Michael Opielka · Matthias Müller Tim Bendixen · Jesco Kreft Grundeinkommen und Werteorientierungen
Perspektiven der ...
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Michael Opielka · Matthias Müller Tim Bendixen · Jesco Kreft Grundeinkommen und Werteorientierungen
Perspektiven der Sozialpolitik Herausgegeben von Michael Opielka
Michael Opielka Matthias Müller Tim Bendixen · Jesco Kreft
Grundeinkommen und Werteorientierungen Eine empirische Analyse
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Frank Engelhardt VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-16795-4
Inhalt
1
Einleitung: Fragestellungen und Design der Studie ................................. 7
2
Werteorientierung und Sozialpolitik ........................................................ 11
2.1
Werte als Gegenstand der soziologischen Theorie................................................. 13
2.2
Werte als Gegenstand der empirischen Sozialforschung ...................................... 17
2.3
Gerechtigkeit und Grundeinkommen ...................................................................... 20 2.3.1Grundrechte als Wertgrundlage des Wohlfahrtstaates ................................. 21 2.3.2Gibt es religiöse Gründe für ein Grundeinkommen?................................... 30 2.3.3Welche Akteure sozialer Grundrechte sind identifizierbar? ........................ 36
3
Forschungsmethoden und Rekrutierung .................................................41
3.1
Hypothesenbildung und Deutungsmusteranalyse .................................................. 41
3.2
Einzelinterviews ........................................................................................................... 43
3.3
Fokusgruppen ............................................................................................................... 45
3.4
Darstellungstechnik ..................................................................................................... 46
4
Wertetypen im Rahmen der Experteninterviews .................................... 49
4.1
Menschenbild ............................................................................................................... 49
4.2
Operative Gerechtigkeit.............................................................................................. 53
4.3
Politischer Vollzug ....................................................................................................... 62
4.4
Zusammenfassung der Experteninterviews............................................................. 73
5
Fokusgruppen.......................................................................................... 77
5.1
Fokusgruppe Soziale Arbeit ....................................................................................... 78
5.2
Fokusgruppe Wirtschaft ............................................................................................. 91
5.3
Fokusgruppe Politik .................................................................................................. 106
6
Wertetypen im Rahmen der Fokusgruppenanalyse ............................... 125
6.1
Menschenbild: Gegenleistung – Leistung .............................................................. 125 6.1.1Menschenbild: Gemeinwohl – Individualismus .......................................... 127 6.1.2Menschenbild: Rolle der Arbeit ..................................................................... 131
6.2
Operative Gerechtigkeit: Sozialstaatsprinzipien ................................................... 132 6.2.1Missbrauch......................................................................................................... 135 6.2.2Gerechtigkeit ..................................................................................................... 138
6.3
Politischer Vollzug: Ordnungspolitik ..................................................................... 140
6.4
Auswirkungen auf die Gesellschaft ......................................................................... 141
7
Eine Wertematrix des Grundeinkommens ............................................. 145
8
Dilemmata und ihre Lösung in der Idee des Grundeinkommens ......... 149
9
Interviewpartner, Codierungen .............................................................. 153
10
Literatur .................................................................................................. 155
11
Anhang: Instrumente .............................................................................. 163
12
Autoren ................................................................................................... 165
1 Einleitung: Fragestellungen und Design der Studie
Die Idee des Grundeinkommens findet in konträren politischen und sozialen Gruppen Zustimmung. Dieses transzendierende Moment legt die Frage nahe, inwieweit die Idee an strukturelle Wertmuster und subjektive bzw. kollektive Werteorientierungen anknüpft, die quer zu den politischen Lagern bzw. klassischen Wohlfahrtsregimetypen sozialdemokratisch-liberal-konservativ1 angesiedelt sind. Einen ersten Zugang bilden in diesem Zusammenhang Gerechtigkeitskonzepte. Dabei kann kritisch vermutet werden, dass der Begriff der Gerechtigkeit auch als Chiffre bzw. als symbolische Politik verwandt wird. Umso wichtiger erscheint eine Klärung der dieser Idee zugrundeliegenden Werteorientierungen. Werte übernehmen eine generative Funktion für die Herausbildung von Interessen und neuen Institutionen. Gegen die Dominanz der Leistungs- und Arbeitsethik im modernen Sozialstaat argumentieren die Befürworter des Grundeinkommens für einen umfassenden Arbeitsbegriff und für eine Integration von Freiheit und Solidarität in den Werten von Anerkennung und Teilhabe. Die vorliegende empirische Studie basiert auf der Deutungsmusteranalyse qualitativer Interviews mit mittleren und höheren Verantwortungsträgern aus Politik, Sozialer Arbeit und Wirtschaft. Sie zeigt deren ambivalente Werteorientierungen zur Idee des Grundeinkommens, aber auch Wege, diese Ambivalenzen auszuhalten und einer Synthese zuzuführen. Ziel dieser Studie ist die qualitative Deutungsmusteranalyse von Werteorientierungen zu einem Grundeinkommen in Deutschland. Das ihr zugrunde liegende Forschungsprojekt bestand aus drei Elementen: x x x
einer textanalytischen Rekonstruktion von Deutungsmustern in aktuellen Dokumenten der deutschen Sozialpolitikliteratur; einer Serie von 13 Experteninterviews mit Personen der höheren Führungsebene und drei gruppenanalytischen Settings mit Personen der mittleren Führungsebene aus Wirtschaft (Tarifpartner), Politik und Soziale Arbeit an exemplarischen Standorten (Hamburg, Berlin, Erfurt).
Unter der Leitung von Michael Opielka führten Matthias Müller, Jesco Kreft und Tim Bendixen die empirischen Erhebungen durch, werteten sie aus und erstellten den Ab-
1
Dazu Opielka 2008.
8
1 Einleitung: Fragestellungen und Design der Studie
schlussbericht.2 Ziel dieser wissenschaftlichen Studie ist es, einen Einblick in die Deutungen wirtschaftlicher und politischer Ethik in Bezug auf die Idee eines Grundeinkommens bei Personen zu erhalten, die das Meinungsbild in Deutschland in näherer Zukunft prägen. Das Forschungsprojekt sollte die wirtschafts-, politik- und sozialethische Dimension eines Grundeinkommens anhand von Deutungsmustern mittlerer und höherer Elite-Angehöriger erschließen. Hierzu wurden drei einschlägige gesellschaftliche Bereiche ausgewählt: Wirtschaft (Tarifpartner), Politik und Soziale Arbeit. Es wurde vermutet, dass die Einstellungen zu einem Grundeinkommen von erheblicher Ambivalenz gekennzeichnet sind. Insbesondere die Frage der Leistungs- bzw. Arbeitsethik dürfte unter Eliteangehörigen strittig sein, da sie eigene Identitätskonstruktionen berührt. Wir vermuteten ferner, dass diese ambivalenten Deutungsmuster in sozialkommunikativen Settings zugleich stabilisiert und in konfrontativen Situationen aufgebrochen werden können. Die soziologische Analyse soll deutlich machen, wie sehr die Einstellungen zu einem Grundeinkommen mit grundlegenden Vorstellungen von Gerechtigkeit und Lebenssinn korrelieren. Spannungen zwischen Arbeit und Familie, Risiko und Sicherheit, Individualität und Gemeinschaft, materiellen und postmateriellexpressiven Werten müssen balanciert werden. Es erschien denkbar, dass die Idee des Grundeinkommens für die Befragten als Beitrag zur systemischen Neubalancierung der genannten Ambivalenzen erscheint. Die Hypothesen wurden im weiteren Forschungsverlauf in drei Hypothesenbündel ausdifferenziert: x x
2
3
Strukturhypothesen: sie beziehen sich vor allem auf die individuelle und kollektive Konstruktion von Deutungsmustern und Rekonstruktion von Ambivalenz Prozesshypothesen: hierunter werden Strategien zur Bewältigung kognitiver Dissonanzen gefasst, insbesondere Rechtfertigungsprobleme in konfrontativen Situationen3
Die empirischen Teile der vorliegenden Studie lagen in folgender Verantwortung: Tim Bendixen und Dr. Jesco Kreft (beide Stiftung Wertevolle Zukunft, Hamburg) für den Bereich der Experteninterviews (Kapitel 4), Matthias Müller (Fachhochschule Jena) für die Analyse der Fokusgruppen (Kapitel 5 und 6). Die Projektleitung und die Gesamtverantwortung für die vorliegende Veröffentlichung lag bei Prof. Dr. Michael Opielka (Fachhochschule Jena und Institut für Sozialökologie, Königswinter). Für Hilfe bei der redaktionellen Bearbeitung danken wir Karin Felsch, bei der Formatierung Nora von Alemann. Zu den Prozesshypothesen gehören beispielsweise Modalitäten sozialer Handlungsregulierung wie Kooperation – maximales, gleiches outcome für alle in der Gemeinschaft (prosocial), Individualismus – maximales individuelles outcome (proself) und Wettbewerb – relative maximale Steigerung
Einleitung: Fragestellungen und Design der Studie
x
9
Inhaltshypothesen: darunter werden Wertlogiken und ihre Operationalisierung verstanden, die auf Konzeptionen von Gerechtigkeit und damit verbundenen Menschenbildern basieren4
Die Struktur- und Prozesshypothesen werden in den empirischen Kapiteln am Material entwickelt und diskutiert, wobei die Kapitel zu den Fokusgruppen (5 und 6) die Hauptlast der Hypothesenkonstruktion übernehmen. Die Inhaltshypothesen werden in Kapitel 2 umfassend an zeitgenössischen Diskursen der Sozialpolitik entwickelt, im weiteren Verlauf mit dem Feldmaterial konfrontiert und in den resümierenden Kapiteln (7 und 8) aufgegriffen. Die Darstellung der Befunde geschieht in der Studie entlang von drei Kategorien, die beide empirischen Teile – Experteninterviews und Fokusgruppen – gliedern: „Menschenbild“, „Operative Gerechtigkeit“ und „Politischer Vollzug“. Unter „Menschenbild“ werden grundlegende Deutungsideen zur Sozialtheorie und Anthropologie auf Seiten der befragten Akteure verstanden, unter „Operative Gerechtigkeit“ anwendungsbezogene gerechtigkeitstheoretische Annahmen und unter „Politischer Vollzug“ Annahmen über die politischen Prozesse zur Einführung eines Grundeinkommens. Diese Kategorien sind nicht deckungsgleich mit den Hypothesenbündeln, auch wenn Überschneidungen bestehen. Der Aufbau der Studie folgt dem Arbeitsprogramm. In Kapitel 2 werden zunächst theoretische Fragen zum Verhältnis von Werteorientierung und Grundeinkommen erörtert. Einem Aufriss der soziologischen Wertforschung folgt eine Untersuchung der Gerechtigkeitskonzepte. Kapitel 3 erläutert die methodologischen Voraussetzungen und methodischen Umsetzungen des Konzepts der Deutungsmusteranalyse in der vorliegenden Studie. Kapitel 4 präsentiert die Ergebnisse der Experteninterviews, Kapitel 5 und 6 die Ergebnisse der Fokusgruppenanalyse. Kapitel 7 entwickelt eine Matrix der in der Studie diskutierten Werteorientierungen und Kapitel 8 resümiert die Ergebnisse der Studie und erörtert ihre Relevanz für die gesellschaftliche Diskussion. Eine qualitative Studie kann keine Repräsentativität beanspruchen. Gleichwohl dürfte der Erkenntniswert erheblich sein. Sie macht deutlich, dass die Ambivalenzen gegenüber der Idee des Grundeinkommens wohl nur durch öffentliche Diskurse und durch charismatische „public persons“ gelockert, reflexiv bewusst und damit – vielleicht – einer politischen Lösung zugeführt werden können. Die im Folgenden analysierten Ambivalenzen und Dilemmata sind keineswegs bedeutungslos. Sie betreffen
4
des individuellen outcome (proself). Eine weitere Hypothese bezog sich auf das Dilemmaverhalten: Bei starken sozialen Dilemmata treffen die Bürger ihre Entscheidungen auf Basis von taktischen Erwägungen. Bei schwachen sozialen Dilemmata treffen die Bürger ihre Entscheidungen auf Basis ihrer Werteorientierung. Eine exemplarische inhaltliche Hypothese bestand darin, dass Transparenz sozialstaatlicher Leistungssysteme wichtig sein dürfte für die soziale Sicherheit und den Willen der Bürger gemeinschaftlich zu verteilen, ein wesentliches Argument pro Grundeinkommen.
10
1 Einleitung: Fragestellungen und Design der Studie
die Architektur nicht nur der deutschen Gesellschaft, vielmehr aller modernen Wohlfahrtsstaaten. Die Durchführung der Studie wurde durch eine großzügige Förderung durch die Stiftung Wertevolle Zukunft (Hamburg) ermöglicht. Wir danken allen Interviewpartnern für die Bereitschaft zur Mitwirkung und für ihre Offenheit. Jena, Hamburg und Königswinter im März 2009
1.1
Einleitung: Fragestellungen und Design der Studie
2 Werteorientierung und Sozialpolitik
Ob man Armut und Arbeitslosigkeit als naturgegeben versteht oder die soziale Teilhabe aller Bürger als politisches Ziel verfolgt, hat viel mit Werteorientierungen zu tun. Im Sinne des berühmten Diktums Max Webers, wonach Werte selbst zu Interessen werden können, und der modernen neoinstitutionalistischen Annahme, dass allen Institutionen komplexe Skripte und Wertmuster zugrunde liegen, gelangt die Analyse von Werten zunehmend in das Zentrum der modernen politischen Soziologie. Werten kommt in einem gedachten Dreieck von Werten, Interessen und Institutionen eine generierende Funktion zu: weder Interessen noch Institutionen entstehen in einem wertefreien Raum, im Gegenteil. Diese Überlegungen gelten für sozialpolitische Reformen in besonderem Maße. Bei ihnen lassen sich die generativen Funktionen von Werten für die Herausbildung von Interessen und neuen Institutionen am laufenden Objekt studieren. Die Diskussion um das Grundeinkommen erweist sich als ein hervorragendes Feld dafür. Die Idee eines von der Arbeitsleistung unabhängigen Einkommensanspruchs an die Gesellschaft und damit an alle Mitbürger scheint mit wesentlichen Grundannahmen der bürgerlich-kapitalistischen, aber auch der real-sozialistischen Interessenskonfiguration und Institutionserfahrung zu brechen. In diesem Kapitel werden einige politisch-soziologische Überlegungen zur Konzeptualisierung von Werten in der Sozialpolitikforschung zusammengestellt und erörtert. Sie sollen deutlich machen, dass Werteorientierungen nicht nur die Selektion politischer Richtungen – individuell wie kollektiv (bspw. in der gesellschaftlichen Entscheidung für Wohlfahrtsregime-Typen) – prägen, vielmehr in umfassender Weise auch die Einstellungen zu Einzelfragen der Sozialpolitik präformieren, hier am Beispiel des Grundeinkommens. Die Wertebasierung der Sozialpolitik wurde von der Forschung lange Zeit vernachlässigt.5 Man konzentrierte sich in der Sozialpolitiktheorie vorrangig auf politischökonomische und institutionelle Problembeschreibungen sowie die Analyse von Interessenkonflikten. Erst seit den 1990er Jahren – sicherlich mit bedingt durch das Ende der vorherrschenden Kapitalismus-Sozialismus-Kontroverse – erfahren Werte als eigenständiger Kulturfaktor der Sozialpolitik die erforderliche Beachtung.6 Scheinbar technische Fragen nach den Bedürftigkeitskriterien und dem Niveau der Sozialleistungen wurden seitdem als komplexe politisch-kulturelle Zusammenhänge entschlüsselt.7
5 6 7
Zum Folgenden ausführlicher Opielka 2009a. Rieger/Leibfried 2004. Oorschot 2000; Pfau-Effinger 2005; Oorschot u.a. 2008.
12
2 Werteorientierung und Sozialpolitik
Zunehmend wird die „Moralökonomie“ des Wohlfahrtsstaats zum Gegenstand vergleichender Untersuchungen8 und wird die Bedeutung der Sozialpolitik für die Entwicklung des „Sozialkapitals“9 gewürdigt. Die Typologie der Wohlfahrtsregime ist ein Ausdruck dieses „cultural turn“ in der Sozialpolitikforschung, der in praktisch allen sozialwissenschaftlichen Disziplinen stattfand.10 Im Zentrum der Regimetypen stehen komplexe gesellschaftliche Ordnungsvorstellungen.11 Ihnen entsprechen institutionelle Muster und Interessenkonfigurationen. Die institutionellen Muster – beispielsweise das Verhältnis von privater und öffentlicher Altersvorsorge – beziehen den Sinngehalt aus der jeweiligen Wertematrix. Die Interessen sind ambivalent – so sind Arbeiter teils sozialistisch, teils konservativ orientiert – und oft schwer zu entschlüsseln, weil sich die wahren Absichten wirksam verbergen können – man redet beispielsweise allgemein von Marktfreiheit, meint aber nur die je eigene. Dass die Theorie der Wohlfahrtsregime von manchen ihrer Vertreter dennoch nicht als Kulturanalyse verstanden wird,12 hat mit dem Status von Kultur in den Sozialwissenschaften zu tun. Für manche ist Kultur vor allem ein ästhetisches Projekt,13 das der Sozialpolitik allenfalls die subjektive, lebensweltliche Perspektive der Menschen näher bringt.14 Demgegenüber wird in der makrosoziologischen Tradition vor allem von Talcott Parsons die relative Autonomie einer kulturellen Sphäre der Gesellschaft betont.15 Unklar ist in der sozialwissenschaftlichen Diskussion durchgängig das Verhältnis von Werten und Kultur im Allgemeinen, im Besonderen zwischen Kultur und Religion.16 Ein Verständnis der die moderne Gesellschaftsgeschichte prägenden Bedeutung der wohlfahrtsstaatlichen Programmatik erfordert einen Zugang zur Tiefensoziologie. Hier bietet sich etwa die Religionssoziologie an, die sich schon immer mit der Wertebasis der modernen Gesellschaften beschäftigte. In einer vergleichenden Perspektive muss eine Definition von Religion alle auf „Letztwerte“ zielenden Weltanschauungen umfassen. Dadurch geraten sowohl materialistische Deutungssysteme (z. B. der Marxismus) in den Blick als auch humanistische „Religionen“, die im Menschen den letzten Wertbezug erkennen, schließlich auch die gerade im globalen Maßstab beeindru-
8 9 10 11 12 13 14 15 16
Mau 2003. Rothstein 2001. Reckwitz 2000. Esping-Andersen 1990, S. 21ff. Dazu Arts/Gelissen 2002. Baecker 2003. Chamberlayne u. a. 1999. Münch 1986; Münch/Smelser 1992; Archer 1996; Eisenstadt 2000; Pfau-Effinger 2000. Opielka 2007.
Werte als Gegenstand der soziologischen Theorie
13
ckende Vielzahl von „klassischen“ Religionen.17 Die Wohlfahrtsregime lassen sich über ihre religiöse Wertebasis besser verstehen.18 Elmar Rieger und Stephan Leibfried gehen sogar so weit, in der Kulturwirkung der Wohlfahrtsstaaten und darin vor allem in ihrer „sozialpolitischen Theologie“19 eine Gegenkraft zu den Wirkungen der Globalisierung zu deuten und damit ihre frühere „globalisierungsskeptische“ Position noch zu bekräftigen.20 Die „Ideenpolitik“21 des Wohlfahrtsstaats ist für die praktische Sozialpolitik folgenreich. Sie definiert die Grenzen der öffentlichen Güter. Ihre Konturen zu kennen, hilft dabei, sich angesichts einer schon länger anhaltenden „Neuen Unübersichtlichkeit“22 besser zurechtzufinden. Neben der religions- bzw. kultursoziologischen und der sozialphilosophischen Reflexion auf Tiefenstrukturen der modernen Gesellschaft bietet auch die Psychoanalyse einen bedeutenden, jedoch noch wenig genutzten Zugang zu Werteorientierungen und Deutungsmustern. Karl-Otto Hondrich sprach in diesem Zusammenhang von einer „Sozioanalayse“, wohl wissend, dass die Bezugssysteme – hier die individuelle Person, dort die Gesellschaft – erhebliche Unterschiede aufweisen.23 Wir werden darauf noch genauer eingehen. Im ersten Schritt konzentrieren wir uns auf theoretische und empirische soziologische Befunde zur Wertanalyse. Dieses Teilkapitel dient der methodischen Vergewisserung für die empirischen Kapitel, aber auch zur theoretischen Rahmung der gesamten Studie. Wir unterscheiden insbesondere zwei Grundtypen der Wertanalyse: Wertobjektivismus und Wertsubjektivismus.24 Die möglichen Vermittlungen in einer Wertdialektik erscheinen für unseren Zusammenhang attraktiv.
2.1
Werte als Gegenstand der soziologischen Theorie
Der Begriff Wert kann als soziologischer Grundbegriff gelten. Wie andere Grundbegriffe (z.B. Ungleichheit, Arbeit, Institution) erschließt er sich diachron und synchron, durch historische Rekonstruktion (z.B. über Klassiker) und analytische Deutung. Deutungen sind abhängig von den Theorieannahmen. Wertsubjektivismus und Wertobjektivismus sowie vermittelnde Ansätze kennzeichnen auch den soziologischen Wertdiskurs.
17 18 19 20 21 22 23 24
Ebd., S. 60ff. Opielka 2008a. Rieger/Leibfried 2004, S. 201ff. Rieger/Leibfried 2001. Schulz-Nieswandt 2003. Habermas 1985. Hondrich 1997. Kapitel 2.1 geht zurück auf konzeptionelle Überlegungen im Rahmen der Vorbereitung einer DFGForschergruppe „Die Natur der Werte“ (TU Dresden und FH Jena).
14
2 Werteorientierung und Sozialpolitik
Wertsubjektivismus: Max Weber bezog in seinem 1904 erschienenen Aufsatz „Die ‚Objektivität’ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis“ Kultur und Werte eng aufeinander: „Der Begriff der Kultur ist ein Wertbegriff. Die empirische Wirklichkeit ist für uns ‚Kultur’, weil und sofern wir sie mit Wertideen in Beziehung setzen, sie umfaßt diejenigen Bestandteile der Wirklichkeit, welche durch jene Beziehung für uns bedeutsam werden, und nur diese.“25 Diese programmatische Überlegung wurde bei Weber und in der ihn anschließenden soziologischen Forschung theoretisch und methodisch prägend. Sie wurde allerdings überlagert durch seine Entdeckung der Besonderheit des „okzidentalen Rationalismus“ und seiner Rolle für die abendländische Kultur. Zwar beteuerte er in seiner „Protestantischen Ethik“: „(…) so kann es dennoch natürlich nicht die Absicht sein, an Stelle einer einseitig ‚materialistischen‘ eine ebenso einseitig ‚spiritualistische‘ kausale Kultur- und Geschichtsdeutung zu setzen. Beide sind gleich möglich.“26 Gleichwohl hatte Webers Metapher vom „haften“ der Werte an Objekten oder Personen ihre Wurzeln in der Wertphilosophie Heinrich Rickerts mit weitreichender Bedeutung: „Weber insistierte geradezu auf einem unüberwindbaren und daher unheilbaren Bruch zwischen der natürlich gegebenen Welt, in der eiskalte Kausalität herrscht, und der Welt der Werte, die das Subjekt gegen die vorgefundene Realität aufzurichten gezwungen ist.“27 Diese letztlich dualistische Konzeption ‚Welt vs. Werte‘ dürfte wohl die Entscheidung von Hans Joas begründet haben, Webers Wertkonzeption in seinem jungen Klassiker „Die Entstehung der Werte“28 nicht weiter zu untersuchen. Demgegenüber versuchten unmittelbar an Weber anschließende Soziologen29 die dualistische Konzeption im Sinne des „gleich möglich“ zu interpretieren und für die Analyse moderner Wertprobleme nutzbar zu machen oder, sofern sie sich dem methodologischen Individualismus zurechnen, die subjekttheoretische Konzeption fortzuführen, beispielsweise Werte als „kognitive Erwartungen“30 zu verstehen. Ein aktualisiertes Verständnis des Weberschen Dualismus scheint nur im Rahmen einer soziologischen Theorie der Säkularisierung möglich.31 Überlegungen zur Überwindung des Dualismus im Konzept der „public religions“ wurden von José Casanova entwickelt, wobei der Wertbegriff undeutlich blieb.32 Anschlussfähig für eine soziologische Wertforschung erscheinen die Arbeiten des Philosophen Charles Taylor insbe-
25 26 27 28 29 30 31 32
Weber 1988, S. 175. Weber 1972, RS I, S. 205. Kippenberg 2001, S. 7. Joas 1997. Z.B. Schluchter 1991. Esser 2003, S. 185. Pollack 2003. Casanova 1994.
Werte als Gegenstand der soziologischen Theorie
15
sondere wegen ihrer an Hegel geschulten Identitätsreflexion.33 Allerdings thematisiert sein mächtiges Werk The Secular Age34 das Konzept Werte nicht. Die soziologische Theorie hat bislang keine kohärente Theorie der Werte entwickelt, wie Joas (1997) im Durchgang durch die einschlägige Literatur des 20. Jahrhunderts zeigen kann. Seine Arbeit stellt einen herausragenden Versuch dar, anhand von fünf philosophischen (Nietzsche, James, Scheler, Dewey, Taylor) und zwei soziologischen (Durkheim, Simmel) Autoren dieses Defizit zu rekonstruieren. Joas verfolgt dabei ein spezifisches, im amerikanischen Pragmatismus wurzelndes und dabei vor allem an William James anschließendes Programm: „Werte entstehen in Erfahrungen der Selbstbildung und Selbsttranszendenz.“35 Er unterscheidet zwischen kultureller und sozialer Integration, wobei erstere durch Werte, letztere durch Normen erfolgt, und „unterschiedliche Wertsysteme unterschiedliche Nähe zu den Normen haben, die sich aus den universellen Kooperationsstrukturen ergeben“36. Gegen diese Konzeption, die nicht frei scheint von subjektivistischen Konzepten von Wertevidenzerlebnissen,37 kann die von Joas abgelehnte38 Werttheorie von Talcott Parsons geltend gemacht werden. Wertobjektivismus: Parsons, zwischen den 1950er und 1970er Jahren der führende westliche Soziologe, entwickelte eine Theorie der funktionalen Differenzierung, die für eine moderne soziologische Werttheorie noch immer maßgeblich erscheint. Mangels eines gesellschaftlichen Wertekonsenses sind es nicht mehr die Teilsysteme oder gar das Gesellschaftssystem als Ganzes, das die Wertproduktion und -weitergabe sichert, sondern ein spezifisches Element der Gesellschaft: die „formalisierten Medien“39 bzw. die, wie sie Parsons bezeichnete, „symbolisch generalisierten Interaktionsmedien“ bzw. „generalisierten Austauschmedien“40. Die Werte scheinen sozusagen aus den Institutionen in die Medien ausgewandert – und damit in die Verfügung auch der Individuen, denn die Medien dienen der Kommunikation zwischen individuellen wie kollektiven Akteuren.41 Doch während über die Form der durchaus werthaltigen formalisierten Medien des Wirtschafts- und Politiksystems – Geld und Recht – heute sozialwissenschaftlicher Konsens existiert, steht durchaus infrage, ob es vergleichbar formalisierte Medien in den logisch „höheren“, „kulturellen“ Subsystemen gibt oder geben kann. Eine handlungssystemische Soziologie im Anschluss an die von Parsons entwickelte AGIL-Theorie42 legt eine reflexionslogisch rekonstruierbare Stufung von
33 34 35 36 37 38 39 40 41 42
So Joas 1997, S. 195ff. Taylor 2007. Joas 1997, S. 10. Ebd., S. 273. Joas 2004. Joas 1997, S. 26, 32, 273. Opielka 2006, S. 205ff. Parsons 1980. Wenzel 2002. Opielka 2006.
16
2 Werteorientierung und Sozialpolitik
Werten nahe, die in den gesellschaftlichen Subsystemen generiert und u.a. in Interaktionsmedien institutionalisiert werden. Sie liegt den theoretischen Überlegungen in dieser Studie zugrunde. Wertdialektik: Der auch an Parsons anschließende, soziologische „NeoInstitutionalismus“ erweitert den Institutionenbegriff wissenssoziologisch.43 Institutionen sind selbst Skripte, Symbolsysteme und übernehmen damit eine formative Rolle bei der Genese von symbolisch generalisierten Medien. In diesem Sinn gibt es nach wie vor Subsysteme der modernen, das heißt funktional (nach Funktionen) ausdifferenzierten Gesellschaft, die eine besondere Rolle für die Wertproduktion, -erhaltung und den Wertewandel spielen. Hinsichtlich der „letzten“, fundierenden Werte, übernimmt das Subsystem „Religion“ diese Funktion (hinsichtlich „kleinerer“ Werte können alle anderen Subsysteme jene Rolle übernehmen). Die Überlegungen von Parsons helfen dabei, nicht statisch auf die Funktionssysteme zu blicken, sondern dynamisch auf den Entwicklungsaspekt innerhalb dieser Systeme sowie auf ihre so genannte „Interpenetration“, ihre wechselseitige Durchdringung. Interpenetration, dieser von Parsons geprägte, im Kern dialektische44 Begriff meint die Durchdringung von Funktionsprinzipien in ausdifferenzierten Handlungssystemen. Das ist stärker, weil logisch anspruchsvoller, als beispielsweise der Begriff der „Einbettung“ (embeddednes), wie er in der zeitgenössischen Netzwerk- und bisweilen auch der Systemtheorie Verwendung findet.45 Mehrere Phasen des „Werturteilstreits“ in der Soziologie (Weber-Tönnies/Marx, Popper-Alber/Adorno, Habermas/Luhmann) können unter dem Gesichtspunkt ihrer historischen und systematischen Implikationen untersucht werden.46 Die soziologische Perspektive fundiert damit die in der Philosophie47 beobachtete und in der Wissenssoziologie zentrale soziale Konstruktion von Werten.48 Als besonders hilfreich wird dabei der neo-institutionalistische Ansatz einer „world polity“49 eingeschätzt, der die Universalisierung „westlicher“ Prinzipien u.a. in der Form von Menschenrechten am Beispiel des Bildungssystem und der Wohlfahrtsstaatlichkeit untersucht.
43 44 45 46 47 48 49
Jepperson 2001; Meyer/Jepperson 2005; Hasse/Krücken 2005; Senge/Hellmann 2006. Opielka 2006, S. 297ff. Beckert 2006. Opielka 2006. Z.B. Raz 2005. Berger/Luckmann 2004. Meyer 2005.
Werte als Gegenstand der empirischen Sozialforschung
2.2
17
Werte als Gegenstand der empirischen Sozialforschung
In der empirischen Sozialforschung werden Werte sowohl als Untersuchungsobjekt wie als methodologischer Wirklichkeitszugang zum Gegenstand. Als Untersuchungsobjekt sind sie vor allem in der Einstellungsforschung präsent, beispielsweise im seit 1971 unter der Leitung von Ronald Inglehart durchgeführten World Values Survey.50 Als Wirklichkeitszugang sind sie ein zentrales Element der Deutungsmuster- und Diskursanalysen, einer seit den 1970er Jahren entwickelten qualitativen Forschungsmethode. Empirischer Wertsubjektivismus: Der World Values Survey umfasst mittlerweile mit etwa 80 nationalen Surveys über 80% der Weltbevölkerung. Eine „Inglehart-Welzel Cultural Map of the World“51 visualisiert die starken Korrelationen von Werten in verschiedenen Kulturen, wobei Länderergebnisse zu religiös-kulturellen Clustern zusammengefasst werden. Die Auswertung erfolgt hier entlang von zwei Dimensionen: (1) Traditionelle vs. säkular-rationale Werte und (2) Überlebens- vs. selbstexpressive Werte, letzteres entspricht der früher von Inglehart favorisierten MaterialismusPostmaterialismus-Achse. Die erste Dimension reflektiert den Kontrast zwischen Gesellschaften, in denen Religion eine große bzw. eine geringe Rolle spielt. Gesellschaften am traditionellen Pol betonen die Wichtigkeit von Eltern-Kind-Bindungen und deren Abhängigkeit von Autorität, verbunden mit absoluten Standards und traditionellen Familienwerten, und lehnen Abtreibung, Scheidung, Euthanasie und Selbstmord ab. Säkular-rationale Gesellschaften zeichnen sich durch gegenteilige Bewertungen aus. Die Polarität ist insoweit, worauf Christian Welzel aufmerksam macht, eine zwischen dem mythischen Ideal einer „heiligen Gemeinschaft“ und dem Ideal einer „säkularen Gemeinschaft“, insoweit zwischen Idealen von Gemeinschaft.52 Sie entspricht der in der Soziologie und insbesondere der Religionssoziologie geläufigen Achse der Modernisierung: „Partikularismus – Universalismus“ bzw. „Gemeinschaft – Gesellschaft.“53 Die zweite Dimension kulturvergleichender Variationen ist verknüpft mit dem Übergang von industriellen zu post-industriellen Gesellschaften, in denen insbesondere infolge wohlfahrtsstaatlicher Sicherungssysteme das Überleben garantiert erscheint. Damit verschoben sich die Wertprioritäten von der Betonung ökonomischer und physischer Sicherheit zunehmend hin zu subjektivem Wohlbefinden, Expressivität und Lebensqualität. Welzel fasst dies als Kontroverse zwischen Idealen des Individuums, einem konformistischen Ideal eines „eingeschränkten Individuums“ und dem liberalen Ideal eines „expressiven Individuums“. Die neuesten Daten des World Values Survey (Erhebungswelle der Jahre 2005 und 2006) legen allerdings nahe, dass seit 2000 der Trend zu stärker selbst-expressiven Werten gestoppt wurde und teilweise
50 51 52 53
Norris/Inglehart 2004; Inglehart/Welzel 2005. www.worldvaluessurvey.org Welzel 2006. Opielka 2006.
18
2 Werteorientierung und Sozialpolitik
sogar rückläufig erscheint. Gleichfalls scheint sich der Trend zu säkular-rationalen Werten in den meisten Ländern nicht mehr fortzusetzen. In der neueren soziologischen Moralforschung werden überwiegend im Anschluss an die Entwicklungskonzepte von Jean Piaget und Lawrence Kohlberg, in einigen Fällen ergänzt um psychoanalytische Stufenkonzepte (v.a. Erik Erikson), Fragen der moralischen Motivation und Ziviltugenden untersucht.54 Kommen explizit Werte, bspw. Gerechtigkeitswerte zur Sprache, 55 so fällt auf, dass der Wertbegriff selbst zumeist vermieden und durch „Präferenzen“ ersetzt wird. Bemerkenswert erscheint dabei, dass in der empirischen, fast durchweg quantitativen Wertewandels- und Gerechtigkeitsforschung durchweg ein subjektivistischer Wertbegriff zum Einsatz kommt, dessen soziologischer Gehalt durch Aggregatbildung angenommen wird.56 Hierbei erweist sich der Mangel einer soziologischen Werttheorie vor allem dadurch als problematisch, dass eine Werthierarchie bzw. eine Wertstruktur selten theoretisch begründet, sondern eher voluntaristisch gesetzt oder ganz vermieden wird. Wertobjektivistische Positionen scheinen in der empirischen Sozialforschung insoweit zunächst kaum relevant. Wertobjektivismus: Gleichwohl kann mit der Evaluationsforschung ein Feld der Sozialforschung identifiziert werden, das bereits in seiner Grundanlage das Problem der Wertung sozialer Phänomene zu lösen vorgibt. Evaluationsforschung entstand in den 1960er Jahren zunächst in den USA als Politikevaluation und differenzierte sich unterdessen unter Beteiligung verschiedener sozialwissenschaftlicher Disziplinen (Soziologie, Politikwissenschaft, Soziale Arbeit u.a.) zu einem eigenständigen Forschungsfeld aus.57 Epistemologisch scheint die Evaluationsforschung von einem Wertobjektivismus geprägt. Wertdialektik: Die in der Wissenssoziologie58 und der qualitativen Sozialforschung seit den 1970er Jahren entwickelte Methode der Deutungsmusteranalyse machte sich demgegenüber Werte zugleich als Gegenstand wie als methodischen Zugang zur sozialen Wirklichkeit zu eigen. In der starken Form der „Grounded Theory“59 wurde empirisches Material selbst zur (alleinigen) Theoriequelle stilisiert. Das Konzept der Deutungsmusteranalyse fokussiert offener auf den sozialen Sinn, nicht auf den subjektiv gemeinten, aber auch nicht auf einen „objektiven“ Sinn. „Wichtig ist nun, dass soziale Deutungsmuster zugleich kognitive, evaluative und normative Komponenten umfassen. (…) Handlungsrelevanz erlangen Deutungsmuster vor allem durch die
54 55 56 57 58 59
Nunner-Winkler u.a. 2006. Z.B. ebd., S. 160ff. Z.B. Gerhards 2005; Ullrich 2008; Liebig u.a. 2004. Stockmann 2007; Opielka u.a. 2009. Knoblauch 2005. Glaser/Strauss 2005, zuerst 1967.
Werte als Gegenstand der empirischen Sozialforschung
19
ihnen immanente Komplexitätsreduktion. Sie vereinfachen komplexe Zusammenhänge und kompatibilisieren konfligierende Werte.“60 Deutungsmuster sind insoweit selbst komplexe Wertmuster. Ihre Erforschung bzw. Aufdeckung erfordert die bereits bei Weber geforderte Deutung von Sinn. In der deutschen Forschungslandschaft erscheint vor allem die von Ulrich Oevermann im Anschluss an Freud und Parsons entwickelte Methode der „objektiven Hermeneutik“61 einflussreich. Sie wird allerdings nicht nur aufgrund des erheblichen Aufwandes für die geforderte sequentielle Analyse von Textpassagen (Einzel- und Gruppeninterviews) eher selten eingesetzt. Deutungsmusteranalysen scheinen sich generell eher für die Wertforschung auf Mikroebene (Individuum, Gruppe) zu eignen. Für die Analyse von Texten und sonstigen Dokumenten hat sich das Konzept der Diskursanalyse62 durchgesetzt, das auch die Analyse von Wertmustern in Makrozusammenhängen erlaubt. Entscheidend erscheint, dass sowohl Deutungs- wie Diskursanalyse auf theoretische Rahmung nicht verzichten können, um über die Bildung von Realtypen zu Klassifikationen hinaus auf die Bildung von Idealtypen zu zielen. Die bisherigen theoriezentrierten Überlegungen zu Wertsubjektivismus, Wertobjektivismus und vermittelnder Wertdialektik werfen erneut die Frage nach der Definition von Werten auf. In der philosophischen Werttheorie wird von Werten formal als von Pro-Einstellungen63 gesprochen, formal insoweit, als Werte einen Träger des Wertes – individuelle oder kollektive Akteure – und eine Richtung des Wertes kennen müssen, die stets als „Pro“ beschrieben werden kann. Dies schließt selbstverständlich nicht aus, dass es kontrastierende, konflikthafte Pro-Einstellungen gibt, Wert also gegen Wert steht. Die zentrale Frage lautet dabei, inwieweit Pro-Einstellungen sozial konstruiert bzw. präformiert sind. Die neo-institutionalistische Perspektive sieht in Werten Elemente komplexer sozialer Skripte, die teils in formalisierten Medien (Geld, Recht, Sprache, Rituale), teils in Institutionen sowie in Diskursen vorgefunden und insoweit rekonstruiert werden können. Die hierfür geeigneten Methoden sind insbesondere die Diskurs- und die Deutungsmusteranalyse (siehe dazu ausführlich Kapitel 3). Analytisch erscheint die soziologische Differenzierung in Mikroebene (Kleingruppen), Mesoebene (Organisationen) und Makroebene (Gesellschaft) hilfreich, die jeweils unterschiedliche Aggregate von Wertdiskursen repräsentieren. Eine weitere analytische Perspektive gilt der logischen Schichtung von Werten und Wertdiskursen. Dabei kommen sowohl die Deutungsmuster individueller und kollektiver Akteure als auch die in den jeweiligen Institutionen eingelagerten Skripte in den Blick. Die Frage nach der jeweiligen Angemessenheit (im Sinne der Bedingung es ist angemessen eine Pro-Einstellung mit dem Inhalt p zu haben) kann entlang von naturalistischen,
60 61 62 63
Ullrich 1999, S. 3. Oevermann 2001, zuerst 1973. Keller 2005; Rosenthal 2005, S. 199ff. Schönrich u.a. 2008.
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2 Werteorientierung und Sozialpolitik
kontextualistischen, doxastischen und normativen Lesarten überprüft werden. Es wird angenommen, dass die Angemessenheitsbedingungen in einem Schichtungsmodell sozialen Handelns rekonstruiert werden können, das den logischen Status der jeweiligen Interpretationsstufe ermittelt. Das analytisch in dieser Studie maßgebliche Schichtungsmodell folgt einer Weiterentwicklung des AGIL-Schemas von Talcott Parsons: es werden systematisch vier handlungssystemische Ebenen unterschieden, denen jeweils die Gerechtigkeitswerte zugeordnet werden können, die am Beginn des folgenden Teilkapitels genannt werden.
2.3
Gerechtigkeit und Grundeinkommen
Das Menschenbild, die Vorstellung der anthropologischen und psychologischen Natur des Menschen, ist eine zentrale Grundlage sozialer Ordnungsideen. Das Menschenbild hängt wiederum mit dem Weltbild zusammen, konkret mit der Konzeption von Gerechtigkeit, die politische Akteure, Beobachter und Bürger vertreten. In diesem Abschnitt geht es um die mit der Idee des Grundeinkommens verbundenen Weltbilder und konkret um die Konzeptionen sozialer Gerechtigkeit. Ausgangspunkt sind auch hier Widersprüche und Ambivalenzen, deshalb erfolgt die Diskussion immer in Auseinandersetzung mit Einwänden gegen ein Grundeinkommen. Dabei werden vier starke Werte genauer untersucht, die zugleich auf vier Typen des Wohlfahrtsregimes bezogen werden: 64 x
x x x
64
der Wert der Leistung im liberalen Konzept der Leistungsgerechtigkeit. Hier geht es um das Thema der Selbständigkeit, unternehmerische Haltungen, Risikobereitschaft, aber auch wirtschaftliche Ziele wie Effizienz und Innovation. Warum fördert ein Grundeinkommen die Leistungsbereitschaft? der Wert der Gleichheit im sozialistisch-sozialdemokratischen Konzept der Verteilungsgerechtigkeit. Themen sind hier Chancengleichheit, die Bekämpfung von Armut oder die Reduzierung von Ungleichheit. der Wert der Gemeinschaft im konservativen Konzept der Bedarfsgerechtigkeit. Fokussiert werden hier Themen wie die Stärkung moralischer Orientierungen, die Förderung von Familien und die Übernahme von Verantwortung. der Wert der Anerkennung im garantistischen Konzept der Teilhabegerechtigkeit. Hier geht es darum, warum und wie ein Grundeinkommen die Fähigkeiten
Dazu ausführlich Opielka 2006a.
Gerechtigkeit und Grundeinkommen
21
der Menschen stärkt (Amartya Sens ‚capability approach‘) und die Menschenrechte positiv verwirklicht.
2.3.1
Grundrechte als Wertgrundlage des Wohlfahrtstaates
Soziale Gerechtigkeit kann auf den ersten Blick vor allem als Programm gegen Ungleichheit verstanden werden. Doch damit handelt man sich noch wenig Klarheit ein. Auch Ungleichheit hat verschiedene Dimensionen, zum Beispiel Einkommen, Vermögen, Talente, Geschlecht oder Bildung. Hinzu kommt die stets strittige Frage, was Sozialpolitik, ja Politik überhaupt verändern kann und wem gegenüber. Es macht also Sinn den Zusammenhang von Gerechtigkeit und Sozialpolitik etwas grundsätzlicher zu betrachten. Diese Betrachtung wird zeigen: Sozialpolitik kann in der Tat sehr wesentlich zur Gerechtigkeit beitragen. Uns interessiert hier vor allem, wie sich die Idee des Grundeinkommens in die vorhandenen Gerechtigkeitskonzeptionen einfügt. Keine gegenwärtige Diskussion sozialer – und allgemeiner: politischer – Gerechtigkeit kommt um eine Referenz auf das wohl einflussreichste Buch des 20. Jahrhunderts zu diesem Thema umhin, John Rawls’ Eine Theorie der Gerechtigkeit.65 Rawls verknüpfte die klassische Vertragstheorie mit der modernen Entscheidungstheorie um seine Grundintuition der „Gerechtigkeit als Fairness“ enzyklopädisch zu einer Gerechtigkeitstheorie auszuarbeiten. Begriffe wie das „Differenzprinzip“, wonach Ungleichheiten nur zulässig=gerecht seien, wenn sie den je schwächsten Gesellschaftsmitgliedern nützen, oder der Gedanke, dass eine gerechte Verteilungsordnung „unter dem Schleier des Nichtwissens“ in einem „Urzustand“ gedacht werden könne, sind zu Topoi der modernen politischen Philosophie geronnen. Auf den bereits in den 1970er Jahren vorgebrachten Einwand der bald als „Kommunitaristen“ bezeichneten Kritiker wie Michael Sandel und Charles Taylor, dass Rawls eine zu individualistische („unembedded“) Konzeption vertrete, antwortete Rawls später, dass sein Gerechtigkeitskonzept immer politisch gesehen werde müsse, als Konzept innerhalb einer politischen Gemeinschaft.66 Sein Hauptgegner war die Theorie des Utilitarismus, der dem Politischen letztlich keine eigene Wirklichkeit neben den Handlungskalkülen der Wirtschaftssubjekte zuspricht. Rawls betrachtete sich als liberalen Sozialdemokraten. Seine prozeduralistische Ethik fand auch bei Autoren wie Jürgen Habermas Zustimmung. An Rawls schloss sich eine kaum überschaubare Diskussion an. Einer der wichtigsten deutschen Rezipienten ist Otfried Höffe, der gleichwohl die Grundintention von Rawls kritisch wertet: „Am Ende stellt sich die Theorie selber als eine zwar raffinierte, aber doch nur wohlüberlegte Gerechtigkeitsüberzeugung dar.“67 Höffe deutet
65 66 67
Rawls 1975. Rawls 1992. Höffe 1998, S. 25.
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2 Werteorientierung und Sozialpolitik
mit dem Suffix „Überzeugung“ an, dass Rawls ein wertsubjektivistisches Programm vertritt, dem gegenüber er Skepsis empfiehlt. Er selbst schlägt ein Konzept von „Gerechtigkeit als Tausch“ vor, in dem für „soziale Gerechtigkeit“ im Grunde kein Platz ist. Da Höffes Gedanken durchaus politisch-legitimativ einflussreich sind, lohnt sich eine kritische Betrachtung – zumal, wie am Beispiel eines anderen deutschen Sozialphilosophen, Wolfgang Kersting, zu zeigen sein wird, diese Gedanken noch weiter radikalisiert werden können. Zunächst zur zentralen Überlegung bei Höffe: „Man sieht ein, dass im Programm der politischen Gerechtigkeit die soziale Gerechtigkeit ‚nur an nachgeordneter Stelle‘ vorkommen kann. Soweit sie nämlich in die Zuständigkeit von Recht und Staat fällt, führt sie deren Merkmal, die Zwangsbefugnis mit sich. (…) Die fehlende Begriffsbestimmung darf sich nicht mit einem Gesichtspunkt zufrieden geben, der wie die Solidarität solange ethisch vage bleibt, wie man nicht klärt, ob sie zur geschuldeten Rechtsmoral gehört oder aber in den Bereich der verdienstlichen Tugendmoral hinüberschreitet. Nur im ersten Fall ist die Gerechtigkeit gefragt, während es im zweiten Fall auf die freie Großmut der Bürger ankommt. (…) Neuerdings versteht man die soziale Gerechtigkeit als eine Frage der Verteilung. (…) Weil dem Verteilen ein Erarbeiten vorausgeht, weil außerdem die ersten Gegenstände der politischen Gerechtigkeit, Rechte und Freiheiten (Rawls), nicht erarbeitet werden, folglich keine zu verteilenden Gegenstände sind, habe ich einen Paradigmenwechsel vorgeschlagen. Ihm zufolge stellt sich die Verteilungsgerechtigkeit als eine sekundäre Aufgabe dar, der (…) Leistungen der Tauschgerechtigkeit vorangehen.“68 Zwei Argumentationen sind hier wesentlich: Zum einen habe soziale Gerechtigkeit etwas mit „Zwang“ zu tun, weil staatliche Verteilung die Erhebung von Steuern und Abgaben voraussetzt. Folgt man Höffe, dann wäre sozialer Ausgleich aber „eher zu einer christlichen Caritas oder aber, säkularisiert, zu einer Brüderlichkeit bzw. Solidarität, jedenfalls zu einer verdienstlichen Mehrleistung, deren Anerkennung die Menschen einander nicht mehr schulden“69, zu rechnen. Damit wird die Legitimation für Sozialpolitik als öffentliches Gut, die Rawls vertrat, untergraben. Das zweite Argument Höffes ist eher soziologisch. „Gerechtigkeit als Tausch“ meint, dass Gerechtigkeit nur auf (unmittelbarer) Reziprozität als Tausch aufruhen kann. Er verweist zwar auf den Durkheim-Schüler Marcel Mauss und sein aus ethnologischen Studien gewonnenes Konzept des komplexen Gaben-Tausches. Wie aber daraus in modernen Gesellschaften eine Sozialpolitik gewonnen werden kann, bleibt dunkel, sehr weit darf sie wohl nicht gehen. Jedenfalls zieht Höffe aus diesen Überlegungen den Schluss, dass ein Grundeinkommen nicht wünschenswert ist. In einem großen Artikel Das
68 69
Höffe 1997, S. 345f., Herv. nicht i.O. Höffe 1998, S. 13.
Gerechtigkeit und Grundeinkommen
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Unrecht des Bürgerlohns in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung unmittelbar vor Weihnachten kommt er mit der Rute und philosophischen Allgemeinheiten. Für Höffe „hat der Heranwachsende eine Pflicht, sich zum künftigen Wirtschaftsbürger zu entwickeln“, es sei zudem „Unrecht, wenn man unter dem so schön klingenden Titel ‚Bürgerlohn‘ einem erheblichen Teil der Bürger die Arbeitswelt versperrt“ und „Einspruch gegen den sogenannten Bürgerlohn erhebt auch ein Kernelement der Gerechtigkeit, die Wechselseitigkeit. Danach verdient man nicht für das bloße Bürgersein einen Lohn, sondern erst für einen Beitrag zum Gemeinwesen.“70 Mäandernd trägt Höffe über Jahrzehnte sein Zaudern zwischen Markttausch und Bürgergleichheit vor. Noch radikaler tritt der Philosoph Wolfgang Kersting auf und vermutet hinter sozialer Gerechtigkeit und Sozialpolitik vor allem Neid: „Eine überbordende Gerechtigkeitsrhetorik prägt das öffentliche Gespräch sozialstaatlicher Demokratien, überflutet den Markt der Wählerbewirtschaftung und überzieht das Verteilungsgezänk der Gruppen mit einem moralsemantischen Firnis.“ Das sind starke Worte, entnommen aus einem Aufsatz, der den „wohlfahrtsstaatlichen Grundbegriff“ der „Gerechtigkeit“ zu analysieren behauptet. Der Grund wird düster beschrieben: „Der Sozialstaat ist auf der Individualisierungssteppe der Moderne errichtet. Seine Bewohner sind Selbstverwirklichungsvirtuosen im ethischen Niemandsland, die ihre Erfolgskarrieren auf dem Markt und ihre Versorgungskarrieren im Sozialstaat mit der gleichen egozentrischen Konzentration vorantreiben. (…) Einen Markt jenseits des Egoismus-Prinzips, ein Wohlfahrtssystem des Gemeinsinns wird es nicht geben.“ Der Markt soll es richten, doch leider: „Demokratien sind gleichheitsversessen.“ Das aber ist, so Kersting, irrig: „Der Sozialstaat ist zur Sicherung der Marktmöglichkeiten der Bürger da. Er hat die Bürger zum Markt zurückzuführen, sie marktfähig zu halten. (…) Er bindet seine subsidiären Transferzahlungen an die überprüfbare Bereitschaft zur Beschäftigungsaufnahme und zur Selbstverantwortlichkeit.“71 In einem neueren Aufsatz kann Kersting der Idee des Grundeinkommens dann doch manches abgewinnen: „Aber genau diese unserer Gerechtigkeitssemantik eingeschriebene Reziprozität von Arbeit und Bedürfnisbefriedigung, von Leistung und Gegenleistung wird zerstört, wenn jeder Bürger ein gegenleistungsfreies und Existenz sicherndes Grundeinkommen erhält und die Erwerbsarbeit zu einem ethisch indifferenten Zeitvertreib wird. Die ethischen Barrieren sind also hoch. Gleichwohl mag der Idee des Grundeinkommens die Zukunft gehören. (…) Dann muss aber auch die Gerechtigkeitstheorie von allen beschäftigungspolitischen Bezügen entkoppelt werden.“72 Trotz eines Lernfortschritts verbleibt Kersting in dualisierenden Übertreibungen. Warum muss Erwerbsarbeit bei einem Grundeinkommen zum „Zeitvertreib“ verkommen? Warum kann er sich nicht vorstellen, dass gesellschaftliche Inklusion mindestens beides benötigt: Einkommen und Arbeit? Kerstings philosophischer Verbalfundamentalismus unterstellt, dass Steu-
70 71 72
Höffe 2007. Kersting 2003, S. 107, 115, 121, 134. Kersting 2008, S. 101.
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2 Werteorientierung und Sozialpolitik
erzahlung und Sozialstaatlichkeit Zwang sei, Freiheit gebe es nur auf dem Markt. Das ist die Auffassung mancher Schweizer oder Liechtensteiner Treuhänder mit neoliberalem Firnis. Eine genauere Kenntnis des Schweizer Steuerstaates belegt dessen Professionalität,73 die den Mythos der Steueroase nicht mehr aufrechterhält, Liechtenstein kann ihn sich aufgrund fehlender Realstaatlichkeit scheinbar leisten. Die Marktegoismuslehre als politische Philosophie verkleidet hat mit der Realität wenig zu tun. Die Geschichte der politischen Philosophie hält differenziertere Deutungsangebote bereit. Am Anfang stand die Nikomachische Ethik von Aristoteles. Er unterschied die „allgemeine Gerechtigkeit“ (iustitia universalis) von der „besonderen Gerechtigkeit“ (iustitia particularis), die er wiederum in die Leistungsgerechtigkeit (iustitia commutativa) und die Bedarfsgerechtigkeit (iustitia distributiva) untergliederte. Die allgemeine Gerechtigkeit ist, so Aristoteles, „nicht ein Teil der Tugend, sondern die ganze Tugend, und die ihr entgegengesetzte Ungerechtigkeit ist nicht ein Teil der Schlechtigkeit, sondern die ganze Schlechtigkeit.“74 Der Hinweis „ganze“ verweist auf die ontologische, metaphysische Möglichkeit einer Gerechtigkeitstheorie, die mehr als zwei Jahrtausende später Hegel in seinem berühmten Diktum vom „wahren Staat“ aufgreifen wird: „Dahingegen besteht die Wahrheit im tieferen Sinn darin, dass die Objektivität mit dem Begriff identisch ist. Dieser tiefere Sinn der Wahrheit ist es, um den es sich handelt, wenn z. B. von einem wahren Staat oder von einem wahren Kunstwerk die Rede ist. Diese Gegenstände sind wahr, wenn sie das sind, was sie sein sollen, d. h. wenn ihre Realität ihrem Begriff entspricht. So aufgefasst ist das Unwahre dasselbe, was sonst auch das Schlechte genannt wird.“75 Dass gutes, tugendhaftes Handeln eine gute politische Ordnung voraussetzt, war für Aristoteles so gewiss wie für Hegel, der dafür den Begriff der „Sittlichkeit“ prägte. Im 20. Jahrhundert hat Theodor W. Adorno mit seinem Diktum „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ aus den „Minima Moralia“ (§ 18) daran angeknüpft. Die Kontroverse lässt sich begrifflich fassen. In Abbildung 1 werden die Konzeptionen sozialer Gerechtigkeit in eine soziologische Systematik76 gebracht. Neben den Gerechtigkeitskonzepten, die an Tausch (Markt) und an die staatlich-politische Institutionalisierung anschließen, existieren mithin zwei weitere Gerechtigkeitskonzepte, die für die Sozialpolitik nicht minder bedeutungsvoll sind. In vormodernen, auf Familienund Verwandtschaftsgemeinschaft basierenden Gesellschaften ist die Bedarfsgerech-
73 74 75 76
Zur Schweizer Sozialpolitik vgl. Opielka 2007a. Aristoteles 1991, S. 206. Hegel 1970, S. 369, vgl. Opielka 2005a. Zur Begründung der handlungssystemischen Stufen (Level 1-4) Opielka 2006; zu den in der Abbildung dargestellten Gerechtigkeitstypen ausführlicher Opielka 2006a.
Gerechtigkeit und Grundeinkommen
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tigkeit die Grundlage für solidarisches Handeln. Heute wird dieses (eher partikularistische) Gerechtigkeitsprinzip unter Signaturen wie „Kommunitarismus“, „kommunikatives Handeln“, „Lebenswelt“ oder „Bürgergesellschaft“ betont. Das vierte Gerechtigkeitsprinzip schließt (universalistisch) an den Menschenrechten an, findet seinen sozialen Grund in ethischen Wertkommunikationen und damit in einer politischen Kultur, die die Teilhabe jedes Bürgers einer Gesellschaft (bzw. jedes Menschen in der Weltgesellschaft) an allen Funktionssystemen betont. Parsons und Luhmann haben dafür den Begriff der „Inklusion“ verwendet. Teilhabegerechtigkeit ist die geistige Grundlage des Grundeinkommens – auch wenn sich die Idee des Grundeinkommens mit allen vier Gerechtigkeitstypen verträgt.
