Nina Engels
Gilmore Girls FRÜHLINGSGEFÜHLE
Roman
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Nina Engels
Gilmore Girls FRÜHLINGSGEFÜHLE
Roman
-1-
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Der Roman »Gilmore Girls – Frühlingsgefühle« von Nina Engels entstand auf Basis der gleichnamigen Fernsehserie von Amy Sherman-Palladino, produziert von Warner Bros., ausgestrahlt bei VOX.
© 2006 des VOX Senderlogos mit freundlicher Genehmigung Copyright © 2006 Warner Bros. Entertainment Inc. GILMORE GIRLS and all related characters and elements are trademarks of and ©Warner Bros. Entertainment Inc. WB SHIELD:TM ©Warner Bros. Entertainment Inc. (s06) VGSC 4825 © der deutschsprachigen Ausgabe: Egmont vgs Verlagsgesellschaft Köln, 2006 Alle Rechte vorbehalten Redaktion: Sabine Arenz Lektorat: Ulrike Reinen Produktion: Susanne Beeh Senderlogo: ©VOX 2006 Titelfoto: © 2006 Warner Bros. Satz: Hans Winkens, Wegberg Printed in Germany ISBN 3-8025-3568-5 Ab 01.01.2007: ISBN 978-3-8025-3568-0 www.vgs.de Scanner: crazy2001 K-Leser: Keule
Dieses E-Book ist nicht für den Verkauf bestimmt
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1 Distanzbeziehungen halten länger – das weiß zumindest der Volksmund zu berichten. Und den zitierte ich, als Dean und ich partout kein nächstes Date ausmachen konnten, weil immer andere Termine und Verpflichtungen dazwischenkamen. Mal hatte er zu tun, mal hatte ich was vor – und schlussendlich fanden wir dann einen Termin zwei Wochen später. Wie gesagt: Es soll ja nicht schaden, wenn man sich selten sieht. Zumindest kann man sich dann nicht darüber streiten, wo man sich sieht, was man gemeinsam unternimmt oder dass man sich eingeengt fühlt – bei vielen Paaren sind das immerhin gern gewählte Streitthemen. Insgesamt soll die Liebe auf diese Weise also länger frisch bleiben, und da Vorfreude ja bekanntlich die schönste Freude ist, wird in der langen Zeit der Entbehrung die Sehnsucht so richtig angeheizt. Aber stimmt das auch? Oder macht man sich damit nicht bloß selbst etwas vor? Und was ist, wenn man gar keine Zeit mehr hat, sehnsüchtig zu sein? Wird dann aus Distanz nicht ziemlich schnell Entfremdung? Bekanntlich studiere ich in Yale Philosophie und Literatur und versuche mich bei der Yale Daily News als Journalistin. Dean arbeitet in Stars Hollow bei Doose’s und im Dragonfly Inn, Moms Hotel. Unter anderem. Er hat noch jede Menge andere Jobs und auf diese Weise auch sehr wenig Zeit. Wenn ich das Problem, dass sich damit stellt, auf eine einfache Formel bringen müsste, würde ich sagen: Seine Zeitnot addiert sich mit meiner, und das macht: ziemlich selten sehen pro Woche. Allerdings fällt mir zu Dean und mir noch eine zweite Gleichung ein: Seine Aufgaben verglichen mit meinen Aufgaben, das macht: ein ziemlich unterschiedliches Leben. Und wenn ich mir beide Gleichungen ansehe, könnte das zumindest bedeuten, dass unsere Beziehung ein Problem hat. -3-
Haben könnte, meine ich … Egal, wie ich es ausdrücke, hört es sich nicht gut an, und ich bin unglaublich froh, dass es ja noch eine dritte Gleichung gibt, die sich aufstellen lässt. Deans Liebe zu mir multipliziert mit meiner Liebe zu ihm macht eine glückliche Beziehung! Und außerdem: Distanzbeziehungen sollen ja länger halten … Ach, es ist eben nicht so einfach mit der Liebe. Der Volksmund weiß da oft auch nicht weiter, und der Versuch, die Gefühle zweier Menschen auf eine mathematische Formel zu bringen, ist genauso zum Scheitern verurteilt, wie es unmöglich wäre, meine Grandma Emily Gilmore ihrem liebsten Hobby, dem Einkaufen, zu entfremden. Es wäre ein völlig sinnloses Unterfangen. So versuche ich einfach, mir nicht allzu viele Gedanken darüber zu machen, wie oft oder wie selten wir uns sehen, und auch nicht darüber, ob es nun schlimm ist, dass wir zwei unterschiedliche Leben führen. Ich bemühe mich vielmehr, die Zeit, die ich mit Dean habe, zu genießen, und die Zeit, in der wir uns nicht sehen, zu nutzen. Für mein Studium und für meine Artikel bei der Yale Daily News. Ich weiß, ich weiß: Rock’n’Roll und wildes Studentenleben hört sich definitiv anders an, und so vernünftig wie ich sind die wenigsten. Vielleicht kommt das daher, dass meine Mom, Lorelai Gilmore, für uns beide zusammen schon verrückt genug ist. Sie trägt mit Vorliebe verrückte Klamotten, reißt mit Vorliebe verrückte Sprüche und ist nicht nur meine Mom, sondern gleichzeitig meine beste Freundin. Zwei Verrückte in einer Familie wären vielleicht etwas zu viel, und das könnte der Grund sein, warum ich insgesamt doch ziemlich vernünftig bin. Während andere also feiern und Party machen, sitze ich in der Bibliothek. Während andere flirten oder sich betrinken, sitze ich vor meinem Computer. Während andere versuchen, möglichst sexy auszusehen, finde ich es albern, sich zu viele Gedanken um sein Outfit zu machen. Ich bin nun einmal eine Vollblutstudentin – wissensdurstig und hungrig nach Theorie. -4-
Und doch: In der letzten Zeit frage ich mich hin und wieder, ob die Praxis bei mir nicht doch ein wenig zu kurz kommt, denn schließlich trage ich in mir ja auch das verrückte LorelaiGilmore-Gen … Wäre es vielleicht nicht doch ganz schön, nicht ständig so vernünftig zu sein? Schließen sich Wissensdurst und Rock’n’Roll wirklich komplett aus? Ich habe da mittlerweile so meine Zweifel. Keine Zweifel habe ich allerdings daran, dass ich extrem wissensdurstig bin bei allem, was mit der Life and Death Brigade zusammenhängt … Schon in der ersten Sekunde, als ich das Mädchen im roten Abendkleid und mit Gorillamaske auf dem Kopf zufällig in einem der Waschräume der Universität beobachtete, war meine Neugierde geweckt. Und als ich sie dann mit den Worten »In omnia paratus« in das dicke Auto steigen sah, da wusste ich, dass ich ihr auf der Spur bleiben würde. »In omnia paratus!« – »Zu allem bereit!« Ich wusste sofort, was das bedeutete, schließlich hatte ich Latein. Aber was damit gemeint war, das machte mich neugierig. Bald schon stellte sich heraus, dass es sich dabei um das Losungswort des Geheimbundes der Life and Death Brigade handelte – und die Tatsache, dass ausgerechnet Logan Huntzberger Mitglied dieses Geheimbundes ist, hat ganz sicher nicht dazu geführt, die Geschichte für mich uninteressanter zu machen. Oder soll ich besser sagen: unattraktiver? Ach, vergessen wir das! Jedenfalls: Als ich bei meiner Internetrecherche auf den Namen Huntzberger traf, war ich sofort hellwach, fast ein wenig elektrisiert … Und seit mir dieser Logan Huntzberger per E-Mail seine Hilfe bei meinem Artikel zugesichert hat, stehe ich gewissermaßen unter Dauerstrom. Warum nur? Reicht mir mein Leben plötzlich nicht mehr? Will ich plötzlich Rock’n’Roll? Ich? Rory Gilmore? Das Mädchen, das noch nicht einmal Alkohol trinkt? Von Logan, dem steinreichen Sohn steinreicher Eltern, geht auf jeden Fall eine gewisse Faszination aus. Irgendwie schafft -5-
er es, mich nervös zu machen. Ich ärgere mich über ihn, wenn er mich abblitzen lässt, und ich bekomme rote Wangen, wenn er mir eine E-Mail schreibt … Was reizt mich an ihm? Die Mischung aus Arroganz und Charme, die er an den Tag legt? Seine Selbstsicherheit, gepaart mit seinem Lächeln? Die Art, wie er mich ansieht? Die Tatsache, dass er so ganz anders ist als ich? Oder laufe ich viel eher Gefahr, mich gerade ein wenig zu verrennen? Ich nehme an, dass es das ist! Denn schließlich bin ich mit Dean zusammen – und das auch noch glücklich! Insofern muss das alles eine mittelschwere emotionale Verwirrung sein, der ich einfach keine Beachtung schenken werde. Apropos emotionale Verwirrung: Unter dieser ganz speziellen Krankheit leiden noch andere. Sookie zum Beispiel. Nachdem sie ausgerechnet Norman Mailer dafür verantwortlich gemacht hat, dass zu wenig Gäste im Dragonfly zu Mittag essen, und sie ihn deswegen sogar zur Rede stellte, fiel es ihr immerhin wie Schuppen von den Augen – ihre Verwirrung hatte einen besonderen Grund: Sie ist schwanger! Zum zweiten Mal! Und die Hormone spielen mindestens genauso verrückt wie bei der ersten Schwangerschaft! Wer Sookie kennt, kann sich schon denken, dass in den kommenden neun Monaten noch die eine oder andere weitere Verwirrung hinter der nächsten Straßenecke auf sie lauern wird … Emotionale Verwirrung befürchte ich aber auch bei meiner Mom. Christopher, mein Dad, ist nämlich wieder einmal aufgetaucht – und als er sich bei Mom meldete, hatte sie nichts Besseres zu tun, als sich sofort ins Auto zu werfen und zu ihm zu fahren. Gut, als plötzlich allein erziehender Vater kann man schon aufgeschmissen sein – trotzdem kochte ich innerlich, als ich davon hörte, denn immer, wenn Christopher auftaucht, ist Mom nach kurzer Zeit kreuzunglücklich, am Boden zerstört und steht vor einem riesengroßen Scherbenhaufen. So ähnlich sagte ich ihm das auch, als ich kurzerhand zu ihm fuhr und von -6-
ihm verlangte, sich ein für alle Mal aus Moms Leben rauszuhalten. Ich bin mir sicher, dass es richtig war, sich einzumischen, denn schließlich ist Mom nun mit Luke zusammen, und das ziemlich glücklich. So glücklich, wie ich sie seit langer Zeit nicht mehr gesehen habe. Das ist meiner Grandma allerdings ziemlich egal, denn für sie ist Moms Beziehung zu Luke mindestens eine emotionale Verwirrung. Eher noch eine riesengroße Dummheit. Doch am besten erzähle ich ganz der Reihe nach … Es war ein Freitagabend, und Mom und ich waren wie immer bei Grandma zum Essen verabredet. Da Grandpa wieder einmal auf Geschäftsreise war, entfiel der Aperitif im Poolhaus, und die Abendplanung sah nur ein Essen bei Grandma vor. Ich war schon vor Mom angekommen und saß bereits mit einem Getränk in der Hand auf dem Sofa, als es an der Tür klingelte und Mom eintrat. »Ah, ich bin zu spät«, stöhnte sie. »Vor mir sind ‘n paar Vollidioten gefahren. Stell dir vor, die hatten hinten drauf einen Aufkleber, auf dem stand: ›Hupe, wenn du gerne tauchst.‹ Also hab ich gehupt!« Ganz atemlos drückte sie dem Hausmädchen, das natürlich nicht dasselbe war wie die Woche zuvor, ihren rosafarbenen Mantel in die Hand, unter dem ein schwarz-rosa Ensemble zum Vorschein kam, dass ihr nicht nur außerordentlich gut stand, sondern auch ziemlich niedlich anzusehen war. Rund um den Ausschnitt waren in dem schwarzen Stoff herzförmige Löcher, unter denen rosafarbener Stoff durchschimmerte. Das auffällige Oberteil wurde durch einen eleganten schmal geschnittenen, schwarzen Rock komplettiert. Grandma würdigte Moms Outfit allerdings kaum eines Blickes, sondern wunderte sich darüber, dass Mom hupte, obwohl sie doch gar nicht tauchte. Mom winkte ab. »Aber ich hab mir angewöhnt, diese Hupaufkleberleute zu testen, verstehst du? Ob sie wirklich wollen, was draufsteht«, versuchte Mom ihrer Mutter zu -7-
erklären und fasste dann ihre Erfahrungen mit den Hupaufkleberleuten folgendermaßen zusammen: »Die wollen gar nicht, dass man hupt! Ich hupe also wie ‘ne Verrückte, und ganz plötzlich fährt dieser angebliche Taucher nur noch im Schneckentempo vor mir her. Ich dachte, ich werd’ wahnsinnig!« Emily schüttelte missbilligend den Kopf, wie so oft, wenn ihre Tochter etwas erzählt. Sie riet ihr, sich doch besser ein Hobby zu suchen, und ging dann voran in den Salon, wo Mom neben mir Platz nahm. Sie war noch ganz gestresst von der Fahrt, denn sie beachtete mich kaum und erzählte uns stattdessen von ihrer Superidee für eine neue Reality-Show. »Alle Autofahrer mit so einem Hupaufkleber drauf werden entführt und dann gezwungen, genau das zu machen, was sie ihrem Aufkleber zufolge angeblich so gern tun. Und anschließend lässt man sie jede Menge Käfer essen«, schlug sie vor und sah uns grinsend an. Ich wollte gerade die Idee weiterspinnen, doch in diesem Moment kam mir Grandma zuvor. »Ich hab gehört, du hast wieder einen neuen Freund?«, platzte sie unvermittelt heraus und sah ihre Tochter mit dem ihr eigenen strengen Feldwebelblick an. Mom war durch diese Frage völlig aus dem Konzept gebracht und verdächtigte zuerst mich, dass ich mich verplappert hatte, doch Grandma winkte ab. »Geh nicht auf Rory los. Kirk hat’s mir erzählt«, erklärte sie, lehnte sich dann in ihrem Sessel zurück und wartete ab, wie Mom reagieren würde. Mom und ich waren beide gleichermaßen verwundert über diese Nachricht. Dass eine Dame wie Emily Gilmore Kontakt mit einem Sonderling wie Kirk hatte, war eigentlich unvorstellbar. Ich glaube, dass uns beiden der Mund offen stand. Schließlich wollte Mom wissen, welchen Kirk Emily meinte.
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»Wie viele Kirks kennst du, Lorelai?«, erkundigte sich Grandma und sah Mom noch ein wenig strenger an. »Mein Kirk?«, wollte Mom ungläubig wissen. »StarsHollow-Kirk? Der Kirk, der sich noch nicht rasiert? Wieso weißt du das von ihm?« »Als ich im Hotel anrief, ging Michel an den Apparat. Aber er diskutierte gerade mit eurem Pferde-Veterinär«, erklärte Grandma und schnaubte verächtlich durch die Nase. »Plötzlich war ein Knacken in der Leitung zu hören, und dann meldete sich eine Männerstimme.« »Kirk?«, fragte Mom. »Bob«, antwortete Grandma. »Er hat versucht, mir etwas zu erzählen, mit seinem starken spanischen Akzent, während Michel irgendwas auf Französisch schrie. Und dann war Kirk plötzlich dran. Er hat irgendetwas geliefert. Ich sagte ihm, ich wolle dich sprechen, und er sagte, du seist wahrscheinlich bei deinem neuen Freund, Luke Danes.« Emily machte eine kurze dramatische Pause, und ihr Blick war vorwurfsvoll, als sie schließlich fragte, wieso Mom ihr die Beziehung verheimlichen würde. Mom wollte noch abwiegeln, doch Emily ließ keine Ausflüchte gelten. »Du verheimlichst es, sonst wärst du nicht so auf Rory losgegangen!« Grandma sagte das nicht nur, sie schrie beinahe. Es war das untrügliche Zeichen dafür, dass es ihr ernst war. »Sie ist nicht auf mich losgegangen, Grandma«, warf ich schnell ein, denn erstens stimmte das und zweitens hatte ich das Gefühl, dass Mom meine Hilfe brauchen konnte. Doch Mom, die die Angriffe ihrer Mutter zur Genüge kannte, ließ sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen. »Ja, genau«, gab sie mir Recht. »Ich verheimliche gar nichts, ich war nur überrascht, als du Kirk erwähnt hast, denn er gehört zu meiner anderen Welt.« Sie überlegte kurz. »Ich hab dir ja auch noch nie erzählt, dass ich immer mit Mrs. Van Uppity Tee trinke.« -9-
»Mit wem?«, fragte Emily nach. »Hortense Van Uppity!«, erklärte Mom. »Dutt, Hut, winziger Pudel, erfundene Freundin.« Ich musste mir ein Lachen verkneifen, aber Grandma fand Moms Witz anscheinend überhaupt nicht lustig. Ich hatte sie sogar im Verdacht, dass sie den Witz gar nicht verstanden hatte, denn sie ging überhaupt nicht darauf ein, sondern beklagte sich nur darüber, dass Mom ihr so viele Informationen vorenthalten würde und dass sie ja nichts über ihre Tochter wüsste … Dabei sah sie Mom so erbost und vorwurfsvoll an, dass diese sich zu einem folgenschweren Fehler hinreißen ließ: Sie gelobte Besserung und versprach Emily, sie in Zukunft mehr an ihrem Leben teilhaben zu lassen. Darauf schien Grandma nur gewartet zu haben. »Dann fang gleich an!«, befahl sie. »Ich will diesen Luke Danes kennen lernen.« »Du kennst ihn schon«, antwortete Mom ausweichend. »Aber als deinen Freund musst du ihn mir neu vorstellen!«, befand Emily und bestimmte, dass das in der nächsten Woche erfolgen sollte. Mom versuchte natürlich, sich aus der Sache herauszuwinden, aber sie hatte keinen Erfolg. »Es bemüht sich ein Kavalier um dich, und das bedeutet, dass du ihn selbstverständlich deiner Mutter vorstellen wirst! Es sei denn, es ist keine ernste Sache«, erklärte Emily und griff dann zu einem recht poetischen Bild: »Ein vorbeifahrender Frachter ist reine Zeitverschwendung für mich. Ist Luke ein vorbeifahrender Frachter, der dir nichts bedeutet?« Sie sah Mom forschend an, und als diese erklärte, dass Luke natürlich mehr für sie war als solch ein Frachter – was auch immer Emily damit meinte –, erhob sich Grandma energisch von ihrem Sessel. »Ich hole meinen Kalender, und dann machen wir einen Termin!« Als sie weg war, sah ich Mom mitfühlend an. »Hupe, wenn Emily Gilmore völlig egal ist, was du eigentlich willst.« - 10 -
»Hup, hup«, machte Mom und starrte bedrückt auf ihre Fußspitzen. Sie wusste, was ein Termin mit ihr, Emily und Luke bedeutete. Sie konnte sich den fürchterlichen Abend, der auf sie wartete, geradezu körperlich vorstellen … Während ich am nächsten Tag in Yale in der Redaktion der Yale Daily News Doyle auf den neuesten Stand brachte, was mein Artikel über die Life and Death Brigade anging, war Mom auf dem Weg zu Luke’s Diner, um Luke vom Plan meiner Grandma zu erzählen. Außer Luke selbst arbeitete an diesem Tag auch noch Lane im Cafe. Sie hatte gerade Schicht und bediente einen Kunden. Da aber nicht allzu viel los war, ging sie schnell vor die Tür, als sie vor dem Cafe Zack ausmachte, der nervös von einem Bein aufs andere trat. »Ich bin bereit!«, sagte er ohne Umschweife, kaum, dass Lane vor ihm stand. Er war richtig blass um die Nase und hatte seine Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Lane ahnte zwar, zu was er bereit war, und innerlich jubelte sie vor Freude – aber sicherheitshalber fragte sie noch mal nach. »Für ein Date!«, antwortete Zack und sah sie dann erschrocken an. »Du willst doch noch, oder?« »Äh, ja, natürlich.« »Okay, dann sollten wir überlegen, wann!« Nachdem Zack ziemlich lange gebraucht hatte, um diesen Schritt auf Lane zuzugehen, konnte es ihm jetzt allerdings nicht schnell genug gehen, und er schlug vor, dass das Date am besten sofort stattfinden sollte. Da musste Lane leider passen, denn schließlich hatte sie ja noch ein paar Stunden bei Luke zu arbeiten. Und auch bei Zacks nächstem Vorschlag, den Abend für das Date zu nutzen, musste Lane ablehnen, schließlich war für den Abend eine Bandprobe anberaumt. Aber Lane und Zack kamen immerhin so weit voran, dass sie vereinbarten, bald einen Termin zu vereinbaren. Dann verabschiedete sich Zack, und Lane ging wieder ins Cafe. Auf ihrem Gesicht lag ein Strahlen wie von hundert Sonnen. Sie hätte die ganz Welt - 11 -
umarmen können. Der erste Schritt war getan, und ihr erstes Date mit Zack war nur noch eine Frage der Zeit! Sie war tief in süße Gedanken versunken und fuhr ein wenig zusammen, als Mom hinter ihr das Cafe betrat und wissen wollte, wie es ihr ging. »Gut«, antwortete Lane wie aus einer anderen Welt. »Sehr gut.« Mom sah sie an, und an dem ganz speziellen Leuchten in Lanes Augen sah sie sofort, was los war. Lorelai hatte da so einen siebten Sinn. »Oh, na ja. Du Glückliche«, meinte sie und steuerte dann grinsend den Tresen an, hinter dem Luke stand und sie anlächelte. Aber kaum hatte sie auf einem der Barhocker Platz genommen, fiel das Lächeln von ihrem Gesicht ab wie ein welkes Blatt, und ihre Stirn legte sich in überbesorgte Falten. »Wie dunkel ist sie?«, wollte sie wissen. »Die KumulusNimbus-Wolke, die über mir schwebt? Die schwarze Gewitterwolke. Ich spür schon die ersten Tropfen.« Luke verstand nichts von dem, was sie ihm da erzählte, und wollte wissen, um was es ging. Mom seufzte auf. »Ich habe sehr schlechte Nachrichten!«, begann sie. »Meine Mutter lädt uns zu sich zum Essen ein.« »Das is’ alles?«, fragte Luke kopfschüttelnd. Er konnte nichts besonders Schlimmes daran finden, dass ihn die Mutter seiner Freundin zum Essen einlud. Klar, er wusste, dass Emily Gilmore nicht die einfachste Person der Welt war, aber wer konnte das schon von sich behaupten? Lorelai, die merkte, dass Luke die Tragweite dieser Einladung nicht im Entferntesten zu begreifen schien, sah ihn mit schreckgeweiteten Augen an. »Hast du mir zugehört? Mutter-Einladung-uns?! Ich meine, ich hätte auch sagen können, Auto-Crashtest-Crashtest-Dummies, aber keine Sorge, ich werde alles Erdenkliche tun, um es zu verhindern.«
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»Wieso denn?«, meinte Luke. »Wir gehen hin! Ist doch klar! Das Zusammentreffen mit den Eltern ist nun mal nicht zu vermeiden in einer Beziehung.« Mom traute ihren Ohren nicht. Begriff Luke denn wirklich nicht, was das bedeutete? Dass Emily Gilmore nur darauf wartete, ihn zu zerfleischen? Dass sie schon die Messer wetzte? Anscheinend nicht, denn egal, wie sehr Lorelai auch versuchte, Luke davon zu überzeugen, dass es keine gute Idee war, die Einladung anzunehmen – sie kam nicht weiter. Luke wiederholte stereotyp immer wieder drei Wörter: Wir gehen hin. »Okay«, gab sich Mom schließlich geschlagen. »Aber ich warne dich! Wenn ich jetzt anrufe und zusage und du es dir plötzlich anders überlegst, müssen wir das Land verlassen und uns einem gesichtschirurgischen Eingriff unterziehen. Ganz zu schweigen von der Geschlechtsumwandlung für uns beide, damit wir uns weiter küssen können.« »Ich werd’s mir nicht anders überlegen«, sagte Luke und wartete hinter dem Tresen ganz offensichtlich darauf, dass Mom endlich ihr Telefon zückte und die Einladung bestätigte. Mom nickte schweren Herzens, kramte in ihrer Tasche nach dem Handy und wollte schon Emilys Nummer wählen, als plötzlich ihr Arm nach unten fiel. »Was ist los?«, fragte sie verängstigt. »Etwas unglaublich Übernatürliches passiert mit mir. Das Handy ist zentnerschwer, wie aus Eisen.« Dann blickte sie sich erschrocken um. »Hast du den eiskalten Windhauch auch gespürt?« Luke grinste. »Mach schon, ruf an.« »Ich sehe tote Menschen«, wimmerte Mom wie der kleine Junge aus The Sixth Sense und blickte Luke mit Bambiblick tief und treu in die Augen – doch er blieb bei seiner Meinung. »Mach schon, Lorelai«, meinte er und blieb so lange vor ihr stehen, bis sie mit Emily gesprochen und den Termin für das Abendessen vereinbart hatte. - 13 -
Kurz darauf war es so weit. Luke hatte Mom abgeholt, und wenig später stand sein Auto in der Auffahrt zu dem Gilmore’schen Anwesen. Als sie ausgestiegen waren, sah sich Luke beeindruckt um. Er hatte einiges erwartet, schließlich kannte er Moms Erzählungen. Dass das Haus aber derartige Dimensionen hatte, machte selbst Luke ein wenig sprachlos. »Das ist ein Haus?«, fragte er und gab sich dann selbst die Antwort. »Das ist Verschwendung! Wegen so was kam es zu Bauernaufständen! Wegen solcher Häuser mussten Köpfe rollen.« Mom grinste ihn an. »Perfekter Einstieg, um das Eis zu brechen!«, meinte sie und bat ihn anschließend, vorsichtig zu sein, was den Alkoholkonsum anging. »Keine Panik«, versuchte Luke sie zu beruhigen. »Ich trink schon nicht zu viel.« Allerdings hatte er Mom gründlich missverstanden. »Nein, nein, nein, du hast mich falsch verstanden, Pablo«, antwortete sie schnell. »Lass dich richtig voll laufen, das ist deine einzig Waffe gegen Emily Gilmore. Es sei denn, du hast eine Kalaschnikow!« Mit diesem Rat schritten sie zur Eingangstür, und nachdem ihm Mom noch den kürzesten Weg zum Barwagen beschrieben hatte, drückten sie beherzt die Klingel und warteten darauf, dass ihnen die Tür geöffnet wurde und der wunderbare Abend endlich seinen Anfang nehmen konnte … Wenige Sekunden später öffnete ihnen das Hausmädchen die Tür. Lorelai hatte es noch nie zuvor gesehen – allerdings war dieses Hausmädchen anscheinend informiert, denn Lorelai musste sich nicht als Tochter des Hauses vorstellen, sondern wurde gemeinsam mit Luke sofort hineingelassen. Nachdem Mom dem Mädchen ihren gefalteten Mantel in die Hand gedrückt hatte, gab auch Luke seine Jacke ab, reichte dem Mädchen die Hand und stellte sich mit den Worten vor: »Ich bin Luke.« - 14 -
»Ich bin das Hausmädchen«, antwortete das Hausmädchen einigermaßen verstört, denn etwas Vergleichbares war ihr in ihrer Karriere noch nie untergekommen. Meistens beachtete sie die Gäste überhaupt nicht. Wenn ihr jemand zunickte, war das schon äußerst freundlich. Dass sich ihr allerdings jemand vorstellte, war außergewöhnlich. »Schön, Sie kennen zu lernen«, meinte Luke nun auch noch und ging dann Mom hinterher, die Ausschau nach Emily hielt und Lukes Verhalten sehr süß und unschuldig fand. Kaum war das Hausmädchen mit den Jacken verschwunden, kam Emily die Treppe heruntergeschwebt. »Ja, wen sehe ich denn da?«, begrüßte sie Luke mit dem strahlendsten Lächeln, dass man sich vorstellen konnte. »Unseren Ehrengast. Willkommen in meinem Haus!« »Mom, Luke. Luke, Mom«, stellte Lorelai die beiden einander vor, während sie bereits verzweifelt Ausschau nach dem Barwagen hielt. »Wir kennen uns, Lorelai. Wir sind uns schon öfter begegnet«, antwortete Emily und musterte Luke, ohne dass ihr strahlendes Lächeln von ihrem Gesicht wich. Wer Emily Gilmore kannte, wusste, dass das nichts Gutes bedeuten konnte. Aber Luke kannte Emily Gilmore nicht … »Schön, Sie wiederzusehen, Mrs. Gilmore«, begrüßte er Emily mit einer angedeuteten Verbeugung. Emily strahlte ihn in Grund und Boden. »Oh, nennen Sie mich Emily, Luke. Ja!« »Schön, Sie wiederzusehen, Emily«, lächelte Luke verbindlich. »Drinks?«, fragte Mom hektisch. Sie hatte ein furchtbar ungutes Gefühl, was den heutigen Abend anging, und ihre Nervosität nicht ganz unter Kontrolle. »Wir stehen im Flur!«, antwortete Emily pikiert und bot Luke dann eine Führung durch das Haus an. Noch bevor Luke etwas sagen konnte, ergriff Lorelai erneut das Wort. - 15 -
»Oh, okay, also: Flur, Treppe, oben.« Sie deutete mit der Hand nach oben. Dann drehte sie sich um und deutete in eine andere Richtung: »Äh, Esszimmer, Küche, Klavierbereich, für den es keine richtige Bezeichnung gibt, und da hinten können wir was trinken!« Eine Weile sagte niemand ein Wort, dann erklärte Luke, dass sich eine Führung nun wohl erübrigt hätte, woraufhin Emily ins Wohnzimmer voran ging. »Sie haben ein wunderschönes Haus«, machte Luke Emily ein Kompliment, während er hinter ihr herging. »Ja, so solide wird heutzutage nicht mehr gebaut. Heute ist doch alles nur noch aus Pappe. Weiße Schachteln mit Heizungsschächten!« »Ja, wo ist die gute alte Handwerkskunst?«, fragte Luke lächelnd und nahm neben Lorelai auf dem Sofa Platz. Doch seine Smalltalkversuche wurden erneut durch einen Zwischenruf von Mom im Keim erstickt. »Gin?«, rief sie fragend aus und sah ihre Mutter an. Emily schüttelte missbilligend den Kopf. »Leidest du am Tourette-Syndrom?« »Oh, entschuldige«, antwortete Lorelai. »Ich dachte, du hättest mich gefragt, was ich trinken will.« »Das hätte ich sicher gleich.« »Einen Gin Martini, bitte«, antwortete Mom. »Ich habe schon Martinis gemixt, allerdings mit Wodka.« »Ach, Wodka ist wunderbar!«, rief Mom mit dem Mut der Verzweiflung. »Einen doppelten mit Zitrone.« »Also, zwei kalte Martinis mit Zitrone«, fasste Emily zusammen und sah dann Luke an. Natürlich mit einem wunderbaren Lächeln, bei dem es Mom ganz anders wurde. »Und, Luke, möchten Sie vielleicht ein Bier?« »Oder vielleicht möchte Luke selbst entscheiden, was er trinken möchte«, rief Mom dazwischen. »Nur so eine Idee!«
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»Oh, ja, Verzeihung, Sie können trinken, was Sie wollen!«, flötete Emily. »Ich hab alles da.« »Bier ist wunderbar«, erwiderte Luke. Emily hatte seinen Geschmack voll und ganz erraten. Er trank nun mal am liebsten Bier und war ganz froh, dass es so ein Getränk in einem derartigen Anwesen überhaupt gab. Mom versuchte zwar, ihn umzustimmen, und listete von Rum bis Rotwein hektisch alle alkoholischen Getränke auf, die schneller blau machten als Bier, aber Luke blieb bei seiner Entscheidung und freute sich, als ihm Emily sein Bier reichte. »Das Bier ist schön kalt. Vielleicht trinke ich nachher auch eins«, meinte Emily und setzte sich Luke gegenüber. »Oh, äh, wir können uns meins teilen, wenn Sie wollen«, schlug Luke vor, unschuldig wie ein Lämmchen, erhielt darauf jedoch keine Antwort, denn langsam, aber sicher kam Emily in Fahrt. »Also, Luke, wie läuft denn das Geschäft so?«, wollte sie wissen. Lächelnd, wohlgemerkt. »Es läuft ausgezeichnet«, antwortete Luke und nahm einen Schluck. »Egal, wie die wirtschaftliche Lage ist, essen müssen ja alle!« »Oh, das ist wahr!«, lachte Emily. »Und ich finde Ihren Betrieb äußerst charmant. Entzückend rustikal.« Mom wurde abwechselnd heiß und kalt, und in ihrer Not hustete sie, so laut sie konnte, um das Gespräch zu beenden. »Brauchst du ein Hustenbonbon?«, erkundigte sich Emily ironisch und blickte dann auf Moms leeres Glas. »Wo ist dein Martini geblieben?« »Der musste schnell verschwinden«, antwortete Lorelai und erklärte, als Emily wissen wollte, ob sie noch einen trinken wollte: »Isst Pavarotti gerne noch einen Donut?« »Ich nehme an, das heißt Ja«, antwortete Emily mit tadelndem Unterton, bedankte sich zuckersüß bei Luke, der
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Mom nachgoss, und entschuldigte sich dann, um in der Küche nach dem Essen zu sehen. »Einfach unglaublich«, stöhnte Luke, sobald er mit Mom allein war. »Ja«, nickte sie eifrig und nahm einen riesengroßen Schluck. »Sie hat viel zu wenig von dem Zeug gemacht.« »Ich meine dich!«, stellte Luke richtig. »Du führst dich auf wie ‘ne Verrückte.« Mom verstand die Welt nicht mehr. Ihre Mutter ging die ganze Zeit auf Luke los, und er machte ihr, Lorelai, einen Vorwurf? Ja, verstand er denn nicht, was ihre Mutter mit charmant und rustikal in Wahrheit meinte und was ihr Lächeln zu bedeuten hatte? »Rustikal, Luke. Rustikal! Das ist ihre Umschreibung für abartig!«, rief Mom aufgebracht. »Oder ihr gefällt einfach nur das ländliche Ambiente«, widersprach Luke. »Oh, was hat sie noch gleich gesagt?«, fragte Mom. »Charmant? Ihr Ausdruck für absolut zum Kotzen! Und das mit dem Bier, das war, oh, mein Gott!« Mom fehlten die Worte, so gemein fand sie ihre Mutter. »Du bist unglaublich!«, schüttelte Luke den Kopf. »Das mit dem Bier war nett. Ich wollte ein Bier, und sie hat das geahnt – ich nenne so was Aufmerksamkeit. Du interpretierst da viel zu viel rein.« »Entschuldige bitte, aber ich bin hier die Gilmore-Expertin!«, rief Mom warnend wie eine griechische Göttin. »Ich bin das Orakel. Ich kenne sie seit Jahren. Ich will dich doch nur beschützen!« Luke hatte nun endgültig genug. »Tust du mir einen Gefallen? Würdest du dich bitte beruhigen, du machst mich nämlich nervös!«, erklärte er, und man merkte ihm an, dass nicht sehr viel fehlte, um ihn richtig sauer zu machen. »Ich bin ein erwachsener Mann! Und das ist nicht mein erster Ausflug in die Stadt. Ich hab schon mit so vielen Menschen zu tun - 18 -
gehabt: Reiche, Arme, Versnobte, Stolze, ich krieg das hin! Und wenn du weiter deiner Mutter so Kontra gibst, sehe ich schwach aus. Und ich will nicht schwach aussehen.« »Aber das will ich doch auch nicht!«, meinte Mom verzweifelt. »Dann lass mir meinen Freiraum. Okay? Bitte!« Luke sah Mom eindringlich an, und sie verstand: Sie konnte ihn nicht beschützen. Er musste da jetzt durch, und ihr blieb nichts anderes übrig, als sich am besten noch schnell einen Drink zu schnappen. »Das Essen wird genauso gut schmecken, wie es duftet, das verspreche ich euch«, flötete Emily, als sie zurück ins Wohnzimmer kam und sich zu Luke und Lorelai setzte. »Es duftet wundervoll, Emily«, lobte Luke. Der Arme gab sich tatsächlich alle Mühe, und bei 99,9 Prozent aller potenzieller Schwiegermütter hätte er bereits zu diesem Zeitpunkt einen riesengroßen Stein im Brett gehabt – aber nicht bei Emily. »Danke schön, Luke. Es tut gut, einen so netten Gentleman im Haus zu haben«, antwortete sie, und plötzlich fiel ihr das Lächeln vom Gesicht, ihre Augen blitzen kalt auf. »Also, Sie haben sich kürzlich scheiden lassen!« Luke war durch die unvorhergesehene Wendung des Gesprächs ein wenig überrumpelt und kam kurzzeitig ins Stottern. »Äh, ähm, ja, ja, das ist richtig«, stammelte er. »Na ja, es kommt, ähm, darauf an, was Sie unter ›kürzlich‹ verstehen.« »Letztes Jahr? War die Scheidung im letzten Jahr? Das wäre kürzlich!« Emilys Stimme hatte nun überhaupt nichts Liebenswürdiges mehr, und als Luke bejahte, dass die Scheidung im letzten Jahr und damit kürzlich gewesen sei, kam Emily immer mehr in Fahrt. »Die Scheidungsquote steigt jedes Jahr. Aber ich vermute, Ihre Scheidung war nicht zu vermeiden?!« »Es hat einfach nicht geklappt!«, nickte Luke. - 19 -
Emily lächelte wieder. »Ich hoffe, Sie haben keine Kinder. Eine Scheidung ist schrecklich für Kinder! Aber wenn man keine hat, schadet man ja nur sich selbst! Es gibt ja sogar Menschen, die heiraten nur aus Jux! Vielleicht ist das Fernsehen dran schuld.« Luke war sehr froh, als das Mädchen kam und Bescheid sagte, dass das Essen fertig sei. Doch falls er gehoffte hatte, das Gespräch würde nun eine freundlichere Wendung nehmen, so hatte er sich getäuscht. Sobald sie an dem riesengroßen, eleganten Esstisch Platz genommen hatten, plauderte Emily munter weiter. »Cafes sind immer sehr schmutzig!«, klagte sie. »Ihres natürlich nicht! Aber man hört ja die schlimmsten Geschichten! Ich hab mal gelesen, in Vermont gab es eins, die haben den Gästen Aas serviert! Sie wissen, wovon ich rede?« Luke schluckte. »Äh, ähm, tote Tiere, zum Beispiel von der Straße.« Emily nickte. »Von der Straße, aus Hinterhöfen, aus Swimmingpools … und das servieren diese Leute dann zum Essen. Natürlich sicher nicht in Ihrem Cafe! Aber dass so etwas grundsätzlich überhaupt passieren kann, ist doch erstaunlich. Ich nehme an, die Menschen, die dort essen gehen, haben einen ganz geringen Selbsterhaltungstrieb!« »Ich versichere Ihnen, ich serviere kein Aas«, erklärte Luke betreten. Ihm blieb buchstäblich der Bissen im Halse stecken, und er legte sein Besteck beiseite. »Da bin ich wirklich erleichtert!«, antwortete Emily lächelnd, aber kein bisschen freundlich. »Eine Freundin von mir hat mal in einem Cafe gegessen und ist danach tot umgefallen. Die Familie überlegt, den Besitzer zu verklagen, aber bei diesen Leuten ist ja sowieso nichts zu holen. Ein paar Barhocker und ein Toaster. Wahrscheinlich war mangelnde Hygiene die Todesursache.
