassenden Betreuungsdiensten – den beruflichen Wiedereinstieg von Frauen. Die wesentlich längere Dauer in Deutschland und Frankreich ermutigt dagegen zu längeren Unterbrechungen der Erwerbskarriere, was die Rückkehr in den Beruf erschwert. Die Staffelung der Unterstützungssätze nach dem Grad der Reduzierung der Erwerbstätigkeit sowie die für Niedrigeinkommenbezieher 141 40 Prozent der berechtigten, also zuvor erwerbstätigen Frauen.
286
8 Kinderbetreuung zwischen Familie und Staat
höheren Lohnersatzquoten in Frankreich reizen insbesondere Frauen im Niedriglohnsegment zur Aufgabe der Erwerbstätigkeit. Italien ist ein interessanter Sonderfall: Die Elternzeit ist auf maximal ein halbes Jahr begrenzt, und der Lohnersatz ist niedrig bemessen. Das verweist italienische Mütter auf eine sehr frühe Rückkehr auf den Arbeitsplatz, wenn der Lebensstandard der Familie nicht empfindliche Einbußen erfahren soll. Unsere Erwartung ist daher, dass wir in Schweden und Italien relativ hohe Müttererwerbsquoten finden, in den anderen beiden Ländern hingegen eher niedrige. Natürlich ist aber die Elternzeit nur ein, wenn auch wesentlicher Faktor, der die Beschäftigungsquoten von Müttern beeinflusst. Darüber hinaus kommt der Verfügbarkeit von Kinderbetreuungseinrichtungen, die wir im folgenden Abschnitt untersuchen, eine erhebliche Bedeutung zu.
8.1.2 Kinderbetreuung Die öffentliche Kinderbetreuung zielte seit ihren Ursprüngen am Anfang der Industrialisierung auf die Unterstützung der Erwerbstätigkeit von Müttern ab. Erst ab etwa Anfang des 20. Jahrhunderts änderte sich dann die Ausrichtung, und eher erzieherische Beweggründe rückten in den Vordergrund. Nun sollte die öffentliche Kinderbetreuung vorrangig der Förderung der sozialen und individuellen Entwicklung von Kindern dienen (Myrdal 1941; Neyer 2003). Bemerkenswerterweise zeichneten sich anfangs gerade die katholischen Länder Europas – neben Frankreich und Italien auch Belgien, Österreich und eingeschränkt die Niederlande - durch eine aktive Betreuungspolitik aus (Bahle 1995). So wurden um 1920 in Frankreich und Italien bereits 66 Prozent der Drei- bis Fünfjährigen in Kinderkrippen, Kindergärten oder Vorschulen betreut. Nach dem Zweiten Weltkrieg divergierten die Wege der Kinderbetreuungspolitik. Frankreich weitete das Angebot für die Drei- bis Fünfjährigen aus, so dass 1970 bereits für fast alle Kinder dieser Altersgruppe ein Platz zur Verfügung stand (Bahle 2007). In Italien wuchs die Zahl der Einrichtungen für über Dreijährige vor allem im industrialisierten Norden des Landes. Die Bundesrepublik verfolgte dagegen lange Zeit eine Politik, die auf die Unterstützung der häuslichen Betreuung durch die Mutter abzielte. Erst seit den 1960er Jahren kam es im Rahmen der Diskussionen um die Bildungsreform zu einem Ausbau der Betreuungseinrichtungen für Dreibis Fünfjährige (Hank et al. 2004). Die ehemalige DDR hatte hingegen schon früh auf die Erhöhung des weiblichen Arbeitsangebots abgezielt und eine flächendeckende außerhäusliche Kinderbetreuung eingeführt (Hank et al. 2001; Ostner 1994). In Schweden kam es erst in den 1960er Jahren zu einer Ausweitung der Betreuungseinrichtungen.
8.1 Familienbezogene Sachleistungen
287
8.1.2.1 Verfügbarkeit Die Betreuungssituation für Drei- bis Fünfjährige kann heute in allen vier Untersuchungsländern als universell bezeichnet werden, denn für ca. 90 bis 95 Prozent aller Kinder dieser Altersgruppe stehen außerhäusliche Kinderbetreuungsplätze zur Verfügung. Große Unterschiede bestehen allerdings hinsichtlich der Ausgestaltung des Angebots. So unterscheiden sich z.B. die Öffnungszeiten erheblich, und auch das Angebot eines Mittagessens ist keineswegs überall gleichermaßen gang und gäbe (European Commission 2005). Für die Beschäftigungschancen von Frauen und Müttern spielt vor allem auch das Angebot an Krippenplätzen für Kleinkinder eine Rolle, den je später eine Mutter nach der Geburt die Erwerbstätigkeit wieder aufnimmt, desto schwieriger wird es für sie, im Berufsleben wieder Fuß zu fassen und adäquate Positionen oder Karrierechancen zu finden. Deshalb ist die Nachfrage nach Betreuungseinrichtungen sehr groß (z.B. Wrohlich 2005). Über das bloße Angebot von Plätzen hinaus ist für Eltern die Form der Betreuung wichtig, die in Bezug auf Zeiten und Kombinationsmöglichkeiten von familialen und öffentlichen Diensten möglichst flexibel sein soll. Auch diesbezüglich gibt es sowohl zwischen den Ländern wie innerhalb einzelner Nationen nach wie vor sehr große Unterschiede. Zum einen stehen sich unterschiedliche Betreuungskonzepte gegenüber, z.B. Kinderkrippen, Kindergärten, Vorschulen, Tagesmütter usw. (vgl. Rostgaard 2000: 11). Zum anderen variieren die Länder in ihrer Unterscheidung zwischen formalen und informellen Betreuungsarrangements oder zwischen öffentlicher und privater Kinderbetreuung, wobei vor allem die unterschiedlichen Öffnungszeiten für die Berufschancen der Eltern eine Rolle spielen. Die große Vielfalt der Einrichtungsformen erschwert auch die Harmonisierung nationaler Statistiken (European Commission 2004a; 2005). Für unsere Analyse der Betreuungssituation in den vier Ländern haben wir uns auf öffentlich finanzierte Institutionen und Tagesmütter konzentriert und auf der Grundlage der verfügbaren Plätze für unter 3-Jährige und der Bevölkerungsdaten von Eurostat Versorgungsquoten berechnet.142 Die Tabelle 8.3 macht die Polarisierung zwischen Frankreich und Schweden als Ländern mit ausgebautem Betreuungsangebot und Deutschland und Italien mit knapper Versorgung deutlich. In allen vier Ländern hat sich die Situation seit den 1990er Jahren aber verbessert, wobei vor allem der rasante Ausbau in Frankreich auf der einen Seite und die vergleichsweise Stagnation in Italien auf der anderen auffallen.
142 Wegen der nur teilweisen Erfassung der verschiedenen Betreuungsformen dürfte die tatsächliche Versorgung etwas besser aussehen, als es unsere Versorgungsquoten darstellen.
288 Tabelle 8.3:
8 Kinderbetreuung zwischen Familie und Staat
Öffentliche Kinderbetreuung für Kinder im Alter von 0 bis 3 (1990-2005) Betreuungssituation*: Vorhandene Plätze (% aller Kinder der Altersgruppe 0–3)
Deutschland
Frankreich
Italien
Schweden
1994
7,5
2005
13,7
1990
33,6
2003
56,4
1992
5,6
2000
7,4
1994
41
2004
45,2
* Die folgenden Betreuungseinrichtungen sind in unsere Berechnungen der Versorgungsquoten ab 2000 einbezogen: Krippen (in Frankreich crèches collectives, haltes-garderies, Italien asili nidi, in Schweden ohne Äquivalent), öffentlich finanzierte Tagespflege/Tagesmütter (Frankreich crèches familiales, assistantes maternelles, Schweden familjedaghem), und Vorschulen (Frankreich école maternelle, Schweden förskola). Bei den Angaben für Anfang der 1990er Jahre fehlen teilweise Informationen zu den einzelnen Betreuungsinstitutionen, so dass die Quoten nur eingeschränkt über die Zeit vergleichbar sind. Quelle: Bahle (2007); Bundesministerium für Familie (2004; 2006b); Chastenet (2005); European Data Service (2007); Fortunati (2002); Skolverket (2005); Statistisches Bundesamt (2004a; 2005); Statistika centralbyrån (2006) ZUMA (2006); eigene Berechnungen
Das traditionell hohe Versorgungsniveau in Frankreich hängt vor allem mit dem frühen Ausbau der Vorschulen (écoles maternelles) zusammen, während die Expansion in den 1990er Jahren insbesondere auf den Ausbau der staatlichen Förderung der Tagesmütter zurückzuführen ist. Schweden garantiert seit 1995 jedem Kind eines erwerbstätigen oder studierenden Elternteils einen Anspruch auf einen Betreuungsplatz. Einige Jahre später wurde die Anspruchsberechtigung auch auf arbeitslose Eltern oder Eltern, die aufgrund einer weiteren Elternschaft zu Hause bleiben, ausgedehnt. Das niedrige Kinderbetreuungsniveau für unter 3-Jährige in der Bundesrepublik ist auf die lang währende Skepsis der konfessionellen Verbände, die einen Großteil der sozialen Dienste anbieten, gegenüber der außerhäuslichen Betreuung von Kleinkindern zurückzuführen (Bahle 2007).
8.1 Familienbezogene Sachleistungen
289
Dennoch hat sich die Situation vor allem in den letzten zwei Jahren – seit Verabschiedung des Tagesbetreuungsausbaugesetzes (TAG) – verbessert (Bundesministerium für Familie 2006b; Statistisches Bundesamt 2004a). In Italien, das keine national gültigen Richtlinien kennt, sind die meisten Betreuungseinrichtungen auf kommunaler Ebene organisiert. Die Abbildung 8.1 macht deutlich, dass es auch innerhalb der einzelnen Länder beträchtliche regionale Variationen des Angebots gibt. Vor allem in Deutschland ist die Betreuungssituation sehr heterogen und zwischen alten und neuen Bundesländern gespalten. Während Sachsen-Anhalt für knapp 60 Prozent der Kinder unter 3 einen Platz zur Verfügung stellt, haben in Nordrhein-Westfalen nur etwa 2 Prozent dieser Altersgruppe die Möglichkeit außerhäuslicher Betreuung. In den übrigen Ländern ist die regionale Vielfalt nicht ganz so groß. Bemerkenswert ist in komparativer Perspektive, dass selbst die niedrigste regionale Versorgungsquote Frankreichs noch höher ist als das höchste Regionalniveau Italiens. Die kruden Versorgungsquoten kaschieren beträchtliche Unterschiede in der Anzahl der Betreuungsstunden. Es liegt aber auf der Hand, dass lange und flexible Öffnungszeiten die Erwerbstätigkeit von Eltern stärker fördern als ein Betreuungsangebot von nur wenigen Stunden pro Tag. Bei Berücksichtigung dieses Maßstabs verschiebt sich das in Tabelle 8.3 berichtete Bild etwas. So ist in Deutschland zwar die Zahl der Plätze pro 100 Kinder in den letzten Jahren gestiegen, aber die Öffnungszeiten haben sich nicht im Gleichschritt verbessert. Nur 38 Prozent der unter 3-Jährigen sind ganztags in Kindertageseinrichtungen untergebracht, d.h. in einer Woche an mindestens vier Tagen für sechs oder mehr Stunden. Mit 62 Prozent liegt auch dieser Wert in den neuen Bundesländern deutlich höher als in den alten, wo etwa 24 Prozent der unter 3-Jährigen ganztags betreut werden (Bien et al. 2006: 32). Ganz anders sieht die Situation in Italien aus, wo die Öffnungszeiten mit einem Mindestangebot von 24 Stunden pro Woche und durchschnittlich neun Stunden Betreuung am Tag sehr flexibel sind (Ministero della Pubblica Istruzione 2001: 16). Die französischen crèches collectives haben im Durchschnitt an 235 Tagen im Jahr 11,2 Stunden geöffnet. Die assistantes maternelles bieten ihre Betreuungsdienste sehr flexibel und den Wünschen der Eltern angepasst an. Ist die Tagesmutter die einzige Form der Betreuung, so befinden sich Kinder durchschnittlich 33,2 Stunden pro Woche in ihrer Obhut. Die école maternelle ist für 26 Stunden pro Woche für die Kinder da, so dass für die unter 3-Jährigen in Frankreich außerhäusliche Betreuungsdienste für einen relativ langen Zeitraum zur Verfügung stehen (OECD 2003: 76). Auch Schweden bietet offenbar flexible Betreuungszeiten an, denn laut der zuständigen Bildungsbehörde Skolverket sind die Öffnungszeiten den Anforderungen des Arbeitsmarkts bzw. des Studiums angepasst (Skolverket 2005).
290
8 Kinderbetreuung zwischen Familie und Staat
Verfügbare Plätze in % aller Kinder zwischen 0 und 3
Abbildung 8.1:
Regionale Unterschiede in der Kinderbetreuung
60 San
MN ÖN
Est Ouest
50
ÖM, Smö, Sy BP
Bra 40
St V
SO IdF B
30
S M T
NPdC
20
HH 10
0
Centro NO
Bre SAR He RLP BaWü, N, SH, Bay, NRW
Deutschland 2002
Frankreich 2003
Isole Sud
Italien 2000
Schweden 1998
Erläuterung: Bei den Angaben handelt es sich um die Anzahl der Plätze in öffentlich bereitgestellten Betreuungseinrichtungen. Regionale Daten zur Betreuung durch Tagesmütter bzw. in der Tagespflege fehlen. Dies erklärt die Diskrepanz zwischen den Angaben in Tabelle 8.3 und den regionalen Zahlen in der Abbildung 8.1 für Frankreich. Die schwedischen Unterschiede zwischen den landesweiten und den regionalen Daten erscheinen dagegen rätselhaft, da trotz der fehlenden Einbeziehung der Tagespflege die regionalen Zahlen die landesweiten zum Teil übersteigen. Abkürzungen für die Regionen: Deutschland (2002): BaWü=Baden-Württemberg, Bay=Bayern, B=Berlin, Bra=Brandenburg, Bre=Bremen, HH=Hamburg, He=Hessen, MV=Mecklenburg-Vorpommern, N=Niedersachsen, NRW=Nordrhein-Westfalen, RLP=Rheinland-Pfalz, SAR=Saarland, S=Sachsen, San=SachsenAnhalt, SH=Schleswig-Holstein, T=Thüringen Frankreich (2003): IdF=Île de France, BP=Bassin Parisien, NPdC=Nord - Pas-de-Calais, Est=Est, Ouest=Ouest, SO=Sud-Ouest, CE=Centre-Est, M=Méditerranée Italien (2000): NO=Nord-Ovest, NE=Nord-Est, Centro=Centro, Sud=Sud, Isole=Isole Schweden (1998): St=Stockholm, ÖM=Östra Mellansverige, Sy=Sydsverige, NM=Norra Mellansverige, MN=Mellersta Norrland, ÖN=Övra Norrland, Smö=Småland med öarna, V=Västsverige Quelle: Bundesministerium für Familie (2004); Chastenet (2005); Fortunati (2002); Statistika centralbyrån (2006)
8.1 Familienbezogene Sachleistungen
291
8.1.2.2 Kosten der Kinderbetreuung Den Eltern ist wenig gedient, wenn Kinderbetreuungsplätze zwar zur Verfügung stehen, für sie aber unerschwinglich bleiben. Wenn ein Großteil des zusätzlichen Arbeitslohns in die Kinderbetreuung gesteckt werden muss, bleibt der Anreiz zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gering. Dies gilt insbesondere dann, wenn zusätzlich noch ein großzügig bemessenes und für einen relativ langen Zeitraum gewährtes Erziehungsgeld den Verzicht auf Lohnarbeit nahelegt (Gornick und Meyers 2003, vgl. auch Kap. 8.1.1). Auch bezüglich der Kostenregeln unterscheiden sich unsere vier Untersuchungsländer beträchtlich. Generell lassen sich die direkte Kostenübernahme durch den Staat, die Kostenteilung zwischen Eltern und Staat und die Subventionierung durch Steuererleichterungen unterscheiden. Die Tabelle 8.4 zeigt, welche Finanzierungsregeln in den vier Ländern im Jahr 2006 galten. Allen vier Ländern ist gemeinsam, dass sie die Kosten für die Kinderbetreuung zwischen Eltern und öffentlicher Hand, d.h. Kommunen, Regionen oder Zentralstaat teilen, aber die jeweiligen Anteile variieren beträchtlich (vgl. die Hintergrundberichte für das OECD-Projekt „Early Childhood Education and Care“143). Der Anteil, zu dem Eltern die Betreuungskosten übernehmen müssen, schwankt zwischen etwa 6,5 Prozent des durchschnittlichen Nettolohns in Deutschland und mindestens 29 Prozent in Italien. Nur in Frankreich und Deutschland können die Ausgaben wieder teilweise vom Staat durch direkte oder indirekte Transferleistungen erstattet werden. Neu ist in Frankreich, dass das Kleinkinder-Betreuungsgeld nicht mehr für Haushalte mit höheren Einkommen (ab 4.575 Euro/Monat) gilt, so dass der ehemals universelle Rechtsanspruch aller Franzosen auf staatliche Kinderförderung erstmals zugunsten der Förderung spezifischer Zielgruppen aufgegeben wurde (Neumann und Veil 2004). Schweden hält die Kosten, die die Eltern zu tragen haben, so niedrig, dass zusätzliche Steuervergünstigungen nicht notwendig scheinen. In Italien sind die öffentlichen Kinderbetreuungsangebote zwar im Vergleich zu den Kosten für private Betreuung günstig, aber im Vergleich zu den durchschnittlichen Erwerbseinkommen von Frauen und Familien teuer, so dass sich für italienische Mütter die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit aus diesem Grunde kaum lohnt (European Commission 2005).
143 http://www.oecd.org/document/13/0,2340,en_2649_34511_1941773_1_1_1_1,00.html
292 Tabelle 8.4:
8 Kinderbetreuung zwischen Familie und Staat
Staatliche Maßnahmen zur finanziellen Unterstützung bei außerhäuslicher Kinderbetreuung (2006) Kostenübernahme
Unterstützung bei Inanspruchnahme privater Betreuungsleistung
Steuererleichterungen bei Inanspruchnahme privater Betreuungsleistung
Deutschland
Elternbeteiligung: einkommensabh. etwa 23% der Gesamtkosten, durchschnittl. 110 €/Monat (ca. 6,5% des durchschnittl. Nettolohns eines APW*)
Keine spez. Regelung
Frankreich
Elternbeteiligung: einkommensabh. etwa 175 €/ Monat (inkl. staatl. Leistungen, aber ohne Steuervergünstigungen), ca. 12% des durchschnittl. Nettolohns eines APW
2/3 der Kosten bis zu max. 4000 €/Jahr/Kind (Alter 014) für Erwerbstätige, Alleinerziehende und DoppelverdienerPaare, für alle anderen Absetzen der Kosten für Betreuung der 3- bis 6-Jährigen Steuervergünstigung bis zu 25% der Auslagen, max. Steuererleichterung beträgt 575 €/Jahr
Italien
Elternbeteiligung: einkommensabh. 400 € bis 600 €/Monat, ca. 29,3 bis 44% des durchschnittl. Nettolohns eines APW
Teilweise und abh. vom Familieneinkommen Übernahme der Lohnkosten einer Betreuungsperson für unter 3-Jährige (1/2 Übernahme für Betreuung von 3- bis 6Jährigen). Zusätzl. volle Übernahme der Sozialabgaben für geprüfte Kinderpflegerin und 50%ige Übernahme (mit Bemessungsgrenze) für die Beschäftigung einer Betreuungskraft im eigenen Haus. Leistung zwischen € 157,91 und € 388,00/ Monat für 0- bis 3-Jährige, die Hälfte für 3bis 6-Jährige. Keine spez. Regelung Keine spez. Regelung
293
8.2 Kinderbetreuung und Erwerbsbeteiligung von Müttern
Kostenübernahme
Schweden
Unterstützung bei Inanspruchnahme privater Betreuungsleistung
Elternbeteiligung Keine spez. Regelung (maxtaxan): nach Kinderzahl max. 13% des Einkommens (Kind 1: 3%, Kind 3: 1%), max. 140 €/Monat (ca. 8,8% des durchschnittl. Nettolohns eines APW)
Steuererleichterungen bei Inanspruchnahme privater Betreuungsleistung Keine spez. Regelung
Erläuterung: APW ist die Abkürzung für Average Production Worker, der durch folgende Kennzeichen charakterisiert ist: a) Wirtschaftssektor: verarbeitende Industrie; b) Art der Tätigkeit: Produktionsarbeiter; c) Geschlecht: Männer und Frauen insgesamt (OECD). Quelle: Bundesministerium für Familie (2006c); Europäische Kommission (2006b); European Commission (2006); Gornick und Meyers (2003); OECD (2006)
Im Folgenden soll anhand von Individualdaten geprüft werden, welche Konsequenzen sich aus dem unterschiedlichen institutionellen Angebot für die Erwerbstätigkeit von Müttern ergeben und inwieweit andere Formen der Kinderbetreuung ebenfalls einen messbaren Einfluss haben.
8.2 Kinderbetreuung und Erwerbsbeteiligung von Müttern Nachdem sich im Angebot von Betreuungseinrichtungen deutliche Unterschiede gezeigt haben, soll nun analysiert werden, welche Beschäftigungschancen von Müttern damit verknüpft sind. Eine Entlastung der Mütter von der Familienarbeit wird allerdings nicht nur durch öffentliche oder kommerzielle Betreuungsangebote erreicht, sie kann auch durch die Unterstützung anderer Familienmitglieder erfolgen. In Griechenland, Italien oder Spanien zum Beispiel tragen Großeltern und insbesondere Großmütter einen bedeutenden Anteil an der Betreuung von Kleinkindern (Herlyn und Lehmann 1998; Romano und Cappadozzi 2002). Innerhalb der Familien könnte auch eine Veränderung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, in deren Rahmen sich Väter stärker an der Kindererziehung beteiligen, das Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Mütter entschär-
294
8 Kinderbetreuung zwischen Familie und Staat
fen. Die folgenden Analysen versuchen, dem Einfluss dieser verschiedenen Bedingungsfaktoren auf der Grundlage der Individualdaten nachzuspüren.
8.2.1 Kinderbetreuung in der Familie Familiale Alternativen zu sozialen Dienstleistungen sind in den vier Untersuchungsländern in sehr unterschiedlichem Maße entwickelt. In Italien, wo noch häufig mehrere Generationen zusammenleben, hat die Unterstützung der Großeltern vergleichsweise große Bedeutung, während das kulturell verankerte Rollenbild des allein verdienenden Ehemannes kaum zu einer Neuaufteilung formeller und informeller Arbeit zwischen den Geschlechtern einlädt. In Schweden tragen hingegen neben dem gut ausgebauten Kinderbetreuungsangebot auch die angestrebte Gleichstellung von Männern und Frauen in Familie und Beruf dazu bei, dass Mütter am Erwerbsleben teilnehmen können. In Deutschland und Frankreich ist der Beitrag, den Großeltern oder Väter bei der Kinderbetreuung leisten, vermutlich weniger stark ausgeprägt als in Italien oder Schweden, so dass die Betreuungsalternativen außerhalb der Familie eine zentrale Rolle spielen. Der folgende Abschnitt analysiert, wie es um die familialen Betreuungspotenziale tatsächlich bestellt ist. Betreuung durch die Großmütter Betreuungsleistungen von Großeltern sind in Europa weitverbreitet, wobei vor allem Großmütter eine aktive Rolle spielen (Attias-Donfut et al. 2005). Ein Vergleich von zehn europäischen Ländern hat ergeben, dass sich 40 Prozent der Großmütter innerhalb der letzten zwölf Monate um ihre Enkelkinder gekümmert haben (Attias-Donfut et al. 2005). Wie sehr sich das Ausmaß großmütterlicher Kinderbetreuung aber in Grenzen hält, wird deutlich, wenn nach dem Unterstützungsgrad aus der Sicht der Enkelkinder gefragt wird. Dann zeigt sich nämlich, dass mindestens zwei Drittel der Enkelkinder innerhalb der letzten zwölf Monate vor der Befragung keinerlei großmütterliche Betreuung erfuhren (Abbildung 8.2).144 Auch für diejenigen Enkel, die von Großmüttern betreut wurden, zeigt die Abbildung beträchtliche Unterschiede in der Betreuungsintensität. Während in Deutschland und Frankreich 14 Prozent der Enkel entweder täglich oder wöchentlich von ihrer Großmutter betreut werden, sind es in Schweden nur zehn Prozent. In Italien wird hingegen jeder fünfte Enkel mindestens einmal wöchentlich von der Großmutter betreut. 144 Leider haben wir keine Informationen über das Alter der Enkelkinder. Der hohe Anteil derer, die nicht betreut werden, könnte auch an einer hohen Anzahl älterer Enkel liegen, die keiner Betreuung mehr bedürfen.
295
8.2 Kinderbetreuung und Erwerbsbeteiligung von Müttern
Abbildung 8.2: Betreuung durch die Großmütter 100% 90% 80% 70%
66.0
67.5
71.4
74.8
60% 50% 40% 30%
13.0
6.2
6.1
20%
5.8
7.6
8.2
11.0
12.7
5.2
3.3
Deutschland
Frankreich
10% 0%
Täglich
15.3
2.3 6.7
Wöchentlich
Monatlich
Italien
8.1 7.8
1.2
Schweden
Weniger häufig
Nie
Erläuterung: Betreuung bedeutet, dass Großmütter innerhalb der letzen zwölf Monate in Abwesenheit der Eltern des Enkels nach dem Enkel geschaut haben. Quelle: SHARE 2003
Für die häufigeren Betreuungsleistungen von Großmüttern in den südeuropäischen Staaten gibt es zumindest zwei Gründe. Zum einen gehen jüngere Großmütter dort wesentlich seltener einer Erwerbstätigkeit nach als in den skandinavischen Ländern, und ein Makrovergleich legt nahe, dass die höheren Beschäftigungsquoten in Skandinavien mit geringeren Betreuungsleistungen einhergehen (Attias-Donfut et al. 2005). Eine differenzierte Mikroanalyse mit den SHAREDaten zeigt allerdings, dass erwerbstätige Großmütter ihre Enkel nicht weniger häufig betreuen als nicht beschäftigte Großmütter unter 65 Jahren. In Schweden und Italien ist der Zusammenhang sogar umgekehrt, das heißt, erwerbstätige Großmütter leisten dort sogar mehr Betreuungsarbeit (vgl. Herlyn und Lehmann 1998; Templeton und Bauereiss 1994). Ein zweiter Grund ist erklärungskräftiger und verweist auf den engeren Familienzusammenhalt, der sich nicht zuletzt durch die geringe räumliche Distanz
296
8 Kinderbetreuung zwischen Familie und Staat
der Generationen ergibt. Nur wenn Eltern in der Nähe ihrer erwachsenen Kinder leben, sind sie zu wirksamen Unterstützungsleistungen auch in der Lage (Marbach 1994; Templeton und Bauereiss 1994). Ein enges räumliches Zusammenleben zwischen den Generationen findet sich nur in Italien sowie in geringerem Maße auch in Deutschland (vgl. Tabelle 8.5). Über 18 Prozent der italienischen Enkel leben mit der Großmutter in einem Haus und weitere 20 Prozent in der Nachbarschaft. In Deutschland ist die Distanz etwas größer, aber immerhin lebt jeder vierte Enkel weniger als einen Kilometer von der Großmutter entfernt. In Frankreich und vor allem Schweden ist die Entfernung zwischen den Generationen größer. Großeltern leben dort nur selten im selben Haus wie die Enkel, finden sich allerdings auch dort in der Mehrheit der Fälle in der näheren Umgebung. Während in Italien nur jeder zehnte Enkel mehr als 100 Kilometer von einer Großmutter entfernt lebt, gilt das für ein Fünftel der Enkel in Deutschland und für ein Viertel in Schweden und Frankreich. Tabelle 8.5: Distanz
Entfernung von Enkeln zu den Großmüttern Im selben Haushalt
Im selben Haus
<1 km
Land
1-5 km
5-25 km
25-100 km
>100 km
19,9
Prozent der Enkel
Deutschland
2,5
9,0
13,2
19,2
23,1
13,0
Frankreich Italien
1,6
1,2
10,5
16,8
24,4
18,1
27,5
4,7
13,9
20,6
22,3
19,8
8,7
10,1
Schweden
0,3
0,3
10,8
19,5
23,0
20,7
25,5
Quelle: SHARE 2003, eigene Berechnungen
Eine wirksame Unterstützung mütterlicher Erwerbstätigkeit ohne Inanspruchnahme sozialer Dienste ist nur dann zu erwarten, wenn tägliche Unterstützung von anderen Personen zur Verfügung steht. Die Abbildung 8.3 stellt dar, wie verbreitet solche täglichen Hilfeleistungen von Großmüttern sind und wie stark sie von der Entfernung zu den Enkeln abhängen. Mit zunehmender räumlicher Entfernung zwischen Großeltern und Enkeln nimmt die Betreuungsintensität in allen vier Ländern ab.145 Nur wenn die Großeltern im gleichen Haus oder in der Nachbarschaft (weniger als 1 km Entfernung) leben, wird tägliche Betreuung 145 Das gleiche Ergebnis zeigt sich auch bei der Betrachtung der wöchentlichen Hilfeleistungen für die Betreuung von Enkeln.
