Georg Rill | Thomas Schaeffer Grundlagen und Methodik der Mehrkörpersimulation
Georg Rill | Thomas Schaeffer
Grundla...
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Georg Rill | Thomas Schaeffer Grundlagen und Methodik der Mehrkörpersimulation
Georg Rill | Thomas Schaeffer
Grundlagen und Methodik der Mehrkörpersimulation mit Anwendungsbeispielen Mit 73 Abbildungen STUDIUM
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Prof. Dr.-Ing. Georg Rill brachte 1978 den Studiengang Maschinenbau an der TU München zum Abschluss und promovierte 1983 mit dem Thema „Instationäre Fahrzeugschwingungen bei stochastischer Erregung“ am Institut B für Mechanik der Universität Stuttgart. Danach war er 4 Jahre bei der Daimler-Benz AG, Stuttgart-Untertürkheim tätig, bevor er 1987 Professor an der Hochschule Regensburg mit den Lehrgebieten Technische Mechanik, Festigkeitslehre, Ingenieurinformatik, Fahrdynamik, Mehrkörperdynamik sowie Laborleiter Fahrdynamik wurde und bis heute ist. Während seiner Tätigkeit nahm er weltweit an zahlreichen Forschungsaufenthalten u. a. bei Daimler-Benz und der Ford AG und Gastprofessuren teil. Prof. Dr.-Ing. Thomas Schaeffer brachte den Studiengang Maschinenbau 1991 an der Universität Siegen zum Abschluss und promovierte 1998 mit dem Thema „Systematisches Lösen von FührungsBewegungsaufgaben“. Von 1991 bis 1998 war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Konstruktion der Universität Siegen und bis 2003 Entwicklungsingenieur bei der Heidelberg Druckmaschinen AG in der Abteilung Getriebetechnik und Simulation. Danach leitete er das Fachgebiet Getriebetechnik bei der Heidelberg Druckmaschinen AG, bevor er 2004 Professor an der Hochschule Regensburg mit den Lehrgebieten Konstruktion, CAD, Maschinenelemente und Getriebetechnik, Technische Mechanik, Mehrkörpersysteme und Bewegungstechnik sowie Laborleiter Mehrkörpersysteme wurde und bis heute ist.
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © Vieweg +Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Thomas Zipsner | Ellen Klabunde Vieweg +Teubner Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.viewegteubner.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Printed in Germany ISBN 978-3-8348-0888-2
Vorwort Nachdem in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in den Industrieunternehmen CAD-Systeme im Bereich der Produktentwicklung Einzug gehalten haben, sind in diesem Umfeld viele weitere rechnergestützte Systeme entstanden, die mittlerweile den kompletten Produktlebenszyklus abdecken. So ist es heute auch bei kleineren Unternehmen Stand der Technik, dass hoch belastete Bauteile hinsichtlich ihrer Verformung und Beanspruchung mit der Methode der Finiten Elemente (FEM) berechnet werden. Der immerwährende Wunsch nach kürzeren Entwicklungszeiten bei gleichzeitiger Kostenreduzierung und Qualitätssteigerung besteht nach wie vor. Deshalb versucht man unter dem Stichwort „Virtuelle Produktentwicklung“ das Verhalten eines Produktes, einer Maschine im Vorfeld ohne aufwändige und zum Teil langwierige Versuche mit teuren realen Prototypen nur durch Simulationen mit virtuellen Prototypen vorherzusagen. Bezüglich des mechanischen Bewegungsverhaltens von technischen Systemen – in fast allen Maschinen bewegt sich mindestens ein Bauteil – werden seit Jahrzehnten in der Automobilindustrie und einigen Hightech-Branchen so genannte Mehrkörpersimulations-Programme eingesetzt. MKS-Programme helfen die notwendigen Bewegungsgleichungen aufzubauen, führen die Simulationsrechnungen durch und stellen die Ergebnisse animiert oder in Form von Diagrammen dar. Sie erlauben es, das Bewegungsverhalten der Bauteile zu simulieren und so die Funktion vorab zu überprüfen. Gleichzeitig lassen sich damit auch die Belastungen der Bauteile berechnen, die gerade für deren optimale Auslegung zwingend notwendig sind. Leider war der Einsatz bis vor wenigen Jahren mit sehr hohen Hard- und Softwarekosten verbunden. Die Rahmenbedingungen haben sich geändert: die Hardwarekosten sind drastisch gesunken, weil die Leistungsfähigkeit normaler PCs für solche Untersuchungen mittlerweile vollkommen ausreichend ist. Auch die Software ist leistungsfähiger und vor allen Dingen auch bedienerfreundlicher geworden. Dies zeigt sich auch in der zunehmenden Integration von MKS-Programmteilen in die CAD-Umgebung eines Konstruktionsarbeitsplatzes. Dieses Lehrbuch entstand aus den Unterlagen zur Vorlesung Mehrkörperdynamik im Masterstudiengang Maschinenbau an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Regensburg, die erstmalig im Wintersemester
VI
2007/2008 durchgeführt wurde. Aufbauend auf grundlegende Kenntnisse in der Technischen Mechanik und in einer Programmiersprache werden die Methoden der Mehrkörperdynamik vermittelt. Die Vor- und Nachteile der einzelnen Methoden bei der praktischen Anwendung werden durch einfache, aber dennoch genügend komplexe Beispiele erläutert. Analog zu dem Lehrbuch von Nikravesh (Nik07), das sich ausschließlich mit der ebenen Mehrkörperdynamik beschäftigt, werden auch hier Matlab-Skripte und -Funktionen in den Text integriert. Sie verdeutlichen die einzelnen Methoden und geben einen Eindruck in den Aufwand und die Problematik bei der Umsetzung der Theorie innerhalb von Simulationsprogrammen. Die in Matlab verwendete objektorientierte Programmiersprache ermöglicht eine kompakte und nahezu selbsterklärende Umsetzung der mathematischen Beziehungen in entsprechende Programmanweisungen. Zahlreiche Grafiken geben einen Eindruck in das dynamische Verhalten von Mehrkörpersystemen. Dieses Buch vermittelt einen vertieften Einblick in die Mehrkörperdynamik. Die Modellbildung, die mathematische Beschreibung und die numerische Simulation von Systemen starrer Körper bilden dabei die Schwerpunkte. Die Modellierung von Kontakten und die mathematische Beschreibung elastischer Körper sowie deren Einbindung in ein Mehrkörpersystem können dagegen nur beispielartig erläutert werden. Das Buch soll dem anspruchsvollen Studierenden in mathematisch naturwissenschaftlichen Studiengängen und dem praxisnahen Anwender kommerzieller Programme zur Simulation von Mehrkörpersystemen in die Lage versetzen, bei der Modellierung komplexer Systeme die Vorteile der jeweiligen Methodik auszunutzen und die Nachteile zu vermeiden. Die Autoren danken dem Verlag Vieweg+Teubner für die angenehme Zusammenarbeit und insbesondere Herrn Thomas Zipsner aus dem Lektorat Maschinenbau, der nach Durchsicht des Vorlesungs-Manuskripts mit wertvollen Anregungen zum Gelingen dieses Lehrbuchs beigetragen hat.
Regensburg, im August 2010
Georg Rill und Thomas Schaeffer
Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 1.1 Historie und Anwendungsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Elemente der Mehrkörperdynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 2
2 Dynamik des starren Körpers 3 2.1 Lagebeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 2.2 Geschwindigkeitszustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 2.3 Bewegungsgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 3 Starre Körper mit elastischen Verbindungselementen 3.1 Elastische Verbindungselemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Integrationsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29 29 36 44
4 Starre Körper mit kinematischen Bindungen 4.1 Beispiel: Rollende Münze . . . . . . . . . . . . 4.2 Methoden und Prinzipe . . . . . . . . . . . . . 4.3 Rekursiver Algorithmus . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Differential-Algebraische Gleichungen . . 4.5 Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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53 53 61 83 99 117
5 Analyse von Mehrkörpersystemen 5.1 Gleichgewicht . . . . . . . . . . . . 5.2 Eigendynamik . . . . . . . . . . . 5.3 Fremderregung . . . . . . . . . . . 5.4 Optimierung . . . . . . . . . . . . 5.5 Inverse Kinematik . . . . . . . . . 5.6 Inverse Dynamik . . . . . . . . .
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119 119 125 129 135 138 143
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6 Elastische Körper 147 6.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 6.2 Beispiel Hubschrauber-Rotorblatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 6.3 Einbindung Finiter Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
VIII
7 Anwendungsbeispiel aus der Fahrzeugtechnik 7.1 Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Aufbau einer McPherson-Achse . . . . . . . . . 7.3 Analytische Beschreibung . . . . . . . . . . . . . 7.4 ADAMS-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5 SIMPACK-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.6 Modellerweiterungen . . . . . . . . . . . . . . . .