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Der Besitzer hat dann das Cafe einfach geschlossen. Ich erzähl Ihnen lieber nicht, was sie alles unter dem Herd gefunden haben. Möchten Sie vielleicht noch ein Bier, Luke?« Dieses Mal hörte sich auch das Wort »Bier« wie eine Beleidigung an. Für Mom und Luke zog sich das Essen schier endlos lange hin. Der Abend wurde natürlich nicht besser oder netter, und nicht mal als Luke und Lorelai nach dem Essen mit den Mänteln an der Eingangstür standen und sich so schnell wie möglich verabschieden wollten, hörte Emily auf zu plaudern … »Opium fürs Volk!«, rief sie strahlend aus. »Na und?! Braucht nicht jeder von uns eine Obsession! Die einen lieben Ballett, Luke liebt Baseball! Ich weiß nicht mehr, wer mir das erzählt hat, aber es ist ihm wohl sehr wichtig.« Dann stockte sie, denn sie hatte Lukes Auto in der Einfahrt gesehen. »Oh, nein, ein Handwerker hat seinen schmutzigen Truck in unserer sauberen Auffahrt abgestellt. Er ist sicher bei Richard!« »Oh, nein, das ist mein schmutziger Truck«, schluckte Luke. »Oh, was Sie nicht sagen. Rustikal! Die Lackierung ist schön«, lobte Emily gehässig und beäugte dann Lukes Jacke. »Und Ihre Jacke finde ich auch schön. Schlichte Kleidung hat doch durchaus was für sich.« Sie lächelte Luke an, der sich bei ihr für die vielen Komplimente bedankte, und stellte dann fest, dass der Abend doch wirklich sehr nett gewesen sei und Luke gerne wieder einmal vorbeikommen könne. »Oh, sehr gern!«, antwortete Luke. »Danke, Emily.« »Wiedersehen!«, flötete sie. »Bis dann, Lorelai.« »Bis dann, Mom.« »Und danke!«, rief Luke völlig verstört. Als sich die Tür geschlossen hatte und er mit Lorelai alleine in der Auffahrt stand, sah er sie entgeistert an. »Weißt du, was unglaublich war? Ich meine, wirklich unglaublich? Sie hat die ganze Zeit nie etwas wirklich Schlechtes über mich gesagt oder über meine Arbeit, sie hat - 21 -
mich nie direkt angegriffen! Und ich hab auch noch Danke gesagt, wie ein Idiot. Sie macht mich fertig, und ich sag Danke.« Luke schüttelte fassungslos den Kopf und dachte an Emilys Bemerkung über seinen Wagen. »Diesmal klang ›rustikal‹ wie ›abgewrackter Schrotthaufen‹!« Mom fasste ihn mitfühlend am Arm und zog ihn zu seinem Wagen. »Komm mit, Baby! Auf dem Nachhauseweg wird’s gleich besser«, versuchte sie ihn zu trösten und berichtete aus ihrem reichhaltigen Erfahrungsschatz. »Erst überkommt dich Übelkeit, ich kenn das. Das reichhaltige Essen mischt sich mit den bitteren Erinnerungen, aber dann wird es besser. Etwa auf der Höhe der 44. hast du es dann überstanden. Ich halte den Zungenspatel bereit, damit du die Zunge nicht verschluckst. Ich hab immer welche dabei. Komm jetzt, fahren wir!«
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2 Ungefähr zur selben Zeit, als Mom und Luke diesen mehr oder weniger vergnüglichen Abend verbrachten, kam ich nach einem endlos langen Tag an der Uni endlich in meinem Zimmer an. Ich war todmüde und wankte mehr, als dass ich ging, zum Anrufbeantworter. Er blinkte rot, was das Zeichen dafür war, dass jemand eine Nachricht hinterlassen hatte, und als ich auf die Wiedergabetaste drückte, hörte ich Deans Stimme. »Hey, ich bin’s, Dean«, hörte ich seine Stimmme. »Ich weiß, wir sind eigentlich übermorgen verabredet, aber ich muss absagen! Schon wieder. Es wird einfacher, wenn ich irgendwann mal nur einen Job hab und nicht drei! Hoffe ich. Na ja, jedenfalls dachte ich, wir könnten uns vielleicht morgen Abend sehen! Ich weiß nicht, ob du Zeit hast? Aber ich hätte drei Stunden Zeit. Vielleicht könnten wir da was essen gehen oder so. Vielleicht könnten wir uns ja auf halber Strecke zwischen Yale und Stars Hollow treffen. In irgendeiner Raststätte, um ein Trucker-Tagesgericht für 6,99 zu genießen. Aber egal, ich bin ja nicht anspruchsvoll! Ich weiß, das ist vielleicht nicht besonders romantisch, aber besser als gar nichts. Sag mir Bescheid. Bis dann.« Seine Stimme klang nur von ganz weit entfernt an mein Ohr, denn nach dem zweiten Satz hatte ich innerlich abgeschaltet. Es machte mich noch nicht einmal mehr traurig, dass wir uns wieder nicht wie verabredet sahen – und das, obwohl wir uns seit über zwei Wochen nicht mehr gesehen hatten. Irgendwie hatte ich innerlich schon damit gerechnet, dass unser geplantes Date platzen würde. Aber es war nicht nur Deans Absage, die mich nicht mehr richtig zuhören ließ, denn als ich aus dem Fenster schaute, fiel mein Blick auf einen Umschlag, der außen an der Scheibe klebte und auf den jemand meinen Namen - 23 -
geschrieben hatte. Sofort öffnete ich das Fenster, nahm den Umschlag ab und riss ihn auf. Eine schwarze Augenbinde und ein Zettel kamen zum Vorschein, auf den mit großen Druckbuchstaben folgende Nachricht geschrieben war: WARTE MORGEN UM VIER IN DER VORHALLE MIT VERBUNDENEN AUGEN. DIE LDB. Nervös blickte ich nach draußen, denn ich hielt es durchaus für möglich, dass man mich gerade beobachtete. Als ich niemanden sah, zog ich die Vorhänge zu, hörte noch einmal Deans Nachricht ab und ging dann ins Bett. Allerdings war meine Müdigkeit wie weggeblasen, und ich hatte Mühe, in dieser Nacht überhaupt ein Auge zuzumachen. Innerlich zählte ich die Minuten bis zum nächsten Nachmittag, und als es so weit war, stand ich auf die Sekunde pünktlich am vereinbarten Treffpunkt. Mit meiner Augenbinde über den Augen kam ich mir nicht nur ziemlich bescheuert vor, ich glaube, ich sah auch so aus; aber zum Glück konnte ich ja nicht sehen, wie irritiert ich von den vorbeigehenden Studenten gemustert wurde … Lange musste ich glücklicherweise nicht warten, bis ich Logans Stimme hörte. Er wollte wissen, ob ich so weit sei, packte mich am Arm und zog mich mit sich fort. Nach wenigen Metern duckte er meinen Kopf nach unten und bugsierte mich in ein Auto. Ich konnte mir schon denken, um was für ein Auto es sich handelte. Es war bestimmt dasselbe Auto, in das damals das Gorillamädchen eingestiegen war … Ich versuchte, mir meine Nervosität nicht anmerken zu lassen, spürte aber, dass mir das Herz bis zum Hals schlug. Als ich mich einigermaßen gefangen hatte, konnte ich die Stimmen um mich herum auch zuordnen. Außer mir und Logan saßen noch Finn und Colin im Wagen und ein Mädchen, das ich noch nicht einordnen konnte. »Sitzt die Augenbinde auch fest?«, erkundigte sich Colin nach einer Weile. »Unsere Anonymität ist wichtig, Logan. Das weißt du.« Ich glaube, er fand es nicht so gut, dass ich dabei - 24 -
war, und auch Finn schien ein Problem damit zu haben. Allerdings weniger mit mir als mit der Tageszeit. Vier Uhr nachmittags war ihm definitiv zu früh, und er beklagte sich über die Helligkeit und über die unchristliche Zeit insgesamt. Ich fand das einigermaßen merkwürdig und erkundigte mich, was mit Finn los sei. Daraufhin schnaufte Colin empört auf. »So viel zur Augenbinde, Logan!« »Ich erkenne eure Stimmen, Colin«, erklärte ich, und Finn bat uns, doch bitte leiser zu sprechen. Nach einer Weile fand ich den Spaß mit der Augenbinde nicht mehr so lustig, und ich fragte, ob ich sie nicht endlich abnehmen könnte – aber Logan und die anderen blieben hart. Ich durfte anscheinend unter keinen Umständen erfahren, wo wir hinfuhren. Und als ich merkte, dass es zwecklos war, ergab ich mich in mein Schicksal und versuchte, auch mit Augenbinde so viel wie möglich herauszukriegen. Ich begann damit, indem ich fragte, wieso sie ihre Gorillamasken nicht aufhätten. »Sie kann sehen!«, schrie Colin empört. »Eure Stimmen würden sonst viel dumpfer klingen«, erklärte ich. »Sie hat Köpfchen«, lobte mich die weibliche Stimme, die ich noch nicht einordnen konnte, und die ich deshalb fragte, wer sie sei. Das Mädchen lachte glucksend auf. »Die Jungs haben gesagt, wir kennen uns, aber ich kann mich nicht erinnern.« An dem Lachen erkannte ich sie. Es war das Mädchen, das mich auf die Life and Death Brigade aufmerksam gemacht hatte. Das Mädchen mit der Maske! »Das Gorillamädchen!«, rief ich aus und brachte sie damit erneut zum Lachen. »Oh, der Name gefällt mir!« Dann beugte sich Logan zu mir. Ich merkte das daran, dass ich plötzlich seinen Atem auf meinem Hals spürte, und daran, dass ich einen leichten Schauer auf meinem Rücken wahrnahm. »Diese Sache hier dauert übrigens die ganze - 25 -
Nacht«, meinte er, und ich hätte schwören können, dass sich auf seinem Gesicht Genugtuung spiegelte, weil er mich mit dieser Ansage so schön überrumpelt hatte. »Was? So lange?«, fragte ich ein wenig empört. Damit hatte ich nicht gerechnet, und darauf war ich auch nicht vorbereitet. Ich war doch heute mit Dean verabredet! »Habe ich das nicht erwähnt?«, fragte Logan scheinheilig. »Oder hattest du noch was vor?« »Es ist dir wohl entfallen!«, erwiderte ich und erklärte dann natürlich, dass ich nichts vorhatte. Ich musste Dean nachher anrufen und ihm absagen, denn jetzt konnte ich ja nun wirklich schlecht zurück. »Zeitlich ungebunden, das ist gut!«, lächelte Logan, und Finn erklärte, dass ihm nur gänzlich ungebundene Frauen noch lieber seien. Wir waren jetzt schon eine ganze Weile unterwegs, und ich fragte mich gerade, wie lange diese Fahrt wohl noch dauern würde, als Finn den Wagen abbremste und wir schließlich zum Stehen kamen. Sofort wurden die Türen aufgerissen, und die anderen stiegen aus, während ich noch sitzen blieb. Wir mussten weit außerhalb der Stadt sein, vielleicht sogar in einem Wald, denn die Luft, die mir in die Nase stieg, war frisch und würzig. Meine Vermutung wurde auch gleich bestätigt, denn Finn rief euphorisch, dass ihn diese Bergluft wieder beleben würde. »Alles okay?«, fragte Logan. Er hatte die Tür auf meiner Seite geöffnet und zog mich vorsichtig am Arm heraus. Ich nickte und war froh, als ich endlich draußen war. »Es riecht nach Wald«, stellte ich fest. »Oh«, lachte Logan, »dir entgeht aber wirklich gar nichts.« Er sagte das mit der für ihn typischen Mischung aus Freundlichkeit und Ironie, bei der man nie so genau wusste, woran man wirklich war. Dann nahm er mich beim Arm und zog mich mit sich fort. Offenbar gingen wir einen Waldweg - 26 -
entlang, denn der Boden war uneben und holprig, sodass ich nur langsam vorankam und unsicher einen Fuß vor den nächsten setzte. »Steht das Erschießungskommando schon bereit?«, witzelte ich in der Hoffnung, damit meine Nervosität zu überspielen. »Ja. Und wir müssen uns sogar anstellen!«, erklärte Logan. Nach weiteren, schier endlos erscheinenden Metern, versuchte ich es erneut: »Logan, kannst du mir nicht endlich die Augenbinde abnehmen? Oder soll ich mich wie Patty Hearst fühlen?!« Patty Hearst, Tochter eines Medienmoguls, war 1974 entführt worden. Plötzlich blieb Logan stehen. »Du hast es geschafft«, erklärte er. »Ich nehm sie dir ab.« Vorsichtig löste er den Knoten meiner Augenbinde, und was ich dann sah, übertraf alle meine Erwartungen: Mindestens zwei Dutzend Zelte waren auf kleinere Waldlichtungen verteilt. Allerdings waren es keine gewöhnlichen Zelte. Vielmehr handelte es sich um geräumige Modelle, die ein wenig imperial anmuteten, und mit denen man zu Queen Victorias Zeiten bei einer eleganten Safari nicht weiter aufgefallen wäre. Zwischen den Zelten erblickte ich einige Menschen – auch sie hatten elegante Kolonialkleidung an. Die Männer schicke, ein wenig militärisch anmutende Anzüge, die Frauen wunderschöne, bodenlange Kleider in Weiß und Beige. Auf einem Tisch vor uns standen große, altmodische Öllampen, und zwischen den Zelten befanden sich weitere Tische mit edlen Kerzenleuchtern, die flackernde Lichter in den Wald warfen. Auf anderen Tischen standen Champagnerkübel mit Eis und diversen Flaschen sowie erlesene Käsesorten, Trauben und Wein. Mir blieb der Mund offen stehen. So ließ es sich hier bestimmt sehr gut aushalten. Logan merkte, dass ich, gelinde gesagt, beeindruckt war, und fragte mich mit leiser Ironie, ob ich mir das so vorgestellt hätte. »Oh, nein, an so was hätte ich zuletzt gedacht«, gab ich atemlos zu. - 27 -
»Lass mich raten, was du gedacht hast. Schlafsäcke, Taschenlampen, drei Schachteln alte Kekse, ein Bierfass, Kuchen, ‘n paar Nachos und, was nicht fehlen darf, natürlich ‘ne Wasserpfeife.« Ich nickte. »Ganz genau so hatte ich es mir vorgestellt.« »Ich nehme deine Entschuldigung nachher an«, erklärte Logan souverän und schob die Stoffbahn eines ein wenig abseits der anderen stehenden Zeltes beiseite. »Das hier ist deins«, erklärte er und deutete ins Innere. »Du hast zwar keinen Schrank, aber die Aussicht ist schön.« Er ließ mich eintreten und erklärte mir, das Fest begänne in einer halben Stunde. Dann ließ er mich allein. Ich blickte mich sprachlos um. Das Innere des Zeltes war wunderschön, und ich fühlte mich in vergangene Zeiten zurückversetzt. Es wurde durch eine große Öllampe erleuchtet, und die Stoffe waren allesamt hell und edel. Auf einem kleinen altmodischen Nachttisch stand ein schlichter, aber sehr schöner alter Waschkrug, mit Wasser gefüllt, in einer ebensolchen Waschschüssel. Daneben lagen eine Zahnbürste und eine Tube Zahnpasta, ein Handtuch und Seife. Es war an alles gedacht worden. Völlig überwältigt setzte ich mich auf das weiß bezogene Feldbett, holte dann mein Telefon heraus und wählte Deans Nummer. Ich war ganz froh, dass nur die Mailbox ansprang, denn wenn ich mit ihm persönlich gesprochen hätte, wäre die Versuchung groß gewesen, meine Erlebnisse auszuplaudern. Und wenn das herauskäme, würde es sicher nicht dazu beitragen, das Vertrauen der anderen hier zu gewinnen. »Dean, hallo, ich bin’s«, sagte ich nach dem Pfeifton. »Entschuldige. Ich wäre heute gern mit dir essen gegangen, aber etwas unglaublich Unerwartetes ist passiert, das wird mich wohl für ein paar Tage in Anspruch nehmen. Ich würde dir gern mehr darüber erzählen, aber es hat mit einem Artikel zu
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tun. Ich erklär dir alles, wenn wir uns sehen, falls wir uns wiedersehen, kleiner Scherz, hoff ich, bis dann.« Als ich auflegte und das Telefon verstaute, sah ich mich noch einmal im Inneren des Zeltes um, und ein breites Lächeln schlich sich auf mein Gesicht: Ich hatte es geschafft! Ich war bei einem Geheimtreffen der Life and Death Brigade! Ich konnte stolz auf mich sein! Nicht nur mit meiner inneren Ruhe war es an diesem Tag vorbei – auch Luke war nervös. Allerdings hatte das bei ihm weniger mit einem Geheimbund und einem jungen Mann zu tun als vielmehr mit einem höchst offiziellen Bund und einem deutlich älteren Mann. Bei dem Bund handelte es sich um einen elitären Golfclub und bei dem Mann um Grandpa Richard. Durch Zufall hatte er von Moms und Lukes Treffen mit Emily erfahren und wollte ihr natürlich in nichts nachstehen. Für ihn stand fest – er wollte diesen Luke Danes ebenfalls ein zweites Mal kennen lernen, und wo ging das besser als im Golfclub? Dumm nur, dass Luke überhaupt nicht Golf spielen konnte. Noch dümmer, dass Luke diese Tatsache nicht einfiel, als er den Anruf von Richards Sekretärin erhielt, die ihn wenige Sekunden später zu Richard persönlich durchstellte. Luke war völlig überrumpelt. Bei den Worten »Mr.« und »Gilmore« drängte sich ihm wieder der schreckliche Abend mit Emily ins Bewusstsein, und er war außerstande, sich so resolut, wie es angebracht gewesen wäre, zu wehren. Ehe er sich versah, erklärte ihm Richard Gilmore am anderen Ende der Leitung auch schon, dass er ihn an seine Sekretärin zurückstellen würde, damit sie mit Luke die Einzelheiten für das Treffen besprach. »Wunderbar«, meinte Richard zum Abschied. »Ich freu mich schon. Wir sehen uns dann im Club.« »Ja, Sir, genau«, antwortete Luke angespannt. »Ja, wir sehen uns im Club.«
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Nachdem er mit der Sekretärin die genaue Uhrzeit abgemacht hatte, durchstöberte er hektisch seine nicht sonderlich umfangreiche Bibliothek, da er wusste, dass sein Vater früher einmal ein Golfbuch besessen hatte. Als er es gefunden und hektisch ein paar Seiten gelesen hatte, griff er zum Telefon, um Mom von der Verabredung zu erzählen. Erwartungsgemäß fiel diese aus allen Wolken. »Du kannst nicht mit meinem Vater Golfspielen gehen!«, rief sie erschrocken aus. »Es ist alles schon abgemacht«, antwortete Luke niedergeschlagen. Lorelai überlegte fieberhaft, was ihr Vater wohl im Schilde führen mochte. Aber egal, wie sie es drehen oder wenden mochte, sie kam immer zum selben Ergebnis: auf jeden Fall nichts Gutes! »Ich flehe dich an!«, rief sie. »Lass dich nicht auf ein Golfspiel mit meinem Vater ein! Wieso hast du Ja gesagt?« »Ich hatte keine Wahl«, meinte Luke – doch das ließ Lorelai nicht gelten. »Du hättest Nein sagen können. Hast du denn gar nichts gelernt von dem Essen mit meiner Mutter? Sag ab, ruf ihn an!« »Ist es geschickt, eine Beziehung zu deinem Vater so zu beginnen?«, fragte Luke. Er wusste ja selbst, dass es nicht sonderlich klug von ihm gewesen war, sich auf den Termin mit Lorelais Vater einzulassen. Soweit er wusste, konnte er genauso schlimm sein wie Emily. Anders zwar, aber nicht besser. Allerdings: Wer A sagt, muss auch B sagen. Da er nun schon einmal zugesagt hatte, konnte er nicht mehr absagen; so war er erzogen worden, das bedeutete für ihn gutes Benehmen. Lorelai sah das völlig anders. Gutes Benehmen war in diesem Fall in ihren Augen völlig fehl am Platz. »Nein, das wäre ein geschicktes Ende, und so sollte es sein!«, rief sie aufgebracht in den Hörer. »Hör zu, ruf ihn an und sag ihm, dass du bei eurem Telefonat voll auf Peyote gewesen bist! Du hattest Halluzinationen und hast Golfbälle gesehen, deshalb - 30 -
hast du auch sofort Ja gesagt. Nur warst du, wie gesagt, nicht ganz klar. Warte, hast du so was schon mal genommen? Das sollten wir vorher abklären.« »Es wird viel schlimmer, wenn ich jetzt absage!«, warf Luke dazwischen, und Mom, die merkte, dass sie mit der PeyoteNummer nicht weiterkam, versuchte es anders und fragte ihn, ob er überhaupt Ahnung von Golf hätte. »In den Sommerferien hatte ich mal einen Kurs belegt, aber versehentlich Kent Koleda mit ‘nem Driver geschlagen. Ich musste abreisen, aber ich krieg das schon irgendwie hin«, gab sich Luke zuversichtlicher, als er in Wahrheit war. »Man nimmt den Schläger und schlägt auf den Ball. Ich tu einfach so. Keine Sorge. Ich schaff das schon.« Mom gab resigniert auf. »Okay, na gut«, meinte sie kopfschüttelnd. »Bis dann.« Kaum dass sie aufgelegt hatte, wählte sie eine neue Nummer. Sie erwischte Richard vor dem Poolhaus, wie er gerade ein wenig mit einem Golfschläger übte. »Hallo, Dad, ich würde dich gern um einen Gefallen bitten. Und es ist mir sehr wichtig«, erklärte sie ohne Umschweife. »Bitte, sag die Golfpartie mit Luke ab.« »Was?«, fragte Richard pikiert. »Nein.« »Aber wieso? Ich meine, wieso machst du das? Was hast du vor, Dad?« Richard holte genervt Luft und wollte wissen, was das seine Tochter überhaupt anging. »Er ist mein Freund!«, erklärte Mom empört. »Und deswegen ist es mein Recht!«, rief Richard energisch. »Deine Mutter hat ihn schon getroffen. Ihr hattet ein geheimes Abendessen, von dem ich nur erfahren habe, weil das Dienstmädchen es meinem Kammerdiener erzählt hat. Ich werde ihn treffen!« »Aber du hast ihn schon mal getroffen.«
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»Ich möchte ihn noch mal kennen lernen. Ich bestehe auf diese Golfpartie!« Richard ließ keinen Einwand gelten, und auch, als Mom zu bedenken gab, dass Luke überhaupt kein Golf spielen konnte, blieb Richard hart. »Da hat er mir aber was anderes gesagt«, erklärte er. »Lorelai, da ist nichts mehr zu machen – Luke hat meinem Vorschlag zugestimmt. Luke und ich werden morgen golfen gehen.« »Na, dann viel Spaß«, antwortete Mom. »Es geht dabei nicht um Spaß, das gebietet der Anstand.« Mom schnaufte vor Wut in den Hörer. »Hab einen schönen Anstand. Wiederhören!«, rief sie sauer. Dann legte sie energisch auf und zählte innerlich bis zehn, um nicht zu explodieren. Lane und Zack hatten den Abend als Termin für ihr erstes Date gewählt, und Lane war so aufgeregt, dass sie alle ihre Klamotten anprobieren musste, bis sie sich endlich für ein Outfit entscheiden konnte. Als sie umgezogen war, machte sie sich daran, die Klamottenberge, die überall in ihrem Zimmer verstreut lagen, wieder wegzuräumen, und als sie alles in den Schrank zurückgelegt hatte, warf sie einen letzten Blick in den Spiegel und seufzte zufrieden. Sie fand, dass sie heute Abend sehr hübsch aussah. Sie hatte sich für einen dünnen Pulli entschieden, einen superkurzen, aber weit schwingenden Minirock und schwarze, wollene Overkneestrümpfe. Sie hatte sich sogar ein wenig geschminkt – was ziemlich selten vorkam –, die Wimpern getuscht, ein wenig Rouge auf die Wangen gelegt und die Lippen mit Gloss verschönert. Sie sah wirklich hübsch aus, sogar ein wenig sexy, dabei aber kein bisschen tussig. Was Lane im Spiegel sah, gefiel ihr so gut, dass sie sich selbst aufmunternd zulächelte, nickte, dann entschlossen nach ihrem Mantel griff und die Tür öffnete. Vor ihrem Zimmer wartete Zack bereits auf sie. Wahrscheinlich hatte er nicht ganz
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so lange gebraucht, um sich für ein Outfit zu entscheiden, aber aufgeregt wirkte auch er. »Bin ich zu früh?«, wollte er wissen. »Du bist ganz pünktlich«, lachte Lane. Zack musterte sie kurz und machte ihr dann ein Kompliment. »Du siehst gut aus«, erklärte er und schien sich zu freuen, als Lane dieses Kompliment zurückgab. Dann fragte sie ihn, was sie nun machen wollten. »Wir könnten irgendwo hinfahren«, schlug Zack vor. »Ich müsste nur noch mal tanken. Und Öl nachfüllen. Und die Reifen brauchen Luft. Zum Geldautomaten müsst ich auch noch.« Lane grinste. »Wir könnten auch hier bleiben.« »Sicher?«, fragte Zack vorsichtshalber noch mal nach. Er wollte das Date nicht vermasseln, aber er hatte nun mal überhaupt kein Geld, um Lane irgendwohin einzuladen. Als sie wiederholte, dass sie ihretwegen auch gerne zu Hause bleiben könnten, sah er sie zufrieden an. »Okay, cool. Wir holen uns ‘ne Pizza, gucken Fernsehen und hängen ‘n bisschen ab.« Er ging mit Lane zum Sofa und durchstöberte die Videokassetten, die in einem Fach unter dem Fernseher wild durcheinander lagen. »Welchen Film wollen wir sehen? Wollen wir vielleicht den von gestern zu Ende gucken?« »Ja. Wahnsinnig gern«, antwortete Lane, und als Zack sich dicht neben sie aufs Sofa setzte, wurde ihr Lächeln noch breiter, als es ohnehin schon war. Allerdings war die aufkeimende romantische Stimmung leider nur von kurzer Dauer, denn kaum hatte der Film begonnen, betrat Brian das Zimmer, freute sich, dass der gestrige Film zu Ende geschaut wurde, und quetschte sich zwischen Zack und Lane ins Grübchen. Lanes Lächeln war schlagartig aus ihrem Gesicht verschwunden, und auch Zack sah plötzlich ziemlich mürrisch
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aus. Er betrachtete Brian von der Seite und fragte ihn, was er hier täte. »Ich guck’n Video an«, erklärte der ahnungslose Brian. Er wusste ja nicht, in was er da hineingeplatzt war. Zack fackelte nicht lange herum und klärte ihn auf. »Brian, das hier ist ein Date«, meinte er, und als Brian keine Anstalten machte aufzustehen, wiederholte er: »Lane und ich haben gerade ein Date.« »Was, ehrlich?«, fragte Brian baff und schaute zwischen Zack und Lane hin und her. »Aber gestern haben wir auch ferngesehen. Dann war das gestern auch schon ‘n Date?« »Gestern hatten wir keins«, antwortete Lane, und Zack gab ihr Recht. Er erklärte Brian, dass er gestern schließlich nur seine Unterwäsche anhatte. Brian verstand das nicht. »Aber wir haben genau das Gleiche gemacht, nur dass du keine Hosen anhattest.« »Ja, ich weiß«, stöhnte Zack genervt. »Aber heute haben wir ein Date. Und wir wollen Fernsehen gucken.« »Und wo soll ich jetzt hin?« Brian guckte fast schon traurig aus der Wäsche und tat Lane ein wenig Leid. So Leid, dass sie ihm ihr Zimmer anbot. »Wirklich?«, strahlte Brian. »Du lässt mich doch sonst nie in dein Zimmer! Klasse!« Er wollte sich schon erheben und rübergehen, als sich Zack zu Wort meldete. Er fand die Idee nicht so gut und gab zu bedenken, dass Lane und er vielleicht ganz froh wären, wenn später ihr Zimmer leer wäre. Nur, falls das Date gut liefe, natürlich … Aber das ging Lane zum einen zu schnell, und zum anderen musste dazu wenigstens das Date erst einmal beginnen. Und das ging nur ohne Brian. Sie bat ihn deshalb, in ihr Zimmer zu gehen, und sobald er weg war, lehnte sie sich zurück und versuchte sich auf den Film zu konzentrieren. Was allerdings gar nicht so einfach war, denn schließlich saß Zack ziemlich dicht neben ihr …
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Sobald die Party angefangen und ich meine ersten Eindrücke notiert hatte, nahm ich meinen Stift und meinen Notizblock und machte mich auf den Weg nach draußen, wo ich versuchte, mit den Partygästen ins Gespräch zu kommen. Was allerdings gar nicht so einfach war. Besser gesagt: schier unmöglich. Die meisten von ihnen trugen nämlich nicht nur die Kleidung einer vergangenen Zeit, sondern unterhielten sich auch noch in einer veralteten Sprache – aber selbst damit wäre ich noch zurechtgekommen. Das Problem war, dass niemand mit mir sprechen wollte … Doch es dauerte eine Weile, bis ich das begriff. Als Erstes steuerte ich eine Gruppe mit vier oder fünf Jungs an, die sich angeregt zu unterhalten schienen. Einer von ihnen war Colin. »Hallo, Rory Gilmore«, stellte ich mich vor, sobald ich bei ihnen stand, und deutete dann mit meiner freien Hand auf die vielen Zelte, die üppigen Tische und die vielen eleganten Partygäste. »Das ist ja ‘ne aufwändige Soiree. Sind alle Versammlungen der Life and Death Brigade so?« »Erzielt Boykott eine Wirkung, sowohl politisch als auch sozial?«, antwortete Colin. Oder antwortete eben eher nicht. »Lachhaft. Fünf Schritt zurück, da und dort. Was sagt ihr dazu?« »Ich stimm ganz und gar zu«, antwortete ihm ein anderer. »Wild, das Konstrukt, prüft man’s minutiös. Dubios an Logik und Räson«, kommentierte ein anderer. »Töricht!«, ließ sich Colin wieder vernehmen. »Wo ist das Prinzip von Diktion und Ton?« »Traurig, solch Armut an Vision!«, beklagte sich ein Dritter. »Äh, wie meinen?«, fragte ich. Bis jetzt verstand ich nur Bahnhof, was wahrscheinlich auch Sinn und Zweck der Sache war – aber so schnell gab eine Rory Gilmore nicht auf! Auch in diesem Punkt war ich eindeutig die Tochter meiner Mutter – denn Lorelai war auch so: Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann konnte sie verdammt hartnäckig sein. - 35 -
»An Fauxpas zählt ich fünf, richtig?«, fragte Colin in die Runde und sah mich dann an. »Faktum ist, dümmlich Lady, durchschaut Ihr’s, so folgt Gratulation!« »Ein Spiel?«, fragte ich. »Das tragisch misslingt«, kommentierte einer der Jungs in missbilligendem Tonfall. »Wünscht Ihr Instruktion?«, bot Colin seine Hilfe an, und als ich darum bat, rückte er mit den Spielregeln heraus. »Das, was kommt nach D, doch vor F, ist im Dialog als Zutat nicht statthaft.« »Das, was kommt nach D, vor F …« Ich überlegte kurz, dann hatte ich’s. »Ihr sagt das E nicht.« »Sagt das Ding und fahrt so fort«, tadelte Colin. »Also, Ähm, es ist verboten, E zu sagen?!« »Oh, Gott, Mylady, quält uns, was nicht gültig ist.« Ich gab auf. Gegen vier Jungs, die fest zusammenhielten, kam selbst eine Rory Gilmore nicht an. Von denen würde ich keine Informationen bekommen, so viel stand fest, und ich hielt es für das Beste, es woanders zu versuchen. »Ähm, bis dann, viel Spaß noch. Falls es euch darum geht!«, meinte ich, dann machte ich auf dem Absatz kehrt und steuerte das Gorillamädchen an, welches ich alleine mit einem Glas Champagner in der Hand an einem der Tische stehen und Trauben essen sah. Aus den Augenwinkeln sah ich auch Logan. Er wirkte wie das Oberhaupt der ganzen Veranstaltung. Bei den Mädchen war das sowieso klar. Die schwirrten ständig um ihn herum, was ihm sichtlich gefiel. Aber auch bei den Jungs war es so, dass alle um seine Gunst zu buhlen schienen … »Hallo, Stephanie«, grüßte ich das Gorillamädchen, von dem ich mittlerweile immerhin wusste, wie es hieß. Sie drehte sich mit einem Lächeln zu mir um. »Oh, Gott sei Dank! Du benutzt das E!«, rief sie erleichtert, nahm einen großen Schluck und sah dann beinahe schockiert auf meine - 36 -
Hände, in denen sich nur Stift und Block befanden, aber kein Glas. »Kein Champagner?« »Nein, nachher vielleicht«, lächelte ich und versuchte dann, Stephanie auszuquetschen. »Also, ist Logan eigentlich der Chef von eurem Verein?« »Wir haben keinen Chef, Rory«, erklärte sie. »Wir sind ein anarchistisches Kollektiv, wir erkennen keinen Anführer an.« Sie stockte und hielt sich rasch die Hand vor den Mund. Erschrocken erklärte sie mir, dass ich das alles aber gar nicht wissen und dass sie noch nicht einmal mit mir sprechen dürfte. Trotzdem, ich hoffte weiter, von ihr ein paar Infos zu bekommen, denn sie war auf jeden Fall redseliger als die anderen und hatte auch schon das eine oder andere Glas Champagner intus. Und wie heißt es doch so schön: Betrunkene und Kinder sagen die Wahrheit, oder? »Naja, so wie sich die Leute in seiner Gegenwart aufführen, er ist irgendwie …« Ich überlegte kurz, denn ich wusste nicht, wie ich Logans Erscheinung und sein Verhalten am besten beschreiben sollte. »Süß?«, versuchte mir Stephanie kichernd zu helfen und meinte dann, dass ich mich hinten anstellen müsste. Ich konnte mir gut vorstellen, dass die Logan-Schlange ziemlich lang war. »Nein«, meinte ich rasch und gab zwar zu, dass er natürlich ganz süß sei, aber dass ich eigentlich auf etwas völlig anderes hinauswollte. »Eine gute Reporterin. Und so niedlich«, kicherte Stephanie. Dummerweise schlug sie sich dann wieder die Hand vor den Mund. »Oje, ich rede mit dir. Ich darf nicht mit dir reden. Ich muss mich jetzt umbringen. Entschuldige.« Sie goss sich noch rasch ein Glas Champagner nach und ließ mich kurzerhand stehen. Ich sah ihr nach, zuckte die Schultern und startete dann den nächsten Versuch mit einer Gruppe von drei Jungs, die unweit von mir beieinander standen. - 37 -
»Hallo, ich hätte da eine Frage. Laufen eure Treffen immer nach dem gleichen Motto ab, oder wählt ihr jedes Mal ein neues Thema?« Einer der Jungs sah mich an und deutete eine leichte Verbeugung an. »Darf ich Max Ernst zitieren?« »Natürlich«, antwortete ich hocherfreut. Anscheinend hatte ich hier mehr Glück! Doch ich wurde wieder bitter enttäuscht. Wort- und grußlos machten die Jungs auf dem Absatz kehrt und ließen mich einfach stehen. Tolles Max-Ernst-Zitat!, dachte ich. Ich sah ihnen nach, ließ dann meinen Blick schweifen und hatte das Gefühl, dass ich heute Abend nicht weiterkam. Ich beschloss, meine bisherigen Eindrücke zu notieren, und setzte mich neben meinem Zelt vor eine Baumwurzel, an die ich mich lehnen konnte. Nach ungefähr einer Stunde kam ein Lichtkegel auf mich zu, und schnell erkannte ich Logan, der mit einem Teller voller leckerem Essen auf mich zuhielt. »Alles klar, Ausgestoßene?«, grüßte er und setzte sich mir gegenüber. »Sie sagen, ein Bär habe dich fortgeschleppt.« »Kein Bär. Ich hab mich nur zurückgezogen, um meine Gedanken zu ordnen«, antwortete ich und sah dann auf den vollen Teller. Wie lieb von ihm, mir Essen zu bringen, dachte ich, allerdings hatte ich mir bereits selbst etwas geholt. Das sagte ich ihm auch und erntete wieder dieses ironische Grinsen. »Ein Glück. Das ist nämlich mein Essen«, erklärte er und ließ es sich schmecken. Nach ein oder zwei Bissen sah er hoch. »Die anderen kooperieren nicht, oder? Ich musste sie ganz schön überreden, damit du überhaupt mitkommen durftest.« Ich tat so souverän wie möglich. »Sie müssen nicht mit mir reden. So oder so sind schon zwei Notizblöcke voll geschrieben. Und ich hab sogar auf den Buchstaben E verzichtet. Aber du könntest mir helfen.« »Meine Güte, ist das Essen versalzen!«, antwortete Logan.
