Luigi Malerba
Geschichten vom Ufer des Tibers
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Band 683 der Bibliothek Suhrkamp
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Luigi Malerba
Geschichten vom Ufer des Tibers
Bibliothek Suhrkamp
SV
Band 683 der Bibliothek Suhrkamp
Luigi Malerba Geschichten vom Ufer des Tibers Aus dem Italienischen von Alice Vollenweider
Suhrkamp Verlag
Originaltitel: Mozziconi
Erste Auflage 1980 © 1975 Giulio Einaudi editore s. p. a. Torino © der deutschsprachigen Ausgabe beim Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1980 Alle Rechte vorbehalten Druck: Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden Printed in Germany
Geschichten vom Ufer des Tibers
Mozziconi Vorname und Nachname Mozziconi hatte keine Freunde, weil er keinen Vornamen hatte. Er hieß nur Mozziconi. Der Nachname genügt aber nicht; für die Freunde braucht man auch einen Vornamen: Pippo, Tito, Tonino, Romoletto, Gigino. Er aber hatte nur den Familiennamen Mozziconi. Man kann vermutlich auch Freunde haben, wenn man Marcantonio, Gianfilippo, Antongiulio, Giovanbattista oder Piernicola heißt. Oder Baldassarre oder sogar Aristodemo. Mozziconi hatte einmal einen Ermengildo gekannt, der jeden Abend in der Kneipe Karten spielte. Wenn er Karten spielte, so hieß das, daß er mehr als einen Freund hatte. Mozziconi tat es leid, daß er nur Mozziconi hieß und darum keine Freunde hatte. – Und wenn ich denke, sagte er, daß gewisse alte Römer sogar zwei Vornamen pro Kopf hatten und überhaupt keinen Familiennamen wie Julius Cäsar oder Marcus Antonius oder Cäsar Augustus oder Pius Antonius. Doch waren das fast alle Kaiser und es ist ja bekannt, daß die Kaiser machen, was 7
sie wollen. Es ist sinnlos, sich mit diesen Schlitzohren zu vergleichen.
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Mozziconi Rausschmeißer Mozziconi wohnte in einer widerrechtlich erstellten Baracke außerhalb der römischen Stadtmauern, das heißt im Quartier des Aquädukts Felix. Die Baracke war zwar widerrechtlich erstellt, doch die Stadtverwaltung schickte jedermann Steuerrechnungen, auch für den Müll, den niemand je abholte, und für die Abwässer. – Wo sind die Abwässer? Ich sehe keine Kanäle, ihr Betrüger! Mozziconi war von morgens bis abends wütend. Hie und da kamen die Polizisten, um alle wegzujagen. Sie tauchten plötzlich auf mit ihren schnellen Autos, die Panther oder Gazellen heißen, und sagten, jetzt bringen wir euch alle ins Gefängnis von Regina Coeli. Die Leute vom Aquädukt Felix legten sich mitten auf die Straße und die Polizisten mußten nach Hause, das heißt in die Kaserne, zurückkehren. Um die Steuern für Müll und Abwässer nicht zu zahlen und nicht weggejagt zu 9
werden, mußten die armen Leute viele Stunden am Tag auf der Straße liegen. – Ich hau ab hier! sagte Mozziconi ständig. Er wußte aber nicht, wohin er gehen sollte. Nach rechts oder nach links, aufwärts oder abwärts, in die Stadt oder aufs Land oder wohin denn? Vielleicht würde er eine waldige Wiese, ein ebenes Gebirge oder einen steinigen Sandstrand am Ufer des Meeres finden oder sogar eine Stadt ohne Straßen und ohne Häuser. Solange er aber ein Haus ganz allein für sich hatte, würde es für ihn doch schwierig sein wegzugehen. An einem Tag voll Regen, Wind und großer Wut entschloß sich Mozziconi, sein Haus zum Fenster hinauszuwerfen. Er begann damit, die Möbel hinauszuwerfen. Zwei Stühle, eine Seegrasmatratze, ein Tischchen, eine Truhe und ein Nachttischchen. Dann warf er einen Kochtopf, eine Pfanne, sechs Teller, zwei Gabeln, einen Korkzieher und vier Löffel zum Fenster hinaus. Die Leute, die auf der Straße vorbeikamen, lasen alles auf, was Mozziconi hinauswarf. Er warf auch ein silbernes Tellerchen hinaus, das 10
er einmal bei einer Lotterie gewonnen hatte, und zudem viele Pakete alter Zeitungen, Leintücher aus Wolle und Decken aus Baumwolle. Mozziconi hatte ganz eigene Vorstellungen von Wolle und Baumwolle, warm und kalt, und vielem anderen. – Nehmt nur, nehmt, sagte er zu denen, die unter dem Fenster vorbeigingen. – Was machst du denn, Mozziconi? fragte ein Dieb, dem es nie gelungen war, etwas zu stehlen. – Das siehst du doch, oder? Ich werfe mein Haus zum Fenster hinaus. – Das ganze Haus? – Jawohl. – Läßt du mich etwas stehlen? – Du kannst nehmen, was du willst. – Ich will aber stehlen. – Stiehl, was du willst. – Nein. Du mußt tun, als würdest du schlafen, ich trete heimlich ein, stehle etwas und laufe weg. – Dazu habe ich keine Zeit. – Wenn du mich etwas stehlen läßt, zahle ich dafür, sagte der Dieb und zog seine Brieftasche heraus. 11
– Ich habe schon fast alles rausgeworfen. – Mir reicht wenig. – Ein Ofen aus Gußeisen steht noch da. Der Dieb trat ins Haus ein, versuchte, den Ofen zu nehmen, doch er war zu schwer. Er half Mozziconi, ihn aus dem Fenster zu werfen. – Anstatt zu stehlen, habe ich gearbeitet. Der Dieb ging weinend weg. In seinem ganzen Leben war es ihm nicht gelungen, etwas zu stehlen, und auch diesmal war es wieder schief gegangen.
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Mozziconi geht Als sie merkten, daß Mozziconi das Haus demontierte, machten sich auch die Tierchen, die mit ihm zusammen wohnten, aus dem Staub: Küchenschaben, Ameisen, Spinnen, Tausendfüßler, Wanzen, Flöhe, Läuse und ein paar Skorpione. Wie die Ratten, die das sinkende Schiff verlassen, liefen alle diese Tierchen in einer Reihe aus Mozziconis Haus, das bald abgebrochen sein würde. Die Mäuse waren schon bei den ersten Hammerschlägen verschwunden. Am Ende der Reihe liefen die drei Skorpione, die schief gingen, als wären sie betrunken. – Geht nur, geht, sagte Mozziconi, wohin ihr wollt, ihr könnt aber auch bleiben, besser allerdings ist es schon, wenn ihr geht. Wenn ihr aber lieber bleibt, so könnt ihr auch gern bleiben. Mit Hammer und Zange machte Mozziconi das Waschbecken und den Hahn los. Um das Waschbecken tat es ihm leid, weil es fast neu war; den Hahn warf er aber gern weg, weil er schadhaft war und das Wasser nicht 13
durchließ. Zwar gab es kein Wasser, weil es auch keine Röhren und überhaupt keine Wasserleitungen zu den widerrechtlich erstellten Baracken gab. Da diese Baracken aber in der Nähe des antiken Aquädukts Felix standen, schickte die Stadtverwaltung Wasserrechnungen und wurde wütend, wenn die Leute sie nicht bezahlten. Nach dem Waschbecken und dem Hahn begann Mozziconi den Fliesenboden zu zerschlagen. Die ganze Nacht warf er Fliesen und Pflastersteine und viel Mörtel auf die Straße. Dann warf er auch die Ziegel und die Dachbalken hinaus. Am anderen Morgen kam ein Polizist und wollte ihm eine Strafe geben, weil er all das Zeug auf die Straße geschmissen hatte, und Mozziconi sagte, schreib nur. – Nachname und Vorname, sagte der Polizist mit dem Bleistift in der Hand. – Mozziconi. – Und weiter? – Das ist alles. – Du hast doch einen Vornamen? – Nein. Mozziconi erklärte dem Polizisten, daß er 14
keinen Vornamen und deshalb auch keine Freunde habe und den Entschluß gefaßt habe, das Haus abzubrechen und irgendwohin weit weg zu gehen. Es fehlte nicht viel, und dem Polizisten wären die Tränen gekommen, und dabei war er einer der strengsten des Quartiers. In der Nacht darauf gelang es Mozziconi, sein Werk zu vollenden, das heißt die vier Mauern seines Hauses, Stück für Stück, aus dem Fenster zu werfen. Es blieb nur das Fenster mit dem Fensterbrett, das Fensterkreuz und die Fensterumrandung übrig. Mozziconi machte das hölzerne Fensterkreuz los und warf es hinaus. Dann demontierte er, Pflasterstein um Pflasterstein, auch die Umrandung und warf sie auf die Straße. Am Schluß warf er das Fenster mit den Scheiben und den Läden hinaus. Das Fensterbrett aus Travertinstein war zu schwer und er ließ sich von zwei Jungen helfen, die zufällig vorbeikamen. Jetzt gab es kein Haus mehr und sogar das Fenster war verschwunden. Es gab nur noch ein Stück Mauer unter dem Fensterbrett. Mozziconi machte es kaputt, stapfte 15
durch den Schutt und ging mit den Händen in der Tasche weg. – Und wohin gehe ich nun? Er schaute sich um und überlegte, wohin er gehen wollte. Es gab viele Straßen, Schilder, Verkehrsampeln, Signale, aber er konnte sich nicht zurechtfinden, weil er die vier Himmelsrichtungen vergessen hatte.
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Mozziconi gegen Rom Mozziconi hatte keine Ahnung, wohin zu gehen er sich entschlossen hatte. Er durchquerte die Stadt, ging am Tiberufer entlang und blieb in der Nähe des Ponte Sisto stehen. Hier schaute er sich um und ging dann die Treppe hinunter, die ans Ufer des Tibers führt. – Ich wette, daß ich mich entschlossen habe, ausgerechnet da hinunter zu gehen. Nach ein paar Stufen wandte er sich um. – Du magst ja schön sein, Rom, aber du gefällst mir nicht. – Was gefällt dir nicht? fragte ein Spaziergänger, der zufällig vorbeiging. – Rom. – Warum? – Weil es mich ekelt. Der Spaziergänger blieb stehen und betrachtete mit offenem Mund den zerlumpten Kerl, den es vor Rom ekelte. Mozziconi stieg weiter die Stufen hinunter, die in jener Jahreszeit mit faulen glitschigen Blättern bedeckt waren. – Paß auf, daß du nicht ausrutschst, sagte 17
Mozziconi, der sich in vielen Jahren der Einsamkeit daran gewöhnt hatte, Selbstgespräche zu führen. Er rutschte auf den faulen Blättern nicht aus, wie er es erwartet hatte. Er kam unten heil und gesund an wie Christoph Kolumbus, als er in Amerika an Land ging. – Das ist ein Ort, wo es mir gefällt, auch der Vergleich mit Christoph Kolumbus gefällt mir. Mozziconi blieb einen Augenblick stehen und hätte gern ein Sprichwort für die Gelegenheit erfunden, zum Beispiel eines über die Treppen, die man hinauf oder hinuntergeht, aber es fiel ihm überhaupt nichts dazu ein.
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Mozziconi und die Sprichwörter – Aber wer erfindet denn eigentlich die Sprichwörter? Vielleicht sind das Leute, die den Kopf auf die Hände stützen und so lange nachdenken, bis ihnen ein Sprichwort in den Sinn kommt, wie zum Beispiel dasjenige von dem, der andern eine Grube gräbt, oder jenes andere vom Krug, der zum Brunnen geht, oder auch jenes von den Hunden, die bellen aber nicht beißen, undsoweiter undsoweiter. Es muß Spezialisten für die Sprichwörter geben so wie es Spezialisten gibt, die Rosen züchten oder die Vergaser der Autos reparieren. Aber wie verdienen sich die Erfinder der Sprichwörter denn ihr Leben? Wer bezahlt sie? Oder erfinden sie nur um des Ruhmes willen? Dann müßten sie aber ihren Namen unter die Sprichwörter setzen, wie es auch jene tun, die Gedichte schreiben. Es müssen seltsame Leute sein, und Mozziconi hätte drum gern einen von ihnen kennengelernt. Zum Beispiel jenen, der das Sprichwort »Morgenstund hat Gold im Mund« erfunden hat, was hat er wohl damit verdient? 19
Manchmal sind diese berühmten Sprichwörter aber auch nicht viel wert, wie zum Beispiel dasjenige, das besagt »Wer sich nicht nach der Decke streckt, dem bleiben die Füße unbedeckt«. – Ich strecke meine Füße aber gern unter der Decke heraus! Und schließlich gibt es auch ein Sprichwort, das sagt »Frisch gewagt, ist halb gewonnen«. Mozziconi trat, in Gedanken versunken, auf ein nasses Blatt und fiel der Länge nach hin und wäre beinahe im Tiber gelandet. – Paß auf, wohin du trittst! Mozziconi stand vom Boden auf. Paß auf, wohin du deinen Fuß setzst. Wenn das auch kein echtes Sprichwort war, so fehlte ihm doch nicht viel dazu. Er schrieb es auf ein Blatt Papier, das er unter seine Mütze schob.
