PerryRhodan EXTRA 9
Marc A. Herren
Gesänge der NACHT Die Mom’Serimer am Scheideweg – und auf der Suche nach ihrer kos...
16 downloads
503 Views
608KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
PerryRhodan EXTRA 9
Marc A. Herren
Gesänge der NACHT Die Mom’Serimer am Scheideweg – und auf der Suche nach ihrer kosmischen Bestimmung
Nach vier langen Jahren des Kampfes konnten sich die Terraner und ihre Verbündeten endlich der Gefahr, die ihnen durch die Terminale Kolonne TRAITOR drohte, erwehren. K0LT0R0C, die Superintelligenz, der die Leitung der Kolonne unterlag, wurde durch den Einsatz von Perry Rhodan und Mondra Diamond getötet; die Entstehung einer Negasphäre in Hangay konnte verhindert werden. Seines Wirkungsziels beraubt, bereitet TRAITOR den Abzug vor. Für die Galaktiker beginnt Ende des Jahres 134? Neuer Galaktischer Zeitrechnung, was dem Jahr 4934 alter Zeitrechnung entspricht, eine Epoche des Aufräumens, des Wiederaufbaus, des Schließens alter Wunden. Und es beginnt eine Zeit der Abschiede und der Umwälzungen. Viele der Verbündeten suchen nun nach dem Ende der kosmischen Geschehnisse neue Ziele und neue Aufgaben. Zu diesen Verbündeten gehören die Mom’Serimer, die einst auf der SOL eine neue Heimat fanden, nachdem ihre alte der Vernichtung anheimfiel. Ein halbes Jahrhundert lang haben sie die Geschichte des legendären terranischen Fernraumschiffes mitgeprägt, um das sich so viele Legenden ranken und das den Hauch kosmischer Ereignisse gespürt hat wie kein anderes terranisches Schiff. Nun befinden sich die Mom’Serimer an einem Scheideweg – und sie hören die GESÄNGE DER NACHT…
Prolog Gesänge der Nacht »Die NACHT, Case. Wie erhaben und würdevoll war die NACHT?« Sein Gesprächspartner antwortete nicht, blickte ihm nur nachdenklich in die Augen. »Was wissen die heutigen Generationen schon von der NACHT? Als das große Volk der Mom’Serimer eine Heimat und eine kosmische Aufgabe hatte. Hörst du, Case? Eine Heimat. Und eine kosmische Aufgabe. Wir haben damals von Nacht-Acht aus unsere schützende Hand über den PULS von Segafrendo gehalten. Wir waren Wächter, und alle im Volk gingen in ihren Pflichten auf, weil es ein Gebot der Selbstverständlichkeit war. Weil wir wussten, dass von unserem Geschick vieles abhing. Dass sich die guten Kräfte im Kosmos auf uns verlassen konnten.« Er stand mit zitternden Bewegungen auf, schlurfte zu der kleinen Kochnische und nahm den Topf mit dem heißen Wasser von der Induktionsplatte. »Bist du sicher, dass du keinen terranischen Tee willst, Case? Garantiert pfefferminzfrei, damit du heute Nacht schlafen kannst.« Er musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass Case auch bei diesem Besuch seine Gastfreundschaft auf die Probe stellte. Er seufzte, während er ein Teekügelchen in seine Trinkschale warf. Dann goss er heißes Wasser darüber und wartete, bis die aromatischen Dampfzünglein über die Riechsensoren unterhalb der flachen Nase strichen. »Ah, das ist schon besser.« Er drehte sich um und balancierte die köstlich duftende Trinkschale zurück zu dem kleinen Tisch, der die Mitte seiner Wohnküche beherrschte. »Ein Knabberstäbchen, vielleicht? Ich hätte sogar ein terranisches Schokoladenbonbon.« Sein Besucher wehrte lächelnd ab. »Erzähl mir von der NACHT, Freund. Das ist mir Nahrung genug.« »Es ist nicht alles schlecht, hier in der Scherbenstadt an Bord der SOL.« Er zog einen Holzlöffel aus der Hosentasche und rührte nachdenklich im Tee. »Und doch haben wir vieles verloren, was uns
früher als Volk ausgemacht hat. Wir hatten eine würdevolle Aufgabe in Nacht-Acht. Und nun? Atlan und die Solaner haben uns damals gerettet und uns großmütig Asyl gegeben in einem Teil ihres Schiffes, den wir zu unserem eigenen Reich machen durften.« Er seufzte erneut. »Wir waren so sehr mit dem Aufbau der Scherbenstadt beschäftigt, dass wir gar nicht gemerkt haben, dass wir stets nur den Status von geduldeten Gästen hatten. Dass die neue Heimat nur eine Illusion, eine Vorstellung in unseren Köpfen war, da wir über sie nicht bestimmen konnten. Das Gremium, die Schiffsleitung um die Kommandantin Fee Kellind, bestimmte, und die SOL führte aus. Flog mal hierhin, mal dorthin, nahm es mit diesen und jenen auf und vergaß meist, dass wir, die stetig größer werdende Population der Mom’Serimer, ebenfalls mit an Bord waren.« »Aber man hat den Mom’Serimern doch Mitspracherechte verliehen, und die Soldaten der NACHT haben entscheidend zum Erfolg gegen TRAITOR und die negative Superintelligenz KOLTOROC beigetragen!« »So? Und?« Seine Tentakel umwanden sich kurz, als ob er sie in sich verknoten wollte. »Die sogenannten Mitspracherechte wurden erst nach intensivem Nachhaken verliehen und hatten stets nur einen pseudo-offiziellen Charakter.« »Aber uns wurde doch am 1. März 1344 die LFT-Vollmitgliedschaft verliehen?«, warf Case ein. »Und was hat uns dies gebracht?«, gab er zurück. »Meist wurden wir nur über Entscheidungen informiert, nachdem diese längst gefallen waren. Und was die Soldaten der NACHT anbelangt: Müssen wir ihnen jetzt dankbar sein, dass wir für sie unsere Hälse riskiert haben? War es nicht so, dass Unsterbliche wie dieser Atlan sogar Jugendliche in die Schlacht warfen? Mom’Serimer, die noch gut und gerne 150 Segaf vor sich gehabt hätten?« Er hatte sich in Rage geredet. Ein paar schnelle Atemzüge, und die Aromen von köstlichem Tee an seinen Riechsensoren beruhigten ihn wieder. Er hob die Trinkschale zum Mund, blies kurz in das dampfende Gebräu und genehmigte sich die Köstlichkeit in kleinen Schlucken.
»Solche Auswüchse hätte es in der NACHT nie gegeben. Damals war alles anders. Gesitteter. Klarer.« Er stellte die Trinkschale geräuschvoll auf den Tisch. »Und erhabener!« »Erhabener?« Er sah dem Besucher während zweier schwerer Atemzüge unverwandt in die Augen und sagte dann: »Wer weiß denn heutzutage noch, wie es damals gewesen war, in einem Jetboot durch die NACHT zu fliegen? Umgeben zu werden von diesem puren Gegenteil von Licht, das einen umhüllt hat wie ein Kleid aus einem dicken, dumpfen Stoff.« »Du klingst, als hättest du die NACHT selbst noch erlebt.« Er tat, als habe er die Anmerkung nicht gehört. »Und dann…« Er schloss die Augen und streckte die rechte Hand nach einem weit entfernten Objekt aus. »Dann tauchte sie auf: die Säule der NACHT. Ein von Mythen umranktes Gebilde. Eine verbotene Zone, die unser aller Fantasie und Verlangen ankurbelte. Ganz zu schweigen von der Stromschnelle, in der mehr als nur ein naseweiser Mom’Serimer für immer verschwand.« Case kniff die leicht schräg stehenden Augen zusammen. »Wir Mom’Serimer werden maximal zwanzig terranische Jahre alt. Unser Volk hat die NACHT vor mehr als 500 Segaf verlassen. Seither sind etwa sieben Generationen gekommen – und die meisten sind bereits wieder gegangen und wurden dem ewigen Kreislauf übergeben.« »Was siehst du mich so an?« »Ich habe dich etwas gefragt.« »Ich habe keine Frage gehört.« »Hast du die NACHT persönlich erlebt?« »Eine seltsame Frage – du hast ja vorhin selbst erläutert, weshalb dies nicht sein kann.« »War das ein Nein?« Ruhig stand er auf, um sich eine neue Trinkschale mit Tee aufzubrühen. »Du bist so hektisch, Case. Möchtest du jetzt etwas Tee? Der beruhigt.« Kraftlos fielen die Tentakel seines Besuchers über die Stirn. »Du bist einfach unglaublich.«
»Meinst du außergewöhnlich?« »Das auch.« 1. Milo und das Haus in den Trümmern »Kein Wort mehr, junger Mom’Serimer, ich will nichts mehr davon hören!« »Aber Vater!«, protestierte Milo Aratoster. »Du kannst mir doch nicht…« »Und ob ich das kann! Solange du nicht in deine erste geschlechtliche Phase eingetreten bist, giltst du für mich offiziell als Kind, und als solches hast du dich den Regeln der Erwachsenen zu beugen!« »Aber…« »Zudem ist die Zeit der Helden ein für allemal vorbei, Aratoster Junior!« Milo zuckte zusammen. Die Du-bist-viel-zu-jung-Rede seines Vaters kannte er, seit… nun, seit er alt genug gewesen war, Wünsche und Pläne zu äußern. Was der Vater aber über das Heldentum gesagt hatte, tat dem kleinen Mom’Serimer bis in die Spitzen beider Tentakel hinein weh. Kann es wirklich sein, dachte Milo verzweifelt, dass ich buchstäblich zu spät komme? Dass… Hektisches Geschrei unterbrach Milos Gedankengänge. »Lord Aratoster, Lord Aratoster!« Bidu Scherlaner stürmte mit hoch erhobenen Armen durch den Glasfaservorhang hinein, der die Tür markierte, und hätte Milo um eine Tentakelbreite umgerannt. »Lord Aratoster«, japste Bidu, »oh, Verzeihung, deine Junglordschaft, ich habe dich nicht… Egal! Lord Aratoster, ich habe eine dringende Nachricht für dich!« Lord Remo Aratoster wandte sich um und wedelte mit dem verkrüppelten Finger der rechten Hand in die Richtung seines Meldeläufers.
»Bidu Scherlaner«, sagte er spitz, »keine wichtigen Informationen, solange mein Sohn zugegen ist. Er ist noch klein und vermag die Bürden der Politik nicht zu tragen!« »Aber Vater!«, rief Milo und bemerkte mit leisem Ärger, dass seine Stimme weinerlich klang. Hatte er damit seinem Vater nicht automatisch recht gegeben? Es war zum Verzweifeln! Milo ließ die Arme hängen und trottete ohne ein weiteres Wort des Protestes aus dem Versammlungsraum des Scherbenstadt-Palastes. Gerade, als sich der Türvorhang hinter ihm wieder geschlossen hatte, hörte er, wie Bidu Scherlaner mit hektischer Stimme flüsterte: »Es geht um die Soldaten der NACHT, Lord Aratoster.« Milo erstarrte. Die Armee der NACHT! Die Truppen, die KOLTOROCS Streitkräfte fast im Alleingang zur Strecke gebracht hatten! »Milo?«, hörte er in diesem Moment die fragende Stimme seines Vaters. »Bist du schon draußen?« »Äh… ja?«, gab er zurück und ärgerte sich sogleich, dass er überhaupt geantwortet hatte. »Jetzt aber hopp-hopp, mein Kleiner!« Milo kniff die Augen zusammen. Er lief mit einem eilig über die Schulter zurückgeworfenen »Ja, Vater« durch den nicht ganz ebenen Gang hinaus, der mit Bildern aller Lords dekoriert war, die an Bord der SOL geherrscht hatten: Crom Harkanvolter hing neben Stap Crumero, dann folgte der Begründer der Scherbenstadt, Shoy Carampo, und so ging es weiter bis zum Porträt seines Vaters, Remo Aratoster. Milo hatte für sie diesmal keinen Blick übrig. Irgendetwas ist mit den glorreichen Soldaten der NACHT geschehen!, dachte er elektrisiert. Ich muss herausfinden, was! Milo Aratoster, einziger Sprössling von Remo Aratoster und Kila Sergenbager, machte rechtsum kehrt, kletterte den mit farbigen Glassplittern verzierten und versiegelten Schlackehaufen neben dem Eingang des Scherbenstadt-Palastes hoch, öffnete eine Frischluftluke und presste sich in den engen Schacht hinein, der sich vor ihm geöffnet hatte. Beinahe hätte er überrascht aufgeschrien. Es musste fast zwei Jahre her sein, als er seinem Vater auf dem Weg zur Arbeit hinterherge-
schlichen war und diesen geheimen Zugang zum Palast entdeckt hatte. Damals war Remo Aratoster persönlicher Berater des früheren Lords Piro Sergenbager gewesen, notabene seines Großvaters, oder besser gesagt: seiner Großmutter, da er gerade in einer weiblichen Phase gewesen war, als er mit Kila schwanger wurde. Milo verdrängte die mitunter verwirrenden Verwandtschaftsverhältnisse der wechselgeschlechtlichen Mom’Serimer und konzentrierte sich auf den fünfeckigen Lüftungsschacht, der ihm früher viel, viel breiter und bequemer vorgekommen war. Er durfte nicht zu spät kommen; er musste erfahren, was so Schlimmes mit den Helden der NACHT geschehen war! »Sie drehen durch?«, hörte er in diesem Moment die seltsam blechern klingende Stimme seines Vaters. »Weshalb sollten sie so etwas tun?« »Der Stress, Lord Aratoster«, erklang die besorgte Stimme Bidu Scherlaners. »Das kurze, intensive Training, die Gefechte um Leben und Tod gegen die Schergen KOLTOROCS und vor allem…« Seine Stimme brach mit einem trockenen Husten ab, das verdächtig nach einem Schluchzen klang. »Vor allem?«, echote Remo Aratoster gedehnt. »Pfefferminz-Missbrauch.« »Oh!« »Ja, oh!«, gab Bidu Scherlaner zurück. »Sie haben jede Art von Pfefferminz, den sie bei der Besatzung der SOL ergattern konnten, in sich hineingestopft: Pfefferminzbonbons, Pfefferminzkaugummi, Pfefferminztee, Pfefferminzplätzchen, ja sogar Pfefferminzdufttännchen, die sie sich vor die Riechöffnungen geklebt haben, und eine Pfefferminzschokolade, welche die Terraner in ihrer eigenen Sprache, die sie vor der hatten, die sie jetzt sprechen, Nach-Acht getauft haben, oder irgend so etwas in der Art. Jedenfalls hat es für sie in der Übersetzung wie Nacht-Acht geklungen, unsere frühere Heimat, und da haben sie wohl gedacht, das wäre ein gutes Omen.« »Ist ja gut, Bidu«, drang die hastige Stimme des Vaters durch. »Ich hab’s begriffen. Was machen wir nun?« »Du bist der Lord, du musst es wissen.«
»Ich weiß, ich weiß. Das war eine rhetorische Frage, Bidu Scherlaner. Ich werde… ich werde mir ein wenig die Füße vertreten gehen.« »Gehst du wieder zu diesem Berater, von dessen Existenz wir offiziell nichts wissen?«, fragte Bidu misstrauisch. »Pssst!«, kam es sofort zurück. »Erstens gibt es keinen solchen Berater, und zweitens… Ach, ich muss jetzt gehen. Ich melde mich, wenn ich dich wieder benötige.« Milos Herz hämmerte wie verrückt. »Mein Vater hat einen geheimnisvollen Berater?«, flüsterte er ergriffen. So schnell es ging, schob er seinen Körper durch den engen Schacht zurück. Das war gar nicht so einfach, da er sich weder umwenden noch eine Ritze oder Fuge ergreifen konnte, die ihm mehr Halt verliehen hätte. Also stützte er sich mit beiden flachen Händen ab und bewegte sich rückwärts. Milo schnaufte und keuchte. Die Flamme der Neugierde brannte in ihm so kräftig und hell wie lange nicht mehr. Er musste herausfinden, was das alles zu bedeuten hatte! Nach endlosen Sekunden stießen seine Füße gegen den Rahmen der Frischluftluke, durch die er in den Schacht eingedrungen war. Strampelnd und innerlich fluchend schob er sich heraus, füllte seine Lungen mit Luft und sah sich blinzelnd um. Auf dem großen Gemeinschaftsplatz vor dem Regierungspalast der Scherbenstadt wuselten Dutzende von Mom’Serimern umher, fanden sich zu Trauben zusammen und diskutierten mit dramatisch erhobenen Armen über dieses und jenes, zumeist über den nun offiziell beendeten Kampf gegen die Bedrohung durch die böse Superintelligenz KOLTOROC und deren Schergen. Milos Tentakel ringelten sich nervös, während er sich immer verzweifelter umschaute. Wie weit war sein Vater gekommen, während er sich durch den Schacht gekämpft hatte? Er kam sich vor wie beim Betrachten des Suchbild-Spiels Wo ist Crom?, bei dem man auf einem mit Tausenden von Mom’Serimern gefüllten Bild den legendären Lord Crom Harkanvolter finden musste. Milo schüttelte die unnötigen Gedanken ab, kniff die Augen zusammen und konzentrierte sich auf jene Mitglieder seines Volkes, die einzeln unterwegs waren.
Und dann sah er ihn! Der Vater hatte sich in einen alten, grauen Mantel gehüllt und schob sich gerade zwischen zwei goldenen Roboterhüllen hindurch, die man als optische Zierden am Rand des Versammlungsplatzes aufgebaut hatte. Milo hüpfte den Schlackehaufen hinunter und rannte über den Versammlungsplatz. Japsend wich er anderen Mom’Serimern aus und fing sich von ihnen etliche erstaunte Blicke ein. Bei den Mom’Serimern war es eine Tugend, in der kurzen Lebenszeit möglichst viel zu erleben und zu erreichen. Das war aber noch kein Grund, sich dermaßen zu verausgaben, schienen die Blicke ihm zu sagen. Sollen sie nur schauen, dachte Milo. Ich bin einem großen Geheimnis auf der Spur! Heftig schnaufend erreichte er die beiden goldenen Roboter, wetzte an ihnen vorbei und sah den grauen Mantel am Ende einer engen Gasse hinter einem verwegen aussehenden Gebilde aus Armaturen verschwinden. Milo hetzte durch die Gasse. Auf beiden Seiten wurden an kleinen Marktständen Mom’Serimer-Köstlichkeiten angeboten. Es roch verführerisch nach exotischen Gewürzen, Maschinenfett und einem Hauch von Minze. Milo bemerkte, dass er den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte, weil er am Morgen Informationen über die Soldaten der NACHT gesammelt hatte. Es war sein größter Wunsch, selbst zu einem Soldaten ausgebildet und vielleicht eines Tages wegen einer Heldentat in den Rang eines Offiziers befördert zu werden. Der kleine Mom’Serimer ignorierte die lockenden Düfte und beeilte sich, das Armaturengebäude zu erreichen. Wiederum kam er gerade rechtzeitig, um zu sehen, welchen Weg sein Vater einschlug. Auf einmal war Milo froh, dass der Vater mit seinen 19 Jahren nicht mehr der Jüngste war; sonst hätte er ihn höchstwahrscheinlich während seiner Verfolgung irgendwo verloren. Der Lord der Mom’Serimer blieb kurz stehen und blickte sich um – genau in die Richtung seines Sohnes.
Milo stieß einen erschrockenen Schrei aus und drückte sich ganz nahe an eine der Armaturen. Fast hätte er mich gesehen!, sagte er sich in Gedanken. Ich muss sorgfältiger sein! Remo Aratoster drehte sich weg und ging auf ein rot-weiß lackiertes Tor zu. »Die Rutsche zu den Zwischenböden!«, flüsterte Milo fasziniert. Wie alle Mom’Serimer hatte er zwar schon früh eine gesunde Neugierde entwickelt, es aber irgendwie geschafft, sein bisheriges Leben fast gänzlich auf dem Hauptboden der Scherbenstadt zu verbringen. Hier war er aufgewachsen, hier regierte sein Vater seit fünf Jahren als Lord, und hier wurde er von seinen Indoktrinatos in allem unterrichtete, was er für ein Leben als Mom’Serimer benötigte. Na ja, dachte Milo. In fast allem. Bisher hatten sie ihm beispielsweise den – nicht ganz unwesentlichen – Kniff nicht beibringen können, wie man Freunde fand. Oder wie man es vermied, sich vor lauter Scham in einen Schlackehügel zu verwandeln, wenn man unvermittelt von einem Fremden angesprochen wurde. Und wie man endlich in die erste geschlechtsreife Phase trat und von den Erwachsenen – und besonders von seinem Vater – als vollwertiges Mitglied des großen Volkes der Mom’Serimer anerkannt wurde. Milo schüttelte den Kopf, um die traurigen Gedanken abzuschütteln, und rannte auf das Tor zur Zwischenbodenrutsche zu. Nun folgte der schwierigste Teil der Verfolgung. Er musste unbedingt sehen, welchen Zwischenboden sein Vater anvisiert hatte, ihm sofort hinterher rutschen, es dabei aber vermeiden, direkt vor seinen Füßen zu landen. Vorsichtig lugte er um das rot-weiße Gestänge und sah dreißig Meter unter sich den grauen Mantel seines Vaters im Fahrtwind flattern. Eine grüne Rutschplatte! Milo eilte zum Verteiler und nahm sich ebenfalls eine grüne Platte. Während er die kleiner werdende Gestalt seines Vaters fest im Blick behielt, legte er die Platte auf die Starttafel, setzte sich in die leichte
Wölbung, schlüpfte mit den Schuhspitzen in die dafür vorgesehenen Halterungen und ergriff den Steuerhebel. Mit zusammengekniffenen Augen verfolgte Milo, wie sein Vater im grünen Zwischendeck angelangt war, sich erhob und die Zieltafel verließ. Der kleine Mom’Serimer holte tief Luft und drückte den feuerroten Startknopf auf dem Hebel. Aus einer Schulungseinheit der Indoktrinatos hatte er das Prinzip der Scherbenstadt-Rutschen kennengelernt: Sensoren ordneten anhand der Farbe der Platten deren Ziele zu und steuerten sie dann mittels der Luftdüsen an, welche in die Rutschböden eingelassen waren. Zischend erhob sich die Platte ein paar Zentimeter in die Höhe, glitt sanft auf die Kante der Starttafel zu, kippte langsam nach vorne… … und schoss mit irrem Tempo hinunter. Milo bekam vor Schrecken einen Schluckauf und klammerte sich mit aller Kraft am Steuerhebel fest. Ein Haltehebel!, dachte er. Weshalb heißt das Ding Steuerhebel, wenn man es nicht steuern kann? Geistesgegenwärtig schloss Milo beide Augen und hoffte, dass der Gegenwind bald abnehmen würde, der mit seinen Tentakeln anstellte, was er gerade wollte. Fünf endlose Sekunden später fühlte er, wie er sanft nach vorne gedrückt, der Wind schwächer wurde und die Rutschplatte schließlich zum Stillstand kam. Vorsichtig wandte er seine Tentakel suchend in alle Richtungen. Sie enthielten Ganglion-Ausläufer des Gehirns und… Erst dann öffnete er seine Augen, und sah sich blinzelnd um. Doppelt erleichtert seufzte er auf. Vater stand nicht, wie befürchtet, direkt vor ihm, sondern bewegte sich über den mit mächtigen Kabelsträngen gesäumtem Pfad auf einen der Außenbereiche der Scherbenstadt zu. Was will er so weit draußen? Mit etwas zittrigen Knien erhob Milo sich von seiner Platte. Sie bewegte sich selbstständig auf ihrem Luftkissen zur Seite der Rut-
sche, um dort geduldig auf den nächsten Passagier zu warten, den sie auf dem Antigravband nach oben befördern würde. Milo beachtete sie nicht weiter und eilte seinem Vater nach. In diesem Teil der Scherbenstadt hatten sich die ersten Mom’Serimer-Generationen der SOL ganze Höhlensysteme gegraben und darin ihre Wohnnischen eingerichtet. Die Arbeiten waren damals nach mehreren Unfällen zum Erliegen gekommen. Energiespeicherbänke waren inmitten der Schlacke- und Aggregatschrottberge explodiert, während sich Mom’Serimer daran zu schaffen gemacht hatten. Aus diesem Grund war der grüne Sektor derjenige, den die Bewohner der Scherbenstadt am wenigsten verändert hatten. Argwöhnisch schielte Milo auf die Hügel aus Metallschrott, Kabelbäumen und zerborstenen Apparaturen. Metallsalze hatten sie im Laufe der Zeit zu farbigen Kunstwerken umgewandelt. Rostrot und Giftgrün dominierten, dazwischen gab es aber auch gelbe und blaue Flecken. Und diese… Milo hielt sich die beiden Riechöffnungen unterhalb der flachen Nase zu. Hier stinkt es!, dachte er angeekelt. Vor seinem inneren Auge sah er Heerscharen von Ungeziefer, die in den Schrotthügeln nach Futterquellen suchten. Im Gegensatz zu dem ihm bekannten Teil der Scherbenstadt, der von den Mom’Serimern äußerst sauber und sehr behaglich – manche sagten sogar romantisch – eingerichtet worden war, barg der grüne Sektor nicht viel Wohnlichkeit. Dafür… Milo nahm die zierliche Hand von den Riechöffnungen und schnupperte erneut. Hatte er sich getäuscht? War vielleicht gerade das, was er als Gestank wahrgenommen hatte, in Wirklichkeit etwas ganz anderes? Der Duft des Abenteuers! Das musste es sein! Er konnte sich schlicht nicht vorstellen, dass historische Mom’Serimer-Helden wie Shoy Carampo, Mirk Unamato, Crom oder Trest Harkanvolter bei ihren Abenteuern nur wohlriechende Gerüche wahrgenommen hatten. Entdecker und
verwegene Krieger hatten stets mit Gestank zu kämpfen, da war er sich auf einmal sicher. Milo war von seiner neu gewonnenen Theorie dermaßen begeistert, dass er beinahe übersehen hätte, wie Remo Aratoster erneut stehen blieb, sich umsah und dann in einer Seitengasse verschwand. Mit verräterisch laut pumpendem Herzen lugte Milo über den Rand eines Abfallcontainers, hinter den er sich geistesgegenwärtig geworfen hatte. Hatte ihn sein Vater doch gesehen? Milo schüttelte den Kopf. Diese Überlegung war im Moment nebensächlich. In erster Linie galt es, die Spur nicht zu verlieren. Vielleicht wartete er ja bereits in der nächsten Seitengasse auf ihn, hielt ihm eine Standpauke und schickte ihn zurück. Dann wäre das Abenteuer beendet – genauso, als wenn er die Gasse leer vorgefunden hätte. Sie war es nicht. Milo blieb seinem Vater mit einem genügend großen Sicherheitsabstand auf den Fersen, folgte ihm durch verschlungene Pfade zwischen unübersichtlichen Ansammlungen aus Technikschrott hindurch, die – je länger die Schnitzeljagd dauerte – mehr und mehr von Mom’Serimer-Hand unberührt aussahen. Plötzlich verhielt sein Vater, sah sich wieder verstohlen um und zwängte sich dann durch eine kleine Öffnung eines aus zerflossener Schlacke und Plastikteilen bestehenden Hügels. Die Aktion hatte nur wenige Sekunden gedauert. Argwöhnisch näherte sich Milo der Stelle, an der sein Vater verschwunden war. Er fand eine kleine Luke aus Stahl und Glassit, durch die ein Mom’Serimer knapp hindurch schlüpfen konnte. Sie war wie der Rest der Trümmerwelt von Schmutz beschlagen. In ihrer Mitte prangte der vierfingrige Abdruck einer Mom’Serimer-Hand. Unschlüssig blieb Milo stehen. Sollte er seinem Vater auch hier hinein folgen? Er war sich ziemlich sicher, dass er gerade die Wohnhöhle dieses geheimnisvollen Beraters gefunden hatte, bei dem der Lord Hilfe suchte. Milo drückte seinen rechten Gehörgang und beide vibrationsempfindlichen Tentakel an die Luke und versuchte dadurch etwas davon
zu erhaschen, was sich im Innern der Wohnhöhle abspielte. Dumpf vernahm er zwei Stimmen. Eine musste zu seinem Vater gehören. Ganz sicher war er aber nicht, da nur ein dumpfes »Mmm-mmmm-mm« bis zu ihm durchdrang. Der kleine Mom’Serimer starb beinahe vor Neugierde. Nun war er diesem großen Geheimnis so nahe gekommen und verstand doch nicht, worüber gesprochen wurde! Plötzlich wurde das eine »Mmm-mmm!« abrupt lauter. Milo gelang es im buchstäblich letzten Moment, sich hinter einem wie ein Messer aufragenden Metallteil zu verstecken, bevor die Luke aufgeworfen wurde und sein Vater mit einem ziemlich zerknitterten Mantel auftauchte. »Der hat doch nicht mehr alle Tassen und Schränke!«, schimpfte Remo Aratoster. Mom’Serimer waren Meister darin, fremde Redewendungen aufzunehmen, aber in diesem Fall war sich Milo ziemlich sicher, diesen Ausdruck in leicht anderer Ausführung in einer Sendung von SOLtv gehört zu haben. »Eine Oliumpaiade«, schnatterte der Vater weiter, während er sich langsam von Milos Standort entfernte. »Wer’ kommt schon auf eine solch idiotische Idee?« Milo schielte verstohlen über die Oberkante seines Verstecks. Sein Vater ging den Weg zurück, über den er nur wenige Minuten zuvor gekommen war. »Da rollen sich mir ja die Tentakel auf«, hörte er die leiser werdende Stimme seines Vaters. »Eine Oliumpaiade!« Milo erhob sich und sah seinem Vater nach, wie er zwischen zwei mächtigen staubig-grauen Schrotthaufen verschwand. Der kleine Mom’Serimer hatte das Wort, das sein Vater zweimal ausgerufen hatte, noch nie zuvor gehört. Er wusste nur, dass es irgendwo einen Planeten gab, der einen ähnlichen Namen hatte; das wusste er noch von seinem Unterricht über die Besonderheiten der Milchstraße, woher die Terraner stammten. Was sich hinter einer Oliumpaiade verbarg, das wollte sich ihm aber nicht erschließen. Dafür gab es ein anderes Rätsel, das er lösen konnte!