Aristoteles (Nikomachische Ethik)
iustitia commutativa
-
iustitia distributiva
iustitia universalis
Soziale Relation (Reziprozitätstyp)
Steuerungssystem (Strukturelle Institution)
(politisches) Gerechtigkeitsprinzip
exemplarische Vertreter
instrumentelle Assoziation, Tausch
Markt (Level 1)
Leistungsprinzip
Robert Nozick, Wolfgang Kersting
citizenship
Staat (Level 2)
Gleichheitsprinzip
John Rawls, (Otfried Höffe)
solidarische Gemeinschaft (kommunikatives Handeln, Lebenswelt)
Gemeinschaft (Level 3)
Bedarfsprinzip
Amitai Etzioni, Michael Sandel
Wertkommunikation (politische Kultur)
Legitimation (Level 4)
Teilhabeprinzip
Amartya Sen, Michael Walzer
Abbildung 1: Konzeptionen sozialer Gerechtigkeit Die Idee der Teilhabegerechtigkeit verweist über die nationale Gesellschaft hinaus. Sie zielt, wie Amartya Sen argumentierte, auf „globale Gerechtigkeit“, die einen sozialen Wert verkörpert, der „mehr“ ist als „internationale Fairness“.77 Dabei handelt es sich nicht um ein im einfachen Sinn „idealistisches“ Konzept, vielmehr um eine Gerechtigkeitskonzeption, die zugleich die unterschiedlichen Logiken verschiedener „Sphären
77
Sen 1999; eine ähnliche Argumentationen vertreten Pogge (2008), in Blick auf die Frage weltweiter sozialer Rechte Faist (2009) sowie in wirtschaftsethischer Perspektive Ulrich (2007), der zudem sowohl die Idee des „Garantismus“ und das Grundeinkommen unterstützt.
26
2 Werteorientierung und Sozialpolitik
der Gerechtigkeit“ berücksichtigt, wie sie Michael Walzer exemplarisch analysierte.78 Ähnlich wie diese „Sphären“ müssen auch die in den letzten Jahren im Gerechtigkeitsdiskurs prominenten Themen Generationengerechtigkeit oder Chancengerechtigkeit auf die überwölbenden Gerechtigkeitsprinzipien bezogen werden. Es gibt reiche Kinder und arme Alte, Chancen nur in der Jugend oder immer wieder im Lebenszyklus. Häufig wird behauptet, zentrale wohlfahrtsstaatliche Grundbegriffe – wie „soziale Gerechtigkeit“ – hätten unterdessen diskursive Neuinterpretationen erfahren und dabei ihren einstigen semantischen Gehalt vollkommen eingebüßt. Dass dies nicht selten an begrifflichen Vereinseitigungen liegt, konnten wir im ersten Schritt zeigen. Doch auch zwischen den Diskursen der Eliten und den Intuitionen und Überzeugungen der Bevölkerung herrscht gerade hinsichtlich der Aufgabe der Sozialpolitik keineswegs Deckungsgleichheit. Die Statistiker sind sich nicht einig, ob die soziale Ungleichheit und damit möglicherweise auch Ungerechtigkeit in Deutschland wirklich zugenommen hat. Ein klassischer Indikator ist der so genannte „Gini-Koeffizient“. Er misst die Einkommensdisparitäten zwischen dem untersten und dem obersten Quintil (Fünftel) der Einkommenshierarchie einer Gesellschaft. Im Datenreport 2006 des Statistischen Bundesamtes können wir nachlesen, dass die Ungleichheit von Markteinkommen und Renten in den alten Bundesländern zwischen 1991 und 2005 zugenommen hat (Gini-Koeffizient: 0,319 auf 0,368), während sie in den neuen Ländern nur geringfügig stieg. In 2006 stieg der Gini-Koffizient weiter auf 0,396, so dass die Autoren des Datenreport 2008 von einer „erheblichen Zunahme der überwiegend aus Erwerbstätigkeit und Renten erzielten Markteinkommen“ sprechen.79 Durch erhöhten sozialstaatlichen Einfluss blieb gleichwohl die Ungleichheit bei den Haushaltsnettoeinkommen in Deutschland insgesamt relativ konstant. Die GiniVerminderung durch Umverteilung stieg von 19,9 Prozent in 1994 auf 23,4 Prozent in 2004, fiel allerdings 2006 wieder auf 22,0 Prozent. Was kontinuierlich zunahm ist der Anteil der Bürgerinnen und Bürger in „relativer Armut“, also mit einem Haushaltsnettoeinkommen mit weniger als 50 Prozent des Durchschnitts: er stieg von 9,3 Prozent (1991) auf 10,6 Prozent (2005) und 11,4 (2006), wobei vor allem – nach einem Absinken Mitte der 1990er Jahre – ein Anstieg zwischen 2000 und 2006 auffällt: von 8,8 auf 11,4 Prozent.80 Das passt zu den Beobachtungen des „2. Armuts- und
78 79 80
Walzer 1992. Statistisches Bundesamt 2008, S. 164. Statistisches Bundesamt 2006, S. 609, 611. Irritierend ist, dass im „Datenreport 2004“ für 1991 ein Wert von 10,1% und für 2000 ein Wert von 9,2% angegeben wurde (S. 630). Weiter: Statistisches Bundesamt 2008, S. 165.
Gerechtigkeit und Grundeinkommen
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Reichtumsberichts“ der letzten, rot-grünen Bundesregierung, der Anfang 2005 veröffentlicht wurde. So stieg für alle Haushalte mit Kindern die Armutsrisikoquote zwischen 1998 und 2003 von 12,6 auf 13,9 Prozent, nur bei Alleinerziehenden blieb sie konstant – bei 35,4 Prozent.81 Dass der Wohlfahrtsstaat zur sozialen Gerechtigkeit beiträgt, ist den Bürgern intuitiv und kognitiv klar. Eine Vielzahl von empirischen Analysen vor allem im Rahmen von Umfrageforschungen hat versucht, die Gerechtigkeitsüberzeugungen der Bevölkerung zu rekonstruieren. In einer 2003 durchgeführten Sonderumfrage im Rahmen des „Sozio-ökonomischen Panels“ (SOEP) stimmten rund 70 Prozent der Befragten dem Satz zu, „Ein Anreiz für Leistung besteht nur dann, wenn die Unterschiede im Einkommen groß genug sind“, wobei 28 Prozent mit diesem Statement „voll“ und 42 Prozent „eher“ übereinstimmten. Freilich, eine noch größere Mehrheit will die damit befürwortete Leistungsorientierung auch gleich wieder eingeschränkt wissen. Immerhin traf die Aussage, dass „der Staat (...) für alle einen Mindestlebensstandard garantieren“ sollte, bei 53 Prozent der Befragten auf „volle“ und bei 30 Prozent „eher“ auf Zustimmung.82 Doch könnte die Fragestellung zur verfehlten Annahme verleiten, dass die Bevölkerung nur einen Minimalsozialstaat bejaht. Wie stehen die Bürger zu einem Grundeinkommen? Die vorliegende Studie ist in ihrem empirischen Teil qualitativ orientiert. Umso interessanter wäre zu erfahren, ob Survey-Daten klaren quantitativen und repräsentativen Aufschluss über die Einstellungen der Bevölkerung zu einem Grundeinkommen geben. Leider liegen entsprechende Daten bisher nur eingeschränkt vor. Eine indirekte Annäherung an diese Frage erlaubt die im Auftrag des Bundesarbeits- und des Bundesgesundheitsministeriums durch eine Forschergruppe der Universität Frankfurt um Wolfgang Glatzer durchgeführte Untersuchung zu „Einstellungen zum Sozialstaat“. In Verbindung mit Daten des „International Social Justice Project“ wurden erstaunliche Ergebnisse zutage gefördert.83 Der Gegensatz zwischen der seit einigen Jahren von politischen und wirtschaftlichen Eliten und ihnen nahe stehenden Medien geforderten Hinwendung zu individualistischen – Kritiker sagen auch: „neoliberalen“ – Gerechtigkeitskonzepten und den Einstellungen der Bevölkerung zum Sozialstaat ist auffällig: In den gut 18 Jahren seit der deutschen Einheit stimmten in Ost- wie Westdeutschland kontinuierlich weniger Bürgerinnen und Bürger der Auffassung zu, dass „der Staat“ die Verantwortung für Vollbeschäftigung übernehmen soll, auch wenn der Anteil noch immer hoch ist (Ost: 76%, West: 61%). Zugenommen hat jedoch deutlich der Anteil derjenigen, die für Umverteilung zugunsten einer allgemeinen Garantie der materiellen Existenzsicherung plädieren (Ost: 87%, West: 80%). Diese Datenkombination könnte, freilich mit großer Vorsicht, als Hinweis in-
81 82 83
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) 2005, S. 76. Berger 2005, S. 7. Krömmelbein/Nüchter 2006.
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terpretiert werden, dass ein arbeits-, und insoweit bedingungsloses Grundeinkommen auch mehrheitlich gewollt sein könnte. Eine explizit auf die Akzeptanz eines Grundeinkommens bezogene (recht) repräsentative Befragung hat der Freizeitforscher Horst W. Opaschowski durchgeführt. Er ermittelte für seinen Vorschlag eines „Existenzgeldes“ einen Korridor der Akzeptanz etwa in Höhe von 580 Euro (wobei die Kontextinformationen über das sozialpolitische System für die Befragten vage waren). Je nach Fragestellung votierten in seiner Untersuchung zwischen 61 und 84 Prozent für eine Grundeinkommenssicherung mit klarem Anreiz für zusätzliche Einkommenserzielung durch Arbeit.84 Diese überraschend hohe Akzeptanz könnte auch damit zu tun haben, dass die Idee eines Grundeinkommens als eine modernisierte Form sozialer Sicherung unter Bedingungen erhöhter sozialer Abstiegsängste verstanden wird. Diese empirischen Befunde legen zumindest nahe, dass weder eine Befürwortung noch eine Ablehnung des Grundeinkommens durch Massendaten begründet werden kann. Umso wichtiger erscheint, die Position gesellschaftlicher Eliten als Transformatoren allgemeiner Gerechtigkeitsvorstellungen im Bereich operativer Politik zu untersuchen. Insgesamt ist die Zustimmung zu einem sozialpolitischen Gesellschaftsvertrag in Deutschland und Europa außerordentlich hoch. Wie korrespondieren diese empirischen Beobachtungen mit den Sozialpolitikkonzeptionen und den in ihnen eingelagerten Gerechtigkeitsmodellen? Im Liberalismus gilt Leistung als Leitidee sozialer Gerechtigkeit. Die Folge der Marktwirtschaft ist dann legitime Ungleichheit. Freilich ist nicht erst seit dem Aufkommen des Feminismus und seinem Hinweis auf die unbezahlte Familienarbeit von Frauen strittig, welche Leistung zählt. Auch innerhalb des Arbeitsmarktes zählt keineswegs nur „Leistung pur“, sondern Knappheit, Interessenbündelung und hergebrachte Status. Daran knüpft die sozialistisch-sozialdemokratische Kritik an und plädiert für staatlich-politische Umverteilung, die sich am Leitbild der Verteilungsgerechtigkeit orientiert. Konservative wiederum zweifeln sowohl die Leistungs- wie die Gleichheitsidee an und wollen eher Bedarfsgerechtigkeit, vermittelt in Gemeinschaftsformen; allen voran die Familie, aber auch berufs- und andere ständische Formen dienen dem Konservativen als Legitimitätsquelle. Das klassische Dreieck von „Links-Mitte-Rechts“ könnte verdeutlichen, warum die Sozialversicherungen mit ihrer Neideinhegung zumindest bislang in Deutschland so etwas wie einen Kompromiss der divergierenden Gerechtigkeitsideen bilden konnten – ergänzt um das liberale Modell der „Fürsorge“ (Sozialhilfe), der Konzentration auf die „wirklich Bedürftigen“ und das konservative Modell der „Versorgung“, wie wir es in der Beamtenversorgung und heute auch in Familienleistungen (Kindergeld, Er-
84
Opaschowski 2007, S. 97ff.
Gerechtigkeit und Grundeinkommen
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ziehungsgeld) finden. Die Leitidee des Garantismus geht einen Schritt weiter, indem sie an den Bürger- und Grundrechten anknüpft, jeder Bürgerin und jedem Bürger soziale Teilhabe „garantiert“, konkretisiert vor allem im Konzept der Bürgerversicherung (real existierend in der Schweiz, den Niederlanden oder auch in der Rentenversicherung „Social Security“ der USA) und vor allem in der Forderung nach einem Grundeinkommen, das jedem zusteht, ohne Arbeitsvoraussetzung. Im Konzept Garantismus werden die „sozialen Grundgüter“, die nach Auffassung von John Rawls grundsätzlich allen Menschen zustehen sollen, als positive soziale Grundrechte definiert. Demgegenüber werden sie im „Sozialliberalismus“ – ebenfalls bei Rawls und bei anderen Autoren –, nur als Kompensationen mangelnden Marktkapitals konzipiert.85 Während Rawls – darin in der Tradition des modernen, bei Hegel begründeten Denkens in sozialen Relationen und Funktionen – die Gesellschaft zurecht als Kooperationszusammenhang versteht, kommt ihm eine eigenständige wertkommunikativ-ethische Begründung von Sozialpolitik nicht in den Blick. Er bewegt sich im „nachmetaphysischen“ Mainstream der modernen, vor allem angloamerikanisch geprägten politischen Philosophie. Wenige ihrer Vertreter gestehen so offen wie Harry Frankfurt, dass ihre Auseinandersetzung um die Spannungen von Gerechtigkeit und Gleichheit „nichts Substantielles zur Lösung der Frage bei(trägt), welche Sozialpolitik befolgt oder vermieden werden sollte“.86 Das hält sie dennoch nicht davon ab, philosophisch argumentierend normative, letztlich subjektiv-politische Positionen zu vertreten. Unsere Argumentation zielt auf eine Dekonstruktion und Reflexion dieser Meinungen ab. Wenn Stefan Gosepath in einer umfangreichen Studie einen „liberalen Egalitarismus“ entwerfen will und darin „Ausnahmen von der Gleichverteilung“ vor allem für ökonomische Güter so begründet: „Die wesentliche Ausnahme von der Gleichverteilung liegt in den ungleichen Folgen der Eigenverantwortung“87, dann müsste er nachweisen, dass im Wirtschaftsleben tatsächlich überwiegend „Eigenverantwortung“ die unterschiedliche Güterverteilung begründet – und nicht auch Erbschaften, Seilschaften oder Glück. Hier war Rawls realistischer. Realismus ist aber für die Sozialpolitik unverzichtbar. Nur an einer Stelle des Sozialgesetzbuchs (SGB) findet sich die explizite Erwähnung des Begriffs sozialer Gerechtigkeit, in § 1 Abs. 1 SGB I: „Das Recht des Sozialgesetzbuches soll zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit Sozialleistungen (…) gestalten.“ Ohne philosophischen und sozialtheoretischen Reflexionsimport wird die praktische Sozialpolitik orientierungslos. Die Betrachtung der Sozialpolitik mit dem analytischen Rahmen der Wohlfahrtsregime macht sichtbar, dass soziale Gerechtigkeit realistisch nicht in der residualen Perspektive politischer Philosophen wie Höffe oder Kersting begriffen werden kann.
85 86 87
Wie bei Ackerman/Alstott 1999, deren Konzept einer „Sozialerbschaft” als Vermögenstransfer an jeden 18jährigen neuerdings auf Deutschland übertragen wurde (Grözinger u.a. 2006). Frankfurt 2000, S. 38. Gosepath 2004, S. 16.
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2 Werteorientierung und Sozialpolitik
Gerechtigkeit ist in einer differenzierten modernen Gesellschaft notwendig mehrdimensional. Sozialpolitik institutionalisiert und dynamisiert soziale Gerechtigkeit.
2.3.2
Gibt es religiöse Gründe für ein Grundeinkommen?
Eine moderne Gesellschaft ist eine säkulare Gesellschaft, in der die Teilsysteme ein hohes Maß an Autonomie auszeichnet. Religiöse Werte, so die Meinung der Mehrheit der politischen Philosophen und Politikwissenschaftler, können und sollen höchstens über die privaten Überzeugungen der Bürger und der politischen Funktionsträger in den politischen Prozess eingespeist werden. Freilich kommt religiösen Weltbildern bzw. Religionen für die Entwicklung und Ausprägung von Wohlfahrtsstaaten eine zentrale Bedeutung zu. In Max Webers wirtschaftsgeschichtlichen Studien blieb es noch als „Aufgabe“, die komplexen Wertbeziehungen „nun auch für den Inhalt der sozialpolitischen Ethik, also für die Art der Organisation und der Funktionen der sozialen Gemeinschaften vom Konventikel bis zum Staat aufzuzeigen.“88 Vor einem pluralistischen Weltbild erscheint der Versuch, ein einziges „Weltethos“ (Hans Küng) zu finden, das sich in eine, wenn auch minimale Sozialethik übersetzen ließe, riskant. Andererseits sind vor allem internationale Organisationen, sofern sie sich zu gemeinsamen Handeln entschließen, häufig auf eine Koordinierung ihrer Letztwertbegründungen angewiesen. Sowohl die Menschenrechte wie die Debatte für ihre Ergänzung um „Menschenpflichten“ sind engstens mit Letztwertbegründungen verknüpft und insoweit angewiesen auf interreligiöse Verständigung. Dass für den Bereich der Werte des Wohlfahrtsstaates eine derartige Verständigung noch kaum entwickelt erscheint, muss nicht verwundern. Man könnte fragen, ob die Entwicklung wohlfahrtsstaatlicher Institutionen als Projekt des „säkularen Humanismus“ entziffert werden muss. Wenn sich Vertreter der Religion daran beteiligt hatten oder beteiligen, so geschieht das in ihrer Rolle als auch säkulare Humanisten, als Bürger konkreter Staaten. Der Verfassungstheoretiker Ernst-Wolfgang Böckenförde hat das Problem auf die vielzitierte Formel gebracht: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist.“ Er fährt dann fort: „Der Staat, auf die inneren Bindungskräfte nicht mehr vertrauend oder ihrer beraubt, wird dann auf den Weg gedrängt, die Verwirklichung der sozialen Utopie zu seinem Programm zu erheben. (...) So wäre denn noch einmal – mit Hegel – zu fragen, ob nicht auch der säkularisierte weltliche Staat
88
Weber 1981, S. 189; ausführlich zum Verhältnis von Religion und Sozialpolitik Opielka 2008a.
Gerechtigkeit und Grundeinkommen
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letztlich aus jenen inneren Antrieben und Bindungskräften leben muss, die der religiöse Glaube seiner Bürger vermittelt.“89 Anhand von zwei Bibelstellen, dem Paulus-Brief an die Thessalonicher und dem Gleichnis vom Weinberg, lassen sich zwei auf den ersten Blick widersprüchliche Positionen zur Frage des Grundeinkommens anführen.90 Diese beiden Bibelstellen markieren eine Spannung, die uns heute im Sozialstaat erneut umtreibt. Würde eine sachgerechte Vermittlung zwischen dem Kommunismus des „Himmelreichs“ und dem Kommunitarismus der kleinen Gemeinschaft durch die Einführung eines Grundeinkommens gelingen – oder ist diese bereits durch den heutigen, auf Bismarck zurückgehenden Sozialversicherungsstaat gewährleistet? Die Antwort der „Denkschrift“ des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zur „Armut in Deutschland“ mit dem programmatischen Titel „Gerechte Teilhabe“ scheint eindeutig. Die Idee eines von der Arbeitsleistung entkoppelten Grundeinkommens kommt nur an einer Stelle vor: „Dabei sind Konzepte kritisch zu prüfen, welche ein über das materielle Existenzminimum hinausgehendes Grundeinkommen garantieren sollen.“91 Die Kritik wird im nächsten Absatz formuliert: „Vorrang der Aktivierung vor der Versorgung.“ Implizit wird somit die Gleichung „Bürgergeld=Versorgung“ suggeriert, wobei unter „Versorgung“ nicht eines der Sozialleistungssysteme verstanden wird,92 sondern eher abwertend eine Form der Ruhigstellung. Eine sozialethische Argumentation fehlt. Die Denkschrift der EKD schlägt sich, wenngleich mit menschenfreundlichen Zusatzargumenten, auf die Seite der „Aktivierung“, die von der rot-grünen Bundesregierung unter dem Label „Fordern und Fördern“, als „Agenda 2010“ und „Hartz IV“ in praktische Politik gegossen wurde. Die Gemeinde der Thessalonicher wurde zum Modell für Deutschland. Der deutsche Protestantismus tut sich schwer mit der Idee des Grundeinkommens. Er beruft sich dabei auf Martin Luther, der in seiner Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation im Jahr 1520 erklärte: „Es ist wohl eine der größten Notwendigkeiten, daß alle Bettelei abgetan würde in der Christenheit. Es sollte niemals jemand unter den Christen betteln gehen (…). Ebenso müßte da sein ein Verweser oder Vormund, der alle die Armen kennt und was ihnen not wäre, dem Rat oder Pfarrer ansagte oder wie das aufs beste könnte geordnet werden. (…) wer arm will sein, soll nicht reich sein, will er aber reich sein, so greif er mit der Hand an den Pflug und such‘s sich selbst aus der Erde. (…) Denn Sankt Paul sagt: ‚Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.‘ Es ist niemand dazu bestimmt, von der anderen Güter zu leben, denn allein die predigenden und regierenden Priester (…).“93 Wenn wir diesen Text auf uns wirken lassen, so verspüren wir den Hauch einer anderen Zeit, immerhin ein halbes Jahrtau-
89 90 91 92 93
Böckenförde 1991, S. 112f. Opielka 2006b. EKD 2006, Absatz 75. Opielka 2008a. Luther 1962, S. 70.
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2 Werteorientierung und Sozialpolitik
send ist seitdem vergangen. Ein nüchterner Blick auf die Welt der Gegenwart lässt das protestantische Lob der Arbeit relativiert zurück – auch bei Protestanten. So sind es beispielsweise in Namibia protestantische Aktivisten, die in Modellprojekten für ein „Basic Income Grant“ ein Grundeinkommen vorantreiben.94 Sie führen die christliche „Option für die Armen“ weiter und berichten begeistert und überzeugt vom Selbstbewusstsein, dass die Einkommensgarantie auslöst. Die tiefe religiöse Frage zielt auf die Aufgaben, die nicht vom Menschen selbst gesetzt werden, sondern von höheren Mächten. Hier ist die protestantische Tradition von großer Wichtigkeit für die Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung des Kapitalismus und unserer Wirtschafts- und Leistungsgesellschaft, am bekanntesten sicherlich Webers Werk Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. Weber argumentierte, dass die rasanteste Entwicklung des Kapitalismus in den protestantischen Regionen Europas und Amerikas stattfand, die puritanisch oder kalvinistisch geprägt waren, und in denen die Kombination aus Prädestinationsgedanke – mein Schicksal ist vorherbestimmt, aber ich muss mich anstrengen, um die Vorherbestimmtheit sichtbar zu machen – kombiniert wird mit einer Leib- und Lustskepsis, vielleicht sogar Leibfeindlichkeit. Die Vorstellung, das Leben sei primär eine Aufgabe, ist eine antihedonistische, anti-lustorientierte Weltperspektive, die bis hin zu Selbstkasteiungen und bewusstem Verzicht reicht, eine asketische Grundorientierung. Das ist ein Aspekt in der protestantischen Tradition, der in die Arbeitsethik einging und bis heute regelmäßig in den Medien erwähnt wird. In unserem Luther-Zitat wird postuliert, dass der Einzelne, wenn er nur wollte, nicht arm sein muss. Wer sich entscheidet, arm zu sein – so heißt es im Brief an die Deutschen. Das ist ein neuzeitlicher, aufklärerischer Gedankenimpuls, der davon ausgeht, dass der Mensch verantwortlich ist für sein Schicksal. In allen Religionen ist es ein Impuls, darauf zu achten: was kann der Einzelne, gibt es einen freien Willen? In der neueren Gehirnforschung werden dagegen bekanntlich Einwände erhoben: Gibt es überhaupt einen freien Willen? In der Geistestradition Europas ist der freie Wille zentral. Er rechtfertigt die Demokratie. Ohne freien Willen gäbe es keinen Grund, warum man den Willen des Volkes abfragt. In der protestantischen Vorstellung von Arbeit und Armut kommt dem freien Willen große Bedeutung zu: Der Mensch entscheidet sich zur Armut oder zur Arbeit. Er hat diese Freiheit. Aus dieser Sicht erscheint die Idee des Grundeinkommens abwegig, weil mit ihr ein Verzicht auf alle Formen der Selbstdisziplinierung einher zu gehen scheint. Die Entwicklung und Internalisierung der Selbstdisziplinierung war für den Soziologen Norbert Elias das entscheidende Ergebnis des Zivilisationsprozesses, das gleichwohl nicht rein affirmativ, sondern dialektisch gesehen werden muss. So mündete die protestantische Arbeitsethik in der modernen Armenpolitik, letztlich in die Idee des Ar-
94
Haarmann/Haarmann 2005, www.bignam.org
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beits- und Zuchthauses. Die gesamte mittelalterliche und frühneuzeitliche Armenpflege betrachtete die Armut als moralischen Makel. Es gibt freilich nicht nur die protestantische, sondern ebenso die katholische Interpretation des Verhältnisses von Arbeit und Armut. Europa gekennzeichnet durch den Konflikt zwischen beiden Weltethiken. Im Katholizismus wird das Soziale anders akzentuiert gedacht, wird der Mensch deutlicher als Gemeinschaftswesen verstanden. Im Zentrum steht nicht die unmittelbare Beziehung des Einzelnen zu Gott, sondern die Beziehung ist stets sakramental vermittelt durch die Kirche, durch die Gemeinschaft der Gläubigen. In der Konsequenz hebt das Verständnis von Arbeit seit dem späten 19. Jahrhundert in berühmten Enzykliken wie „Rerum Novarum“ (1891) und „Laborem exercens“ (1981), die die katholische Soziallehre begründet und aktualisiert haben, darauf ab, dass auch sie ein sozialgebundener Vorgang ist, dass es eine gemeinschaftliche Verantwortung gibt des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers, die dann in einen Begriff wie „Solidarismus“ mündet. Dahinter steht die Idee, dass die Menschheit in der Arbeit ein Gotteslob singt, darin dann aber auch solidarisch sein und ein gerechtes Teilungsverhältnis zwischen Kapital und Arbeit wahren muss. Das ist sehr stark gebunden an die Perspektive des Betriebes, des Unternehmens. Die katholische Soziallehre marschierte in einer gewissen Weise im Gleichschritt mit der Entwicklung des Kapitalismus. Es war der Versuch der katholischen Kirche, die geistige Hoheit oder Begleitung der Arbeiter nicht an die Linke, an die Gewerkschaften zu verlieren. Dazu dienten auch katholische Gewerkschaften und später die Zentrumspartei als politische Organisation. So entwickelte sich die Soziallehre der Kirche parallel mit der Entwicklung des Sozialstaats, denn auch der Sozialstaat organisierte sich zunächst um den Betrieb. Das 19. Jahrhundert lebte von der Bestürzung über das Auseinanderreißen von Gesellschaft durch die Lohnarbeit und den Kapitalismus, durch die Mobilitätsanforderungen, durch das Zerreißen von Gemeinschaft. Die neue Gemeinschaftsebene war jetzt die betriebliche Ebene auf der einen Seite und die nationale Ebene auf der anderen Seite. Daraus ergab sich die Verknüpfung von Betrieb und Nation mit der Synthese in der Sozialversicherung, die staatlich organisierte Zunftkasse, die Genossenschaftsidee auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene, aber bezogen auf die Erwerbsarbeit als kapitalistische Lohnarbeit. Damit stellt sich die Frage, sowohl an evangelische wie katholische Sozialethiker: Wenn heute diese Grundkonfiguration der Frühindustrialisierung und der industriellen kapitalistischen Gesellschaft insgesamt ein Stück weit überlebt ist, passt dann noch diese ethische Konstruktion, die Gemeinschaftsbindung und die Solidarität der Gesellschaft über die Arbeit zu organisieren? Laborismus und Solidarismus sind die beiden Codes der katholischen Soziallehre – Solidarität über die Arbeit, und zwar über die kapitalistische Arbeit, die der Kirche wegzurutschen drohte. Hinzu kommt noch ein weiterer Gedanke, der Gedanke der Subsidiarität. Dieser wurde gleichfalls in der katholischen Soziallehre entwickelt, als ordnungspolitische Veränderung des liberalen Konzeptes der Hilfe zur Selbsthilfe oder des Vorrangs des Einzelnen. In der katholischen Sozialethik versteht man unter
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2 Werteorientierung und Sozialpolitik
Subsidiarität zunächst, dass die jeweils kleinere Einheit Vorrang haben soll vor der höheren. Praktisch gemeint war damit, dass die kirchlichen Interventionen Vorrang haben sollten vor den staatlichen. Das drückt sich zum Beispiel heute noch aus im Kernfeld der Subsidiarität der freien Wohlfahrtspflege – eine typisch deutsche Diskussion –, wo die Wohlfahrtsverbände eine Selbstständigkeit und zugleich einen Unterstützungsanspruch an den Staat reklamieren unter Berufung auf den Gedanken, dass sie näher am Menschen und eine Selbstverwaltungsorganisation der Menschen sind, die deshalb Vorrang hat für alle Bereiche der sozialen Unterstützung, Vorrang vor unmittelbaren staatlichen Hilfen. Die deutschen katholischen Bischöfe veröffentlichten 2003 eine Denkschrift „Das Soziale neu denken“, in der sie die Politik der „Aktivierung“ unterstützten. Als Tiefengrund beziehen sie sich auf das Subsidiaritätsprinzip der katholischen Soziallehre. In seiner ersten Enzyklika „Deus caritas est“ (2006) erläuterte Papst Benedikt XVI. dieses Prinzip als Element einer gerechten Ordnung der Gesellschaft: „Richtig ist es, dass das Grundprinzip des Staates die Verfolgung der Gerechtigkeit sein muss und dass es das Ziel einer gerechten Gesellschaftsordnung bildet, unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips jedem seinen Anteil an den Gütern der Gemeinschaft zu gewährleisten.“95 Die Position der beiden großen christlichen Kirchen ist allerdings nur auf den ersten Blick eindeutig. Genauer betrachtet widersprechen beide Argumentationen einem Bürgergeld nicht. Weder würde ein „Grund“-einkommen „über das materielle Existenzminimum hinausgehen“, wie es die Denkschrift der EKD mutmaßt, noch muss es dem Subsidiaritätsprinzip widersprechen, das, wie Oswald von Nell-Breuning systematisch begründete, als Doppelgebot zu verstehen ist: ein positives Hilfsgebot an den Staat (als Makro-Gemeinschaft) und ein Gebot, die Hilfe so zu geben, dass die Hilfe zur Selbsthilfe dabei nicht verloren geht.96 In der christlich-kirchlichen Begründung der Wohlfahrtstaatlichkeit wird als Grundimpuls sichtbar die Zentralität der Arbeitsidee, die Vorstellung einer gesellschaftlichen Ordnung, die harmonistische Seite auf Seiten der katholischen Soziallehre, ihre disziplinierenden, selbstdisziplinierenden Aspekte auf Seiten der protestantischen Ethik. Die Gemeinsamkeit beider liegt im Bezug auf eine „Option für die Armen“. Im katholischen Laborismus wie in der „protestantischen Ethik“ wird die Arbeit zu einem Wert verklärt. Aber auch die Armut kann ein Wert sein. Dass in der Arbeit und der Armut eine Würde gesehen wird und ein Geben gegenüber Gott, das finden wir auch in anderen Religionen und damit erstaunliche Parallelen mit anderen Akzenten in der islamischen und buddhistischen Sozialethik. Die mittelalterliche Konzeption der Armut – vor Luther – sah im Armen eine Gelegenheit für den Reichen,
95 96
Benedikt XVI. 2006, S. 67f. Schramm 2007.
Gerechtigkeit und Grundeinkommen
35
Gutes zu tun. Das ist der gleiche Gedanke, der im Islam (Almosen, Zakat) eine Rolle spielt. Der Arme gilt als funktionales Äquivalent zum Reichen. Armut wird gebraucht. Dies änderte sich mit der lutherischen Tradition und ihrem Begriff der Arbeit sowie der unmittelbaren Gottesbeziehung, so dass dann die Armut als moralischer Verfall, als moralisches Problem galt. Damit entfiel der Aspekt der Heiligung, der Würdigung der Armut im Protestantischen, im Katholischen blieb er stärker erhalten. Eine Pointe erscheint, dass die sozialistische Arbeitsethik erstaunlich ähnlich aufgebaut war wie die christliche Arbeitsethik, wenn auch mit anderen Argumentationsmustern. Auf der Phänomenebene war sie ähnlich, was damit zu tun haben dürfte, dass sich der Kommunismus, der Sozialismus in seinem historisch-materialistischen Kern selbst als eine Religion verstand, in der die Gesellschaft zu einer moralischen Besserungsanstalt wird. Die gesamte Gesellschaft wurde so zum Arbeitshaus. In der DDR-Verfassung verwirkten Personen, die nicht arbeiten wollten, letztlich ihr Bürgerrecht. Konservatives Denken hingegen setzt in seiner christlichen Tradition auf den Menschen als Gemeinschaftswesen. Damit folgt es einem anthropologischen Realismus.97 Die Verbesserung des Menschen durch die Politik wird nicht beabsichtigt. Politischer Konservatismus und Christentum sind jedoch nicht identisch. Das Christentum ist eine religiöse Grundorientierung, nicht nur in Europa sondern global, die in ihrem Kern garantistische Elemente beinhaltet. Das Christentum geht von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen aus. Im christlichen Denken steckt ein garantistischer Aspekt, die Vorstellung, dass Menschliches und Göttliches gerade nicht entkoppelt sind, wie noch in der griechischen Mythologie, in der die Götter zwar menschenähnlich dargestellt werden, aber zugleich grundlegend getrennt sind von den Menschen. Dort existierten nur wenige Übergänge, es waren zwei verschiedene Sphären. In diesem Sinn ist beim Christentum bereits etwas angelegt, was viele dazu gebracht hat zu sagen, dass die Menschenrechte eine spezifisch christliche Errungenschaft seien. Worauf manche im asiatischen Raum reagieren, indem sie sagen, eure Idee der Menschenrechte ist nicht unsere, sie passt beispielsweise mit unserem konfuzianischen Weltbild nicht zusammen. Wenn wir vor den politisch-ethischen Großweltbildern stehen, dann können das nicht nur rein geistige Traditionen sein, sie müssen auch einen funktional äquivalenten gesellschaftlichen Vollzug haben, sonst wären es keine solch wirkmächtigen Gerechtigkeitsphilosophien. Die Idee des Grundeinkommens und ihre Rezeption bei gesellschaftlichen Akteuren erfordert nicht nur ein Verständnis der politisch-philosophisch begründeten Werteorientierungen, vielmehr erweitert die Einbeziehung der religiösen Begründungen von Arbeit und Sozialität das Verständnis zur Positionierung von Personen und Gruppen zur Idee des Grundeinkommens.
97
Opielka 2006b.
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2 Werteorientierung und Sozialpolitik
2.3.3
Welche Akteure sozialer Grundrechte sind identifizierbar?
Ohne Handelnde entsteht kein soziales System und verändert es sich nicht. In einer ausdifferenzierten, zudem globalisierten Gesellschaft wird es freilich schwer, die Vielfalt der Handelnden konzeptionell unter einen Hut zu bringen. Beliebte Beschwörungsobjekte sind „Neue Soziale Bewegungen“, aber auch Parteien, Gewerkschaften, Unternehmerverbände, Kirchen oder Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) wie attac. Tatsächlich finden wir in diesen gesellschaftlichen Gruppen zunehmend Befürwortungen und teils leidenschaftliches Engagement für ein Grundeinkommen. Die soziologische Richtung des „Neo-Institutionalismus“ hat zu unserer Frage, ob und welche gesellschaftlichen Akteure sich für ein Grundeinkommen einsetzen könnten, eine auf den ersten Blick paradoxe Überlegung beigesteuert.98 Es sind nicht Akteure und ihre Interessen, die Gesellschaft konstituieren („bottom up“), sondern umgekehrt: In fortwährenden Rationalisierungsprozessen erzeugt die Gesellschaft – präziser: die Kultur der „world polity“, die sich aus den kulturellen Grundprinzipien der westlichen Moderne zusammensetzt – die sie bevölkernden Akteure („top down“). Akteure sind also nicht ontologisch vorauszusetzen. Man muss sich das als einen wechselseitigen, dialektischen Prozess vorstellen. Die gesellschaftlichen Akteure sind nicht einfach da und handeln. Sie werden durch die Gesellschaft überhaupt erst konstruiert. Die Moderne privilegiert drei Typen von Akteuren: Individuen, Organisationen und Staaten. Diese setzen sich auf Kosten anderer Formen der Organisierung von Handlungsfähigkeit (Clans, Familien, Gruppen etc.) durch. Der neo-institutionalistischen Argumentation zufolge lässt sich eine Vervielfältigung individueller, organisationaler und staatlicher Akteure beobachten. Dass Individuen als selbstständige Handlungsträger und nicht vornehmlich als Teile übergreifender sozialer Einheiten in Erscheinung treten, wird als langfristiger und historisch unabgeschlossener Prozess verstanden. Dies belegen sowohl historisch-soziologische Arbeiten zur Entstehung von individueller Identität als auch neuere Arbeiten zum Phänomen der fortschreitenden Individualisierung, die immer weitere Bereiche der Lebensführung erfasst. Ähnliches gilt für Organisationen und Staaten, die historische Innovationen darstellen und deren quantitative Zunahme als Trend ungebrochen ist. Es würde jedoch zu kurz greifen, die Vervielfältigung von Akteuren mit deren Autonomisierung ineins zu setzen. Moderne Akteure können über ihre Mittel und Zwecke nicht nach Belieben verfügen, sondern gelten als „scripted“, als durch Deutungsmuster konstruiert. Das darf man aber nicht übertrieben denken. Es ist nicht so, wie ein Vulgärmarxismus behauptet, dass der Mensch nur das „Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse“ ist und da-
98
Grundlegend Meyer/Jepperson 2005.
Gerechtigkeit und Grundeinkommen
37
durch diese Verhältnisse nicht transzendieren kann. Die Pointe unserer Perspektive ist, dass selbst das Individuum mit seinen biographischen Schöpfungsleistungen und Freiheitswünschen, mit seiner Fähigkeit zur Veränderung der Gesellschaft ein Akteur der Gesellschaft ist. Diese sozialkonstruktivistische Perspektive des Neo-Institutionalismus kann die Frage nach den Akteuren sozialer Grundrechte insoweit nur im Kontext von Strukturund Kulturdynamiken beantworten. Die Durchsetzung von Menschenrechten gehört zu den lebendigsten Dynamiken der „world polity“. Soziale Grundrechte gehören dabei zu den verzögerten Agenden. Dies muss insoweit nicht verwundern, da die Entstehung von „national polities“ im Rahmen der Genese des modernen Nationalstaats, worauf Thomas S. Marshall hinwies,99 die Ausweitung von Rechten über liberale Abwehrrechte, demokratische Wahl- bis hin zu sozialpolitischen Teilhaberechten einen Zeitraum von knapp 300 Jahren benötigte. Für Akteure sozialer Grundrechte müssen daher die Handlungsebenen genauer differenziert werden. Offensichtlich ist, dass beispielsweise auf der europäischen Ebene Organisationen und Staaten als entsprechende Akteure auftreten, während Individuen nur begrenzte Handlungsoptionen besitzen. Die Frage wäre aber, wie das Handeln von Individuen innerhalb der Rollen, die staatliche Akteure in wohlfahrtsstaatlichen Politikfeldern bereit stellen, variiert werden kann. Die Frage dieses Abschnittes bezieht sich ausdrücklich auf Akteure sozialer Grundrechte. Jenseits systemischer Skripte dürfte die individuelle Bereitschaft, Konflikte mit den jeweiligen Rollengebern um alternative Deutungen auszutragen stark davon abhängen, dass die eigene Deutung als stark erlebt wird. Die politische Durchsetzung der Idee des Grundeinkommens wird davon abhängen, wie stark die garantistische, auf Menschenrechten basierende Gerechtigkeitsdeutung verankert werden kann. „Garantismus“ statt „Beitragsäquivalenz“, „Lebensstandardsicherung“ und „Aktivierung“ – noch immer ist die Skepsis der Eliten gewaltig. Dabei ist ein garantiertes Grundeinkommen auch ein gewerkschaftliches Zukunftsprojekt. Die Formel ‚bedingungslos’ führt dabei in die Irre: Ein Grundeinkommen wird noch für längere Zeit an die Sozialbürgerrolle gekoppelt bleiben. Ein Grundeinkommen entwickelt den Sozialstaat aber weiter. Statt (Neo-)Liberalismus, Sozialdemokratismus und Konservativismus steht ein Grundeinkommen für Garantismus. Das heißt: Der Sozialstaat garantiert allen nachhaltig eine menschenwürdige Existenz. Doch den Lebensstandard sichert er nicht mehr. Er macht das auch in Deutschland ohnehin nur noch für einige Rentner und Pensionäre. Da kommen die Gewerkschaften ins Spiel: betriebsbezogene und betriebsübergreifende Zusatzsicherungen sind im garantistischen Sozialstaat vor allem auch ihre Aufgabe. In Schweden und der Schweiz machen sie es erfolgreich. Ein Grundeinkommen muss und kann zudem mit anderen Sozialleistungen gekoppelt
99
Marshall 1992.
38
2 Werteorientierung und Sozialpolitik
werden, vor allem mit sozialen Diensten. Auch in den Gewerkschaften wird das Thema Grundeinkommen unterdessen kontrovers und intensiv diskutiert.100 Unterdessen wird die Diskussion über ein Grundeinkommen nicht nur sozialethisch, sondern auch politics-orientiert geführt. Dabei sind Finanzierungsfragen durchaus Wertefragen: Was ist gerecht? Wer bekommt was und warum? Soll der Sozialstaat nach wie vor erwerbsarbeitszentriert sein oder soll der Bürgerstatus, sollen soziale Grundrechte seine Struktur bestimmen? Ein Grundeinkommen für alle würde sich gegen die Spaltung der Gesellschaft, gegen die „Exklusion“ der scheinbar Überflüssigen stellen. Die Rede von den „Leistungsträgern“ wirkt nur dann inklusiv, ermunternd, wenn der Leistungsbegriff nicht zu eng gefasst wird, wenn sich jede Leistung lohnt, auch die in Familie und freiem Engagement. Die drei großen politischen Ideologien – Liberalismus, Sozialismus, Konservativismus - verdanken sich der aufklärerischen Revolution gegen die kirchliche, theologische Sinndominanz. Erst die Trennung von Kirche und Staat, Politik und Religion konstituierte diese drei politischen Ideologien. Der religiös-legitimativ-ethische Sinnkomplex blieb wie eine Art Restkategorie zurück. Es wurde in einigen Teilen der Welt auch in der Moderne der Gegenwart als religiöser Fundamentalismus aufgegriffen. Das erscheint uns mit guten Gründen als Rückfall in einen vormodernen Zustand. Man könnte zugespitzt formulieren, dass der Garantismus gegenüber Fundamentalismen, die aus dem modernen Dreieck Liberalismus-Sozialismus-Konservativismus herausspringen wollen, eine Modernisierung bildet, eine Transformations- und keine Schwundstufe. Wenn der Garantismus ein synthetischer Impuls ist, dann bedeutet es auch, dass es gute Gründe gibt, die Leistungsfähigkeit der jeweils anderen Ideologien nicht gering zu schätzen: das sozialistische Moment, wonach der Staat auch Dienstleistungsangebote machen und sich als versorgende Instanz präsentieren muss und nicht nur leistungsmotivierend; den konservativen Impuls, dafür zu sorgen, dass die familiären und sonstigen traditionellen Gemeinschaftsformen nicht untergehen unter den Belastungen von Modernisierung und Globalisierung; gleichfalls den liberalen Impuls, der den einzelnen als rational Wählenden, als eigenverantwortlichen Akteur konzipiert, möglichst unabhängig von sozialen Einbettungen und Traditionen. Neben den hier entwickelten gerechtigkeitstheoretischen Verortungen der Grundeinkommensdiskussion finden sich in der Literatur unterdessen zahlreiche weitere Referenzordnungen. Einige Autoren versuchen ebenfalls eine vollständige Erfassung von Gerechtigkeitskonzepten.101 Allerdings werden nur selten die sozialtheoretischen und anthropologischen Vor-Annahmen offen gelegt, so dass vermutet werden muss,
100 Ein guter Überblick in Neuendorff u.a. 2009. 101 Z.B. Pioch 2000 (nur zum Teil zum Thema Grundeinkommen), Neumann 2009.
Gerechtigkeit und Grundeinkommen
39
dass diese auch den Autoren nicht unbedingt präsent sind. Im größten Teil der Literatur, vor allem im Bereich der eingreifenden, politisch interessierten, wird nicht einmal das Bestreben sichtbar, die je eigene Position im Raum möglicher alternativer Optionen zu hinterfragen – eine Diskussion und Kritik von der eigenen Position abweichender Gerechtigkeitsannahmen lässt den Leser stets mit dem Eindruck zurück, er möge Partei beziehen. Ein recht eindrückliches Beispiel für diese Deutungstechnik liefert eine Veröffentlichung des „Roman Herzog Institut“ zum Thema „Bedingungsloses Grundeinkommen – Eine Perspektive für die Soziale Marktwirtschaft?“102 Der einleitende Vorstandsvorsitzende (Randolf Rodenstock) macht keinen Hehl aus seiner Ablehnung der Idee; Thomas Straubhaar ist als wirtschaftsliberaler Autor Vertreter einer Pro-Einstellung; die katholische Theologin Elke Mack plädiert zwar für ein Grundeinkommen, doch nur unter Bindung an den Arbeitsmarkt (mindestens 20 Stunden Wochenarbeit zu mindestens 1 Euro steuerpflichtigem Stundenlohn)103 oder Erziehungs- bzw. Pflegearbeit; zwei weitere Autoren reden dagegen. Am Ende der Lektüre ist der Leser verwirrt. Keiner der Autoren macht deutlich, dass er im Kontext von eigenen Wertmatrizes und Deutungsmustern argumentiert. Jeder hält sich für wissenschaftlich-wahrheitsnah. Ein im Rahmen der dem Politik- und insbesondere dem Parteipolitikdiskurs zuzurechnenden Grundeinkommens-Literatur positiv auffallender Beitrag zur Diskussion des „Wertekanons“104 des Sozialstaats wurde von Stephan Lessenich vorgelegt. Er möchte die „(Selbst-)Verständigung des (…) ‚linken Lagers‘“ zum Thema Grundeinkommen befördern, die für ihn bisher „eher die Umrisse einer intellektuellen Bürgerkriegsordnung als jene einer produktiven Diskursformation“ aufweist.105 Anders als im ordoliberalen Diskurskontext der Roman Herzog Stiftung wird der Deutungshorizont nicht auf die deutsche Figur der „Sozialen Marktwirtschaft“, sondern auf die britische Sozialstaatsreform im Anschluss an den berühmten „Beveridge-Report“ von 1942 gespannt. Das ist eine strategisch bedeutsame Entscheidung für die Positionierung der Grundeinkommensidee. Während die Theoretiker der „Sozialen Marktwirtschaft“ den modernen Wohlfahrtsstaat aus dem Funktionssystem Wirtschaft ableiteten, entstammte der Beveridge-Plan einem robusten Verständnis öffentlicher und administrativ ge-
102 Roman Herzog Institut 2008. 103 Ungeklärt bleibt in ihrem intuitiv durchaus begeisternden Beitrag freilich die entscheidende sozialpolitische Frage, wie das Verhältnis von – faktisch stets gemeinnützig-zusätzlichen – 1-Euro-Jobs und Niedriglöhnen organisiert werden soll. Dass „erst die steuerpflichtige Tätigkeit im ersten oder zweiten Arbeitsmarkt zum Bezug des Grundeinkommens berechtigt“ (Mack 2008, S. 24) klingt einfach, aber praktisch kaum lösbar. Entweder es wird wie der US-amerikanische „Earned-Income Tax Credit“ (EITC) direkt über die Arbeitgeber gezahlt, dann erfordert es jedoch zwingend gesetzliche Mindestlöhne, um Arbeitgebermanipulationen zu vermeiden; oder es wird – wie bisher – eine scharfe Kluft zwischen erstem und zweitem Arbeitsmarkt konstruiert, die zu überwinden gerade das Ziel der „echten“ Grundeinkommensmodelle ist. 104 So der Vertreter der Lessenichs Studie finanzierenden Friedrich-Ebert-Stiftung in der Vorbemerkung (Lessenich 2007, S. 3). 105 Lessenich 2009, S. 8.
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2 Werteorientierung und Sozialpolitik
ordneter Sozialverantwortung. Der liberale Sozialarbeiter und Direktor der London School of Economics William Beveridge versuchte die fünf sozialpolitischen Grundübel – so genannte „five giants“ Want, Ignorance, Disease, Squalor, Idleness durch Schaffung einer gerechten Gesellschaft zu lösen mit jobs, homes, health, education, and a decent standard of living. Lessenich stellt diesen Bezug mit zwei Intentionen her, die für die sozialdemokratische Programmatik wichtig erscheinen: zum einen soll der Diskurs über das Grundeinkommen in eine breite, sozial-gesundheitliche und Bildungsdienstleistungen einbeziehende Sozialreform eingebettet werden; zum anderen aber möchte er die Grenzen dieses Gerechtigkeitsdenkens am Beispiel des „Giganten“ Idleness – also „Müßiggang“ – aufzeigen, dem „Ausweis der tiefen kulturellen Verankerung einer erwerbswirtschaftlich geformten und wohlfahrtsstaatlich institutionalisierten Arbeitsethik“106. Er setzt – für Sozialdemokraten sicher nicht leicht auszuhalten – dagegen die Idee der „Muße“, anschließend an die moderne Zeitforschung mit ihrer Kritik rastloser Beschleunigung.107 Der „Dissens um Muße und Müßiggang“ ist für Lessenich „der archimedische Punkt im Kampf um das Grundeinkommen – verstanden als der Kampf um die Formen und Mechanismen einer in emanzipatorischer Absicht betriebenen Veränderung der sozialen Ordnung im wohlfahrtsstaatlich verfassten Kapitalismus.“108 Lessenichs Überlegungen markieren ein gesellschaftstheoretisches Niveau, das sich in den liberal-konservativen Grundeinkommensdiskursen selten findet. Gleichwohl vermissen wir auch hier sowohl anthropologische Verankerungen wie systematische Anschlussfähigkeit zu den vorhandenen Konzeptionen des Wohlfahrtsregimes. Die Rede von einem „Grenzregime“ des „Sozialstaats der Zukunft“ bezieht sich zwar positiv auf die „im Grundeinkommen verkörperte Idee universell garantierter Teilhabechancen“109. Offen bleibt bei ihm aber, ob sich dahinter ein neuer Wohlfahrtsregimetyp verbirgt – wie er beispielsweise mit dem Konzept des „Garantismus“ vorgeschlagen wurde110 – oder ob ihn eher die Hoffnung leitet, den sozialdemokratischsozialistischen Typ des Wohlfahrtsregimes um die Grundeinkommensidee zu erweitern. Wir werden nun untersuchen, inwieweit diese theoretischen Überlegungen ihren Wiederhall in der Empirie der Akteure finden.
106 107 108 109 110
Ebd., S. 12. Rosa 2005. Lessenich 2009, S. 16. Ebd., S. 33. Opielka 2008; diese Überlegungen werden bei Lessenich leider weder soziologisch noch politisch diskutiert.
3 Forschungsmethoden und Rekrutierung
3.1
Hypothesenbildung und Deutungsmusteranalyse
Die empirische Analyse von Werteorientierungen zum Grundeinkommen greift auf die Theorie sozialer Deutungsmuster zu. Werteorientierungen gehen auf Deutungsmuster zurück. Deutungsmuster werden in der Wissenssoziologie als Sinnmuster definiert, die den Wissensvorrat sozialer Akteure strukturieren, als Sinnzusammenhänge die Wahrnehmung vorprägen und die wahrgenommene soziale Welt eines Individuums gliedern, dass Orientierung, Identität und Handeln möglich wird.111 Deutungsmuster binden individuelle Akteure lebensweltlich in kollektiv gebundene Strukturen. An der Stelle greift die grundlegende Unterscheidung zweier Wissensebenen. Gegen die Ebene expliziter, d.h. den Akteuren bewusster und intentionaler Wissensbestände muss die Ebene impliziter Wissensbestände abgegrenzt werden.112 Deutungsmuster generieren und organisieren als implizite Muster das bewusste, intentionale Wissen und koppeln dieses an soziale Zusammenhänge wie Milieus oder Felder. Implizite Wissensbestände können von den Akteuren selbst nur bedingt begrifflich expliziert werden. Im qualitativen Forschungsprozess sind Methoden der Erhebung und Methoden der Auswertung zu unterscheiden. Hierbei folgte die vorliegende qualitative Studie der Forschungsstrategie der „Grounded Theory“113, einer aus Daten generierten Theorie. Im Gegensatz zu Hypothesen-testenden Verfahren der qualitativen Sozialforschung handelt es sich hierbei um einen Hypothesen-generierenden Zugang. Einleitend wurden den Forschungsprozess rahmende Hypothesen bereits definiert: 1. Die Strukturhypothese zur Ambivalenz gegenüber einem Grundeinkommen. 2. Die Prozesshypothese, wonach ambivalente Deutungsmuster sozialkommunikativ stabilisiert bzw. aufgebrochen werden können.
111 „Deutungsmuster sind [..] krisenbewältigende Routinen, die sich in langer Bewährung eingeschliffen haben und wie implizite Theorien verselbständigt operieren, ohne dass jeweils ihre Geltung neu bedacht werden muß.“ (Oevermann 2001a, S. 38) 112 Oevermann 2001, 2001a; Bohnsack 2003; Hildenbrand 1999; Ullrich 1999. 113 Strauss 1998.
42
3 Forschungsmethoden und Rekrutierung
3. Inhaltliche Deutungsmuster zu Wertlogiken wie Leistung, Gleichheit, Leistung oder Anerkennung. Hierzu gehören eine Heuristik zu Menschenbild, operative Gerechtigkeit und politischer Vollzug. Deutungsmustertheoretisch interessant sind vor allem die ersten beiden Punkte, die insbesondere in den Gruppendiskussionen (Fokusgruppen) theoretisch wie methodisch eingelöst werden. Die „Rekonstruktion der Diskursorganisation“114 oder der „dynamischen Matrix“115 der Gruppe eröffnet in besonderer Weise deren implizite Sinnstrukturen. Diese Perspektive zielt auf implizite, latente Sinnstrukturen, die dem Gruppenprozess zugrunde liegen. Herauszuarbeiten sind sowohl die diskursmächtigen, den Verlauf bestimmenden Akteure, als auch die sich hierzu negativ positionierenden Sprecher. „Erst eine genaue Rekonstruktion sowohl der Diskursorganisation (der Form der interaktiven Bezugnahme aufeinander) als auch der Dramaturgie des Diskurses“ ermöglicht es uns, „jenes die subjektiv-intentionalen Sinngehalte der Einzeläußerungen transzendierende kollektive Bedeutungsmuster zu identifizieren.“116 Hilfreich ist insbesondere die methodisch günstige konfrontative Interviewsituation.117 Die drei untersuchten Gruppen bzw. Milieus oder gesellschaftliche Felder zeigen hierbei unterschiedliche Muster der Pro- und Contra-Orientierung zum Grundeinkommen. Im Forschungsprozess wurde daher darauf geachtet, dass innerhalb der drei Fokusgruppen kontrastierende Akteure gewählt wurden, etwa Vertreter freier Träger und eines Sozialamtes in der Fokusgruppe Soziale Arbeit. Kontrastierende Gruppen verweisen besonders auf strukturelle Ambivalenzen von Deutungsmustern, etwa bei der Befürwortung des Grundeinkommens bei gleichzeitig geltendem Normativ der Arbeitsgesellschaft und zeigen damit deren „Inkonsistenzen“ auf.118 In den ebenfalls
114 115 116 117
Bohnsack 2003, S. 138. Behrensen 2006, S. 57. Bohnsack 2003, S. 110. Oevermann 2001a; Ullrich 1999. Hierzu Bohnsack, der den prominenten Gruppenforscher Mangold zitiert: „Positiv gewendet zeichnen sich durch die wechselseitige Steigerung und Ergänzung der beteiligten Individuen hindurch die Gruppenmeinungen oder kollektiven Meinungen ab: ‚Diese werden gleichsam arbeitsteilig vorgetragen. Die Sprecher bestätigen, ergänzen, berichten einander, ihre Äußerungen bauen aufeinander auf; man kann manchmal meinen, es spreche einer, so sehr paßt ein Diskussionsbeitrag zum anderen. Eine Zerlegung dieses kollektiven Prozesses der Meinungsäußerung in die Ansichten der einzelnen Sprecher ist vielfach unmöglich. Die Gruppenmeinung ist keine ‚Summe’ von Einzelmeinungen, sondern das Produkt kollektiver Interaktionen. Die einzelnen Sprecher haben an ihrer Darstellung zwar in verschiedenem Umfang Anteil, jedoch sind alle aneinander orientiert (...) Die Gruppenmeinungen lassen sich nur aus der Totalität der verbalen wie nichtverbalen Stellungsnahmen herauskristallisieren’“ (Bohnsack 2003, S. 107). 118 Oevermann 2001, S. 11.
Einzelinterviews
43
in den drei gesellschaftlichen Bereichen durchgeführten Einzelinterviews muss die Kontroverse „künstlich“ erzeugt werden.119 Die Rekonstruktion sozialer Deutungsmuster steht grundsätzlich vor der Herausforderung, die in den verschrifteten Texten (Transkripten) zunächst gegebene Ebene des manifesten Sinns einer ersten inhaltlichen Sinnerschließung zuzuführen. Darauf folgend muss diese Ebene durch systematische Analyse umgrenzter Textsequenzen durchbrochen werden. Methodisch geschieht das durch generative Fragen, die zugrunde liegende Sinnmuster und deren Zusammenhänge rekonstruieren (Schlüsselkategorien). Eine Verknüpfung mit dem Kodierparadigma der Grounded Theory liegt nahe, da diese ein geeignetes Verfahren darstellt, empirisches Material methodisch kontrolliert auf eine Schlüsselkategorie hin zu rekonstruieren.120
3.2
Einzelinterviews
Die Rekrutierung der Experten für die Einzelinterviews konnte im Vergleich zu der Rekrutierung der Teilnehmer der Fokusgruppen mit deutlich weniger Ressourcen betrieben werden. Als Hauptursache dafür kann der geringere zeitliche Aufwand für die Teilnehmer der Einzelinterviews angeführt werden, was auch von den Experten selbst bestätigt wurde. Ein Einzelgespräch kostete den Befragten in der Regel 70 Minuten. Im Vergleich dazu musste ein Teilnehmer einer Fokusgruppe neben dem erhöhten Reiseaufwand durchschnittlich 240 Minuten für eine Fokusgruppenbefragung in Kauf nehmen. Ziel der Auswahl war es Experten aus den Bereichen Wirtschaft, Politik und Soziale Arbeit zu identifizieren, die mindestens Teil der mittleren Elite sind. Durch die narrativ angelegten Interviews121 sollte ein Einblick in die Deutungen wirtschaftlicher und politischer Ethik in Bezug auf die Idee eines Grundeinkommens bei Personen erhalten werden, die das Meinungsbild in Deutschland in näherer Zukunft prägen. Für die Auswahl der Experten wurden 50 Experten recherchiert, die alle in mittleren oder hohen Führungspositionen sind und sich thematisch mit Fragen der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik befassen und somit als Experten für Fragen zur Zukunft der sozialen Sicherungssysteme und dem Grundeinkommen identifiziert werden konnten. Von den 50 angesprochenen Experten erklärten sich 16 Personen für ein Interview bereit. Darunter waren sechs Interviewpartner in geschäftsführender oder Vorstandsposition tätig, die weiteren können dem mittleren Management mit Leitungsfunktion zugeordnet werden.122
119 120 121 122
Oevermann 2001a; Ullrich 1999. Strauss 1998; Hildenbrand 1999. Die über das Sampling konsistenten Stimuli sind im Anhang dokumentiert. Siehe dazu die anonymisierte Liste der zitierten Interviewpartner in Abschnitt 9.