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Mozziconi unter den Brücken Von diesem Tag an betrat Mozziconi die Straßen von Rom nicht mehr. Hier unten gibt es Erde, Wasser und Luft, sagte Mozziconi, hier kann ich gut leben. Und wenn es regnet, findet man unter den Brücken Zuflucht. Mozziconi säte da und dort ein wenig Salat, Zucchetti, Bohnen, Artischocken, Erdbeeren und Tomaten. Woher er den Samen zum Säen hatte, weiß ich nicht; aber schließlich ist das eine Art Märchen, und da fragt man nicht so genau, woher einer den Samen zum Säen hat. Gewiß ist jedoch, daß Mozziconi kein besonders großes Vertrauen in die Menschen im allgemeinen hatte und noch viel weniger in Vagabunden wie er und am allerwenigsten in die Bettler, die sich am Tiberufer herumtrieben. Aus diesem Grund streute er sein Gemüse an verborgenen Plätzen aus, hinter Sträuchern, längs der Quaimauer, weit ab von den Wegen. Auf dem fetten und feuchten Sand wuchs alles sehr rasch und ohne Dünger, weil das 21
Tiberufer seit Jahrhunderten eine Art Düngerhaufen ist, auf den die Römer ihre Abfälle werfen. Mozziconi säte auch Oliven, Birn-, Kirsch-, Apfel-, Nuß- und Pflaumenbäume. Dann setzte er sich hin und wartete, bis die Gemüse und Bäume, die er gesät hatte, wuchsen. Nach und nach würde das Ufer ein Gemüse- und Obstgarten werden.
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Mozziconi Anarchist und Rebell In der Stadt oben, das heißt beim Aquädukt Felix, war es Mozziconi aus dem uns bekannten Grund nie gelungen, Freundschaften zu schließen. – Wer weiß, vielleicht wird es mir bei den Vagabunden und Bettlern, die am Fluß leben, besser gehen. Mit den armen Leuten, die in den widerrechtlichen Baracken wohnten, war Mozziconi nicht gut ausgekommen. Es war eine besondere Sorte armer Leute gewesen, die sich Lambrettas, Autos, Kühlschränke, Fernsehapparate kauften und sich danach sehr wichtig vorkamen und Mozziconi schlecht behandelten. – Idioten! Die wirklich reichen Leute gehen zu Fuß, obwohl sie Millionen haben. Die armen Leute vom Aquädukt Felix glaubten, der Tabakhändler, der Metzger und die Händler, die Kühlschränke und Fernsehapparate und andere Dinge verkaufen, seien die wirklich Reichen, weil sie am Abend Geld in der Kasse haben. – Die wirklich Reichen, die wirklichen Bon23
zen, haben ihr Geld nicht in der Schublade, sie berühren es nicht einmal mit den Händen, sagte Mozziconi. Man gab ihm zur Antwort, solche Reichen habe man noch nie gesehen und Mozziconi sei ein rebellischer und anarchistischer Aufschneider. – Ich bin was ich bin, sagte Mozziconi. Tatsache ist, daß die Anarchisten niemandem passen. Vor allem passen sie den Herren nicht, weil sie dann nicht mehr befehlen können. Sie passen aber auch den Armen nicht, weil die, wenn die Herren verschwinden, niemanden mehr haben, auf den sie schimpfen können. – Einfaltspinsel, sagte Mozziconi, laßt uns eine Revolution machen und dann sind wir die Herren! – Und wem befehlen wir dann? – Niemandem. – Aber was für Herren sind wir dann? – Wir sind Herr über unser Leben. – Können wir dann umlegen, wen wir wollen? – Wen wollt ihr denn umlegen? – Die Herren. 24
– Aber die Herren sind wir dann ja selbst. Ein armer Kerl, der sich für schlauer als die andern hielt, sagte, das sei alles ein großer Betrug von Mozziconi, und Anarchisten wie er wollten die armen Leute nur zu Herren machen, um sie dann umzulegen oder sich gegenseitig umlegen zu lassen. Am Ende fehlte nicht viel, und sie hätten Mozziconi umgelegt, doch es gelang ihm, wie durch ein Wunder sich zu retten, indem er sich in einem Kaninchenstall versteckte.
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Mozziconi dummer August Mozziconi schlenderte am sandigen Ufer des Tibers entlang, säte Salat, Zucchetti, Bohnen, Artischocken, Erdbeeren und Tomaten, und dachte: – Wer weiß, vielleicht sind die armen Leute hier unten weniger streitsüchtig als die vom Aquädukt Felix. Er hoffte einen Freund zu finden, und beschloß deshalb, sich einen Vornamen zuzulegen. Er nahm den Kopf zwischen die Hände, um besser nachdenken zu können; doch je mehr er nachdachte, desto schwieriger schien es ihm, einen passenden Vornamen zu finden. – Wer wird mir denn glauben, daß ich Pippo oder Tito, Tonino, Romoletto oder Gigino heiße? Man wird sogleich merken, daß es nicht mein Name ist. Er fand keinen Vornamen, der zu seinem Gesicht, zu seiner Stimme, zu seinem Alter, zu seiner Gangart, zu seinen Händen, zu seiner Nase und zu seinem Nachnamen paßte. Er war einfach Mozziconi und nichts anderes und mußte sich damit abfinden, 26
sein ganzes Leben lang und selbst danach Mozziconi bleiben. Er wollte aber nicht darauf verzichten, einen Freund zu finden. Zu diesem Zweck hatte er sogar gelernt, mit den Ohren zu wackeln. Er konnte sie beide oder auch nur eines allein bewegen. – Schau wie ich mit den Ohren wackle, sagte er, wenn er einem anderen Vagabunden begegnete. Der schaute ihn mitleidig an und ging wortlos weiter. Mozziconi tat das so weh, daß er am liebsten geweint hätte, wenn es ihm nicht lächerlich vorgekommen wäre. Die kleinen Vagabundenjungen lachten, als sie ihn das erste Mal mit den Ohren wackeln sahen; später fingen sie aber an, ihn auszupfeifen. – Du spielst den dummen August. Merkst du nicht, daß hinter deinem Rücken alle lachen? sagte ihm eines Tages ein Vagabund, der auf beiden Beinen hinkte. Mozziconi hätte es vorgezogen, wenn sie ihm ins Gesicht gelacht hätten, denn hinter dem Rücken kann man mit niemandem Freundschaft schließen. Und da er nun be27
kannt war als dummer August, der mit den Ohren wackelte, machten sich alle Vagabunden, die am Ufer des Tibers lebten, über ihn lustig und pfiffen ihn aus, wenn sie ihm begegneten oder warfen ihm Dreckkügelchen nach, die an seinen Kleidern kleben blieben, das heißt an den Lumpen, die er am Leibe trug, um sich vor Kälte und Wärme zu schützen. Ein kleiner Vagabundenjunge sagte eines Tages zu ihm, er möchte auch mit den Ohren wackeln lernen. Vor Freude hätte sich Mozziconi am liebsten totgelacht; er hatte dazu aber keine Zeit, denn er mußte dem Jungen erklären, wie man die Ohren bewegt. Das ist nicht einfach, weil Mit-denOhren-wackeln eine Naturbegabung ist wie Schielen oder Bauchreden. Man lernt es von allein oder nie. Wenn Mozziconi es hätte erklären können, wäre der kleine Junge sein Freund geworden. Er schaffte es aber nicht. – Wir könnten trotzdem Freunde werden, schlug Mozziconi vor. Nein. Nach diesem Mißgeschick tat der kleine Junge, wenn er ihm begegnete, als 28
kennte er ihn nicht, drehte den Kopf auf die andere Seite und spuckte als Kriegserklärung auf den Boden.
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Mozziconi und die Beduinen Im Sommer verließen die Römer die Stadt und legten sich nackt an den Strand. Mozziconi dagegen wickelte sich in dicken Wollstoff und spazierte in der Sonne. – Dummköpfe, sagte er zu denen, die ihn auslachten, wißt ihr denn nicht, daß die Beduinen in der Wüste wollene Kleider tragen, um sich vor der afrikanischen Hitze zu schützen? Woher wußte Mozziconi diese Dinge? Aus den Zeitungen. Er war immer ein eifriger Leser alter Zeitungen gewesen und auch jetzt ging er manchmal zur großen Quaimauer und wartete, bis die Römer ihr Altpapier herunterwarfen in der Hoffnung, darunter ein paar Zeitungen des Vortags zu finden. Er las aber auch die Zeitungen, die eine Woche oder einen Monat alt waren. Manche Zeitungen konnte Mozziconi jedoch gar nicht lesen, weil sie vom Anfang bis zum Ende voll von Lügen waren. Dann setzte er sich mit dem Bleistift in der Hand hin und fing an zu verbessern. Er änderte die Substantive, die Adverbien und die Ad30
jektive, manche Sätze kürzte er, andere verlängerte er, die Titel schrieb er meistens neu und fast immer änderte er den Schluß. Manchmal arbeitete er den ganzen Tag, um eine Zeitung zu korrigieren, und wenn er sie korrigiert hatte, las er sie und lernte viel. Oft wurde er wütend, weil er in den Zeitungen zusammen mit den Lügen auch Speisereste und andere Schweinereien fand. – Schmutzfinken! rief Mozziconi dann zum Tiberquai hinauf. Inmitten des Altpapiers und der Zeitungen fand er eines Tages ein Geschichtsbuch und lernte es auswendig.
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Mozziconi und die Geschichte Jedes Mal, wenn Mozziconi einem anderen Vagabunden begegnete, gab es am Ende Streit. Die Vagabunden lesen keine Zeitungen und haben auch meistens noch nie ein Buch aufgeschlagen. Mozziconi ging zu ihnen und fing an, von Julius Cäsar und Brutus oder von den Gracchen, Spartakus oder anderen römischen Persönlichkeiten zu reden, aber sie wollten ihm nicht zuhören. Wie stinklangweilig, sagten sie, diese historischen römischen Persönlichkeiten, wir wollen lieber vom Essen reden. Oder sie baten ihn um eine Zigarette oder ein wenig Tabak, den sie in Zeitungspapier einwickeln und rauchen konnten. Eines Tages sagte ein Vagabund zu ihm, er lege keinen Wert darauf, ganze Zigaretten zu rauchen, er sei auch mit den Kippen zufrieden, die man in Rom mozziconi nennt. Da war Mozziconi beleidigt und rief: – Ich bin Mozziconi! Der andere lachte. – Was gibt es zu lachen, wenn einer Mozziconi heißt? 32
Es gibt welche, die viel schlimmere Namen tragen, und Mozziconi begann alle korrupten und betrügerischen Minister aufzuzählen, deren Namen er in den Zeitungen gelesen hatte. Manche Vagabunden sagen, es gebe auch tüchtige Minister, die nur ganz wenig stehlen und sogar solche, die noch fast nie gestohlen haben. Andere dagegen sagten, es habe immer Diebe gegeben, auch zur Zeit der alten Römer. Diesen Reden mochte Mozziconi aber nicht zuhören. Er wurde wütend, stampfte mit dem Fuß auf und spuckte einen ganzen Tag lang, bis seine Wut vorbei war.
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Mozziconi und der streunende Hund Anstatt sich mit solchen Typen einzulassen, wäre es besser gewesen, mit einem Tier Freundschaft zu schließen, wie zum Beispiel mit jenem streunenden Hund, der Mozziconi eines Tages gefolgt war, als sei er sein Herr. Mozziconi war stehen geblieben, hatte sein weißes Fell, das vor Schmutz schwarz war, gestreichelt und versucht, ihm zu erzählen, was er in den Zeitungen gelesen und im Geschichtsbuch auswendig gelernt hatte. Der Hund bewegte den Schwanz, und das war ein gutes Zeichen. Manchmal vertraute er ihm auch Dinge an, die man einem Freund erzählt, das heißt, er redete von seinem Hunger, seinem Durst, seiner Müdigkeit, der Kälte und der Hitze. Der Hund hörte ihm schweigend zu, ohne zu lachen, und manchmal öffnete er das Maul vor Erstaunen, wie Mozziconi vermutete. Sie waren wirklich im Begriff, Freunde zu werden. – Ich heiße Mozziconi, und wie heißt du? 34
Es ist bekannt, daß die Hunde manchmal reden können, vor allem in den Märchen. – Mozzichetti, sagte der Hund. Mozziconi ließ sich nichts anmerken, weil er fürchtete, der Hund mache sich lustig über ihn. Hunde haben Namen wie Bob, Fido, Lampo, Tom, Fufi undsoweiter. Da aber der Hund des Menschen Freund ist, wollte Mozziconi nicht streiten. Ein alter Vagabund kam dazu, blieb stehen und betrachtete den Hund von allen Seiten. Dann wandte er sich zu Mozziconi und fragte ihn: – Was für eine Marke ist er? – Ein Bastard, sagte Mozziconi. Der Hund zog den Schwanz ein und ging wortlos weg. Er war beleidigt. Mozziconi rief ihm Mozzichetti, Mozzichetti nach, aber der Hund wandte sich nicht einmal um. – Da habe ich einen Fehler gemacht, sagte Mozziconi traurig.