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»Ich meine, das hier ist alles wirklich unglaublich, aber doch nur der Auftakt für morgen, oder?« Logan schüttelte den Kopf. »Das war Finn. Er ist Australier. Die lieben Salz.« Durch versalzenes Essen ließ ich mich ganz sicher nicht abwimmeln, sondern bombardierte ihn weiter mit meinen Fragen. Er hatte mich hierher gebracht. Von wem, wenn nicht ihm, würde ich Informationen bekommen? »Wie bezahlt ihr das alles?«, wollte ich wissen. »Durch Beiträge? Oder werdet ihr von irgendwelchen Ehemaligen gesponsert? Wie wird das alles organisiert? Was passiert überhaupt morgen? Ist diese Veranstaltung noch zu toppen? Weiß eigentlich irgendjemand, dass ihr hier seid? Die Park-Ranger oder die Grundstückseigentümer? Wo sind wir? Sind wir noch in Connecticut? Und du darfst bei deiner Antwort das Wort Salz nicht benutzen.« »Okay«, meinte Logan und grinste mich kurz an. Dann allerdings wurde er ernst. »Ich erklär dir jetzt die Bedingungen, die sich an deinen Aufenthalt knüpfen. Erstens: keine Fotos.« Er griff nach meinem Fotoapparat und steckte ihn ein. Ich wollte schon protestieren, aber er erklärte mir, dass ich ihn natürlich wiederbekäme. »Zweitens: keine Namen«, fuhr er fort, was ich für ziemlich überflüssig hielt, da ich sowieso niemandem vorgestellt wurde. »Drittens: keine detaillierten Personenbeschreibungen. Einige Behörden versuchen schon lange, uns zu erwischen, weil wir in der Vergangenheit einiges angestellt haben. Viertens: Dieser Ort darf nicht zu erkennen sein. Fünftens …« »Hoffentlich gehen dir bald die Zahlen aus«, warf ich ein. »Die wichtigste Bedingung von allen: Du darfst auf keinen Fall die Integrität der Veranstaltung verletzen.« Ich nickte und erklärte mich mit allen Bedingungen widerwillig einverstanden. Was hätte ich auch anderes tun können? Und dann begannen einige der Partygäste zu singen. Liebeslieder. - 39 -
Es war wunderschön. Sehr romantisch und gerade als ich mir bewusst wurde, dass ich hier mitten in der Nacht in einem von schönen Lampen erhellten Wald auf einem Moosbett saß, mir gegenüber der attraktive Logan, der in seiner Kolonialkleidung noch besser aussah als sonst – gerade als ich mir dessen bewusst wurde und in mir eine kleine Verlegenheit aufstieg –, wurde Logan von zwei weiblichen Stimmen gerufen, die wissen wollten, ob er bald zu ihnen käme. »Ich bin sofort bei euch!«, rief er und erhob sich. »Ich lass dir die Laterne da, Ace. Ich brauche sie nicht.« Damit ließ er mich allein, und ich bemühte mich, ihm nicht nachzublicken. Die Schlange zu Logan war ganz bestimmt ziemlich lang … Und überhaupt: Ich war mit Dean zusammen. Doch nicht nur ich hatte einen ziemlich aufwühlenden Abend, auch Lane und Zack ging es so. Im Laufe des Films waren sie immer näher zueinander gerutscht, und auch ihre Köpfe lagen ganz dicht beieinander. Besonders Zack hatte Initiative gezeigt, und er war es auch, der nach dem Film als Erster wieder das Wort ergriff. »David Byrne is’n Freak«, erklärte er. »Er ist total cool.« »Äh, ich find ihn toll«, schwärmte Lane und setzte sich dann auf. »Also … es war schön«, meinte sie und lächelte. »Ja«, meinte Zack und betrachtete ihre Lippen. »Ja, find ich auch.« Lane wurde es ein wenig zu heiß. Sie wollte nichts überstürzen, denn zwar rockte sie am Schlagzeug, was die Stöcke hergaben, in der Liebe aber war sie eine unverbesserliche Romantikerin und Idealistin. »Ich, ähm, muss morgen ganz schön früh aufstehen. Ich sollte besser jetzt …« Sie stand auf. »Oh, klar. Natürlich«, meinte Zack, stand ebenfalls auf, nahm ihre Hand und brachte sie zu ihrer Zimmertür. »Gute Nacht, Zack«, meinte Lane und wollte schon in ihr Zimmer gehen und den armen Zack ungeküsst vor der Tür - 40 -
stehen lassen, als sie zurückschreckte. Auf ihrem Bett lag Brian. Auf dem Rücken, mit geöffnetem Mund und alle viere von sich gestreckt. Er sah gruselig aus. »Oje, das ist gar nicht gut. Wenn er erst mal in der REMPhase ist, schafft es nicht mal mehr Motörhead«, erklärte Zack, und dann erwachte in ihm der Gentleman. Er beugte sich über Brian, packte ihn sich über die Schulter und trug ihn ritterlich aus dem Zimmer. Brian wurde tatsächlich nicht wach. Er schlief tief und fest wie ein Baby. »Okay, das war, das war wirklich ‘n schöner Abend«, meinte Zack abschließend. Und dann nahm er seinen ganzen Mut zusammen, beugte sich hinunter zu Lane und gab ihr einen zärtlichen Kuss auf die Lippen, den sie nur zu gern erwiderte. »Fand ich auch«, antwortete Lane verträumt und wünschte Zack noch einmal eine gute Nacht. Sie warf noch einen letzten Blick auf den schlafenden Brian, der immer noch über Zacks Schulter hing, dann ging sie in ihr Zimmer. Dass sie heute Nacht ganz wunderbar träumen würde, stand fest …
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3 Es war bei mir schon eine ganze Weile her, seit ich in einem normalen Zelt übernachtet hatte. Und dass ich jemals in solch einem Zelt, mitten im Wald unter lauter kolonialistischen Geheimbündlern übernachten würde, damit hatte ich in meinen kühnsten Träumen nicht gerechnet. Umso erstaunter war ich, wie gut ich doch geschlafen hatte. Die Life and Death Brigade hatte an alles gedacht, sodass ich mich am nächsten Morgen frisch gewaschen und gut erholt in den Tag stürzen konnte. Kaum hatte ich mich angezogen und war aus dem Zelt getreten, kam auch schon Logan zu mir. Von der Kolonialpracht fehlte allerdings jede Spur. Stattdessen hatte er sich in einen todschicken schwarzen Abendanzug geworfen, der ihm ebenfalls außerordentlich gut stand. »Ein neuer Tag, eine neue modemäßige Überraschung!«, grüßte ich, nachdem ich ihn kurz gemustert hatte. Er betrachtete fast schon übertrieben missbilligend meinen engen grauen Rollkragenpullover und meine schwarze, schmal geschnittene Hose. »Du solltest dich auch fertig machen«, erklärte er. »Ich bin fertig«, antwortete ich. »So willst du dort hingehen?« Logan tat schockiert und erinnerte mich dann an unsere Abmachung. »Du hast versichert, die Integrität der Veranstaltung nicht zu verletzen. Dein Aufzug würde das aber tun.« »Ich wurde nicht vorgewarnt, dass es so lange dauern würde«, erklärte ich ein wenig spitz, denn schließlich war es Logan gewesen, der mich überrumpelt hatte. »Also, wenn ich mir nicht was aus Tannenzapfen schneidern soll, muss ich so gehen, denn ich habe leider nur ‘ne Waschschüssel, ‘n Handtuch und ‘ne Zahnbürste.« Logan grinste mich an. »Bist du sicher, Ace? Sieh nach.« - 42 -
Ich überlegte kurz, was ich tun sollte. Aber dann dachte ich, dass in diesem Wald anscheinend alles möglich war, und tat wie geheißen. Auf den ersten Blick konnte ich im Zelt nichts sehen. Es wäre ja auch komisch gewesen, denn dann hätte es mir ja bereits auffallen müssen. Die Überraschung konnte sich also nur unter meinem Feldbett befinden, und als ich mich hinkniete, fand ich sie sofort. Es war ein weißer, großer Karton, verziert mit einer silbernen Schleife, der insgesamt sehr edel aussah. Mein Herz klopfte bis zum Hals, und es fühlte sich ein wenig an wie Weihnachten. Ich löste die Schleife und hob den Deckel hoch – und was ich dann sah, war wunderschön und sicherlich sündhaft teuer. In dem Karton befand sich ein exquisites Abendkleid aus hellblauem Seidensatin. Oben hatte es eine Korsage, die im Rücken geschnürt wurde, unten bestand es aus einem bodenlangen, weit schwingenden Reifrock. Es passte mir wie angegossen, und ich fühlte mich darin wie eine Märchenprinzessin. Lächelnd trat ich aus dem Zelt und fragte Logan, ob nun die Integrität der Veranstaltung besser gewährleistet sei. Er sah mich mit unverhohlener Bewunderung an, dann schlich sich wieder ein Grinsen aufsein Gesicht. »Ja«, nickte er und lobte sich selbst. »Ich hab wirklich ein gutes Augenmaß.« Dann führte er mich durch den Wald in Richtung einer Lichtung. »Wir müssen da lang«, erklärte er. »Komm schon, schneller.« Ich hatte große Mühe, ihm zu folgen, denn in einem Abendkleid mit Reifrock durch den Wald und über eine Wiese zu rennen, war alles andere als einfach. Aber Logan ließ sich von seinem Tempo nicht abbringen und erklärte, dass es Zeit wäre. »Wofür? Für ‘ne rituelle Opferung?«, fragte ich atemlos. Doch dann wusste ich, was er meinte. Als wir auf eine größere Lichtung traten, waren bereits alle anderen dort in einem Kreis versammelt und hielten – wie sollte es anders sein? – ein Glas - 43 -
Champagner in der Hand. Auch mir und Logan wurde rasch ein Glas in die Hand gedrückt, dann erhob Colin das Wort. »Es ist also heute meine Aufgabe, euch zu begrüßen und euch einiges mit auf den Weg zu geben. Ich erkläre hiermit die einhundertachte Versammlung der ehrenwerten Life and Death Brigade für eröffnet. Erhebt eure Gläser!« Er hielt sein Glas in die Höhe und wartete einen Augenblick, bis es ihm alle gleich taten. »In omnia paratus!« »In omnia paratus«, erwiderten alle feierlich, dann wandte sich immer ein Pärchen einander zu, wobei beide wie beim Brüderschafttrinken die Arme ineinander verschränkten und die Gläser leerten. Allerdings küsste man sich danach nicht – worüber ich ganz froh war, denn natürlich stand ich mit Logan zusammen. Ich war ganz verwirrt. In meinem Abendkleid und mit dem Glas Champagner war ich plötzlich nicht mehr die außenstehende Beobachterin, sondern mittendrin. Und als alle das Losungswort gesagt hatten, hatte auch ich eingestimmt. Wenn ich ehrlich sein soll, fühlte ich mich wunderbar. Es war einfach eine herrliche Stimmung. Colin eröffnete den Haupttag des Treffens mit einem gigantischen Gongschlag, dann machten sich alle daran, weiterhin das zu tun, weshalb sie hier waren: das Leben in vollen Zügen zu genießen. Als ich mit Logan ein paar Schritte ging, stießen wir auf ein Spielfeld, auf dem eine besondere Form von Kricket gespielt wurde. Die Damen, allesamt natürlich in Ballkleidern wie ich, saßen in Sänften, die von je vier Herren im Abendanzug getragen wurden, und versuchten, mit ihrem Kricketschläger die Bälle zu treffen, die die Herren ansteuerten. Es war ein völlig absurdes Spiel, und es gab auch weit und breit keinen Schiedsrichter – allerdings schien das niemanden zu stören. Alle lachten und freuten sich, und auch Logan und ich blieben vor diesem Schauspiel ein wenig verzaubert stehen, denn es atmete den Reiz längst vergangener Epochen.
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»Wenn man bedenkt, dass andere nur bowlen gehen«, kommentierte Logan. Dann nickte er mir zu und ließ mich alleine. Ich sah mir das Spiel noch eine Weile an und versuchte anschließend, meine Eindrücke auf dem Notizblock festzuhalten. Dann suchte ich mit den Augen nach Logan – und als ich ihn bei einem Schießstand sah, entschied ich mich, zu ihm zu gehen. Natürlich handelte es sich dabei nicht um einen gewöhnlichen Schießstand. Das Gewehr war eine seltsame Konstruktion mit Platzpatronen, und das Ziel waren Männer, die nach einem Anlauf möglichst theatralisch von einem Trampolin auf dicke Matten fielen. »Was für ein guter Schuss«, lobte Justin gerade sich selbst, als ich dazustieß. Er hatte sein Ziel getroffen und das, obwohl er galant aus der Hüfte geschossen und seine freie Hand wie ein Fechter elegant emporgehalten hatte. »Er hat Talent«, lobte auch Lowell. Ich sah das Ganze einigermaßen skeptisch und fragte, ob das tatsächlich ungefährlich sei. Natürlich bekam ich die Antwort, dass es nicht ganz ohne sei – aber ich wusste nicht, ob das die Wahrheit war. Lebensmüde sahen die Jungs eigentlich nicht aus. Eher das Gegenteil war anzunehmen. Nach einer Weile erklärte Finn, dass ihm langweilig sei und dass er jetzt selbst das Ziel sein wollte. Er gab Logan sein Gewehr und machte sich dann mit den Worten »In omnia paratus« auf zum Trampolin. Logan sah ihm lachend nach und erklärte, dass er doch immer das Ziel sei. Dann nahm er ihn ins Visier. Finn nahm Anlauf und fiel in hohem Bogen auf die Matte, und Logan traf. »Nicht übel«, schluckte ich. Ich fand diesen Schießstand ein wenig gruselig und war mir auch sicher, dass es wehtat, getroffen zu werden. »Ist das hier das große Ereignis?«, erkundigte ich mich dann. »Ist bei euren Versammlungen nicht ein unvergessliches Ereignis üblich? Ist es das?« - 45 -
Logan schoss und senkte dann das Gewehr. »Sieht es denn so aus?«, fragte er. Ich zuckte die Schultern. »Das heißt wohl Nein.« »Richtige Antwort«, grinste er und nahm dann wieder Finn ins Visier, der gerade Anlauf genommen hatte. Nach dem Schuss versprach er mir aber, dass ich das besondere Ereignis schon erkennen würde. Ich nickte. Ganz zufrieden war ich nicht mit der Antwort, aber immerhin: Die Hauptattraktion stand noch bevor. Dieser ganze herrliche Irrsinn würde also noch getoppt werden! Ich wollte schon gehen und mich weiter umblicken, als eine Trage mit einem Verletzten an uns vorbeigebracht wurde. Es war Finn! »Ich hab die Matte verfehlt«, erklärte er Logan mit schmerzverzerrtem Gesicht. »Aber das wird schon wieder. Mach dir keine Sorgen um mich!« Der gute Finn hatte wohl ein wenig zu tief ins Champagnerglas geschaut … Aber ernsthaft verletzt hatte er sich zum Glück offensichtlich nicht. Während ich mich auf einen aufregenden und schönen Tag freute, hatte Luke an diesem Morgen bereits gewusst, dass sein Tag ganz sicher eines nicht werden würde: vergnüglich. Er hatte nämlich heute seinen Golftermin mit Richard, und wenn er an das schreckliche Abend essen mit Emily dachte und sich vor Augen hielt, was ihm Lorelai schon alles von ihrem Vater erzählt hatte, konnte er sich ausmalen, wie der Tag verlaufen würde. Dennoch hatte er sich vorgenommen, nichts unversucht zu lassen, um mit Richard doch noch einen angenehmen Tag zu verbringen, und dazu gehörte es, auf keinen Fall zu spät zum vereinbarten Treffpunkt zu kommen. Als er nun aber auf dem Golfplatz stand und die vielen Männer sah, alle im edlen Golfdress, alle mit Schieberkappe und alle mit einem Schlägersortiment – da kam er sich nicht nur ziemlich - 46 -
unpassend gekleidet, ja nachgerade ärmlich vor. Er fragte sich auch, wie Lorelais Vater ausgesehen hatte, als er ihm vor langer Zeit schon einmal begegnet war. Nach einer Weile blieb Lukes Blick auf einem älteren, groß gewachsenen Herrn hängen, von dem er annahm, dass es sich dabei um Richard Gilmore handeln könnte. Der Herr trug neben seinem Golfoutfit sportlich-elegante Golfschuhe, eine weiße Schiebermütze und weiße Handschuhe, mit denen er einen Schläger hielt und ein paar Schläge ausübte. Luke sah kurz an sich hinab. Er hatte diesen Golfclub völlig falsch eingeschätzt und ärgerte sich jetzt ein wenig über sich selbst. Er war natürlich überhaupt nicht mit dem Acker zu vergleichen, auf dem er vor langer Zeit mal ein paar Versuche gemacht hatte. Hier spielte die Upperclass der Umgebung. Und um diese Zeit spielten hier gerne erfolgsverwöhnte Geschäftsleute, die bei ein paar Schlägen gerade den nächsten Millionendeal aushandelten … Mit seinen Straßenschuhen, der Jeanshose, dem legeren karierten Holzfällerhemd und der umgedrehten Baseballkappe passte er so wenig auf diesen Golfplatz wie Jennifer auf die Geburtstagsparty von Angelina. Aber da er nun kaum mehr zurückkonnte, fasste er sich ein Herz und ging auf den Mann zu, den er für Lorelais Vater hielt. »Äh, Entschuldigung?«, fragte er vorsichtig. »Mr. Gilmore?« »Luke?« Grandpa lächelte und stellte seinen Schläger beiseite. »Na, so was?! Ich hatte Sie viel kleiner in Erinnerung.« »Oh, ja?«, entgegnete Luke und sah an sich hinunter. »Entschuldigung.« Grandpa winkte jovial ab. »Oh, dafür können Sie ja nichts, alter Junge!« Dann sah er ein wenig irritiert um Luke herum und fragte ihn, wo seine Schläger seien. Luke schluckte. Das fing ja gut an! Er antwortete rasch, dass er sich ein paar Schläger leihen wollte, doch Grandpa ließ das nicht zu.
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»Oh, Geldverschwendung!«, rief er. »Eigentum ist besser! Sie finden alles Nötige in unserem Club Shop.« Er deutete mit einer Hand auf eines der Gebäude und ging voran. »Na, dann kaufen wir mal Schläger!« »Ausgezeichnet«, beeilte sich Luke zu sagen und trabte schnell hinter Richard her. An den Schlägern sollte es schließlich nicht liegen, dass der Tag scheiterte. Und Luke hatte sich schließlich vorgenommen, alles zu versuchen, was in seiner Macht stand, um bei Richard etwas besser anzukommen als bei Emily … Als sie nach rund einer halben Stunde wieder am Ausgangspunkt standen, war Luke um ein kleines Vermögen erleichtert – aber dafür hatte er nun ein kleines, aber feines Schläger-Set. Doch trotz der nagelneuen Schläger machte Richard den Anfang. Sozusagen als Herr im Haus. Geübt, wie er war, absolvierte er seinen ersten Schlag und erntete routiniert das Lob seines Caddys. »Exzellentes Spiel heute, Mr. Gilmore«, ließ sich der Caddy vernehmen. »In der Tat«, lobte Lukes Caddy. »In der Tat«, machte Luke. »Vielen Dank«, antwortete Richard im Ton eines Mannes, der es gewohnt war, für sein Golfspiel Komplimente einzuheimsen, sah seinem Ball nach und schüttelte dann verärgert den Kopf. »Ich muss mit dem Vorstand über den Zustand des Platzes sprechen. Auf dem gesamten Fairway gibt es vertrocknete Stellen.« Er stellte sich zu seinem Caddy und sah Luke auffordernd an. Luke begriff: Seine Zeit war gekommen. Und die erste Hürde bildete nicht etwa der erste Abschlag, sondern die Wahl des richtigen Schlägers. Auf gut Glück schnappte er sich einen aus seinem Sortiment, aber durch das verstohlene Kopfschütteln seines Caddys wurde ihm klar, dass es wohl nicht die richtige Wahl gewesen war. Er zog - 48 -
einen anderen Schläger heraus, der ein Kopfnicken vonseiten des Caddys erntete. »Ich entferne nur noch das Preisschild«, erlaubte sich der Caddy zu sagen und schabte das Etikett weg. »Gute Idee!«, meinte Luke eifrig, nahm dann den Ball, setzte ihn auf das dafür vorgesehene Tee – das Plastikfüßchen, auf das der Ball gesetzt wird –, nahm sein Ziel ins Visier … und verfehlte es vollkommen. »Oh, verdammt!«, schrie er enttäuscht auf, nicht ahnend, dass sich solch ein Verhalten auf einem derart elitären Platz nicht im Mindesten gebührte. Richard tat so, als wäre alles in Ordnung, winkte ab und erklärte, dass das kein Problem sei. »Das war ein Mulligan. Einfach noch mal«, gab er sich großzügig. Luke nickte. Er hatte zwar keine Ahnung, was ein Mulligan war – nämlich die straflose Wiederholung eines missglückten Schlages beim ersten Abschlag, die in privaten Runden manchmal gestattet wird, während sie bei den Profis regelwidrig wäre. »Einfach noch mal« allerdings verstand er und setzte den Ball wieder auf das Füßchen. In seinem Rücken hatte sich ein paar Meter weiter schon eine Schlange gebildet. Man wartete ungeduldig darauf, an die Reihe zu kommen, und wunderte sich darüber, mit wem denn Richard Gilmore heute unterwegs war. »Ich hab ihn zum falschen Loch geschlagen!«, rief Luke verzweifelt, als auch sein zweiter Versuch danebenging. »Golf ist nicht mein Ding! Ich meine, es ist natürlich mein Ding«, verbesserte er sich rasch, »aber eben nicht mein Lieblingsding.« »Was ist denn Ihr Lieblingshobby?«, erkundigte sich Richard. Luke sandte einen verzweifelten Blick zu seinem Caddy, während er den dritten Versuch unternahm. »Ähm, schnell, sagen Sie mir ein Hobby.« »Ähm, äh, Lesen.« - 49 -
»Mein Hobby ist Lesen. Ich lese wie verrückt!«, rief Luke und lächelte Richard gewinnend an. Er konnte ja nicht ahnen, dass Richard selbst tatsächlich las wie verrückt und dass nun zwangsläufig Detailfragen folgen mussten … »Oh, wunderbar«, freute sich Richard auch sofort. »Was haben wir denn kürzlich gelesen?« »Ähm, Bücher. Sie wissen schon, dies und das«, stotterte Luke. »Ähm, diesen Dick.« Ihm fiel partout nicht »Philip K.« ein, und er hatte auch keines seiner Bücher je gelesen. Das letzte Buch, das Luke vor dem Golfbuch seines Vaters in der Hand gehabt hatte, war das Selbsthilfewerk, mit dem er versucht hatte, seine emotionalen Blockaden abzubauen – was ihm immerhin ganz gut gelungen war, wenn man den Erfolg an seiner Beziehung mit Mom messen wollte. Davor hatte er jahrelang gar nichts gelesen … »Wie meinen?«, erkundigte sich Richard. Luke blickte erneut verzweifelt zu seinem Caddy, aber der schien ihm nicht helfen zu können. »Na, Dick. So ein ScienceFiction-Heini. Dick irgendwas. Irgendwas, äh, Dick …« Luke stammelte sich um Kopf und Kragen. »Seins hab ich gelesen.« »Ich werd mich im Internet über Dick schlau machen. Mal sehen, was dabei rauskommt«, seufzte Richard und gab dann Luke den Rat, doch nun endlich abzuschlagen, damit die Schlange nicht noch länger würde. »Entschuldigt, Leute. Nur noch ‘ne Sekunde. Er ist, äh, neu«, lächelte Richard den Männern zu, die mit ihren Caddys und ihren Schlägern und ihren Handschuhen ungeduldig darauf warteten, dass der unrasierte Unbekannte endlich abschlagen würde. Luke gab sich alle Mühe, zielte, schlug – und traf einen Golfwagen. »Oh, Scheiße!«, schrie Luke auf. Langsam, aber sicher musste sich Richard sehr bemühen, weiterhin jovial und freundlich zu bleiben, und so wirkte sein
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Lächeln auch ein wenig gequält, als er meinte: »Machen Sie sich keine Sorgen, so ein Golfwagen wird oft getroffen.« »Er scheint aber ziemlich wütend zu sein!«, meinte Luke. Richard winkte ab, gab seinem Caddy ein Zeichen und setzte sich in Bewegung. »Nicht drüber nachdenken. Gehen wir!«, schlug er vor und steuerte eine ruhige, weiter entfernte Stelle an, wo sich auch bei so einem Golfneuling wie Luke nicht so schnell eine Schlange bilden konnte. »Also«, suchte er nach ein paar Metern das Gespräch. »Haben Sie schon mal über Franchising nachgedacht?« »Franchising?«, wiederholte Luke – er hatte nicht die geringste Ahnung, auf was Richard hinauswollte. »Ihr Restaurant, Luke. Der Zeitpunkt wäre günstig, die Immobilienpreise waren schon lange nicht mehr so niedrig.« »Äh, was? Ich, äh, ich hab, ich hab, nein, ich hab nicht darüber nachgedacht.« »An Ihrer Stelle würde ich die Ostküste ins Auge fassen. Connecticut, New York, Massachusetts. Wahrscheinlich mit fünf oder sieben …« »Äh, Läden?«, fragte Luke. Richard nickte. »Eine überschaubare Menge. Sie brauchen einen Investmentbanker. Im Clubhaus hab ich Herb Smith getroffen. Ich geb Ihnen seine Nummer. Er ist dafür der Beste. Und dann, wenn die ersten sieben Jahre gut gelaufen sind, greifen Sie nach den Sternen! Landesweite Expansion! Sie gründen eine neue Firma und gehen an die Börse!« Richards Augen hatten zu strahlen begonnen. Das war ein Plan ganz nach seinem Geschmack! »Oh, ja, an die Börse«, nickte Luke. »Ähm, da wollt ich schon immer mal hin.« »Sagen Sie, Luke, was halten Sie von einer gründlichen Nassrasur?« »Gar nichts«, antwortete Luke ehrlich. »Die ist aber am gründlichsten und hält mehrere Tage. Ich geb Ihnen die Nummer meines Barbiers.« - 51 -
So langsam war auch Richard in seinem Element – und ganz ehrlich: Er stand Grandma in nichts nach. Allerdings verfolgte er eine andere Strategie. Während Grandma Luke ihre ganze Verachtung für Menschen wie ihn hatte spüren lassen, überlegte Grandpa eben nur, wie er Luke gesellschaftsfähig machen könnte. An dem Bild, das beide von Luke hatten, änderte sich durch die unterschiedliche Herangehensweise nichts. Luke war in ihren Augen völlig inakzeptabel als Partie für Lorelai – der Unterschied bestand darin, wie beide mit dem »Problem« umgingen. Ja ja, meine Großeltern waren schon eine Nummer für sich. Und wenn ich nicht auch eine andere Seite von ihnen kennen würde, eine herzensgute nämlich immer dann, wenn es um mich ging, dann würde ich wahrscheinlich vor Leuten wie ihnen dringend warnen … Zum Glück war mein Nachmittag viel amüsanter als Lukes. Und nachdem ich etwas gegessen hatte, schlenderte ich zu einer seltsamen Konstruktion. Es war ein Turm aus Eisenstangen und Holzbrettern, der ungefähr zwanzig Meter hoch war, und auf den über eine Leiter schon zwei Herren und zwei Damen in ihrer Abendgarderobe hinaufgeklettert waren. Jeder von ihnen hielt einen schwarzen Regenschirm in der Hand, und so langsam dämmerte mir, was hier vor sich ging. Ich erinnerte mich an das Foto, auf das ich im Internet bei meiner Recherche gestoßen war … Auf dem Bild war eine alte Steinbrücke zu sehen, von der Menschen mit schwarzen Regenschirmen in der Hand und in Abendgarderobe gekleidet hinuntersprangen … Ich wusste es jetzt: Die vier da oben wollten springen! Das war das Hauptereignis des Tages! Ich sah schnell weg, denn mir wurde allein vom Hochgucken schwindlig. Sie hatten zwar, soweit ich es erkennen konnte, Gurte um die Taille, an denen dünne Stahlseile befestigt waren – aber das war mir egal. Ich fand das trotzdem völlig lebensmüde!
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»Die werden doch wohl nicht springen?«, fragte ich Logan, der grinsend hinter mir aufgetaucht war. »Aber natürlich«, nickte er. »Das sind zwanzig Meter, die werden sterben!« »Tun wir das nicht alle irgendwann?« »Aber diese vier da gleich!« »Sechs«, korrigierte Logan und sah mich komisch an. »Ich seh nur vier«, antwortete ich. »Ich werd springen. Und Finn wollte mitmachen, aber den haben sie ja abtransportiert. Ein Platz ist frei.« Er sah mich wieder so komisch an – und auf einmal verstand ich, auf was er hinauswollte. Ich sollte für Finn einspringen, im wahrsten Sinne des Wortes! Ich! Rory Gilmore! Das Mädchen, das immer so vernünftig ist! Ich schüttelte schnell den Kopf. »Nein. Ich werd da sicher nicht runterspringen.« »Wir werden nicht sterben. Bei uns stirbt man nicht so schnell. Außer die Alten«, grinste Logan und stellte mich dann Seth vor, dem Mann, der die Fäden zog. »Es ist ungefährlich«, erklärte Seth. »Wir haben ein Dutzend Testläufe absolviert, und jede Kartoffel hat überlebt.« »Was für Kartoffeln?«, fragte ich. »Man kann die Tests nicht mit Menschen machen. Unverantwortlich«, erklärte Logan. Ich winkte ab. »Also, danke für das Angebot, aber, äh, ich bin als Journalistin hier, als Beobachterin, da nimmt man an so was nicht teil.« »Seit wann?«, fragte Logan erstaunt. »George Plimpton hat sich immer rausgehalten? Alles, was er geschrieben hat, hat er live erlebt! Der Kampf gegen Sugar Ray Robinson, er war Quarterback bei den Lions, hat Eishockey gespielt.« »Gut, Plimpton hätte mitgemacht«, gab ich zu – aber deshalb hatte ich noch lange nicht vor, selbst zu springen. Doch Logan
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gab nicht auf und zählte mir jede Menge hoch angesehener Journalisten auf, die alle gesprungen wären … »Buford hat unter Fußball-Hooligans gelebt und alles erzählt. Ernie Pyle verlor sein Leben durch einen japanischen Heckenschützen – so was erwarte ich gar nicht von dir. Richard Hottelet saß für die UP in einem Nazi-Gefängnis. Hunter Thompson war voll bei den Hell’s Angels drin. Ich meine, mittendrin, er hat zugesehen, und seine Beschreibungen sind derart präzise, dass man das Gefühl hat, man war auch da.« »Schon gut, schon gut, alles klar. Diese Jungs waren dabei, natürlich. Aber ich …« »Du hast Angst«, stellte Logan fest und sah mich eindringlich an. »Und die hält dich davon ab?« »Auf jeden Fall«, nickte ich. »Komm schon, du verträgst ein kleines Abenteuer. Du bist zu vorsichtig!«, stachelte er mich an und traf damit einen Nerv in mir, der ein wenig gereizt war in letzter Zeit … »Wieso?«, verteidigte ich mich. »Weil ich noch nie im NaziGefängnis war, von Hooligans verprügelt oder von Motorradrockern niedergetrampelt wurde?« »Das wird ein Riesenspaß! Ein super Nervenkitzel! Eine Dummheit, mal was anderes, etwas Verbotenes!«, machte mich Logan heiß. »So was gehört doch zum Jungsein. Es ist deine Entscheidung, Ace. Es gibt Menschen, die werden uralt, ohne auch nur eine Minute gelebt zu haben, und wenn du jetzt da mit raufkletterst, bist du nicht wie sie.« Damit hatte er mich! Logan hatte es geschafft! Ich wollte nicht immer vernünftig sein! Ich wollte einmal etwas Verbotenes tun. »Also, dann los«, meinte ich und stapfte todesmutig in meinem Reifrock zu dem Turm. Als ich an der Leiter angekommen war, wurde mir noch einmal richtig mulmig, aber als Logan zugab, dass auch er Angst hatte, da
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wusste ich, dass Kneifen jetzt nicht mehr ging, und kraxelte langsam, Stufe für Stufe, in die Höhe. Oben wartete schon Seth auf uns und reichte uns die Gürtel. »Es ist vollkommen ungefährlich. Und der Gürtel passt zu deinem Kleid. Schön«, meinte er und befestigte das Seil an mir. Ich wagte einen Blick hinunter. Die Gesellschaft sah ziemlich klein aus – was nichts anderes bedeutete, als dass wir ziemlich hoch waren … »Wieso sehen die alle so besorgt aus?«, fragte ich. »Der Champagner ist fast alle«, witzelte Logan – aber seiner Stimme merkte ich an, dass auch er nervös war und dass es auch für ihn ein ganz besonderes Erlebnis war, hier oben zu stehen. »Du weißt, dass du nicht springen musst. Niemand zwingt dich«, meinte er dann und sah mich an. »Ich weiß«, antwortete ich tapfer und schluckte meine Angst hinunter. »Vos ipos parate«, sagte Colin, der ebenfalls oben war. Es bedeutete »Macht euch bereit!«, und ich gab mir alle Mühe. »Vertraust du mir?«, fragte Logan und nahm meine Hand fest in seine. Ich nickte. »Wenn du springst, spring ich auch.« »In omnia paratus!«, rief Colin und die Menge unten rief es ebenfalls. Ich wusste: Das war das Zeichen. Jetzt würden wir springen. Ich griff, so fest ich konnte, Logans Hand und folgte ihm Schritt für Schritt nach vorne. Eine überwältigende Angst durchflutete meinen Körper, und dann war es so weit: Wir sprangen in die Tiefe! … Besser gesagt: Wir schwebten in die Tiefe! Die Seile hielten uns, und unsere aufgespannten Regenschirme taten ein Übriges. Es war wunderschön, es war erhaben, es war völlig verrückt, und das Adrenalin durchströmte mich und brachte mich unten zum Taumeln. »Wie hat sich das angefühlt, Ace?«, fragte Logan, als wir wieder festen Boden unter den Füßen hatten. - 55 -
»Was für ‘ne einmalige Erfahrung!«, gluckste ich. »Nur, wenn du das so willst!«, entgegnete Logan und strahlte mich an. Zum Glück hatte Mom von alldem keine Ahnung. Sie hätte sich wahrscheinlich die größten Sorgen gemacht. Und Sorgen musste sie sich schon aus einem ganz anderen Grund machen … Sie stand gerade hinter der Rezeption des Dragonfly, da Michel gerade Pause hatte, als das Telefon klingelte und Luke ihr am anderen Ende erzählte, dass er expandieren würde. Er sprach langsam, und seine Stimme klang ein klein wenig belegt. »Was?«, fragte Mom nach. Sie war den ganzen Tag schon unruhig gewesen, denn schließlich wusste sie, dass Luke mit Grandpa Golf spielte. Und sie ahnte, dass das nicht gut gehen konnte … »Mein Cafe«, meinte Luke. »Bald werd ich sieben davon haben. Und das nur an der Ostküste, verstehst du? Danach erobern wir das ganze Land!« »Wovon redest du überhaupt?« »Dein Vater will aus meinem Cafe eine Kette machen«, erklärte Luke matt. »Und ich denke, ich habe Ja gesagt.« »Nein.« »Ich habe schon jemanden fürs Marketing, Herb ist mein Banker, dein Vater betreut meine Versicherungen, und wie’s aussieht, wird jeder irgendwann Aktien kaufen können.« »Oh, meine Eltern!«, schrie Lorelai sauer. »Meine bescheuerten Eltern.« »Und rasieren muss ich mich auch«, lallte Luke. »Er sprach die ganze Zeit davon, und ich hab … einen sitzen. Wir waren hier in der Bar, und ich hab das Gleiche bestellt wie dein Vater, weil ich mich nicht als Provinzler mit ‘nein Bier outen wollte. Das war ‘n Whiskey mit irgendwas, mehr Whiskey als irgendwas, das sag ich dir.«
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Mom seufzte. »Ach, du armer Schatz«, meinte sie mitfühlend und ging besorgt auf und ab. »Ich hab jetzt auch ‘nen Kunsthändler. Nächste Woche sehe ich mir ein paar Diebenkorns an. Was ist ein Diebenkorn?«, fragte Luke. Als Mom ihm auch nicht weiterhelfen konnte, fuhr er fort, langsam und ein wenig undeutlich die Neuerungen in seinem Leben zu berichten. »Ich hab Golfschläger gekauft. Die kosten genauso viel wie ‘n Auto. Oh, und irgendwie ist mir rausgerutscht, dass ich auf die Griechen stehe, und jetzt verlangt er, dass ich die Ilias und die Odyssee lese, damit wir fachsimpeln können.« Luke seufzte aus ganzem Herzen. »Bitte«, flehte er dann. »Ich will deine Eltern ganz, ganz lange nicht mehr sehen. Ja, für eine ganz lange Zeit nicht mehr. Ich meine, nicht, dass ich sie nicht mag …« »Verlass sofort die Driving Range!«, antwortete Mom bestimmt. »Ich denke nicht, dass ich noch fahren kann.« »Schatz, trink einen Kaffee und komm nach Hause.« »Der Diebenkorn-Heini ist noch da drin. Er redet mit meinem Antiquitätenhändler.« »Dann geh direkt zu deinem Auto, nicht noch mal zu denen rein.« »Okay«, antwortete Luke matt. »Die Jungs vom Parkservice sind nett.« »Gut, dann geh jetzt.« Als Mom auflegte, schüttelte sie den Kopf. Sie hatte geahnt, dass es genau so laufen würde! Sie kannte ihre Eltern! Und sie wusste, weshalb ihr Verhältnis zu ihnen genau so war, wie es eben war! Luke tat ihr schrecklich Leid, und sie überlegte, wie sie ihn am Abend aufmuntern und wieder mit der Welt versöhnen konnte … Bevor sie sich allerdings mit ihm traf, rief sie mich an, um mir von Grandpa zu erzählen.
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»Luke hatte einen Zusammenstoß mit den Gilmores, er braucht Zerstreuung! Dad hat sie nicht mehr alle. Er will aus Lukes Cafe eine Kette machen.« »Ist nicht dein Ernst?«, meinte ich. »Wenn er wirklich Filialen eröffnen sollte, dann bitte auch eine hier. Ich vermisse seine Hamburger!« Nachdem Mom geschnaubt hatte, dass Luke überhaupt keine Filialen eröffnen würde, stellte ich ihr eine Frage, die mich seit meinem Gespräch mit Logan kurz vor dem Sprung nicht mehr losließ: »Findest du mich zu ängstlich? Zu vorsichtig? Geh ich zu wenig Risiken ein?« »Was für Risiken denn?«, fragte Mom, die die Frage ganz schön komisch fand. »Keine Ahnung«, erklärte ich. »So grundsätzlich.« »Ich finde nicht.« Ich war immer noch nicht zufrieden. »Ich bin kein Mäuschen?«, hakte ich nach. »Wie kommst du auf so was?« »Ich weiß nicht, ich hab in letzter Zeit so darüber nachgedacht«, antwortete ich ausweichend. Dann hörte ich es an der Tür klopfen und verabschiedete mich von Mom. »Grüß Luke von mir, ja?« Mom lachte. »Wenn er nicht im Koma liegt. Bis dann, Schatz.« Als ich die Tür öffnete, stand niemand da, aber als ich mich suchend umblickte, fiel mein Blick auf eine Flasche Champagner, eine Gorillamaske und eine Digitalkamera, die jemand vor meine Tür gestellt hatte. Noch im Türrahmen schaute ich mir im Display die letzten Fotos an, die damit gemacht worden waren – ich sah mich selbst im wunderschönen Abendkleid Hand in Hand mit Logan in die Tiefe stürzen … Logan musste mir die Sachen vor die Tür gestellt haben. Logan, wer sonst? Und das war wirklich sehr lieb und aufmerksam! Wie überhaupt alles, was er in der letzen Zeit für - 58 -
mich getan hatte. Angefangen vom Zelt über die Zahnbürste bis hin zum Kleid. Alles hatte Logan organisiert! Ich lächelte glücklich, schaute mich noch mal um, in der Hoffnung, ihn doch noch irgendwo zu entdecken, und ging dann, als ich ihn nicht sah, zurück in mein Zimmer. In dieser Nacht konnte ich lange nicht schlafen, denn immer und immer wieder musste ich an meine Erlebnisse denken. Meine Erlebnisse mit der Life and Death Brigade.
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4 Wieder einmal war Freitagabend, und sowohl Grandpa als auch Grandma waren zu Hause, und wie in solchen Fällen üblich, sah der Plan vor, dass wir die Cocktails bei Grandpa im Poolhaus trinken sollten, während Grandma in der Villa mit dem Abendessen aufwartete. Allerdings hatte sich Grandpa an diesem Abend etwas ganz Besonderes ausgedacht. Er hatte seinen Hausdiener, den schweigsamen Robert, nicht nur damit beauftragt die Drinks zu mixen, sondern auch damit, den Grill anzuwerfen – und als Mom und ich den Garten betraten und uns in Richtung Poolhaus vorarbeiteten, stieg der köstlich würzige Geruch von gegrillten, marinierten Fleischspießchen in unsere Nasen. »Ich wittere Fleisch«, stellte Mom als Erste von uns beiden fest und lächelte Robert an, der uns die Taschen abnahm. »Ist das Fleisch?« »Aber ja, Miss. Das ist Fleisch«, nickte er. Mom schwebte geradezu zum Tisch, der ganz sommerlich draußen vor dem Poolhaus aufgebaut war. »Oh, er nennt mich ›Miss‹!«, rief sie begeistert. »Und es gibt Fleisch! Das macht mich glücklich!« In diesem Moment trat Grandpa aus der Tür. Und – inszeniertes Grillfest hin oder her – er hatte sich wieder einmal angezogen, als ginge er zu einem Staatsempfang. Im schwarzen Abendanzug mit weißem Hemd und der obligatorischen Fliege um den Hals trat er mit einem Tablett, auf dem drei Gläser standen, zu uns an den Tisch und lächelte uns erfreut zu. »Nun ja, ich hab gedacht, wir könnten heut mal Vorspeisen zu den Cocktails reichen«, erklärte er und setzte sich, während Robert schon die erste Portion Grillspießchen auf den Tisch stellte.