297
8.2 Kinderbetreuung und Erwerbsbeteiligung von Müttern
häufiger geleistet. In Deutschland und Schweden sinken die Betreuungsraten sogar schon deutlich, wenn die Großeltern auch nur einen Kilometer entfernt leben. Selbst bei gleicher Entfernung zwischen Großmutter und Enkel bestehen allerdings große Unterschiede zwischen den Ländern. Für alle Entfernungskategorien sticht die hohe Betreuungsintensität italienischer Großmütter hervor. So wird jeder fünfte Enkel in Italien täglich von der Großmutter betreut, wenn sie im Haus oder in der Nachbarschaft lebt. Eine ähnliche Intensität großmütterlicher Abbildung 8.3: Tägliche Betreuung der Enkel durch Großmütter nach Entfernung 25 22 20
20
Tägliche Betreuung
20 (16)
15 13 (11)11
10
10 8 5
5
4
3
3 1
1
0
3 1 0
1
0 Deutschland Im Haus/Haushalt
Frankreich <1 km
Italien 1-25 km
>25 km
Schweden Durchschnitt
Erläuterung: Die Zahlen in Klammern beruhen auf einer Fallzahl von weniger als 30 Fällen. Tägliche Betreuung bedeutet, dass Großmütter fast jeden Tag innerhalb der letzen zwölf Monate in Abwesenheit der Eltern des Enkels nach dem Enkel geschaut haben. Quelle: SHARE, eigene Berechnungen
Unterstützung findet sich in Deutschland nur, wenn die Generationen im gleichen Haus(halt) wohnen. Auch wenn die Großmutter in der Nachbarschaft lebt,
298
8 Kinderbetreuung zwischen Familie und Staat
erhalten in Frankreich nur zehn Prozent der Enkel von ihr tägliche Betreuungsleistungen, in Schweden sogar nur drei Prozent.146 Damit verstärken die Variationen der Betreuungsintensität noch die Unterschiede, die sich aufgrund der räumlichen Distanz zwischen den Ländern ergeben. Insgesamt wird jeder achte Enkel Italiens täglich von der Großmutter betreut. Nur bei dieser Verfügbarkeit familialer Hilfen lässt sich erwarten, dass die Erwerbsarbeit von Müttern in einem nennenswerten Umfang erleichtert wird. In Deutschland, Frankreich und vor allem Schweden ist die tägliche Betreuung durch die Großmutter hingegen zu selten, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Mütter zu verbessern. Deshalb sollte die mütterliche Erwerbstätigkeit in diesen Ländern weitgehend von der Verfügbarkeit öffentlicher Betreuungseinrichtungen geprägt sein. Beschäftigung und Arbeitszeit von Vätern Die starke Zunahme der Frauenerwerbstätigkeit in den letzten Jahrzehnten war nicht von einer entsprechenden Verringerung der weiblichen Familienarbeit begleitet. Weil Männer das Ausmaß ihrer informellen Tätigkeiten nur leicht gesteigert haben (Boje 1996; Hook 2006), gilt die Doppelbelastung der Frauen durch Familie und Erwerbsarbeit in vielen Ländern als problematisch (Bimbi 1989; Blossfeld und Drobnic 2001). Zwar hat sich der Zeitaufwand für Familienarbeit zwischen Frauen und Männern angeglichen, aber das liegt nicht an der Steigerung seitens der Männer, sondern primär daran, dass Frauen nun auch weniger Zeit für Familienarbeit aufwenden (Gershuny 2000). Die reduzierte Zeit, die Eltern für Hausarbeit und Familie aufbringen, wird teilweise durch öffentliche oder private Dienstleistungen ersetzt, teilweise durch mehr Effizienz eingespart, oft bleibt aber auch die Arbeit schlicht ungetan (Bianchi et al. 2000). Der Vergleich der Beschäftigungsquoten und der wöchentlichen Arbeitszeit vor und nach Geburt eines Kindes bestätigt diese Ergebnisse. Väter schränken ihre Erwerbsarbeit nicht zugunsten der Kinderbetreuung ein, sondern investieren zwecks Deckung des gesteigerten Bedarfs eher noch mehr in die Erwerbsarbeit (Abbildung 8.4). Über 90 Prozent der Väter in Deutschland, Frankreich und Italien sind erwerbstätig, und dies in der Regel in einer Vollzeitbeschäftigung. Für Schweden kann die Entwicklung der Beschäftigungsmuster vor und nach der Geburt eines Kindes zwar aufgrund der fehlenden Längsschnittdaten nicht nachgezeichnet werden, aber ein Vergleich der Beschäftigungsquoten und Arbeitszeiten von Vätern auf der einen und kinderlosen Männern unter 55 Jahren auf der anderen Seite weist darauf hin, dass auch schwedische Väter die Erwerbsarbeit nicht zurückschrauben. Wie diverse Studien belegt haben, sind Frauen eher bereit, 146 In Frankreich und Schweden gibt es nur wenige Großmütter, die im selben Haus leben. Deshalb unterliegen die Angaben zu den Betreuungsleistungen hier großen statistischen Fehlerschwankungen, so dass die Ergebnisse hier nicht interpretiert werden sollten.
299
8.2 Kinderbetreuung und Erwerbsbeteiligung von Müttern
ihre Arbeitszeit zugunsten der Kindererziehung zu reduzieren, was insbesondere dann ein rationales Muster der Arbeitsteilung ist, wenn der männliche Partner ein wesentlich höheres Erwerbseinkommen erzielt (Craig 2006; Keck 2004). Abbildung 8.4: Beschäftigungsquote und Arbeitszeit von Vätern nach Alter des Kindes
Beschäftigungsquote von Vätern
100
95
90
85
80
75
70 Vor der Geburt
Kind im 1. Lebensjahr
Kind im 3. Lebensjahr
Frankreich 1994-1997 Deutschland 1994-1997 Italien 1994-1997
Kind im 4. Lebensjahr
Kind im 6. Lebensjahr
Kind im 7. Lebensjahr
Frankreich 1998-2001 Deutschland 1998-2001 Italien 1998-2001
300
8 Kinderbetreuung zwischen Familie und Staat
Durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit (h)
50 48 46 44 42 40 38 36 34 32 30 Vor der Geburt
Kind im 1. Lebensjahr
Kind im 3. Lebensjahr
Frankreich 1994-1997 Deutschland 1994-1997 Italien 1994-1997
Kind im 4. Lebensjahr
Kind im 6. Lebensjahr
Kind im 7. Lebensjahr
Frankreich 1998-2001 Deutschland 1998-2001 Italien 1998-2001
Erläuterung: Es werden nur Übergänge zwischen aufeinander folgenden Lebensjahren des Kindes ausgewertet. Für diese kann die Veränderung angegeben werden (Verbindungslinien). Die Übergänge zwischen dem 1. und 3. Lebensjahr sowie zwischen dem 4. und 6. Lebensjahr wurden nicht ermittelt. Deshalb wurden die Punkte dort auch nicht durch Linien verbunden. Quelle: ECHP 1994-2001, eigene Berechnungen
An den länderspezifischen Mustern hat sich im Verlauf der Zeit wenig geändert. Nur für Frankreich ergibt sich eine erkennbare, wenngleich geringe Reduzierung der väterlichen Arbeitszeit in jüngerer Zeit. Veränderte Einstellungen zu Geschlechterrollen, die häufig aus der vergleichenden Umfrageforschung berichtet werden, schlagen sich demnach nicht in veränderten Erwerbsmustern nieder. Zwar wünschen sich Männer mehr Zeit für ihre Kinder und sind in der Mehrheit auch für eine gleichberechtigte Aufteilung der Elternarbeiten, aber hinsichtlich der effektiv geleisteten Betreuungsarbeit bestehen zwischen Vätern und Müttern nach wie vor deutliche Diskrepanzen (Milkie et al. 2002; Saraceno et al. 2005). Das neue Rollenverständnis scheint sich demnach vor allem an den Wochenenden auszudrücken (Yeung et al. 2001). Trotz der ähnlichen männlichen Beschäftigungsmuster gibt es zwischen den vier Ländern einen bemerkenswerten Unter-
8.2 Kinderbetreuung und Erwerbsbeteiligung von Müttern
301
schied im Grad, zu dem Männer an der Hausarbeit und Kinderbetreuung mitwirken: Schwedische Männer wenden für die Kinderbetreuung deutlich die meiste Zeit auf, allerdings immer noch etwa nur halb so viel wie schwedische Frauen. Deutschland und Frankreich unterscheiden sich hingegen hier kaum, während das Engagement italienischer Männer bei der Hausarbeit auffallend niedrig ist (Aliaga 2006). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich die Geschlechterrollen eher in den Einstellungen als in der tatsächlichen Aufgabenverteilung gewandelt haben. Bei Geburt eines Kindes sind es nach wie vor die Mütter, die ihre Erwerbsbeteiligung reduzieren, während Männer ungebrochen einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen oder ihr Arbeitsangebot sogar steigern, um das Familieneinkommen zu erhöhen. Das Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf stellt sich damit in aller Schärfe nach wie vor vorwiegend für Frauen.
8.2.2 Der Einfluss von Kinderbetreuungsoptionen auf die Erwerbsbeteiligung von Müttern Viele Studien haben belegt, dass die Verfügbarkeit von Betreuungseinrichtungen für kleine Kinder die Beschäftigungsmöglichkeiten von Müttern verbessert (Addabbo 2001; Kenjoh 2005; Kreyenfeld und Hank 2000; Uunk et al. 2005). Zum einen wird dadurch die Erfüllung des Kinderwunsches erleichtert (Hoem 2005) 147, zum anderen sind die Aufgaben in Familie und Beruf besser vereinbar, so dass Länder mit einem hohen Anteil sozialer Betreuungsdienste auch höhere Beschäftigungsquoten von Frauen haben. Bemerkenswert sind aber auch einige erstaunliche Abweichungen von diesem generellen Muster. So liegt die Beschäftigungsquote von Müttern auch in Ländern mit wenig ausgebautem Betreuungsangebot kaum niedriger als diejenige von kinderlosen jungen Frauen (Anttonen und Sipilä 1996). Wie Abbildung 8.5 deutlich macht, gibt es hier eine Zweiteilung der Beschäftigungsverhältnisse in Europa.
147 Allerdings lassen sich Unterschiede in der Fertilität viel schlechter erklären als die Partizipation am Arbeitsmarkt (del Boca et al. 2005; Hank et al. 2004; Neyer 2003). Dies ist ein Grund, warum sich die folgenden Analysen auf den Zusammenhang zwischen Kinderbetreuung und mütterlicher Erwerbstätigkeit konzentrieren.
302
8 Kinderbetreuung zwischen Familie und Staat
Beschäftigungsquote von Frauen zw ischen 25 und 45 Jahren ohne Kinder
Abbildung 8.5: Vergleich der Beschäftigungsquote in Vollzeitäquivalenten zwischen jungen Frauen und Müttern (2001) 100 90 80
LU
UK NL
DE
70 ES
60
AT FI
IE FR
PT DK
BE
SE
IT
50 40 30 20 10 0 0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
90
100
Beschäftigungsquote von Frauen zw ischen 2545 Jahren ohne Kinder
Beschäftigungsquote von Müttern mit Kindern zwischen 0-2 100 90 UK
80
DE
70
LUAT NL IE
BE FI
PT SE
60
70
FR
DK
ES
60
IT
50 40 30 20 10 0 0
10
20
30
40
50
80
Beschäftigungsquote von Müttern mit Kindern zwischen 3-5
Erläuterung: Mütter in Elternzeit, die nicht erwerbstätig sind, zählen als nicht beschäftigt. Ein Land liegt genau auf der Orientierungslinie, wenn die Beschäftigungsquoten von Müttern und kinderlosen Frauen gleich hoch sind. Länder, die links von der Linie eingetragen sind, haben eine unterdurchschnittliche Beschäftigungsbeteiligung von Müttern; in Ländern rechts von der Linie ist die Müttererwerbstätigkeit höher als diejenige kinderloser junger Frauen. Quelle: ECHP 2001, eigene Berechnungen
8.2 Kinderbetreuung und Erwerbsbeteiligung von Müttern
303
In den skandinavischen Ländern sowie in Belgien und Frankreich liegen die Beschäftigungsquoten von Müttern nur unwesentlich niedriger als diejenigen kinderloser Frauen im Alter zwischen 25 und 45 Jahren. In Dänemark erreichen Mütter mit Kindern zwischen drei und fünf Jahren sogar eine höhere Beschäftigungsquote. Ganz ähnliche Beschäftigungsmuster finden sich aber auch in Portugal, Italien und Spanien, wenngleich die Beschäftigungsquoten von Frauen dort, abgesehen von Portugal, auf einem niedrigeren Niveau sind.148 Ein davon deutlich abweichendes Muster finden wir in den übrigen kontinentaleuropäischen Staaten sowie in Großbritannien und Irland. Dort gehen Mütter deutlich seltener einer Erwerbstätigkeit nach als kinderlose Frauen. Vor allem in Deutschland sind die Unterschiede zwischen beiden Gruppen auffallend groß.149 Eine genaue Beurteilung der Beschäftigungsfolgen durch die Geburt eines Kindes lässt sich nur durch Längsschnittanalysen gewinnen, die den Erwerbsverlauf von Frauen vor und nach der Geburt eines Kindes verfolgen.150 Abbildung 8.6 zeigt die Veränderung der Erwerbsbeteiligung und der Arbeitszeit nach Alter des Kindes für drei der vier Länder in der Untersuchung.151 Mütter in Elternzeit gelten als beschäftigt, da die Daten keine Differenzierung zwischen Erwerbstätigkeit und Elternzeit zulassen. Bei der Arbeitszeit wird hingegen die aktuelle Zeit in Stunden pro Woche erfasst, so dass Mütter in Elternzeit dort nicht berücksichtigt sind. Der Vergleich von Müttern und kinderlosen jungen Frauen zeigt, dass die Geburt eines Kindes in Deutschland zu einer deutlichen Reduzierung der Erwerbsbeteiligung von Frauen führt. Neben der Beschäftigungsquote geht auch 148 In Griechenland liegt die Beschäftigungsquote von Müttern mit 53 Prozent (1988) sogar deutlich über der durchschnittlichen Beschäftigungsquote von Frauen mit 40 Prozent (Anttonen und Sipilä 1996). 149 Die Differenz ist weniger stark, wenn die Beschäftigungsquoten nicht in Vollzeitäquivalenten gemessen, sondern roh verglichen werden. Das zeigt, dass Teilzeitarbeit unter deutschen Müttern weit häufiger verbreitet ist als unter kinderlosen Frauen und dass die Rückkehr in den Beruf mit verkürzten Arbeitszeiten hierzulande vergleichsweise häufig ist. 150 Gruppen- und Querschnittsvergleiche verzerren die Ergebnisse aufgrund von Auswahleffekten und ungeklärten Kausalfolgeproblemen. Zum einen finden sich in der Gruppe der kinderlosen Frauen auch viele Frauen, die gar keine Kinder haben möchten, besonders karriereorientiert sind und deshalb länger arbeiten als Frauen, die Mütter werden wollen. Zum anderen ist ein Kind nicht nur Grund für die Reduktion der Arbeitszeit, sondern kann auch deren Folge sein, wenn Arbeitslosigkeit oder verringerte Arbeitszeit dem Wunsch nach einem Kind Auftrieb geben (Uunk et al. 2005). 151 Für Schweden liegen keine Angaben vor, da die schwedischen ECHP-Daten nur jährlich im Querschnitt erhoben wurden. Immerhin lässt sich aus den Querschnittsvergleichen ableiten, dass die Geburt eines Kindes dort nur geringe Effekte auf das Erwerbsverhalten der Mütter hat. So beträgt der Unterschied bei der Arbeitszeit zwischen kinderlosen Frauen und Müttern mit Kindern unter 2 Jahren nur eine halbe Stunde pro Woche, im Vergleich kinderloser Frauen zu Müttern mit Kindern zwischen 3 und 5 Jahren lediglich 1 Stunde pro Woche. Mütter mit Kindern über 6 Jahren haben sogar eine im Schnitt höhere Arbeitszeit als junge Frauen ohne Kinder.
304
8 Kinderbetreuung zwischen Familie und Staat
die Arbeitszeit zurück. Die anfängliche Latenz bei der Abnahme der Beschäftigungsquote ist auf die Elternzeit zurückzuführen. Im dritten und vierten Lebensjahr des Kindes schrumpft das Arbeitsangebot der Mütter beträchtlich. Es steigt erst, wenn das Kind das Schulalter erreicht hat, wieder leicht an, freilich ohne das Ausgangsniveau zu erreichen. Die durchschnittliche Arbeitszeit der Mütter bleibt über den gesamten Zeitraum reduziert.
Beschäftigungsquoten von Müttern (inkl. Elternzeit)
Abbildung 8.6: Veränderung der Beschäftigungsquote und der Arbeitszeit von Müttern nach Alter des Kindes (1998-2001) 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% Vor der Geburt
Kind im 1. Lebensjahr
Frankreich 1998-2001
Kind im 3. Lebensjahr
Kind im 4. Lebensjahr
Italien 1998-2001
Kind im 6. Lebensjahr
Kind im 7. Lebensjahr
Deutschland 1998-2001
305
Durchschnittliche wöchtliche Arbeitszeit in Stunden
8.2 Kinderbetreuung und Erwerbsbeteiligung von Müttern 50 48 46 44 42 40 38 36 34 32 30 28 26 24 22 20 Vor der Geburt
Kind im 1. Lebensjahr
Frankreich 1998-2001
Kind im 3. Lebensjahr
Kind im 4. Lebensjahr
Italien 1998-2001
Kind im 6. Lebensjahr
Kind im 7. Lebensjahr
Deutschland 1998-2001
Erläuterung: Beim Vergleich der Beschäftigungsquoten gelten Mütter auch als beschäftigt, wenn sie in Elternzeit sind. Die Angaben sind nicht auf Vollzeitäquivalente umgerechnet. Dies erklärt die unterschiedlichen Niveaus im Vergleich zu Abbildung 8.5. Die durchschnittliche Arbeitszeit bezieht sich nur auf Mütter, die innerhalb der zwei Wochen vor dem Erhebungszeitpunkt erwerbstätig waren. Es wurden nur Übergänge zwischen aufeinander folgenden Lebensjahren des Kindes errechnet, wobei die Veränderung durch die Verbindungslinien gekennzeichnet ist. Die Übergänge zwischen dem 1. und 3. Lebensjahr sowie zwischen dem 4. und 6. Lebensjahr wurden nicht ermittelt. Deshalb wurden die entsprechenden Punkte auch nicht durch Linien verbunden. Quelle: ECHP 1998-2001 Längsschnitt, eigene Berechnungen
In Italien und Frankreich hat die Geburt eines Kindes viel geringere Auswirkungen auf die mütterliche Erwerbsbeteiligung. So reduziert sich die Arbeitszeit in beiden Ländern nur geringfügig. Schon frühere Studien haben die bemerkenswert hohe Beschäftigungskontinuität italienischer und französischer Mütter hervorgehoben (European Commission 1991). Bei den Beschäftigungsquoten steht der nur leichten Verringerung in Italien im Jahr nach der Geburt allerdings ein stärkerer Rückgang um 13 Prozentpunkte in Frankreich gegenüber. Zu berücksichtigen ist dabei, dass das Beschäftigungsniveau französischer Frauen insgesamt höher ist als in Italien oder Deutschland. Der Längsschnittvergleich unter-
306
8 Kinderbetreuung zwischen Familie und Staat
mauert somit das Ergebnis aus Abbildung 8.5, dass Mutterschaft in Italien und Frankreich nur in vergleichsweise geringem Ausmaß zur Reduzierung weiblicher Erwerbstätigkeit führt. Schwedische Querschnittsdaten verweisen auf ein ähnliches Muster (vgl. Fußnote 151). In Deutschland schrauben junge Mütter hingegen ihre Erwerbsbeteiligung deutlich zurück, was sowohl für die Beschäftigungsquoten wie für die Arbeitszeit gilt. Auch wenn die Kinder das Schulalter erreicht haben, nähern sich die Erwerbsmuster deutscher Mütter nicht an die Zeit vor der Geburt an. Diese Unterschiede sind allein mit dem unterschiedlichen Angebot an sozialen Betreuungsdiensten nicht zu erklären. So stellt insbesondere das knappe Angebot in Italien offenbar kein generelles Beschäftigungshemmnis für Mütter dar. Das wirft die Frage auf, welche Erklärungsfaktoren hier am Werk sind. Was fördert die Erwerbstätigkeit von Müttern? Der Fall Italiens zeigt, dass die Defamilialisierung, also der Ausbau öffentlicher Betreuungsdienste, nicht der einzige Weg zur Förderung der Erwerbstätigkeit von Müttern ist, sondern dass die Betreuung durch Großeltern durchaus eine Alternative zur Lösung des Betreuungsdilemmas darstellen kann. Auch in Deutschland erfüllen großelterliche Dienste zwar eine wichtige Überbrückungsfunktion bei kurzfristigem Betreuungsbedarf, vermögen aber öffentliche Einrichtungen nicht wirksam zu ersetzen (Bien 1994; Spieß et al. 2002). Welche Bedeutung den verschiedenen Betreuungsalternativen in den einzelnen Ländern zukommt, haben wir mit Hilfe einer statistischen Analyse zu klären versucht. Da für Schweden keine Längsschnittdaten vorliegen, mussten wir auf eine Panelanalyse der Veränderung des individuellen Erwerbsverhaltens verzichten und sind den Einflussfaktoren auf die Erwerbstätigkeit hier nur im Querschnitt nachgegangen. Auch für eine Querschnittanalyse fehlen für Schweden aber leider Angaben zur Präsenz einer Großmutter im Haushalt. Die folgende Modellschätzung ist eine zweistufige Multilevelanalyse, die sowohl individuelle Informationen als auch regionale Angaben verwendet. Abhängige Variable ist die wöchentliche Arbeitszeit von Müttern mit Kindern im Alter von 1-2 Jahren.152 Die drei zentralen unabhängigen Variablen zur Erfassung von Betreuungspotenzialen sind die Arbeitszeit des Vaters, die öffentlichen Betreuungsquoten und die Präsenz einer Großmutter im Haushalt. Nur die Arbeitszeit des Vaters erfasst den uns hier interessierenden Aspekt – nämlich die 152 Mütter von Kleinkindern unter einem Jahr haben wir von der Analyse ausgeschlossen, weil in allen hier untersuchten Ländern gewöhnlich die Elternzeit in Anspruch genommen wird, so dass die außerhäusliche Kinderbetreuung kaum eine Rolle spielt. Auch Mütter, die vor der Geburt niemals beschäftigt waren, blieben hier unberücksichtigt. Variationen beim Alter der Kinder (nur Einjährige, nur Zweijährige, Kinder im Alter von 0-3 Jahren) blieben ohne nennenswerten Einfluss auf die Veränderung der Koeffizienten.
8.2 Kinderbetreuung und Erwerbsbeteiligung von Müttern
307
Verfügbarkeit des Vaters für familiäre Hilfen – auf unmittelbare Weise. Für die beiden anderen Aspekte können wir empirisch nur mit Annäherungsgrößen arbeiten. Ob und wie häufig die Großmutter Betreuungsleistungen erbringt, wurde im ECHP nicht unmittelbar erhoben. Wir unterstellen hier, dass großmütterliche Dienste umso wahrscheinlicher sind, je jünger die im Haushalt lebende Großmutter ist, und haben deshalb die Variable "inverses Alter der im Haushalt lebenden Großmutter" als Näherungswert verwendet.153 Das öffentliche Betreuungsangebot liegt uns nicht für die letztlich relevante kommunale Ebene, sondern nur auf regionaler Ebene und damit auf relativ hohem Aggregationsniveau vor. Neben den diversen Betreuungsmöglichkeiten spielen für die Erwerbstätigkeit von Müttern weitere Aspekte eine Rolle, die in der Modellrechnung statistisch kontrolliert werden. Dazu zählt die Arbeitslosenquote von Frauen auf regionaler Ebene, die ebenso wie die in Vollzeitäquivalenten gemessene Beschäftigungsquote zeigt, welche Beschäftigungschancen aufgrund der Arbeitsmarktsituation in der Region bestehen. Weitere Kontrollvariablen auf individueller Ebene sind die Anzahl und das Alter der Kinder, das Einkommen des Partners, der Bildungsunterschied zwischen den Partnern, der Familienstand, der Bildungsabschluss der Mutter und die Zeitspanne, die die Mutter auf der letzten Erwerbsposition verbracht hat. Die Tabelle 8.6 fasst die Ergebnisse der Regressionsanalyse zusammen. Für alle drei Einflussfaktoren erhalten wir sehr geringe Effektstärken. Auch wenn in manchen Fällen der Einfluss auf die Arbeitszeit von Müttern signifikant ist, so sind die geschätzten Veränderungen der wöchentlichen Arbeitszeit sehr gering und belaufen sich auf nur wenige Minuten. Das hängt vermutlich damit zusammen, das wir im Falle der öffentlichen und großmütterlichen Betreuung nur mit Näherungswerten für die eigentlich interessierenden Variablen operieren konnten. Wird die individuelle Inanspruchnahme von Kinderbetreuung, die im ECHP auch erfasst wird, in das Regressionsmodell integriert, so ergeben sich für Deutschland, Frankreich und Italien starke positive Effekte auf die Arbeitszeit von Müttern. Dieses Ergebnis ist aber dadurch verzerrt, dass auch Mütter, die aufgrund der Kindererziehung gar nicht erwerbstätig sein wollen, die Nichtinanspruchnahme außerhäuslicher Kinderbetreuung berichten. In diesem Fall ist aber nicht die Verfügbarkeit von Kinderbetreuung der ausschlaggebende Faktor für das Erwerbsverhalten, sondern das Präferenzmuster der Frauen. Die in unserem 153 Um sicherzustellen, dass es keine doppelte Betreuungssituation für die Mutter gibt – durch das Kind einerseits und die zu pflegenden Großeltern andererseits -, wurde zudem kontrolliert, ob eine pflegebedürftige Person im Haushalt lebt. Leider liegen für Schweden durch das abweichende Haushaltskonzept keine Angaben vor. Allerdings zeigten die SHARE-Daten, dass dort nur 0,3 Prozent der Großmütter mit ihren Enkeln im selben Haushalt leben und die täglichen Betreuungsleistungen durch die Großmütter in Schweden insgesamt sehr gering sind, so dass kein Effekt auf die Erwerbstätigkeit der Mutter zu erwarten ist.
308
8 Kinderbetreuung zwischen Familie und Staat
Modell am unmittelbarsten gemessene Einflussgröße, die Arbeitszeit des Vaters, bleibt ohne erkennbaren Effekt auf die Arbeitszeit der Mutter. Offenbar gibt es die neuen Väter, die für die Kinderbetreuung ihre berufliche Tätigkeit einschränken und so der Partnerin die Erwerbstätigkeit ermöglichen, bislang nur in sehr geringem Umfang. Tabelle 8.6:
Zwei-Ebenen Poisson-Regression: Einflussfaktoren auf die Arbeitszeit von Müttern mit Kindern im Alter zwischen ein und zwei Jahren
Abhängige Variable: Arbeitsstunden pro Woche c Deutschland
Frankreich
B
B
p
p
Italien B
Schweden p
B
p
Betreuungsoptionen Regionale Betreuungsquote
0,01
0,815
0,03
0,000
0,01
0,490
0
0,824
Inverses Alter der Großmutter im Haushalt d
0,01
0,005
-0,63
0,996
0,01
0,000
k.A.
k.A.
Arbeitszeit des Partners
0,01
0,000
0
0,514
0
0,001
0
0,000
N
746
571
642
787
Erläuterung: Basis ist ein gepoolter Datensatz über die Erhebungswellen 1999 bis 2001, um genügend große Fallzahlen zu erhalten. Hat eine Mutter in diesem Zeitraum zwei Kinder in dem Altersbereich, wird nur das jüngste berücksichtigt. Kontrollvariablen sind: Anzahl der Kinder, Alter des jüngsten Kindes, Einkommen des Partners, Bildungsabschluss des Partners, Familienstand, Bildungsabschluss der Mutter, Jahre der Arbeitserfahrung im derzeitigen Beruf, regionale Arbeitslosenquote von Frauen, regionale Beschäftigungsquote von Frauen und Präsenz einer pflegebedürftigen Person im Haushalt. c
Es wurden nur Mütter berücksichtigt, die schon mindestens eine Phase der Erwerbstätigkeit vor der Geburt des Kindes hatten. Nicht erwerbstätige Mütter gehen mit der Arbeitszeit von null Stunden in das Modell ein.
d
Aufgrund hoher Multikollinearität wurde die Information, ob eine Großmutter im Haushalt lebt, mit deren Alter verbunden, das heißt, ihr Alter wurde von 100 subtrahiert. Lebt keine Großmutter mit im Haushalt, wurde der Wert 0 vergeben. Die Einbeziehung des Alters ist wichtig, da anzunehmen ist, dass es Großmüttern mit zunehmendem Alter schwerer fällt, Enkel regelmäßig und für lange Zeit zu betreuen. Die Kontrolle der Erwerbstätigkeit der Großmutter musste ebenfalls wegen Multikollinearität aus dem Modell ausgeschlossen werden. Allerdings ergeben sich keine Effekte, wenn nur die Erwerbstätigkeit von Großmüttern ins Modell aufgenommen wird, was dem oben erwähnten deskriptiven Befund entspricht, dass die Erwerbstätigkeit von Großmüttern nicht mit einer geringeren Häufigkeit der Betreuung der Enkel einhergeht (vgl. Kap. 8.2.1). Quelle: ECHP 1999-2001, eigene Berechnungen
8.2 Kinderbetreuung und Erwerbsbeteiligung von Müttern
309
Eine nähere Analyse Deutschlands ergibt bemerkenswerte Unterschiede zwischen alten und neuen Bundesländern (siehe Tabelle 8.7). Offenbar wird das Erwerbsverhalten von Müttern in beiden Landesteilen von ganz spezifischen Konstellationen bestimmt. Fünf Ergebnisse sind besonders bemerkenswert: 1.
2.
3.
4.
5.
Nur im Falle der Partnerschaft mit einem Akademiker zeigen sich in beiden Landesteilen ähnliche Effekte, d.h. Mütter, die mit einem Akademiker zusammenleben, reduzieren im Westen wie im Osten ihre Erwerbstätigkeit. Nur in den neuen Bundesländern ist die Erwerbsorientierung von Müttern unabhängig vom eigenen Bildungsniveau hoch; in Westdeutschland arbeiten Mütter mit niedrigem und mittlerem Bildungsabschluss hingegen deutlich weniger als Mütter mit hohem Bildungsabschluss. In den alten Bundesländern geht die Erwerbsbeteiligung von Müttern schon ab dem zweiten Kind deutlich zurück, in den neuen Bundesländern zeigt sich ein ähnlicher Effekt erst ab dem dritten Kind. Nur in Westdeutschland sind verheiratete Mütter seltener erwerbstätig als unverheiratete, während die Ehe in Ostdeutschland ohne statistisch relevanten Effekt bleibt. In Ostdeutschland führt ein hohes regionales Beschäftigungsniveau von Frauen auch zu erweiterter Erwerbstätigkeit von Müttern, während die Arbeitsmarktlage in den alten Bundesländern keinen statistisch signifikanten Einfluss ausübt.