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Mozziconi und die Gedanken Vom vielen Alleinsein war Mozziconis Kopf immer so voll von Gedanken wie der Petersplatz überfüllt ist, wenn der Papst spricht. Allerdings muß die Sonne scheinen, denn wenn es regnet, ist der Platz halb leer, auch wenn der Papst spricht. Damit der Platz voll ist, genügt jedoch die Sonne nicht, es braucht auch ausländische Touristen, weil von den römischen Römern nur wenige zum Petersplatz gehen. Die Touristen gehen aber gern hin, selbst die Muselmanen, wenn es nur nicht regnet. Dann kehren sie ins Ausland, das heißt nach Hause zurück und können erzählen, daß sie den Papst gesehen haben. Meistens verstehen sie nichts von dem, was er sagt, weil sie Fremde sind, aber hie und da lernt der Papst seine Rede in fremden Sprachen auswendig, und sie verstehen ihn trotzdem nicht. Das macht aber nichts, es genügt ihnen, wenn sie ihn sehen und nachher von ihm erzählen können. Wenn sich die Gedanken nicht in Worte fassen lassen, füllen sie den Kopf wie die 36
Touristen den Petersplatz, wenn der Papst redet und es nicht regnet. Oder sie häufen sich und pressen sich gegenseitig zusammen wie die Sardinen in einem Faß. Diese zusammengepreßten Gedanken können gefährlich werden. An manchen Tagen ging Mozziconi am Ufer auf und ab und hielt sich den Kopf mit beiden Händen. – Kommt nicht in meine Nähe, sagte er, wenn er jemandem begegnete, kommt nicht in meine Nähe; mein Kopf ist eine Bombe. Er war überzeugt, daß sein Kopf früher oder später mit einer großen Explosion platzen würde. Deshalb begab er sich mit seinem Brotsack und seinen übrigen Habseligkeiten, das heißt mit nichts, von der Brücke zur Tiberinsel bis zu den Pfeilern des Ponte Flaminio. Wenn schon eine Brücke in die Luft geht, dann soll es wenigstens die häßlichste sein. Es wäre allzu schade gewesen um die Brücke zur Tiberinsel, die aus der römischen Antike stammt. Auch der Ponte Mil37
vio ist von den Römern gebaut worden, und Mozziconi ging nie zu nahe hin, für den Fall, daß sein Kopf plötzlich platzte. – Schade, daß die Brücken und Denkmäler der alten Römer in die Hand der modernen Römer geraten sind. Ein Vögelchen flog vorbei, ließ sich in die Tiefe sinken und machte einen Kreis um Mozziconi. So wie der Hund und die anderen Tiere im Märchen redete auch das Vögelchen. – Du bist aber auch ein Römer. – Ich, ein Römer? – Was bist du denn? Mozziconi wußte es selbst nicht. – Vielleicht ein Sizilianer? Das hoffe ich zwar nicht. Oder ein Napoletaner? Auch Napoletaner möchte ich nicht sein. Schon eher Lombarde, Piemontese oder Toskaner. Mozziconi begann sich aufmerksam zuzuhören, indem er tagelang laut mit sich redete, um einen Akzent, eine Redewendung, einen Tonfall festzustellen, die seine Zugehörigkeit zu irgendeinem Teil Italiens verriet. Am Ende, nachdem er sich lange zuge38
hört hatte, entschied er sich dafür, ein Tiberaner zu sein, das heißt zum Tiber zu gehören.
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Mozziconi und die beiden Diebe Mozziconi hob eine Zeitung vom Boden auf. Er schaute auf das Datum und stellte fest, daß sie vom selben Tag war. Sie berichtete, daß die ganze Erdoberfläche verseucht sei, daß die Nationen miteinander in Unfrieden lebten und an manchen Orten einander sogar mit Kanonen beschossen. In Italien gab es eine Menge Arbeitsloser, und auf den Plätzen und in Zügen explodierten Bomben; aber die Mörder wurden nicht gefaßt oder man wollte sie nicht fassen. Dafür hatte man ein Mädchen festgenommen, das in der Fontana di Trevi nackt badete, und ein Junge, der einen Apfel gestohlen hatte. – Das ist ja wirklich zum Heulen, sagte Mozziconi. Er wußte jedoch, daß man durch Heulen keine Situation besser macht, und deshalb wäre es gescheiter gewesen, den Apfeldieb und das Mädchen, das nackt gebadet hatte, freizulassen, und diejenigen ins Gefängnis zu bringen, die an den Schreibtischen saßen und befahlen. 40
Mozziconi suchte nach Nachrichten, die seine Moral heben würden. Er blätterte die Zeitung durch und fand endlich ein Photo von zwei Typen, die lachten und sich die Hände schüttelten. – Das gefällt mir besser! Er schaute näher hin und sah, daß es sich um zwei korrupte Minister handelte, und unter dem Bild stand geschrieben, wie viele Milliarden Lire sie gestohlen hatten. – Bald wird es nichts mehr zu stehlen geben, sagte Mozziconi, bald werden sie nicht mehr wissen, was stehlen und arbeitslos sein. Einer der beiden war ein wenig bucklig und hatte ein Gesicht wie ein Priester. Jedermann wußte, daß ihm halb Rom gehörte. Der andere war ein dicker Glatzkopf, der mit offenem Mund lachte und viele angefaulte Zähne zeigte. – Die Zähne sind der Spiegel der Seele, sagte Mozziconi. Er stellte fest, daß er schon wieder ein Sprichwort erfunden hatte. Es hatte jedoch den Fehler, daß die beiden Minister von der Seele keine Ahnung hatten. Da beschloß er, das Sprichwort zu vergessen. 41
Mozziconi und die Zahlen Zum Glück wurde Mozziconi nicht von allen seinen Einfällen so enttäuscht wie von dem Sprichwort, das er soeben vergessen hatte. Manche Einfälle tauchten ganz plötzlich auf, tagsüber oder nachts, im Regen, im Wind oder im Gewitter. Um diese Einfälle nicht wieder zu vergessen, schrieb Mozziconi sie auf Zettel, die er in seine Tasche oder in seinen Brotsack steckte. Dann hielt er seinen Kopf mit beiden Händen und versuchte, sie nochmals zu durchdenken. Manchmal genügte es, ein Wort zu notieren, um sich an sie zu erinnern. Eines Abends hatte er viele Wörter aufgeschrieben und dann alle wieder durchgestrichen. Am nächsten Morgen wiederholte sich dasselbe. – Aber was ist denn los mit mir? Er entdeckte, daß es sich um verseuchte Wörter handelte, die er in der Zeitung gelesen hatte. Sie taugten nur für den Müll. Da begann er Zahlen aufzuschreiben, die er dividierte oder multiplizierte. Es waren kleine, saubere Zahlen, viel kleiner als die 42
Millionen und Milliarden, die ihn an die betrügerischen Minister erinnerten. Mozziconi dividierte so lange, bis er etwas Seltsames entdeckte: nur die ungeraden Zahlen lassen sich durch zwei teilen, die geraden nicht. Nehmen wir die Fünf: auf der einen Seite haben wir eins und zwei, drei ist in der Mitte, und auf der anderen Seite stehen vier und fünf. Das heißt, wir wissen, daß die Zahl drei in der Mitte steht. – Wo ist denn die Mitte bei den geraden Zahlen? Nehmen wir die vier: auf der einen Seite eins und zwei, auf der andern drei und vier. – Wo ist aber die Mitte? Jedermann antwortet: zwischen zwei und drei. – Einverstanden. Wo ist das aber, wenn man genau sein will? Zeigt mir den genauen Punkt und ich gebe euch eine Million. Mozziconi redete wie immer mit lauter Stimme. Da sprang ein Fischlein aus dem Wasser, das einen Wolfshunger hatte. – Wenn wir zwei Fischlein sind und fünf 43
Brotkrümel haben, wie können wir sie durch zwei teilen? Ich nehme zwei Krümel, das andere Fischlein nimmt auch zwei, und was machen wir mit dem, der übrig bleibt? – Den nimmst du, sagte Mozziconi. – Du hast recht, fünf Krümel lassen sich durch zwei teilen, sagte das Fischlein ganz vergnügt, als hätte es den fünften Krümel auch schon gefressen und verschwand wieder im Wasser. Mozziconi nahm ein Stück Papier, schrieb darauf seinen Gedanken über die ungeraden Zahlen, unterschrieb mit seinem Namen, rollte das Papier zusammen und steckte es in eine leere Flasche, die er im Sand gefunden hatte. Er verschloß sie sorgfältig, versiegelte sie und warf sie dann ins Wasser. Jetzt war Mozziconi von einem Gedanken befreit und fühlte, daß sein Schädel leichter war.
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Mozziconi und die Flaschen Mozziconi war sehr angetan von seinem Gedanken über die ungeraden Zahlen und fühlte sich erleichtert, daß er ihn der Strömung des Tibers anvertraut hatte. Auch Romulus und Remus waren diesem Fluß anvertraut worden und hatten Rom gegründet, das immer noch eine großartige Stadt ist, auch wenn es darin viele Diebe gibt. Moses hatte man dem Wasser des Nils anvertraut, und er hatte sein Volk ins gelobte Land geführt. Die Botschaft in der Flasche würde ins Meer getragen und von dort früher oder später an einen Strand geschwemmt, wo sie früher oder später ein Mensch finden und lesen würde, was in der Folge eine Revolution der Rechnungsmethoden bewirken mußte. Mozziconi hatte entdeckt, daß er mit der Welt in Kontakt treten konnte, ohne die Anstrengung des Redens auf sich zu nehmen. Er würde das Meer mit Flaschenbotschaften füllen. Längs des Flusses gab es Flaschen in Hülle und Fülle. Wein-, Wasser-, Likör-, Milch-, Bier- und Ölflaschen, 45
nicht nur für Olivenöl, sondern auch für Rapsöl und andere Gifte zum Backen. Es gab große schlanke und gedrungene Flaschen, es gab bauchige und bucklige, dicke und magere, blonde und braune und es gab auch piemontesische Flaschen für teure Weine mit einem hohlen Boden. Mozziconi sammelte alle leeren Flaschen, die er fand und begann Tag für Tag viele Zettel zu beschreiben in der Überzeugung, daß jemand sie eines Tages lesen werde.
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Mozziconi gegen Garibaldi – Der Tiber ist schon eine schöne Erfindung, sagte Mozziconi eines Tages. Er fühlte sich wohl da unten auf dem sandigen Ufer in der Nähe des Wassers. Der Tiber ist nicht irgendein Fluß, er ist auf der ganzen Welt berühmt, weil er quer durch Rom fließt, und Rom seinerseits wäre nicht ausgerechnet hier gebaut worden, wenn hier nicht der Tiber durchgeflossen wäre. Wer weiß, ob Romulus Rom auch am Arno anstelle von Florenz oder am Po anstelle von Turin gegründet hätte? Wenn er auch schmutzig war, ohne den Tiber wäre Rom nicht Rom gewesen. Dabei war es Garibaldi, der ein Projekt studiert hat, um ihn umzuleiten, damit er außerhalb der Stadt vorbeifließe. Der italienische Staat hat ihn angestellt, um diese Umleitung zu studieren. Oder hatte man ihm diese Arbeit nur gegeben, weil er sonst im Alter arbeitslos gewesen wäre? Auf jeden Fall fehlte nur wenig und das Projekt wäre ausgeführt worden. Garibaldi mit seinem langen Bart war ein sehr gefährlicher Typ. Auch was 47
Italien betrifft, hat er sich schlecht benommen; er hat es dem König Vittorio Emmanuele geschenkt anstatt den Italienern. Generäle taugen nichts. Einer ist schlimmer als der andere, Garibaldi inbegriffen. Den Generälen darf man nie trauen! Seither hat man Garibaldi überall Reiterstatuen aus Bronze errichtet, in Rom und fast allen andern italienischen Städten. Es genügt, irgend etwas Großes zu machen, gleichgültig ob gut oder schlecht, und man baut dir ein Denkmal. In Rom gibt es auch ein Denkmal für Giordano Bruno auf dem Platz, wo er verbrannt wurde und eine Kirche, die den Namen des Heiligen Bellarminus trägt, der zur Zeit der Inquisition ebenfalls auf den Scheiterhaufen mußte. Mozziconi schaute auf den Fluß, der zu seinen Füßen strömte, und war vergnügt, daß er ausgerechnet hier und nicht anderswo strömte, weit weg vom Tiber, wie es jener General geplant hat, von dem man nichts Nachteiliges sagen darf.