Wie auf zerbrechlichen Eiern gehend, näherte er sich der Luke, betrachtete sie einen Moment, als ob er sie hypnotisieren wollte, und schlüpfte dann kurz entschlossen hindurch. Kaum hatte sie sich hinter ihm geschlossen und seine Augen sich an das Halbdunkel eines knapp anderthalb Meter hohen Ganges gewöhnt, hörte er eine angenehm dunkle Stimme. »Komm herein, mein Kleiner. Ich habe uns einen Kessel Wasser bereitgestellt.« Im ersten Reflex wäre Milo gern auf dem Absatz umgekehrt und seinem Vater in Richtung Zentrum der Scherbenstadt gefolgt. Aber er nahm sich zusammen und tat vier Schritte, bevor der Gang abknickte und zu dem ersten Raum einer Wohnhöhle führte. An einem kleinen Tisch saß ein Wesen. Vor ihm dampfte ein schwarzer Metallkessel, der einen verführerisch süßen Duft verströmte. Milo fühlte sich, als ob sich eine eiskalte Hand um sein Herz legte und langsam zudrückte. Das Wesen war ein Mom’Serimer, das stand außer Frage. Dennoch hatte Milo noch nie einen Artgenossen gesehen, der auch nur annähernd dem vor ihm sitzenden Exemplar geglichen hätte. Mit offenem Mund starrte er ihn an. »Ich hatte dich mir ein wenig gesprächiger vorgestellt«, sagte die Kreatur mit einem freundlichen Lächeln, das seine Gesichtshaut auf eine abartige Weise verzog. »Wie nennst du dich, mein Kleiner?« »Mi… mi… mi«, stotterte er. »Mimimi?«, fragte der andere, während sich das Spottlächeln weiter vertiefte. »Milo«, sagte Milo und kam sich dabei ziemlich dumm vor. Zwischenspiel Fee Kellind Sie griff zu ihrer Haarbürste, besprühte sie mit einem Mikrofaserlack und legte ihr langes, hellblondes Haar mit exakten Drehbewegungen an den schlanken Nacken. Der Lack verfestigte sich innerhalb von wenigen Sekunden. Durch dessen Mikrofaserstruktur be-
hielten die Haarsträhnen dennoch ihre lebendige Spannkraft und fügten sich zusammen wie ein in der Morgensonne glitzernder Wasserfall. Fee blickte prüfend in den Spiegel, fuhr kurz mit dem Puderpinsel über die Wangen, entschied sich für einen sanften Lidstrich, der ihre wasserblauen Augen umso wirksamer betonen würde, verstärkte den Eindruck durch ein howalgoniumblau schimmerndes Mascara, konturierte die fast unmerklich wellenförmigen Augenbrauen und betrachtete lächelnd ihr Spiegelbild. Niemand sah Fee das Alter von 93 Jahren an, von denen sie allerdings 13 beim Sprung aus dem 20 Millionen Jahre in der Vergangenheit liegenden PULS von Segafrendo eingespart hatte. Selbst mit ihren biologischen 80 Jahren konnte sie es in puncto Makellosigkeit mit jeder Dreißigjährigen aufnehmen. Fee wusste, dass sie von vielen Besatzungsmitgliedern wegen ihres klassisch-skandinavischen Aussehens als geradezu übernatürlich schön angesehen wurde. Diesbezügliche Komplimente ignorierte sie mit souveräner Gelassenheit. Äußere Schönheit war selbst im vierzehnten Jahrhundert NGZ ein kostbares Gut. Obwohl man ihr medizinisch und kosmetisch nachhelfen konnte, blieben diese Bemühungen oftmals Stückwerk. Körper und Geist bildeten immer eine Einheit – eine Veränderung des einen führte stets zu einer Reaktion des anderen Teils. Solange es Fee Kellind gelang, zu ihrer Truppe auf einer gesunden sozialen Distanz zu bleiben, stand es niemandem zu, über ihr Innenleben ein Urteil zu fällen. Und solange dies der Fall war, nahm sie auch keine Komplimente über ihr Äußeres entgegen. »Fee«, erklang die sanfte Stimme des Zimmerservos. »Du hast einen Besucher.« Die Kommandantin der SOL runzelte die Stirn. Niemand der Crew würde es wagen, sie in ihrem Allerheiligsten besuchen zu wollen. Allenfalls einer der Zellaktivatorträger, doch die würden sich über die persönliche Interkom-Verbindung direkt an sie wenden und nicht unvermittelt vor ihrer Tür auftauchen. »Wer ist es?«, fragte sie. »Der Lord der Mom’Serimer, Remo Aratoster.«
Ein absolutes Novum. Der Lord hatte sich bisher meist durch seinen designierten Nachfolger Zeran Tronale vertreten lassen oder den Meldeläufer geschickt, wenn er mit der Schiffsführung hatte in Kontakt treten wollen. »Bitte ihn in den Eingangsbereich und biete ihm etwas zu trinken an!«, befahl sie dem Servo. »Ich werde in einer Minute zu ihm stoßen.« Sie war sich des Umstands bewusst, dass die Mom’Serimer in den vergleichsweise kurzen zwanzig Jahren ihres Lebens um buchstäblich jede Sekunde kämpften, die sie sinnvoll ausnutzen wollten. Man tat sich selbst keinen Gefallen, einen Mom’Serimer warten zu lassen. Fee besprühte sich mit einer schnell einziehenden Körperlotion, zog einen Hauch von Unterwäsche an und wählte eine weiße Freizeitkleidung, die sich aus einem engen Top und leichten Leinenhosen zusammensetzte. Dann schlüpfte sie in Sandalen, die sich selbstständig verschnürten, und warf dem Spiegel einen letzten Kontrollblick zu. Sie verließ die Wellness-Zelle, eilte durch das Schlaf- und Wohnzimmer und gesellte sich zu dem ranghöchsten Mom’Serimer, der nervös vor dem großen Holobildschirm, auf dem gerade die aktuelle SOLtv-Sendung ausgestrahlt wurde, auf und ab ging. Fee fiel auf, dass er nicht die offizielle Kleidung des mom’serimischen Lords trug, nämlich eine dunkelblaue Kombination mit schwarzem Umhang, sondern eine braune Jacke, lindgrüne Hosen und darüber einen schmutzig-grauen Mantel. Wie es schien, hatte er sich kurzfristig zu seinem Besuch entschlossen. »Lord Remo Aratoster!«, begrüßte sie ihn mit einem strahlenden Lächeln. »Womit habe ich die Ehre eines persönlichen Besuchs verdient?« »IchbenötigeeinenÜberblicküberdieaktuelleSituationunddarüberhi nauseineHilfestellunginderErklärungeinesterranischenBegriffes«, kam es wie aus einer Transformkanone im Salventakt abgefeuert. »Langsam, langsam«, wehrte Fee freundlich, aber bestimmt ab. Sie deutete auf zwei Sessel, die von Mursia-Sträuchern umsäumt wurden. »Weshalb setzen wir uns nicht hin, und du wiederholst noch einmal in Ruhe deinen Wunsch?«
»Zum Hinsetzen habe ich leider keine Zeit, Kommandantin Kellind«, sagte das nur 120 Zentimeter große Wesen. Die Worte sprudelten nach wie vor in der charakteristisch hektischen Redeweise seines Volkes aus dem schmallippigen Mund. Er gab sich aber Mühe, zwischen den Worten für das menschliche Gehör wahrnehmbare Pausen einzulegen. »Ich sagte, dass ich einen Überblick über die aktuelle Situation und darüber hinaus eine Hilfestellung für das Verstehen eines terranischen Begriffes benötige.« »Nun«, erwiderte Fee. Sie streckte den rechten Arm aus und nahm ein mit zusätzlichem Sauerstoff angereichertes Wasser von dem kleinen schwebenden Servo-Roboter. »Heute schreiben wir den 30. November 1347 NGZ. Die SOL ist im Hangar des GESETZ-Gebers CHEOS-TAI geparkt, zusammen mit den anderen Einheiten rund um Perry Rhodan. Seit exakt 83 Minuten befinden wir uns auf der Rückreise in die heimatliche Milchstraße, die wir in weniger als 30 Stunden erreichen sollten.« »Ja, ja«, wurde sie von Lord Remo Aratoster ungeduldig unterbrochen. Mit dem etwas kürzeren Mittelfinger der rechten Hand, den er selbst als verkrüppelt bezeichnete, deutete er kurz auf den Holobildschirm. »Das wissen wir doch alles. Mich interessiert, ob es für die Armee der Schatten oder Armee der NACHT, wie wir sie ebenfalls zu nennen pflegen, irgendwelche Einsatzmöglichkeiten gibt!« Fee Kellind breitete bedauernd die Arme aus. »Es gibt keine Anzeichen, dass die tapferen Mom’Serimer-Soldaten während der Rückreise gebraucht würden.« »Du musst mir keinen Honig oder Bart anrühren«, sagte der Mom’Serimer schnell. Wie es schien, war er nicht mit allen terranischen Redewendungen detailgetreu vertraut. »Diese Antwort habe ich allerdings befürchtet, deswegen muss ich wohl oder übel auf einen Rat zurückgreifen, der mir von… ach, das tut nichts zur Sache.« »Ich soll dir beim Verstehen eines terranischen Begriffes behilflich sein.« »Ganz genau, Fee Kellind«, sagte der Lord. »Was ist eine Oliumpaiade?«
Fee legte den Kopf leicht schräg und blickte ihn fragend an. »Eine was?« »Eine Oliumpaiade!« Fee genehmigte sich einen Schluck Oxyaqua. »Du sprichst von einer Olympiade.« »Ja, ja. Hab ich doch gesagt, eine Oliumpaiade. Die Soldaten der NACHT und viele andere Mom’Serimer müssen dringend beschäftigt werden. Deshalb will ich, dass sie an einer solchen Veranstaltung teilnehmen, das soll gut sein, um überflüssige Energie loszuwerden und zu oliu…. na, zu Ruhm zu kommen.« »Ein großer Teil deines Volkes leidet an Unterbeschäftigung?«, fragte Fee nach. »Dann wäre eine Olympiade in der Tat eine gute Idee.« »Sagichdoch, sagichdoch«, sagte der Lord und trat von einem Bein auf das andere. Die Unterhaltung schien ihm schon wieder viel zu lange zu dauern. »Hilfst du mir dabei?« Seit die Mom’Serimer vor dem drohenden Erlöschen der NACHT an Bord des Fernraumschiffes übersiedelten, hatte sich ihre Anzahl von 95.000 auf aktuell knapp 200.000 mehr als verdoppelt. Fee Kellind sah vor ihrem inneren Auge Heerscharen der liebenswerten, aber sehr zappeligen Wesen auf der Suche nach Abenteuern die SOL unsicher machen. »Ich werde dir helfen, Lord Remo Aratoster«, sagte sie. »Allerdings nicht persönlich – Steph LaNievand wird sich der Angelegenheit annehmen.« . »Oh, der Walfisch?« »Der Oberstleutnant für spezielle Aufgaben und Direktor der SOL-Akademie«, korrigierte Fee, die für den Spitznamen des ehemaligen TLD-Agenten nicht viel übrig hatte. »Sehr gut«, sagte der Lord und wandte sich ab. »Dann werde ich im Scherbenstadt-Palast auf ihn warten. Vielen Dank und bis…« Das letzte Wort hörte Fee Kellind schon nicht einmal mehr, da sich die automatische Tür bereits hinter dem Oberhaupt der Mom’Serimer geschlossen hatte. Fee lächelte leicht und wählte über den Interkom die Kennung von Steph LaNievand. Zwölf Sekunden später sah ihr das etwas verschlafen wirkende Gesicht des Oberstleutnants entgegen. Es wurde
von dem beeindruckenden Schnauzbart dominiert, der für seinen Spitznamen ausschlaggebend war. Er erinnerte sie allerdings mehr an einen Seelöwen als an einen Walfisch. Aber wer an Bord eines Fernraumschiffes im fünfzigsten Jahrhundert alter terranischer Zeitrechnung war schon in der Lage, diese beiden selten gewordenen Säugetiere auseinanderzuhalten? »Kommandantin!«, sagte er mit kratziger Stimme. Quer über seine linke Wange hatte sich die Naht eines Kissens oder eines Ärmels eingegraben, und sein blonder Haarschopf erinnerte an einen explodierten Strohballen. »Womit kann ich dir dienen?« Fee blickte ihn mit einem verschmitzten Grinsen an, das alle Alarmglocken in dem für seine ausgiebigen Vor-, Mittagsund Nachmittagsschläfchen berüchtigten Terraners auslösen musste. »Du wirst lachen, wenn du erfährst, welche ehrenvolle Aufgabe du während des Fluges übernehmen darfst.« »Moment mal, Chefin. Du sprichst mich jetzt aber nicht an in…« »… deiner Funktion als Direktor der SOL-Akademie, ganz genau!« Aus seinem breiten Gesicht wich alle Farbe. »Ich hab’s befürchtet«, sagte er kraftlos. 2. Ein Rätsel namens Seramir Gesunde Mom’Serimer besaßen eine zartrosafarbene Haut, die sich straff über den Schädel zog und am Hals so faltig war, dass man denken konnte, sie wäre ursprünglich für die doppelte Halslänge vorgesehen gewesen. Das Gesicht bestand aus zwei leicht schräg stehenden und meist braun-grün gesprenkelten Augen, einer kleinen, flach herausstehenden Nase, unter der sich die beiden Öffnungen für die Riechsensoren und der kleine, schmallippige Mund befanden. Hinter den Augen, oberhalb kleiner Ohröffnungen, traten die beiden Gehirntentakel hervor, die bis zu 60 Zentimeter lang werden konnten und die Mom’Serimer nicht nur beim Gestikulieren, sondern auch beim Wahrnehmen unterstützten. Hierbei handelte es sich
um Knorpelfortsätze des Schädels, die stark durchblutete Ganglion-Ausläufer des Gehirns enthielten und vibrationsempfindliche Rezeptoren darstellten. Besonders die Sache mit den Gehirn-Ausläufern hatte Milo während seines Indoktrinato-Unterricht stets fasziniert, war »Ganglionen« doch so ein hübsch kompliziertes Wort! Zudem kam den Gehirntentakeln bei der mom’serimischen Geschlechtsreife eine wichtige Rolle zu. Sobald sich die Natur entschieden hatte, in welches Geschlecht sich ein Mom’Serimer wandeln würde, dominierte einer der Tentakel: der linke bei einer Frau und der rechte bei einem Mann. Aus diesem Grund blickte er nun umso schockierter auf das Wesen vor ihm. Was er da sah, war einfach… unnatürlich! Das Wesen – der Mom’Serimer – war eindeutig alt. Die zahllosen Falten und Runzeln verrieten es deutlich. Doch wenn die Haut »normaler« Alter gegen Ende ihres Lebens immer mehr ausbleichte, stumpf und trocken wurde, so schien dieser Mom’Serimer schon einen Schritt weiter zu sein. Seine Haut hatte ein ledriges, violett-graues Aussehen angenommen. Das wäre nicht einmal so schlimm gewesen. An andere Gesichtsfarben konnte man sich gewöhnen, fand Milo. Nein, ihn schockten vor allem zwei Dinge beim Aussehen dieses… Greises. Seine Augen. Ganz dunkel und tief waren sie, wie endlose Schächte. Bodenlos, unergründlich. Ein, zwei schimmernde Reflexe bildeten die einzigen Anzeichen dafür, dass sie überhaupt von Leben erfüllt waren. Milo fühlte sich wie von ihnen eingesaugt, hinuntergezogen, versenkt. Selbst das leicht spöttische Lächeln, das sich von seinem Mund her ausbreitete und die gesamte Kopfhaut beschäftigte, konnte den Ausdruck von unermesslicher geistiger Tiefe nicht brechen. Milo schluckte und nahm den Blick in mühevoller Anstrengung von den Schächten und betrachtete die fliehende Stirn des Wesens. Was sich dort erhob das war die eigentliche Unmöglichkeit, die dieses Wesen auszeichnete. Neben den beiden violett-grauen, wie Instrumentennadeln zitternden Tentakeln erhoben sich dort zwei weitere Gehirnfortsätze. Sie
glichen den untersten zwanzig Zentimetern normaler Gehirntentakel, und Milo zweifelte nicht einen Moment daran, dass sie ebenfalls Ganglion-Ausläufer des Gehirns beinhalteten! »Du… du«, stammelte er, ohne dass er eine Frage oder eine Antwort auf der Zunge hatte. »Wie es scheint, war dein väterlicher Erzeuger sparsam in der Weitergabe seiner Kommunikationsgene«, sagte der Alte. Wieder verspannte sich seine Gesichtshaut in einem spöttischen Lächeln. Seine Stimme klang dunkel und tief keine Spur von der arttypischen Schnelligkeit. »Ich… ich…« Milo starrte wie hypnotisiert auf die Tentakelstummel, die sich träge abknickten und wie ein paar Strahlerläufe auf ihn richteten. »Du darfst auch gern eine Frage stellen, Milo,« Der junge Mom’Serimer schüttelte kurz den Kopf, versuchte sich zu fassen, holte tief Luft und fragte dann: »Was bist du?« »Oh«, sagte der Alte. »Eine große und auch etwas unanständige Frage. Wäre es nicht freundlicher gewesen, die Frage nach dem Wer und nicht dem Was zu stellen?« Verwirrt kringelten sich Milos Tentakel. »Wie? Was?« »Eben nicht! Wer bist du? oder Wie heißt du? wären passende Fragen gewesen, und nicht eine, die impliziert, dass du einen als etwas anderes als einen echten Mom’Serimer ansiehst.« Milo schüttelte abermals den Kopf, um die verwirrenden Gedanken wegzuwischen, die ihn davon abhielten, die Worte des Fremden nicht nur zu hören, sondern zu verstehen. Stumm blickte er sein um zwei Tentakelbreiten kleineres Gegenüber an, nicht fähig, etwas Sinnvolles von sich zu geben. Zitternd neigten sich die Haupt-Hirntentakel des Alten zur Seite und pendelten traurig an der Kopfseite hinab. »Du hast keine Ahnung, wovon ich eben gesprochen habe, nicht wahr?« Milos Mund schloss sich wieder. Er hätte grundsätzlich Mühe, mit Fremden zu sprechen – und sein Gegenüber war sogar noch fremder als fremd.
Der Alte seufzte. »Nun gut, dann werden wir erst mal Tee trinken. Ich werde dir eine Blattspitze Minze hinzufügen, die sollte dich kommunikativ wiederbeleben.« Milos Tentakel schossen erschrocken in die Höhe. »Keine Minze, bitte!«, rief er. »Die sind der Keim des Bösen, haben sogar die Helden der NACHT in Bedrängnis gebracht!« Der Alte lächelte fein. »Man hat ja schon vieles gehört über die Wunder, welche diese Minzepflanze vollbringen kann, doch eine Wunderheilung eines Halbstummen, das war einem neu.« »Einem?« »Manche bezeichnen einen als sich«, sagte der Greis, während er sich umwandte, einen Schemel, hervorzog und mit seiner rechten, vierfingrigen Hand darauf klopfte. »Setz dich, Kleiner. Gleich wirst du den besten Tee trinken, den du je in deinem Leben gehabt hast.« »Ich… ich…« »Geht das schon wieder los? Da denkt man…« »Ich bin nicht klein«, brachte Milo endlich heraus. »Jedenfalls nicht kleiner als du! Und ich habe noch nie Tee getrunken, also wird es gleichzeitig mein abscheulichster Tee sein, den ich je in meinem Leben gehabt habe.« »Setz dich!«, befahl der Alte mit plötzlicher Kälte in der Stimme. Milo zuckte zusammen und setzte sich augenblicklich auf den mit einem weichen Kissen versehenen Schemel. »So ist’s gut.« Der Alte lächelte nun A noch intensiver, und die Stimme besaß wieder den dunklen, warmen Klang von zuvor. »Nachdem du endlich aufgetaut bist, werden wir in Ruhe zusammen Tee trinken und uns unterhalten. Man nennt einen übrigens Seramir.« Der junge Mom’Serimer kniff das linke Auge zusammen und sah den Alten mit dem anderen an. »Man nennt dich Seramir?«, hakte er nach. »Ganz recht.« »Ist das ein Vor- oder ein Nachname?« »Was denkst du denn?« Milo dachte kurz nach. »Seramir«, sagte er sinnierend. »Für einen Vornamen ist er zu lang und für einen Nachnamen zu kurz.«
Seramir klatschte in die Hände. »Sehr gut kombiniert, Milo Aratoster!« »Nun?« »Nun was?« »Ist es ein Vor- oder ein Nachname?«, fragte Milo nochmals. »Du hast die Antwort doch schon gegeben!« Milo sah den Alten sekundenlang sprachlos an. Dann kam ihm eine Idee. »Es ist weder ein Vor- noch ein Nachname?«, fragte er mit sehr dünner Stimme. Erneut klatschte Seramir in die Hände. »Der Kandidat erreicht die volle Punktzahl und erhält eine Tasse Tee!« Milo wurde das ständige Wechselbad der Gefühle zu viel, aber der Alte faszinierte ihn. Also blieb er sitzen und wartete geduldig darauf, dass ihm sein Gastwirt den frisch gebrühten Tee servierte. »Zuerst hat man sich ein wenig Sorgen gemacht«, sagte Seramir im Plauderton. »In dir scheint aber tatsächlich etwas zu stecken, junger Aratoster. Wenn man sich schon eines Schülers annimmt, ist es von Vorteil, wenn dieser kein kompletter Luftikus ist. Man will ja schließlich auch etwas davon haben.« Hilflos ringelten sich Milos Hirntentakel. Die Verwirrung in seinem Kopf hätte in diesem Moment größer nicht sein können. »Ein Schüler?«, echote Milo. »Ich soll dein Schüler sein?« »Ganz genau. Wäre es dir recht, wenn man dir alles zweimal sagt? Dann musst du nicht jedes Mal nachfragen.« »N… nein. Du musst mir nicht alles zweimal sagen, ich habe nur… Nun…« »Nun?« »Ich bin fast acht Jahre alt!«, sprudelte es aus Milo heraus. »Ich brauche keinen neuen Indoktrinator mehr.« »Du bist fast acht Jahre alt? Menschliche Jahre – lass mich kurz nachrechnen, das wären dann… um die 90 Segaf!« Milos Gehirntentakel verflochten sich ineinander. Er wusste selbstverständlich, dass die Mom’Serimer früher in Seg und Segaf gerechnet hatten, doch er hatte noch nie von einem Artgenossen gehört, der von einem ins andere System umrechnen konnte. »Vielleicht«, sagte er langsam.
»Und du gehst noch keiner sinnvollen Tätigkeit nach?« »Äh… nein«, bekannte Milo kleinlaut. Der Schmerz über die Nichtberücksichtigung als Soldat der NACHT trat wieder hervor. Nun – eigentlich war es nicht ganz so gewesen. Er hatte sich schlicht nicht getraut, sich bei den Kontaktstellen zu bewerben. Er hatte zwar einmal einen Verbindungs-Mom’Serimer angesprochen, ihn aber nur über allgemeine Dinge ausgefragt und war dann buchstäblich geflüchtet, weil er die über allem stehende Frage nicht aussprechen konnte. »Darf ich ein Soldat der NACHT werden?« Später hatte er dann seinem Vater geglaubt, der ihn stets noch als kleines Kind ansah und nicht wollte, dass er auf eigenen Füßen stand. Andere Mom’Serimer zogen meist mit fünf, allerhöchstens sechs Jahren von zu Hause aus. Milo Aratoster war und blieb ein Nestsitzer. »Träumst du?«, fragte eine dunkle Stimme. Milo zuckte zusammen, blinzelte mehrmals und blickte in Seramirs grauviolettes Gesicht. »Äh… nein.« »Dann weiter im Text: Hast du schon einmal etwas Nützliches für die Gemeinschaft vollbracht?« Milo blickte traurig in die Dampfschwaden, die sich aus seinem Tee erhoben und um seine Nase strichen. »Nein«, murmelte er. »Das hab ich noch nicht.« »Bist du denn schon geschlechtsreif?« Milos Blick ruckte hoch. Es gab nur ein Thema, das ihn mehr beschäftigte, als kein Soldat der NACHT geworden zu sein: seine immer noch auf sich warten lassende erste Geschlechtsphase. Er hatte zwar keine Ahnung, wie er mit seiner umfassenden Scheu überhaupt je einen Partner finden würde, mit dem er Nachwuchs zeugen könnte. Aber die meisten Mom’Serimer bekamen mit sieben bereits ihre ersten Nachkommen, teilweise schon mit sechs. Und er? Beschämt ringelten sich die Gehirntentakel über seine brennenden Augen. »Noch keine Spur davon«, sagte er kleinlaut. »Gut!«, antwortete der Alte. »Oder eben nicht gut. Aber nun wissen wir, was und wohin wir wollen!«
»Du willst mir all das beibringen?«, fragte Milo misstrauisch. »Wie man ein nützliches Mitglied der Gesellschaft wird oder eine Heldentat vollbringt oder einen Partner findet… kann man dir nicht einfach so zeigen.« Seramirs Gehirntentakel richteten sich zitternd auf und schlossen sich an den Spitzen zu einem undeutlichen Kreis zusammen. »Aber die Grundlagen, die kann man dir vermitteln«, schloss er mit einem Zwinkern. Milo sog nachdenklich Luft ein. »Abgemacht«, sagte er dann. Zwischenspiel Fee Kellind Fee verließ den Fußweg und zog ihre leichten Bordschuhe aus. Barfuß betrat sie die Blumenwiese, schloss die Augen und genoss die Wärme des natürlich wirkenden Sonnenlichts. Der herb-süßliche Duft der Pflanzenwelt stieg wohlig in ihre Nase. Ohne die Augen zu öffnen, ging sie weiter und strich mit ihren Fingern über die Blütenkelche und Gräser. Sie hörte das Summen von Insekten, glaubte das Zwitschern von weit entfernten Vögeln zu vernehmen – und war dies vielleicht das Plätschern eines Wasserfalles? Fee seufzte und öffnete die Augen. So schön und idyllisch die Ausflüge in die Erholungslandschaften der SOL waren, sie würde sich nie mehr an das Leben auf einem Planeten gewöhnen können. Auch das hatte sie der Aufenthalt auf Ultrablau gelehrt. Der Planet, auf dem sie sich von ihrem Sohn Arlo hatte trennen müssen. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, besuchte sie die Erholungslandschaft nur deswegen, weil sie sonst keine Möglichkeit hatte, von Arlo zumindest symbolisch Abschied zu nehmen. Sicher, sie hätte Fotos von ihm anschauen können, Holovideos von ihm und seiner kleinen Familie abspielen, die Kabine besuchen können, in der er einst gelebt hatte. Diese war aber längst an ein anderes Besatzungsmitglied gegangen, und Bilder und Videos konnte sie noch bis an ihr Lebensende ansehen.