Inhaltsverzeichnis
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175 175 176 178 191 200 203
Literaturverzeichnis
205
Abbildungsverzeichnis
209
Tabellenverzeichnis
211
Sachwortverzeichnis
213
1 Einleitung 1.1 Historie und Anwendungsgebiete Mit immer leistungsfähigeren Digitalrechnern war und ist es möglich, dynamische Modelle bestehend aus mehreren Körpern zu berechnen. Die mathematischen Grundlagen der Mehrkörperdynamik haben Newton, Euler, d’Alembert, Lagrange und Hamilton geschaffen. Die ersten Mehrkörperprogramme wurden zwischen 1970 und 1980 entwickelt, (Kre79). Bei den Mehrkörpersystemen (MKS) wurden zunächst nur starre Körper verwendet. Elastische Körper waren der der Finite Element Methode (FEM) vorbehalten. Kommerzielle Programme zur Simulation von Mehrkörpersystemen wie z. B. MSC.ADAMS, RecurDyn oder Simpack bieten heute die Möglichkeit, neben starren Körpern auch deformierbare Körper einzusetzen. Einen guten Einblick in den augenblicklichen Stand der Mehrkörperdynamik bietet die Arbeit von Schiehlen, (Sch06). Um den Markterfolg eines Produktes zu verbessern, wird bei der Neu- und Weiterentwicklung von Maschinen eigentlich neben anderen Verbesserungen immer auch eine Leistungssteigerung des Systems angestrebt. Dies führt bei ähnlichen Maschinenkonzepten zwangsläufig zu höheren Antriebsgeschwindigkeiten, also zu höheren Geschwindigkeiten der bewegten Bauteile. Damit kommen jedoch zu den eigentlichen Prozesskräften (Betriebskräfte wie z. B. die Presskraft einer Tiefziehpresse oder die Vorschubkraft einer Werkzeugmaschine) verstärkt Massenkräfte aufgrund der Trägheiten der Bauteile hinzu, welche leider physikalisch bedingt mit der Geschwindigkeitszunahme quadratisch ansteigen. Dies ist insbesondere bei schnelllaufenden Verarbeitungsmaschinen häufig der Grund für das Vorhandensein einer maximal möglichen Taktzahl, die nicht überschritten werden kann, weil dann durch die hohen Belastungen der Bauteile zum einen die Funktion der Maschine aufgrund zu großer elastischer Verformungen und schädlicher Schwingungserscheinungen nicht mehr gegeben ist und zum anderen die Bauteile vorzeitig versagen oder Gelenke zu stark verschleißen. Das eigentliche Dilemma besteht nun darin, dass ein verstärktes Ausführen kritischer Bauteile zu höheren Massenkräften und damit zu noch höheren Bauteilbelastungen führt. Deshalb ist es bei diesen Problemstellungen nicht ausreichend, nur die Bauteilfestigkeit zu verbessern, sondern viel-
2
1 Einleitung
mehr müssen durch Optimieren des Bewegungsverhaltens die Ursachen der hohen Belastungen minimiert werden. Um das Bewegungsverhalten vor Fertigstellung eines realen Prototyps untersuchen und optimieren zu können, muss eine virtueller Prototyp in Form eines mechanischen Ersatzsystems (Mehrkörpersystems) erstellt werden. Bei komplexen (räumlichen) und großen Baugruppen ist das Erstellen detaillierter mechanischer Ersatzsysteme, die z. B. neben Lagerspiel und -reibung auch die Nachgiebigkeit einzelner Bauteile berücksichtigen, sowie das anschließende Durchführen der Simulationsrechnungen sehr aufwändig. Deshalb werden heute in praktisch allen Bereichen der Technik so genannte Mehrkörpersimulations-Programme eingesetzt. Ein Problem bleibt aber: Die Ergebnisse von Mehrkörpersimulationen sind Vorhersagen, die auf einem gegenüber dem realen System vereinfachten Modell beruhen, dessen Berechnung numerisch zum Teil sehr aufwändig ist und je nach Berechnungsparameter bzw. -methode zu ganz anderen Ergebnissen führen kann (vgl. Wettervorhersage). Deshalb muss nach wie vor der Bediener eines MKS-Programms umfangreiches Modellierungs-, Berechnungs- und Interpretationswissen aufweisen. Genau hier will das vorliegende Lehrbuch helfen, entsprechendes Grundlagenwissen und Know how aufzubauen.
1.2 Elemente der Mehrkörperdynamik In der klassischen Mehrkörperdynamik erfolgt die Modellierung komplexer Systeme durch massebehaftete Körper und durch masselose Verbindungselemente. Wenn möglich verwendet man starre Körper. Die Berücksichtigung elastischer Körper ist mit Aufwand verbunden und führt in der Regel auch zu deutlich längeren Rechenzeiten. In einigen Fällen können elastische Bauteile durch mehrere starre Körpern, die durch Federn und Dämpfer verbunden sind, nachgebildet werden. Solche Ersatz-Modelle werden als „lumped mass“ Systeme bezeichnet. Speziell bei der Modellierung mit starren Körpern ist es sinnvoll, steife Koppelelemente durch ideal starre Lager zu modellieren. Dadurch kann die Anzahl der Freiheitsgrade reduziert werden. Neben passiven Kraftelementen werden auch aktive oder semi-aktive Stellglieder verwendet. Kontakte zwischen den Körpern oder einem Körper und der Umgebung erfordern zunächst eine Kollisionserkennung und dann eine möglichst genaue mathematische Beschreibung des Stossvorgangs.
2 Dynamik des starren Körpers 2.1 Lagebeschreibung 2.1.1 Koordinatensysteme Voraussetzung für eine eindeutige Lagebeschreibung eines Körpers ist ein Koordinatensystem, mit dessen Ursprung 0 und Achsen x 0 , y 0 , z 0 ein Referenzpunkt und Referenzrichtungen zur Verfügung stehen, Bild 2.1. z0 ez0 0
y0 ey0 ex0
x0
Bild 2.1: Koordinatensystem
In der Mehrkörperdynamik werden stets orthogonale und rechtshändige Koordinatensysteme verwendet. Die Richtungen der Koordinatenachsen werden dabei durch die Einheitsvektoren e x 0 , e y 0 , e z 0 mit |e x 0 | = 1, |e y 0 | = 1, |e z 0 | = 1 festgelegt. Die Orthogonalität kann durch das Verschwinden der Skalarprodukte e xT0 e y 0 = 0 ,
e yT0 e z 0 = 0
und
e zT0 e x 0 = 0
(2.1)
ausgedrückt werden. Das Transponiertzeichen, in (2.1) das hochgestellte T , vertauscht bei Vektoren und Matrizen die Zeilen und Spalten. Das Skalarprodukt zweier Vektoren kann damit als Multiplikation eines Zeilen- mit einem Spaltenvektor dargestellt werden. Die Kreuzprodukte ex 0 × ey 0 = ez 0 ,
ey 0 × ez 0 = ex 0
und
ez 0 × ex 0 = ey 0
definieren die Rechtshändigkeit des Koordinatensystems.
(2.2)
4
2 Dynamik des starren Körpers
2.1.2 Starrkörperbedingung Die Lage eines starren Körpers gegenüber dem Koordinatensystem 0 kann in eindeutiger Weise durch die Ortsvektoren ⎤ ⎤ ⎤ ⎡ ⎡ ⎡ x x x S P Q ⎥ ⎥ ⎥ ⎢ ⎢ ⎢ ⎥ ⎥ ⎥ ⎢ ⎢ (2.3) r 0S,0 = ⎢ ⎣ yS ⎦ , r0P,0 = ⎣ y P ⎦ , r0Q,0 = ⎣ yQ ⎦ zS zP zQ zu drei körperfesten Punkten erfolgen, wobei S, P und Q nicht auf einer Geraden liegen dürfen, Bild 2.2. Der durch ein Komma abgetrennte Index 0 gibt an, dass die Komponenten der Ortsvektoren in den Achsrichtungen des Koordinatensystems 0 angegeben werden. Eine spezielle Kennzeichnung von Vektoren und Matrizen ist hier nicht erforderlich.
P
z0
r0P y0
zK
rSP r0S r0Q
0
yK
S
x0
Q xK
Bild 2.2: Lagebeschreibung eines starren Körpers
Die neun Koordinaten x S bis z Q sind nicht unabhängig voneinander, da bei einem starren Körper die Abstände einzelner Punkte unverändert bleiben. Die Starrkörperbedingungen |rSP,0 | = a SP ;
|rSQ,0 | = a SQ ;
|rPQ,0 | = a PQ
(2.4)
mit den konstanten Abständen a SP , a SQ , a PQ liefern mit 2 (x P −x S )2 + (y P −yS )2 + (z P −z S )2 = a SP 2 (xQ −x S )2 + (yQ −yS )2 + (z Q −z S )2 = a SQ
(2.5)
2 (xQ −x P )2 + (yQ −y P )2 + (z Q −z P )2 = a PQ
drei Gleichungen, aus denen drei der neun Koordinaten in Abhängigkeit von den restlichen sechs Koordinaten berechnet werden können. Zur eindeutigen
2.1 Lagebeschreibung
5
Lagebeschreibung eines starren Körpers sind also genau 6 voneinander unabhängige Koordinaten erforderlich. Da die Gleichungen (2.5) in der Regel nicht eindeutig aufgelöst werden können, wird in der Praxis die Lage eines starren Körpers nicht durch drei Punkte sondern durch einen Punkt und drei Richtungen definiert.