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»Mhm. Mein Gott, das duftet gut«, seufzte Mom, und ich gab ihr Recht. Fleischspieße waren einfach das Größte. Und sie kamen Moms und meiner Vorliebe für Fastfood deutlich eher entgegen als die elaborierte Küche, die es gewöhnlich bei Grandma gab. Da auch Grandpa die Fleischspieße ganz atemberaubend fand, wie sie so vor uns auf dem Teller lagen, hatte ich plötzlich die Idee, doch einen Club zu gründen. »Den ›Steak am Stiel‹-Club«, schlug Mom vor. Grandpa nickt eifrig. »Wir lassen T-Shirts mit dem Namen bedrucken!« »Grandpa, ich hab dich noch nie im T-Shirt gesehen«, lachte ich, und allein die Vorstellung war völlig absurd. Der Fliegenträger plötzlich im T-Shirt? Nein, unvorstellbar! Doch Grandpa zuckte nur die Schultern. »Bisher gab’s dazu nur nie einen passenden Anlass«, erklärte er. Dann hielten wir es alle nicht mehr aus. Der Duft war einfach zu köstlich, und kalt schmeckten die Spießchen sicher nur noch halb so gut. Wir griffen zu, und Mom hob ihr Spießchen hoch. »Mhm, auf den passenden Anlass«, grinste sie und wollte schon abbeißen, als hinter ihr wie aus dem Nichts Emily hervorgeschossen kam und der völlig überrumpelten Mom das Spießchen aus den Händen riss. »Ich wusste doch, dass mich meine Nase nicht trügt!«, schrie Emily erbost. »Hier wird Fleisch gegrillt!« »Na und?«, machte Richard. »Na und?!« Emily schnappte empört nach Luft. »Wir waren uns einig, dass die Mädchen bei dir was trinken und bei mir essen.« Grandpa Richard blieb ganz ruhig und erklärte, dass es sich hierbei nur um eine Vorspeise handelte, die ja wohl nicht weiter schlimm wäre – aber mit seiner zur Schau gestellten Ruhe reizte er Emily noch mehr. - 61 -
Erbost zeigte sie auf die Spießchen. »Das ist doch keine Vorspeise, das sind Grillspieße!« »Die sind doch ganz klein«, versuchte Mom sie zu beruhigen, und ich pflichtete ihr schnell bei. »Ja, genau. Klitzeklein«, meinte ich und sah Grandma treuherzig an – die allerdings nicht mehr zu besänftigen war. Wie eine Jagdtrophäe hielt sie das Spießchen hoch, das sie Mom eben entrissen hatte. »Der hier ist doch nicht klitzeklein! Das ist ein Hauptgericht und eine ganz billige Masche, mich um mein Essen zu bringen, Richard.« Sie war um den Tisch herumgekommen und fuchtelte bedrohlich mit dem Spießchen vor Richards Nase herum. »Ich kenne niemanden, der so paranoid ist wie du!«, stellte der nun fest. »Du hast mich doch angewiesen, freitagabends mit den Mädchen einen Drink zu nehmen. Das dauert eine Stunde, wenn’s hoch kommt. Danach essen sie bei dir, was sich einige Stunden hinziehen kann, weil du das so arrangierst. Du verbringst viel mehr Zeit mit ihnen. Da sollte ich zumindest eine kleine Vorspeise zu meinen Drinks reichen dürfen.« Mom und ich sahen uns über den Tisch hinweg unwohl an. Hier wurde ja richtiggehend um uns geschachert! Nach unseren Wünschen wurden wir allerdings nie gefragt – von keinem der beiden. Grandma hatte genug. »Bitte!«, rief sie empört. »Ich verschwinde. Nehmt eure Drinks und esst eure Vorspeise.« Dann beugte sie sich ein wenig herunter, sodass sie mir und Mom besser drohen konnte. »Und wehe, ihr habt keinen Hunger, wenn das Essen serviert wird. Ich warne euch.« Mit diesen Worten machte sie auf dem Absatz kehrt und stolzierte mit hoch erhobenem Haupt zurück in die Villa, wo sie wahrscheinlich das neue Hausmädchen erst einmal zur Schnecke machte, damit sie sich ein wenig besser fühlte.
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Nach einer Schweigesekunde, in der wir verstört auf unsere Teller starrten, zuckte Mom die Schultern. »Sie warnt uns«, wiederholte sie und grinste mich an. Dann griff sie sich ein Spießchen und bot mir auch eins an. »Nein, noch wenigstens zwei«, antwortete ich, denn ich fand Grandmas Auftritt hatte nichts anderes verdient. »Ja, weil sie richtig sauer war!«, pflichtete Mom mir bei. Jedenfalls schmeckten die Spießchen bei Grandpa hervorragend, und gepaart mit dem Trotz wegen Grandmas verrücktem Auftritt, stopften Mom und ich uns richtig voll. So voll, bis kein Einziges der leckeren Spießchen mehr am Leben war. Danach saßen wir mehr als satt, schon eher voll bis oben hin, bei Grandma an dem gigantischen Tisch im Esszimmer und starrten mit leiser Verzweiflung auf unsere Teller, die einfach nicht leerer werden wollten. Und dabei waren wir erst bei der Vorspeise … »Stimmt etwas nicht?«, erkundigte sich Grandma spitz und spießte einen Happen auf ihre Gabel. Sie hatte den Tisch wie immer eindrucksvoll mit edlem Porzellan, Silberbesteck, Kristallgläsern und Stoffservietten decken lassen und auch an der opulenten Tischdekoration samt Blumenbouquet nicht gespart. Mom blickte trübe auf und beeilte sich zu versichern, dass alles okay sei. »Du isst nicht«, stellte Grandma fest und sah missbilligend auf Moms Teller. Sie war einfach schrecklich eifersüchtig und unterstellte Grandpa, dass er uns ihr abspenstig machen wollte und sich selbst nur allzu gerne in den Vordergrund spielte. Dass sie nicht die Zeit stoppte, die wir bei Grandpa verbrachten, und Wanzen im Poolhaus versteckte, um über unsere Gespräche mit ihm informiert zu sein, war fast schon ein Wunder, und ich war mir sicher, dass es früher oder später so weit kommen würde – wenn dieser ganze Wahnsinn nicht endlich ein Ende finden würde und sich Grandpa und Grandma wieder versöhnten. - 63 -
Mom beeilte sich zu versichern, sie würde doch essen. »Ja, vielleicht zwei Bissen«, rügte Grandma. »Zwei ziemlich große Bissen.« Dann nahm Grandma mich ins Visier. »Rory hat auch gar nichts gegessen«, stellte sie fest. »Doch, klar«, versetzte ich schnell. »Du hast es bloß nicht gesehen.« Emily stöhnte auf und legte empört Messer und Gabel beiseite. »Ihr seid satt!«, stellte sie fest. »Er hält sich nicht an eine simple Vereinbarung. Im Geschäft handelt er dauernd Verträge aus, aber Drinks dort und Essen hier, ich glaube fast, das ist zu kompliziert für ihn.« »Er wollte nur …« Ich wollte Grandpa in Schutz nehmen, aber davon wollte Emily nichts hören. »Er wollte mich ausstechen!«, rief sie. »Und damit will er bloß erreichen, dass ihr es bei ihm netter findet. Er ist ein Kind, ein verzogenes, vierjähriges Gör! Ich sollte ihm sein Spielzeugauto wegnehmen und ihn ohne Essen ins Bett schicken, oder, wie er es nennt, ohne Vorspeise.« »Mom, ganz ehrlich, wir sind kurz vorm Verhungern. Sieh her.« Mom spießte sich angeekelt ein Stück Fleisch auf die Gabel und schob es sich widerwillig in den Mund. »Mhm. Wow«, machte sie und wies mich dann an, ein paar Karotten zu essen. »Karotten«, stöhnte ich und sah mir das kleine Exemplar an, das auf meiner Gabel ruhte. »Ganz köstlich.« Nur mit Mühe und Not schaffte ich es, den Mund aufzumachen, denn ich war so satt, dass ich tatsächlich befürchtete zu platzen. Emily sah uns an, und ein fast schon teuflischer Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. »Wenn ihr beide so hungrig seid, wollt ihr bestimmt noch mehr«, stellte sie mit boshaftem Lächeln fest und rief ihr neues, etwas älteres und ziemlich korpulentes Dienstmädchen, das gerade mit einem Tablett erschien. Mit großer - 64 -
Wahrscheinlichkeit hatte sie slawische Wurzeln – was man sowohl von ihrem Erscheinungsbild als auch von ihrem Namen und erst recht von ihrer Kochkunst ableiten konnte. »Olga! Gut, dass Sie kommen!« Emily strahlte allerliebst. »Die Kinder sind am Verhungern. Geben Sie ihnen noch was.« Mom und ich starrten auf unsere Teller. Mir wurde fast schlecht, als ich die Berge sah, die uns Olga auf Geheiß von Grandma aufhäufte. Als mein Telefon klingelte, war ich sehr froh, auf diese Weise der Essensfolter wenigstens kurz zu entkommen. Emily hatte als Erstes Mom im Verdacht, ihr Handy nicht abgeschaltet zu haben. In ihren Augen war das eine grobe Unverschämtheit, die mindestens mit bösen Blicken geahndet werden musste. Ich erklärte rasch, dass ich die Übeltäterin war, und sah Grandma entschuldigend an. »Ich muss kurz rangehen. Ich mach schnell, versprochen«, meinte ich und erhob mich rasch vom Tisch. Es war Dean, der mich anrief. Ich hatte es fast schon vermutet und freute mich sehr, ihn zu hören. Ich beeilte mich, ins Nebenzimmer zu gelangen, um ungestört wenigstens ein paar Sätze mit ihm zu wechseln. Als ich wenig später zurück ins Esszimmer kam, sah mich Mom zwar komisch an, aber als mich Grandma fragte, mit wem ich gerade telefoniert hatte, sah ich keinen Grund, Dean zu verschweigen. Ich wusste ja nicht, dass Mom gerade für mich gelogen hatte, um mich zu schützen. Mom war nämlich klar, dass Grandma Dean nicht als geeigneten Freund für mich ansehen würde; sie hatte schließlich ihre ganz eigenen, leidvollen Erfahrungen auf diesem Gebiet machen müssen. Ich war einfach zu naiv, bedachte das nicht und erzählte die Wahrheit. »Dean«, antworte ich und setzte mich. »Du weißt, wer das ist?« Grandmas Lächeln fiel für einen kurzen Augenblick von ihren Lippen, doch schnell hatte sie sich wieder gefangen und - 65 -
ließ sich nichts von ihrem Unmut anmerken. »Der dir mal ein Auto geschenkt hat?« »Ja«, meinte ich und erklärte dann, dass wir seit kurzem wieder zusammen waren. »Wirklich?«, fragte Emily rhetorisch und warf dann Mom einen bösen Blick zu, die ihr diese Information offensichtlich verschwiegen hatte. »Na, wenn das keine Überraschung ist, nicht wahr, Lorelai?« »Oh, ja«, antwortete Mom und wischte sich den Mund ab. »Ich bin erstaunt.« »Er musste in letzter Zeit oft arbeiten, und ich hatte so viel für die Uni zu tun, dass wir uns kaum gesehen haben. Da hab ich ihm gesagt, er soll heut anrufen.« »Vielen Dank für die Information. Ich bin nur froh, dass ich es von dir höre und nicht zufällig irgendwo auf der Straße erfahren muss.« Nach einem weiteren ärgerlichen Blick auf Mom erkundigte sich Grandma, ob ich denn mit Dean glücklich sei. Ich nickte eifrig. »Ja, sicher«, betonte ich, wenngleich ich mich nicht sonderlich euphorisch anhörte. Aber für Euphorieausbrüche sahen Dean und ich uns momentan einfach zu selten. »Sehr schön«, nickte Emily und blickte dann gütig von einer zur anderen. »Und jetzt esst auf, gleich wird der Fisch serviert. Olga macht wunderbaren grünen Hering.« Über den Tisch und die teuren Kristallgläser hinweg sahen Mom und ich uns verzweifelt an. Grandma hegte offensichtlich den teuflischen Plan, uns platzen zu lassen. Und wir waren bereits schon zu voll gegessen und zu matt, als dass wir uns hätten aus dem Staub machen können. Nachdem das Abendessen endlich zu Ende war, schlüpften Mom und ich in unsere Mäntel und machten uns schnell auf den Weg nach draußen, denn wir hatten die Hoffnung, dass die frische Luft uns gut tun würde. Wir wankten mehr, als dass wir - 66 -
gingen, und wenn wir Hosen und keine luftigen Kleider angehabt hätten, dann wären uns die Knöpfe mit Sicherheit um die Ohren geflogen. »Grandma ist gemein«, stöhnte ich und lehnte mich erschöpft an die Außenmauer des Hauses. Mom nickte. »Egal, ob’s kriecht, schwimmt oder fliegt, wir haben’s gerade gegessen.« »Ich krieg kaum noch Luft«, jammerte ich. Dann zwickte mich Mom unvorbereitet ziemlich fest in den Arm, und ich schrie auf. »Au! Was soll das?«, wollte ich wissen und rieb meinen Arm. »Wieso hast du ihr das mit Dean erzählt? Ich hab versucht, dir wegen des Anrufs den Rücken freizuhalten, und dann kommst du wieder und erzählst es ihr!« Mom schüttelte den Kopf, als wäre ich ein hoffnungsloser Fall – was ich in Bezug auf meinen festen Glauben an den guten Kern in Grandma und Grandpa sicher auch war. »Du warst schon aus dem Schneider«, fuhr sie fort. »Ich hab dich wirklich auf gekonnte Weise gedeckt. Vielleicht nicht wahnsinnig gekonnt, aber mein Ausweichmanöver hatte was sehr Souveränes.« »Ich will ihr keine Lügen wegen Dean auftischen«, erklärte ich. »Dean ist mein Freund. Sie kennt ihn, ebenso wie Grandpa. Wo ist da das Problem, außer der wachsenden Beule an meinem Arm?« »Okay, gut«, meinte Mom und ging zum Wagen. »Und jetzt hab ich richtig Hunger.« Sie öffnete mir die Tür, und wir brausten nach Stars Hollow. Wir hatten ja keine Ahnung, dass Grandma und Grandpa just in diesem Moment Moms Befürchtungen übertrafen. Grandma war nämlich sofort zu Grandpa gerannt und hatte ihm von Dean erzählt. Und jetzt heckten die beiden Pläne aus, die natürlich mit Dean und mir und scheinbar besseren Partien zusammenhingen … Als Mom am nächsten Tag bei Luke im Cafe vorbeischaute, staunte sie nicht schlecht, als sie Lukes Schwester Liz neben - 67 -
sich an der Theke sitzen sah. Luke stand hinter der Theke und wirkte einigermaßen genervt von ihrer Anwesenheit. Man konnte es ihm nicht verdenken. Immer wenn Liz und ihr Gatte T. J. auftauchten, bedeutete das früher oder später Arbeit für Luke. Natürlich unbezahlte, schließlich war man ja verwandt. Sei es bei den Vorbereitungen der Mittelalterhochzeit der beiden, sei es auf dem Mittelaltermarkt, als Liz und T. J. einen Unfall hatten – immer musste Luke irgendwann einspringen. Und das nicht zu knapp. Verständlich also, dass er auf die Ankündigung seiner Schwester, bald mit T. J. nach Stars Hollow ziehen zu wollen, nicht sonderlich begeistert reagierte. Liz war zwar etwas verschroben, ansonsten jedoch ein herzensguter Mensch, und Mom mochte sie irgendwie. Als sie Liz nun neben sich sitzen sah, freute sie sich sehr, und die beiden fielen sich regelrecht um den Hals. »Wie geht’s dir denn? Und wie geht’s T.J.?«, erkundigte sich Mom. »Sehr gut. Er ist ‘n Stück gewachsen«, grinste Liz und blickte Mom dann verschwörerisch an. »Also, du und mein Bruder, ja?« Sie wartete kurz ab, bis Mom alles bestätigte, und klopfte sich dann auf die Schenkel. »Das find ich stark!«, rief sie aus. Sie hatte tatsächlich alles von Anfang an geahnt. Schon als sie Mom das erste Mal begegnet war, hatte sie gewusst, dass zwischen ihr und Luke irgendwann einmal etwas laufen würde. Jetzt freute sie sich natürlich und brannte auf die intimsten Details. »Erzähl ihr ja nichts«, warf Luke dazwischen und polierte mit mürrischem Gesicht ein Glas. »Ehrlich, gar nichts? Nicht mal von deinem kanadischen Mountie-Hut?« Mom hatte das Wort »Mountie-Hut« so anzüglich wie möglich gesagt und grinste ihn jetzt ebenso an. Luke stöhnte auf und unternahm einen neuen Anlauf, Liz loszuwerden. Doch die blieb sitzen, guckte wieder die Immobilienseite der Zeitung durch und beschwichtigte ihren - 68 -
Bruder, dass sie bald damit fertig sei. Auf Moms neugierigen Blick hin erzählte sie ihr, dass sie und T. J. vorhätten, sich in Stars Hollow ein Haus zu kaufen. »Ihr beide zieht nach Stars Hollow?«, fragte Mom erfreut. »Nein«, antwortete Luke rasch – allerdings beachtete ihn niemand, und Liz erzählte, dass es ein paar tolle Häuser gäbe, die zum Verkauf stünden. »Das stimmt gar nicht. Die sind schon verkauft«, ließ sich Luke mürrisch vernehmen. Liz winkte ab und widmete sich wieder Mom. »Und einige Läden wären auch bereit, meinen Schmuck in Kommission zu nehmen, weißt du? Ich hätte so gern ein Haus mit ‘nem Zaun und ‘nem Garten …« Liz’ Augen strahlten, und man merkte ihr an, dass es wirklich ein großer Wunsch von ihr war. »Keine Gärten!«, rief Luke. »Die haben wir alle asphaltieren lassen.« So ging das noch eine Weile weiter. Luke ließ nichts unversucht, seine Schwester davon zu überzeugen, dass es keine gute Idee war, nach Stars Hollow zu ziehen, bis sich irgendwann Mom einschaltete und sich auf Liz’ Seite stellte. »Luke, hör auf«, meinte sie. »Es ist doch schön, die Verwandten in der Nähe zu haben.« »Klar, jeder weiß doch, wie sehr du die Nähe deiner Verwandten schätzt!«, giftete Luke und erkundigte sich dann, was Mom gerne hätte. Sie blätterte daraufhin gelangweilt in der Karte herum und erklärte dann schnippisch, dass da nichts Tolles drin stünde. Als kleine Rache für seine Anspielung auf ihr Verhältnis zu ihren Eltern sozusagen. Liz, die merkte, dass sich zwischen den beiden ein gereizter Ton entwickelt hatte, schlug vor, dass Luke Mom doch Gumbo machen sollte. Mom sah erstaunt auf. Das war ja was ganz Neues. Sie hatte Luke noch nie Gumbo machen sehen.
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»Tortillas backt er auch selbst«, erklärte Liz. »Und Knoblauchsuppe und Paella! Aber ‘ne Zeit lang hat er auch nur Lasagne gemacht. Er war geradezu besessen davon, ständig auf der Suche nach dem richtigen Rezept. Lief mit ‘ner Schürze um die …« »Lass das, Liz!«, bremste Luke seine Schwester. »Noch wohnst du nicht hier.« »Schon gut«, meinte Liz und erhob sich. »Ich muss jetzt sowieso los. T. J. und ich sind nämlich beim Makler verabredet.« Sie umarmte Lorelai und machte sich dann auf den Weg. Als sie weg war, sah Mom Luke mit leisem Vorwurf an. »Du hast mir da was verschwiegen.« »Was?«, fragte Luke. Er hatte keine Ahnung, was Mom meinte. »Ähm, Paella, Gumbo, Lasagne-König?« »Tja, ich hab eben viele Talente, alles klar?« Luke grinste sie an und polierte weiter Gläser. »Ich weiß«, grinste Mom anzüglich. »Zum Beispiel, wie du es schaffst, den Mountie-Hut auf dem Kopf zu balancieren, während wir …« Natürlich hatte sie sich die Geschichte mit dem Mountie-Hut nur ausgedacht. Luke besaß überhaupt kein solches Exemplar. Umso mehr schien sie die Vorstellung zu amüsieren. »Hör zu, wenn du diese Mountie-Hut-Witze weiter reißt, glaubst du irgendwann noch selbst dran«, bemerkte Luke trocken. Mom nickte. »Also, ich bin schwer beeindruckt, oder ich wär es zumindest, wenn ich irgendeinen Beweis für deine sagenhaften Kochkünste hätte.« »Okay«, meinte Luke. »Ich werde dir das unglaublichste Menü deines Lebens kochen. Lass das mit den MountieWitzen, und die Sache steht dieses Wochenende.« »Gut«, grinste Mom. »‘n Muffin zum Mitnehmen.« - 70 -
»Geht klar.« Luke nahm einen Muffin und packte ihn ein – aber gerade als er ihn Mom reichte, fiel ihm ihr starrer Blick auf, mit dem sie ihn ansah. Starr und amüsiert. Er wusste, was das bedeutete. »Du stellst dir immer noch vor, ich hätte ‘n Mountie-Hut auf, oder?« Er wartete kurz ab, bis Mom nickte. Dann wollte er wissen, wie er damit aussähe. »Hm, sag ich dir am Wochenende«, grinste Mom, erhob sich und machte sich auf zum Hotel, wo sie sich endlich blicken lassen musste. Luke sah ihr bewundernd hinterher – kein Wunder: Mom trug die knackigste Jeans von ganz Stars Hollow. Mindestens. Und wenn es sich jemand leisten konnte, so etwas zu tragen, dann sie. Gerade, als sie das Cafe verließ, trat jemand anderes ein. Es war Kyon, die Austauschstudentin aus Seoul, die in ihrer dunkelblauen Tracht mit hochgeschlossener Bluse genauso aussah wie Lane, bevor sie in die Freiheit, also in die WG gezogen war. In der Hand hielt sie einen Packen Zettel mit religiösen Texten, die sie im Cafe verteilen sollte und die selbstverständlich aus dem Bibelkreis von Mrs. Kim, Lanes Mutter, stammten. »Du darfst deine Handzettel hier nicht aufhängen. Es wundert mich, dass meine Mutter das gesagt hat, aber es geht nicht!«, rief Lane, die im Cafe arbeitete. »Also stell dich an ‘ne Straßenecke, so wie ich, als ich zwischen sechs und vierzehn war. Los!« Sie wartete darauf, dass Kyon sich in Bewegung setzte, aber die dachte anscheinend nicht daran, sondern starrte betrübt auf ihre Fußspitzen. »Was?«, fragte Lane ungeduldig. »Ich hab solchen Hunger«, jammerte Kyon plötzlich los. »Es gibt nur Leinsamen-Muffins diesen Monat. Morgens Leinsamen-Muffins, und abends gibt’s das Gleiche. Ich bin schon zu schwach, um mir die Zähne zu putzen.« »Okay«, meinte Lane. »Komm mit.« Sie stand Kyon zwiespältig gegenüber. Auf der einen Seite war sie sauer auf sie, denn sie sah in ihr eine Konkurrentin, was die Zuneigung ihrer Mutter anging. Auf der anderen Seite tat sie ihr Leid, - 71 -
denn sie saß gerade in der gleichen Falle, in der Lane selbst achtzehn Jahre lang gesessen hatte – bis ihr Doppelleben aufgeflogen war und ihre Mutter sie rausgeschmissen hatte. Als Lane feststellte, dass das Mitleid überwog, fasste sie den Entschluss, Kyon zu helfen. Sie nahm sie am Arm und führte sie zur Theke. »Nicht so schnell, bitte«, jammerte Kyon mit tonloser Stimme. Sie sah wirklich sehr blass aus und war ganz kurzatmig. Das Leinsamen-Programm war wohl nicht gut für ihre Konstitution. »Sie macht sogar Leinsamen-Hackbraten. Und der hält ziemlich lange vor«, erzählte Kyon weiter und machte große Augen, als ihr Lane einen Teller Pommes vor die Nase stellte. »Was ist das?«, wollte sie erschrocken wissen. »Pommes«, erklärte Lane und wartete ab, wie sie Kyon schmecken würden. Doch so einfach war das nicht. Schließlich hatte Kyon schon viel Schlechtes gehört über diese Speise. »Aber Mrs. Kim sagt, Pommes sind die fettigen Finger des Teufels!«, rief Kyon erschrocken. »Sie sind heiß und lecker und enthalten garantiert keine Leinsamen«, hielt Lane dagegen. »Aber das ist eine Einstiegsdroge und verleitet zu härteren Sachen: Pizza, haufenweise Popcorn, verschiedene Schokoriegel, frittierte –« Kyon stockte, denn Lane hatte damit begonnen, mit dem Pommesteller kreisende Bewegungen unter Kyons Nase zu vollführen, sodass der Duft hochstieg und seine Wirkung bei der ausgehungerten Kyon in rasender Geschwindigkeit entfaltete. »Mhmmm«, schnupperte sie und biss vorsichtig die Hälfte eines Teufelsfingers ab. Und dann war es um Kyon geschehen. Ein Pommes nach dem anderen fand den Weg in ihren Mund. »Willkommen in Amerika!«, lächelte Lane und machte sich dann wieder an die Arbeit.
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Am nächsten Mittag war ich wie so oft mit Paris in der UniMensa. Wir waren spät dran, und es war ziemlich wenig los, sodass wir keine Probleme hatten, einen freien Tisch zu bekommen. Wir waren beide recht hungrig und ließen es uns schmecken, während ich gerade von einem bescheuerten Tutor berichtete, der völlig anderer Meinung als der Professor war und mich damit total verwirrte. Irgendwann merkte ich, dass Paris ständig an mir vorbeischaute. Offensichtlich ging hinter meinem Rücken irgendetwas vor … Mitten im Satz brach ich ab und fragte sie, was eigentlich los sei. »Der Kerl, der da hinten sitzt, glotzt mich an«, erklärte sie missmutig und stocherte in ihrem Essen. »Welcher Kerl?«, fragte ich und drehte mich reflexartig um. Ich blickte auf zwei Professoren, beide deutlich über sechzig. Die konnten doch wohl nicht gemeint sein, oder? »Der in dem weihnachtsmannroten Pulli«, zischte mir Paris zu. Also doch. »Professor Prady?«, fragte ich und blickte noch mal den älteren Herrn mit grauem Rauschebart an. »Scht«, machte sie. »Er hört dich.« »Du denkst, Professor Prady glotzt dich an?« Paris schnaubte verächtlich. »Es ist mehr als nur das Rüberglotzen!« Sie stöhnte auf. »Gott, ist das ätzend! Seit sich rumgesprochen hat, dass ich mit Asher zusammen war, denkt jeder Prof über fünfzig, ich wär leicht zu haben.« »Paris«, meinte ich. »Ich glaub nicht, dass er hinter dir her ist.« »Sei nicht so naiv«, antwortete sie. »Der leckt sich praktisch doch schon die Lippen. Da schläft man mit einem alten Knacker und ist so was wie Catherine Zeta-Jones.« Das Klingeln meines Telefons machte unserem Gespräch ein Ende – worüber ich ehrlich gesagt ganz froh war. Es war Grandma, und sie rief nicht alleine an. Sie war mit Grandpa zusammen! Das hatte es seit Monaten nicht mehr gegeben! - 73 -
Beide befanden sich im Arbeitszimmer meines Großvaters, nur um mit mir per Freisprecher telefonieren zu können. Ich traute meinen Ohren kaum. Noch weniger, als ich feststellen musste, dass die beiden ganz offensichtlich allerbester Laune waren. Hatten sie sich etwa endlich wieder versöhnt? Nachdem die Begrüßung gelaufen war und beide mir versichert hatten, wie hervorragend es ihnen ging, kam Grandma auf den Grund des Anrufs zu sprechen. »Rory, entschuldige, dass wir dich in der Uni stören, aber nächsten Freitag wollen dein Großvater und ich bei uns zu Hause ein kleines Yale-Ehemaligentreffen veranstalten. Deswegen fällt unser Freitagsessen diese Woche leider aus.« »Und wir haben das neulich völlig vergessen zu erwähnen«, ergänzte Grandpa. »Nichtsdestoweniger haben wir gedacht, du hättest vielleicht Lust zu kommen«, zwitscherte Emily, und Richard erklärte, dass sich die Ehemaligen doch immer sehr freuen würden, neue »Yalies« kennen zu lernen. Darüber hinaus, erklärte er, wollten er und Emily nur zu gern vor ihren Freunden mit mir angeben. Er lachte laut auf, und Emily stimmte fröhlich mit ein und gab ihm Recht. »Vielleicht knüpfst du auch ein paar neue Kontakte, die dir später von großem Nutzen sind«, sprach Richard weiter. »Ach, bitte komm doch!«, flötete Emily. »Wir können nicht eine Woche auf unsere Rory verzichten. Ich versprech’ dir auch, es gibt kein Hühnchen.« »Oder Steak am Stiel!«, rief Richard, und beide brachen in schallendes Gelächter aus. Innerlich jubelte ich. Sie hatten sich offensichtlich versöhnt. Es gab keine andere Erklärung! Und natürlich versprach ich mein Kommen. Bevor wir auflegten, erkundigte ich mich noch rasch, wie fein es zugehen würde und was ich anziehen sollte.
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»Ach, einfach irgendein hübsches Kleidchen!«, rief Emily herzlich, und Richard riet mir, auf jeden Fall mein Gesicht mitzubringen. »Ich glaub, das ist festgewachsen«, antwortete ich und fragte mich, ob meine Großeltern vielleicht irgendwelche Glücklichmacher genommen hatten … »Und, Rory, ich weiß, für gewöhnlich kommst du erst um sieben, aber schaffst du es stattdessen schon gegen sechs?«, erkundigte sich Grandma zum Schluss. »Ja, geht klar«, meinte ich, dann verabschiedeten wir uns und ich legte auf. Kaum hatte ich das Handy weggesteckt, warf Paris die Serviette auf ihr Essen und stand abrupt auf. »Oh, verdammt«, stöhnte sie. »Dean Treadwell ist eben erschienen. Schon die ganze Woche verschlingt er mich mit den Augen.« Sie machte auf dem Absatz kehrt und verließ den Speisesaal, so schnell sie konnte. Ich guckte ihr verdutzt nach und drehte mich dann um. Dean Treadwell war ungefähr einsfünfzig groß und etwa fünfundachtzig Jahre alt. Ein kleines, zerbrechliches Männchen, das mühevoll einen Fuß vor den nächsten setzte. Und der sollte ein sexbesessener Lüstling sein? Manchmal zweifelte ich ernsthaft an Paris Verstand, und genau jetzt war so ein Moment … Ich aß in Ruhe meinen Teller leer und rief dann, als ich draußen über den Campus zu meiner nächsten Vorlesung lief, Mom an, um ihr von Freitagabend und der Einladung zu erzählen. »Also, du bist fein raus«, meinte ich, als ich sie am Apparat hatte. »Freitag geben Grandma und Grandpa ‘ne große Party für ihre ehemaligen Kommilitonen. Du bist frei wie ‘nVogel.« »Wow, ein Freitagabend ohne meine Mutter!«, rief Mom hocherfreut. »Ich weiß nicht, ob ich das ertrage. Du musst vorbeikommen, mir pfundweise Hering eintrichtern und mir sagen, wie sehr ich dich immer enttäuscht hab. Hey, wollen wir uns ‘n Film ansehen?« - 75 -
»Geht nicht«, meinte ich. »Ich muss zu der Party. Sie haben mich gebeten.« Mom erklärte sich natürlich sofort bereit, mich rauszuboxen und wollte gerade Strategien entwickeln, wie ich am besten um die Party herumkommen würde, aber ich erklärte ihr, dass das nicht nötig sei und dass ich vorhatte, die Einladung anzunehmen. »Red keinen Schwachsinn!«, erklärte Mom resolut. »Du fühlst dich doch verpflichtet. Das ist was ganz anderes. Sie wollen dich nur manipulieren!« Ich grinste. Mom hatte anscheinend nicht begriffen, weshalb ich so guter Dinge war, und ich betonte noch mal, dass Grandma und Grandpa die Party zusammen geben würden. »Sie, beide zusammen, alles klar? Sie haben mich gemeinsam angerufen und hatten den Freisprecher an. Das bedeutet, sie waren zusammen im selben Zimmer, zur selben Zeit.« Mom roch den Braten. Sie hatte das untrügliche Gefühl, dass das eine fiese Falle war. »Du willst also sagen, sie waren zusammen?«, wiederholte sie. »Und da läuten keine Alarmglocken bei dir?« »Vielleicht haben sie sich vertragen.« »Das würden sie uns wohl erzählen!«, rief Mom. »Die Trennung haben sie uns auch verschwiegen.« »Ja, aber nur weil das was Schlechtes war!«, erklärte Mom. »Meine Schwangerschaft haben sie bis zum achten Monat verschwiegen. Mom bekam dauernd Diät-Tipps von Freundinnen.« Mom stöhnte auf bei diesen Erinnerungen. Aber als sie merkte, dass sie mich nicht davon abbringen konnte, auf die Party zu gehen, gab sie auf. »Na gut. Sieh zu, dass Grandpa und seine Freunde dich nicht zwingen, Whiffenpoof-Songs zu singen«, meinte sie und wir verabredeten, dass ich nach der Party zu Hause bei ihr schlafen würde, sodass wir uns auf jeden Fall am Samstag sehen würden.