Arlo hat sich für seine Familie und den Planeten entschieden. Er war schon immer dickköpfig gewesen, und alle Bemühungen Fees, ihn umzustimmen, waren erfolglos geblieben. Sie konnte sich noch gut an den Moment erinnern, als die SOL die Startvorbereitungen aufgenommen und Ronald Tekener ihr angeboten hatte, für eine halbe Stunde von ihrem Dienst freigestellt zu werden, um ein letztes Mal mit Arlo sprechen zu können. Sie hatte nur den Kopf geschüttelt und gesagt: »Mein Platz ist hier in der Zentrale. Ich bin für die Besatzung der SOL und das Schiff verantwortlich. Wer von den Solanern es möchte, kann jederzeit an Bord kommen.« Mit jedem Wort, das über ihre Lippen gekommen war, hatte sich die Eiseskälte weiter in ihr ausgebreitet. Eiseskälte… Fee lächelte wehmütig. Ihr Sohn hatte in der Stadt U’Hartu einen Betrieb aufgebaut, der sich auf die Herstellung von Ski- und Schlittschuhen spezialisierte. Bei Ultrablau handelte es sich um einen ziemlich kühlen Planeten. Unter den heimischen Kartanin und den neu hinzugekommenen Solanern hatten Schnee- und Eisaktivitäten bislang keine große Rolle in der Freizeitgestaltung gespielt. Das hatte sich dank ihres Sohnes grundlegend geändert; die Sportgeräte fanden reißenden Absatz. Fee seufzte im Angesicht ihrer Erinnerungen. Sie hatte den Blick aus Teks dunklen Augen nie mehr vergessen. Wie er sie damals angesehen hatte, nachdem sie seinen Vorschlag abgelehnt hatte. Ronald Tekener war als harter Spieler verschrien, als gefühlloser Taktiker und kompromissloser Agent. In diesem Moment hatte er durch und durch menschlich reagiert. Fee wünschte sich, dass sie dies von sich auch hätte sagen können. Dass sie damals die Gelegenheit wahrgenommen und sich richtig bei Arlo, seiner Frau Eane und ihrem kleinen Enkel Will Kellind-Ellund verabschiedet hätte. Richtig. Korrekt. Den Vorschriften gemäß. Fee tat alles, um nach diesen Werten zu leben. Und doch gab es immer wieder Momente, in denen sich diese Begriffe in ihr pures Gegenteil verkehrten. In denen aus Recht Verfehlung wurde, aus der Ordnung das Chaos entsprang und eine Mutter ihrem Kind den Rücken zuwandte.
»Fee«, erklang die Stimme des Bordrechners SENECA. »Ich will dich nur kurz darauf aufmerksam machen, dass jemand auf dem Weg zu dir ist.« Die Kommandantin der SOL schüttelte ihre Erinnerungen ab wie Schneeflocken, die sich in den Haaren verfangen hatten. Sie hatte noch alle Zeit der Welt, um die Vergangenheit zu analysieren. »Wer ist es?« Fee straffte sich. »Warte! Lass mich raten: der Lord der Mom’Serimer, Remo Aratoster!« »Deine Kombinationsgabe ringt mir höchsten Respekt ab«, antwortete SENECA trocken. »Mir schwant Übles«, gab Fee zurück. »Ich werde mir wahrscheinlich schon bald wünschen, ich hätte mich geirrt.« »Das wüsste ich aber«, gab SENECA seinen legendären Spruch ab, der mittlerweile in jedem Lexikoneintrag zur SOL zu finden war. »Hier kommt er.« Das Schott, das die Erholungslandschaft vom Antigravlift abtrennte, öffnete sich zischend. Der höchste Mom’Serimer trat in das helle Licht, zuckte wie von einem Schlag getroffen zusammen und beschattete seine für die Dunkelheit geschaffenen Augen mit beiden Händen. Mehr torkelnd als gehend kam er auf sie zu. Vor einer Gruppe mattgrüner Pflanzen mit fein gefiederten, fünfstrahligen Lanzettblättern, die seine Tentakel mühelos überragten, verhielt er. »Kommandantin Fee Kellind!«, rief er. Fee wandte sich dem Mom’Serimer zu und verließ die Blumenwiese. »Ich bin hier, Eure Lordschaft!«, rief sie ihm entgegen. »Ich brauche… Ha…… deinen… Haaa…« »Meinen Rat?«, half sie ihm aus. »Ja… tschü«, kam es zurück. »Gesundheit«, sagte Fee Kellind. »Aber gehen wir doch hinein. Die Erholungslandschaft mit den vielen blühenden Pflanzen ist für das mom’serimische Immunsystem immer noch nicht einfach zu ertragen.« Sie ging voraus und schlüpfte in ihre Bordschuhe, die am Wegrand lagen. »Wie du willst«, schniefte Remo Aratoster. Er schien erleichtert über Fees Vorschlag zu sein und trottete ihr nach, bis sie den
Antigravlift erreicht hatten, in dem für das gänzlich an sterile Raumstationen gewohnte Wesen wieder annehmbare Zustände herrschten. »Wohin fahren wir?« »Wir werden Bobo’s Planet einen Kurzbesuch abstatten und zusammen ein Wasser trinken. Das ist genau das Richtige für dich, Lord Aratoster.« »Auf… auf einem Planeten?« Fee lachte kurz auf. »Nein, das habe ich nicht vor. Bobo’s Planet ist der Name eines bekannten Treffs in der SOL. Wir sind gleich da.« Der Mom’Serimer rieb seine tränenden Augen und fügte sich in sein Schicksal. Eine halbe Minute später erreichten sie das in der SOL als VIP-Bar bekannte Lokal, in dem häufig Mitglieder der Schiffsführung in dienstfreien Zeiten anzutreffen waren. Fee hatte nach dem aufwändigen Einschleusen der SOL in den riesigen GESETZ-Geber CHEOS-TAI eigentlich sechs Stunden Pause verdient. Sie war aber von dem endgültigen Abschied von Hangay zu aufgewühlt gewesen, als dass sie einfach so hätte schlafen können. »Wie läuft die Organisation für die Olympiade?«, fragte sie den Mom’Serimer, als sie an einem Tisch saßen, auf dem zwei Mineralwasser vor sich hin prickelten. »Das ist ja das Problem!«, antwortete Remo Aratoster. »Auf der einen Seite läuft es sehr gut, das Organisationskomitee, das Steph LaNievand aufgestellt hat, einigte sich auf zehn Disziplinen, in denen sich die Teilnehmer messen können. Davon gibt es übrigens schon mehr als 15.000, die innerhalb der ersten zwanzig Minuten durch SENECA registriert worden sind.« »Das klingt ja hervorragend«, sagte Fee. »Doch da liegt auch der Hund in der Begrabung!«, gab Remo ernst zurück. »Es hat schon die ersten Stimmen gegeben, die eine Chancenungleichheit anprangern!« »Inwiefern?« »Na, viele Mom’Serimer verfügen über Minzerzeugnisse; Nach-Acht, Pfefferminzpastillen und solche Dinge.«
»… und befürchten deswegen, dass es bei den Wettkämpfen gedopte Mom’Serimer geben könnte!«, folgerte Fee Kellind. »Genau. Ich will verhindern, dass sich die Aufregung dadurch noch steigert. Direktor Steph LaNievand nimmt meine Sorgen nicht ernst.« »Und wie kann ich dir helfen?« »Ich benötige ein Gerät, das Pfefferminzdoping nachweist!« Die Kommandantin ließ von SENECA eine Verbindung zur Medoabteilung herstellen. Gleich darauf erhellte sich der kleine Bildschirm an Fee Kellinds Kom-Armband, und das Gesicht der Medikerin Daria Markus erschien. Als sie die Kommandantin und ihre Begleitung erkannte, schlug sie die Hände vor die Augen. »Sag nichts«, sagte sie. »Steph hat mich vorgewarnt. Ich soll ein Verfahren für Pfefferminzdoping kreieren.« Fee feixte. »Am besten so schnell wie möglich.« Daria nickte ergeben. »Aye, Chefin!« »So schnell wie möglich«, murmelte der Mom’Serimer zu sich selbst, während er vom Barhocker glitt. »Manchmal fragt man sich, ob Menschen wissen, was sie da sagen.« 3. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf »Ui!«, schrie Milo auf, als er den kleinen Finger seiner linken Hand probeweise in das süßlich duftende und dampfende Getränk steckte. Schnell zog er ihn wieder heraus. »Ganz recht – der Tee muss heiß getrunken werden, sonst ist das Erlebnis nur halb so intensiv«, sagte Seramir. »Am besten, du bläst leicht über die Oberfläche und schlürfst dann gerade so viel davon weg, dass sich deine Lippen und Zunge dabei nicht verbrühen.« Milo tat wie geheißen und empfand den Genuss des Tees zu seinem großen Erstaunen als beruhigend und stärkend zugleich. Dann sah er den Alten kritisch an, der sich an der anderen Tischseite niedergelassen hatte und ihn amüsiert musterte. »Wie alt bist du, Seramir?«
»Man ist immer so alt, wie man sich fühlt, Herr Naseweis!« »Ich heiße Aratoster – und wie alt fühlst du dich denn?« Kurz schien es dem Alten die Sprache verschlagen zu haben, dann lachte er schallend. »Eins muss man dir lassen, Milo«, sagte Seramir und wischte sich die feuchten Augen trocken. »Du magst ein Zauderer sein, ein kleiner Hosenschiss, wenn es um neue Bekanntschaften geht, aber wenn du dich einmal an eine Situation gewöhnt hast, bist du genauso frech wie deine Altersgenossen.« Milo sah Seramir prüfend an. Zuerst war er sich sicher gewesen, dass der Alte zu einem Kompliment angesetzt hatte, aber irgendwie klangen die meisten Aussagen doch ein bisschen negativ. »Du willst mir nicht sagen, was es mit deinem seltsamen Namen auf sich hat, du willst mir nicht sagen, wie alt du bist, und ich bin mir sicher, dass du mir auch nicht sagen willst, was es mit deinen…« Milo kam ins Stocken, als er begriff, welches Thema er soeben fast angeschnitten hätte. »… was es mit meinen…?«, wiederholte der Alte, jedes Wort genüsslich in die Länge ziehend. Eine wahrhaft unmom’serimische Angewohnheit! Ohne dass Milo es wollte, starrte er auf die beiden zusätzlichen Gehirntentakel des Alten, die sich wie eigenständige, träge Lebewesen hin und her bewegten. »Na, deine beiden…« Wiederum kam er nicht weiter. Die Fortsätze erregten eine kreatürliche Furcht in Milo. Sie durften nicht sein, weil… »Du sprichst von meinen beiden besonderen Gehirntentakeln. Du empfindest sie als widernatürlich. In deiner Welt hat es keinen Platz für sie, und deswegen dürfen sie nicht sein«. Seramirs dunkle Augen verwandelten sich erneut in diese tiefen, bodenlosen Schächte, in die man nur allzu leicht hineinfallen konnte. »J… ja«, würgte Milo heraus. Gleichzeitig wunderte er sich, dass der Alte fast genau das ausgesprochen hatte, was er zuvor gedacht… In Milo entstand urplötzlich ein furchtbarer Verdacht. Kann es sein, dass Seramir…
»Du siehst mich an, als ob ich deine Gedanken gelesen hätte«, sagte Seramir im Plauderton und schlürfte vorsichtig an seinem Tee. »Bist du… ein Mutant, wie…« Milo wollten die Namen der Galaktiker nicht einfallen, denen es möglich war, die Gedanken anderer zu verstehen, als ob es ihre eigenen wären. Er hatte von ihnen im Indoktrinator-Unterricht gehört. Seramir stellte die Tasse ab und blickte Milo nachdenklich an. »Es hilft uns, die beklemmenden Inhalte der Welt in kleine Kisten zu stecken, die sauber beschriftet sind, nicht wahr?«, fragte er. »Solange ein Etikett darauf klebt, ist der Inhalt leichter anzunehmen, ungeachtet dessen, wie unangenehm er in Wirklichkeit ist.« Der junge Mom’Serimer begriff, was ihm der Alte sagen wollte. Selbst wenn ein mutierter Mom’Serimer etwas völlig Neues und auch ein wenig Furcht einflößend wäre, würde ihm die Bezeichnung »Mutant« schon einiges von seiner Grässlichkeit nehmen. »Man kann dich beruhigen«, fuhr der Alte fort. »Und auf der anderen Seite auch wieder nicht. Dieses Etikett klebt nicht an der Kiste.« Er lächelte und fuhr dann in versöhnlichem Tonfall fort: »Dennoch stellen die beiden zusätzlichen Ganglionen eine Besonderheit dar, die einem helfen, die Welt besser zu verstehen. Man sieht damit Dinge, die zwar untrennbar miteinander verbunden sind, deren Verkettung aber noch nicht offen zutage getreten ist.« »Du siehst damit Zusammenhänge?«, fragte Milo staunend. »Gewiss«, antwortete Seramir. »Man sah dich, wie du zu einem Schüler wurdest, wie du jetzt Dinge lernst, die einmal zu großen Taten führen werden.« Fasziniert schlugen Milos Tentakel aus. »Ich werde große Taten vollbringen? Etwa so wie ein Soldat der NACHT?« »Wenn du dich lernfähig zeigst, junger Aratoster, könnte dies so geschehen«, raunte der Alte geheimnisvoll. »Die Frage, die du dir dabei stellen musst, lautet: Was genau willst du erreichen und vor allem, weshalb willst du das tun?« Milo überlegte lange, bevor er sich eine Antwort bereitgelegt hatte. »Ich bin ein Nichts«, sagte er bekümmert. »Alle acht bis zehn Jahre kommen neue Generationen, die unser Volk stetig vergrößern. Wer
sich nicht unglaubliche Mühe gibt, bleibt einer von vielen. Nur die bleiben uns nach ihrem Tod im Gedächtnis. An Crom Harkanvolter wird man sich noch lange erinnern, der uns in die SOL führte. Oder an Shoy Carampo, der die Scherbenstadt gegründet hat. Oder an den Helden Trest Harkanvolter, der Ur-Ur-Ur-Ur-Enkel von Crom Harkanvolter, der einen dieser fiesen Kolonnen-Motivatoren eigenhändig getötet und sich später geopfert hat.« Milo schniefte. »Und ich? Ich bin schon fast acht Jahre alt und noch nicht einmal in einer wechselgeschlechtlichen Phase gewesen. Mir läuft einfach die Zeit davon…« »Tut sie das nicht für alle Mom’Serimer?«, fragte Seramir dunkel. Milo sah ihn verdutzt an. »Für alle? Also auch für dich?« Seramir lächelte weise. »Geschickt, junger Aratoster. Doch wir sprechen hier über dich.« »Aber…« Milo sackte kurz in sich zusammen, dann straffte er sich und richtete seine Gehirntentakel auf den Alten. »Du hast gesagt, dass du siehst, dass ich große Taten vollführen kann.« »Das habe ich gesagt«, gab der Alte zur Antwort. »Wenn du genügend gelernt hast. Dann kann es geschehen, dass deine erste wechselgeschlechtliche Phase mit einer Heldentat verknüpft ist.« Milo sog heftig Luft ein. »Ich werde zu einem Mann oder einer Frau und vollbringe eine Heldentat?«, rief er. »Wie mache ich das?« Lächelnd winkte Seramir ab. »Die kommenden Ereignisse liegen noch im Dunkeln, mein junger Freund. Sobald man ihre Wege geht, werden sie immer klarer Gestalt annehmen, doch jetzt ist es dazu noch viel zu früh. Es gibt so vieles, was sich gerade herauszuschälen beginnt.« »Was siehst du alles?«, sprudelte es aus Milo heraus. Er hat mich einen Freund genannt!, dachte er aufgeregt. Sein Herz trommelte in der Brust wie die Backmaschine, die jeden Morgen frisches Brot herstellte und dabei so herrlich duftete. »Ich sehe eine große Veränderung, die auf das Volk der Mom’Serimer zukommen wird. Schon bald wird es seiner neuen Bestimmung zugeführt.«
Milo beugte sich zitternd nach vorne und legte die hohlen Hände hinter die Höröffnungen, um ja kein Wort des Alten zu verpassen. »Wir werden eine neue Aufgabe bekommen?« Die Schächte wurden noch tiefer, gleichzeitig schien darin eine weit entfernte Wasseroberfläche gefährlich zu glitzern. »Du sprachst von den Soldaten der NACHT«, sagte Seramir. »Was aber weißt du denn von der NACHT? Was hast du über sie gelernt?« Milo kratzte sich am Kopf. Die NACHT war ein Begriff wie jeder andere auch. Ein bisschen mystisch und geheimnisvoll, deswegen hatte sich dieses Wort schlussendlich durchgesetzt. Ursprünglich hatte man die Mom’Serimer-Truppe, die sich für die Befreiung der SOL eingesetzt hatte, Armee der Schatten genannt. Aber die NACHT selbst… »Wir stammen ursprünglich aus der NACHT von Segafrendo…«, begann er stockend. »Genannt auch der PULS von Segafrendo… eine… eine Region, in der keinerlei virtuelle Quanten entstanden, auf die also weder Kosmokraten noch Chaotarchen zugreifen konnten. Ihr Durchmesser betrug 0,42 Lichtjahre, die…« »Auswendig gelernter Mist!«, unterbrach ihn Seramir grob. »Die NACHT war viel mehr als das! Es war unsere Heimat, Milo. In der NACHT hatte das Volk der Mom’Serimer eine große, eine wichtige Aufgabe. Wir waren Wächter. Das war unsere Bestimmung!« »Weshalb erzählst du mir das?«, fragte Milo. »Weil wir dahin gehen müssen, wo eine neue Bestimmung auf uns wartet.« »Aber die NACHT ist doch vor über 18 Millionen Jahren vergangen«, warf Milo ein. »Wie willst du dahin zurückgehen?« »Wer sagt denn, dass man zurückgehen will?«, gab Seramir zurück. »Man will vorwärts gehen. Es gilt, eine neue NACHT und damit eine neue Bestimmung zu finden.« »Aber wollen denn die Mom’Serimer überhaupt eine neue Bestimmung?«, fragte Milo kritisch. »Weißt du, weshalb dein Vater einen vorhin besucht hat?« »Weil er sich Sorgen über die Helden der NACHT macht?«
»Ganz genau. Die Mom’Serimer brennen darauf, neue Taten zu vollbringen. Sie spüren, dass ihre Erfüllung nur im Einklang mit einer höheren Bestimmung zu finden ist.« »Die du ihnen aufzeigen willst?«, erriet Milo. »Ganz genau.« »Und wie willst du das anstellen?«, fragte Milo. »Womit man jede Reise beginnt«, sagte Seramir. »Mit dem ersten Schritt. Mit dem, was wir hier gerade tun.« »Tee trinken?«, gab Milo entgeistert zurück. »Das ist richtig, mein junger ungeschlechtlicher Freund. Wie jede Reise mit dem ersten Schritt beginnt, benötigt jedes Gemälde den ersten Pinselstrich. Denkst du, dass man zu diesem Zeitpunkt bereits das fertige Werk erkennen kann?« »N… nein?« »Genau«, sagte Seramir genüsslich. »Ich habe lange gewartet, um diesen ersten Pinselstrich anbringen zu können. Nun beginnt unsere Reise.« »Dann…« Milo verstummte, weil ihm erst jetzt klar wurde, was Seramir ihm mit seinen wie gewohnt unscharfen Ausführungen eigentlich gesagt hatte. »Fahr nur fort, Milo.« »Dann sagst du, dass ich mit dieser neuen Bestimmung, dem neuen Weg der Mom’Serimer…« »Verknüpft bist«, beendete der Alte Milos Ausführung. »Ganz genau.« Zwischenspiel Fee Kellind Fee erhob sich und zupfte ein imaginäres Stäubchen vom Ärmel ihrer Paradeuniform. In diesem Moment wäre es ihr nicht möglich gewesen, ihre Gefühle zu beschreiben. Ein sich stetig verändernder Strom unterschiedlicher, teils widersprüchlicher Emotionen floss durch sie hindurch, entsprang beim Herzen, wühlte den Magen auf, euphorisierte das Gehirn.
Fee Kellind wusste, dass in diesem Augenblick galaktische Geschichte geschrieben wurde. Mit ihr als Beobachterin, Zeugin, aktiver Teilnehmerin. Sie liebte und hasste diese Momente, weil sie wusste, dass es eine Zeit geben würde, in der viel darüber debattiert werden würde. Sinnvolles und Überflüssiges aber stets durch Personen, die weder dabei gewesen waren noch die ganze Sachlage kannten. Fee hasste diese Momente, weil sie unwiederbringlich vorüber gingen. Selbst wenn man die Abläufe mit verschiedensten Verfahren festhalten konnte, fehlte der gesamte emotionale Teil. Die Gefühle der Anwesenden, der betroffenen Wesen. Die inneren Tränen, stilles Glück, die Scham, dass man in solchen Momenten von derart trivialen Inhalten ausgefüllt wurde. Ohne diese emotionalen Teile war jede Geschichte bestenfalls eine halbe, da ihr die Seele fehlte. Fee liebte diese Momente, weil sie zu erleben ein ungeheures Privileg war. Weil man sich diese Augenblicke bewahren konnte, ein Leben lang. Weil sie viele Sinnhaftigkeiten des Lebens zusammenfassten und leere Bereiche des eigenen Selbst ausfüllten und ihnen eine neue Bedeutung geben konnten. Und weil Fee diese Momente liebte und hasste zugleich, arbeitete sie seit mehr als 40 Jahren an einem Mammutwerk, in dem diese Augenblicke aneinandergereiht und verdichtet werden sollten. In dem alle Geschichten erzählt werden sollten, die erzählenswert und erinnerungswürdig waren. Von vielen unterschiedlichen Wesen, deren Lebenslinien sich im Verlauf der vergangenen Jahrhunderte mit dem legendären Fern- und Generationenraumschiff SOL verknüpft hatten. Ihre CHRONIK DER SOL setzte ein beim Start des Hantelraumschiffs aus dem Mahlstrom der Sterne, setzte sich fort mit den Ereignissen um das Konzil der Sieben, den Solanern, den Begebenheiten in der Galaxis Krandhor, bis hin zu Shabazza und der Rückeroberung des Schiffsgiganten durch Perry Rhodan im Jahr 1290 NGZ. Damals hatte Fee Kellind zum ersten Mal einen Atemzug an Bord der SOL getan – und mittlerweile hoffte sie auf einen Akt der umfassenden Gerechtigkeit, der ihr den letzten Atemzug in dem Mythos SOL zugestehen würde.
Mittlerweile war sie mit der CHRONIK bei unglaublichen 27.000 Seiten Text angelangt. Selbstverständlich wäre Fee niemals so weit gekommen, wenn sie nicht durch den Bordrechner SENECA tatkräftig unterstützt worden wäre. Von den unsterblichen Zeitzeugen hielt sie sich vor allem an Atlan, der nicht nur über ein fotografisch genaues Gedächtnis verfügte, sondern darüber hinaus ein exzellenter Geschichtenerzähler war. Die nach seinen Schilderungen angefertigten Zeitabenteuer waren auf Terra und den von Menschen besiedelten Planeten seit langer Zeit ein Verkaufsschlager. Fee wandte leicht den Kopf und blickte den unsterblichen Arkoniden an, der sich wie Perry Rhodan in der Hauptzentrale der SOL eingefunden hatte, um das letzte Stück der Reise gemeinsam mit seinem alten Freund erleben zu können. Man schrieb den 1. Dezember 1347 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Fee legte sich bereits den Satz zurecht, der in ihrer CHRONIK das Ereignis dieses Tages zusammenfassen wird: Die SOL erreicht an Bord des GESETZ-Gebers CHEOS-TAI das heimatliche Solsystem. Sie wusste, dass in diesem Augenblick auf allen heimatlichen Schiffen, die im GESETZ-Geber eingeschleust waren, die Holoschirme dasselbe Bild übertrugen: die Sterne der Milchstraße und in der Mitte Sol, das Heimatgestirn der Menschen. Perry Rhodan wandte sich um und warf ihr einen Blick zu, in den sich neben all der Freude ein Ausdruck der Bitterkeit, aber auch des Verstehens gemischt hatte. Jedenfalls war dies die Interpretation, die Fee daraus zog. Genau wie sie hatte Rhodan während dieser Reise einen Sohn zurückgelassen. Kantiran war zwar nicht sein erster und einziger Sprössling, wie dies bei Fee mit Arlo der Fall war, doch der Verlust musste ihn genauso tief treffen wie sie. Solange die Dinge in Bewegung waren, nahm man Veränderungen mit einem Schulterzucken hin. Denn was sich wandelte, konnte sich stets noch verändern. Wenn die Dinge aber zur Ruhe kamen – und das war am Ende einer Reise zweifellos der Fall –, musste man all die Veränderungen akzeptieren, die sich bis dahin ergeben haben. Ob man dies wollte oder nicht.
Dankbar erwiderte Fee Rhodans Blick, und er wandte sich wieder ab. Auf den Terranischen Residenten wartete eine Phase des Wiedersehens mit alten Freunden – und ein Sternenreich, um das er sich zu kümmern hatte. Fee straffte sich. Auf sie wartete…… die SOL. 4. Das Meer Milo drängte sich an zwei Artgenossen vorbei, die aufgebracht miteinander diskutierten. An ihren dominierenden linken Gehirntentakeln war deutlich zu erkennen, dass sie sich gerade in einer weiblichen Phase befanden. Unverhohlen deuteten sie auf ihn, während sie sich ihren Weg durch die Masse bahnten. Er begleitete Seramir auf dem Weg in die Stadt. Noch bevor sie die grüne Sektion verlassen hatten, waren sie von einer Gruppe Kinder entdeckt worden, die sie mit einer Mischung aus Furcht und Faszination und darüber hinaus einem nicht geringem Anteil an Geschrei begleitet hatte. In Windeseile hatte sich die Nachricht über die Ankunft dieses seltsam andersartigen Mom’Serimers über die gesamte Scherbenstadt verbreitet. Mehr und mehr ihrer Artgenossen begleiteten sie auf ihrem denkwürdigen Marsch durch die Pfade und Gassen. Die besonders neugierigen unter ihnen bestürmten Seramir mit Fragen. »Wer bist du?« »Bist du krank?« »Wie alt bist du?« »Bist du der Prophet aus der Legende?« »Wo hast du bisher gelebt?« »Willst du neuer Lord werden?« »Weshalb hast du vier Tentakel?« »Bist du viergeschlechtlich?« »Hast du diesen Mantel selbst geschneidert?« »Trittst du bei den Spielen an?«
»Wer wird erster Olympiasieger im Sackhüpfen?« Falls dem Alten der plötzliche Rummel zu viel war, ließ er es sich nicht anmerken. Auf die Fragen lächelte er meist nur hintergründig oder gab bekannt, dass er sich gleich an alle wenden würde und sie doch noch ein wenig Geduld haben sollten. Milo fühlte sich von Minute zu Minute unbehaglicher. Er mochte solche Aufläufe nicht. So viele Mom’Serimer, viele blickten ihn an. Durch den seltsamen Begleiter an seiner Seite wurde er automatisch selbst zu einer Attraktion. Und das gefiel ihm ganz und gar nicht. Aus diesem Grund hatte er seinen Vater noch kein einziges Mal bei öffentlichen Auftritten begleitet. Und nun tat er es zusammen mit einem Wesen, das er erst ein paar Stunden kannte. Verrückt. Ebenso verrückt wie das, was Seramir über Milos Zukunft und die des gesamten Volkes der Mom’Serimer gesagt hatte. Seramir sah sich suchend um. Sofort kam ein neuer Teppich hurtig gestellter Fragen auf. »Bist du zum ersten Mal in der Scherbenstadt?« »Was willst du?« »Was suchst du?« Der Alte entdeckte das Monument am Rande des großen Gemeinschaftsplatzes und ging zielstrebig darauf zu. Vor ihm tat sich eine Gasse auf. Die Mom’Serimer wussten noch nicht, wie sie Seramir einzuordnen hatten, und wollten ihm vorsichtshalber nicht zu nahe kommen. Unter dem Geplapper der Anwesenden – mittlerweile mussten mehrere Hundert Mom’Serimer auf Seramir aufmerksam geworden sein – erklomm er das Fundament, auf dem das Monument stand, und wandte sich ruhig der Menge zu. Unwillkürlich lief ein Zittern durch Milo. Er wusste, dass er selbst nie, nie, niemals in der Lage gewesen wäre, vor so viele Personen zu treten. Der Alte hatte damit scheinbar überhaupt keine Probleme. Breitbeinig stand er da, gekleidet in seinen ockerfarbenen Mantel; darunter glitzerte eine mit fremdartigen Ornamenten bestickte Schärpe.