In den alten Bundesländern scheint die Ehe Müttern demnach immer noch häufig als „sicherer Hafen“ zu gelten, in der es einer Doppelerwerbstätigkeit nicht bedarf und die Familie im Mittelpunkt stehen kann. Vor allem wenn Kinder noch sehr jung sind oder ein zweites Kind geboren wird, schränken westdeutsche Mütter ihre Erwerbsarbeitszeit ein. Die geringe Anzahl an Betreuungsplätzen trägt überdies dazu bei, dass Frauen mit Kindern unter drei Jahren die lang währende Elternzeit in Anspruch nehmen, die ihre Rückkehr in den Beruf erschwert (Kenjoh 2005; Riedmann et al. 2006). Nur Mütter, die über höhere Bildungsabschlüsse und bessere Karrierechancen verfügen, sind zur Reduzierung der Erwerbsarbeitszeit weniger bereit. In den neuen Bundesländern ist die Erwerbsorientierung von Müttern allgemein größer, so dass Heirat und ein vorhandenes Kind im Gegensatz zu Westdeutschland keine gewichtige Rolle für den Umfang der Erwerbstätigkeit spielen. Erst ab dem dritten Kind reduzieren auch ostdeutsche Frauen ihre Arbeitszeit deutlich. Problematischer als in Westdeutschland ist für ostdeutsche Mütter hingegen die regionale Arbeitsmarktlage, die ihre wöchentliche Arbeitszeit stärker prägt als das fast überall ähnlich ausgebaute Angebot an Betreuungseinrichtungen.
310 Tabelle 8.7:
8 Kinderbetreuung zwischen Familie und Staat
Zwei-Ebenen Poisson-Regression: Einflussfaktoren auf die Arbeitszeit von Müttern mit Kindern im Alter zwischen ein und zwei Jahren in Deutschland
Abhängige Variable: Arbeitsstunden pro Woche c Alte Bundesländer B
p
Neue Bundesländer B
p
Betreuungsoptionen Regionale Betreuungsquote
0,18
0,388
0,03
0,240
Inverses Alter der Großmutter im Haushalt d
0,03
0,000
0,00
0,258
Arbeitszeit des Partners
0,01
0,000
0,01
0,013
2 Kinder (Ref. 1 Kind)
-0,26
0,000
0,05
0,571
3+ Kinder (Ref. 1 Kind)
-0,39
0,000
-1,35
0,000
0,55
0,000
1,63
0,000
Kinder
Alter des jüngsten Kindes (0= 1 Jahr, 1=2 Jahre) Partner Einkommen des Partners (logarithmiert)
0,04
0,001
-0,05
0,008
Partner hat höheren Bildungsabschluss
-0,61
0,000
-0,62
0,000
Verheiratet
-0,62
0,000
0,04
0,594
0,33
0,027
-1,95
0,000
Mittlerer Bildungsabschluss (Ref. hoher Abschluss)
-0,48
0,000
0,16
0,039
Niedriger Bildungsabschluss (Ref. hoher Abschluss)
-0,47
0,000
1,27
0,000
0,21
0,000
0,41
0,000
Allein erziehend Bildung und Beruf
Jahre in derzeitigem Job
Fortsetzung auf der folgenden Seite
311
8.3 Fazit
Abhängige Variable: Arbeitsstunden pro Woche c Alte Bundesländer B
p
Neue Bundesländer B
p
Arbeitsmarktsituation Regionale Arbeitslosenquote von Frauen
-1,28
0,270
-0,09
0,620
Regionale Beschäftigungsquote von Frauen in Vollzeitäquivalenten
-0,54
0,145
0,19
0,034
N
586
143
c
Es wurden nur Frauen berücksichtigt, die schon mindestens eine Phase der Erwerbstätigkeit vor der Geburt des Kindes hatten. Nicht erwerbstätige Mütter gehen mit der Arbeitszeit von null Stunden in das Modell ein.
d
Aufgrund hoher Multikollinearität wurde die Information, ob eine Großmutter im Haushalt lebt, wie in Tabelle 8.6 mit deren Alter verbunden, das heißt, ihr Alter wurde von 100 subtrahiert. Lebt keine Großmutter mit im Haushalt, wurde der Wert 0 vergeben. Weiterhin wurde das Alter der Mutter kontrolliert sowie die Präsenz einer pflegebedürftigen Person im Haushalt. Quelle: ECHP 2001, eigene Berechnungen
8.3 Fazit Der internationale Vergleich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in verschiedenen institutionellen Kontexten hat zu vier zentralen Einsichten geführt. 1.
Der Koordinationsgrad der Familienpolitik hat wichtige Folgen für die Bewältigung des Vereinbarkeitsdilemmas
Der schwedische Sozialstaat schafft mit seiner gut abgestimmten Kombination von Elternzeit und Betreuungseinrichtungen die besten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Er bietet sowohl die Möglichkeit, die Erwerbstätigkeit für eine mittlere Frist von 16 Monaten mit großzügiger Lohnersatzleistung zu unterbrechen, als auch ein gut ausgebautes öffentliches Betreuungsangebot zu erschwinglichen Preisen. Deutschland trägt mit seinem schlecht koordinierten Maßnahmenmix im Gegensatz zu Schweden eher zur Verdrängung von Müttern vom Arbeitsmarkt bei. So ist die über die Elternzeit eröffnete Möglichkeit zur Unterbrechung der Erwerbstätigkeit mit drei Jahren von sehr langer Dauer, was bei voller Inanspruchnahme die Re-Integration in den Arbeitsmarkt erschwert und in Verbin-
312
8 Kinderbetreuung zwischen Familie und Staat
dung mit dem geringen Betreuungsangebot für Kinder unter drei Jahren dazu anreizt, sich während der Elternzeit vollständig aus der Erwerbstätigkeit zurückzuziehen. Obwohl sich die Situation durch das Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG) verbessert hat, bestehen - insbesondere angesichts großer regionaler Disparitäten – nach wie vor erhebliche Diskrepanzen zwischen dem Angebot und dem tatsächlichen Bedarf. Oft sind auch die Öffnungszeiten wenig kompatibel mit den Anforderungen des Arbeitsmarktes. Frankreich und Italien stellen Sonderfälle zwischen diesen beiden Polen dar. Frankreich gewährt ähnlich wie Deutschland eine sehr lange Elternzeit, die zudem mit ihren für Geringverdienende hohen Leistungen einen finanziellen Anreiz schafft, sich vollständig vom Arbeitsmarkt zurückzuziehen. Zugleich ist aber das öffentliche Kinderbetreuungsangebot ähnlich umfassend wie in Schweden und aufgrund der enormen staatlichen Subventionierung auch erschwinglich. Starke Anreize zum Rückzug aus dem Arbeitsmarkt bestehen somit nur für gering qualifizierte Arbeitnehmer/innen im Niedriglohnbereich, für die die Einheitssätze des Elterngeldes zu höheren Lohnersatzquoten führen als für die Besserverdienenden. Italiens Politik ist auf andere Weise ähnlich widersprüchlich wie die deutsche. Die nur für kurze Frist gewährte und nur einen geringen Lohnersatz bietende Elternzeit zielt auf den schnellen Wiedereinstieg in die Erwerbstätigkeit ab. Auf der anderen Seite haben aber Eltern, die in ihren Beruf zurückkehren wollen, kein ausgebautes öffentliches Betreuungsangebot zur Verfügung und sind damit auf ein gut funktionierendes Familiennetzwerk angewiesen. Das betrifft die aufgrund der Wohnstrukturen und Solidaritätsnormen allerdings auch leistungsfähigeren italienischen Familien stärker als anderswo üblich. 2.
Die Familienpolitik beeinflusst die Form der Generationenbeziehungen
Der Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuung in den 1990er Jahren entlastet die Familie von Betreuungsfunktionen. In Schweden sind Großmütter durch die ausreichende Platzzahl in den förskolar von Betreuungspflichten für ihre Enkel weitgehend entbunden, so dass nur noch ein Prozent aller Enkel tägliche Betreuung durch die Großmutter erfahren. Auch in Frankreich besteht die Notwendigkeit großelterlicher Betreuung infolge des ausgebauten öffentlichen Angebots nicht im gleichen Ausmaß wie in Deutschland oder Italien. In Deutschland sind Großmütter häufiger mit der Beaufsichtigung von Enkeln betraut, was zumindest in den alten Bundesländern auch einen messbaren Effekt auf die Erhöhung der mütterlichen Erwerbsarbeitszeit hat. Die Lücke in der öffentlichen Betreuung können die Großeltern aber nicht effektiv schließen,
8.3 Fazit
313
denn nur für fünf Prozent der deutschen Kinder steht eine tägliche großmütterliche Betreuung zur Verfügung. Italien ist das einzige Land, in dem Großmütter ein wirksames funktionales Äquivalent für die fehlende öffentliche Kinderbetreuung darstellen. Jedes fünfte italienische Enkelkind wird zumindest einmal pro Woche von der Großmutter betreut, jedes achte sogar täglich. Die Verfügbarkeit großmütterlicher Betreuung findet überdies statistisch signifikanten Niederschlag in der wöchentlichen Erwerbsarbeitszeit der Mütter. Zusammenfassend zeigt sich also eine klare Beziehung zwischen dem Ausbau öffentlicher Betreuung und familialen Hilfen: Je weniger öffentliche Betreuungsplätze zur Verfügung stehen, desto schwerer fällt Müttern die Erwerbstätigkeit und desto mehr ist auch die Hilfe der Großmütter notwendig, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen. 3.
Ein Ende der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung ist nicht absehbar
Während Mütter die Erwerbsarbeit nach der Geburt eines Kindes stark reduzieren, schränken Väter ihre Erwerbsarbeit nicht für die Kinderbetreuung ein. Sie reagieren auf die Geburt eines Kindes in der Regel sogar mit einem Anstieg der Erwerbsarbeit, was als Anpassung an den gestiegenen Familienbedarf interpretiert werden kann. Über 90 Prozent der Väter in Deutschland, Frankreich und Italien sind erwerbstätig, und dies in der Regel in einer Vollzeitbeschäftigung. Auch schwedische Studien ergeben in der Regel ähnliche Resultate. Das zeigt, dass sich zwar die Einstellungen zu den Geschlechterrollen gewandelt haben mögen, die faktische Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern bislang aber in traditionellen Bahnen bleibt. Auch die Verteilung der informellen Arbeit in Haus und Familie hat sich nur leicht angeglichen, wobei sich die väterliche Beteiligung typischerweise auf Wochenenden und Feiertage konzentriert. 4.
Traditionelle Muster der Arbeitsteilung sind vor allem in Westdeutschland und Italien noch häufig
Die Tatsache, dass schwedische Mütter praktisch unabhängig von der Beschaffenheit struktureller Einflussfaktoren einer Erwerbstätigkeit nachgehen, zeigt, wie sehr kulturelle Vorstellungen von sozialer Normalität wirksam werden. Den Gegenpol zu Schweden stellen die alten Bundesländer in Deutschland und Italien dar. In Westdeutschland gilt die Erwerbstätigkeit von Müttern bislang noch keineswegs als normal, weshalb sie ganz wesentlich vom vorhandenen Betreuungsangebot, von den Bildungsqualifikationen und von der Präsenz eines Ehemanns geprägt wird. Bei geringem eigenen Bildungsniveau sind westdeutsche Mütter nur selten erwerbstätig, und wenn, dann meist teilzeitbeschäftigt. Auch wird
314
8 Kinderbetreuung zwischen Familie und Staat
schon beim zweiten Kind die Arbeitszeit deutlich reduziert. Während in Westdeutschland Mutterschaft häufig die Wegscheide zwischen Familienarbeit und Erwerbsarbeit darstellt, sind in Italien die Erwerbskarrieren von Frauen meist schon vorher bestimmt. Frauen, die gut in den Arbeitsmarkt integriert sind und meist auch Vollzeit arbeiten, kehren nach der Geburt eines Kindes relativ schnell in den Beruf zurück. Selbst ein mangelndes Betreuungsangebot verhindert dies nicht, vor allem, weil Mütter auch auf die Unterstützung der Großeltern zählen können. Es gibt aber weiterhin eine Vielzahl italienischer Frauen, die nie voll in den Arbeitsmarkt integriert sind oder spätestens nach der Heirat aus dem Beruf ausscheiden.
8.3 Fazit
315
9 Gibt es einen Generationenkonflikt? Einstellungsunterschiede zwischen Altersgruppen in empirischen Studien 9
Gibt es einen Generationenkonflikt?
Seit Jahren warnt eine nicht enden wollende Flut von Veröffentlichungen vor dem kommenden Generationenkonflikt (vgl. dazu ausführlicher Gronemeyer 2004; Klöckner 2003; Preston 1984; Quadagno 1989; Schirrmacher 2004). Als Grundlage werden in der Regel drei Entwicklungen genannt. Erstens führe die steigende Lebenserwartung, verbunden mit niedriger Fertilität, fast überall in Europa zu einer massiven Alterung der Bevölkerung, die auch durch Migration nur unzureichend ausgeglichen werden könne (United Nations 2000). Zweitens wird argumentiert, die Familien würden brüchig, so dass sich die Solidarität zwischen den Generationen verringere. Drittens habe der Konsum in den Wohlstandsgesellschaften ein Niveau erreicht, das die natürlichen Ressourcen erschöpfe, so dass sich die Lebenschancen der nachkommenden Generationen verschlechterten (Meadows et al. 1972; Meadows et al. 2006). Kurz: Die genannten Entwicklungen bedrohten die soziale, ökonomische und ökologische Nachhaltigkeit der europäischen Gesellschaften. Wir haben uns hier im Wesentlichen mit der sozialen Nachhaltigkeit befasst, indem wir für vier Politikfelder mit alters- und generationenspezifischen Leistungen untersucht haben, wem die solidarische Sicherung von Lebensrisiken durch den Sozialstaat zugutekommt und wie eng der Zusammenhalt zwischen älteren und jüngeren Menschen in der Familie noch ist. Die Analyse „objektiver“ Gegebenheiten lässt aber für sich allein noch keinen Schluss auf das Potenzial für Generationenkonflikte zu. Deshalb untersuchen wir in diesem Kapitel, inwieweit subjektive Einstellungen auf Konfliktpotenziale zwischen Alterskohorten verweisen. Im ersten Abschnitt skizzieren wir die in der Literatur genannten Konfliktlinien als konzeptionellen Rahmen unserer Analysen. Im zweiten dokumentieren wir die verwendeten Daten und Methoden, um im dritten Abschnitt anhand der Einstellungen zu zentralen sozialpolitischen Fragen zu untersuchen, inwiefern alters- und geschlechtsspezifische Einstellungsunterschiede auf einen Generationenkonflikt verweisen.
316
9 Gibt es einen Generationenkonflikt?
9.1 Mögliche Konfliktlinien zwischen Generationen Die Rentenversicherung ist der größte Ausgabeposten aller modernen Wohlfahrtsstaaten. Sie basiert auf der Leitidee des Generationenvertrags. Der Gedanke eines fiktiven Vertrags akzentuiert die Sorgeverpflichtung der wirtschaftlich aktiven Generation in der mittleren Phase des Lebens für Kinder auf der einen und für nicht mehr erwerbstätige ältere Menschen auf der anderen Seite. Mit dem demografischen Wandel werden die institutionell verankerten altersspezifischen Pflichten und Rechte aber brüchig. Zum einen weichen die Altersgrenzen beim Übergang von der Ausbildung ins Erwerbsleben bzw. von der Erwerbstätigkeit in den Altersruhestand auf. Zum anderen ist die Finanzierung der sozialstaatlichen Sicherungssysteme gefährdet, da die Beiträge und Steuereinnahmen die Anwartschaften bzw. Versicherungsleistungen nicht mehr decken. Deshalb werden die sich verschiebenden altersspezifischen Lasten zunehmend zum Thema öffentlicher Diskurse (Conrad 2000) und Schlagworte wie Generationenkonflikt, Gerontokratie, Alterslast oder Kinderfeindlichkeit prägen in wachsendem Maße das Ringen um sozialstaatliche Reformen. Zwei Konfliktpotenziale werden in der Literatur häufig genannt, die das institutionell bestimmte Generationenverhältnis betreffen:154 (1) Sinkende Geburtenziffern gefährden die Nachhaltigkeit von umlagefinanzierten Rentensystemen, weil einer vergleichsweise großen Zahl von Leistungsempfängern eine schrumpfende Zahl von Beitragszahlern gegenübersteht. Da die sozialen Sicherungssysteme im Wesentlichen aus den Beiträgen der derzeit Erwerbstätigen finanziert werden, diese aber in Zukunft nicht damit rechnen können, ähnliche Leistungen wie die derzeitigen Leistungsnehmer zu erhalten, ergeben sich aus der generationenspezifisch ungleichen Verteilung sozialpolitischer Leistungen und Belastungen Konfliktpotenziale, die den Generationenvertrag infrage stellen (Breyer 1990; Quadagno 1989; Thomson 1992). (2) Mit der Alterung der Bevölkerung steigt das Alter des Medianwählers, so dass sich die politischen Mehrheitsverhältnisse verschieben. Je größer das Gewicht älterer Menschen in der Wahlbevölkerung ist, desto mehr müssen sich die um Mehrheiten kämpfenden Politiker an deren (Partikular-)Interessen orientieren. Darüber hinaus besetzen ältere Menschen auch wichtige öffentliche Leitungspositionen, so dass sich die Machtkonzentration zugunsten der Älteren 154 Eine weitere Konfliktlinie, auf die hier nicht weiter eingegangen wird, ist die zunehmende Konkurrenz der Generationen auf dem Arbeitsmarkt und die Verdrängung der älteren Generation aus dem Erwerbsleben (Sackmann 1998). Empirisch gibt es einige Indizien dafür, dass diese Entwicklung nur vorübergehender Natur ist, da die demografische Entwicklung und der damit verbundene fehlende Nachwuchs auf dem Arbeitsmarkt in den nächsten zwei Jahrzehnten die Beschäftigung von älteren Arbeitnehmern eher forcieren wird (Börsch-Supan 2003; Fertig und Schmidt 2003)
9.1 Mögliche Konfliktlinien zwischen Generationen
317
noch verstärkt. Damit sinkt die Wahrscheinlichkeit, gebotene Reformen des Sozialstaats politisch durchsetzen zu können, und die Älteren werden zur politischen Vetomacht, was verschiedene Autoren dazu veranlasst hat, vor einer kommenden Gerontokratie zu warnen (Dychtwald 1999; Preston 1984; Sinn und Uebelmesser 2002). Manche Autoren sehen neben dem sozialstaatlichen Generationenverhältnis auch die familiären Generationenbeziehungen brüchig werden. Wegen des Rückgangs der Kinderzahl konzentriere sich die Verantwortung zur Unterstützung und Pflege hilfebedürftiger Personen auf immer weniger Nachkommen. Damit drohe eine Überlastung der Familien, die den ohnehin schon starken Trend zur Familienauflösung noch verstärke (Beck-Gernsheim 2000). Hohe Scheidungsraten und wechselnde Partnerschaften seien die Folge. Sich lockernde Generationenbeziehungen in der Familie verstärken die aus dem sozialstaatlichen Generationenverhältnis resultierenden Konfliktpotenziale in zweierlei Hinsicht. Zum einen fallen bislang von Familienmitgliedern erbrachte Pflege- und Betreuungsleistungen zunehmend in die Verantwortung der Allgemeinheit. Zum anderen haben abstrakte Konfliktpotenziale zwischen Jung und Alt im Sozialstaat immer auch einen konkreten, persönlichen Bezug in den Familien, wo aus den anonymen Alterskategorien Eltern und Kinder bzw. Großeltern und Enkel werden. Die persönlichen Bande innerhalb der Familie mildern die durch Ungleichverteilungen sozialstaatlicher Leistungen begründeten Konfliktpotenziale. Lösen sich aber die Generationenbeziehungen in der Familie, so geht auch ihr moderierender Charakter für Spannungen im Generationenverhältnis verloren. Überdies fällt es leichter, die Belange zukünftiger Generationen aus dem Blick zu verlieren und lediglich Eigeninteressen zu verfolgen, wenn man selbst keine Kinder hat. Thesen dieser Art erfreuen sich großer Popularität. Ein Blick auf die vorhandenen empirischen Studien zeigt aber, dass sie in der Regel nur auf eine Dimension eingehen – also das institutionell vermittelte Generationenverhältnis oder die Generationenbeziehungen in der Familie – und das komplexe Wechselspiel zwischen Staat und Familie somit außer Acht lassen. Eine kurze Bilanz der Befunde zu drei zentralen Themen macht das deutlich. a) Altersspezifische Ungleichheiten in sozialen Sicherungssystemen Bei der Untersuchung der altersspezifischen Verteilung von Beiträgen und Leistungen der sozialen Sicherungssysteme werden zwei Verfahren angewandt. So genannte Generationenbilanzen versuchen den Saldo aus Beiträgen und Leistungen für bestimmte Geburtskohorten zu schätzen (vgl. Kapitel 2). Der zweite Ansatz, den auch wir hier verfolgt haben, vergleicht die unterschiedliche Be-
318
9 Gibt es einen Generationenkonflikt?
günstigung von Altersgruppen durch den Wohlfahrtsstaat und deren Veränderung über die Zeit. Verfahren der Kohortenperspektive (z.B. Generational Accounting) kommen unisono zu dem Ergebnis, dass – abgesehen von wenigen Ausnahmen wie beispielsweise Irland – ältere Geburtskohorten gegenüber jüngeren begünstigt sind (Auerbach et al. 1998; Eitenmüller 1996; European Commission 1999; Feist 2003; Kotlikoff und Raffelhüschen 1999; Ottnad und Wahl 2005; Schnabel 1998; Thum und von Weizsäcker 2000). Der Umfang des ermittelten Ungleichgewichts hängt allerdings stark von den Annahmen ab, die in das Modell eingehen (Hills 1995; Rürup 2002). Beim Vergleich der altersspezifischen Leistungs- und Beitragsstruktur des Sozialstaats in der Querschnittsperspektive geht es in der Regel um die Gegenüberstellung der Ausgaben des Rentensystems und anderer Sozialtransfers (EspingAndersen und Sarasa 2002; Guillemard 2000; Pampel 1994) sowie um deren Einfluss auf die Einkommenslagen von älteren Menschen und Kindern (Bradshaw 2000; Cantillon und van den Bosch 2003; Goodin et al. 1999; Micklewright und Stewart 2000). Ein typisches Ergebnis ist, dass die nordischen Staaten eine ausgewogenere Ausgabenstruktur haben als die kontinental- und südeuropäischen Staaten, deren Sozialausgaben in stärkerem Maße „rentenlastig“ sind. Unsere eigenen Analysen haben allerdings gezeigt, wie schwierig die altersspezifische Zuordnung wohlfahrtsstaatlicher Leistungen ist. Ein Beispiel macht dies deutlich: Staatlich finanzierte Pflegeleistungen sind auf den ersten Blick Ausgaben, die vor allem älteren Menschen zukommen und von jüngeren Menschen erbracht werden. Allerdings wird durch die öffentliche Finanzierung eines Pflegedienstes einer ansonsten Vollzeit pflegenden Tochter auch ermöglicht, mehr Stunden in der Woche erwerbstätig zu sein. Das verbessert die Einkommenssituation des Haushalts und damit auch die finanzielle Lage der Tochter und ihrer Kinder. Das Beispiel zeigt überdies, dass nicht nur die direkten Transferzahlungen, sondern auch die Verfügbarkeit sozialer Dienstleistungen einen wichtigen Einfluss auf die Lebensbedingungen verschiedener Altersgruppen haben. Wie insbesondere der italienische Fall deutlich gemacht hat, ist von der „Rentenlastigkeit“ der Sozialausgaben keineswegs auf eine Privilegierung der Rentnergeneration zu schließen. Darüber hinaus haben unsere Analysen gezeigt, dass Austauschbeziehungen in der Familie fehlende staatliche Leistungen zu einem gewissen Maß ersetzen können und überdies oft in gegenläufiger Richtung zur Umverteilung durch den Sozialstaat erfolgen, weil ältere Menschen vorwiegend jüngere unterstützen. Familie und Staat ergänzen und kompensieren sich zum Teil also auch gegenseitig, und das Ensemble der Austauschmechanismen ist hoch komplex. Eine einseitige Betrachtung nur eines Verteilungssystems – wie etwa des Sozialstaats
9.1 Mögliche Konfliktlinien zwischen Generationen
319
– würde übersehen, dass sich mit einer Veränderung sozialstaatlicher Leistungen oftmals gar nicht das Ungleichgewicht zwischen den Generationen verändert, sondern lediglich der Verteilungskreislauf zwischen Markt, Staat und Familie modifiziert wird. Im Saldo sämtlicher Austauschbeziehungen scheint jedenfalls eher ein ausgewogeneres Geben und Nehmen zwischen den Generationen gegeben, als es beim Blick auf nur eine Dimension erscheint. b) Entwicklungen zur Gerontokratie Zur These des Übergangs zur Gerontokratie liegen bislang nur wenige fundierte Studien vor (vgl. neuerdings aber Immergut et al. 2007; Schulze 2007). Festzuhalten ist zunächst einmal, dass fast alle westeuropäischen Wohlfahrtsstaaten die Renten im Interesse der Sicherung ihrer Nachhaltigkeit beschnitten haben, obwohl das Gewicht der Rentner an den Wahlurnen statistisch gewachsen ist. Aus dem steigenden Bevölkerungsanteil der Älteren und der Alterung des Medianwählers allein resultiert aber auch deshalb noch keine Altersherrschaft, weil die Lebenslagen älterer Menschen zu heterogen sind, um gemeinsame politische Aktionen zu stützen (Kohli et al. 1994; vgl. auch Künemund 2004). Interessenvertretungen von Älteren haben zwar in den USA, nicht aber in den europäischen Wohlfahrtsstaaten bislang eine politisch sichtbare Rolle gespielt. Die Präsenz von Älteren in wichtigen Entscheidungspositionen ist historisch rückläufig (Alber 1994; Gutmann 1988; Palmore und Manton 1974; Schaal 1984). Inwieweit sich die Parteien in ihrer Programmatik den sich ändernden Altersstrukturen anpassen, ist offen. Insgesamt scheint der Diskurs über die sich anbahnende Gerontokratie oder den beginnenden „Altersklassenkampf“ eher auf populärwissenschaftlicher Ebene angesiedelt zu sein (Gronemeyer 2004; Klöckner 2003; Schreiber 1996; Tremmel 1996). Dabei gibt es aber auch Publikationen, die vor einer Entmachtung des Alters im Zeichen des Jugendwahns warnen und ein neues Altersbild fordern, das von einem aktiven Verständnis des Lebens im Alter geprägt sein sollte (Schirrmacher 2004). c) Erosion der Generationenbeziehungen in der Familie? Traditionelle Kernfamilien werden, wie der steigende Anteil Alleinerziehender oder die wachsende Zahl kinderloser Paare zeigen, etwas seltener.155 Dennoch ist die These der Erosion der Familie nicht zu verallgemeinern. Unsere Analysen (vgl. Kapitel 4.3, 6.2, 7.3 und 8.2) stehen im Einklang mit einer Reihe nationaler Studien, die für viele Länder übereinstimmend zeigen, dass die Beziehungen zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern intakt sind (Arber und AttiasDonfut 2000; Attias-Donfut 1995; Kohli 1999; Lye 1996; Silverstein 2004; 155 Viele Indikatoren sind empirisch umstritten, da die Daten nicht valide sind (Bongaarts 2002) oder sich je nach Wahl des Zeitvergleiches Stärke und Richtung der Trends ändern.
320
9 Gibt es einen Generationenkonflikt?
Szydlik 2000). Zwischen den Generationen bestehen offenbar enge Kontakte und Austauschbeziehungen, wobei die Älteren den Jüngeren eher materielle Unterstützung gewähren, während die Jüngeren eher Zeit und Dienstleistungen in die Beziehung einbringen. Bei Erbschaften und Schenkungen sind es die Kinder, die von den Leistungen der Eltern profitieren. Der Wohlstandszuwachs innerhalb der letzten fünf Jahrzehnte führte dazu, dass eine wachsende Mittelschicht ein hohes Wohlstandsniveau erreichen und Vermögen bilden konnte. Dies fließt in Form von Schenkungen und Erbschaften von der älteren an die jüngere Generation zurück. In den nächsten 20 Jahren wird die erste „Wohlfahrtsgeneration“ ihr Vermögen an ihre Kindergeneration weiterreichen, was Einbußen bei den Renten zu einem Teil kompensiert (Braun et al. 2002; Kohli 2004). Wenngleich die verschiedenen Generationen einer Familie seltener zusammenleben, so leben sie doch in räumlicher Nähe, teilweise sogar in getrennten Haushalten in einem Haus (vgl. auch Kapitel 4.3.1). Kleiner werdende Familien sind überdies nicht unbedingt ein Indiz für die Belastung von Generationenbeziehungen, sondern können auch zu intensiveren Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern führen. So werden sich die Zuwendungen der Großeltern in Zukunft voraussichtlich auf weit weniger Enkel als früher konzentrieren (Hagestad 2006; Hondrich 1999). Auch die zunehmende Zahl multilokaler, also getrennt lebender Familien ist nicht unbedingt ein Ausdruck sich lösender Generationenbeziehungen, sondern spiegelt auch das gestiegene Wohlstandsniveau wider. Kinder und Eltern sind einfach nicht mehr gezwungen, wegen Ressourcenknappheit und fehlenden Wohnraums zusammenzuwohnen. Dies kann sich durchaus positiv auf die Generationenbeziehungen auswirken, weil aus räumlicher Enge oder materieller Not resultierende Konfliktpotenziale entfallen. Schon früh wurde deshalb zur Charakterisierung der Generationenbeziehungen von der „Intimität auf Distanz“ gesprochen (Rosenmayr und Köckeis 1963; Schelsky 1959). Nimmt man sowohl die staatliche wie die familiär geprägten Beziehungen in den Blick, so ergibt sich somit ein komplexes Bild, das mit dem groben holzschnittartigen Konstrukt des Generationenkonflikts nur wenig gemein hat. Im Folgenden wollen wir untersuchen, inwiefern sich Generationenkonflikte in altersspezifischen sozialpolitischen Einstellungen und in der Wahrnehmung gesellschaftlicher Spannungslinien manifestieren. Die Verfechter der These eines Generationenkonflikts gehen von der Annahme aus, dass verschiedene Altersgruppen sozialstaatliche Arrangements anstreben, die ihnen selbst den größten Vorteil versprechen (Jæger 2006a; 2006b; Kangas 1997; Papadakis 1992; Taylor-Gooby 1999).156 Ältere und jüngere Menschen befinden sich nun in sehr unterschiedlichen Positionen hinsichtlich der Steuern und Beiträge, die sie im 156 Eine allgemeine Diskussion dieses Erklärungsansatzes findet sich bei Heien (2002: 62ff.).
9.1 Mögliche Konfliktlinien zwischen Generationen
321
Sozialstaat zu zahlen haben, und der Leistungen, die sie erhalten. Im Prinzip bilden die Jungen die Bezahler, die Alten die Empfänger der Leistungen. Zur Unterscheidung von Gruppen mit unterschiedlichen Beitrags- und Leistungssalden haben Sozialwissenschaftler den Begriff der „Versorgungsklasse“ (Alber 1984; Lepsius 1979) bzw. der „Risikokategorie“ Baldwin (1990) geprägt. Aus dieser Perspektive bilden die erwerbstätigen jüngeren Menschen, deren Saldo aus Beiträgen und Leistungen negativ ist, und die Personen im Rentenalter mit positivem Saldo zwei Versorgungsklassen oder Risikokategorien mit unterschiedlichen Interessen. Das sollte sich auch in ihren Einstellungen zur Sozialpolitik niederschlagen. Auf dieser Grundlage wollen wir im Folgenden fünf Hypothesen nachgehen:157 1.