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5 Am Freitag beging ich eine kleine Dummheit. Ich hatte solche Sehnsucht nach Dean, dass ich von Yale aus zu ihm brauste – nur um mit ihm die Mittagspause bei Taylor Doose zu verbringen, wo er an diesem Tage arbeitete. Und ich machte das, obwohl wir uns am Abend sowieso sehen wollten. So etwas macht man entweder dann, wenn man superfrisch verliebt ist und keine Sekunde ohne den anderen sein kann – oder aber, wenn man ein wenig verzweifelt ist, weil man sich tatsächlich kaum mehr sieht und Sorge hat, dass man sich irgendwie entfremdet. Ich glaube, es war bei mir Letzteres, doch ich redete mir ein, dass es Ersteres war. Wie auch immer, pünktlich um zwölf Uhr saß ich im schäbigen Angestelltenraum von Doose’s und wartete auf Dean, der uns Lunch besorgen wollte. »Okay«, meinte er als er mit vollen Händen zurückkam und sich neben mich setzte. Er lud alles auf den Tisch und hob eines nach dem anderen hoch. »So, wir haben heute als kleine Überraschung eine Auswahl an Sandwiches. Alle halbwegs frisch, wenn auch leicht lädiert, denn nur so bekomm ich den Angestelltenrabatt von achtzig Prozent, den Taylor großzügig gewährt.« Ich sah mit mäßiger Begeisterung auf die Fülle an Plastikverpackungen mit zweifelhaftem Inhalt. Das Essen in der Yale-Mensa sah auf jeden Fall besser aus, und ich stellte fest, dass Taylor ein wahrer Menschenfreund sei. Dean nickte und erklärte mir dann, was er alles dabei hatte. »Wir haben hier einen matschigen Hühnersalat, und das ist ramponierter Thunfischsalat. Oder Schinken, der allerdings auch schon mal bessere Zeiten gesehen hat … und irgendwas Graues.«
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»Tu das weg«, bat ich schnell, schließlich hatte ich nicht vor, mir eine Lebensmittelvergiftung einzufangen. Dann nickte ich mit gespielter Anerkennung. »Das ist ja wirklich ‘n üppiges Mahl, das du zusammengestellt hast.« »Tja, wer mit ‘ner Elitestudentin geht, der muss sich ins Zeug legen, stimmt’s?«, grinste er und hob eine weitere Tüte hoch. »Chipskrümel?« »Ja, bitte!«, rief ich. Zwar war das ein Lunch, der selbst mir ein wenig zu ungesund war – aber immerhin waren die Chips nicht abgelaufen. »Ich find’s schön, dass wir uns heute sehen«, erklärte Dean nach einer Weile. »Wir sehen uns im Moment für meinen Geschmack zu selten.« Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Klar sahen wir uns zu selten – aber an mir lag das, wenn überhaupt, nur zur Hälfte. Er hatte kein Auto, und er hatte vier Jobs. »Aber wir sind doch jetzt hier, oder?«, meinte ich und aß ein paar Krümel. Dann erkundigte ich mich, ob er meinen Artikel gelesen hätte. Ich war nämlich furchtbar stolz auf mich, die Reportage über die Life and Death Brigade fertig gestellt zu haben. Dean wusste erst nicht, welchen ich meinte, was ich ein wenig komisch fand, aber als ich ihm dann erklärte, um was es ging, nickte er schnell. »Oh ja. Sicher.« Ich wartete, weil ich dachte, dass er mehr dazu sagen wollte – aber es kam nichts nach. »Findest du ihn gut?«, hakte ich deshalb nach. »Ja, natürlich«, meinte Dean. »Ich finde alles gut, was du schreibst.« Ich fand das ein zweifelhaftes Kompliment, denn ich wusste, dass ich natürlich noch lange nicht die perfekte Journalistin war. Was ich also brauchte, war kein halbherziges Lob, sondern konstruktive Kritik, und deshalb ließ ich auch nicht locker. »Ist eigentlich meine Beschreibung interessant genug? - 78 -
Ich hab versucht, objektiv zu sein, bis zu einem gewissen Grad. Aber es ist doch eine Reportage, weißt du? Daher hab ich mich um eine persönliche Note bemüht.« »Ich fand ihn einfach gut«, antwortete Dean ausweichend, ohne mich anzusehen. So langsam hatte ich einen Verdacht. Dean log mich gerade an! Er hatte den Artikel überhaupt nicht gelesen! Anders konnte ich mir diese Pauschalurteile und seine Wortkargheit nicht erklären. Ich merkte, wie eine große Enttäuschung in mir hochstieg. Dieser Artikel war mir so wichtig gewesen! Ich hatte ihm davon erzählt! Um ganz sicher zu gehen, gab ich ihm noch eine letzte Chance, meinen Verdacht auszuräumen. »Ist dir nichts Spezielles aufgefallen?«, fragte ich. »Du bist die Autorin«, antwortete Dean. »Ich kann solche Sachen nicht kritisieren. Ich kann dazu nur sagen: Ich fand ihn interessant.« Jetzt war ich mir ganz sicher. Er hatte ihn nicht gelesen! »Das ist wohl das Wichtigste«, meinte ich deshalb kurz angebunden und versuchte meine Enttäuschung hinunterzuschlucken. Vielleicht hatte er einfach so viel zu tun gehabt, dass er nicht dazu gekommen war. Ich hätte es zwar dann besser gefunden, wenn er es zugegeben hätte – aber ich beschloss, ein Gespräch darüber nicht jetzt zu beginnen. Sicher war seine Mittagspause bald zu Ende, und heute Abend würden wir uns ja sowieso sehen. Sicher war es vernünftiger, ihn später darauf anzusprechen. Ich fragte ihn, wie wir es heute Abend halten wollten, und erzählte ihm meinen Plan. »Okay«, begann ich. »Ich fahr etwa gegen sechs zu meinen Großeltern. Ich hab gedacht, ich geh kurz rein, mach die Runde, ess ‘ne Käsetasche oder so was, und um halb neun treffen wir uns dann draußen vor dem Haus. Wir könnten in Hartford ins Kino gehen, oder so.« »Nein, ich will nicht, dass du so früh von der Party deiner Großeltern verschwindest, wenn sie dir wichtig ist.« - 79 -
»Hey, willst du dich etwa nicht mit mir treffen?«, lächelte ich. »Das weißt du genau«, erklärte Dean. Ich war zufrieden. »Also gut. Dann wär die Sache ja geklärt!«, meinte ich. »Halb neun vor dem Haus. Ich bin die in dem Partykleid, die ‘ne Jeans in der Tasche versteckt. Dann brauch ich zwar ‘ne ziemlich große Tasche, aber ungewöhnliche Umstände erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. Okay?« Ich wartete, bis Dean zustimmend lächelte, und wollte dann wissen, wie viel Zeit uns noch blieb. Dean sah auf die Uhr. »Noch vierzehn Minuten, dann ist die Mittagspause vorbei.« »Also dann, cheers.« Ich hob meine Cola hoch, und wir stießen mit unseren Plastikbechern an. Am Abend würde ich mit Dean sprechen – das nahm ich mir ganz fest vor. Nachdem Kyon erst einmal auf den Geschmack von Pommes gekommen war, kam sie ziemlich regelmäßig in Lukes Cafe. Eigentlich immer dann, wenn Lane arbeitete. Dann bekam sie von ihr Pommes in allen möglichen Variationen. Mit Ketchup, mit Käse oder mit Zwiebeln – Kyon wurde zur richtigen Pommes-Expertin ausgebildet. Warum Lane das machte, war auf den ersten Blick vielleicht nicht so recht ersichtlich – auf den zweiten allerdings schon. Kyon tat ihr wirklich Leid. Sie erinnerte sie an sich selbst, als sie sich noch nicht aus den Klauen des Adventisten-College, der ständigen Betkreise und der übertriebenen Frömmigkeit ihrer Mutter gelöst hatte. Lane wollte Kyon befreien. Und vielleicht auf diese Weise eine Verbündete gewinnen, die ihr dabei half, mit ihrer Mutter irgendwann einmal wieder zu einem besseren Verhältnis zu gelangen. Jedenfalls hatte Lane vor ein paar Tagen im Cafe von Zack Besuch bekommen, während Kyon an einem der Tische saß, Pommes aß und ansonsten alles ganz genau beobachtete. Dabei gab es eigentlich gar nicht viel zu beobachten: Lane war Zack - 80 -
nur um den Hals gefallen, als dieser ihr erzählte, dass er Karten für ein Konzert ergattert hatte, zu dem Lane unbedingt gehen wollte. Wie gesagt: Es war eine Umarmung, nicht mehr – aber das reichte, um Zack in eine ganz schön verzwickte Situation zu bringen: Wie so oft hatte er sich nachmittags auf den Weg gemacht, um im Zeitungskiosk von Amir ein wenig in den Musikzeitschriften zu blättern. Zwar kaufte er nie eine, denn bekanntlich war er nie flüssig – aber er las sie dort und war deshalb immer bestens informiert. Da er mit Amir aber noch nicht einmal befreundet war, stand Amir Zacks Lesegewohnheiten selbstverständlich nicht sonderlich positiv gegenüber. Im Gegenteil: Er hatte die Nase voll. Wenn sich alle Leser so verhalten würden wie Zack, dann konnte er nämlich seinen Kiosk dichtmachen, das war klar. Zack war sich dessen nicht im Mindesten bewusst. Wie auch? Er hatte sich darüber noch nie Gedanken gemacht. Jetzt allerdings machte er sich Gedanken darüber, wo sein Magazin geblieben war. Er hatte die ganze Auslage abgesucht – von dem Magazin aber fehlte jede Spur. »Hey, Amir. Wo ist das Gitarrenmagazin? Ich hab’s noch nicht ganz durchgelesen«, fragte Zack ohne eine Spur von schlechtem Gewissen. »Erst kaufst du’s, dann liest du’s«, antwortete Amir erbost. Zack glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen, und fragte Amir, was das denn plötzlich für ‘ne miese Masche wäre. »Das werd ich dir sagen: Du bist hier an ‘nem Kiosk, wo man nicht den ganzen Tag rumhängt und Zeitschriften liest, anstatt sie zu kaufen, klar?« »Das ist ‘ne verflucht lange Erklärung für deine Masche, Kumpel«, meinte Zack beleidigt und wollte gerade seinerseits zu einer langen Erklärung ansetzen, als er von einer plötzlich auftauchenden Furie vehement daran gehindert wurde. Die Furie war ungefähr fünfundvierzig Jahre alt, trug einen - 81 -
schlichten beigefarbenen Mantel und hatte pechschwarze glatte, halblange Haare, die ihr asiatisches Gesicht umrahmten. Jetzt allerdings war das Gesicht mehr eine wilde Grimasse der Rache. Und bei der Furie handelte es sich um niemand Geringeren als um Mrs. Kim höchstpersönlich. »Du! Du dreckige, verdorbene Teufelsbrut! Du wirst noch dafür büßen! Du wirst dafür in der Hölle schmoren! Du wirst im Sumpf mit den Höllenhunden versinken! Sie werden sich an deinen Eingeweiden laben!« Die zierliche Frau stieß ihre Verwünschungen in einer Lautstärke aus, die Tote aufweckte. Sie war außer sich vor Zorn und blass vor Wut. Zack stand nur da, mit offenem Mund und völlig perplex. Er war sowieso kein Meister der Kommunikation mit dem weiblichen Geschlecht. Diese Situation allerdings hätte wahrscheinlich nicht nur ihn überfordert. »Äh, geht es hier um die Zeitschrift?«, fragte er vorsichtig. »Sie ist so unschuldig, und du bist ein wildes, schmutziges Schwein! Ich weiß, was du so alles machst. Meinst du, du kannst mir das verschweigen? Meinst du, du kannst deine dreckigen Pläne in die Tat umsetzen, ohne dass ich’s erfahre?!« Mrs. Kims Augen sprühten Blitze, und ihre Hände gestikulierten eindrucksvoll. Sie war tatsächlich zum Fürchten. »Ich hab echt keine Ahnung, wovon Sie reden«, stammelte Zack. »Ich hab davon gehört. Sie hat’s mir erzählt. Sie hat mir berichtet, dass du Lane angefasst hast. Du hast also Lane angefasst, meine Lane!«, schrie Mrs Kim weiter, und das womöglich noch lauter als vorher. »Und ich schwöre bei Gott, dass du dafür bestraft wirst! Eben das passiert mit allen Schweinen, die des aufrechten Ganges mächtig sind!« Mit diesen Worten warf sie Zack noch einen Blick zu, der ihn auf der Stelle hätte tot umfallen lassen müssen – wenn das mit Blicken tatsächlich möglich wäre. Dann machte sie auf dem
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Absatz kehrt und war so schnell verschwunden, wie sie gekommen war. Zack sah ihr erschrocken nach. So etwas hatte er noch nie erlebt. Ihm war ganz schlecht. Er war in seinem ganzen Leben noch nie verwünscht worden – und obwohl er schon lange keine Kirche mehr von innen gesehen hatte, steuerte er jetzt eine an. Als Vorsichtsmaßnahme, gewissermaßen, um die Verwünschung vielleicht noch abwenden zu können. Als Lane am Abend nach Hause kam und ihn nichts ahnend mit einem Kuss begrüßen wollte, zuckte er regelrecht zurück, als hätte sich ihm eine Viper genähert. »Schön, dass du da bist!«, meinte sie. »Wollen wir übers Essen reden?« »Klar«, lachte Zack trocken auf. »Oder darüber, dass mich deine Mom heute angegriffen hat.« Er machte eine kurze Pause und nickte heftig mit dem Kopf. »Am helllichten Tag steh ich draußen auf der Straße, und alles ist schön, aber dann, wham, stürzt sie sich auf mich und kreischt rum wie ‘ne Furie! Sie hat mich verflucht, Lane!« Lane saß nur da und starrte ihn an. Sie begriff überhaupt nicht, was los war. Warum war ihre Mutter auf Zack losgegangen? »Was ist daran so unverständlich?«, fragte Zack. »Sie hat davon gefaselt, dass ich im Höllenfeuer schmoren und im Sumpf des Satans versinken soll, und alle Höllenhunde sollen mich fressen. Ich kann nur sagen, das klang übel.« »Ich versteh das nicht. Warum sollte …« »Na, weil sie ‘s weiß, okay? Sie weiß und sieht alles! Gerade dir sollte das doch klar sein. Sie weiß das mit dir und mir, und dafür wünscht sie mich zur Hölle!« Zack schüttelte wieder den Kopf. Die Erinnerung übermannte ihn, und er knickte richtig in sich zusammen. »Das find ich gar nicht cool. Das ist nicht Rock’n’Roll«, jammerte er. »Ich steh nicht auf Eltern. Ich bin nicht so einer. Und mich stellt man auch nicht seiner Mom vor, - 83 -
auf keinen Fall, okay? Ich bin der Typ, der sich auf dem Rücksitz oder im Schrank versteckt oder durchs Fenster verschwindet.« »Es tut mir Leid, Zack«, erklärte Lane. Sie war genauso schockiert wie Zack und fragte sich, wie das passieren konnte. Sie hatte ihre Beziehung zu Zack doch geheim gehalten, oder? Lane dachte fieberhaft nach, wie ihre Mutter davon erfahren haben könnte – und dann hatte sie’s. Es war Kyon! Es musste Kyon gewesen sein. Kyon hatte ihrer Mutter gepetzt, dass sie Zack in Luke’s Diner um den Hals gefallen war. »Ich weiß, wer’s ihr gesteckt hat!«, rief sie. Doch Zack hörte ihr gar nicht zu. Die Verwünschungen machten ihm mehr zu schaffen, als ihm lieb war. »Ich kann das alles nicht«, jammerte er weiter und hielt sich den Kopf, als ob er starke Schmerzen hätte. »Durchgeknallte, gefährliche kleine Frauen, die mich auf der Straße anschreien …« »Zack, es tut mir Leid. Ich versprech dir, das kommt nie wieder vor. Ich werd das ganz schnell regeln«, fiel ihm Lane ins Wort. »Was ist mit den Höllenhunden? ›Die Höllenhunde‹ ist ‘n cooler Bandname, aber mehr Positives fällt mir dazu nicht ein.« Lane musste lächeln. »Das mit den Höllenhunden werd ich auch regeln. Sieh es als erledigt an«, sagte sie. Dann wurde sie wieder ernst, denn eigentlich war überhaupt nichts lustig. Sie hatte eine Natter an ihrem Busen genährt! So würden es jedenfalls romantische Poeten beschreiben. Sie hatte Kyon vor dem Verhungern durch Leinsamen bewahrt und sie mit Pommes in allen Variationen aufgepäppelt, und was war der Dank? Verrat! Sie wusste, was sie zu tun hatte. Sie würde diese Natter zur Rede stellen! Und mit den fettigen Fingern des Teufels hatte sie ein gutes Druckmittel!
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Luke war mit seinen Kochvorbereitungen gerade fertig geworden, als es auch schon an der Tür klopfte und er sich die Hände abwischte, um zu öffnen. Als er Lorelai in einer supersexy Zimmermädchenverkleidung vor sich stehen sah, musste er grinsen. Anscheinend plante sie ihr ganz besonderes Dessert. »Bonjour«, flötete sie und trat ein. »Was soll das?«, fragte er und blickte sie bewundernd an. Lorelai grinste. »Du brauchst nicht zu denken, dass ich heute hier aufräume. Das scheint bloß so.« Sie legte ihre Tasche ab und den Feudel beiseite. Dann gab sie Luke einen Kuss. »Mann, hier duftet’s aber irrsinnig gut!«, erklärte sie. »Was gibt’s denn alles?« Luke stemmte die Arme in die Hüften und betrachtete mit stolzgeschwellter Brust sein Werk. »Lamm und Artischockeneintopf, Penne mit Pesto und Parmigiano, dann Knoblauch-Rosmarin-Focaccia, Tomaten, gefüllt mit Semmelbröseln und Ziegenkäse. Ach ja, und RicottaKäsekuchen mit Amarettokeksen nachher zum Kaffee.« »Der perfekte Mann«, strahlte Mom. »Eigentlich dachte ich ja immer, das sei Paul Newman, aber das ist nicht wahr. Du bist das.« »Danke sehr«, freute sich Luke. »Willst du ‘n Glas Wein?« »Ja, bitte.« Lorelai kramte in ihrer Tasche und hielt zwei Kerzen in die Höhe. Sie hatte sie mitgebracht, weil sie wusste, dass sie in Lukes Haushalt vergeblich danach suchen würde. Sie konnte zwar nicht kochen, aber sie war eine Meisterin darin, eine schöne Stimmung zu schaffen. »Ich hab hier etwas fürs Ambiente, schöne schlanke Kerzen«, erklärte sie und steckte sie in die mitgebrachten Kerzenleuchter. Dann breitete sie die Arme aus und seufzte glücklich. »Oh, mein Gott, ist das schön! Ich meine, abgesehen davon, dass du heute für uns kochst, ist das der erste Freitag seit vielen Monaten, an dem ich nicht bei meinen Eltern hocke. Und diese Tatsache gibt mir ein - 85 -
Gefühl der Freiheit und wärmt mir das Herz. Wenn also durch einen dummen Zufall dein Menü danebengeht, wird es mir nicht auffallen.« Luke lächelte sie an und hob das Glas. »Das ist ja gut zu wissen. Auf warme Herzen und die Freiheit!« »Wunderbar«, antwortete Mom glücklich und trank einen Schluck von dem leckeren Wein. »Du bist echt der perfekte Mann.« Sie genoss den Abend in vollen Zügen – und dabei war sie nicht die Einzige. Auch Luke war durch und durch zufrieden und glücklich. Zwischen Lorelai und ihm lief es hervorragend, es war die beste Beziehung, die er je gehabt hatte. Und der Abend heute versprach ganz besonders schön zu werden. Sie waren allein, sie hatten Zeit, sie hatten gutes Essen und guten Wein. »Hey, das ist ja das Besteck aus deinem Laden«, stellte Lorelai fest, die den Tisch deckte. »Du klaust einfach das Tafelsilber aus dem Laden?« Luke zuckte die Schultern. »Es ist mein Laden.« »Ja, aber so geht das nicht. Du solltest dir ‘n paar Grenzen setzen. Trenn Arbeits- und Privatleben. Das hier ist privat, aber das Besteck gehört zu deiner Arbeit. Ich werd’s deinem Seelenklempner sagen.« Luke wollte gerade etwas zum Thema Seelenklempner sagen, als es stürmisch an der Tür klopfte und jemand aufgeregt nach Luke rief. »Luke? Bist du da? Mach auf! Luke!« Es war T. J. Als Luke ihn an der Stimme erkannte, schwante ihm Böses. Der Abend würde anscheinend doch nicht so verlaufen, wie Lorelai und er es sich erhofft hatten. Widerwillig ging er zur Tür und öffnete. »Du bist da, wie schön!«, rief T. J. und trat mit weit ausholenden Schritten ein. »Sie ist deine Schwester, Luke, deine Schwester!« »Wa-Wa-Was soll das? T. J., jetzt ist wirklich nicht der – «
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»Ist dir klar, wie oft man mich vor der Ehe gewarnt hat?«, fiel ihm T. J. ins Wort. »Die haben gesagt: Frauen machen dich verrückt, die bohren sich in dein Gehirn, und dann kriegst du sie nicht mehr raus. Frauen sind Scheiße!« T. J. ging aufgebracht auf und ab und erblickte erst jetzt Lorelai. »Oh, hey, Lorelai«, meinte er. Sie sah ihn besorgt an. »Alles klar, T. J.?« T. J. sah verzweifelt aus der Wäsche, und Luke half ihm auf die Sprünge. »Ich nehme mal an, ihr habt euch gefetzt.« T. J. winkte ab. »Nicht nur so gefetzt, das war ‘n Monsterstreit, wie bei Jake LaMotta, nur dass ich das Blondchen bin, mit dem er verheiratet war. Man sollte meinen, ich hätte den Papst in Rom abgemurkst, so wie sie mich behandelt. Tut mir Leid, ich hab nicht gehört, dass sie ‘n Bier wollte. Es gibt schon Gründe, warum man bestimmte Radiosender einstellt und …« »Hör zu, T. J., sieh dir diesen Tisch da mit den Kerzen an. Es ist gerade ungünstig.« Luke war bereits auf hundertachtzig. Er hatte Stunden in der Küche gestanden, um Lorelai zu bekochen, und jetzt war dieser Vollidiot von Schwager in seiner Wohnung! Er glaubte es einfach nicht und fragte sich, wie er so dumm gewesen sein konnte, die Tür zu öffnen. T. J. warf nur einen Blick auf den Tisch. Aber was er sah, war ihm egal. Er war fertig mit der Welt und brauchte Trost und Unterschlupf und jemanden, bei dem er sich ausheulen konnte. Während Luke Mom Anweisungen gab, wie sie die Sauce umrühren sollte, erzählte T. J., was ihn bedrückte. »Sie ist verrückt, Mann. Sie dreht durch, und dann schreit sie mich an wie …« Er stockte fassungslos und setzte sich in die Ecke des Raumes. »Und wenn sie schreit, erreicht ihre Stimme Frequenzen, die nur so ‘n verfluchter Köter hören kann. Aber dabei ist ihr Gesicht so verzerrt und entstellt, dass ich sehe, sie hat die Frequenz erreicht. Das ist echt unglaublich. Darüber sollte man vielleicht ‘n Film drehen.« - 87 -
»Ähm, entschuldigt bitte«, warf Lorelai ein, die mit der Sauce ein wenig überfordert war. Kochen war einfach nicht ihre Stärke. Das war bei ihr ungefähr so wie bei Luke das Golfen … »Luke, kannst du mir sagen, wie schnell ich rühren soll?« »Sie darf nicht zu sehr andicken«, meinte Luke, sprang zu ihr und vergewisserte sich, dass mit der Sauce noch alles in Ordnung war. Dann sah er T. J. an. »Hör zu, es tut mir echt Leid, dass ihr Zoff hattet, aber ihr seid verheiratet. Du kannst nicht immer abhauen, wenn der Haussegen mal schief hängt. So, geh jetzt wieder zu ihr …« Jeder normale Mensch hätte spätestens jetzt begriffen, dass sein Bleiben nicht erwünscht war. Er hätte sich für sein Reinplatzen entschuldigt, wäre vielleicht eine Runde um den Block gelaufen und dann nach Hause zurückgekehrt. Aber T. J. war nun mal nicht »normal«. Er blieb. Er verschränkte wie ein trotziges Kind die Arme vor der Brust und schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht wieder zu ihr. Ich bin noch nicht so weit! Es ist noch zu frisch.« Er setzte sich und starrte auf den Boden. Luke sah ihn genervt an, während Mom etwas von Klümpchen in der Sauce berichtete. Sofort war Luke bei ihr und schaute sich das Desaster an. Die Sauce war geronnen. Er schüttete sie weg und machte sich daran, schnell eine neue zu zaubern. Als diese fast fertig war, beauftragte er Mom, noch ein wenig zu rühren, dann wandte er sich wieder T. J. zu und erklärte ihm, dass er nun endlich verschwinden sollte. T. J. saß immer noch in exakt derselben Position in der Ecke wie vorhin. »Gleich«, meinte er. »Ich will mich nur kurz erholen. Nur für ‘ne kurze Weile. Ich sitz hier ganz still. Ihr werdet nichts von mir mitkriegen. Leise wie ‘n Mäuschen.« »Ich glaub, ich krieg bald ‘n richtigen Tennisarm«, beschwerte sich Mom – und als Luke wieder zu ihr ging, hörten sie auf einmal Schluchzlaute. Sie kamen aus der Ecke, in der T. J. saß; und tatsächlich: T. J. hatte nun auch noch zu - 88 -
heulen begonnen. Moms Herz wurde sofort ganz weich und mitfühlend – aber bei Luke konnte er damit keinen Eindruck machen. »Er wird sich gleich beruhigen«, erklärte er unwillig und nahm dann einen großen Schluck Wein. Ich hatte mich an diesem Abend in ein hübsches Kleid geworfen, meine Jeans in eine Tasche gesteckt und war zu meinen Großeltern gefahren. Als ich pünktlich um achtzehn Uhr ankam, waren die Vorbereitungen in den letzten Zügen, und Grandma beaufsichtigte alles mit Argusaugen. Gerade stand sie neben einem jungen Mann, der damit beauftragt war, in der extra leer geräumten Vorhalle die Stühle aufzustellen. Er hatte es nicht leicht mit solch einer Auftraggeberin, denn natürlich hatte Grandma ständig etwas auszusetzen. »Die müssen weiter auseinander, damit man problemlos herumgehen kann!«, rief sie scharf. Dann beobachtete sie die Ausführung der Anweisung und verdrehte die Augen gen Himmel. »Nicht so weit, bitte, nicht ganz so weit, bitte! Gott, wenn jemand so viel Platz zwischen zwei Stühlen braucht, gehört er nicht auf eine Party, sondern aufs Laufband.« Als ich neben ihr auftauchte, veränderte sich ihr Verhalten schlagartig, und aus dem Drachen wurde die Liebenswürdigkeit und Güte in Person. »Rory! Du siehst reizend aus!«, rief sie und musterte mich von oben bis unten. Dann drehte sie sich zum nächstbesten Mann aus dem Catering-Team um und fragte ihn, ob er das nicht auch fände. Mir war das furchtbar peinlich, und ich war ganz froh, dass er Grandma anscheinend nicht gehört hatte, denn er gab keine Antwort. Aber ich hatte zu früh aufgeatmet, denn Grandma erhob ihre Stimme. »Finden Sie nicht auch!«, schrie sie zum zweiten Mal. Jetzt war ihre Stimme so laut, dass sie wirklich niemand überhören konnte. Der Caterer zuckte zusammen und blickte erschrocken hoch. »Ja, wirklich bezaubernd«, antwortete er schnell und machte dann, dass er davonkam. - 89 -
Grandma nahm mich bei den Händen und sah sich noch einmal mein Kleid an. »Ein hübsches Kleid, und so elegant.« »Danke, Grandma!«, lächelte ich und blickte mich dann um. »Hier sieht’s wunderbar aus.« Grandma winkte ab. »Entschieden zu viel Blau.« »Das ist ‘n Yale-Treffen. Da gibt’s nicht zu viel Blau«, erklärte ich und blickte dann Grandpa an, der sich lächelnd zu uns gesellte. »Rory! Du siehst umwerfend aus«, meinte auch Grandpa sofort, als er mich sah. Emily strahlte. »Ja, nicht wahr? Dieses Kleid ist himmlisch.« Sie lächelte glücklich und sah mich dann an, als hätte sie gerade eine tolle Idee. »Weißt du was? Meine Haarstylistin ist oben in meinem Zimmer. Geh doch mal rauf und lass dir eine hübsche Frisur von ihr machen.« »Meinst du?«, fragte ich irritiert. »Ja, wieso nicht?« Grandma nahm mich bei der Hand. »Komm, wir gehen schnell zu ihr rauf.« Im Gehen drehte sie sich noch mal zu Grandpa um. »Richard, könntest du …« Grandpa strahlte. »Ich hab hier unten alles im Griff.« Oben in ihrem Zimmer schien die Haarstylistin schon auf mich gewartet zu haben. Aber nicht nur sie. Es wartete noch eine andere Dame auf mich. Offenbar eine Visagistin, denn sie hatte jede Menge Puder, Pinsel, Lidschatten und Mascara bei sich. Als ich reinkam, wurde ich sofort auf einen Stuhl verfrachtet, und die Haarstylistin stürzte sich zuerst auf mich. Im Handumdrehen machte sie mir eine Audrey-HepburnFrisur. So eine kunstvoll hochgesteckte Angelegenheit wie in Frühstück bei Tiffany, und ich muss gestehen: Ich bin auch nur ein Mädchen, wenn es um so etwas geht, und als ich in den Spiegel sah, gefiel ich mir doch ziemlich gut. Es war das erste Mal, dass ich von einer Stylistin frisiert und von einer Visagistin geschminkt wurde, und, ja, ich gestehe: Ich genoss es. Nachdem mir zu Alabasterhaut und eindrucksvollem - 90 -
Augenaufschlag verholfen worden war, betrachtete Grandma das Werk mit kritischem Blick. Also mich. »Ja, das sieht gut aus. Und die Wimpern sind so schön«, lobte sie und lächelte voller großmütterlichem Stolz. Aber ganz zufrieden war sie noch nicht. »Noch einen Hauch mehr Rouge«, bestimmte sie. So langsam fragte ich mich, ob es nicht an der Zeit wäre, wieder hinunterzugehen. Sicher waren die ersten Gäste schon längst eingetroffen – doch Grandma schenkte meinen Bedenken nicht allzu viel Beachtung. Sie war voll und ganz damit beschäftigt, mich zu verschönern, und hatte dabei die Ruhe weg. »Ja. Nur noch einen Augenblick«, erklärte sie, kramte in ihrer Schmuckschatulle und hielt kurz darauf ein wertvolles, wunderschönes Brillantcollier in die Luft. »Das passt sicher.« Gesagt getan: Schon stand sie hinter mir und legte es mir um. Als ich den ersten Anflug von Widerstand leisten wollte, winkte sie rasch ab. »Diamantketten sind doch dafür da, dass man sie trägt«, bestimmte sie. »Sie nützen keinem, wenn sie in einer Schatulle rumliegen.« Als der Verschluss zu war, beugte sie sich zu mir herab und sah gemeinsam mit mir in den Spiegel. »Wunderbar. Gefällt sie dir?« »Ja, klar, sie ist traumhaft schön, aber …« »Du brauchst Ohrringe!«, bestimmte Grandma als Nächstes und nahm zwei wunderschöne Diamantohrringe in die Hand. »Dein Großvater hat mir diese Ohrringe gekauft, als wir zum ersten Mal in Dänemark waren. Er schwört, er hat sie von dem nichtsnutzigen Bruder des Königs, der sie der Königin geklaut hat. Hast du so was schon gehört?« Sie lächelte und wartete, bis ich die Ohrringe anhatte – und dann zog sie ihren ultimativen Trumpf aus dem Ärmel und reichte mir ein Diadem. Mit Diamanten. Es musste ein Vermögen gekostet haben, und ehe ich mich versah, hatte sie es mir aufs Haar gesteckt.
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»Grandma, soll ich all diesen Schmuck heute tatsächlich tragen?«, fragte ich. »Das war bestimmt alles furchtbar teuer, und wenn irgendwas passiert …« »Keine Sorge, es passiert schon nichts!«, erklärte Emily glücklich. »Du siehst genau so aus, wie ich meine Enkelin unseren Gästen gern zeige. Gehen wir? Es wird bestimmt ein wundervoller Abend.« Sie nahm mich bei der Hand und führte mich stolz die Treppen hinunter. Auf halbem Weg blieb sie stehen und betrachtete die Gäste. Das Foyer war schon voll – fast alle Gäste waren bereits gekommen. Ein zufriedenes Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht, dann holte sie tief Luft und erhob ihre Stimme. »Liebe Gäste, hier ist Rory!« Sofort drehten sich alle Anwesenden um und sahen mich an. Viele Aaahs und Ooohs deuteten darauf hin, dass ich wohl wirklich ziemlich hübsch aussah – und dennoch wäre ich am liebsten im Erdboden versunken. Solch ein Diadem hatte ich zuletzt mit vier getragen – damals, als ich noch mit Barbies gespielt hatte. Jetzt allerdings kam ich mir völlig overdressed vor. Und außerdem fühlte ich mich unwohl, so im Mittelpunkt zu stehen. Ich zupfte nervös an meinem Kleid, rückte immer wieder das Diadem zurecht und war ganz froh, als wir endlich unten waren und Grandpa auf uns zusteuerte. »Du siehst einfach königlich aus!«, rief er angetan. »Das liegt bestimmt an der Krone«, antwortete ich angespannt – doch meine Großeltern schienen mein Unbehagen nicht zu bemerken. Vielleicht ignorierten sie es auch einfach. »Emily, das hast du sehr gut gemacht«, lobte Grandpa seine Frau – was sehr selten vorgekommen war in der letzten Zeit, und dann machten sie sich daran, mich den Gästen vorzustellen … Bei den ersten drei Familien machte ich mir noch keine großen Gedanken – aber bei der vierten wunderte ich mich schon, dass es immer nur Familien mit Söhnen waren. Egal ob Andrew, Donnen oder Kip – ich wurde gnadenlos - 92 -
herumgeführt und sollte sie alle kennen lernen. Als ich in einem günstigen Moment meinen Blick schweifen ließ und tatsächlich nur Männer erblickte, begriff ich: Ich sollte verschachert werden! Das hier war ein Heiratsmarkt! Und anscheinend hätte ich auf Mom hören und bezüglich Dean einfach meinen Mund halten sollen … Als wir gerade beim Sohn eines Reedereibesitzers waren, ergriff ich die Flucht nach vorn, bat Grandma und Grandpa darum, kurz mitzukommen, und zog sie weg von der amerikanischen Onassis-Version in eine ruhige Ecke. »Die Party ist wirklich nett«, befand ich, als die beiden mich fragend anblickten. »Ich würde nur gern wissen: Hat denn keiner von euren Freunden hier eine Tochter?« »Tochter? Wie meinst du das?«, fragte Grandma scheinheilig. »Na ja«, antwortete ich. »Ich finde es auffällig, dass hier so gut wie keine Mädchen sind, dafür umso mehr Jungs.« Doch nicht nur Grandma, auch Grandpa war ein hervorragender Schauspieler. »Tatsächlich? Daran hatte ich gar nicht gedacht«, antwortete er und sah sich erstaunt um. »Ist dir das aufgefallen, Emily?« »Aber nein, ganz und gar nicht. Na, dann sollte ich wohl beim nächsten Mal die Gäste sorgfältiger auswählen, nicht wahr, Richard?«, flötete Emily und sah mich dann entschuldigend an. »Ich verspreche dir, wir geben noch eine Party, nur für unsere Freunde mit Töchtern! Aber in der Zwischenzeit …« »Ah, der junge Campbell ist da!«, fiel ihr Richard ins Wort, und Emily packte mich fest bei der Hand. »Oh, gut, dann los!«, rief sie und zog mich aufgeregt hinter sich her. »Campbell, so wie die Suppe.«
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6 Luke und Mom versuchten den Abend trotz T. J., so gut es ging, zu genießen. Während also T. J. in der Ecke kauerte und sich den Kopf hielt, saßen Mom und Luke am Esstisch und ließen es sich schmecken. Luke hatte sich wirklich unglaublich ins Zeug gelegt, und Mom genoss das Essen in vollen Zügen. »Oh, mein Gott, ist das gut!«, schwärmte sie. »Das ist wirklich total lecker.« Sie lächelte Luke aufmunternd an, dessen Laune durch T. J. empfindlich getrübt war, als ihr Telefon klingelte und sie meine Nummer im Display aufleuchten sah. Sie wusste sofort, was los war, schließlich hatte sie es geahnt. »Ich hab’s dir gesagt«, meinte sie statt einer Begrüßung. »Was immer auf der Party abgeht, auf der du gerade festsitzt, ich hab’s dir gesagt.« »Also, willst du’s hören, oder willst du mich auslachen?«, fragte ich kleinlaut. Ich hatte mich ins Arbeitszimmer von Grandpa geschlichen, die Tür hinter mir geschlossen und Moms Nummer gewählt – denn mit wem konnte ich besser über diesen Heiratsmarkt sprechen als mit Mom, die ja auch ihre ganz speziellen Erfahrungen diesbezüglich hatte machen müssen. »Weißt du, ich bin ein Multitalent«, antwortete Mom und gab Luke ein Zeichen, dass ich es sei. »Kaum bin ich angekommen, schleppt mich Grandma auch schon nach oben, wo die Haarstylistin und die Make-up-Tante darauf warten, mich umzumodeln. Dann komm ich runter und stelle fest, dass die Gäste, alte Yale-Freunde von Grandma und Grandpa, nur mit ihren Söhnen da sind.« »Was?«, rief Mom empört. »Ist nicht dein Ernst!« »Nur Jungs, keine Mädchen, und ich mittendrin«, jammerte ich. »Ich komm mir vor, als sollte ich verschachert werden.« - 94 -
Mom war richtig empört. Wenn die Einmischungen und Unverschämtheiten ihrer Eltern sie selbst betrafen – gut, damit kam sie irgendwie zurecht. Wenn es aber um mich ging, dann sah sie rot. »Die sind doch wirklich zum Kotzen!«, brach es aus ihr heraus, und dann fragte sie mich, ob ich was zu schreiben hätte, damit sie mir die Fluchtwege durchgeben konnte. »Hör zu, es gibt zwölf Fluchtwege aus dem Haus, von denen sie nichts wissen«, erklärte sie. »Schreib mit. Erstens: durch den Keller. Dort ist es etwas staubig, doch dafür narrensicher. Kommst du da nicht hin, schnapp dir ‘n Schraubenzieher und heble die Rückwand von Mutters Schrank aus, da ist ‘ne Geheimtür. Und wenn die Bäume nicht beschnitten sind: Vor dem Fenster des zweiten Bades für Gäste steht ‘ne ziemlich große alte Ulme, da kannst du problemlos runterklettern.« Mom war so empört, dass ich mich fast schon genötigt sah, sie zu beruhigen. »Ich muss mich nicht wegschleichen«, erklärte ich. »Alles bestens. Dean holt mich um halb neun ab. So lange werd ich’s wohl aushalten.« »Die haben dich angeschmiert«, schnappte Mom nach Luft. »Das ist echt das Allerletzte.« »Ja, zu spät«, antwortete ich. »So, ich sollte jetzt auflegen. Angesichts dieser Gästeliste fällt es auf, wenn ich fehle. Also, wir sehen uns.« »Bis dann, Schatz«, antwortete Mom. Luke hatte gemerkt, dass etwas passiert sein musste, und wollte wissen, was los sei. »Nichts, was ‘n kleiner Auftragsmord nicht regeln würde«, antwortete Mom, während sie schon die Nummer ihrer Eltern wählte. »Residencia Gilmore«, meldete sich eine ihr unbekannte Stimme, bei der es sich um eine mittelalte Frau mexikanischer Abstammung handeln musste.
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»Oh, hallo«, meinte Mom. »Ich möchte Richard oder Emily sprechen.« »Que?« »Hören Sie zu, geben Sie mir Richard oder Emily Gilmore.« »No comprendo«, sagte die Stimme. »Ist da nicht jemand, der mich versteht?«, fragte Mom leicht verzweifelt. »Ich hör doch Leute im Hintergrund. Oh, jetzt habe ich das Wort ›Lachs‹ gehört. Geben Sie mir den Menschen, der eben ›Lachs‹ gesagt hat, bitte. Das ist ein Fisch, und der schwimmt im Wasser, verstehen Sie? Und jetzt geben Sie mir …« Während Mom versuchte, irgendwie ihre Eltern an den Apparat zu bekommen, klopfte es an der Tür. Es war Liz, die, sobald Luke die Tür geöffnet hatte, ins Zimmer stürzte und wissen wollte, ob er da sei. »Er« war natürlich T. J., und Luke nickte und deutete in dessen Ecke. »Schaff ihn raus, bitte«, meinte er mit drohendem Unterton. »T. J., komm schon, gehen wir«, meinte Liz resolut und stellte sich vor ihren Mann. T. J. sah kurz hoch, dann blickte er schnell wieder auf den Boden und hielt sich den Kopf. »Nein, ich kann dich jetzt noch nicht ertragen.« »Du kannst hier nicht reinplatzen und die anderen stören. Du versaust ihnen den Abend!«, rief Liz. Ihre Stimme war bereits deutlich erhoben. »Nein, das mach ich nicht. Ich hab hier nur gesessen und absolut nichts gesagt!«, rief T. J. »Okay, würdet ihr jetzt runtergehen und da weiterreden? Bitte!«, schaltete sich Luke nun ein und deutete auf die Tür, während Mom weiterhin versuchte, an dem Spanisch sprechenden Dienstmädchen vorbeizukommen. Als sich T. J. nicht rührte, flippte Liz so langsam aus. »Du führst dich ziemlich bescheuert auf, weißt du das? Ich war
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gerade noch im Schlafzimmer, da warst du schon weg. Du hast ja nicht mal deine Schuhe an!« »Klar, hab ich Schuhe an«, schrie T. J. und zog sie demonstrativ aus. »Du hast meine Schuhe an!«, schrie Liz. »Schluss jetzt, Leute, das reicht«, erklärte Luke mit drohendem Unterton. »Ihr beide haltet jetzt sofort die Klappe, verstanden?! Ich hab Nachbarn.« Sein Unterton konnte zwar so drohend sein wie das Donnern eines fürchterlichen Unwetters – Eindruck machte es trotzdem nicht auf die beiden Streithähne. Sie schienen Luke noch nicht einmal gehört zu haben … »Ach so?«, schrie T. J. »Dann war also dieses ›Was meins ist, ist auch deins‹ einfach bloß ‘n leerer Spruch, ja?« »Weißt du was?«, kreischte nun Liz und ruderte wild gestikulierend mit den Armen. »Ich hab’s satt, dass du immer gleich so’n Theater machst. Ich halt das nicht aus. Mir platzt noch der Schädel wegen deiner beschissenen Szenen und Wutanfälle. Ich ertrage dich nicht mehr!« Sie hielt sich theatralisch den Kopf und stürzte ins Badezimmer, wo sie die Tür lautstark hinter sich ins Schloss fallen ließ. »Liz, was soll das?«, rief ihr Luke nach und sah dann drohend T. J. an. »Los, hol sie da wieder raus.« »Niemals!«, kreischte T.J. »Das ist doch genau das, was sie erwartet.« Dann sah er entgeistert zu Mom und Luke. »Verdammt, ich hatte mich fast schon wieder im Griff. Und jetzt muss ich von vorn anfangen!« Mom hatte mittlerweile aufgelegt. Zum einen hoffte sie, zu einem späteren Zeitpunkt mehr Glück zu haben – zum anderen konnte man bei dieser Lautstärke sowieso nicht telefonieren. Sie sah Luke mitfühlend an. »Okay«, meinte sie. »Versuch du, ihn zu beruhigen, und ich seh zu, dass ich mit ihr reden kann.« Luke nickte. »Du hattest Recht«, stöhnte er ironisch. »Die Familie in der Nähe zu haben ist toll.« - 97 -
Ich hatte mich nach dem Telefonat mit Mom wieder aus dem Arbeitszimmer rausgeschlichen und hoffte, dass mich niemand dabei beobachtet hatte. Dann hatte ich mich möglichst unauffällig auf die Terrasse begeben, wo ich zum einen frische Luft schnappen konnte und zum anderen hoffte, möglichst unbehelligt die Zeit absitzen zu können, bis mich Dean abholte. Doch dieser Versuch war von wenig Erfolg gekrönt, denn ich stand kaum drei Minuten draußen, als sich einer der Söhne zu mir gesellte. Ein ziemlich schmieriger übrigens. »Ich bin Jordan«, stellte er sich vor. »Deine Großmutter hat mich hergeschickt. Offensichtlich sind wir füreinander geschaffen.« Er grinste mich anzüglich von oben bis unten an. »Ist doch nett, wie einen die Familie immer verkuppeln will.« Dann stutzte er und machte eine kurze Pause. »Wie alt bist du?« »Was?«, fragte ich. Ich war so perplex, dass mir kein dummer Spruch einfiel und ich tatsächlich ernsthaft darauf antwortete. »Ähm, ich bin fast zwanzig.« »Okay, gut«, meinte er. Er schien zufrieden. »Ich wollte nur sichergehen, dass das legal ist. Soll ich dir ‘n Drink holen?« »Nein, ich will nichts«, antwortete ich abweisend. Ich fand diesen Jordan ziemlich eklig, und die Art, wie er mich ansah, noch viel mehr. »Wieso? Tickst du aus, wenn du was trinkst?«, fragte er jetzt noch zu allem Überfluss. »Das würd ich zu gern sehen.« Ich überlegte fieberhaft, wie ich möglichst elegant aus dieser Situation rauskommen konnte, ohne für einen Eklat zu sorgen, als mir die Sache auf fast schon wundersame Weise aus der Hand genommen wurde, denn plötzlich legte sich ein Arm um meine Schulter. Als ich aufblickte, sah ich Logan. Logan Huntzberger. »Rory, da steckst du ja! Hab dich überall gesucht. Entschuldige die Verspätung. Sei nicht böse.« Er sah mich
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entschuldigend an und streckte dann Jordan seine Hand entgegen. »Logan Huntzberger.« »Äh, Jordan Chase«, antwortete der schmierige Kerl etwas irritiert über die demonstrative Vertrautheit, mit der Logan weiterhin seinen Arm auf meiner Schulter ließ. Logan grinste Jordan jovial an. »Schön, dass du dich um meine Freundin gekümmert hast. Sonst wär ihr garantiert aufgefallen, dass ich spät dran bin. Dann wär sie gegangen, und das wär ganz blöd gewesen.« Wir lächelten uns an, und ich schmiegte mich dicht an ihn, während ich seine Hand auf meiner Schulter streichelte. Jordans Lächeln war mit einem Mal verschwunden. »Augenblick, äh, Verzeihung. Sie ist deine Freundin?« »Ja«, nickte Logan. »Seit anderthalb Jahren.« Logan lächelte mich liebevoll an und ließ mich erst los, als Jordan abgerauscht war. »Oh, danke!«, rief ich freudestrahlend, als wir alleine waren. Logan zuckte die Schultern. »Du wirktest unglücklich.« »Das war ich«, gab ich zu. Ich freute mich wirklich, Logan zu sehen. Seit unserem Sprung fühlte ich eine Art Nähe zu ihm. Er war wirklich so etwas wie ein Freund für mich. Mindestens. Er grinste mich an. »Freut mich, wenn ich dir helfen konnte«, antwortete er und sah dann ins Innere des Hauses, wo all die Familien mit ihren zweifelhaften Söhnen beisammen standen und die Geschäftsverbindungen der Zukunft ausgehandelt wurden. »Mann, ich hasse solche Partys«, stellte er fest. »Aber die Bar ist gut bestückt, und das Essen bei deiner Großmutter ist ganz hervorragend.« »Moment, meine Großmutter?«, fragte ich noch. Kannte er sie etwa? Bevor Logan noch etwas antworten konnte, kam auch schon Grandpa auf uns zugesteuert. »Logan? Wie geht’s dir, Junge?« Er lächelte Logan an und reichte ihm die Hand.