Milo drückte sich eng an eine Behausung. Er war froh, wieder aus dem öffentlichen Fokus gerückt zu sein. Gleichzeitig stieg in ihm die Anspannung. Was würde sein neuer Lehrmeister der Menge zu sagen haben? Seramir hob langsam beide Arme, breitete sie aus, als ob er alle Mom’Serimer auf dem Gemeinschaftsplatz gleichzeitig umarmen wollte. Seine vier Gehirntentakel .drehten sich wie Antennen nach allen Seiten. Hinter ihm züngelten kleine blaue Flammen aus dem Monument – einem runden Bogen, der früher zu einem komplizierten Gerät gehört haben musste. Er war nur eines der Wunder der Scherbenstadt: Seit vielen Jahren stand das Monument nun schon hier, und niemand konnte sich einen Reim darauf machen, weshalb es energetisch aktiv war. Das Geschnatter der sich stetig vergrößernden Zuhörerschaft nahm gehörschädigende Ausmaße an. Mehr als tausend Gehirntentakel peitschten, kringelten und wanden sich in die Richtung des alten Mom’Serimers, der alles in sich aufzunehmen schien. Milo hatte noch nie etwas Vergleichbares erlebt. Zwischen Seramir und den anwesenden Mom’Serimern schienen unsichtbare Bänder geknüpft zu sein, über die sich pure Energie knisternd übertrug. Abrupt riss Seramir beide Arme in die Höhe, und das Geschnatter erstarb, als hätte man ein schalldichtes Fenster geschlossen. Kurz überfiel Milo ein Schwindelgefühl. Die Anspannung wurde für ihn unerträglich. Es war so still, dass man eine Nadel hätte zu Boden fallen hören können. »Mein Name ist Seramir«, donnerte die Stimme des Alten über die Köpfe der wie erstarrt wirkenden Zuhörer hinweg. »Ich spreche zu euch, weil ich mir Sorgen mache. Sorgen über das große Volk der Mom’Serimer.« Er nahm die Arme wieder herunter und schloss die Anwesenden in einer weiten Geste ein. Milo stellte verblüfft fest, dass sich Seramirs Ausdrucksweise plötzlich verändert hatte. Zuvor hatte er stets von »einem« gesprochen anstelle von »ich«. »Ich sorge mich über unser aller Innerstes. Um den Kern, der uns zu dem macht, was wir sind: Mom’Serimer! Wir sind ein Volk, das
von einer tiefen Rastlosigkeit getrieben ist. Wir wollen uns stets entwickeln, Neues lernen, weiterkommen. Aber ich frage euch: Wohin wollen wir uns entwickeln? Was wollen wir lernen? Wer sagt uns, dass wir den richtigen Weg eingeschlagen haben?« Er ließ die Worte ein paar Sekunden lang wirken. Wie betäubt sah sich Milo um. Die Mom’Serimer, die in seiner Nähe standen, blickten mit weit aufgesperrten Augen auf den Alten. Münder standen sperrangelweit offen, doch keine Worte traten heraus. Ein Umstand, den man bei Mom’Serimern höchst selten beobachten konnte. »Die NACHT. Sie hat sich in unser kollektives Gedächtnis tief eingegraben, und doch spricht man kaum mehr von ihr. Sie ist zu einem Mythos geworden. Zu etwas, das man mit der Vergangenheit verknüpft, das nicht mehr wichtig ist für das Hier und Heute. Und schon gar nicht für das Dort und das Morgen. Ich frage euch: Ist das gut für unser Volk? Das Vergessen und Verdrängen von dem, das früher das Zentrum unseres gesamten Volkes war?« Erstes Getuschel wurde hörbar. Soweit Milo es beurteilen konnte, war es atemlos gehauchte Zustimmung. In das Meer der Gehirntentakel kam wieder Leben. Sie streckten sich elektrisiert in die Richtung des Alten, der so souverän vor dem großen Torbogen stand. »Hört in euch hinein«, fuhr Seramir fort. Seiner Stimme mischte sich ein dunkler, lockender Klang bei. »Sehnt ihr euch nicht im Grunde eurer Herzen dahin zurück? In die NACHT, in Unsere alte Heimat? In der wir in einem gemeinsamen Zweck, in einer gemeinsamen Bestimmung vereint gewesen sind?« Der Alte richtete seine grau-violetten Zeigefinger auf die umliegenden Wohnanlagen der Scherbenstadt. Neben den meisten Türbogen zu den Wohnhöhlen flackerten kleine Serafin-Kerzen und verliehen der Kulisse ein heimeliges, romantisches Aussehen. »Was Shoy Carampo und die nachfolgenden Generationen hier an Bord der SOL geschaffen haben,, ist einzigartig. Die Scherbenstadt ist der Stolz des mom’serimischen Volkes – ich würde mich niemals dazu erdreisten, das in Abrede zu stellen. Mit diesem Werk haben wir bewiesen, wozu wir fähig sind, wenn wir zusammenstehen und anpacken! Und doch frage ich euch: Kann unser Volk hier in der
Scherbenstadt – an Bord der SOL – das sein, was wir sein müssen, nämlich Mom’Serimer? Oder geht vielleicht schon lange alles einen sehr breiten, sehr gefälligen Weg, der uns in die falsche Richtung führt? Sind wir überhaupt noch Mom’Serimer? Kann es sein, dass wir mit unserer Heimat NACHT auch unsere Bestimmung und damit unsere Identität und unser Selbstverständnis verloren haben?« Als hätte ein Blitz in das Meer der Gehirntentakel gestochen, schlugen sie aus, verfingen sich ineinander. Erschrockene Schreie erklangen, vermengten sich mit ängstlichem Gemurmel aus Hunderten von Kehlen. Noch einmal erhob sich die Stimme des Alten über die in Aufruhr geratene Menge. »Denkt über die Worte nach! Beantwortet – jeder für sich – die Fragen, die ich euch heute gestellt habe! Ich werde wieder zu euch sprechen, wenn die Zeit reif ist!« Seramirs Kopf drehte sich in Milos Richtung. Fast unmerklich nickte er ihm zu, und der junge Mom’Serimer beeilte sich, zu dem Fundament des Torbogens zu kommen. In diesem Moment brach sich die Anspannung der Menge Bahn. Aus Hunderten von Kehlen gellten tausend Fragen, Ausrufe, Schreie. Milo kämpfte sich durch die Masse, Seramir fest im Blick. Endlich langte er bei ihm an, half dem Alten, von dem Fundament herunterzusteigen und… … erblickte dabei zufällig auf der anderen Seite des Platzes ein vertrautes Gesicht. Sein Vater, Lord Remo Aratoster, stand vor dem Eingang des Scherbenstadt-Palastes. Sein Gesicht war eine einzige Maske aus Betroffenheit. Und Angst. Zwischenspiel Fee Kellind Fee hätte ein Gleitertaxi nehmen oder zumindest die Laufbänder der Straßen in Anspruch nehmen können. Stattdessen hatte sie beschlossen, die Gelegenheit für einen ausgiebigen Spaziergang durch Terrania zu nutzen.
Das Mondgehirn NATHAN hatte der großartigsten Stadt der Menschheit an diesem 22. Dezember einen strahlend schönen Tag beschert. Kein Wölkchen stand am Himmel, dafür fuhr die klirrend kalte Luft mit tausend feinen Krallen über Fees Gesichtshaut. Lächelnd ließ sie es mit sich geschehen, während sie den mit einer hauchdünnen Schicht Schnee bedeckten Weg entlang flanierte. Sie sog die vibrierende Erhabenheit Terranias in sich auf, wenngleich ihre Gedanken mehr als nur einmal zu ihrem Sohn Arlo und seiner Familie entglitten. In ihrer Stadt U’Hartu auf Ultrablau herrschte ständig Winter – nicht wie in Terrania, das sich dank seiner Achsenneigung und der kräftigen Unterstützung durch die Wetterkontrolle NATHANS an vier intensiven Jahreszeiten erfreuen konnte. Wie geht es euch da draußen?, murmelte sie. Wie läuft das Ski- und Schlittschuh-Geschäft? Fee blickte auf ihren Chronometer. Er zeigte den 22. Dezember 1347 NGZ um 11:25 Standardzeit an. Für 12 Uhr hatte sie bei dem vielbeschäftigten Terranischen Residenten einen Termin ergattern können – zu ihrer Freude inklusive Mittagessen im legendären Restaurant Marco Polo in der Solaren Residenz. Die Kommandantin beschleunigte ihre Schritte. Fee wollte Perry Rhodan keinesfalls warten lassen. Sie hatte auf dem bisherigen Weg zu viel Zeit verloren. Immer wieder war sie stehen geblieben und hatte sich Gebäude und Monumente angesehen, die in den 18 Jahren ihrer Abwesenheit entweder verändert oder neu errichtet worden waren. Im Jahr 1329 hatte ihr Schiff das Solsystem verlassen, um in der Galaxis Hangay die in Entstehung begriffene Negasphäre in Augenschein zu nehmen. Zeit, dachte Fee. Wie viel sie doch zu bewegen weiß. Waren es wirklich nur 18 Jahre? Was ist alles geschehen? Leben ist gekommen und gegangen. Alles entscheidende Schlachten zwischen den Mächten der Ordnung und des Chaos sind geschlagen worden. Und trotzdem… könnte es erst letzte Woche gewesen sein, als mich die Space-Jet in den Orbit um Luna brachte, von wo aus die Reise ihren Anfang genommen hatte. Es ist verrückt. Es ist fantastisch. Fee blieb kurz stehen, legte den Kopf in den Nacken und sah an dem gewaltigen Gebilde empor, das vor ihr schwebte: eine giganti-
sche Orchidee aus Stahl! Sie liebte den Anblick der Solaren Residenz, deren untere Spitze exakt einen Kilometer über dem Grund schwebte. Der Regierungs- und Parlamentssitz erhob sich weitere 1010 Meter in die Höhe und war somit seit seinem Bau gegen Ende des 13. Jahrhunderts NGZ das Wahrzeichen und Symbol Terranias. Fee lenkte ihre Schritte auf den Residenzpark zu. In dessen Mitte war nicht nur der See angelegt, in den sich das Gebäude im Fall einer Notsituation senken konnte, er wies auch die Anbindung an die Stahlorchidee auf: einen tausend Meter hohen Antigravlift! Die ehemalige Agentin des Terranischen Liga-Dienstes sah erneut auf ihren Chronometer. Er zeigte bereits 11:41 Uhr an. Obwohl die Zeit langsam knapp wurde, ließ sie sich nicht mit ihren Sonderrechten als Flottillenadmiralin bevorzugt behandeln, sondern reihte sich brav in die Warteschlange vor dem Eingang zur Bodenstation ein. Direkt vor ihr wartete eine dreiköpfige terranische Familie: eine hübsche junge, dunkelblonde Frau und ein durch ein Strichbärtchen am Kinn und wuschelige schwarze Haare etwas dämonisch wirkender Mann. Er wirkte etwas mitgenommen, und die Frau meinte auf sein leises Stöhnen nur, dass es gescheiter gewesen wäre, wenn er nicht so lange gezecht hätte. Er zog es vor, keine direkte Antwort zu geben, und blickte argwöhnisch in die Höhe, wo unter grellen Schreien und hochfrequentem Gezirpe eine Bluesfamilie von dem Antigravlift in die Höhe befördert wurde. »Da rauf geht’s«, sagte er zu seinem Baby, das er in einem Umhängetuch vor der Brust trug. Es gluckste zufrieden, während es sich die modische Kappe über die Augen zog, die sein Köpfchen vor der Kälte schützen sollte. »Musst gar keine Angst haben«, sagte der Vater und stellte den korrekten Sitz der Kappe wieder her. Augenscheinlich fiel ihm jede Bewegung eher schwer. Fee lächelte unmerklich. An Bord des Generationenraumschiffs vermisste sie nichts. Szenen wie diese führten ihr aber wieder vor Augen, wie das Leben Fee Kellinds hätte aussehen können, wenn sie nicht anno 1289 NGZ mitsamt dem Stadtteil Alashan in die ferne Galaxis DaGlausch versetzt worden wäre. Damals hatte ihr Leben
den entscheidenden, schicksalhaften Richtungswechsel erhalten, der sie an die Seite der Unsterblichen, an Bord einer Legende und zu Stätten geführt hatte, an denen kosmische Geschichte geschrieben worden war. Was wäre aus mir geworden, wenn ich immer noch eine kleine TLD-Agentin auf Terra wäre?, fragte sie sich, während sie die Familie vor sich betrachtete. Es war augenscheinlich, dass der Papa in der Nacht davor einen über den Durst getrunken hatte und die Mama ihn in seinem Leid sitzen ließ gemäß dem Motto: »Wer trinken kann, kann anderntags auch bei Familienausflügen dabei sein.« Wäre ich glücklicher als ich es jetzt bin?, fragte sich Fee. Würde mir etwas fehlen? »Der hat weniger Schiss vor dem Lift als du«, sagte die Mutter. Sie blickte an Fee vorbei. »Hätte nicht gedacht, dass dein Kumpel es schafft, rechtzeitig hier zu sein.« Der Vater blickte in dieselbe Richtung und grummelte düster: »Der ging ja auch früher heim.« Unwillkürlich trat Fee einen Schritt zur Seite. Ein Mann mit altmodischer Brille erschien, der etwas zu leicht gekleidet war für diesen Wintertag in Terrania. Auf seinen Schultern thronte ebenfalls ein Sohn. Er fuchtelte wild mit den Armen, als er ein Unitherpärchen erblickte, das sich gerade bei einem Verpflegungsstand mit einer heißen Obstwaffel eindeckte. »Asimaner!«, rief er entzückt und zeigte auf die beiden. »Asimaner!« »Psst, Tim«, sagte der Vater leise. »Erstens sind das keine Marsianer, und zweitens macht man das nicht. Aber schau mal, wen wir hier haben!« Die beiden Väter begrüßten sich kurz und stellten dabei fest, dass sie beide den vorhergehenden Abend noch nicht ganz verdaut hatten. »Wie geht’s deiner Hand?« »Die Verbrennung war doch nicht so schlimm, wie ich zuerst gedacht habe.« »Lustig, so kreisrund.« »Du sagst es. Ich fasse das Zeugs jedenfalls nicht wieder an.«
»Wie hat er es genannt, Klong-Klong? Der hatte sie doch nicht ganz alle.« Aus dem Antigravlift trat eine in die offizielle Uniform der Residenz gekleidete Frau und kam mit einem strahlenden Lächeln auf Fee zu. »Herzlich willkommen, Admiralin Kellind!«, sagte sie. »Ich bin Sergeant Monerba. Der Resident hat mich beauftragt, dich bereits hier unten abzufangen. Er war sich sicher, dass du keinen der offiziellen Gleiter in Anspruch nehmen würdest!« Fee lächelte ebenfalls und ging auf die Frau zu. Als sie die beiden Männer passierte, hörte sie, wie der Bebrillte flüsterte: »Hast du gesehen: die Kellind! Die sieht ja noch besser aus als in den Holos.« Fee konnte es sich nicht verkneifen, sich kurz umzuwenden und dem jungen Vater einen Blick zukommen zu lassen, der halb Terrania hätte auftauen können. Dann war dieser kurze private Moment schon wieder vorüber, Fee atmete ein und betrat mit Sergeant Monerba den Antigravlift. 5. Eine neue Bestimmung »Meister?« »Nenn mich einfach Seramir, Kleiner!« »Dann nenn mich einfach Milo.« »In Ordnung, Milo. Was wolltest du mich fragen?« »Wenn es dir so wichtig ist, welcher Bestimmung wir folgen…«, begann Milo vorsichtig. »Ja?« »Und es dir ganz besonders wichtig ist, dass die Mom’Serimer Mom’Serimer bleiben…« »Ja, das ist mir wichtig«, gab der Alte zurück. »Worauf willst du hinaus?« »Wie passt es da, dass du so völlig anders bist als wir normalen Mom’Serimer?«
»Pah – normal!«, gab Seramir zurück. »Weshalb ist dir diese Normalität so wichtig? Abgesehen davon: Bist du normal, Milo Aratoster? Wenn ja, weshalb bist du mit deinen acht Jahren nicht bereits in einer Wechselphase? Und dein Vater – ist er nicht besonders stolz auf seinen verkrüppelten Finger an der rechten Hand?« »Damit magst du recht haben, Seramir«, entgegnete Milo tapfer. Er atmete tief ein und streckte die Tentakel so weit er konnte. »Auch wenn du mir nicht sagen willst, wie alt du wirklich bist: Ich spüre, dass dir sehr viel mehr Zeit zur Verfügung steht als meinem Vater oder mir… Dass du deswegen mehr gesehen hast als irgendein Mom’Serimer.« »Interessante Gedankengänge, junger Aratoster«, sagte Seramir. Irrte sich Milo, oder schwang in der Stimme des Alten ein Hauch Pikiertheit mit? »Hast du aber schon in Betracht gezogen, dass es eventuell mit einer anderen Lebensweise in Zusammenhang stehen könnte? Dass ich mir mehr Zeit lasse, Dinge auf ihr Innerstes selbst hin zu durchdenken? Der Langsame, Milo, sieht nämlich mehr.« Die Gehirntentakel des jungen Mom’Serimers fielen schlaff herab. »Es tut mir leid, dass ich dich schon wieder über dein Alter ausgefragt habe«, sagte er kleinlaut. »Ich wollte…« »Nun«, unterbrach ihn Seramir, »Fragen sind dazu da, gestellt zu werden, wenn man deren Antworten nicht scheut. Allerdings muss man auch damit rechnen, dass es nicht auf jede Frage eine Antwort geben kann. Und selbst wenn dies der Fall wäre, so befriedigt nicht jede Antwort die Neugierde. Zudem, und das ist besonders interessant, verraten häufig die Fragen mehr über den Frager als die Antworten über den Antwortgeber.« Seramir hielt kurz inne und verwirrte die Gehirntentakel. »Aber ich schweife ab – was ich eigentlich sagen wollte, ist, dass ich weiß, was dich beschäftigte: Dass ich für die Rückbesinnung auf den wahren Kern der mom’serimischen Existenz einstehe und selbst nicht den Eindruck mache, denselben Spielregeln unterworfen zu sein wie einer der normalen Mom’Serimer?« Das Unbehagen in Milos Bauch steigerte sich. »Ich wollte dich wirklich nicht…«
»Vergiss es, Milo. Aber das Thema ist äußerst interessant. Lass uns über Individualität sprechen.« »Individualität?« »Ganz recht. Was bedeutet dieses Wort?« »Individualität bedeutet beispielsweise, dass ich ein eigenständiges Wesen bin.« »Sehr gut!«, gab Seramir zurück. »Weiter!« »Ich unterscheide mich von den anderen Mom’Serimern, weil ich eigene Gedanken habe.« »Richtig. Und noch einen ganzen Haufen anderer Dinge, die allein zu dir und deiner Persönlichkeit gehören, mein Freund.« Milo strahlte. Die Fragen waren nicht ganz leicht zu beantworten gewesen. »Dann weiter im Text: Was fällt dir zum Begriff Identität ein?« Milos Gehirntentakel umwanden sich. Wie konnte er dieses Wort umschreiben? »Identität ist…«, sagte er vorsichtig. »… ist das Was. Was ich bin. Ein Mom’Serimer.« »Und wieder hast du recht. Die nächste Frage ist etwas komplizierter: Widersprechen sich die beiden Begriffe? Ist Individualität der Gegensatz zur Identität?« Milo schob die beiden Wörter im Kopf umher, bis er bemerkte, dass sie ihn am meisten verwirrten und die Antwort leicht zu finden war, wenn man nicht zu weit dachte. »Ich bin Mom’Serimer«, sagte er mit fester Stimme. »Das heißt nicht, dass ich nicht eigenständig sein darf. Die beiden Begriffe widersprechen sich also nicht, sie ergänzen sich höchstens.« Seramir klatschte in die Hände. »Exzellent, mein Schüler! Kannst du mir aber auch sagen, was Identität in Bezug auf unser Volk bedeutet?« »Dass wir alle Mom’Serimer sind?«, sagte Milo, doch er fühlte, dass dies nicht genau das war, was Seramir erwartet hatte. »Das stimmt«, sagte Seramir zu Milos Überraschung. »Manche nennen um aber auch Solaner oder Besatzungsmit glieder oder Bürger der Liga Freier Terraner. Sind das ebenfalls Identitäten, die wir besitzen?«
Milo überlegte. »Das sind ebenfalls Identitäten«, sagte er nach einer Weile. »Allerdings teilen wir sie mit anderen. Mit der Kommandantin beispielsweise oder anderen Terranern.« »Was müssen wir infolgedessen machen, um wieder eine eigenständige Identität zu erhalten?« »Hmmm«, machte Milo unbehaglich. »Wir müssen uns… abgrenzen?« Seramirs Gehirntentakel stellten sich zitternd auf. »Alle Achtung, junger Aratoster! Du hast es messerscharf erkannt: Wir müssen uns abgrenzen, um wieder eine eigene Identität zu erhalten. Dann erst können wir uns wieder als Volk zusammenschließen…« »… und eine neue Bestimmung erlangen«, schloss Milo. Seramir blickte ihn erstaunt an. »Stimmt genau. Nun hast du mich wirklich überrascht, Milo.« Der junge Mom’Serimer strahlte Seramir an. »Habe ich das?« »Das hast du. Du bist… wir sind auf dem richtigen Weg, mein junger Freund. Ich sehe…«Er schloss die Augen und die beiden besonderen Gehirntentakel wanden sich zitternd in Milos Richtung. »… dass sich die Dinge entwickeln. Sie sind noch in weiter Ferne, doch das Bild wird stetig klarer.« Milo sah den Alten an, antwortete aber nicht. Zwischenspiel Ein Essen über der Märchenstadt »Terrania ist wunderschön«, sagte Fee, während sie verträumt aus dem Panoramafenster blickte, an dem sie saßen. »Der Schnee sieht aus, als ob jemand einen geheimnisvollen Zauberstaub über die Stadt hätte rieseln lassen.« Perry Rhodan klappte die Speisekarte zu und folgte Fees Blick. »Du hast recht«, sagte er nach einer Weile. »Seit drei Wochen sind wir nun schon zurück, und ich habe mir noch nicht einmal richtig Zeit genommen, kurz innezuhalten und das zu betrachten, wofür wir gekämpft haben.«
Fee sah ihn an. Betrachtete das Gesicht, das Billionen Lebewesen bis in die letzte Hautfalte hinein kannten. Perry Rhodan war eine lebende Legende. Er hatte die Menschheit zu den Sternen geführt und darüber hinaus. Er hatte im Zentrum stellarer, galaktischer und intergalaktischer, ja sogar interuniversaler Konflikte gestanden. Seine Visionen, sein Wille und geradezu unglaubliches Charisma hatten ihn stark gemacht, ihn gelenkt und dazu beigetragen, dass die Dinge meist einen guten Ausgang gehabt hatten. Und hier, inmitten der Wüste Gobi, an einem kleinen Gewässer namens Goshun-See, hatte damals im Jahr 1971 alter terranischer Zeitrechnung alles begonnen. »Dafür kämpfst du, Perry?«, fragte Fee sanft. »Für Terrania, deine Heimat?« Rhodan lächelte. Um seine Augen verzweigte sich ein Dutzend Lachfältchen. »Terrania ist meine Basis«, sagte er. »Mein Hafen, an den ich immer wieder zurückkommen will, solange es mich gibt. Meine eigentliche Heimat aber…« Rhodan ergriff den Weinkelch, in dem ein kühler Weißwein prickelte. »… sind meine Freunde«, vervollständigte er seinen angefangenen Satz. Fee ergriff ihr Weinglas und stieß mit Rhodan an. »Auf Freundschaften«, sagte sie. »Auf Freundschaften«, antwortete Rhodan. Nick, der Maitre D’, der es im stadtweit bekannten Residenz-Restaurant Marco Polo auf fast eine ebenso hohe Berühmtheit gebracht hatte wie der Chef Marco Pierre White, servierte ihnen die Vorspeise: zwei Scheiben Terrine aus Lauch, Krabbenscheren und Hummerstücken, auf denen ein Häufchen Kaviar lag. Das Ganze war überträufelt mit einer Emulsion aus Olivenöl und Limettensaft. »Bon Appetit!«, wünschte Nick und zog sich unauffällig wieder zurück. »Lass es dir schmecken«, sagte Perry Rhodan.