2.1.3 Körperfestes Koordinatensystem Die drei Punkte S, P und Q können zur Festlegung eines körperfesten Koordinatensystems verwendet werden. Mit S als Ursprung, kann die x K -Achse durch den Einheitsvektor in Richtung von rSQ festgelegt werden rSQ (2.6) exK = | rSQ | Das Kreuzprodukt aus den Vektoren rSQ und rSP liefert einen Vektor, der senkrecht auf die beiden Vektoren und wegen (2.6) auch senkrecht zu e x K steht. Durch rSQ × rSP (2.7) ez K = | rSQ × rSP | kann also die z K -Achse definiert werden. Das orthogonale und rechtshändige Koordinatensystem wird durch e yK = e z K × e x K
(2.8)
vervollständigt.
2.1.4 Kardanwinkel Der Ursprung eines körperfesten Koordinatensystems wird durch die drei Komponenten des Ortsvektors, hier die Koordinaten x S , yS und z S des Vektors r0S,0 , gegenüber dem Koordinatensystem 0 festgelegt. Damit bleiben zur Beschreibung der Koordinatenrichtungen nur noch drei weitere voneinander unabhängige Koordinaten. Zur Festlegung der neun Komponenten der im Koordinatensystem 0 dargestellten Einheitsvektoren e x K ,0 , e y K ,0 und e z K ,0 verwendet man in der Regel drei Winkel, die durch Elementardrehungen die Achsen des Koordinatensystem 0 in das körperfeste Koordinatensystem K überführen. Verwendet man die Kardan-Winkel α, β , γ, dann dreht man zunächst um die x 0 -Achse, Bild 2.3. Das Zwischensystem mit den Achsen ⎤ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎡ 1 0 0 ⎥ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎢ (2.9) e x 1 ,0 = ⎣ 0 ⎦, e y1 ,0 = ⎣ c α ⎦, e z 1 ,0 = ⎣ −s α ⎦ sα cα 0
6
2 Dynamik des starren Körpers
z1
z0 z1
y1
z2
β
y0
α
zK=z2 y2=y1
x1=x0
x2
yK
γ
x1
y2 xK x2
Bild 2.3: Kardan-Winkel
wird dann um die y 1 -Achse gedreht und erzeugt so ein zweites Zwischensystem, dessen Achsen durch ⎡ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎤ cβ 0 sβ ⎢ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎥ e x 2 ,1 = ⎣ 0 ⎦, e y2 ,1 = ⎣ 1 ⎦, e z 2 ,1 = ⎣ 0 ⎦ (2.10) 0 −s β cβ festgelegt sind. Die dritte und letzte Drehung erfolgt dann um die z 2 -Achse und legt mit ⎡ ⎡ ⎡ ⎤ ⎤ ⎤ cγ −s γ 0 ⎢ ⎢ ⎢ ⎥ ⎥ ⎥ (2.11) e x K ,2 = ⎣ s γ ⎦, e y K ,2 = ⎣ c γ ⎦, e z K ,2 = ⎣ 0 ⎦ 1 0 0 die Achsen des körperfesten Koordinatensystems gegenüber dem Zwischensystem 2 fest. Die Winkelfunktionen sin α, cos α, sin β , cos β und sin γ, cos γ wurden dabei durch s α , c α , s β , c β und s γ , c γ abgekürzt.
2.1.5 Vektortransformation Mit den Beziehungen (2.9) bis (2.11) können nun Vektoren, die im körperfesten Koordinatensystem K dargestellt sind, in das Koordinatensystem 0 transformiert werden. Bezeichnet man die Komponenten des im Koordinatensystem K dargestellten Vektors von S nach P mit a , b und c , dann gilt zunächst ⎡
rSP,K
⎤ a ⎢ ⎥ =⎣ b ⎦ c
(2.12)
oder rSP,K = a e x K ,K + b e yK ,K + c e z K ,K
(2.13)
2.1 Lagebeschreibung
7
Mit (2.11) kann der Vektor rSP,K im Zwischensystem 2 dargestellt werden ⎡
rSP,2
⎤
⎡
⎢ ⎢ −s γ ⎥ ⎥ + b ⎢ cγ = a⎢ ⎣ ⎣ ⎦ 0
e x K ,2 e y K ,2 cγ sγ 0
⎤ 0 ⎢ ⎥ ⎥ ⎥+ c ⎢ 0 ⎥ ⎣ ⎦ ⎦ 1 e z K ,2 ⎤
⎡
(2.14)
Fasst man die Komponenten a , b und c wieder im Vektor rSP,K zusammen, dann erhält man ⎡ ⎤ ⎤⎡ −s 0 c a γ γ ⎢ ⎥ ⎥⎢ ⎥ ⎢ rSP,2 = ⎢ (2.15) cγ 0 ⎥ ⎣ sγ ⎦⎣ b ⎦ c 0 0 1
rSP,K A 2K wobei die Matrix A 2K eine positive Drehung mit dem Winkel γ um die z K = z 2 Achse beschreibt und Vektoren, die im Koordinatensystem K dargestellt sind, in das Zwischensystem 2 transformiert. Mit (2.10) kann der Vektor rSP,2 vom Koordinatensystem 2 in das Koordinatensystem 1 transformiert werden. Analog zu (2.14) und (2.15) erhält man rSP,1 = A 12 rSP,2
(2.16)
wobei die Drehmatrix durch ⎡ A 12
0 1 0
⎢ cβ =⎢ ⎣ 0 −s β
⎤ sβ ⎥ 0 ⎥ ⎦ cβ
(2.17)
gegeben ist und eine positive Drehung mit dem Winkel β um die y2 = y 1 -Achse beschreibt. Mit der aus (2.9) folgenden Drehmatrix ⎡ A 01
⎢ 1 =⎢ ⎣ 0 0
0 cα sα
⎤ 0 ⎥ −s α ⎥ ⎦ cα
(2.18)
die eine positive Drehung mit dem Winkel α um die x 1 =x 0 -Achse definiert und der Beziehung rSP,0 = A 01 rSP,1
(2.19)
8
2 Dynamik des starren Körpers
kann der Vektor rSP schließlich im Koordinatensystem 0 dargestellt werden. Mit (2.15) und (2.16) erhält man schließlich rSP,0 = A 01 A 12 A 2K rSP,K A 0K
(2.20)
Die Drehmatrix ⎡
A 0K
⎤ c −c s s c β γ β γ β ⎢ ⎥ ⎥ =⎢ ⎣ c α s γ +s α s β c γ c α c γ −s α s β s γ −s α c β ⎦ s α s γ −c α s β c γ s α c γ +c α s β s γ c α c β
e x K ,0 e y K ,0 e z K ,0
(2.21)
transformiert Vektoren vom Koordinatensystem K in das Koordinatensystem 0 und legt analog zu (2.14) und (2.15) die Richtungen der Koordinatenachsen des körperfesten Koordinatensystems K gegenüber dem Koordinatensystem 0 fest.
2.1.6 Euler-Winkel Neben den Kardan-Winkeln werden häufig auch die Euler-Winkel verwendet. Bei den Euler-Winkeln wird die Drehmatrix aus den Elementardrehungen ⎡
⎤ ⎢ c ψ −s ψ 0 ⎥ ⎥ Aψ = ⎢ ⎣ sψ cψ 0 ⎦ , 0 0 1
⎡
⎤ 0 ⎥ ⎢1 0 ⎥ Aθ = ⎢ ⎣ 0 c θ −s θ ⎦ , 0 sθ cθ
⎡
⎤ ⎢ c ϕ −s ϕ 0 ⎥ ⎥ Aϕ = ⎢ ⎣ sϕ cϕ 0 ⎦ 0 0 1
(2.22)
in der Reihenfolge A 0K = A ψ A θ A ϕ
(2.23)
aufgebaut. Ausmultipliziert erhält man ⎡
A 0K
⎢ cψ cϕ − sψ cθ sϕ =⎢ ⎣ sψ cϕ + cψ cθ sϕ sθ sϕ
−c ψ s ϕ − s ψ c θ c ϕ −s ψ s ϕ + c ψ c θ c ϕ sθ cϕ
⎤ sψ sθ ⎥ −c ψ s θ ⎥ ⎦ cθ
(2.24)
Im Gegensatz zu den Kardan-Winkeln, wo der Reihe nach um die x K -, y 1 - und z 2 -Achse gedreht wurde, werden bei den Euler-Winkeln Drehungen um die z K -, x 1 - und z 2 -Achse ausgeführt.