2.
3.
4.
5.
Jüngere Menschen sollten weniger Vertrauen in das staatliche Rentensystem haben, weil sie eine hohe Beitragslast tragen und sich der zukünftigen Leistungskürzungen durch Rentenreformen bewusst sind. Ältere Menschen sind hingegen von den oft nur mit langer Verzögerung in Kraft tretenden Kürzungen weniger unmittelbar betroffen und sehen den Sozialstaat aktuell eher als Zahlmeister denn als Konfiszierer ihres Einkommens, was sich in größerem Vertrauen in das staatliche Rentensystem niederschlagen sollte. Für Pflegeleistungen ist zu erwarten, dass jüngere Menschen staatliche Dienstleistungen, die sie von Pflegeverpflichtungen zu entlasten versprechen, in stärkerem Maße propagieren als ältere Menschen, die sich eher in der Rolle des Empfängers von Pflegeleistungen sehen und familiäre Hilfen der Anonymität und Effizienzorientierung sozialer Dienste vermutlich vorziehen. Für die Finanzierung der Pflege sehen jüngere Menschen vermutlich eher die älteren Menschen selbst als zuständig, während ältere Menschen eher versucht sein werden, die Pflegekosten auf jüngere Menschen oder staatliche Institutionen abzuwälzen. Bei beiden Aspekten der Pflege ist überdies zu erwarten, dass die so genannte Sandwich-Generation der 45- bis 65-Jährigen, in der viele bereits die eigenen Eltern pflegen, sich am stärksten gegen die familiäre Pflege und für die Übernahme der Pflegekosten durch den Staat aussprechen. Für die familienpolitischen Leistungen wäre zu erwarten, dass jüngere Menschen die staatliche Förderung von Familien in stärkerem Maße befürworten als ältere Menschen, die davon nicht unmittelbar profitieren.
157 Für eine auf mehrere europäische Länder erweiterte Analyse dieser Fragestellung siehe Keck und Blome 2007.
322
9 Gibt es einen Generationenkonflikt?
9.2 Konzepte, Daten und Methoden Bei der Messung von Einstellungen zum Sozialstaat werden in der Regel fünf Dimensionen unterschieden (Heien 2002; Krömmelbein et al. 2007; Roller 1992). 1. 2. 3. 4. 5.
Akteure: Wer ist für die Leistungserbringung verantwortlich? Ziele: Für was sollen sozialstaatliche Leistungen gewährt werden? Instrumente: Wie wird die Art der Leistungserbringung beurteilt? Kosten: Wie sollen die Leistungen finanziert werden? Ergebnisse: Wie werden die Leistungen beurteilt?
Zu berücksichtigen ist, dass die Einstellungsmuster einer Dimension nicht anstandslos auf andere zu übertragen sind. So ist eine hohe Ablehnung der Ergebnisse sozialstaatlicher Maßnahmen nicht gleichbedeutend mit der fehlenden Akzeptanz für die erklärten Ziele dieser Maßnahme (Kohl 2007). Uns geht es hier in erster Linie um die Akteure. Sind es der Staat oder die Familie, die für die Absicherung sozialer Risiken in der Verantwortung gesehen werden, und wie unterscheiden sich hier die verschiedenen Altersgruppen? Bei der Frage nach der Einkommenssicherung im Alter konnten wir diese Akteurszentrierung allerdings nicht völlig durchhalten und haben stattdessen die Antworten auf die Frage nach dem Vertrauen in die Rentenversicherung analysiert. Ein methodisches Problem der Einstellungsforschung ist, dass Fragen zur Bewertung sozialpolitischer Maßnahmen nicht die mit verschiedenen Optionen verbundenen Konsequenzen verdeutlichen. So wird häufig kritisiert, dass hohe Zustimmungswerte für den Ausbau des Sozialstaats darauf beruhen, dass die Kosten einer Erweiterung der staatlichen Leistungen nicht genannt werden (vgl. Dallinger 2002). Nimmt man solche methodologischen Probleme ernst, so stehen Indikatoren zu sozialpolitischen Einstellungen im Ländervergleich nur eingeschränkt zur Verfügung. Unsere Sichtung dieser Datensätze ergab, dass Fragen mit einer klaren Zuschreibung der Verantwortung für die soziale Sicherung nur selten vorhanden sind und überdies nur einen Erhebungszeitpunkt abdecken.158 Wir haben hier jene Fragen ausgewählt, die eine Zuordnung der Verantwortung zwischen Staat oder Familie erfassen. Bei der Beurteilung des staatlichen Rentensystems lag eine solche Frage nicht vor. Deshalb haben wir dort auf einen Vertrauensindikator zurückgegriffen. Für die Familienpolitik gab es lediglich eine Frage, die der Wahrnehmung der staatlichen Rolle bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf 158 Folgende Datensätze wurden geprüft: Family and Fertility Survey (FFS), International Social Survey Programme (ISSP), Eurobarometer (EB), European Value Study (EVS), European Social Survey (ESS) und European Quality of Life Survey (EQLS).
323
9.2 Konzepte, Daten und Methoden
nachgeht. Im European Quality of Life Survey wurde überdies nach der Wahrnehmung verschiedener Spannungslinien gefragt, darunter auch nach Spannungen zwischen jungen und alten Menschen, so dass wir hier recht direkt ermitteln konnten, wie stark die Wahrnehmung von Generationenkonflikten in verschiedenen Altersgruppen verbreitet ist. Die Tabelle 9.1 gibt einen Überblick, mit welchen Indikatoren aus welchen Quellen wir im Folgenden arbeiten. Tabelle 9.1:
Übersicht über die ausgewählten Einstellungsindikatoren
Dimension
Fragetext
Antwortvorgaben
Familienleistung
Die Regierung sollte es – vor allem für Frauen – einfacher machen, dass Familie und Arbeit miteinander vereinbart werden können, um so zu versuchen, die Zahl von beschäftigten Frauen zu erhöhen. (Eurobarometer 56.1)
(1) Stimme sehr zu (2) Stimme eher zu (3) Lehne eher ab (4) Lehne sehr ab
Pflegeleistung
Einmal angenommen, Sie hätten einen älteren Vater oder eine ältere Mutter, der bzw. die alleine lebt. Was wäre Ihrer Meinung nach das Beste, wenn er/sie sich nicht mehr länger selbst versorgen kann? (Eurobarometer 50.1)
Finanzierung der Pflege
Wer sollte Ihrer Meinung nach hauptsächlich für die Versorgung älterer Eltern bezahlen? (Eurobarometer 50.1)
(1) Ich selbst oder jemand von meinen Geschwistern sollte meinen Vater oder meine Mutter bei sich aufnehmen. (2) Ich selbst oder jemand von meinen Geschwistern sollte bei meinem Vater oder meiner Mutter einziehen. (3) Einer von beiden sollte in die Nähe des anderen ziehen. (4) Mein Vater oder meine Mutter sollte in ein Altersheim oder Pflegeheim ziehen. (5) Mein Vater oder meine Mutter sollte zu Hause wohnen bleiben und sich dort sowohl besuchen lassen als auch ambulante Pflege erhalten. (1) Die älteren Eltern selbst (2) Ihre Kinder (3) Der Staat oder die Gemeinschaft (4) Die kommunale Regierung (5) Jeder gleichermaßen
Fortsetzung auf der folgenden Seite
324
9 Gibt es einen Generationenkonflikt?
Dimension
Fragetext
Antwortvorgaben
Vertrauen in die Rentenversicherung
Wie viel Vertrauen haben Sie in die Leistung des Rentensystems, für den Fall, dass Sie diese Leistung in Anspruch nehmen müssen? (European Quality of Life Survey 2003)
(1) Sehr großes Vertrauen (2) Etwas Vertrauen (3) Kaum Vertrauen (4) Überhaupt kein Vertrauen
Konfliktwahrnehmung
In allen Ländern gibt es Spannungen zwischen sozialen Gruppen. Wie viel Spannung gibt es Ihrer Meinung nach in Deutschland zwischen Alten und Jungen? (European Quality of Life Survey 2003)
(1) Große Spannungen (2) Einige Spannungen (3) Keine Spannungen
9.3 Einstellungsunterschiede zwischen Altersgruppen und den Geschlechtern Im Folgenden soll für die Politikfelder Familie, Pflege und Rente geprüft werden, ob sich die obigen, vom Eigeninteresse bestimmter Versorgungsklassen ausgehenden Thesen im Licht der ausgewählten Fragen bestätigen. Da nur Querschnittsdaten zu einem Zeitpunkt zur Verfügung stehen, kann allerdings aus den Analysen nicht geschlossen werden, ob es sich bei den altersspezifischen Ergebnissen um Unterschiede handelt, die aus der variierenden Position im Lebenszyklus resultieren, oder ob es sich um dauerhafte Kohorteneffekte handelt.
9.3.1 Staatliches Engagement für Familien Die Befürwortung staatlicher Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sollte bei den unter 45-Jährigen am größten sein, weil sie am stärksten mit dem Problem konfrontiert sind. Da die Frage nicht auf die mit dem staatlichen Engagement verbundenen Kosten – wie etwa Steuererhöhungen oder Reduzierung staatlicher Leistungen in anderen Bereichen – hinweist, ist die sehr hohe Zustimmungsquote von über 85 Prozent in allen vier Ländern nicht verwunderlich. Entsprechend ist auch die Variation zwischen den Altersgruppen nicht sehr groß (Abbildung 9.1).
325
9.3 Einstellungsunterschiede zwischen Altersgruppen und den Geschlechtern
Abbildung 9.1: Einstellungen zur staatlichen Verantwortung, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern (2001) 43
Deutschland
Insgesamt
41
51
8 1
45 - <65
42
49
7 1
50
30 - <45
Frankreich
42
40 41
65 und älter
40
47
45 - <65
40
50
30 - <45
43
unter 30
43
42
30 - <45
42
3
7
5 5 2
50
9
6
45
62
25
61
30%
3
10
3 5 2
5 3 6
32
56 20%
10
24
65
45 - <65
50%
60%
70%
5 0,4 80%
90%
Starke Zustimmung
Schwache Zustimmung
Schwache Ablehnung
Starke Ablehnung
Quelle: Eurobarometer 56.1 (2001), eigene Berechnungen
4 6 1
39 40%
2 6
30
67
65 und älter
4
9
46
Insgesamt
unter 30
4
9
55
30 - <45
4
50
32
10%
8
54
45 - <65
0%
2
9
43
35
unter 30
10
47
38
65 und älter
7 1
47
Insgesamt
Insgesamt
Italien
8 2
65 und älter
unter 30
Schweden
47
100%
326
9 Gibt es einen Generationenkonflikt?
Unterteilt man die Skala in lediglich zwei Gruppen mit tendenzieller Befürwortung staatlicher Verantwortung auf der einen Seite und tendenzieller Ablehnung auf der anderen, so ist bemerkenswert, dass es in keinem der vier Länder ältere Menschen sind, die Familienleistungen am häufigsten ablehnen. In Deutschland steht gerade die jüngste Altersgruppe der 15- bis 30-Jährigen staatlichen Leistungen für berufstätige Eltern am skeptischsten gegenüber. Auch wenn andere Einflussfaktoren wie Geschlecht, Bildung, Einkommen, Urbanisierung und politische Ausrichtung kontrolliert werden, ergeben sich keine signifikanten Unterschiede zwischen der jüngeren Altersgruppe und den über 65-Jährigen. Maßnahmen zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf erfreuen sich also über alle Altersgruppen hinweg großer Zustimmung. Das ist umso bemerkenswerter, als die Frage implizit auf eine Förderung der Erwerbstätigkeit von Müttern abhebt. Geht man davon aus, dass für ältere Menschen die traditionelle geschlechterspezifische Arbeitsteilung als Norm galt, so wären eigentlich recht deutliche Einstellungsunterschiede zwischen den Altersgruppen zu erwarten gewesen. Stattdessen finden wir bemerkenswerten Konsens zwischen Jung und Alt. Anders sieht es mit dem Grad der Übereinstimmung zwischen den Geschlechtern aus. Hier zeigen sich in Deutschland, Frankreich und Italien erhebliche Unterschiede, denn Frauen wünschen sich deutlich häufiger als Männer, dass der Staat mehr für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf tun möge. Nur in Schweden bleiben die Unterschiede zwischen Männern und Frauen unter dem Niveau statistischer Signifikanz.
9.3.2 Einstellungen zur Pflege der Eltern Die Pflege von Familienangehörigen ist der zweite Bereich, zu dem wir den Grad altersspezifischer Zustimmung überprüfen können. Bei der Frage nach der bevorzugten Pflegelösung für die eigenen Eltern ließe sich einwenden, dass viele der Befragten eher ihre Wunschvorstellungen angeben als realistische Pflegeoptionen, wenn der Pflegefall eintritt. Zwei Ergebnisse sprechen aber dafür, dass diese Frage tatsächlich mehr erfasst als unverbindliche Wunschvorstellungen. Zum einen zeigt ein Vergleich aller 28 an der Umfrage beteiligten Länder, dass die Pflegepräferenzen sehr eng mit den tatsächlichen Pflegeleistungen durch Familienmitglieder zusammenhängen, denn in Ländern mit einem hohen Anteil Pflege leistender Familienangehöriger ist auch die Zustimmung zur Pflege in der Familie hoch. Zum zweiten gibt es einen starken positiven Zusammenhang zwischen der Präferenz für die Pflege der eigenen Eltern in der Familie und der allgemeinen Frage, ob es eine gute Sache sei, dass Berufstätige in Zukunft mehr Pflege leisten müssen (Keck und Blome 2008).
9.3 Einstellungsunterschiede zwischen Altersgruppen und den Geschlechtern
327
Die Abbildung 9.2 zeigt, dass Einstellungsunterschiede zwischen den Ländern weit größer sind als zwischen den Altersgruppen innerhalb eines Landes.159 Selbst die Alterskohorte mit der stärksten Familienorientierung in Schweden befürwortet die familiäre Pflege um knapp 60 Prozentpunkte seltener als die Altersgruppe mit der schwächsten Familienorientierung in Italien. Die länderspezifischen Altersunterschiede sind hingegen relativ gering. Erwartet hatten wir, dass die Präferenz für staatliche Pflegeleistungen bei den 45- bis 65-Jährigen am häufigsten sein würde, weil diese Altersgruppe am ehesten Pflegeverpflichtungen hat, während ältere Menschen die Pflege in der Familie bevorzugen sollten.160 Dieses Muster zeigt sich in Deutschland, Frankreich und Italien; allerdings sind die Unterschiede zwischen den Altersgruppen statistisch nicht signifikant, wenn weitere Einflussfaktoren kontrolliert werden (vgl. Tabelle 9.3). In Schweden tendieren ältere Menschen und die 45- bis 65-Jährigen gleichermaßen zur Befürwortung staatlicher Pflege, während bei den jüngeren Altersgruppen die Pflege in der Familie höher im Kurs steht. Allerdings sind es nur weniger als ein Viertel der unter 45-jährigen Schweden, die für die Familienpflege plädieren. Deutschland ist das einzige Land, in dem sich eine klare altersspezifische Polarisierung der Pflegepräferenzen zeigt. Nur ältere Menschen bevorzugen die Familienpflege überdurchschnittlich oft, während alle anderen Altersgruppen unter dem nationalen Mittelwert bleiben. Selbst unter den unter 65-Jährigen spricht sich aber eine deutliche Mehrheit für die Pflege in der Familie aus. Wider Erwarten sind auch die Unterschiede zwischen Männern und Frauen nicht substanziell. Das widerspricht der Vorstellung rationalen Kalküls, wonach gerade diejenigen die staatliche Pflege befürworten sollten, die sich davon die größte Entlastung versprechen. Wie im Kapitel 6 gezeigt wurde, übernehmen häufig Töchter und Schwiegertöchter die Pflege ihrer Eltern, so dass es Frauen sind, die von einer Übernahme der Pflege durch soziale Dienste am stärksten profitieren würden. Dennoch befürwortet ein Großteil der Frauen in Deutschland, Frankreich und Italien die Pflege in der Familie und es zeigen sich in allen vier Ländern keine statistisch signifikanten Unterschiede zu Männern (Kap. 6.2.1)
159 Verschiedene Studien betonen, dass länderspezifische Einstellungsmuster unter anderem die Variation individueller Merkmale innerhalb der Länder reflektieren (Jæger 2006a; 2006b; Kangas 1997; Papadakis 1992; Taylor-Gooby 1999). So korrelieren die Einstellungen zum Wohlfahrtsstaat empirisch positiv mit anderen ideologischen Einstellungen und individuellen politischen Auffassungen der Bürger (Sackmann 1998; van Oorschot 2002). 160 Im Pflegekapitel wurde gezeigt, dass viele ältere Menschen auch Pflegeleistungen für ihren Partner oder ihre Geschwister übernehmen. Uns ist bewusst, dass die Dichotomie der Altersgruppen nur annähernd den wirklichen Pflegearrangements entspricht.
328
9 Gibt es einen Generationenkonflikt?
%
Abbildung 9.2: Präferenz der familialen Pflege nach Altersgruppen 80 75 70 65 60 55 50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0
Deutschland unter 30
Frankreich 30 - <45
Italien 45 - <65
65 und älter
Schweden Mittelwert
Quelle: Eurobarometer 50.1 (1999), eigene Berechnungen
Ein Grund für die geringen Unterschiede zwischen den Altersgruppen liegt wohl in der starken persönlichen Bindung der Eltern-Kind-Beziehung und den damit einhergehenden moralischen Verpflichtungsgefühlen, die bei der Frage nach der besten Pflegeoption für die eigenen Eltern besonders zum Tragen kommen. Bei der Frage nach der geeigneten Finanzierung der Pflege sollten solche Motive hingegen weniger stark auf das Antwortverhalten durchschlagen.
9.3.3 Einstellungen zur Finanzierung der Pflege Die Frage ermittelt, wer für die Kosten der Pflege aufkommen soll, der Staat, die pflegebedürftige Person selbst oder deren Kinder. Tabelle 9.2 zeigt, dass die Mehrheit der Befragten in allen Ländern die zumindest teilweise Übernahme der Kosten durch den Staat befürwortet. Deutlich überwiegt die Tendenz, die Kosten der Pflege nicht den betroffenen Familien zu überantworten, sondern sie solidarisch aufzuteilen. Am stärksten ausgeprägt ist diese Haltung in Schweden. Knapp 90 Prozent der Befragten sehen den Staat dort zumindest anteilig in der Finanzierungspflicht. Darin äußert sich vermutlich die hohe Akzeptanz und auch Selbstverständlichkeit des schwedischen Pflegesystems, das einen allgemeinen Rechtsanspruch auf staatliche Pflegeleistungen garantiert (vgl. Kapitel 6). In Italien
329
9.3 Einstellungsunterschiede zwischen Altersgruppen und den Geschlechtern
findet die staatliche Finanzierung von Pflegeleistungen den geringsten Zuspruch, aber selbst dort befürwortet die Mehrheit der Bevölkerung die solidarische Kostenteilung mit Beteiligung der öffentlichen Hand. Das steht in krassem Gegensatz zur Realität des Landes, wo die Pflege durch Angehörige dominiert und es kaum finanzielle Hilfen für pflegebedürftige Personen gibt. Das italienische Ergebnis kann deshalb als eine Aufforderung an den Staat verstanden werden, die durch die Familie erbrachten Pflegeleistungen besser zu honorieren. Tabelle 7.2:
Wer soll für die Pflegeleistungen zahlen? Altersgruppen
Deutschland
Frankreich
Italien
Schweden
Die älteren Eltern selbst
Ihre Kinder
Der Staat / öffentliche Einrichtungen
Alle gleichermaßen
15 – 30
12
11
56
21
30 - <45
12
9
59
20
45 - <65
20
10
48
22
65 und älter
28
13
41
18
insgesamt
18
11
51
20
15 – 30
13
16
56
16
30 - <45
19
12
58
12
45 - <65
20
17
50
13
65 und älter
19
25
39
17
insgesamt
17
17
51
15
15 – 30
9
31
44
17
30 - <45
15
25
43
17
45 - <65
12
20
47
21
65 und älter
15
26
43
16
insgesamt
13
26
44
17
15 – 30
3
2
88
6
30 - <45
7
2
83
8
45 - <65
11
3
78
7
65 und älter
14
3
77
6
insgesamt
9
3
82
7
Quelle: Eurobarometer 50.1, eigene Berechnungen
330
9 Gibt es einen Generationenkonflikt?
Der Vergleich der altersspezifischen Präferenzen zeigt, dass es mit Ausnahme Italiens gerade die jüngeren Menschen sind, die eher für staatliche Leistungen plädieren. Diese Tendenz ist vor allem in Deutschland und Schweden ausgeprägt und auch statistisch signifikant (vgl. Tabelle 9.3). Die jüngere Generation ist also zur solidarischen Aufteilung der Kosten bereit, während es gerade die Älteren sind, die für Eigenverantwortung und damit für eine Schonung der Allgemeinheit plädieren. Beide Befunde stehen in starker Spannung zur Vorstellung eines kommenden Generationenkonflikts, in dem Jung und Alt nur Eigeninteressen verfolgen. Die Zwischengeneration der 45- bis 65-Jährigen, die sich am häufigsten in der Sandwich-Position der doppelten Verantwortung für die Betreuung von Kindern und Hochbetagten finden, unterscheidet sich in keinem der Länder auffällig vom Bevölkerungsdurchschnitt.
9.3.4 Einstellungen zur Rentenversicherung Die Rentenversicherung stand seit den 1990er Jahren im Zeichen umfassender Reformen, deren Wirkungen erst künftige Rentnergenerationen voll verspüren werden. Von daher stellt sich die Frage, in welchem Maße die jüngere Generation noch Vertrauen in die staatliche Rentenversicherung hat und wie ausgeprägt altersspezifische Unterschiede hier sind. Die Abbildung 9.3 macht deutlich, dass ältere Menschen in allen vier Ländern größeres Vertrauen in die staatliche Rentenversicherung haben als jüngere Altersgruppen. Besonders dramatisch ist der Unterschied in Frankreich, wo der Abstand zwischen jüngeren und älteren Kohorten fast 50 Prozentpunkte beträgt. Bemerkenswert ist überdies das hohe Vertrauen, das schwedische Bürger ihrem Rentensystem entgegenbringen. Selbst das für die Gruppe der 30- bis 45Jährigen ermittelte niedrigste Vertrauensniveau liegt noch deutlich über dem durchschnittlichen Niveau des Vertrauens aller Befragten in Deutschland, Frankreich und Italien. Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil in Schweden die Reformintensität mit der Verlagerung von staatlicher zu betrieblicher und privater Absicherung besonders hoch war. Das zeigt, dass auch tiefgreifende Reformen von den Betroffenen gut geheißen werden können, wenn überzeugend vermittelt wird, dass damit die Nachhaltigkeit der Renten gesichert wird. In den anderen drei Ländern ist das Vertrauen der jüngeren Generation in das Rentensystem hingegen gering. Nur unter älteren Menschen, die bereits Renten beziehen, bekundet eine Mehrheit Vertrauen, die aber in Deutschland und Italien keineswegs überwältigend hoch ist. Das spricht dafür, dass der rentenpolitische Status quo keineswegs als sakrosankt gilt und dass Mehrheiten für Reformen durchaus geschmiedet werden können.
331
9.4 Wahrgenommene Spannungen zwischen den Generationen
Anteil der Personen, die dem Rentensystem vertrauen
Abbildung 9.3: Vertrauen in das Rentensystem nach Altersgruppen und Ländern 80 70 60 50 40 30 20 10 0 Deutschland unter 30
Frankreich 30 - <45
45 - <65
Italien
Schweden
65 und älter
Mittelwert
Quelle: European Quality of Life Survey (EQLS) 2003, eigene Berechnungen
Die großen Unterschiede zwischen den Altersgruppen sind ein Indiz dafür, dass den jüngeren Menschen bewusst ist, dass das heutige Rentenniveau ihnen in Zukunft nicht mehr zur Verfügung stehen wird. Die Einkommenssicherung im Alter ist somit jener Bereich, der die größten Konfliktpotenziale zwischen den Altersgruppen in sich birgt.
9.4 Wahrgenommene Spannungen zwischen den Generationen Der European Quality of Life Survey (EQLS) enthält eine Frage, die unmittelbar auf die Wahrnehmung von Spannungen zwischen älteren und jüngeren Menschen abzielt. Gefragt wurde, welche von fünf vorgegebenen Spannungslinien die Bürger als besonders intensiv einschätzen. Neben dem Generationenkonflikt („Spannungen zwischen jungen und alten Menschen“) wurden Konflikte zwi-
332
9 Gibt es einen Generationenkonflikt?
schen Arm und Reich, Arbeitern und Management, Frauen und Männern sowie Spannungen zwischen ethnischen Gruppen vorgegeben. Die Befragten hatten jeweils drei Antwortoptionen, nämlich „keine Spannungen“, „einige Spannungen“ und „sehr große Spannungen“. Wir konzentrieren uns hier auf die Wahrnehmung starker Spannungen (vgl. dazu ausführlicher Delhey und Keck 2008). Der zentrale Befund ist, dass Spannungen zwischen älteren und jüngeren Menschen weit seltener wahrgenommen werden als Klassenkonflikte oder ethnische Spannungen (Abbildung 9.4). Nur die Beziehungen zwischen den Geschlechtern werden noch seltener als spannungsreich beschrieben.
Anteil der Befragten, die starke Spannung wahrnehmen
Abbildung 9.4: Wahrnehmung von Spannungen in der Gesellschaft 70 60 50 40 30 20 10 0 Deutschland
Frankreich
Italien
Arm und Reich
Arbeitern und Management
Jungen und Alten
Zwischen ethnischen Gruppen
Schweden Frauen und Männern
Quelle: European Quality of Life Survey 2003, eigene Berechnungen
Auffallend sind allerdings auch die länderspezifischen Unterschiede in der Spannungswahrnehmung. Während in Schweden und Italien nur jeder zehnte starke Spannungen zwischen den Altersgruppen sieht, erklärt in Deutschland jeder achte und in Frankreich sogar jeder vierte Befragte Spannungen zwischen den Generationen als stark. Offenbar erreichen Schweden und Italien auf sehr unter-
333
9.4 Wahrgenommene Spannungen zwischen den Generationen
schiedlichen Wegen eine ähnlich starke soziale Integration der Generationen. In Italien erfolgt sie primär über die Familie, in Schweden eher über den Staat. Für alle vier Länder gilt aber, dass Spannungen zwischen den Generationen ganz im Gegensatz zu den alarmierenden Meldungen über kommende Generationenkonflikte in der Publizistik nur höchst selten wahrgenommen werden und dass sich hier, außer vielleicht bis zu einem gewissen Grade in Frankreich, auch kaum altersspezifische Polarisierungstendenzen zeigen (Abbildung 9.5). Selbst in Frankreich sind es aber keineswegs die die Zukunft repräsentierenden Jüngeren, sondern gerade die Älteren, die eher zur Wahrnehmung von Generationenkonflikten neigen. Abbildung 9.5: Wahrnehmung von Spannungen zwischen Jung und Alt nach Altersgruppen
Anteil der Befragten, die starke Spannungen wahrnehmen
35 30 25 20 15 10 5 0 15-29 Jahre
30-44 Jahre
45-64 Jahre
65 Jahre und älter
Altersgruppen
Deutschland
Frankreich
Italien
Schweden
Quelle: European Quality of Life Survey 2003, eigene Berechnungen
Eine verfeinerte statistische Analyse zeigt, dass Einstellungsunterschiede zwischen Altersgruppen in aller Regel keine statistisch signifikante Rolle spielen, wenn andere Einflussgrößen statistisch kontrolliert werden (Tabelle 9.3). Weder
334
9 Gibt es einen Generationenkonflikt?
bei den Einstellungen zur Pflege, noch bei den Einstellungen zur staatlichen Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf heben sich Alte und Junge deutlich voneinander ab. Mit anderen Worten: Statt virulenter Konflikte sehen wir fast überall ein hohes Maß an Konsens. Ausnahme ist allein der Grad des Vertrauens in das staatliche Rentensystem, wo auch die multivariate statistische Analyse bestätigt, dass in der jüngeren Generation sehr viel mehr Skepsis herrscht als in der älteren. Tabelle 9.3:
Überblick über die Unterschiede zwischen den Altersgruppen und den Geschlechtern auf der Grundlage von logistischen Regressionen Land
Alter (Referenzgruppe: 65+) 45 - <65
Der Staat sollte die Pflegeleistung übernehmen
30 - <45
Frauen
R²
N
911
15 - <30
Schweden
ns
ns
ns
ns
0,028
Frankreich
ns
ns
ns
ns
0,032
685
Deutschland
ns
ns
ns
ns
0,011
1413
Italien
ns
ns
ns
ns
0,017
427
Die Pflege älterer Eltern sollte vom Staat bezahlt werden
Schweden
ns
-
-
ns
0,060
673
Frankreich
ns
ns
ns
ns
0,034
496
Deutschland
-
-
-
ns
0,039
1022
Italien
ns
ns
ns
ns
0,044
321
Der Staat sollte die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern
Schweden
ns
ns
ns
ns
0,049
792
Frankreich
ns
ns
ns
+
0,036
553
Deutschland
ns
ns
ns
+
0,033
1272
Italien
ns
ns
ns
+
0,049
418
Schweden
-
-
-
ns
0,047
841
Frankreich
-
-
-
ns
0,115
671
Deutschland
-
-
-
ns
0,062
824
Italien
-
-
-
ns
0,064
594
Vertrauen in das staatliche Rentensystem
Kontrollvariablen: Bildungsniveau, Stadt/Land, Einkommensquartile, Links/Rechts-Selbsteinschätzung + / - = signifikant auf mindestens p< 0.05 (+ = positiver Zusammenhang, vice versa); ns= nicht signifikant Quelle: Eurobarometer 50.1 und 56.1, EQLS 2003, eigene Berechnungen
9.5 Fazit
335
Ähnlich gering wie die Einstellungsunterschiede zwischen den Generationen sind die zwischen den Geschlechtern. Obwohl Frauen die Hauptlast der Pflege zu tragen haben, befürworten sie die familiäre Pflege sogar häufiger als Männer, die eher die Trittbrettfahrer weiblicher Dienste sind. Ob sich darin ein besonders ausgeprägter Familiensinn der Frauen (Gilligan 1980; Lewis und Meredith 1988) oder gar eine besondere Bereitschaft zu aufopferungsvoller Fürsorge manifestiert, wie manche feministischen Sozialforscherinnen argumentieren (Jónasdóttir 1991), kann hier nicht entschieden werden. Denkbar ist auch, dass das ausgeprägte familiäre Engagement der Frauen aus ihrer schlechteren Einbindung in den Arbeitsmarkt resultiert, die sie in stärkerem Maße von der Familie abhängig macht und in der Hoffnung auf Reziprozität zur Übernahme von Familienaufgaben anreizt (Rossi 1993).