44
3 Forschungsmethoden und Rekrutierung
Insgesamt war es nicht besonders schwierig Experten für ein Einzelinterview zu gewinnen. Zeitliche Probleme gab es bei den Experten aus dem Bereich der Wirtschaft aufgrund der terminlichen Knappheit. Inhaltliche Schwierigkeiten traten lediglich im Bereich der Politik auf, bei dem Versuch Experten aus der Sozialdemokratie zu rekrutieren. Zum Zeitpunkt der Durchführung der Interviews hatte sich die sozialdemokratische Partei noch keine Position zum Grundeinkommen erarbeitet und mit dieser Begründung wurde seitens des Parteivorstandes jegliche Anfrage grundsätzlich abgelehnt, so dass keine sozialdemokratische Führungskraft für die Studie befragt werden konnte. Ansonsten konnten Experten aus allen anderen im Bundestag vertretenen Fraktionen mit Ausnahme der Linken befragt werden. Im Bereich der Wirtschaft nahmen sowohl Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmervertreter an der Studie teil. Für den Bereich der Sozialen Arbeit konnten Führungskräfte aus fast allen relevanten Wohlfahrtsverbänden und weiteren sozialen Trägern als Experten mobilisiert werden. Jedes Experteninterview wurde nach dem gleichen Schema durchgeführt. Am Anfang eines jeden Interviews stand folgender Stimulus: „>Ein Grundeinkommen ist ein Einkommen, das von einem politischen Gemeinwesen an alle seine Mitglieder ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Gegenleistung individuell ausgezahlt wird. Es ist ein bedingungsloses soziales Grundrecht, das die politische Teilhabe in einer Demokratie um die Teilhabe am Warenkonsum erweitert.< – so eine Definition des Grundeinkommens. Was glauben Sie: Ist ein Einkommen ohne Gegenleistung eher gut oder eher schlecht für den Einzelnen bzw. für die Gesellschaft?“. Dabei wurden die Interviews möglichst offen geführt und erst in der zweiten Interviewphase wurden konfrontative Argumente anhand von einzelnen Leitfragen angewandt, die ebenfalls für alle Befragten gleich waren. Offenheit bezieht sich hierbei auf den Freiheitsgrad des Befragten. So soll sich das Interview so weit wie möglich einem natürlichen Gesprächsverlauf annähern und durch kontrastierende Fragen eine Offenlegung von Deutungsmustern ermöglicht werden. Die Interviews dauerten durchschnittlich 70 Minuten. Im Mittelpunkt der Deutungsmusteranalyse steht ein am Material entwickeltes Codierungssystem, welches das Datenmaterial strukturiert und auf alle Interviews angewandt wird. Diese Strukturierung anhand von inhaltlichen Codes und Subcodes wurde mit Hilfe des Programms MAXqda umgesetzt. Bevor das Datenmaterial anhand der Codes strukturiert wurde, haben die Verfasser im hermeneutischen Verfahren die Codes aus mehreren Interviews gewonnen. Nach der Strukturierung der einzelnen Texte mit Hilfe des Codesystems, wurden alle Aussagen, die zu einem Code passen, zusammengeführt. Anhand dieser gewonnen Textstellen konnten relevante Codes herausgearbeitet und den drei zentralen Analysekategorien der Deutungsmusteranalyse: das Menschenbild, die Operative Gerechtigkeit und der Politische Vollzug zugeordnet werden. Anhand der Textpassagen für die relevanten Codes wurde dann
Fokusgruppen
45
zum Teil unter Verwendung wissenschaftlicher Literatur und anderen Studien je ein Text für die drei Analysekategorien erstellt.
3.3
Fokusgruppen
Gruppendiskussionen wurden durchgeführt mit TeilnehmerInnen aus den Bereichen 1.) Wirtschaft in Hamburg; 2.) Politik in Berlin; 3.) Soziale Arbeit in Erfurt. Die drei Gruppen weisen den Charakter künstlicher Gruppen auf,123 gebildet nach dem Kriterium der Zugehörigkeit zu einem gesellschaftlichen Feld. Für die Wirtschaftsgruppe konnten acht TeilnehmerInnen rekrutiert werden: der Geschäftsführer einer mittelständischen Werbeagentur, der Begründer und Geschäftsführer eines ITBeratungshauses, der geschäftsführende Gesellschafter eines Investmentfonds, eine Unternehmensberaterin, ein IT-Unternehmer, ein selbständiger Finanzmakler, ein leitender Gewerkschafter sowie der Vertreter eines bundesweit agierenden Sozialverbandes. Die Rekrutierung von fünf der acht TeilnehmerInnen über persönliche Geschäftskontakte des Stifters der Stiftung in Hamburg führt dazu, dass die angestrebte Variation nicht erreicht werden konnte. Die fünf auf diesem Wege gewonnenen TeilnehmerInnen geben der Gruppe eine deutliche Tendenz, indem dort durch Geschäftsführer, Gesellschafter und Unternehmensberater gehobene Vertreter des Wirtschaftsfeldes platziert sind. Für die Politikgruppe konnten acht TeilnehmerInnen rekrutiert werden: Zwei Mitarbeiter einer politisch konservativen Stiftung, ein Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bundestagsfraktion Die Linke, ein Mitarbeiter des Bundesvorstands von Bündnis 90/Die Grünen, ein Parteimitglied von Bündnis 90/Die Grünen, der ehrenamtlich im Kreisvorstand einer brandenburgischen Stadt arbeitet sowie in einem Arbeitskreis Grundeinkommen, drei MitgliederInnen von verschiedenen Netzwerken Grundeinkommen in Berlin. Analog zur Wirtschaftsgruppe können wir hier davon sprechen, dass Kontakte des Projekt- und Diskussionsleiters die Rekrutierung prägen. Zum einen durch persönliche Bekanntschaft, zum anderen durch das Netzwerk Grundeinkommen.124 Während die Rekrutierung der Wirtschaftsgruppe zu einer Verschiebung nach „oben“, hin zu wirtschaftlichen Eliten führt, so führt die Rekrutierung in der Politikgruppe zu einer Verschiebung nach „unten“, hin zur Basisbewegung.125 Der Kontrast in der Achse „Macht“ war vorab nicht vorgesehen, sondern Resultat der Rekrutierung. Macht könnte als Strukturmerkmal der Diskursverläufe fungieren.
123 Lamnek 1993, S. 151. 124 Der Stiftungsmitarbeiter spricht vom Versuch einer regelrechten „Unterwanderung“ der Gruppendiskussion durch Mitglieder des Netzwerks. 125 Dies gilt umso mehr, da Abgeordnete des Bundestags fehlen. SPD und FDP sind nicht vertreten. Die Gruppe zeigt somit ein deutliches Übergewicht von „Basis-Grünen“.
46
3 Forschungsmethoden und Rekrutierung
Für die Fokusgruppe Sozialarbeit konnten sechs TeilnehmerInnen rekrutiert werden: ein Schuldirektor einer freien Schule, eine Referentin der evangelischen Kirche, ein Leiter Sozialarbeit bei der katholischen Kirche, ein evangelischer Pfarrer, ein Koordinator eines EU-Programms bei einem freien Träger sowie der Leiter eines Sozialamts. Im Gegensatz zu beiden Kontrastgruppen erweist sich diese Gruppe als ausgewogener. Das Ziel, mittlere Eliten zu befragen, kann eingelöst werden. Tendenziöse Effekte wie bei der Rekrutierung der beiden anderen Gruppen sind hier weit schwächer, auch wenn die Prominenz des Diskussionsleiters eine Rolle spielen könnte. Zusammengefasst muss die Rekrutierung aller drei Gruppen als schwieriges Unterfangen eingeschätzt werden.
3.4
Darstellungstechnik
Die Darstellung der Befunde erfolgt entlang von drei Kategorien, die beide empirischen Teile – Experteninterviews und Fokusgruppen – gliedern: „Menschenbild“, „Operative Gerechtigkeit“ und „Politischer Vollzug“. Unter „Menschenbild“ werden grundlegende Deutungsideen zur Sozialtheorie und Anthropologie auf Seiten der befragten Akteure verstanden, unter „Operative Gerechtigkeit“ anwendungsbezogene gerechtigkeitstheoretische Annahmen und unter „Politischer Vollzug“ Annahmen über die politischen Prozesse zur Einführung eines Grundeinkommens. Diese Kategorien sind nicht deckungsgleich mit den Hypothesenbündeln, auch wenn Überschneidungen bestehen. Sie sind Resultat der erste Auswertungswelle des empirischen Materials, die der Forschergruppe die Frage nahe legten, ob sich unterschiedliche Werte-Tiefen unterscheiden lassen. Eine gewisse Nähe zu den klassischen analytischen Kategorien der Politikwissenschaften liegt nahe: Polity (Form), Policy (Inhalt) und Politics (Prozess). Demnach ist Politik, in Anlehnung an eine bekannte Definition von Karl Rohe, die Verwirklichung von Politik – policy – mit Hilfe von Politik – politics – auf der Grundlage von Politik – polity.126 Die Kategorie „Menschenbild“ stellt dabei die fundamentale Dimension der Werteorientierungen dar, die zugleich – so die neoinstitutionalistische Sicht – in den Skripten der maßgeblichen gesellschaftlichen Institutionen fixiert wird. Die Kategorie „Operative Gerechtigkeit“ zeichnet die Anwendung dieser fundamentalen Wertedimensionen auf mittlerer Ebene nach, während die Kategorie „Politischer Vollzug“ die niedrigste, pragmatische Wertebene umfasst. Hier geht es beispielsweise um Klientelinteressen, taktische Kalküle der Bündelung politischer Interessen oder praktische
126 Rohe 1994.
Darstellungstechnik
47
Erfahrungen und Überlegungen zur Ausgestaltung von Steuer- und Transfersystemen. Auch hier finden sich (ethische) Werte-Annahmen, die die Grenze zu normativlegalistischen, prozeduralen Vorstellungen überschritten haben.
4 Wertetypen im Rahmen der Experteninterviews
Das Forschungsprojekt soll die wirtschafts-, politik- und sozialethische Dimension eines Grundeinkommens anhand von Deutungsmustern mittlerer und höherer EliteAngehöriger erschließen. Hierzu wurden drei einschlägige gesellschaftliche Bereiche ausgewählt: Wirtschaft, Politik und Soziale Arbeit. Es wird vermutet, dass die Einstellungen zu einem Grundeinkommen von erheblicher Ambivalenz gekennzeichnet sind. Insbesondere die Frage der Leistungs- bzw. Arbeitsethik dürfte unter Eliteangehörigen strittig sein, da sie eigene Identitätskonstruktionen berührt. Bei den Einzelinterviews mit Führungskräften aus dem Bereich Wirtschaft, Politik und Soziale Arbeit zur Erhebung von Werte-Einstellungen zu einem Grundeinkommen wurden für die qualitative Analyse drei zentrale Kategorien identifiziert, denen jeweils verschiedene Codes zugeordnet wurden. Die drei zentralen Kategorien sind: Das Menschenbild, die Operative Gerechtigkeit und der Politische Vollzug.
4.1
Menschenbild
Für die erste Kategorie Menschenbild wurde bei den Führungskräften aus dem Bereich Politik und Soziale Arbeit herausgearbeitet, dass die dem Menschen zugewiesenen Eigenschaften mit den klassischen Merkmalen einer Sozialen Marktwirtschaft korrespondieren. Solidarität und Leistungsorientierung sind demnach dominante Merkmale für das Menschenbild. Zentral für diese Zuschreibung ist die Koppelung des Einkommens an eine Gegenleistung. Dieses gilt sowohl aus der Tradition der Arbeiterbewegung „in der Arbeiterbewegung geht schlichtweg nichts ohne Gegenleistung“127 heraus als auch aus Sicht der Gesellschaft „ein Einkommen ohne Gegenleistung tut einer Gesellschaft als gesamtes, dann, wenn es Menschen sind, die tätig sein können, nicht gut.“128 Gegenleistung wird hier als Synonym für Solidarität und Gemeinwohl gesehen. Sie ist sowohl konstitutiv für das Menschenbild der meisten Experten und spielt auch bei der Kategorie der Operativen Gerechtigkeit eine wichtige Rolle. Ohne Gegenleistung gibt es keine Integration in die Gesellschaft und keine Freiheit: „Aber dieses System, dass ein Mensch durch Tätigkeiten Anteil daran hat, seinen Lebensunterhalt zu ver-
127 SA, 05, Absatz 2. 128 P, 12, 2.
50
4 Wertetypen im Rahmen der Experteninterviews
dienen. Das finde ich ein durchaus positives und ich finde das auch freiheitlich.“129 Die Gegenleistung ist ein zentrales Element für die Teilhabe an der Gesellschaft und das eigene Selbstwertgefühl. So berichtet bspw. ein Experte aus dem Bereich Soziale Arbeit, dass Obdachlose lieber einen symbolischen Wert von 50 Cent für ein Essen ausgeben, als das Essen ohne Gegenleistung zu bekommen.130 Die berufsspezifischen Erfahrungen in der Sozialen Arbeit scheinen ein Indiz dafür zu sein, dass eine Gegenleistung eine wichtige Integrations- und Teilhabefunktion hat. Dabei ist es nicht relevant, ob die Gegenleistung einen realen Gegenwert hat wie beim Essensbeispiel, sondern es geht vielmehr um das Prinzip Gegenleistung. Aus dieser Logik heraus wird auch gegen die bedingungslose Auszahlung eines Grundeinkommens argumentiert. In der Argumentation der Experten aus dem Bereich Politik und Soziale Arbeit definiert sich Leistung und damit auch die eigene Wertschätzung vor allem über die klassische sozialversicherungspflichtige Erwerbsarbeit: „Ich bin nur dann was wert, wenn ich arbeite.“131 Nur ein Experte der Sozialen Arbeit erhofft sich durch ein Grundeinkommen auch eine höhere Wertschätzung der ehrenamtlichen Tätigkeiten, aber die anderen Experten der Sozialen Arbeit teilen die Auffassung der Experten aus dem Bereich der Politik, „dass Leistung und Gegenleistung im Verhältnis zueinander stehen müssen.“132 Hier überwiegt ein tradierter Arbeitsbegriff, der andere relevante gesellschaftliche Tätigkeiten im Hinblick auf die Wertigkeit für die Gesellschaft diskriminiert. Die Mehrheit der Menschen hat nach Meinung eines Gewerkschaftsvertreters ein Interesse daran sich über Arbeit zu verwirklichen, obwohl die Plausibilität dieser Argumentation durchaus auch in Frage gestellt wird: „Es ist schon ein Problem in unserer Gesellschaft, dass die Menschen über Arbeit definiert werden.“133 Die dominanten Argumentationsmuster finden sich auch bei den Experten aus dem Bereich Wirtschaft wieder, die die Eigenverantwortung des Menschen für die eigene Existenz als konstitutives Element für eine Gesellschaft begreifen. Ein Vertreter der Wirtschaft schreibt dem egoistischen Verhalten, wie bspw. der Karriere des Familienvaters134 eine gemeinwohlorientierte Komponente zu, da sich der Vorteil des Einzelnen automatisch auch als Vorteil für Mehrere, hier die Familie, erweist. Solidarität wird hier durch die individuelle Leistungsorientierung erst ermöglicht. Die eigene Sozialisation im Rahmen des familiären Umfeldes spielt bei vielen Experten für die Herausbildung der Wertestruktur eine zentrale Rolle. Beispielhaft hierfür sei auf ein Zitat eines Experten eines Wohlfahrtsverbandes verwiesen: „Und das wurde nicht nur
129 130 131 132 133 134
P, 12, 6. SA, 11, 9. SA, 9, 13. P, 2, 7. W, 6, 56. W, 10, 29.
Menschenbild
51
von meinen Eltern, sondern von der ganzen Straße wo ich wohnte, wurde diese Ethik so getragen. Das heißt, zwischen dem Geld verdienen und dem Sinnvollen wurde nicht unterschieden. Das war sinnvoll Geld zu verdienen. Weil man eine Verantwortung hatte für seine Familie und dieser Verantwortung gerecht werden konnte.“135 Aus der Eigenverantwortung, die einer Leistungsorientierung entspricht und für die Argumentation der Wirtschaftsexperten einen vorrangigeren Stellenwert als die Solidarität besitzt, soll nach Ansicht der Befragten eine Aktivierung folgen. Hierbei spielt auch das christliche Menschenbild eine wichtige Rolle für die Begründung der eigenen Wertestruktur und für die Argumentation gegen das Grundeinkommen. Der Mensch will sich von Natur aus um seine eigene Zukunft kümmern und eine Gegenleistung erbringen. Ein Experte aus dem Bereich der Wirtschaft meint dazu: „Aber es bleibt eben ein konstitutives Moment für den Menschen, dass er, wie soll ich sagen, sich um seine Zukunft kümmern muss und in der Beziehung bin ich eigentlich auch auf einem sehr christlichen Boden.“136 Der Eigenverantwortung wird in dieser ökonomischen Argumentation auch ein höherer Stellenwert für die Aktivierung des Einzelnen beigemessen als die Steuerung des Einzelnen durch den Staat. Grundsätzlich zeichnet sich bei den Experten aus dem Bereich der Ökonomie im Vergleich zu den Experten aus den anderen Bereichen eine größere Skepsis gegenüber der Rolle des Staates im Hinblick auf die Steuerung ab. Sie weisen auf die staatliche Überregulierung als mitverantwortlich für die pessimistische Konstitution der Gesellschaft und darauf, „dass das Gefühl weit verbreitet ist, dass die Menschen nicht mehr durch eigene Anstrengung ihren Lebensstandard bestimmen, sondern dass sie in ihrem Lebensstandard sehr durch staatliche Entscheidung abhängig geworden sind“137 hin. Diese Analyse wird aber bemerkenswerterweise nicht mit der Idee des Grundeinkommens in Verbindung gebracht, die weniger staatliche Steuerung und mehr individuelle Verantwortung einfordert. Sowohl Experten aus dem Bereich Wirtschaft als auch Sozialer Arbeit halten den Menschen für egoistisch. Ein Vertreter eines Wohlfahrtsverbandes verbindet dieses Bild mit der Individualisierung und einer daraus folgenden Entsolidarisierung: „Und zweitens sicherlich durch den insgesamten Trend unserer Gesellschaft zur Individualisierung, zur individuellen Sinnerfüllung. Der Sinn wird nicht mehr geschöpft mit dem Gefühl des Verbundenseins mit anderen Menschen.“138 Eine Führungskraft aus dem Bereich Wirtschaft weist darauf hin, dass diese egoistischen Antriebe „ausbalanciert werden“139 müssen. Hier wird das Menschenbild des individuell leistungsorientierten Wesens, das die Wertestruktur der Experten aus dem Bereich Wirtschaft dominiert,
135 136 137 138 139
S, 3, 33. W, 10, 11. W, 10, 113. S, 3, 37. W, 6, 29.
52
4 Wertetypen im Rahmen der Experteninterviews
um einen Aspekt der staatlichen Steuerung („ausbalancieren“) erweitert, den man aus dem Bereich Wirtschaft nicht unbedingt erwartet und der dem leistungsorientierten Menschenbild auch in gewisser Weise widerspricht. Diese Ambivalenz findet sich auch in dem Konzept der sozialen Marktwirtschaft wieder: So viel Markt wie möglich und so viel Staat wie nötig. Hier zeigt sich ein Widerspruch in der Argumentation der Wirtschaftsvertreter: Einerseits wird die Eigenverantwortung als wichtigste Eigenschaft herausgestellt, andererseits wird dieses liberale Menschenbild auch durch eine konservative Grundhaltung und eine Skepsis gegenüber Egoismus und Reformideen wie dem Grundeinkommen überlagert, die deutlich macht, dass der Mensch nicht alleine in der Lage ist genügend Eigenverantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen. Das positive Menschenbild eines intrinsisch motivierten Menschen wird lediglich von einem Vertreter der sozialen Arbeit vertreten: „dass alle Leute nach wie vor Lust haben, irgendwelche Sachen zu machen.“140 In der Gruppe der sozialen Arbeit überwiegt wie erwähnt ein negatives Menschenbild. Die überwiegende Meinung ist, dass viele Menschen sich auf einem Grundeinkommen ausruhen würden. „Aber die Neigung, dann doch Anstrengungen eben nicht zu erbringen, wenn man gleichwohl damit einen bestimmten Lebensstandard halten kann, die Neigung ist groß. Und das werden eine Reihe von Leuten in Anspruch nehmen, dessen bin ich mir sicher. Das ist so.“141 und „also ich glaube es gibt da einen bezifferbaren Teil von Menschen, die sich da weiter zurücklehnen würden und sagen, es kommt ja von selbst.“142 Es ist zu vermuten, dass die eigene berufliche Sozialisation der Führungskräfte aus dem Bereich der sozialen Arbeit für dieses Urteil ausschlaggebend ist. Ähnliche Deutungen konnten auch bei dem Prinzip der Gegenleistung festgestellt werden. Die Selbstverwirklichung und Anerkennung durch Leistung bzw. Arbeit ist von allen Seiten ein oft genanntes Argument. Die Motivation der Menschen zu arbeiten ist nicht allein auf monetäre Gründe zurückzuführen, sondern liegt vielmehr in der Natur des Menschen, um sich selbst zu verwirklichen und in der Gesellschaft Anerkennung zu finden. Dieses Menschenbild führt bei den Befragten aber nicht zu einer positiveren Beurteilung des Grundeinkommens, obwohl die Befürworter eines Grundeinkommens auch sehr mit der neuen Freiheit zur Selbstverwirklichung argumentieren. Vielmehr erwarten die Experten, dass der Mensch auf dem Wege seiner Selbstverwirklichung institutionelle Unterstützung benötigt. Ein Experte eines Wohlfahrtsverbandes fordert zusätzliche Aktivitäten im Bildungsbereich, damit die Menschen die Freiheiten
140 S, 4, 29. 141 S, 5, 4. 142 S, 13, 9.
Operative Gerechtigkeit
53
eines Grundeinkommens auch „nutzen“143 können. Auch ein Gewerkschaftsvertreter ist seinem eigenen Menschenbild gegenüber skeptisch und koppelt das Interesse der Menschen sich über Arbeit zu verwirklichen an staatliche Förderung: „Also ich denke, dass das Gros der Menschen, wenn sie gefördert werden, wenn sie Unterstützung bekommen, Interesse haben sich zu verwirklichen über Arbeit.“144 An der Argumentation der meisten Experten zeigt sich eine Stigmatisierung des Grundeinkommens als bedingungsloses Einkommen für mehr Faulheit. Demgegenüber vertreten prominente Befürworter des Grundeinkommens wie bspw. Götz Werner die Auffassung, dass ein Grundeinkommen die Menschen zur Aufnahme einer Tätigkeit motiviert. Diese Stigmatisierung des Grundeinkommens seitens der Experten verweist auf den erwähnten tradierten Arbeitsbegriff und auf das negative Menschenbild der Befragten. Vor allem aber zeigt sich ein klares Deutungsmuster: Integration durch Leistung. Erstaunlich ist es in diesem Zusammenhang, wie wenig die Befragten in der Lage sind zu differenzieren und sich auf ein neues Konzept des Sozialstaates einzulassen und zu reflektieren. Das Grundeinkommen selbst wird als Symbol für die Rechtfertigung des eigenen Menschenbildes genommen, aber sachlich dadurch nicht reflektiert, sondern als Chiffre für die eigene Wertestruktur verwendet. So sehr sich das Menschenbild der Befragten in dem gleichen Wert Solidarität widerspiegelt, so unterscheiden sich doch die Auffassungen zwischen den einzelnen Interessensgruppen über die Art und Weise, wie Solidarität hergestellt werden soll. Der Begriff der Solidarität wird insofern auch als Symbol für die unterschiedlichen Interessen der Befragten benutzt. Für die Soziale Arbeit argumentiert ein Experte damit, dass mit dem Grundeinkommen eine Chancengleichheit durchgesetzt werden kann, die als Grundrecht für den Einzelnen die Voraussetzung für Solidarität ist145 und zielt damit auf ein egalitäres Gesellschaftssystem ab. Demgegenüber sieht ein Experte aus dem Bereich der Wirtschaft den Wettbewerb gefährdet und möchte eine Gesellschaft, die leistungsorientiert ausgerichtet und dadurch solidarisch ist.146
4.2
Operative Gerechtigkeit
Die zweite Kategorie Operative Gerechtigkeit fokussiert auf die Gerechtigkeitsvorstellungen der Experten. In der Argumentation der Experten stehen hier die Typen der Verteilungs- und Leistungsgerechtigkeit sowie der Bedarfsgerechtigkeit und der Aspekt der Regelung von Gerechtigkeit durch die Sozialstaatsprinzipien im Vordergrund. Der in Kapitel 2 entwickelte vierte („garantistische“) Typus der „Teilhabegerechtig-
143 144 145 146
S, 8, 108. W, 6, 2. S, 9, 3 und 5. W, 10, 87 und 97.
54
4 Wertetypen im Rahmen der Experteninterviews
keit“147 konnte bei den Experteninterviews nicht beobachtet werden (anders als in den Fokusgruppen, siehe unten). Konstitutiv für diese Kategorie ist der Deutungszusammenhang von Gegenleistung in Form von Arbeit und sozialstaatlicher Unterstützung in Form der Subsidiarität. Gegenleistung, die bereits für die Wertestruktur beim Menschenbild ausschlaggebend war und die Subsidiarität prägen hier die Wertestruktur der Experten. Belegt wird dies durch die Position von Experten aus den Wohlfahrtsverbänden, die sich klar gegen ein Grundeinkommen aussprechen und für den existierenden Sozialstaat. Dabei betonen sie die zentrale Rolle der Subsidiarität und die Notwendigkeit, Hilfsbedürftigen von Seiten des Staates individuelle Hilfe zu gewähren.148 Nach Meinung eines Wirtschaftsvertreters sollte der erwerbsfähige Mensch, sich zunächst versuchen selbst zu helfen, bevor er Hilfe vom Staat bezieht: „Wer erwerbsfähig ist muss auch, wenn er was vom Staat will, seine Arbeitsbereitschaft unter Beweise stellen.“149 Demzufolge wird der Staat erst bei Erwerbsunfähigkeit unterstützend tätig. Bei einer bedingungslosen Auszahlung des Grundeinkommens in „bar“, die nicht zwischen erwerbsfähig und erwerbsunfähig unterscheidet, befürchtet ein Experte aus dem Bereich Politik, dass die Menschen eine stärkere Versorgungsmentalität entwickeln würden.150 Für eine andere Führungskraft der Sozialen Arbeit würde ein Grundeinkommen ebenfalls zu einer größeren Passivität der Bürger und damit auch zu einer stärkeren Ausnutzung des Sozialstaates und Abschaffung der Subsidiarität führen.151 Eine wachsende Entsolidarisierung durch die Auszahlung eines bedingungslosen Grundeinkommens zwischen der arbeitenden und nichtarbeitenden Bevölkerung befürchten auch ein Experte aus dem Bereich der Politik und dem Bereich der Wirtschaft. Von Seiten der Wirtschaft wird das folgender Maßen zum Ausdruck gebracht: „Nach dem Motto, wenn ich für den was gebe, Solidarität ist keine Einbahnstraße sondern dann müssen die auch was dazu beitragen. Ich bin doch nicht blöd, dass ich auf die Maloche gehe und die lassen sich die Sonne auf den Bauch scheinen. Um es mal etwas drastisch zu sagen.“152 Die erwartete steigende Ausnutzung des Sozialstaates stellt ein wesentliches Argument gegen das Grundeinkommen dar. Die Experten grenzen ihre Argumente dabei jedoch nicht von der jetzigen Situation, in der der Sozialstaat durch bspw. Schwarzarbeit und Missbrauch bereits ausgenutzt wird, ab. Insgesamt fällt das jetzige System als Vergleichsfolie bei den Aussagen der Experten nicht sehr ins Gewicht.
147 148 149 150 151 152
Dazu Opielka 2006a. S, 5,6 und S, 9, 23. W, 1, 14. P, 14, 5. S, 13, 7. S, 10, 87.
Operative Gerechtigkeit
55
Auch hier ist die Sichtweise der Experten von einem wertekonservativen Habitus geprägt, der die realen sozialpolitischen Probleme vor dem Hintergrund einer umfassenden Reform des Sozialstaates durch ein Grundeinkommen auszublenden scheint. Die konsequente Ablehnung des Grundeinkommens weist auf eine normative Grundhaltung zum bestehenden Sozialstaat und dessen Prinzipien hin. Aktuelle Ergebnisse einer Studie der Bertelsmann Stiftung „Soziale Gerechtigkeit 2007 – Ergebnisse einer repräsentativen Bürgerumfrage“ belegen, dass das Sozialstaatsprinzip der Subsidiarität auch für das Gerechtigkeitsverständnis der Gesamtbevölkerung eine hohe Bedeutung hat. Neben der Chancengerechtigkeit und Chancengleichheit rangiert „die spontane Hilfe für Schwache“ bei der Befragung nach dem Gerechtigkeitsverständnis an zweiter Stelle.153 Das Modell eines Grundeinkommens transferiert die staatlichen Leistungen bedingungslos an alle Bürger und schafft damit das Prinzip der Subsidiarität ab.154 Gleichwohl stärkt ein Grundeinkommen vordergründig das Motiv der Chancengleichheit, da alle Transferempfänger den Anspruch auf die gleiche Summe besitzen. Ob sich Chancengleichheit aus Sicht der Bevölkerung über die gleiche Höhe der Transfersumme definiert, kann jedoch entschieden bezweifelt werden. Anhand der Ergebnisse einer Sonderumfrage im Rahmen des „Sozioökonomischen Panels“ lässt sich belegen, dass 70 Prozent der Befragten der Meinung sind, dass ein Anreiz zur Leistung nur dann besteht, wenn die Unterschiede im Einkommen groß genug sind. Gleichzeitig ist es für 83 Prozent der Befragten wichtig, dass der Staat für alle einen Mindestlebensstandard garantieren sollte.155 Die Daten verdeutlichen nicht nur den Wunsch der Bevölkerung nach einer sozialen Absicherung seitens des Staates, die auch mit einem Grundeinkommen gewährt werden würde, sondern betonen auch die Relevanz einer Anreizstruktur zur Leistung, die sich durch monetäre Unterschiede auszeichnen muss und die sich auch in dem Prinzip der Subsidiarität wiederfindet. In dieselbe Richtung zielt auch die Debatte um ein „Lohnabstandsgebot“. Eine egalitäre Verteilung von staatlichen Transferleistungen in Form eines Grundeinkommens erscheint vor diesem Hintergrund nicht geeignet, um den Leistungswillen und die Gerechtigkeitsvorstellungen der Bevölkerung besonders zu stimulieren. Die Angst vor einer steigenden Ausnutzung des Sozialstaates nach der Einführung eines Grundeinkommens hängt ebenfalls mit den fehlenden Leistungsanreizen zur Aufnahme einer Tätigkeit zusammen, wie noch bei der Kategorie Politischer Vollzug ausführlicher gezeigt werden kann. Diese fehlenden Leistungsanreize manifestieren sich bei einem Grundeinkommen durch die Trennung von Einkommen und Arbeit. Kritiker eines Grundeinkommens sprechen in diesem Zusammenhang von einer Sinnentleerung im Hinblick auf die Arbeit und der Leistungsbereitschaft der Menschen. Die Arbeit verliert einerseits ihre soziale Funktion der Integration, zum ande-
153 Vehrkamp/Kleinsteuber 2007. 154 Hohenleitner/Straubhaar 2007, S. 14. 155 Opielka 2006a, S. 36.
56
4 Wertetypen im Rahmen der Experteninterviews
ren übernimmt der Staat die Funktion der Einkommensbeschaffung und die damit zusammenhängende Bedürfnisbefriedigung des Menschen wird von der Arbeit entkoppelt.156 Gegen diese Argumentation wenden sich Hohenleitner und Straubhaar als Befürworter eines Grundeinkommens. Beide sprechen sich dafür aus, dass sich die Leistungsmotivation durch ein Grundeinkommen erhöhen würde. Begründet wird dies mit dem Anreiz sich durch einen höheren Steuerfreibetrag über das Grundeinkommen hinaus, mehr dazuverdienen zu können als im jetzigen System. Außerdem stärkt das Grundeinkommen durch die bedingungslose Grundsicherung die Position der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber und damit die Entscheidungsfreiheit bei der Wahl der beruflichen Tätigkeiten. Die Sinnhaftigkeit der Arbeit bekommt mehr Gewicht und damit wird die Arbeit als solches aufgewertet und insofern auch der Anreiz erwerbstätig zu sein.157 Die meisten Experten sehen keine Aufwertung der Arbeit durch die Einführung eines Grundeinkommens, im Gegenteil. „Aber ich würde es nicht bedingungslos machen. Nach wie vor würde ich den Menschen in der Verpflichtung halten, für sein Einkommen und Auskommen selber Sorge zu tragen“158 führt ein Experte aus dem Bereich der Sozialen Arbeit an. Ein Experte aus dem Bereich Wirtschaft meint dazu: „Wer erwerbsfähig ist muss auch, wenn er was vom Staat will, seine Arbeitsbereitschaft unter Beweise stellen.“159 So sind auch beim Thema Wandel der Arbeitsgesellschaft die Wertestrukturen der Experten durch eine konservative Grundhaltung geprägt. Die Erwerbsarbeit – genauer eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit – ist dabei die klassische und gesellschaftlich anerkannte Form der Gegenleistung, um Menschen auf Dauer eine eigenständige und individuelle Integration in die Gesellschaft zu ermöglichen. Darauf besteht u.a. auch ein Experte eines Wohlfahrtsverbandes, obwohl er aufgrund seiner eigenen Berufserfahrungen „und ich erlebe auch, dass viele Menschen etwas tun, ohne dafür eine Gegenleistung zu bekommen“160 die Erfahrung gemacht hat, dass eine Gegenleistung auch durch andere Formen der Tätigkeit wie etwa ehrenamtliches Engagement möglich ist. Ein Wirtschaftsvertreter hingegen hat trotz seiner Ablehnung eines Grundeinkommens keine Bedenken gegen eine gleiche Basisversorgung für alle Bürger, wenn es sich nur um eine Grundausstattung handelt. Für ihn gibt es in Deutschland eine zu große „Mentalität des Wohlversorgten“. Diese Versorgungsmentalität könnte
156 157 158 159 160
Eichenhofer 2007, S. 21. Hohenleitner/Straubhaar 2007. S, 3, 43. W, 1, 14. S, 5, 2.
Operative Gerechtigkeit
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nach seiner Interpretation bei einem niedrigen Grundeinkommen, dass mehr Arbeitsanreize schafft als das jetzige System, sogar gemindert werden. Aus dieser ökonomischen Perspektive würde sich ein niedriges Grundeinkommen positiv auf die Aktivierung der Menschen auswirken.161 Ein Vertreter der sozialen Arbeit kritisiert das Grundeinkommen demgegenüber wegen seines sozialistischen Charakters: „Also das ist der Sozialismus oder so. Das ist ja so ähnlich. Ja. Also es ist kein so wahnsinnig unterschiedliches Modell. Das finde ich an der Stelle eher problematisch. Auch für die Frage des bürgerlichen oder.“162 Anhand der aufgeführten Aussagen lässt sich zeigen, dass die Befragten sich nur am Rande aus ihren konservativen Deutungsmustern hinaus bewegen und auch nur dann, wenn das Grundeinkommen unmittelbar die Interessen der eigenen Gruppe zu unterstützen verspricht. Auch wird deutlich, dass Grundeinkommen nicht gleich Grundeinkommen ist und die Idee entsprechend der eigenen Weltanschauung eingesetzt wird. Kritiker sehen durchaus auch positive Aspekte. Ein Experte aus dem Bereich der sozialen Arbeit hält das Grundeinkommen für sozialistisch, ein Vertreter aus dem Bereich Wirtschaft interpretiert das Grundeinkommen liberal und erwartet von der Einführung mehr Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt. Neben der Subsidiarität ist für die Experten aus dem Bereich der Sozialen Arbeit und der Politik die Solidarität von zentraler Bedeutung für eine Gesellschaft. Diese Solidarität konstituiert sich nach dem Solidaritätsprinzip des Sozialstaates, dass nach Auffassung der meisten Experten an eine Gegenleistung gebunden ist. Exemplarisch hierfür vertritt ein Experte aus dem Bereich Politik die Ansicht „dass eine Gesellschaft nur funktioniert von Geben und Nehmen, unabhängig von der Einkommensfrage. Das hat was mit Solidarität in einer Gesellschaft zu tun; Stärkere für den Schwächeren und ähnliches.“163 Ein weiterer Vertreter der Politik betont, dass die Gesellschaft aus der Erwartung heraus, dass jeder Mensch versucht für sich selbst zu sorgen, durchaus bereit ist, Menschen, die in Not geraten sind, zu unterstützen.164 Ein Befürworter des Grundeinkommens aus dem Bereich der Sozialen Arbeit, kritisiert in diesem Zusammenhang den klassischen Solidaritätsbegriff, der auch gewerkschaftlich und durch die Arbeiterbewegung geprägt ist, als „ein Geschäft, das auf Gegenseitigkeit basiert“. Nach seiner Vorstellung können es sich moderne Gesellschaften grundsätzlich leisten, für Bedürftige zu sorgen, ohne dass von denen Bedürftigen eine Gegenleistung eingefordert werden kann. Er plädiert in Anlehnung an „den barmherzigen Samariter“ für eine Solidarität die Hilfe gewährleistet, „um Leid zu mindern.“165 Dieses Verständnis von Solidarität teilen die anderen Experten aus dem Bereich der Sozialen Arbeit nicht. Aus
161 162 163 164 165
W, 10 , 111 und 113. S, 4, 13. P, 9, 2. P, 14, 5. S, 9, 19.
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ihrer Sicht, sind die Menschen generell dazu bereit, sich solidarisch zu zeigen, wenn das Prinzip der Gegenleistung Bestand hat: „Da glaube ich nach wie vor, wenn man den Menschen klar macht, wofür der Ausgleich da ist, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung das auch mittragen wird.“166 Den meisten Wertevorstellungen liegt ein klassisches sozial-liberales Gesellschaftsbild zugrunde. Inwieweit diese Vorstellung von Solidarität bei einem Grundeinkommen durch die egalitäre und bedingungslose Zuteilung der Transferleistungen sowie durch die Betonung der staatlichen Steuerung weitestgehend entzogenen individualisierten Verantwortung auf dem Arbeitsmarkt und durch die fokussierte Privatisierung der Sozialversicherungen weiter Bestand hätte, ist schwer zu prognostizieren. In diesem Zusammenhang verweist ein Wirtschaftsvertreter darauf, dass besonders Bedürftige mehr Förderung als nur ein Grundeinkommen seitens des Staates bekommen sollten: „Sicher scheint mir zu sein, dass an einer Ecke das nicht akzeptiert würde, also denken Sie mal an gehandicapte Leute. Da können Sie nicht sagen, das Grundeinkommen, Ende der Durchsage.“167 Differenzierte Analysen auf der Grundlage des European Values Survey (2005) belegen, dass der Wohlfahrtsstaat das so genannte „Sozialkapital“ – Stabilität sozialer Netzwerke, Vertrauen, Normbindung – stabilisiert und durchweg verstärkt.168 Fraglich ist, ob ein Wohlfahrtsstaat mit einem neuen Leitbild der erwerbsunabhängigen Einkommensgarantie nach Ausrichtung des Grundeinkommens auch weiterhin die Rolle des bisherigen Verständnisses von staatlicher Wohlfahrt einnehmen würde. Zumal aus der historischen Perspektive der Entwicklung des Gemeinwohls festzuhalten ist, dass sich der Sozialstaat durch eine fortschreitende Differenzierung der sozialen Leistungen und einen immer wiederkehrenden Aushandlungsprozess um die Eigenschaften der Leistungen kennzeichnet, die im jetzigen System auf den Prinzipien Solidarität und Subsidiarität beruhen. Letzteres Prinzip würde mit einem Grundeinkommen nach der Auffassung von Eichenhofer aber ad absurdum geführt werden.169 Eine Wertefrage, die im Kontext der Grundeinkommensdebatte vor allem von den Befürwortern gerne thematisiert wird, ist die Frage nach der Gerechtigkeit. Grundsätzlich bietet das Grundeinkommen eine Bandbreite von Gerechtigkeitsvorstellungen. Sowohl liberal-bürgerliche (Freiheit und Eigenverantwortung) als auch sozialistische und egalitäre (alle bekommen die gleiche Summe) Vorstellungen von Gerechtigkeit werden in der Idee integriert. Dazu vertritt Butterwegge die Auffassung, dass sich das Grundeinkommen an wesentlichen Elementen orientiert, die aktuell von
166 167 168 169
S, 5, 20. W, 10, 57. Thome 2005. Eichenhofer 2007, S. 21.
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Seiten liberaler Ökonomen und Politiker für eine Stärkung der Marktwirtschaft gefordert werden:170 Die Entkoppelung der Sozialleistungen vom Faktor Arbeit, der Stärkung der Eigenverantwortung jedes einzelnen Bürgers, die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und die Privatisierung der Sozialversicherungssysteme. Für die Wertestruktur der Experten im Hinblick auf die Gerechtigkeitsvorstellungen wurde bei der Befragung das Item der „bedarfsgerechten Verteilung“ besonders häufig als Deutungsmuster verwendet. Dabei ist die Bedürftigkeitsprüfung für alle Experten von besonderer Relevanz. Stellvertretend dazu ein Experte aus dem Bereich der Sozialen Arbeit: „Von daher habe ich ohne Bedürftigkeitsprüfung angesichts knapper finanzieller Ressourcen und angesichts eines ständigen Kampfes, um die Frage, wer kriegt das Stück von der Torte, Probleme, Mittel auszuschöpfen in Bereichen, wo die Bedürftigkeit im Grunde gar nicht da ist.“171 Aufgrund der Pluralität und Heterogenität der Gesellschaft ist es den Experten für ihr Verständnis von Gerechtigkeit wichtig, bei Verteilungsfragen von staatlichen Leistungen nach Bedürftigkeit zu differenzieren. Dabei wird dem Staat die Verantwortung zugewiesen, diese Differenzierung zu regeln. Auf die Probleme des Staates, diese Differenzierung grundsätzlich gerecht zu gestalten, weist ein Vertreter der Sozialen Arbeit hin. In seinen Ausführungen hinterfragt er, inwiefern es gerecht ist, vermögenden Menschen mit Behinderung, staatliche Unterstützung zukommen zu lassen.172 Angewandt auf das Grundeinkommen, vermutet die Mehrheit der Experten, dass sich die Neiddebatte verschärfen würde, wenn Personen, die nicht arbeiten bzw. solche, die aufgrund ihres Vermögens nicht auf staatliche Hilfe angewiesen sind, bedingungslose stattliche Transferleistungen beziehen. Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass die Verteilungsgerechtigkeit durch den Staat nicht nur für die Experten, sondern auch für die Mehrheit der Bevölkerung relevant ist. Zwei Drittel der Deutschen sprechen sich dafür aus, dass der Staat für mehr soziale Gerechtigkeit in Deutschland stärker als bisher eingreifen und umverteilen sollte.173 Die Gerechtigkeitsvorstellungen der meisten Experten lassen sich mit dem „do ut des“ Prinzip charakterisieren. Die Auffassung, dass die Verteilung der staatlichen Transferleistungen bedarfsgerecht erfolgen soll und eine solidarische Gesellschaft auf den Regeln des „Geben und Nehmens“ basiert, wird als Argument gegen das bedingungslose Grundeinkommen angeführt. Nach Ansicht eines Experten der Sozialen Arbeit soll „jemand der Geld von staatlicher Behörde bekommt, auch für das Gemeinwesen irgendeine Gegenleistung erbringen.“174 Ein Vertreter aus dem Bereich Wirtschaft argumentiert ähnlich: „Wenn die Gesellschaft, was ja Staat letztlich ist,
170 171 172 173 174
Butterwege 2007, S. 26. S, 13, 7. S, 13, 7. Siehe Nachweise in Kapitel 2. S, 3, 57.
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etwas für mich tun soll, dann muss ich erst mal fragen, was ich für die Gesellschaft tun kann.“175 Die Kritiker eines Grundeinkommens vergessen in diesem Zusammenhang, dass es im jetzigen System auch bedingungslose soziale Transferleistungen wie bspw. das Kindergeld gibt und dass das Grundeinkommen nicht prinzipiell verhindert, dass die Menschen eine Gegenleistung für die Gesellschaft in Form von Erwerbsarbeit oder anderen Formen des gesellschaftlichen Engagements erbringen. Die Relevanz einer Gegenleistung spiegelt sich in der gesamten Bevölkerung wider und kann unter dem Wert der Leistungsgerechtigkeit zusammengefasst werden. Als wichtigsten Garant für mehr Leistungsgerechtigkeit sehen drei Viertel der Menschen in Deutschland den Grundsatz an, dass sich eigene Arbeit im Vergleich zu staatlicher Hilfe lohnen muss. Des Weiteren ist es für die Menschen wichtig, dass gleiche Leistung auch gleich bezahlt wird (68% der Befragten) und dass für alle Arbeitnehmer ein Mindesteinkommen garantiert ist, zur Not auch durch gesetzliche Mindestlöhne oder staatliche Lohnzuschüsse (66%). Die Mehrheit der Bevölkerung vertritt eine Auffassung von Leistungsgerechtigkeit, die wie bei der Mehrheit der Experten, dem „do ut des“ Prinzip entspricht. Das zeigt sich in der exponierten Rolle der Arbeit im Vergleich zur staatlichen Unterstützung, daran, dass gleiche Leistung auch gleich bezahlt werden soll und auch an der mehrheitlichen Zustimmung (57% der Befragten) darüber, dass Empfänger von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld II zu gemeinnützigen Gegenleistungen verpflichtet werden sollen.176 Die Quasi-Subventionierung von Arbeit über ein Grundeinkommen als bedingungsloses staatliches Einkommen würde ein anderes Bild von Leistungsgerechtigkeit erzeugen, als es bspw. über die gesetzlichen Mindestlöhne realisiert werden würde. Der Aspekt der „Bedingungslosigkeit“ widerspricht dem mehrheitlichen Verständnis von Leistung und Gegenleistung. Der Befürworter eines Grundeinkommens aus dem Bereich der Sozialen Arbeit ist angesichts des gesellschaftlichen Wohlstandes für die Abschaffung des Zwangs und der Bedürftigkeitsprüfung. Das verbindet er in Anlehnung an die Ideale der französischen Revolution mit der Forderung nach mehr persönlicher Freiheit und Unabhängigkeit: „Also es ist natürlich eine Frage von objektiv vorhandenen gesellschaftlichem Reichtum. So. Und ich würde sagen, die heutige Gesellschaft ist so reich, produziert so viel, hat so viele Werte produziert, dass eigentlich, sage ich mal, existenzielle Not oder sozusagen das Damokles-Schwert der existenziellen Not, ich sag es jetzt mal, eigentlich ein Anachronismus ist…... Ich finde aber ganz interessant, dass sozusagen die Idee des sozusagen der sozialen Absicherung als Menschenrecht, die ist ja gar nicht so neu. Also meines Wissens irgendwie kommt die aus der französischen Revo-
175 W, 1, 34. 176 Vehrkamp/Kleinsteuber 2007.
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lution. Und also die Idee an sich ist nicht das neue, sozusagen die Möglichkeit, diese Idee zu verwirklichen, die haben wir heute. So stellt sich das für mich ein bisschen dar.“177 Entsprechend argumentiert auch der Ökonom und Grundeinkommensbefürworter Götz Werner sowie der Sozialpsychologe Erich Fromm: „Ein garantiertes Einkommen, das im Zeitalter des wirtschaftlichen Überflusses möglich wird, könnte zum ersten Mal den Menschen von der Drohung des Hungertods befreien und ihn auf diese Weise von wirtschaftlicher Bedrohung wahrhaft frei und unabhängig machen. Niemand müsste sich mehr nur deshalb auf bestimmte Arbeitsbedingungen einlassen, weil er sonst befürchten müsste, er würde verhungern.“178 Die bedingungslose Auszahlung einer festen Summe entspricht einem egalitären Gerechtigkeitsverständnis. Ein Experte aus dem Bereich Politik befürwortet eine Mindestabsicherung, die von der Höhe her für alle Bürger gleich und gesellschaftlich definiert sein soll. Diese egalitäre Gerechtigkeitsvorstellung ist im Vergleich zu den egalitären Vorstellungen von Grundeinkommensbefürwortern wie van Parijs, Werner und Fromm jedoch an eine Bedingung geknüpft. Der Experte spricht sich nämlich gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen aus und koppelt die Auszahlung an eine Bedürftigkeitsprüfung: „Allerdings bin ich nicht der Auffassung, dass ein Grundeinkommen ohne Bedürftigkeitsprüfung etwas Gutes für die Gesellschaft ist.“179 Insgesamt bevorzugt die Mehrheit der Experten individuelle Leistungen des Staates gegenüber universalistischen Leistungen. Deutlich unausgewogener ist das Meinungsbild innerhalb der Experten bei der Frage danach, wer eine gerechte Verteilung herstellen kann: der Staat oder der Markt. Sowohl ein Experte einer politischen Stiftung als auch beide Experten des Arbeitgeberverbandes halten die Marktergebnisse für gerecht. Die Vertreterin der Stiftung weist indirekt daraufhin, dass es in einer globalisierten Welt gar keine Alternativen zum freien Markt gibt und dass sich jede Nation damit abfinden muss, auch mal zu den ökonomischen Verlierern zu gehören: „Wie soll in einer Weltgesellschaft, wenn man Konkurrenz zulässt und andere auch mal gewinnen immer die eigene Nation vorne sein, so dass alle Pfründe immer gleich hoch verteilt werden? Das geht doch gar nicht.“180 Von Seiten der Wirtschaftsexperten wird der freie Markt mit der Demokratie verglichen und festgestellt, dass der Ausgleich von unterschiedlichen Interessen sowohl für den freien Markt als auch für die Demokratie konstitutiv ist. Dabei hat der freie Markt nach Meinung der Experten sogar eine höhere demokratische Legitimation im Vergleich zum Sozialstaat, als es im freien Markt im Gegensatz zu periodischen Wahlen „die permanente Rückkopplung auf das, was in der Gesellschaft oder in der Wirtschaft gebraucht wird“ gibt.181 Die Differenzierungen prägen sich hier stärker aus als in der staatlichen Regulierung. Freiheit und Wettbe-
177 178 179 180 181
SA, 9, 9. Fromm 1999. P, 14, 3. P, 12, 112. W, 10, 137.
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werb bewirken ihrer Auffassung nach eine gerechtere Verteilung als der Staat es tut. Implizit finden sich hier eine von wirtschaftsliberaler Seite oft geäußerte Kritik an der Bürokratisierung der Verwaltung und eine Überregulierung durch Regeln und Gesetze wieder. Bemerkenswerter Weise werden zentrale Unterschiede von Demokratie und Wirtschaft von den Experten aus dem Bereich der Wirtschaft nicht reflektiert. Zentrale Merkmale des politischen Systems wie bspw. das Wahlrecht und die Gewaltenteilung, die für das politische System konstitutiv und unmittelbar wirken, werden zugunsten einer an ökonomische Demokratietheorien, wie Downs und Schumpeter sie vertreten, angelegten Argumentation über das rationale Verhalten der Wähler auf dem Wählermarkt außen vor gelassen. Diese Haltung der letzten beiden Experten führt aber nicht dazu, dass Sie einem transparenteren und deregulierterem Sozialstaatsmodell wie dem eines Grundeinkommens zustimmen würden. Die Mehrheit der Experten aus dem Bereich der Sozialen Arbeit hingegen, hält Marktergebnisse für ungerecht. Solidarität wird als Korrektiv zur Marktwirtschaft aufgefasst: „Da gibt es auch privatwirtschaftliche, auch geregelt zum Teil, aber es ist ja nicht verpflichtend. Jedenfalls jetzt nicht. Und wenn jemand das nicht macht, was dann? Ich meine, da kann man nicht sagen, ja du hast dein Geld, du hast deine Chance. Jetzt sieh zu wie du klar kommst.“182 Außerdem darf die soziale Sicherheit nicht an den Erfolg des Verkaufs der Arbeitskraft gebunden sein.183 Diese Beiträge von den Experten aus dem Bereich der Sozialen Arbeit sprechen sich aus unterschiedlichen Gründen für eine Korrektur der Marktergebnisse aus. Die Mehrheit der Bevölkerung (56%) schließt sich Ergebnissen der Bertelsmann Studie zufolge den Aussagen der Marktkritiker an und hält trotz (damaliger, 2007) Belebung auf dem Arbeitsmarkt und konjunkturellem Aufschwung die wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland nicht für gerecht.184
4.3
Politischer Vollzug
Die dritte Kategorie Politischer Vollzug setzt ausgehend von einer Bestandsaufnahme der Experten zur aktuellen sozialpolitischen Lage den Schwerpunkt auf verschiedene Wertestrukturen bezüglich ordnungspolitischer Verteilungsfragen. Wesentliche Deutungsmuster für die ordnungspolitische Ausrichtung der Experten liegen in dem Zu-
182 SA, 11, 33. 183 SA, 4, 5. 184 Vehrkamp/Kleinsteuber 2007.
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sammenhang von Arbeit und Einkommen und der Unterscheidung von staatlicher bzw. marktorientierter Steuerung von sozialpolitischen Problemstellungen. Aus Perspektive der Experten aus dem Bereich Politik und Soziale Arbeit wird im jetzigen System die Schere zwischen arm und reich immer größer: „Die Unterschiede zwischen arm und reich, zwischen denen die Chancen haben und die keine Chancen haben, werden trotz aller Reformen immer größer“185, so der Experte eines Wohlfahrtsverbandes. Die Experten sehen in dieser Spaltung ein moralisches Problem und einen Beleg für die Probleme des Sozialstaates: „und das ist schon für einen Sozialstaat, das ist das größte Armutszeugnis was wir überhaupt hier ausgestellt bekommen.“186 Diese Krisenbeschreibung teilen sowohl Kritiker, als auch Befürworter eines Grundeinkommens aus den benannten Bereichen. Bei den Kritikern sind jedoch in der weiteren Argumentation keine Rückschlüsse von der Krise des jetzigen Systems auf eine mögliche Verbesserung der Situation durch die Einführung eines Grundeinkommens zu erkennen. Die Wahrnehmung der aktuellen Situation seitens der Experten spiegelt sich in einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und dem Armutsund Reichtumsbericht der Bundesregierung von 2005 wider, die für die Bundesrepublik Deutschland ein deutliches Wohlstandsgefälle diagnostizieren. Das reichste Zehntel der Deutschen verfügt über mehr als zwei Drittel des Vermögens – und umgekehrt: Zwei Drittel der Bevölkerung besitzen zusammen nur gut zehn Prozent des Vermögens. Dabei wächst das Vermögen schneller als das Einkommen.187 Nur 15% der Deutschen halten die derzeitige Einkommensverteilung für gerecht. Am wenigsten sehen die Befragten die Verteilungsgerechtigkeit verwirklicht. Hinzu kommt, dass der Anteil der unter der Armutsgrenze lebenden Menschen von 12,1 Prozent im Jahre 1998 bis auf 13,5 Prozent im Jahre 2005 gestiegen ist.188 Rund 10,7 Millionen Deutsche sind nach Ergebnissen der Studie „Leben in Deutschland“ von Armut bedroht, darunter befinden sich 1,7 Millionen Kinder unter sechzehn Jahren.189 Auch für den Bereich der Bildung belegen international vergleichende Schülerleistungstests wie PISA und IGLU, wie groß der Zusammenhang von Bildung und sozialer Herkunft in Deutschland ist.190 Die Ergebnisse legen eine stärkere Unterstützung für sozial Schwache und bildungsferne Schichten nahe. Die Experten aus dem Bereich Soziale Arbeit und Politik sind der Auffassung, dass zusätzliche soziale Leistungen und Reformen wie etwa im Bildungsbereich wichtiger sind, um für mehr Chancengleichheit und damit Soziale Gerechtigkeit zu sorgen, als die Reform der sozialen Sicherungssysteme durch die Einführung eines Grundein-
185 186 187 188 189 190
SA, 8, 77. P, 5, 34. Grabka/Frick 2007. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) 2005. Statistisches Bundesamt 2006. Allmendinger u.a. 2006, S. 33.