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»Na, bestens, wie immer, Sir«, grinste Logan selbstsicher wie immer. »Und selbst?« »Mir geht es hervorragend. Schön, dich zu sehen. Sind deine Eltern auch da?« »Die müssen hier irgendwo sein. Mom ist begeistert von Emilys neuen Vorhängen.« »Äh ja, sie hat, was das angeht, einen exquisiten Geschmack«, antwortete Grandpa und sah dann zwischen mir und Logan hin und her. »Na schön, Rory, da ich sehe, dass du hier in guten Händen bist, mach ich jetzt noch eine Runde und gehe dann zur Bar.« »Es war schön, Sie zu sehen, Richard«, meinte Logan formvollendet und als Grandpa weg war, sah ich Logan entgeistert an. »Du kennst meine Großeltern?« Er nickte. »Meine Eltern sind Freunde von Richard und Emily.« Dann beugte er sich zu mir und nahm verschwörerisch meine Hand. »Hör zu, also, Lektion eins im Umgang mit sterbenslangweiligen Partys: Mach einfach ‘ne Subparty.« Er richtete sich auf und rief dann nach Finn. »Finn ist hier?«, fragte ich. Wen hatten meine Großeltern eigentlich nicht eingeladen? »Sie hatten geläutet?«, ließ sich da auch schon Finn vernehmen und trat mit einer Flasche im Arm auf uns zu. Logan griff sich zwei weitere Champagnerflaschen aus dem Kühler und schlug einen kleinen Ortswechsel vor. Wenig später eröffneten wir mit ein paar anderen die Subparty in Grandpas Poolhaus, die auf jeden Fall netter zu werden versprach als die Hauptparty in der Villa … Während ich also mit Krönchen auf dem Kopf mit ungefähr zehn Jungs im Poolhaus Champagner trank und der Abend doch noch ganz nett zu werden versprach, hatte sich Lane auf den Weg zum Haus ihrer Mutter gemacht, um mit Kyon über die Verwünschungen zu sprechen, die den armen Zack - 100 -
getroffen hatten. Nachdem sie geklingelt hatte, musste sie nicht lange warten, bis ihr Kyon die Tür öffnete und sie hineinließ. »Ist meine Mutter da?«, fragte Lane ohne Umschweife. »Nein«, antwortete Kyon. »Sie ist zu Mrs. Cho gegangen. Mrs. Cho denkt, sie ist vom Glauben abgefallen, und Mrs. Kim will ihn ihr wiedergeben. »Gut«, nickte Lane. »Wieso hast du mich bei meiner Mutter angeschwärzt?« »Angeschwärzt?« Kyon wirkte ratlos. Offensichtlich kannte sie diesen Ausdruck nicht. Kein Wunder. Umgangssprache kam ja auch vom Teufel höchstpersönlich und wurde im Hause Kim nicht geduldet. »Du hast ihr von Zack erzählt«, erklärte Lane. »Und ich bin schon ein bisschen verwundert darüber, dass du das getan hast.« »Mrs. Kim lässt mich hier wohnen«, erklärte Kyon in dem für sie typischen Singsang. Außerdem fühlte sie sich ein wenig bedrängt, was sie nervös und kurzatmig machte und den Singsang noch verstärkte. »Und ich hab dich gerettet. Ich hab dir Pommes gegeben, als du halb verhungert warst!«, warf ihr Lane vor und beugte sich dann zu Kyon. »Hast du sie gern gegessen?« Kyon nickte eifrig. »Sie haben gut geschmeckt.« »Okay, und so was wird in diesem Land ›Freundschaft‹ genannt, alles klar? Ich geb dir was zu essen, und das heißt, du darfst mich nicht bei meiner Mutter verraten.« Lane sah, dass Kyon mit dieser Ansage überfordert war. Anscheinend wusste sie nicht genau, wie Lane sich das vorstellte. »Du sagst nichts, und du tust nichts«, erklärte Lane deshalb. Kyon schüttelte den Kopf. »Aber sie merkt es doch. Sie merkt, dass ich lüge. Und sie merkt, dass ich undankbar bin und Geheimnisse vor ihr habe. Sie weiß es.« »Nein, das tut sie nicht. Sie ist keine Zauberin.«
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»Doch, das ist sie!«, rief Kyon aufgeregt. »Sie kann Gedanken und aus Gesten lesen.« Lane schluckte. Sie erinnerte sich nur zu gut an die ganzen Horrorgeschichten, die ihre Mutter ihr selbst eingebläut hatte, und auf einmal war ihre Wut auf Kyon fast ganz verflogen. Sie tat ihr einfach nur Leid, denn sie wusste nur zu gut, wie sich das Korsett aus Kontrolle, Zwang, Angst und Gebeten anfühlte, in dem Kyon steckte. »Komm her«, meinte sie deshalb freundlich, setzte sich auf eine Treppenstufe und klopfte neben sich zum Zeichen, dass sich Kyon ebenfalls setzen sollte. »Wenn du willst, dann helf ich dir.« Als Kyon neben ihr saß, erkundigte sich Lane, was sie sonntags zwischen zwölf und vier machen würde. »Ich lerne«, antwortete Kyon ein wenig traurig, denn die Sonntage waren wirklich schlimm. »Dann warte ich darauf, dass Mrs. Kim mit ihrer Schwester von der Häkelgruppe für Christus kommt und sitze ganz still da.« »Ach so«, machte Lane. »Und würdest du nicht ganz gern hin und wieder fernsehen, während du auf meine Mutter wartest?« »Nein, das geht nicht!«, wehrte Kyon aufgeregt ab. »Mrs. Kim hat es verboten. Ich darf nicht fernsehen.« »Und wie soll sie’s erfahren?« »Im Fernseher ist eine kleine Maschine, die ihr immer genau anzeigt, was ich gesehen hab und was nicht.« Auf genau diese Antwort hatte Lane hingearbeitet. »Ha!«, rief sie nun. »Diese Maschine existiert nicht! Ich hab fünfzehn Jahre gebraucht, um das rauszukriegen, aber es ist wahr.« Kyon blickte Lane schockiert an. »Dann erfährt sie es nicht?« Lane schüttelte den Kopf. »Sie kann auch nicht riechen, ob du Fastfood gegessen hast, nachdem du geduscht hast. Und sie kann auch nicht erkennen, wie oft du in der Bibel geblättert hast, indem sie dir auf die Hand starrt. Und du musst auch nicht alle religiösen Flugblätter verteilen, die du von ihr kriegst. - 102 -
Häng überall da welche auf, wo sie immer langgeht, dann denkt sie, du hast die Aufgabe erfüllt.« Lane machte eine Pause und sah Kyon nachdenklich an. Sie wusste nur zu gut, was gerade in der jungen Koreanerin vor sich ging … »Das ist ‘ne ganz neue Welt, Kyon«, sprach sie schließlich weiter. »Ich hab hart dafür gekämpft, sie kennen zu lernen, und ich bin bereit, mein Wissen schwesterlich mit dir zu teilen.« »Ich kann also Pommes essen und dabei fernsehen, wenn ich nicht alle Flugblätter verteile und deswegen früher nach Hause gehe?« Kyon war ganz schwindlig. »Ich würde die Pommes nicht im Haus essen. Sie hat ‘ne sehr gute Nase. Aber du denkst weiter, das gefällt mir echt.« »Ich kann fernsehen, wenn ich will!« So langsam sickerte bei Kyon durch, was das alles bedeutete. Sie war viel freier, als sie dachte. Es war wunderbar! Lane lachte. »Halt dich an mich, Kleine, dann trägst du innerhalb eines Monats Lipgloss.« Zufrieden ging sie nach Hause. Sie wusste, dass sie nun im Hause ihrer Mutter eine Verbündete hatte, die ganz sicher ein gutes Wort für sie einlegen würde, wenn es mal wieder nötig wäre. Mom war ganz und gar nicht guter Dinge. Sie und Luke hatten es nicht geschafft, Liz und T. J. wieder zu versöhnen. Im Gegenteil. Irgendwann war T. J. zu Liz ins Bad gerannt, und seitdem hörte man die beiden miteinander schreien. Luke und Mom hatten den Abend abgehakt. An Zweisamkeit war nicht mehr zu denken – hinzu kam noch, dass Mom in regelmäßigen Abständen bei Grandpa und Grandma anrief, um die beiden endlich zur Rede stellen zu können. »Emily und Richard Gilmore«, erklärte sie zum wiederholten Mal. Und als am anderen Ende der Leitung wieder so getan wurde, als würde man sie nicht verstehen, wurde sie richtig wütend. »Ach, ich bitte Sie!«, ärgerte sie sich. »Ich weiß, dass Sie mich verstehen. Sie haben doch vorhin das Wort ›Lachs‹ gebrüllt. Meine Mutter steckt dahinter.« Sie holte tief Luft, und - 103 -
als das Dienstmädchen bei seiner Version blieb und weiterhin erklärte, dass es kein Wort verstünde, klappte Mom verärgert das Telefon zu. »Verstehe!«, zischte sie und zählte innerlich bis zehn, um sich ein wenig zu beruhigen. Wer sich allerdings überhaupt nicht beruhigen konnte, war Liz. »Du bist jämmerlich, T. J., das sag ich dir!«, schrie sie gerade im Badezimmer. »Ich weiß gar nicht, wie ich dazu gekommen bin, dich zu heiraten!« »Hör endlich auf mit deinem blöden Gekeife, das treibt mich zum Wahnsinn«, hielt T. J. dagegen – nicht minder laut. »Blödes Gekeife? Was heißt hier blödes Gekeife?«, tönte Liz. »Wenn du nicht so gottverdammt dämlich wärst, hätten wir diesen Streit nicht. Was anderes fällt mir nicht ein, wenn ich deine dumme Visage sehe.« »Und dein Gesicht wird ganz hässlich und verzerrt, wenn du so rumschreist. Hast du das schon gewusst? Na, hast du das gewusst, oder nicht?« Mom und Luke zuckten zusammen, als ein klirrendes Geräusch nach draußen drang. Offensichtlich hatte Liz damit begonnen, die Einrichtung zu zertrümmern. »Es ist mir scheißegal, wie ich aussehe, wenn ich dich anschreie! Du bist nur im Suff zu ertragen, du Arschloch. Ich fass es nicht, dass ich so ‘n Dorftrottel wie dich geheiratet hab. Dein IQ ist zweistellig, aber mit ‘nem Komma in der Mitte.« »Was soll das heißen, zweistelliger IQ, hä? Willst du mich beleidigen?!« »Da siehst du’s! Du bist zu blöd, um zu schnallen, was ich gesagt hab!« Liz schrie so laut, dass ganz Stars Hollow Zeuge dieser wunderschönen Auseinandersetzung werden konnte. Mom und Luke hörten dem Gebrüll fassungslos zu. »Was machen die da drin?«, fragte Luke überfordert. »Sie, ähm, fetzen sich«, schlug Mom vor.
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»Wie lange können sich zwei in so ‘nem engen Raum fetzen?«, fragte Luke leicht verzweifelt. Dann sah er Mom an. »Tut mir Leid mit dem Essen.« Mom winkte lächelnd ab. »Nein, das Essen war klasse. Es war sehr lecker und so interaktiv!« Luke trat zu ihr und nahm ihre Hand. »Also, ich weiß nicht, wie lange das hier noch so weitergeht, und du musst dir das nicht anhören. Geh ruhig nach Hause.« »Soll ich?«, fragte Mom. Luke nickte. »Ja«, meinte er. »Das ist meine Familie. Ich regle das.« Er ließ ihre Hand los, packte seinen selbst gebackenen Käsekuchen ein und reichte Mom die Dose. »Du greifst dir das hier und gehst nach Hause. Und morgen starten wir noch ‘n Versuch.« »Wow!«, strahlte Mom gerührt. »Mein eigener Käsekuchen. Kein Mann hat mir je im Leben einen ganzen Käsekuchen verehrt.« Sie gab Luke einen langen, zärtlich Kuss und ging dann nach Hause. Sie hoffte sehr, dass wenigstens die restliche Wohnung ganz bleiben würde und sich Liz und T. J. wieder vertragen würden. Als sie zu Hause angekommen war, zog sie sich dicke Socken an, machte es sich auf dem Sofa bequem und versuchte es weiter im Zehnminutentakt bei Grandpa und Grandma. »Gilmore, dein Großvater hat ‘n schrecklichen Geschmack, was Scotch angeht«, stellte Colin im Poolhaus nach dem ersten Glas fest und trat dicht zu mir ans Sofa. »Na, dann geh doch einfach ins große Haus und sag’s ihm«, kicherte ich und lehnte mich zurück. Es war schon eine ziemlich absurde Situation: Nun saß ich hier also in Grandpas Poolhaus, zusammen mit Logan, Finn, Colin und einigen anderen Jungs und trank Champagner, während ich versuchte, mein Krönchen auf dem Kopf zu behalten. Ich war schon ein wenig beschwipst, was kein Wunder war, denn schließlich trank ich eigentlich nur Wasser oder Cola … Doch als Logans - 105 -
Glas leer war und er die Champagnerflasche griff, hielt ich ihm eifrig mein ebenfalls leeres Glas entgegen. »Noch mehr?«, fragte er grinsend. »Klar«, meinte ich. »Wieso nicht?« »Weil Alkohol ganz schlimm ist!«, erklärte Colin schon ein wenig langsam. »Das ist wirklich was Schlimmes. Und wir sind schlimm, weil wir ihn trinken.« »Komm, verhau mich«, sagte plötzlich Finn. Er war wirklich der Verrückteste der Clique und hatte einen Sinn für absurden, exzentrischen Humor. Ich denke, dass viele Mädchen auf ihn standen, denn durch seinen asiatischen Einfluss sah er interessant aus, und er war ziemlich wild – was Mädchen bekanntlich mögen. Die meisten zumindest. Auf mich machte er allerdings nicht so einen Eindruck. Mir war er tatsächlich eine Spur zu irre. »Ich schätze, der Kater, den du morgen hast, wird Strafe genug sein«, lachte ich ihn aus, woraufhin Finn trocken meinte, dass ich wohl zu wenig Champagner getrunken hätte. »Hey, ich wollte dir noch sagen, ich hab deinen Artikel gelesen«, erklärte Logan plötzlich und nickte anerkennend. »Gar nicht mal übel.« »Danke«, lächelte ich glücklich. Ich fühlte mich ehrlich geschmeichelt. Erstens, weil ihn meine Arbeit anscheinend tatsächlich interessierte, und zweitens, weil er sie darüber hinaus auch noch gut fand. »Du hast den Geist, der bei uns herrscht, gut erfasst.« »Aber?«, fragte ich. Ich erwartete irgendwie ein Aber. Denn nach so viel Lob musste ja noch was kommen. Besonders bei Logan. Doch ich täuschte mich: Es kam nichts nach. »Nein, kein Aber«, erklärte Logan. »Du hast ‘n guten Stil. Für meinen Geschmack ‘n paar Vergleiche zu viel, aber man merkt, dass du deinen Joseph Mitchell gelesen hast. Das finde ich toll.«
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»Ich bin überrascht, dass du meinen Artikel gelesen hast«, gab ich zu und nahm einen Schluck. »Ach ja? Hm«, machte Logan, lehnte sich zurück und nahm ebenfalls einen Schluck. Es schien so, als würde er überlegen. Nach ein paar Sekunden setzte er sich auf dem Sofa auf und sah mich grinsend an. »Also, wer ist denn der Auserwählte?«, wollte er wissen. »Die Fete hier ist doch eindeutig ‘ne Fleischbeschau. Ich glaub, deine Großeltern erwarten, dass du dich heute Abend für einen entscheidest. Also?« Er wartete. »Ach, weißt du …«, begann ich ausweichend, kam aber nicht weiter, den plötzlich rief Finn theatralisch, dass ich ihn nehmen sollte. Und kaum hatte er das gesagte, meinte Colin, dass er besser sei und ich ihn nehmen sollte. Die anderen Jungs fühlten sich wohl angestachelt, denn ehe ich mich versah, lagen mir acht Jungs zu Füßen, die alle besser sein wollten als der andere. Ich lief rot an und wusste im ersten Moment gar nicht damit umzugehen, und wieder einmal war es Logan, der die Situation für mich rettete. »Wow, ‘n Zimmer voller Kerle, und trotzdem so ‘ne dürftige Auswahl«, kommentierte er. Er war natürlich nicht aufgesprungen, wie die anderen, sondern souverän und selbstbewusst neben mir auf der Couch sitzen geblieben. »Also, ich weiß nicht, das ist ‘ne sehr schwierige Entscheidung!«, lächelte ich die Jungs nun an. »Vielleicht sollte ich meinen Freund fragen, was der davon hält.« »Du hast ‘n festen Freund?«, horchte Logan auf. Er ließ sich aber nicht weiter in die Karten blicken, wie er das fand, sondern hatte schnell wieder sein undurchschaubares Grinsen aufgelegt. »Wissen Richard und Emily das eigentlich?«, erkundigte er sich dann – und als ich arglos erwiderte, dass sie davon natürlich wüssten, zählte er eins und eins zusammen. »Und jetzt wollen sie Ersatz finden?« Ich lief rot an. »Nein, sie wollten …«, stammelte ich und dachte an Dean. Plötzlich fiel mir siedend heiß die Uhrzeit ein. Es war Viertel vor neun! Dean musste schon längst vor dem - 107 -
Haus auf mich warten! »Dean wollte mich um halb neun abholen. Hier, vor dem Haus«, erklärte ich aufgeregt und sprang auf. »Dean? Ist das dein Freund?«, fragte Logan. »Genau, das ist mein Freund«, antwortete ich. »Den müssen wir uns ansehen!«, rief Logan unter heftigen Beifallsbekundungen der anderen. Er erhob sich ebenfalls und sah mich dramatisch an. »Wer ist der Mann, dem dein Herz gehört? Ist er auch gut genug für dich?« »Aber …«, wandte ich ein, doch ich hatte keine Chance. Die Jungs schienen wild entschlossen zu sein, mich zur Tür zu bringen. »Gehen wir, Freunde!«, rief Logan. »Ja, los!«, rief Finn. »Den müssen wir uns ansehen!« Dean zuckte regelrecht zusammen, als er mich mit meiner Eskorte in der Tür stehen sah. Augenblicklich versteinerte sein Gesichtsausdruck. Mit verschränkten Armen blieb er an sein Auto gelehnt stehen und sah misstrauisch in meine Richtung. »Dean, hi«, meinte ich, während ich auf ihn zuging. »Tut mir Leid. Wartest du schon lange? Ich hab nämlich keine Uhr, und wir waren im Poolhaus.« Ich deutete mit der Hand auf die Jungs, die weiterhin in der Tür standen und uns beobachteten. »Das sind ein paar Freunde. Sie studieren auch in Yale und kennen meine Großeltern. Die Party war echt langweilig, da haben wir …« Ich stockte. Ich merkte, dass etwas mit uns passierte. Dean bewegte sich keinen Millimeter auf mich zu. »Ist das ‘n neues Hemd?«, fragte ich lächelnd. »Steht dir gut.« Dean stand mit zusammengepressten Lippen da. Seine Augen wanderten zu meinem Diadem, zu meinem Abendkleid, zu Logan im Abendanzug. »Was hab ich hier zu suchen, Rory?«, fragte er tonlos. »Du willst mich abholen.« Ich lächelte ihn tapfer an, während ich merkte, wie in mir die Tränen hochstiegen.
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Dean schüttelte den Kopf. »Ich hab hier nichts zu suchen. Jetzt nicht mehr. Oder?« Er wartete ab, was ich sagen würde, und ich wusste: Wenn ich ihm jetzt erklärte, dass ich ihn liebte und dass ich mit ihm, und nur mit ihm zusammen sein wollte – dann hätten wir noch eine Chance. Aber ich konnte nicht. Ich konnte einfach nicht. Tief im Innern wusste ich, dass er Recht hatte. Er nickte mir noch einmal zu, stieg in den Wagen und schloss die Tür. Dann musterte er mich ein letztes Mal. »Du siehst gut aus«, sagte er, startete den Motor und fuhr davon. Ich sah ihm nach, und die Tränen, die ich bis jetzt tapfer zurückgehalten hatte, stiegen mit aller Macht in die Augen. Es war vorbei. Dean und ich, das war eine Gleichung, die nicht aufgegangen war. Und dabei hatten wir uns wirklich geliebt. Während ich so dastand und schluchzte, spürte ich plötzlich einen Arm auf meiner Schulter. Und ich wusste sofort, zu wem dieser Arm gehörte. Zu Logan. »Das wird schon wieder«, meinte er mit einer Stimme, die ich so gar nicht an ihm kannte. Sie war zärtlich und mitfühlend. Ich schüttelte den Kopf. »Nein, sicher nicht.« Was ich sagte, entsprach der Wahrheit. Es war vorbei. Dean und ich hatten keine dritte Chance. Logan streichelte über meinen Arm, dann drehte er sich um zu den Jungs. »Okay, das war’s!«, rief er. »Zurück ins Poolhaus, Männer. Wir müssen dringend jemanden trösten.« »Ich hab Scotch mitgehen lassen«, rief Colin und Finn versprach, zu meiner Erbauung die Passion Christi zu spielen. »Komm jetzt, Ace«, meinte Logan und zog mich mit sich fort. »Nichts ist mehr schlimm, wenn du erst Finns Version von der Passion Christi kennst. Nichts, bis auf Finns Passion Christi.« Zu Hause hatte es Mom endlich geschafft. Sie hatte ihre Mutter ans Telefon bekommen und durch ihre Beharrlichkeit erreicht, dass Grandma und Grandpa nun in dessen - 109 -
Arbeitszimmer am Freisprecher waren. Nachdem Grandma Emily erklärt hatte, dass sie so weit seien, meldete sich Richard zu Wort. »Hallo, Lorelai. Was können wir für dich tun?« Er räusperte sich, was ein untrügliches Zeichen dafür war, dass er eigentlich nicht die geringste Lust auf ein problematisches Gespräch hatte. »Ich wollte mich nur kurz mit euch über eure kleine Party für Rory unterhalten«, erklärte Mom. »Die Party war nicht für Rory, sondern für unsere früheren Kommilitonen«, betonte Grandma. »Nein, das war nur ein übler Trick. Ihr wisst das genauso gut wie ich!«, rief Mom aufgebracht. An die dreisten Lügen ihrer Eltern hatte sie sich auch im Laufe der vielen Jahre nicht gewöhnen können. »Seien wir ehrlich zueinander! Ihr habt eure Enkelin angelogen. Sie hat euch vertraut, und ihr habt sie reingelegt.« Emily blieb bei ihrer Version und erklärte Mom, dass es eine Party war. »Das war ‘ne Verkupplungsaktion!«, rief Mom. »Nur Jungs, Mom? Sag schon, was hast du sonst damit bezweckt?« Jetzt hatte Emily die Spielchen satt. »Es ist gut, wenn sie sich mit ihresgleichen umgibt«, erklärte sie unumwunden, und auch Richard schaltete sich nun ein. »Lorelai, Rory ist in einer neuen Phase ihres Lebens, verstehst du? Und deswegen braucht sie Kontakt zu anderen Menschen, die andere Dinge machen. Nur das wollten wir erreichen. Sie ist fast zwanzig Jahre alt, Lorelai, und sie wird nicht ewig mit diesem Jungen zusammenbleiben. Dieser Dean ist bestimmt ein sehr netter junger Mann, aber er ist ganz sicher nicht gut genug für Rory. Sie ist noch jung, und junge Menschen brauchen Anleitung und Führung. Und da du in dieser Beziehung keine Hilfe bist, müssen wir das übernehmen.« - 110 -
Mom schnappte nach Luft. Ihr Vater konnte sie immer noch sehr verletzen, das stellte sie jetzt gerade wieder einmal fest. »Nein, ihr werdet die Finger davon lassen, denn das geht euch überhaupt nichts an!«, rief sie erbost. Emily stöhnte genervt auf. »Lorelai, ich fühl mich ausgelaugt. Die Leute vom Catering-Service haben den Fußboden verschmutzt. Ich hab jetzt keine Zeit dafür. Wir wollen was Besseres für sie, basta. Es ist offensichtlich zu spät für dich, aber noch lange nicht für Rory! Und wir sorgen dafür, dass sie das Leben führen kann, das sie verdient.« »Hört zu, es ist mir scheißegal, was ihr von mir denkt, okay?«, rief Mom. »Aber Rory wird ihr Leben genau so führen, wie es ihr gefällt, und ihr beide könnt nichts dagegen tun.« »Ich werd jetzt auflegen«, erwiderte Emily mit kalter Stimme. »Ja, ich auch«, meinte Mom und warf das Telefon vor Wut auf das Sofa. Dann setzte sie sich hin und versuchte sich zu beruhigen. Sie saß ziemlich lange so da, denn sie wusste, dass an Schlaf sowieso nicht zu denken war. Ihre Eltern hatten es ihr oft sehr schwer gemacht und sie versuchten sogar noch jetzt, in ihr Leben zu pfuschen. Das ärgerte Mom, klar, aber es war kein Vergleich zu der Wut, die sie jetzt fühlte. Wenn es um mich ging, dann wurde sie richtig sauer. So sauer, dass sie die halbe Nacht auf dem Sofa im dunkeln Wohnzimmer verbrachte und an ihren Lippen nagte. Plötzlich schreckte sie aus ihren Gedanken auf, denn eine schwarze Limousine fuhr in die Auffahrt. Und als sie mich aussteigen sah, wusste sie, dass es vorbei war mit Dean und mir. Dass ich tatsächlich in eine neue Lebensphase getreten war. Eine Phase ohne Dean. Sie beobachtete genau, wie ich mit meinem Krönchen zum Haus lief, und wie mir Logan und die Jungs nachwinkten. Dann tappte sie schnell in ihr Zimmer, denn sie wusste: Ein
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Gespräch hätte jetzt wenig Sinn. Das wollte sie doch lieber am nächsten Tag mit mir führen.
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7 Mom und ich sprachen lange miteinander. Ich hatte ihr alles erzählt, was mir in der Beziehung zu Dean nicht gefallen hatte und dass außerdem er und nicht ich die Flinte, wie man so schön sagt, ins Korn geworfen hatte. Zum Schluss hatte mich Mom verstanden. Sie hatte mein Schweigen bei Deans Frage nachvollziehen können, ebenso wie die Tatsache, dass ich danach leicht beschwipst nach Hause gekommen war. Als sie mich allerdings wegen Logan ausquetschen wollte, den sie durch das Fenster erspäht hatte, hielt ich mich zurück. Alles musste sie ja nun nicht wissen. Und vor allen Dingen nicht etwas, über das ich mir selbst noch völlig unklar war … Mittlerweile war ich wieder in Yale. Der Sommer hatte sich urplötzlich verabschiedet, und durch die vielen Kürbisse, die überall wegen Thanksgiving aufgestellt waren, bekam man schon wieder eine Ahnung vom Herbst, von kahlen Feldern und von Nebelschwaden am Morgen. Doch noch war es längst nicht so weit. Mit einer leichten Jacke bekleidet, konnte man sich noch gut stundenlang draußen aufhalten. Nur Jackson sah das offensichtlich anders, denn als ihn Mom vor Taylors Laden in einer Nische lungern sah, hatte er bereits die volle Wintermontur an, inklusive russischer Mütze mit Ohrenklappen. Er sah in dem Aufzug ein wenig seltsam aus, und seine geduckte Haltung, mit der er sich zu verstecken suchte, tat ihr Übriges. Alles in allem war er an diesem Vormittag doch eine ziemlich seltsame Erscheinung. Als er Mom sah, spähte er vorsichtig um die Ecke und machte ihr Zeichen. »Pssst! Los, komm mal kurz her«, flüsterte er. »Könntest du ‘n paar Sachen für mich von Doose’s holen?« Mom blickte in die Richtung, aus der das Flüstern kam.
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»Jackson!« Sie freute sich, ihn zu sehen, und bemerkte erst dann, dass irgendetwas an seinem Aufzug komisch war. Fast wirkte es so, als wäre er vermummt. »Was tust du hier?«, fragte sie. »Sag bloß nicht dauernd meinen Namen!«, meinte Jackson gestresst. »Hör zu, Sookie hat mal wieder ‘ne üble Fressattacke, und ich kann nicht ins Hauptquartier der Blutegel gehen, sonst saugen die mich sofort aus.« Jetzt war Mom alles klar. Sookie hatte ihr schon viel von Jacksons regelrechter Paranoia berichtet, seit er zum Stadtrat gewählt worden war, und bei der einen oder anderen Gelegenheit war Mom auch höchstpersönlich Zeugin seiner Überforderung geworden. Jackson war zum Stadtrat einfach nicht geschaffen, so viel stand fest. Und wenn man dann auch noch unter erschwerten Bedingungen, also in Stars Hollow mit all seinen schrägen Vögeln, Stadtrat war, dann konnte man fast schon verstehen, dass er nicht mehr ans Telefon ging, zu Hause immer panisch durch die Scheiben spähte, mit einer russischen Mütze rumlief und sich in Häusernischen versteckte. Mom sah Jackson mitfühlend an. »Als Stadtverordneter hast du’s nicht leicht, wie?« Jackson schüttelte den Kopf. »Nein, und es wird immer schlimmer. Erst letzte Woche ist Anne Benninghoff bei mir aufgekreuzt. Sie will einen Verkaufsstand vor dem Kolonialmuseum aufstellen, für Bücher über den Freiheitskrieg und ein paar kleine Pfeile. ›Wär das nicht reizend?‹, fragte sie mich immer wieder.« Schon bei der Erinnerung traten Jackson kleine Schweißperlen auf die Stirn, die er sich rasch abwischte. »Von mir aus!«, sprach er dann hastig weiter. »Aber Sally Lanagan hat davon erfahren, und jetzt will sie vor dem Pavillon ihre kleinen Kiefernduftkissen verkaufen.« Er stöhnte. »Von mir aus! Aber dann taucht Kirk plötzlich auf, außer sich, weil er gegen alles allergisch ist, was mit Kiefernduft zu tun hat.