»Danke!«, antwortete Fee. »Und nochmals danke, dass du dir so kurzfristig für mich Zeit genommen hast. Ich nehme an, dass du einiges zu tun hast.« »In der Tat.« Der Terranische Resident drückte mit der Seite der Gabel eine Ecke der Terrine ab und führte sie zum Mund. »Köstlich. Leicht und doch raffiniert.« Er schloss kurz die Augen, dann blickte er Fee ernst an. »Ich hoffe, du verstehst, dass ich das Essen zum Informationsaustausch nutze.« »Aber selbstverständlich.« »Bully, Homer und die anderen haben alles getan, damit das Solsystem nicht fällt. Seit sich die Truppen TRAITORS aus unserer unmittelbaren Nachbarschaft zurückgezogen haben, wird das gesamte Bild der Verwüstungen – oder sollte man besser sagen: der Ressourcenerschließung durch die Kräfte des Chaos – erst richtig ersichtlich. Wir werden Jahrzehnte benötigen, um aufzuräumen, Wunden zu heilen, Seelen zu trösten. Andere Staatenbünde und Völker hat es um ein Vielfaches schwerer getroffen als uns.« Rhodan legte die Gabel zur Seite und nahm erneut einen Schluck Wein. Sein Zellaktivatorchip würde den Alkohol innerhalb der nächsten Stunde neutralisiert haben. »Irgendwie ist es unheimlich, dass die Terminale Kolonne TRAITOR so komplett abzieht«, sagte Fee. Rhodan nahm sie mit dem Blick seiner grauen Augen gefangen. »Viel unheimlicher wird es, wenn man weiß, dass dem leider nicht ganz so ist«, antwortete er mit hörbarem Unbehagen in der Stimme. »An einigen Orten lässt der Abzug TRAITORS noch auf sich warten. Sie räumen zusammen, nehmen mit, was sie weiterverwenden wollen.« »Kann es sein, dass Teile der Kolonne zurückbleiben werden?«, fragte Fee beunruhigt. Rhodan zuckte mit den Schultern. »Ich wollte, jemand könnte mir diese Frage definitiv beantworten. Persönlich gehe ich allerdings nicht davon aus. Die Kolonne ergibt nur in ihrer gesamten Monstrosität Sinn. Selbstständig agierende Einheiten – so stark sie individuell auch sein mögen – passen schlicht und ergreifend nicht zu der Philosophie, nach der die Kolonne jahrmillionenlang gelebt hat.«
Er widmete sich wieder seiner Terrine. »Eigentlich eine Tragödie, solch feines Essen zu genießen, während man sich über den Krieg und seine Auswirkungen unterhält.« Fee nickte. »Und nun gebe ich dir eine Information weiter, die mit der zweithöchsten Geheimhaltungsstufe klassifiziert worden ist«, sagte Rhodan. In seinen Augen lag ein Ausdruck der Sorge. »Hundert Jahre Frieden«, hatte er sich und den Lebewesen der Milchstraße gewünscht. Das war bei der großen Ansprache aus der Solaren Residenz gewesen, vor nicht einmal drei Wochen. Zogen nun bereits die nächsten Gefahrenwolken herauf? »Worum handelt es sich, Perry?« »Durch einen Zufall haben wir auf dem Mond Chrek-Torn im Wega-System ein frisch angelegtes Waffendepot und ein Genlabor gefunden.« »Du willst sagen…«, begann Fee. »… jemand hatte da noch einen Plan«, gab Rhodan zurück. »Jemand?« »Wie gesagt: Ich glaube nicht, dass es um eine veränderte Denkhaltung innerhalb der Kolonne geht. Das Gebilde ist schlicht zu alt und zu groß, als dass dies innerhalb weniger Wochen geschehen könnte.« »Also der Plan eines Individuums?« Perry Rhodan nickte. »Ein Dual vielleicht. Allerdings ist es nicht wichtig, zu wissen, wer genau dahintersteckte. Es ergibt keinen Sinn, den Kolonneneinheiten nachzufliegen, um dies in Erfahrung zu bringen. Allerdings wissen wir nun eines…« »… wir tun gut daran, die Sitzfläche einer kurzen Prüfung zu unterziehen, bevor wir uns drauf setzen«, sagte Fee verstehend. »… es könnte sich eine Reißzwecke darauf befinden«, sagte Rhodan und nickte. Nick erschien, nachdem er offenbar auf eine Gesprächspause gewartet hatte, und räumte die leeren Teller ab. »Was gibt es Neues aus dem SOL-Alltag?«, fragte Rhodan. »Erfreut sich die Crew an ihrem Landurlaub?«
»Davon gehe ich aus«, sagte Fee. »Der eigentliche Grund, weshalb ich dich sprechen wollte, betrifft die Mom’Serimer.« Rhodan zog überrascht eine Braue hoch. »Die Mom’Serimer? Was ist mit ihnen?« »Nun, es gab in während des Fluges zwei Entwicklungen, die – wie ich das beurteile – beide mit dem Ende unserer Mission in Verbindung stehen. Zum einen dürstete es die Recken aus der Armee der Schatten nach weiteren Einsätzen. SENECA hat mich über schlimme Veteranenkrankheits-Symptome informiert. Kurze Zeit später erschien dann Remo Aratoster, ihr Lord, und verlangte meine Unterstützung bei der Organisation einer Mom’Serimer-Olympiade.« Um Rhodans Mund hatte es während ihrer Ausführung verräterisch gezuckt, nun lachte er schallend los. »Ihr habt eine Mom’Serimer-Olympiade durchgeführt? Davon habe ich ja gar nichts mitbekommen.« Fee tupfte sich mit einer Serviette die Lippen ab. »Dazu bestand kein dringender Grund«, sagte sie und zwinkerte Rhodan zu. »Ich habe Steph LaNievand mit der Ausführung betraut. Er und sein Team haben tatsächlich innerhalb weniger Stunden und dank SENECAS Unterstützung ein Teilnehmerfeld zusammengestellt, das sich in insgesamt zehn Disziplinen messen konnte: Völkerball gab es, eine Hindernisstafette, Sackhüpfen, Klettern, Rückwärtsgehen, Dinge finden, Gehirntentakel-Synchrontanz, ein Zellaktivatorträger-Memory-Spiel, ein Quiz, bei dem die Farbtafeln aus Hoschpians unautorisierter Chronik richtig zugeordnet werden mussten und Stillsitzen.« Rhodan lachte herzhaft und rieb sich dabei Tränen aus den Augenwinkeln. »Einen Wettkampf im Stillsitzen?«, fragte er nach. »Was war der Rekord? Fünf Sekunden? Drei? Eine?« Fee fiel in das Gelächter ein. Nick erschien und brachte den Hauptgang. »Gefüllte Tauben- und Fasanenbrust«, sagte er, »auf einem Gemüsebeet an einem Weinfond und darüber gehobelten weißen Trüffeln. Mit den besten Empfehlungen vom Chef.« »Dann grüße Marco Pierre White herzlich von uns«, sagte Rhodan. »Das Essen schmeckt wie immer hervorragend.«
»Das werde ich gern machen. Darf ich einen ferronischen Spitzenwein zur Begleitung empfehlen?« »Den roten Chateau Nadshül?«, fragte Rhodan. »Sehr gern.« Nachdem Nick den Wein gebracht und eingeschenkt hatte, blinzelte der Resident Fee Kellind zu. »Du musst übrigens nicht denken, dass ich nach dem Kampf gegen KOLTOROC in die Dekadenz versunken bin. Normalerweise esse ich sehr bescheiden zu Mittag. Aber Marco hat darauf bestanden, mich heute einzuladen, da ich mich persönlich dafür eingesetzt habe, dass das Marco Polo geöffnet bleibt.« Rhodan beugte sich etwas vor und sagte in einem gespielt verschwörerischen Tonfall: »Erzähl bloß Mondra nicht, dass wir hier ein gemütliches Geschäftsessen abgehalten haben, sonst muss ich eine Woche auf dem Sofa schlafen!« »Keine Angst, Perry«, gab Fee gleich leise zurück. »Ich klassifiziere es unter der Geheimhaltungsstufe zwei.« Insgeheim wunderte sich Fee über sich selbst. Da saß sie, die Perfektionistin und selbst definierte Kontrolliertheit in Person, und plauderte mit ihm, der lebenden Legende Rhodan, locker über dieses und jenes, Politik und galaktische Gefahren. Wie machte er das? Woher nahm er diesen Charme, diese Gelassenheit, diese Liebe für seine täglichen Aufgaben? Rhodan ließ den Moment der Leichtigkeit vorüberziehen und sagte dann: »Du hast von zwei Entwicklungen gesprochen, welche mit dem Ende der Mission in Verbindung stehen. So unterhaltsam die Olympia-Episode sein mag, kann ich mir nicht denken, dass du sie mir unbedingt hast erzählen müssen.« »Das stimmt, Perry. Im Übrigen war Remo Aratosters Olympiade ein kompletter Reinfall. Zuerst war sie das Gesprächsthema in der Scherbenstadt, doch dann hatte plötzlich ein neuer Spieler das Feld betreten und das Interesse an Völkerball & Co. erlosch wie eine Kerzenflamme im Wind.« »Was meinst du mit ein neuer Spieler?«, fragte Rhodan. »Ich kann es nicht anders ausdrücken. Ein Mom’Serimer namens Seramir plötzlich stand er da und hat zu seinem Volk gesprochen.«
»Ein neuer Lord? Remo Aratoster muss inzwischen auch schon älter sein.« »Kein neuer Lord – er sieht gar nicht nach einem dieser jungen, tatenhungrigen Gesellen aus, die sich immer wieder wie zufällig in die Zentrale der SOL verlaufen. Im Gegenteil: Er sieht geradezu alt aus – uralt und weise.« »Hmmm«, machte Rhodan und schob sich nachdenklich ein Stück Taubenbrust in den Mund. »Wie alt scheint er denn? Zwanzig, zweiundzwanzig Jahre?« »Keine Ahnung, Perry. Es ist mehr die Kombination von Aussehen und der Art, wie er über sein Hauptthema spricht: die NACHT.« »Wie spricht er denn darüber?« »Als ob er selbst dabei gewesen wäre.« Rhodan legte das Besteck zur Seite und betätigte den Sensor der Wärme- und Feuchtigkeitsfunktion des Tellers. »Dann müsste er – wie viel? – vierzig, fünfzig Jahre alt sein?«, zweifelte er. »Das wären mehr als doppelt so viele Jahre, wie den Mom’Serimern normalerweise zur Verfügung stehen.« »Du sagst es, Perry: normalerweise«, gab Fee zurück. »Was sagt SENECA dazu?« »Der gibt sich bedeckt. Fast scheint es mir, als schäme er sich, dass es in seinem Schiff eine Person geben könnte, die er nicht von Beginn an kennt.« »Könnte es sein, dass er erst vor Kurzem in die SOL gekommen ist?« »Das haben wir ebenfalls überprüft, es ist aber eher unwahrscheinlich. Auf welchem Weg hätte dies geschehen sollen? Zudem hat er bereits nach seiner ersten Ansprache von den Mom’Serimern einen Beinamen erhalten: Seramir, der Prophet der NACHT. Gerüchten zufolge hat er die Oberhäupter der Mom’Serimer mit Ratschlägen versorgt. Aber wie gesagt: Das sind nur Gerüchte. Nicht einmal SENECA kann eines davon beweisen oder widerlegen.« »Und was will er, der Prophet?« »In den ersten Reden hat er vor allem von der NACHT gesprochen. Er hat von ihr als ihre wahre Heimat gesprochen und davon, dass das Volk der Mom’Serimer ohne diese Heimat und ohne die damit
verknüpfte höhere Bestimmung nicht mehr das sein könne, was es wäre. Nämlich Mom’Serimer sein.« »Ist er konkreter geworden?« Fee nickte. Sie nahm den Weinkelch und sah Perry Rhodan über dessen Rand hinweg an. »Gestern Abend hat er mich offiziell besucht. In seiner Begleitung hatte er das Kind von Lord Remo Aratoster. Er sei sein Schüler, hat er über ihn gesagt.« Rhodan beugte sich leicht vor. »Was hat er verlangt?« »Er hat gefordert, die SOL verlassen zu dürfen«, sagte Fee langsam. »Und ausgesagt, dass alle Mom’Serimer mit ihm gehen würden.« Perry Rhodan nahm das Besteck wieder in die Hände und setzte die Mahlzeit fort. »Ich werde mich darum kümmern«, sagte er und spießte ein Geflügelstück auf. »Organisier bitte ein Treffen mit ihm, dem Lord, dir und mir. Ich werde meine anderen Termine verschieben.« 6. Die Viererkonferenz »Die Mom’Serimer sind ein kosmisches Volk«, sagte Seramir, der Prophet. »Das waren wir schon immer. Wir hatten eine Aufgabe von kosmischer Bedeutung, die eng verknüpft war mit unserer Heimat, der NACHT. Wir waren Wächter für die Superintelligenz ESTARTU – doch mit unserer Heimat verschwand auch unsere Bestimmung. Und was sind wir jetzt?« Seramir blickte Fee Kellind an und hob in einer beschwichtigenden Geste die rechte Hand. »Gewiss, gewiss – wir sind mehr als nur Gäste an Bord der SOL. Viele von uns haben ehrenvolle Aufgaben, arbeiten als Techniker oder Ingenieure. Kurzzeitig durften wir sogar in Aktion treten und uns in die Auseinandersetzung mit KOLTOROC einbringen.« Der alte Mom’Serimer richtete den Blick seiner dunklen Augen wieder auf Perry Rhodan. »Dennoch besitzen wir keine eigentliche Aufgabe. Jedenfalls keine von tieferer Bedeutung, wie wir es benötigen, um wir selbst zu sein.«
»Das F in LFT steht nicht zufälligerweise für frei«, sagte Rhodan. Er blickte das kleine Wesen an, das sich nicht nur äußerlich von seinen Artgenossen unterschied. Dieser Seramir besaß ein beachtliches Maß an Ausstrahlung. Dazu kam, dass er sich – im Gegensatz zu den meisten Mom’Serimern – die Zeit nahm, die Dinge empfängergerecht zu kommunizieren. »Selbstverständlich darf das Volk der Mom’Serimer die SOL verlassen, um sich eine neue Heimat zu suchen«, fuhr Rhodan fort. »Allerdings gibt es da noch ein paar Fragen, die ich mir nicht ganz beantworten kann.« Die beiden Mom’Serimer setzten sich kerzengerade in ihren Sesseln auf. Zu Rhodans Überraschung hatte sich in Begleitung des Propheten nicht Lord Remo Aratoster befunden, sondern sein Sohn Milo, den Seramir als »mein Schüler« vorgestellt hatte. Wie Fee Kellind berichtet hatte, war der Lord zu keinem Gespräch bereit gewesen – weder in der Scherbenstadt noch auf Terrania. Rhodan gefiel diese Entwicklung überhaupt nicht, und er hatte beschlossen, das Oberhaupt der Mom’Serimer darauf anzusprechen. »Und die wären?«, fragte Seramir. Wie sein Schüler vermied er es, aus dem Panoramafenster des Konferenzraums zu blicken. Die Höhe, in der die Residenz schwebte, und der Anblick der gewaltigen Terrania-Skyline waren zu viel für die an Raumstationen gewöhnten Mom’Serimer. Daran wollte Rhodan anknüpfen. »Wenn ich es richtig verstanden habe, so willst du dein Volk auf einen Planeten führen, der zu einer neuen Heimat für die Mom’Serimer werden soll«, holte Rhodan aus. Milo Aratoster nickte in einer perfekt von den Menschen abgeschauten Geste, während Seramir abwehrend beide Arme hob. »Es ist nicht mein Volk, Perry Rhodan. Wir sind Mom’Serimer, dies zu erwähnen genügt.« Rhodan lächelte. »Ich bitte um Entschuldigung für meine unbedachte Formulierung…« »Sie war nicht unbedacht«, unterbrach ihn Seramir sofort. »Du bist kein Wesen, das nicht weiß, wovon es spricht.
Du wolltest mich prüfen. Du wolltest meine Gesinnung auf die Probe stellen.« »Erneut ist es an mir, mich zu entschuldigen«, sagte Rhodan ernst. »Ihr müsst verstehen, dass mich das Schicksal der Mom’Serimer stark interessiert. Nicht nur in meiner Funktion als Resident der LFT, sondern auch als Terraner. Ich kenne Atlans und Ronald Tekeners Berichte über eure selbstlosen Einsätze im Kampf gegen KOLTOROC.« »Entschuldigung akzeptiert«, sagte Seramir. »Welche Fragen kannst du dir nicht beantworten?« »Da wäre zuerst einmal die Absicht, auf einem Planeten zu siedeln«, sagte Rhodan. »Als Atlan den Mom’Serimern am 31. Oktober 1306 NGZ ein permanentes Bleiberecht an Bord der SOL zusprach, war eines der wichtigsten Argumente auf eurer Seite, dass ihr nicht für Planetenoberflächen und den damit verbundenen klimatischen und biologischen Bedingungen geschaffen seid. Fee?« Die Kommandantin der SOL beugte sich ein wenig vor. »Der damalige Lord und Begründer der Scherbenstadt, Shoy Carampo, hatte bei seinem Besuch in den Erholungslandschaften der SOL am eigenen Leib erfahren, was es hieß, plötzlich Blütenpollen sowie fremden Kleinstlebewesen wie Bakterien und Wildhefe ausgesetzt zu sein. Zudem seid ihr nachtsichtig – euer Sehvermögen ist auf Bedingungen ausgerichtet, wie sie an Bord von Nacht-Acht geherrscht haben.« Milo blickte erschrocken von Fee zu Perry Rhodan und seinem Lehrmeister. Er hatte bisher noch kein einziges Wort gesagt. Entweder hatte Seramir ihm dies verboten, oder der junge Mom’Serimer war die Schüchternheit in Person. Seramir blieb die Ruhe in Person. »Treffende Argumente«, sagte er. »Wenn man zurückblickt. Ich blicke aber nach vorn. Und ich sehe ein Volk, das sich innerhalb von kurzer Zeit an neue Bedingungen anpassen kann. Zudem dürft ihr versichert sein, dass es nicht unsere Absicht ist, auf einer sehr hellen oder sonst für unseren Metabolismus schädlichen Welt zu siedeln.« »UndDarlaMarkuskannunserlmmunsystemdenneuenBedingunge nanpassen!«, platzte Milo Aratoster heraus. Offensichtlich erschrocken über seinen eigenen Mut, schrumpfte er förmlich in seinem
Pneumosessel zusammen und seine Haut verfärbte sich zu einem satten Schweinchenrosa. »Wie bitte?« Rhodan sah den Kleinen entgeistert an, der unter seinem Blick noch kleiner wurde. »Wenn ich es richtig verstanden habe«, begann Fee lächelnd, »hat unser Freund Milo die Bordärztin Daria Markus angesprochen.« »Siekannunser… sie kann unser Immunsystem stärken«, hauchte Milo. »Wie damals bei Shoy Carampo und seinem Freund Basch Fatingard. Das… das habe ich gelesen.« »Das ist selbstverständlich ein gutes Argument, das nicht von der Hand zu weisen ist«, sagte Rhodan zu Milo. Der Stolz über das Lob des Terranischen Residenten ließ ihn sichtlich aufblühen. »Was mich allerdings mehr erstaunt«, wandte sich Rhodan wieder an den Propheten, »ist deine Aussage, dass alle Mom’Serimer mit dir von Bord gehen werden.« Seramir blickte Rhodan aus seinen dunklen, tiefgründigen Augen an, sagte aber nichts. »Wie kannst du dies behaupten? Nach meinen Informationen gab es bisher keine Abstimmung unter den Mom’Serimern. Wie kannst du wissen, dass alle Mom’Serimer dies wirklich wollen?« »Niemand ist einem Zwang unterworfen«, gab der Alte gelassen zurück. »Allerdings bin ich davon überzeugt, dass, wenn wir erst einmal diese neue Heimat gefunden und die damit verknüpfte Aufgabe erfahren haben, sich die Mom’Serimer dafür entscheiden werden. Das habe ich so gesehen.« Rhodan legte den Kopf ein wenig schief und blickte von Seramir zu dem jungen Mom’Serimer. »Milo Aratoster, darf ich dich um ein Gespräch unter vier Augen bitten?« Milos Tentakel gerieten in Aufruhr. »Mimimi… mit mir?«, stammelte er. Unsicher blickte er zu seinem Lehrmeister. Seramir lächelte und berührte den Jungen kurz mit seinem linken Gehirntentakel. »Geh nur. Es ist eine große Ehre, bei dem unsterblichen Perry Rhodan eine Privataudienz zu erhalten!« »Na, ganz so schlimm ist es nicht«, lachte Rhodan.
Er erhob sich und deutete auf die Tür, die in einen Nebenraum führte. »Wenn ich bitten darf.« Milo rutschte aus seinem Sessel und huschte zur angegebenen Tür. Er schien die Angelegenheit so schnell wie möglich hinter sich bringen zu wollen. * »Wie denkt dein Vater über Seramirs Pläne?«, fragte Rhodan geradeheraus. »Er ist…« Milo schluckte nervös. Sein Blick irrte im kleinen Besprechungsraum umher, als ob die Worte irgendwo aufgeschrieben wären, die er suchte. »Er ist unglücklich darüber. Er will nicht, dass jemand die Scherbenstadt verlässt. Ganzbesondersichnicht.« »Den letzten Satz habe ich nicht verstanden.« »Er will nicht, dass ich weggehe«, brachte Milo umständlich heraus. »Willst du dies denn?« »Ich…« Milo sah Rhodan zum ersten Mal direkt in die Augen. »Auf der einen Seite will ich die Scherbenstadt nicht verlassen. Sie ist mein Zuhause. Gleichzeitig will ich aber auch weggehen. Neue Dinge sehen und… herausfinden, was diese neue Bestimmung für unser Volk sein könnte, von der Seramir spricht.« Rhodan blickte den kleinen Kerl an. Etwas in seiner Stimme rührte ihn. »Ver… verstehst du?«, fragte Milo schüchtern. Rhodan legte dem Mom’Serimer eine Hand auf die Schulter. »Das tue ich, Milo. Ich verstehe deine Neugierde… und die Angst deines Vaters, dich zu verlieren.« Milo sah betrübt zu Boden. »Kann es sein, dass es im gesamten Volk so ausschaut wie in dir?«, fragte Rhodan rücksichtsvoll. »Spaltet Seramirs Plan das Volk der Mom’Serimer?« Milo sah auf und nickte schwach. »Viele sind von Seramirs Worten fasziniert. Sie sehnen sich nach einer wichtigen Aufgabe, nach einer neuen Bestimmung. Sie sehnen sich auch nach der NACHT, obwohl
sie ihnen unbekannt ist. Aber noch viel mehr halten Seramirs Plan für überflüssig. Weshalb eine neue Heimat suchen, wenn man in der alten Heimat SOL glücklich ist, fragen sie sich.« »Danke für deine ehrlichen Worte, Milo«, sagte Perry Rhodan nachdenklich. »Komm, wir gehen wieder zu den anderen.« Sie verließen den Besprechungsraum und gesellten sich zu Fee Kellind und dem Propheten. »In Ordnung«, sagte Perry Rhodan. »Ich werde ein Team zusammenstellen, das sich mit der Suche nach einer geeigneten Welt befassen wird. Sobald eine Auswahl vorliegt, wird die SOL aufbrechen und…« »Nicht nötig«, unterbrach ihn Seramir. Seine dunklen Augen schimmerten. »Ich habe mich in den letzten Tagen intensiv mit der Suche befasst und bin fündig geworden.« Überrascht blickten Rhodan, Fee und auch Milo auf den Alten, der sich in seinem Sessel hoch aufrichtete. Seine Gehirntentakel vollführten einen zitternden Tanz. »Du wurdest fündig?« »Ganz genau«, sagte Seramir mit einem hintergründigen Lächeln. »Die Welt liegt in einem Sonnensystem, das ihr Pelarga getauft habt, Perry Rhodan. Ich sehe, dass sie alles mit sich bringt, um uns eine wunderbare neue Heimat zu sein. Zudem umgibt sie ein dunkles Geheimnis. Ich kann die Gefahr spüren, die von ihr ausgeht. Das wird die Aufgabe sein, die auf uns wartet!« »Du siehst«, sagte Rhodan, »du spürst. Was ist die Basis deiner Eindrücke, Seramir?« »Resident«, gab der alte Mom’Serimer zurück. »Du denkst, dass ich mir das alles zusammenreime? Du irrst dich, Perry Rhodan. Ich weiß, wovon ich spreche. Pelarga liegt am Rand eines Sternhaufens, dem Peldron-Nebel. Drei Planeten umkreisen die Sonne, doch nur einer davon befindet sich in der Biosphäre – er wird unsere neue Heimat werden. Wenn wir nachts in den Himmel sehen werden, wird er perfekt schwarz sein – wie einst in ESTARTUS NACHT!« Rhodan hatte Seramirs Ausführungen mit leicht gerunzelter Stirn gelauscht. Er blickte auf Fee Kellind, in deren Gesicht sich ebenfalls eine Spur von Skepsis abzeichnete.
»LAOTSE!«, sagte Perry Rhodan. »Was findest du in den Datenbanken über die Sonne Pelarga und ihre Planeten?« Die angenehm modulierte Stimme des Residenz-Zentralrechners meldete sich sofort, als ob er die ganze Zeit nur auf seinen Einsatz gewartet hätte. »Ich kann Seramirs Aussagen allesamt bestätigen. Die Sonne mit ihren drei Planeten wurde kartografiert, von der LFT aber noch nicht näher untersucht. Der Peldron-Nebel befand sich in einem der Hyperkokons, die infolge des Hyperimpedanz-Schocks im Dezember 1331 NGZ in den Normalraum gestürzt waren. Der Nebel besitzt eine Ausdehnung von 430 Lichtjahren und eine Masse von 1,1 Millionen Sonnen. Er befindet sich im galaktischen Zentrum, allerdings rund 900 Lichtjahre unterhalb der Hauptebene.« »Danke, LAOTSE!«, sagte Perry Rhodan. »Das reicht vorerst.« »Eine Information dürfte für dich aber noch beachtenswert sein«, gab der Zentralrechner zurück. »Fernortungen haben ergeben, dass sich im Bereich der Sonne Pelarga ein Brückenkopf der Terminalen Kolonne TRAITOR befunden hat. Der Peldron-Nebel ist das Hyperkokongebiet, das der Charon-Wolke am nächsten liegt.« Fee pfiff leise durch die Zähne. Rhodan blickte den alten Mom’Serimer an, den viele seiner Artgenossen den Propheten nannten. »Du wirst deinen Willen bekommen, Seramir«, sagte Rhodan. »Wir werden Pelarga und ihre Planeten unter die Lupe nehmen. Fee, mach bitte die SOL startklar. Eine Minimalbesatzung reicht – daneben benötigen wir ein komplettes Planeten-Besiedlungs-Set, auf die Mom’Serimer abgestimmt, versteht sich. Ich werde bei Homer G. Adams deswegen vorstellig werden, und du bist dafür verantwortlich, dass es rechtzeitig in die SOL geladen wird.« »Rechtzeitig?« »Wir sollten in drei Tagen aufbruchsbereit sein.« »Habe ich richtig verstanden, dass du diese Expedition begleiten wirst?« »Das hast du. Ich will diese mögliche neue Heimat der Mom’Serimer mit eigenen Augen sehen.«
Das war nicht einmal gelogen. Wenngleich erst LAOTSES letzter Hinweis den Ausschlag zu Rhodans Entscheidung gebracht hatte. Die Hinterlassenschaften TRAITORS hängen immer noch wie ein Damoklesschwert über der Milchstraße, dachte er. »Ich werde mich sofort um alles kümmern«, bestätigte Fee. Falls die Kommandantin die Entwicklung der Dinge skeptisch betrachtete, so ließ sie es sich nicht anmerken. Seramir schien über Rhodans schnelles Umdenken äußerst zufrieden zu sein. Es gab kein Anzeichen dafür, dass er sich davor fürchtete, seine Prophezeiungen widerlegt zu sehen. Nur Milo blickte bekümmert von einer Person zur anderen. Rhodan wusste, dass sich der junge Mom’Serimer vor der Entscheidung fürchtete, vor die er bald gestellt werden könnte. Zwischenspiel SOLtv Wunderschönen guten Morgen, liebe Besatzungsmitglieder – es ist exakt 9 Uhr an diesem 26. Dezember 1347 NGZ, und ich wünsche euch einen magischen zweiten Weihnachtstag, falls ihr ihn aus religiösen oder traditionellen Gründen begehen wollt. Mein Name ist Elin Nightingale, und falls ihr an dieser Stelle meine Mutter, die legendäre Nachtschwalbe Vesper, erwartet habt, so muss ich euch leider enttäuschen – Mütterchen genießt die Schneelage in den europäischen Alpen. Ich gehe aber davon aus, dass ich euch auf dieser Kurzexpedition in den geheimnisvollen Peldron-Nebel ebenso wie sie mit interessanten, lustigen, schmackhaften und, wenn wir Glück haben, auch etwas frivolen Nachrichten aus dem wie immer lebhaften Bordalltag unser aller SOL liefern kann. Unterstützt werde ich übrigens durch Clive Alhuis, der die Ferienvertretung von Morten Racast übernommen hat und mich beim Sammeln von trockenen Daten unterstützt! Also los von Rom und reingeschaut in die aktuellsten Meldungen! Die Mom’Serimer sind los! Nach ihren heldenhaften Einsätzen gegen die Truppen KOLTOROCS und der beinah zustande gekommenen Mömschen-Olympiade, scheint sich nun eine ernsthafte Spaltung anzubahnen. Der mysteriöse Prophet zieht immer mehr Mom’Serimer in seinen
Bann. Die meisten von ihnen sind ganz aus dem Häuschen, dass sie bald wieder eine kosmische Aufgabe erhalten und an einem Ort leben werden, der mit der legendären NACHT vergleichbar sein könnte. Halten wir uns aber die schnelle Generationenfolge der Mom’Serimer vor Augen, dann sind in den Jahren, die seit dem Exodus aus der NACHT verstrichen sind, an die sieben Generationen Mom’Serimer geboren worden. Das wären dann die Ur-Ur-Ur-Ur-Großväter oder -Großmütter der aktuellen Generationen, je nachdem, welche Gehirntentakel damals gerade dominiert haben. Wie einige andere frage auch ich mich besorgt, ob dieser Prophet nur das Beste für unser liebenswertes Volk im Sinn hat. Er wird immer stärker als ein Idol, eine Leitfigur, ja sogar als Priester verehrt – ein Umstand, den eure Elin gar nicht gern sieht. Doch es gibt bei den Schnellsprechern auch Gegenstimmen, die nicht verstehen können, weshalb sie die SOL verlassen sollten, um sich eine neue Heimat zu suchen. Einer der Bewahrer des Status Quo ist das Oberhaupt der Mom’Serimer, Lord Remo Aratoster. Er macht eurer Elin am meisten Sorgen – unser aller Remo scheint um Monate gealtert. Es ist offensichtlich, wie sehr ihm die Aufsplitterung seines Volks Kummer bereitet. Zu allem Unbill hat Clive mir verraten, dass der Sohn seiner Lordschaft, Milo Aratoster, einer der glühendsten Verehrer des Propheten ist. Wie viel Kümmernis kann einem väterlichen Herz zugemutet werden? Wir halten euch auf dem Laufenden. Aber nun zu leichteren Meldungen der vergangenen Nacht: Perry Rhodan wurde gestern Abend beim traditionellen Abflugs-Absackerli in »Bobo’s Planet« in einem selbst gestrickten Pullover gesichtet. Angeblich ein Weihnachtsgeschenk von Mondra Diamond. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an die Herren der Schöpfung, die für uns Frauen Dinge tun, von denen sie sonst nicht einmal träumen würden… 7. Neu-NACHT »Ortung!«, rief Viena Zakata, Leiter der Abteilung Funk und Ortung. »Pelarga und die drei Planeten sind auf dem Schirm!« »Irgendwelche Unerfreulichkeiten?«, fragte Fee Kellind ruhig.