9.5 Fazit Anhand von Einstellungsdaten ließen sich keine Spuren eines Generationenkonflikts ausfindig machen, denn statt großer altersspezifischer Unterschiede fanden wir ein hohes Maß an Übereinstimmung. Dieser Befund ist sicherlich kein Zufall, zumal es hier ein klar erkennbares Muster gibt: Je näher die erfragten Einstellungen dem Bereich der Familie kommen und die persönlichen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern berühren, desto größer ist der Konsens. So ergeben sich z.B. bei Fragen nach dem befürworteten Pflegearrangement kaum Unterschiede zwischen den Altersgruppen. Je weiter entfernt die Fragen hingegen vom familiären Bereich sind und Aspekte der institutionellen Gestaltung des Sozialstaats berühren, desto weniger kommen persönliche Beziehungen zwischen den Generationen zum Tragen und desto eher lassen sich altersspezifische Unterschiede feststellen. Auch hier zeigt sich also, dass die familiären Beziehungen zwischen den Generationen das durch den Sozialstaat definierte Generationenverhältnis überlagern und dort angelegte Spannungen zu entschärfen vermögen. Dieser Effekt ist umso stärker, je stärker die Familie in die Leistungserbringung involviert ist. Deshalb werden Spannungen zwischen den Generationen in der Rentenpolitik eher sichtbar als in der Pflegepolitik. Selbst in rentenpolitischen Fragen geht es aber nicht um einander ferne oder gar feindselig gegenüberstehende Sozialkategorien, wie das etwa im Klassenkonflikt der Industriegesellschaft der Fall war, sondern um das angemessene Verhältnis von Beiträgen und Leistungen von Menschen, die im Alltag als Eltern, Kinder oder Enkel eng miteinander verbunden sind. Institutionell angelegte Spannungen werden so gemildert, weil es bei sozialpolitischen Entscheidungen immer auch konkret um die eigenen Eltern oder Kinder geht. Darüber hinaus
336
9 Gibt es einen Generationenkonflikt?
werden auch Rentenzahlungen oft noch einmal innerhalb der Familie umverteilt (Attias-Donfut und Wolff 2000), während die staatliche Verschuldung von einer Generation zur nächsten vererbt wird (Hauser 2004b). Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: Die Zugehörigkeit zu einer Altersgruppe ist nicht fix, sondern variiert mit dem Lebenszyklus, so dass jedem jungen Menschen bewusst ist, selbst einmal zur Kategorie der Alten zu gehören. Das unterscheidet die Generationenbeziehungen ganz wesentlich von anderen Spannungslinien, wo die Zugehörigkeit zur einen oder anderen Seite des Konflikts in viel stärkerem Maß konstant ist. Aus all diesen Gründen entspricht das Konzept „eigennütziger Generationen“ in keiner Weise der sozialen Wirklichkeit (Baltes und Mittelstraß 1992). Kurz: Der Generationenkonflikt ist eher Mythos als Realität.
10.1 Vom Ausland lernen? Die prekäre Übertragbarkeit von Modellen des „best practice“
337
10 Alt und Jung im Wohlfahrtsstaat – Wo steht Deutschland im internationalen Vergleich?
10.1 Vom Ausland lernen? Die prekäre Übertragbarkeit von Modellen des „best practice“ In diesem abschließenden Kapitel wollen wir noch einmal zusammenfassen, wie die vier hier untersuchten Länder mit den Herausforderungen der alternden Gesellschaft umgehen. Zwei Dilemmata gilt es sozialpolitisch zu lösen: (1) Wie können die intergenerationalen Umverteilungsprozesse bei wachsendem Ungleichgewicht der Größe alter und junger Altersgruppen nachhaltig gesichert werden? (2) Wie kann der Spagat zwischen der erforderlichen Beschäftigungsund Produktivitätssteigerung einerseits und der Erhöhung der Fertilität andererseits bewältigt werden? Der spezifischen Aufgabenverteilung zwischen Familie und Staat kommt bei der Bewerkstelligung dieser zukünftigen Herausforderungen zentrale Bedeutung zu, die wir im Folgenden noch einmal herausstreichen möchten. Anschließend an die Synthese unserer diesbezüglichen Befunde möchten wir die durch die wohlfahrtsstaatlichen Reformen der jüngsten Zeit erfolgten Weichenstellungen herausarbeiten. Unser Ländervergleich war bislang so gestaltet, dass alle vier Fälle in den Analysen den gleichen Stellenwert hatten. Hier wollen wir hingegen die Struktur und Entwicklung des deutschen Sozialstaats in den Mittelpunkt rücken und erörtern, wo Deutschland im internationalen Vergleich steht. Die anderen Länder interessieren jetzt primär unter dem Aspekt, ob sich „best practices“ identifizieren lassen, die als Modell für sozialpolitische Reformen hierzulande dienen können. Dabei gilt es auch zu bedenken, welche Faktoren einer Übertragung der Problemlösungen anderer Länder im Wege stehen. Überdies ist zu klären, ob sich Deutschland in vergleichender Perspektive tatsächlich als so reformträge erweist, wie es in der komparativen Wohlfahrtsstaatliteratur zuweilen dargestellt wird (Esping-Andersen und Sarasa 2002; European Commission 1999). Welches Vergleichsland für deutsche Reformen Pate stehen könnte, bleibt umstritten. Die Herausforderungen, die sich aus dem demografischen Wandel, der Zunahme des globalen Wettbewerbs, der Verknappung und Konkurrenz um Ressourcen sowie der erforderlichen Wahrung des sozialen Zusammenhalts sowohl innerhalb als auch zwischen den europäischen Gesellschaften ergeben, sind für alle Länder Europas die gleichen, auch wenn die Ausgangskonstellation
338
10 Alt und Jung im Wohlfahrtsstaat – Wo steht Deutschland im internationalen Vergleich?
voneinander abweicht (Europäische Kommission 2005; European Commission 2004b; Meadows et al. 2006). Auch über die daraus erwachsenden sozialpolitischen Aufgaben besteht weitgehend Konsens. Hinsichtlich der Lösung der anstehenden Aufgaben werden oft Schweden und Frankreich als Vorbilder genannt. Schweden gilt sowohl bezüglich der Familien- als auch der Arbeitsmarktpolitik als Erfolgsmodell. Wir haben hier aber darauf hingewiesen, wie voraussetzungsvoll der schwedische (Sonder-)weg ist. So war die räumliche Mobilität im skandinavischen Raum von jeher größer als in Kontinentaleuropa, so dass Familien schon seit langer Zeit nicht so eng zusammenlebten wie etwa in Italien (Burguière et al. 1997; Reher 1998). Die politischen Weichenstellungen reichen überdies bis in die 1930er Jahre zurück (Myrdal und Myrdal 1934) und setzten schon früh sozial- und arbeitsmarktpolitische Reformen in Gang, deren Wirkung seit dem Ende der 1960er Jahre deutlich wurde. Grundlage der schwedischen Reformen war u.a. eine spezifische Ausrichtung der Frauenbewegung, die zwar die Gleichheit der Geschlechter betonte, sich vom Gedanken der Mutterschaft aber sehr viel weniger abwandte als die auf den Nationalsozialismus und den katholischen Konservatismus reagierende deutsche Frauenbewegung (Naumann 2005). Darüber hinaus waren im konfessionell homogenen Schweden ideologische Konflikte nie so stark ausgeprägt wie in Kontinentaleuropa (Kaufmann 2003). Schon in der Frühphase der Industrialisierung waren die wichtigsten politischen Kräfte bestrebt, den Konflikt zwischen Arbeit und Kapital durch korporatistische Konzertierungsverfahren zu entschärfen (Rothstein 1991). Dieses Konsensmodell trägt bis heute und ist einer der Gründe für die lang anhaltende Dominanz sozialdemokratischer Regierungen (Hentilä 1978). Selbst in Perioden konservativer Regierungen gab es aber keine Veränderung der wesentlichen sozialpolitischen Weichenstellungen. Aufgrund dieser Besonderheiten muss die Übertragbarkeit des schwedischen Modells infrage gestellt werden. Unsere Ergebnisse zeigen, dass Deutschland die Familie sowohl bei Betreuungs- und Erziehungsaufgaben als auch bei der Absicherung von Lebensrisiken stärker in die Pflicht nimmt als Schweden. Das hängt auch mit unterschiedlichen Familienbildern der Bürger beider Länder zusammen. Zweitens sind soziale Ungleichheiten und Verteilungskämpfe in Deutschland stärker ausgeprägt. Wenn im Folgenden an einigen Stellen das schwedische Sozialmodell als beispielhaft dargestellt wird, dann muss also berücksichtigt werden, dass es historische Pfadabhängigkeiten gibt, die die Übertragbarkeit eines spezifischen „Modells“ einschränken. Frankreich ist Deutschland bezüglich der Sozialstruktur und historischen Entwicklungslinien ähnlicher als Schweden. Trotz der konfliktreichen „Erbfeindschaft“ beider Länder bietet die Geschichte viele Beispiele gegenseitiger Beeinflussung. So hat die Übernahme der deutschen Sozialversicherung im El-
10.1 Vom Ausland lernen? Die prekäre Übertragbarkeit von Modellen des „best practice“
339
saß nach dem Ersten Weltkrieg die französische Renten- und Gesundheitspolitik stark geprägt. Frankreich kennt aber anders als Deutschland seit langem eine staatliche Geburtenpolitik. Mit einem umfangreichen Betreuungsangebot für Kleinkinder sowie mit dem nach dem Geburtsrang gestaffelten Kindergeld soll Paaren die Realisierung von Kinderwünschen erleichtert werden. Die im europäischen Vergleich recht hohen französischen Geburtenraten scheinen diesem Ansatz Recht zu geben.161 Eine Grundlage für die pro-natalistische Politik Frankreichs war die doppelte historische Erfahrung eines rapiden Geburtenrückgangs und der Alterung der Gesellschaft im 18. Jahrhundert und um 1900 (Burguière et al. 1997; United Nations 1956). Im Deutschland der Nachkriegszeit galt eine pro-natalistische staatliche Politik hingegen aufgrund der Erfahrungen mit der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik als verpönt. Auch dieses Beispiel zeigt, wie nachhaltig spezifische historische Erfahrungen einzelner Länder politische Weichenstellungen beeinflussen, die nicht problemlos in einen anderen Kontext kopiert werden können. Konsens hinsichtlich der zentralen sozialpolitischen Herausforderungen und der ratsamen Lösungen wird heute vor allem durch Richtlinien und Beratungen innerhalb der Europäischen Union geschmiedet. Die Lissabon Agenda setzt der EU das Ziel, die Erwerbsbeteiligung bis 2010 auf mindestens 70 Prozent anzuheben. Insbesondere die Erwerbstätigkeit von Frauen soll gefördert werden. Im Grünbuch „Angesichts des demografischen Wandels – eine neue Solidarität zwischen den Generationen“ (Europäische Kommission 2005) wird erklärt, dass es Eltern ermöglicht werden soll, einer Beschäftigung nachzugehen und gleichzeitig die gewünschte Zahl an Kindern zu erzielen. Die Aspekte, die zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf beitragen sollen, betreffen genau jene Neuregelungen der Verantwortung zwischen Familie und Staat sowie zwischen Männern und Frauen, die wir in unserem Projekt untersucht haben. Die Verfasser des Grünbuchs gehen aber noch einen Schritt weiter, indem sie betonen, dass eine Verbesserung der Arbeitsmarktbeteiligung nur erreicht werden kann, wenn die Konkurrenzfähigkeit der Volkswirtschaften durch eine permanente Qualifizierungsoffensive gewahrt bleibt. Gerade Investitionen in die Zukunft der jungen Generation kommt von daher für die nachhaltige Abfederung des demografischen Wandels eine zentrale Bedeutung zu. Anders formuliert: Die beste Altenpolitik beginnt bei den Kindern und der Jugend.
161 Der spezifische Einfluss familienpolititischer Maßnahmen auf die Geburtenrate ist umstritten. Zweifellos spielen auch demografische sowie sozio-ökonomische Aspekte eine wichtige Rolle. Familienpolitik kann aber dazu beitragen, soziale Unterschiede im Fertilitätsverhalten und in der Erwerbsbeteiligung zu verringern (oder zu vergrößern), und sie kann die zeitliche Planung von Geburten beeinflussen (Neyer 2006).
340
10 Alt und Jung im Wohlfahrtsstaat – Wo steht Deutschland im internationalen Vergleich?
Trotz der weitgehenden Übereinstimmung hinsichtlich der sozialpolitischen Aufgaben gibt es starke ideologische Kontroversen über die geeignetsten politischen Maßnahmen. Der Vergleich vierer Länder, die im Falle Schwedens und Italiens eine grundlegend unterschiedliche sozialpolitische Ausrichtung haben, im Falle Deutschlands und Frankreichs einander stärker ähneln, bot uns die Chance, die Auswirkungen wohlfahrtsstaatlicher Maßnahmen und familiärer Austauschbeziehungen auf die Lebenssituation verschiedener Altersgruppen zu erfassen und in komparativer Perspektive zu bewerten. Zu berücksichtigen ist, dass sich unser Forschungsprojekt damit auf den Staat und die Familie konzentrierte und marktförmige Lösungen weitgehend ausblendete, weil sie für das Gros der Bevölkerung schwer erschwinglich sind und insofern nur eine periphere Rolle spielen.
10.2 Rentnerlastigkeit oder Investitionen in die Jugend? Ausgangspunkt unserer Analysen war die These einer wachsenden Macht- und Verteilungsungleichheit zwischen den Generationen, die aus der demografischen Entwicklung und einem ältere Menschen bevorzugenden wohlfahrtsstaatlichen Ausgabenprofil resultiere. Die institutionelle Analyse der Politikbereiche hat gezeigt, dass es nicht einfach ist, bestimmte Leistungsarten des Sozialstaats einzelnen Altersgruppen zuzuordnen, um so die Alters- oder Rentenlastigkeit verschiedener Wohlfahrtsstaaten zu messen. Um Veränderungen der sozialpolitischen Prioritätensetzung zu erfassen, haben wir hier die sozialrechtliche Entwicklung der Leistungen für junge und alte Menschen in den 1990er Jahren unter die Lupe genommen, wobei zu berücksichtigen war, dass gerade im Falle der Rentensysteme viele Änderungen gar nicht die heutige Generation der Rentner betreffen, sondern erst in der Zukunft für heute noch junge Menschen voll zum Tragen kommen. Für die Ausgaben hatten wir in Kapitel 4 gezeigt, dass es in der Tat ein Missverhältnis zwischen dem Aufwand für ältere Menschen und dem für jüngere Menschen gibt. Das resultiert aber vor allem aus der unterschiedlichen Zielsetzung der Leistungen als Einkommensersatz oder Einkommensergänzung. Darüber hinaus haben unsere Analysen gezeigt, dass von der altersspezifischen Höhe der Ausgaben nicht problemlos auf die Lebensverhältnisse der Empfängergruppen zu schließen ist.
341
10.2 Rentnerlastigkeit oder Investitionen in die Jugend?
10.2.1 Rentnerlastigkeit ist nicht Rentnerprivilegierung Um der Frage nachzugehen, ob der Rentenlastigkeit der Ausgaben auch eine Privilegierung der Rentnergeneration entspricht, wenn man die Lebenslagen von älteren Menschen betrachtet, untersuchten wir, ob es älteren Menschen wirklich so gut geht, wie es die reinen Ausgabenquoten suggerieren mögen. Dazu haben wir sowohl die Einkommenssituation auf Individual- wie auf Haushaltsebene betrachtet. Vor allem das italienische Beispiel hat deutlich gemacht, dass von der relativ starken Rentenlastigkeit der Ausgabenstruktur nicht ohne weiteres auf eine Privilegierung italienischer Rentner geschlossen werden kann. Im Folgenden betrachten wir zusammenfassend die Geld- und Dienstleistungen für ältere Menschen (Tabelle 10.1). Tabelle 10.1:
Sozialpolitische Veränderungen für Menschen, die derzeit im Rentenalter sind Rentensystem
Pflegesystem
Deutschland
Weniger großzügige Indexierung, Rechtlicher Anspruch des Pflegevereinfachter Zugang zur Mindest- bedürftigen auf Grundleistungen sicherung inkl. des erschwerten unabhängig vom Einkommen Rückgriffs auf Einkommen von Kindern, Anerkennung von Kindererziehungszeiten, Abbau von Steuervorteilen, Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge
Frankreich
Stärkung des Äquivalenzprinzips, weniger großzügige Indexierung, zusätzliche Steuerbelastungen
Ausweitung der bedarfsgeprüften Leistungen
Italien
Weniger großzügige Indexierung, strengere Kriterien für die Mindestsicherung, Anerkennung von Familienzeiten, Abbau von Steuervorteilen
Regional begrenzt: Einführung von Pflegegeld oder –gutscheinen, ansonsten keine Änderungen
Schweden
Stärkung des Äquivalenzprinzips und der privaten Vorsorge, weniger großzügige Indexierung, Abschaffung der Volksrente, dafür Anspruch auf renteneinkommensbezogene Garantierente, Abbau von Steuervorteilen
Rückgang staatlicher Leistungen durch strengere Kriterien bei der Bestimmung von Pflegebedürftigkeit
Quelle: eigene Zusammenstellung
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Rentenreformen betreffen in erster Linie zukünftige Rentnergenerationen Die Rentenreformen des vergangenen Jahrzehnts haben in Deutschland wie in den anderen Ländern dazu geführt, dass die Rentner mit deutlich weniger Geld auskommen müssen, als ihnen nach den alten Regelungen zugestanden hätte. Deutsche Rentner haben vor allem aufgrund der veränderten Rentenanpassungsformel mit Kürzungen zu rechnen. Allerdings haben seit den Reformen auch mehr Menschen einen Anspruch auf die bedarfsgeprüfte Grundsicherung. Da die Reformen erst mit Verzögerungen voll in Kraft treten, ist die heutige Rentnergeneration noch in vergleichsweise geringem Ausmaß von den Kürzungen der 90er Jahre betroffen. Man muss dabei aber berücksichtigen, dass das deutsche Rentensystem durch eine Serie von Kürzungsgesetzen seit 1977 wiederholt schrittweise reformiert wurde. Der kumulative Effekt dieser Reformen sollte nicht unterschätzt werden. Wären heute noch die Bestimmungen vor der Rentenreform von 1977 in Kraft, so betrüge die Standardrente bei 45-jähriger Versicherungszeit 1624 Euro. Tatsächlich liegt sie heute aber nur bei 1176 Euro, was einer Kürzung von 28 Prozent entspricht. Bei 40-jähriger Versicherungsbiografie werden statt 1443,75 Euro heute lediglich 1045,20 Euro bezahlt. Das sind durchaus empfindliche Einbußen für die heutige Generation der Rentner.162 Auch in den drei anderen Ländern führen vor allem die modifizierten Indexierungsmechanismen, die teilweise Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen für Mindestsicherung, aber auch zusätzliche steuerliche Belastungen der Renteneinkommen zu geringeren Einkommen im Ruhestand. Gemessen am Gesamtbündel der beschlossenen Reformen, die wie der Nachhaltigkeitsfaktor erst die zukünftigen Rentnergenerationen voll betreffen, hält sich das Ausmaß der Kürzungen für heute im Ruhestand lebende oder jetzt in ihn wechselnde Senioren aber in unserem Untersuchungszeitraum in Grenzen. Die Altersarmut ist eingedämmt, aber nicht beseitigt. Vor allem Frauen haben ein erhöhtes Armutsrisiko Große Unterschiede zeigen sich bezüglich der Renteneinkommen von Frauen und Männern (vgl. Kap. 5.2.3). Frauen erreichen länderübergreifend ein niedrigeres Rentenniveau als Männer, was vorwiegend auf ihre unterschiedlichen Erwerbsbiografien sowie auf die jeweils spezifischen Rentenberechnungs- und Anerkennungsmechanismen der Rentensysteme zurückzuführen ist. Deutsche 162 Nach der alten Rentenformel entsprach die Standardrente bei 40 Jahren 60 Prozent, bei 45 Jahren 67.5 Prozent der allgemeinen Bemessungsgrundlage die sich aus dem Durchschnittseinkommen der Rentenversicherten im Dreijahreszeitraum, der dem Vorjahr des Rentenzugangs vorausgeht, errechnet. Nach alter Logik würde sich für das Jahr 2006 so eine allgemeine Bemessungsgrundlage von 28.875 Euro ergeben, errechnet als Durchschnitt der Werte für die Jahre 2004 (29.060 Euro), 2003 (28.938 Euro) und 2002 (28.626 Euro), vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2007: 331).
10.2 Rentnerlastigkeit oder Investitionen in die Jugend?
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Frauen erreichen nur etwas über die Hälfte der Renteneinkommen deutscher Männer. Ähnlich ist die Situation in Frankreich und Italien. Lediglich in Schweden ist die Einkommenssituation zwischen den Geschlechtern ausgeglichener. Hier erreichen Frauen etwa 73 Prozent der Rentenhöhe für Männer (vgl. Tabelle 5.17 in Kapitel 5.2.3). Setzt man die Renten in Relation zum geschlechtsspezifischen Durchschnittseinkommen, so erzielen Frauen und Männer in Schweden sogar die gleiche Lohnersatzquote. Der Hauptgrund für dieses Ergebnis liegt in der bis zur Reform von 1998 großzügigen Bemessungsgrundlage, die lediglich die 15 besten Einkommensjahre berücksichtigte. Dadurch fielen Erwerbsunterbrechungen oder geringere Verdienste bei Teilzeitbeschäftigung aufgrund von Kindererziehung weniger ins Gewicht. In Deutschland sind in diesem Zusammenhang noch die Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland hervorzuheben. Vor allem Frauen in den neuen Bundesländern, die auf lange Erwerbskarrieren in der ehemaligen DDR zurückblicken, erreichen wesentlich höhere Anwartschaften als westdeutsche Frauen.163 Die Bestrebungen der 1950er und 60er Jahre, mit dem Ausbau der Rentensysteme die Altersarmut zu beseitigen, haben dazu geführt, dass es der Mehrheit der älteren Menschen finanziell deutlich besser geht. Das Einkommen der meisten Rentnerhaushalte liegt heute im unteren Mittelbereich der Einkommensverteilung (vgl. Kap. 5.2.5). Trotzdem besteht das Problem der Altersarmut weiterhin. Nur Schweden fällt durch die niedrige Armutsquote älterer Menschen auf. In Deutschland ist die Altersarmut auf mittlerem Niveau, liegt aber immerhin unter der Armutsquote der Gesamtbevölkerung (vgl. Kap. 5.2.6). Trotz Zunahme staatlicher Pflegeleistungen bleibt die Familie die Hauptbetreuungsinstanz Im Bereich der Pflegeleistungen für ältere Menschen wurden die Leistungen des Staates in Deutschland, Frankreich und Italien erhöht, während sie in Schweden bei einem bereits bestehenden hohen Niveau rückläufig waren. Vor allem in Deutschland hat die Einführung der Pflegeversicherung einen radikalen Wandel zugunsten pflegebedürftiger Menschen bewirkt, die erstmals einkommensunabhängig einen Anspruch auf staatliche Grundleistungen erhielten. Der Empfängerkreis öffentlicher Leistungen wurde damit erheblich vergrößert. Zu beachten ist, dass Pflegeleistungen nicht ausschließlich als Förderung älterer Menschen gelten können. Zwar betreffen die Leistungen vor allem hochaltrige Personen, sie gelten aber im Prinzip für pflegebedürftige Menschen jeden Alters. Zum anderen kommen die Leistungen oft Jüngeren zugute, da entweder Pflege leistende Kin163 Sie erlangten z.B. im Durchschnitt des Jahres 2003 nur etwa 73 Prozent des Rentenniveaus ostdeutscher Frauen. Westdeutsche Männer erreichten im gleichen Jahr ca. 95 Prozent der Renteneinkommen ostdeutscher Männer (Verband Deutscher Rentenversicherungsträger 2005).
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der bezahlt oder Arbeitsplätze im Bereich der sozialen Dienste geschaffen werden. Selbst in Ländern mit ausgebauten staatlichen Pflegeversicherungen wie Deutschland und Schweden bleibt die Pflege älterer Menschen jedoch noch immer vorrangig den Familien überlassen und damit in der Regel auch unbezahlt, da Versicherungsleistungen erst bei erhöhtem Pflegebedarf gewährt werden. Insgesamt zeigen unsere Analysen zweierlei: 1.
2.
Die Betrachtung der Haushaltseinkommen weist ältere Menschen im Ruhestand als derzeit finanziell recht gut abgesichert aus, so dass sie im Allgemeinen nicht auf zusätzliche Sozialtransfers neben ihrer Rente angewiesen sind. Für deutsche Rentner hielt sich das Ausmaß der jüngsten Kürzungen im Vergleich zu den Rentnern anderer Länder in Grenzen, weil zum einen ein Gutteil der Reformen schon früher verabschiedet wurde und weil zum anderen die wesentlichsten jüngeren Veränderungen erst in der Zukunft voll greifen. Darüber hinaus profitierten sie vom Ausbau der Leistungen im Pflegesystem. Zu bedenken ist dabei, dass die Reformen der Rentensysteme in den Ländern von einem unterschiedlichen Ausgangsniveau starteten. Der Reformdruck in Deutschland war durch die Tatsache, dass die deutsche Rentenformel schon immer die gesamte Erwerbsbiographie und nicht nur die besten Jahre in Rechnung stellte sowie durch die schrittweisen Reformen seit den 1970er Jahren nicht so hoch wie in den anderen Ländern. Umgekehrt gab es im Bereich der Pflege im Vergleich zu Schweden einen hohen Reformdruck, weil jenseits der nur subsidiär einspringenden Sozialhilfe noch keine tragfähigen Lösungen existierten und die Familien zunehmend überlastet waren. Trotz der relativ geringen Belastung der meisten Rentnerhaushalte durch die Reformen kann bei Betrachtung der Lebensverhältnisse älterer Menschen nicht von einer Rentnerprivilegierung gesprochen werden. Die Mehrheit der Rentnerhaushalte ist mit ihren Einkommen in der unteren Hälfte der Einkommensverteilung zu finden. Das Problem der Altersarmut ist nicht gelöst, und die geschlechtsspezifischen Unterschiede beim Rentenniveau führen zu einer großen Abhängigkeit älterer Frauen von ihren Partnern bzw. im Falle der Verwitwung von der Familie. Das Land, in dem den Ausgabenquoten zufolge die stärkste Rentenlastigkeit des Sozialstaats festzustellen ist – Italien –, weist zugleich die höchste Armutsquote bei älteren Menschen und die geringsten Lohnersatzraten im Ländervergleich auf. Das zeigt, dass von der Rentenlastigkeit der Sozialausgaben nicht unmittelbar auf privilegierte Lebensverhältnisse der Rentner geschlossen werden kann.
10.2 Rentnerlastigkeit oder Investitionen in die Jugend?
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Wie steht es nun mit der Situation jüngerer Menschen im Sozialstaat? Werden sie im Rahmen der jüngsten Reformen zunehmend gefördert und unterstützt, oder sind auch sie von Leistungskürzungen betroffen? Die Europäische Kommission hat deutlich gemacht, dass es das Ziel einer nachhaltigen Sozialpolitik sein muss, die Beschäftigungsquote aller Personen im erwerbsfähigen Alter zu erhöhen und ihre Produktivität zu steigern. Neben der ökonomischen Zielsetzung verbesserter Konkurrenzfähigkeit durch effektivere Nutzung der Humankapitalressourcen hat die Förderung der Erwerbstätigkeit auch sozialpolitische Zielsetzungen. Mindestens drei Ziele werden dadurch angestrebt: 1. 2. 3.
Armutsvermeidung: Arbeit ist der beste Schutz vor Armut und damit auch das beste Mittel zur Förderung der Entwicklungschancen von Kindern. Gleichstellung: Die Gleichstellung von Männern und Frauen wird über eine finanzielle Unabhängigkeit durch eigenständige Erwerbsarbeit verbessert. Nachhaltigkeit: Die Nachhaltigkeit der sozialen Sicherungssysteme hängt bei alternden Bevölkerungen weitgehend von der Zahl der Beitragszahler und ihrer Produktivität ab. Je mehr Personen im erwerbsfähigen Alter produktiv arbeiten, desto leichter fällt die Finanzierung der vom demografischen Wandel bedrohten Systeme.
Zentrale sozialpolitische Schwerpunkte zur Erreichung der Ziele liegen dabei auf der Förderung von Kindern und der Berufstätigkeit von Müttern (EspingAndersen et al. 2002; OECD 2001b; 2006). So gelte es, Politiken zu entwickeln, welche die Bereitschaft, Kinder zu bekommen und großzuziehen, stärken und die kognitive Entwicklung der Kinder fördern. Überdies muss die Politik Lösungen finden, die es Eltern ermöglichen, familiäre Aufgaben und Erwerbstätigkeit unter einen Hut zu bringen. Beides soll Folgekosten, die aus unzureichender Förderung von Kindern während ihres gesamten Lebenslaufs entstehen, vermeiden. Eine hochwertige Kinderbetreuung und die Bekämpfung der Armut von Familien sollte als wichtige soziale Investition in die Zukunft gesehen werden.
10.2.2 Soziale Investitionen in die Jugend? Was haben die vier untersuchten Länder sozialpolitisch unternommen, um jüngere Menschen und Kinder materiell zu unterstützen sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen? Unsere Analysen haben gezeigt, dass die Länder unterschiedliche familienpolitische Schwerpunkte wählen. Während die familienpolitischen Leistungen Italiens bescheiden sind, wenden die Länder Deutschland, Frankreich und Schweden zwar insgesamt ähnlich viel für familienpolitische Zwecke auf, unterscheiden sich aber deutlich hinsichtlich der Aus-
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gabenstruktur. Insbesondere Schweden, aber in etwas geringerem Maße auch Frankreich, stecken einen hohen Anteil ihrer Aufwendungen in Betreuungsdienste, während Deutschland in viel stärkerem Maße auf Transferzahlungen setzt.164 Tabelle 10.2 gibt einen Überblick über die wichtigsten Veränderungen im Bereich der Familienpolitik. Tabelle 10.2:
Sozialpolitische Veränderungen, die derzeit jüngere Menschen und Familien betreffen (1990-2006) Transferleistungen
Dienstleistungen
Deutschland
Kindergeld: Erhöhung und Vereinheitlichung der Leistung. Kinderfreibetrag alternativ zum Kindergeld, Einführung eines bedürftigkeitsgeprüften Kinderzuschlags
Elternzeit: Anhebung der höchstmöglichen Reduzierung der Arbeitszeit auf 30h/Woche. Höhere Leistung bei kürzerer Inanspruchnahme. Kinderbetreuung: Anstieg der Versorgungsquote (auf 13,7% für 0- bis 3-Jährige. Kosten erschwinglich und steuerlich absetzbar.