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Und er fragt, wieso ich das nicht weiß und dass von ihm nichts übrig bleibt als eine leere, ausgelutschte Hülle.« »Brrr!«, machte Lorelai und schüttelte sich, weil sie das mit der Hülle und dem ausgelutscht doch irgendwie eklig fand. »Und was soll ich dir holen?« »Oh, danke!« Jackson war ihr ehrlich dankbar und kramte nach dem Einkaufszettel, den ihm die schwangere Sookie mitgegeben hatte. »Grapefruitsaft, Milchschokolade, BloodyMary-Mischung, extrascharfe Truthahnwürstchen«, las er und sah dann von dem Zettel auf. »Das ganze Zeug kommt übrigens zusammen in den Mixer.« »Grundgütiger«, schnappte Mom nach Luft. »Schnittlauch«, las Jackson weiter und verzog dann das Gesicht. »Ich krieg schon Bauchschmerzen, wenn ich nur die Liste vorlese.« »Los, gib her!«, erklärte Lorelai grinsend und nahm ihm den Zettel aus der Hand. »Ich wag mich für dich ins Hauptquartier.« Doch sie ging nicht sofort hinein und lächelte Sookies Gatten ein wenig merkwürdig an. Der musste nicht lange überlegen um zu wissen, was dieser Blick bedeutete. Was das anging, hatte sein Amt als Stadtrat seine Antennen geschärft. Lorelai wollte eine Gegenleistung, und diese Gegenleistung hatte sicher nichts mit seinen Tomaten zu tun, sondern vielmehr mit seinem öffentlichen Amt. Panisch winkte er mit beiden Armen ab und sah Lorelai beschwörend an. »Stell dich nicht auf die gleiche Stufe wie die!«, rief er verzweifelt. »Ich bin hier nirgends mehr sicher! Ich brauche dringend ‘ne Schonzeit.« Mom hörte nicht auf zu lächeln. »Hör mal, das Schlagloch auf der Straße zum Dragonfly wird immer tiefer. Die Kids schwimmen schon darin!« Jackson nickte gestresst. »Ich schreib’s auf die Liste mit den anderen Anfragen«, sagte er hastig, aber Mom war das nicht genug. - 115 -
»Oben auf die Liste, bitte. Jackson!« Mom lächelte ganz besonders, als sie Jacksons Namen übertrieben laut und deutlich sagte. Das verfehlte seine Wirkung nicht, denn Jackson wurde vor Schreck ganz blass. »Ah, nicht«, meinte er aufgeregt. »Schsch …« »Oh, war das zu laut?«, fragte Mom und hielt sich schnell die Hand vor den Mund. »Oft schnall ich das nicht.« Sie grinste und wartete so lange, bis Jackson klein beigab. »Es steht oben auf der Liste«, meinte er und versteckte sich dann wieder in der Nische, bis Mom mit dem Einkauf aus Doose’s zurückkam. Gemeinsam machten sie sich dann auf den Weg zu Sookie nach Hause, denn Mom wollte die Gelegenheit nutzen, nach ihrer schwangeren Freundin zu sehen. Als sie dort ankamen und Jackson die Tür aufgeschlossen hatte, hörte Mom schon im Flur das Schluchzen ihrer Freundin. »Sookie«, rief sie erschrocken und ging in die Richtung, aus der das Geräusch kam. »Engel, was ist denn?« Sookie saß im Wohnzimmer auf dem Sofa und hatte ihre braune Strickjacke mit den vielen kleinen weißen Pünktchen fest um sich geschlungen. In der einen Hand hielt sie ein Taschentuch, das ganze Arbeit in Sachen Saugfähigkeit leisten musste, in der anderen Hand eine Zeitschrift, die ganz offensichtlich der Übeltäter war. Mit rot geränderten Augen blickte sie Mom traurig an. »Das ist, das ist, es ist so traurig«, stammelte sie, dann wurde sie von einer neuen Weinattacke regelrecht durchgeschüttelt. »Och! Das People Magazine, rief Mom, als sie die Zeitschrift erkannt hatte, und drehte sich vorwurfsvoll zu Jackson um. »Jackson, du weißt doch, dass wir Boulevardblätter von Sookie fernhalten müssen, wenn sie schwanger ist.« Jackson konnte sich das gar nicht erklären. Er hatte bereits während der ersten Schwangerschaft gelernt, dass Sookie keine Boulevardblätter lesen konnte, ohne traurig zu werden, und - 116 -
wohlweislich alles weggeräumt, was in Betracht gekommen wäre. »Sie schmuggelt sie wahrscheinlich rein.« Sookie war schon wieder in ihre Zeitschrift vertieft und schluchzte. »Ich finde einfach, dass die beiden füreinander geschaffen sind.« »Und wer, Süße?«, horchte Mom auf. »Na, die zwei eben«, schniefte Sookie und tippte auf die aufgeschlagene Seite. »Die mit den Haaren und den Zähnen und den … Weißt du?« »Wer hat denn Haare und Zähne?«, fragte Mom und bemühte sich, ernst zu bleiben. Sie war schließlich selbst einmal schwanger gewesen, und obwohl es bei ihr schon fast zwanzig Jahre her war, wusste sie noch zu gut, wie es da mit der Stimmung auf und ab gehen konnte. Bei ihr damals vielleicht sogar noch mehr als bei Sookie jetzt, schließlich war Mom zarte sechzehn gewesen und sozusagen mitten in der Pubertät, die ja bekanntlich für sich alleine schon schwierig genug ist … Sookie schnäuzte kräftig in ihr Taschentuch und blickte Mom todtraurig an. »Und dann diese Sache mit Divine Brown und bumms! Schon ist ihre Liebe total im Arsch.« Wieder fing sie an zu weinen – aber immerhin wusste Mom nun, um wen es ging. »Äh, wir reden von Elizabeth Hurley und Hugh Grant«, meinte sie und streichelte dann die Hand ihrer Freundin. »Das ist viele Jahre her, Sookie« »Sie muss ‘ne alte Ausgabe gefunden haben!«, mutmaßte Jackson, der neben Sookie Platz genommen hatte, und versuchte, die Geschichte zu relativieren. »Tausende Menschen haben sich seitdem getrennt.« Er sagte natürlich genau das Falsche. »Oh, mein Gott«, schniefte Sookie und weinte bitterlich in ihr Taschentuch. Mom warf Jackson einen bösen Blick zu. Manchmal waren Männer aber auch wirklich ein wenig tollpatschig und - 117 -
unbeholfen! »Nein, nein, ist schon okay. Alle sind glücklich vereint«, beeilte sie sich zu sagen, nahm Sookie die Zeitschrift aus der Hand und gab sie Jackson. »Hier, wirf das weg, bitte.« Ihre Taktik ging auf. Kaum war die Zeitschrift weg, bekam Sookie wieder Hunger. Sie deutete auf die Einkaufstüten und wollte wissen, ob ihr Essen darin sei. »Ja, hier«, lächelte Mom, nahm sich die Tüte auf den Schoß und erzählte Sookie, was drin war. »Wir haben Truthahnwürstchen, extrascharf, so wie du’s wolltest.« »Igitt!«, machte Sookie und verzog das Gesicht. »Und Grapefruitsaft, Rübchen …« Mom sah aus den Augenwinkeln, wie sich Sookie angeekelt schüttelte. »Du hast keine Fressattacke mehr, oder?« Sookie nickte. »Tut mir echt Leid! Ich bin eine absolut unmögliche Frau!«, stellte sie reumütig fest und lehnte sich an Jackson, der wieder neben ihr Platz genommen hatte. »Du bist so lieb und strengst dich so für mich an, und du holst mir alles, was ich will, und dann will ich es gar nicht mehr.« Sie blickte ihn verheult an. »Tut mir Leid für dich, dass du ‘ne Frau lieben musst, die so blöd und verrückt ist.« Jackson lächelte und nahm sie in den Arm. »Komm her«, meinte er liebevoll und streichelte sie zart. »Ich sag dir jetzt was. Ich ertrage deine Stimmungsschwankungen und deine Fressattacken gern, solange du dich nur darauf konzentrierst, das kleine Menschlein aus deinem Körper zu pressen.« Dann stand er auf, um nach Davey zu sehen. »Ist gut«, antwortete Sookie gerührt und schniefte und lachte gleichzeitig. »Er liebt dich«, stellte Mom fest »Dann ist er ziemlich verrückt«, antwortete Sookie. »Denn ich bin komplett verrückt. Und man muss schon verrückt sein, um mich zu ertragen.«
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Mom stand auf, um die Einkäufe einzuräumen. »Hey, du bist schwanger!«, strahlte sie ihre Freundin an. »Du darfst überhaupt nicht normal sein.« Sookie kicherte erleichtert. »Da hast du Recht!« Sie tapste Mom in die Küche nach und hatte dabei Schwierigkeiten, an dem Couchtisch vorbeizukommen. Sie hatte wirklich schon einige Kilo zugenommen – und die, gepaart mit denen, die sowieso schon auf ihren Hüften gelastet hatten, machten aus ihr eine kleine, kugelrunde Wahnsinnige. Aber eine sehr liebenswerte Wahnsinnige, natürlich. »Es mag vielleicht gemein sein«, erklärte sie dann, »aber wenn ich mir mal wieder Sorgen mache, wie schlecht ich Jackson behandle, dann denk ich immer an Brandy.« »Brandy?« Mom wusste nicht, was Sookie meinte. »Christophers Brandy.« »Christophers Sherry«, verbesserte Mom lächelnd. »Oh«, Sookie kicherte und winkte ab. »Ich wusste, es hat was mit Alkohol zu tun. Jedenfalls mach ich das alles viel besser als sie«, stellte sie fest. Das allerdings war auch nicht sehr schwer, denn Sherry hatte Christopher mit der kleinen Gigi Knall auf Fall alleine gelassen, sodass Moms Ex und mein Vater nun die einmalige Erfahrung machen konnte, wie anstrengend das Leben als Alleinerziehender sein konnte. Als Sookie schließlich wissen wollte, wie es Christopher in seiner neuen Rolle eigentlich ginge, antwortete Mom fast automatisch erst einmal, dass alles bestens sei. Aber dann fiel ihr auf, dass sich ihr Ex und mein Vater kein einziges Mal mehr gemeldet hatte. Seit dem Abend, als sie bei ihm gewesen war. Je länger sie darüber nachdachte, desto merkwürdiger fand sie dieses Verhalten. Sie konnte ja nicht ahnen, dass ich zu ihm gefahren war und ihm unmissverständlich klargemacht hatte, dass er Mom in Ruhe lassen und die Beziehung zu Luke nicht gefährden sollte …
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»Ich hoffe, Chris und Gigi geht’s gut«, verbesserte sich Mom deshalb, während sie abwesend ein Glas polierte. »Als ich da war, hat er ihre Windel gerade mit Isolierband festgeklebt. Aber bestimmt hat er inzwischen die Klebestreifen an den Windeln gefunden. Ja, ihm geht’s sicher gut.« »Milchschokolade und Artischockenherzen!«, rief Sookie plötzlich und sprang erstaunlich behände von ihrem Stuhl auf. »Genau das will ich jetzt! Und ich überleg’s mir nicht noch mal. Milchschokolade und … Pfefferschoten! So, jetzt bleib ich aber dabei.« Sookie lachte kurz auf. »Aha«, lächelte Mom, die ihre Freundin viel zu gut kannte, um davon auszugehen, dass sie bei diesem Essenswunsch bleiben würde. »Jackson!«, rief Sookie. »Jetzt weiß ich, was ich will! Milch … Dunkle Schokolade! Uh, Toffy! Toffy und Walnüsse! Toffy … Oh, Pistazien! Oh, genau, und Palmherzen!« Ungefähr zur selben Zeit, als Mom bei Sookie war, saß ich in Paris’ und meinem Wohnzimmer auf der Couch und versuchte aufmerksam, einen Artikel zu lesen. »Versuchte« deshalb, weil mir Paris penetrant auf die Pelle rückte. Sie stand hinter mir, linste mir über die Schulter und schien darauf zu warten, dass ich endlich umblätterte. »Paris, bitte vergleich nicht immer unser Lesetempo! Du bist schnell, ich langsam. Du kriegst die Trophäe«, meinte ich genervt über die Schulter. »Ich bin dabei, den Artikel zu lesen.« »Würdest du schneller lesen, wärst du schon fertig«, nervte Paris weiter. »Ich will genau wissen, wann die Sonne heut untergeht.« Ach, daher weht der Wind!, dachte ich. Paris hat Hunger! Ich blätterte in der Zeitung, bis ich die genauen Angaben gefunden hatte, und antwortete ihr, dass die Sonne genau um 16 Uhr 31 untergehen würde.
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»Okay«, seufzte Paris, »also werd ich mich bis 16 Uhr 31 ablenken.« Ich wusste, was das bedeutete: Ein weiterer Tag mit einer Paris, die vor lauter Hunger noch despotischer und anstrengender war als sonst, und ich merkte, dass meine Geduld diesbezüglich bald ausgereizt sein würde. »Paris?«, fragte ich deshalb. »Erklär mir noch mal, wieso du im Ramadan fastest.« Sofort war Paris auf hundertachtzig. »Hör zu«, giftete sie mich an. »Wenn du deine Artikel aus den Agenturmeldungen zusammenklaust, ist das wohl deine Sache. Aber ich lege nun mal großen Wert auf journalistische Integrität. Wenn ich über den Ramadan schreiben will, dann mach ich das aus eigener Erfahrung.« Sie setzte sich an’s andere Ende der Couch, verschränkte die Arme vor der Brust und schwieg eine Weile. Dann guckte sie mich böse an und fragte, ob ich etwa Kaugummi kauen würde. »Ja«, meinte ich. »Wieso?« »Es wär schön, wenn du in meiner Gegenwart nicht kauen würdest.« Langsam reichte es mir wirklich! Seitdem Paris für ihren Artikel recherchierte, fühlte ich mich von ihr ständig beim Essen, Kauen oder Lebensmitteleinkauf beobachtet. Ach, was heißt »beobachtet«? Tyrannisiert! Ich stellte ihr deshalb die Frage, ob sie auch schon mal gehört hätte, dass Fastenkuren manche Menschen launisch machten. Ohne es zu wollen, war ich damit direkt auf die nächste Tretmine getappt. »Beim Ramadan geht’s um mehr als um irgendwelche Fastenkuren!«, fuhr Paris mich an. »Er erfordert totale Abstinenz von jeglichen Nahrungsmitteln, ob man sie isst oder riecht. Und dein blöder Kaugummi riecht ziemlich stark.« Ich dachte gar nicht daran, meinen Kaugummi zu entsorgen – war aber dennoch sehr froh, als es an der Tür klopfte, denn das bedeutete nichts anderes, als dass die Situation entschärft - 121 -
wurde und Paris’ schlechte Laune nicht alleine mich treffen würde. Geteiltes Leid ist halbes Leid, heißt es doch … »Die Tür ist offen!«, rief ich laut und freute mich, als mein Freund Marty eintrat. Ich mochte Marty wirklich gerne und konnte gut Zeit mit ihm verbringen. Er war ein bisschen wie ein Bruder für mich, und ich fühlte mich in seiner Gegenwart sehr wohl. »Ich hatte gerade ‘n Job bei so ‘nem total verrückten Brunch«, erzählte Marty und hielt zwei Papiertüten in die Höhe. »Da gab’s Schokoladenbrunnen und darin schwimmende Eisskulpturen. Und ich hab reichlich Hors d’oeuvre abgegriffen.« »Oh, ist ja Klasse, Kumpel«, schnaufte Paris und funkelte Marty richtiggehend teuflisch an. So teuflisch, dass es auch Marty sofort auffiel. »Sie fastet«, erklärte ich und sprang auf, als das Telefon klingelte. Es war Mom, die mir erzählte, dass sie gerade etwas völlig Verrücktes tat: Sie telefonierte vollkommen legal in Luke’s Diner, denn sie benutzte den Festnetzanschluss. »Ein Schlupfloch, klasse«, stellte ich fest, denn Handys waren in seinem Cafe bekanntlich verboten. Allerdings prophezeite ich ihr, dass sie bei so viel Vertraulichkeit dann auch sicher bald Lukes Baseballmütze tragen würde. »Ja«, kicherte Mom bei der Vorstellung, kam dann aber auf den Grund ihres Anrufs zu sprechen. »Weißt du, ich rufe an, um mit dem Schlupfloch zu protzen und dich zu fragen, was für Pläne du wegen Freitag hast. Äh, äh, Se-Sekunde, ja?« »Was hast du denn hier verloren?«, hörte ich Luke im Hintergrund. »Als deine Freundin brauch ich ja wohl keine Erlaubnis«, empörte sich Mom dumpf. Anscheinend hielt sie eine Hand an den Hörer. »Wenn dir ‘n Sack Kartoffeln auf den Kopf fällt, interessiert es die Versicherung nicht, ob du meine Freundin bist!«, hörte ich Luke wieder. - 122 -
»Er hat dich verscheucht«, lachte ich. »Du darfst überhaupt nicht hinter der Theke stehen, oder?« »Nein«, antwortete Mom mit gespieltem Stolz. »Mein Freund ist nur so um mich besorgt, dass ihn die Vorstellung, mir könnten Kartoffeln auf den Kopf fallen, furchtbar ängstigt. Also, dann sag mal: Fahren wir zusammen hin, oder treffen wir uns lieber gleich dort?« »Wir treffen uns gleich dort«, antwortete ich. Mom wollte schon auflegen, als mir noch etwas Wichtiges einfiel. Wieder und wieder hatte ich an Grandma und Grandpa gedacht und daran, wie ich dazu beitragen könnte, den kindischen Streit zwischen ihnen zu schlichten. Ich war zwar zu keinem wirklich genialen Ergebnis gekommen – aber ich hatte mir zumindest etwas überlegt. »Warte«, meinte ich deshalb rasch, »ich wollte dir noch schnell was vorschlagen.« Ich ging in mein Zimmer und schloss die Tür, weil Paris angefangen hatte, mit Marty wegen dessen Essenstüten zu streiten. Als ich wieder Ruhe hatte, sprach ich weiter. »Ich hab’s satt, nur wegen der blöden Trennung auf Grandmas und Grandpas Spielchen einzusteigen. Drinks hier, Essen dort, das ist dumm. Es kann nicht funktionieren, und wir sollten das nicht mehr mitmachen.« »Gut, wenn du findest, wir sollten freitags nicht mehr zum Essen zu ihnen gehen, dann hab ich als Mutter die verdammte Pflicht, dir darin beizustehen«, erklärte Mom begeistert. Das war ein Plan ganz nach ihrem Geschmack! »Ich hab nicht gesagt, wir sollten unsere Besuche einstellen«, stellte ich richtig. »Okay, wenn das so ist, hab ich als Mutter die Pflicht, dir zu sagen, dass du dich irrst.« »Wir müssen Stellung beziehen und dürfen nicht mehr nachgeben!«, erklärte ich Mom begeistert meine Idee. »Wir sollten uns die beiden vorknöpfen und sie endlich zur Vernunft bringen. Und das erreichen wir, indem wir getrennt zu Werke
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gehen. Also werde ich Freitag mit einem von ihnen essen und du mit dem anderen.« »Aha«, machte Mom wenig begeistert. »Hey, was ist mit dem Vorschlag, unsere freitäglichen Besuche einzustellen? Ich finde, der hat wirklich Potenzial.« »So können wir sie uns richtig vornehmen, unter vier Augen. Wir klopfen sie weich und stellen ein für alle Mal klar, dass wir mit der Trennung nicht einverstanden sind.« Mom hielt zwar dagegen und erklärte mir, dass Richard und Emily viel zu dickköpfig für eine Versöhnung seien – aber überzeugen konnte sie mich nicht, denn ich war mir sicher, dass sich meine Großeltern im Grunde am liebsten wieder vertragen würden. Schließlich liebten sie sich. Auch davon war ich übrigens zutiefst überzeugt. »Es ist unerträglich so, wie es jetzt ist«, meinte ich deshalb. »Ich denke, sie vermissen einander, sind aber ganz einfach zu stolz. Und das, na ja, das bricht mir eben das Herz.« Mom merkte, dass ich mir dieses Vorhaben wirklich in den Kopf gesetzt hatte und dass sie mich davon nicht abbringen konnte. Und außerdem wollte sie mich nicht enttäuschen. »Und was meinst du? Mit wem soll ich reden?«, gab sie sich deshalb geschlagen. »Wie wär’s, wenn ich zu Grandpa gehe und du zu Grandma?« »Nein«, stöhnte Mom. »Na gut, dann geh ich zu Grandma und du zu Grandpa!« Wieder stöhnte Mom. »Nein. Kann ich nicht zum Butler gehen? Er redet nicht viel, und so, wie ich das sehe, steht er total auf meine Outfits.« »Der Butler steht nicht zur Debatte«, antwortete ich streng. »Gut, ich rede mit ihr«, sagte Mom kleinlaut. Ich legte zufrieden auf und lächelte dann Marty an, der in meinem Zimmer kirchliches Asyl gesucht hatte, weil Paris damit begonnen hatte, ihn mit Gegenständen zu bewerfen. Zusammen - 124 -
spähten wir in seine Tüten und beschlossen, mit den gefüllten Schinkenröllchen anzufangen. Mom war mit dem Ausgang unseres Telefonats nicht sonderlich zufrieden und saß missmutig auf ihrem Barhocker. Sie starrte vor sich hin, und bei dem Gedanken, den kommenden Freitagabend allein mit ihrer Mutter zu verbringen, bekam sie schlagartig leichte Kopfschmerzen. Ihre Laune hellte sich erst wieder auf, als sich Luke zu ihr beugte und sich erkundigte, wie es mir ging und ob ich die Trennung gut überwunden hätte. Er hatte natürlich mitbekommen, dass es zwischen Dean und mir vorbei war. Er persönlich konnte nicht leugnen, dass er in diesem ganz besonderen Fall die Meinung meiner Großeltern teilte. Er hatte schließlich auch gefunden, dass Dean für mich nicht gut genug war und diesem das auch überdeutlich zu verstehen gegeben. Als Mom ihm erzählte, dass es mir erstaunlich gut ginge und dass ich nicht den Eindruck auf sie machte, als würde ich sehr leiden, lächelte Luke. »Gut, das freut mich«, meinte er. Mom sah ihn vorwurfsvoll an. »Sei nicht schadenfroh.« »Das bin ich doch gar nicht.« »Doch, natürlich!«, rief sie mit leichter Empörung. »Da war so’n Unterton, als wolltest du die Schadenfreude mit aggressiver Nettigkeit verschleiern. Du hast ihn nie gemocht, das weiß ich.« »Hör zu, ich bin froh, dass es ihr gut geht. Das ist keine Schadenfreude. Das ist wirklich nicht wahr. Ich fand nur immer, dass er nicht der Richtige für Rory war. Ich schwöre, ich bin nicht schadenfroh.« »Also, ich weiß nicht!«, rief Mom. »Es sieht aus wie Schadenfreude, es klingt wie Schadenfreude …« »Ist es aber nicht!«, meinte Luke, grinste sie an und beugte sich über die Theke, um ihr einen zärtlichen Kuss zu geben. Mom packte sich noch einen Donut ein, dann machte sie sich - 125 -
auf ins Hotel. Gerade rechtzeitig, denn in diesem Augeblick betrat T. J. den Laden und erklärte, dass er seit drei Tagen nicht mehr geduscht hätte. Die Probleme mit dem neuen Haus hatten schon begonnen, und Luke konnte an drei Fingern abzählen, was das früher oder später für ihn bedeuten würde … Als Mom im Hotel ankam, passte sie ein furchtbar aufgeregter Mitarbeiter ab, der anscheinend ganz dringend etwas loswerden wollte. Es war Michel, wer sonst? Er erzählte ihr eine ziemlich verrückte Geschichte. Allerdings kam dabei heraus, dass Michel anscheinend die Angewohnheit besaß, sich Notizen zu den Gästen zu machen, und das, wie er nicht ohne Stolz zugab, mit »Akkuratesse«. Er notierte sich sogar auffällige Leberflecken, eine schlechte Haltung, Figur- Hautoder Klamottenprobleme und Ähnliches. Aufgrund seiner Beschreibungen hatte er festgestellt, dass momentan Gäste im Dragonfly nächtigten, die vormals im Independence Inn, dem Hotel, in dem Mom und er früher gearbeitet hatten, gerne mal die Bademäntel hatten mitgehen lassen. Und nun wollte er von Mom die Erlaubnis, die Bademäntel aus dem Zimmer zu räumen. Als reine Vorsichtsmaßnahme, sozusagen. »Nein, nein, nein, Michel, wenn die die Mäntel klauen, belasten wir damit ihre Kreditkarte«, erklärte Mom – eine Antwort, die Michel natürlich nicht gefiel. »Und wenn sie eine Kredenz stehlen oder eine Couch?«, rief er aufgeregt. »Denken Sie, die klauen nur Bademäntel?« Mom grinste. »Dann helf ich Ihnen gern, deren Muttermale zu zählen und zu notieren. Aber bis dahin versuchen wir’s ruhig noch mal.« »Ich werde Ihnen nie wieder irgendwas erzählen!«, rief Michel erbost. »Versprochen?« Mom lächelte ihn an, aber das Lächeln verging ihr, als Michel eine neue Idee hatte, die er gleich in die Tat umsetzen wollte: Er hatte vor, einen vage gehaltenen Drohbrief ins Zimmer zu legen. - 126 -
»Nein, nein, nein! Michel, nein!«, rief Mom aus Leibeskräften, aber Michel tat so, als hörte er sie nicht mehr, und war schon unterwegs. Während Mom ihm noch kopfschüttelnd nachsah, hatte sie plötzlich eine Idee. Die Idee hieß Christopher, und sie griff sofort zum Telefon und wählte seine Nummer. Christopher ging auch direkt ran – allerdings klang er seltsam hektisch und kurz angebunden und Mom konnte sich darauf überhaupt keinen Reim machen. Nachdem sie ein paar Versuche unternommen hatte, ihn aus der Reserve zu locken, gab sie auf. Sie konnte nicht leugnen, dass sie ein wenig gekränkt war, und ihrer Stimme war das deutlich anzuhören. Da konnte Christopher nicht anders und setzte zu einer Erklärung an. »Hör mal, Lorelai, ich hab dich damals nur angerufen, weil ich total verzweifelt war«, erklärte er hastig. »Ich meine, das war der einzige Grund. Ich hatte Panik und konnte nicht denken, weißt du? Ich weiß, ich hätte dich nicht belästigen dürfen. Du hast dein Leben und so weiter. Ich hätte mich nicht aufdrängen sollen. Aber das war nur ‘ne einmalige Sache, alles klar? Also, mach dir bloß keine Sorgen.« Mom, die ja keine Ahnung hatte, dass ich Dad den Kontakt zu ihr mehr oder weniger verboten hatte, wunderte sich ein wenig über die komplizierte Erklärung, schob sie dann aber einfach darauf, dass ihr Ex mit der Erziehung der kleinen Gigi völlig überfordert war, und lächelte. »Chris, ich bitte dich. Du kannst mich anrufen, wann du willst, das ist doch klar.« Dann wurde ihre Stimme ganz weich, fast zärtlich. »Ich bin für dich und Gigi da, wann immer ihr mich braucht. Zwischen uns gibt’s doch Bande. Versuch mal, die zu brechen.« »Danke«, antwortete Christopher ehrlich erleichtert. Und dann sprudelte er plötzlich los. Erzählte von Gigi und dass es viele neue Fotos von ihr gab. »Kommt doch her, wenn ihr wieder in unserem Ghetto seid«, lud ihn Mom ein. - 127 -
»Ist Stars Hollow jetzt ‘n Ghetto?« »Ach, das war doch schon immer so!«, lachte sie. »Wir hängen das bloß nicht an die große Glocke. Aber echt, ihr solltet uns besuchen.« »Also, ich bin Samstag zufällig in der Nähe eures Ghettos, weil ich Gigi zu ihren Großeltern bringe«, meinte Christopher, aber er war unsicher, ob er tatsächlich kommen sollte. Doch Mom ließ nicht locker. »Komm!«, meinte sie. »Wir essen im Hotel zu Mittag, du, Gigi und ich. Dann werd ich sie gründlich untersuchen und sehen, ob noch alles dran ist.« »In Ordnung«, lächelte Christopher. »Klingt gut. Also Samstag, ja?« »Okay, wir sehen uns dann«, meinte Mom. Dann legte sie lächelnd den Hörer auf. Sie war sehr froh, dass der Graben, der sich am Anfang des Gespräches zwischen Christopher und ihr aufgetan hatte, so tief anscheinend gar nicht gewesen war …
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8 Am Freitagabend startete mein großes Experiment. Mom war bei Grandma, ich war bei Grandpa, und das erklärte Ziel war, die beiden durch systematische Fragen, gutes Zureden und beiläufige Äußerungen zum Nachdenken anzuregen und schließlich dazu zu bringen, dass sie sich aussprachen, versöhnten und wieder zusammenwohnten. Ich hatte Mom vorher zwar keine genauen Instruktionen mehr gegeben, denn wir waren ja getrennt zu den beiden gefahren, aber ich hoffte einfach, dass sie ihre Aufgabe gut lösen würde. Auf dem Sofa in Grandpas Poolhaus verschwendete ich darauf jedoch keine Gedanken mehr, sondern konzentrierte mich voll und ganz auf meine Zielperson. Grandpa. Der allerdings, seit ich bei ihm war und er mir meine Cola gereicht hatte, auf der Suche nach etwas zu essen in den Küchenschränken stöberte und nur mit halbem Ohr bei mir war. »Grandpa, lass es einfach«, meinte ich, denn ich wollte seine volle Aufmerksamkeit. »Nein, ich lass dich doch nicht verhungern«, antwortete Grandpa. Wie immer war er äußerst elegant angezogen und trug zu seinem schwarzen Anzug samt Fliege nun auch noch ein blütenweißes Einstecktuch. »Wenn man eine elegante junge Lady zu Besuch hat, sollte man ihr etwas zu essen anbieten.« »Aber ich hab dich überfallen«, erklärte ich. »Ich kann dir doch keinen Vorwurf machen, weil du nichts zu essen für ‘ne elegante junge Lady hast.« »Nun, ich bin sehr erfreut über deine Gesellschaft«, lächelte Grandpa, »allerdings finde ich dieses neue Arrangement etwas verwirrend.« »Weißt du«, begann ich und stand auf. Ich fand, dass jetzt der richtige Zeitpunkt war, mich ihm gegenüber an den frei stehenden Küchenblock zu setzen, damit er mir nicht ständig - 129 -
ausweichen konnte. »Mom und mir ist aufgefallen, dass wir, seit ihr euch getrennt habt, nicht mehr so viel Zeit mit euch verbringen. Da haben wir uns gedacht, wir teilen uns auf.« Richard merkte natürlich sofort, woher der Wind wehte, und tat so, als hätte ich gar nichts gesagt. Er erwiderte nichts, sondern ging stattdessen zum Kühlschrank. Als er ihn öffnete, schlug ihm gähnende Leere entgegen. Er nahm die zwei Dinge, die sich darin befanden, und drehte sich lächelnd zu mir um. »Also, was hältst du von ein paar Batterien und Schokocreme?« Ich antwortete ihm, dass ich das leider mittags schon gegessen hätte, und Grandpa zuckte die Schultern. »Tja, was anderes hab ich wohl nicht da. Roberts Fähigkeiten, richtig einzukaufen lassen sehr zu wünschen übrig.« Er sah mich nachdenklich an, dann fiel ihm noch ein, dass er eine Dose Pfirsiche in einem der Schränke gesehen hatte. Er durchstöberte ein Fach und rief dann, dass es Birnen seien. Nun beschloss ich, dass es an der Zeit war, von Grandpa zu lernen. Ich tat einfach ebenfalls so, als hätte ich ihn nicht gehört, und sagte also nichts zu den Birnen und dass man sie keineswegs mit Pfirsichen vergleichen könnte, sondern blieb störrisch bei meinem Thema. »Also, Grandpa«, begann ich erneut und nickte anerkennend. »Du hast es wirklich sehr gemütlich hier. Schön, wie in einem Ferienhaus, weißt du. Nett – und es gehört dir. Nichts für immer, aber nett für zwischendurch.« Ich wartete, bis er endlich seine Dose mit Pfirsichen oder Birnen oder was auch immer wegstellte und mich ansah, dann wurde ich noch konkreter. »Hör mal, versteh mich nicht falsch. Es ist gut, hin und wieder was zu verändern. Das Haus mal wieder neu zu streichen, die Möbel anders hinzustellen, ‘ne neue Haarfarbe.« Ich machte eine rhetorische Pause, um die Wichtigkeit des nun Folgenden anzuzeigen. »Aber wenn man das hinter sich hat, kann es ebenso schön sein, sich auf etwas zu besinnen, was einem vertraut ist, etwas, - 130 -
worauf man sich verlassen konnte, so etwa vierzig Jahre lang.« Ich sah ihn an. Grandpa hatte feuchte Augen und wirkte ganz gerührt. Ich freute mich, dass ich offensichtlich auf dem richtigen Weg war, und meinte nun, dass es für etwas, das so lange Bestand hatte, doch sicher einen triftigen Grund geben müsste. »Du bist ein sehr liebes Kind«, kommentierte Grandpa meine Ausführungen und ich lächelte ihn an. »Ich hab gute Gene.« Ich wartete, was nun kommen würde – aber Grandpa konnte natürlich ebenso wie die weiblichen Gilmores unglaublich hartnäckig und störrisch sein. Er tat so, als gäbe es nichts Wichtigeres als das Abendessen. Allerdings hatte er jetzt einen wirklich guten Einfall. Einen sehr guten sogar. »Oh! Ich hab irgendwo eine Tiefkühlpizza gesehen!«, rief er nämlich und ging zum Gefrierschrank. »Ha-ha!« Er hielt triumphierend die Pizza in die Luft, gab dann allerdings zu bedenken, dass sie schon eine ganze Weile dort gelegen haben könnte. »Die Pizza liegt also womöglich seit Lorelais zehntem Geburtstag im Kühlschrank. Der Vorteil besteht allerdings darin, dass sie einen Käserand hat.« Ich strahlte ihn an. »Ich hab schon immer zu denen gehört, für die das Glas halb voll ist.« Drüben in der Villa, bei Mom und Grandma war die Stimmung natürlich nicht ganz so gut. Mom saß mit verschränkten Armen auf dem rosefarbenen barocken Sofa mit Goldbeschlag. Hinter ihrem Rücken durchsuchte Grandma den Barwagen und fluchte leise vor sich hin, weil sie offensichtlich nicht fündig wurde. Wie immer wartete Mom ungeduldig auf ihren Drink, denn ohne Alkohol hielt sie es schwer mit Grandma aus. Nach einer Weile fragte sie, was los sei. »Ach, nichts«, meinte Grandma. »Ich versuche nur, uns ‘n ordentlichen Drink zu machen, das ist alles.«
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»Es tut mir Leid wegen der Änderung«, versuchte Mom das Gespräch zu beginnen. Emily lachte kurz auf und winkte ab. »Oh, bitte, ich bin so flexibel wie andere Menschen auch.« Dieser Meinung konnte sich Mom zwar nicht anschließen – allerdings riss sie sich zusammen, verkniff sich jeglichen Kommentar und besann sich auf ihren Auftrag. »Rory ist der Ansicht, dass wir zu wenig Zeit miteinander verbringen, seit Dad ins Poolhaus gezogen ist, also …« »Ich könnte auch das Eis aus dem Gefrierfach nehmen, obwohl es bestimmt alt ist«, fiel ihr Emily ins Wort. Sie hatte Mom überhaupt nicht zugehört, sondern stand immer noch am Barwagen. »Du weißt ja, man sagt: Wer rechtzeitig anruft, kriegt frisches Eis.« Mom verdrehte die Augen. »Tut mir Leid, wer sagt das?« »Dann müssen wir wohl Scotch pur trinken«, entschied Grandma schulterzuckend, goss zwei Gläser voll und ging damit zu Mom. »Ich würde dir Wein anbieten, aber der Wein, den ich hier habe, muss erst atmen«, meinte sie, reichte Mom ihr Glas und setzte sich neben sie auf die Couch. Mom sah sie irritiert an. Das war noch nie vorgekommen, dass sie neben ihrer Mutter auf der Couch saß. Sonst saß ich da immer, und diese plötzliche, dramatische Nähe zu Grandma empfand sie als ziemlich befremdlich. Sie sah Grandma verstört von der Seite an und sagte kein Wort. »Was guckst du denn so?«, wollte Grandma wissen. »Nur so«, meinte Mom ausweichend. Schließlich rückte sie aber doch mit der Sprache raus. »Hör zu, findest du das nicht merkwürdig?« »Was?« Mom guckte ganz verschämt. »Dass wir hier so auf der Couch sitzen.« »Soll ich mich von dir wegsetzen?«, fragte Grandma spitz und setzte sich aufrecht hin. Auch sie war wieder, ebenso wie - 132 -
Grandpa, perfekt frisiert und angezogen. Von legerer Hauskleidung fehlte wie immer jede Spur. Das Kostüm saß wie angegossen, das Make-up war perfekt und die Frisur so fest gesprayt, dass kein einziges Haar an der falschen Stelle saß. »Nicht nötig«, versicherte Mom rasch. »Das ist einfach nur so …« Sie suchte nach dem richtigen Wort. »Nah«, meinte sie schließlich. Grandma verzog das Gesicht. »Würdest du mir, bitte, noch mal erklären, wieso wir das hier tun?« »Ich hab keine Ahnung!«, rief Mom und deutete auf den Sessel. »Du sitzt doch sonst immer da.« »Ich meinte, ich versteh nicht, wieso Rory im Poolhaus ist, Lorelai.« »Rory fand, wir sollten uns mal aufteilen, damit du und ich auf der Couch sitzen können.« »Eine alberne Idee!«, antwortete Grandma. »Wir hatten ein wunderbar funktionierendes System. Wieso sollen wir das ändern?« »Hm.« Mom nahm ebenfalls einen Schluck und verzog das Gesicht. Scotch pur ohne Eis war definitiv nicht ihr Lieblingsdrink. Aber in der Not … Sie nahm schnell noch einen Schluck und fragte Grandma dann unumwunden, ob diese davon ausginge, dass sie sich mit Grandpa wieder vertragen würde. Grandma musste nicht lange überlegen. »Das kommt nicht infrage«, antwortete sie bestimmt. Während Mom schon nickte und von ihr aus nun auch über etwas anderes hätte sprechen können, nutzte Grandma die Gelegenheit, um von ihrem letzten furchtbaren Erlebnis mit Grandpa zu berichten. »Dein Vater hat mir ein für alle Mal bewiesen, dass er jetzt ohne mich leben will«, begann sie. »Denkst du nicht, wenn er ohne dich leben wollte, würde er lieber woanders wohnen wollen?«
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»Nein«, antwortete Emily kurz und knapp. »Wir waren neulich auf dem Basar der Dorman School. Es war eine große gesellschaftliche Veranstaltung, und all unsere Freunde waren da. Und er hat sich geweigert, mir beim Essen die Butter zu reichen.« Die Erinnerung reichte aus, um Grandma erneut die Zornesfalten ins Gesicht zu treiben. »Die Dose stand direkt vor ihm, doch ihm ist nicht eingefallen, sie mir rüberzureichen. Er hat sein Brötchen geschmiert, dann die Butter seinem Nachbarn gereicht, und das war’s.« Mom konnte nicht glauben, was sie da hörte. So kindisch konnte doch noch nicht einmal ihre Mutter sein, oder? »Und jetzt glaubst du, dass er ohne dich leben will?«, fragte sie ungläubig. Emily nickte. »Es war eine Missachtung meiner Bedürfnisse und Wünsche. Ich glaube, er hätte mich ohne weiteres verhungern lassen.« Emily machte eine Pause und seufzte. »Es ist einfach verwirrend«, stellte sie dann kopfschüttelnd fest und blickte in ihr Scotch-Glas. »Aber man muss die Tatsachen akzeptieren, und Tatsache ist, dass er ohne mich leben will. Deshalb sollte ich versuchen, ohne ihn auszukommen.« Sie nahm einen Schluck und blickte Mom direkt an. »Ich denke, ich sollte mich verabreden.« Mom, die ihrerseits ebenfalls gerade das Glas an die Lippen gesetzt hatte, glaubte ihren Ohren nicht zu trauen und verschluckte sich erst einmal kräftig. »Oh, mein Gott!«, hustete sie entsetzt. Grandma blieb bei ihrer Idee. »Ich möchte ein Rendezvous.« »Mit einem Mann?« »Nein, mit einem Wiesel!«, rief Emily erbost. »Natürlich mit einem Mann!« »Ich will das nicht hören«, wehrte Mom verzweifelt ab – doch Emily hatte sich anscheinend etwas in den Kopf gesetzt. »Wieso denn nicht?«, wollte sie wissen. »Ich hab nach wie vor einen Marktwert.« - 134 -
»Ohrenstöpsel und dazu ‘ne Valium, bitte!«, stöhnte Mom theatralisch und hielt sich die Ohren zu. Emily blieb davon völlig unbeeindruckt und nutzte die Gelegenheit, allein mit ihrer Tochter zu sein, um ein paar heikle Themen anzusprechen … »Es gibt viele Männer im Club, die schon öfter Interesse an mir gezeigt haben. Ich muss ihnen nur irgendwie klarmachen, dass ich ihre Gefühle erwidere«, begann sie und beugte sich dann zu Mom hinüber. »Du hast doch so viel Erfahrung mit Männern. Wie zeig ich ihnen bloß, dass ich verfügbar bin?« »Auf so ‘ner Reklametafel an irgend ‘nem Hochhaus?« »Lorelai, ich brauche deine Hilfe, verstehst du!«, rief Emily ärgerlich. »Ich hab so etwas seit Jahren nicht getan, und ich weiß nicht mehr, wie man sich angemessen verhält.« Sie nahm einen großen Schluck. »Also, gehen wir alles durch, Schritt für Schritt«, fuhr sie fort. »Du siehst einen Mann, du gehst langsam zu ihm hin, und du sagst …« »Hallo?«, machte Mom. Emily schreckte zurück. »Ist das nicht zu forsch?« »Nein«, meinte Mom irritiert. Offensichtlich hatte ihre Mutter wirklich seit sehr, sehr langer Zeit kein Gespräch mehr mit einem fremden Mann geführt. »Das ist angemessen, wenn du zeigen willst, dass du offen für ‘n Gespräch bist.« Sie verdrehte die Augen und konnte sich dann eine kleine Spitze nicht verkneifen. »Natürlich trifft das nicht zu, wenn du ‘n Wiesel ansprichst. Dann ist es vielleicht angemessener, wenn du ihm dein Hinterteil darbietest.« Grandma strafte sie mit einem bösen Blick. Nach ungefähr einer Stunde trafen sich Mom und ich vor dem Haus wieder. Ich lief ihr freudig entgegen und berichtete von meinem Abend mit Grandpa. »Hey!«, rief ich. »Es war toll. Bei Grandpa gab’s Tiefkühlpizza! Na gut, er hat sie auf ‘nem Zedernholzbrett drapiert, was eigentlich nicht so richtig dazu passt. Doch ich - 135 -
hatte Gelegenheit, so einiges loszuwerden: Gedanken über das Leben im Poolhaus und über ihn und Grandma, und trotz der nur vagen Anspielungen hat er genau verstanden, was ich meinte. Er denkt auf jeden Fall in Ruhe darüber nach. Was hast du erreicht?« Mom sah mich völlig bedient an. »Grandma will ein Date.« »Was?«, rief ich schockiert. Wenn ich ein Getränk an den Lippen gehabt hätte, hätte ich mich ganz sicher auch verschluckt. Mom nickte. »Sie würde sich zu gern mit all den Kerlen aus dem Club treffen, die Interesse an ihr bekunden.« »Was heißt hier, sie will sich mit Männern treffen?!«, rief ich verärgert. Mom hatte ihre Aufgabe ja völlig in den Sand gesetzt! »Es war nie verabredet, dass du ihr zu ‘nem Date verhilfst, sondern dazu, dass sie sich wieder mit Grandpa verträgt!« »Ich hab dir doch gesagt: Zwing mich nicht, mit ihr allein zu sein«, wehrte sich Mom und versuchte mir die Schuld in die Schuhe zu schieben. Ich ließ das natürlich nicht gelten, sondern wollte nun wissen, was sie Grandma eigentlich erzählt hatte. »Ich hab gefragt: Verträgst du dich mit Dad? Und sie hat gesagt: Er hat mir nicht die Butter gereicht.« »Das glaub ich einfach nicht«, meinte ich fassungslos. »Tut mir Leid. Ich hab’s versucht«, beteuerte Mom. »Leider kann ich das nicht.« Sie sah mich an und versuchte mich zu beschwichtigen. »Hör zu, bestimmt war’s ihr damit nicht ernst. Sie war bloß sauer auf Dad und hat das nur so gesagt. Nächste Woche tauschen wir!« Sie grinste mich an. »Dann kannst du mit meiner Mutter essen, und ich verkupple Dad mit ‘ner netten Baronesse.« »Lass die Scherze!«, rief ich, immer noch empört. »Gut«, antwortete Mom und begleitete mich zu meinem Wagen. »So, jetzt will ich ‘ne Beschwerde loswerden: Wegen
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deines schwachsinnigen Plans musste ich auf einen Abend mit meinem Kind verzichten.« »Ich wollte deine Eltern wieder versöhnen!«, rief ich vorwurfsvoll. »Ja, klar, jetzt sind es meine Eltern«, antwortete Mom. »Egal, hör zu. Ich hab gedacht, falls du morgen nichts vorhast, könnten wir uns zum Mittagessen im Dragonfly treffen. So gegen eins?« Ich lächelte sie an. »Gut, dann bis morgen. Und halt dich von Grandma fern!« Als ich am nächsten Tag gut gelaunt ins Hotel kam, traute ich meinen Augen nicht. Christopher, mein Dad, war da. Er saß zusammen mit Mom an einem der Tische im Speisesaal, und Gigi war natürlich auch dabei und saß in einem Kinderstuhl. Als ich ihn erblickte, prallte ich regelrecht zurück. Mein Gesicht verfinsterte sich schlagartig, und ich blieb unschlüssig stehen. »Überraschung! Sieh mal, wen Mami angeschleppt hat!«, rief Mom fröhlich. Sie wusste zwar, dass ich nicht allzu gut auf meinen Vater zu sprechen war, war sich aber nicht darüber im Klaren, was das tatsächlich für mich bedeutete. Ich wollte keinen Kontakt mehr zu ihm. Ich wollte nicht mit ihm Mittag essen, nicht mit ihm reden und nichts von ihm wissen. Ich wollte einfach nichts mehr mit ihm zu tun haben. Ich war ihm schließlich oft genug auf den Leim gegangen, hatte ihm immer und immer wieder eine Chance gegeben – und seit der letzten Enttäuschung, als er Mom und mich wieder einmal verlassen hatte, weil Sherry mit Gigi schwanger war und er einmal ein guter Vater sein wollte – hah! –, sah ich keine Veranlassung mehr, ihm auch nur noch ein einziges Mal mein Vertrauen zu schenken. Und als ich ihn an diesem Mittag mit Mom so sitzen sah, kam nicht nur meine persönlich Wut und Enttäuschung in mir hoch – nein, ich machte mir einfach Sorgen um Mom. Sie war doch so glücklich mit Luke, und Christopher würde sicher - 137 -
wieder einmal alles kaputtmachen. Ich ignorierte seine Begrüßung und stand versteinert an dem Tisch, als Mom mich fragte, ob ich nicht meine Schwester begrüßen wollte. »Ja, richtig«, meinte ich, ging zu dem kleinen blonden Mädchen und gab ihr einen Kuss aufs Haar. »Hey, Gigi. Weißt du, wer ich bin?«, fragte ich. »Ich bin Rory.« Dann setzte ich mich schweigend auf den freien Stuhl zwischen Mom und Christopher und starrte auf die Karte. »Ist das nicht ‘ne tolle Überraschung?«, wollte Mom wissen und strahlte mich an. »Es ist nett, Gigi zu sehen«, antwortete ich in einem Ton, der deutlich machte, dass der Satz auch noch einen ungesagten zweiten Teil hatte, der lautete: Aber auf meinen Vater hätte ich gut verzichten können. Christopher war die Situation offenbar ebenfalls unangenehm, denn auch er starrte wieder auf die Karte, und Mom blickte uns irritiert an. Sie merkte, dass irgendetwas zwischen Dad und mir vorgefallen war, von dem sie nichts wusste – konnte aber erst einmal nicht nachforschen, was passiert war. Einer ihrer Mitarbeiter bat sie dringend zur Rezeption, wo sich allem Anschein nach Michel in einer wütenden und lautstarken Auseinandersetzung mit einem Gast befand. »Ich komm gleich wieder«, entschuldigte sich Mom und sah uns dann grinsend an. »Und erzählt solange ja keine witzigen Geschichten.« Weder Christopher noch ich antworteten etwas darauf, aber sobald Mom außer Hörweite war, legte ich meine Karte weg und funkelte Christopher wütend an. »Einmal, Dad. Ich hab nur einmal was von dir verlangt, nur einmal.« »Das war nicht meine Idee!«, verteidigte sich Christopher. Ich winkte ab, denn ich glaubte ihm kein Wort, und er sprach schnell weiter. »Ich hab sie nicht angerufen. Du hattest mich ja darum gebeten, es zu lassen. Deine Mutter hat angerufen. Sie - 138 -
hat sich gemeldet, weil sie schon so lange nichts mehr von mir gehört hatte, und der einzige Grund dafür ist, dass du mich gebeten hattest, mich von ihr fernzuhalten. Bitte, hör auf, den Kopf zu schütteln.« Er sah mich eindringlich an. »Sie hat mich angerufen und gefragt, ob wir uns zum Essen treffen.« »Du hättest doch nicht zustimmen müssen«, gab ich zurück. »Ich hatte aber keinen Grund, die Einladung auszuschlagen. Was hätte ich denn machen sollen? Ihr sagen, dass du was dagegen hast? Ich wollte dich nicht verraten.« Er wartete, ob ich einlenken würde, aber ich dachte gar nicht daran. »Es tut mir Leid«, meinte er dann. »Hör zu, ich wusste nicht, dass du auch kommst. Und es ist für mich genauso ‘ne Überraschung wie für dich.« »Ja, schon klar!«, rief ich aufgebracht. »Du dachtest, ich würde nicht kommen, also könntest du dich gefahrlos mit ihr treffen, denn ich würde ja nichts davon erfahren.« »Nein, Rory, nein! Du irrst dich, so ist es nicht gewesen!« Dann merkte er, dass er sich bei mir die Zähne ausbiss, und wurde langsam, aber sicher sauer. »Weißt du was?«, fragte er. »Ich muss mich nicht vor dir rechtfertigen. Ich hab nichts Unrechtes getan. Es tut mir Leid, dass du dich so aufregst. Aber vergiss nicht, deine Mutter und ich hatten schon ‘ne Beziehung, da gab’s dich noch lange nicht. Wir sind zusammen aufgewachsen, und wir haben auch ein Kind. Und was immer auch geschieht, daran wird sich nichts ändern.« »Klasse!«, höhnte ich. »Du kanntest sie vorher und hast deshalb das Recht, hier aufzukreuzen und alles zu zerstören, was sie liebt?« »Red keinen Schwachsinn! Ich hab sie nicht angerufen, also schieb nicht mir die Schuld in die Schuhe!« »Tja, wenn sie dann besser passen …« Jetzt sah Christopher Rot. »Ich bin dein Vater, denk daran. Da könntest du verdammt noch mal etwas Respekt zeigen!«
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Ich zeigte ihm gerade durch eine fiese Grimasse, was ich von seinem letzten Satz hielt, da kam Mom an unseren Tisch zurück. Sie merkte natürlich, dass wir uns in ihrer Abwesenheit gestritten hatten – aber sie versuchte tapfer, das Eis zu brechen und die Stimmung zu heben, indem sie uns die Geschichte erzählte, die sie gerade erlebt hatte. Und zugegebenermaßen: Unter anderen Umständen hätte sie lustig sein können. »Hätte« deshalb, weil weder Christopher noch mir in irgendeiner Form nach Lachen zu Mute war … Mom erzählte uns also von den Bademantelräubern, die von Michel zu Unrecht verdächtigt worden waren und die nur mit Mühe davon abgehalten werden konnten, die Polizei zu rufen, nachdem Michel ihnen die Koffer entrissen und alles durchwühlt hatte. Schlussendlich gab es zwischen den Gästen und Michel Handgreiflichkeiten, die zur Folge hatten, dass Michels Hosen rissen und darunter seine pinkfarbene glänzende Unterwäsche zum Vorschein kam. Als Mom an dieser Stelle angelangt war, sah sie uns erwartungsvoll an, denn sie war sich sicher, dass spätestens jetzt alle in schallendes Gelächter ausbrechen müssten. Aber sie irrte sich. Christopher und ich starrten vor uns auf den Tisch und verzogen keine Miene. »Ist die Sache mit der Unterwäsche nicht gut rausgekommen?«, fragte Mom. »Hätt ich sagen müssen: Seine Unterhosen sind pink und glänzend? Jetzt bin ich verwirrt, denn eigentlich wollte ich mit dieser Nummer in ‘ner ComedyShow auftreten. Wow.« Sie gab auf und sah uns abwechselnd an. »Hab ich was verpasst, Leute?« Mom blickte von mir zu Dad und wieder zu mir, doch ich starrte weiter auf meinen Teller. So lange, bis Christopher aufstand und sich verabschiedete. Mom versuchte noch, ihn zurückzuhalten, aber er erklärte, dass er jetzt wirklich dringend gehen müsste, schnappte sich Gigi und marschierte hinaus.