2.1 Lagebeschreibung
9
2.1.7 Drehung um eine beliebige Achse 2.1.7.1 Drehmatrix Jede räumliche Drehung kann aber auch als Drehung um eine beliebige Achse beschrieben werden, Bild 2.4. Bei einer Drehung mit dem Winkel δ um die durch den Einheitsvektor e festgelegten Drehachse wird der Punkt P auf den Punkt S abgebildet. e
z0
S δ
R
y0
r0S Q
P
r0P x0
0
Bild 2.4: Drehung um beliebige Achse
Mit A δ als Drehmatrix gilt dann r 0S = A δ r0P
(2.25)
Mit den Hilfspunkten R und Q erhält man r0S = r0R + rRQ + rQS
(2.26)
Der Punkt R resultiert aus der Projektion des Vektors r0P auf die Drehachse. Somit gilt
r0R = e T r0P e = e e T r0P = e e T r0P (2.27) Die Punkte R, S und Q beschreiben ein rechtwinkliges Dreieck. Da Q auch noch auf der Verbindungslinie zwischen den Punkten R und P liegt, ergibt sich rRQ = |rRS | cos δ
rRP |rRP |
(2.28)
Wegen |r RS | = |r RP |
(2.29)
rRQ = cos δ rRP
(2.30)
bleibt
10
2 Dynamik des starren Körpers
Mit der Vektorkette r 0P = r0R + rRP erhält man rRQ = cos δ (r0P − r0R )
(2.31)
und mit der Beziehung (2.27) bleibt schließlich
rRQ = cos δ r0P − e e T r0P = cos δ E − e e T r0P
(2.32)
wobei E die 3x 3 Einheitsmatrix bezeichnet. Der Betrag des Vektors von Q nach S ist durch rQS = sin δ |rRP | (2.33) gegeben. Da er senkrecht auf die Vektoren rRP und e steht, gilt e × rRP e × rRP rQS = rQS = sin δ |r RP | |e × rRP | |e | |r RP | sin(e , r RP )
(2.34)
Wegen |e | = 1 und sin(e , rRP ) = sin 90◦ = 1 bleibt rQS = sin δ e × rRP
(2.35)
Auch hier kann der Vektor rRP durch r0P − r0R ersetzt werden rQS = sin δ e × (r0P − r0R ) = sin δ e × r0P − sin δ e × r 0R = sin δ e × r0P (2.36) 0, e r 0R Setzt man nun die Beziehungen (2.27), (2.32) und (2.36) in (2.26) ein, dann erhält man
r0S = e e T r0P + cos δ E − e e T r0P + sin δ e × r0P (2.37)
r0R rQS r RQ Mit dem schiefsymmetrischen Tensor e˜ , der sich gemäß ⎡ ⎤ ⎡ e 0 −e z y ⎢ ⎥ ⎢ ex ⎥ ⎢ ey e˜ = ⎢ mit e = 0 −e x ⎦ ⎣ ez ⎣ −e y ex 0 ez
⎤ ⎥ ⎥ ⎦
(2.38)
aus den Komponenten des Einheitsvektors e aufbaut, kann das Kreuzprodukt umgeformt werden e × r0P = e˜ r0P (2.39) Nun kann in (2.37) der Vektor r 0P nach hinten ausgeklammert werden
r0S = e e T + E − e e T cos δ + e˜ sin δ r0P
(2.40)
2.1 Lagebeschreibung
11
Ein Vergleich mit (2.25) liefert dann die Drehmatrix
A 0K = A δ = e e T + E −e e T cos δ + e˜ sin δ = E cos δ + e e T (1−cos δ) + e˜ sin δ (2.41) wobei die Komponentendarstellung von e wegen e ,0 = e ,K sowohl im Koordinatensystem 0 als auch im Koordinatensystem K erfolgen kann. 2.1.7.2 Euler-Parameter Mit den trigonometrischen Beziehungen cos δ = 2 cos2
δ − 1, 2
1−cos δ = 2 sin2
δ 2
sin δ = 2 sin
und
δ δ cos (2.42) 2 2
lautet die Drehmatrix in (2.41) A 0K = E
δ −1 2 cos 2 2
δ + 2 sin e 2
δ sin e 2
T + 2 e sin
δ δ cos 2 2
(2.43)
wobei im zweiten Term das Quadrat der Sinus-Funktion durch das Produkt der Sinus-Funktion mit sich selbst ersetzt wurde. Mit den Abkürzungen e 0 = cos
δ , 2
e 1 = e x sin
δ , 2
e 2 = e y sin
δ , 2
e 3 = e z sin
δ 2
(2.44)
die als Euler-Parameter bezeichnet werden, kann die Drehmatrix ganz ohne trigonometrische Funktionen dargestellt werden ⎡
A 0K
1 2 2 ⎢ e0 + e1 − 2 = 2⎢ ⎣ e1 e2 + e0 e3 e1 e3 − e0 e2
e1 e2 − e0 e3 e 02 + e 22 − 12 e2 e3 + e0 e1
⎤ e1 e3 + e0 e2 ⎥ e2 e3 − e0 e1 ⎥ ⎦ e 02 + e 32 − 12
(2.45)
Die Euler-Parameter sind nicht unabhängig. Da e x , e y und e z die Komponenten eines Einheitsvektors sind, gilt e x2 +e y2 +e z2 = 1. Für die Euler-Parameter bedeutet dies e 02 + e 12 + e 22 + e 32 = cos2
δ 2 δ δ δ + e x + e y2 + e z2 sin2 = cos2 + sin2 = 1 (2.46) 2 2 2 2
Fasst man die Euler-Parameter in einem 4 × 1-Spaltenvektor zusammen pE = [ e0
e1
e2
e 3 ]T
(2.47)
12
2 Dynamik des starren Körpers
dann kann die Beziehung (2.46) auch durch pE T pE − 1 = 0
(2.48)
ausgedrückt werden. Die Drehmatrix (2.45) kann als Produkt zweier Matrizen dargestellt werden (2.49) A 0K = G L T wobei sich G und L gemäß Nikravesh (Nik88) wie folgt aus den EulerParametern aufbauen ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ −e −e e −e e e e −e 1 0 3 2 1 0 3 2 ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎥ ⎢ (2.50) G =⎢ ⎣ −e 2 e 3 e 0 −e 1 ⎦ und L = ⎣ −e 2 −e 3 e 0 e 1 ⎦ −e 3 −e 2 e 1 e 0 −e 3 e 2 −e 1 e 0 Die Multiplikation der Matrizen G und L liefert zunächst ⎡ 2 2 2 2 2 e1 e3 + 2 e0 e2 ⎢ e1 + e0 − e3 − e2 2 e1 e2 − 2 e0 e3 T ⎢ G L = ⎣ 2 e 1 e 2 + 2 e 0 e 3 e 22 − e 32 + e 02 − e 12 2 e 2 e 3 − 2 e 0 e 1 2 e1 e3 − 2 e0 e2 2 e 2 e 3 + 2 e 0 e 1 e 32 − e 22 − e 12 + e 02
⎤ ⎥ ⎥ ⎦
(2.51)
Mit der Beziehung (2.46) kann das erste Hauptdiagonal-Element wie folgt umgeformt werden
e 12 + e 02 − e 32 − e 22 =e 02 + e 12 − e 22 + e 32 =e 02 + e 12 − 1 − (e 02 + e 12 ) =2 e 02 + e 12 − 1 (2.52) In ähnlicher Weise können auch die restlichen Hauptdiagonal-Elemente umgeformt werden. Der Vergleich mit (2.45) bestätigt dann die Gültigkeit der Beziehung (2.49). Da alle Zeilen der Matrizen G und L orthogonal zum Vektor der Euler-Parameter p E sind, gilt G pE = 0
und
L pE = 0
(2.53)
Durch einfaches Ausmultiplizieren kann man darüber hinaus folgende Eigenschaften nachweisen (2.54) G G T = L L T = E 3×3 und G T G = L T L = E 4×4 − p E p ET
(2.55)
wobei der Vektor der Euler-Parameter im dyadischen Produkt eine 4 × 4Matrix erzeugt, die von der passenden Einheitsmatrix E 4×4 subtrahiert wird. Diese Eigenschaften von G und L werden bei der Berechnung der Winkelgeschwindigkeiten benötigt. p E p ET
2.1 Lagebeschreibung
13
2.1.7.3 Sonderfälle Achsparallele Koordinatensysteme werden durch die Euler-Parameter
pE = [1
0
0
0 ]T
sin
α 2
0
0
β sin 2
(2.56)
beschrieben. Die Euler-Parameter p Ex =
cos
y pE
p Ez
= =
α 2
β cos 2 γ cos 2
0
0
T 0
(2.57) T
0
γ sin 2
(2.58)
T (2.59)
definieren Elementardrehungen um die x -, y - und z -Achse.
2.1.8 Orthogonalitätsbedingung Alle Drehmatrizen, die orthogonale Koordinatensysteme ineinander überführen, genügen der Orthogonalitätsbedingung A T0K A 0K = E
(2.60)
T A −1 0K = A K 0 = A 0K
(2.61)
und erzeugen mit
die Umkehrtransformation. Es gilt also r,0 = A 0K r,K
und r,K = A T0K r,0
(2.62)
wobei r ein beliebiger Vektor ist, der in den Koordinatensystem K und 0 dargestellt werden soll.
2.1.9 Zusammenfassung Position und Orientierung eines starren Körpers im Raum können durch einen Ortsvektor und eine Drehmatrix eindeutig festgelegt werden. Der Ortsvektor r 0S gibt dabei die Lage des körperfesten Punktes S an und die Drehmatrix A 0K beschreibt die momentanen Richtungen eines körperfesten Koordinatensystems
14
2 Dynamik des starren Körpers
K gegenüber dem beschreibenden Koordinatensystem 0. Jeder weitere Punkt P auf dem Körper ist dann durch die Vektorkette r 0P,0 = r0S,0 + A 0K rSP,K
(2.63)
festgelegt, wobei der Vektor rSP,K mit rSP,K = con s t .