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kommens. Insbesondere im Bereich der Bildung und für zusätzliche Maßnahmen auf dem Arbeitsmarkt fordern sie mehr staatliches Engagement. So konstatiert ein Experte aus dem Bereich Politik, „wir brauchen in diesem Bereichen der Armutsbekämpfung auf jeden Fall das, was wir haben. Aber umorganisiert. Wir brauchen im Bereich von Bildung mehr. Und auf jeden Fall mehr Geld.“191 Der Staat als letzte Instanz für die soziale Fürsorge ist ein dominantes Merkmal. Die Modernisierung bestehender Strukturen wird gegenüber einer grundsätzlichen Umstellung des jetzigen Systems bevorzugt beurteilt. Hier zeigt sich erneut ein grundsätzliches Deutungsmuster der Experten aus dem Bereich der Sozialen Arbeit und der Politik: Individuelle Transferleistungen nach dem Prinzip der Subsidiarität des Staates, die die Steuerungsfähigkeit des Staates sichern, werden gegenüber einer universalistischen Verteilung mit einem möglichen größeren Anteil privater Steuerung deutlich bevorzugt. Dem Staat als Leistungsträger wird mehr Vertrauen entgegengebracht als anderen Akteuren wie bspw. der Zivilgesellschaft. Im Vergleich zu anderen Ländern zeigt sich hier der für Deutschland typische Hang zur Regelung von Verteilungs- und Steuerungsfragen durch den Staat. Dieser Habitus beinhaltet regimetheoretisch eine sozialdemokratische Grundhaltung, dessen Begründung – so darf angenommen werden – auch von den Eigeninteressen der Akteure aus dem Bereich der Politik und der Sozialen Arbeit geleitet wird. In beiden Bereichen ist die eigene Stellung mehr oder weniger eng mit der Rolle des Staates machtpolitisch verknüpft und damit ist das Eigeninteresse durch einen Machtverlust des Staates unmittelbar berührt. Die Wertehaltungen für einen starken Sozialstaat werden demnach auch als Chiffre für die Vertretung der eigenen korporatistischen Anliegen benutzt, was ein Indiz für eine konservative und auf die Selbst-Interessen der Akteure ausgerichtete Wertehaltung ist. In der Bevölkerung sind ähnliche Ambivalenzen zu erkennen: Einerseits sprechen sich 70% der Bevölkerung für eine stärkere Steuerfinanzierung der sozialen Sicherungssysteme aus, aber gleichzeitig sind fast 90% gegen eine Erhöhung der Steuern- und Abgabenlast.192 Innerhalb dieser widersprüchlichen und pluralistischen Wertekonstellation ist eine allgemeinwohlorientierte Politik, wie schon Max Weber festgestellt hat,193 schwer möglich. Umso wichtiger erscheint es, dass verschiedene und individuelle Regelungen in der Sozialpolitik möglich sind. Das hieße im Hinblick auf ein Grundeinkommen, dass es in unserer pluralistischen Gesellschaft mit einer auf Konkurrenz- und Aushandlungsprozessen ausgerichteten sozialpolitischen
191 P, 12, 16. 192 Vehrkamp/Kleinsteuber 2007. 193 Weber 1992.
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Tradition schwer vorstellbar wäre, dass ein einheitliches soziales Transfersystem die Legitimation seitens der Bevölkerung erlangen würde. Eine große ordnungspolitische Herausforderung unserer Zeit ist der Umgang mit der Arbeitslosigkeit. Die Experten aus dem Bereich Politik glauben nicht mehr an die Idee der Vollbeschäftigung „ich meine nicht, dass wir unter den Bedingungen des globalen Wettbewerbs noch eine Vollbeschäftigung erreichen werden“194 und stellen damit auch in Frage, dass der Mensch sich allein durch Arbeit ernähren kann. Die Koppelung von Arbeit und Einkommen wird im Hinblick auf die Flexibilität des Arbeitsmarktes, die Senkung der Lohnnebenkosten und des Tarifrechts auch von Experten der Gruppe Wirtschaft als problematisch angesehen: „Wir haben in Deutschland die großen Probleme eigentlich an der Schnittstelle Arbeitsmarkt – Löhne – Transferleistungen. Warum? Die Systeme passen nicht zusammen. Das ist für uns die große Herausforderung, wenn man zu einer besser Lohn- bzw. Einkommensverteilung kommen will.“195 Hier zeigt sich ein grundsätzlicher Widerspruch in der Wertestruktur der Experten aus dem Bereich Politik und Wirtschaft. So konnte anhand der Analyse für die Kategorie Menschenbild und Operative Gerechtigkeit nachgewiesen werden, wie dominant der christliche und gewerkschaftlich geprägte Begriff der klassischen Erwerbsarbeit für die Wertehaltung der meisten Befragten ist: Erwerbsarbeit als wichtige Kategorie der Selbstbestimmung und für die gesellschaftliche Integration. Auf der anderen Seite stellen die Experten eine wichtige Voraussetzung für die gesellschaftliche Funktion von Arbeit – die Vollbeschäftigung – in Frage und fordern eine Anpassung der Tarifsysteme an die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt. Dieser ist gekennzeichnet durch eine Zunahme der prekären Arbeitsverhältnisse, eine stärkere Beteiligung der Arbeitnehmer an ökonomischen Risiken und einer strukturellen Desintegration von Langzeitarbeitslosen. Anstelle des klassischen Leistungsprinzips Leistung muss sich lohnen und des Gleichheitsprinzips gleicher Lohn für gleiche Arbeit, die prägend sind für die Idee der Vollbeschäftigung, wird die Entlohnung immer mehr unmittelbar an den ökonomischen Erfolg eines Unternehmens gekoppelt.196 So ergab eine Befragung der 90 größten deutschen Unternehmen, dass in den 1990er Jahren über die Hälfte dieser Unternehmen ertragsorientierte Vergütungen sowie Mitarbeiterkapitalbeteiligungen eingeführt haben.197 Die Ambivalenz in der Wertestruktur der Experten aus dem Bereich Wirtschaft und Politik im Kontext des Wandels der Arbeitsgesellschaft lässt sich nur so deuten, dass sich durch die Sozialisation der Befragten, ein starker Wert der Arbeit herausgebildet hat und dieser konfrontiert wird mit den realen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und daraus resultierenden Einzelinteressen. Diese Konfrontation löst bei den Experten eine kognitive Dissonanz aus.
194 195 196 197
P, 14, 26. W, 1, 4. Lengfeld 2007, S. 11. Streeck/Rehder 2003.
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Ob ein Grundeinkommen dieses Wertedilemmata lösen kann, soll hier nicht beantwortet werden. Vor dem Hintergrund der bereits dargestellten Wertehaltungen bezüglich der Lohngerechtigkeit, bleibt festzuhalten, dass der Lohnabstand zwischen dem Arbeitseinkommen und den sozialen Transferleistungen Auswirkung auf die Leistungsbereitschaft hat. Je geringer der Lohnabstand ist, desto niedriger ist die Bereitschaft, sich eine Tätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt zu suchen.198 Das spricht zumindest dafür, dass vor diesem Hintergrund ein Grundeinkommen so niedrig sein müsste, dass ein Anreiz zur Aufnahme einer Tätigkeit aus einer sozialen Drucksituation automatisch entsteht und dass die Zusatzverdienstmöglichkeiten steuerlich wesentlich mehr begünstigt sein müssten als im jetzigen System. Das Grundeinkommensmodell von Ministerpräsident Althaus weist in diese Richtung. Die Werte der Experten aus dem Bereich der Sozialen Arbeit sind am deutlichsten auf eine umfassende und individuelle staatliche Regulierung von sozialer Gerechtigkeit im klassischen Sinne ausgerichtet. „Wenn überhaupt nicht mehr darüber diskutiert wird, wenn also sozusagen nur gezahlt wird, egal ob dieser Diskurs stattfindet, finde ich das einen erheblichen Mangel auch an der sozialpolitischen Notwendigkeit, die auf die individuellen Bedürfnisse jedes Einzelnen einzugehen“199, so ein Experte eines Wohlfahrtsverbandes. Diese Äußerung spiegelt die überwiegende Meinung der Experten aus dem Bereich der Sozialen Arbeit wider und entspricht den vorangegangenen Ausführungen über Subsidiarität und individuelle Transferleistungen. Im Einzelfall überwindet Geld allein nicht die strukturellen und individuellen Probleme besonders hilfsbedürftiger Menschen. Der Staat darf sich nicht aus der Verantwortung für diese individuelle Hilfestellung frei kaufen. Die Experten schreiben dem Staat eine starke ordnungspolitische Funktion zu. Er soll strukturell wirken und nicht nur monetär. Belegt wird diese Ansicht auch durch folgende Aussage: „und diese Zuwendung zum Einzelnen fällt meines Erachtens weg, wenn der ganze Sozialstaat aus der Überweisung eines einheitlichen Monatsbetrages an jeden Bürger besteht.“200 Hier zeigt sich das Bild des klassischen Sozialstaates, der solidarisch und gemäß des Subsidiaritätsprinzips dort ordnungspolitisch wirkt, wo sich einzelne Menschen nicht mehr aus eigener Kraft helfen können. Die Experten der Sozialen Arbeit wünschen sich mehrheitlich einen aktiveren Staat, der sich mehr auf Arbeitsmarktpolitik als auf Alimentierung konzentriert. Die hohe Wertigkeit, die die Experten der Arbeit für die gesellschaftliche Integration zuschreiben, wird hier wieder deutlich: „Jeder Mensch muss die Möglichkeiten haben in seinem Leben soviel zu verdienen, dass er in
198 Dietz/Walwei 2007, S. 31. 199 SA, 5, 6. 200 SA, 8, 35.
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der Lage ist, selber ein Stück Vorsorge zu treffen, damit er nicht in Notsituationen gerät.“201 Den Zahlen der Bertelsmann Studie zu Folge vertraut die deutsche Bevölkerung ähnlich wie die Experten der Sozialen Arbeit dem Staat deutlich mehr als der Wirtschaft, die Soziale Gerechtigkeit in Deutschland zu gestalten. Wie schon erwähnt, sind zwei Drittel der Bevölkerung der Meinung, dass der Staat zur Erreichung von mehr sozialer Gerechtigkeit in Deutschland stärker als bisher durch umverteilende Maßnahmen eingreifen sollte. Nur 12 Prozent der Bürger wünschen sich hingegen, dass der Staat weniger als bisher eingreift.202 Der Staat darf sich keineswegs aus der Verantwortung ziehen. Durch die Einführung eines Grundeinkommens, würde die Steuerungsfähigkeit des Staates durch die Zusammenlegung sozialer Transferleistungen geringer ausfallen. Diese Ansicht führen gerade die liberalen Befürworter eines Grundeinkommens wie Straubhaar oft ins Feld. Offensichtlich sind die Mehrheit der Deutschen und die befragten Experten im Hinblick auf ihr Staatsverständnis weit weniger liberal als die Befürworter eines Grundeinkommens. Hier offenbart sich eine (regimetheoretisch) sozialdemokratische Wertehaltung im Hinblick auf die Rolle des Staates. Studien zum Arbeitslosengeld II weisen auch auf eine erforderliche differenzierte Steuerungspolitik seitens des Staates hin. Mit Blick auf die Arbeitsanreize und die Verteilungsgerechtigkeit hat eine Studie203 der Universität Kiel herausgefunden, dass es beim ALG II bspw. bei kinderreichen Haushalten zwei grundlegende und sich widerlaufende Probleme bei der Ausgestaltung gibt. Auf der einen Seite sind die Arbeitsanreize für kinderreiche Haushalte sehr gering, andererseits werden Mehrpersonenhaushalte, insbesondere Familien mit Kindern, beim ALG II finanziell benachteiligt. Das ist gerade vor dem Hintergrund der wachsenden Kinderarmut problematisch. Um diesen Widerspruch aufzulösen, schlagen die Autoren der Studie Maßnahmen seitens des Staates vor, „die den Lebensstandard von Familien mit Kindern im Rahmen des ALG II erhöhen und gleichzeitig die Opportunitätskosten einer Arbeitsaufnahme senken. Geeignet erscheint hier insbesondere eine Ganztagsbetreuung von Kindern mit kostenfreien Mahlzeiten.“204 Mit dieser Maßnahme könnte ein ähnlicher Anreiz zur Aufnahme von Arbeit geschaffen werden, wie durch die Kürzung der Bezugsdauer des ALG I erzeugt werden sollte. Anreizstrukturen seitens des Staates könnten so eine Auswirkung haben. Für ein Grundeinkommen bedeutet das, dass der Staat allein über die Höhe Anreize schaffen könnte. Die Frage des Anreizes lässt sich aber nicht pauschal beantworten, sondern im Hinblick auf das Grundeinkommen nur modellspezifisch. Je nach Höhe und Ausgestaltung des Modells ergeben sich unterschiedliche Anreizstrukturen zur Arbeitsaufnahme. Diese Differenzierung spielt in der Argumen-
201 202 203 204
SA, 13, 89. Vehrkamp/Kleinsteuber 2007. Koulovatianos u.a. 2007. Ebd., S. 1.
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tation der Experten jedoch keine Rolle. Mehrheitlich vertreten sie die Auffassung, dass sich mit der Einführung eines Grundeinkommens der Anreiz zur aktiven Aufnahme einer Arbeit eher verringern würde. Im Verhältnis von Markt und Staat liegt ein wesentliches Deutungsmuster für die Bewertung eines Grundeinkommens. Insbesondere die Experten aus dem Bereich der Politik sehen in der bedingungslosen Auszahlung eines staatlichen Einkommens das Problem, dass sich die staatliche Abhängigkeit des Einzelnen gegenüber dem jetzigen System noch erhöht. „Ich weiß nicht, wieso ein Transfer frei machen soll? Ich finde, das ist eine Abhängigkeit vom Staat“205, so argumentiert ein Experte. Diese weitere, gedachte Verstaatlichung der Gesellschaft könne nur durch stärkere Anreize zur Aufnahme von Arbeit, bspw. durch ein niedriges Grundeinkommen, verhindert werden. Hier findet sich erneut ein typisches Bild der Gegner des bedingungslosen Grundeinkommens wieder: Arbeit macht aktiv und frei, ein staatliches Einkommen passiv und abhängig. Ordnungspolitik soll demnach aktivieren und nicht alimentieren. In diesem Zusammenhang stellt sich für die Experten die Frage, welche ordnungspolitischen Funktionen der Markt anstelle des Staates übernehmen könnte, um eine größere Aktivierung der Menschen und weniger Abhängigkeit zu erreichen. Für die Mehrheit der Experten aus dem Bereich Wirtschaft wäre eine Marktsteuerung von klassischen staatlichen Leistungen wie bspw. im Bildungsbereich effizienter, sozial gerechter und damit auch demokratischer. Durch die „permanente Rückkopplung auf das, was in der Gesellschaft oder in der Wirtschaft gebraucht wird. Insofern sehe ich das noch sehr viel stärker in diesem Spiel. Weil sich auch die Differenzierungen stärker ausprägen können, als das bislang über die staatliche Regulierung gelaufen ist.“206 Das Leistungsprinzip des freien Marktes wird staatlicher Ordnungspolitik vorgezogen. Hier findet sich in der Denktradition von Ludwig Erhard der Gedanke wieder, dass die Marktwirtschaft in sich schon sozial gerecht ist. In Bezug auf das Grundeinkommen ließe sich der Rückschluss ziehen, dass ein Grundeinkommen durch den Abbau staatlicher Regulierung und Förderung, für diese Position des Leistungsprinzips eigentlich eine passende Idee wäre. Dennoch positionieren sich die Experten aus dem Bereich Wirtschaft klar gegen ein Grundeinkommen, obwohl sie mehr Eigenverantwortung von den Menschen fordern. In diesem Zusammenhang argumentiert der Experte ambivalent, da er sich einerseits einen Rückzug des Staates wünscht, an anderer Stelle aber auch den ordnungspolitischen Druck auf Menschen, die keine Eigenverantwortung zeigen, erhöhen möchte: „Deutschland ist da zu großzügig in der Frage des Nicht-Arbeitens.“207
205 P, 12, 6. 206 W, 10, 137. 207 W, 1, 4.
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Die Experten der Sozialen Arbeit sehen den Staat weiterhin als den zentralen Akteur der Ordnungspolitik. Für sie ist der Staat der Garant der Sozialpolitik. Beispielhaft hierfür gilt folgende Aussage: „weil ich denke die sozialen Sicherheits- oder dieses soziale Netz, um es mal so zu sagen, ist ein öffentliches Gut, von dem niemand ausgeschlossen werden kann. Und die einzige Instanz die ich kenne, die so was garantieren könnte, wäre der Staat.“208 Die Ergebnisse der Studie der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2007 „Soziale Gerechtigkeit in Deutschland“ belegen, dass die „Soziale Marktwirtschaft“ für die Gestaltung von sozialer Gerechtigkeit von der Mehrheit der deutschen Bevölkerung nicht mehr als vorbildlich angesehen wird. Lediglich fünf Prozent der Deutschen nennen Deutschland als das entwickelte Industrieland, das ihren Vorstellungen sozialer Gerechtigkeit am nächsten kommt. Im Vergleich dazu trauen 57 Prozent der Befragten den skandinavischen Ländern zu, mit ihrem System soziale Gerechtigkeit gestalten zu können.209 Diese tiefe Vertrauenskrise in die Gestaltungskraft der deutschen Marktwirtschaft findet sich in den Meinungen der Experten nicht wieder. Die Experten aus dem Bereich der Politik und der Wirtschaft argumentieren sehr stark entlang der traditionellen Leitlinien der sozialen Marktwirtschaft, obwohl sie mehrheitlich nicht mehr an die Idee der Vollbeschäftigung glauben. „Nach Erhard soll der Sozialstaat der individuellen Verantwortung viel Raum geben. Die Menschen sollen sich als Individuum fühlen und sich durch ihre persönliche Freiheit ihrer Würde bewusst werden. Hieraus leitet Erhard auch die Pflicht des Einzelnen ab, selbstverantwortlich für sich Sorge zu tragen.“210 Grundlage für dieses selbstverantwortliche Handeln war die Chance zur Teilhabe am Arbeitsmarkt. Insofern war für Erhard die Vollbeschäftigung ein primäres politisches Ziel. Der bei Erhard betonte Mut zur eigenen Leistung und zur Eigenverantwortung, der das Wirtschaftswunder der Bundesrepublik in den 1950er Jahren prägte, findet sich in den Argumenten der Experten wieder. Allerdings lehnen sie aufgrund der technischen Entwicklung, der Qualifizierung der Arbeitskräfte und dem Angebot an Arbeitsplätzen, die Idee der Vollbeschäftigung mehrheitlich ab: „es gibt einfach keine Vollbeschäftigung. Das heißt, nicht nur deswegen, weil nicht genug Arbeitsplätze sind. Sondern auch weil ja die Wirtschaftsprozesse sich ändern. Und tatsächlich insgesamt weniger Arbeit zur Verfügung steht“211, ohne sich dabei der Idee des Grundeinkommens merklich anzunähern oder das System der Erwerbsarbeit kritisch zu hinterfragen. Angesichts der aktuellen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt weist das auf ein sehr konservatives Werteverständnis der Mehrheit der Experten. Die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt befinden sich im Wandel. Die Anzahl der so genannten prekären und der nicht sozialversicherungspflichtigen Ar-
208 209 210 211
SA, 9, 27. Vehrkamp/Kleinsteuber 2007. Gemper 2007, S. 13. SA, 11, 31.
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4 Wertetypen im Rahmen der Experteninterviews
beitsverhältnisse ist in den letzten Jahren gewachsen.212 Damit entstehen auch Probleme für die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme und auch die Idee der Vollbeschäftigung ist in Frage gestellt. Die Bevölkerung reagiert mit Unsicherheit auf diesen Wandel. Die Angst vor dem sozialen Abstieg zieht sich bis in die Mittelschicht. In der sozialen Unsicherheit in Verbindung mit dem Anstieg der prekären Arbeitsverhältnisse liegt für viele Befürworter eines Grundeinkommens die Kritik am jetzigen Transfersystem begründet. Mit dieser Kritik wird die Forderung nach einem Grundrecht213 auf ein gesichertes staatliches Einkommen in Form einer bedingungslosen Transferleistung verbunden. Ein staatliches Einkommen, das eine Grundsicherung für jeden Bürger darstellt und gerade Menschen mit prekären Arbeitsverhältnissen und solchen, die um ihren Arbeitsplatz fürchten mehr Freiheit und Sicherheit geben soll. Die unterschiedliche Haltung der Experten im Vergleich zur Bevölkerung ist vor allem deshalb bemerkenswert, da Erhards Wirtschaftspolitik sich durch ein „Built-in Social Balancing“ auszeichnete, also einem sich ständig auf marktimmanentem Wege sich vollziehenden sozialen Ausgleich, der dem Interesse des sozialen Friedens dient.214 Offensichtlich gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, wie sich der soziale Ausgleich auf Dauer herstellen lässt. Trotz ihrer Präferenz für mehr staatliche Umverteilung halten 80 Prozent der Bürger die Steuer- und Abgabenlast in Deutschland für zu hoch. Diese ambivalente Haltung der Befragten weist auf ein grundsätzliches Dilemma von sozialstaatlicher Politik hin. Einerseits wollen die Bürger einen starken Sozialstaat, auf der anderen Seite darf dieser möglichst wenig Kosten. Die hier abzulesende Diskrepanz zwischen gewollter, durch den Staat organisierter Solidarität zum einen und einem eher leistungsorientierten und schlanken Verwaltungsapparat zum anderen spiegelt den Spagat zwischen Angst und Fürsorge und Egoismus und Leistungsorientierung wider. Da die Idee des Grundeinkommens die Angst der Bevölkerung nur durch Freiheit, der Freiheit vom Zwang zur Arbeit ersetzt, dem Sozialstaat aber insgesamt weniger Handlungsspielraum lässt, ist kaum zu erwarten, dass sich eine Mehrheit der Bevölkerung für ein Grundeinkommen aussprechen würde. Ein Anreiz ist für die Aktivität auf dem Arbeitsmarkt nach Ansicht der Mehrzahl der Experten bereichsübergreifend wichtig. Dabei bestehen unterschiedliche Auffas-
212 Der Anteil der sozialversicherten Teilzeitbeschäftigen an den Personen im erwerbsfähigen Alter ist von 1991 bis 2005 von von 7,7 auf 9,5 %, der Anteil der geringfügig Beschäftigten von 1,5 auf 5,5 % und der Anteil der Selbstständigen von 5,0 auf 6,4 % gestiegen. Alle atypischen Erwerbsformen zusammengenommen arbeiteten im Jahr 2005 rund 26 % der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter im Rahmen einer solchen Erwerbsform gegenüber rund 34 %, die im Rahmen eines Normalarbeitsverhältnisses arbeiteten. Im Jahr 1985 lag das Verhältnis bei knapp 17 % zu 37 % (Oschmiansky 2007, S. 11, 13, 19). 213 Opielka 2008. 214 Gemper 2007, S. 13.
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sungen, wie dieser Anreiz hergestellt werden soll: Über die Höhe der sozialen Transferleistungen, die Attraktivität des Arbeitsplatzes oder tarifpolitische Maßnahmen. Die Experten der Sozialen Arbeit und ein Gewerkschaftsvertreter legen den Schwerpunkt auf staatlich geförderte Anreize: „Also müsste es natürlich trotzdem irgendwie was geben, was ihnen Anreiz bietet.“215 Die anderen Vertreter der Wirtschaft bevorzugen tarifpolitische Maßnahmen: „ich denke als erstes Mal an die Frage der Löhne, ja. Des Preises für Arbeit.“216 Die ordnungspolitische Ausrichtung richtet sich auch hier nach den gruppenspezifischen Interessen. Befürworter eines Grundeinkommens aus der Wissenschaft weisen daraufhin, dass mit der Einführung eines Grundeinkommens erst ein richtiger Arbeitsmarkt mit einem freien Wettbewerb zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ohne verzerrende Eingriffe und Regulierungen entstehen würde.217 Demgegenüber steht ein kritisches Bild über den Wettbewerb, der zu weniger Solidarität führt: „Wettbewerb mag zu einzelwirtschaftlicher Effizienz führen, die volkswirtschaftliche Effizienz misst sich am Allgemeinwohl und am allgemeinen Wohlstand, was ohne normativen Rahmen – etwa durch das Prinzip des Sozialstaates – nicht gewährleistet ist, denn der Markt ist wertblind.“218 Das Grundeinkommen würde wesentliche Prinzipien des Sozialstaates wie das der Solidarität und Subsidiarität durch die bedingungslose Auszahlung an alle Bürger und einer stärkeren privaten Ausgestaltung der Sozialversicherungen neu gestalten bzw. im Hinblick auf die staatliche Steuerungsfähigkeit, klassische staatliche Aufgaben privatisieren und der Eigenverantwortung der Bürger übergeben. Der Wettbewerb würde zuungunsten des Sozialstaates noch mehr als im jetzigen System die Steuerung der sozialen Rahmenbedingungen übernehmen. Dem klassischen Bild des fürsorgenden Wohlfahrtstaates, der die strukturellen Folgen marktwirtschaftlicher Prozesse sozial abfedert und seine Fürsorge kompensatorisch den in Not geratenen zuwendet, würde mit einem Grundeinkommen ein Sozialstaat folgen, der sich nach egalitären (alle Bürger die gleiche Summe) und liberalen (mehr Eigenverantwortung) Gesichtspunkten aufstellt. Den liberalen Ansatz verfolgt der Sozialstaat neuester Prägung aber bereits seit Ende der 1990er Jahre. Unter dem Titel „aktivierender Staat“219 verabschiedete die rot-grüne Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder die Agenda 2010 und mit ihr zentrale Reformen und Umstrukturierungen der sozialen Sicherungssysteme. Der derzeitige aktivierende Wohlfahrtsstaat fordert mehr Eigenverantwortung von seinen Bürgern und bindet seine Förderung daran. Diese liberale Tausch-Gerechtigkeitsvorstellung von „Geben und Nehmen“ erscheint auch wertestrukturierend für die Begründung der meisten Experten. Beispielhaft hierfür führt ein Vertreter eines Wohlfahrtsverbandes aus, dass es „wünschenswert wäre, wenn sich der Staat in der Tat weniger auf
215 216 217 218 219
W, 6, 66. W, 10, 71. Hohenleitner/Straubhaar 2007, S. 17. Galbraith 2005, S. 35. Dingeldey 2006, S. 6f.
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4 Wertetypen im Rahmen der Experteninterviews
Alimentierung konzentrieren würde, sondern wirklich darauf den Menschen die Möglichkeit zu geben, für sich zu sorgen und für andere zu sorgen.“220 In der Wissenschaft ist diese Formel durchaus umstritten, so bleibt doch unklar, wie erfolgreich der Sozialstaat die Förderung steuern kann.221 Mit der Einführung eines Grundeinkommens würde das „Fordern“ gänzlich wegfallen und der Staat würde den Bürger sozusagen mit einer egalitären Transferleistung in die Eigenverantwortung entlassen und sich seiner eigenen Aktivierungsrolle entziehen. Man könnte allerdings auch sagen: Aktivierung durch Anreiz. Um einen Anreiz für die Aktivität auf dem Arbeitsmarkt zu geben, sprechen sich die Experten hingegen mehrheitlich für ordnungspolitischen Druck von Seiten des Staates aus. Ein Meinungsbild, das sich auch in der mehrheitlichen Ablehnung bedingungsloser Auszahlungen widerspiegelt. Exemplarisch vertritt ein Experte der Sozialen Arbeit die Ansicht, die Menschen zu zwingen Arbeit aufzunehmen, damit die Einnahmen des Sozialstaates möglichst hoch sind.222 Für einen Vertreter der Wirtschaft sind die Hartz Reformen ein Beleg dafür, dass Druck und Sanktionen ordnungspolitisch erfolgreich sind. „Hartz Reform, die laufen ja eigentlich auch auf diese Sache hinaus. Und haben deswegen auch, oder da wo sie es schon eingeführt haben, eigentlich einen sehr großen Erfolg.“223 Die Mehrheit der Experten aus allen Bereichen ist der Auffassung, dass die Arbeitsmotivation nach der Einführung eines Grundeinkommens sinken würde. „Aber wenn ich ein bescheidener Mensch bin, und mich eingerichtet habe auf der Höhe des Grundeinkommens, fällt die Motivation über Arbeit weiteres Geld zu verdienen erst mal weg“224, so ein Experte aus dem Bereich der Sozialen Arbeit. Auch ein Experte aus dem Bereich der Wirtschaft äußert sich skeptisch: „Sie müssen Transfersysteme immer in Verzahnung mit den Arbeitsmärkten machen solange Sie den Arbeitsmarkt bedienen wollen. Sonst erreichen Sie negative Anreize.“225 Hier bestätigt sich das mehrheitlich vertretene negative Menschenbild, das durch die Annahme einer Neigung zu Faulheit gekennzeichnet ist. Diese Auffassung steht im Gegensatz zu den anderen Deutungsmustern, die für die erste Kategorie Menschenbild erarbeitet werden konnten. Hier vertritt die Mehrheit der Experten die Auffassung, dass der Mensch eigenverantwortlich ist und für sein eigenes Glück sorgen möchte: „Aber der Mensch will erst mal notwendig sein. Und Notwendiges schaffen. Und nicht unbedingt sich am Ende seines Lebens sagen, na ja, ob ich jetzt was ge-
220 221 222 223 224 225
S, 3, 59. Dingeldey 2006, S. 8. S, 3, 88. W, 10, 75. S, 3, 83. W, 1, 14.
Zusammenfassung der Experteninterviews
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schaffen habe oder nicht, war eigentlich relativ gleichgültig“226, so ein Vertreter aus dem Bereich der Sozialen Arbeit. Dieser Widerspruch in der Argumentation lässt auf ein ambivalentes Menschenbild schließen: Einerseits ein tiefes Misstrauen und die Angst, dass sich die Gesellschaft durch die Summe der Einzelegoismen weiter entsolidarisiert, andererseits ein eher marktwirtschaftlich und liberales Menschenbild, dass auf Eigeninitiative setzt.
4.4
Zusammenfassung der Experteninterviews
Das Thema Grundeinkommen besticht durch die Heterogenität seiner Befürworter, die sich auf Basis unterschiedlicher gesellschaftspolitischer Modelle und Wertevorstellungen für ein Grundeinkommen aussprechen. Auf Seiten der befragten Führungskräfte, die zum größten Teil das Grundeinkommen ablehnen, zeigt sich hingegen keine so ausgeprägte Wertepluralität wie bei den Befürwortern in der öffentlichen Debatte und das, obwohl die Auswahl der Führungskräfte aus den unterschiedlichen Bereichen und mit unterschiedlichem politischem Hintergrund unterschiedliche Auffassungen vermuten ließen. So lässt sich die Eingangsthese des Forschungsprojektes, dass die Einstellungen zu einem Grundeinkommen von erheblicher Ambivalenz gekennzeichnet sind, auf den ersten Blick nicht bestätigen. Vielmehr lässt sich nach Auswertung der Interviews die These aufstellen, dass die Zugehörigkeit zur Elite einen homogenisierenden Effekt im Hinblick auf die Wertestruktur haben könnte und die Angehörigen stärker sozialisiert als die unterschiedlichen politischen Interessen. Denkbar wäre allerdings auch, dass Eliten funktionale Motive besitzen, sich in eine machtvoll legitimierte Wissensordnung einzufügen. Eine zweite These wäre in diesem Zusammenhang und mit Verweis auf die herausgearbeitete konservative Wertestruktur der Experten, dass das Thema Grundeinkommen zu innovativ und damit auch zu risikobehaftet sei, um von einer konservativen Elite akzeptiert zu werden und hiermit auch eine der deutschen Gesellschaft oft unterstellte Beharrlichkeit, die von Seiten der Eliten vorgelebt wird, begründet werden könnte. Am Ende der Studie wird resümierend zu fragen sein, ob beide Thesen wiederum Ausdruck von – möglicherweise verdrängten oder anderweitig abgewehrten – Ambivalenzen sind. Prägend für die Wertestruktur der Führungskräfte in Bezug auf ein Grundeinkommen ist die Solidarität, die sich über Leistung und Gegenleistung und eine institutionell gesteuerte bedarfsgerechte Verteilung sozialer Transferleistungen definiert. So lässt sich der Wert der Solidarität über die unterschiedlichen Interessen der einzelnen Gruppen hinweg als ein virtuelles Bindeglied zwischen den Befragten charakterisieren.
226 S, 3, 19.
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4 Wertetypen im Rahmen der Experteninterviews
Dieser Wertehintergrund schließt die Befürwortung eines egalitären Transfersystems mit mehr individueller Verantwortung wie das Grundeinkommen quasi aus und steht für eine konservative Wertestruktur, die sich auf den Staat als zentrale Instanz der Regelung sozialpolitischer Fragen beruft. Die Argumentation gegen ein Grundeinkommen unterscheidet sich eher auf interessens- und ordnungspolitischer Ebene – so beispielsweise in der Frage, wer ordnungspolitisch mehr Einfluss haben sollte, der Staat oder der Markt – jedoch wie beschrieben vor dem Hintergrund gleicher Wertevorstellungen von Solidarität, Leistungs- und Verteilungsgerechtigkeit. Der Habitus der Experten weist auf den Wunsch nach einer „starken Hand“, hier in Form des Staates oder wie bei den Experten aus dem Bereich Wirtschaft auch des Marktes, die von oben steuert und das Individuum von der Verantwortung das Gemeinwohl zu gestalten entlastet.227 Für die befragten Führungskräfte zeichnet sich ein tradiertes Gesellschaftsbild, das auf ein tiefes Misstrauen gegenüber zivilgesellschaftlichen Ansätzen schließen lässt. Innovative Ideen wie das Grundeinkommen können vor dem Hintergrund dieser Wertestruktur gar nicht richtig durchdacht werden, da sie auf konzeptioneller Ebene gar nicht wahrgenommen, sondern als Chiffre für die Legitimation der eignen Werte eingesetzt werden. Obwohl jedem Experten aktuelle gesellschaftspolitische Entwicklungen wie der Wandel der Arbeitsgesellschaft aufgrund ihrer beruflichen Position und ihres akademischen Hintergrundes durchaus vertraut sein müssten, werden aktuelle Probleme in Zusammenhang mit der Idee des Grundeinkommens erstaunlich wenig reflektiert. Ein Befund, der vor dem Hintergrund der individuellen Verantwortung von Eliten für die Gesellschaft ein Bild ergibt, dass die oftmals beklagte Reformunfähigkeit von den strukturellen und systemischen Konstitutionen in Deutschland auch im Hinblick auf die individuelle Strategiefähigkeit von Entscheidungsträgern und deren Verantwortung für die Reform des Systems in einem kritischen Licht erscheinen und auf kognitive Dissonanzen bei den Befragten schließen lässt. Andersherum wäre diesbezüglich zu fragen, inwieweit nicht die Strukturen die Individuen, sondern die kognitiven Systeme der Individuen die strukturellen Systeme und Institutionen prägen. Zwar werden Krisenszenarien durchaus erwogen, die Frage ist nur, als wie schwerwiegend diese Krisen gedeutet werden – und ob daraus Akzeptanz für die Idee des Grundeinkommens wird. In den Gruppen zeigen Kritiker sehr deutlich die Tendenz zur Normalisierung oder gar Nihilierung („So schlimm ist es doch gar nicht“) – und zwar über alle drei Gruppen hinweg. Für die Ausprägung dieser konservativen Wertestruktur bei den Experten erscheinen eigene Erfahrungen im Rahmen familiärer und beruflicher Sozialisation ausschlaggebend. Obwohl dem Sozialstaat eine zentrale Rolle für die Sicherung des Gemeinwohls von den Experten zugeschrieben wird, ist der Sozialstaat als abstraktes
227 Dieses Deutungsmuster findet sich in den Fokusgruppen nicht.
Zusammenfassung der Experteninterviews
75
Gebilde nicht entscheidend für die Ausbildung der Werte der Experten. Der familiären und beruflichen Sozialisation und vor allem den eigenen Interessen kommt hier eine wichtigere Funktion zu, die wiederum auf die Deutung des Sozialstaats gelegt wird.
5 Fokusgruppen
Die Analyse der drei Fokusgruppen oder Gruppendiskussionen soll im Folgenden dazu dienen, die eingangs formulierte Strukturhypothese der Ambivalenz und die damit verknüpfte Prozesshypothese an das empirische Material heranzutragen. Danach können ambivalente Deutungsmuster zum Grundeinkommen in den Gruppen sozial-kommunikativ stabilisiert bzw. diskursiv aufgebrochen werden. Gruppendiskussionen wurden durchgeführt mit Teilnehmern aus den Bereichen Wirtschaft (in Hamburg), Politik (in Berlin) und Soziale Arbeit (in Erfurt). Insgesamt erwies sich die Rekrutierung aller drei Gruppen als schwieriges Unterfangen. Eine hohe Relevanz des Themas können wir den TeilnehmerInnen der Politikgruppe bescheinigen. In der Tendenz repräsentiert die Politikgruppe jedoch eher eine Basis-Bewegung, nicht die angestrebte mittlere Führungsebene. In der Sozialarbeitsgruppe finden wir dagegen eine breite Streuung innerhalb des Feldes sowie die gewünschte mittlere Führungsebene, was auf eine breite Relevanz im Milieu schließen lässt. Da in der Wirtschaftsgruppe die Beziehung zum Stifter Motiv der Teilnahme sein könnte, gehen wir davon aus, dass das Thema Grundeinkommen selbst keine große Relevanz aufweisen muss. Die Analyse der Verläufe muss sowohl die vorgefundenen Rekrutierungstendenzen als auch die exponierte Rolle des Projekt- und Diskussionsleiters berücksichtigen. Die „Rekonstruktion der Diskursorganisation“228 der drei Gruppen eröffnet in besonderer Weise deren implizite Sinnstrukturen. Diese Perspektive zielt auf implizite, latente Sinnstrukturen, die dem Gruppenprozess zugrunde liegen. Herauszuarbeiten sind sowohl die diskursmächtigen, den Verlauf bestimmenden Akteure, als auch die sich hierzu negativ positionierenden Sprecher. Die im Folgenden gewählte Textdarstellung der Gruppenverläufe nimmt zunächst jeweils die Eingangssequenz in den Blick. Daraufhin soll für alle drei Gruppen eine Verlaufssequenz aus der 90minütigen assoziativen Sequenz herausgearbeitet werden.229 Diese weisen jeweils typische Muster der drei Gruppen auf. Die drei untersuchten Gruppen bzw. Milieus oder gesellschaftliche Felder zeigen hierbei unterschiedliche Muster der pro- und contra-Orientierung zum Grundeinkommen. Während sich die diskursprägenden Sprecher der Politik-
228 Bohnsack 2003, S. 138. 229 Für die erste 90minütige Sequenz gilt die Regel, dass alle TeilnehmerInnen ihre Assoziationen zum allgemeinen Stimulus äußern sollen. Hierbei können sie Aussagen anderer TeilnehmerInnen ignorieren, daran anschließen, jedoch nicht diskutieren. Diese Regelsetzung soll einen schützenden kommunikativen Raum erzeugen. Erst in der zweiten, ebenfalls 90minütigen Sequenz, wird im ungeschützten Rahmen zu Fragen aus der ersten Sequenz, sowie vier weiteren konkreten Stimuli diskutiert.
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5 Fokusgruppen
gruppe pro Grundeinkommen aussprechen, stellt sich die Wirtschaftsgruppe kontrastierend dagegen. Eine Zwischenposition verkörpert die Sozialarbeitsgruppe, die zwar für ein Grundeinkommen votiert, in ihren inhaltlichen Deutungsmustern jedoch massive Ambivalenzen und Inkonsistenzen zeigt.
5.1
Fokusgruppe Soziale Arbeit
Die Gruppendiskussion beginnt mit der Eröffnung durch den Diskussionsleiter. Das Forschungsprojekt Grundeinkommen und Werteorientierung wird vorgestellt sowie die Zielgruppen, der Rahmen der Gruppendiskussion und die Regeln. Dann folgt die Überleitung zur Personenvorstellung mit der Vorstellung der Person des Diskussionsleiters.230 Mit diesen Aspekten birgt die Eingangssequenz heikle, möglicherweise die Diskussion maßgeblich strukturierende Momente. Entsprechend erfolgt die Eröffnung positiv: anknüpfend an das Anschreiben durch die Stiftung, die Teilnehmer wertschätzend („mittlere Eliten der Gesellschaft“)231, sowie Ängste in Bezug auf das Setting nehmend. Die vorgestellte Methode der freien Assoziation begegnet Ängsten, sich in diesem Setting fachlich kompetent äußern zu müssen. Dieser Eindruck könnte bereits durch den Diskussionsleiter entstehen, der als Akteur in der Wissenschaft selbst Experte zum Grundeinkommens und sogar dessen Protagonist ist. In der Vorstellung des Diskussionsleiters stellt dieser explizit den Bezug zum Grundeinkommen her, und zwar doppelt: in Richtung Wissenschaft und Politik.232 Diese Präsentation zielt auf die Darstellung des Themas als ein etabliertes, politisch wie wissenschaftlich legitimiertes. Eine solche Darstellung muss sich als deutliche Weichenstellung gleich zu Beginn erweisen, sie impliziert eine normative Prägung des Themas und erweist sich daher nicht als neutral.
230 FGSoz 3-7. „FGSoz“ bezieht sich auf die „Fokusgruppe Sozialarbeit“. Analog hierzu verwenden wir im Folgenden die Abkürzungen FGPol (Fokusgruppe Politik) und FGWir (Fokusgruppe Wirtschaft). Die Ziffern beziehen sich auf die Abschnitte der durch MAXQDA 2007 formatierten Transkription. 231 Die Regeln der Transkription sind bei Hildenbrand (1999, S. 25, 31f.) entnommen. „(!)“verweist auf besondere Betonung; „(.)“ bzw. „(..)“ markiert kurze Pausen; „(4)“ markiert eine Pause von 4 Sekunden Länge; „[…]“ markiert Kommentare bzw. Anonymisierungen; „[“ markiert Unterbrechungen durch Gruppenakteure. Im Folgenden werden die Zitate – abweichend von der Darstellung der Einzelinterviews – in den Fußnoten dargestellt. Dies dient der besseren Lesbarkeit des Textes. 232 „wir haben uns zum Thema Grundeinkommen (!) unter anderem neben weiteren Veröffentlichungen mit einer Studie für die Adenauer Stiftung beschäftigt in der ich das Modell das Herr (!) Althaus vorgestellt hat mit einem Kollegen Wolfgang Strengmann-Kuhn von der Universität Frankfurt analysierte und berechnete“ (FGSoz 7).
Fokusgruppe Soziale Arbeit
79
Die Personenvorstellung233 wird durch den Diskussionsleiter begonnen, der auch hier durch Nennung der beruflichen Tätigkeit wie seines Verhältnisses zum Grundeinkommen einen normativen Rahmen strukturiert. Diese Strukturierung greift in der Vorstellungsrunde, indem alle Teilnehmer über ihre berufliche Tätigkeit Auskunft geben. Fünf Teilnehmer machen jedoch weitere Aussagen, die sich teilweise explizit auf Grundeinkommen beziehen. Angesprochen sind etwa gesellschaftliche Krisendiagnosen und Fragen nach „Alternativen“, die Einsicht in die Prägung der Menschen durch Sozialpolitik, Fragen der Existenzsicherung von Menschen und „Menschen die (.) am Rande der Existenz“ stehen.234 Die Strukturierung des Bezugs auf Grundeinkommen durch den Diskussionsleiter führt dazu, dass wir bereits in dieser ersten knappen, weniger als vier Minuten dauernden Sequenz einen deutlich positiven Deutungshorizont aufgebaut sehen. Die Gruppe hat sich bereits an diesem Punkt der Eingangssequenz hierüber vergewissert, einen gewissen Konsens hergestellt, und Anknüpfungspunkte genannt, die sehr gewichtig erscheinen. Auch steht die Rolle des Diskussionsleiters nicht in Frage. Als Abweichung, als Stachel im hergestellten grundlegenden Konsens erscheint lediglich die Aussage des Sozialamtsleiters, der mit Begrifflichkeiten der „Versicherung“ nicht auf Grundeinkommen abstellt, sondern auf tradierte Konzepte des Status Quo.235 Vier der sechs TeilnehmerInnen nehmen positiv Bezug zum Grundeinkommen. Somit ist eine Gruppe von Akteuren der Sozialarbeit zu erwarten, die in Bezug auf Arbeit bzw. Krisen der Arbeitsgesellschaft auf tief greifende, kontroverse Deutungsrahmen zugreift. 236 Die nun folgende Stimulussequenz beginnt mit der Setzung des Stimulus durch den Diskussionsleiter. Der bereits normativ geprägte Rahmen begünstigt die Gefahr der Suggestion. Der allgemeine Stimulus wird durch den Mitarbeiter aufgeblättert und parallel vom Diskussionsleiter vorgelesen. 237 Nicht auf der Tafel steht jedoch der Satz „So eben eine der Definitionen des Grundeinkommens“. Mit dieser Aussage entschärft der Diskussionsleiter eine ihm möglicherweise unterstellte dogmatische Autorität zum Thema, denn der Satz wirkt relativierend („eine der“), ja fast entschuldigend („eben“). Weiter fällt auf, dass im Stimulus Verknüpfungen hergestellt werden zwi-
233 234 235 236
FGSoz 3, FGSoz 7-21. FGSoz 21. Castel 2005; Eichenhofer 2007. Lediglich der Schulleiter macht keine Angaben zum Thema. Positiv Bezug nehmen: die Referentin Sozialpolitik von der evangelischen Kirche, der Leiter Sozialarbeit der katholischen Kirche, der evangelische Pfarrer und Seelsorger sowie der Mitarbeiter eines freien Wohlfahrtsverbandes. 237 „(!) ein Grundeinkommen ist ein Einkommen das von einem politischen Gemeinwesen an alle seine Mitglieder ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Gegenleistungen individuell ausgezahlt wird (.) Es ersetzt oder ergänzt (.) je nach Modell die klassischen Sozialtransferleistungen des Staates (.) So eben eine der Definitionen des Grundeinkommens (.) Die Frage an Sie ist, was glauben Sie ist ein Einkommen ohne Gegenleistung (.) eher gut oder eher schlecht für den Einzelnen (.) beziehungsweise für die Gesellschaft“ (FGSoz 23).
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5 Fokusgruppen
schen Grundeinkommen und politischem Gemeinwesen, sowie zwischen klassischen Transferleistungen und Staat. Mit der erneuten Regelsetzung durch den Diskussionsleiter238 beginnt die 90minütige Phase der Assoziation.239 Für die Rekonstruktion des Diskursverlaufs sollen im Folgenden zwei aneinander anschließende Sequenzen ausgewählt werden, die die Dynamik der Sozialarbeitsgruppe sehr gut abbilden. Zum einen die bereits eröffnete Stimulussequenz,240 zum anderen die daran anschließende etwa halbstündige Sequenz des sich vollziehenden diskursiven „Schlagabtauschs“241. Die Stimulussequenz beginnt mit einer im Raum stehenden normativen Strukturierung. Alle TeilnehmerInnen sollen sich zur Frage positionieren und äußern sich jeweils einmal.242 Sofort ergreift der evangelische Pfarrer das Wort,243 indem er implizit den hergestellten Konsens reproduziert. Affirmativ werden Gründe für das Grundeinkommen angeführt. Inhaltlich setzt die Aussage zwei entscheidende Weichenstellungen: Der Rekurs auf Menschen in der „Hängematte“ eröffnet zum einen die Diskussion des Missbrauchs. Zum anderen zeigt sich die implizite Verengung der Grundeinkommensperspektive auf die Klientel von Sozialarbeit und Armutsverwaltung.244 Auch die sich nach kurzer Pause anschließende zweite Wortmeldung der Referentin für Sozialpolitik erweist sich durchgängig als affirmativ.245 Von ihr wird die nüchterne Frage der Finanzierung aufgeworfen und sogleich positiv beantwortet.246 Hierbei greift die Sprecherin die Unterscheidung aus dem Stimulus auf und deutet als Quelle des Grundeinkommens nicht eine anonyme, bürgerferne, möglicherweise repressive staatliche Verwaltung, sondern eine „Gemeinschaft“. Hier scheint viel eher eine Deutung von Sozialität im Raster der sozialen Nahbeziehung durch. Nicht eine fremde Rationa-
238 239 240 241 242 243 244
245 246
FGSoz 23. FGSoz 25-175. FGSoz 25-35. FGSoz 37-103. In dieser Hinsicht erweist sich die Sozialarbeitsgruppe nach der Rekonstruktion als insgesamt sehr ausgeglichen: Alle TeilnehmerInnen ergreifen das Wort, es gibt keine dominanten Pole. FGSoz 25. „Ein Grundeinkommen ist zunächst einmal wenn es ohne Wert ohne Leistung erbracht wird eine Möglichkeit für die Leute aus diesem (!) Hängen in der sozialen Matte herauszukommen also ich orientiere mich nicht danach was muss ich alles tun um möglichst viel Sozialleistungen zu erringen und bringe damit mein Leben zu verbringen (..) sondern ich weiß ich hab die Zeit frei für mich (4)“ (ebd.). FGSoz 27. „Ich glaube dass sich es eine Gemeinschaft leisten kann (.) die Existenz zu sichern ohne Gegenleitung (.) das ist ja die Frage (..) was mir manchmal auffällt (.) das hat was mit der (!) Sprache zu tun das in Grundeinkommen eben der Begriff Einkommen drin ist (..) der (!) Einkommen auch bei mir wenn ich einfach nur an das Wort nehme suggeriert ich habe ein Einkommen weil ich irgendwas erbracht hab (..) das sind so zwei Antworten auf diese diesen Text (3)“ (ebd.).
Fokusgruppe Soziale Arbeit
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lität ist Quelle des Grundeinkommens, sondern eine Gruppe, wo Individuen als solche erkennbar sind. Diese Sozialität wird als wohlhabend genug gedeutet, sich ein Grundeinkommen zu „leisten“, womit dieses gleichzeitig als ein Luxus, ein zusätzliches, den Status Quo überschreitendes Surplus erscheint. Explizit greift die Sprecherin das bereits im Stimulus gesetzte, zentrale Thema Gegenleistung auf und reflektiert die sprachlich tradierte Einforderung von Gegenleistung, um ein Einkommen zu erhalten. An dieser Stelle greift der Sozialamtsleiter ein.247 Offenkundig sieht der Sprecher Bedarf zur Korrektur. Dies verweist auf den von ihm wahrgenommenen latenten Konsens in der Gruppe („nicht alles so positiv“), der von den beiden Vorrednern reproduziert und inhaltlich ausgestaltet wurde. Der Sprecher zeigt mit dieser Aussage ein hohes Maß an Autonomie, stellt er sich doch auch gegen die Autorität des Diskussionsleiters und grenzt sich ab gegenüber einer homogen erscheinenden Gruppe. Mit seiner völligen Ablehnung des Grundeinkommens stellt der Amtsleiter in der Gruppe die für eine methodisch gelingende Gruppendiskussion notwendige Spannung her. Diese bezieht sich nicht nur auf Fragen der inhaltlichen Ausgestaltung eines Grundeinkommens, die bereits einen konsensuellen Deutungsrahmen voraussetzt. Die Spannung greift über auf die normativen Fundamente des den Befürwortern gemeinsamen Deutungsrahmens. Ab dieser Sequenz finden wir die Befürworter in einer neuen Rolle. Bisher reichte es, affirmativ zu sein. Nun müssen sie grundsätzlicher argumentieren, rechtfertigen, obgleich es der gesetzte assoziative Rahmen erlaubt, die Aussage schlicht zu ignorieren. Der Anschluss erfolgt sofort durch den Sozialamtsleiter, indem dieser sogleich seine Ablehnung als begründungsbedürftig wahrnimmt und die Begründung gibt. Das erste Argument ist funktionaler Natur und bezieht sich auf die Systemarchitektur des Wohlfahrtsstaates.248 Das zweite Argument bezieht sich auf Gerechtigkeit und disqualifiziert Grundeinkommen als ungerecht.249 Zum Abschluss seiner Aussage stellt der Amtsleiter Bezug her zu Eichenhofer250, der als akademische Autorität contra Grundeinkommen für den Sprecher symbolisch das Ungleichgewicht in der Gruppe ausgleichen soll.251 Insgesamt können wir dem Sprecher habituelle Sicherheit zusprechen, die dieser aus tradierten Werteorientierungen und dem Bezug auf das etablierte Sozialversicherungssystem speist. Der massive Widerspruch durch den Amtsleiter erweist sich sequenzanalytisch als fruchtbar. Wie gestaltet sich der Anschluss? Was passiert mit dem Bruch im Gruppenprozess? Geraten die Befürworter in Legitimationsprobleme? Explizieren diese ihre Argumente oder ignorieren sie den Bruch? Reagieren die ersten beiden Sprecher oder „helfen“ die anderen nach? Können wir bei den Befürwortern von einer habitu-
247 „Ich sage jetzt mal einfach was damit jetzt nicht alles so positiv klingt (.) ich halte von einem Grundeinkommen ohne Gegenleistung eigentlich gar nichts (.)“ (FGSoz 29). 248 „dieses System hebelt das komplette Sozialversicherungssystem aus“ (ebd.). 249 „ich kann mir das nicht vorstellen wie jemand der nicht in Arbeit ist verheiratet mit einem Professor (.) und die Frau kriegt Grundsicherung (..) das ist für mich schizophren (.)“ (ebd.). 250 Z.B. Eichenhofer 2007. 251 „und deswegen bin ich also (.) ähm (..) Verfechter des Eichenhofer-Modells (3)“ (FGSoz 29).
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ellen Sicherheit sprechen, dass heißt von einer stabilen und konsistenten Repräsentation des Grundeinkommens? Oder erweist sich der Bruch als Quelle der Unsicherheit, die kommunikativ als Bearbeitung von Ambivalenzen erscheint? Der Amtsleiter steht gleichfalls unter dem Druck der Legitimation, zumal gegenüber dem Diskussionsleiter. Im verbleibenden Verlauf der Stimulussequenz zeigt sich bereits das zentrale Charakteristikum der Sozialarbeitsgruppe. Nach einer Pause von drei Sekunden beginnt der leitende Sozialarbeiter von der katholischen Kirche.252 Offenkundig ringt der Sprecher um seine positive Haltung zum Grundeinkommen, kann sich jedoch der Kritik nicht verschließen. Das Ergebnis ist eine völlig ambivalente Aussage.253 Diese fundamentale logische Inkonsistenz, thematisch am Gegenleistungsprinzip festgemacht, erweist sich als Muster in der Sozialarbeitsgruppe, drückt die Unsicherheit der Befürworter bei der „Bearbeitung“ der Idee des Grundeinkommens aus. Die Unsicherheit tritt in Kontrast zur Sicherheit des Amtsleiters, trotz der Autorität des Diskussionsleiters. Zielrichtung der eingeforderten Gegenleistung ist jedoch nicht abhängige Erwerbsarbeit. Vielmehr scheint der Sprecher Abschied genommen zu haben von einer auf Erwerbsarbeit basierenden Gesellschaft, womit er zum einen den impliziten Klientenfokus reproduziert.254 Zum anderen beinhaltet diese Aussage eine Krisendiagnostik der Arbeitsgesellschaft. Da Sozialarbeit an gesellschaftlichen Krisenherden arbeitet, überrascht eine solche Deutung nicht. Fraglich wird die Deutung wohlfahrtsstaatlicher Institutionen – und damit der eigenen Rolle – die nicht nur hier, sondern bereits beim ersten Sprecher eine gewisse repressive Komponente aufweist. Im weiteren Verlauf greift der Schulleiter direkt in die positive Rede des Sozialarbeiters ein und knüpft explizit daran an („also ich würde da gleich mal anknüpfen“255). Dieser Beitrag erscheint als Strategie des Sprechers, den positiven Deutungshorizont weiter zu führen und stärker zu machen. Hierbei reproduziert er mehrere im Raum stehende Deutungselemente: Entlastung der „Sorge“ um Existenzsicherung, oder die Einforderung von „Gegenleistungen“, gedeutet ebenfalls in alternativen Arbeitsformen. Die Lesart eines als repressiv gedachten Sozialstaats256 erfährt hier ihre Zuspitzung, indem eine
252 FGSoz 31. 253 „Für mich hat Grundeinkommen schon noch äh so einen positiven Klang auch wenn es in dem Wort hat ohne (!) Gegenleistung“ (ebd.). 254 „ich denke die Leute würden wenn sie diese Sicherheit hätten auch Gegenleistungen bringen die man vielleicht nicht mit heutigen Leistungen bei Einkommen vergleichen kann (.) ich denke sie würden was einbringen in die Gesellschaft weil sie frei sind wieder von dem Suchen und sich abzusichern und das würde andere Räume öffnen aus meiner Sicht“ (ebd.). 255 FGSoz 33. 256 „ich kann mir auch Leute vorstellen die (!) ohne unter diesem Druck zu stehen wo muss ich jetzt einen Antrag abliefern damit damit’s wieder ein paar Mark gibt“ (FGSoz 33) Der Antrag beim Amt erscheint damit als Kandidat der Gegenleistung, wie bereits beim ersten Sprecher (FGSoz 25). Diese Perspektive reproduziert die im Raum stehende Abkehr vom Normativ Arbeitsgesellschaft.
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herrschende Kultur der Repression gedeutet und kritisiert wird. Als Beispiel wird Schule ins Feld geführt, wo Schüler durch eine „Drohkulisse“, „schlechte Noten“ und „Sitzen bleiben“ gerade nicht leistungsfähiger werden.257 Gleiches gilt für den Sozialstaat (Hartz VI), der repressiv Gegenleistungen einfordert. Dem stellt der Sprecher eine Deutung von Gegenleistung gegenüber, die intrinsisch motiviert ist.258 Mit diesem Argument kommt das Leistungsdenken als Deutungselement in den Diskursverlauf. Der ausgewogenen Ordnung der Sozialarbeitsgruppe folgend vollzieht sich mit dem nun folgenden Sprecher eine Gestaltschließung. Als letzter spricht der Mitarbeiter des freien Trägers.259 Dieser weist ebenfalls einen hohen Grad an Autonomie auf, die jedoch nicht gegen Grundeinkommen gerichtet ist. Inhaltlich wird der Stimulus als „plakativ“ kritisiert. Zum anderen abstrahiert der Sprecher von diesem und stellt die hinter einem Grundeinkommen stehenden „gesellschaftlichen Ziele und Wertvorstellungen“ als das eigentliche Thema dar.260 Der deutliche Einwand gegen den Gegenleistungsfokus verweist darauf, dass der Sprecher möglicherweise bereits vorgängig allgemein in der Diskussion um Grundeinkommen oder auch konkret in der Eingangssequenz die explizite wie implizite Verknüpfung wahrgenommen hat. Im Folgenden soll die halbstündige Phase des „Schlagabtauschs“261 betrachtet werden, die eine Gestaltschließung aufweist und in der sich bereits in der kurzen Eingangssequenz gezeigte Muster reproduzieren. Die Eingangssequenz ist geprägt durch einen Diskussionsleiter, der das Thema selbst bereits normativ prägt; einer Personenvorstellung, die mit mehrheitlichem Bezug zum Thema auf gute Kenntnis und Relevanz des Themas schließen lässt; einem Stimulus, der die normative Prägung reproduziert. Der prägende Diskurs pro Grundeinkommen hat einen Gegenspieler, der sich
257 „die klassische Schule sagt Kinder Kinder sollen was lernen also müssen die was lernen also mach ich n Lehrplan mach da auch ne Drohkulisse dazu damit dort was passiert schlechte Noten und Sitzenbleiben und was da alles gemacht wird (.) ich hab Schulen gesehen in denen es keinen Zensurendruck gibt in denen Schüler so relativ große Freiräume haben in denen sie sogar selber entscheiden können ob sie zur Stunde gehen oder sich lieber auf die Wiese setzen (.) und die Schulen haben einen Vorteil gegenüber dem deutschen Schulsystem nämlich die bringen bessere Leistungen“ (FGSoz 33). 258 „ich (!) denke wenn man auf die Haarspalterei und die Gegenleistung verzichtet (.) (!) könnte die Möglichkeit bestehen dass das Gesamtsystem leistungsfähiger wird (3)“ (ebd.). 259 FGSoz 35. 260 „Also ich glaube auch dass die Frage insgesamt manchmal sehr plakativ gestellt ist weil Einkommen ohne Gegenleistung heißt ja erstmal nicht mehr als ein Mittel (.) ähm ich denke ob sie eher gut oder eher schlecht für den Einzelnen oder die Gesellschaft ist das hängt davon ab welche Ziele man damit verfolgt (.) und welches äh welche (!) Ideen sozusagen das (!) tragen ähm (..) ich glaube es sind die ganzen Argumente für und wider bekannt von der Abschaffung der Bürokratie oder auch über äh Einsparungen von öffentlichen Mitteln aber das sind ja alles nur äh (.) sozusagen oberflächliche Argumente die ähm (..) im Wesentlichen ähm ähm auf die (!) Umsetzung dieses dieser Idee (herkommen) ich glaube das ähm (.) die Frage gut oder eher schlecht entschieden wird mit der Güte und Qualität der der gesellschaftlichen Debatte die darum geführt wird und äh auch die (.) sage ich mal Authentizität der Argumente und der gesellschaftlichen Ziele und Wertvorstellungen“ (ebd.). 261 FGSoz 37-103.