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Mozziconi Milliarden und Millionen Eines Tages schaute Mozziconi vom Tiber her zu den Häusern der Via Fleming hinauf. Das ist eine Luxusstraße, wo nur reiche Leute wohnen: Produzenten, Spekulanten, Opportunisten, Imperialisten, Kapitalisten, Magnaten und Plutokraten. Mozziconi zählte zweihundertfünfzig große Häuserblöcke. Jeder dieser Blöcke ist ungefähr mehr oder weniger eine Milliarde wert. Zweihundertfünfzig Häuser zu einer Milliarde, das macht zweihundertfünfzig Milliarden. – In diesem Quartier wohnen also mindestens zweihundertfünfzig Milliardäre. Und dabei ist dieses Quartier sehr klein im Vergleich zur Größe von Rom. Im Zentrum sind die Häuser noch viel teurer als an der Via Fleming. Ein Milliardär ist ein steinreicher Mann, und Rom mit seinen vielen Häusern ist eine Stadt, in der es mindestens dreitausend und vielleicht auch vier- oder fünftausend steinreiche Supermilliardäre gibt. Mozziconi hatte in den Zeitungen von Leuten gelesen, die von den Zinseszinsen leben 49
und von einer amerikanischen Frau, die im Tag dreiunddreißig Millionen ausgibt. – Wie kann sie nur all diese Millionen ausgeben? Außer den Milliardären gibt es auch Leute, die nur eine halbe Milliarde haben, das heißt fünfhunderttausend Millionen. Auch einer, der nur hundert Millionen hat, ist ziemlich reich. – Und einer der nur fünfzig hat, ist der nicht auch reich? Mozziconi war es schwindlig von all diesen Milliarden und Millionen. – Ich spucke auf die Millionen, sagte Mozziconi, nur sollte ich die Millionen haben, um auf sie spucken zu können, wohin auch soll ich denn sonst spucken? Mozziconi konnte auf den Sand, aufs Wasser des Tibers und auf die Quaimauern spukken; er konnte auch bis zwei Meter hoch in die Luft spucken, er konnte sich auch selbst anspucken; aber auf die Millionen, die er nicht hatte, konnte er nicht spucken. Da nahm er eine Flasche, spuckte hinein, verschloß sie mit einem Zapfen und warf sie in den Fluß. 50
Ein Vögelchen flog vorbei und begann spöttisch zu zwitschern. Mozziconi versuchte es anzuspucken, aber das Vögelchen flog weiter.
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Mozziconi hier und dort Mozziconi machte am Flußufer lange Spaziergänge. Er ging bis zu Engelsburg und noch weiter hinunter bis zum Ponte Sublicio in der Nähe der Porta Portese. Dann kehrte er zurück und ging unter allen Brükken Roms durch bis zum Ponte Milvio und zum Ponte Flaminio und noch weiter bis zum Anienefluß. Er bemerkte, daß er immer auf der gleichen Seite des Flusses ging. Um ans andere Ufer zu gelangen, mußte er über die Brücken gehen und konnte nicht darunter bleiben. – Ich gehe nicht über die römischen Brücken! Mozziconi wollte nicht über die Brücken gehen, weil die zu Rom gehörten, und er wollte nicht mehr nach Rom zurückkehren, nicht einmal mit der kleinen Zehe seines Fußes. Doch liebäugelte er mit dem Gedanken, auf dem andern Tiberufer einen Spaziergang zu machen, weil es dort wildes Weidengebüsch und Meerkirschen gab und Pappeln mit silberglänzenden Blättern. An einem schönen Sonntag entschloß sich 52
Mozziconi, sich ins Wasser zu stürzen und das andere Ufer schwimmend zu erreichen, um einen Spaziergang zu machen, wie das bei ausländischen und italienischen Christenmenschen am Sonntag Brauch ist. Er begann sich auszuziehen, aber auf einmal kam ihm in den Sinn, daß das Wasser zu schmutzig war von den vielen Abwässern und all den Tierleichen, die in der Strömung schwammen. – Ekelhaft! Er beschloß, sich zu waschen, sobald er am andern Ufer angekommen wäre. Zum Glück war es hier nicht wie beim Aquädukt Felix, wo es keine Wasserleitungen gab: hier gab es Wasser in Hülle und Fülle. Da kam ihm aber in den Sinn, daß das Wasser zum Waschen ja auch schmutzig war. Und noch etwas anderes. Wenn er hier seine Kleider auszog, um zu schwimmen, würde er am andern Ufer nackt wie ein Wurm ankommen. – Wie kann ich denn einen Spaziergang machen, wenn ich nackt bin wie ein Wurm? Dieses Problem mußte er lösen, bevor er 53
sich ins Wasser stürzte. Er zog seine Hose wieder an, weil ein Mann ohne Hose nicht richtig nachdenken kann. Und als er nachdachte, fiel ihm plötzlich etwas ein, was noch viel schlimmer war: er konnte nicht schwimmen. Schade, er hätte so gern einen schönen Sonntags-Spaziergang gemacht, aber es lohnt nicht zu ertrinken, nur weil man Lust auf einen Spaziergang hat. Das bereits erwähnte sprechende Fischlein sprang aus dem Wasser. – Weißt du nicht, daß heute gar nicht Sonntag ist. – Was ist denn für ein Tag? – Montag. – In diesem Fall, sagte Mozziconi, ist es besser, ich bleibe hier.
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Mozziconi und die Sterne In einer Nacht wie alle andern lehnte sich Mozziconi mit dem Rücken an einen Pfeiler des Ponte Flaminio und wartete auf den Schlaf, der nicht kam. – Nie ist er pünktlich. Aber man weiß ja, daß in Rom jedermann zu spät zu den Verabredungen kommt, der Schlaf und der Kanonenschuß vom Mittag inbegriffen. Die Römer haben alle keine Ahnung von Pünktlichkeit. Mozziconi war unentschlossen, ob er fluchen wollte oder die Sterne zählen. Er hatte aber bemerkt, daß man beim Fluchen nach und nach immer zorniger wird und dann überhaupt nicht mehr schlafen kann. Dasselbe war ihm auch schon beim Weinen passiert. Er hatte einmal, nur so zum Spaß zu weinen angefangen, und am Ende war er richtig traurig gewesen. Deshalb entschloß er sich, die Sterne zu zählen. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn. Beim zehnten hielt er inne. Es war ein Stern, der stärker leuchtete als die andern, 55
und es schien, als wechselte er fortwährend seine Farbe. – Er wechselt seine Farbe fortwährend, sagte Mozziconi, na und? Die Sterne sind niemandem Rechenschaft schuldig. Um Himmelswillen, nur keine Gedanken über die Sterne, sonst kann einem noch angst und bange werden. Woher kommen sie? Wohin gehen sie? Was machen sie da oben am Himmel? Wie viele gibt es? Woraus bestehen sie? Wie groß sind sie? Wenn man einmal mit Fragen anfängt, kann man nicht mehr aufhören. Es gibt jedoch Menschen, die ihr Leben damit verbringen, die Sterne zu beobachten und auf viele dieser Fragen eine Antwort wissen, und es ist ihnen sogar gelungen, die Lichtgeschwindigkeit zu messen. Sie wissen: wenn ein Stern am Himmel aufgeht, und sein Licht sich in Bewegung setzt, so kann es passieren, daß dieses Licht bei uns ankommt, nachdem dieser Stern schon viele Lichtjahre zuvor explodiert ist, und wir betrachten den Himmel und sagen, was für ein schöner Stern, und dabei existiert er gar nicht mehr. Denn die Sterne explodieren 56
manchmal und lösen sich am Himmel in tausend Stücke auf, während ihr Licht immer noch auf der Reise ist. Das Licht bewegt sich sehr schnell. Nichts im ganzen Weltall ist so schnell. Auch der Schall ist sehr schnell, doch im Vergleich zum Licht ist er eine Schnecke. Wenn jedoch ein Stern explodiert und erlöscht, so handelt es sich nicht ums Licht sondern um die Dunkelheit. Das ist etwas, was nicht einmal die Menschen bemerkt haben, die ihr ganzes Leben damit verbringen, die Sterne zu beobachten. Niemand hat je die Geschwindigkeit der Dunkelheit berechnet. – Das ist doch unglaublich! Zum Glück gab es ihn, Mozziconi, der an diese Dinge dachte, an welche die Menschen zu denken vergessen. Um die Geschwindigkeit der Dunkelheit zu messen, kann man genauso vorgehen wie jene, die die Lichtgeschwindigkeit gemessen haben, so wie es in den Schulbüchern geschrieben steht. Mozziconi sammelte unter den Quaimauern alle Spiegelscherben, die die Römer zu57
sammen mit anderem Unrat zum Fluß hinunterwerfen. Er arbeitete einen ganzen Monat, um die Spiegel längs des Flusses so aufzustellen, daß ein Lichtstrahl von einem zum andern reflektiert wurde. Einen weiteren Monat brauchte er, um die Strecke abzumessen und instand zu setzen. Nun war das Experiment so einfach wie auf den Boden zu spucken. Der einzige Unterschied zur Berechnung der Lichtgeschwindigkeit war der folgende: anstatt eine Taschenlampe einzuschalten und die Zeit zu messen, welche der Lichtstrahl für die ganze Strecke braucht, mußte er die Lampe löschen und die Zeit messen, welche das Dunkel für dieselbe Strecke braucht. Mozziconi machte das Experiment und entdeckte, daß die Dunkelheit die gleiche Geschwindigkeit hat wie das Licht: zweihundertachtundneunzigtausend Kilometer in der Sekunde. Merkwürdig. Ich hätte nie gedacht, daß die Dunkelheit so geschwind ist! Trotz seiner Verwunderung schrieb Mozziconi diese Kilometerzahl mit all ihren Nullen auf einen Zettel und erklärte dazu, daß 58
die Geschwindigkeit der Dunkelheit ganz genau gleich ist wie diejenige des Lichtes. Wer das nicht glaubte, konnte selbst kontrollieren. Er nahm die Flasche und warf sie im hohen Bogen in den Fluß.
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Mozziconi und der Papagei Mozziconi war nervös, weil da unten am Fluß nie etwas passierte. In den Zeitungen las er jedoch, daß oben in der Stadt allerhand los war und die verrücktesten Dinge passierten. Diese verrückten Dinge gefielen ihm nicht, aber vielleicht waren sie doch besser als die Eintönigkeit von da unten. Er mußte sich alles selbst in seinem Kopf ausdenken und dabei wurde der Kopf müde. So setzte er sich auf einen umgekippten Eimer und beschloß zu warten, bis irgend etwas passierte. – Hoffentlich kommt jemand vorbei! Es kam ein Bettler mit einem Papagei auf der Schulter. Manche Bettler lassen sich von Tieren wie Affen, Schlangen, Hunde oder Papageien beim Betteln helfen. Dies war jedoch ein ganz besonderer Papagei, der nicht reden konnte wie ein Mensch, sondern er bellte wie ein Hund. Man sah sogleich, daß dieser Bettler mit Hilfe des bellenden Papageis sehr reich geworden war, weil er ganze Zigaretten rauchte, und die Kippen wie nichts fort60
schmiß. Das gefiel Mozziconi nicht, aber er bekam Lust zu rauchen und ging zum Bettler hin. Der Papagei begann zu bellen; er war offensichtlich ein Wachtpapagei. Mozziconi hatte vor Hunden immer Angst gehabt und blieb sogleich stehen. – Du kannst näherkommen, sagte der Bettler, er bellt nur, er beißt nicht. Mozziconi faßte Mut und trat näher, dann las er die Kippe auf und rauchte sie.
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Mozziconi gegen die Null An einem schönen Morgen briet sich Mozziconi, kaum war er erwacht, eine Pfanne voll kleiner Fischlein und aß sie zusammen mit einem Tomatensalat. – Nehmen wir zweihundertfünfzig und multiplizieren mit Null. Das gibt Null. Wenn es sich um zweihundertfünfzig Senfkörner handelt, macht das nichts aus. Wenn es sich um zweihundertfünfzig Weißfischlein handelt, ist es schon ein wenig ärgerlich; denn von zweihundertfünfzig Weißfischlein kann einer eine ganze Woche leben. Wenn es sich nun aber um zweihundertfünfzig Häuser handelt, von denen jedes eine Milliarde wert ist, wie jene an der Flemingstraße, so ist es eine Katastrophe. Die armen Milliardäre verlieren ihre Milliarden und die Mieter sitzen auf der Straße. Wegen einer Null wird ein ganzes Quartier von Rom weggefegt. Aber wie ist es denn möglich, daß eine Null auf einmal zweihundertfünfzig Häuser, das heißt zweihundertfünfzig Milliarden zerstören kann? Woher hat die Null diese Zerstörungskraft? 62
– Diese Null ist ja schlimmer als eine Bombe! Dann muß man also gut aufpassen, daß man nie etwas mit Null multipliziert, vor allem nichts Eßbares wie die Fischlein; denn die Häuser an der Flemingstraße waren Mozziconi eigentlich gleichgültig, die Fischlein aber nicht. Manchmal spielt einem die Mathematik schlimme Streiche und einer kann sogar vor Hunger sterben nur wegen einer Null, wenn er nicht aufpaßt. – Man muß die Null sogleich abschaffen. Die alten Römer hatten keine Null und lebten sehr gut ohne, und es gelang ihnen, das Kolosseum zu bauen und die halbe Welt zu erobern. – Wozu dient die Null? Wer hat sie erfunden? Es scheint, daß es eine sehr alte Erfindung ist, die von den Arabern gemacht wurde, die Schlaumeier und auch ein wenig Spitzbuben waren wie alle Völker, die Handel treiben. Es ist klar, daß sie mit der Null die Leute auf den Märkten hereinlegten. Auch heute muß man bei Händlern aus dem Orient 63
aufpassen; das sind häufig Spitzbuben, die die Null für ihre Gaunereien verwenden. – Die Null ist sehr gefährlich!!! Mozziconi schrieb seine Botschaft mit drei Ausrufezeichen auf ein Blatt Papier, steckte es in eine Flasche und warf sie in die Strömung des Tibers. Er war so wütend über die Null, daß er seinen Hut nahm und hinterher warf.