(2.64)
im körperfesten Koordinatensystem die Lage von P gegenüber S angibt.
2.2 Geschwindigkeitszustand 2.2.1 Allgemeine Relativbewegung Der Ortsvektor r0P,0 beschreibt die Lage eines beliebigen Punktes P auf dem Körper gegenüber dem Koordinatensystem 0. Die zeitliche Ableitung von (2.63) liefert mit (2.65) r˙0P,0 = r˙0S,0 + A˙0K rSP,K + A 0K r˙SP,K die Geschwindigkeit des Punktes P gegenüber dem Inertialsystem 0. Die direkte Berechnung von A˙0K ist im allgemeinen sehr aufwändig. Mit der Orthogonalitätsbedingung (2.60) erhält man jedoch r˙0P,0 = r˙0S,0 + A˙0K A T0K A 0K rSP,K + A 0K r˙SP,K E
(2.66)
˜ 0K ,0 A˙0K A T0K = ω
(2.67)
wobei ein schiefsymmetrischer Tensor ist, dessen wesentliche Elemente die Komponenten des Winkelgeschwindigkeitsvektors ω0K ,0 ergeben ⎡ ⎡ ⎤ ⎤ y z x 0 −ω ω ω 0K ,0 ⎥ 0K ,0 ⎢ ⎢ 0K ,0 ⎥ ⎢ ⎢ y ⎥ ⎥ x ˜ 0K ,0 = ⎢ ωz0K ,0 = ω (2.68) ; ω 0 −ω0K ,0 ⎥ 0K ,0 ⎢ ω0K ,0 ⎥ ⎣ ⎣ ⎦ ⎦ y −ω0K ,0 ωx0K ,0 0 ωz0K ,0 ˜ mit einem 3×1Die Multiplikation eines schiefsymmetrischen 3×3-Tensors ω Vektor r vermittelt das Kreuzprodukt ˜ r = ω×r ω
(2.69)
2.2 Geschwindigkeitszustand
15
Damit lautet (2.66) r˙0P,0 = r˙0S,0 + ω0K ,0 × A 0K rSP,K + A 0K r˙SP,K v 0P,0 v 0S,0 rSP,0
(2.70)
2.2.2 Starrkörperbewegung Wegen der Starrkörperbedingung (2.64) entfällt der letzte Term und es bleibt die Eulersche Geschwindigkeitsgleichung v 0P,0 = v 0S,0 + ω0K ,0 × rSP,0
(2.71)
Damit ist der Geschwindigkeitszustand eines starren Körpers durch Angabe der Geschwindigkeit v 0S eines körperfesten Punktes und der Winkelgeschwindigkeit ω0K des starren Körpers eindeutig definiert, da mit (2.71) die Geschwindigkeit jedes weiteren körperfesten Punktes angegeben werden kann.
2.2.3 Winkelgeschwindigkeit 2.2.3.1 Definition Die Winkelgeschwindigkeit ist gemäß (2.67) durch den schiefsymmetrischen Tensor definiert. Bei einer Darstellung im Koordinatensystem 0 gilt ˜ 0K ,0 = A˙0K A T0K ω
(2.72)
Werden die Komponenten der Winkelgeschwindigkeit im Koordinatensystem K benötigt, muss die Tensortransformation ˜ 0K ,0 A TK 0 = A T0K ω ˜ 0K ,0 A 0K ˜ 0K ,K = A K 0 ω ω
(2.73)
angewendet werden. Mit (2.72) erhält man ˜ 0K ,K = A T0K A˙0K A T0K A 0K = A T0K A˙0K ω
(2.74)
2.2.3.2 Kardanwinkel Bei der Verwendung von Kardanwinkeln wird die Drehmatrix aus einer Folge von Elementardrehungen aufgebaut. Gemäß (2.20) gilt A 0K = A 01 A 12 A 2K
(2.75)
16
2 Dynamik des starren Körpers
Die Definition (2.72) liefert dann den im Koordinatensystem 0 dargestellten Tensor der Winkelgeschwindigkeiten zu
˜ 0K ,0 = A˙01 A 12 A 2K + A 01 A˙12 A 2K + A 01 A 12 A˙2K A T2K A T12 A T01 ω (2.76) Die Drehmatrizen sind orthogonal. Gemäß (2.60) gilt dann A 2K A T2K = E und A 12 A T12 = E . Nach dem Ausmultiplizieren bleibt somit ˜ 0K ,0 = A˙ 01 A T01 +A 01 A˙12 A T12 A T01 + A 01 A 12 A˙2K A T2K A T12 A T01 ω ˜ 12,1 ˜ 01,0 ˜ 2K ,2 ω ω ω
(2.77)
˜ 01,0 , ω ˜ 12,1 und ω ˜ 2K ,2 die Winkelgewobei die schiefsymmetrischen Tensoren ω schwindigkeiten der Elementardrehungen beschreiben. Die Winkelgeschwindigkeit setzt sich also additiv aus den drei Teildrehungen zusammen. Für die Elementardrehung um die x 0 =x 1 -Achse mit dem Winkel α erhält man ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ 1 0 0 0 0 0 ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ˜ 01,0 = A˙01 A T01 = ⎣ 0 −s α −c α ⎦ α˙ ⎣ 0 c α (2.78) ω sα ⎦ 0 cα −s α 0 −s α c α Ausmultipliziert und unter Berücksichtigung von s α2 + c α2 = 1 bleibt ⎡ ⎡ ⎤ ⎤ α˙ 0 0 0 ⎢ ⎢ ⎥ ⎥ ˜ 01,0 = ⎣ 0 0 −α˙ ⎦ oder ω01,0 = ⎣ 0 ⎦ ω 0 0 α˙ 0
(2.79)
Analog dazu erhält man mit den in (2.17) und (2.15) definierten Drehmatrizen die im Koordinatensystem 1 und 2 dargestellten Winkelgeschwindigkeitsvektoren ⎡ ⎡ ⎤ ⎤ 0 0 ⎢ ⎢ ⎥ ⎥ ⎢ ⎥ ˙ ⎥ (2.80) ω12,1 = ⎢ ⎣ β ⎦ und ω2K ,2 = ⎣ 0 ⎦ γ˙ 0 für die Elementardrehungen um die y1 =y 2 -Achse bzw. um die z 2 =z K -Achse. Setzt man die Tensorbeziehung (2.77) auf die entsprechenden Winkelgeschwindigkeitsvektoren um, dann erhält man ω0K ,0 = ω01,0 + A 01 ω12,1 + A 01 A 12 ω2K ,2 Eingesetzt und ausmultipliziert bleibt schließlich ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎤ ⎡ 0 α˙ s β γ˙ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎥ ⎢ ω0K ,0 = ⎣ 0 ⎦ + ⎣ c α β˙ ⎦ + ⎣ −s α c β γ˙ ⎦ 0 c α c β γ˙ s α β˙
(2.81)
(2.82)
2.2 Geschwindigkeitszustand
oder in Matrizenschreibweise ⎤ ⎡ ⎡ x ⎢ ωy0K ,0 ⎥ ⎢ 1 ⎥ ⎢ ⎢ ω ⎣ 0K ,0 ⎦ = ⎣ 0 ωz0K ,0 0
17
0 cα sα
⎤⎡ ⎤ sβ ⎥ ⎢ α˙ ⎥ ⎢ ˙ ⎥ −s α c β ⎥ ⎦⎣ β ⎦ γ˙ c αc β
(2.83)
Im körperfesten Koordinatensystem ist der Winkelgeschwindigkeitsvektor durch ω0K ,K = A T0K ω0K ,0 = A T2K A T12 A T01 ω01,0 + A 01 ω12,1 + A 01 A 12 ω2K ,2 (2.84) gegeben. Ausmultipliziert bleibt ⎡ ⎤ ⎡ ˙ ˙ c c α β γ ⎢ ⎥ ⎢ sγ β ⎥ ⎢ ˙ ω0K ,K = ⎢ ⎣ −c β s γ α˙ ⎦ + ⎣ c γ β s β α˙ 0
⎡ ⎤ ⎥ ⎢0⎥ ⎥+⎢ 0 ⎥ ⎦ ⎣ ⎦ γ˙ ⎤
(2.85)
⎡
oder ω0K ,K
⎤ ⎡ ⎤⎡ ⎤ x ω c c s 0 ,K ⎥ ⎢ 0K ⎢ β γ γ ⎥ ⎢ α˙ ⎥ y ⎢ ⎥ ⎥⎢ ˙ ⎥ = ⎣ ω0K ,K ⎦ = ⎢ ⎣ −c β s γ c γ 0 ⎦ ⎣ β ⎦ z sβ ω0K ,K 0 1 γ˙
(2.86)
Bei allgemeinen räumlichen Drehungen besteht ein nichtlinearer lageabhängiger Zusammenhang zwischen den Komponenten des Winkelgeschwindigkeitsvektors und den Ableitungen der Kardanwinkel. Die Beziehungen (2.83) und (2.86) können nun nach den Winkelableitungen aufgelöst werden. Man erhält ⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤ x ˙ ω c α s s −c s β α β α β 0K ,0 ⎢ ⎥⎢ y ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ω ⎥ ⎢ β˙ ⎥ = 1 ⎢ 0 c α c β (2.87) sα cβ ⎥ 0K ,0 ⎦ ⎣ ⎦ ⎣ ⎣ ⎦ cβ z γ˙ 0 −s α cα ω0K ,0