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fundamental gegen Grundeinkommen stellt und damit eine deutliche Spannung in den Diskurs bringt. Gleichzeitig führt diese Diskursprägung zur Verunsicherung der Befürworter, die deren Ambivalenzen oder Inkonsistenzen zum Vorschein bringt. Die Gestalt der Schlagabtauschsequenz unterscheidet sich jedoch von der Gestalt der Stimulussequenz. Dort sehen wir Sprecher, die nacheinander alle in ähnlicher Länge zu Wort kommen. In der Phase des Schlagabtauschs findet dies so nicht statt. Dort artikuliert sich ein Muster, was bereits in der Stimulussequenz latent sichtbar war. Die Sequenz wird gerahmt262 vom Mitarbeiter des freien Trägers, der als „Intellektueller“ von den impliziten Deutungen und vorgebrachten Argumenten der anderen hoch reflexiv abstrahiert. Während der halbstündigen Sequenz agiert dieser nicht als Sprecher, sondern als Beobachter, was darauf verweist, dass im diskursiven Verlauf nicht die seiner Ansicht nach zentralen Fragen thematisiert werden. Erst nach einer halben Stunde korrigiert er diesen Gruppenverlauf.263 Währenddessen vollzieht sich eine Diskussion, die durch die Regel des Assoziativen zwar geschützt abläuft, dennoch einen argumentativen Schlagabtausch darstellt. Dieser folgt dem normativen Stimulus und wird ausgetragen zwischen dem Sozialamtsleiter als Gegner und den vier anderen Sprechern als Befürworter. Als zentrales Merkmal der Sozialarbeitsgruppe kann herausgearbeitet werden: zunächst ist die Debatte durch anzweifelnde Argumente des Amtsleiters gekennzeichnet, in deren Folge der Konsens pro Grundeinkommen teilweise massiv verunsichert wird. Die hierdurch induzierte Begründung und Rechtfertigung fällt eher schwach aus. Jedoch sehen wir im späteren Verlauf Befürworter, die gemeinsam die eigenen Unsicherheiten und Deutungen bearbeiten und im Konsens die pro-Haltung stabilisieren. Der allein stehende Gegner verlässt durch Polemik die diskursive Auseinandersetzung. Dieser „Ausstieg“ verweist auf die fehlende gemeinsame Basis bei der Bewertung des Grundeinkommens und weit reichende Differenzen in der normativen Tiefenstruktur der milieuspezifischen Deutungsmuster. Nun spricht die Referentin für Sozialpolitik264 und thematisiert positive Erwartungen an Grundeinkommen für den Einzelnen („dass dieser Freiheitsaspekt ein großer Gewinn ist“), reproduziert das Muster des repressiven Sozialstaats als legitimierende Krisendiagnostik („wo die Menschen durch diese Bedürftigkeitsprüfung wirklich geknechtet werden“) und erhofft sich eine positive kulturelle Entwicklung durch das Grundeinkommen, welches Debatten um Neid und Missbrauch hinter sich lässt. Das interessanteste und neue Deutungselement in dieser Sequenz ist die sofortige Assozia-
262 FGSoz 35 und 103. 263 FGSoz 103. 264 FGSoz 37.
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tion von Freiheit und Faulheit.265 Offenkundig ringt die Sprecherin mit der latenten Ambivalenz des Missbrauchsvorwurfs und versucht die „Lösung“ des Freiheitsproblems in einer Grundeinkommensgesellschaft durch Beschwörung einer Anthropologie. Auch der direkt anschließende evangelische Pfarrer steigt sofort auf das Missbrauchsthema ein.266 Das Missbrauchsthema ist das dominante Thema dieser Gruppe, wirkt durchgängig strukturierend.267 Dies wird erklärbar, wenn trotz der pro-Haltung zu einem bedingungslosen Grundeinkommen doch – quasi durch die Hintertür – am Gegenleistungsprinzip festgehalten wird.268 Hinzu kommt der jedoch kaum überraschende implizite Fokus der Gruppenteilnehmer auf die eigene Klientel der Armut und Sozialpädagogik, der als Maßstab der Beurteilung des Grundeinkommens zu Rate gezogen wird. Deutungsmustertheoretisch bedeutet dies, dass die Idee eines Grundeinkommens vor dem Hintergrund milieuspezifischer Normative ausbuchstabiert wird, die auch die Grenzen der Deutung definieren. Die folgenden fünf Äußerungen fallen für ein Grundeinkommen aus, bergen jedoch ebenfalls hohe Ambivalenz. Dies kann der Amtsleiter nicht auf sich beruhen lassen und entwirft auf der Basis seiner systemimmanenten Deutung – bezogen auf Sozialversicherungssystem und Erwerbsarbeit – ein alarmistisches Szenario, schlägt eine Rhetorik der Gefahr an.269 Was bedeutet die Emotionalität, gerade wenn wir berücksichtigen, dass der Sprecher in seiner ersten Entgegnung270 noch auf rationale Argumente zurückgegriffen hat? Hat der Amtsleiter den Boden der rationalen Auseinandersetzung verlassen? Dies deutet darauf, dass er keinen gemeinsamen Deutungsrahmen in der Gruppe sieht, auf den er sich verständigen könnte. Auf diese emotionale Rhetorik steigt die Referentin für Sozialpolitik nicht direkt ein, sie nutzt damit den geschützten assoziativen Rahmen. Indirekt aber reagiert die Sprecherin, indem sie verschiedene akademische Modelle (von Offe oder Strengmann-Kuhn) ins Feld führt und damit die Befürworter stärkt.
265 „da sehe ich einen großen Frei Freiheitsaspekt weil ich einfach nicht glaube dass der Mensch faul ist das ist meine tiefste Überzeugung“ (ebd.). 266 „es gibt mit Sicherheit Leute die ein solches System missbrauchen werden und da brauch ich überhaupt nichts mehr (.)“; „auch hier gibt es einen Haufen Leute die das richtig gut können und das sag ich mal missbrauchen“ (FGSoz 39). 267 Dies gilt nicht nur für die hier analysierte Sequenz, sondern auch für den späteren, diskursiven Verlauf („((leicht amüsiert)) meine Klienten diese Handaufmachmentalität noch einmal äh unterdrücken das wird durch dieses bedingungslose natürlich wieder“ (FGSoz 270). 268 Auch in der Literatur, etwa mit Bezug auf das konservative Solidarische Bürgergeld, wird nicht Abschied genommen vom Gegenleistungsprinzip, dieses sogar noch normativ aufgeladen (Schramm 2007, S. 210). 269 „es fällt weg Rentenversicherung es fällt weg die Krankenversicherung das (!) gesamte Sozialversicherungssystem fällt weg (.) es gibt nur noch die (!) Grund sicherung. Das halte ich für gefährlich (..)“ (FGSoz 41). Diese Sequenz bringt zudem zum Vorschein, dass der Sprecher das – abgelehnte – Neue in Begriffen des Alten denkt („(!) Grund sicherung“). Auch die Deutung des sozialen Absturzes vollzieht der Sprecher auf der Folie der tradierten Deutung Erwerbsgesellschaft – Hartz IV: „äh Arbeitslosenversicherung fällt auch weg wenn jemand aus dem Arbeitsleben (rausrutscht) rutscht er sofort in die Ebene Hartz IV oder in die Grundsicherung“ (ebd.). 270 FGSoz 29.
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Die Sprecherin bezieht sich ausdrücklich auf den Stimulus („ersetzt oder ergänzt (!) die Staatsleistungen“271) und gibt ihre eigene Unsicherheit zu. Damit reproduziert die Sprecherin das Muster einer sachlich differenzierten Auseinandersetzung auf dem vom Diskussionsleiter bereiteten normativen Boden.272 Auf diesen Boden der wissenschaftlichen Autorität möchte sich der katholische Sozialarbeiter mit seiner nun folgenden – technische Termini bemühenden – Aussage begeben und sich unterordnen, um die offenkundige eigene Unsicherheit zu entlasten.273 Der Sprecher möchte das Grundeinkommen „positiv [..] denken ohne gleich zu bangen wie viel spricht noch dagegen.“ 274 Diese Sequenz belegt die Deutung einer gesellschaftlichen Entwicklung, in der es nur eine Frage der Zeit ist („noch“), bis wir eine Grundeinkommensgesellschaft haben werden. Im Hintergrund steht die mit großer habitueller Sicherheit vorgetragene Deutung einer Gefahr von Seiten der sozialen Sicherungssysteme, die regelrecht im Verfall begriffen sind.275 Mit dieser Sequenz stehen nun zwei konkurrierende alarmistische Rhetoriken im Raum: die Gefahrendiagnose nach Einführung des Grundeinkommens, sowie die Gefahrendiagnose vor Einführung des Grundeinkommens. Ist der Raum einer argumentativen Auseinandersetzung verlassen? Nochmals spricht die Referentin von der evangelischen Kirche.276 Sie reproduziert die positive Konnotation eines Grundeinkommens, indem sie von „Charme“ spricht, damit eine beinahe ästhetische Kategorie einführt und somit ebenfalls die argumentative Auseinandersetzung verlässt. Ebenso reproduziert die Sprecherin die gedeutete Krisendiagnostik des Sozialstaats („weg von dieser Armutspolitik die ich im Moment in dieser sozial staatlichen Transferleistung erlebe“) und dessen Finanzierung. Gestärkt durch die inzwischen konsensuelle positive Deutung des Grundeinkommens spricht der katholische Sozialarbeiter über seine Hoffnung auf Selbstbestimmung und Entlastung der als Klienten gedachten Menschen aus der repressiven Antragsbürokratie.277
271 FGSoz 43. 272 Einen kleinen Seitenhieb gegen den Amtsleiter kann sich die Sprecherin zum Ende nicht verkneifen: „also äh (!) natürlich kann die Rente wegfallen logo wenn vorher das Grundeinkommen da ist ist die Existenz gesichert“ (FGSoz 43). 273 „äh glaube ich tauchen auch hier viele Fragen auf wenn ich sage ich weiß nicht was wie umsetzen weil es ja wirklich ein Wechsel im System ist und äh den kann ich im Moment auch nicht richtig denken da fehlen mir da habe ich zu viele Lücken“ (FGSoz 45). 274 Ebd. 275 „aber ich glaube auch unser System was wir jetzt haben (ist für etwas geschaffen wurden) auch nicht klar gewesen wie rechnet sich das durch und es hat sich ja über lange ja äh Jahrzehnte gerechnet und jetzt fehlt bricht langsam die Basis weg das man sagt das funktioniert so nicht mehr die Säulen auf denen das System aufgebaut ist“ (ebd.). 276 FGSoz 47. 277 FGSoz 49.
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Dieser positiven Aufladung der Gruppendeutung kann der Sozialamtsleiter nicht zusehen. In einer über siebenminütigen – und damit bisher längsten – Wortmeldung278 spricht der Protagonist der Erwerbsgesellschaft über die Logik des Sozialstaats bis hin zur Sozialhilfe, über die Höhe eines Grundeinkommens, Grundeinkommen als „Geschenk“279, technische Fragen des Mehrbedarfs als Problem, bestätigt sein Normativ der Erwerbsgesellschaft, spricht über Schwarzarbeit als Problem und über „Working poor“. Die emotionale Rhetorik der Gefahr erfährt eine weitere Zuspitzung, indem der Sprecher das Bild einer Katastrophe zeichnet, einer „Gasexplosion“, und der dadurch verarmenden Sozialstaatsklientel. In der Welt des Grundeinkommens folgt der soziale Absturz.280 Wie gehen die Befürworter mit dieser Vision der Katastrophe um? Eine argumentative Auseinandersetzung, die einen gemeinsamen Bezugsrahmen der Deutung voraussetzt, erscheint nicht mehr möglich. Bis zur Schließung der Sequenz dominieren die Befürworter mit zehn längeren Wortmeldungen den dynamischen Verlauf. Dieser ist durch Nervosität gekennzeichnet, durch schnell sprechende TeilnehmerInnen, schnelle Anschlüsse und unterbrochene Redebeiträge. Lediglich in zwei Sequenzen kommt der Amtsleiter noch ausführlicher zu Wort, indem er letztlich seine Ablehnung auf eine Ebene der Fiktion transformiert und damit endgültig die Ebene der Argumentation verlässt.281 Wie gestaltet sich die Diskursorganisation bis zur Schließung der Sequenz? Eine Strategie der Befürworter besteht darin, sich in dem geschützten Raum der Assoziation zu „retten“. Diese Strategie fährt die nun anschließende Referentin.282 Die Sprecherin bricht mit dem Diskursverlauf, indem sie sich einfach auf den Stimulus zurück bezieht. Diesen Bezug aber wendet sie zum „Angriff“, indem explizit der Arbeitsbegriff des Vorredners in Frage gestellt wird. Zum einen sei dieser auf Erwerbsarbeit verengt, zum anderen tauge diese nicht als alleiniges Modell für die Zukunft.283 „Bismarck“ 284 erscheint als Metapher für ein überkommenes Konzept. Dieser Deutungsrahmen ist Gruppenkonsens.285 Nicht mehr alle werden „ihre Arbeit
278 FGSoz 51-59. 279 Als sehr stark erweist sich die Deutung des Grundeinkommens als unangemessenes Geschenk im Zusammenhang mit Schwarzarbeit. 280 „das können Sie vergessen da sind Sie nach 14 Tagen arm wie ne Kirchenmaus“ (FGSoz 51); „[Sie haben keinen Autounfall mehr weil Sie kein Auto mehr haben“ (FGSoz 59). 281 FGSoz 71, 96. 282 FGSoz 63. 283 „weil ich das für mich nicht mehr davon überzeugt bin dass wir zukünftig oder mittelfristig so viel Arbeit haben werden dass unsere Sozialversicherungen davon leben können“ (ebd.). 284 Ebd. 285 „Arbeit wird sicher anders verteilt (.) es wird ja nicht immer heißen Vollarbeit sichert meine Existenz sondern ich könnte sagen mir reichen 20 Stunden in der Woche mit dem was ich dazu verdiene und habe davon (.) und meine Arbeit das ist für mich auch so sehe ich das ist ganz klar Vollbeschäftigung ist längst gestrichen wir werden das System wird sich so nicht mehr halten dass alle ihre Arbeit kriegen und davon leben können“ (FGSoz 78); „aber für die Betroffenen (die wissen) ich bin
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kriegen und davon leben können“286, gleichzeitig wird Arbeit ihre Integrationsfunktion nicht abgesprochen. Diese bedingt ein positives „Selbstwertgefühl“287, bringt „Anerkennung“288. Am Beispiel ehrenamtlicher Tätigkeit soll sich versichert werden, dass Arbeit „mit Geld gar nichts zu tun“ hat.289 Die Gruppe ringt um Grundeinkommen als dem Neuen, indem sie beginnt, eine teleologische Perspektive einzunehmen. Aufruhend auf einer „noch“ vorhandenen „sozialen Marktwirtschaft“290 und gepaart mit der Krisendiagnostik der Erwerbsgesellschaft, begeben wir uns in einen „Lernprozess“291, in eine „Entwicklung“292, wir müssen ein „ziemliches Umdenken“293 leisten, die Gesellschaft steht vor der „Herausforderung“294. Wir sind auf dem Weg in eine Grundeinkommensgesellschaft und haben Elemente dieser bereits vor uns – etwa beim Kombilohn. Diese Gesellschaft wird als „Vision“295 gedeutet. Trotz dieser sich selbst versichernden Gruppe bleibt Unsicherheit als strukturierendes Merkmal. Für die Sozialarbeitsgruppe als zentral erweist sich die Missbrauchsthematik. Beginnend in der Stimulussequenz296 durchzieht dieser Topos in verschiedenen Aspekten den Diskursverlauf: gleich zu Beginn mit der Chiffre „Hängematte“ eingeführt,297 vom Amtsleiter wird Grundeinkommen als missbräuchliche Verteilung staatlicher Gelder gedeutet.298 In der Sequenz des Schlagabtauschs ringt die Gruppe mit dem Thema in der Spannung von erwarteter Freiheit in einer Grundeinkommensgesellschaft und der Frage, ob der Mensch faul ist. Hier zeigt die Gruppe deutliche Verunsicherung, was sich am Festhalten am Gegenleistungsprinzip299 massiv ausdrückt, an der Frage wie viele denn missbrauchen,300 aber auch in der Assoziation von Gegenleistungsprinzip und der Beteuerung, „an das Gute im Menschen [zu] glauben“301. Das „Gute“ ist Tätigkeit, die in der Gruppe dominant zwar nicht als Erwerbsarbeit, in
286 287 288 289 290 291 292 293 294 295 296 297 298 299 300 301
abgeschrieben komm da nicht mehr vor im System“ (FGSoz 80); „und die anderen haben keine Chance hineinzukommen“ (FGSoz 82). FGSoz 78. FGSoz 82. Ebd. FGSoz 86. FGSoz 63. FGSoz 69. FGSoz 76. FGSoz 78. FGSoz 90. FGSoz 69, 94. FGSoz 25. FGSoz 25. FGSoz 29. FGSoz 31. FGSoz 39. FGSoz 92.
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alternativen Formen jedoch gemeinwohlorientiert gedacht wird.302 Einen „turn“ im Diskursverlauf der Schlagabtauschsequenz stellt die Aussage des Schulleiters dar.303 Hier sehen wir die Drehung der Deutung zu Müßiggang oder Faulheit. Die Gruppe hat sich vergewissert über die Abkehr vom Normativ der Erwerbsarbeit sowie deren ausschließende Wirkungen heute, die Anerkennung alternativer Arbeitsformen und deren psychologischer und anthropologischer Notwendigkeit, und schließlich deren Gemeinwohlbezug. Das als solches zwar implizit erkannte, jedoch nicht explizit benannte Freiheitsproblem scheint von der Gruppe „gelöst“ worden zu sein. Bis zur Sequenz des Amtsleiters304 sehen wir eine Abfolge von Beiträgen der Befürworter, die dem inhaltlich wenig hinzufügen, jedoch der Selbstversicherung dienen. Diese führt dazu, dass die bereits eingeschlagene Immanenz die Richtung einer Machbarkeitsprüfung andeutet.305 Gefragt sind der Staat und seine „Verantwortung“306 oder finanzielle Aspekte.307 Wenn wir uns nun die folgende Aussage des Amtsleiters ansehen, so müssen wir bedenken, dass seine bisherigen – argumentativen wie emotionsgeladenen – Versuche, das Gruppengeschehen zu korrigieren, gescheitert sind. In den vergangenen zehn Minuten haben die Befürworter entscheidende Schritte der eigenen Vergewisserung getan. Dem Realismus der Arbeitswelt steht ein Idealismus des Grundeinkommens gegenüber.308 Insofern erscheint die nun angeschlagene und finale Strategie des Amtsleiters, Grundeinkommen auf der Ebene des Geistigen, der Idee zu zerstören, als ausgesprochen passfähig. Sein Beispiel ist ein fiktionaler Text von Stanisaw Lem309, der in einem Werk eine fiktive Grundeinkommensgesellschaft geschaffen hat: „äh das ging am Ende wenn ich mich richtig erinnere im Chaos.“310 Wir können davon sprechen, dass der Amtsleiter durch diesen rhetorischen „Trick“ – fern jeder Empirie – das Visionäre, die Idee eines in der Runde positiv gedeuteten Grundeinkommens zerstören will. Die Sequenz belegt zudem, dass die Ebene der sachhaltigen Argumentation verlassen ist. Aus der anfänglichen Skepsis auch der Befürworter über Menschenbild und Gegenleistung ist eine Selbstsicherheit geworden, auf die der Gegner des Grundeinkommens nicht mehr argumentativ, sondern zugespitzt in seiner mehrfach angeschlagenen alarmistischen Rhetorik antwortet.
302 303 304 305 306 307 308
309 310
FGSoz 31, 33. FGSoz 82. FGSoz 96. Im späten Verlauf der zweiten Hälfte der Gruppendiskussion nimmt die Gruppendiskussion die Gestalt einer Machbarkeitsstudie an (FGSoz 231, 234, 246, 270). FGSoz 88ff. FGSoz 94. Immer wieder verweisen die Befürworter auf Grundeinkommen als „Idee“, als „Vision“ und äußern ihre „Fragen“ (FGSoz 35, 45, 69 usf.). Mit Äußerungen wie „das ist eine richtige visionäre Idee“ (FGSoz 169) wird deutlich, dass die Deutungen zum Grundeinkommen auf der Ebene des Geistigen liegen und anfällig sind, wie gezeigt beispielsweise durch anthropologische Vorannahmen zur Faulheit des Menschen. Polnischer Philosoph, Essayist und Science-Fiction-Autor (19212006). FGSoz 96.
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Die gesamte Sequenz abschließend äußert sich der Intellektuelle, der die letzte halbe Stunde Zuschauer des Geschehens war.311 Dieser steigt direkt ein, indem er die von ihm wahrgenommene Gruppendeutung des Gegenleistungsthemas kritisiert. Dies korrigiert er anknüpfend an die Deutung des Amtsleiters, Gegenleistung sei ein entwürdigendes Geschenk.312 Weitere Themen, bei denen sich der Sprecher hoch reflexiv zeigt, sind: eine auf Tausch basierte Gesellschaft, Erwirtschaftung und Verteilung eines Grundeinkommens, die Frage der Faulheit, sowie die Zurückweisung des von ihm offenkundig wahrgenommenen Missbrauchsarguments. Abschließend kommt der Sprecher auf die Frage der Freiheit. Im Gruppenverlauf erwies sich Freiheit als großes Problem, denn auf der Folie einer eingeforderten Gegenleistung erweist sich die Freiheit zur Faulheit als nicht hinnehmbar: „ob ich es so verstehe dass äh ja ich Freiheit habe für (!) mich und andere zusätzlich etwas zu tun (.) und die Frage halte ich nicht für entschieden aber gleichzeitig für die Kernfrage beim Grundeinkommen.“313 Das Unbehagen des Intellektuellen an der Bearbeitung der Idee eines Grundeinkommens im Milieu der Sozialarbeit verweist auf deren Spezifika. Bereits von Beginn an wird Grundeinkommen positiv gesetzt. Milieuspezifisch zu erwarten finden die Gruppenakteure – doxisch fundiert – gute Gründe: die Krise der Erwerbsarbeit, die Krise des Sozialstaats sowie dessen repressiver Umgang mit seiner Klientel.314 Zur Geltung kommt der wenig überraschende implizite Fokus der Gruppenteilnehmer auf die eigene Klientel der Armut und Sozialpädagogik, der als Maßstab der Beurteilung des Grundeinkommens zu Rate gezogen wird. Der gesamte Gruppenverlauf ist geprägt von Befürwortern, die zwar durch den Kritiker massiv verunsichert werden, diese Unsicherheit jedoch sozial-kommunikativ auszuräumen versuchen. Es verbleiben massive Ambivalenzen oder Inkonsistenzen, die sich inhaltlich insbesondere am Gegenleistungsnormativ und dem Missbrauchsthema festmachen. Aufschlussreich ist hierbei die Verschiebung von Normativen der Normalarbeit auf alternative Beschäftigungsformen, die Krisenszenarien im Deutungsmuster integrieren, jedoch den konservativen, tradierten Rahmen nicht verlassen. Im Deutungsmuster des Missbrauchs wird der eigenen Klientel im tradierten Sozialstaat im Diskursverlauf ein „Beharrungsvermögen“ zugeschrieben und für die Zukunft individuelle Verantwortungsübernahme eingefordert. Hier zeigt sich ein anderes Bild als die Analyse der Experteninterviews, wo Individuen durch einen starken Staat entlastet werden sollen. Die anfänglich
311 312 313 314
FGSoz 103. FGSoz 51-55. FGSoz 103. „Doxa“ ist ein zentraler theoretischer Begriff bei Bourdieu (1998). Gemeint ist die vollständige Dialektik von Struktur und Praxis, die dem Habitus sozialer Akteure die Eigenschaft der „Natürlichkeit“ der vertrauten Welt gibt. In Bezug auf Deutungsmuster ist damit gemeint, dass diese als implizite Strukturen volle normative Geltung beanspruchen.
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sachhaltige und argumentative Bearbeitung des Themas Grundeinkommen weicht zunehmend der emotionalen, polemischen und alarmistischen Rhetorik – bei Befürwortern wie dem Kritiker. Insgesamt können wir festhalten, dass die Sozialarbeitsgruppe für die Innovation Grundeinkommen votiert, den Bruch mit tradierten Normativen der Erwerbsarbeitsgesellschaft jedoch nicht vollzieht und damit massive Ambivalenzen in den Deutungsmustern verbleiben.
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Wie gestaltet sich die Eröffnung durch den Diskussionsleiter in der Wirtschaftsgruppe315? Die Eröffnung ist mit sechs Minuten etwas länger als die in der Sozialarbeitsgruppe316 Regeln des Settings werden analog werbend vorgestellt, jedoch die Rahmung der Zielgruppe stärker auf „Eliten“ bezogen. Inhaltlich erläutert der Diskussionsleiter nicht, um was es sich beim Grundeinkommen handelt, ebenso wenig wie seinen persönlichen Bezug zum Thema. Auch die Personenvorstellung gibt keine Informationen über seinen eigenen Bezug zum Grundeinkommen. Den TeilnehmerInnen ist der Stiftungsschwerpunkt auf Wirtschaftethik bekannt, die Rahmung des Projekts zur Erforschung der „Werteorientierung“ kann daher den TeilnehmerInnen als kohärent erscheinen. Im deutlichen Kontrast zur Sozialarbeitsgruppe erfolgt in der Eröffnungssequenz somit keinerlei normative Strukturierung des Themas durch den Diskussionsleiter oder Erwähnung dessen eigener Prominenz. Dies erweist sich als konsistent zur bestehenden Fremdheit. Die Vorstellung der TeilnehmerInnen317 bringt – ebenfalls in Kontrast zur Sozialarbeitsgruppe – keinerlei inhaltliche Anknüpfung an das Thema Grundeinkommen. Somit können wir davon ausgehen, dass das Grundeinkommen eine geringe Relevanz für die Gruppe hat.318 Es besteht kein dringendes Bedürfnis, sofort kenntnisreich Bezug dazu zu nehmen. Einschränkend ist jedoch zu beachten, dass zu diesem Zeitpunkt mit dem freien Finanzmakler lediglich ein Teilnehmer anwesend ist, der sich auf die Einladung selbst angemeldet hat. Nun folgt die Setzung des Stimulus durch den Diskussionsleiter.319 Es zeigt sich keine suggestive Strukturierung, eher ein vorsichtig werbend vorgetragener Stimulus,
315 316 317 318
Die Wirtschaftsgruppe wird im Folgenden mit „FGWir“ gekennzeichnet. FGWir 3. FGWir 4-15. Wir haben bereits bei der Darstellung der Rekrutierung die Hypothese formuliert, dass die spezifische Rekrutierung über den Stifter Motiv der Teilnahme ist, was sich als kohärent erweist zur Vermutung der geringen Relevanz. 319 „Ähm (.) wir jetzt gehen nun folgendermaßen vor (.)(.) wir ((Mitarbeiter blättert Flip Chart auf)) (.) haben uns einen so genannten Eingangsstimulus überlegt. Also einen Satz (.) eine Definition des Problems (.) und (.) unsere Bitte ist (.) dass sie zu diesem Satz (.) zu diesem Gedanken mitteilen was Ihnen einfällt. Die Gedanken die Sie dazu haben (.) positive wie negative (.) zweifelnde (.) und das
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mögliche Zweifel bei der Bearbeitung des sogar als „Problem“ beschriebenen Grundeinkommens werden antizipiert. In gewisser Weise steht mit der angeschlagenen Rahmung für die TeilnehmerInnen die Diskussion eines Themas an, welches als schwach erscheint und vielleicht ohne Kontext im Raum steht. Die kommunikative Strukturierung des Themas zeigt somit einen maximalen Kontrast zur Sozialarbeitsgruppe. Methodisch führt das zu der günstigen Situation, dass sich die TeilnehmerInnen spontan und situativ miteinander über das Thema verständigen können. Diese Anforderung scheint aber überraschend zu sein. Nach einer Pause von sieben Sekunden, in der keine Wortmeldung anschließt, schiebt der Diskussionsleiter die Regelsetzung noch einmal nach. Während wir bei der Sozialarbeitsgruppe eine Stimulussequenz identifizieren können,320 in der alle Teilnehmer sich geordnet nacheinander äußern, entsteht durch die Setzung des Stimulus hier, zunächst etwas zögerlich, dann jedoch zunehmend, ein ungeregelter, hoch dynamischer diskursiver Verlauf. Eine Gestalt zu identifizieren, die den Gruppenverlauf analytisch erfassbar macht, ist dennoch möglich. Diese Gestalt bezieht sich auf zwei entscheidende Strukturmerkmale des diskursiven Verlaufs: Zum einen auf das Verhältnis von Befürwortern und Kritikern des Grundeinkommens. Zum anderen auf das Verhältnis von Diskussionsleiter und Gruppe. Wie sich zeigen wird hängen beide Strukturmerkmale zusammen, und verweben sich zunehmend über die assoziative Sequenz hin.321 Das Verhältnis von Befürwortern und Kritikern ist schnell abgesteckt. Fast von Beginn an strukturieren drei machtvoll auftretende Sprecher den Diskursverlauf, der durchweg ablehnend ist.322 Diesen dominierenden Gruppenakteuren begegnen, insbesondere in einer zunächst sehr kontroversen Sequenz, ein Sprecher und eine Sprecherin mit einem positiven Gegenhorizont.323 Dieser Gegenhorizont kann – geschützt durch die Regel
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wird sich dann ergänzen ich (.) noch mal ein Grundeinkommen ist ein Einkommen das in einem politischen Gemeinwesen an alle seine Mitglieder ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Gegenleistung individuell ausgezahlt wird (.) es ersetzt oder ergänzt je nach Modell die klassischen Sozialtransferleistungen des Staates. Frage (.) Was glauben Sie (.) ist das Einkommen ohne Gegenleistung eher gut oder eher schlecht für den Einzelnen bzw. für die Gesellschaft (7)“ (FGWir 17). FGSoz 25-32. FGWir 19-166. Wir können diese Beobachtung auch anhand der Körperhaltung der TeilnehmerInnen machen. Dass die Wirtschaftsgruppe nicht ausgewogen ist, lässt sich bereits an der lässigen bzw. angespannten Körperhaltung ablesen. Als besonders „gewichtig“ erweisen sich der Begründer und Geschäftsführer eines IT-Beratungshauses mit 200 Mitarbeitern europaweit, ein Private-Equity-Unternehmer sowie der Leiter eines kleinen Softwareunternehmens mit 9 Mitarbeitern. Alle drei sind auf persönliche Einladung des Stifters per E-Mail hin anwesend. Loyalitätsmotive sind daher wahrscheinlich. FGWir 29-85. Hierbei handelt es sich um die Unternehmensberaterin wie den Geschäftsführer einer Werbeagentur. Im Verlauf erweisen sich weniger autonome Teilnehmer in ihren Argumenten stellenweise als pro Grundeinkommen.
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der Assoziation – einige Zeit den aggressiven kommunikativen Strategien der dominierenden Kritiker widerstehen. Erster Höhepunkt ist die Selbststilisierung des Private-Equity-Unternehmers als Diskussionsleiter.324 Nach einer diskursiven Beschleunigung und Verdichtung, bei der auch der erst später hinzugekommene Gewerkschafter gegen Grundeinkommen argumentiert, hat sich endgültig ein diskursprägender Konsens in der Gruppe herausgebildet.325 Diese Deutung gibt dem Begründer und Geschäftsführer eines IT-Beratungshauses den Anlass, nicht nur das Thema, sondern sogar das Setting und den Diskussionsleiter grundlegend in Frage zu stellen.326 Diese Infragestellung erscheint als Reaktion auf den problematisierenden Stimulus durchaus konsistent, belegt jedoch, dass die Gruppe die Fragestellung nicht versteht, das Wenige an Normativität und Berechtigung der Fragestellung nicht aufnimmt. Darauf hat sich die Gruppe im Verlauf konsensuell verständigt. Logische Konsequenz kann das Aufbegehren sein, was nun geschieht und auf die zugrundeliegenden Motive der Forschungsfrage zielt.327 Bereits vor der temporeichen und polemischen Verdichtung328 hat die bis dahin zustimmende Unternehmensberaterin ihre positive Haltung durch klare Rollendistanz relativiert,329 und damit die Gruppe der Befürworter geschwächt. Jedoch gibt es gute Gründe, nicht von „Befürwortern“ des Grundeinkommens zu sprechen. Denn für diese hat Grundeinkommen die Funktion einer Metapher, an der sie ihre (Problem-) Deutungen abarbeiten, die selbstreferenziell dem Wirtschaftssystem immanent sind und feldspezifischen Funktionsimperativen dienen. Eine sachhaltige Auseinandersetzung mit dem Grundeinkommen findet im dominierenden Diskurs nicht statt.330 Während wir in der Sozialarbeitsgruppe von einer letztlich hergestellten grundeinkommensimmanenten Auseinandersetzung sprechen können, verbleibt die Wirtschaftsgruppe bei einer Betrachtung von außen. Eine in Ansätzen sachhaltige Auseinandersetzung geschieht erst in der zweiten, diskursiven Sequenz mit einem durch die legitimative Herausforderung sehr aktiven Diskussionsleiter.331 Die assoziative Sequenz332 beginnt – etwas zögerlich und vom Diskussionsleiter positiv quittiert – mit der Wortmeldung des Geschäftsführers einer Werbeagentur.333
324 325 326 327 328 329 330
FGWir 63. FGWir 89-120. FGWir 122, 141ff. FGWir 141ff. FGWir 89-120. FGWir 85. „Unterhalb“ der kommunikativ machtvoll agierenden Akteure werden aber durchaus Argumente angeführt, wie etwa durch den Vertreter des Sozialverbandes oder den Gewerkschafter. 331 Ab FGWir 169. 332 FGWir 19-166. 333 FGWir 19. Wir konnten bei der Sozialarbeitsgruppe eine Eingangssequenz identifizieren, zu der Eröffnung, Vorstellung der Personen, Stimulus und eine alle Sprecher einschließende erste Assoziationsrunde gehören. Eine Unterscheidung zwischen Stimulus und einer darauf folgenden Sequenz ist in der Wirtschaftsgruppe nicht möglich, da nach Setzung des Stimulus sofort ein hoch dynamischer Verlauf beginnt. Von einem ausgewogenen, geordneten Diskurs ist nicht zu sprechen.
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Sofort steigt der Sprecher assoziativ auf die normativ gesetzte Gegenleistungsfrage ein und lehnt Gegenleistungslosigkeit ab mit der Begründung, Menschen könnten „ein schlechtes Gefühl“ bekommen, dass etwas ohne Gegenleistung erhaltenes „nichts wert“ sei.334 Im Feld der Wirtschaft überrascht eine Deutung in Dimensionen von Leistung und Wert wenig, die Ablehnung entsprechend intuitiv konsistent.335 Leistungsdenken darf als unerschütterlicher, doxischer, normativer Geltungshorizont in der Wirtschaftsgruppe vorausgesetzt werden – als zentrales Deutungsmuster. An der Sequenz fallen verschiedene Merkmale auf: Zum einen denkt der Sprecher scheinbar grundeinkommensimmanent, indem er fragt „wie man die Menschen mitnimmt mit welcher Motivation man sie ausstattet“336. Bezieht sich dieses Nachdenken jedoch auf Grundeinkommen selbst? Das Thema der Motivation wird dabei immer wieder als Knackpunkt diskutiert. Die assoziative Verwirrung des Sprechers, verbunden mit dem Eingeständnis „wie gesagt (.) ich setze mich heute zum ersten Mal damit auseinander“337, sowie dem fast rituellen Wiederholen der Formeln vom „Menschen mitnehmen“ und „motivieren“, deutet auf eine andere Lesart. Hier spricht ein Werbefachmann, der strukturell Dinge für möglich hält, auf Machbarkeit prüft und Menschen für diese Dinge gewinnen will. Hier spricht zudem ein Unternehmer, der implizit das Menschenbild eines zu motivierenden, zu aktivierenden Menschen vertritt. Eine implizite Fokussierung auf Menschen in Unternehmen deutet sich an, ebenso wie ein gewisses Misstrauen gegenüber diesen. Insgesamt können wir festhalten, dass der Sprecher keine Stellung – pro oder contra – zum Grundeinkommen bezieht, sondern das Thema in einer feldtypischen Weise behandelt. Als zweiter Sprecher äußert sich – ebenfalls zögerlich nach einer Pause von sieben Sekunden – der Unternehmer einer kleinen Softwarefirma, indem er knapp aber klar Gegenposition bezieht.338 Der Sprecher assoziiert zwei Themen, die er mit großer habitueller Sicherheit vorträgt: Freiheit339 und Leistungsdenken340. Beide Prinzipien erweisen sich als konstitutiv für das Wirtschaftssystem speziell sowie für die „Soziale Marktwirtschaft“ allgemeiner, und werden vom Sprecher auf der Ideenebene gegen die Idee eines Grundeinkommens geführt. Der Konjunktiv („ich hätte damit ein gro-
334 „Also so wie das dasteht (.) ohne Gegenleistung würde ich erst mal sagen das ist was Schlechtes (.) weil irgendetwas (.) was keine Leistung keine Gegenleistung hat ist nichts wert“ (ebd.). 335 Die explizite Ablehnung des „ohne Gegenleistung“ kontrastiert das eigentümlich implizite Beharren am Gegenleistungsdenken in der Sozialarbeitsrunde. 336 FGWir 19. 337 Ebd. Explizit bestätigt der Sprecher damit unsere bisherige Hypothese der geringen Kenntnis und damit geringen Relevanz des Grundeinkommens für die Gruppe. 338 FGWir 23. 339 „das Ende der Freiha- der Freizügigkeit“ (ebd.). 340 „Leistung und Gegenleistung (.) als Grundprinzip und alles andere ist die Ausnahme. Das wird damit auf den Kopf gestellt“ (ebd.).
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ßes Problem“) unterstreicht, dass der Sprecher keine Gefahr sieht, die Idee für theoretisch und völlig unrealistisch hält. In der folgenden Sequenz341 überlappen sich zwei Redebeiträge. Der PrivateEquity-Unternehmer hebt an und bestätigt die Fremdheit dieses Denkens („Das ist eine ganz andere Gesellschaftsform“342), worauf ihn der vorherige Sprecher unterbricht und mit dem Menschenbild („Das Menschenbild ist anders“343) einen weiteren Aspekt der Fremdheit auf der Ideenebene anführt, hierzu Konsens herstellt. Bereits diese kurze dynamische Eingangssequenz zeigt, dass Grundeinkommen als eine Idee und als fremd identifiziert, argumentativ abgelehnt und als harmlos eingestuft wird. Dieses bereits nach kurzem Diskursverlauf abgeschlossene Denken stellt eine große habituelle Sicherheit zur Schau. Ein klares Urteil zeigt dementsprechend auch der weiter sprechende Private-Equity-Unternehmer, indem er auf der Ideenebene verbleibend über Menschenbild344, Gesellschaftsordnung345 und wahrscheinliche Konsequenzen346 assoziiert und die Idee als nicht ernst zu nehmend entwertet („sowas“). Grundeinkommen zerstört das Bild frei und leistungsorientiert konzipierter Menschen, macht sie zu abhängigen Bittstellern („Almosenempfänger“). Mit dieser Deutung kommt unter der Hand die Instanz ins Spiel, die diese Bittsteller erzeugt: der Staat. Sofort schließt die Unternehmensberaterin an.347 Die Anknüpfung erfolgt über eine Affirmation.348 Die etwas verlegen geäußerte Frage des „Wollens“ überschreitet jedoch den negativen Horizont der Vorredner, den die Sprecherin wahrnimmt und explizit zurückweist: „ich (assoziier) das eben halt etwas positiver und traue eben halt da auch den Einzelnen.“349 Offenkundig steht für die Sprecherin ein Menschenbild des Misstrauens im Raum. Eindeutig konnten wir dieses beim ersten Sprecher als Zweifel an der Motivation ausmachen.350 Worin aber besteht das unterstellte Misstrauen bei den beiden anderen Sprechern? In einem Menschen, dem der ganze morali-
341 342 343 344 345 346
347 348 349 350
FGWir 25-28. FGWir25. FGWir 26. „dem Menschenbild wenn ich auf die Eigenständigkeit des Menschen setze und ihn fördern will eigenständig zu leben und eigene Endscheidungen zu treffen (.) was schwer genug ist (.) dann darf ich sowas nicht machen. Das ist das Ende davon“ (FGWir 28). „Wenn ich aber die jetzige die freie Marktwirtschaft haben will dann kann ich sowas nicht machen“ (ebd.). „Und für die Gesellschaft ist das nach meinem Bild und den Leuten es kost ein Wahnsinns Geld (.) und ich bekomm Almosenempfänger die nebenbei ihrer Leidenschaft für weitere Tätigkeiten sprich Schwarzarbeit (.) nachgehen. Das ist vorprogrammiert. Äh (.) das Einzige was man unbedingt fördern muss (.) und das ist die andere Seite (.) sind die Menschen die leisten können und darauf muss man sich konzentrieren. Hab halt so ein (fertiges) Menschenbild von der Gesellschaft“ (ebd.). FGWir 29. „Und ich denk es ist in der Tat ne Frage (.) welche Gesellschaft äh (.) wir haben äh (.) wollen“ (ebd.). Ebd. FGWir 19.
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sche, rechtliche, ökonomische Druck einer Gegenleistungsforderung zuteil werden muss, damit Leistung erbracht wird? Zumal der „befreite“ Mensch sich der – egoistischen – Schwarzarbeit zuneigt.351 Es ist nicht klar zu entscheiden, ob die Sprecherin ihre Diagnose auf den Gruppendiskurs bezieht oder auf ein vorgängiges kulturelles Muster. Gesichert ist, dass latent das mit Misstrauen befleckte Menschenbild eines zu aktivierenden Menschen im Raum steht. Die Sprecherin assoziiert die bestehende Absicherung der Menschen im Sozialstaat unter der Bedingung, „ihre Arbeitskraft zur Verfügung zu halten“ und hebt so zu einer Kritik ineffizienter Sozialverwaltung an.352 Diese Kritik erweist sich als Folie pro Grundeinkommen, als Definition eines objektiven Handlungsproblems sowie möglicher Lösungsstrategien.353 Dahinter steht folgendes Muster: Während der „Standard-Sozialhilfeempfänger“ versucht, „den Status Quo immer aufrecht zu erhalten“, daher von der repressiven Sozialverwaltung aufgezwungene Programme lediglich über sich ergehen lässt,354 führt ein bedingungsloses Grundeinkommen zu einem Wandel. Gegen das Bild der Beharrung wird ein Bild des Wandels gesetzt, welches gemeinwohlverpflichtend definiert wird.355 Repression führt, so unterstellt die Sprecherin, zu Passivierung und nicht zur Aktivierung. Diese ist anzustreben. Das in der Diskursorganisation neue und Grundeinkommen legitimierende Motiv des repressiven Sozialstaats kennen wir aus der Sozialarbeitsgruppe. Möglicherweise diagnostiziert die Sprecherin Misstrauen als ein verallgemeinertes kulturelles Muster, was auch in der Praxis der Sozialverwaltung ablesbar sei. Diesem Bild stellt die Unternehmensberaterin das Bild einer intrinsischen Motivation gegenüber.356 Im Raum steht nun eine Spannung zwischen radikaler Ablehnung und einer Problemdiagnose, die für ein Grundeinkommen sprechen soll. Knackpunkt ist das Menschenbild und die Frage: Freiheit (und Motivation) oder Repression. Was passiert mit dieser Spannung? Sofort schließt der Gründer und Geschäftsführer eines großen ITBeratungshauses an und steigt in die Position der grundsätzlichen Ablehnung ein.357 Hierbei reproduziert er mehrere Muster: die Bearbeitung und habituell gesicherte Ablehnung des Themas auf der Ideenebene, die Affirmation des „Leistungsgedankens“
351 FGWir 28. 352 „nur was wir in Deutschland natürlich haben (.) ähm (.) wenn man sich da wenn man da wirklich ein bisschen so dahinter kuckt (.) das Ganze muss verwaltet werden das wird nicht nur verwaltet (.) das wird überprüft (.) ähm (.) es wird ein also ein heiden TamTam darum gemacht ähm (.) das Ganze eben mal aufrecht zu halten und auch das kostet jede Menge Geld“ (FGWir 29) 353 „vielleicht könnte man mal in die Richtung denken (.) was für Kreativität freigesetzt wird“ (ebd.). 354 Deren vielfältige Maßnahmen sowieso ins „Nirwana gehen“ (ebd.). 355 „ähm (.) eher sich sagen (.) Mensch (.) jetzt bin ich bedarfsmäßig abgesichert (.) jetzt tu ich was für die Allgemeinheit oder ich ähm (.) ja ich äh (.) ich tu was für die Allgemeinheit oder ich tu was für meine Bildung zum Beispiel (.)“ (ebd.). 356 Auch dieses Deutungselement findet sich in der Sozialarbeitsgruppe (z.B. FGSoz 33). 357 FGWir 31.
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verbunden mit der Assoziation, Grundeinkommen widerspräche diesem,358 sowie den Missbrauchsdiskurs. Der Missbrauchsdiskurs kommt explizit ins Spiel mit einer neuen, dritten Deutung von Staat. Neben dem Staat als Instanz zur Erzeugung von Almosenempfängern359 und als repressive Sozialverwaltung360 tritt die Deutung eines in der Grundeinkommensgesellschaft sich ermächtigenden und die Bürger täuschenden Staates. Da der Staat nämlich von den Leistungsträgern, „diejenigen, die produzieren und Leistung erbringen“, Steuern erhebt, und diese dann als „ein Grundeinkommen ausgibt“. Die „doppelte Verschleierung“ bezieht sich zum einen auf den Anschein, der Staat gebe etwas von sich selbst, was in Wahrheit die Leistungsträger vorher selbst erwirtschaftet haben, zum anderen auf die Unterstellung, Menschen würden durch Grundeinkommen nicht mehr als über Lohnarbeit integrierte Leistungsträger zur wirtschaftlichen Reproduktion des Systems beitragen und dieses somit gefährden.361 Diese Unterstellung reproduziert den bereits prägenden Misstrauensdiskurs von zu aktivierenden Menschen. Die Unternehmensberaterin möchte widersprechen („also“), indem sie eine entscheidende Verknüpfung herstellt: „Also dieses Grundeinkommen bedingt ja auch (.) ähm (.) ja wirklich noch mal diese Idee welche Gesellschaft wollen wir haben (.).“362 Einerseits belegt der Satz die fehlende Differenzierung selbst bei Befürwortern („dieses Grundeinkommen“), was auf geringes Wissen und Relevanz hindeutet. Andererseits – damit verbunden, aber zentraler – sieht die Sprecherin Grundeinkommen als Ursache („bedingt“) dafür, die im Raum stehende allgemeinere Frage nach der Gesellschaftsform zu stellen.363 Diese Sequenz zeigt, dass sich nicht einmal die „wohlwollenden“ Sprecher dem Thema Grundeinkommen selbst zuwenden, dieses vielmehr als Metapher funktioniert. Auch bei wohlwollenden Sprechern greift die Strukturierung des Eingangs,364 die Grundeinkommen als schwach und ohne Kontext darstellt, und sie können den Raum inhaltlich nicht füllen. Auf der grundsätzlicheren Ebene, der Frage nach der Gesellschaft, fordert die Sprecherin – gegen den latenten Misstrauensdiskurs – Vertrauen ein. Als kontraintuitiv und inkonsistent erscheint vor dieser Folie die vorgebrachte Diagnose eines Wirtschaftssystems, das durch äußerst passive Mitarbeiter gekennzeichnet ist.365 Passive „Standard-Sozialhilfeempfänger“ hatte die Spre-
358 „Die grundsätzliche Frage die (.) also die (.) die Schönheit des Gedankens Grundeinkommen (.) ich sag das bewusst Schönheit (.) hmm (.) für mich konterkariert durch die Tatsache dass ein Grundeinkommen eine Umkehrung des Leistungsgedankens ist“ (ebd.). 359 FGWir 28. 360 FGWir 29. 361 „wenn wenn der Staat sich in eine Position aufschwingt in der er doppelt verschleiert was er tut indem er dann am Ende ein Grundeinkommen ausgibt (.) ähm (.) hat-hat natürlich ein Problem und (!) wird per Problemgrundlage auf diese Weise unterwandert“ (FGWir 31). 362 FGWir 33. 363 „Also dieses Grundeinkommen bedingt ja auch (.) ähm (.) ja wirklich noch mal diese Idee welche Gesellschaft wollen wir haben (.)“ (ebd.). 364 FGWir 17. 365 FGWir 33.
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cherin bereits ausgemacht.366 Warum sollten wir den als passiv konzipierten Menschen nun Vertrauen schenken? Die Unternehmensberaterin entlastet diese und deutet den repressiven gesellschaftlichen Rahmen als ursächlich für den diagnostizierten Missstand.367 Vertrauen soll die Freiheit schaffen, die real nicht besteht – womit ein objektives Handlungsproblem definiert ist. Der Leiter eines kleinen Softwareunternehmens spricht nun überhaupt nicht mehr über Grundeinkommen, sondern steigt in die Diskussion von Misstrauen und zu aktivierenden Menschen ein.368 Der Sprecher legitimiert das „Fordern“, die Aktivierung. Hierzu folgt er nicht der „sauberen“ Ideendiskussion, sondern konstruiert eine Empirie der „Verkommenheit und Degeneration“369. Das zu gewährende Vertrauen, was die Vorrednerin einfordert, führt in diesem emotionalen und alarmistischen Deutungsmuster zu individuellem – und wohl auch gesellschaftlichem – Verfall. Die Spannung, die nun im Raum steht, bezieht sich auf das Menschenbild: Freiheit oder Repression? Eröffnet ist ein emotional aufgeladener Diskursraum. Die Unternehmensberaterin spürt die Spannung und möchte darauf eingehen, woran sie vom Setting jedoch gehindert wird.370 Mit Ausnahme einer kurzen Intervention durch den Diskussionsleiter371 spricht sie sehr ausführlich fast fünf Minuten.372 Gerahmt wird die Rede von persönlichen beruflichen Erfahrungen, die die Sprecherin zu einem Wandel bewegt haben. Bereits vorher hat sie den von ihr antizipierten Widerspruch zwischen Vertrauen und Leistungsorientierung formuliert.373 Gegen die antizipierte Fremdwahrnehmung als Protagonistin des Vertrauens – damit verbunden als einzige Frau im Raum – wehrt sie sich mit einem ausdrücklichen Selbstbild der Leistungsorientierung.374 Die Aussage ist ambivalent: zum einen hält sie am Leistungsdenken fest, will sich machtvoll stilisieren. Zum anderen kritisiert die Sprecherin, dass Leistungsdenken
366 367 368 369
370 371 372 373 374
FGWir 29. „wollen wir diese Gesellschaft (.) also ich möchte sie nicht“ (FGWir 33). FGWir 35. „Also ich kenn drei Leute die aber durch das Thema Fordern aus dem Sumpf gekommen sind (.) die dann zum Teil fünfzehn Jahre in der Hängematte (..)Ich bin auf dem Dorf gibt es sehr unterschiedliche Menschen die man so trifft (.) die außer Fußball nichts mehr gemacht haben und jetzt auf einmal einer geregelten Arbeit nachgehen (.) weil das Spiel zu Ende war (.) das sie gespielt hatten (.) die wären ansonsten (.) äh (.) ich sach mal in fünfzehn Jahren tot gesoffen gewesen“ (ebd.). „Ja ist das (.) hn (.) ist das dann ähm (.) ich kann doch nicht ähm (.) das ist jetzt aber schon wieder Diskussion (.) ja (.) also“ (FGWir 37). FGWir 39-44. FGWir 37-50. FGWir 33. „ich bin eigentlich eher oder wurde von meinen Mitarbeitern eben mal eher so angesehen als ob ich eben halt die ultra fordernde ähm (.) harte bin und wirklich sehr sehr leistungsorientiert und obwohl meine Diskussion derzeit anders ist bin ich das weiterhin“ (FGWir 46).
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nicht alles ist und eine Gesellschaft ohne Vertrauen in die Menschen nicht auskommen kann. Die Rede reagiert damit auf implizite Diskursmotive: gegen Repression („das man die Dinge nicht erzwingen kann“375), gegen die Empirie „versoffener“ Arbeitsloser, gegen die Bewertung des Menschen an seiner Leistung.376 In den Diskursraum setzt die Sprecherin die These vom möglichen Absturz aller („es kann jeden treffen“), der sich gegen ein deutlich elitäres Selbstbild der machtvollen Akteure in der Gruppe richten könnte, die Deutung einer exkludierenden Arbeitswelt377, sowie die Diagnostik einer Krise des gesellschaftlichen Zusammenhalts378. Was bezweckt die Sprecherin mit diesem – teilweise diffusen – Feuerwerk an Argumenten? Vom Grundeinkommen ist keine Rede mehr. Der Sprecherin geht es darum, die allgemeinere Frage nach der Gesellschaft „fundamental anders [zu] überlegen“379. Bis zum wenig später folgenden ersten Höhepunkt des aggressiver werdenden machtvollen Diskursverlaufs, der implizit den Diskussionsleiter und explizit das Thema in Frage stellt,380 werden zentrale Diskursmotive reproduziert und differenziert. Zwei der sich selbst angemeldeten Teilnehmer kommen hinzu, der Vertreter eines Sozialverbandes,381 sowie der Gewerkschafter.382 Zudem sehen wir die erste Wortmeldung des freiberuflichen Finanzmaklers, der „unterhalb“ der polarisierenden machtvollen Akteure durchaus differenzierte Argumente vorbringt, diese ebenfalls als gedeutete positive Wirkungen des Grundeinkommens feldimmanent auf Wirtschaftssubjekte bezieht.383 Der Werbemanager knüpft direkt an und entwickelt den von der Unternehmensberaterin bereiteten Diskurs weiter. Ohne Bezug auf Grundeinkommen wird die latent im Raum stehende Frage explizit gemacht: „haben wir eigentlich die beste Welt die es gibt (?)“.384 Dies stellt der Sprecher in Frage und thematisiert ausführlich und dem Wirtschaftsleben immanente Fragen der „Zufriedenheit für den
375 Ebd. 376 „wir berechnen den Wert eines Menschen (.) und noch mal vor zehn Jahren hab ich da auch ganz anderes gedacht (.) der Wert eines Menschen der ist ja nicht nur äh (.) ok nur wenn du Arbeit hast bist du was wert. Und nur wenn du (.) äh (.) wenn du eben halt äh (.) äh (.) zur Leistung also beiträgst ähm (.) mit mit deiner Leistung also dann bist du was wert“ (FGWir 46). 377 „Bei uns wird man ausgegrenzt wenn man eben halt arbeitslos ist und wirklich am Ende ist“ (FGWir 46) Zur Diagnose der Krise der Arbeit beruft sich die Sprecherin mit großer Gewissheit auf den Club of Rome: „Fakt ist das wir nicht für alle Arbeit haben werden das hat der Club of Rome schon vor zig Jahrzehnten geschrieben und alle einschlägigen Wissenschaftler äh (.) sagen uns das jeden Tag wir werden eben halt niemals wieder eine Vollbeschäftigung haben“ (FGWir 50). 378 „noch mal zurück auf meine Bemerkung von vorhin welche Gesellschaft wollen wir denn haben (.) die Gesellschaft wo eben halt nur die Arbeit haben von den anderen immer wieder Schlechtes zu denken ähm (.) oder brauchen wir wirklich so ein bisschen mehr zu Zusammenhalt haben. Also ich persönlich kann damit nicht leben (.)“ (FGWir 46). 379 FGWir 50. 380 FGWir 63. 381 FGWir 53. 382 FGWir 59. 383 FGWir 61. 384 FGWir 51.