»Ich orte zahlreiche Abdrücke von Weltraumschrott. Allem Anschein nach Überbleibsel von Raumschiffen, die TRAITORS Einheiten vor die Potenzialwerfer gekommen sind.« »Keine Feindortungen, Wracks mit Überlebenden, Raumminen?« »Bisher alles negativ, Kommandantin«, gab Oberstleutnant Zakata zurück. »Bei einem Volltreffer durch Potenzialwerfer kann es keine Überlebenden geben.« »Wie sieht es bei Pelarga aus?« »Alles entsprechend den Erwartungen. Pelarga ist eine gelbweiße Sonne von Solgröße. Die innersten zwei Planeten sind atmosphärelose Glutwelten auf engen Umlaufbahnen. Der dritte Planet befindet sich auf einer weiten Bahn, sollte sich aber noch knapp innerhalb der Biosphäre bewegen. Vom Schrott und dem Sonnensystem abgesehen, ist es zappendüster da draußen.« »Danke, Tangens?« Tangens der Falke, Stellvertretender Chefwissenschaftler an Bord, ließ den Blick seiner eng beieinanderliegenden, lidlosen Augen nicht von den Anzeigen. Der Korphyre war an die extrem trockene Atmosphäre seiner Heimatwelt angepasst. Seine faltig-braunen Hände tanzten über die Konsole. »Ich bestätige die Aussage von Kollege Zakata«, schnarrte er. »Pelarga III besitzt eine dünne, noch gerade atembare Atmosphäre aus 85 Prozent Stickstoff, 13 Prozent Sauerstoff und weiteren, in ihrer Konzentration für kein Bordmitglied schädlichen Gasen. Schwach vorhandene Vegetation, keine Achsenneigung, aus diesem Grund auch keine Jahreszeiten. Laut den ersten Ergebnissen dürfte ein Tag ungefähr 42 Stunden und eine Umrundung um den Stern an die 530 Tage dauern. Hochrechnungen laufen noch.« »In Ordnung. Roman, wir nähern uns Pelarga III.« Roman Muel-Chen, der erste Pilot der SOL, bestätigte. Die SERT-Haube senkte sich über den Kopf des Emotionauten, und er steuerte das mächtige Schiff allein durch seine Gedankenimpulse auf den Planeten zu. Fee Kellind wandte sich zu Perry Rhodan um. »Was denkst du?« Rhodan fuhr sich über den linken Nasenflügel. »Sieht alles aus, wie es zu erwarten war. Mich verwundert nur…«
»Dringender Anruf von Seramir«, erklang SENECAS Stimme. »… dass sich Seramir noch nicht gemeldet hat«, beendete Perry Rhodan seinen angefangenen Satz. »Stell ihn durch!«, befahl Fee. Das Bild baute sich auf und zeigte Seramir in seinem gelben Mantel. Daneben standen etwas scheu Milo Aratoster Und noch weitere Mom’Serimer, die ungeduldig von einem Bein aufs andere tänzelten. »Kommandantin! Wie ist die Lage? Hast du Neu-NACHT gefunden?« »Wir fliegen Pelarga III in diesem Moment an. Seine Atmosphäre ist atembar. Die Landung wird allerdings noch etwas auf sich warten lassen. Derzeit wissen wir nicht, ob der Planet durch TRAITOR besetzt gewesen ist. Wir dürfen nichts überstürzen.« Die dunklen Augen des alten Mom’Serimers glitzerten feucht. »Wir haben den Planeten und wir haben die Gefahr«, sagte er andächtig. »Danke, Kommandantin! Ich werde die gute Nachricht gleich weitergeben. Melde dich, sobald wir den Planeten betreten können!« Der Holoschirm schaltete sich aus. Fee sah den unsterblichen Terraner an. »Er hat gute Nachricht gesagt.« Rhodan nickte nur. Zwischenspiel Perry Rhodan LAOTSE meldete sich. »Perry, Remo Aratoster möchte dich sprechen.« »Auf Schirm zwei, bitte.« Das Holobild auf Rhodans Arbeitstisch baute sich auf. Das Gesicht eines Mom’Serimers wurde sichtbar. Er trug keinerlei Erkennungsmerkmale. Bevor der Terranische Resident sich erkundigen konnte, ob er den Lord persönlich spräche, eröffnete dieser die Konversation. »Perry Rhodan! DumusstdiesenWahnsinnstoppen!« »Lord Aratoster!«, sagte Rhodan langsam, um Zeit zu gewinnen. LAOTSE hatte den Redefluss des Mom’Serimers auseinanderge-
nommen und blendete die Wörter als Laufschrift unterhalb des Bildes ein. »Du sprichst von der Landung?«, erriet er. »Ganzrecht! Stoppsie!« »Ich dachte, wir hätten uns darauf geeinigt, dass wir uns den Planeten zumindest einmal ansehen werden«, sagte Rhodan. Er hatte sich nach der Konferenz an das Oberhaupt der Mom’Serimer gewandt, um sich direkt mit ihm abzusprechen. Dabei hatte sich gezeigt, dass der Lord dem Projekt keinerlei Unterstützung zukommen lassen würde. Auf der anderen Seite hatte er klar gesagt, dass er es nicht auf einen Machtkampf mit dem Propheten ankommen lassen würde. Diese Aussage hatte Rhodan fürs Erste gereicht. Wenn sich der Lord nun erneut meldete, musste sich etwas verändert haben. »Seramirist…« Erstmals schien er sich bewusst zu werden, dass er zu schnell sprach. Verwirrt schüttelte er kurz den Kopf, dann sagte er in deutlich langsamerem Tempo: »Seramir ist ein Scharlatan! Er füllt meinem Kind den Kopf mit absurden Ideen!« »Was für Ideen, Lord Aratoster?« »Er hat meinem Kind gesagt, dass es eine große Zukunft vor sich habe.« »Bitte verzeiht, Lord Aratoster, aber ich kann an diesen Worten nichts Schädigendes entdecken. Ich habe den Eindruck, dass Milo ein scheuer junger Bursche ist, der durch Seramir neue Impulse erhält, um sich zu verwirklichen.« »Er hat ihm aber gesagt, dass er zu einem Heilsbringer für ein gesamtes Volk werden würde!« Rhodan spürte ein ungutes Gefühl in der Magengrube – wie immer, wenn es um solche Themen ging. »Das…«, begann er. »… ist noch nicht alles! Er hat Milo ebenfalls gesagt, dass er der nächste Lord werden könnte. Falls sich das Volk teilt.« Rhodan runzelte die Stirn. »Diese Aussage hat in der Tat einen etwas bitteren Nachgeschmack.« »Brichst du die Landung ab?«, drängte der Mom’Serimer. »Was würde geschehen, falls ich deiner Bitte folgen würde?«
»Nun…« Remo Aratoster dachte einen Moment lang nach. »Das Volk würde… es würde…« Seine grünbraunen Augen nahmen einen traurigen Ausdruck an, die Tentakel fielen kraftlos in sich zusammen. »Das Volk würde es nicht akzeptieren. Seramir hat ihre Köpfe schon zu stark mit seinem Gerede über die neue Heimat und eine neue Bestimmung und Aufgabe gefüllt.« Perry Rhodan rückte näher an die Erfassungsoptik. »Remo Aratoster. Ich habe noch eine Frage an dich, die du mir bitte ehrlich und umfassend beantworten wirst.« Der Mom’Serimer antwortete nicht, sondern blickte den Residenten nur stumm an. »Seramir – wie alt ist er wirklich, und was steckt hinter seinen Voraussagen?« »Niemand weiß, wie alt er wirklich ist«, sagte Remo Aratoster tonlos. »Man munkelt nur, dass er die NACHT noch erlebt habe, weil er in einer solchen Intensität von ihr spricht.« »Und weiter?« »Ich kenn ihn nicht sehr lange. Hab mich von ihm hie und da beraten lassen.« »Hat er bei seinen Beratungen ebenfalls Prophezeiungen abgegeben?« »Ja«, presste der Lord heraus. »Haben sie sich erfüllt?« Remo Aratoster schwieg. Seine Gehirntentakel zitterten wie ein Spinnennetz im Wind. Sekunden vergingen – eine für Mom’Serimer absurd lange Zeit. Dann straffte sich der Lord. »Jede einzelne seiner Voraussagen ist eingetreten«, sagte er mit fester Stimme. Rhodan lehnte sich wieder in seinen Sessel zurück. »Ich danke dir für deine Offenheit, Remo Aratoster«, sagte er. »Ich verstehe, dass das nicht einfach für dich war. Sei dir versichert, dass ich Seramir im Auge behalten werde.« Remo Aratoster nickte.
»Und noch etwas«, sagte Rhodan. »Auf einer etwas persönlicheren Ebene, von Vater zu Vater: Milo ist kein Kind mehr, Remo. Du brauchst ihn nicht länger zu beschützen.« »Was weißt du über…«, brauste der Mom’Serimer auf, brach aber mitten im Satz ab. »Glaub mir, ich weiß, dass es für einen Vater schwierig ist, das Maß ah Fürsorge für ein Kind richtig abzuschätzen. Ich habe dabei nicht nur einmal versagt.« »Du?« »Ja, ich.« »Ich werde darüber nachdenken.« »Gut. Und ich werde mich über Seramirs Methoden weiter informieren.« »Perry Rhodan?«, sagte der Mom’Serimer. Der Terraner lächelte. »Ja?« »Danke.« 8. Milo und das Gespenst Milo zitterte. Vor Glück, aber auch vor Aufregung und Angst. Er steckte in einem dieser wunderbaren Anzüge, die man damals für die Soldaten der NACHT kreiert hatte. Nie hatte er daran geglaubt, dass er je ein solches Teil würde tragen dürfen. Und das es sogar zu einer Nebensächlichkeit verkommen würde! Neben ihm standen der potenziell unsterbliche Terraner Perry Rhodan, die Chefin der SOL, Fee Kellind, und sein Lehrmeister Seramir. Sie schienen auf etwas zu warten, doch Milo hatte nicht genau mitbekommen, um was es sich handelte. Er sah sich um. Der Raum war ziemlich hoch und auch ziemlich nüchtern ausgestattet. Es roch nach Metall, Kunststoff und Desinfektionsmittel. Eine leicht verzerrte Stimme erklang. »Hier Borneson!« Perry Rhodan berührte eine Stelle seines linken Unterarms. »Hier Rhodan. Wie ist die Lage auf Neu-NACHT?«
Sofort klopfte Milos Herz stärker. Dann hatte er sich also doch nicht getäuscht! Als sich Oberleutnant Pat Borneson vor einer halben Ewigkeit mit zwanzig Soldaten an ihnen vorbeige drängt hatte und durch ein Schott verschwunden war, hatte er sich auf dem Weg auf die Oberfläche von Neu-NACHT befunden. »Du solltest dir das einmal anschauen kommen, Perry!«, kam die Antwort zurück. »Wir erhalten Besuch!« Das fremde Leben!, dachte Milo aufgeregt. Seramir hatte ihm erzählt, dass es auf dem Planeten bereits Leben geben würde, aber dass es den Ortungen zufolge durch die Truppen TRAITORS zum größten Teil vernichtet worden sei. »Gefahrenlage?«, fragte Rhodan zurück. »Keine Waffen, nicht einmal größere Ansammlungen von gespeicherter Energie oder Metall sind ortbar. Nur dieser… Wie gesagt, das musst du dir selbst ansehen. Eine Bildübertragung kann es nur ungenügend wiedergeben.« Rhodan blickte auf Seramir und ihn herab. »Die Atmosphäre ist atembar, allerdings etwas dünner als an Bord der SOL. Falls ihr Mühe mit dem Atmen habt, schließt einfach den Helm. Ihr wisst, wie das funktioniert?« »Das tun wir«, sagte Seramir für beide. »Gut«, sagte Rhodan. »Dann verlassen wir jetzt die Space-Jet und sehen uns den Besuch an, den uns der Oberleutnant vorstellen will.« Die drei setzten sich in Bewegung, und Milo beeilte sich, den Anschluss nicht zu verlieren. Es war ihm ein Rätsel, wie Seramir in diesem klobigen Ding so rasch gehen konnte. Zu allem Elend wusste er in diesem Moment auch nicht mehr, weshalb er überhaupt hier war. Mit all diesen wichtigen Personen! Milo atmete tief durch. »Ich gehe meinen Weg«, flüsterte er. »Ich gehe meinen Weg.« »Was sagst du?«, rief ihm Seramir über die Schulter zu, während sich vor ihnen ein großes Schott öffnete. »N… nichts«, rief Milo zurück. Grelles Licht drang hinein. Geblendet schloss Milo die Augen – und öffnete sie gleich wieder, als es plötzlich zischte und etwas Kühles über sein Gesicht strich.
Gegenwind – wie auf der Rutsche zu den Zwischenböden!, dachte Milo überrascht. Ohne dass wir uns dabei schnell bewegen! Gleich darauf schalt er sich einen Zweijährigen, als er endlich darauf kam, dass es sich um planetaren Wind handeln musste, der durch unterschiedliche Wärme- und Kältezonen auf diesem Planeten entstanden war. Was hatte der Meister gesagt? Er musste lernen, um es dann anwenden zu können? Verflixt – weshalb war das denn so schwierig? Entsetzt bemerkte er, dass Seramir und die anderen bereits drei Meter Vorsprung hatten. Er eilte ihnen hinterher, eine kurze Treppe hinunter… … und blieb stehen, als wäre er gegen eine Wand gelaufen. Verdutzt blickte er auf seine Füße, die in klobigen Stiefeln steckten. Um sie herum lag ockerbrauner Sand. Der kalte Wind blies ihm mitten ins Gesicht, brachte seine Augen zum Tränen, verwarf ihm schmerzhaft die Gehirntentakel. Er atmete ein, immer mehr und mehr und wurde das Gefühl nicht los, noch mehr zu brauchen. Um sie herum war nur Leere, weit, weit weg ragten mächtige Hügel auf, aber eben zu weit weg, um ihnen Schutz zu geben – und immer noch zerrte der Wind an ihm. Es war… Es war furchtbar! Es ist herrlich!, dachte er gleich darauf. Ich stehe auf dem Boden einer fremden Welt. Wie ein richtiger Abenteurer! »Geht es dir gut?«, flüsterte Seramir. »Möchtest du lieber wieder zurück ins Raumschiff?« Hastig winkte Milo ab. Der Wind verwehte seine ersten Worte, deshalb rief er sie zur Sicherheit nochmals etwas lauter. »Nein! Ich bleibe hier, es ist… es ist herrlich!« Perry Rhodan drehte sich um und schloss kurz das linke Auge. Bei den Terranern nannte sich das »Zwinkern« und war laut Indoktrinator-Ausbildung als Geste des Vertrauens oder der Verschwörung zu werten. Aufgeregt zwinkerte Milo zurück. Mit beiden Augen, um sicher zu sein, damit Rhodan sah, dass er die Geste richtig verstanden hatte. »Du brauchst keine Angst zu haben, Milo«, sagte der Terraner. »Wie es scheint, hat er mehr Angst vor uns.«
Erstaunt öffnete Milo die Augen. Erst jetzt nahm er die Personen wahr, die in seiner Nähe standen. Neben Seramir, Fee Kellind und Perry Rhodan hatten Pat Borneson und seine Truppe Aufstellung genommen. Und in ihrer Mitte… Milos Gehirntentakel schraubten sich vor lauter Schrecken in die Höhe. In ihrer Mitte stand ein durchsichtiges Gespenst. Und es blinkte hektisch. * Heftig atmend beobachtete Milo das Schauspiel. Das Gespenst bewegte sich auf drei dünnen, fast unsichtbaren Beinchen vorwärts. Der trapezförmige Oberkörper wiegte sich zitternd im Wind. Es war etwa eine Tentakelbreite kleiner als Milo – und hatte kein Gesicht. Jedenfalls keines, das in etwa einem Mom’Serimer oder Terraner ähnlich sah. Keine Augen, Tentakel, keinen Mund, Nase, Ohröffnungen oder dergleichen. Nur dieses milchige Ding am Ende des trapezförmigen Oberkörpers, das in verschiedenen Farben aufgeregt blinkte. Das Gespenst näherte sich einem kleineren Mann aus Bornesons Truppe, der nach vorn getreten war und ein kompliziert aussehendes Kästchen bediente. »Das ist der Kommunikationsexperte Christopher Stok!«, sagte Seramir in Milos Richtung. Glücklicherweise trug der Wind Milo die Worte zu, sonst hätte er sie nicht verstanden. »Wie es scheint, verständigt sich dieses Volk rein über Lichtsignale. Ein echt steifer Tentakel, wenn wir mit ihnen sprechen wollen.« Milo wusste nicht, was er antworten sollte, und blickte nur fasziniert auf das Gespenst. Als es so nahe war, dass es den Kommuni… den Sprechexperten fast berühren konnte, verfärbte es sich plötzlich in helle Grün- und Blautöne. Impulsiv blinkend zog es sich von dem Mann zurück und näherte sich der nächsten Person. Wieder verfärbte es sich bei der Annähe-
rung in helle Farbtöne, und das Ding des Wesens, das ein wenig wie ein leerer Sack Knusperflocken aussah, blinkte heftig. Milo kniff die Augen zusammen. Wenn er sich nicht täuschte, hatte er die eine Abfolge aus farbigen Blinksequenzen bereits zuvor gesehen. Das Spiel ging weiter, bis das seltsame Wesen bei Perry Rhodan angelangt war. Bei ihm verfärbte es sich in ein kräftiges Blau. Diesmal zog sich das Wesen nicht zurück. Das Blinken verstärkte sich und erinnerte Milo an eine dieser geheimnisvollen Apparaturen in den Zentralen der Terraner. »Sergeant Stok«, sagte Rhodan in r u higem Tonfall. »Kannst du schon etwas zuordnen? Ist dies ein positives oder negatives Zeichen?« »Das kann ich so leider noch nicht sagen, Perry«, gab der Sergeant zurück. »Tendenziell würde ich sagen…« »Ein positives!«, platzte es aus Milo heraus. Rhodan und Seramir drehten sich erstaunt zu ihm um. »Du kannst verstehen, was es sagt?«, fragte Seramir. »Ja… nein«, stammelte Milo. »Ein bisschen?« Zwischenspiel SOLtv Einen wunderbar spritzigen Tag wünsche ich euch, ihr Lieben. Auf den Uhren des fernen Terra steht der 31. Dezember 1347 NGZ geschrieben, und es sind nur noch wenige Stunden, bis in mehreren Lokalitäten an Bord der SOL die Korken knallen werden – selbstverständlich werde ich, eure Sommerbrise Elin, für euch dabei sein, damit ihr ja keine interessanten Klatschnachrichten verpassen werdet! Doch bevor wir zu allerlei Ausgelassenheiten kommen, habe ich euch ein paar faszinierende Informationen zu Neu-NACHT und dessen geheimnisvollem Volk zusammengesucht. Höret, sehet und staunet! Zur ersten Bodenmission gehörte der achtjährige Milo Aratoster, höchstselbiger Sohn des mom’serimischen Lords. Ist er nicht ein goldiger Schatz, wie er so scheu an der Kameralinse vorbeiguckt? Ein Vögelchen hat mir übrigens zugezwitschert, dass er noch nicht in die Geschlechtsreife überge-
treten ist. Hier kommt eine kleine Botschaft am Rande an eventuell paarungsbereite Zuschauer aus seinem Volk: Gebt ihm noch etwas Zeit! Habt allerdings ein Auge auf seine Tentakel, denn sobald einer dominiert, solltet ihr euch beeilen; der Junge hat echtes Starpotenzial! Bereits während des Erstkontakts mit den Blinkies – wie ich die Milchgespensterchen mal salopp getauft habe – hat es dieser junge Tausendsassa geschafft, Teile des Kommunikationskodes zu entschlüsseln. Und dies vor dem zuständigen Sergeant, der angeblich nur verdutzt daneben gestanden und versucht hat, seinem Translator die Schuld in die positronischen Schuhe zu schieben. Also wirklich! Dank Milo Aratosters Hinweisen konnte sehr schnell eine funktionierende Zweiwege-Kommunikation etabliert werden. Stellt euch vor, diese wunderbare, wenngleich auch etwas kahle und windige Welt war vor nicht allzu langer Zeit von den TRAITOR-Truppen mit Krieg und Verwüstung überzogen worden. Wenn wir die Zahlen hochrechnen, haben knappe fünf Prozent der Bevölkerung diesen blanken Horror überlebt. Stellt euch das einmal vor, meine Lieben! Nur fünf Prozent – wie traurig! Aus diesem Grund hat man bei der Erstbegegnung einen einzelnen Blinkie vorgeschickt – auch dazu habe ich euch ein paar schöne Aufnahmen zusammengestellt –, der sich jedem Mitglied der Bodenmission vorsichtig genähert hat. Und jetzt beobachtet mal, was da genau geschieht: Er verfärbt sich lindgrün, blinkt heftig, geht auf den nächsten zu – hellblau, blinkt heftig, und so weiter. Nun seid ihr bestimmt schon gespannt, was passiert, wenn er in die Nähe von unser aller Perry kommt: Er verfärbt sich in ein fettes Blau – ist es nicht herrlich? – und kriegt einen heftigen Blink-Schluckauf. Seht ihr? Wollt ihr wissen, was da geschah? Nun, der Blinkie war nicht etwa ein Diplomat, der vorgeschickt wurde, um Perry & Co. zu begrüßen – der Kleine hatte etwas ausgefressen und musste deswegen bei unserer nichtsahnenden Bodenmission vorstellig werden, weil er – und nun haltet euch fest – wie der Rest seines Volks die Aura eines Lebewesens spüren kann. Ja, ja, werdet ihr nun sagen, das ist wieder so ein esoterischer Quatsch, den die Elin da verzapft, doch dem ist ganz und gar nicht so. Jede und jeder von uns ist in ein elektromagnetisches Feld eingehüllt, das wir durch unsere körperliche Elektrizität – und dazu gehören nun mal auch unsere Gedanken und unsere Emotionen – beeinflussen.
Die hellgrünen und hellblauen Auren unserer Freunde haben den Blinkie allesamt erfreut, und die schöne blaue Aura des Chefs hat ihn sogar in helle Aufregung versetzt – vor Glück. Wäre Perry oder sonst jemand vom Team den Aurenspürern böse gesinnt gewesen, wäre das Kerlchen sofort schwarz angelaufen und auf der Stelle gestorben! Aus diesem Grund hatten sie gegen die Einheiten TRAITORS keine Chance – kaum kamen sie in die Nähe der gegen sie eingesetzten Kampftruppen, ging das große Sterben los. Ich sage nur: Gut, dass wir zu den Guten gehören! Das Blinken hatte übrigens nicht unseren Leuten gegolten, sondern damit hat er seine Artgenossen über die Qualität der Auren informiert. So einfach ist das! Ich wollte noch mit Perry selbst ein Interview führen und ihn fragen, was es mit diesem »Opfer«, von dem alle reden, nun wirklich auf sich hat. Aber er hat den Braten gerochen und ist mir rechtzeitig ausgewichen. Ich werde heute Abend bei den Silvesterfeiern den nächsten Versuch starten – das heißt, wenn der Chef dort überhaupt aufkreuzt! Noch ist er auf Neu-NACHT, um sich irgendwelche Hinterlassenschaften anzuschauen. Aber bleiben wir gleich bei den heutigen Festivitäten! Wer will der Glückliche sein, der mich um Mitternacht küssen darf? Ich werde euch eine Frage stellen, und die erste richtige Antwort, die mich erreicht, gewinnt! Selbstverständlich dürfen auch weibliche Zuschauer anrufen… 9. Erwachen Milo hob den Kopf und betrachtete staunend die Nester der Aurenspürer. Wie zerbrechliche Glasschaukeln hingen sie von knorrigen, blattlosen Bäumen und wiegten sich sanft im Wind. Milo blickte in den Kreis, in dem sie saßen: Rhodan, Kellind, Seramir, Stok und er selbst aus der SOL sowie zwölf der Aurenspürer, die sich zwischen sie über pilzartige Sitze gelegt hatten. Die beiden Wesen, die direkt neben Rhodan saßen, leuchteten in dem tiefen Blau, das sie nach wie vor in helle Aufregung versetzte. Wenn Milo es richtig mitbekommen hatte, hatte sich eine wahre Rangelei darum abgespielt, wer sich neben Rhodan setzen durfte.
Neben Fee leuchtete es in einem beruhigenden Grün, die Aurenspürer neben Stok besaßen ein helles Orange, diejenigen bei Seramir schimmerten türkis, während es neben ihm schwach lila leuchtete. Verzückt sah er die beiden Aurenspürer an. So sieht also meine Aura aus! dachte er. Milo war nach wie vor stolz darauf, dass er es geschafft hatte, einfach so das wiederkehrende Muster aus der Blinksprache des Aurenspürers herauszulesen und auf diese Weise dem Kommunikationsexperten Stok und seinem Translator die Grundlage für eine gemeinsame Verständigung zu verschaffen. Nach dem ersten Treffen hatte Stok das Gerät um ein optisches Modul erweitert, und als die Gruppe beim zweiten Besuch auf Neu-NACHT ins Dorf eingeladen worden war, hatte die Verständigung schon fast perfekt geklappt. So hatten sie die traurige Geschichte der Aurenspürer kennengelernt. Wobei »Aurenspürer« nur der Name war, den Rhodah ihnen gegeben hatte. Die Wesen kannten keine Eigenbezeichnung – weder für sich selbst noch für ihr Volk. Sie seien die »Summe ihrer Taten und des aktuellen energetischen Zustands«, hatten sie gesagt. Milo hatte diese Aussage nicht verstanden. Wie konnten sie sich auseinanderhalten, wenn sie sich keine Namen gaben? Widersprach dies nicht allem, was er von Seramir über Individualität und Identität gelernt hatte? Milo grübelte ein wenig über diese Frage nach. Weshalb benötige ich einen Namen? Die Gespräche, die um ihn herum geführt wurden, nahm er nicht mehr wahr. Damit mich die anderen wiedererkennen, gab er sich zur Antwort. Damit sie wissen: Das ist Milo. Der Sohn von Remo Aratoster. Ein Kloß bildete sich in seinem Magen, als er anfügte: Das achtjährige Kind. Das war es! Namen sind gut und recht, dachte er. Aber sie sind auch nur eine Hülle, in die man gesteckt wird. Und da man durch diese Hülle nicht hindurchsehen kann, urteilt jeder ein wenig anders über den Inhalt.