ω0K ,0 ˙ K0 Φ ⎤ ⎡ ⎤⎡ ⎤ x ˙ α , −s 0 ω c γ γ 0K ,K ⎢ ⎥ ⎢ ⎥⎢ y ⎥ ⎢ β˙ ⎥ = 1 ⎢ s γ c β ⎢ ω ⎥ (2.88) cγ cβ 0 ⎥ 0K ,K ⎦ ⎣ ⎦ ⎣ ⎦ ⎣ cβ z γ˙ −c γ s β s γ s β c β ω0K ,K
ω 0K ,K ˙ K K Φ Die kinematischen Differentialgleichungen werden jeweils für cos β = 0 oder β = 90◦ ± n 180◦ , n = 0, 1, 2, ... singulär. Was bedeutet, dass es in diesen Fällen nicht möglich ist, die Winkeländerungen aus den Winkelgeschwindigkeiten und
⎡
18
2 Dynamik des starren Körpers
zu berechnen. Kardanwinkel können deshalb nur dann problemlos verwendet werden, wenn von vornherein das Erreichen singulärer Lagen ausgeschlossen werden kann. 2.2.3.3 Euler-Winkel Bei der Verwendung von Euler-Winkeln setzt sich die Drehmatrix ebenfalls aus Elementardrehungen zusammen. Mit (2.23) erhält man analog zu (2.81) ω0K ,0 = ωψ,0 + A ψ ωθ ,1 + A ψ A θ ωϕ,2 wobei die Winkelgeschwindigkeitsvektoren durch ⎡ ⎡ ⎡ ⎤ ⎤ ⎤ 0 0 θ˙ ⎢ ⎢ ⎢ ⎥ ⎥ ⎥ ωψ,0 = ⎣ 0 ⎦ , ωθ ,1 = ⎣ 0 ⎦ und ωϕ,2 = ⎣ 0 ⎦ ϕ˙ ψ˙ 0 gegeben sind. Ausmultipliziert erhält man ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ˙ ˙ ϕ s θ 0 c s ψ ψ θ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎥ ⎢ ⎥ ˙⎥ ⎢ ω0K ,0 = ⎢ ⎣ 0 ⎦ + ⎣ s ψ θ ⎦ + ⎣ −c ψ s θ ϕ˙ ⎦ c θ ϕ˙ ψ˙ 0 oder
⎤ ⎡ x ω 0K ,0 ⎢ y ⎥ ⎢ 0 cψ sψ sθ ⎥ ⎢ ω0K ,0 = ⎢ ⎣ ω0K ,0 ⎦ = ⎣ 0 s ψ −c ψ s θ ωz0K ,0 1 0 cθ ⎡
(2.89)
(2.90)
(2.91)
⎤⎡
⎤ ˙ ψ ⎥⎢ ⎥ ⎥ ⎢ θ˙ ⎥ ⎦⎣ ⎦ ϕ˙
Transformiert ins K -Koordinatensystem ergibt sich ⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ x ω s c 0 s ϕ θ ϕ 0K ,K ⎢ y ⎥⎢ ⎥ ⎢ ⎢ ω ⎥⎢ ⎥ ⎢ ⎣ 0K ,K ⎦ = ⎣ c ϕ s θ −s ϕ 0 ⎦ ⎣ ωz0K ,K 0 1 cθ
⎤ ψ˙ ⎥ θ˙ ⎥ ⎦ ϕ˙
(2.92)
(2.93)
Auch hier besteht ein nichtlinearer lageabhängiger Zusammenhang zwischen den Komponenten des Winkelgeschwindigkeitsvektors und den Ableitungen der Euler-Winkel. Das Auflösen nach den Winkelableitungen ergibt ⎡ ⎤ ⎤⎡ ⎡ ⎤ x ˙ ψ c c c s ω −s ψ θ ψ θ θ ⎥⎢ 0K ,0 ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎢ θ˙ ⎥ = 1 ⎢ c ψ s θ ⎥ ⎢ ωy ⎥ (2.94) s s 0 ψ θ ⎣ ⎦ ⎦ ⎣ 0K ,0 ⎦ sθ ⎣ z ˙ ϕ −c ψ 0 ω0K ,0 sψ
ω0K ,0 ˙ K0 Φ
2.2 Geschwindigkeitszustand
und
⎡ ⎢ ⎢ ⎣
ψ˙ θ˙ ϕ˙
˙ Φ
⎤
19
⎡
cϕ sϕ ⎥ ⎢ ⎥ = 1 ⎢ cϕ sθ −s ϕ s θ ⎦ sθ ⎣ −s ϕ c θ −c ϕ c θ
KK
⎤⎡ 0 ⎥ ⎢ ωx0K ,K ⎢ y 0 ⎥ ⎦ ⎣ ω0K ,K sθ ωz0K ,K
ω0K ,K
⎤ ⎥ ⎥ ⎦
(2.95)
Bei den Euler-Winkeln werden die kinematischen Differentialgleichungen singulär für sin θ = 0 oder θ = 0◦ ± n 180◦ , n = 0, 1, 2, .... Eine problemlose Beschreibung beliebiger räumlicher Drehbewegungen ist also auch mit den EulerWinkeln nicht möglich. 2.2.3.4 Euler-Parameter Bei der Verwendung von Euler-Parametern kann die Drehmatrix gemäß (2.49) als Produkt zweier Matrizen dargestellt werden. Mit A 0K = G L T liefert (2.72) zunächst
˜ 0K ,0 = G˙ L T + G L˙ T L G T (2.96) ω Durch allgemeines Differenzieren und Ausmultiplizieren kann gezeigt werden, dass die durch (2.50) definierten Matrizen folgende Eigenschaft haben G L˙ T = G˙ L T
(2.97)
Dadurch vereinfacht sich (2.96) zu ˜ 0K ,0 = 2 G˙ L T L G T ω
(2.98)
Mit der Beziehung (2.55) ergibt sich weiterhin
˙ T −2G˙ p p T G T =2GG ˙ T −2G˙ p G p T ˜ 0K ,0 =2G˙ E 4×4 −p E p ET G T =2GG ω E E E E (2.99) Wegen (2.53) entfällt der letzte Term und es bleibt ˜ 0K ,0 = 2 G˙ G T ω
(2.100)
˙ T , dann ergibt sich folgender Analysiert man die schiefsymmetrische Matrix GG Zusammenhang G˙ G T = G p˙ E (2.101) wobei p˙ E die Ableitung der im Vektor p E zusammengefassten Euler-Parameter angibt. Im Koordinatensystem 0 dargestellt, ist dann der Winkelgeschwindigkeitsvektor durch (2.102) ω0K ,0 = 2G p˙ E
20
2 Dynamik des starren Körpers
gegeben. Transformiert ins körperfeste Koordinatensystem erhält man zunächst
ω0K ,K = A T0K ω0K ,0 = G L T 2G p˙ E = 2LG T G p˙ E (2.103) Mit (2.55) ergibt sich
ω0K ,K = 2L E 4×4 − p E p ET p˙ E = 2L p˙ E − 2Lp E p ET p˙ E
(2.104)
Der Vektor der Euler-Parameter ist ein Einheitsvektor. Gemäß (2.48) gilt deshalb p ET p E =1 oder d T p E p E = p˙ ET p E + p ET p˙ E = 2 p ET p˙ E = 0 dt
bzw.
p ET p˙ E = 0
(2.105)
Damit bleibt für den Winkelgeschwindigkeitsvektor im körperfesten Koordinatensystem (2.106) ω0K ,K = 2 L p˙ E Da die Matrizen G und L durch die Euler-Parameter bestimmt sind, ergeben sich die Komponenten der Winkelgeschwindigkeitsvektoren aus der multiplikativen Verknüpfung der Euler-Parameter mit ihren zeitlichen Ableitungen. Die Beziehungen (2.102) und (2.106) können durch Multiplikation mit G T bzw. L T nach den Ableitungen der Euler-Parameter aufgelöst werden. Unter Berücksichtigung der Beziehung (2.55) erhält man
(2.107) G T ω0K ,0 = G T 2G p˙ E = 2 E 4×4 − p E p ET p˙ E = 2p˙ E − 2p E p ET p˙ E und
L T ω0K ,K = L T 2L p˙ E = 2 E 4×4 − p E p ET p˙ E = 2p˙ E − 2p E p ET p˙ E
(2.108)
Da in (2.107) und (2.108) wegen (2.105) jeweils der letzte Term entfällt, können die kinematischen Differentialgleichungen für die Euler-Parameter in der einfachen Form 1 1 p˙ E = G T ω0K ,0 oder p˙ E = L T ω0K ,K (2.109) 2 2 angegeben werden. Bei der Verwendung von Euler-Parametern treten keine Singularitäten auf. Allerdings werden hier aus lediglich drei Komponenten des Winkelgeschwindigkeitsvektors die Ableitungen von vier Euler-Parametern erzeugt. Dies ist nur möglich, weil die Beziehungen in (2.109) auf Grund der speziellen Eigenschaften der Euler-Parameter die Ableitung der Zwangsbedingung (2.105) automatisch als zusätzliche Differentialgleichung enthalten.