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Mozziconi beschimpft den Mann mit dem Bart Wenn Mozziconi wütend war, so hatte er das Bedürfnis, mit jemandem zu streiten, aber am Tiberufer war an jenem Tag und zu jener Tageszeit nicht einmal ein Hund anzutreffen. Die andern Vagabunden waren in die Stadt hinaufgegangen, um etwas zum Essen zu finden wie Käserinden, altes Brot, ranzigen Schinken, schimmlige Marmelade, Hühnerfüße, Zwieback mit Würmern. Sie stiegen die Treppchen zum Fluß hinauf und verteilten sich durch die ganze Stadt. Mozziconi stieg ebenfalls die Treppe hinauf, als er jedoch oben war, blieb er auf der letzten Stufe stehen, weil er sich geschworen hatte, keinen Fuß mehr in die Stadt zu setzen, auch nicht auf den Tiberquai. Ihm kam es vor, er sei Hannibal vor den Toren Roms, merkte aber bald, daß der Vergleich hinkte, weil er drinnen war und Hannibal draußen. Da ging ein Mann mit einem Bart vorbei und Mozziconi rief: – Vollbart! 65
Der Mann mit dem Bart wandte sich ihm zu und lächelte. Es mußte ein Ausländer sein, der nicht italienisch verstand, sonst wäre er zornig geworden. – Ich wollte Streit anfangen! sagte Mozziconi. Weil der Mann ihn nicht verstand, ließ Mozziconi seine ganze Wut an ihm aus, indem er ihm alle Schimpfwörter an den Kopf warf, die ihm einfielen. – Spinner, Büffel, Blödian, Depp, Dübel, Kamel, Idiot, Ochse, Tropf, Scheusal, undsoweiter undsoweiter. Er war nicht schuld daran, daß der Bärtige, anstatt wütend zu werden, fortfuhr zu lächeln. Mozziconis Wut war nun total verraucht, und er brauchte nicht mehr zu streiten. Er stieg wieder die Treppe zum Tiberufer hinunter und zählte dabei die Stufen. Es waren fünfundachtzig. Da es ihm vorkam, das sei sehr wenig, stieg Mozziconi nochmals die Treppe hinauf und stellte fest, daß es auch aufwärts fünfundachtzig waren. Das war merkwürdig, wenn man bedenkt, daß es viel anstrengender ist, eine Treppe hinaufzugehen als hinunterzugehen. Er 66
zählte die Stufen nochmals beim Hinuntergehen, und es waren immer noch fünfundachtzig. – Gut, sagte Mozziconi, ich habe entdeckt, daß die Zahl der Stufen aufwärts und abwärts immer gleich bleibt und nicht von der Anstrengung abhängt.
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Mozziconi und der Hunger Eines Tages saß Mozziconi im Gras unter einem wilden Weidenbusch in der Nähe des Wassers, das angenehme Frische verbreitete. Mozziconi betrachtete das schöne Grün und den Fluß, der in der Sonne glitzerte. – Das ist ein wunderschöner Ort und ich bin ein glücklicher Mensch. Hier gab es weder Staub noch Benzin- oder Teergestank wie dort oben. Wenn er ›dort oben‹ sagte, meinte Mozziconi die Stadt Rom mit ihren verkehrsreichen Straßen und dem vielen Gestank und Lärm. Hier unten lief man nicht Gefahr, von Autos überfahren zu werden; es war angenehm kühl, man konnte den Himmel betrachten und die Vögel die umherflogen und sich hie und da auf den Weidenbusch setzten. – Hast du Lust, ein wenig mit mir zu plaudern? fragte das wohlbekannte Vögelchen. – Nein! sagte Mozziconi, der seinen Frieden haben wollte. – Weißt du, ich kann von vielen Dingen reden. Du brauchst nur zu sagen, worüber du reden möchtest. 68
– Über nichts. – Dann reden wir halt über nichts. Mozziconi begann zu schnauben. – Du fällst mir ganz schön auf die Nerven! Das Vögelchen flog beleidigt weg, weil es sah, daß Mozziconi die Hand nach einem Stein ausstreckte. – Schade, daß die Fische stumm sind, sagte ein Fischlein und streckte den Kopf aus dem Wasser, sonst würdest du vielleicht ein wenig mit mir pludern. – Man sagt plaudern, nicht pludern! – Dann halt plaudern, sagte das Fischlein. Für Mozziconi waren die Fische schon immer etwas gewesen, was man essen kann, eine schöne Pfanne voll gebackener Fischlein zum Beispiel. Er schloß die Augen und begann sich den Bauch zu kratzen. Viele Pfannen voll großer und kleiner Fische begannen vor seiner Nase vorbeizuziehen, manche hatten das Maul geöffnet und darin ein Zweiglein Fenchel oder eine Scheibe Zitrone. Zwischen den Fischen gab es auch Pfannen mit gebratenen und gekochten Kartoffeln, die mit Petersilie be69
streut waren und auch gebackene Artischocken und Zucchetti. Die Pfannen und die Fische wurden immer größer und ihr Duft stieg ihm in die Nase und drang bis in seine Seele. Mozziconi hatte gelernt, in manchen Situationen so zu tun, als sei nichts geschehen; wenn er aber einmal zu denken begann, so kam ihm oft in den Sinn, wieviel Hunger er in seinem Leben gelitten hatte. Hunger nach gebratenen Fischlein, nach Lammbraten, nach Kaninchen nach Jägerart, nach gekochtem und rohem Schinken, nach napoletanischer Pizza, nach Bohnensuppe, nach Spaghetti alla bolognese und auch einfach Hunger nach Brot. Sehr viel Hunger. Mozziconi öffnete die Augen. Das Fischlein war noch da und schaute aus dem Wasser. Warum verschwindest du nicht? Seit er Rom verlassen hatte, hatte sich Mozziconi daran gewöhnt, allein zu sein und darauf verzichtet, Freunde zu finden. Er hatte entdeckt, daß er plaudern, streiten, lachen, klagen, sich langweilen und sich damit vergnügen konnte über alles nachzudenken, was ihm durch den Kopf ging, 70
ohne irgend jemand anderen nötig zu haben. Das Fischlein verschwand wortlos im Wasser des Tibers und ließ Mozziconi allein mit seinen Gedanken.
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Mozziconi und das Panorama Das Ufer des Tibers war dort, wo Mozziconi sich befand, von Natur aus sehr schön, das heißt mit Gebüsch und Bäumen bewachsen. Die Blätter der Weiden raschelten, die Vögel zwitscherten, die Heuschrecken hüpften auf dem Sand. – Hier will ich mich ausruhen, sagte Mozziconi und das Panorama genießen und endlich einmal an nichts denken. Er stellte aber fest, daß auch an nichts zu denken eine Art zu denken ist, die einen anstrengt. – Wenn einer einen Kopf hat wie ich, so kann er keine Ruhe finden. Mozziconi fing an, das Panorama aufmerksam zu betrachten, um seine Gedanken auf etwas Schönes und Beruhigendes zu lenken und entdeckte betroffen eine lange Reihe von sehr häßlichen Gebäuden, die weder zur Erde noch zum Himmel paßten. Er rieb sich die Augen und schaute genauer hin; denn er sah diese Scheußlichkeit zum ersten Mal. Es waren ausgerechnet die Häuser an der Flemingstraße, die jedes eine Milliarde 72
wert sind und den steinreichen römischen Milliardären gehören. – Seltsam, sagte Mozziconi, bis heute habe ich nicht bemerkt, wie scheußlich sie sind. Er hatte sie zwar letzthin betrachtet und dabei an die Milliarden und die Hunderte von Millionen gedacht, und deshalb nichts bemerkt. Diesmal betrachtete er sie und dachte ans Panorama und fand sie abscheulich. Warum wohnen denn aber diese steinreichen Leute ausgerechnet in diesen aneinandergeklebten Häusern, mit den häßlichen Farben und der schlechten Architektur? Mozziconi lag die Antwort auf der Zungenspitze. – Ich Trottel! Sie gehen dorthin wohnen, damit sie zu mir herübersehen können. Diese steinreichen Leute wohnen in jenen häßlichen Häusern, damit sie vom Fenster aus den Tiber sehen können, der mit seinen grünen Ufern und seinem Wasser, das in der Sonne glänzt, vorbeifließt. Ein herrliches Panorama. Sie sind schlau. – Ich dagegen wohne mitten im Grünen, am Wasser, das in der Sonne glitzert; wenn ich 73
aber aufschaue, sehe ich direkt auf diese scheußlichen Häuser. Mozziconi nahm wieder ein Blatt Papier und schrieb darauf seinen Gedanken in der Form einer Frage. Ist es besser, am grünen Ufer des Tibers zu wohnen und vor den Augen die häßlichen Häuser der Flemingstraße zu haben, oder ist es besser, in den häßlichen Häusern an der Flemingstraße zu wohnen und auf das schöne Panorama des Tibers zu sehen? – Warum versuchst du nicht die Augen zu schließen? fragte der kleine Fisch, der sich gern mit ihm unterhielt und streckte den Kopf aus dem Wasser, Mozziconi schloß die Augen, um die häßlichen Häuser nicht mehr zu sehen. Mit geschlossenen Augen sah er aber auch das Grün der wilden Weiden und das glitzernde Wasser nicht mehr. Der Fisch bewegte seinen Schwanz, so daß Mozziconi ein bißchen Wasser ins Gesicht spritzte. – Was für ein Schwein, dieser Fisch! rief Mozziconi und öffnete die Augen wieder und wischte sich das Gesicht mit dem Är74
mel ab. Dann steckte er seine Botschaft in Frageform in eine Flasche, verschloß sie gut und warf sie in den Fluß. Die Flasche ließ das Wasser aufspritzen und auch diesmal traf Mozziconi ein Spritzer im Gesicht. – Zum Teufel mit Flaschen und Fischen! rief Mozziconi mit zusammengebissenen Zähnen.
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Mozziconi und der blonde Tiber Die Zeitungen schrieben, das Wasser des Tibers sei verseucht, das heißt voll Gift und anderem Unrat. Man könne es nicht trinken. – Das glaube ich! sagte Mozziconi. Man kann auch nicht baden. Und dabei verreckt man fast vor Hitze. Mozziconi betrachtete das glitzernde Wasser des blonden Tibers, wie ihn die Dichter einst genannt hatten. Er hätte gebadet, wenn er hätte schwimmen können. – Ich kann ja auch tun, als könnte ich schwimmen, sagte Mozziconi. Weil er aber keine Lust hatte, im Tiber zu ertrinken, betrachtete er das glitzernde Wasser etwas genauer und bemerkte, daß tote Mäuse, tote Katzen, tote Hunde und andere tote Tiere darauf schwammen und daß die blonde Farbe des Wassers, das die Dichter besungen hatten, die Farbe des Schlamms und der Abwässer war, die hier aus allen Quartieren in den Fluß flossen. Schlamm gab es schon zur Zeit der antiken römischen Dichter; denn damals gab es die 76
Cloaca maxima, das heißt die größte Kloake der Welt. Aus diesem Grund war das Wasser damals schon gelb, und die alten Römer schrieben Gedichte über den blonden Tiber, aber sie badeten nicht darin. Deshalb entschloß sich Mozziconi, ebenfalls nicht zu baden. Jetzt gab es viel mehr Kloaken; es gab Hunderte von Abwasserkanälen und folglich war das Wasser des Tibers noch viel schlammiger und gelber, das heißt noch blonder. Wer weiß warum die Dichter trotzdem seit sehr langer Zeit den blonden Tiber in keinem Gedicht mehr erwähnten. Lag das am Wasser oder an den Dichtern? Das war eine ziemlich wichtige Frage; doch es war so heiß, daß Mozziconi sich mit dem Fragezeichen begnügte.