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»Chris …«, rief ihm Mom noch nach, doch als sie merkte, dass es zwecklos war, verschränkte sie die Hände ineinander und sah mich eindringlich an. »Also, sag schon, was ist hier los?« »Hast du ihn angerufen und zum Essen eingeladen?« »Was?« Mom wirkte erstaunt, und ich wiederholte meine Frage, denn zuerst wollte ich abklären, ob Christopher gelogen hatte. »Ja, sicher«, antwortete Mom. »Er hat nicht angerufen? Das hier war nicht seine Idee?« Ich guckte ungläubig. »Nein. Rory, was soll das alles? Antworte mir.« Ich seufzte. Ich wusste, ich musste ihr jetzt die Wahrheit sagen, und war mir nicht sicher, wie sie darauf reagieren würde. Vielleicht war sie ja sauer, weil ich mich so in ihr Leben eingemischt hatte? Ich wusste es nicht. Aber ich wusste, dass sie ein Recht hatte, zu erfahren, was passiert war. »Ich bin zu Dad gefahren«, erklärte ich deshalb ohne Umschweife. »Ist schon ‘ne Weile her. Nachdem Sherry weg war. Ich war also bei ihm und hab ihm gesagt, er soll dich nie wieder anrufen.« »Wieso?« Mom war wirklich baff. Das hätte sie nicht von mir gedacht. Ich verdrehte die Augen. »Mom, komm schon …« »Was heißt ›Mom, komm schon‹? Wieso? Wieso hast du das getan?« »Ich will doch nur verhindern, dass er sich zwischen dich und Luke stellt. Immer wenn er hier auftaucht, macht er dir bloß das Leben schwer. Er will dich wiederhaben, und dann verschwindet er, oder Sherry ist schwanger, oder er verliert seinen Job oder haut einfach ab, was weiß ich. Er braucht nicht mal ‘nen Grund dazu. Das ist schon immer so gewesen. Und du wehrst dich nicht mal dagegen. Anscheinend kommst du nicht los von ihm.«
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»Wie soll ich denn das verstehen?«, fragte Mom. Aber ihrer Stimme war anzumerken, dass sie nicht ernsthaft sauer war, was mich sehr erleichterte. »Du verlobst dich mit Max, und dann verlässt du ihn. Zuerst willst du Max heiraten, und dann verlässt du ihn«, erklärte ich viel sagend. »Christopher hatte nicht das Geringste mit Max zu tun«, versuchte Mom sich zu verteidigen, aber ich hatte die besseren Argumente und fragte sie, wen sie denn dann von ihrer Junggesellinnenparty aus angerufen hätte. Mom nickte. »Ich war angetrunken. Vorher hab ich’s auch bei Michael Caine versucht, weißt du nicht mehr?« »Die ganze Zeit hoffst du, dass er sein Leben noch mal auf die Reihe kriegt …« »Nein, nein, Schatz. Es stimmt nicht, dass ich immer noch auf ihn warte. Ja, selbstverständlich gab es Zeiten, da, da hätt’ ich mir gewünscht, mit dem Vater meiner Tochter zusammen zu sein, aber nicht jetzt. Ich bin mit Luke zusammen, mit Haut und Haaren.« So ganz konnte sie mich nicht überzeugen, und ich fragte mich, wie wohl Luke die Sache aufgefasst hatte. Mir an seiner Stelle wäre das mit Sicherheit nicht egal, und deshalb wollte ich von Mom wissen, was Luke zu dem Mittagessen gemeint hatte, und ob ihn das nicht störte. Mom stutzte im ersten Moment, dann lächelte sie mich entwaffnend an. »Nein, es stört ihn nicht. Denn es gibt hier nichts, woran er sich stören müsste. Ich weiß es zu schätzen, dass du dich um mich sorgst, aber das musst du nicht. Es geht mir gut.« »Okay«, nickte ich, und als Mom vorschlug, nun endlich etwas zu bestellen, blickte ich erneut in die Karte. Dieses Mal aber, um tatsächlich etwas auszuwählen … Als ich wieder im Auto saß und auf dem Weg zurück nach Yale war, griff Mom zum Telefon, um sich mit Sookie zu - 142 -
verabreden, denn sie hatte das dringende Bedürfnis, sich mit ihrer Freundin auszutauschen. Während sie mit ihr durch Stars Hollow schlenderte, erzählte sie, was passiert war und dass ich ein furchtbar ernstes Gesicht gemacht hätte. »Sie ist eben besorgt um dich«, erklärte Sookie. »Und dann fragt sie noch: ›Was sagt Luke dazu?‹ Ist das zu fassen?« Sookie grinste. »Sie hat ‘n guten linken Haken.« »Ich hab meine Tochter angelogen«, gestand Mom. »Das ist das Allerletzte, aber sie sollte nicht denken, dass es einen Grund gibt, wieso ich’s Luke nicht erzähle.« »Gibt’s denn irgendeinen Grund, wieso du’s Luke nicht erzählt hast?« »Sook, ich bitte dich!«, wehrte Mom ab, doch Sookie hatte es gar nicht auf diese Art gemeint. Sie zuckte die Schultern und erklärte, dass sie an Moms Stelle Angst gehabt hätte, dass Jackson furchtbar eifersüchtig geworden wäre – und dass sie ein Essen mit dem Ex deshalb vielleicht verheimlicht hätte. »Davor hab ich eigentlich gar keine Angst«, meinte Mom und überlegte. »Also, ich hab’s verschwiegen, weil’s einfach unwichtig ist«, meinte sie. »Jedenfalls hab ich das gedacht …« Je mehr sie darüber nachdachte, desto größer wurde in ihr das schlechte Gewissen Luke gegenüber, und sie beschloss, ihm alles zu erzählen. Bloß wie, das wusste sie nicht, denn es war schließlich immer ein wenig, na, sagen wir ungünstig, so etwas im Nachhinein zu tun.
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9 Mom saß bedrückt und in sich zusammengesunken in Luke’s Diner am Tresen und sah aus, als zählte sie die Kuchenkrümel auf ihrem Teller. Tatsächlich aber überlegte sie fieberhaft, wie sie es am besten anstellen könnte, Luke von Christopher zu erzählen und ihn gleichzeitig nicht misstrauisch zu machen. Der perfekte Plan wollte ihr einfach nicht einfallen. »Geht’s dir gut?«, schreckte Luke sie auf, der gerade mit der Kaffeekanne durch sein Diner gegangen war und allen nachgoss. »Willst du’n Kaffee?« »Nein«, antwortete Mom abwesend – allerdings war das eine Antwort, die wirklich jeden misstrauisch machen musste. Eine Kaffeesüchtige, die auf diese Frage mit einem Nein antwortete – da kann schließlich was nicht stimmen, da müssen ja alle Alarmglocken läuten. »Nein?«, wiederholte Luke denn auch ungläubig. »Doch«, verbesserte sie sich rasch. »Doch?« Luke wollte Mom schon nachschenken, als er feststellte, dass ihre Tasse noch randvoll war. Er wurde das Gefühl nicht los, dass Lorelai irgendetwas bedrückte, sie irgendetwas loswerden wollte, was auch immer. Lange musste er aber nicht mehr warten, denn nachdem Mom noch ein wenig um den Kaffee, volle Tassen und leere Tassen herumgeeiert war, erzählte sie Luke die Geschichte von den Bademantelräubern. »Wirklich ‘ne witzige Geschichte!«, begann sie mit gespielter Begeisterung. »Ähm, früher im Independence Inn hatten wir öfter ‘n Pärchen zu Gast, das immer Bademäntel geklaut hat. Michel ist fast verrückt geworden. Und heute sind sie aufgetaucht.« »Wer?«
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»Die Bademantelräuber. Die haben bei uns übernachtet, und heute haben sie wieder ausgecheckt. Und jetzt pass auf: Einer meiner Mitarbeiter kommt zu mir gerannt und sagt, es gäbe irgendwelche Schwierigkeiten in der Lobby. Also lauf ich schnell in die Lobby: Michel wird gejagt, die Frau ruft schäumend vor Wut die Polizei, und ich muss ihnen die Rechnung erlassen und zwei Bademäntel schenken, damit sie aufhören zu schreien und …« Sie stockte und sah Luke an, der damit begonnen hatte, die Theke zu wischen, und kein sonderlich großes Interesse an der Geschichte zeigte. »Das ist ‘ne blöde Geschichte«, stellte Mom fest. Luke winkte ab. »Nein, sie war gar nicht so blöd.« »Doch, ich erzähl sie schon zum zweiten Mal, und beide Male kein Lacher. Ich meine, Rory und Christopher haben mich angesehen, als hätt ich ‘ne Vollmeise.« Mom war heiß und kalt geworden, als sie das sagte. Und jetzt wartete sie gespannt auf Lukes Reaktion. Luke hatte schlagartig aufgehört, die Theke zu wischen. Plötzlich schien ihn die Geschichte sehr zu interessieren. »Christopher?«, horchte er nach. Mom nickte rasch und antwortete so beiläufig wie möglich, dass er mein Dad sei. »Er war zum Mittagessen da. Ich hab heut mit ihm gegessen und mit Rory. Also, mit Rory und Christopher. Und Gigi, seine Tochter mit Sherry, war auch da, denn Sherry lebt jetzt in Frankreich. Und er ist allein erziehender Vater, und wir haben gegessen. Heute, und zwar alle zusammen. Und dann hab ich die Bademantelräubergeschichte erzählt, und sie haben genauso reagiert … alle, bis auf Gigi. Sie hat gespuckt, denn sie ist ‘n Baby. Und die machen das so.« Luke sah sie ein oder zwei Sekunden nur an, ohne etwas zu erwidern, und es ist doch immer wieder erstaunlich, wie wahnsinnig lang Sekunden werden können. Endlich lächelte er. »Okay«, meinte er, nickte Mom zu und ging in die Küche. - 145 -
»Okay«, wiederholte Mom erleichtert. Ihr fiel ein großer Stein vom Herzen, und sie war froh, die Sache hinter sich zu haben. Sie wollte sich gerade auf ihren Kaffee stürzen, als ihr Telefon klingelte und sie vor die Tür gehen musste. Grandma war dran, völlig außer sich. »Komm zu mir, aber sofort!«, schrie sie in den Hörer, und Mom verzog vor Schmerzen das Gesicht, versuchte aber dennoch, ihre Mutter zu beruhigen. Was ihr nicht gelang. »Er wird in einer Stunde hier sein, und ich weiß nicht, was ich anziehen soll!« Emily schnappte nach Luft, und Mom konnte hören, wie sie hektisch hin und her ging. »Also los, komm sofort her!« »Wer wird in einer Stunde da sein?«, fragte Mom. »Dad?« »Simon MacLaine!«, brüllte Emily und stapfte mit dem Fuß auf. »Wer ist Simon MacLaine?« »Er ist mein Rendezvous. Und ich weiß nicht, was ich heute Abend anziehen soll. Ich bin völlig in Panik, und das ist deine Schuld!« Mom nickte genervt. Das war ja klar! Ihre Mutter hatte nie Probleme damit, einen Schuldigen für irgendwas zu finden. Und fast immer war es eine Schuldige – und die hieß Lorelai. »Wieso ist das meine Schuld?«, horchte Mom pikiert nach. »Weil ich mit deinem Satz gleich Erfolg hatte«, antwortete Emily, und als Mom nicht wusste, was für einen Satz sie meinte, erklärte Emily: »Hallo.« ›»Hallo‹ ist nicht mein Satz!«, stellte Mom klar. ›»Hallo‹ ist gar kein Satz. ›Hallo‹ ist nur ›Hallo‹.« Für Emily war das Wortklauberei, die sie nicht gelten ließ. »Ich weiß nur, dass ich ›Hallo‹ zu ihm gesagt hab, und jetzt führt er mich zum Essen aus!«, rief sie, und dann holte sie zum K.o-Schlag aus. »Wenn du dich nicht sofort auf den Weg machst, buche ich von jetzt bis zu meinem Tod für jedes
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Wochenende eine Veranstaltung des Frauenvereins in deinem Hotel!« »Ich bin gleich da«, seufzte Mom und setzte sich in ihren Wagen. Wenig später war sie vor Grandmas Haus angekommen, und dem Gesicht des Hausmädchens nach zu urteilen, das blass und leidend die Tür öffnete, herrschte hier ein absoluter Ausnahmezustand. Moms Vermutungen wurden sofort bestätigt, als sie Grandmas Schlaf- und Ankleidezimmer betrat, denn sie musste ob der herumgeschleuderten Anzüge und Kostüme, kaum dass sie den Raum betrat, in Deckung gehen. »Wow … Chanel-Angriff«, kommentierte Mom für sich selbst, dann musste sie sich erneut ducken, denn das nächste Kostüm flog quer durch das Zimmer. Als sie sich wieder aufrichtete und bemerkbar machen konnte, kam Grandma auf sie zugerauscht. Ihre Haare waren wirr wie selten, und sie hatte hektische rote Flecken auf den Wangen. Sie trug nichts weiter als ein schwarzes Seidenunterkleid und einen cremefarbenen seidenen Morgenmantel. Im ganzen Raum lagen Kleidungsstücke verstreut, alle, aber auch wirklich alle Schränke und Schubladen waren aufgerissen, und das wollte was heißen – denn Grandma hatte, wie man sich leicht denken kann, eine Unmenge an Schränken und Kommoden, wo sie ihre Beute ihrer Kaufrauschattacken aufbewahrte. Dem Bild nach zu urteilen, das sich Mom darbot, hatte das ganze Drama der Kleidungsfrage offensichtlich schon vor einiger Zeit begonnen, denn solch ein Chaos konnte selbst eine Emily Gilmore nicht binnen ein oder zwei Stunden angerichtet haben. »Sieh dir den roten Hosenanzug an!«, befahl Emily und hielt ihr ein knallrotes Etwas entgegen, das trotz des Vermögens, das es vermutlich gekostet hatte, doch ziemlich abscheulich war.
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»Nett«, meinte Mom vorsichtig, als sie einen Blick auf das kirschrote Verbrechen mit den riesigen Goldknöpfen geworfen hatte. »Nett?!«, horchte Emily auf. Mom nickte. »Äh, nett und rot und mit Hosen, dieser Anzug.« Emily schnaufte. »Er ist grauenhaft, du findest ihn grauenhaft!« Emily drehte sich wie eine Wahnsinnige im Kreis und steuerte dabei einen der Kleiderschränke an. »Er ist grauenhaft. Simon kommt in zwanzig Minuten, und ich hab nichts anzuziehen! Ich … ich hab das ewig nicht gemacht. Ich weiß nicht, was ich zum ersten Rendezvous anziehen soll, ich weiß nicht, was ich beim ersten Rendezvous sagen soll. Ich weiß nicht, worüber ich reden und was ich essen soll. Welches?« Sie hatte sich zwei fast identische Kostüme gegriffen und hielt sie Mom vor die Nase. Mom sah von einem zum anderen. Eines war schwarz, und das andere war auch schwarz, und sie konnte einfach auf den ersten Blick keinen Unterschied feststellen. »Sie sehen genau gleich aus, Mom.« »Nein, da irrst du dich ganz gewaltig!«, antwortete Emily bestimmt. Mom merkte, dass jetzt der denkbar ungünstigste Moment war, darüber zu diskutieren, außerdem hielt sich ihre Motivation in Grenzen, und sie riet deshalb Grandma zum rechten Kostüm. Doch Emily gab sich auch damit nicht zufrieden. Sie wollte wissen, weshalb ihr Mom nun das eine vorschlug und das andere nicht. »Wieso rätst du mir zu diesem hier? Gibt es eine logische Begründung, wieso du mir zu diesem Kostüm rätst? Tust du das womöglich nur, weil es dir zufällig am nächsten ist?« »Wie heißt es so schön?«, lächelte Mom. »Das Gute liegt so nah.«
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Emily stampfte wieder mit dem Fuß auf. »Du wählst einfach irgendwas aus, weil du schnell wieder wegwillst!« Dann warf sie beide Kostüme mit Schwung auf ihr Bett, fasste sich mit der rechten Hand an die Stirn und suchte mit der linken Halt an einer Kommode. »Ich werde nie rechtzeitig fertig«, stöhnte sie wie von Sinnen. »Ich hab mich noch nicht frisiert, ich hab mich noch nicht mal geschminkt … Du meine Güte, ich krieg keine Luft. Ich hab Schwierigkeiten beim Atmen!« Sie schnappte nach Luft und drohte zu hyperventilieren. So langsam merkte Mom, dass es sich wirklich um einen Ausnahmezustand handelte und dass es Grandma tatsächlich nicht gut ging. »Mom, setz dich hin!«, meinte sie daher besorgt. »Das kann ich nicht. Dann wird mein Kleid faltig.« »Du hast noch gar keins an.« Emily sah an sich hinunter. »Was? Oh, mein Gott, ich glaub, ich werd verrückt«, jammerte sie, setzte sich zu Mom und schüttelte fassungslos den Kopf. »Nicht zu fassen, dass ich das wirklich tue. Ich hab ein Rendezvous. Ich bin Single.« »Du bist kein Single«, antwortete Mom. »Red keinen Unsinn.« »Das ist nur ‘ne reine Formsache«, widersprach Emily und erinnerte sich dann an den Abend ihrer Hochzeit. »Oh, ich war in Panik. Ich dachte, es ist aus. Ich werd nie wieder mit einem andern zusammen sein. Das hält jetzt ein Leben lang.« Sie seufzte. »Hätte ich nur eine Kristallkugel gehabt, dann hätte ich vielleicht meinen Salat essen können. Ich weiß noch, er sah köstlich aus.« Mom sah Grandma eindringlich von der Seite an. Bevor sie ihrer Mutter bei der Auswahl ihrer Garderobe behilflich sein konnte, musste sie etwas ein für alle Mal klären. »Mom«, meinte sie behutsam, »jetzt ganz ernsthaft: Willst du das wirklich tun?«
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Emily überlegte einen Moment lang. Dann nickte sie. »Natürlich.« »Okay«, antwortete Mom. Wenn es tatsächlich der Wille ihrer Mutter war und wenn sie es sich nicht ausreden ließ, dann half sie ihr eben. »Zieh das Schwarze an.« »Danke«, strahlte Emily dankbar. Es war einer der wenigen Momente, in denen sich die beiden nah waren. »Was ist mit dem …« »Burgunderrot passt auch sehr gut«, meinte Mom lächelnd und wartete, bis sich Emily umgezogen hatte. Dann fuhr sie nach Hause, um sich selbst umzuziehen, denn sie wollte Luke am Abend mit einem Kinobesuch überraschen. Luke ging, nachdem Mom bei ihm gewesen war, zu T. J. Das Cafe schmiss Lane, denn er musste dringend seinem Schwager helfen. Das Badezimmer des neuen Hauses war völlig schrottreif, und da Liz und T. J. kein Geld für den Handwerker hatten, setzte T. J. sich in den Kopf, das Bad selbst zu reparieren. Allerdings hatte er weder das Werkzeug dazu, noch eine Ahnung davon, was zu tun war, sodass sich Lukes Befürchtungen allesamt zu bewahrheiten schienen. Er musste dran glauben. An dem Nachmittag hatte er seine Rohrzange herausgesucht, den Werkzeugkoffer gepackt und war damit zu T. J. und Liz gefahren, wo er seitdem mit seinem Schwager arbeitete. Eigentlich, arbeitete Luke, und T. J. stand dabei. »Wir arbeiten doch ganz gut zusammen«, stellte T. J. nach einer Weile fest und trank einen Schluck Kaffee, während Luke weiter an den Rohren sägte. »Wir haben einen guten Rhythmus, so’n Groove, weißt du? Wir könnten zusammen in den Wäldern leben und ‘ne neue Zivilisation gründen, wenn’s nötig wär.« »Dafür braucht man ‘ne Frau«, antwortete Luke, ohne aufzublicken.
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»Ja, richtig.« T. J. überlegte – und das konnte bei ihm bekanntlich dauern. »Okay«, meinte er schließlich. »Vielleicht könnte Liz mitkommen. Aber wir könnten sie uns nicht teilen, denn sie ist ja deine Schwester. Und das wär ‘n mieser Anfang für ‘ne neue Zivilisation.« »Wie wär’s, wenn du mit Liz ‘ne neue Zivilisation gründest? Dann kann ich hier bleiben«, schlug Luke vor. »Nein, komm schon. Dafür finden wir ‘ne Lösung.« Wieder setzte T. J. ein Gesicht auf, dem anzusehen war, dass es dahinter gerade mächtig ratterte. »Genau, Lorelai könnte mitkommen! Und die könnten wir uns teilen.« »Hör auf. Schluss mit dem Zivilisationsgerede!«, bestimmte Luke, und dann konnte er nicht anders. Zwar war T. J. der Letzte, der ihm wahrscheinlich einen guten Rat geben konnte, aber seitdem ihm Mom von Christopher erzählt hatte, ging ihm die ganze Geschichte einfach nicht mehr aus dem Kopf, und das musste jetzt raus. »Hey, T. J.? Hältst du dich für ‘n eifersüchtigen Menschen?«, begann Luke. »Wieso?«, fragte der. »Weil du morgen mit ‘nem andern Typen Rohre schneiden willst?« Luke seufzte auf. »Lassen wir das«, antwortete er und wollte sich schon wieder den Rohren zuwenden, aber T. J. ließ einfach nicht locker, und als er Luke erzählte, dass er überhaupt nicht eifersüchtig sei, hatte er Luke so weit. Er rückte mit der Sprache raus. »Wenn Liz mit ‘nem Ex essen gehen würde, dann wär das also nicht schlimm für dich?« »Nein«, antwortete T. J. »Gut.« Luke nickte. »Ich meine, das ist ‘n Ex von ganz früher. Sie waren vor Ewigkeiten zusammen, doch sie sind essen gegangen, und sie hat dir davon nichts erzählt, jedenfalls nicht sofort, erst hinterher. Und du sagst nichts dazu, oder? Ich meine, du interpretierst da nicht unnötig was rein. Das macht
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dich nur verrückt und sie auch, und dann sind irgendwann alle verrückt, richtig?« »Mit wem zum Teufel geht Liz essen?«, schrie T. J. plötzlich. Er brachte auf einmal alles mächtig durcheinander und griff nach einem abgesägten Rohr. »Äh, was?«, rief Luke. »Mit keinem.« »Grade hast du gesagt, sie ist mit ‘nem Ex essen gegangen! War es Art?! Ich schwör’s dir, wenn das Art war, dann werde ich …« T. J. rannte los. »Ich hab ihm gesagt, er soll seine dreckigen Griffel von ihr lassen!« »Hey, T. J. Hey!« Luke rannte seinem wahnsinnigen Schwager nach, holte ihn glücklicherweise ein und hielt ihn fest. »Es war nicht Art!«, rief er – er hatte wirklich große Mühe, T. J. zu besänftigen. Als er es endlich geschafft hatte, machte er sich auf den Weg. Er selbst hatte eines begriffen: Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft – und deshalb sollte man auch versuchen, einen großen Bogen um derlei Gefühlswallungen zu machen … Als er mit Lorelai nach dem Kino vor ihrem Haus stand, musste er deshalb auch eines noch unbedingt loswerden. Sie war schon oben an der Eingangstür, als er sie noch einmal rief, um ihr mitzuteilen, dass er nicht eifersüchtig sei. Dann stieg er in seinen Wagen und fuhr weg. Mom sah ihm lächelnd nach – aber sie wusste, was sein letzter Satz in Wahrheit bedeutete. Sie wusste, dass er sich wohl den ganzen Tag über den Kopf zerbrochen hatte – und dass es ihm sicher nicht leicht fiel, seine Eifersucht mit sich selbst auszumachen. Sie rechnete ihm sein Bemühen hoch an. Als sie in der Wohnung war, füllte sie sich erst einmal eine große Schüssel mit Popcorn. Sie wollte es sich gerade mit einem Video gemütlich machen, als das Telefon klingelte. Es war schon spät, und sie befürchtete, dass es Emily war, sodass sie erst einmal abwartete, wer auf die Mailbox sprach.
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»Ich bin müde, das Telefon ist weit weg. Fasst euch kurz«, ging die Mailbox ran, und sobald das Signal ertönte, hörte sie Christophers Stimme. »Hey, Lorelai, ich bin’s«, begann er. »Bist du da? Ich rufe an, weil unser Treffen so’n ungutes Ende hatte. Ich nehme an, du hast inzwischen mit Rory gesprochen und weißt, warum es so war. Ich möchte darüber reden. Ruf an. Ich bleib lange auf. Okay, bis dann.« Mom, die nach dem ersten Satz aufgesprungen war und lächelnd nach dem Hörer greifen wollte, hatte es sich im Bruchteil einer Sekunde anders überlegt. Jetzt war ihr Lächeln verschwunden, und nachdenklich ging sie die Treppe hoch zu ihrem Bett. Sie wusste, dass sie vorsichtig sein musste, was Christopher anging. Nicht nur, weil sie damit Lukes Gefühle durcheinander brachte. Sie merkte auch, dass sie selbst nicht völlig gegen Christophers Charme gefeit war … Doch nicht nur Mom war nachdenklich. Emily war es auch, sie war sogar ein wenig verzweifelt, und das, obwohl der Abend mit Simon doch wunderbar gewesen war. Er war aufmerksam gewesen, charmant und sehr bemüht um sie, und die Zeit war wie im Flug vergangen. Sie hatten über dies und das geplaudert und dabei viele Gemeinsamkeiten entdeckt. Als er sie wie ein wahrer Gentleman zur Haustür gebracht und dort gefragt hatte, ob sie sich vorstellen könnte, solch einen Abend irgendwann einmal zu wiederholen, da hatte ihn Emily auch noch verheißungsvoll angelächelt und ihm Hoffnungen gemacht. Lächelnd hatte sie dann die Tür aufgeschlossen, und sie lächelte noch, als sie schließlich im feudalen Foyer stand. Erst dort fiel ihr Lächeln von ihr ab, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Plötzlich kam ihr alles so armselig vor. Die Liebe, das Leben, einfach alles. Vierzig Jahre lang war sie mit Richard zusammen gewesen, und jetzt auf einmal sollte alles vorbei sein? Zum ersten Mal seit ihrer Trennung fühlte sie eine fast übermächtige Sehnsucht. Eine Sehnsucht, einfach zum - 153 -
Poolhaus zu laufen und ihren Mann zurückzuholen. Doch nachdem sie eine Weile geweint hatte, trocknete sie sich die Tränen und beschloss, doch besser noch einen Drink zu nehmen und dann schlafen zu gehen … Und mein Abend? Ich war sehr froh, zum gemeinsamen Lernen bei Marty verabredet zu sein, denn Paris hatte wie immer, seit sie den Ramadan praktizierte, bei Einbruch der Dunkelheit ihr Fasten gebrochen und Unmengen an Fastfood geordert. So viel, dass selbst ich das nicht mehr mit ansehen konnte. Nachdem ich mich also durch die Berge von Pizzakartons und Asia-Schachteln zur Tür durchgearbeitet hatte, steuerte ich zielstrebig Marty an und machte es mir mit ihm auf seinem Bett gemütlich. Wir wollten uns für ein Geschichtsseminar vorbereiten, das sich mit dem antiken Rom beschäftigte, und trugen zusammen, was wir bereits über Rom wussten. »Also«, begann Marty gedehnt. »In Rom haben Römer gewohnt, das weiß ich schon mal. Äh, und diese Aerobic-Tante heißt so.« Er überlegte und griff in die Chipstüte. »Und ‘n Supersong von den B 52’s auch.« Dann seufzte er. »Das war’s. Jetzt fällt mir nichts mehr ein. Das College macht mich völlig fertig. Tag für Tag muss ich wieder feststellen, wie wenig ich weiß. Ich komm mir vor wie ‘n Blödmann.« Auch ich seufzte, zwar nicht, weil ich mir blöd vorkam, sondern einfach weil ich plötzlich merkte, wie erschöpft ich war. »Also, ich leg ‘ne Pause ein«, erklärte ich und lehnte mich zurück in die Kissen. »Oh, Mann, ich bin geschafft. Diese Woche war ätzend. Ich bin froh, dass sie endlich vorbei ist.« »Was war denn los?«, fragte Marty. »Ich hatte reichlich fürs College zu tun«, erzählte ich, »Ramadan«, fuhr ich viel sagend fort, »und mein Freund und ich haben uns getrennt.« Ich schüttelte den Kopf bei der Erinnerung. »Das war echt ‘n Spaß, vor dem Haus meiner Großmutter, und ‘n Haufen Leute hat dabei zugesehen. Und - 154 -
dann, weil anscheinend mein Bedarf an Seifenopern noch nicht gedeckt war, hatte ich auch noch ‘n Riesenzoff mit meinem Dad. Der ist auf einmal wieder in mein Leben getreten. Weißt du, ich hab so viele Jahre darauf gewartet, dass er sich endlich meldet. Und jetzt ist er wieder da, und … Ich weiß auch nicht. Ich bin einfach total geschafft.« Ich schloss die Augen. Ich war wirklich hundemüde, und bei Marty fühlte ich mich sicher und geborgen. »Weißt du, nachdem ich rausgefunden hatte, dass mein Vater gar nicht mein Vater ist, haben wir uns viel besser verstanden«, hörte ich Marty von weither antworten. »Der ganze Druck war plötzlich weg. Und wenn jetzt irgendwas passiert, muss ich ihm nicht automatisch ‘ne Niere spenden. Ich kann das Für und Wider abwägen.« Er lachte kurz auf und räusperte sich. »Du und dein Freund, ihr habt also Schluss gemacht, ja?« Doch ich hörte ihn kaum mehr und war nicht mehr in der Lage zu antworten. »Rory?«, fragte er noch mal, dann hörte ich sein tiefes Seufzen … Ich weiß nicht, wie lange ich bei Marty geschlafen hatte. Als ich aufwachte, war es mitten in der Nacht, und Marty lag auf dem Sofa. Auf Zehenspitzen ging ich zur Tür und machte mich auf den Weg in mein Bett. Der Campus war menschenleer, und die Luft war kühl und erfrischend und belebte mich ein wenig. Ich dachte an Mom und daran, was aus ihr und Luke werden würde. Ich dachte an Grandma und Grandpa und daran, ob sie sich wieder versöhnen würden. Und ich dachte an Logan und mich und daran, was das eigentlich war. Würde ich jemals die große Liebe finden? Oder würde mein Leben ein ständiges Auf und Ab der Gefühle sein? Ich wusste es nicht. Aber immerhin wusste ich, dass ich gute Freunde hatte, Großeltern, die mich liebten, die beste Mom, die man sich vorstellen konnte – und eine unerschütterliche Zuversicht, dass alles schon irgendwie gut gehen würde.
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