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Menschen“, dessen „Motivation“ vs. Druck, die Krise der Arbeit für alle, Unzufriedenheit bei aus Arbeit Exkludierten und den Wandel von Statussymbolen. Nach kurzer Vorstellung eines weiteren Teilnehmers385 knüpft der Geschäftsführer eines großen IT-Beratungshauses an, indem er den Diskursstrang der allgemeinen Erörterung bricht und auf Grundeinkommen zurückkommt.386 Seine Assoziation zielt auf Gerechtigkeit, die er doppelt nicht eingelöst sieht: Zum einen im institutionellen Arrangement von Gerechtigkeit,387 zum anderen in der „Bestimmung“ von Gleichheit.388 Am Ende der Sequenz greift sofort der Private-Equity-Unternehmer ein und einigt sich mit dem Sprecher darauf, dass es Gerechtigkeit nicht gibt.389 Diese verdichtete Sequenz verweist als Fokussierungsmetapher auf ein zentrales Element im Deutungsmuster der machtvollen Sprecher. Grundeinkommen wird als „Wunsch nach Gerechtigkeit“390 gedeutet und daher als nicht legitim verworfen. Den Verlauf steigert der Private-Equity-Unternehmer als machtvoller Diskursakteur kaum später zu einem ersten Höhepunkt.391 Der Sprecher vollzieht hierbei den Wechsel der Position vom Teilnehmer zum Diskussionsleiter, indem er hoch reflexiv die Runde bilanziert, deutet und eine einheitliche Gruppenposition suggeriert („Es ist einfach eine Grundsatzfrage“392). Klar reproduziert er die Deutungsdimensionen Staat – Bürger und Leistung – Gegenleistung, entwertet polemisch Gegenleistungsfreiheit393 und beschließt die argumentative Verhandlung mit einem Urteil: „Das ist aber unmenschlich und es ist vor allen Dingen ungerecht.“394 Mit diesem Urteil von der selbst ermächtigten Position des Diskussionsleiters aus stellt der Unternehmer die bislang – wenngleich auch schwach – bestehende normative Suggestion des Stimulus polemisch in Frage: „deshalb frage ich mich die ganze Zeit (.) welches sind eigentlich die schlüssigen Argumente (!) für ein Grundeinkommen. Was steht hinter der Idee außer dass
385 FGWir 53-55. 386 FGWir 57. 387 „ich sehe da eine (.) empfinde es als einen enormen Widerspruch (.) Gerechtigkeit institutionell äh (.) zu äh (.) arrangieren“ (ebd.). 388 „So (.) nun auf der anderen Seite kommt dann aber entgegen also dem (.) dem widersprechend ist wer entscheidet darüber was gleich was ungleich (.) was leistungsfähig (.) was unleistungsfähig ist ähm (.) wer bestimmt das (?) In jeder Bestimmung und mit einem Gleichbehandeln aller Menschen durch einem Grundeinkommen wird wieder eine Entscheidung darüber getroffen (würde)“ (ebd.). 389 „((Private-Equity-Unternehmer:)) Aber Gerechtigkeit gibt es nicht (.) also das kann man abharken [((Sprecher:)) (!) genau [((Private-Equity-Unternehmer sehr schnell:)) Wir sitzen da [..] (verdienen unterschiedlich der eine) [((Sprecher:)) Aber das meint ich also wir sind bei Grundeinkommen bei der Frage von Gerechtigkeit (.)“ (ebd.). 390 Ebd. 391 FGWir 63. 392 Ebd. 393 „An Weihnachten hätte ich das auch gerne“ (ebd.). 394 Ebd.
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alle Menschen sind gleich und sie sollen was abbekommen.“395 Der „Anschlag“ richtet sich gegen den Diskussionsleiter selbst, da dieser den Stimulus in die Gruppe gegeben hat. Der Anschlag richtet sich jedoch auch gegen die Befürworter, welche Krisendiagnosen positiv mit Grundeinkommen in Verbindung gebracht haben. Wir sehen einen machtvoll agierenden Teilnehmer, der sich aufschwingt andere Auffassungen zu ignorieren oder zu „glätten“, und bereit ist, das Forschungssetting zu sprengen. In seiner Wahrnehmung bleibt vom bereits eingangs schwachen Stimulus nach dem hergestellten Gruppenkonsens nichts übrig. Die im Diskurs eingeschlagene Bearbeitung allgemeiner (ethischer) Fragen zur „idealen Gesellschaft“ wird nicht akzeptiert. Hinter dieser Ungeduld und zunehmenden Aggressivität verbirgt sich eine zur Schau getragene habituelle Sicherheit und ein Deutungssystem, welches sich über grundlegende Deutungselemente (Leistung – Gegenleistung, Gemeinwohlorientierung, Freiheit) versichert hat, diese nicht in Frage stellt und Alternativen nicht in Erwägung zieht. Sequenzanalytisch können wir fragen, wie die Anschlüsse sich nun gestalten.396 Zunächst schließt der Sprecher selbst an, indem er – merkwürdig inkonsistent zur gerade vertretenen Behauptung – „einen gerechten Staat“397 einfordert und anhand der Metapher Familie verdeutlicht.398 Paternalistisch wird Familie – mithin das Gemeinwesen insgesamt – als Rahmen der Verpflichtung gedeutet. Die Anstrengung des Einzelnen soll nicht auf das individuelle Wohl zielen, sondern auf Gemeinwohl.399 Eine gegenleistungsfreie Leistung des Gemeinwesens muss in diesem Deutungsmuster Ablehnung erfahren.400 Offenkundig greifen Gerechtigkeitsforderungen dann nicht, wenn sie auf individuelle Ansprüche zielen. Gerechtigkeitsforderungen werden gedeutet als Verpflichtung des Einzelnen zum Wohle des Gemeinwohls. Abschließend
395 Ebd. 396 Infrage steht die Rolle des Diskussionsleiters. Bleibt er gelassen im Rahmen der geschützten Assoziation oder nimmt er die Infragestellung an, indem er auf diese – sich legitimierend – reagiert? Infrage stehen die Sprecher, die implizit ein Grundeinkommen erwogen haben. Weisen diese den vom Unternehmer unterstellten Gruppenkonsens zurück? Können diese überhaupt der machtvollen Suggestion des Sprechers widerstehen? Führt die machtvolle Deutung zu einer klarer argumentativen Auseinandersetzung? 397 FGWir 63. 398 „Ich möchte einen gerechten Staat (.) in der es für mich (.) genau wie in ner Familie jemand sprach von Familie (.) alle müssen was beitragen (.) der eine bringt den Müll raus (.) der andere (.) der Nächste kümmert sich um die Kinder und wenn eines meiner vier Kinder die mittlerweile erwachsen sind rum sitzt und nichts tut (.) sag ich bitte streng dich mal an für uns alle. Du kannst doch hier nicht sitzen und hier wohnen und essen und tust nichts. Und für mich ist es in der Gesamtheit eines Staates auch so“ (ebd.). 399 Wir konnten den Gemeinwohldiskurs von Beginn an als strukturierendes Deutungselement auch bei den wohlwollenden Sprechern ausmachen. 400 Zumal in einer antizipierten Grundeinkommensgesellschaft finanzielle und solidarische Aspekte nicht erfüllt werden können, „nicht mehr genug Luft wirtschaftliche und emotionale Luft denen zu helfen die es wirklich brauchen und das ist für mich das Schlimmste (.)“ (FGWir 63). Leistungen sind in dieser Deutung zwingend an Bedürftigkeit gebunden, dem Status Quo entsprechend.
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greift der Sprecher den Diskurs zum Menschenbild auf und reproduziert die latent vertretene Zweiteilung in aktive und passive Menschen. Wie gestaltet sich der diskursive Verlauf bis zum zweiten, finalen „Angriff“401? Wir können beobachten, dass die wohlwollenden Sprecher argumentativ unter Druck geraten und wiederholt ihre Argumente in die Gruppe bringen – womit diese eine Strategie der Verteidigung anwenden. Im Kern geht es um die Diagnose der Beharrung sowie um die Infragestellung der normativen Geltung der Arbeitsgesellschaft. Der Werbemanager spitzt – den Private-Equity-Unternehmer unterbrechend – seine Frage auf „Freiwilligkeit“ und Motivation zu.402 Er teilt die These der Unternehmensberaterin von der Beharrung der Akteure in einer herrschenden Kultur des Zwangs.403 Grundeinkommen wird jedoch auch bei den wohlwollenden Sprechern zunehmend „mit spitzen Fingern“ angefasst. Diese Distanzierung zeigt sogleich der Werbemanager, indem er betont, Grundeinkommen würde „sowieso“ bei einem „Minimum“ liegen, der staatliche Verteilungsmodus wäre dann auch wirklich egal.404 Auch die wohlwollende Unternehmensberaterin fügt sich des machtvollen Diskurses und distanziert sich. Vor dem Hintergrund ihrer Wahrnehmung des Diskursverlaufs nimmt sie deutliche Rollendistanz ein.405 Der dominante ablehnende Diskurs erfährt zunächst weitere neue wie auch reproduzierende Schattierungen: das Argument der Globalisierung,406 grundsätzliche Überlegungen zum Verhältnis von Staat und Individuen anhand von Zwang und Freiheit,407 die explizite Zurückweisung der Chiffre „Club of Rome“408 sowie die Unter-
401 FGWir 144. 402 FGWir 65. 403 „[Die Frage ist auch wie sehr das auf Freiwilligkeit geht oder nicht das wär jetzt so die Frage die sich stellen würde ähm (.) ich hab ja gesagt das (.) in dieser tradierten Welt in meinen Augen jedenfalls im Moment nicht zu schaffen es müssen ganz andere Motivationen geschaffen werden und diese Freiwilligkeit äh (.) könnte man möglicherweise verstärkt dass die zu schaffen ist bei den Menschen (direkt) die etwas Sinnvolles tun wollen“ (ebd.). 404 „war ich immer der Auffassung) dass das zwischen einem Minimum gelegen ist und äh (.) dass das oder die Leistung die der Staat heute sowieso mit allen möglichen Leistungen Transferleistungen (..) in Frage kam äh (.) sowieso ausgibt (.) also ob ich das nun gleichmäßig verteile für jeden oder ob ich das dahin schmeiße oder dahin schmeiße Institutionen gebe oder sonst was das ist eigentlich wurscht man kann’s ja auch jedem in gleichen Stücken geben und darauf kann jeder dann entscheiden was er macht“ (ebd.). 405 „während ich mich so reden höre ähm (.) da ich eben halt diese einzelnen Modelle nicht kenne also es ist gar nicht so dass ich jetzt sagen kann ja und wir machen das jetzt und ich bin für das Grundeinkommen da müsst ich auch die Modelle erst mal kennen“ (FGWir 85). 406 FGWir 67. 407 FGWir 73. 408 Vgl. FGWir 50f.: „letzte Bemerkung Vollbeschäftigung kann man so nicht stehen lassen weil der Club of Rome hat auch schon viel Unsinn erzählt. Und äh (.) das Thema mit der Vollbeschäftigung
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scheidung von aktiven vs. passiven Menschen.409 Einen langen Auftritt haben anschließend die Unternehmensberaterin410 und der Werbemanager411, wo sich beide Sprecher – unter dem Vorzeichen der eigenen Distanzierung vom Grundeinkommen – auf das Thema „Angst“ einigen können. Wir sehen auch hier eine Fokussierungsmetapher. Unter dem diskursiv hergestellten Druck der Legitimation verständigen sich beide Befürworter über ein grundlegendes Handlungsproblem im Feld der Wirtschaft.412 Verallgemeinerte Krisendeutungen werden erneut in Stellung gebracht. Die im Verlauf viel gescholtene Beharrung erscheint als Ausdruck von Angst vor Veränderung, Angst vor Entscheidung, Angst vor Statusverlust aus einem Besitzstandsdenken heraus etc.413 Grundeinkommen kommt an der Stelle des Diskurses wieder ins Spiel, individuell als Metapher für „Freiheit“414, gesellschaftlich als „Schwungrad“ zur Mobilisierung415 oder als Instrument, Mitarbeiter „wesentlich produktiver“ zu machen.416 Mit dieser Forderung nach mehr Produktivität, die einem zentralen, dem Feld immanenten Deutungsmuster entsprechen dürfte, richtet der Werbemanager seine Rede an die Gruppe.417 Offenkundig hat der Sprecher den Wunsch, den Gruppendiskurs zu integrieren und gegen die Zusammenbruchsmetaphorik zu sprechen. Dennoch erweist sich der Diskursverlauf bis zur finalen Infragestellung418 keinesfalls als
409 410 411 412 413
414 415 416 417 418
gehört eindeutig dazu man brauch sich nur in der Welt umzukucken (.) also unsere strukturelle Arbeitslosigkeit und sonst etwas ist über weite Strecken hier hausgemacht. Und es gibt reichlich Länder die überwiegend Vollbeschäftigung haben mit einer Vollbeschäftigung ( ). Also das ne Sache die halt die Franzosen (.) die Deutschen und noch zwei andere in der Welt pflegen dieses Klischee“ (FGWir 73). Ebd. FGWir 75-85. FGWir 87. FGWir 81-87. „also ich würde dann eben halt denken also das ist ja jetzt meine Idealvorstellung davon das eben halt diese Menschen die das unbedingt dieses Geld brauchen und die aus Angst davor wenn sie sich verändern nicht kündigen davon gibt’s ne ganze Menge ich war hier in Hamburg vor Ort bei einem Versicherungsunternehmen dort sind Mitarbeiter vierzig Jahre dabei (.) vierzig Jahre. Ich kenne Mitarbeiter bei Siemens die gehen (wahrscheinlich) aus dem Grunde nicht weil sie ihre Pension ((Unterbrechung unverständlich)) nicht gefährden (..) ist ja gerade [((Werbemanager:)) (!) Angst ist das Stichwort [((Unternehmensberaterin:)) die haben eben halt (..) ich sag’s noch mal ähm (.) das rundet jetzt das Ganze noch ab (.) die haben natürlich Angst sich zu verändern (.) sich irgendetwas zu zutrauen zu wechseln weil es eben halt ihre Familien unterstützen müssen“ (FGWir 81-85). FGWir 75. FGWir 85. „deswegen würd ich gar nicht immer so sehr darauf dringen ähm (.) das eben halt dieses Geld so umsonst ausgegeben wird (.) sondern es hat ja auch unglaubliche Vorteile das wird ein regelrechtes Schwungrad der Veränderung werden und ähm (.)“ (FGWir 85). „dann würde diese Angstbefreitheit dazu führen dass sie wesentlich produktiver werden und dieser Gedanken den sollten wir vielleicht in dieser Diskussion nicht aus dem Auge verlieren weil ich nicht glaube dass alles irgendwie zusammenfällt“ (FGWir 87). FGWir 141.
104
5 Fokusgruppen
integrierend. Zwar greifen mit dem Gewerkschafter419 und dem Vertreter des Sozialverbandes420 zwei Sprecher, die bisher nicht zu Wort gekommen sind, zunächst noch einmal grundlegendere Fragen zum Grundeinkommen auf. Bemerkenswert ist hierbei der Gewerkschafter, der zum einen das Argument Angst relativiert und die Abkehr vom Normativ der Vollbeschäftigung für alle ablehnt.421 Zum anderen reproduziert der Sprecher den Konsens zur Gegenleistungsforderung. Gegenleistungen werden von der Logik der Gesellschaft aus – Gemeinwohlforderungen reproduzierend – gedeutet und sind im Rahmen der Erwerbsarbeitsgesellschaft zu erbringen. Die Logik des „aktivierenden Sozialstaats“ ist danach legitimer Ausdruck dieses „Gesellschaftsbildes“422. Als „zutiefst ungerecht“ muss daher derjenige erscheinen, der nichts „zum Ergebnis der Gesellschaft“ beiträgt.423 Der diskursive Verlauf erscheint zunehmend beschleunigt und der Gruppenkonsens als hergestellt. Die immer stärker selbstbewusst und kommunikativ aggressiv auftretenden Sprecher weisen Stück für Stück die Argumente Angst und Arbeitslosigkeit zurück.424 Die Unternehmensberaterin verteidigt sich.425 Auch der Gewerkschafter argumentiert im Konsens zum machtvollen Diskurs.426 In dieser Sequenz tritt ein weiteres Deutungsmuster zu Tage, wonach überhaupt nicht der Staat die Instanz zur Lösung der Probleme ist – ein Thema, welches in der Matrix zur Rolle des Staates steht.427 Probleme werden in den Unternehmen selbst konkret und praktisch gelöst.428 Nach dieser Sequenz ist Grundeinkommen endgültig und im Konsens als etwas
419 FGWir 89. 420 FGWir 90. 421 „das Ganze hat aber dann natürlich sehr stark was damit zu tun ob es ne Perspektive zur Realisierung dieser dieses Gesellschaftsbildes gibt also z.B. ob man denn so was wie Vollbeschäftigung wieder näher kommen kann oder nicht oder ob die anderen Recht haben die sagen das ist vorbei das ist sozusagen von Gestern. Da bin ich Ihrer Meinung dass das nicht von Gestern ist sondern dass es für alle ne Perspektive in diese Richtung gibt“ (FGWir 89). 422 FGWir 89. 423 Ebd. 424 FGWir 96-100. 425 FGWir 102-110. 426 FGWir 114-118. 427 FGWir 28ff. 428 FGWir 96-100. „Für mich sind das alles keine Gründe das sind alles Dinge die zu verurteilen sind wo wir uns Gedanken machen müssen wie wir in den Unternehmen und zwar jeder Manager oder jeder Unternehmer das in seinem Umfeld was können wir als Gesellschaft tun um eine Stimmung in der Gesellschaft zu erzeugen dass so was weniger und weniger wird.“ (FGWir 96); „Das (.) darin seh ich auch die Aufgabe eines Unternehmers und eben nicht des Staates eines Individuums und nicht des Staates“ (FGWir 98); „Für diese Art der Lösung das heißt den Misstand konkret anzugehen und zu lösen spricht äh (.) a das Prinzip Subsidiarität Dinge da zu regeln auf der sie zu regeln sind und nicht alles nach oben zu delegieren auf die höchste Ebene des Staates“ (FGWir 100).
Fokusgruppe Wirtschaft
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Psychopathologisches abgearbeitet, in den Kontext von „Sozialexperimenten“ gerückt.429 Die Ungeduld zeigt sich zunächst kurz,430 bevor schließlich final das implizite Unbehagen der machtvollen Teilnehmer ihren Ausweg sucht.431 Wir können regelrecht von einem Unbehagen sprechen über eine Fragestellung, die bereits im Stimulus schwach und undeutlich angelegt war, und durch die fehlende positive inhaltliche Ausarbeitung im Gruppenprozess sowie die negative Abgrenzung im Verlauf noch gesteigert wurde.432 Der Sprecher ist sich sicher, dass die inhaltliche Fragestellung nicht die Forschungsfrage sein kann und vermutet einen anderen Hintergrund.433 Der infrage gestellte Diskussionsleiter kann sich nicht mehr auf den assoziativen Rahmen zurückziehen, bewahrt jedoch die Settingkonstruktion, indem er das Gruppengeschehen deutet.434 Interessant an der finalen Sequenz ist, dass mit dem Werbemanager ein Teilnehmer aus der Gruppe die Diskussion verteidigt, was sich mit Blick auf seine Beiträge im Diskurs als konsistentes Muster erweist: „also was ich hier sehe ist eine Vision über die es sich vielleicht lohnt nachzudenken und da mal zu kucken was ich hier feststelle ist das sehr viele Gedanken eingeworfen werden die sofort in der Machbarkeit in der auf unseren heute tradierten äh (.) Verhältnissen in eine Machbarkeitsstudie sozusagen münden und die Frage ist zumindest erlaubt ob es nicht die großen Ideen in der Geschichte der Menschheit waren wo alle erstmal gesagt haben äh (.) das kann überhaupt nicht gehen.“435 Die Bearbeitung der Idee Grundeinkommen in der Wirtschaftsgruppe muss die spezifischen Rekrutierungserfahrungen berücksichtigen. Die den Gruppendiskurs prägenden Akteure gehören zur gehobenen Wirtschaftselite und wurden durch den Kontakt zum Stifter rekrutiert. Im Kontrast zur Sozialarbeitsgruppe spricht sich der machtvolle Gruppenkonsens von Beginn an gegen ein Grundeinkommen aus. Bereits die Vorstellung des Forschungsprojekts, der Person des Diskussionsleiters und die Setzung des Stimulus zeigen keine vergemeinschaftenden Bezüge. Das Thema Grundeinkommen wird sehr schwach normativ gesetzt, geradezu als Fraglichkeit eingeführt.
429 430 431 432
Ebd. FGWir 122-124. FGWir 141. „Ja und-und das ist völlig unabhängig davon was mich so bedrückt an diesem Gedanken und auch deswegen war ich jetzt drauf und dran das (Format) zu kritisieren und auch an der an der These die da so aufgeschrieben ist ist einfach was ich auch sagte diese totale Isolation dieses vollkommene Herauslösen aus einem historischen äh (.) äh (.) äh (.) wirtschaftlichen globalen und auch humanistischen Kontext ja (.)“ (ebd.). 433 „Und deswegen hätt ich Sie gefragt was wollen Sie eigentlich hier wenn Sie uns alle fragen (.) entschuldigen Sie (wenn ich) das so sage (.) sagen Sie doch mal assoziativ was sagen Sie zu diesem Gedanken ((auflachender Unterton)) Ich Entschuldigung wenn ich versuche Sie in die Diskussion hinein zu ziehen aber was wollen Sie denn damit überhaupt äh (.) äh (.) welches Forschungsziel haben Sie denn damit überhaupt (?)“ (FGWir 141). 434 FGWir 161. Diskursiv wird die Spannung in der zweiten, diskursiven Sequenz ausgetragen (FGWir 169-521). 435 FGWir 157.
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5 Fokusgruppen
Konsistent erfolgen die Anschlüsse der Gruppenakteure, die auf Fremdheit, geringe Kenntnis und Relevanz des Themas Grundeinkommen verweisen. Der Diskurs wird durch machtvolle Akteure geprägt, die zunächst versuchen, dass Thema zu begreifen. Im Verlauf werden sich die Akteure im Konsens – der Wirtschaftakteure wie auch dem Gewerkschafter – nicht nur darüber einig, dass keine Gründe für ein Grundeinkommen sprechen. Letztlich wird gezweifelt, ob sich hinter der Fragestellung nicht eigentlich eine andere verbirgt – und der Diskussionsleiter als Person in Frage gestellt. Damit dokumentiert der machtvolle Diskurs, dass feldspezifische Normative wie Leistungsdenken oder Arbeitsgesellschaft doxisch den Erfahrungsraum der Akteure strukturieren. Ein Grundeinkommen erweist sich vor dieser Deutungsstruktur als nicht anschlussfähig und wird mit einer ungeduldigen, geradezu aggressiv machtvollen Geste vom Tisch gewischt. Damit herrscht große Übereinstimmung mit den Befunden der Experteninterviews. Dies gilt jedoch nicht für zwei diskursprägende Befürworter. Diese bringen, ebenfalls ohne genauere Kenntnis der Idee, verschiedene Krisenszenarien ins Spiel, die ein Grundeinkommen legitimieren könnten – und strukturieren damit die Kontroverse. Grundeinkommen wird erwogen als Lösungsstrategie immanenter Krisen vor allem des Wirtschaftssystems – vor dem Hintergrund geteilter Normative wie Leistung und Effizienz. Charakteristisch für die machtvollen Akteure der Wirtschaftsgruppe ist die Bearbeitung des Themas auf der Ideenebene, nicht anhand persönlicher Erfahrungen. Die exemplarisch vorgebrachte Empirie belegt lediglich Szenarien des Verfalls oder der Pathologie. Wir können dies als Strategie der Distanzierung gegenüber der Idee Grundeinkommen interpretieren. Eine sachhaltige Auseinandersetzung mit dem Grundeinkommen findet im dominierenden Diskurs nicht statt. Während wir in der Sozialarbeitsgruppe von einer letztlich hergestellten grundeinkommensimmanenten Auseinandersetzung sprechen können, verbleibt die Wirtschaftsgruppe bei einer Betrachtung von außen.
5.3
Fokusgruppe Politik
Welche Tendenz zeigt die Politikgruppe bei der Rekrutierung? Analog zur Wirtschaftsgruppe können wir bei der Politikgruppe davon sprechen, dass Kontakte des Projekt- und Diskussionsleiters die Rekrutierung charakterisieren. Dies manifestiert sich durch das „Netzwerk Grundeinkommen“. Im Kontrast zur Wirtschaftsgruppe führt die spezifische Rekrutierung in der Politikgruppe zu einer Verschiebung nach „unten“, hin zur Basisbewegung. Von einer Varianz, die alle politischen Parteien und
Fokusgruppe Politik
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auch Ebenen des Politikbetriebs zumindest ansatzweise einfängt, kann nicht gesprochen werden.436 Zumal wenn wir das Kriterium der Elitenzugehörigkeit hinzuziehen. Eine „Mittlere Elite“ des Politikbetriebs müsste Berufspolitiker, insbesondere Abgeordnete des Bundestages, einbeziehen wie auch Akteure aus den Verwaltungen der (Bundes-)Ministerien. Diese konnten nicht rekrutiert werden. Trotz der Tendenz zur „machtlosen“ Basisbewegung verkörpern mehrere Teilnehmer eine – wenn auch wissenschaftich vermittelte – Verbindung zur politischen Macht. Welche Konsequenzen sind zu erwarten? Im Vergleich der drei Gruppen ergibt sich im Raster Macht vs. Machtlosigkeit eine Hierarchie von Wirtschaft über Soziale Arbeit hin zu Politik. Die bisherige Analyse legt einen Zusammenhang von machtvoller Positionierung und dem Festhalten am Status Quo – womit die Ablehnung eines Grundeinkommens verbunden ist – nahe. Wir können für die Politikgruppe eine Perspektive fern der wirtschaftlichen wie politischen Macht erwarten, die sich im Diskursverlauf ihrer Gründe für ein Grundeinkommen versichert und hierbei Erfahrungen aus der Lebenswelt der „Basis“ einbringt. Im Vergleich zur Sozialarbeitsgruppe wird fraglich, wie die Befürworter das Neue, die Innovation, in der Gruppe denken, und in welcher spezifischen Weise sie auf Tradiertes zugreifen – was zu Ambivalenzen oder Inkonsistenzen führen kann.437 Fraglich ist auch, besonders vor dem Hintergrund der relativen Homogenität der Gruppe, welche Argumente oder Deutungen kontrovers bearbeitet werden. Der vergemeinschaftende Bezug zwischen Diskussionsleiter und Gruppenakteuren ist zu erwarten. In der Eröffnung der Politikgruppe operiert der Diskussionsleiter mit der Unterstellung „eingeweihter“ TeilnehmerInnen.438 Dies bestätigt eine implizit hergestellte Vergemeinschaftung von Akteuren, deren gemeinsamer Bezugspunkt das Grundeinkommen ist.439 Entsprechend fällt die Eröffnungssequenz mit vier Minuten auch sehr knapp aus. Großen Wert legt der Diskussionsleiter auf Fragen der Methode, was in dem hergestellten Kontext zweierlei bedeutet: Zum einen wird damit im möglicherweise von TeilnehmerInnen antizipierten „Duzraum“ der Basisgruppe eine Distanz zu diesen hergestellt. Die Distanzkonstruktion basiert auf der Unterscheidung Wissen-
436 Beispielsweise ist die SPD in keiner Weise vertreten, was begründungsbedürftig erscheint, wenn die rege Rekrutierungsanstrengung des Diskussionsleiters im Vorfeld der Gruppendiskussion berücksichtigt wird. Nach Informationen aus einer parteinahen Stiftung gegenüber dem Mitarbeiter der Stiftung Wertevolle Zukunft kann eine Order vom Bundesvorstand zumindest nicht ausgeschlossen werden. Auch die FDP ist nicht vertreten, was angesichts der parteiinternen Debatte begründungsbedürftig ist. Die CDU ist indirekt über zwei Mitarbeiter der ihr nahestehenden Stiftung vertreten. 437 Als Vergleich kommt die Sozialarbeitsgruppe ins Spiel, die sich konsensuell eines Grundeinkommens versichert hat, deren Teilnehmer jedoch am Tradierten, insbesondere am Normativ der Gegenleistungsforderung festhalten. 438 Die Politikgruppe wird im Folgenden mit „FGPol“ gekennzeichnet. 439 „So (.) tja (.) ich möchte Sie ganz herzlich willkommen heißen (.) ähm (.) und äh (.) Sie sind ja schon informiert worden (.) ähm (.) was für eine Veranstaltung das jetzt hier ist. Vorneweg (.) äh (.) wir nehmen wie Sie sich denken können bei einer empirischen Veranstaltung (.) äh (.) alles auf (.)“ (FGPol 3).
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5 Fokusgruppen
schaft – zu untersuchender Gegenstand. Jedoch bleibt der Rahmen ambivalent, da der Diskussionsleiter als prominenter Akteur pro Grundeinkommen bekannt sein wird. Er nimmt daher, zum zweiten, eine Doppelstellung ein zwischen sozialpolitischem Akteur und neutralem Sozialforscher. Fraglich ist, wie die TeilnehmerInnen die Ambivalenz zwischen Gemeinsamkeit,440 verbunden mit einem gemeinsamen normativen Boden, und der Distanzkonstruktion, d.h. Gegenstand der Forschung zu sein, wahrnehmen und im gruppendynamischen Verlauf umsetzen. Die durch den Diskussionsleiter nun erfolgende Rahmung des Politikfeldes überrascht, gerade da keine „echten“ Berufspolitiker anwesend sind.441 Damit wird das „Politiksystem“ sehr weit definiert, so dass Aktivisten in Arbeitsloseninitiativen bereits dazu gehören oder auch Basis-Grüne. Für die Anwesenden ermöglicht dies eine Aufwertungsstrategie, was methodisch dazu führen kann, sehr sensibel und relativ „machtfrei“ ehrliche Deutungen der Akteure einzufangen. Implizit wird zudem eine Unterscheidung eingefügt zwischen politisch aktiven Basisakteuren und Berufspolitikern. Der Elitenfokus kommt in der gesetzten Eingangssequenz – sehr konsistent – nicht vor, was als „anschmiegende“ Strategie gedeutet werden kann. Wie erfolgt die Personenvorstellung442? Der Diskussionsleiter gibt die Regel vor,443 die jedoch nicht autoritär erfolgt, sondern den basisdemokratischen Anstrich reproduziert. Bei der Vorstellung der TeilnehmerInnen können wir die Vergemeinschaftung sowohl der Basisgruppe als auch des Grundeinkommens erkennen. Als relevante Bezüge kommen zwar auch Institutionen wie Stiftung und Parteien in den Blick. Als wichtiger erscheint jedoch das Fehlen eines ausdrücklich beruflichen Identitätsbezugs bei der Mehrheit der Gruppenakteure.444 Relevant werden akademische Bezüge445 sowie solche zum Netzwerk Grundeinkommen. Ein Sprecher benennt nach Erwähnung seiner Beziehung zu den Grünen etwas verlegen, Hartz-IV-Bezieher zu sein und
440 Damit rückt die Politikgruppe in die Nähe der Sozialarbeitsgruppe und in Kontrast zur Wirtschaftsgruppe. 441 „Diese Fokusgruppe hier wählt Personen aus dem Politiksystem ein (.) ne (.) äh (.) die andere (.) (wir hatten schon) eine Gruppe (.) letzte Woche in Erfurt (.) die die Vertreter der Sozialen Arbeit (.) äh (.) sich beschäftigt hat und nächste Woche mit äh (.) mit Personen aus dem Wirtschaftsleben in Hamburg (und wir werden noch machen) eine Fokusgruppe mit äh (.) Personen aus dem (.) äh (.) Medienbereich. Das ist die grobe Struktur. Damit Sie sehen (.) Sie haben heute jetzt hier den Fokus Politik (.) das ist jetzt nicht weil (.) Politiker so wichtig erscheinen (.) sondern weil (uns die einzelnen verschiedenen Systeme) von Bedeutung sind für diese Fragestellung. Ja (.)“ (FGPol 9). 442 FGPol 9-45. 443 FGPol 9. 444 In deutlichem Kotrast zur Wirtschafts-, aber auch Sozialarbeitgruppe erscheint hier die Nennung der beruflichen Stellung nicht als primärer Rahmen der Selbstdeutung und -verortung (vgl. FGSoz 7-21 und FGWir 4-15). 445 „äh bin von Hause aus komme aus der Geschichtswissenschaft und Philosophie“ (FGPol 25).
Fokusgruppe Politik
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Aktiver in einer Freiwilligenagentur.446 Merkwürdig subjektlos offenbart sich der Sprecher, was seine Scham andeutet.447 Wir können davon ausgehen, dass Scham in dieser Runde – in klarem Kontrast zur den anderen Gruppen – ein strukturierendes Merkmal des Diskurses sein wird. Am Umgang mit Scham lässt sich womöglich ablesen, wie Armut in diesem Milieu gedeutet wird – und zwar in der zu erwartenden Konfrontation akademischer Milieuangehöriger und „Betroffener“. Wird dem Hartz-IVDasein schweigend begegnet? Insgesamt reproduziert die Sequenz klar den sehr eingeschränkten Zugriff auf Politik, obgleich vier Teilnehmer beruflich in diesem Feld arbeiten.448 Es steht zu vermuten, dass Erwerbsarbeit vielleicht bewusst als primärer Sinnrahmen abgelehnt wird. Wir können für den Diskursverlauf eine Allianz zwischen dem Arbeitslosen449 und den akademischen Befürwortern eines Grundeinkommens erwarten. Die Deutung von Arbeit könnte im Diskursverlauf zentraler Scheidepunkt sein, zwischen normativer Geltung („Doxa“) und Krisenhorizont (objektives Strukturproblem). Eingehegt jedoch von der latenten Scham, die eine aggressive Auseinandersetzung verbietet. Nun folgt die Setzung des Stimulus.450 Sofort fällt die häufige Verwendung der basisdemokratischen Vergemeinschaftungsformel des „wir“ und des selbstreflexiven „uns“ ins Auge.451 Der angeschlagene Impetus zielt – dem konstruierten Raum der Ähnlichen entsprechend – auf Intimes – und nimmt zudem eine deutlich kämpferische Note an. Der Gruppe wird eine Vorgeschichte der Auseinandersetzung, das heißt Kompetenz, zugesprochen. Die Frage wird für die Anwesenden als vertraut gedeutet – den Gemeinschaftsbezug reproduzierend.452 Wie gestaltet sich der Sequenzanschluss? Im Anschluss an den Stimulus, beinahe schon ungeduldig unterbrechend,453 beginnt ein ungeordneter, schneller assoziativer Verlauf. Wir können exemplarisch eine Sequenz von etwa einer Stunde Länge identifizieren, die zentrale Merkmale des Gruppenverlaufs integriert.454 Die Sequenz ist –
446 FGPol 27. 447 „bin jetzt Hartz IV Bezieher“ (ebd.). 448 Beim Grünen aus dem Kreisvorstand finden wir eine Sequenz, die die implizite Unterscheidung zwischen „machtvollen“ Berufspolitikern und „machtlosen“ Basisakteuren reproduziert, und die Anwesenden im „wir“ der Bürger vergemeinschaftet: „aus dem Kreisvorstand in [..] dort arbeite ich ehrenamtlich und mach da auch äh Sozialpolitik im Sozialausschuss (.) und damit möcht ich so) ((lachender Unterton)) Politik machen (.) aber nur als Privater und letztlich haben wir schon als Bürger (.) äh (.) nicht das Stimmrecht (.) das sind die Stadtverordneten (.) also wir können nur beraten“ (FGPol 21). Politikberatung erfolgt hier ehrenamtlich, nicht professionell wie bei der Stiftung. 449 Wir wissen nicht, ob auch andere Teilnehmer ebenfalls von Hartz IV leben. Deren Rahmung lässt dies zumindest nicht erkennen. 450 FGPol 46. 451 „Was fällt uns dazu ein (.) äh dazu gehört auch (.) könnte Ihnen auch (.) es kann alles dazugehören was uns einfällt auch Persönliches. Was uns wütend macht (.)“ (ebd.). 452 „Ne offene Frage (.) ne Frage die Ihnen allen mehr oder weniger geläufig sein dürfte (.) insoweit nur als Erinnerung“ (FGPol 46). 453 FGPol 48. 454 FGPol 48-187.
110
5 Fokusgruppen
vergleichbar der Sozialarbeitsgruppe – gerahmt von einem Sprecher, der den Verlauf lediglich als Beobachter begleitet, und sich erst spät äußert.455 Im Anschluss an dessen Aussage greift der Diskussionsleiter deutend ein und schließt damit die zentrale assoziative Sequenz ab.456 Mit dem Eintritt des bis dahin beobachtenden Sprechers und seiner ablehnenden Haltung sind die Befürworter gezwungen, ihre Argumente pointierter zu begründen. Diese Phase erstreckt sich über die letzte halbe Stunde der assoziativen Sequenz wie die gesamte diskursive Sequenz.457 Charakteristisch für die Stimulussequenz ist ein diffus erscheinender diskursiver Raum mit mehreren Polen. Als „ersten Pol“ sind zwei deutungsstarke Akteure zu identifizieren, die argumentativ für ein Grundeinkommen starke symbolische Kraft ausüben und damit den Diskursverlauf prägen. Dabei handelt es sich um den Mitarbeiter der Bundestagsfraktion der Linken und der akademischen Aktivistin pro Grundeinkommen. In deren „Schatten“ agieren drei Akteure, die grundsätzlich für Grundeinkommen votieren, jedoch Zweifel und Gegenargumente in den Diskurs einspeisen. Hierzu gehören der Mitarbeiter des Bundesvorstands der Grünen, der Grüne im Kreisvorstand und die Aktivistin einer Bürgerinitiative. Als „zweiten Pol“ können wir beide Stiftungsmitarbeiter ausmachen. Jedoch erhebt lediglich einer im Diskursverlauf aktiv seine Stimme, während sich der andere durch temporäre Exit-Strategie entzieht. Als „dritter Pol“ ist der Blick des Arbeitslosen als Blick von „unten“ zu identifizieren, da dieser seine persönlichen Erfahrungen in den Diskurs einbringt. Diese Polarität führt im Diskursverlauf zu folgendem Bild: Von Beginn an erweisen sich die machtvollen Diskursakteure als deutungsstark, indem sie hochreflexiv auf der Ideenebene Grundeinkommen legitimieren. Die symbolische Kraft verdankt sich starken Argumenten. Die im Gruppenverlauf geäußerten Zweifel und Gegenargumente werden mit großer doxischer Sicherheit zurückgewiesen. Die doxische Gewissheit für ein Grundeinkommen kontrastiert maximal die bisherigen Hypothesen der Kontrastgruppen, wonach habituelle Sicherheit an Tradition und Macht gebunden ist. Befürworter schienen hingegen deutlich verunsichert. Im „Schatten“ des machtvollen Diskurses bringen mehrere Sprecher über den Verlauf hinweg ihre Unsicherheiten zum Ausdruck. Der aktive Stiftungsmitarbeiter –
455 FGPol 187. 456 „Jetzt haben wir noch genügend Zeit (.) aber vielleicht darf ich (kurz) (.) ähm (.) in die letzte Phase unserer ersten (.) unserer ersten Sequenz (.) ähm (.) äh (.) eine Rückmeldung geben so wie es ist ja spürbar dass so Ambivalenzen auftauchen“ (FGPol 191). 457 Die Phase der Diskussion ist durch einen deutlich intervenierenden Diskussionsleiter geprägt sowie die Beteiligung aller GruppenteilnehmerInnen. Auffällig ist – besonders vor dem Rahmen der auch hier herausgestellten fehlenden Parteien – der kurz vor Ende gebrachte Hinweis des Diskussionsleiters auf diese fehlenden Parteien, namentlich die SPD (FGPol 567). In der diskursiven Sequenz (FGPol 233-626) arbeiteten sich Befürworter wie Gegner argumentativ aneinander ab, ohne zu einem Konsens zu kommen.
Fokusgruppe Politik
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Teil des zweiten Pols – verkörpert einen Gegenhorizont. Jedoch bleibt er zunächst ambivalent dem Gruppendiskurs verhaftet und wird erst später – durch seine Wahrnehmung der „Irrtümer“ im Gruppenkonsens – zum wirklichen Gegner. Dem Gruppenkonsens pro Grundeinkommen können die skeptischen Stimmen jedoch keinen Schaden zufügen. Trotzdem ergibt sich eine leichte Verschiebung, indem die Befürworter die abstrakten Fragen von Individualismus vs. Gemeinwohlorientierung im späten Verlauf zumindest teilweise neu justieren. Die anfängliche diskursprägende Perspektive der Immanenz wird zunehmend zur Machbarkeitsprüfung, schöner Beleg des Gruppenkonsenses. Analog zum spezifischen Fokus der anderen Gruppen zeigt sich in der Politikgruppe der implizite Fokus des Politischen, des politischen Menschen, aber auch des Misstrauens gegenüber politischen Eliten – womit sich deutlich die Basisperspektive durchsetzt. Mit dem Arbeitslosen als dritter Pol tritt im späteren Verlauf ein Sprecher auf, der mit seiner Alltagserfahrung regelrecht die Empirie zum Beleg der akademischen Deutungsmuster liefert. Beide Perspektive sind zueinander konsistent. So ist es der aktive Stiftungsmitarbeiter, der sofort an den Stimulus anknüpft und einen komplexen Deutungsraum eröffnet.458 Zunächst fällt auf, dass seine Antwort assoziativ entwickelt wird und „quer“ zur Fragestellung liegt. Dies verweist auf seine vorgängige Bearbeitung der Idee.459 Weiter unterliegt der Assoziation eine immanente Perspektive. Grundeinkommen selbst wird nicht in Frage gestellt, vielmehr gilt die Sorge oder gar Angst des Sprechers einem Grundeinkommen als etwas Zerbrechlichem, da es abhängt vom Willen politischer Eliten. Diese Perspektive reproduziert die latente Gliederung des Politikfeldes. Der nachgeschobene Beitrag zeigt klar die Opposition, die der Sprecher meint.460 Im tradierten System gibt es ein „Recht“ auf Sozialhilfe, während Grundeinkommen die beklagte Abhängigkeit mit sich bringt. Gemeinsamer Nenner dieser Deutung ist Sicherheit. Das tradierte System berechtigt Vertrauen, während das Neue Unsicherheit hervorruft und Angst – hervorgerufen durch Misstrauen gegenüber politischen Eliten.461 Die Herstellung sozialer Sicherheit erweist sich als das implizite, im Deutungshorizont des Sprechers aufscheinende objektive Handlungsproblem. Ein Grundeinkommen leistet das nicht. Der Auftakt des Diskur-
458 FGPol 48-52 459 „In Abhängigkeit von der Bedürftigkeitsprüfung (.) in Abhängigkeit vom politischen Willen (.) äh (.) des Parlamentes (.) von der Mehrheit in der politischen. [((Diskussionsleiter:)) Als- aber ich werde mich ganz zurückhalten (.) ich werde nur eingreifen (.) da wo ich den Eindruck habe es geht in eine Diskussion hinein. Da würde (ich Sie unterbrechen). [((Stiftungsmitarbeiter:)) Fällt mir was anderes ein statt Recht (.) äh (.) auf (.) äh (.) Sozialhilfe ähm (.) Abhängigkeit vom politischen Willen“ (ebd.). 460 FGPol 52 461 Mit dieser Deutung tritt der Sprecher in Kontrast zur Deutung der tradierten Sozialsysteme in Begriffen der Repression (wie in den Gruppen Sozialarbeit und Wirtschaft), oder der funktionalen Ineffizienz (Wirtschaft). Repression dürfte eine Krisenbeschreibung von „unten“ sein, Ineffizienz von „oben“.
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5 Fokusgruppen
ses erfolgt mit einem negativen Deutungshorizont, der der normativen Suggestion entgegensteht. Der assoziative „Sog“ zieht bereits, so dass eine Frage zur Methode keine Antwort mehr findet.462 Direkt schließt mit dem Bundestagsmitarbeiter der Fraktion der Linken ein Sprecher des diskursprägenden intellektuellen Pols für ein Grundeinkommen an.463 Seine Aussage verweist auf eine intensive Beschäftigung mit dem Thema. Im deutlichen Kontrast zur Themenbearbeitung in der Wirtschaftsgruppe dient die abstrakte, theoriesprachliche Bearbeitung hier der Verteidigung und Legitimationsbeschaffung. Der Rekurs auf Menschenrechte knüpft an eine wissenschaftliche Debatte an, die der Diskussionsleiter verkörpert, womit der gemeinsame Raum reproduziert sowie die Seite der Befürworter gestärkt wird.464 Fraglich ist, wie diese Strategie auf Skeptiker wirkt. Auf jeden Fall stehen sich schon jetzt zwei konkurrierende Deutungen von „Rechten“ gegenüber. Dem tradierten „Recht“ auf Sozialhilfe465 steht das „Menschenrecht“ oder „Recht auf Leben“ gegenüber.466 Dieses Recht wird als bedingungslos gesetzt,467 jeglicher Gegenleistungsanspruch von vornherein abgewiesen. Damit wird ein Diskursraum eröffnet, der in maximalem Kontrast zur Wirtschaftsgruppe steht. Dort kommt das „Geschütz“ der abstrakten Bearbeitung in Stellung, um Gegenleistungsforderungen einzuklagen. Diese abstrakten Deutungsmuster sind als Ideologien rekonstruierbar, die der funktionalen „Verteidigung einer Interessenlage“ eines Milieus dienen.468 Auch die Sozialarbeitsgruppe kann als maximaler Kontrast gelesen werden, wo pro Grundeinkommen argumentiert wird bei gleichzeitiger Beharrung am Gegenleistungsdenken. Wie reagiert der Diskurs auf diese starke normative Setzung? Sofort reagiert der Stiftungsmitarbeiter und spricht noch einmal die individualistische Perspektive an, die mit Grundeinkommen verbunden ist („individuelles Grund-
462 FGPol 54. 463 „Ich sage immer ( ) Grundeinkommen (.) da fällt mir ein Grundrecht (.) Recht auf Leben. Und dieses Recht auf Leben ist quasi zinsfrei zu gewähren. Das ist ein grundlegendes Menschenrecht. Das fällt mir ein dazu. Unabhängig davon (.) ob ich ne Leistung bringe (.) bringen will und wie auch immer (.) das ist ein existenzielles Grundrecht (.) unveräußerlich.“ (FGPol 56) 464 Opielka identifiziert Menschenrechte und Gerechtigkeit als sozialpolitische Güter im „Garantismus“ (Opielka 2008). 465 FGPol 52. 466 FGPol 56. 467 Der Sprecher wendet sich damit explizit gegen Grundeinkommensmodelle, die durch die Hintertür doch an Gegenleistungen festhalten, wie etwa das Althaus-Modell. Dort hat die Gegenleistungsfreiheit lediglich funktionale Gründe. „Auch das Konzept des Solidarischen Bürgergeldes geht trotz der (vornehmlich pragmatisch begründeten Bedingungslosigkeit) von einer moralischen Pflicht aus, je nach Kräften selbst zu arbeiten“ (Schramm 2007, S. 210). 468 Oevermann 2001b, S. 43.
Fokusgruppe Politik
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einkommen“469). Damit ist die Dichotomie Individualismus vs. Gemeinwohlorientierung angesprochen, die eine Spannung in den Diskursverlauf bringen könnte. Der Sprecher gewinnt einem Grundeinkommen durchaus positive Aspekte ab („Freiheit“), äußert nochmals die – nicht gegen dieses gerichtete – Kritik der politischen Rahmenbedingungen durch eine Rhetorik der Angst und Gefahr.470 Die assoziative Rede bleibt ambivalent, die Haltung zum Grundeinkommen unklar. Diese Unklarheit reproduziert der folgende Sprecher, Mitarbeiter des Bundesvorstands der Grünen, indem er zunächst eine positive ästhetische Bewertung einbringt.471 Seine Aussage bringt jedoch zwei neue Momente in den Diskurs. Zum einen eine „Teleologie“, wonach die soziale Wirklichkeit langsam „reif“ ist für die Idee Grundeinkommen. Der Idee wird damit ein logischer Vorrang eingeräumt – Indikator für den akademischen Blick.472 Zum anderen schränkt der Sprecher die positive Deutung selbst ein.473 Der Sprecher ringt um seine Formulierung. Offenkundig sind sozial Schwache gemeint, jedoch bleibt das unausgesprochen. Die Beschwörung von „Gefahr“ kennzeichnet inzwischen konsistent einen negativen Deutungshorizont, dem eine starke abstrakte Rhetorik gegenübersteht. Der nächste Sprecher, Mitglied eines Kreisvorstandes bei den Grünen, wendet den Diskurs in eine positivere Richtung.474 Den individualistischen Zugriff im Diskurs reproduzierend ist die Rede von „menschlicher Würde“, einer Vielfalt von Teilhabemöglichkeiten – in und außerhalb von Erwerbsarbeit475 – und der „Möglichkeit mehr Autonomie und Eigenverantwortung an den Menschen kennen zu lernen und zu erproben“. Die „Würde des Menschen“476 ist als sozialer Krisenzustand, als objektives Handlungsproblem angesprochen. Grundeinkommen soll hierfür eine Antwort sein. Abschließend bedient sich der Sprecher einer Metapher der Gefahr („großer böser Wolf [..] der alles zerfrisst“), gegen die er sich wendet. Offenkundig fordert der negative Deutungshorizont der Gefahr zum Widerspruch auf. Daran knüpft die akademische Basisaktivistin an. Sie reproduziert zwei zentrale Diskurselemente und erweist sich damit als Teil der diskursprägenden Akteure.477 Hierbei wird die implizite These der Teleologie bestätigt und differenziert, wonach
469 470 471 472 473 474 475 476 477
FGPol 58. „wo ich dann die Gefahr sehe dass man (.) dass man manipuliert werden kann“ (FGPol 58). FGPol 60. Interviewsequenz hierzu: „Es ist eine absolut charmante Idee (.) finde ich’s auch“ (ebd.). „Es ist ähm (.) und ich bin der Meinung es ist eine Idee (.) äh (.) äh (.) die (.) für die die Gesellschaft langsam reif ist“ (ebd.). „Aber es ist auch eine Idee die nicht von heute auf morgen zu verwirklichen ist. Weil es Gefahr läuft (.) äh (.) ein Stück zu extreme (.) Menschen aus nem (.) aus nem bestimmten (.) aus nem bestimmten auszugrenzen.“ (FGPol 60). FGPol 62. Damit weicht der Sprecher einer möglichen Polarisierung in dieser Frage aus, hält den Deutungsrahmen zur Rolle der Arbeit offen. „Ich seh dass das Grundeinkommen unserer Würde (.) also der menschlichen Würde etwas wieder mehr zurückgibt“ (ebd.). FGPol 64.
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Elemente von Grundeinkommen bereits heute zu finden sind.478 Darüber hinaus bringt die Sprecherin eine starke Metapher („dass jedem wieder ein Stück Kindheit zurückgegeben wird“), die zeigt, dass dem Grundeinkommen – monetär – zwar die Funktion der Existenzsicherung zukommt. Wichtiger jedoch sind erhoffte Veränderungen auf einer kulturellen Ebene.479 Diese Veränderungen machen sich insbesondere am Gegenleistungsdenken fest, welches als allgemeines Kulturelement gedeutet wird. Aus dieser Sequenz können wir einen postmaterialistischen Deutungshorizont destillieren, der für ein akademisch gebildetes urbanes Milieu Geltung beanspruchen dürfte. Dem positiven Diskursverlauf fügen die zwei folgenden Sprecher weitere Schattierungen hinzu. Zuerst spricht erneut der Mitarbeiter der Linken im Bundestag, indem er namentlich die Rede vom „bösen Wolf“480 – und damit den negativen Deutungshorizont der Gefahr – aufgreift, in einer metaphorischen Verdichtung religiös umdeutet („lieber Gott“) und diese als „bedingungslos“ konzipierte Figur gegen Gegenleistungsforderungen setzt.481 Dem Bild eines strafenden Gottes – analog zur gedeuteten Kultur repressiver Gegenleistungsforderungen – wird das Bild eines liebenden Gottes entgegen gestellt und auf das Politische projiziert.482 Diese religiöse Deutung erweitert die Assoziation von Familie und Gesellschaft.483 Der Sprecher weist damit die implizite Kritik eines individualisierend wirkenden Grundeinkommens zurück. Wie reagieren die Kritiker auf diese rhetorische Strategie, der in ihrer schillernden Metaphorik kaum argumentativ begegnet werden kann? Zunächst spricht jedoch mit dem Mitarbeiter des Bundesvorstands der Grünen ebenfalls ein Befürworter, indem ein Kreativitätsargument in den Verlauf eingespeist wird.484
478 „Na wenn man sich fragt (.) wo das Grundeinkommen strukturell heute schon veranlagt ist (.) dann könnte man darauf kommen (.) dass die Kinder ja alle schon ohne Gegenleistung auf jeden Fall so was wie ein monetäres Grundeinkommen beziehen müssen um überhaupt zu überleben“ (ebd.) 479 „Und jetzt (.) wenn das Grundeinkommen eingeführt würde (.) dann würde (.) das was den Kindern zugute kommt eigentlich auf die gesamte Gesellschaft ausgedehnt werden so dass jedem wieder ein Stück Kindheit zurückgegeben wird. Hmm (.) dadurch dass er jederzeit in die Lage versetzt wird äh (.) wieder eine ganz neue Berufsausbildung (.) Umschulung (.) was auch immer (.) in Angriff zu nehmen und der demographischen Alterung sozusagen im geistigen Gegenstrom eine Verjüngung zugefügt würde“ (ebd.). 480 FGPol 62. 481 FGPol 66. 482 „Da fällt mir statt (.) (böser Wolf (.) lieber Gott (.) ein. [...] Also so bedingungslose liebende Anerkennung (.) Aufnahme (.) Annahme (.) des anderen Menschen. Und das assoziiert (..) für mich mit dem Thema Grundeinkommen. Nicht der böse Wolf (::) der liebende Gott (.) die liebende Göttin“ (ebd.). 483 „Würdest du es an der Teilhabe an Familie (.) sprich an der Gesellschaft im übertragenden Sinn (.)“ (FGPol 66). 484 FGPol 68.
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Es kann festhalten werden, dass Befürworter klar den Verlauf bestimmen. Der diskursmächtige Pol setzt starke Thesen und arbeitet metaphorisch, während die Befürworter in deren „Schatten“ differenzierte Argumente bringen, ihre Hoffnungen und Zweifel äußern. Doch wo stehen die Kritiker? Bisher können wir lediglich einen Stiftungsmitarbeiter identifizieren, der jedoch eine ambivalent immanente Perspektive einnimmt und eher Probleme mit dem Umfeld und politischen Eliten zu haben scheint. Knackpunkt des Diskursverlaufs ist der Gegensatz von Individualismus vs. Gemeinwohlorientierung. Vor dem Hintergrund des sowohl stark argumentativ als auch metaphorisch gesetzten Diskurses spricht nun der aktive Stiftungsmitarbeiter und zeigt damit, wie schwer er sich tut, sich gegen die dominierende Matrix abzugrenzen.485 Wir können an dieser Sequenz ablesen, dass sich der Diskursverlauf der Politikgruppe deutlich subtiler gestaltet als die Verläufe in den Gruppen Sozialarbeit und Wirtschaft. Der Sprecher reagiert in mehrfacher Weise auf den Gruppendiskurs. Seine implizite Deutung von Gemeinwohl reproduzierend,486 wendet er sich – sprachlich unsicher aber in der Sache klar – gegen die von ihm beim Grundeinkommen assoziierte und im Diskurs zunehmende assoziierte Individualisierung. Hiergegen setzt er die „soziale Verantwortung“ aller.487 Rhetorisch geschickt greift der Sprecher das Diskurselement der „liebenden Göttin“488 auf und deutet die Tradition – mit ihrem verbürgtem „Recht“ auf Sozialhilfe489 – hier in der Metapher „liebender“ Eltern.490 Wir können das als Strategie lesen, jenseits der argumentativen Auseinandersetzung und auf sich allein gestellt dem machtvollen Diskurs etwas entgegen zu setzen. Möglicherweise teilen die Sprecher auch die Deutung von Sozialität in Metaphern der Familie. Die Deutung von Sozialität als Familie assoziiert die Ablehnung ökonomischer Gesetze, fordert Vertrauen ein.491 Wo liegen dann aber die Unterschiede? Das bedingungslose Geben der Gesellschaft an Individuen muss der Knackpunkt sein. Der Stiftungsmitarbeiter deutet dies als Individualisierung, als Entkopplung des Einzelnen aus
485 „Ich assoziiere komischerweise mit Grundeinkommen auch immer ähm (.)“ (FGPol 70). 486 FGPol 48-52 487 „Ich assoziiere komischerweise mit Grundeinkommen auch immer ähm (.) dass hier möglicherweise ein (.) äh (.) Versuch ist sich aus der (.) ähm (.) sozialen Verantwortung die wir eigentlich in der Gesellschaft übernommen haben (..) ähm (.) irgendwie raus (.) äh (.) zu definieren. Ähm. (5)“ (FGPol 70). 488 FGPol 66 489 FGPol 48-52 490 „Das andere ist Jahrhunderte lang gewachsen unsere Verantwortung für ähm (.) äh (.) auch aus dieser (.) alle Gedanken mit dem (.) mit der lieben Mutter (.) ähm (.) den Vätern (.) ist gewachsen (.) in unserer Gesellschaft (.) ähm (.) und könnte“ (FGPol 70). 491 Bourdieu charakterisiert Familie folgendermaßen: „Als ein Universum, in dem die normalen Gesetze der ökonomischen Welt aufgehoben sind, ist die Familie eine Stätte des Vertrauens (trusting) und des Gebens (giving) - im Gegensatz zum Markt und zum do ut des - oder, um mit Aristoteles zu reden, der philia, ein Wort, das oft mit Freundschaft übersetzt wird, aber eigentlich das Absehen von Berechnung bedeutet; der Ort, wo das Interesse im engeren Sinne, also das Streben nach Äquivalenz im Tauschverkehr, aufgehoben ist“ (Bourdieu 1998, S. 127).
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sozialen Zusammenhängen. Gegenleistungsverpflichtungen binden den Einzelnen an das Gemeinwesen. Wie erfolgt die Anknüpfung? Kann noch sachhaltig argumentiert werden? Die beiden diskursprägenden Akteure spitzen im Folgenden den Verlauf weiter zu, indem das doppelte Muster von Theoriesprache und Metaphorik reproduziert wird. Im Stakkato kommen die Begriffe, die sich gegen eine gemeinwohlorientierte Deutung von Verantwortung richten.492 Verantwortung wird individualistisch vom Einzelnen her gedacht und setzt Freiheit voraus, die ein Grundeinkommen gewährt, dadurch dass es bedingungslos ist. Damit greift der Sprecher implizit die im Diskursverlauf angesprochenen kulturellen Veränderungen auf, denn eine solche Deutung setzt auf Einsicht in den Umgang mit Freiheit. Sofort knüpft die Basisaktivistin an, indem sie explizit die Rede des Vorredners aufgreift, diese deutet.493 Diese rhetorische Strategie zielt darauf, den Konsens innerhalb der Befürworter zu stärken. Skeptiker werden damit gezwungen, ebenfalls auf dieser akademischen Ebene zu argumentieren. Die Sprecherin spitzt die Kontroverse um Individualismus und Gegenleistung zu, indem sie die Familienmetapher noch expliziter formuliert.494 Ursprünglicher als Gegenleistungen kommen „Vorleistungen“ ins Spiel, die ein vergemeinschaftendes „wir“ zu erbringen hat. In der Relation von Sozialität und Individuum wird Sozialität als ursprünglicher gedeutet, was als Widerspruch erscheint. Jedoch zielt diese Konstruktion – in der dynamischen Matrix der Familienmetapher – auf eine Stärkung der Individuen. Diesen ist bedingungslos eine „Geste der Rückendeckung (.) des Vertrauens“ zu gewähren, womit Sozialität als stärkender Vater oder stärkende Mutter gedeutet wird. Die Eltern – genauer: die Mütter495 – schenken bedingungslos Vertrauen. Jedoch steht konkurrierend die Deutung im Raum, die Liebe an Bedingungen knüpft, als väterliche
492 „Stichwort Verantwortung. Ohne Freiheit keine verantwortungsvolle Übernahme von bestimmten Tätigkeiten (.) Grundeinkommen setzt die Freiheit. Das assoziiere ich damit. Ohne das (ist) keine Verantwortungsübernahme möglich (.) ((Stiftungsmitarbeiter stimmt zu))“ (FGPol 72). Als irritierend erweist sich die Zustimmung des Kritikers, die jedoch konsistent ist zu seinen bisherigen ambivalenten Aussagen. 493 FGPol 74 494 „Aber äh (.) das Grundeinkommen (.) wenn man noch nicht mal fragt nach der Gegenleistung (.) sondern nach der Vorleistung (.) die wir als Gesellschaft erst mal im Einzelnen bringen (.) dann bin ich bei diesem Vertrauen (.) gebt erst mal dem Einzelnen (.) dem Individuum (.) ein- (.) ja ich möchte sagen so eine Geste der Rückendeckung (.) des Vertrauens“ (ebd.). 495 „Mutterliebe ist ihrem Wesen nach an keine Bedingungen geknüpft. Eine Mutter liebt ihr neugeborenes Kind, allein weil es ihr Kind ist und nicht weil es bestimmten Voraussetzungen entspricht oder bestimmte Erwartungen erfüllt“ (Fromm 1981, S. 52).