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Mozziconi, Erdöl und Fußgänger Die Zeitungen berichteten, daß die arabischen Scheiche den Europäern kein Erdöl mehr verkaufen wollten, daß die Erdölquellen fast versiegt und die Lager beinahe leer seien. Das war ganz plötzlich passiert. Deshalb verbot man den Autos, am Sonntag zu fahren. Auf den Brücken sah man Leute auf Fahrrädern und andere, die langsam zu Fuß gingen und dabei wie Betrunkene schwankten, weil sie nicht mehr daran gewöhnt waren. Das Fernsehen hatte seine Programme gekürzt und auch daran war der Erdölmangel schuld. – Wer hätte gedacht, daß auch das Fernsehen mit Erdöl betrieben wird! rief Mozziconi überrascht. Auch das elektrische Licht wurde knapp, weil es ebenfalls vom Erdöl abhängt. Viele Fabriken wurden geschlossen. Diese Geschichte mit dem Erdöl gefiel aber Mozziconi überhaupt nicht, er vermutete, daß dahinter wie so oft ein Betrug der skrupellosen Arbeitgeber und der perfiden und geldgierigen Minister steckte. 78
– Ich glaube nicht daran! Zum Glück konnte er auch ohne Erdöl leben; aber diejenigen, die ans Meer oder aufs Land hinaus wollten, waren ziemlich wütend. Jetzt waren sie gezwungen zu Fuß zu gehen und kamen sich ohne ihre vier Räder wie Würmer vor. Sie konnten sich überhaupt nicht mehr daran erinnern, wie man spazierengeht, und ab und zu bückten sie sich, stützten die Hände auf und gingen auf allen Vieren wie die Tiere. So sah man ganze Familien an den Stadtrand und aufs Land hinausgehen. Sie gingen auch auf die Wiesen und begannen zu weiden. Die Schuhfabrikanten rieben sich schon die Hände und hofften, ihren Umsatz zu verdoppeln. Wenn er die vielen Leute auf allen Vieren über die Brücken gehen sah, begann Mozziconi zu rufen: – Dumme Viecher! Schaut die Hühner an, damit ihr gehen lernt! Mozziconi hatte große Angst, die römischen Fußgänger könnten auf die Idee kommen, anstatt ans Meer oder aufs Land hinauszugehen, an die Ufer des Tibers hinun79
terzusteigen und zwischen dem Weidengebüsche und den Abfällen Spaziergänge machen. Zum Glück kam das aber niemandem in den Sinn, weder den Römern noch den ausländischen und italienischen Touristen.
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Mozziconi und der Regenschirm Mozziconi ging ein Stück in der Sonne, bis er im Schatten der Quaimauer war. Aber auch hier krepierte man fast vor Hitze. – Ich gehe in die Berge, sagte ein Vögelchen und flog eilig auf den Monte Mario zu. Nach ein paar Minuten kam es jedoch wieder zurück und setzte sich in der Nähe Mozziconis auf einen Zweig. – Ist dir heiß? – Was für eine Frage? Siehst du nicht, daß ich schwitze wie ein Büffel. – Das geschieht dir recht. Das Vögelchen lachte vergnügt. – Ich habe noch nie gehört, daß Vögel lachen, nicht einmal im Märchen, sagte Mozziconi. – Wenn einer sich mit Wolle bedeckt, um sich vor der Hitze zu schützen, dann lachen Pferde und Schweine, die Vögel inbegriffen. Mozziconi sprang auf vor Wut, nahm eine Handvoll Sand und warf sie dem Vogel nach, der seinen Flug zum Monte Mario wieder aufnahm. 81
Wenn es so heiß ist wie an diesem Tag, genügt es nicht, wenn man sich wie die Beduinen in der Wüste mit Wolle bedeckt. Die beste Abhilfe wäre ein Regenguß, der die Luft, die Erde und die Steine der Quaimauern abkühlen würde. Und auch das Wasser des Flusses würde durch den Regen abgekühlt. Mozziconi holte aus einem Versteck seinen schwarzen Regenschirm und öffnete ihn. Er begann mit dem geöffneten Regenschirm auf und ab zu gehen und schaute ab und zu zum Himmel hinauf, der klar wie ein Kristall blieb. Er ging noch ein wenig auf und ab, doch die Sonne blieb blendend heiß, und ihre Strahlen waren wie Feuer. – Merkwürdig, sagte Mozziconi, wenn die Leute ihren Schirm öffnen, beginnt es sogleich zu regnen. Wenn ich meinen Schirm öffne, passiert nichts. Er ging weiter auf und ab mit dem offenen Schirm unter der heißen Sonne und wartete auf den Regen. Aber der Regen ließ auf sich warten. – Vielleicht bin ich anders als die andern? Oder mein Schirm funktioniert nicht? 82
Vom vielen Gehen verrenkte sich Mozziconi ein Fußgelenk. Aus diesem und anderen Gründen verzichtete er darauf, seinen Gedanken über den Regenschirm in eine Flasche zu stecken.
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Mozziconi macht eine Erfindung Mozziconi saß friedlich am Ufer und betrachtete die Strömung, Plötzlich begann es in seinem Kopf zu summen wie in einem Wespennest. Er wußte nunmehr aus Erfahrung, daß dieses starke Summen im Kopf eine Idee ankündigte, die größer und schöner war als die andern. – Sie kommt, sie kommt! Von der Quaimauer oben kam jedoch eine leere Dose, die seinen Kopf streifte und vor seinen Füßen liegen blieb. Man hatte auf seinen Kopf gezielt, denn für einen Römer der Stadt ist der Kopf eines Vagabunden, der am Tiberufer lebt, nicht mehr wert als eine Zigarettenkippe. Was kann der Kopf eines Mannes schon wert sein, der kein Auto, kein Fernsehen, keinen Kühlschrank hat und womöglich barfuß geht? Eine Kippe, das heißt nichts. Mozziconi sah ihn vor sich, diesen vierschrötigen Römer mit seinen kleinen Augen, die im Fett fast versanken und seinem Gesicht, das glänzte wie seine Schuhe. Zum Glück hatte er sein Ziel verfehlt. 84
Mozziconi kehrte sich nicht um; diese Befriedigung wollte er dem Schuft nicht geben. Er bückte sich aber, um die Dose aufzuheben. Eine Dose kann für einen Vagabunden wie Mozziconi in mancher Weise nützlich sein. Zum Beispiel kann man sie als Kochtopf benutzen, um Teigwaren zu kochen, und wenn einer sie mit einem Nagel durchlöchert, so wird sie ein Teigwarensieb von innen und von außen eine Reibe für die Käserinden. Oder wenn man sie umkehrt, kann man sie als Schemel benützen, auf den man sich setzen kann, wenn man müde ist oder der Boden naß ist. Eine Dose dient auch dazu, um Lebensmittel aufzubewahren, wenn einer welche aufzubewahren hat, und um sie vor den Mäusen zu schützen, genügt es, einen Stein daraufzulegen. Im Winter, wenn es kalt ist, kann man in ihr ein Feuerchen anzünden. Eine Dose kann einen aber auch noch auf andere Ideen bringen. – Nanu, sagte Mozziconi, Newton ist auf die Idee der universellen Schwerkraft gekommen, als er sah, wie ein Apfel vom Baum fiel, und ich nehme diese Dose, die 85
von der Quaimauer heruntergeworfen wurde, zum Ausgangspunkt für eine neue Theorie von Form und Inhalt. Seine Idee war ganz einfach: es ging darum, ein Gefäß zu schaffen, das außen klein und innen groß war. Mozziconi fing ganz für sich an zu lachen. Er drehte die Dose in der Hand und prüfte aufmerksam die glänzende verzinnte Innenfläche und die blaulackierte Außenseite mit der roten Aufschrift Soundso-Bohnen. – Das ist ja zum Totlachen, sagte Mozziconi, wenn man denkt, daß noch niemand darauf gekommen ist. Das übliche Fischlein steckte den Kopf aus dem Wasser. – Piep piep! Mozziconi staunte. – Nanu? Du hast piep piep gemacht! Was bist denn du für ein Fisch? – Ich habe mich geirrt. Das kann passieren, nicht? Das Fischlein, das aus Versehen wie ein Vogel gepiepst hatte, tauchte wieder unter und schämte sich. Mozziconi nahm eine Schere aus seinem 86
Brotsack und schnitt das Blech der Dose der Länge nach auf und dann rund herum kurz über dem Boden, so daß vom Seitenblech nur ein halber Zentimeter stehen blieb. Am Ende kehrte er die Dose um, so wie man einen alten Mantel umkehrt. Die glänzende verzinnte Innenfläche war jetzt außen und konnte eine Riesenmenge Soundso-Bohnen fassen oder auch andere gute Dinge zum Essen wie Zwiebelchen, Erbsen, Cornichons, Pilzlein und Tomaten. Die Aufschrift dagegen, das heißt die Außenseite der Dose, war jetzt nach innen gekehrt. Es fehlten natürlich die Schweißnähte, doch hatte das noch Zeit, weil Mozziconi im Augenblick weder Bohnen, noch Zwiebelchen, noch Erbsen, noch Cornichons, noch Pilzlein, noch Tomaten besaß, die er in das neue Gefäß hätte einfüllen können. Er hatte nur eine große Erfindung in der Hand. – Eine Erfindung, die die Welt verändern wird wie diejenige von Newton! Natürlich konnte man seine Erfindung nicht nur auf Dosen, sondern auch auf andere Behältertypen anwenden, sogar auf Autos. 87
Mozziconi begann, in seiner Phantasie Automobile zu konstruieren, deren Sitze außen waren und deren aerodynamische lakkierte Außenseite nach innen schaute; auch Schuhe erfand er, die außen klein und innen so groß waren, daß die Füße der eitlen Damen darin Platz hatten, und auch Häuser, deren Architektur innen versteckt war, während die Zimmer gegen den Himmel schauten. Die Ära des konkaven Behälters war vorbei und die neue Ära des konvexen Behälters brach an. Die ganze Welt ließ sich umkehren. – Ich werde die ganze Welt umkehren! rief Mozziconi aus und ließ sich von der Begeisterung mitreißen. Diesmal fand er seine Idee so wichtig, daß er von dem Zettel, auf dem er seine wunderbare Erfindung erklärte, zwei Kopien anfertigte.
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Mozziconi gegen die Schieber – Jeder hat den Fluß, den er verdient, sagte Mozziconi, der die Römer nicht leiden konnte. Wenn der Tiber der schmutzigste Fluß der Welt ist, so sind die Römer noch schlimmer als er. Wenn Mozziconi von den Römern sprach, so meinte er nicht die armen Leute vom Aquädukt Felix und den anderen Außenquartieren, sondern die Milliardäre und Schieber, die sich jetzt beklagten, daß die Situation so schlecht sei. – Sie haben sich ruiniert, weil sie immerzu in die Schweiz hin- und hergereist sind, sagte Mozziconi. Es ist ja bekannt, daß die milliardenschweren römischen Spekulanten viel Sympathie für die Schweiz haben, weil dort die Luft gut, der Himmel blau und die Berge schneebedeckt sind und der Käse Löcher hat und die Banken große Kühlschränke besitzen, wo man das Geld aufbewahren kann, damit es nicht verdirbt. Auch viele betrügerische und weinerliche Minister waren in die Schweiz gereist, bis 89
sie keinen Rappen mehr hatten, und nun zwangen sie die Leute dazu, an einem Tag in der Woche zu Fuß zu gehen, um Erdöl zu sparen. Und viele Römer sagten, wie schön ist die Luft ohne Lärm und Gestank. Wo aber die betrügerischen und scheinheiligen Minister vorbeigingen, war die Luft sogleich wieder verpestet, daß man nicht mehr atmen konnte, weil sie nach Erdöl stanken. Und leider wurden sie nie aus dem Verkehr gezogen. – Das reicht mir, jetzt will ich nicht mehr an die denken, sagte Mozziconi, sie verdienen es nicht einmal, daß man an sie denkt, diese lügnerischen Milliardäre und diese stinkenden Minister.
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Mozziconi und die Vagabundin Es war das erste Mal, daß Mozziconi eine Frau am Ufer des Tibers sah. Sie war mit Lumpen bedeckt und deshalb sah man nicht, ob sie schön oder häßlich war, man sah nur, daß sie eine Vagabundin war. Vagabundierenden Hunden und Jungen war Mozziconi begegnet, seit er die Stadt verlassen hatte; dies aber war die erste Frau. Nun wollte er die Gelegenheit nicht verpassen, mit ihr Freundschaft zu schließen, bevor die andern ihm zuvorkamen. Da es ihm nicht gelungen war mit den andern Männern und auch nicht mit den Hunden und den kleinen Jungen Freundschaft zu schließen, nahm er seinen ganzen Mut zusammen und näherte sich der Vagabundin. Auf den ersten Blick kam sie ihm vor wie eine jener etwas dicken Frauen, die im Grunde mager sind, als er sie aber genauer ansah, begriff er, daß sie mager war, aber einen Hang zum Dickwerden hatte. Auch in ihrer Haarfarbe hatte er sich getäuscht, als er glaubte, sie sei braunblond, denn in Wirklichkeit war sie blondbraun. Auf jeden 91
Fall spürte er, daß diese Vagabundin ihm gefiel. Mozziconi wußte, daß man am leichtesten Freundschaft schließt, indem man zu reden anfängt und daß er als erster reden mußte, weil der Mann ein Gespräch anzuknüpfen hat. Doch was konnte er sagen? Er hätte ihr gern sein Leben erzählt, aber er hatte gar kein Leben zu erzählen, weil das Leben vor allem aus Freunden besteht und aus den Dingen, die man mit ihnen unternimmt. Mozziconi hatte keine Freunde und nicht einmal Verwandte oder zumindest wußte er nichts von ihnen. Mozziconi öffnete den Mund, um zu reden, aber er brachte kein einziges Wort heraus. Er wußte wirklich nicht, was sagen. Er versuchte ihr in die Augen zu schauen, um mehr Vertrauen zu gewinnen; doch der Blick der Frau wich aus, weil sie nur ein Auge hatte und mit diesem einen schielte. Endlich gelang es Mozziconi, eine Frage zu stellen. – Was meinst du, sagte Mozziconi, wenn einer das Unendliche in vier Teile teilt, ist dann jedes Viertel immer noch unendlich? 92
Die Frau riß ihr einziges Auge weit auf, drehte sich um, lief davon und verschwand im Gebüsch. Mozziconi tat das so leid, daß er ihr noch nachschaute, als sie schon lange nicht mehr zu sehen war.