2.3 Bewegungsgleichungen
21
2.3 Bewegungsgleichungen 2.3.1 Impulssatz Der Impuls eines starren Körpers ist durch p = m v 0S
(2.110)
gegeben, wobei m die Masse des Körpers und v 0S die Geschwindigkeit des Massenmittelpunktes S gegenüber dem Inertialsystem 0 bezeichnet. Drehbewegungen haben keinen Einfluss auf den Impuls eines starren Körpers. Dem newtonschen Axiom entsprechend, wird eine Impulsänderung durch Kräfte hervorgerufen d (2.111) p ,0 = F,0 dt Bei abgeschlossenen Systemen ist die Impulsänderung des starren Körpers gegenüber dem Inertialsystem 0 durch d d p ,0 = m v 0S,0 = m v˙0S,0 = m a 0S,0 dt dt
(2.112)
gegeben, wobei a 0S,0 die Absolut-Beschleunigung des Massenmittelpunktes S bezeichnet. Damit erhält man aus (2.111) den Impulssatz m v˙0S,0 = F,0
(2.113)
der die Bewegungen des Massenmittelpunktes S unter dem Einfluss der resultierenden äußeren Kraft F beschreibt.
2.3.2 Drallsatz Analog zum Impuls (2.110) und zum Impulssatz (2.111) können der auf den Massenmittelpunkt S bezogene Drall
definiert und der Drallsatz
d S = TS ω0K
(2.114)
d d S,0 = M S,0 dt
(2.115)
formuliert werden. Dabei gibt ω0K die Winkelgeschwindigkeit des körperfesten Koordinatensystems K gegenüber dem Inertialsystem 0 an und M S beschreibt
22
2 Dynamik des starren Körpers
das resultierende Moment aus allen äußeren Belastungen bezüglich des Massenmittelpunktes. Der Trägheitstensor bezüglich des Massenmittelpunktes ist durch TS =
T r˜SM r˜SM d m
(2.116)
Körper
definiert, wobei der schiefsymmetrische Tensor r˜SM gemäß ⎡
rSM
⎤ x ⎢ ⎥ =⎣ y ⎦, z
⎡
r˜SM
0 ⎢ =⎣ z −y
−z 0 x
⎤ y ⎥ −x ⎦ 0
(2.117)
durch die Komponenten des Vektors rSM vom Massenmittelpunkt S zu den einzelnen Masseteilchen d m des starren Körpers bestimmt ist. Mit (2.114) lautet der Drallsatz (2.115) d TS,0 ω0K ,0 = M S,0 (2.118) dt Bei Drehbewegungen ω0K = 0 ändert sich die absolute Lage der Masseteilchen rSM ,0 = cons t . Dann ist aber auch der Trägheitstensor, im Koordinatensystem 0 angeschrieben, nicht konstant. Die Berechnung der Ableitung ddt TS,0 ist sehr kompliziert. Im körperfesten Koordinatensystem K ist der Trägheitstensor immer konstant. Bei rotationssymmetrischen Trägheitstensoren gibt es auch bewegte Referenzsysteme R in denen der Trägheitstensor konstant ist. An Stelle von (2.118) schreibt man nun d A 0R TS,R ω0K ,R = M S,0 dt
(2.119)
wobei die Matrix A 0R die Transformation vom Referenzsystem R in das Inertialsystem 0 übernimmt. Wegen TS,R = cons t . bleibt ˙ 0K ,R = M S,0 ω0R,0 ×A 0R TS,R ω0K ,R + A 0R TS,R ω
(2.120)
oder im Referenzsystem R angeschrieben ˙ 0K ,R + ω0R,R ×TS,R ω0K ,R = M S,R TS,R ω
(2.121)
wobei ω0R,R und ω0K ,R die Winkelgeschwindigkeitsvektoren des Referenzsystems R und des körperfesten Koordinatensystems K gegenüber dem Inertialsystem 0 darstellen. Der Term ω0R ×TS ω0K wird als Kreiselmoment bezeichnet.
2.3 Bewegungsgleichungen
23
Transformiert man den im körperfesten Koordinatensystem, R ≡ K , dargestellten Drallsatz ins Inertialsystem, dann erhält man zunächst ˜ 0K ,K TS,K ω0K ,K = A 0K M S,K ˙ 0K ,K + A 0K ω A 0K TS,K ω
(2.122)
wobei die Multiplikation mit dem schiefsymmetrischen Tensor der Winkelgeschwindigkeiten das Kreuzprodukt im Kreiselmoment ersetzt. Unter Berücksichtigung von A T0K A 0K = E , ω0K ,0 = A 0K ω0K ,K und M S,0 = A 0K M S,K sowie der Tensortransformationen ˜ 0K ,K A T0K ˜ 0K ,0 = A 0K ω ω
und
TS,0 = A 0K TS,K A T0K
(2.123)
bleibt ˙ 0K ,K + ω ˜ 0K ,0 TS,0 ω0K ,0 = M S,0 TS,0 A 0K ω
(2.124)
Wegen ω0K ,0 ×ω0K ,0 = 0 gilt für die Ableitung des im Inertialsystem dargestellten Winkelgeschwindigkeitsvektors ˜ 0K ,0 ω ω0K ,0 T d ˙ 0K ,0 = ˙ 0K ,K = A 0K ω ˙ 0K ,K (2.125) ω A 0K ω0K ,K = A˙0K A 0K A 0K ω0K ,K +A 0K ω dt
ω0K ,0 × ω0K ,0 Damit kann im Drallsatz (2.124) die ins Inertialsystem 0 transformierte Änderung der Winkelgeschwindigkeit gegenüber dem körperfesten Koordinatensys˙ 0K ,K durch die Ableitung des im Inertialsystem dargestellten Winkelgetem ω ˙ 0K ,0 ersetzt werden schwindigkeitsvektors ω ˙ 0K ,0 + ω ˜ 0K ,0 TS,0 ω0K ,0 = M S,0 TS,0 ω
(2.126)
Im Vergleich zu (2.121) ist der Aufwand zur Auswertung von (2.126) höher, da der im Inertialsystem dargestellte Trägheitstensor TS,0 nicht mehr konstant ist, sondern über die Tensortransformation (2.123) an die aktuelle Orientierung des Körpers angepasst werden muss.
2.3.3 Zustandsgleichung Die Dynamik eines starren Körpers wird durch den Impuls- und den Drallsatz beschrieben. In der Mehrkörperdynamik wird der Impulssatz üblicherweise im Koordinatensystem 0 (2.127) m v˙0S,0 = F,0
24
2 Dynamik des starren Körpers
und der Drallsatz im Koordinatensystem K angegeben ˙ 0K ,K = M S,K − ω0K ,K ×TS,K ω0K ,K TS,K ω
(2.128)
wobei der Kreiselterm ω0K ,K ×TS,K ω0K ,K auf die rechte Seite des Drallsatzes gestellt wurde. Hinzu kommen die kinematischen Differentialgleichungen r˙0S,0 = v 0S,0
(2.129)
und
1 T (2.130) L ω0K ,K 2 Der Geschwindigkeitszustand des starren Körpers wird dabei durch die drei Komponenten der im Koordinatensystem 0 dargestellten Geschwindigkeit v 0S,0 (t ) und durch die drei Komponenten der im Koordinatensystem K dargestellten Winkelgeschwindigkeit ω0K ,K beschrieben ⎤ ⎤ ⎡ ⎡ (t ) (t ) v ω x x ⎥ ⎥ ⎢ ⎢ ⎥ ⎥ ⎢ (2.131) v 0S,0 (t ) = ⎢ ⎣ v y (t ) ⎦ und ω0K ,K = ⎣ ωy (t ) ⎦ v z (t ) ωz (t ) ˙ = K K ω0K ,K Φ
oder p˙ E =
Der Ortsvektor, der die momentane Position des Massenmittelpunktes S festlegt, ist dabei entsprechend ⎤ ⎡ (t ) x ⎥ ⎢ S ⎥ r0S,0 (t ) = ⎢ (2.132) (t ) y S ⎦ ⎣ z S (t ) durch die drei Lagekoordinaten x S , yS und z S definiert. Die Drehmatrix A 0K = A 0K (Φ)
(2.133)
die die Orientierung des körperfesten Koordinatensystems K gegenüber dem Inertialsystem 0 angibt, kann entweder aus drei Elementardrehungen aufgebaut oder durch vier Euler-Parameter beschrieben werden. Der Vektor Φ beinhaltet dann entweder die drei Kardan-Winkel, die drei Euler-Winkel oder andere drei Elementardrehwinkel oder aber die vier Euler-Parameter ⎡ ⎤ ⎤ ⎤ ⎡ ⎡ e 0 (t ) ⎢ ⎥ ⎢ ϕ(t ) ⎥ ⎢ α(t ) ⎥ ⎢ e 1 (t ) ⎥ ⎥ ⎥ ⎢ ⎢ ⎢ ⎥ Φ(t ) = ⎣ β (t ) ⎦ bzw. Φ(t ) = ⎣ ψ(t ) ⎦ oder Φ(t ) = p E (t ) = ⎢ (2.134) ⎥ e (t ) 2 ⎣ ⎦ θ (t ) γ(t ) e 3 (t )
2.3 Bewegungsgleichungen
25
Die Dynamik eines starren Körpers wird somit durch 12 bzw. durch 13 gewöhnliche Differentialgleichungen 1. Ordnung beschrieben, wenn die Orientierung des körperfesten Koordinatensystems nicht durch drei Elementardrehungen sondern durch vier Euler-Parameter festgelegt wird. Mit dem Zustandsvektor x =
x S yS z S e 0 e 1 e 2 e 3 v x v y v z ωx ωy ωz
!T
(2.135)
können die Differentialgleichungen (2.129), (2.130), (2.127) und (2.128) in der Zustandsgleichung x˙ = f (t , x ) (2.136) zusammengefasst werden. Verwendet man ein körperfestes Hauptachsensystem, dann ist der Trägheitstensor TS,K nur auf der Hauptdiagonalen besetzt und der Drallsatz (2.128) kann sehr einfach nach den Winkelbeschleunigun˙ y und ω ˙ x aufgelöst werden. Im ungünstigsten Fall, also bei vollbe˙x, ω gen ω setztem Trägheitstensor, muss ein lineares Gleichungssystem der Dimension 3 gelöst werden. Die Differentialgleichungen (2.136) sind nichtlinear und können im Allgemeinen nur mehr numerisch gelöst werden.