Frankreich
Keine Änderung. Leistungen großzügig und differenziert nach Geburtsrang sowie mit Alter ansteigend. Familiensplitting
Elternzeit: 36 Monate/Kind. Erziehungsgeld bereits ab dem 1. Kind, allerdings nur für die ersten 6 Monate. Erst ab 2. Kind 36 Monate Erziehungsgeldleistung sowie partielle Erhöhung möglich. Kinderbetreuung: weitere Steigerung der Versorgungsquote (44,7%), hohe Flexibilität. Relativ teuer, aber Steuerfreibeträge und Abgabenbefreiung.
Italien
Kindergeld: kaum Änderung, zwar Anhebung des Kindergelds für gering Verdienende, aber insgesamt geringes Niveau. Kinderfreibetrag bleibt bestehen.
Elternzeit: Ausweitung auf 10 Monate, davon nur 6 Monate mit 30% Lohnersatz, 1 zusätzlicher Papa-Monat. Kinderbetreuung: geringer Ausbau (7,4%), hohe Kosten, aber auch hohe Flexibilität, keine spezielle Unterstützung seitens des Staates.
Schweden
Kindergeld: keine Änderungen, universelle Leistung für die ersten 3 Kinder gleich hoch, danach steigend.
Elternzeit: Ausweitung auf 16 Monate, davon je 2 Mama- und Papa-Monate. Innerhalb 13 Monaten 80% Lohnersatz, danach einheitlicher Satz. Kinderbetreuung: weitere Steigerung auf 45%, hohe Flexibilität. Geringe Kosten.
Quelle: eigene Zusammenstellung 164 Der OECD Social Expenditure Database zufolge ist Deutschland das einzige der hier betrachteten vier Länder, in dem die direkten Transferzahlungen für Familien höher sind als die Sachleistungen (benefits in kind).
10.2 Rentnerlastigkeit oder Investitionen in die Jugend?
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Die Tabelle verdeutlicht, dass es im letzten Jahrzehnt gerade Deutschland war, das sich bewegt hat. Sowohl Transfer- wie Dienstleistungen wurden reformiert. Zwar ist auch hier wieder die Ausgangssituation zu beachten – (West-) Deutschland begann die 90er Jahre auf vergleichsweise niedrigem Versorgungsniveau im Kleinkinderbereich –, aber dasselbe gilt für Italien, wo sich im Gegensatz zu Deutschland wenig getan hat. Trotzdem bleibt festzuhalten, dass Frankreich und Schweden Vorreiter in Sachen Familienunterstützung sind. Zur Unterscheidung der beiden Länder ist lediglich das Ausmaß der Unterstützung kinderreicher Familien zu erwähnen, das in Frankreich durch die geringe Unterstützung von Erstkindern und umso großzügigere Leistungen für Zweit- und weitere Kinder höher ist als in Schweden, wo ein erstgeborenes Kind zu denselben Leistungen wie nachfolgende Kinder berechtigt. Wir hatten hier untersucht, inwieweit die familienpolitischen Leistungen wirksam dazu beitragen, die Familien vor Armut zu bewahren. Die zentralen diesbezüglichen Befunde und Einsichten stellt der folgende Überblick zusammen. Transferleistungen verringern das Armutsrisiko, aber trotzdem sind Kinder in allen Ländern außer Schweden überdurchschnittlich stark von Armut betroffen In Deutschland, Frankreich und Schweden haben Steuervergünstigungen und Sozialtransfers eine große Auswirkung auf das Einkommen von Familien. Nur in Italien sind die direkten und indirekten Familienleistungen gering und meist bedarfsgeprüft. Gemeinsam ist den drei erstgenannten Ländern, dass Alleinerziehende einen Großteil des Einkommens aus staatlichen Leistungen erhalten. Dies liegt zum einen an ihren niedrigen Erwerbseinkommen, die sie für bedarfsgeprüfte staatliche Leistungen qualifizieren, die viele andere Familien nicht erhalten. Zum anderen gibt es steuerliche Begünstigungen für allein erziehende Elternteile, wenn sie erwerbstätig sind. Die hohen staatlichen Leistungen können allerdings nicht verhindern, dass Alleinerziehende in den drei Ländern die niedrigste Einkommensposition unter allen Familien einnehmen und auch das höchste Armutsrisiko haben. Bei der staatlichen Förderung von Paaren mit Kindern unterscheiden sich die drei Länder jedoch deutlich. In Deutschland und Schweden werden die finanziellen Leistungen weitgehend unabhängig vom Geburtsrang gewährt. Allerdings machen andere Sozialtransfers bei schwedischen Familien neben den Familienleistungen einen nicht unbedeutenden Anteil des Einkommens aus (vgl. Kapitel 7.2.2) Der französische Staat fördert hingegen vor allem Familien mit vielen Kindern. Bezüglich der Einkommenssituation lässt sich festhalten, dass vor allem Familien mit zwei Kindern in Schweden und Frankreich über Einkünfte
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verfügen, die über dem Landesdurchschnitt liegen, während in Deutschland dies nur bei Ein-Kind-Familien der Fall ist.165 Hinsichtlich der Kinderarmut und der diesbezüglichen Erfolgsbilanz des Sozialstaats haben unsere Analysen gezeigt, dass Kinder trotz Sozialleistungen in allen Ländern außer Schweden häufiger von Armut betroffen sind als die Gesamtbevölkerung. In Schweden senken die Sozialtransfers das Armutsrisiko für Kinder um 28 Prozentpunkte. In Deutschland und Frankreich reduzieren sie das Armutsrisiko nur um 15 bzw. 13 Prozentpunkte, in Italien sind es sogar nur 2 Prozentpunkte. Wenn soziale Ungleichheiten in der Kindheit geschliffen und ihre Perpetuierung im Lebensverlauf vermieden werden soll, dann ist ein größeres Engagement zur Förderung von Kindern einkommensarmer Familien nötig. Das 2007 in Deutschland neu eingeführte Elterngeld ist in dieser Hinsicht kontraproduktiv, weil von seiner als Einkommensersatz konstruierten Gestaltung vor allem Gutverdienende profitieren. Familien ohne Einkommen wird im Vergleich zur zuvor geltenden Regelung der Leistungsanspruch gekürzt, da sie das Elterngeld nicht mehr 24, sondern nur noch 14 Monate lang beziehen können. Erwerbstätigkeit beider Elternteile als bester Schutz vor Armut? Höhere Sozialleistungen stellen sicherlich einen Weg wirksamer Armutsbekämpfung dar. Allerdings ist diese Option angesichts der Restriktionen der Staatsfinanzen beschränkt. Manche Sozialwissenschaftler plädieren deshalb ähnlich wie einige Politiker dafür, die Beschäftigungsquote beider Elternteile nach dem Motto „Arbeit ist die beste Versicherung vor sozialen Risiken“ zu erhöhen (Cantillon und van den Bosch 2003; Esping-Andersen 2001). Mit der Verfolgung eines neuen „Dritten Wegs“ (Giddens 2001) steht die europäische Sozialdemokratie vor einer weiteren historischen Zäsur in ihrem Verhältnis zur Marktwirtschaft. Galt früher das Ziel, die Reichweite des Marktes zu beschränken und die Bürger durch den Ausbau staatlicher Transferzahlungen und öffentlicher Dienste von Marktkräften zu befreien, so gilt heute die Befähigung möglichst vieler Menschen zur Teilnahme am Marktgeschehen als Königsweg zur Emanzipation. Unter dem neuen Leitmotiv der Hilfe zur Selbsthilfe wird dem Staat nun eine aktivierende Rolle im Sinne der Förderung der Arbeitsaufnahme und der permanenten Weiterbildung zugeschrieben. Nicht länger „De-kommodifizierung“ – im Sinne der Aufhebung des entfremdenden Warencharakters von Arbeit –, sondern die Aktivierung von Beschäftigungsreserven steht im Vordergrund dieses neuen Konzepts von Sozialpolitik. Die zugrunde liegende Logik, dass Personen über die Integration in den Arbeitsmarkt befähigt werden, für sich selbst sorgen und auch einen Beitrag zur Finanzierung der sozialen Sicherung zu leisten, funktio165 Dieses Ergebnis ist zum Teil auch ein Selektionseffekt, da Paare mit höheren Einkommen in Schweden und Frankreich sich möglicherweise eher für Kinder entscheiden.
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niert allerdings nur unter bestimmten Randbedingungen. Falls sie nämlich vorrangig zu prekärer oder marginaler Beschäftigung führte, wüchse vor allem die Zahl der als „working poor“ klassifizierten Personen, die trotz Erwerbsarbeit auf staatliche Zuwendungen angewiesen blieben, wenn sie ein menschenwürdiges Leben führen wollen, das auch die Teilhabe am Gesellschaftsleben umfasst. Unsere Analysen haben deutlich gezeigt, dass Familien mit Kindern geringere Armutsrisiken aufweisen, wenn beide Partner über ein Erwerbseinkommen verfügen (Kapitel 7.2.2). Eine zweite Verdienstquelle verbessert nicht nur die aktuelle Einkommenslage, sondern eröffnet bei Verlust eines Gehalts auch mehr Handlungsoptionen. Da mehr Ressourcen zur Verfügung stehen, kann bei Verlust eines Einkommens länger nach Arbeit gesucht werden, was ein besseres „matching“ von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt ermöglicht (Gangl 2002). Damit wird auch das Risiko eines dauerhaften sozialen Abstiegs gemindert. Deutschland fällt im Vierländervergleich im Jahr 2001 durch den niedrigsten Anteil von Paarhaushalten mit doppelter Vollzeitbeschäftigung auf. Gründe dafür sind zum einen, wie oben gezeigt, die Tendenz von Frauen, nach der Geburt nicht mehr oder nur teilzeitbeschäftigt auf den Arbeitsmarkt zurückzukehren, und zum anderen steuerliche Anreize durch das Ehegattensplitting, das solche Paare steuerlich besserstellt, die große Einkommensunterschiede zwischen den Partnern verzeichnen. Werden Paare mit berücksichtigt, bei denen einer der Partner eine Teilzeitbeschäftigung wahrnimmt, so liegt der Anteil an Zweiverdienerhaushalten in Deutschland mit 57 Prozent höher als in Italien und Frankreich, allerdings deutlich unterhalb dem Niveau Schwedens (71 Prozent). Die pro-natalistisch ausgerichtete Politik Frankreichs, die in der deutschen Debatte häufig als Modell zitiert wird, bietet zwar Anreize, den Kinderwunsch umzusetzen, sie bietet allerdings wenig Maßnahmen zur Beschäftigungsförderung von Frauen, so dass sich Deutschland und Frankreich hinsichtlich der Beschäftigungsverhältnisse wenig unterscheiden. Nur der Anteil der Vollzeit erwerbstätigen Frauen liegt in Frankreich höher als in Deutschland. Die Koordination von Transfer- und Dienstleistungen sowie Arbeitsmarktförderung und Steuerpolitik ist wichtig und rechnet sich In Deutschland verringert sich mit jedem zusätzlichen Kind unter 16 Jahren die Wahrscheinlichkeit, dass beide Partner Vollzeit erwerbstätig sind. Schweden hat dagegen nicht nur den höchsten Anteil an Doppelverdienerhaushalten, sondern Partner mit Kindern sind fast genauso häufig erwerbstätig wie Partner ohne Kinder. Der schwedische Fall zeigt, wie wichtig das Zusammenspiel zwischen steuerlichen Anreizen166, der Bereitstellung öffentlicher Betreuungs- und Pflegeein166 Durch die individuelle Besteuerung gibt es in Schweden keine direkten Anreize zur Doppelerwerbstätigkeit von Paaren. Es sind vielmehr die im Vergleich zu Deutschland fehlenden Ver-
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richtungen sowie der Arbeitsmarktförderung ist. Gepaart wird diese aktivierende Sozialpolitik mit großzügigen Transferzahlungen für Familien, die das Kinderarmutsrisiko deutlich reduzieren (vgl. Kapitel 7.2.3). Dieses Ineinandergreifen sozialpolitischer Maßnahmen ist kostspielig, aber die staatlichen Investitionen rechnen sich, da einerseits durch die hohe Erwerbsbeteiligung steuerliche Rückflüsse entstehen167 und andererseits soziale Folgekosten vermieden werden, weil weniger Kinder schwierige Startbedingungen haben, die sich negativ auf ihre Berufschancen auswirken und ihre Abhängigkeit von sozialstaatlichen Leistungen im Lebensverlauf erhöhen. Die Förderung von Familien mit Kindern wird in Schweden nicht nur im Sinne einer Gleichstellung der Geschlechter (bei den Eltern) gesehen, sondern zunehmend auch unter dem Aspekt des Rechts der Kinder auf gleiche Entwicklungschancen. Die Förderung der sozialen Sicherung über die Arbeitsmarktintegration hat auch Auswirkungen auf die Einkommenssicherung im Alter. Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass Rentenzahlungen, auf Haushaltsebene betrachtet, einen weitaus besseren Einkommensersatz bieten als bei Berechnung auf der Basis von Individualeinkommen (vgl. Kapitel 5.2.1.2). Der Erhalt des Lebensstandards von älteren Paaren erfolgt also weniger über das individuelle Rentenniveau als über die Kumulation mehrerer Renten auf der Haushaltsebene. Ein Grund dafür ist, dass zumindest in Deutschland, Frankreich und Schweden die überwiegende Mehrzahl von älteren Frauen ein Renteneinkommen bezieht. Auch wenn die Renteneinkommen von Frauen meist gering ausfallen, verbessert sich die Einkommenssituation der Haushalte doch deutlich. Für die Zukunft ist zu erwarten, dass Doppelverdienerhaushalte, in denen beide Partner relativ lange Erwerbskarrieren aufweisen, einen Teil der Einbußen durch die Rentenreform wettmachen. Ein aktivierender Sozialstaat, der Wohlfahrt durch Arbeit schafft, trägt damit indirekt auch zur Alterssicherung bei. Eine erhöhte Erwerbsbeteiligung von Müttern ist, gerade wenn die Kinder noch sehr klein sind, nicht ohne die Unterstützung bei der Kinderbetreuung möglich. Dazu eignen sich neben staatlichen Einrichtungen auch Familienangehörige wie Großmütter, die einspringen, wenn kommerzielle Optionen zu kostspielig sind. Unsere Analysen haben gezeigt, dass die vier untersuchten Staaten sich in ihren Ansätzen im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf deutlich unterscheiden.
günstigungen bei reduzierter Beschäftigung eines Partners, die eine Anreizwirkung zur Aufnahme von Erwerbstätigkeit entfalten. 167 Eine simple Rechnung zeigt: Hätte Deutschland die schwedische Frauenbeschäftigungsquote von 70,4 Prozent (2005), so würden knapp drei Millionen mehr Beitragszahler die deutschen Sozialversicherungskassen entlasten.
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Optionale Familienpolitik als Lösung des Vereinbarkeitsdilemmas Die sozialpolitische Antwort auf das Vereinbarkeits-Dilemma besteht im Ausbau von Einrichtungen zur Kinderbetreuung und – wo die Tariffreiheit dies zulässt – in der Arbeitsmarktregulierung durch gesetzliche Beurlaubungszeiten.168 Ein Ergebnis unserer Untersuchungen ist, dass die Verfügbarkeit öffentlicher Kinderbetreuung die Arbeitsmarktintegration von Müttern mit kleinen Kindern deutlich erhöht. Entscheidend dabei ist auch der Langzeiteffekt, denn je länger Mütter nach der Geburt ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie nicht oder nur partiell wieder in ihren Beruf zurückkehren (Fagnani 1999; Morgan und Zippel 2003; Ziefle 2004). Am häufigsten und dauerhaftesten schränken Mütter in Deutschland und dort insbesondere in den alten Bundesländern ihre Erwerbstätigkeit nach der Geburt eines Kindes ein. Selbst das gut ausgebaute Betreuungsangebot für Kinder zwischen drei und sechs Jahren vermag die Versäumnisse im Kleinkindalter hierzulande nicht zu kompensieren, denn auch nach den ersten drei Lebensjahren des Kindes steigen die Beschäftigungsquoten deutscher Mütter kaum an. Das ist insbesondere auch deshalb kontraproduktiv, weil es Frauen in Deutschland beim Übergang vom Bildungs- in das Berufssystem vergleichsweise gut gelingt, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Die Erwerbsbeteiligung junger Frauen liegt auf dem schwedischen Niveau, während in Frankreich – bedingt durch hohe Jugendarbeitslosigkeit – und vor allem in Italien – wo ein erschwerter Berufseinstieg und kulturelle Werthaltungen zur geschlechterspezifischen Arbeitsteilung zusammenwirken – viele Frauen vor der Geburt des ersten Kindes gar nie erwerbstätig waren. Das Beispiel Schwedens zeigt, wie stark ein weitreichendes, kostengünstiges und flexibles Betreuungsangebot für Kinder die Erwerbsbeteilung von Müttern erleichtert. Auch eine großzügige Elternzeitregelung unterstützt die Rückkehr von Müttern auf den Arbeitsmarkt, wie das schwedische Beispiel zeigt. Das im Januar 2007 nach schwedischem Vorbild in Deutschland eingeführte Elterngeld zeigt allerdings einmal mehr, wie unkoordinierte Einzelmaßnahmen am Kern des Problems vorbeizugehen drohen. Zwar werden Anreize zugunsten der Entscheidung für ein Kind gesetzt, indem der Verlust eines Erwerbseinkommens nach der Geburt finanziell kompensiert wird. Die Situation aber bleibt für die Eltern prob168 Das Dilemma zwischen Erwerbsarbeit und Familienarbeit hat noch einen zweiten Akt. Während die Frage nach Kind und/oder Karriere vor allem die Phase des Übergangs zwischen Ausbildung und Beruf sowie des beruflichen Aufstiegs betrifft, geht es zwanzig Jahre später um die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Pflege der Eltern. Allerdings ist die Pflege von Familienangehörigen in vielen Fällen nicht so zeitaufwändig wie die Betreuung von kleinen Kindern. Zum anderen sind die moralischen Verpflichtungen zur Pflege der eigenen Eltern zumindest außerhalb der südeuropäischen Länder nicht so strikt wie bei den eigenen Kindern, so dass die Betreuungsaufgaben eher an soziale Dienste abgegeben werden.
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lematisch, weil sie nach Ablauf der Zahlung des Elterngeldes (max. 14 Monate) wieder auf die Betreuungslücke für Kinder unter drei Jahren stoßen, so dass ein Elternteil die Elternzeit wahrscheinlich auf die weiterhin geltenden drei Jahre verlängern wird. Die private Finanzierung der Kinderbetreuung ist nur für Bezieher von hohen Einkommen eine realistische Option. Der von der Bundesregierung geplante Ausbau der Kinderbetreuung ist daher ein Schritt in die richtige Richtung (vgl. Bundesministerium für Familie 2007). Dass eine vollständige Reintegration von Müttern in den Arbeitsmarkt von der deutschen Sozialpolitik nicht erwartet wird, zeigen die rentenrechtlichen Regelungen, die nicht nur die Anrechnung von Ausfallzeiten in den ersten Lebensjahren des Kindes vorsehen, sondern auch die Aufstockung der Rentenansprüche, wenn bis zum zehnten Lebensjahr des Kindes nur eine Teilzeitarbeit aufgenommen wird (Kapitel 5.1.2). Arbeitsmarktsituation und Werthaltungen sind für regionale Unterschiede in der Erwerbsbeteiligung von Müttern verantwortlich In den neuen Bundesländern ist der Beschäftigungsrückgang bei Frauen nach der Geburt eines Kindes anders gelagert. Es gibt eine große Anzahl an Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren, und die durchschnittliche Inanspruchnahme der Elternzeit ist um ca. ein Jahr kürzer als in den alten Bundesländern. Hauptproblem dort ist das mangelnde Arbeitsplatzangebot. Berücksichtigt man nicht nur die Beschäftigungsquoten von Frauen, sondern die Arbeitsmarktbeteiligung insgesamt, einschließlich der als arbeitsuchend gemeldeten Frauen, so ist die Erwerbsorientierung von jungen ostdeutschen Frauen weiterhin deutlich höher als bei jungen Frauen in den alten Bundesländern. Mängel bei der öffentlichen Kinderbetreuung und beschränkte Arbeitsmarktchancen stellen allerdings noch nicht die ganze Erklärung für die vergleichsweise geringe Müttererwerbstätigkeit in Deutschland dar. Unsere Analysen zeigen überdies, dass deutsche Mütter – insbesondere in den alten Bundesländern – eine hohe Präferenz haben, sich auf die Familie zu konzentrieren. Vor allem, wenn die Frau verheiratet ist, ihr Partner eine höhere Bildung und ein höheres Einkommen hat, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Frau auf bezahlte Arbeit verzichtet. Die geschlechtsspezifische Rollenteilung in formelle Arbeit für Männer und informelle Arbeit für Frauen ist in Deutschland sogar noch stärker ausgeprägt als in Italien, wo die weibliche Erwerbstätigkeit bei Geburt eines Kindes weniger stark sinkt, obwohl wir aufgrund unserer Analysen der Familienorientierung eigentlich die stärkste Präferenz für die Familienarbeit von Müttern erwartet hätten (vgl. Kapitel 4.3.2) Dieser Befund zeigt, dass die europäische Zielsetzung einer Erhöhung weiblicher Beschäftigungsquoten unterschiedliche Präferenzen der Frauen in verschiedenen Ländern berücksichtigen muss. Eine Aktivierungspolitik zur Erhöhung der Erwerbsbeteiligung kann nur
10.3 Staat oder Familie – Staat und Familie?
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in Koalition mit den betroffenen Frauen selbst, nicht aber entgegen ihren Vorstellungen verwirklicht werden.169 Eine langfristige Beeinflussung kultureller Präferenzen durch Familienpolitik scheint hingegen möglich, erfordert aber einen langen Atem (Sjöberg 2004). Insgesamt gesehen, bedarf es jedoch mehr als politischer Initiativen, um jungen Menschen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen, denn die ganze Gesellschaft muss Kinder als wertvoll akzeptieren und eine kinderfreundliche Umwelt bieten. Deutschland fällt nicht nur durch die niedrige Kinderzahl auf, sondern auch durch den hohen Anteil von Frauen, die gar keine Kinder wünschen. Werden junge Frauen nach ihrer Vorstellung von der idealen Kinderzahl gefragt, so liegt Deutschland mit einer Wunschkindzahl von 1,74 knapp vor Österreich auf dem zweitletzten Platz von 28 europäischen Staaten und weist überdies mit 17 Prozent den höchsten Anteil junger Frauen auf, die keine Kinder haben möchten (Fahey und Spéder 2004).
10.3 Staat oder Familie – Staat und Familie? Die Reformen des Wohlfahrtsstaats tragen dazu bei, die gesellschaftliche Verantwortung für die sozialen Risiken Einzelner neu zu definieren. Im Zentrum unserer Untersuchung stand dabei die Frage nach dem Mischungsverhältnis staatlicher und familiärer Unterstützungsformen, das in der Sozialstaatsliteratur mit den Begriffen Familialismus und Defamilialisierung umschrieben wird (vgl. Kap. 2.3.1). Die Rolle familialer Einkommenstransfers Wenn staatliche Leistungen gekürzt oder privatisiert werden, wird der Familienrückhalt wichtiger und die Generationenbeziehungen in der Familie gewinnen an Bedeutung. Generationale Unterstützung findet in vielen für die Sozialpolitik relevanten Bereichen statt, sei es als großelterliche Betreuung der Enkel oder als Pflege älterer Menschen durch erwachsene Kinder oder als finanzielle Unterstützung der Kinder und Enkelkinder durch die Großeltern bzw. Unterstützung der Eltern durch die Kinder. Der Umfang der finanziellen Hilfen von Eltern an Kinder ist deutlich höher als in umgekehrter Richtung, d.h. von den erwachsenen Kindern an die Eltern. Nur eine kleine Minderheit der älteren Menschen erhält finanzielle Unterstützung von mehr als 250 Euro im Jahr, während durchschnittlich zwischen 13 und 19 Prozent der Kinder von ihren Eltern monatlich in dieser Höhe und darüber 169 Selbst in den skandinavischen Ländern gibt es Initiativen, die anstreben, dass Kleinkinder länger von ihren Müttern betreut werden sollen (Ellingsæter 2006).
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hinaus unterstützt werden (Kap. 7.3). Finanzielle Leistungen kommen zwar vermehrt Kindern zu, die bedürftig sind, aber insgesamt konnte festgestellt werden, dass die Unterstützungsleistungen sehr ungleich verteilt sind. Je höher das Einkommen der Eltern im Rentenalter ist, desto wahrscheinlicher ist es auch, dass sie ihren Kindern und Enkeln substanziell unter die Arme greifen. Schenkungen und Erbschaften konzentrieren sich auf höhere Einkommensschichten. Damit verfestigen sie die intragenerationalen Einkommens- und Vermögensungleichheiten. Defamilialisierung in Schweden, Varianten des Familialismus in den übrigen Ländern Intergenerationale Betreuungsleistungen spielen zwar in allen von uns untersuchten Ländern eine große Rolle, unterscheiden sich aber in ihrem länderspezifischen Ausmaß. Dies betrifft eher die Pflege älterer Menschen als den Bereich der Kinderbetreuung. So haben wir beobachtet, dass die Hilfe von Familienangehörigen bei der Pflege von bedürftigen Personen in Deutschland, Frankreich und Italien weitverbreitet ist. Unsere Analysen zeigten überdies, dass das Netz familialer Unterstützung viel früher greift als staatlich gewährte Pflegeleistungen, die sich auf schwerere Pflegefälle konzentrieren. Deshalb ist selbst in Deutschland, wo die Pflegeleistungen von Familienmitgliedern honoriert werden, ein Großteil der Pflege und häuslichen Unterstützung noch informeller Art. Die Kinderbetreuung durch die Großeltern hingegen erreicht nur in Italien ein Ausmaß, das für einen Teil der Eltern eine Alternative zu staatlichen oder privaten Anbietern darstellt. Der Grund für die unterschiedlichen Betreuungsniveaus liegt im engeren Familienzusammenhalt, der sich nicht zuletzt durch die geringe räumliche Distanz der Generationen äußert. Nur wenn Eltern in der Nähe ihrer erwachsenen Kinder leben, können sie diese ohne große Koordinationsschwierigkeiten unterstützen. In Italien leben noch über 18 Prozent der Enkel mit der Großmutter in einem Haus und weitere 20 Prozent in der Nachbarschaft. In Frankreich und vor allem Schweden ist die Entfernung zwischen den Generationen größer. Im Vergleich zu den drei anderen Ländern orientiert sich das skandinavische Wohlfahrtsmodell stark am Konzept der Defamilialisierung, indem der Staat zunehmend Familienleistungen übernimmt und individuelle Sozialrechte unabhängig von der Familiensituation gewährt. Diese Praxis ist nicht unumstritten, weil befürchtet wird, dass sich die Familiensolidarität schwächt und der soziale Zusammenhalt in der Gesellschaft verloren geht. Vielen gilt die Familie überdies als Keimzelle von Solidarbeziehungen jenseits einer reinen Tauschlogik (Berger und Berger 1984). Auch wenn viele empirische Studien in Skandinavien der These eines schwindenden sozialen Zusammenhalts und eines „crowding out“ gesellschaftlicher Solidarbeziehungen durch staatlich organisierte Hilfen widersprechen, so bleibt fraglich, ob das skandinavische Modell übertragbar ist
10.3 Staat oder Familie – Staat und Familie?
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auf Länder, in denen sich Staat und Gesellschaft ferner sind und einander konfliktreicher gegenüberstehen. Überdies sah sich der schwedische Sozialstaat gerade auch im Bereich der Dienstleistungen in Reaktion auf die Wirtschaftskrise der frühen 1990er Jahre zu Einsparungen gezwungen (Palme et al. 2001; Sipilä et al. 2003). Etablierung einer Sozialpartnerschaft oder optionale Familienpolitik als Weg aus der drohenden Pflegekrise? In Deutschland wurde bei der Pflegeversicherung ein Weg beschritten, der Staat und Familie nicht in Kontrast setzt, sondern eine Sozialpartnerschaft etabliert, in der Leistungen bei der Pflege durch Familienangehörige finanziell honoriert werden. Gleichzeitig besteht die allerdings kostspieligere Option, die Pflegeaufgaben von sozialen Diensten durchführen zu lassen. Dieser optionale Ansatz der Sozialpolitik ist vielleicht die beste Lösung, um der Pluralisierung von Lebensstilen und Einstellungen gerecht zu werden. Im Gegensatz zu einer subsidiären, stark familienzentrierten Sozialpolitik wie in Italien bedeutet eine optionale Familienpolitik gerade nicht die Festschreibung der geschlechterspezifischen Arbeitsteilung oder den Zwang zum Familienzusammenhalt, sondern ermöglicht es den Familien, weitgehend ihren eigenen Präferenzen zu folgen. Außerhalb der Pflegeversicherung dominiert in Deutschland allerdings weiterhin eine sozialstaatliche Einbindung der Familie, welche die familiären Handlungsoptionen eher einschränkt und vor allem Frauen dazu anhält, nicht oder nur eingeschränkt erwerbstätig zu sein, weil Betreuungsplätze fehlen bzw. zu unflexibel sind und weil Einkommensunterschiede bei Ehepartnern steuerlich prämiert werden. Der schwedische Wohlfahrtsstaat bietet ebenfalls wenige Optionen, denn er beinhaltet insofern einen latenten Zwang zur Erwerbstätigkeit beider Partner, als bei den hohen Lebenshaltungskosten nur so ein adäquates Einkommen erzielt werden kann, während das Rentensystem nur vorübergehend und kurzfristig eine Hinterbliebenenversorgung bietet. Die französische Sozialpolitik definiert die Familienkonstellation am wenigsten stark und bietet insofern die größten Entscheidungsspielräume. Einerseits fördert ein weitreichendes und flexibles Betreuungssystem für Kleinkinder die Beschäftigungschancen von Müttern, andererseits reicht das Arbeitseinkommen eines Partners in stärkerem Maße als in Schweden als familiäre Existenzgrundlage aus. Andererseits zeigt das französische Beispiel, dass auch eine optionale Politik im Sinne der Förderung der Frauenerwerbstätigkeit die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung nicht verhindert. Frauen sind auch in Frankreich für die Betreuung, Pflege und Hausarbeit zuständig. Notwendig ist daher, dass die Sozialpolitik eine gleichberechtigte Aufteilung der Erwerbs- und Familienarbeit zwischen Frauen und Männern fördert. Das 2007 in Deutschland eingeführte Elterngeld, das durch die Lohnersatz-
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leistung einen Anreiz auch für die in der Regel besser verdienenden Väter bietet, ist ein erster Schritt in diese Richtung. Antworten auf die Frage, wie der demografische Wandel beeinflusst oder bezüglich seiner negativen Konsequenzen abgefedert werden kann, sind nicht einfach. Die Zeit des expandierenden Wohlfahrtsstaats scheint zumindest vorübergehend ihrem Ende zuzugehen. Dadurch wird der Wettbewerb um die verbleibenden Ressourcen zwischen den verschiedenen Bereichen der sozialen Sicherung zunehmen. Im Folgenden sollen die Weichenstellungen für die Zukunft in den vier von uns untersuchten Politikfeldern diskutiert werden. Dabei geht es um zwei Fragen: (1) Was kann man auf Basis der heutigen Informationen zur Lebenssituation von älteren Menschen lernen, wenn man bedenkt, dass künftige Rentnergenerationen wohl mit geringeren Renten auskommen müssen? (2) Sind die sozialpolitischen Reformen in der Familienpolitik adäquat und konsistent, um die angestrebten Ziele einer höheren Fertilität und guter Entwicklungschancen aller Kinder zu erreichen?