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Mozziconi und die Revolution Mozziconi machte lange Spaziergänge im Schatten der Quaimauer. Nach und nach entstand aus seinen Spuren ein schöner Weg im Sand, auf dem es auch angenehm war, barfuß zu gehen und mit den Fußsohlen den kühlen Boden zu berühren. Die Römer warfen Unrat herunter, als sei der Tiber ihr Abfallhaufen, und als dann auch noch der Streik der Straßenkehrer ausbrach, schmissen die Römer zusammen mit dem Altpapier und den Lumpen, den Plastiksäcken und den Kohlstrünken, auch eine Menge leerer Gefäße und kaputten Glases herunter. – Das Glas nicht, wenn ich bitten darf! Sie warfen auch rostige Nägel, Glühlampen und zerbrochene Lampenschirme, angeschlagenes Geschirr, ausgediente Spülbekken und andere Scherben herunter. – Verdammte Schweinehunde! Verdammte Flegel! schrie Mozziconi. Da sprang das übliche Fischlein aus dem Fluß. – Weißt du nicht, daß die Straßenkehrer streiken? 94
Mozziconi wußte das sehr wohl, denn er hatte es in einer Zeitung gelesen, die zusammen mit all dem Dreckszeug von der Mauer heruntergeflattert war. – Ich weiß es, aber die Römer sind dennoch Schweinehunde! – Ein Hoch auf die Straßenkehrer, rief das Fischlein und tauchte wieder ins gelbe Wasser des Tibers. Als ob Mozziconi gegen die Straßenkehrer gewesen wäre! Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er die Straßenkehrer zu Ministern und die Minister zu Straßenkehrern gemacht, aber mit den Fischen kann man ja nicht reden, vor allem nicht über Politik. Und es nützt auch gar nichts, über Politik zu reden, man muß eine Revolution machen. Um eine Revolution zu machen, braucht man aber Gewehre und das kostet viel Geld. Das heißt, man muß reich sein, um eine Revolution zu machen. Wenn einer aber reich ist, so hat er gar keine Lust mehr auf eine Revolution. Mozziconi schwor sich, daß er, auch wenn er eines Tages sehr reich wäre, dennoch eine Revolution machen würde. Um reich zu 95
werden, brauchte man aber sehr viel Geld. – Wo nehme ich nur das Geld her, um reich zu werden? Das Geld, das man verdient, reicht im allgemeinen nur, um zu essen, und wenn einer Glück hat, so kann er noch ein Auto, einen Fernsehapparat und einen Kühlschrank kaufen, alles Dinge, auf die Mozziconi spuckte. Mozziconi wußte, wie man sehr reich, wie man zum Multimilliardär wird: man mußte stehlen. Die Stellen, wo man stehlen kann, sind aber immer besetzt und wenn eine frei wird, weil der Dieb stirbt oder in Pension geht, so stehen seine Nachfolger schon längst bereit. Die Karriere des Diebes gleicht derjenigen der Militärs, die ganz unten beim Korporal beginnt und zuoberst beim General aufhört. – Die Welt ist eine Katastrophe! sagte Mozziconi laut. Wenn er wütend war, bekam er immer große Lust zu spucken. Diesmal spuckte er auf eine Zeitung, auf der das Bild eines jener schlitzohrigen und betrügerischen Minister war, die nie ins Gefängnis kommen. 96
Mozziconi und die beiden Freunde Mozziconi hatte zwei Vagabunden gesehen, die am Ufer miteinander plauderten und dabei die Füße ins Wasser streckten. Er wollte wissen, was Vagabunden sagen, wenn sie miteinander reden. Er näherte sich barfuß auf den Zehenspitzen und versteckte sich hinter einem Gebüsch. Der erste Vagabund erzählte von seinem Großvater, der sich ruiniert hatte, weil er sich in den Kopf gesetzt hatte, Sammlungen zu sammeln. Er hatte mit der Sammlung der Schmetterlingssammlungen begonnen. Dann hatte er Briefmarkensammlungen gesammelt und dabei einen Haufen Geld ausgegeben. Für die Sammlung der Uhrensammlungen mußte er sein Land verkaufen und für die Sammlung der Mineraliensammlungen sein Haus. Dann fing er an, Schulden zu machen und sich von Wucherern Geld zu leihen. Am Ende kamen die Gerichtsvollzieher und beschlagnahmten alles. Der Sohn, das heißt der Vater des Vagabunden hatte nur Schulden geerbt und auch ihm welche als Erbteil hinterlassen. 97
– Und jetzt bin ich hier! Der andere Vagabund sagte, er habe nichts zu erzählen, leider Gottes. Seine Eltern seien nie reich gewesen, hätten nie ein Haus besessen und überhaupt nie etwas gehabt. Zum Glück hatte ihn sein Vater alle Tricks gelehrt, die man braucht, um mit nichts zu leben. – Was sind denn das für Tricks? fragte der erste Vagabund. – Das ist ein Geheimnis, sagte der zweite. – Wenn du sie mir sagst, so sind sie nachher kein Geheimnis mehr. – Für mich sind sie auf jeden Fall ein Geheimnis. – Auch wenn ich sie Hunden und Schweinen erzähle? – Dann ist es besser, ich schweige. – Ich wollte dir eigentlich erzählen, daß mein Großvater sich vor seinem Ruin in den Kopf gesetzt hat, die Sammlungen der Sammlungen zu sammeln; jetzt schweige ich aber darüber, weil du mir deine Geheimnisse auch nicht verrätst. – Aber jetzt wollen wir doch nicht beleidigt sein? 98
– Ich nicht. – Ich auch nicht. Der zweite Vagabund zündete sich eine Kippe an und nahm einen Zug. Dann reichte er sie dem andern, der auch einen Zug nahm und sie wieder zurückgab. Mozziconi stand auf und entfernte sich auf den Zehenspitzen. Wenn sie die Kippen miteinander teilten, so hieß das, daß sie wirkliche Freunde waren. Er hätte beinahe zu weinen begonnen; da er jedoch vom Weinen traurig wurde, fing er an zu lachen. Später als es dunkel wurde, hatte Mozziconi immer noch die Worte der beiden Vagabunden im Ohr, vor allem die Geschichte von den Sammlungen der Sammlungen. Es war klar, daß sich der Großvater des einen ruiniert hatte, Schmetterlinge, Briefmarken, Uhren, Mineralien, er hatte alles falsch gemacht. Mozziconi hatte dagegen eine ganz einfache Idee. Um sich nicht zu ruinieren, gab es nur einen Weg: man mußte Geld sammeln. Mozziconi nahm sich vor, mit dem Reichtum, den er in seiner Sammlung anhäufen 99
würde, eine Revolution zu machen. Deshalb sagte er niemandem ein Wort und steckte ein Stück Papier in die Flasche, auf dem geschrieben stand, er bitte um Verzeihung, aber diesmal handle es sich bei seiner Idee um ein Geheimnis. Auf die Flasche schrieb er »persönlich, eilig, geheim« und warf sie dann in die Strömung.
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Mozziconi und die Kläranlage Mozziconi hatte sagen gehört, daß weit unten, in der Nähe des Meers eine Kläranlage gebaut worden war, um das Wasser des Tibers zu reinigen. Die Kläranlage war so gebaut, daß sie alles, was das Wasser verunreinigte, zu trennen vermochte: auf der einen Seite den Schlamm, auf der andern die toten Mäuse, auf einer andern die Holzstücke und die Blätter undsoweiter. Alle Schweinereien, die das Wasser anschwemmte, wurden hier getrennt und in großen Zementbehältern aufgefangen. Dank dieses Systems wurde das Wasser des Tibers so sauber, daß man schon daran dachte, es in Flaschen abzufüllen und mit Zugabe von etwas Brausepulver als Mineralwasser zu verkaufen. In der Zeitung stand, man habe eine Methode gefunden, alles so gut voneinander zu trennen, daß man bald auch die Seife, die durch die Abwässer in den Fluß kam, wiedergewinnen und aus ihr duftende Seifen produzieren werde, mit denen man das Gesicht und die Hände waschen könne. Der größte Behälter 101
war für die menschlichen Exkremente bestimmt, mit denen man die Tomatenfelder und die Gemüsegärten düngen würde. In einem anderen Behälter sammelte man die Choleraerreger, die, wenn sie gekocht werden, gar nicht mehr schädlich sein sollen, sondern mit Öl und Essig angemacht gut schmecken. Die toten Mäuse und andere Tiere, welche die Strömung anschwemmt, wurden nach dem Bericht der Zeitung getrocknet und gemahlen als Trockenfutter für die Hühner. – Hühner, die mit diesem Trockenfutter aufgezogen werden, will ich nicht essen, sagte Mozziconi. Seit er am Ufer des Tibers lebte, hatte er tatsächlich keine Hühner mehr gegessen. In Wirklichkeit hatte er auch keine gegessen, als er noch beim Aquädukt Felix lebte. Jetzt aber noch viel weniger. Plötzlich kam ihm etwas in den Sinn, und er stützte seinen Kopf in seine Hände. – Und wohin werden meine Flaschen kommen? Es wird, dachte Mozziconi, auch für sie einen großen Behälter geben. Flaschen, Gläser, Gefäße und alles, was es an Glaswaren 102
sonst noch gibt. Und was wurde aus den Botschaften in den Flaschen? Mozziconi stellte sich schon einen großen Behälter vor, der ganz gefüllt war mit Wörtern aus Zeitungen, Büchern und anderen Drucksachen, vielleicht auch von Hand geschrieben, welche der Tiber ins Meer schwemmte. Die Wörter wurden gereinigt, desinfiziert und getrocknet und dann in den Behälter geworfen und vermischt. Auch diejenigen, die er geschrieben und in Flaschen gesteckt hatte. – Meine Botschaften in einer Kläranlage! Mozziconi war verzweifelt, weil seine Wörter mit denjenigen der Zeitungen und Bücher vermischt wurden. Wer weiß was mit diesem Behälter, der ganz mit Wörtern gefüllt war, geschehen würde. Vielleicht würde man sie nach Gewicht verkaufen, soundsoviel das Kilo oder der Zentner. Vielleicht würde man sie dazu verwenden, Lügen oder Dummheiten zu schreiben. – Ihr sollt meine Wörter nicht desinfizieren! Mozziconi war so verzweifelt, daß er beschloß, auf gar keinen Fall mehr Flaschenpost zu verschicken. 103
Mozziconi und die Schnellstraßen Es ist bekannt, daß die Zeitungen im August nicht wissen was schreiben und dann einfach etwas erfinden. Auch Mozziconi wußte das, doch als eine römische Zeitung schrieb, daß man auf beiden Tiberufern Schnellstraßen bauen müsse, ergriff ihn eine solche Wut, daß er allen Speichel, den er im Mund hatte, ausspuckte. – Und wohin gehe dann ich? Mozziconi schloß die Augen und sah schon die Autos, die über die asphaltierten Tiberufer flitzten, daß er nicht mehr atmen konnte und schon halb erstickt war. Man hatte offensichtlich schon wieder Erdöl gefunden, aus dem man Benzin machen konnte. Die Zeitungen erklärten, daß die italienischen Händler es versteckt hatten, um es später teurer zu verkaufen. – Verfluchte Spekulanten! Wahrscheinlich hatten die Erdölspekulanten nun auch die Zeitungen gekauft, damit sie befehlen konnten, was zu schreiben war, und dann hatten sie auch die Richter gekauft, damit sie nicht ins Gefängnis ge104
schickt wurden. Nun stand in den Zeitungen zu lesen, man müsse den armen Erdölhändlern helfen und viele neue Straßen bauen, die Eilstraßen am Tiberufer inbegriffen. Mozziconi sah diese Straße wie in einem bösen Traum vor sich, doch wenn er die Augen öffnete, stand er barfuß im Sand des Wegs, welcher die Quaimauer entlangführte. Zum Glück. Die Asphaltstraße gab es noch nicht, er nahm erst den Gestank und den Lärm des Verkehrs wahr, den er sich in Gedanken vorstellte. Er hielt sich die Nase zu, um den Gestank nicht zu riechen, und verstopfte sich auch die Ohren mit zwei Schlammkügelchen, damit er den Lärm nicht hörte. Es war aber nicht möglich, den ganzen Tag so verstopft umherzugehen. Mozziconi versuchte, mit den Füßen aufzustampfen, weil das manchmal hilft, um ein Problem zu lösen. Dabei trat er auf eine Glasscherbe, die ihm in die Ferse schnitt. Er bückte sich, um die Wunde zu lecken, wie es die Hunde und die anderen Tiere machen und dabei trafen ihn faule Tomaten, abgenagte Knochen und schimmlige Brotrinden 105
am Kopf, die aus einem Kessel mit Küchenabfällen zum Tiberufer herunterfielen. Mozziconi schrieb einen Fluch auf ein Stück Papier, steckte es in eine Flasche aus schwarzem Glas, warf sie ins Wasser und verließ seinen Weg im Sand.