Fokusgruppe Politik
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Liebe.496 Väterliche Liebe wird verkörpert durch die patriarchalische Deutung, die sich beim Stiftungsmitarbeiter zeigt. Im Diskurs konkurrieren die Modi der Vater- und Mutterliebe, während die Mutterliebe jedoch deutlich machtvoller vorgetragen wird. Die väterliche Seite formuliert Pflichten, fordert Tätigkeiten ein oder Bemühungen, konzipiert aktive Subjekte. Mütterliche Liebe hingegen konzipiert in gewisser Weise passive Subjekte, da diese „außerhalb meiner Macht“ steht. An dieser Stelle ist der externe Kontrast zur Wirtschaftsgruppe instruktiv, wo ebenfalls die Familienmetapher in den Diskursverlauf eingespeist, auf Gesellschaft projiziert und verallgemeinert wird.497 Dort zielt die Metapher – ganz im Sinne der Vaterliebe – auf die Einforderung von Gegenleistung, wobei diese nicht etwa dem Wohl des Einzelnen dient, sondern dem des Gemeinwesens.498 Menschen werden als leistungsorientiert, aktiv und berufstätig gedeutet. Das Normativ der Erwerbsgesellschaft wird nicht angetastet. Menschen, die bedingungslos Leistungen erhalten, sind „Almosenempfänger“499. Was fügt der weitere Verlauf den herausgearbeiteten Mustern hinzu? Bis zur Wortmeldung des zweiten Stiftungsmitarbeiters500 bringt der aktive Stiftungsmitarbeiter nicht viel Neues, agiert schwach und ambivalent immanent, bisweilen amüsant.501 Später bringt der zweite Pol eine konservative Kapitalismuskritik in den Diskurs, die auch dem Grundeinkommen gilt, und schließlich in einer verdichteten Sequenz502 zu den für den Sprecher grundlegenden Themen gesellschaftliche Werte und Zusam-
496 „Die väterliche Liebe ist an Bedingungen geknüpft. Ihr Grundsatz lautet: ‚Ich liebe dich weil du meinen Erwartungen entsprichst, weil du deine Pflicht erfüllst, weil du mir ähnlich bist.“ (Fromm 1981, S. 54) 497 FGWir 63. 498 FGWir 63, 89. 499 FGWir 28. Wir können innehalten und mehrere Hypothesen aufstellen: Die mütterliche Konzeption von Liebe – und damit eine positive Deutung von Grundeinkommen – kommt einer Gesellschaftsdiagnose entgegen, die als Post-Arbeitsgesellschaft bezeichnet werden kann. Die Geltung dieser Deutung zeigt sich bereits in der Gruppeneröffnung. Die väterliche Konzeption von Liebe dagegen korrespondiert einem Gemeinwohlfokus, der den Einzelnen an Gesellschaft und deren normative Erwartungen bindet. In diesen Deutungsrahmen fügen sich Verpflichtungen, die „männliche“ Ordnung der Arbeits- und Leistungsgesellschaft und deren Machtstrukturen. Aufschlussreich ist hier der Vergleich mit der Wirtschaftsgruppe, wo die Unternehmensberaterin genau diese Normative repräsentiert und gegen eine antizipierte Wahrnehmung des Vertrauens das leistungsorientierte Selbstbild stellt (FGWir 46). Wir können die Beharrung am väterlichen Prinzip (Leistungsdenken, normative Gegenleistungsforderungen etc.) als Strategie deuten, die in der mütterlichen Liebe immanente Machtlosigkeit zu kompensieren und Erhalt und Mehrung der eigenen Macht zu ermöglichen. Im Gegensatz hierzu erlaubt das mütterliche Prinzip bedingungsloses Empfangen, wo Geben (giving) keine Reziprozitätsanforderungen mit sich bringt. 500 FGPol 187. 501 FGPol 76, 85, 113. Exemplarisch: „Die Gesellschaftsvisionen sind alle wunderbar aber die politischen Voraussetzungen dafür (.) dass das nicht wieder kaputt gemacht wird (.) äh (.) die kommen mir sofort hoch. Wie kriegen wir die Politiker erzogen (.) dass sie auch so schön verantwortlich sind (?) Die jetzt alles (..) die die Freiheit auch wahrnehmen“ (FGPol 76). 502 FGPol 113-137.
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menhalt kommt. Neu in den Diskurs tritt mit dem Arbeitslosen der dritte Pol.503 Nach anfänglichem Zögern und der Beobachtung der Gruppe hat dieser sich vergewissert, dass der symbolische Raum „auf seiner Seite ist“, er sich nicht erklären muss. Die Macht der deutungsstarken Diskursakteure empfindet er offenkundig nicht als „Gewalt“. Vor diesem Hintergrund bringt der Sprecher authentische Alltagserfahrungen ein, die den bisherigen akademisch-theoretischen Diskurs stützen und mit konkreten Erfahrungen unterlegen.504 Die Deutung setzt den Fokus auf Machbarkeit und reproduziert den diskursprägenden Sinnrahmen der Post-Arbeitsgesellschaft. Zwei Krisendiagnosen stehen nebeneinander. Die aus Erwerbsarbeit Exkludierten leiden, jedoch auch die Erwerbstätigen, denen die permanente Verunsicherung vor der Exklusion ins Gesicht geschrieben ist. Als Fluchtpunkt dieser Deutung des Leidens erscheint „dieses von Herzen tun“, eine Tätigkeit, der man „verpflichtet ist“. Jenseits der bisherigen Deutungen von Verpflichtung als Repression oder intrinsischem Akt scheint hier klar der Wunsch auf, durch Verpflichtung – verpflichtet werden – an Gesellschaft teilhaben zu wollen. Diese Inklusion geschieht in der Post-Arbeitsgesellschaft über eine als sinnvoll wahrgenommene, ganzheitliche Tätigkeit. Wenig später eröffnet der Sprecher einen negativen Gegenhorizont, wonach die Menschen allgemein im Falschen leben.505 Im Diskursverlauf kommt dem Langzeitarbeitslosen die Funktion desjenigen zu, der den machtvollen Diskurs beglaubigt. Diese Funktion ist erfüllt, der Blick der Ausgegrenzten erfasst.506
503 FGPol 80. 504 „Für mich ist es mhm erstmal ne große Werbeaufgabe und äh (.) ich schätze das ähm (.) sehr viel Produktivität freigesetzt wird wenn die Menschen denk ich mal das tun können was sie wollen und was sie müssen. Und ich sehs ja an der Freiwilligenagentur fünfzig Prozent der Leute die zu mir kommen in die Beratung sind Arbeitslose. Die auf der Suche sind nach Sinn und auch Aufgabe. In ihrem Leben. Und die anderen die kommen sind noch in Arbeit und bleiben ohne Ende. Also die ganzen Kaputtgemachten. Und zur- (..) ausgerechnet zusätzlich auch noch ein Ehrenamt zu machen (.) (denk ich mal) (.) ((Lachen weiblich im Hintergrund)) äh (.) der Sache verpflichtet zu sein (.) dieses von Herzen tun (.) ((lachender Unterton)) haja“ (ebd.). 505 „Sondern die Leute würden (.) äh (.) die können ja den ganzen Tach (.) äh (.) noch nicht einmal die Fragen stellen (.) sich ihrer Haut ja gar nicht wehren. Nämlich was denn jetzt eigentlich zu tun ist (.) ja (.) was will ich jetzt (..) tun.“ (FGPol 90). 506 In der assoziativen Sequenz erscheint der Sprecher auch nur noch einmal, erst im späten Verlauf (FGPol 193). Damit offenbart sich die Unterscheidung akademische (Eliten-)Befürworter und solche, die aus ihrem Leiden heraus für Grundeinkommen stimmen. In der diskursiven Sequenz spricht der Arbeitslose Aktivist fünf Mal. Als zentrale Sequenz können wir FGPol 553-557 identifizieren. Insgesamt scheint das Thema Schaum durchaus eine Rolle zu spielen, was die vergleichsweise wenigen Wortmeldungen belegen. Dennoch nimmt der Sprecher das Setting als geschützten Rahmen wahr, der „auf seiner Seite“ ist, äußert sich authentisch und auch in längeren Wortmeldungen.
Fokusgruppe Politik
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Wie gestaltet sich der weitere Diskursverlauf? Durch argumentative Bearbeitung gerät der Common Sense des Gegenleistungsdenkens weiter unter Legitimationsdruck, die Machtlogik hinter der Wirklichkeitsdefinition wird geradezu dekonstruiert.507 Arbeitsgesellschaft ist nicht mehr der legitime Sinnrahmen. Wenig später übernimmt der prägende Mitarbeiter des Bundestags, indem er eine Frage an die Gruppe stellt.508 Die Frage reproduziert seine diskursprägende Rolle, die Differenzierung des Politikfeldes sowie den Deutungsrahmen der Postarbeitsgesellschaft. Sofort steigt der Arbeitslose ein und bestätigt – geradezu befreit – diese Deutung.509 Das „Arbeitsamt der Zukunft“ befragt den selbst hochgradig fragwürdigen Common Sense, beschäftigt sich mit Sinnfragen und sinnvollen Tätigkeiten.510 Es versucht nicht, Leute in Jobs zu zwingen, die es nicht gibt. Wenig später wird – im impliziten Deutungsrahmen Inklusion vs. Exklusion – Armut im Hartz-IV-Regime als objektives Handlungsproblem identifiziert.511 Im Fahrwasser des machtvollen Diskurses äußern Sprecher ihre Zweifel, ehrliche Unsicherheit und Gegenargumente.512 Klar benannt wird Unsicherheit mit Gegenleistungsforderungen. An diesen Punkt knüpft die akademische Aktivistin sofort an, geradezu als ob sie bereits darauf gewartet hätte.513 In dieser Sequenz verdichtet sie ihre Argumentation auf kultureller Ebene, diagnostiziert die kulturelle Beharrung als „Habitus“, womit sie die Rede vom „ihrer Haut ja gar nicht wehren“ aufgreift.514 Ein hochreflexiver akademisch gebildeter Blick betrachtet Grundeinkommen nur nachrangig als eine ökonomische Frage.515 Daher wird die Frage der Finanzierung auch nicht von diesen in die Gruppe eingespeist, sondern von
507 „ich finde es grad nicht mehr bestimmbar was ist Leistung und wie hab ich und wo hab ich äh (..) Gesellschaft (..) was ich gestern getan habe war eigentlich ein Schuss in den Ofen und keine Leistung. Von daher war das (.) könnt ich ohne Gegenleistung ganz gut leben. Wer hat das Recht zu bestimmen (.) das wär die nächste Frage (.) was Leistung sei. Gibt’s da die Herren der Leistungsgesellschaft. (Früher waren wir noch eine Arbeitsgesellschaft) (..) wer bestimmt das als Leistung. (5) (..) in dieser Gesellschaft Leistung nicht mehr bestimmbar ist (.) das wär meine Assoziation. Ohne Gegenleistung (.) auch weil es nicht mehr bestimmbar ist was ist Leistung“ (FGPol 78). 508 „Was würden Politikerinnen machen (.) wenn das hier ne Freiwilligenagentur wäre (?)“ (FGPol 87). 509 „Ja (.) wir wären ja eigentlich das Arbeitsamt der Zukunft (.) ne“ (FGPol 90). 510 „dann (.) gäbe es vielleicht nicht mehr Arbeitsagenturen sondern Sinnagenturen (?)“ (FGPol 121). 511 Diese Deutung richtet sich explizit gegen die These eines Vertrauen und Sicherheit schenkenden tradierten Sozialhilfesystems (FGPol 48). 512 FGPol 96-98. 513 FGPol 101. 514 FGPol 90: Exemplarisch: „Das ist ja (.) mhm (.) nämlich interessant dass man von dieser Gegenleistung gar nicht so schnell loskommt (.) dass wir diese Art von Abhängigkeit (.) die ganze Zeit (habitualisieren) (.) schon im Denken (.) dann im Habitus. Immer muss ne Gegenleistung da sein“ (FGPol 101). 515 FGPol 93. Exemplarisch hierzu die Fokussierungsmetapher zwischen der Sprecherin und der später hinzu gekommenen Teilnehmerin (FGPol 103-111) mit dem Schlusssatz: „Die Frage ist nur wie finanzieren wir das. Das ist sozusagen der (.) die große Herausforderung“ (FGPol 111).
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der später hinzu gekommenen Aktivistin.516 Der machtvolle Diskurs wendet sich hin zu kulturellen Veränderungen, wobei ein Denken in Gegenleistungen gleichsam als historische Last gedeutet wird. Daher steht die Forderung, uns zu „trauen“, uns von dieser „Abhängigkeit“ zu befreien, einen „geistigen Gegenstrom“517 zu erlauben. Doch diese Befreiung scheitert womöglich an der mangelhaften Bildung der Menschen. Gesellschaftlicher Wandel – der zunehmend als Definition eines objektiven Handlungsproblems gelten kann – muss demnach als Wandel in den Köpfen in einer „vierten Aufklärungswelle“ gegen die gegenwärtigen Modi der kulturellen Beharrung („Chips“ und „Tittitainment“) wirken.518 In dieser Sequenz offenbart sich ein Denken, welches eine Opposition aufmacht zwischen anzustrebendem Zustand (der Idee, des Neuen) und einem Status Quo (des Tradierten), der die Menschen entweder repressiv in Aktivität zwingt, oder aber – im Fall der Exklusion aus Erwerbsarbeit – zur Passivität, zum Konsum, zur Hängematte. Die in Sachen kultureller Kompetenz offensichtlich mangelhaft konzipierten Menschen müssen auf den notwendigen Stand der Bildung gebracht werden, den eine Grundeinkommensgesellschaft voraussetzt. Diese Sequenz belegt ein Denken, das kulturelle Beharrung als strukturelles Handlungsproblem ausmacht. Als diskursanalytisch pikant erweist sich die Schlusssequenz, wo die Rede ist vom Grundeinkommen als Elitenprojekt, worauf der bisher „abwesende“ Stiftungsmitarbeiter erstmals „interveniert“519. Als eine zentrale Entwicklung des dominanten Diskursverlaufs können wir den Wandel der Perspektive von anfänglicher Immanenz hin zur kulturellen Notwendigkeit herausarbeiten. Hierzu gehört die Perspektive der Machbarkeit.520 Diese kann als „Gipfel“ der Befürwortung gelten.521
516 Konsistent zu dieser monetären Deutung markiert die Sprecherin eine „gerechtere und sozial orientierte Verteilung“ als das strukturelle Handlungsproblem (FGPol 103). 517 FGPol 64. 518 „sondern das ist ne Bildungsfrage und ich glaube diese Bildungsfrage ähm (.) lässt dann endlich mal seine Fassade fallen und wird offensichtlich. Und wie wir dann damit umgehen (.) ob wir sozusagen innerhalb einer zweiten Aufklärungswelle oder es hat ja historisch immer wieder Aufklärungswellen gegeben (.) Hochmittelalter (.) in der Renaissance oder die Aufklärung die wir als (.) eben die Aufklärung bezeichnen und vielleicht sind wir jetzt sozusagen in einer vierten Aufklärungswelle“ (FGPol 101). 519 Die Intervention deutet sich jedoch nur an: „ist es dann so ne Idee die von der Elite kommt wir brauchen ein Grundeinkommen und jetzt jetzt wie kriegen wir die Unterschichten und Mittelschichten da mitgezogen und äh (.) damit die jetzt nicht in der Hängematte liegen bleiben müssen wir da so was wie ne neue Art der Volksbildung Volksschule oder so was äh (.) etablieren (.) […] (?) ((Stiftungsmitarbeiter unterbricht knapp und unverständlich))“ (FGPol 101). 520 Bereits kurz vorher hat der Hartz-IV-Bezieher – in seiner ersten Wortmeldung – diese Perspektive in den Diskurs gebracht: „Für mich ist es mhm erstmal ne große Werbeaufgabe und äh (.)“ (FGPol 80). Damit finden wir ein Muster analog zur Sozialarbeitsgruppe. Besonders im späten Verlauf der diskursiven Sequenz nimmt die Gruppendiskussion die Gestalt einer Machbarkeitsstudie an.
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Nachdem die später hinzugekommene Sprecherin nochmals Finanzierung als die Frage des Grundeinkommens in den Diskurs einführen will,522 reagiert der Diskurs mit Überdruss. Die Frage wird – regelrecht genervt – vom machtvollen Diskurs aufgegriffen und mit dem Satz „Wir sind reich genug“ abgewiesen.523 Auch die akademische Aktivistin unterstützt entschieden diese Auffassung, versehen mit einem globalen, universalistischen Fokus.524 Wie begegnet der zuletzt zurückhaltender gewordene aktive Stiftungsmitarbeiter als zweiter Pol diesem inzwischen mehrfach „gesicherten“ machtvollen Gruppenkonsens? Nach mehr als zehn Minuten Enthaltung hat dieser offenkundig das Bedürfnis, sich klar gegen den machtvollen Diskurs zu stellen, indem er nochmals seine Kritik am „entfesselten“ Kapitalismus äußert. Grundeinkommen fügt sich funktional in einen entfesselten Kapitalismus ein, der sich nicht um das Gemeinwohl sorgt. Grundeinkommen dient dann dazu, Menschen lediglich „abzuspeisen“. Die Integration des Einzelnen in die Gemeinschaft wird als objektives Handlungsproblem im Deutungsmuster des Sprechers reproduziert.525 Zum Abschluss können wir eine Sequenz identifizieren, die das bisherige Geschehen verdichtet.526 Diese Sequenz ist wichtiger als der Eintritt des zweiten Stiftungsmitarbeiters, da dieser Argumente aus dem ablehnenden Diskurs lediglich nur noch reproduziert.527 In der Konsequenz jedoch sind die Kritiker gestärkt, was zu einer sehr lebhaften argumentativen Auseinandersetzung in der diskursiven Gruppensequenz führt. Nach einem Verlauf von etwa einer Stunde stehen zwei unversöhnliche Deutungen im Raum, die zwar gleiche Begriffe („Solidarität“) verwenden, in der Tiefenstruktur der Deutungsmuster aber fundamentale Unterschiede offenbaren. Der Stif-
521 Bedenken am Konzept sind im machtvollen Diskurs beseitigt, legitimierende Gründe und Krisendiagnosen sind zweifelsfrei. Für die diskursstarken TeilnehmerInnen gilt diese Hypothese, während in deren „Schatten“ durchaus immer wieder Skepsis geäußert wird, etwa bei der Fokussierung auf „Kreative“ (FGPol 117), den Rahmen der „Solidarität“ (FGPol 127) oder der monetären Frage von Grundeinkommen als „Steuergeschenk“ (FGPol 109). 522 FGPol 103. 523 „ja mein Gott es sind so Gesellschaft- es sind die Gesellschaften die sind dann nicht reich genug um das zu gewähren. ((Akademikerin stimmt zu)) [..] Frage ob ähm (.) muss ne Gesellschaft das (.) wie auch immer bestimmt (.) reich sein oder gibt es eigentlich schon immer ein Grund- auch in einer so genannten Mangelwirtschaft. Wer bestimmt eigentlich was Mangelwirtschaft ist (?) [..] Wir haben doch über zehntausend Jahre einen nicht beseitigten Mangel. Wann stellt die Gesellschaft das Genug fest. Wir sind reich genug“ (FGPol 119). 524 FGPol 131. 525 „Ähm (.) das Erste Brot und Spiele (.) also ähm (.) ist das ähm (.) die Geschichte das ähm (.) die Leistungsgesellschaft oder die Eliten (.) ähm (.) den Grund bekommen die Leute stillhalten und äh (.) die sind ja versorgt (.) ähm (.) das andere ist (.) ähm (.) die andere Gesellschaft (.) die andere Frage (.) ganz ähm (.) ganz skeptisch Grundfragen raus (.) geben wir damit nicht (.) geben wir damit nicht auf (.) ähm (.) diese Entfesselung des Kapitalismus äh […] (.) jetzt wird er da mit Grundeinkommen abgespeist“ (FGPol 113). 526 FGPol 123-137. 527 FGPol 187.
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tungsmitarbeiter macht sein Unbehagen am Diskursverlauf deutlich, indem er fragt, ob der ganze theoretische Apparat – den der Sprecher deutlich spürt – nicht eine „Verschwendung“ von „Energien“ darstelle.528 Das eigentliche Handlungsproblem ist der soziale Zusammenhalt und die Diskussion über verbindliche Werte, die diesen sichern. Eine Diskussion über Grundeinkommen kann für den Sprecher hierbei nicht weiter führen, da dieses nicht auf Gemeinschaft, sondern immer wieder auf Individuen abstellt.529 Dies hat der machtvolle Diskurs eindrücklich gezeigt. Für den Sprecher hat der Diskurs dazu geführt, sich seiner contra-Haltung grundsätzlich zu versichern. Ein für konservative Deutungsmuster zu erwartendes Unbehagen am Individualismus wird deutlich.530 Die im Verlauf konsistente Assoziation von Grundeinkommen und Individualismus weist den falschen Weg für die Lösung des Handlungsproblems gesellschaftlicher Zusammenhalt.531 Analog zur Metapher des liebenden Vaters532 wird gemeinwohlorientiert „Solidarität“ eingefordert. Beinahe im Gestus politischer Agitation widerspricht sofort der machtvolle Pol mit erneutem Bezug auf bestehende repressiv eingeforderte Solidarität im Hartz-IV-Regime. „Solidarität“ müsse im Muster der Mutterliebe erfolgen.533 Diese Spannung verbleibt. Die Auseinandersetzung mit der Idee Grundeinkommen in der Politikgruppe wird durch die spezifische Rekrutierung strukturiert. Analog zur Wirtschaftsgruppe gilt,
528 „dann haben wir jetzt unseren großen äh (.) Energien da drauf das zu begründen (.) äh (.) und verschwenden wir da nicht irgendwelche Energien darauf äh (.) und äh (.) müssen (.) und weichen der Frage aus was hält unsere Gesellschaft zusammen (.)“ (FGPol 123). 529 „Verhindert es nicht ne Diskussion wirklich äh über (.) äh was hält denn so eine Gesellschaft zusammen. Wo kriegen die ganzen (.) die Werte (.) dass jetzt Freiheit was ist (.) dass aber auch Solidarität was wert ist (.) äh (.) wo kriegen die wieder her (?) Es taucht jetzt immer nur auf Freiheit und Individualität (.) äh (.) aber die Freiheit ist nur was wert (taucht da was auf mit) Verantwortung und die Verantwortung (.) ähm (.) wo kommt die denn her ( (?)) Das ist nur Freiheit (.) wo ist die Verantwortung (?) Verantwortung auch für den anderen (.) für mich OK (.) aber Verantwortung für die Gesellschaft. (2) Für das Gemeinwesen“ (ebd.). 530 „Seit einigen Jahrzehnten haben viele das gute Gefühl, und sie können es mit guten Gründen untermauern, dass sich unsere Gesellschaft im Zuge allzu rasch fortschreitender Individualisierung fragmentiert“ (Kocka 2004, S. 5). 531 „aber ist unsere (.) sind unsere Werte ähm (.) jetzt noch mal ganz-ganz andere Werte angesprochen (..) ähm (.) ähm (.) ähm (.) wird diese Teil (.) äh (.) Diskussion (.) Paradigmenwechsel (.) äh (.) ist das genug (.) äh (.) um eigentlich wieder (.) äh (.) ne vernünftige Wertediskussion zu kriegen und ne vernünftige Werteorientierung zu kriegen. Ich denke dabei an Individualisierung der Gesellschaft und alle Leute fragen danach (.) äh (.) was hält unsere Gesellschaft zusammen (.) keiner weiß eine Antwort darauf (.) ähm (.) und ähm (.)“ (FGPol 123). 532 FGPol 70. 533 „Ich rufe zum einen Solidarität auf einer anderen Basis (.) eben nicht ökonomisch erzwungen (.) […] nämlich die nicht rückgängig und Abhängigkeiten folgt sondern nach dem Herzen nachfolgt. […] Und das übertragen auf die Gesellschaft das heißt (.) ne andere solidarische Gesellschaft […] Eine andere Form von solidarischer Gesellschaft“ (FGPol 125).
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dass diese durch Kontakte des Projektleiters charakterisiert ist, was sich durch das „Netzwerk Grundeinkommen“ und eine Verschiebung nach „unten“, hin zur Basisbewegung ausdrückt. Die Gruppe ist nicht durch Fremdheit bestimmt. Charakteristisch für die Politikgruppe ist ein diskursiver Verlauf mit drei bestimmenden Akteuren. Zunächst sind zwei Akteure zu identifizieren, die argumentativ für ein Grundeinkommen starke symbolische Kraft ausüben und damit den Diskursverlauf prägen. Als deutliche Kritiker können wir beide Stiftungsmitarbeiter ausmachen. Der dritte prägende Akteur ist der Langzeitarbeitslose, der durch seine Erfahrungen den abstrakten akademischen Diskurs beglaubigt. Diese Polarität führt im Diskursverlauf zu folgendem Bild: Von Beginn an erweisen sich die machtvollen Diskursakteure als deutungsstark, Grundeinkommen wird hochreflexiv auf der Ideenebene legitimiert. Die symbolische Kraft verdankt sich hochreflexiven Argumenten. Die im Verlauf geäußerten Zweifel und Gegenargumente werden mit großer doxischer Sicherheit zurückgewiesen. Die doxische Gewissheit pro Grundeinkommen kontrastiert maximal die bisherigen Hypothesen der beiden anderen Gruppen, wonach habituelle Sicherheit – Hintergrund der Ablehnung eines Grundeinkommens – an Tradition und Macht gebunden ist. Jedoch gerät die prägende Dekonstruktion kultureller Normative im Verlauf in Kontrast zu einem alarmistischen Gegenhorizont der Gefahr. Dieser Diskursstrang wird von den prägenden Befürwortern eingefangen, indem der Staat vom „bösen Wolf“ zur „liebenden Göttin“ umgedeutet wird. Im späten Verlauf assoziiert auch der Kritiker eine Metapher, die als „liebende Eltern“ jedoch gerade nicht – wie im machtvollen Diskurs gefordert – die Individuen aus ihrer Verpflichtung für das Gemeinwesen entlassen. Schlussendlich stehen sich zwei unversöhnliche Problemdiagnosen gegenüber: Gegen kulturelle und staatliche Zwangsszenarien hilft ein Grundeinkommen dem Einzelnen, individuelle Freiheit herzustellen. Ein Denken in Kategorien der Gegenleistung erscheint gleichsam als historische Last. Auf der Seite der Kritiker wird angemahnt, gegen den Zerfall des Sozialen die Einzelnen verpflichtend einzubinden. Ein Grundeinkommen wird als Irrweg abgewiesen. In der Politikgruppe spielt der monetäre Diskurs der Finanzierung und Verteilung kaum eine Rolle. Im Vergleich der drei Gruppen weist die Politikgruppe Ähnlichkeiten auf zur Gruppe der Wirtschaft. Dort erfolgt die doxisch fundierte und in sich konsistente Ablehnung der Idee, die geradezu im Gestus der machtvollen Arroganz erfolgt. In der Politikgruppe zeigt sich im Verlauf deutlicher Überdruss an kulturell tradierten Normativen. Hier erfolgt die Befürwortung und sogar Forderung nach einem Grundeinkommen in sich konsistent. Bedingung hierfür ist eine ausgesprochen akademische Perspektive, eine hoch reflexive und gesellschaftliche Krisenszenarien integrierende doxische Struktur. Dies gilt insbesondere für die Post-Arbeitskonfiguration.
6 Wertetypen im Rahmen der Fokusgruppenanalyse
In diesem Kapitel werden die im Rahmen der Fokusgruppenanalyse vorgefundenen Werte typologisiert.
6.1
Menschenbild: Gegenleistung – Leistung
In der Fokusgruppe Sozialarbeit strukturiert die Gegenleistungsthematik sehr stark den Gruppenverlauf. Ein Grund liegt darin, dass der gesamte gruppendynamische Verlauf gekennzeichnet ist durch eine implizite Verengung möglicher Zielgruppen des Grundeinkommens auf die eigene Klientel der Armut und Sozialpädagogik. Dies betrifft sowohl Befürworter wie Gegner des Grundeinkommens. Aus der Logik der Arbeitsgesellschaft heraus argumentiert der Sozialamtsleiter für die Gegenleistungsforderung: „ich halte von einem Grundeinkommen ohne Gegenleistung eigentlich gar nichts.“534 Grundeinkommen erscheint in dieser Deutung als eine entwürdigende Gabe des Staates, arbeitende Menschen „wollen nichts nur geschenkt kriegen“535. Arbeit wird mit Autonomie und Würde assoziiert. Als überraschend erweist sich das Festhalten am Gegenleistungsprinzip bei Befürwortern des Grundeinkommens. In der dynamischen Matrix der Stimulussequenz lässt sich die Eröffnung dieses Deutungsraumes sehr gut ablesen. Nachdem der Verfechter der Arbeitsgesellschaft536 klare Kontraposition bezogen hat, ringt der katholische Sozialarbeiter und Befürworter des Grundeinkommens um seine zustimmende Position: „Für mich hat Grundeinkommen schon noch äh so einen positiven Klang auch wenn es in dem Wort hat ohne (!) Gegenleistung ich denke die Leute würden wenn sie diese Sicherheit hätten auch Gegenleistungen bringen die man vielleicht nicht mit heutigen Leistungen bei Einkommen vergleichen kann (.).“537 Grundeinkommen hat für den Sprecher eine positive Färbung nicht weil es ohne Gegenleistung konzipiert ist, sondern trotzdem. Der Sprecher bleibt klar einem Gegenleistungsdenken verhaftet, öffnet dies jedoch aus den Schranken der Erwerbsgesellschaft. Im gruppendynamischen Verlauf zeigt sich, dass die Verfechter
534 FGSoz 29. 535 FGSoz 51; vgl. die konservative Deutung in der Fokusgruppe Politik: FGPol 373, 532; vgl. die Wirtschaftsgruppe: FGWir 237ff., 256, 264. 536 FGSoz 29. 537 FGSoz 31.
126
6 Wertetypen im Rahmen der Fokusgruppenanalyse
des Grundeinkommens Abschied genommen haben vom Normativ einer Erwerbsarbeitsgesellschaft538 und andere Formen von Arbeit in den Blick nehmen. Dieses Beharren am Gegenleistungsprinzip überrascht, macht jedoch in der spezifischen Perspektive der Fokusgruppe Sozialarbeit Sinn. So enthält bereits die erste Wortmeldung durch den protestantischen TV-Pfarrer mit Missbrauch und Bedürftigkeitsprüfung zwei Dimensionen der Gegenleistungsthematik, wie sie sich in der Fokusgruppe Sozialarbeit spezifisch abbildet: „Ein Grundeinkommen ist zunächst einmal wenn es ohne Wert ohne Leistung erbracht wird eine Möglichkeit für die Leute aus diesem (!) Hängen in der sozialen Matte herauszukommen also ich orientiere mich nicht danach was muss ich alles tun um möglichst viel Sozialleistungen zu erringen und bringe damit mein Leben zu verbringen (..) sondern ich weiß ich hab die Zeit frei für mich (4).“539 Das Gegenleistungsthema spielt in der Fokusgruppe Politik eine wichtige Rolle, da die Befürworter begriffen haben, dass ein Grundeinkommen nicht an Gegenleistungen geknüpft werden darf. Für ein Grundeinkommen soll in der Gruppe argumentiert werden. Stark besetzt von den Befürwortern, begrifflich normativ540 und hoch reflexiv bearbeitet,541 verharren die Gegner und Skeptiker in der Position der Frager und Mahner und verknüpfen Gegenleistung mit dem Appell an Gemeinwohlverpflichtung.542 Entsprechend dem radikal vorgetragenen Individualismus und der entsprechenden Gegenwartsdiagnose (siehe unten: Gemeinwohlorientierung – Individualismus) erscheinen bei den Befürwortern Gegenleistungsforderungen, welche zugleich Gemeinwohlorientierung aufweisen, als Rückfall in dunkle historische Epochen.543 In der Gruppe Wirtschaft stellt sich die Lage anders dar. Hier geht es nicht um eine Argumentation pro Grundeinkommen. Dieses erscheint vielmehr in völligem Kontrast zu den Wertkonfigurationen in der Wirtschaft. Der Anthropologie eines Menschen entsprechend, der in Unternehmen tätig ist, frei und leistungsorientiert,544 will dieser „nichts geschenkt haben“545, wird von einem Grundeinkommen regelrecht zum Bittsteller degradiert: „sie entmündigt und ihnen beibringt Almosenempfänger zu werden.“546 Leistung zu erbringen gehört zur Natur des Menschen und geschieht dort, wo Menschen sich befinden, in Unternehmen. Die in der Wirtschaftgruppe ventilierte Leistungsideologie, die wir in großer habitueller Sicherheit vorgetragen finden, erlaubt
538 539 540 541 542 543 544 545 546
FGSoz 13, 78, 139, 192. FGSoz 25. Z.B. „Recht auf Leben“, FGPol 56. Z.B. FGPol 101. Z.B. FGPol 123, 137, 187. „in einen Totalitarismus“, FGPol 199. FGWir 28, 31, 33, 57, 98. FGWir 239. FGWir 266; vgl. 237ff., 256, 264.
Menschenbild: Gegenleistung – Leistung
127
es den Sprechern nicht, sich der Thematik Grundeinkommen differenziert zu nähern. Die Ablehnung bestimmt die dynamische Matrix bis zum Ende hin. Vergleich der drei Fokusgruppen: Die Deutung einer „strengen“ Einforderung von Gegenleistungen in Form von Erwerbsarbeit – wie in der Wirtschaftsgruppe – schließt die Akzeptanz von Grundeinkommen aus. Differenzierte Zwischenlösungen kommen dabei nicht in den Blick. Die Deutung einer „weichen“ Einforderung von Gegenleistung in Form von Tätigkeiten jenseits der Erwerbsarbeit – wie in der Sozialarbeitsgruppe – eröffnet die Möglichkeit eines Grundeinkommens. Diese Variante muss jedoch mit logischen Widersprüchen klar kommen. Die klare Ablehnung eines Gegenleistungsdenkens – wie in der Politikgruppe – erscheint stringent zum Grundeinkommen. Diese Variante aber basiert auf einem radikalen Individualismus, der im Zeitgeist der Gemeinwohlverpflichtung (s.u.) kaum Konsens sein dürfte.
6.1.1
Menschenbild: Gemeinwohl – Individualismus
In der Fokusgruppe Sozialarbeit erweist sich die Deutungsachse Gemeinwohl vs. Individualismus zumindest als explizites Thema der dynamischen Matrix nicht als entscheidend. Damit unterscheidet sich diese Gruppe von den Fokusgruppen Politik und Wirtschaft. Verkleidet in die Auseinandersetzung um Gegenleistung und Missbrauch spielt das Thema dennoch eine wichtige Rolle. Ein Blick auf die dynamische Matrix belegt das: Mit der kritischen Aussage547 kritisiert der Agnostiker nach einer halbstündigen Sequenz548, bei der er lediglich Zuhörer war, explizit die bis dahin im Gruppenverlauf dominante Deutung des Missbrauchs in verschiedenen Facetten549. Der gruppendynamische Verlauf zeigt jedoch eine interessante Wendung. Ringt die Gruppe zunächst mit dem Problem fauler Menschen in der Grundeinkommensgesellschaft, einer konstanten Klientel, die den Sozialstaat missbraucht550 und dem Missbrauch durch Schwarzarbeit, kippt die Deutung. „Ich glaube nicht dass es Größenordnungen von von Menschen geben wird die einfach sagen ich geb mir (große) Mühe und sitz zu Hause und mache nichts. Also das sind da bin ich einfach skeptisch.“551 Ab dieser Sequenz ist der Mensch nicht mehr von Natur aus faul, sondern er muss zur Faulheit regelrecht gezwungen werden: „ich nehme das Geld und ich zwinge mich nur fern zu
547 548 549 550
FGSoz 103. FGSoz 37-103. FGSoz 37, 39, 47, 51, 63, 69, 71, 76, 82, 86, 92, 96. „auch hier gibt es einen Haufen Leute die das richtig gut können und das sag ich mal missbrauchen“, FGSoz 39. 551 FGSoz 82.
128
6 Wertetypen im Rahmen der Fokusgruppenanalyse
sehen und irgendwann werden die auch kommen.“552 Ziel der eingeforderten Gegenleistungen sind alternative Tätigkeiten jenseits der Erwerbsarbeit, die jedoch gemeinwohlorientiert gedacht werden553. Trotzdem bleibt ein Misstrauen gegenüber dem faulen und Gemeinschaft missbrauchenden Menschen, buchstabiert am eigenen Klientel.554 Ein egoistischer Individualismus wird abgelehnt. Die dynamische Matrix der Fokusgruppe Politik wird massiv von Befürwortern strukturiert, und hierbei erweist sich die Achse Individualismus vs. Gemeinwohlorientierung als Schlüssel. Während Befürworter eine klar individualistische Perspektive auf den Menschen vertreten, machen die konservativen Skeptiker immer wieder das Gemeinwesen stark. Diese beziehen Individuen immer schon zurück auf die Gemeinschaft und leiten daher die Pflicht für das Gemeinwohl ab555. Grundeinkommen wird bei Befürwortern assoziiert mit Grundrechten,556 mit Selbstbestimmung,557 mit bedingungsloser Integration.558 Dem von einem konservativen Skeptiker eingebrachten Deutungselement der „sozialen Verantwortung“559 wird von einem Befürworter sofort die radikal individualistische Sichtweise von Verantwortung entgegen gehalten.560 Die gesetzte Freiheit wird zum Bezugspunkt der individualistischen Perspektive auf den Menschen. Freiheit wird zur Basis von Kreativität und auch möglicher Existenzgründung, und wirtschaftlicher Unabhängigkeit.561 In dieser radikalen Deutung wird jeder Versuch, Werte aus dem Gemeinschaftlichen her zu buchstabieren, abgelehnt. Die Einforderung von „Grundpflichten“562 ruft entsprechend sofort die Beschwörung der Gefahren eines Kollektivismus auf den Plan: „ich halte das aber für (!) gefährlich und sag warum (ja) wenn weil in dem Moment wo die Individualisierung (.) derart eingetreten ist der Mensch erst mal als Individuum aus der Gesellschaft heraustreten muss (.) wir aber dann doch wieder zurück wollen zu irgendwelchen (2) gesellschaftlichen Werten (!) erst mal das Vaterland und dann das Individuum oder (.) erst mal der Kontinent erst mal Europa oder ich weiß nicht welcher wer und dann das Individuum (.) dann
552 553 554 555 556 557 558 559 560 561 562
FGSoz 86. FGSoz 31, 33, 49, 63, 111, 139, 286. Mit der Forderung nach einem „Vertragsverhältnis“, FGSoz 269f. FGPol 123, 137, 187, 201. „da fällt mir ein Grundrecht (.) Recht auf Leben. Und dieses Recht auf Leben ist quasi zinsfrei zu gewähren“ (FGPol 56). „mehr Autonomie und Eigenverantwortung" (FGPol 62). „bedingungslose liebende Anerkennung (.) Aufnahme (.) Annahme (.)“ (FGPol 66). FGPol 70. „Stichwort Verantwortung. Ohne Freiheit keine verantwortungsvolle Übernahme von bestimmten Tätigkeiten (.) Grundeinkommen setzt die Freiheit. Das assoziiere ich damit. Ohne das ist keine Verantwortungsübernahme möglich (.) ((Zustimmung))“ (FGPol 72). FGPol 68, 74, 222, 430. FGPol 187.
Menschenbild: Gegenleistung – Leistung
129
gleiten wir zurück in einen Totalitarismus (..).“563 Jedoch lassen auch Befürworter nach etwa einstündigem Verlauf eine gewisse Gemeinwohlorientierung zu: „also ich glaube man muss erstmal das Individuum (!) stark machen (.) denn nur wenn das Individuum für sich Verantwortung übernehmen kann (.) kann es über den (!) Tellerrand seiner Subjektivität hinausschauen und fragen so und für was übernehme ich jetzt noch Verantwortung (.).“564 Sowohl in der Fokusgruppe Politik wie auch Wirtschaft finden wir die Deutung des Gemeinwesens in der Metapher Familie. Jedoch erweist sich die Zielrichtung als vollständig konträr. Grundeinkommen erhält in der Fokusgruppe Politik zunächst eine pointierte religiöse Zuspitzung, indem das Bild eines liebenden Gottes auf das Politische projiziert wird: „Und das assoziiert ( ) für mich mit dem Thema Grundeinkommen ( ) nicht der böse Wolf ( ) der liebende Gott (.) die liebende Göttin.“565 Das Bedingungslose wird in religiösen Dimensionen der Nächstenliebe gedeutet: „Also so ( ) bedingungslose liebende Anerkennung (.) Aufnahme (.) Annahme (.) des anderen Menschen.“566 Wenig später wird dieses Bild von Gesellschaft gedacht regelrecht als Vater oder Mutterfigur: „das Grundeinkommen (.) wenn man noch nicht mal fragt nach der Gegenleistung (.) sondern nach der Vorleistung (.) die wir als Gesellschaft erst mal im Einzelnen bringen (.) dann bin ich bei diesem Vertrauen (.) gebt erst mal dem Einzelnen (.) dem Individuum (.) ein (.) ja ich möchte sagen so eine Geste der Rückendeckung (.) des Vertrauens“.567 Die Deutung von Sozialität als Familie setzt zentrale Dimensionen des Grundeinkommens: Ablehnung der ökonomischen Gesetze der Äquivalenz als ungerecht,568 Gesellschaft gibt Vertrauen,569 Gesellschaft gibt bedingungslos.570 All diese Deutungselemente bestimmen den Gruppenverlauf der Fokusgruppe Politik. Das Bild in der Fokusgruppe Wirtschaft ist ein völlig anderes. Hier wird das Bild Familie verwendet, um für Gemeinwohlorientierung zu argumentieren und gegen ein Grundeinkommen. „Ich möchte einen gerechten Staat (.) in der es für mich (.) genau wie in ner Familie (jemand sprach von Familie) (.) alle müssen was beitragen (.) der eine bringt den Müll raus (.) der andere (.) der Nächste kümmert sich um die Kinder und wenn eines meiner vier Kinder die mittlerweile erwachsen sind rum sitzt und
563 564 565 566 567
FGPol 199. Ebd. FGPol 66. Ebd. FGPol 74. Bourdieu charakterisiert Familie folgendermaßen: „Als ein Universum, in dem die normalen Gesetze der ökonomischen Welt aufgehoben sind, ist die Familie eine Stätte des Vertrauens (trusting) und des Gebens (giving) – im Gegensatz zum Markt und zum do ut des – oder, um mit Aristoteles zu reden, der philia, ein Wort, das oft mit Freundschaft übersetzt wird, aber eigentlich das Absehen von Berechnung bedeutet; der Ort, wo das Interesse im engeren Sinne, also das Streben nach Äquivalenz im Tauschverkehr, aufgehoben ist“ (Bourdieu 1998, S. 127). 568 FGPol 125, 440. 569 FGPol 74, 589. 570 FGPol 64, 66, 74, 78, 98, 211, 387.
130
6 Wertetypen im Rahmen der Fokusgruppenanalyse
nichts tut (.) sag ich bitte streng dich mal an für uns alle. Du kannst doch hier nicht sitzen und hier wohnen und essen und tust nichts. Und für mich ist es in der Gesamtheit eines Staates auch so.“571 Der Bezug auf Familie folgt in der Wirtschaftgruppe einer anderen Strategie als in der Fokusgruppe Politik. Jedoch geht es nicht um die Gemeinwohleinforderung durch marktförmige Prinzipien in der Familie und damit zu Gegenleistungsforderungen, sondern durch moralische Unterfütterung. Diese Anforderung wird vom sozialen Nahraum Familie auf Gesellschaft projiziert. Die auf das Gemeinwohl gerichtete Gegenleistung wird vom Gewerkschafter auch in den HartzGesetzen gesehen und als legitim betrachtet. Repression, auch durch den Staat ausgeübt, erfährt – in der dynamischen Matrix konsistent – Akzeptanz: „das ganze Prinzip Fördern und Fordern an dem man kritisieren kann was da zur Zeit eigentlich im Fordergrund steht es aber im Grundsatzausdruck dieses Gesellschaftsbildes nämlich zu sagen okay (.) wenn du einen Beitrag leistet zu dem Gesamtarbeitsprozess dieser Gesellschaft dann äh (.) ist das etwas Gutes dazu wird gefordert wer auch gefördert werden will (das zum Beispiel) oder der Begriff des aktivierenden Sozialstaates ist einer der aus diesem Grundverständnis äh (.) heraus kommt (.).“572 Gemeinwohlorientierung kommt jenseits der Verpflichtung und Repression auf der Ebene individuellen Glücks zum Tragen: „es ist auch ne Frage wie ist man glücklich. Ist man glücklich durch Zukucken und Fußballspielen und ein Bierchen trinken oder ist man glücklich wenn man ab und an mal Erfolgserlebnisse hat (.) und sei es dass ich ein Beet hacke und das saubermache und es sieht super aus die Rosen ( ) für die Allgemeinheit.“573 Insgesamt weist in der Fokusgruppe Wirtschaft der leistungsorientierte Individualismus eine diffuse Zielrichtung der Gemeinwohlorientierung auf. Diese wird moralisch, repressiv und mit individuellen Glücksmotiven begründet. Vergleich der drei Fokusgruppen: Am besten passt Grundeinkommen zu einer individualistischen Deutung des Menschen – wie zentral lediglich in der Fokusgruppe Politik. Jedoch kommen auch die Befürworter dort nicht umhin, eine gewisse Gemeinwohlorientierung zu akzeptieren. Jedoch erweist sich eine solche Gemeinwohlorientierung als qualitativ anders: diese ist – jenseits von ökonomischem Zwang und Repression – reflektiert und folgt vom „Herzen her“574. Gemeinwohlforderungen dominieren die Wirtschafts- und die Sozialarbeitsgruppe. In der Sozialarbeitsgruppe sollen Menschen jenseits der Erwerbsarbeit alternativen Tätigkeiten nachgehen, die dem Gemeinwohl dienen. Dafür kann Grund-
571 572 573 574
FGWir 63. FGWir 89. FGWir 63. FGPol 125; s.u. Sozialstaatsprinzipien.
Menschenbild: Gegenleistung – Leistung
131
einkommen die Basis bieten. In der Wirtschaftsgruppe erfolgt eine moralische Aufladung von Gemeinwohlverpflichtung aus der Familie hin in die Gesellschaft. Diese Verpflichtung darf auch repressiv eingefordert werden und zielt auf Erwerbsarbeit. Grundeinkommen hat in dieser Deutung keinen Platz.
6.1.2
Menschenbild: Rolle der Arbeit
Die dynamische Matrix der Fokusgruppe Sozialarbeit ist gekennzeichnet von Sprechern, die das Normativ der Erwerbsarbeitsgesellschaft massiv in Frage stellen. Lediglich der Sozialamtsleiter zweifelt die Geltungskraft der Arbeitsgesellschaft nicht an.575 Im Gegenteil erweist sich in der dominierenden dynamischen Matrix die Abkehr vom Normalarbeitsverhältnis als Normalität.576 Diese Deutung folgt der impliziten Fokussierung der Gruppe auf Klientel der Sozialarbeit und Armut. Gegenleistungsforderungen zielen daher nicht auf Erwerbsarbeit,577 sondern öffnen Gegenleistungen aus deren Schranken. Andere – der eigenen Profession Aufwind gebende – Formen von Arbeit kommen in den Blick. Einen Deutungswandel erhoffen sich verschiedene Sprecher in Bezug auf die Anerkennung alternativer Arbeitsformen in einer Grundeinkommensgesellschaft: „eben so Kulturarbeit und Sozialarbeit und (Beziehungs-)arbeit wie auch immer (.).“578 Diese Formen von Arbeit bewirken Inklusion in die Gesellschaft, die ein Grundeinkommen allein – so der Konsens in der Gruppe – nicht bewirken kann.579 In der Fokusgruppe Politik wird Grundeinkommen explizit nicht nur mit der gesellschaftlichen Entwicklung hin zum Individualismus begründet, sondern auch – wenn auch schwächer als in der Fokusgruppe Sozialarbeit – mit dem Abschied vom Normativ der Arbeitsgesellschaft. Gegenleistungen werden nicht mehr systematisch eingefordert, und können in einer als brüchig erlebten Arbeitsgesellschaft auch nicht zwangsläufig auf diese bezogen sein. Grundeinkommen passt in eine Deutung der Wirklichkeit, die Abschied genommen hat von einer unhinterfragten Arbeitsideologie580 und deutlich postmaterialistisch gedeutet wird.581 Die folgende Aussage eines Teilnehmers zeigt die normative Ambivalenz der Arbeitsgesellschaft und weist auf die durchaus tendenziöse Zusammensetzung der Fokusgruppe Politik mit verschiedenen Vertretern des Netzwerks Grundein-
575 576 577 578 579 580 581
FGSoz 51, 118, 122, 152. FGSoz 13, 78, 139, 192. FGSoz 31, 33, 63, 111, 113, 139, 167, 286. FGSoz 286. FGSoz 139; vgl. 165. FGPol 78, 193, 430. FGPol 80, 121, 189.
132
6 Wertetypen im Rahmen der Fokusgruppenanalyse
kommen: „ich bin sehr glücklich über meine ehrenamtlichen Tätigkeiten und leide trotzdem wie ein Hund dass ich nicht in Arbeit bin.“582 Arbeit spielt in der Wirtschaftgruppe die zentrale Rolle, da Vergesellschaftung in einer Leistungsgesellschaft primär über Erwerbsarbeit geschieht. Die von Befürwortern vorgetragenen Bedenken von „niemals wieder eine Vollbeschäftigung“ (FGWir 50) werden von allen Seiten – damit auch vom Gewerkschafter – zurückgewiesen.583 Alternative Formen von Arbeit kommen erst spät und nur sehr blass in den Blick. Vergleich der drei Fokusgruppen: Am besten korrespondiert Grundeinkommen mit Deutungen, die vom Normativ der Erwerbsarbeitsgesellschaft Abschied nehmen und für alternative Formen von Arbeit eintreten – wie in den Fokusgruppen Sozialarbeit und Politik. Dagegen können Deutungen, die ausschließlich auf Erwerbsarbeit fokussieren, Grundeinkommen nicht als Institution der Einkommensverteilung akzeptieren – so in der Wirtschaftsrunde.
6.2
Operative Gerechtigkeit: Sozialstaatsprinzipien
In der Fokusgruppe Sozialarbeit kommt der Sozialstaat zunächst als Negativfolie in die dynamische Matrix. Bedürftigkeitsprüfung wird als Gegenleistung regelrecht gedeutet unter Bedingungen einer als repressiv wahrgenommenen Sozialstaatsbürokratie: „also ich kuck mir die zwei Sozialhilfesysteme an die wir haben insbesondere des SGB II (1) wo die Menschen durch diese Bedürftigkeitsprüfung wirklich geknechtet werden.“584 Diese Deutung fügt sich in die implizite Abkehr von der Erwerbsarbeitsgesellschaft sowie die Fokussierung auf die eigene Klientel. Befürworter des Grundeinkommens begründen dies mit Hinweis auf Krisendiagnosen des (Sozial-)staats („was mich (!) immer wieder zu dem Grundeinkommen bringt das ist ja eine zwanzig Jahre alte Diskussion (..) das ist für mich der Charme weg von dieser Armutspolitik.“585 Bei den Befürwortern ist das gedeutete objektive Strukturproblem die Krise der Erwerbsarbeitsgesellschaft und der darauf basierenden Sozialversicherungssysteme. Im späteren Verlauf wird die Rolle des Sozialstaates – die klar in Ergänzung eines möglichen Grundeinkommens586 eingefordert wird – positiv und normativ formuliert. Der Sozi-
582 583 584 585 586
FGPol 193. FGWir 73, 89, 114-118, 136, 283, 327, 516. FGSoz 37. Vgl. ebenso: FGSoz 25, 31, 33, 49, 192, 225. FGSoz 47. Vgl. ebenso: FGSoz 78, 80, 139, 165, 192, 225, 296. „passive Leistungen“, FGSoz 113.
Operative Gerechtigkeit: Sozialstaatsprinzipien
133
alamtsleiter deutet die Verantwortung des Staates in Begriffen des tradierten Sozialversicherungssystems als Flankierung der Risiken in der Erwerbsgesellschaft.587 Befürworter begegnen dem kritischen Punkt des staatlichen Verantwortungsverlustes durch Transferzahlungen mit der Forderung nach „aktiven Leistungen“588. In den Blick kommen Behindertenpolitik, Arbeitsmarktpolitik und – im späteren Verlauf ganz zentral – Bildungspolitik. Ohne diese Verantwortung des Staates würde, so die Diagnose, „die Gemeinschaft auseinander brechen“589. In Abkehr von der Arbeitsgesellschaft erscheint gerade in der Fokusgruppe Sozialarbeit die Forderung an den Staat, über alternative Arbeitsangebote Integration zu fördern, konsistent.590 Der Agnostiker geht so weit, Grundeinkommen und „flankierende Maßnahmen des Staates“591 völlig zu entkoppeln: „ich glaube auch nicht dass ein Grundeinkommen äh oder ich glaube aber nicht dass ein Grundeinkommen äh die Lösung sehr wichtiger bildungspolitischer verteilungspolitischer sozialpolitischer Probleme wäre.“592 Die Deutung des Sozialstaates wird in der Fokusgruppe Sozialarbeit sehr stark durch die Missbrauchsthematik strukturiert (s.u.). In der Fokusgruppe Politik nimmt der Sozialstaat jenseits von Transferleistungen den Charakter des auf die individualisierten Einzelnen vertrauenden, und für diese sorgenden Vaters oder der sorgenden Mutter an. Diese sorgende – ja religiös aufgeladen: liebende – Instanz gewährt wie selbstverständlich dem Einzelnen seine Existenz, Freiheit zur Entfaltung und Autonomie.593 In dieser Perspektive kann es nicht ungerecht sein, den Sozialstaat „auszunutzen“, daher kommt dieses Thema in der Politikrunde nicht vor. Kritischer erscheint Solidarität. Kritiker des Grundeinkommens fordern immer wieder Verpflichtung, Gegenleistung und Gemeinwohlorientierung.594 Befürworter sehen Solidarität heute als falsches Bewusstsein (Ideologie) und erwarten von einer Grundeinkommensgesellschaft wahre Solidarität (s.o. Gemeinwohl – Individualismus): „wie ne andere Art von Solidarität hinaus nämlich die nicht rückgängig und Abhängigkeiten folgt sondern (nach) dem Herzen nachfolgt. Eine andere Form von Solidarität als wir sie bisher kennen und zum Teil ökonomisch erzwungen ist. Und das übertragen auf die Gesellschaft das heißt (.) ne andere solidarische Gesellschaft die auf einer Grundbasis [..] ne andere Form von Solidarität entwickelt die eher (liebend) von Herzen her kommt und der Stabilität in einer Freiwilligkeit (.) der Freiwilligen (.) gerade dem Anderen gegenüber ohne dass mir äquivalent etwas zurückgegeben wird. Eine andere Form von solidarischer Gesellschaft."595
587 588 589 590 591 592 593 594 595
FGSoz 29, 41, 51, 55. FGSoz 113. FGSoz 113. „machen wir das Recht auf Arbeit draus“, FGSoz 263. Vgl. FGPol 405. FGSoz 165. FGPol 56, 62, 66, 72, 222, 430. FGPol 123, 137, 187, 201. FGPol 125.
134
6 Wertetypen im Rahmen der Fokusgruppenanalyse
In der Wirtschaftsgruppe kommt der Sozialstaat gar nicht zentral in den Blick. Der Sozialstaat erscheint als falsche Instanz der Problemlösung. Diese geschieht, dem „Subsidiaritätsprinzip“ folgend, in den Unternehmen selbst.596 Verknüpft ist diese Diagnose mit der Gewissheit einer intakten Arbeitsgesellschaft (s.o. Rolle der Arbeit). In der Kritik am Grundeinkommen scheint am Rande die wahrgenommene Verantwortung des Staates durch: „und dann bleibt auch nicht mehr genug Luft wirtschaftliche und emotionale Luft denen zu helfen die es wirklich brauchen und das ist für mich das Schlimmste (.) wenn ich das tue kann ich denen die wirklich bedürftig sind gar nicht helfen. Wie will ich das auch noch machen (?) Das kann ich doch wirtschaftlich gar nicht.“597 „Emotionale Luft“ bezieht sich auf gesellschaftliche Legitimation von Solidarität, diese steht in der Grundeinkommensgesellschaft in Zweifel. Folgen dieser wären eine standardisierte Versorgung598, die unfreiwillig „Almosenempfänger“ erzeugt599 und passiv macht.600 Der Staat maßt sich in einer Grundeinkommensgesellschaft an601, Zwang auszuüben, indem er Steuergelder bei den Leistungswilligen erhebt („also dieses Geld wird ja mit Zwang eingetrieben der Staat hat nämlich gar kein Geld“602). Der Staat will sich durch ein Grundeinkommen schlicht entlasten. Gerechtigkeit und Solidarität stehen auf dem Spiel, wenn sich Menschen aus dem Erwerbssystem verabschieden und nicht tätig sind, beispielsweise der Gewerkschafter 603. Implizit jedoch akzeptieren die Sprecher in der dominierenden Matrix die Repressive Rolle des Sozialstaats (s.o. Gemeinwohl – Individualismus)604 In der schwachen dynamischen Matrix der Befürworter kommt der Sozialstaat deutlicher in den Blick: die Diagnose einer krisenhaften Arbeitswelt,605 Kritik an fehlender Effizienz der HartzGesetze durch Beharrung der Menschen darin606 oder Kritik an fehlendem gesellschaftlichen Zusammenhalt durch Entwertung Arbeitsloser607 und fehlendes Vertrauen in die Menschen.608
596 597 598 599 600 601 602 603 604 605 606 607 608
FGWir 98, 100. FGWir 63. FGWir 264. FGWir 28, 237, 239, 256, 266. FGWir 35; 63, 73. FGWir 93. FGWir 73. Vgl. ebenso: FGWir 31, 63, 98. „halte ich mit meinem Gesellschaftsbild für zutiefst ungerecht“, FGWir 89. Vgl. FGWir 89. FGWir 50f. FGwir 29. FGWir 46. FGWir 33, 243.