10.4 Weichenstellungen für die Zukunft Der demographische Wandel bedroht wegen des Ungleichgewichts der Zahl von Beitragszahlern und Leistungsempfängern insbesondere die Nachhaltigkeit der Renten- und Pflegeversicherung. Um die Belastungen der Zukunft zu schultern, wird vor allem von liberaler Seite gefordert, dass sich der Wohlfahrtsstaat aus einigen Aufgabenbereichen zurückziehen oder zumindest seine Leistungen mehr auf investive Ausgaben - z.B. im Bereich der Bildung - konzentrieren solle, die sich langfristig durch höhere wirtschaftliche Produktivität rechneten. Die politische Linke setzt dem entgegen, dass der Staat nicht aus der Verantwortung für den sozialen Ausgleich zwischen privilegierten und benachteiligten gesellschaftlichen Gruppen entlassen werden könne. Staatliche Sozialpolitik glätte die in der Marktsphäre entstehende Ungleichheit und fördere damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Je mehr der Staat die Absicherung sozialer Risiken auf die Individuen verlagere, desto stärker nähmen nicht nur Unsicherheit und Ungleichheit, sondern auch die Gefahr sozialer Spannungen zu (vgl. dazu auch Hacker 2006). Tabelle 10.3 zeigt, dass in den vier von uns untersuchten Bereichen Leistungskürzungen in Deutschland nur im Bereich der Rentenversicherung zu verzeichnen waren. In den drei übrigen Bereichen dominierte seit 1990 die Leistungsverbesserung. Beachtet man darüber hinaus, dass die Reform der gesetzlichen Rentenversicherung weniger drastisch ausfiel als in Italien oder Schweden, so zeigt sich, dass der beträchtliche Ausbau der Leistungen zugunsten von Fami-
357
10.4 Weichenstellungen für die Zukunft
lien und Kindern in Deutschland bislang nicht wesentlich zulasten der aktuell älteren Generation ging. Zu berücksichtigen ist dabei aber zweierlei. Zum einen wurden die Renten schon vor 1990 beträchtlich gekürzt, zum anderen steht die 1996 neu eingeführte Pflegeversicherung vor Finanzierungsschwierigkeiten, die in den nächsten Jahren wahrscheinlich weitere Reformen erforderlich machen. Tabelle 10.3: Veränderungen der staatlichen Leistungen in vier Politikfeldern Trend 1990-2004 Deutschland
Frankreich
Italien
Schweden
Rentensystem
Ð
Ð
Ð
Ð
Pflegeleistungen
Ï
Ï
Î
Ð
Familientransfers
Ï
Î
Î
Î
Dienstleistungen für Familien
Ï
Ï
Î
Ï
Ļ Entlastung des Staates Ĺ Belastung des Staates ĺ keine oder kaum Änderung Erläuterung: Diese zusammenfassende Tabelle basiert auf der Tabelle V im Anhang.
Der Vergleich der vier Politikfelder zeigt, dass die größten Leistungseinschnitte bei der Rentenversicherung zu verzeichnen waren. Dabei ist noch die Latenz der Reformwirkungen zu bedenken, die daraus resultiert, dass die volle Umsetzung erst schrittweise in den nächsten Jahrzehnten erfolgt. Zur Kürzung der Rentenleistungen trug in Deutschland, Italien und Schweden auch die Einführung eines demografischen Faktors170 bei, der insbesondere in Deutschland erst dann seine volle Auswirkung zeigen wird, wenn die geburtenstarken Jahrgänge der 1950er und 60er Jahre das Rentenalter erreichen und die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter durch die wesentlich kleineren Geburtskohorten nach 1970 geprägt sein wird (Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung 2003). Die bereits verabschiedeten, aber erst künftig voll in Kraft tretenden Kürzungen von Rentenansprüchen treffen also nicht primär die heute Alten, sondern die aktuell jüngeren Generationen. Teilweise führten die Reformen zwar auch zu reduzierten Rentenansprüchen der heutigen Rentnergeneration, aber der Hauptteil der Belastungen wird künftig von den aktuell erwerbstätigen Personen zu schultern 170 Der Faktor wird unterschiedlich bezeichnet – in Deutschland Nachhaltigkeitsfaktor, in Italien Transformationskoeffizient und in Schweden Annuitätsfaktor –, bezieht sich aber in allen Ländern u.a. auf die demografische Entwicklung.
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sein. Das bedeutet, dass sich zwar in allen Ländern die Altersorientierung wohlfahrtsstaatlicher Leistungen verringert hat, dies aber vor allem auf Kosten der heute noch jungen Menschen geschehen ist. Man kann diesen Befund auch auf paradoxe Weise formulieren: Wer heute im Interesse der Zukunftssicherung für die jüngere Generation die Rentenlastigkeit des Sozialstaats korrigiert und zugunsten der Nachhaltigkeit der Rentensysteme die Renten stutzt, der kürzt damit in erster Linie die Leistungen für heute noch jüngere Menschen. Die realisierten Reformen entlasten die staatlichen Rentenversicherungen auf zweierlei Weise: Erstens wurden die staatlichen Zahlungen für kommende Rentnergenerationen gekürzt, in der Erwartung, dass diese Ausfälle durch betriebliche oder private Altersvorsorge ersetzt werden. Zweitens wurden die Leistungen der staatlichen Renten stärker an die zuvor gezahlten Beiträge gekoppelt. Nur bei der Anerkennung von Betreuungs- und Pflegezeiten wurde das Äquivalenzprinzip zwischen Beiträgen und Leistungen in allen vier Ländern abgeschwächt (vgl. Kapitel 5.1). Die Reformen waren im Interesse der öffentlichen Finanzen sicherlich geboten, bergen aber die Gefahr, dass sich soziale Ungleichheiten erhöhen und das Problem der Altersarmut wieder stärker in den Vordergrund rückt. Unsere Analysen haben gezeigt, dass die Einkünfte von Rentnerhaushalten gerade im unteren Einkommensbereich fast ausschließlich aus staatlichen Rentenleistungen bestehen. Betriebliche Renteneinkommen und Kapitalerträge sind oftmals gar nicht vorhanden (vgl. Kapitel 5.2.4). Der Personenkreis am unteren Ende der Einkommensskala profitierte gleichzeitig am stärksten von den früheren Umverteilungsmaßnahmen in Abkehr vom Äquivalenzprinzip, wie etwa der universellen Volksrente in Schweden oder der auf wenigen oder „besten“ Jahren beruhenden Berechnungsgrundlage der Renten in Frankreich oder Italien. Wenn die deutschen Rentenreformen in komparativer Perspektive als vergleichsweise moderat erscheinen, so liegt das auch daran, dass in Deutschland schon seit jeher die gesamte Erwerbsbiographie als Berechnungsgrundlage der Renten herangezogen wurde. Auch hierzulande wird aber die demografische Anpassung der Rentenleistungen in den nächsten Jahrzehnten zu einem weiter sinkenden Rentenniveau führen. Die staatlich geförderte betriebliche und private Altersvorsorge soll den Rückgang der staatlichen Rentenleistungen ausgleichen. Die steuerliche Förderung der freiwilligen privaten Altersvorsorge wird allerdings das schon heute bestehende Problem der hohen Ungleichheit der Rentenleistungen noch verschärfen. Die Haushalte mit niedrigen Einkommen werden die implizite Erhöhung der Rentenbeiträge durch den privaten Vorsorgeanteil nicht aufbringen können, so dass es ihnen unmöglich sein wird, die Einschnitte bei den staatlichen Renten im Alter zu kompensieren. Überdies sind die Steuervergünstigungen für jene am höchsten, die mehr in ihre Altersvorsorge investie-
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ren können, so dass die staatliche Förderung sogar eine Umverteilung von unten nach oben zur Folge hat. Das schwedische Modell trägt den ungleichen Möglichkeiten privater Altersvorsorge sehr viel stärker Rechnung, indem es die kapitalgedeckte private Absicherung über Rentenfonds in das staatliche Rentensystem integriert und für erwerbstätige Personen zur Pflicht macht. Gleichzeitig erhalten durch Kollektivverträge schon heute über 80 Prozent der schwedischen Rentner Leistungen aus einer betrieblichen Rentenversicherung (vgl. Kapitel 5.2.3). So wird vermieden, dass viele Personen im unteren Einkommensbereich überhaupt keine kapitalgedeckte Altersvorsorge betreiben, obwohl auch in Schweden die Potenziale zur privaten Vorsorge je nach Einkommenslage unterschiedlich verteilt sind. Es wird häufig argumentiert, dass private Transfers von den Eltern an die Kinder den Rückgang sozialstaatlicher Leistungen ausgleichen können. Vor allem Erbschaften und Schenkungen werden in den nächsten drei Jahrzehnten beträchtlich zunehmen, da die Kohorten, die ab 1940 geboren wurden, von der wirtschaftlichen Prosperität und der stabilen Entwicklung seit Mitte des 20. Jahrhunderts profitieren konnten. Den erwirtschafteten Wohlstand werden sie zukünftig an ihre Kinder weitergeben. In dem Maße, wie die Zahl der Kinder schrumpft, wird das Vermögen überdies auf nur wenige Personen konzentriert. Die Kehrseite ist aber, dass genau der gleiche Umverteilungsmechanismus eintritt wie bei den staatlichen Rentenreformen: Die Elterngeneration, die Kapital und Vermögen bilden konnte und im Alter eine ausreichende Rente erhält, wird auch ihre Kinder unterstützen können. Jene aber, die wenig ansparen konnten und durch ihre niedrigen Einkommen während des Erwerbslebens auch keine hohen Renten beziehen, haben wenig zu vererben und konsumieren den Großteil ihres bescheidenen Vermögens im Alter selbst. Unsere Analysen haben deutlich gemacht, wie stark die soziale Ungleichheit privater Transferleistungen ist (vgl. Kapitel 7.3). Das trifft nicht nur auf Erbschaften und Schenkungen zu, sondern beginnt schon früh mit der finanziellen Förderung der Aus- und Weiterbildung, der ersten Jahre im Beruf und der Unterstützung bei Investitionen und privater Absicherung. Intergenerationale Transfers an die älteren Eltern sind in den unteren Einkommensschichten keine Alternative, um sinkende Rentenleistungen zu kompensieren. Soll die Gefahr einer steigenden Altersarmut gebannt werden, so sind drei sozialpolitische Maßnahmen zu erwägen, für die Finanzierungsspielräume durch Maßnahmen der Steuerpolitik, wie z.B. die Erhöhung der Erbschaftssteuer, zu schaffen sind:
360 1. 2.
3.
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Die Stärkung der Grundsicherung, die nicht unbedingt im Rentensystem verankert sein muss; die Einführung umverteilender Maßnahmen im Rentensystem, die gerade entgegen der aktuellen Politik die Betrags-Leistungsäquivalenz abschwächt, um für untere Einkommensschichten Ausgleichsmechanismen zu schaffen; die besondere Förderung privater und/oder betrieblicher Altersvorsorge im unteren Einkommensbereich oder die Einführung eines dazu verpflichtenden Elements in die Rentenversicherung.
Wir haben hier immer wieder darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, die Analyse nicht auf ein Politikfeld zu beschränken, sondern das Zusammenwirken verschiedener Politikfelder zu beachten und für die Koordination verschiedener Maßnahmen zu sorgen. Gøsta Esping-Andersen (2006) hat diesen zentralen Punkt einmal auf die Formel „Rentenformen beginnen mit Babys“ zugespitzt. Indem sozialstaatliche Politik die Geburt von Kindern fördert und eine Infrastruktur schafft, die Kindern gute Entwicklungschancen bietet, wird das Problem des Ungleichgewichts zwischen der schrumpfenden Zahl der Beitragszahler und der wachsenden Zahl der Leistungsbezieher im Rentensystem zwar nicht völlig entschärft, aber gemindert. Darüber hinaus werden soziale Ungleichheiten in der Kindheit gemildert, ihrer Verhärtung im Lebensverlauf vorgebeugt und das Problem der Vererbung von Ungleichheit von einer Generation auf die nächste entschärft. Eine die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördernde Familienpolitik, die zum einen versucht, Armutsrisiken von Kindern zu vermeiden und zum anderen in der Qualifikation der jungen Generation den Schlüssel für eine nachhaltige Entwicklung sieht, ist in Deutschland bislang allenfalls partiell umgesetzt. Zwar hat kein anderes Land die Familienleistungen so stark erhöht wie Deutschland. Allerdings ist dabei zu beachten, dass vor allem beim Betreuungsangebot die Niveauunterschiede zwischen Frankreich und Schweden auf der einen Seite und (West-)Deutschland und Italien auf der anderen Seite beträchtlich sind, so dass für die letztgenannten Länder noch immer ein Nachholbedarf besteht. Außerdem wird in Deutschland immer noch die Ehe als Institution stärker gefördert als die Geburt und Erziehung von Kindern. Ehebezogene Leistungen bilden mit fast 42 Prozent der Gesamtausgaben den weitaus größten Ausgabenblock der staatlichen Zuwendungen für Familien (Bundesministerium für Familie und Fraunhofer Institut 2006). Die amtliche Studie führt insgesamt 145 familienbezogene Leistungsarten auf, die von staatlichen Stellen gewährt werden. Was sich in Schweden wie eine Familienpolitik aus einem Guss darstellt, kann in Deutschland eher als Konglomerat voneinander getrennter, teils zueinander im Widerspruch stehender Maßnahmenbündel beschrieben werden. Das wurde hier an den Beispielen des Elterngeldes, des Ehegattensplittings oder der Anrechnungszeiten
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für Kindererziehung bei der Rentenberechnung gezeigt. Ein anderes Ergebnis unserer Analysen betrifft die Widersprüchlichkeit zwischen Transfer- und Steuerpolitik. Nach der Reform des Familienlastenausgleichs 1996 erhöhten sich die staatlichen Transferleistungen für Kinder in Deutschland deutlich. Gleichzeitig zahlt eine Familie mit zwei Kindern in Deutschland im Ländervergleich den höchsten Steuer- und Abgabensatz, und im Vergleich zu Paaren ohne Kinder ist die Steuerentlastung für Familien mit zwei Kindern bei gleichem Einkommen in Deutschland am geringsten (Kapitel 7.1.3). Eine Generationenpolitik, die in der Geburt und Qualifizierung von Kindern eine ihrer Hauptaufgaben sieht, kann nicht umhin, den bestehenden familienpolitischen Maßnahmenkatalog zu prüfen und ihn konsequenter an den Zieldefinitionen auszurichten. Auf der Basis unserer Analysen halten wir insbesondere die beiden folgenden Aspekte für zentral: 1.
2.
Die Umschichtung des Ausgabenverhältnisses zwischen Geld- und Sachleistungen durch den Ausbau von Betreuungs- und Bildungseinrichtungen. Zu prüfen wäre, ob die entstehenden Kosten nicht durch eine stärker bedarfsgeprüfte Verteilung der Geldleistungen partiell gedeckt werden könnten. Harmonisierung der Familienleistungen in der Transfer- und Steuerpolitik, um den in Deutschland bestehenden Widerspruch zwischen hohen Steuerbelastungen von Familien bei gleichzeitig hohen Transferleistungen aufzulösen.
Hinzu kommt noch ein dritter Aspekt, der im Rahmen unserer Untersuchung ausgeblendet werden musste, in der Praxis aber von hoher Bedeutung ist: 3.
Die deutsche Familien- und Bildungspolitik muss sich um eine stärkere Angleichung der Entwicklungschancen von Kindern unterschiedlicher sozialer Herkunft bemühen und die frühen Selektionseffekte aufgrund des Elternhauses, wie sie sich in der Pisa-Studie der OECD zeigten (Baumert et al. 2002; OECD 2000), mit ihren langfristigen Wirkungen auf die Lebenschancen verringern (vgl. Allmendinger und Nikolai 2006).
Insgesamt ergeben sich zwei Grundforderungen an eine moderne Sozialpolitik. Erstens gilt es im doppelten Sinne, eine ganzheitliche Politik zu entwickeln. Das bedeutet zum einen - wie auch der 7. Familienbericht der Bundesregierung herausstellt - eine Lebenslaufperspektive einzunehmen, die sozialpolitische Maßnahmen hinsichtlich ihrer Folgewirkungen in der Zukunft bewertet, und zum anderen eine koordinierte, verschiedene Politikfelder miteinander verknüpfende Querschnittspolitik zu betreiben, indem verschiedene Maßnahmen aufeinander abgestimmt werden. Ähnlich dem Grundsatz des „Gender Mainstreaming“ gilt
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es, ein „Generation Mainstreaming“ einzuführen, das bewirken würde, dass bei allen gesellschaftlichen Vorhaben die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Generationen von vornherein und regelmäßig berücksichtigt würden, um so die gleichberechtigte Behandlung von Generationen zu einem Maßstab sozialpolitischer Maßnahmen in verschiedenen Politikfeldern zu machen. Zweitens darf die Debatte um die nachhaltige Finanzierung der sozialen Sicherung und die Generationengerechtigkeit nicht zu einer schleichenden Entsolidarisierung sozialstaatlicher Leistungen führen. Es ist eine offene Frage, wie viel Ungleichheit eine Gesellschaft verträgt oder vielleicht sogar braucht. Zu bedenken ist aber, dass Maßnahmen zugunsten größerer Gleichheit zwischen den Generationen – wie etwa die Sicherung der Nachhaltigkeit durch Stärkung des Äquivalenzprinzips im Sinne der stärkeren Kopplung der Leistungen an die einbezahlten Beiträge – auch zu größerer sozialer Ungleichheit innerhalb der Generation beitragen, weil Ausgleichsmechanismen entfallen und die Rentenzahlungen ungeschminkt die sehr ungleich verteilte Finanzkraft der Privathaushalte widerspiegeln.
10.5 Kaum Anzeichen für einen Generationenkonflikt In der Akzeptanz des Sozialstaats in verschiedenen Altersgruppen sahen wir hier einen zentralen Indikator, um möglichen Generationenkonflikten auf die Spur zu kommen. Vor allem in Deutschland ist der sich anbahnende Generationenkonflikt zunehmend Thema öffentlicher Debatten. Diverse Autoren malen ein Szenario, in dem ältere Menschen sowohl materiell wie auch politisch jüngere Menschen dominieren, und fordern im Namen der Generationengerechtigkeit die ältere Bevölkerung auf, „den Löffel abzugeben“.171 Aussagen oder Aufforderungen dieser Art schüren vor dem Hintergrund der Alterung der Gesellschaften den Eindruck, dass es zwischen jüngeren und älteren Menschen ein großes Konfliktpotenzial gebe (vgl. auch Gronemeyer 2004; Klöckner 2003; Schirrmacher 2004). Die These eines Generationenkonflikts geht davon aus, dass verschiedene Altersgruppen nur solche sozialstaatliche Ausgestaltungen und Reformen unterstützen, die ihnen selbst den meisten Nutzen bringen. Ältere und jüngere Menschen befänden sich in sehr unterschiedlichen Positionen hinsichtlich der Pflich171 Unter dem Titel „Alte, gebt den Löffel ab!“ veröffentlichte der ehemalige Vorsitzende der Jungen Liberalen, Jan Dittrich, in Reaktion auf den im März 2005 vorgestellten Armutsbericht der Bundesregierung eine Pressemeldung, in dem es hieß: „Der neue Armutsbericht macht klar: Die Alten leben auf Kosten der Jungen. Während es jungen Menschen immer schlechter geht, ist die Altersarmut fast beseitigt. Es wird Zeit, dass die Alten von ihrem Tafelsilber etwas abgeben – einen Löffel oder besser gleich ein paar davon!“ (vgl. http://www.ngo-online.de/ ganze_nachricht.php?Nr=10602, verfügbar am 19.7.2007)
10.5 Kaum Anzeichen für einen Generationenkonflikt
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ten und Beiträge, die sie zu leisten haben, bzw. der Rechte und Leistungen, die sie erhalten. Diese Vorstellung eines egoistischen Nutzenkalküls liegt sowohl der Idee ungerechter Verteilungsungleichheiten zwischen Alten und Jungen als auch dem Gedanken einer sich anbahnenden Gerontokratie zugrunde. Unsere Untersuchung altersspezifischer Einstellungen zur Sozialpolitik hat gezeigt, dass es wenig Anzeichen für Konflikte zwischen den Generationen gibt (vgl. Kap. 9). Größere Unterschiede in den Einstellungen zwischen jüngeren und älteren Menschen gibt es nur bei der Rentenversicherung. In allen vier Ländern haben jüngere Altersgruppen geringeres Vertrauen in das Rentensystem als Ältere. In den anderen Bereichen lassen sich keine gravierenden altersspezifischen Einstellungsunterschiede entdecken. Bei der Finanzierung der Pflege finden wir sogar den gegenläufigen Trend: Während ältere Menschen in Bezug auf die Pflegekosten eher die Familie in der Verantwortung sehen und innerhalb der Familie dazu tendieren, die Kosten selbst zu tragen, präferieren jüngere Menschen vor allem in Deutschland und Schweden die Kostenübernahme durch den Staat. In keiner der Altersgruppen dominiert also der blanke Eigennutz bzw. das Bestreben, der anderen Generation die Kosten aufzubürden. Im Gegenteil: Ältere Menschen propagieren die Eigenverantwortung, jüngere Menschen die Idee eines solidarischen Aufteilens sozialer Risiken. Keinerlei signifikante Unterschiede zwischen den Altersgruppen finden wir bei der Erbringung von Pflege. In Schweden tendieren jüngere Menschen sogar eher als ältere Menschen zu der Aussage, dass Familienangehörige die Pflege übernehmen sollten. Obwohl Pflegeleistungen vor allem von Frauen erbracht werden, finden sich auch keine substanziellen Unterschiede zwischen den Geschlechtern. d.h., Frauen propagieren die familiäre Pflege ebenso häufig wie Männer. Schließlich befürworten ältere Menschen sogar häufiger als jüngere Menschen Leistungen des Staates zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Insgesamt zeichnet sich also bei der Beurteilung sozialstaatlicher Leistungen und Verantwortlichkeiten eher ein generationenübergreifender Konsens ab. Der häufig beschworene Generationenkonflikt zeigt sich bei unseren Einstellungsmessungen also nicht. Die Akzeptanz des Sozialstaats hängt sehr viel stärker von seiner länderspezifischen Ausgestaltung als von der Altersstruktur und den unterschiedlichen Interessen oder Werthaltungen einzelner Altersgruppen ab. Vor allem bei der Pflege, die nicht nur finanzielle, sondern in starkem Maße persönlich emotionale Aspekte der Beziehungen zwischen älteren und jüngeren Menschen umfasst, finden sich keine Hinweise auf Konfliktpotenziale. Vorstellungen vom drohenden Generationenkonflikt sind demnach stark überzeichnet. Das liegt vor allem daran, dass die Familie nach wie vor der Ort solidarischer Beziehungen zwischen den Generationen ist, in dem Eltern und Kinder füreinander Verantwortung übernehmen. Etwas deutlichere Hinweise auf Kon-
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fliktpotenziale ergeben sich bei der Wahrnehmung der Rentensysteme, in denen es stärker um anonyme finanzielle Austauchbeziehungen in Staatsregie geht (vgl. Keck und Blome 2008). Bei der Rentenversicherung wird es deshalb wichtig sein, die Belastungen möglichst gleichmäßig auf verschiedene Geburtskohorten zu verteilen und die kommenden Generationen nicht im Unklaren über die Belastungen zu lassen. Unsere Analysen haben aber auch gezeigt, dass soziale Ungleichheiten innerhalb der Altersgruppen künftig noch an Gewicht gewinnen werden. Das spricht dafür, dass auch künftig Ungleichheiten innerhalb einzelner Generationen das Denken und Handeln der Bürger stärker prägen werden als soziale Unterschiede zwischen ihnen.
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399
Anhang
Anhang
Infobox I:
Systematik Sozialschutzausgaben (Eurostat)
Definition Sozialschutz umfasst alle Interventionen von öffentlichen und privaten Institutionen, die Haushalte und Individuen von der Absicherung gegenüber einer Reihe von definierten Risiken oder Bedürfnissen befreien, unter der Voraussetzung, dass weder eine gleichzeitige Gegenseitigkeit noch individuelle Vereinbarungen involviert sind. Klassifikation Sozialleistungen werden nach Funktion (grundlegendes Ziel/Zweck des Schutzes) und nach Ausgabentyp (Art des Schutzes) unterteilt. Nach Funktion Es werden acht Funktionen unterschieden: Krankheit/Gesundheitsversorgung, Invalidität/Gebrechen, Hohes Alter, Hinterbliebene, Familie/Kinder, Arbeitslosigkeit, Wohnverhältnisse, Soziale Ausgrenzung, die nicht anderweitig eingeordnet wird. Die funktionale Einordnung der Leistungen bestimmt sich nach dem Ziel und nicht nach dem Bereich, in dem ein System wirksam wird. Z.B. kann ein Rentensystem Leistungen gewähren, die unter „Hinterbliebene“ oder „Familie/Kinder“ eingeordnet werden sollten. Die Funktion einer Leistung sollte nicht mit der persönlichen Situation des Empfängers verwechselt werden: Eine Witwe kann Arbeitslosengeld oder ein Rentner einen Wohnungskostenzuschuss erhalten. Ebenso können bestimmte Dienste in Verbindung mit mehreren Funktionen gewährt werden – abhängig von ihrem Zweck (Beispiel: häusliche Pflege). Es gilt die Faustregel, dass die Leistung für alle Personen über dem jeweiligen Rentenalter in die Funktion „Hohes Alter“ eingeordnet wird. Ein anderes Beispiel betrifft die Bündelung von sozialen und anderen Zielsetzungen: Wenn beispielsweise eine Regierung durch monetäre Leistungen besondere Schulen für blinde und taube Kinder unterstützt, dann muss der Teil des Transfers, der die normale Bildungsfunktion von Schulen finanziert (Bildung gehört nicht zum Sozialschutz) separat von dem Teil ausgewiesen werden, der die Anpassung der Unterrichtsgebühren an die speziellen Umstände von behinderten Kindern finanziert.
400
Anhang
Nach Ausgabentyp Sozialleistungen werden unterteilt in einmalige oder regelmäßige Barleistungen und Sachleistungen. Barleistungen sind Leistungen, die in bar gezahlt werden und keines Nachweises über tatsächliche Ausgaben des Empfängers bedürfen. Leistungen, die eines solchen Nachweises bedürfen, sind Erstattungen, die im System als Sachleistungen geführt werden. Bestimmte Steuerreduzierungen und – abschläge für Haushalte werden als Barleistungen betrachtet, wenn sie jede der folgenden Bedingungen erfüllen: (a) sie entsprechen der allgemeinen Definition von Sozialschutz, (b) sie werden als Pauschalfreibetrag gewährt, (c) die Leistungen werden in bar gewährt, wenn das zu versteuernde Einkommen zu niedrig ist, um von einer Steuerreduzierung zu profitieren. Sachleistungen sind Leistungen, die in Form von Gütern/Waren und Diensten gewährt werden. Sie können auf direkte Weise oder als Erstattung bereitgestellt werden. Direkt zur Verfügung gestellte Waren und Dienste werden durch die jeweils zuständige Verwaltungseinheit geliefert oder können von anderen Anbietern erworben werden. Diese Unterscheidung ist wichtig für die Wertbestimmung der Leistung. Klassifizierung von Leistungen Hohes Alter Die Funktion deckt die Bereitstellung von Sozialschutz gegenüber Risiken ab, die mit hohem Alter verbunden sind: Einkommensverlust, nicht angemessenes Einkommen, Mangel an Selbständigkeit bei der Ausübung täglicher Tätigkeiten, geringere Teilnahme am gesellschaftlichen Leben usw. (z. B. Renten, Unterbringung in einer Institution oder in der Familie und Unterstützung bei der Ausübung der Aktivitäten des täglichen Lebens). Familie Die Funktion beinhaltet Leistungen, die (a) finanzielle Unterstützung für Haushalte erbringen, in denen Kinder aufgezogen werden, (b) finanzielle Hilfe für Personen erbringen, die weitere Angehörige außer Kindern betreuen/unterstützen, (c) soziale Dienste bereitstellen, die speziell zur Hilfe und zum Schutz von Familien, insbesondere Kindern, geschaffen wurden (z.B. Kindergeld, Elternzeit, Tagesbetreuung, Versorgung) European Commission (1996)
401
Anhang
Infobox 2:
Äquivalenzskalen
Bei unseren Analysen wurde die revidierte OECD-Skala für die Äquivalenzgewichtung der Haushalte herangezogen (Hagenaars et al. 1996). Die Wahl der Äquivalenzskala beeinflusst sowohl die Einkommensverteilung insgesamt als auch die Einkommenshöhe bestimmter Haushaltstypen. Da ältere Menschen und Familien mit Kindern in Haushalten mit sehr unterschiedlicher Haushaltsgröße leben und die Äquivalenzgewichte von Kindern sich bei den Skalen unterschieden, ist die eine der beiden Gruppen je nach Wahl der Äquivalenzskala besser oder schlechter gestellt. Beim Armutsrisiko (60 Prozent des Medianeinkommens) ergaben sich bis zu fünf Prozentpunkte Abweichungen bei den Armutsquoten bei der Veränderung der Äquivalenzskala. Gleichzeitig werden die häufig verwendeten pragmatischen Äquivalenzskalen aus zwei anderen Gründen kritisiert. Erstens sind Konsumstrukturen von Haushalten nicht nur von Zahl und Alter der Haushaltsmitglieder abhängig, sondern auch vom verfügbaren Einkommen (Ebert und Moyes 2003). Zweitens unterscheiden sich die Konsumstrukturen von Haushalten zwischen den Ländern (Coulter et al. 1992; van Praag und van der Star 1988). Trotz der Kritik ist der Aufwand zu groß, empirisch Äquivalenzskalen zu ermitteln. Wir werden auf die gebräuchlichen pragmatischen Skalen zurückgreifen, die in der Forschung eine weitere Verbreitung haben.