Aufregung erfasste Milo. Wie viel gescheiter hatte es die Natur bei den Aurenspürern eingerichtet: Sie waren das, was sie in ihrem Leben getan hatten – und wie sie sich gerade fühlten! Glücklich und mit heftig klopfendem Herzen sah er sich um. Er hatte das Rätsel der Aurenspürer ganz allein gelöst! Sein Blick blieb an Seramir hängen, der ebenfalls lächelte und mit seinen Gehirntentakeln auf die Aurenspürer deutete, die neben Milo saßen. Der junge Mom’Serimer sah sich um und erkannte, dass sich der zuvor helle Farbton seiner Aura in ein kräftiges Lila verwandelt hatte, das von blauen Adern durchzogen wurde. Seine Aura hatte sich verändert! * Milo stolperte der Delegation nach, während sie auf eine Höhle des großen Berges zuging. Oberleutnant Pat Borneson und seine Leute hatten sich wieder zu Rhodan gesellt. In ihren Händen hielten sie gefährlich in der Sonne schimmernde Waffen. Milo war viel zu aufgeregt gewesen, um der Konversation zwischen den Aurenspürern und Rhodan zu folgen. Er hatte nur mitbekommen, dass die »Wesen aus dem All, die getötet haben«, im Berg etwas hinterlassen hatten, das sich Rhodan ansehen wollte. Die Entwicklung seiner Aura ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Was war da geschehen? Hatte er sich wirklich verändert, oder war es nur die Aufregung gewesen, dass er selbst auf die Lösung des Namensrätsels gekommen war? Milo durchzuckte ein phantastischer Gedanke. Was, wenn dies das erste Anzeichen dafür war, dass er sich endlich in eine Frau oder einen Mann verwandelte? Endlich geschlechtsreif wurde? Er hob die zitternden Hände und befühlte seine Gehirntentakel. Zu seiner großen Enttäuschung waren beide immer noch gleich dick und gleich lang. Erst wenn der linke oder der rechte dominierte, war dies ein direktes Anzeichen dafür, dass er zu einer Frau oder zu einem Mann wurde.
Unglücklich ließ er die Arme wieder sinken. Gerade jetzt, als sich sein Ruhm stetig vergrößerte, wäre es so schön gewesen, wenn man hätte sagen können: »Der Milo, er ist nicht nur ein Held, sondern auch ein tapferer Mann geworden«, oder: »Ist sie nicht wunderschön? Milo hat die Kommunikation mit einem ganzen Volk hergestellt und wird nun von den männlichen Mom’Serimern heftig umworben!« »Milo!«, erklang Rhodans ernste Stimme. »Nicht träumen jetzt! Schließ bitte den Helm, damit wir hineingehen können. Sonst wartest du beim Höhleneingang.« Milo Aratoster erschrak und griff sich in den Nacken, wo der Helm zusammengeklappt auf seinen Einsatz wartete. »Au!«, schrie er auf, als er einen seiner Tentakel einklemmte. »Ganz ruhig«, sagte eine dunkle Stimme direkt neben ihm. Milo sah auf und erkannte Seramirs runzliges Gesicht. »Ich helfe dir.« Gemeinsam schafften sie es, den Helm zu schließen. Sofort stieg leise Panik in Milo hoch. Die Scheibe des Helms stand direkt vor seinem Gesicht, und ihn überkam ein schreckliches Gefühl des Eingesperrtseins. Nach ein paar tiefen Atemzügen verflüchtigte es sich aber wieder. »Ich bin stark«, flüsterte er. »Ich folge meinem Weg.« Direkt neben seinen Gehöröffnungen erklang ein unterdrücktes Lachen. Gleich darauf hörte er Rhodans Stimme. Sie klang gelassen. »Wir stehen in ständiger Funkverbindung, Milo. Jedes Flüstern wird an alle übertragen. Wenn du mit dir selbst sprichst, solltest du es innerhalb deines Kopfs tun.« »Ver… verzeih, Perry Rhodan«, presste Milo heraus, peinlich berührt. »Kein Problem, Milo. Ich bin selbst ein wenig aufgeregt, und derjenige, der gelacht hat, ist es wahrscheinlich noch viel mehr als du, glaub mir. Das hat die Natur so für uns eingerichtet, damit wir nicht übermütig werden. Aber nun müssen wir uns auf diesen Gang hier konzentrieren.« Milo atmete ein und merkte, dass es sich im Helm deutlich einfacher atmen ließ, als noch kurz zuvor in der frischen Weltenluft. Und der Wind spielte ebenfalls nicht mehr mit seinen Tentakeln herum, was gut war.
Vorsichtig sah er sich um. Seine Augen gewöhnten sich nach dem hellen Licht schnell wieder an die angenehmen dunkleren Verhältnisse. Einzelne Scheinwerferkegel wanderten umher, die er mit seinen empfindlichen Augen als überflüssig empfand. Zuvorderst ging einer der Aurenspürer. Dem Blinken nach war er genauso aufgeregt wie Milo. Ein Vorteil der Lichtsprache, dachte der junge Mom’Serimer. Man versteht sich, wenn einem der Wind die Worte stiehlt und wenn man in einen dicken Helm eingepackt ist. Der felsige Gang verwandelte sich in ein Raumschiff, so deutete er jedenfalls den Kunststoffboden, die Wandverkleidungen und die armdicken Kabel, die an der Decke entlangführten. Der Gang endete an einem Schott, das von Bornesons Spezialisten innerhalb von wenigen Minuten geöffnet wurde. Für Milo eine unbeschreiblich lange Zeit, in der er nicht genau wusste, ob er wirklich erfahren wollte, was sich dahinter verbarg. Zischend öffnete es sich, und Milo zählte sechs Soldaten, die in den Raum eindrangen. »Lage?«, vernahm Milo Bornesons Stimme über den Funk. »Eine riesige Halle, die in mehrere Abschnitte und Ebenen unterteilt ist. In der Mitte der Halle steht so etwas wie ein enormes Ei, darum herum stehen Tanks, ebenso auf den oberen Ebenen.« »Energieechos?« »Negativ!« »Bioechos?« »Neg… Nein, warte!« »Bioechos?« »Dutzende… aber…« »Halt!«, rief Pat Borneson plötzlich mit erhobener Stimme. »Hiergeblieben!« Milo sah, wie der Aurenspürer durch das geöffnete Schott im Innern der Halle verschwand. »Holt ihn zurück!«, rief Seramir besorgt. »Er ist in großer Gefahr!« Er will Auren testen!, schoss es durch Milos Kopf. Ohne eine Sekunde darüber nachzudenken, was er da tat, rannte er los, drängte sich zwischen großen Gestalten durch, hörte überraschte
Schreie, wich geschickt mehreren ausgestreckten Händen aus und warf sich durch das Schott. Der Aurenspürer schwebte auf seinen drei Beinchen geradewegs auf einen der Tanks zu. »Haltet ihn!«, kreischte Milo, doch die sechs Soldaten hatten sich bereits zu weit nach rechts bewegt, um den Aurenspürer noch rechtzeitig erreichen zu können. So schnell er in dem grässlichen Anzug rennen konnte, lief er dem Aurenspürer nach. Es reichte nicht. Aufgeregt blinkend erreichte das trapezförmige Wesen den Tank. In dem Moment, als es ihn berührte, leuchtete der sackförmige Kopf des Aurenspürers hell auf. Der milchig weiße Oberkörper verfärbte sich dunkel. Endlich war Milo heran, schlang beide Arme um das sich heftig windende Wesen und warf sich mit ihm zu Boden. »Nein!«, schrie Milo. Der Kopf des Wesens blinkte pulsierend, während der Körper vor den Augen des jungen Mom’Serimers schwarz wurde und zerfiel. Das Blinken erlosch. »Bitte nicht«, wimmerte Milo. »Komm zurück!« »Energieechos!«, rief jemand über Funk. Milo sah auf. »Herkunft?« »Unbestimmt.« »Könnten es Waffenechos sein?« »Es ist nicht auszuschließen!« »Rhodan an alle: Verlasst die Halle, ich wiederhole…« Milo sah zwei Ebenen über ihm durch die Gitterböden eine Bewegung. Dann eine zweite. »Roboter«, sagte er hastig. »ZweiDecksoberhalbmindestenszwei!« »Was hast du gesagt, wiederhole!« »Schaut rauf!«, schrie er schrill. »Zwei Decks hoch!« Gleißende Strahlen fuhren von oben herab und trafen punktgenau. Milo kreischte auf, doch die Soldaten verbrannten nicht im Strahlenfeuer, stattdessen flackerte die Luft um sie herum auf.
Eine Stimme tief in Milo flüsterte Schutzschirme!, doch er war zu aufgeregt, um dieses Wort auf seine Bedeutung hin zu analysieren. Die Soldaten verteilten sich in der Halle und erwiderten das Feuer. Weitere Soldaten stürmten hinein, zielten kurz und schossen ihrerseits. Starr vor Angst blieb Milo sitzen und umklammerte die Überreste des Aurenspürers. Geblendet schloss er die Augen, doch die Kraft der Energiestrahlen brannte sich durch seine geschlossenen Lider hindurch. Überall blitzte und leuchtete es auf. Der Funk übertrug Schreie und gebellte Anweisungen, hastiges Atmen und unterdrücktes Stöhnen. Plötzlich fühlte sich Milo hochgehoben und durchgeschüttelt. Starr hielt er die Augen geschlossen und wartete darauf, dass er ohnmächtig wurde oder gleich die ganze Welt unterging. »Wir haben sie!«, rief jemand. Dann erstarb der Lärm. Milo fühlte, wie er auf den Boden gelegt wurde. Zischend öffnete sich sein Helm und kühle Luft strich über sein schweißnasses Gesicht. Vorsichtig öffnete er ein Auge. Perry Rhodans Gesicht war ganz nahe. »Ich habe mir schon Sorgen gemacht, Kleiner«, sagte er. »Du… du hast mich gerettet?« »Sag es bloß nicht weiter«, flüsterte Rhodan. »Die Öffentlichkeit reagiert gereizt, wenn ich zwischen Energiestrahlen hindurch renne. Sie sieht mich nicht gern als Actionheld.« Er zwinkerte ihm zu. Milo lächelte erleichtert und zwinkerte zurück. Da er nur ein Auge offen gehabt hatte, sah er nun wieder nichts mehr. »Milo?«, sagte Rhodan. »Ja?«, flüsterte er zurück. »Du kannst die Augen ruhig öffnen. Ich werde dir bei Gelegenheit beibringen, wie man sich korrekt zuzwinkert. Einverstanden?« Milo öffnete beide Augen. »Einverstanden!«, sagte er mit fester Stimme.
Zwischenspiel Fee Kellind »Perry, darf ich dich kurz sprechen?« Der potenziell unsterbliche Terraner legte die Folien auf den Tisch, die er studiert hatte, und wandte sich Fee Kellind zu. »Selbstverständlich, Fee. Was gibt’s?« »Der Prophet hat an Bord der SOL von sich reden gemacht. Er spricht davon, dass die Mom’Serimer nun ihre Bestimmung gefunden hätten.« »Und die wäre?« Fee fuhr sich über die Stirn. »Er sieht den Auftrag seines Volkes erneut als Wächter. Nicht wie damals als Wächter in der NACHT für ESTARTU, sondern hier auf Neu-NACHT, beim Berg der Gefahren.« Rhodan runzelte die Stirn. »Du scherzt.« »Leider nicht, Perry. Er weiß um das moralische Problem, das wir mit den Tiefschlaftanks haben, und will nun durch das Volk der Mom’Serimer einen Wächterdienst einrichten, der die Hinterlassenschaften im Berg und die Tanks bewacht.« Der Terranische Resident seufzte. »Damit demaskiert er sich selbst. Das ist definitiv nicht die kosmische Aufgabe, von der er zuvor gesprochen hat. Wie kommt er bei den Mom’Serimern damit an?« »Das ist ja das Problem, Perry: ausgesprochen gut. Er will sie nicht nur als Wächter des Bergs einsetzen, sondern auch als Beschützer der Überlebenden aus dem Volk der Aurenspürer. Dank des Erfolgs von Milo Aratoster haben die Mom’Serimer eine ganz besondere Affinität zu ihnen entwickelt. Nun macht sich unter den Mom’Serimern ein quasi religiöser Eifer breit. Sie sehen in Sera – mir mehr und mehr einen Heiligen, dem sie folgen wollen. Das ist es, was mir derzeit etwas Sorge bereitet, Perry.« »Nun«, sagte Rhodan. »Ich habe mir schon überlegt, wie wir dieses faszinierende Volk der Aurenspürer so weit unterstützen könnten, dass seine Überlebenschancen steigen. Aber du hast recht, Fee. Wenn es zu religiösem Eifer kommt, stellen sich mir auch alle Nackenhaare auf. Ich habe zu viel mit selbsternannten religiösen Führern zu tun gehabt. Kannst du abschätzen, wie viele ihm in etwa folgen würden, wenn sie vor die Wahl gestellt würden?«
»Schwierig zu sagen«, gab Fee zurück. »Am lautesten schreien die Befürworter Seramirs. Es gibt keine offenen Widerstände, höchstwahrscheinlich, weil sich auch der Lord nicht öffentlich gegen den Propheten stellt. Zu Crom Harkanvolters Zeiten hätte die Situation jedenfalls ganz anders ausgesehen. Er hätte es nicht zugelassen, dass sich das Volk teilt.« »Ich halte Remo Aratosters Vorgehen für richtig«, sagte Rhodan. »Gerade, weil er dafür über seinen Schatten springen muss. Wie einfach wäre es, seinem Volk – und seinem Sohn – einfach zu befehlen, in der SOL zu bleiben! Die Spaltung wäre dadurch nicht nur eine politische und lokale, sondern er würde jedes einzelne Herz zerteilen.« »Was soll ich tun?«, fragte Fee sachlich. »Du behältst die Angelegenheit an Bord der SOL im Auge. Ich werde das Gespräch mit Seramir suchen.« »Und wie läuft es im Berg?« »Wir haben trotz der weitreichenden Zerstörungen beim Feuergefecht gegen die Robotereinheiten ein paar interessante Entdeckungen gemacht. Wir sind nun sicher, dass es sich um ein Gen-Magazin der Terminalen Kolonne TRAI-TOR handelt. Die Wissenschaftler sind derzeit damit beschäftigt, die einzelnen Geräte ihren Zwecken zuzuordnen.« »Und die Mikro-Bestien?« Nachdem sie sich Klarheit über den Inhalt der Tanks verschafft hatten, war auch offensichtlich, warum der Aurenspürer gestorben war – und warum so schnell. Den Assassinen der Terminalen Kolonne haftete garantiert keine verträgliche Aura an. »Befinden sich weiterhin in ihren Tiefschlaftanks. Es gab nicht wenige Stimmen, die sie gern einfach zerstrahlt hätten – trotz der Unterstützung, die wir durch Mikro-Bestien erfahren haben. Das furchtbare Gemetzel in der Residenz vor vier Jahren ist einfach noch zu stark in ihrem Bewusstsein. Aber auch sie müssen zugeben, dass dies nicht dem moralischen Anspruch der LFT entspricht. Das Töten von Leben, das sich nicht verteidigen kann und sich bisher auch nicht feindlich verhalten hat, wäre nichts anderes als kaltblütiger Mord.«
Fee nickte. »Und Wasser auf die Mühle des Propheten.« »Deswegen werde ich ihn mir mal zur Brust nehmen. Ich werde mit dir rauf zur SOL kommen.« »Das ist nicht nötig, Perry. Er hat angekündigt, zusammen mit Milo die Aurenspürer aufzusuchen, um mit ihnen über eine Kooperation zu diskutieren.« »Gut. Ich werde ihn hier unten abfangen.« 10. Verwandlung »Weshalb wolltest du mich unter vier Augen sprechen, Perry Rhodan?«, fragte Seramir. Seine Gehirntentakel zitterten. »Du hast keine seherischen Kräfte«, sagte Rhodan geradeheraus. Es gab keinen Anlass, lange um den Brei herumzureden. Der alte Mom’Serimer legte den Kopf leicht schief und blinzelte im hellen Licht der Sonne. »Weshalb sagst du das ausgerechnet jetzt, Resident? Haben wir nicht den Planeten gefunden, von dem ich gesprochen habe? Geht von ihm nicht eine große Gefahr, aus? Wartet hier nicht eine große Aufgabe für das Volk der Mom’Serimer?« »Du hast zweimal groß gesagt«, gab der Terraner zurück. Sie standen dreißig Meter von der Gangway der Space-Jet entfernt, welche die beiden Mom’Serimer nach Neu-NACHT gebracht hatte. Auf einer Antigravplattform lag der umgebaute Translator, der die Kommunikation mit den Aurenspürern überhaupt erst möglich machte, wenngleich es dem jungen Mom’Serimer gelang, einzelne Sätze und Gedanken der Blinksprache zu verstehen. »Im Ernst, Seramir«, fuhr Rhodan fort, bevor der Mom’Serimer antworten konnte. »Ich habe von dir keine Prophezeiung gehört, die eine höhere Voraussagequalität gehabt hätte als ein terranisches Horoskop.« Der Prophet öffnete den Mund, doch Rhodan hob blitzschnell beide Hände und bedeutete ihm zu schweigen. »Ich erkläre dir, was ich damit meine: Deine Vorhersagen waren so unspezifisch formu-
liert, dass, wir irgendetwas hätten finden können, und du hättest es mit einer großen Gefahr und einer neuen Bestimmung für dein Volk interpretiert!« »Ich habe…« »Du hast unter anderem von einer kosmischen Bestimmung gesprochen, und nun willst du ein zurückgelassenes Genlabor der Terminalen Kolonne bewachen? Und dafür nimmst du in Kauf, dass die an klimatisch neutrale Raumschiffe gewohnten Mom’Serimer auf einem kalten Planeten mit dünner Luft leben müssen?« »Ich…« Rhodan war noch nicht bereit, den alten Mom’Serimer zu Wort kommen zu lassen. Mit innerer Befriedigung hatte er registriert, wie Seramir bei jedem seiner Worte eine Spur unsicherer geworden war. Die normalen Gehirntentakel rollten sich zitternd ein, während sich die beiden zusätzlichen Tentakelstummel zusammenkrümmten. »Und bevor du es für dich ins Feld führst: Ja, die Aurenspürer verdienen unser Mitleid, und ja – wir müssen auf jeden Fall etwas für dieses Volk unternehmen. Doch das hast du ebenso wenig vorausgesehen wie die neue kosmische Bestimmung für dein Volk!« »Perry Rhodan!«, brach es aus Seramir heraus. »Du hast recht – ich kann Ereignisse nicht in dieser Tiefenschärfe voraussehen! Ich wusste nicht, ob der Planet überhaupt akzeptable Lebensbedingungen würde vorweisen können. Und ich wusste auch nicht, in welcher Gestalt die Gefahr daherkommen würde. Aber…« Er brach ab, bückte sich und hob eine Handvoll Sand auf. »Ich konnte diesen Sand nicht voraussehen«, sagte er. Sein sonst so beherrscht wirkendes Gesicht war zu einer bittenden Grimasse verzogen. »Aber ich wusste, dass ich etwas in Händen halten würde. Ich sah die Aufgabe nicht, aber ich sah die Veränderung. Perry Rhodan, du musst mir glauben! Ich habe nichts anderes als das Wohl unseres Volkes im Sinn!« »Ich habe gehört, dass es an Bord der SOL zu einer pseudo-religiösen Bewegung gekommen ist, die dich im Zentrum hat!« »Du kannst bei dem allgegenwärtigen Bordgehirn SENECA nachfragen, Perry Rhodan: Ich habe nichts dergleichen initiiert! Hast du dich noch nie gefragt, weshalb ich bisher nicht an die Öffentlichkeit
getreten bin? Weil ich mir nichts aus Politik mache – und bisher ist es rein darum gegangen. Nun bin ich da, um dem Volk bei der Suche nach einer neuen, echten Bestimmung zu helfen. Wenn dies geschehen ist, werde ich mich wieder zurückziehen und ein abgeschiedenes Leben führen, wie ich dies immer getan habe.« Rhodan blickte kurz zu Milo. Eine Gruppe Aurenspürer näherte sich ihm. Der Wind zerrte an ihren zerbrechlich wirkenden Körpern, und auch die Gehirntentakel des kleinen Mom’Serimers gerieten in Aufruhr. »Weshalb sollte ich dir glauben?«, fragte er Seramir. »Du musst mir nicht glauben, Perry Rhodan«, sagte der Alte und lächelte. »Du musst mir vertrauen!« »Sag mir, weshalb!« »Ich habe den jungen Perry Rhodan nicht gekannt«, sagte Seramir, »der mit einem Haufen ausgeliehener Technologie auf seine Welt zurückkehrte, um sie im Frieden zu vereinen. Was mag sich damals in ihm abgespielt haben? Und wie viele Menschen hatten ihm blind vertrauen müssen, weil er zu diesem Zeitpunkt nicht beweisen konnte, dass er die Macht nicht missbrauchen würde?« Rhodan schmunzelte. »Kein schlechtes Manöver, Prophet.« »Was hättest du damals jemandem geantwortet, der dir die Frage nach dem Beweis deiner hehren Absichten gestellt hätte?« Rhodan atmete langsam ein. »Wahrscheinlich hätte ich ihm dieselbe Antwort gegeben, wie du mir – dass er mir vertrauen soll.« »Und wie kann man wissen, wem man vertrauen soll, Perry Rhodan?« »Gar nicht, Seramir«, gab Rhodan zurück. »Das ist Vertrauen.« »Ganz richtig.« »Ich werde darüber nachdenken«, sagte der Terranische Resident. »Über dein Ansinnen. Und dann werden wir gemeinsam…« »Borneson an Rhodan«, schnarrte es aus dem Funklautsprecher. »Die Wissenschaftler wollen, dass du dir etwas ansiehst. Sie benötigen deine Zustimmung.« »Ich werde gleich bei euch sein«, sagte Rhodan. Dann wandte er sich erneut an den Propheten. »Wir werden diese Unterhaltung später zu Ende führen.«
Er schloss den Helm, aktivierte das Flugaggregat des SERUNS und flog auf den Berg zu, in dem die Wissenschaftler auf ihn warteten. *
»Was gibt es?«, fragte Rhodan. In der Halle hielten sich zwei Wissenschaftler und Pat Borneson auf. Tangens der Falke untersuchte mit der Unterstützung von SENECA ein Fundstück an Bord der SOL. Ein seltsamer Lärm herrschte vor, den Rhodan bei dem ersten Besuch in der Halle nicht wahrgenommen hatte. »Die zentrale Einheit hat sich selbstständig aktiviert«, sagte der Mann, dessen Namensschild ihn als Heng Thorpson auswies. Er deutete auf das etwa vier Meter hohe, eiförmige Modul in der Mitte des Raumes. Es schimmerte stahlblau und wies eine spiralförmige Markierung auf, die sich vom Boden bis zur Spitze wand. »Habt ihr schon herausgefunden, welche Funktion sie hat?« Heng schüttelte bedauernd den Kopf und kratzte sich am weißen Bart. »Leider nicht. Allerdings stellten wir fest, dass sie hochfrequente Signale emittiert.« »Könnt ihr sie abschalten?« Der zweite Wissenschaftler kam auf Rhodan zu und breitete ratlos die Arme aus. Rhodan kannte ihn bereits; er hieß Rong Quidao und war einer der führenden Experten für TRAITOR-Technolo-gie. »Es scheint, dass sie durch eine interne Energiequelle gespeist wird.« »Dann gehen wir kein Risiko ein!«, sagte Rhodan bestimmt. »Wir werden die Arbeiten durch Roboter fortführen lassen, bis wir das Gefahrenpotenzial dieser Einheit…« Mit einem lauten Krachen implodierten zwei Positroniken, an denen die Wissenschaftler bis kurz zuvor gearbeitet hatten. Gleich darauf zerstoben die Scheinwerfer. »Schließt die SERUNS!«, befahl Rhodan und warf sich herum. Zischend fuhr das Hauptschott zu. »Verdammt«, kam Thorpsons Stimme über den Funk. »Wir sind gefangen!«
Rhodan aktivierte die Helmscheinwerfer. Keine Sekunde später tat es ihm Borneson nach. Etwas knackte laut, und eine gallertartige Flüssigkeit, im Licht der vier Lichtbahnen nur schwer zu erkennen, stürzte aus einer der höheren Ebenen auf sie herunter. »Rhodan an SOL! Notsituation in der Halle! Ich wiederhole: Notsituation in der Halle! Sie wurde energetisch aktiv. Das Schott hat sich geschlossen. Derzeit besteht für uns keine Fluchtmöglichkeit.« »SOL an Rhodan!«, kam es augenblicklich zurück. »Wir werden uns sofort darum kümmern!« Wiederholt knackte es, und Flüssigkeit plätscherte herunter. »Was geht hier vor?«, fragte Pat Borneson. In seiner Hand hielt er den Standard-Kombistrahler der Liga-Flotte. »Ich… ich habe eine Theorie«, erklang die Fistelstimme von Rong Quidao. »In höher gelegenen Tiefschlaftanks müssen vereinzelt Aufwachsequenzen eingeleitet worden sein.« »Wurde dies nicht kontrolliert und ständig überwacht?«, fragte Rhodan scharf. »Nur die unteren«, gab der Wissenschaftler zu. »Verdammt, wir… wir haben uns auf die technischen Hinterlassenschaften… wir konnten doch nicht ahnen…« Er unterbrach sich, als etwas vor ihnen hart auf den Boden aufschlug. Sofort beleuchteten Rhodan und Borneson die Stelle. »Eine Mikro-Bestie!«, zischte der Oberleutnant und hob den Kombistrahler. Thermostrahlermodus, kein Paralysator. Standardanweisung im Kampf gegen diese Kreaturen. Viel zu gefährlich. Knurrend warf sich das Wesen herum. Mit seinen sechs Extremitäten, dem kuppelförmigen Kopf mit drei kleinen rot glühenden Augen und dem kompakten Körperbau glich es einem miniaturisierten Haluter. Diese Wesen waren nur etwa 15 Zentimeter groß, doch ihre Kampfkraft hatte seit dem Blutbad in der Residenz vor vier Jahren eine traurige Berühmtheit erlangt. Es hob zwei der vier Hände, in denen je eine Waffe steckte, und eröffnete sofort das Feuer. Wenige Hundertstelsekunden später verging es in den Thermostrahlen aus Bornesons und Rhodans Handwaffen.