Operative Gerechtigkeit: Sozialstaatsprinzipien
135
Vergleich der drei Fokusgruppen: Der Sozialstaat kommt – deutlich in der Fokusgruppe Sozialarbeit – als repressiv in die Deutung, da dieser einen Zwang in nicht vorhandene Erwerbsarbeit ausübt. Grundeinkommen befreit Menschen von dieser Repression. Jedoch kann es der Verantwortung, die dem Sozialstaat zugesprochen wird, allein nicht gerecht werden. Sowohl in der Fokusgruppe Sozialarbeit wie Politik sind sich die Befürworter einig, dass neben die monetären Leistungen „aktive“, „flankierende“ Leistungen treten müssen. Der gesellschaftliche Zusammenhalt steht sonst in Frage. In der Wirtschaftsgruppe kommt der Sozialstaat als eine Instanz in den Blick, die erst dann greift, wenn die Mechanismen der Arbeitsgesellschaft und die Problemlösungskompetenz in den Unternehmen nicht mehr greift. In der Grundeinkommensgesellschaft muss der Sozialstaat daher als unangemessene Ausuferung eines Pathologie-Regulativs erscheinen.609
6.2.1
Missbrauch
In der Fokusgruppe Sozialarbeit spielt der Missbrauchsgedanke durchweg eine wichtige Rolle. Dies wird nur erklärbar, wenn durch die Hintertür doch am Gegenleistungsprinzip festgehalten wird.610 Für den – in der Gruppenmatrix schwachen – Sozialamtsleiter stellt Grundeinkommen eine missbräuchliche und damit ungerechte Transferleistung dar. „Ich kann mir das nicht vorstellen wie jemand der nicht in Arbeit ist verheiratet mit einem Professor (.) und die Frau kriegt Grundsicherung (..) das ist für mich schizophren.“611 Leistungen müssen an die Gegenleistung Erwerbsarbeit gebunden (s.o.) sein. Transferleistungen sind per se problematisch.612 Bei den Befürwortern strukturiert das Missbrauchsthema die Matrix,613 was vom Agnostiker kritisiert wird „und letztlich wäre tatsächlich auch diese Frage des Missbrauchs also wenn es beding-
609 Ein prominenter Kritiker aus der Sozialdemokratie sieht die Sache ähnlich: „Das Grundeinkommen soll ebenso wie die Sozialfürsorge das konventionelle Existenzminimum sichern. Freilich soll diese staatliche Aufgabe gegenüber allen Menschen bestehen, ganz so, als ob jeder grundsätzlich bedingungslos staatlicher Fürsorge bedürfe. In dieser umfassenden Staatsverantwortung für die Daseinssicherung eines jeden Bewohners eines Landes unterscheidet sich das Grundeinkommen von der Sozialversicherung“ (Eichenhofer 2007, S.19). 610 Auch in der Literatur, hier mit Bezug auf das konservative Solidarische Bürgergeld, wird nicht Abschied genommen vom Gegenleistungsprinzip, dieses sogar noch normativ aufgeladen. „Gesellschaften, die sich an den sozialethischen Prinzipien der gegenseitigen Solidarität und der subsidiären Gerechtigkeit ausrichten (möchten), [gehen] bei arbeitsfähigen Personen von einer moralischen ‚Pflicht zur Arbeit’ aus. Auch das Konzept des Solidarischen Bürgergeldes geht trotz der (vornehmlich pragmatisch begründeten Bedingungslosigkeit) von einer moralischen Pflicht aus, je nach Kräften selbst zu arbeiten“ (Schramm 2007, S. 210). 611 FGSoz 29. 612 FGSoz 152. 613 FGSoz 37-103.
136
6 Wertetypen im Rahmen der Fokusgruppenanalyse
ungslos ist dann kann ich es nicht missbrauchen (.) dann krieg ich es ob ich’s möchte oder nicht.“614 Dieses Zitat zeigt, dass sich die Missbrauchsdiskussion auf Grundeinkommen bezieht (immanenter Fokus). Die Gegenleistungsforderung zielt zwar nicht auf Erwerbsarbeit, aber auf andere Formen von Tätigkeit, die durchaus Gemeinwohlnutzen aufweisen sollen.615 Als nicht missbräuchlich erscheint in der dominanten Gruppenmatrix der Bezug von Transferleistungen im heutigen Sozialstaat, da die Verantwortung hierfür in Strukturproblemen gedeutet wird616 und dem Menschen eine Anthropologie des Tätigseins zugeschrieben wird.617 Jedoch steht diese Deutung in Ambivalenz zum verbleibenden Misstrauen gegenüber der eigenen Klientel, die den Maßstab der Deutung ausmacht. Der dynamische Verlauf zeigt eine Wendung. Ringt die Gruppe zunächst mit dem als faule wahrgenommenen Menschen in der Grundeinkommensgesellschaft, einer konstanten Klientel, die den Sozialstaat missbraucht618 und dem Missbrauch durch Schwarzarbeit,619 kippt später die Deutung. „Ich glaube nicht dass es Größenordnungen von von Menschen geben wird die einfach sagen ich geb mir (große) Mühe und sitz zu Hause und mache nichts.“620 Von da an ist der Mensch nicht mehr von Natur aus faul, sondern er muss zur Faulheit regelrecht gezwungen werden.621 Die Gruppe hat sich selbst vergewissert über das Freiheitsproblem in einer Grundeinkommensgesellschaft und den Verdacht einer Anthropologie der Faulheit,622 wobei ein Misstrauen gegenüber der eigenen Klientel selbst im späten Verlauf nicht ausgeräumt werden kann („((leicht amüsiert)) meine Klienten diese Handaufmachmentalität noch einmal äh unterdrücken das wird durch dieses Bedingungslose natürlich wieder“ 623). In der Fokusgruppe Politik spielt Missbrauch keine Rolle, da die den Verlauf der Gruppe bestimmenden Befürworter argumentativ sehr stark sind und – im Gegensatz zur Sozialarbeitsgruppe – nicht dem Gegenleistungsdenken verhaftet bleiben. Ge-
614 615 616 617 618 619 620 621 622 623
FGSoz 103. FGSoz 31, 33, 82. FGSoz 13, 78, 139, 192. FGSoz 139, 194. „auch hier gibt es einen Haufen Leute die das richtig gut können und das sag ich mal missbrauchen“, FGSoz 39. FGSoz 51. FGSoz 82. „ich nehme das Geld und ich zwinge mich nur fern zu sehen und irgendwann werden die auch kommen“ (FGSoz 86). Vgl. FGSoz 141-150. FGSoz 270.
Operative Gerechtigkeit: Sozialstaatsprinzipien
137
stützt wird diese Deutung von der Krisendiagnose der Arbeitsgesellschaft (s.o.) und der Annahme, die Gesellschaft sei wohlhabend genug. 624 In der Fokusgruppe Wirtschaft muss Missbrauch – basierend auf der umfassenden Gegenleistungseinforderung – zentrales Thema sein. Zwar wird der Mensch nicht als faul konzipiert (s.o. Leistungsorientierung), aber als egoistisch, indem Menschen in der Grundeinkommensgesellschaft Tätigkeiten ausüben werden, die nicht dem Gemeinwohl dienen.625 Zwei Gründe werden angeführt, warum Grundeinkommen „Tür und Tor für jede Form von (.) von Missbrauch dieser Idee“626 öffnet: Zum einen widerspricht es dem Leistungsgedanken und führt zu Missbrauch, wenn sich Leute aus der Erwirtschaftung des Steueraufkommens, aus dem das Grundeinkommen finanziert wird, so einfach herausnehmen können. Viel stärker als das monetäre Argument627 wird jedoch das moralische ins Feld geführt, es geht um Desorganisation, um individuellen wie gesellschaftlichen Zerfall.628 Individueller Zerfall auch deshalb, weil Grundeinkommen die Autonomie der Menschen stört.629 Zum anderen finden wir die Deutung von Missbrauch in Bezug auf einen Staat, der sich ermächtigt,630 Steuern bei den Leistungsträgern zu erheben und diese Gelder dann als Wohltat auszugeben.631 Die massive Intervention eines so konstruierten Staates erscheint in der vorherrschenden Matrix als Missbrauch und verfehlt, da Probleme gemäß dem „Subsidiaritätsprinzip“ folgend auf niedrigeren Ebenen von „Unternehmen“ gelöst werden sollen.632 Vergleich der drei Fokusgruppen: Der Missbrauchsverdacht kann dann nicht aufkommen, wenn die Deutung nicht an Gegenleistungsforderungen – aufgeladen mit Gemeinwohlmotiven – festhält und nicht die Erwerbsarbeit als normativen Bezugspunkt betrachtet.633 Transferleistungen ohne Gegenleistungen erscheinen daher in der Wirtschaftsgruppe als ungerecht und
624 FGPol 119, 121. Rhetorisch formuliert der Kritiker Glotz einen wichtigen Punkt: „Man könnte sich nun durchaus vorstellen, daß eine zukünftige Gesellschaft wesentlich durch Transfereinkommen neuen Typs aus dem gesellschaftlichen Produktivvermögen gekennzeichnet ist. Also gerade nicht aus dem Arbeitsvermögen, sondern aus den Gewinnen“ (Glotz 1986, S. 142). 625 „die nebenbei ihrer Leidenschaft für weitere Tätigkeiten sprich Schwarzarbeit (.) nachgehen“, FGWir 28. 626 FGWir 31. 627 FGWir 31, 63. 628 FGWir 35, 63, 73, 89. 629 „und will die Gegenleistung nicht geschenkt haben“, FGWir 239; „sie entmündigt und ihnen beibringt Almosenempfänger zu werden aus meinem Menschenbild sind das Menschen nicht“, FGWir 266, vgl. 28, 237, 239, 256, 264. 630 „in eine Position aufschwingt in der er doppelt verschleiert“, FGWir 31 631 „eine gigantische Umverteilungsmaschine“, FGWir 98; vgl. 31, 63, 73, 98. 632 FGWir 98, 100. 633 „Das Dilemma im Umgang mit dem Mißbrauchsverdacht ist ‚prinzipienimmanent’ – das heißt: Solange der Zugang zu arbeitsmarktexternen Lebenschancen unter lohnarbeitszentrierten Vorbehalten steht – nicht zu lösen“ (Vobruba 1986, S. 42).
138
6 Wertetypen im Rahmen der Fokusgruppenanalyse
der Anthropologie des leistungsorientierten Menschen nicht angemessen. In der Sozialarbeitsgruppe verschiebt sich das Missbrauchsthema von Erwerbsarbeit hin zu alternativen Tätigkeiten, die Gemeinwohlorientierung aufweisen sollen. Lediglich in der Politikgruppe spielt das Missbrauchsthema – dem Individualismus folgend – keine Rolle.
6.2.2
Gerechtigkeit
In der Fokusgruppe stellt lediglich der Sozialamtsleiter Grundeinkommen unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten in Frage. Dies wird als eine ungerechte Transferleistung gedeutet. „Ich kann mir das nicht vorstellen wie jemand der nicht in Arbeit ist verheiratet mit einem Professor (.) und die Frau kriegt Grundsicherung (..) das ist für mich schizophren.“634 Für die Befürworter erscheint, besonders durch die impliztite Wahrnehmung auf das eigene Klientel, das gegenwärtige Sozialstaatsregime (Hartz IV) als repressiv und ungerecht („wo die Menschen durch diese Bedürftigkeitsprüfung wirklich geknechtet werden“635). Die Arbeitsgesellschaft wird als doppelt ungerecht gedeutet. Zum einen durch Exklusion der Menschen, zum anderen erscheint Arbeit als „Knechtschaft“ für die, die Arbeit haben.636 Eine Grundeinkommensgesellschaft erscheint demgegenüber als gerechte Gesellschaftsform, sie wird als „richtige visionäre Idee“ gedeutet.637 Zunächst fällt die als Repression wahrgenommene Bedürftigkeitsprüfung weg. Weiterhin entfällt der Arbeitszwang in das Normalarbeitsverhältnis, welches in der diagnostizierten Post-Arbeitsgesellschaft keinen Sinn macht. Zum anderen entspricht die gewonnene Freiheit638 – trotz der verbleibenden Unsicherheit in Bezug auf potentiell faule Menschen – dem Menschen, der intrinsisch motiviert alternative Formen von Arbeit erbringen möchte.639 Gerecht ist dann eine Aktivierung in alle möglichen Arbeitsformen.640 In der Fokusgruppe Politik muss die Grundeinkommensgesellschaft als die gerechte Welt schlechthin erscheinen. Denn sie kommt der Natur des Menschen entgegen durch Herstellung von Freiheit, der Möglichkeit zur Entfaltung der eigenen Krea-
634 635 636 637 638 639 640
FGSoz 29. FGSoz 37. Vgl. ebenso: FGSoz 33, 225, 286. FGSoz 165, 33. FGSoz 169. FGSoz 37, 103, 150, 286. FGSoz 139, 165, 286. „machen wir das Recht auf Arbeit draus“, FGSoz 263.
Operative Gerechtigkeit: Sozialstaatsprinzipien
139
tivität, Eigenverantwortung, Autonomie.641 Die Grundeinkommensgesellschaft stellt Gerechtigkeit her in einer Sozialität, die als Familie gedeutet wird, und wo Vertrauen und Solidarität bestimmend sind und nicht ökonomische Zwänge.642 In der bestimmenden dynamischen Matrix der Fokusgruppe Politik finden wir weniger ein Abarbeiten an einer ungerechten Gesellschaft, wie etwa in der Fokusgruppe Sozialarbeit, sondern vielmehr eine aktive Auseinandersetzung mit der Welt des Grundeinkommens. Die Wirtschaftsgruppe gibt differenzierte Deutungen zur Gerechtigkeit her, die sich gerade aus der strikten Ablehnung des Grundeinkommens speisen. Zentral ist die Deutung des Grundeinkommens als ungerecht, da dieses dem Leistungsprinzip widerspricht (s.o. Leistung – Gegenleistung). Auf Widerstand stößt das Motiv, Menschen prinzipiell gleich zu behandeln.643 Grundeinkommen wird durchaus assoziiert mit dem „Wunsch nach Gerechtigkeit“, diese darf jedoch nicht institutionell durchgesetzt werden (s.o. Sozialstaatsprinzipien).644 Als ungerecht erscheint die Alimentierung von leistungsfähigen Personen.645 Der Gewerkschafter teilt diese Deutung mit sorgenvollem Blick auf die solidarischen Grundlagen unserer Gesellschaft.646 Ungerecht ist ein Grundeinkommen, da das „Bedürfnis nach Gerechtigkeit in Differenzierung mündet“647, beispielsweise bei Behinderten. Ungerecht ist ein Grundeinkommen laut Gewerkschafter zudem, da es zu einer „weiteren Spaltung in der Gesellschaft“ führen wird. Menschen, die nur vom Grundeinkommen leben, haben eine bescheidene Existenz, während sich Arbeitnehmer und Arbeitsgeber einer „Befreiung von allen Transferleistungen und dem Beitrag dazu“ hingeben können.648
641 FGPol 68, 72ff., 101, 139, 193, 199, 282. 642 FGPol 125. 643 „das es ungerecht ist alle Menschen in einem kapitalistischen gleich System gleich zu behandeln“, FGWir 57. 644 „empfinde es als einen enormen Widerspruch (.) Gerechtigkeit institutionell äh (.) zu äh (.) arrangieren.“ (ebd.); „Und alle die die diesem Staat ihr ihr (.) sich diesem Staat unterwerfen als Staatsdiener die werden alle miternährt und der Staat sagt das tu ich weil ich gerecht bin und das wir das wir nur selbst als Individuen gerecht oder ungerecht sein können und nicht ein Staatsapparat gerecht oder ungerecht das ist mir (das ist mir) so klar wir klare Kloßbrühe und das würd ich gar nicht diskutieren wollen“ FGWir 98. 645 „Das ist aber unmenschlich und es ist vor allen Dingen ungerecht“, FGWir 63. 646 „das halte ich mit meinem Gesellschaftsbild für zutiefst ungerecht in einer Gesellschaft und ich glaube alle diejenigen die heute schon äh (.) das Gefühl haben (.) oft ist es ja nicht die Kenntnis sondern das Gefühl (.) das Gefühl haben (.) das äh (.) es welche gibt in der Gesellschaft die äh (.) nichts beitragen zum Ergebnis der Gesellschaft und trotzdem äh (.) sozusagen ne Leistung bekommen alle diejenigen werden sehr viel stärker noch dieses Gefühl bekommen wenn es eine solche Situation gibt (.)“, FGWir 89; „im Grundsatz glaube ich ist äh (.) ist äh (.) ist diese Vorgehensweise für die Gesellschaft etwas wo man sagen kann das Grundprinzip oder der Grundwert von Solidarität in der Gesellschaft wird dadurch sehr stark in Frage gestellt. Sehr stark in Frage gestellt auf der Empfindungsebene ob ich äh (.) sozusagen es gerecht finde wenn ein sehr unterschiedlicher Beitrag zu dem Ergebnis der Gesellschaft geleistet wird meiner Einschätzung ist die hab ich am Anfang schon mal gesagt das sehr sehr viele Menschen das nicht als gerecht empfinden würden“, FGWir 136. 647 FGWir 100. 648 FGWir 136.
140
6 Wertetypen im Rahmen der Fokusgruppenanalyse
Vergleich der drei Fokusgruppen: Grundeinkommen erscheint dann als ungerecht, wenn es als Brechung der Verpflichtung zu arbeiten gedeutet wird – wie in der Gruppe Wirtschaft und dem Sozialamtsleiter in der Sozialarbeit. Ungerecht ist – ebenfalls in diesem Deutungshorizont – die Alimentierung von Menschen, die dieser nicht bedürfen. Wenn jedoch – wie in den Fokusgruppen Sozialarbeit und Politik – die gegenwärtige Arbeitsgesellschaft und der Sozialstaat als ungerecht wahrgenommen werden, erscheint schon die Befreiung von Repression (in Arbeitsleben und als Bedürftigkeitsprüfung) und ermöglichte wirtschaftliche Inklusion als gerecht.649 Die Grundeinkommensgesellschaft stellt Gerechtigkeit her in einer Sozialität, die als Familie gedeutet wird, und wo Vertrauen und Solidarität bestimmend sind und nicht ökonomische Zwänge. Insofern ist es nicht weniger als ein kultureller Paradigmenwechsel.
6.3
Politischer Vollzug: Ordnungspolitik
Die dominierende dynamische Matrix in der Fokusgruppe Sozialarbeit sieht den Staat in der Verantwortung, für Menschen die dauerhaft jenseits der Erwerbsgesellschaft stehen, sowohl die wirtschaftliche Existenz zu sichern, als auch Beschäftigung bereitzustellen (s.o. Rolle der Arbeit). Flankierend ist eine breit staffierte Sozialpolitik in Anschlag zu bringen (s.o. Sozialstaatsprinzipien). Außerhalb der dominierenden Matrix fordert der Sozialamtsleiter vom Staat eine aktive Arbeitsmarktpolitik sowie die Absicherung gerechter Mindestlöhne.650 Ein Deutungselement der Politikgruppe – formuliert von einem konservativen Skeptiker des Grundeinkommens – ist das Misstrauen gegenüber politischen Eliten. Daher bezieht sich ein Deutungsmuster durchgängig kritisch auf den Staat und positiv
649 Hierzu aus der Perspektive eines Kritikers: „Das bedingungslose Grundeinkommen suggeriert, ein ‚gesellschaftspolitischer Befreiungsschlag’ zu sein. Nach permanenter ‚Flickschusterei’ am Sozialstaat, die über Jahrzehnte hinweg nur immer neue Probleme und nicht enden wollende Streitigkeiten in der Öffentlichkeit mit sich gebracht hat, erscheint der angestrebte Systemwechsel vielen Menschen geradezu als Erlösung aus dem Jammertal der Konflikte. Endlich können sie hoffen, sowohl vom Elend der Armen, die um Almosen betteln, als auch von ständigen Reformen, die – wie Hartz VI – weitere Verschlechterungen bewirkt haben, befreit zu werden. Für die Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommens besteht ein weiterer Fortschritt darin, dass es weder an die (für den Bismarck’schen Sozialversicherungsstaat konstitutive) Arbeitspflicht noch an eine diskriminierend wirkende Bedürftigkeitsprüfung gebunden wäre“ (Butterwegge 2007, S. 29). 650 FGSoz 51.
Auswirkungen auf die Gesellschaft
141
auf ein als solidarisch konstituiertes Gemeinwesen.651 Konkrete ordnungspolitische Forderungen finden wir dort nicht. Bei den Befürwortern jedoch wird der Staat zwar stark gemacht, seine Gestalt in Metaphern von Familie und des Religiösen gedeutet (s.o. Gemeinwohl – Individualismus), dieser aber nicht als starker Staat gedeutet.652 Ordnungspolitische Vorstellungen bleiben in der Politikgruppe – möglicherweise Ausdruck der angeschlagenen Metaphorik – relativ vage. Erwartungsgemäß erscheint in der Wirtschaftsgruppe der Staat als problematische Instanz zu Lösung von Problemen. Breite Akzeptanz findet die Rolle des Staates als repressive Instanz in Bezug auf nicht arbeitende Menschen (s.o. Sozialstaatsprinzipien) und einer entsprechend aktivierenden Arbeitsmarktpolitik. Vergleich der drei Fokusgruppen: Ordnungspolitische Forderungen sind dann deutlich, wenn die Deutung im Rahmen der Arbeitsgesellschaft bleibt und entsprechende arbeitsmarkt- und sozialpolitische Repression beinhaltet (Wirtschaftsgruppe, Amtsleiter in Sozialarbeitsgruppe).653 Bei den Befürwortern des Grundeinkommens sind ordnungspolitische Vorstellungen undeutlicher, zielen dann positiv auf „Flanierungen“ des Grundeinkommens (Recht auf Arbeit, Gesundheit, Bildung) und deutlich weniger auf Repression.
6.4
Auswirkungen auf die Gesellschaft
Die Wahrnehmungen von Auswirkungen basieren wesentlich auf wahrgenommenen Krisendiagnosen, auf die eine Grundeinkommensgesellschaft die Antwort bietet oder nicht bietet. In der Fokusgruppe Sozialarbeit führt diese zu einem kulturellen Wandel. Schuldgefühle und Neid sind zu überwinden.654 Individuelle Mentalitäten des Versorgtwerdens sind zu überwinden – eine Deutung, die konsistent zum Menschenbild des Misstrauens steht: „(also es ist ja auch) ein Wandel im Denkmodell wenn was die Existenzsicherung angeht man muss ja anders rangehen individueller für sich selber auch sorgen ((Zustimmung)) das muss begleitend ja parallel laufen ansonsten glaube ich und da sehe ich aber auch große Schwierigkeiten weil (..) äh der Einzelne ja auch ein gewisses Beharrungsvermögen hat mit dem versorgt sein und sich äh (da das
651 FGPol 48, 52, 58, 76, 85. 652 FGPol 561-565, 422. 653 Akzeptanz von Repression und die Deutung des Missbrauchs durchzieht auch den wissenschaftlichen Diskurs, wie Wissenschaftler des IAB zeigen: „Kommen Transferbezieher diesen Forderungen [verstärkte Mitwirkungspflicht sowie verschärfte Zumutbarkeitsregelungen] nicht nach, so besetzen die Träger der Grundsicherung weitgehende Sanktionsmöglichkeiten. Auf diese Weise soll gewährleistet werden, dass nur wirklich Bedürftige die Leistungen der Grundsicherung erhalten“ (Dietz/Walwei 2007, S. 31). 654 FGSoz 37, 47, 63, 76, 94, 246, 265, 296.
142
6 Wertetypen im Rahmen der Fokusgruppenanalyse
man) das man das auch in Gang bringt da wüsste ich nicht so richtig wie aber das müsste parallel ansonsten wird' s ne.“655 Grundeinkommensgesellschaft wird parallel mit der Hoffnung verknüpft, einen Jahrzehnte dauernden Prozess einer neoliberalen Deutungsmacht zu beenden, die Sozialleistungen kürzt und dem Einzelnen immer mehr Verantwortung zuschreibt.656 Diese zwei widersprüchlichen Deutungen konkurrieren und belegen klar die Ambivalenz der Themenbearbeitung. Zentral ist zudem die Diagnose einer krisenhaften Arbeitsgesellschaft. Von Arbeit ausgeschlossene werden in die Gesellschaft integriert, auch mit Blick auf alternative Arbeitsformen (s.o. Rolle der Arbeit).657 Positive Veränderungen sind mehr individuelle Selbstbestimmung658 und mehr Freiheit659. Freiheit steht, wie wir gezeigt haben, jedoch in problematisierter Ambivalenz zum Faulheitskonstrukt. In der Politikgruppe erweist sich die Verabschiedung des Gegenleistungsdenkens als Möglichkeit der Öffnung neuer Freiheiten: „Auf einmal öffnet sich ein Abstand von Freiheit und es atmet (so schön auf).“660 Grundlage für die Freisetzung von Kreativität ist Freiheit und individuelle Autonomie.661 Diese jedoch erfordert einen Bildungsprozess.662 Das Bild der „Hängematte“ steht auch in der Fokusgruppe Politik im Raum,663 jedoch nicht als reales Problem – wie in der Fokusgruppe Sozialarbeit – sondern als Legitimationsproblem des Grundeinkommens. Der Mensch in der „Hängematte“ des „Tittitainment“664 wird als Zielgruppe einer gesellschaftlichen „Aufklärungswelle“665 identifiziert. Freiheit führt zur Übernahme von Verantwortung.666 Gemeinwohlorientierung erfolgt nicht mehr repressiv, sondern wahrhaft solidarisch (s.o. Gemeinwohl - Individualismus).667 Entsprechend den herausgearbeiteten normativen Vorgaben der Wirtschaftsgruppe muss die Grundeinkommensgesellschaft dort erscheinen: Diese zerstört regelrecht
655 FGSoz 242. Vgl. ebenso: FGSoz 270. 656 FGSoz 246. 657 „also raus aus dieser reinen Erwerbsarbeit rein in diese was mer eben so Kulturarbeit und Sozialarbeit und (Beziehungs) arbeit wie auch immer (.)“, FGSoz 286; 45, 47, 63, 78, 225. 658 FGSoz 49, 76. 659 „mit dem (!) Einzelnen denke ich mit Bezug auf Grundeinkommen dass dieser Freiheitsaspekt ein großer Gewinn ist“, FGSoz 37; 103, 150, 286. 660 FGPol 101. Vgl. kritisch: FGPol 123, 201, 246. 661 FGPol 62. 662 FGPol 101, 123, 143. 663 FGPol 101, 409. 664 FGPol 101. 665 Ebd. 666 „Ohne Freiheit keine verantwortungsvolle Übernahme von bestimmten Tätigkeiten (.) Grundeinkommen setzt die Freiheit" (FGPol 72). 667 FGPol 125.
Auswirkungen auf die Gesellschaft
143
das Menschenbild vom selbst bestimmten, freien, aktiven und leistungsorientierten Menschen. Die Leistungselite in der globalisierten Welt wird auswandern.668 Verbleibende werden entwürdigt zu abhängigen Bittstellern.669 Verbleiben werden die Menschen, die als Problemklientel konstruiert werden.670 Verbleiben werden „die jedenfalls für die das [Grundeinkommen, M.M.] eine Lösung darstellt.“671 Individueller Verfall und gesellschaftliche Desorganisation werden Folge sein. Auch sozialpolitisch erweist sich Grundeinkommen als problematisch: In einer Grundeinkommensgesellschaft ist für die als wirklich bedürftig Wahrgenommenen gar kein Platz mehr.672 Vergleich der drei Fokusgruppen: Die Wahrnehmungen von Auswirkungen basieren wesentlich auf wahrgenommenen Krisendiagnosen. In den Fokusgruppen pro Grundeinkommen – Sozialarbeit und Politik – erscheint eine Grundeinkommensgesellschaft als Befreiung von Zwängen der Erwerbsgesellschaft und der Sozialverwaltung. Freiheit bringt die Möglichkeit zur Selbstverantwortung, die dann auch auf das Gemeinwesen orientiert sein kann. Fehlender Kompetenz im Umgang mit Selbstverantwortung wie auch einem vorgebrachten Misstrauen (Faulheitskonstrukt) muss mit einer Bildungsoffensive begegnet werden,673 die den kulturellen Paradigmenwechsel vollziehen hilft. In der Wirtschaftsgruppe wird mit großer habitueller Sicherheit erfolglos nach dem Problem gesucht, worauf Grundeinkommen die Antwort ist. Konsequenz ist daher nicht Freiheit und individuelle Verantwortung, sondern individueller und sozialer Zufall.
.
668 FGWir 73. 669 „sie entmündigt und ihnen beibringt Almosenempfänger zu werden aus meinem Menschenbild sind das Menschen nicht“, FGWir 266, 28, 237, 239, 256, 264. 670 FGWir 35; 63, 73. 671 FGWir 73. 672 „und dann bleibt auch nicht mehr genug Luft wirtschaftliche und emotionale Luft denen zu helfen die es wirklich brauchen und das ist für mich das Schlimmste (.) wenn ich das tue kann ich denen die wirklich bedürftig sind gar nicht helfen. Wie will ich das auch noch machen (?) Das kann ich doch wirtschaftlich gar nicht“ (FGWir 63). 673 „in einer vierten Aufklärungswelle“, FGPol 101.
7 Eine Wertematrix des Grundeinkommens
Im Forschungsprozess wurden selbst Hypothesen generiert und den methodologischen Erkenntnissen der „Grounded Theory“ folgend am Material entwickelt (siehe Kapitel 3). Aufgabe dieses Kapitels ist es nun, diese Hypothesen in eine Wertematrix zu integrieren und damit eine Verknüpfung zu den in Kapitel 2 vorgestellten grundlegenden sozialpolitischen Werttypen herzustellen. Es dürfte hilfreich sein, dabei vergleichbare Bemühungen anderer Autoren zu rezipieren. In Kapitel 2 haben wir darauf aufmerksam gemacht, dass wert- bzw. gerechtigkeitstheoretische Reflexionen des Grundeinkommens bisher in der Regel aus politisch-philosophischer Sicht vorliegen.674 Aus einem von Ulrich Oevermann geleiteten Forschungsprojekt („Praxis als Erzeugungsquelle von Wissen“) wurden nun Befunde vorgelegt, die sich auf die Frage bezogen, welche Auswirkungen ein Grundeinkommen auf das Leben von Adoleszenten angesichts der Krise der Arbeitsgesellschaft hätte. Datengrundlage waren – wie auch im vorliegenden Forschungsbericht – nichtstandardisierte Interviews, die dort jedoch mit der Methode der „Objektiven Hermeneutik“ ausgewertet wurden. Die resümierenden Überlegungen der Forschergruppe beinhalten typologisierende Gesichtspunkte: „Es liegt also eine Situation vor, in der diejenigen, die aufgrund ihres Denkhabitus und ihrer Reflektiertheit die Problematik der Krise der Arbeitsgesellschaft und die Notwendigkeit eines bedingungslosen Grundeinkommens am ehesten begreifen und öffentlich artikulieren können, von einem Grundeinkommen lebenspraktisch selbst oft unmittelbar gar nicht profitieren würden, wie umgekehrt diejenigen, die von dem Grundeinkommen am meisten hätten (die auf staatliche Transferzahlungen angewiesenen Personen, die als Bedürftige stigmatisiert sind), häufig am wenigsten die intellektuellen Voraussetzungen haben, es als Lösungsentwurf nachzuvollziehen oder zumindest es in der nötigen Differenziertheit in die Öffentlichkeit und die politische Auseinandersetzung hineinzutragen. Die gesellschaftliche Transformation in Richtung Grundeinkommen lässt sich angesichts dessen am ehesten als Zusammenspiel beider Gruppen vorstellen in Gestalt einer gemeinwohlorientierten intellektuellen Artikulation des Grundeinkommensvorschlags in der Öffentlichkeit auf der einen Seite und einer (eigen-)interessierten politischen Gefolgschaftsavantgarde gegenüber diesem Vorschlag insbesondere der Transferzahlungsempfänger (und potentiellen Transferzahlungsempfänger) auf der anderen Seite.“675 Die Typenbildung besteht in dieser Auswertung aus zwei Grundtypen von
674 Z.B. Vanderborght/Parijs 2005, Neumann 2009. 675 Daniels u.a. 2006, S. 30.
146
7 Eine Wertematrix des Grundeinkommens
Adoleszenten: Reflexionsfähige und Nicht-Profitierende sowie Reflexionsarme und Profitierende. Erst als kollektive Akteure rechnen die Autoren ihnen eine kombinatorische Heuristik zu, die im politischen Prozess wirksam werden kann. Hypothesenkategorien
Menschenbild
Operative Gerechtigkeit
Politischer Vollzug
Level 1: Leistungsgerechtigkeit
nur aus eigener Leistung erzielte Einkommen befriedigen und wirken sozialintegrativ; Eigenverantwortung entsteht durch individuelle Leistungsorientierung; der Mensch ist von Natur aus faul / der Mensch will von sich aus leisten
Solidarität und Gemeinwohl entstehen durch Leistung und Gegenleistung; ein Grundeinkommen verhindert Leistung, führt zu Missbrauch / ein Grundeinkommen bietet optimale Leistungsanreize
der Staat muss individuelle Leistungsanreize setzen und einfordern / das Grundeinkommen soll die Interessen meiner Gruppe bedienen
Level 2: Verteilungsgerechtigkeit
Subsidiarität entspricht der Natur des Menschen, ein Grundeinkommen hebelt sie aus / ein Grundeinkommen ermöglicht erst Subsidiarität
ein Grundeinkommen fördert die Ausnutzung des Sozialstaates; ein Grundeinkommen fördert Ungleichheit / ein Grundeinkommen ist Ausdruck politischer Gleichheit
mehr staatliche Investitionen in soziale Dienste und Bildung anstelle eines Grundeinkommens / ein Grundeinkommen trägt zur Umverteilung von oben nach unten bei
Level 3: Bedarfsgerechtigkeit
Ungleiches muss auch bei einem Grundeinkommen ungleich behandelt werden
gerecht ist eine bedarfsgerechte und individuelle Verteilung; Gesellschaft nach dem Modell der Familie /ein Grundeinkommen ist Ausdruck gesellschaftlicher Solidarität
der Staat bzw. der Markt sorgt für eine bedarfsgerechte Verteilung / ein Grundeinkommen erfordert zusätzliche bedarfsorientierte Transferleistungen
Level 4: Teilhabegerechtigkeit
jeder Mensch will sich an der Gesellschaft beteiligen und benötigt immer wieder neue Chancen
ein Grundeinkommen ist Ausdruck universeller Teilhabe
ein Grundeinkommen muss als Grundrecht ausgestaltet sein
Handlungsebenen
Abbildung 2: Wertematrix des Grundeinkommens
Eine Wertematrix des Grundeinkommens
147
Hier kommt demgegenüber eine komplexere Typenbildung zur Geltung, die sich in einer aus zwei Achsen gebildeten Matrix abbildet: die eine Achse wird aus den Hypothesenkategorien „Menschenbild“, „Operative Gerechtigkeit“ und „Politischer Vollzug“ konstruiert, die in Kapitel 3 begründet wurden; die zweite Achse trägt das in Kapitel 2 entwickelte 4-Ebenen-Schichtungsmodell der Gerechtigkeitstypen ab. In Abbildung 2 werden die entsprechenden – teils konträren bzw. ambivalenten – Deutungsmuster eingetragen. Die in den zwölf Feldern eingetragenen Deutungen des Grundeinkommens erscheinen durchaus widersprüchlich. Bemerkenswert ist dabei, dass die „unteren“ Wertschichten (Level 1 und 2) besonders im Bereich der operativen Gerechtigkeit und des politischen Vollzugs mit markant ambivalenten Deutungsmustern einhergehen. Dies dürfte ein wesentlicher Grund für die im Feld vorgefundenen Ambivalenzen insbesondere bei den Gruppen sein (im Feld Politik676 und Wirtschaft), deren persönliche Lebenssituation durch starke Leistungsorientierungen geprägt ist. Bemerkenswert ist ferner, dass die komplexeren Wertstufen 3 und 4 sowohl in den Experteninterviews wie in den Fokusgruppen entweder nicht oder nur in vagen Deutungsmustern auftauchen. So wird der gemeinschaftliche Gerechtigkeitswert Solidarität (Level 3) etwa mit einer verallgemeinernden Familienmetapher eingeführt. Diese zielt im Fall der Wirtschaftsgruppe – konsistent zu den Deutungsmustern Leistung-Gegenleistung, Arbeit und Gemeinwohlorientierung – auf die Verpflichtung des Einzelnen. Im Fall der Politikgruppe dagegen dient die Familienmetapher – hier konsistent zur verinnerlichten Krise der Arbeit und der repressiven Sozialsysteme – dem Schutz des Einzelnen, individuelle Freiheit zu entfalten. Solidarität findet sich zudem im psychologisierenden Deutungsmuster des „liebevollen“ Staats. Universalistische Gerechtigkeitswerte im Sinne einer Teilhabegerechtigkeit gelten als idealistisch und werden nur dort stark gemacht, wo Gruppendeutungen dies zulassen. Möglich ist diese nur im Diskurs der Politikgruppe. Insgesamt ließ sich beobachten, dass die Argumentation und Deutungsmuster bezüglich eines Grundeinkommens in den Einzelinterviews deutlich weniger Ambivalenz aufweisen als in den Fokusgruppen. Methodisch überrascht dies wenig. Dieser Befund ist deshalb interessant, weil die Teilnehmer der Einzelgespräche in ihren Institutionen in der Tendenz einer höheren Führungsschicht angehören und sich mehr Konzept- und Strategiekompetenz zuschreiben als die Teilnehmer an den Fokusgruppen.677 Ob aus genau dieser Zugehörigkeit zur jeweiligen Elite – auch in unterschiedlichen Sektoren der Gesellschaft – ein homogenisierender Effekt auf die Wertestruktur
676 Die Fokusgruppe Politik zeichnet sich durch ihre spezifische Rekrutierung gerade durch eine Verschiebung nach „unten“ aus. Aus dieser Gruppe prägen überwiegend Vertreter von Basisgruppen das Diskursgeschehen. Eine explizite Leistungsorientierung – wie in der Wirtschaftsgruppe – findet sich hier nicht. 677 Das gilt nicht für die Wirtschaftsgruppe. Zudem könnte die zugeschriebene Kompetenz auch als eine Unterstellung gelten, die empirisch bestätigt und überhaupt als relevant herausgestellt werden müsste.
148
7 Eine Wertematrix des Grundeinkommens
resultiert, erscheint vor dem Hintergrund der Gespräche zwar plausibel, kann aber anhand der vorliegenden Daten nicht abschließend bewertet werden. Die Analyse der Fokusgruppen legt eine Verknüpfung tradierter Institutionen und Macht nahe. Wenn Akteure den Sozialsystemen nahe stehen – etwa der Amtsleiter in der Gruppe Sozialarbeit – können diese sich mit der Gewissheit der Tradition und des Faktischen gegen ein Grundeinkommen aussprechen. Dieses erscheint dann als riskantes Unterfangen. Homogenisierende Effekte verdanken sich in dieser Perspektive weniger der Elitenzugehörigkeit. Auffällig ist jedoch, dass die existierenden Probleme des Sozialstaates von den Teilnehmern der Einzelinterviews deutlich weniger akzentuiert werden als in den Fokusgruppen und die Sozialstaatsprinzipien Solidarität und Subsidiarität als zentrale Wertekategorien für die Ablehnung eines Grundeinkommens fungieren. Dabei wird das Grundeinkommen nicht als konzeptionelle und innovative Idee einer Sozialstaatsreform wahrgenommen, sondern dient eher als eine Art Chiffre zur Verteidigung der bestehenden sozialstaatlichen Struktur und der darin begründeten Werte („Soziale Marktwirtschaft“). Unterhalb dieser argumentativen und vermutlich auch normativen Homogenität differieren die Aussagen innerhalb der Expertengruppe lediglich entsprechend der politischen Standorte bzw. (Institutionen-)Interessen und lassen sich damit relativ widerspruchsfrei den entsprechenden ordnungspolitischen Präferenzen zuordnen: Während die Experten aus dem Bereich der Politik und der Sozialen Arbeit eher der Steuerung des Staates vertrauen, präferieren die Wirtschaftsvertreter eine stärkere Marktsteuerung sozialpolitischer Fragen.
8 Dilemmata und ihre Lösung in der Idee des Grundeinkommens
Das Grundeinkommen ist ein Zukunftsprojekt. Doch wie kommt die Zukunft in die Welt? Jeder Unternehmer, jeder Mensch, der etwas unternimmt, träumt zuerst von seinem Ziel. Die Grundlage für Innovation ist Imagination, die Vorstellung und der Wille, dass etwas anders, dass etwas Neues in die Welt kommt. Hannah Arendt beginnt ihr Buch Vita activa mit einem inspirierenden Gedanken: „Wie kann man nur angesichts dieser und ähnlicher Tatbestände“, gemeint ist der Sputnik-Schock, der Etappensieg der Sowjetunion auf dem Rennen ins Weltall, „meinen, dass Denken der Menschen sei hinter den wissenschaftlichen Entdeckungen und technischen Entwicklungen zurückgeblieben. Es ist ihnen immer um Jahrzehnte vorausgeeilt.“678 Wie der Unternehmer im Wirtschaftlichen, muss der Politiker im Politischen die Zukunft imaginieren – nicht ohne Realismus, nicht ohne Rückbindung an die Wirklichkeit, die Institutionen, die Einstellungen der Bürger, den Pfad der gesellschaftlichen Entwicklung bis jetzt. In einer Demokratie sind alle Bürger auch Politiker, sie sind das Volk, das entscheidet. Das Grundeinkommen ist ein Thema, das quer liegt. Es betrifft alle Lebensbereiche. Es ist kein Sektorthema für Sozialpolitikspezialisten. Die Kritik des Sachverständigenrats im Herbstgutachten 2007 am Modell des „Solidarischen Bürgergeldes“ (als einem der relevanten Grundeinkommensmodelle) ist hart: „Aber die Steuer- und Sozialpolitik ist nun einmal kein Wunschkonzert.“679 Ähnlich hat Michael Opielka mit zwei führenden Politikern der (heutigen) „Linkspartei“, Katja Kipping und Bodo Ramelow, einen gemeinsamen Artikel überschrieben: „Sind wir hier bei ‚Wünsch-dir-Was‘?“680 Die Autoren haben sich dann doch etwas gewünscht und sich gemeinsam für das Modell der „Grundeinkommensversicherung“ ausgesprochen, keineswegs die Mehrheitsmeinung dieser politischen Gruppierung. Wünschen liegt am Beginn von Innovation, dies scheint der Sachverständigenrat nicht zu reflektieren. Solch eine Sicht auf Innovationen entwickelte der Ökonom Joseph A. Schumpeter mit dem erstmals 1942 verwendeten Begriff der „kreativen Zerstörung“ als Kernzeichen des Kapitalismus. Innovative kapitalistische Produkte und Methoden ersetzen
678 Arendt 1983, S. 8. 679 SVR 2007, S. 244; einer der Autoren der vorliegenden Studie war Mitverfasser des Finanzierungsgutachtens zum Modell „Solidarisches Bürgergeld“ des thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus, auf das sich der Sachverständigenrat bezog (Opielka/Strengmann-Kuhn 2007). 680 Kipping u.a. 2006.
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8 Dilemmata und ihre Lösung in der Idee des Grundeinkommens
alte. Schumpeter lebte sein Programm selbst, durch Höhen und Abgründe, mit Professuren von der habsburgischen Provinz (Czernowitz) über Bonn bis Harvard, einem Gastspiel als österreichischer Finanzminister und Bankier (1920-1924) oder als Präsident der amerikanischen Ökonomen (1948). Der Harvard-Wirtschaftshistoriker Thomas K. McGraw sah in Schumpeters Leben und Werk die „Spannung zwischen Determinismus und Kontingenz“681 als zentral an. Auch wenn er im Unternehmer den Hauptagenten von Innovation identifizierte, war ihm klar, dass der Kapitalismus mehr ist als Ökonomie: „Ebenso ein soziales wie ein kulturelles System, kann der Kapitalismus zu guten oder schlechten Zielen führen. Er kann moralisch, unmoralisch oder – in den meisten Fällen – amoralisch sein. Alles hängt vom Kontext ab, vor allem der Umfang, mit dem eine Gruppe oder Nation die kreativen Komponenten maximieren und die destruktiven Anteile begrenzen kann.“682 Schumpeter war kein Politikwissenschaftler, auch wenn er sich bedeutsame Gedanken über das Wesen des Sozialismus machte und heute als der Vorläufer einer ökonomischen Theorie der Demokratie gilt. Demnach wollen auch Politiker ihren Nutzen maximieren und machen vor allem die Politik, die ihnen am besten Profit in der Währung der Demokratie, nämlich Wählerstimmen einbringt. Innovationen sind auch im System der Sozialpolitik möglich und folgen, sollte Schumpeters Ansatz zutreffend sein, einer ganz ähnlichen Logik wie im Wirtschafts- bzw. Unternehmenssektor. Das Grundeinkommen wird erkämpft werden müssen, wobei dieser Kampf die Idee verändern wird. Noch erscheint der Ausgang völlig offen. Wird der deutsche Weg kleinteiliger Reformen weiter beschritten, aus „Hartz IV“ dereinst ein „echtes“ Grundeinkommen? Prognosen sind bisher nicht die Stärke der Sozialwissenschaften. Problematischer noch: ein relevanter Teil auch sich als kritisch verstehender Sozialwissenschaftler hat sich in eine gewisse Larmoyanz gegenüber den heute immer bedrohlicheren Prozessen von Ausgrenzung bzw. „Exklusion“ geflüchtet und hält sozialwissenschaftlich geleitete Vorschläge für neue politische Regulationen für wissenschaftlich unmöglich.683 Extrapolationen aus der Vergangenheit sind riskant. Dennoch ist die Zukunft nicht völlig offen. In der vergleichenden Politikforschung spricht man von der „Pfadabhängigkeit“ institutioneller Entwicklungen. „Pfadwechsel“ kommen freilich vor, es müssen nicht gleich Revolutionen sein.684 Wer hätte sich noch 1988 vorstellen können, wie heute die soziale Ordnung in Jena, Dresden oder Warschau ist? Die emphatische Metapher „Wir sind das Volk!“ stößt uns auf das vielleicht größte
681 682 683 684
McCraw 2007, S. 5 (Übers. d. Verf.). Ebd., S. 8 (Übers. d. Verf.). Besonders markant in diesem Sinne die Beiträge von Bude in Bude/Willisch 2008. Opielka 2008.
Zusammenfassung: Dilemmata und ihre Lösung in der Idee des Grundeinkommens?
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Problem der modernen, parlamentarischen Demokratie: das Volk fühlt sich häufig machtlos, weil es die Macht delegiert und sie dann dort, bei den Eliten bleibt. Vor diesem Hintergrund erscheinen die empirischen Befunde unserer Studie selbst ambivalent. Die Basisannahmen der „sozialen Marktwirtschaft“ – Subsidiarität und Solidarität – lösen sich nicht leicht in der Idee des Grundeinkommens auf. Gerade die mittleren Eliten der deutschen Gesellschaft erscheinen als deren konservative Bewahrer, durchaus ängstlich gestimmt gegenüber Reformkonzepten, deren Ausgang ungewiss wirkt. Die Einstellungen zu einem Grundeinkommen korrelieren mit grundlegenden Vorstellungen von Gerechtigkeit und Lebenssinn. Spannungen zwischen Arbeit und Familie, Risiko und Sicherheit, Individualität und Gemeinschaft, materiellen und postmateriell-expressiven Werten müssen balanciert werden. Es erschien denkbar, dass die Idee des Grundeinkommens für die Befragten als Beitrag zur systemischen Neubalancierung der genannten Ambivalenzen erscheint. Für viele der Befragten war dies der Fall, doch für die Mehrheit überwogen die Bedenken gegenüber einer Grundeinkommensreform. Unsere qualitative Studie kann keine Repräsentativität beanspruchen. Sie steht insoweit in Konkurrenz zu den ersten quantitativen Befragungen, die ein durchaus positiveres Wertmuster der Bevölkerung zur Idee eines Grundeinkommens zeichnen.685 Gleichwohl dürfte der Erkenntniswert der vorliegenden Studie erheblich sein. Sie macht deutlich, dass jene Ambivalenzen wohl nur durch öffentliche Diskurse und durch charismatische „public persons“ gelockert, reflexiv bewusst und damit – vielleicht – einer politischen Lösung zugeführt werden können. Die hier zutage getretenen Ambivalenzen und Dilemmata sind keineswegs bedeutungslos. Sie betreffen die Architektur nicht nur der deutschen Gesellschaft, vielmehr aller modernen Wohlfahrtsstaaten.
8.1
Zusammenfassung: Dilemmata und ihre Lösung in der Idee des Grundeinkommens?
685 Z.B. Opaschowski 2007.
9 Interviewpartner, Codierungen
Anonymisierte Liste der Experten (Einzelinterviews) – mit Codierung Soziale Arbeit (S) S, 3 Paritätischer Wohlfahrtsverband S, 4 Verband für soziokulturelle Arbeit S, 5 Arbeiterwohlfahrt S, 8 Diakonisches Werk S, 9 Diakonisches Werk S, 11 Bundesverband Deutsche Tafel e.V. S, 13 Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge Politik (P) P, 2 Senatskanzlei der Freien und Hansestadt Hamburg, CDU P, 12 Heinrich-Böll-Stiftung P, 15 Junge Liberale Wirtschaft (W) W, 1 Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände W, 6 verdi W, 10 Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
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Literaturliste
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Ullrich, Carsten G. (1999): Deutungsmusteranalyse und diskursives Interview, in: Zeitschrift für Soziologie, 28 (6), S. 429-447 Ullrich, Carsten G. (2008): Die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates. Präferenzen, Konflikte, Deutungsmuster, Wiesbanden: VS Verlag für Sozialwissenschaften Vanderborght, Yannick/Parijs, Philippe van (2005): Ein Grundeinkommen für alle? Geschichte und Zukunft eines radikalen Vorschlags, Frankfurt: Campus Vehrkamp, Robert B./Kleinsteuber, Andreas (2007): Soziale Gerechtigkeit 2007 – Ergebnisse einer repräsentativen Bürgerumfrage, Gütersloh: Bertelsmann-Stiftung Vobruba, Georg (1986): Die Entflechtung von Arbeiten und Essen. Lohnarbeitszentrierte Sozialpolitik und garantiertes Grundeinkommen, in: Opielka/Vobruba 1986, S. 39-52 Walzer, Michael (1992): Sphären der Gerechtigkeit: ein Plädoyer für Pluralität und Gleichheit, Frankfurt: Campus Weber, Max (1972): Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd. 1, Tübingen: Mohr Weber, Max (1981): Die protestantische Ethik I. Eine Aufsatzsammlung, 6. Aufl., Gütersloh: Gütersloher Taschenbücher Weber, Max (1988): Die „Objektivität“ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis (zuerst 1904), in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 7. Aufl., Tübingen: Mohr, S. 146-214 Weber, Max (1992): Politik als Beruf (zuerst 1919), Stuttgart: Reclam Welzel, Christian (2006): A Human Development View on Value Change Trends. Vortrag Istanbul 3.11.2006, www.worldvaluessurvey.org Wenzel, Harald (2002): Jenseits des Wertekonsensus. Die revolutionäre Transformation des Paradigmas sozialer Ordnung im Spätwerk von Talcott Parsons, in: Berliner Journal für Soziologie, 12 (4), S. 425-443
11 Anhang: Instrumente
Einführungstext in die Einzelinterviews:
Sehr geehrte Frau/ Herr ……., die gemeinnützige Hamburger Stiftung Wertevolle Zukunft führt gemeinsam mit der Fachhochschule Jena unter der Leitung von Prof. Dr. Michael Opielka eine Befragung zum Thema „Grundeinkommen und Werteorientierung“ durch. Ziel dieser Befragung ist die qualitative Deutungsmusteranalyse von Wert – Einstellungen bei Führungskräften zu einem Grundeinkommen. In der aktuellen Debatte um die Reform des Sozialstaates und der Arbeitsgesellschaft geraten die verschiedenen Modelle eines Grundeinkommens oder auch Bürgergeldes in den Fokus des öffentlichen Interesses. In allen politischen Parteien wird über Grundeinkommen diskutiert, die Feuilletons berichten darüber. Mit dieser qualitativen Studie wollen die Initiatoren einen Beitrag zu dieser kontroversen Debatte leisten und zeigen, welche unterschiedlichen Wert-Einstellungen zur Beurteilung eines Grundeinkommens herangezogen werden. Die Ergebnisse der Befragung werden selbstverständlich anonym behandelt. Zentrale Ergebnisse der Studie sollen in Form eines wissenschaftlichen Aufsatzes zum Ende dieses Jahres veröffentlicht werden. Die Ergebnisse werden Ihnen selbstverständlich zur Verfügung gestellt. Das Interview wird in drei Teile gegliedert sein. Zunächst wird Ihnen in der ersten Phase – die etwa 20 bis 25 Minuten dauern wird – Raum gegeben, offen Ihre Gedanken zu äußern. In dieser Phase möchte ich nicht nachfragen um Ihre Ausführungen offen entfalten zu lassen. Im zweiten Teil werde ich ggf. Fragen stellen zu Ihren Ausführungen. Abschließend werde ich Ihnen noch einige Fragen stellen, deren Beantwortung je etwa 5 Minuten in Anspruch nehmen soll.
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11 Anhang: Instrumente
Stimulus: „Ein Grundeinkommen ist ein Einkommen, das von einem politischen Gemeinwesen an alle seine Mitglieder ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Gegenleistung individuell ausgezahlt wird. Es ersetzt oder ergänzt je nach Modell die klassischen Sozialtransferleistungen des Staates.“ – so eine Definition des Grundeinkommens. Was glauben Sie: Ist ein Einkommen ohne Gegenleistung eher gut oder eher schlecht für den Einzelnen bzw. für die Gesellschaft? Abschließende Fragen: Wirtschaft: x Was denken Sie, wie wirkt sich ein Grundeinkommen auf a) die Arbeitsmotivation und auf b) das Arbeitsangebot aus? Politik: x Ist ein Grundeinkommen politisch durch- und umsetzbar? x Wer sind die Gegner und wer sind die Befürworter eines Grundeinkommens? Soziale Arbeit: x Welchen Beitrag kann ein Grundeinkommen zur sozialen Integration leisten? Vorgehen: Es wird immer als erstes die Abschlussfrage des jeweiligen Bereichs genannt und dann die drei Fragenbündel der drei anderen Bereiche – die jeweilige Reihenfolge kann durch den Interviewer in Abhängigkeit von der Relevanz der narrativen Phase gewählt werden. Bei Unsicherheit ist die Reihenfolge wie hier gelistet möglich. Der Stimulus für die Fokusgruppen ist identisch mit dem Stimulus der Einzelinterviews.
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Tim Bendixen, Jahrgang 1974, Politikwissenschaftler M.A.. Nach einer mehrjährigen Tätigkeit in einer Unternehmensberatung Bereichsleiter der gemeinnützigen Hamburger Stiftung Wertevolle Zukunft. Er verantwortet hier operativ den Bereich Schule und Jugend und befasst sich mit ethischen Fragen an der Schnittstelle aus Wirtschaft und Politik. Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit umfasst die sozialwissenschaftliche Werte-Studie Ethikmonitor. Berufsbegleitend absolviert er derzeit den Masterstudiengang Non Profit Management am Center for Social Investment (CSI) an der Universität Heidelberg mit den thematischen Schwerpunkten CSR und Good Goverance im Dritten Sektor. Er ist zudem als Gastdozent am Institut für Politikwissenschaft der Universität Hamburg tätig. Jesco Kreft, Jahrgang 1974, promovierte an der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Hamburg im Bereich Bildungsökonomie/Industrielle Beziehungen und war danach in unterschiedlichen, teils arbeitsorientierten Unternehmensberatungen in den Branchen Pharmazie, Chemie, Public Services und Bildung tätig. Seit 2005 ist er Geschäftsführer der gemeinnützigen Stiftung Wertevolle Zukunft und Lehrbeauftragter an der Universität Hamburg im Bereich Bildungspolitik/Bildungsökonomie und Didaktik der Wirtschaftsethik. Wissenschaftlich wie beruflich interessieren ihn vor allem außerökonomische Rahmenbedingungen von Ökonomie und die Rolle von sozialem Kapital für die Wirtschaft. Matthias Müller, Jahrgang 1975, berufliche Ausbildung zum Kommunikationselektroniker, Studium der Soziologie, Erziehungswissenschaft, Philosophie und Sozialen Arbeit, Abschlüsse: Dipl. Sozialpädagoge (FH) und M.A., seit 2007 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fachhochschule Jena, Promotion im Fach Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena zu Deutungen sozialpolitischer Innovationen. Schwerpunkte: Wissenssoziologie, Methoden qualitativer Sozialforschung, soziologische Sozialpolitikanalyse; letzte Veröffentlichung: gemeinsam mit Michael Opielka, Michael Winkler u.a.: „Evaluation der Wirkungen der ‚Thüringer Familienoffensive’“. Michael Opielka, Jahrgang 1956, studierte Rechtswissenschaften, Erziehungswissenschaften, Philosophie, Ethnologie und Psychologie an den Universitäten Tübingen, Zürich, Bonn und Klagenfurt. Promotion (Soziologie) an der Humboldt-Universität zu Berlin, Habilitation (Soziologie) an der Universität Hamburg. Fortbildung zum Psychoanalytiker (Kandidat DPV) und Gruppenanalytiker. Forschungsaufenthalte u.a.
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12 Autoren
an der University of California at Berkeley (Visiting Scholar 1990-1, 2004-5). Seit 2000 Professor für Sozialpolitik an der Fachhochschule Jena, seit 2008 Privatdozent an der Universität Hamburg, seit 1987 Geschäftsführer des Institut für Sozialökologie in Königswinter.