65 63 (langjährig Versicherte) 60 (Altersrente für Frauen)
5
15 (Altersrente für Frauen) 35 (langjährig Versicherte)
Lohneinkommen während gesamter Versicherungszeit
Erforderliche Wartezeit in Jahren für den Bezug einer Rente
Mindestbeitragszeit in Jahren für den Bezug einer Rente vor gesetzl. Renteneintrittsalter
Rentenberechnungsgrundlage
Deutschland
Basissystem: durchschnittliches preisbereinigtes Bruttoarbeitsentgelt der 10 besten Versicherungsjahre Berufliches Zusatzsystem: Lohneinkommen während gesamter Versicherungszeit
37,5
Durchschnitt des Realeinkommens der letzten 5 Beitragsjahre
35
15
60 (Männer) 55 (Frauen) Offen (für langjährig Versicherte)
65 60 (langjährig Versicherte)
0,25 (1 trimestre = 3 Monate)
Italien
Frankreich
Institutionelle Regelungen im Rentensystem Anfang der 1990er Jahre
Regelaltersgrenze
Tabelle I:
15 einkommensstärkste Jahre
40 (Wohnsitzdauer im Alter zwischen 16 und 64) 30 (versicherungspflichtiges Einkommen)
Volksrente: keine ATP: 3 (versicherungspflichtiges Einkommen)
65
Schweden
402 Anhang
Brutto1: 69 Netto1: 88
Brutto1: 53 Netto1: 77
Kindererziehung: 1 bzw. 3 Jahre für Geburten ab 1986 bzw. ab 1992 (Bewertung mit 0.75 Entgeltpunkten) Pflege: Anerkennung als Berücksichtigungszeit
Entwicklung der Bruttolöhne (mit zeitlicher Verzögerung)
Ersatzrate bei durchschnittlicher Erwerbskarriere (in %)
Anrechnung von Kindererziehungs- bzw. Pflegezeiten
Rentenanpassung
Entwicklung der Bruttolöhne
Nur für Frauen: Wahl zwischen a) Erhöhung der Versicherungszeit um bis zu 2 Jahre (8 trimestres) pro Kind oder b) Verlängerung der Versicherungszeit um die Zeit, während der die Mutter in Elternurlaub war Rentenaufstockung ab 3. Kind
Basissystem: Rentenberechnungsgrundlage x Steigerungssatz (max. 50 %) x Versicherungsdauer (Quotient der erreichten trimestres dividiert durch Höchstversicherungsdauer von 150 trimestres) Berufliches Zusatzsystem: (6 aller jährl. Beiträge/Kaufpreis) x valeur annuelle du point
Seit 1992: PEP (persönliches Lohnniveau im Verhältnis zu Durchschnittseinkommen aller Versicherten x Anzahl der anrechnungsfähigen Versichertenjahre x Zugangsfaktor) x 1.0 (Rentenartfaktor) x AR (aktueller Rentenwert)
Rentenformel
Entwicklung der Lebenshaltungskosten plus Reallöhne (degressiv gestaffelt)
Keine
Brutto1: 78 Netto1: 89
Rentenberechnungsgrundlage x Anzahl der Beitragsjahre x Steigerungssatz (zwischen 1 und 2 Prozent)
Lebenshaltungskosten
Keine
Brutto*: 64 Netto*: 70,5
Volksrente: 96 % des Grundbetrags ATP: 60 Prozent x durchschnittlich erreichte ATPPunktzahl (1 Pkt = Einkommen in doppelter Höhe des Grundbetrags) x Grundbetrag des Renteneintrittsjahrs x (Versichertenjahre / 30)
Anhang
403
18,7
Politisch festgelegte absolute Beträge, die in etwa dem 1.8-fachen des Durchschnittseinkommens entsprechen
Nicht vergleichbar
Beitragssatz in
Obere Beitragsbemessungsgrenze
Untere Beitragsbemessungsgrenze
Mindestlohn SMIC (in etwa Hälfte des Durchschnittsverdiensts)
Basissystem: 125 % des Durchschnittsverdiensts Berufliches Zusatzsystem: 375 % (ARRCO) bzw. 1000 % (AGIRC) des Durchschnittsverdiensts
15,8 (Basissystem) Zwischen 5 und 14 (berufliches Zusatzsystem)172 Insgesamt zwischen 20,8 und 29,8
Minimum Vieillesse in 2 Stufen (i) beitragsbezogen und (ii) bedürftigkeitsgeprüft, entspricht in etwa 55 % des SMIC
9,5 % der Mindestmonatsrente pro Tag
1-faches des Einkommensgrundbetrags (ca. 18 % des Durchschnittsverdiensts)
7.5-fache des Einkommensgrundbetrags (ca. 135 % des Durchschnittsverdiensts)
20,45
24,5
Keine
Universelle Volksrente (96 % des Preisgrundbetrags, in etwa 13 % des Durchschnittseinkommens) Bedürftigkeitsgeprüfter Renten- und Mietkostenzuschuss
Mindestrente (Integrazione al trattamento minimo), entspricht in etwa 22 % des durchschnittlichen Bruttolohns
172 Die Höhe des Beitrags im beruflichen Zusatzsystem hängt von der Einkommensposition des Versicherten ab (Veil 2002; Wischeropp 1999).
Aufstockung niedriger Beiträge (Gehalt unter 75 % des Durchschnittseinkommens) im Rahmen der „Rente nach Mindesteinkommen“ (Voraussetzung: 35 Jahre Versicherungszeit) Sozialhilfe
Mindestsicherung
404 Anhang
Entsprechend der Beitragsbemessungsgrenze
Witwe/r: 60 % der Versichertenrente bzw. des – anspruchs Waise: 10 % der Versichertenrente bzw. des – anspruchs plus Ergänzung (20 % bei Vollwaisen)
Leistungsbemessungsgrenze
Hinterbliebenenrentenleistung Witwe/r: 52 % (Basissystem) bzw. 60 % (berufliches Zusatzsystem) der Versichertenrente bzw. des -anspruchs Waise: keine, aber Unterhaltsgeld im Basissystem
Basissystem: 50 % der Rentenberechnungsgrundlage Berufl. Zusatzsysteme: entsprechend den Beitragsbemessungsgrenzen Witwe/r: 60 % der Versichertenrente bzw. – des anspruchs Waise: 60 % der Versichertenrente bzw. des – anspruchs
Keine
Witwe/r: 96 % der Volksrente plus 40 % des ATPAnspruchs Waise: 30 % des Preisgrundbetrags sowie 30 % des der Versichertenrente bzw. des –anspruchs
Entsprechend der Beitragsbemessungsgrenze
Anhang
405
65
5
35 (nur noch mit Abschlägen möglich)
Lohneinkommen während gesamter Versicherungszeit
Erforderliche Wartezeit in Jahren für den Bezug einer Rente
Mindestbeitragszeit in Jahren für den Bezug einer Rente vor gesetzl. Renteneintrittsalter
Rentenberechnungsgrundlage
Deutschland
Basissystem: durchschnittliches preisbereinigtes Bruttoarbeitsentgelt der 25 besten Versicherungsjahre Berufliches Zusatzsystem: Lohneinkommen während gesamter Versicherungszeit
40
0,25 (1 trimestre = 3 Monate)
65 60 (langjährig Versicherte)
Frankreich
Individuelle Beitragssumme (wird regelmäßig gemäß Entwicklung des nominalen BIP (Durchschnitt der letzten 5 Jahre) aufgewertet)
5
40
Anhebung und teilweise Flexibilisierung: 65 (Männer) 60 (Frauen) 57 (langjährig Versicherte, deren zu erwartende Rente mehr als das 1,2-fache der Mindestsicherung beträgt)
Italien
Institutionelle Regelungen im Rentensystem Anfang 2000
Regelaltersgrenze
Tabelle II:
Individuelle Beitragssumme (jährliche Verzinsung auf Grundlage des Einkommensindex’ (Reallohndurchschnitt + Preisentwicklung))
40 (Garantierente) Keine (Einkommensrente)
3 (Garantierente) Keine (Einkommensrente)
Flexibel: Frühestens 61
Schweden
406 Anhang
PEP (persönliches Lohnniveau im Verhältnis zu Durchschnittseinkommen aller Versicherten x Anzahl der anrechnungsfähigen Versichertenjahre x Zugangsfaktor) x 1.0 (Rentenartfaktor) x AR (aktueller Rentenwert inkl. Nachhaltigkeitsfaktor (Reflexion des sich verändernden Verhältnisses zwischen Beitragszahlern und Rentnern))
Brutto: 44,6 Netto: 76,1
Kindererziehung: 1 bzw. 3 Jahre für Geburten ab 1986 bzw. ab 1992 (Bewertung mit 1 Entgeltpunkt), Aufwertung der Rentenansprüche für Zeiten des geringen Verdiensts während Kindererziehung Pflege: Beiträge an RV richten sich nach Stufe der Pflegebedürftigkeit und Umfang der Pflegetätigkeit
Rentenformel
Ersatzrate bei durchschnittlicher Erwerbskarriere (in %)1
Rentenrechtliche Zeiten für Kindererziehung bzw. Pflege Für Frauen: Wahl zwischen a) Erhöhung der Versicherungszeit um bis zu 2 Jahre (8 trimestres) pro Kind oder b) Verlängerung der Versicherungszeit um die Zeit, während der die Mutter in Elternurlaub war Für Männer: Verlängerung der Versicherungszeit um die Zeit, während der der Vater in Elternurlaub war Rentenaufstockung ab 3. Kind
Brutto: 64,97 Netto: 78,8
Basissystem: Rentenberechnungsgrundlage x Steigerungssatz (max. 50 %) x Versicherungsdauer (Quotient der erreichten trimestres dividiert durch Höchstversicherungsdauer von 40 Jahren (160 trimestres)) Berufliches Zusatzsystem: (6 aller jährl. Beiträge/Kaufpreis) x valeur annuelle du point
Kindererziehung (nur für Frauen): Möglichkeit des früheren Renteneintritts von 4 Monaten pro Kind (max. 12 Monate) oder Erhöhung des Rentenanspruchs Pflege: ein Monat pro Jahr für Zeiten der Pflege eines Familienangehörigen (maximal 18 Monate)
Brutto: 79,6 Netto: 88,9
Individuelle Beitragssumme x Transformationskoeffizient (Reflexion der Restlebenserwartung, Wahrscheinlichkeit Hinterbliebener sowie deren Leistungsbezug)
Für die ersten 4 Jahre im Falle einer oder mehrerer Geburten: Ersatz des Erwerbseinkommens mit Grundsicherungskomponente (75 % des Durchschnittseinkommens) oder additive Anrechnung
Brutto: 57 Netto: 74,6
Individuelle Beitragssumme ÷ Divisor (Reflexion Restlebenserwartung (unisex), „Norm“)
Anhang
407
Gemäß Veränderungen des Bruttolohns gemindert um Beitragssätze für gesetzliche und private Alterssicherung
Aufstockung geringer Beiträge für Zeiten der Kindererziehung (max. 10 Jahre pro Kind) Bedarfsbezogene Grundsicherung für Personen, deren Rente unterhalb eines definierten Niveaus liegt (neu: Unterhaltspflicht von Kindern entfällt bei Einkommen unterhalb € 100 000)
Steigerung auf 19,5
Rentenanpassung
Mindestsicherung
Beitragssatz in %
Leichte Senkung auf 17,21
Starke Steigerung auf 32,7
Leichte Senkung auf 14,8 (Basissystem) Steigerung um 2,5 bis 10 Prozentpunkte (berufliches Zusatzsystem) Insgesamt: Steigerung auf mindestens 22,3 und bis zu 39,8
Einkommensgeprüfte Garantierente (max. 2,13 x Preisgrundbetrag, in etwa 33 % des Durchschnittsverdiensts)
Sozialhilfe (assegno sociale und maggioranza sociale)
Minimum Vieillesse in 2 Stufen ( Stufe 1: beitragsbezogen und Stufe 2: bedürftigkeitsgeprüft), entspricht in etwa 50 % des SMIC
Entsprechend der durchschnittlichen Einkommensentwicklung nach Abzug von 1,6 Prozentpunkten („Norm“)
Anstieg der Lebenshaltungskosten (degressiv gestaffelt)
Basissystem: Veränderung der Lebenshaltungskosten Berufliches Zusatzsystem: Entwicklung der Löhne und Gehälter gemindert um 1 Prozent, allerdings nie höher als Entwicklung des Preisniveaus
408 Anhang
Geringfügig entlohnte Beschäftigung € 400,/Monat (2004) , ca. 14 % des Durchschnittsverdiensts
Entsprechend der Beitragsbemessungsgrenze
Witwe/r: 55 % der Versichertenrente bzw. des – anspruchs Waise: 10 % der Versichertenrente bzw. des – anspruchs plus Ergänzung (20 % bei Vollwaisen)
Untere Beitragsbemessungsgrenze
Leistungsbemessungsgrenze
Hinterbliebenenrentenleistung
Quelle: eigene Zusammenstellung 1 Social Protection Committee (2004)
Politisch festgelegte absolute Beträge, die in etwa dem 1.8-fachen des Durchschnittseinkommens entsprechen
Obere Beitragsbemessungsgrenze
Witwe/r: 54 % (Basissystem) bzw. 60 % (berufliches Zusatzsystem) der Versichertenrente bzw. des –anspruchs Waise: im Basissystem Unterhaltsgeld bzw. bei ARRCO und AGIRC nur für Vollwaisen (50 % resp. 30 %)
Basissystem: 50 % der Rentenberechnungsgrundlage Berufl. Zusatzsysteme: entsprechend den Beitragsbemessungsgrenzen
Mindestlohn SMIC (ca. die Hälfte des Durchschnittsverdiensts)
Basissystem: 125 % des Durchschnittsverdiensts Berufliches Zusatzsystem: 375 % (ARRCO) bzw. 1000 % (AGIRC) des Durchschnittsverdiensts
Witwe/r: 60 % der Versichertenrente bzw. des – anspruchs Waise: 70 % der Versichertenrente bzw. des – anspruchs
Entsprechend der Beitragsbemessungsgrenze
Keine
357 % des Durchschnittsverdiensts
55 % der Rentenbasis des Verstorbenen (max. 2,13x Preisgrundbetrag) für 12 Monate oder für den Zeitraum, in dem der hinterbliebene Ehegatte mit einem unterhaltsberechtigten Kind unter 12 Jahren zusammenlebt Waise: 30 % des Preisgrundbetrags sowie 30 % des der Versichertenrente bzw. des –anspruchs
Entsprechend der Beitragsbemessungsgrenze
42,3 % des Preisgrundbetrags (ca. 6,6 % des Durchschnittsverdiensts)
130 % des Durchschnittsverdiensts (Einkommensrente) 367 % des Durchschnittsverdiensts (Prämienrente)
Anhang
409
410 Tabelle III:
Jährliches Gehalt in €*
Anhang
Beihilfe in Euro für einen Haushalt, in dem eine allein erziehende Person und mindestens ein minderjähriges Kind leben (20042005) Anzahl der Familienmitglieder im Haushalt 1
2
3
4
5
6
7
Bis 13.886,81
99,68
184,89
412,13
554,16
724,59
891,92
13.886,82 16.733,28
79,53
164,75
372,37
531,43
715,81
869,20
16.733,29 19.578,06
54,23
136,34
332,60
491,67
701,86
843,89
19.578,07 22.424,52
23,24
102,26
289,73
454,48
676,04
821,17
22.424,53 25.271,54
20,66
73,85
230,34
403,35
616,65
744,21
25.271,55 – 28.117,43
20,66
48,55
190,57
369,27
593,93
721,49
28.117,44 30.963,31
-
34,09
159,07
315,56
559,84
693,09
30.963,32 33.809,23
-
34,09
136,34
261,33
528,34
659,00
33.809,24 36.654,56
-
28,41
119,30
221,56
499,93
639,37
36.654,57 39.502,13
-
28,41
119,30
204,52
378.05
605,29
39.502,14 42.348,58
-
28,41
102,26
204,52
284,05
465,84
42.348,59 45.193,36
-
-
102,26
176,11
284,05
369,27
45.193,37 48.040,38
-
-
102,26
176,11
244,28
369,27
48.040,39 50.886,82
-
-
-
176,11
244,28
318,14
50.886,83 53.733,83
-
-
-
-
244,28
318,14
53.733,84 56.579,73
-
-
-
-
-
318,14
411
Anhang
Tabelle IV:
Jährliches Gehalt in €*
Beihilfe in Euro für einen Haushalt, in dem beide Eltern und mindestens ein minderjähriges Kind leben (2004-2005) Anzahl der Familienmitglieder im Haushalt 1
2
Bis 11.989,56 11.989,57 14.836,01 14.836,02 17.681,91 17.681,92 20.526,70 20.526,71 23.373,71 23.373,72 – 26.219,59 26.219,60 – 29.066,60 29.066,61 – 31.911,40 31.911,41 – 34.757,30 34.757,31 – 37.602,64 37.602,65 – 40.450,21 40.450,22 – 43.296,09 43.296,10 – 46.142,56 46.142,57 – 48.988,44 48.988,45 – 51.835,46 51.835,47 – 54.682,48
Quelle: INPS * Bruttogehalt ohne Sozialabgaben
3
4
5
6
7
130,66
250,48
358,94
492,18
619,75
114,65
220,53
339,83
481,34
600,64
92,45
190,57
312,97
473,07
584,11
65,59
158.04
283,02
453,97
565,00
43,90
111,55
241,70
407,48
507,68
25,82
81,60
217,43
390,96
488,57
15,49
57,33
176,63
364,10
466,88
15,49
38,73
135,83
339,31
439,50
12,91
25,82
102,77
317,62
426,08
12,91
25,82
91,93
225,18
398,70
12,91
23,24
91,93
154,42
292,83
-
23,24
78,50
154,42
218,98
-
23,24
78,50
132,21
218,98
78,50
132,21
189,02
132,21
189,02
-
-
-
-
-
-
-
-
-
189,02
Alt
Pflege
-
-
-
-
-
-
-
-
-
Pflegeleistung: private Verantwortung, kein soziales Recht auf Pflege Kostenübernahme: private Verantwortung von Betroffenen und deren Kindern. Ansonsten Sozialhilfe, die durchschnittlich 50 % der Kosten deckt Leistung: medizinisch- und bedarfsgeprüft Finanzierung familialer Pflegetätigkeiten: symbolische Zahlung
Ausgangslage (etwa 1990) Strenger Beitrags-/ Leistungsbezug, Mindestsicherung über Sozialhilfe Indexierung: gemäß Entwicklung der Bruttolöhne Eintrittsalter 65, früherer Bezug (mit Abschlägen) möglich Geringe Anerkennung von Familienzeiten (1 Jahr/Kind) Beitragssatz: 18,7 %
Überblick: Grad der Alterszentrierung
Rente
Deutschland
Tabelle V:
-
-
-
-
-
-
-
Wandel (etwa bis 2006) Leichte Stärkung des Äquivalenzprinzips durch Nachhaltigkeitsfaktor sowie private/betriebliche Elemente, erleichterter Zugang zur Mindestsicherung Indexierung verschärft: gemäß Entwicklung der Bruttolöhne minus Beitragsätze zur gesetzl. und priv. Alterssicherung Großzügige Anerkennung von Familienzeiten (Kinder, Pflege) Anstieg des Beitragssatzes: 19,5 % Pflegeleistung: Rechtlicher Anspruch des Pflegebedürftigen auf Grundleistungen in Form von Geld und/oder Dienstleistungen Kostenübernahme: private Verantwortung für Mehrkosten, aber der Selbstbehalt der Kinder hat sich erhöht Leistungsvoraussetzung: keine Bedarfsprüfung, aber Einordnung in Pflegestufen Finanzierung familialer Pflegetätigkeiten: Quasi-Lohn
412 Anhang
Dienstleistungen Familie
Transferleistungen Familie
Quelle: eigene Zusammenstellung
Jung
Elternzeit: 36 Monate Elternzeit mit Beschäftigungsgarantie, Anspruch auf Erziehungsgeld für 24 Monate (es gelten Einkommensgrenzen). Reduzierung der Arbeitszeit auf höchstens 19h/Woche Kinderbetreuung: gering ausgebaut (7,5 %), große Unterschiede zwischen Ost und West, unflexible Öffnungszeiten, moderate Kosten. Steuerfreibeträge
-
-
-
Kindergeld: universell, Differenzierung nach Geburtsrang, Leistung ansteigend Steuererleichterung: Ehegattensplitting, Kinderfreibetrag
-
-
-
-
-
Kindergeld: universell, höhere Leistung. Für die ersten 3 Kinder gleich, danach ansteigend Bedürftigkeitsgeprüfter Kinderzuschlag Steuererleichterung: Ehegattensplitting, Kinderfreibetrag alternativ zum Kindergeld Elternzeit: Anhebung der höchstmöglichen Reduzierung der Arbeitszeit auf 30h/Woche. Bei kürzerer Inanspruchnahme (1 Jahr) höhere Leistung als bei längerer (2 Jahre) Kinderbetreuung: Anstieg der Versorgungsquote (13,7 %) durch Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG). Kosten erschwinglich und steuerlich absetzbar
Anhang
413
Alt
Pflege
Rente
Frankreich
-
-
-
-
-
-
-
Ausgangslage (etwa 1990) Beitrags-/Leistungsbezug im Zusatzsystem streng, im Basissystem weniger stark. Beitragsbezogene sowie bedürftigkeitsgeprüfte Mindestrente Indexierung: gemäß Entwicklung der Bruttolöhne Eintrittsalter 65, früherer Bezug für langjährig Versicherte oder mit Abschlägen möglich, geringe Anerkennung von Familienzeiten (Kinder) Beitragssatz: 20,8 bis 29,8 Pflegeleistung: Trennung zwischen medizinischen (KV) und sonstigen Pflegeleistungen (private Verantwortung) Kostenübernahme: teilweise Kranken- und Rentenversicherung (max. 80-90 %), ansonsten private Verantwortung Leistungsvoraussetzung: medizinische Leistungen werden über Krankenversicherung (KV) geprüft, Leistungen einkommensabhängig. Übrige Leistungen: keine einheitlichen Regeln zur Prüfung der Pflegebedürftigkeit Finanzierung familialer Pflegetätigkeiten: Quasi-Lohn bei Bedürftigkeit -
-
-
-
-
-
Pflegeleistung: staatliche Verantwortung zur Deckung des Pflegebedarfs, jedoch gibt es kein individuell einklagbares Recht auf Pflegeleistungen Kostenübernahme: keine Änderung Leistungsvoraussetzung: APA o Medizinisch geprüft, Einordnung in vier geförderte Pflegestufen. Leistungen werden weiter einkommensabhängig (aber abgeschwächt) gewährt. Übrige Leistungen: keine einheitlichen Regeln zur Prüfung der Pflegebedürftigkeit Finanzierung familialer Pflegetätigkeiten: Vollständig formell, allerdings Privatvertrag mit Niedriglohn
Wandel (etwa bis 2006) Stärkung des Äquivalenzprinzips durch Anhebung der erforderlichen Versicherungszeit und relevanten Einkommensjahre Indexierung verschärft: gemäß Entwicklung der Lebenshaltungskosten Keine Veränderung bzgl. Mindestsicherung Beitragssatz: Steigerung auf 22,3 % bis 39,8 %
414 Anhang
Dienstleistungen Familie
Transferleistungen Familie
-
-
-
Quelle: eigene Zusammenstellung
Jung
Kindergeld: universell und großzügig, aber erst ab 2. Kind erhältlich. Leistungen differenziert nach Geburtsrang und Alter ansteigend Steuererleichterung: Familiensplitting Elternzeit: 36 Monate Elternzeit mit Beschäftigungsgarantie, für Eltern mit mindestens drei Kindern Anspruch auf Erziehungsgeld für 36 Monate. Voraussetzung: Reduzierung der Arbeitszeit Kinderbetreuung: gut ausgebaut (33,6 %), hohe Flexibilität -
-
-
Elternzeit: Erziehungsgeld bereits ab dem ersten Kind, allerdings nur für die ersten 6 Monate. Erst ab 2. Kind kann für 36 Monate Erziehungsgeld beantragt werden. Höhere Leistung für das 3. Kind, wenn nur 1 Jahr in Anspruch genommen wird Kinderbetreuung: weitere Steigerung der Versorgungsquote durch Förderung der assistantes maternelles (44,7 %), hohe Flexibilität. Relativ teuer, aber Steuerfreibeträge und Übernahme der Sozialabgaben von assistantes maternelles
Kindergeld: keine Änderung Steuererleichterung: keine Änderung
Anhang
415
Alt
Italien
Pflege
Rente
-
-
-
-
-
-
-
-
Pflegeleistung: Unterhalts- und Betreuungspflicht bis zum Verwandtschaftsverhältnis dritten Grades (Neffen und Nichten) in hierarchischer Abfolge Kostenübernahme: private Verantwortung, Familie Leistung: Gewährung aufgrund Anerkennung einer Behinderung, medizinisch geprüft und mit Ausnahme von Schwerstpflegebedürftigen bedarfsgeprüft Finanzierung familialer Pflegetätigkeiten: symbolisch
Ausgangslage (etwa 1990) Rentenberechnung bezieht sich auf letzte 5 Einkommensjahre, renteneinkommensgeprüfte Mindestrente Eintrittsalter 55 bzw. 60, früherer Bezug für langjährig Versicherte möglich Indexierung: gemäß Entwicklung der Lebenshaltungskosten plus Reallöhne Keine Anrechnung von Familienzeiten Beitragssatz: 24,5 %
-
-
-
-
-
-
-
-
Wandel (etwa bis 2006) Sehr strenger Beitrags-/Leistungsbezug, haushaltseinkommensgeprüfte Mindestsicherung Anhebung des Eintrittsalters um 5 Jahre, Abschaffung von Privilegien Indexierung verschärft: gemäß Entwicklung der Lebenshaltungskosten Geringe Anrechnung von Familienzeiten (Kinder, Pflege) Beitragssatz: starke Steigerung auf 32,7 % Pflegeleistung: keine Änderung Kostenübernahme: keine Änderung, aber einzelne Kommunen bieten finanzielle Leistungen zur Deckung der Pflegekosten oder Gutscheine für den Bezug von sozialen Diensten. Leistungsvoraussetzung: keine Änderung Finanzierung familialer Pflegetätigkeiten: regional abweichend gibt es spezielle Hilfen für die pflegende Person
416 Anhang
Dienstleistungen Familie
Transferleistungen Familie
Quelle: eigene Zusammenstellung
Jung
-
-
-
-
Kindergeld: bedürftigkeitsgeprüfte Leistung nur für erwerbstätige Eltern, Leistungen differenziert nach Anzahl der Haushaltsmitglieder ansteigend Steuererleichterung: Kinderfreibetrag, außerdem Freibeträge für Alleinverdienerhaushalte Elternzeit: 6 Monate Elternzeit mit Beschäftigungsgarantie, 30 % Lohnersatz Kinderbetreuung: geringe Versorgungsquote (5,6 %) -
-
-
-
Elternzeit: Ausweitung auf 10 Monate mit Beschäftigungsgarantie, aber nur 6 Monate mit 30 % Lohnersatz, 1 zusätzlicher Papa-Monat Kinderbetreuung: geringer Ausbau (7,4 %), aber hohe Flexibilität. Hohe Kosten, keine spezielle Unterstützung seitens des Staates
Kindergeld: kaum Änderung, zwar Anhebung des Kindergelds für gering Verdienende, aber insgesamt geringes Niveau Steuererleichterung: keine Änderung
Anhang
417
Alt
Pflege
Rente
Schweden Ausgangslage (etwa 1990) Geringer Beitrags-/Leistungsbezug aufgrund universeller Volksrente und Bezug auf 15 beste Einkommensjahre bei Rentenberechnung Eintrittsalter: 65 Indexierung: gemäß Entwicklung der Lebenshaltungskosten Keine Anrechnung von Familienzeiten Beitragssatz: 20,45 % Pflegeleistung: Rechtsanspruch auf staatliche Pflegeleistungen bei Pflegebedarf. Keine Versorgungsverpflichtung durch Familienangehörige Kostenübernahme: nahezu vollständig (> 90 %) durch Staat Leistung: Pflegebedürftigkeit wird durch Pflegemanager geprüft. Dabei gelten kommunale Regelungen Finanzierung familialer Pflegetätigkeiten: Quasi-Lohn oder vollständig formell -
-
-
-
-
-
-
Wandel (etwa bis 2006) Sehr starker Beitrags-/Leistungsbezug, renteneinkommensgeprüfte Garantierente Eintrittsalter: flexibel ab 61 Indexierung verschärft: gemäß Entwicklung der Lebenshaltungskosten, wenn Reallöhne um 1,6 % steigen Großzügige Anrechnung von Familienzeiten (Kinder) Beitragssatz: Senkung auf 17,21 % Pflegeleistung: keine Änderung, allerdings werden zunehmend staatliche Leistungen verwehrt, wenn potenzielle Familienpfleger verfügbar sind Kostenübernahme: kaum Änderung, sinkende Übernahme der Kosten Leistungsvoraussetzung: keine Änderung Finanzierung familialer Pflegetätigkeiten: keine Änderung
418 Anhang
Dienstleistungen Familie
Transferleistungen Familie
Quelle: eigene Zusammenstellung
Jung
-
-
-
Kindergeld: universell, gleiche Leistung für die ersten 3 Kinder, danach steigend Steuererleichterung: keine Elternzeit: 15 Monate Elternzeit mit Beschäftigungsgarantie, 90 % Lohnersatz, 2 Papa-Wochen Kinderbetreuung: gut ausgebaut (41 %) -
-
-
Elternzeit: Ausweitung auf 16 Monate, davon je 2 Mama- und Papa-Monate. Innerhalb 13 Monaten 80 % Lohnersatz, danach einheitlicher Satz Kinderbetreuung: weitere Steigerung auf 45 %, hohe Flexibilität. Geringe Kosten
Kindergeld: keine Änderung Steuererleichterung: keine Änderung
Anhang
419