»Die Bestie hatte sich bereits bewaffnet, aber noch nicht mit Schutzkleidung oder einem Schutzschirmaggregat ausgerüstet«, sagte Rhodan. »Das ist unsere Chance. Sollten noch mehr…« In diesem Moment erwachte der eiförmige Gegenstand endgültig zum Leben. Der Lärm, der durch das Audiosystem des SERUNS bisher ausgefiltert worden war, nahm exponentiell zu. Jemand schrie gepeinigt auf. Der Stimme nach hatte es sich um Quidao gehandelt. Aus dem Augenwinkel sah Rhodan, wie eine weitere Mikro-Bestie auf den Boden klatschte. Er warf sich herum – und stellte entsetzt fest, dass der SERUN ihn in der Bewegung mehr behinderte als unterstützte. »Verdammt!«, schrie Borneson auf. »Ich habe Ausfallserscheinungen an meiner Einheit!« Ein dicker Thermostrahl löste sich aus seiner Waffe und zerschnitt die Szenerie. Die letzten Monitore und technischen Geräte um sie herum erloschen entweder oder vergingen in einem Funkenregen. Es knisterte und klirrte, und über allem lag dieser aggressive Ton, der sich vibrierend bis in Rhodans Eingeweide grub. Erneut schlug eine Mikro-Bestie auf den Boden, direkt vor Rhodans Füße. Er versuchte, den Strahler zu heben, aber es ging viel zu langsam. Der neu aufgetauchte Angreifer orientierte sich kurz und feuerte dann auf Borneson. Der Schutzschirm des Oberleutnants flackerte auf. Rhodan hörte ein Keuchen über den Funk. Borneson hatte ebenfalls bemerkt, dass das Flackern, gemessen an der durchschnittlichen Feuerkraft aus einem kleinkalibrigen Strahler, viel zu stark gewesen war. Sollten die Schirme ausfallen, wären sie den MikroBestien schutzlos ausgeliefert. Rhodan ließ sich fallen und drehte dabei seinen Körper ab. Die Mikro-Bestie geriet in den Zielbereich seines Strahlers, und der Terraner gab Dauerfeuer. Sein Gegner verging in einer Feuerlohe, während Rhodan hart auf den Boden krachte. »Rhodan an SOL!«, gab er durch. »Wir benötigen dringend Unterstützung! Mikro-Bestien greifen an – unsere SERUNS zeigen Ausfallserscheinungen!«
Diesmal gab es keine Antwort von der SOL. Mehrere hellgelbe Strahlbahnen vereinigten sich an einer Stelle. Der Funk übertrug einen schrecklichen, endgültigen Schrei. Gleich darauf leuchtete ein dicker roter Thermostrahl aus Bornesons Waffe auf. »Ich… einen, aber…«, kam es undeutlich aus dem Lautsprecher, »Wissenschaftler… erwischt!« Die Vibrationen, die Rhodan bisher nur innerlich gespürt hatte, nahmen in ihrer Stärke zu. Die eiförmige Maschine glomm auf, die Spirale leuchtete in einem düsteren Gelb. Die gesamte Halle pulsierte nun. Aggregate stürzten Funken sprühend in sich zusammen. Rauch und Qualm breiteten sich aus. Direkt vor Rhodans Gesicht klatschte eine weitere Mikro-Bestie auf den Hallenboden. Sofort erhob sie sich, wollte sich orientieren, taumelte und fiel wieder hin. Der Terraner versuchte, den rechten Arm mit dem Strahler auf die Bestie zu richten, doch es gelang ihm nicht. Er war zu keiner Bewegung mehr fähig. Knurrend kam die Mikro-Bestie wieder auf die Beine. Und Rhodan verlor das Bewusstsein. * »…benötigen… dringend…ikro-Bes-tien… Ausfallser…ungen!« Der Schrecken fuhr Milo durch beide Tentakel. Perry Rhodan war in Gefahr! Zwei der Aurenspürer, die direkt vor ihm standen, blinkten ihn an. »Dein Zustand hat sich verändert«, kam die übersetzte Frage aus dem Translator. »Was ist geschehen?« »Perry Rhodan ist im Berg«, sagte Milo aufgeregt und das optische Modul des Translators übersetzte seine Worte in die Sprache der Aurenspürer. »Er ist eingesperrt und wird angegriffen!« Während er ungeduldig darauf wartete, dass der Translator endlich fertig übersetzt hatte, sah er immer wieder mit flehendem Blick zu dem Berg hinüber. Perry Rhodan darf nichts geschehen!, dachte er verzweifelt.
»Wir kennen einen zweiten Eingang«, übersetzte der Translator. Mit großen Augen sah Milo auf die Aurenspürer. Seramir, der etwas abseits gestanden hatte, kam herbei. »Was ist los, Milo, du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen!« »Rhodan ist in Gefahr«, rief er aufgeregt. »Ich kann jetzt nicht reden.« Kurzerhand packte der junge Mom’Serimer einen der Aurenspürer und setzte ihn auf die Antigravplattform. »Aber…«, sagte Seramir. »Keine Zeit!«, schrie Milo zurück und startete den Flugmodus der Plattform. Nach dem Debakel mit dem Funkspruch und seinen eingeklemmten Tentakeln hatte er sich an Bord der SOL eine Kurzschulung in Sachen Technik geben lassen. Er wusste nun, wie sein SERUN und auch die Plattform funktionierten. Mit Höchsttempo raste er auf den Berg zu. Der Translator übersetzte seine entschuldigenden Worte an den Aurenspürer, doch der schien an der halsbrecherischen Fahrt Gefallen zu finden. Mit klaren Anweisungen dirigierte er Milo zu einem Stolleneingang an der Südflanke des Berges. »Ich bin gleich zurück!«, krähte Milo und aktivierte das Flugmodul des SERUNS. Er flog geradewegs in den Stollen hinein und wäre mehrmals bei einer Biegung fast an die Wand geprallt. »Whuooaa!«, schrie er auf, als das Aggregat plötzlich stotterte und er kurzzeitig absackte. Direkt vor seiner Nase blendete der SERUN irgendwelche obskuren Diagramme und rote Meldungen mit Ausrufezeichen ein. Milo erinnerte sich, was Rhodan über Funk durchgegeben hatte. Ausfallserscheinungen am Anzug!, dachte er erschrocken. Ich muss sofort da raus! Milo landete und als ob er nie etwas anderes getan hätte, griffen seine Hände an die geschützten Schalter der SERUN-Notöffnung, legten sie um und drückten den Anzug auseinander. »Schön kühl«, sagte Milo, als er in seiner leichten Kombi im Stollen stand.
Irritiert bemerkte er, dass der Boden schwankte und zitterte. Doch darauf durfte er jetzt nicht achten. Milo rannte los. Keine zwei Minuten später verwandelte sich der Stollen in einen waagrechten, ziemlich rutschigen Schacht. Das Summen, das er bisher wahrgenommen hatte, verstärkte sich zu einem gefährlichen Wummern. Weitere zwei Minuten später stand er vor einer Klappe, die er mittels zweier Hebel und einem Drehrad öffnen konnte. Das pure Chaos brach über Milo herein. Von einer Sekunde auf die andere glaubte er, nichts mehr zu sehen, hören, riechen, fühlen. Die Sinne wurden durch ein Stakkato aus Lärm, schmerzhaft gleißenden Entladungen und entsetzlichem Gestank geradezu überfordert. Hilflos irrten seine Gehirntentakel in alle Richtungen. Da! Ein SERUN, ein Mensch! Schwankend bewegte sich Milo darauf zu. Gleich darauf verdrehte sich sein Magen, als er sah, wie der Terraner von einer oder mehreren Waffen zugerichtet worden war. Der Oberkörper war stark verbrannt, der Helm zur Hälfte zerschmolzen. Mit rebellierendem Magen sah Milo in das fast unkenntliche Gesicht. Es ist nicht Perry Rhodan!, dachte er. Milo hielt sich die Augen zu und wackelte an der Leiche vorbei. Zwischen den Fingern hindurch erblickte er einen weiteren terranischen Schutzanzug. »Bitte, lass ihn noch am Leben sein!«, flüsterte er, ohne dass er genau wusste, an wen er seine Bitte adressiert hatte. Neben ihm explodierte ein Gerät; ein Funke landete auf Milos linker Schulter. »Auauau!«, schrie Milo auf, als ihn ein plötzlicher, glühender Schmerz durchfuhr. Er hastete weiter, wich einem umfallenden Ding aus und erreichte endlich den am Boden liegenden Mann. Als wäre er gegen eine Wand gelaufen, blieb Milo stehen. Auch für diesen Terraner kam jede Hilfe zu spät. Auf seinem Namensschild stand »Heng Tho…«, dann brach der Text ab. Wieder handelte es sich nicht um den Terranischen Residenten! Verzweifelt blickte sich Milo um. Inzwischen konnte er sich kaum mehr auf den Beinen halten. Der Lärm und die sich ständig verän-
dernden Lichtverhältnisse setzten ihm stark zu. Zudem glaubte er, schreckliche sechsbeinige Lebewesen zu sehen, die auf dem Boden herumkrochen. Milo wischte sich Wasser und Dreck aus dem Gesicht, die von überall her auf ihn tropften. Ihm wurde schwindelig. »Seramir«, flüsterte er, »was soll ich bloß tun?« Vor seinem inneren Auge erschien der alte Lehrmeister, der ihn gütig anlächelte. »Der Langsame sieht mehr«, sagte er. Milo schüttelte den Kopf. Dann beschloss er, genau das zu tun. Er setzte sich hin und blickte sich langsam um. Er sog jedes Detail in sich auf und versuchte, dabei alles andere zu ignorieren – die Explosionen, den furchtbaren Lärm und das seltsam dickflüssige Wasser, das immer wieder von oben auf ihn stürzte. Es gelang ihm. Milo nahm die Halle als Ganzes wahr. Der Ursprung des Lärms und der Vibrationen lag in dem riesigen ovalen Teil, dessen spiralförmige um ihn geschlungene Verzierung dunkelgelb leuchtete. Er sah die Überreste der Mikro-Bestien, die er nun als solche erkannte. Und er sah zwei weitere SERUNS, die etwas abseits lagen! Milo sprang auf und eilte auf sie zu. Er stürzte zweimal und holte sich dabei wahrscheinlich blutige Knie, doch das war nun nebensächlich. Er stieß einen Schrei der Erleichterung aus, als er feststellte, dass die Träger der beiden Anzüge unverletzt waren. Allerdings waren ihre Augen geschlossen. Schliefen sie? Auf den Helmdisplays spiegelten sich so viele Lichtreflexe, dass die Gesichter der Männer fast nicht erkennbar waren. Milo klopfte auf Rhodans Helmscheibe. »Hallo!«, rief er. »Schläfst du?« Er gab sein Unterfangen wieder auf, weil er nicht einmal sein eigenes Wort verstehen konnte. Nun hatte er nur noch eine Möglichkeit.
Milo packte Rhodans SERUN an dem kleinen Haltegriff, der am Flugmodul angebracht war, und zog ihn in Richtung der Klappe, die zum Stollen führte. Mit äußerster Kraftanstrengung schaffte er es, Rhodan Zentimeter für Zentimeter vorwärts zu ziehen. Mehrmals stürzte er, weil er in einer Wasserpfütze ausglitt. Unzählige Minuten später hatte er den Körper unter Schreien, Fluchen und Weinen bis zu der Klappe gezogen und drückte ihn hindurch in den Stollen. Nur kurz rang er nach Atem, dann erhob er sich wieder und eilte zu dem zweiten SERUN zurück, in dem er Pat Borneson entdeckt hatte. Es war Milo bisher nie aufgefallen, aber der Oberleutnant Borneson musste um einiges schwerer sein als Rhodan. Jedenfalls brachte er ihn kaum vorwärts. Milo stürzte, rappelte sich wieder auf, eilte zu den Füßen des Terraners, schob dort, kam wieder zurück und riss sich an dem Haltegriff fast die Arme aus. Zitternd vor Entkräftung musste er auf halbem Weg eine Pause machen. Der Hals und die Augen brannten von dem in der Luft liegenden Qualm wie… Etwas blitzte auf und um Milos Gesicht loderte ein alles verzehrendes Feuer auf. Schmerzen… Sind dies Schmerzen? Ich weiß es nicht mehr. Schwankend kam Milo wieder auf die Beine und sah ein kleines, sechsgliedriges Monster auf sich zukommen. Ebenso wie Milo schien es recht wackelig auf den Beinen zu sein. In den oberen Händen hielt es etwas Dunkles, Glänzendes. Aus ihm löste sich ein sonnenheller Strahl, der irgendwo oberhalb von Milos Kopf in die Wand schlug. Wieder regneten Funken auf den jungen Mom’Serimer herab, doch er spürte sie nicht. Wie betäubt sah er dem Schauspiel zu, das sich vor seinen Augen abspielte. Die Bestie ließ den Strahler sinken und kam näher. Und da geschah es. Links und rechts von Milo fielen weitere dieser kleinen Wesen auf den Boden. Der Aufprall hätte sie eigentlich töten müssen, doch sie
überlebten auf geheimnisvolle Weise. Sie schienen unglaublich stark zu sein. Sein Gegner kam weiter auf ihn zu, schlingernd, als ob er sich an alkoholischen Getränken gelabt hätte. Langsam hob er den Strahler und Milo wusste, dass der Schuss diesmal nicht danebengehen würde. Da klatschte es direkt neben ihm auf. Milo sah sich um und erblickte eine Mikro-Bestie, die vier Arme ausgestreckt, in einer hielt sie… … die Waffe! Milo griff zu und entzog sie dem kleinen Wesen mit einem einzelnen, gewaltigen Ruck. Dann sah er wieder auf seinen Gegner und beobachtete genau, wie dieser die Waffe bediente. Das dünne Ende nach vorne und dann auf den kleinen Hebel drücken, dachte er wie in Trance. Ein hellgelber Strahl fauchte aus dem dünnen Ende seiner Waffe und traf die Mikro-Bestie genau in die Körpermitte. Brennend fiel sie in sich zusammen. Kurze Zeit blieb er wie erstarrt stehen und blickte auf die vielen sechsgliedrigen Körper, die sich überall erhoben. Dann ruckte sein Blick wieder auf den reglosen Körper von Pat Borneson. Was gehen mich die anderen an!, dachte er. Milo eilte auf den Mann zu, legte die Waffe auf die Brustplatte seines SERUNS und umfasste mit beiden Händen den Haltegriff. Er wusste nicht weshalb, aber in diesem Moment schien er Haluterkräfte zu entwickeln. Milo zog und zog und erreichte kurze Zeit später mit Pat Borneson die Klappe. Er wandte sich nochmals um… … und sah sich einem Heer von Mikro-Bestien gegenüber. »Oh-oh«, wisperte Milo. Als wäre es ein lange eingeübter Automatismus, ergriff Milo die Waffe und richtete sie auf das große Ei in der Mitte der Halle. Er drückte auf den Auslöser und fühlte sich von einer alles verzehrenden Kraft nach hinten geschleudert… … und dann war da nur noch Dunkelheit.
* Milo erwachte. Rhodans Gesicht war ganz nah. »Du lebst.« »Dank dir, du Held« »Meine Gehirntentakel tun weh« »Ich weiß«, sagte Rhodan sanft. »Heißt das…«, stammelte Milo, »dass ich endlich geschlechtsreif werde? Das ist… schön. Welcher… welcher Tentakel dominiert denn?« Rhodan betrachtete prüfend seinen Kopf. »Es ist der linke, Milo« Der junge Mom’Serimer gluckste glücklich. »Seramir hatte recht. Ich bin… eine Frau geworden.« »Ich gratuliere dir, Frau Aratoster«, sagte Rhodan lächelnd. Weshalb sahen seine grauen Augen dabei so traurig aus? »Du brauchst nicht bekümmert zu sein, Perry Rhodan«, murmelte Milo, bevor der ewige Schlaf ihn übermannte. »Nicht jeder kann ein Held sein.« * Rhodan lachte auf. Spontan und im Angesicht der Toten völlig unpassend. In seinen Armen erschlaffte Milos Körper. Ein Thermostrahl hatte ihm den halben Kopf versengt. Beide Tentakel waren bis auf die Knorpelfortsätze weggebrannt. Rhodan seufzte tief. Wieder hatten sich Augen geschlossen, die noch so viel zu staunen gehabt hätten. Zwischenspiel Perry Rhodan Der Resident ließ sich in den angebotenen Sessel fallen und ergriff das Glas Oxyaqua, das Fee ihm hingehalten hatte. »Unglaublich«, sagte er. »Die Mikro-Bestien oder diese Bombe?«, fragte Fee.
»Wir wissen noch nicht, ob es sich tatsächlich um eine Waffe gehandelt hat«, sagte Rhodan. »Es könnte sonst eine Maschine gewesen sein, die mit hochfrequenten Tönen oder Vibrationen arbeitete. Und was die Mikro-Bestien anbelangte… Verdammt, wir waren einfach zu nachlässig.« »Mach dir keine Vorwürfe, Perry«, sagte Fee. »Du konntest nicht wissen, dass die Tanks nicht ständig überwacht wurden.« »Aber ich hätte…« »Perry«, unterbrach ihn Fee ruppiger als gewollt. »Du weißt, dass es nicht möglich ist, immer alles unter Kontrolle zu behalten. Ich kann die SOL nicht allein fliegen, und du kannst nicht bei jedem Vorhaben alle Fäden in der Hand behalten.« Perry Rhodan atmete tief durch. »Wie weiß man, wem man vertrauen kann?« »Das ist es ja, Perry. Man braucht es nicht zu wissen. Das ist Vertrauen!« Der Terraner lächelte. »Ich weiß«, sagte er. »Seramir hat mir dies ebenfalls gesagt, kurz bevor das Unglück geschehen ist.« »Was wollen wir unternehmen wegen der Mom’Serimer? Sie sind in Aufruhr. Der Tod ihres neuen Volkshelden Milo hat sie endgültig wachgerüttelt.« »Ich habe kurz mit Remo Aratoster gesprochen«, sagte Rhodan. »Er ist ein gebrochener Mann. Ich denke nicht, dass er sein Amt noch lange wird ausführen können.« »Was sagt Seramir?« »Er ist ebenfalls erschüttert. Er hat für Milo eine große Zukunft vorausgesehen. Dennoch hält er an dem Plan fest, auf Neu-NACHT eine Mom’Serimer-Kolonie aufzubauen.« Fee erhob sich und aktivierte die Atmosphärenanlage ihres Wohnbereiches. Der Luft wurden zusätzlicher Sauerstoff und wohlriechende Duftstoffe beigemengt. Irgendwo im Hintergrund erklang eine Panflöte. »Willst du ihm diesen Wunsch gewähren?«, fragte sie. »Das werde ich«, antwortete ihr Rhodan. Tief atmete er den Duft ein, der ihn an eine einsame Bucht in Südamerika erinnerte, an der er einmal zusammen mit Bully zum
Fischen gewesen war. Wie lange war das bereits her? Fünfzig, hundert Jahre? »Ich werde die Siedler mit Baracken, Arbeits- und Fluggeräten ausrüsten, wie es sich für eine LFT-Kolonie gehört.« »Hast du keine Angst, dass sich Seramir zum Herrscher aufspielen wird?« Rhodan betrachtete die Gasbläschen in seinem Glas. »Nein. Ich vertraue ihm. Er ist kein Prophet, das weiß ich. Falls er wirklich Dinge sieht, so ist dies rein intuitiver Natur. Ich bin aber überzeugt, dass er wirklich nur das Beste für sein Volk will. Zudem hat Milo an ihn geglaubt – und du willst doch sicher nicht das Gespür des Kleinen in Frage stellen?« Rhodan schenkte Fee ein müdes Lächeln. »Und die kosmische Aufgabe, von der er immer gesprochen hat?« »Tja, da werden wir die Wahrheit ein wenig biegen müssen…« Fee sah Rhodan ungläubig an. »Du willst was?« »Seramir hat recht«, sagte Rhodan. »Die Mom’Serimer benötigen eine Aufgabe. Sie wird zweigeteilt sein: Zum einen werden sie sich um die Aurenspürer kümmern und ihnen helfen, ihre Welt wieder aufzubauen, und zum anderen werden sie die Hinterlassenschaften im Berg bewachen und Alarm schlagen, falls sich dort noch einmal etwas regen sollte.« »Aber Perry, wir beide wissen, dass dies nie geschehen wird. Diese Frequenz-Bombe, oder was es auch immer gewesen sein mag, hat nur zermalmten Schrott und Leichen hinterlassen. Nicht einmal Tangens der Falke glaubt noch daran, dass er da verwertbare Informationen herausholen kann.« Rhodan trank sein Glas aus und erhob sich. »Das ist genau der Punkt, Fee. Wir wissen es, die Mom’Serimer aber nicht. Das wird ihnen Halt geben in ihrem neuen Leben. Und wer weiß, ob wir für dieses unglaublich lebhafte und lernschnelle Volk nicht bald eine neue – und tatsächlich kosmische – Aufgabe finden werden.« »Und du kannst mit dieser kleinen Lüge leben, Perry?« »Weißt du, was meine Mutter mir gesagt hat, bevor ich auf die Kadettenschule der US Air Force ging?« »Verrat es mir, Perry.«
»Sie hat gesagt: Man soll seinem Kind Wurzeln und Flügel verleihen. Verstehst du? Das ist genau das, was wir den Mom’Serimern geben: einen Boden, den sie sich zur Heimat nehmen können, und eine Aufgabe, die ihnen Flügel verleiht.« 11. Abschied » Mom’Serimer!« Remo Aratosters Stimme klang kraftlos und traurig. Dank SENECAS technischer Unterstützung war sie bis in den letzten Winkel der Scherbenstadt hinein hörbar. »Ich stehe vor euch als voraussichtlich letzter Lord, der das Privileg hatte, allen Mom’Serimern gleichzeitig als Herrscher dienen zu können. Denn ab dem heutigen Tag wird es zum ersten Mal in der neueren Geschichte unseres großen Volkes wieder zwei Orte im Universum geben, an denen Mom’Serimer leben. Ihr habt gewählt, jeder für sich, und ich darf heute verkünden, dass sich exakt 74.612 von euch dazu entschlossen haben, auf Neu-NACHT zu siedeln. Das heißt auch, dass die Scherbenstadt auf ihre ursprünglichen Größe von etwa 125.000 Personen schrumpfen wird. Doch das sind alles nur Zahlen. Ich will nicht länger über Zahlen sprechen.« Mit zitternder Hand griff er nach dem Glas Wasser, das auf dem Rednerpult stand, und trank einen Schluck. »Wie ihr wisst, wurde mir mein einziges Kind geraubt. Ich stehe heute hier, weil ich nicht will, dass man sich unwahre Geschichten über die Umstände erzählt, wie mein geliebter Milo gestorben ist. Es waren nicht die Geschichten und Hoffnungen, die ihm durch Seramir, den ihr den Propheten nennt, eingeimpft worden waren. Es waren nicht die Terraner, die die Situation im Berg falsch eingeschätzt hatten.« Remo Aratoster ließ den Blick über das Meer aus Mom’Serimern schweifen, die sich vor ihm auf dem großen Gemeinschaftsplatz versammelt hatten. Viele trugen Taschen, Körbe und Rucksäcke bei
sich, in denen sie ihre Habe verstaut hatten, die sie mit nach Neu-NACHT nehmen würden. »Milo Aratoster ist gestorben, weil er jenen wunderbaren Kern in sich trug, wie er für uns Mom’Serimer typisch ist. Ein Kern aus den Bestandteilen Neugierde, Mut, Warmherzigkeit, Lebensfreude, Wissensdurst und Opferbereitschaft. Die Natur hat es eingerichtet, dass unsere Lebenskerzen kurz sind – viel kürzer als die der meisten anderen Völker. Der Schein, den unsere Kerzen aber verbreiten, ist dafür hell und klar. Und das Kerzenlicht meines Kindes hat für kurze Zeit heller und klarer geleuchtet, als ich es je gesehen habe!« Seine Stimme zitterte leicht, doch es kam nicht in Frage, die Rede abzubrechen. »Ihr tapferen Siedler von Neu-NACHT: Folgt eurer neuen Bestimmung, schafft etwas Neues – und denkt ab und zu an uns, die wir uns nicht von unserer Heimat SOL lösen und die Scherbenstadt hinter uns lassen können. Lasst eure Kerzen hell brennen!« Zeran Tronale eilte herbei und half Remo Aratoster, vom Podium zu klettern. »Wohin willst du, Lord?«, fragte er. »Heim«, sagte Remo Aratoster müde. Zwischenspiel Case »Und du bist sicher, dass du mich nicht nach Neu-NACHT begleiten willst, Case?«, fragte Seramir und nahm den Teekessel von der Induktionsplatte. »Du warst mir stets ein angenehmer und interessanter Gesprächspartner.« »Ich weiß«, sagte Case. »Ich werde die Gespräche ebenfalls vermissen – viele davon waren noch nicht beendet.« Seramir lächelte traurig und brühte sich ein Teekügelchen auf. Wie immer hatte sein Gast es abgelehnt, eine Tasse mit ihm zu trinken. »Eine letzte Bitte habe ich noch«, sagte Case. »Um unserer Freundschaft willen.« Seramir hob die rechte Hand. »Ich werde sie dir erfüllen, mein Freund.«
Case beugte sich etwas nach vorne. Seine Augen glänzten. »Wie alt bist du wirklich, Seramir?« 12. Aufbruch Fee Kellind ging die letzten Checklisten durch. Die Containersiedlung der Mom’Serimer war errichtet, die Wasser- und Nahrungsmittelversorgung aufgebaut. Den ewigen Wächterdienst am Berg würden sie selbst organisieren müssen. Fee setzte sich in den Kommandosessel. In einer halben Stunde würden sie Pelarga und Neu-NACHT hinter sich lassen und zurück nach Terra fliegen. Das Hauptschott öffnete sich, und ein Mom’Serimer kam hereinspaziert, als ob er dies jeden Tag machen würde. »Wer bist du, und was willst du hier?«, fragte Fee verblüfft. Der Mom’Serimer kam seelenruhig mit sich kringelnden Gehirntentakeln auf Fee zugeschlendert. »Ich heiße Case«, sagte er und deutete eine Verbeugung an. »Und ich habe eben Meister Seramirs Geheimnis gelüftet.« Fee schüttelte verwundert den Kopf. »Du hast was?« »Sein Geheimnis gelüftet!«, sagte Case grinsend und setzte sich frech auf den Platz des stellvertretenden Kommandanten. »Ich weiß nun, wie alt er wirklich ist!« Fee beugte sich vor. »Und? Sagst du es mir?« Das Grinsen des Mom’Serimers verbreitete sich. »Das wüsste ich aber!«, kicherte er und löste sich auf. »SENECA!«, rief Fee. »War das nun ein Scherz, oder hast du dich tatsächlich in der Gestalt eines Mom’Serimers mit Seramir unterhalten?« »Das war kein Scherz«, sagte der Bordrechner. »Wir trafen uns schon längere Zeit zum Tee.« »Und wie lange?«
»Das kann ich dir leider nicht sagen, Kommandantin. Ein Geheimnis unter Mom’Serimern, quasi. Ich hoffe, du verstehst.« Fee schüttelte den Kopf. »Du erstaunst mich immer wieder, SENECA.« »Es ist für ein altes Rechengehirn immer wieder erfrischend, selbst in einer gestandenen Persönlichkeit wie Fee Kellind den Keim der Verwunderung aufgehen zu sehen.« Fee lächelte und lehnte sich in ihrem Sessel zurück. Bald schon würde sie mit diesem verrückten, phantastischen und vor allem legendären Schiff Weiterreisen. Sie schloss die Augen und hörte in den mächtigen Körper in der Form einer Hantel hinein, tiefer und intimer, als e’s ein Emotionaut je könnte. Denn sie war das Schiff. Sie war die SOL. Und die SOL war ihre Heimat, in welche geheimnisvollen Bereiche des Kosmos sie auch immer vorstoßen mochte. Epilog Gesang von Neu-NACHT »Es ist gut so, Kinder. Wir haben in der kurzen Zeit viel geleistet. Der Ewige Wächterdienst ist installiert, und unsere neue Stadt wird mit jedem Tag größer, persönlicher und vor allem gemütlicher. Auch die Beziehung mit den Aurenspürern hat sich weiter gefestigt, und ihr tut gut daran, bei euren Indoktrinatos jeden Tag eine Stunde lang die wunderbare Sprache dieser faszinierenden Wesen zu lernen, damit ihr sie mit euren Blinklampen selbst sprechen könnt. Ist euch übrigens schon aufgefallen, dass alle alten Mom’Serimer Mühe haben mit dem Atmen, ihr aber nicht? Ja? Seht ihr, deswegen habe ich auch so viel Spaß, wenn ihr mich besuchen kommt: Ihr seid mir ein steter Quell der Freude. Und nun geht und tobt euch draußen aus. Ich werde meinen Tee trinken und euch dabei zusehen.« ENDE