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Mozziconi schreibt ein Wort Mozziconi verließ seinen Weg und legte eine neue Spur im Sand an, weiter weg von der Quaimauer, an der Sonne. Es war aber nicht mehr wie vorher, weil hier die Erde, das heißt der Sand unter seinen Füßen glühte und die Sonne auf seinen Kopf brannte. Und seit die schurkischen Minister und die betrügerischen Erdölspekulanten alle Skandale versanden ließen, machte es Mozziconi überhaupt keinen Spaß mehr, barfuß im Sand zu gehen. Denn es ist ja klar, daß man, um etwas rasch versanden zu lassen, dorthin geht, wo der Sand am nächsten ist, und das ist natürlich am Tiberufer. Mozziconi zog seine Schuhe an, weil er den Sand nicht mehr mit den Füßen berühren wollte, er ekelte sich davor. – Geht anderswohin, wenn ihr etwas versanden lassen wollt! Die Schurken kamen jedoch in der Nacht die Treppen herunter, machten Löcher in den Sand und begruben Diebstähle, Erpressungen, Betrügereien, Unterschlagungen, Unterlassungen, Spekulationen, Veruntreu107
ungen, Schiebungen und viele andere Machenschaften. Mozziconi befürchtete, all diese begrabenen Transaktionen würden wie die Tomaten und der Salat wieder hervorsprießen. Seine Wut gegen all diese Gauner, Spitzbuben, Schwindler, Betrüger und Spekulanten stieg wie das Wasser des Tibers, wenn es regnet. Er versuchte Schimpfworte zu rufen, aber seine Stimme trug sie nicht bis dorthin, wo man sie hören sollte. Da beschloß er, das Wort zu schreiben, das sie verdienten und zwar so, daß es aus dem Boden wuchs und nicht ausgelöscht werden konnte, sondern im Gegenteil im Laufe der Jahre größer und deutlicher würde. – Ich will sehen, wie die dreinschauen, wenn sie es lesen werden! Zuerst ging er auf die Suche nach wilden Kirschsträuchern und legte sie auf einen Haufen auf einer schönen Fläche von glattem Sand, gerade gegenüber dem Lungotevere Flaminio. Er pflanzte ungefähr zwanzig Sträucher, so daß sie die Form eines Großbuchstabens darstellten, und dieser erste Buchstabe war ein S. Der zweite war ein C und der dritte ein H, alle in Druck108
schrift. Der vierte war ein E, der fünfte I, der sechste S und der siebte nochmals S. So war es klar, was Mozziconi mit den wilden Kirschsträuchern für ein Wort schreiben wollte, auch weil der letzte Buchstabe ein E war. In ein paar Tagen war das Wort ganz geschrieben in schönen Druckbuchstaben. Mozziconi hatte eine neue Sprache gewählt, um seine Botschaft zu verkünden.
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Mozziconi lacht Am nächsten Tag blieb ein Polizist an der Brüstung über dem Tiberufer stehen und steckte sich eine Zigarette an, obwohl das während des Dienstes verboten war. Dabei fiel sein Blick auf das Wort, das im Sand des Tiberufers mit wilden Kirschsträuchern geschrieben war. Er wäre fast vom Schlag getroffen worden. – Aber sieh mal an, was für ein übler Streich gegen die Stadt Rom, gegen unsere Hauptstadt. Welche Schande! Der Polizist drückte die Zigarette aus und steckte die Kippe in die Tasche, in der Absicht sie später zu rauchen. Dann ging er in die Kaserne und schrieb ein Protokoll, um seinem Kommandanten den Vorfall zu melden. Sein Kommandant nahm einen Augenschein, das heißt er ging, das Wort lesen, und schrieb ein weiteres Protokoll, für den Kommandanten aller römischer Kommandanten. Der Kommandant aller römischer Polizisten ging selbst zum Tiberquai, um das Wort 110
zu lesen und schrieb dann ein Protokoll, das er direkt dem Bürgermeister schickte. Der Bürgermeister wurde zornig, weil er vermutete, das Ganze sei ein Scherz des obersten Polizeikommandanten; dann schickte er aber ganz im geheimen einen Inspektor an den Tiberquai. Der Inspektor lehnte sich über die Mauerbrüstung, las das Wort, kehrte dann zum Bürgermeister zurück und flüsterte es ihm ins Ohr und bestätigte das Protokoll, das auf seinem Tisch unter einem Stapel von anderen Papieren lag, damit es von niemandem gelesen werden konnte. Mozziconi versteckte sich im Gebüsch und lachte den ganzen Tag über das Kommen und Gehen der Polizisten und Inspektoren, die sich über die Mauer beugten, um das Wort zu lesen, das er geschrieben hatte und jeden Morgen mit Wasser begoß, damit es schneller wuchs. Die Sache mit diesem Wort ging nun von einer Amtsstelle zur andern und jeden Tag kamen Polizisten, Carabinieri, Inspektoren, Kontrolleure, Sekretäre und alle anderen Funktionäre an den Tiberquai. 111
Es kamen auch zwei schwarzgekleidete Männlein, welche das Wort lasen und sich dann nachdenklich anschauten.
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Mozziconi und der Bürgermeister von Rom Auch die Touristen fingen an zum Tiberquai zu pilgern, weil die Sache nun allgemein bekannt war. Jeden Tag lehnten sich eine Menge Leute über die Brüstung und machten ihre Kommentare. Manche lachten, andere dagegen waren wütend und sagten, es sei eine Schande, ein solches Wort so groß und so gut sichtbar zu schreiben, am Ufer unseres schönen Flusses inmitten unserer schönen Hauptstadt. Der Bürgermeister wurde über alles, was geschah, informiert und bekam große Angst davor, daß die Zeitungen es erfahren und einen Skandal machen würden. Deshalb gab er den Befehl, ein Grüppchen Arbeiter mit Hacken und Schaufeln an den Tiber hinunterzuschicken und das Wort zu beseitigen. – Um das Wort zu beseitigen, muß man die wilden Kirschensträucher ausreißen, sagte ein Assessor. – Natürlich! sagte der Bürgermeister. – Das ist aber verboten, sagte der Assessor, es gibt ein sehr strenges Gesetz zum Schutz der Natur, das verbietet, wilde Kirschen113
sträucher am Tiberufer abzuschneiden oder auszureißen. Wenn man erfahren hätte, daß ausgerechnet der Bürgermeister dieses Gesetz zum Schutze der Natur verletzte, hätte auch das einen Skandal gegeben, umsomehr, als dieser Bürgermeister von jedermann gehaßt wurde, weil er ein großer Betrüger, Schieber und Schwindler war. – Was machen wir also? – Da gibt’s nichts zu machen. Der Bürgermeister wurde sehr zornig, lief rot an im Gesicht und schlug die Fäuste auf den Tisch, doch wagte er es nicht, gegen das Gesetz zu handeln. – Wir tun einfach so, als sei nichts geschehen. Das war eine Methode, die sich schon oft bewährt hatte. Wenn jemand ihn eines Vergehens beschuldigte, tat er, als sei nichts geschehen, und unterdessen zettelte er eine andere Missetat an, welche die Aufmerksamkeit der Leute auf sich zog und die vorangehende vergessen ließ. So war er von Skandal zu Skandal der schlechteste Bürgermeister von Rom geworden. 114
Diesmal war das Neue jedoch, daß die Leute lachten, anstatt zornig zu werden. Alle Römer und alle Durchreisenden gingen zum Tiberquai, schauten zum Ufer hinunter und lachten aus vollem Hals. Und Mozziconi, der im Gebüsch versteckt saß, lachte ebenfalls aus vollem Hals. Manche ausländischen Touristen, die sich vielleicht nur einen Tag in Rom aufhielten, besuchten das Kolosseum und den Papst und liefen dann zum Tiberquai. Denn die Zeitungen hatten die Sache veröffentlicht und die Reisebüros setzten in ihre Programme auch einen Halt am Tiberquai ein, um das Wort zu lesen. Kein anderes Wort hatte je den italienischen Tourismus so gefördert wie jenes, das Mozziconi ans Tiberufer geschrieben hatte. Millionen und Millionen guter Währung. Die Reisebusse hielten an, die Touristen lehnten sich über die Brüstung und das Wort wurde von den Reiseleitern in alle Sprachen übersetzt.
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Mozziconi hat die erste Genugtuung Der Bürgermeister wagte es nicht mehr, sich öffentlich zu zeigen, weil alle Leute hinter seinem Rücken lachten und sagten, jenes Wort sei für ihn geschrieben worden. Nach ein paar Monaten mußte er zurücktreten, und alle waren zufrieden, Die Römer lachten auf den Straßen, in den Häusern, Tag und Nacht, bei Regen und Sonnenschein. Beim Aquädukt Felix machten die Leute ein großes Fest und alle betranken sich einen ganzen Tag lang, die Nacht inbegriffen. Die betrügerischen und korrupten Minister erhielten, einer nach dem andern, die Nachricht von dem Wort am Tiberufer und alle glaubten, es gelte ihnen, weil sie es verdient hatten. Manche setzten sich in die Schweiz ab, wo sie frische Luft, einen blauen Himmel, schneebedeckte Berge, Käse mit Löchern und Banken mit großen Kühlschränken fanden, wohin sie ihr Geld schon früher zur Aufbewahrung gebracht hatten, damit es nicht verderben konnte. Einer von ihnen, der nicht mehr auf die Straße konnte, weil 116
alle ihn anspuckten, beschloß sogar Selbstmord zu machen. Er stellte sich auf einen Stuhl und stürzte sich kopfüber auf den Boden. Leider wurde nicht sein Kopf, sondern der Fußboden beschädigt. Der schurkische Bürgermeister wurde ins Gefängnis gesteckt. – Das ist der Anfang! sagte Mozziconi als er die Nachricht ungefähr einen Monat später aus einer alten Zeitung erfuhr, die einer der üblichen Schmutzfinken zusammen mit anderen Abfällen von der Quaimauer herunterwarf.
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Inhalt
Mozziconi Vorname und Nachname . . . . . . . . 7 Mozziconi Rausschmeißer . . . . . . . . . . . . . 9 Mozziconi geht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Mozziconi gegen Rom . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Mozziconi und die Sprichwörter . . . . . . . . . . 19 Mozziconi unter den Brücken . . . . . . . . . . . . 21 Mozziconi Anarchist und Rebell . . . . . . . . . . 23 Mozziconi dummer August . . . . . . . . . . . . . 26 Mozziconi und die Beduinen . . . . . . . . . . . . 30 Mozziconi und die Geschichte . . . . . . . . . . . 32 Mozziconi und der streunende Hund . . . . . . . 34 Mozziconi und die Gedanken . . . . . . . . . . . . 36 Mozziconi und die beiden Diebe . . . . . . . . . . 40 Mozziconi und die Zahlen . . . . . . . . . . . . . . 42 Mozziconi und die Flaschen . . . . . . . . . . . . . 45 Mozziconi gegen Garibaldi . . . . . . . . . . . . . 47 Mozziconi Milliarden und Millionen . . . . . . . 49 Mozziconi hier und dort . . . . . . . . . . . . . . . 52 Mozziconi und die Sterne . . . . . . . . . . . . . . 55 Mozziconi und der Papagei . . . . . . . . . . . . 60 Mozziconi gegen die Null . . . . . . . . . . . . . . 62 Mozziconi beschimpft den Mann mit dem Bart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Mozziconi und der Hunger . . . . . . . . . . . . . 68 Mozziconi und das Panorama . . . . . . . . . . . . 72 Mozziconi und der blonde Tiber . . . . . . . . . . 76 Mozziconi, Erdöl und Fußgänger . . . . . . . . . . 78 Mozziconi und der Regenschirm . . . . . . . . . 81
Mozziconi macht eine Erfindung . . . . . . . . . . 84 Mozziconi gegen die Schieber . . . . . . . . . . . . 89 Mozziconi und die Vagabundin . . . . . . . . . . . 91 Mozziconi und die Revolution . . . . . . . . . . . 94 Mozziconi und die beiden Freunde . . . . . . . . . 97 Mozziconi und die Kläranlage . . . . . . . . . . . 101 Mozziconi und die Schnellstraßen . . . . . . . . 104 Mozziconi schreibt ein Wort . . . . . . . . . . . 107 Mozziconi lacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Mozziconi und der Bürgermeister von Rom . . 113 Mozziconi hat die erste Genugtuung . . . . . . . 116
683 Was meinst Du, sagte Mozziconi, wenn einer das Unendliche in vier Teile teilt, ist dann jedes Viertel immer noch unendlich?