2.3.4 Beispiel Quader im homogenen Schwerefeld Der Trägheitstensor eines Quaders mit homogener Massenverteilung, den Kantenlängen a , b und c und der Masse m ist im körperfesten Hauptachsensystem durch ⎤ ⎡ b2 + c2 0 0 1 ⎥ ⎢ TS,K = (2.137) m⎣ 0 0 c2 +a2 ⎦ 12 2 2 0 0 a +b gegeben. Vernachlässigt man den Luftwiderstand, dann greift nur die Gewichtskraft !T F,0 = 0 0 −m g (2.138) im Massenmittelpunkt S des Körpers an, Bild 2.5. Damit treten hier keine äußeren Momente auf !T M S,K = 0 0 0 (2.139) Die Zustandsgleichungen (2.129), (2.130), (2.127) und (2.128) können nun zu einem System von Differentialgleichungen 1. Ordnung zusammengefasst und in die Form x˙ = f (t , x ) (2.140) gebracht werden. Dann kann die Bewegung des Quaders im Schwerefeld z. B. in Matlab simuliert werden. Die dazu erforderliche Matlab-Funktion lautet:
26
2 Dynamik des starren Körpers
zK z0
yK
v0S
b y0
S
ω0K
a
r0S
c
xK
0 x0
mg
Bild 2.5: Quader im homogenen Schwerefeld
function xp = f(t,x) global theta grav0 % Zustandsgroessen r0S0 = x( 1: 3); pE = x( 4: 7); v0S0 = x( 8:10); om0KK = x(11:13);
% % % %
% Quader im Schwerefeld % Daten ueber globale Variable
Ortsvektor Euler Parameter Geschwindigkeit Winkelgeschwindigkeit
[A0K,G,L] = A0K_EP(pE); % Kinematik Matrix % kinematische und dynamische Differentialgleichungen r0S0p = v0S0; pEp = 0.5*L’*om0KK; v0S0p = grav0; om0KKp = theta \ (-cross(om0KK,theta*om0KK)) ; % Zustandsänderung xp = [ r0S0p; pEp; v0S0p; om0KKp ]; end
Die Matlab-Funktion function [A0K,G,L] = A0K_EP(pE)
% Drehmatrix aus Eulerparametern
G = [ -pE(2) pE(1) -pE(4) pE(3) ; ... -pE(3) pE(4) pE(1) -pE(2) ; ... -pE(4) -pE(3) pE(2) pE(1) ]; L = [ -pE(2) pE(1) pE(4) -pE(3) ; ... -pE(3) -pE(4) pE(1) pE(2) ; ... -pE(4) pE(3) -pE(2) pE(1) ]; A0K = G*L’; end
2.3 Bewegungsgleichungen
27
erzeugt dabei aus dem Vektor der Euler-Parameter die Kinematik-Matrizen L und G sowie die Drehmatrix A 0K , die hier allerdings nicht benötigt wird. Das folgende Matlab-Skript stellt die Daten zur Verfügung, setzt die Anfangsbedingungen, führt die numerische Integration durch und stellt die Ergebnisse grafisch dar. % globale Variable global theta grav0 % Daten Quader mass=0.1; % Masse [kg] a=0.1; b=0.05; c=0.01; % Kantenlängen [m] grav0 = [ 0; 0; -9.81 ]; % Erdbeschleunigung % Trägheitstensor Quader (Diagonalform) theta = mass/12 * diag( [ b^2+c^2; c^2+a^2; a^2+b^2 ] ); % Anfangswerte r0S0 =[ 0; 0; 0]; pE =[ 1; 0; 0; 0]; v0S0 =[ 0; 0; 7]; om0KK=[ 0;25; 0];
% % % %
Lage Massenmittelpunkt Euler-Parameter (achsenparall. Kord.-Sys) Geschwindigkeit (Wurf nach oben) Drehung um y-Achse (instabil)
% Aufbringen kleiner Störungen om0KK = om0KK + max(om0KK)/100; % Integration (Runge-Kutta 4./5. Ordnung) [t,xout] = ode45(@quader_f,[0,1.5],[r0S0;pE;v0S0;om0KK]); % Graphik (Winkelgeschwindigkeiten) plot(t,xout(:,11:13)), grid on, legend(’\omega_x’,’\omega_y’,’\omega_z’)
Den geometrischen Abmessungen entsprechend, gilt hier für die Trägheitsmomente Tx x < Ty y < Tz z . Wie allgemein bekannt, ist die Drehbewegung eines starren Körpers um die mittlere Hauptträgheitsachse, hier die y -Achse instabil. Der zeitliche Verlauf der Winkelgeschwindigkeiten macht dies deutlich, Bild 2.6. Da die Euler-Parameter keine Singularität aufweisen, eignen sie sich insbesondere zur Beschreibung räumlicher Bewegungen mit beliebig großen Drehungen. Die Zwangsbedingung (2.48), die ja die Abhängigkeit der vier EulerParameter untereinander beschreibt, wird in den kinematischen Differentialgleichungen (2.109) allerdings nur in differentieller Form berücksichtigt. Deshalb kann bei der numerischen Integration der Zustandsgleichung (2.136) ein mit der Zeit anwachsender Fehler (Drift) in der Zwangsbedingung (2.48) auftreten, Bild 2.7. Dieser Drift, der dann natürlich auch die gesamte Lösung verfälscht, macht sich erst bei längeren Zeitintervallen, hier nach etwa 2 s bemerkbar. Die in Bild 2.6 dargestellte Lösung von t = 0 bis t = 1.5 s wird somit noch nicht wesentlich von diesem Effekt betroffen. Der Drift kann nur
28
2 Dynamik des starren Körpers
40
ωy
20
ωz
0 ωx
-20 -40
0
0.5
1
Zeit [s]
1.5
Bild 2.6: Instabile Drehung um die mittlere Hauptträgheitsachse
pTE pE − 1 1 [%] 0.5 0 0
10
20
Zeit [s]
30
Bild 2.7: Drift in der Zwangsbedingung für die Euler-Parameter
verhindert werden, wenn während der numerischen Integration das Einhalten der Zwangsbedingung (2.48) zusätzlich überwacht wird. Die in ProgrammBibliotheken verfügbaren numerischen Verfahren zur Lösung gewöhnlicher Differentialgleichungen lassen dies in der Regel nicht zu. Deshalb werden in der Praxis häufig doch drei unabhängige Drehwinkel an Stelle der vier EulerParameter verwendet. In vielen technischen Anwendungen können nicht alle Drehungen beliebig groß werden. Durch eine Problem angepasste Reihenfolge der Elementardrehungen kann dann die bei dieser Beschreibung auftretende Singularität vermieden werden. Auch ein geeignetes Umschalten zwischen zwei verschiedenen Sätzen von Elementardrehungen vermeidet singuläre Winkelstellungen, vgl. (SE04).
3 Starre Körper mit elastischen Verbindungselementen 3.1 Elastische Verbindungselemente 3.1.1 Bushings Mit Bushing-Elementen wird die Nachgiebigkeit von Lagern modelliert. In der Regel können die geometrischen Abmessungen des Lagers gegenüber der räumlichen Ausdehnung der Körper vernachlässigt werden. Beschreibt man die Steifigkeit und die Dämpfung eines Lagerelements durch die Matrizen C B und D B , dann ist die Kraftwirkung durch F = −C B w − D B w˙
(3.1)
gegeben, wobei mit w der Verschiebungsvektor und mit w˙ dessen zeitliche Ableitung bezeichnet wird.
Bu
sh
zj
in
yi
zi
riP Si Körper i
g
Q
rjQ
yj Sj
xj
P
Körper j r0j
xi r0i
z0 x0 y0
0
Bild 3.1: Zwei starre Körper mit Bushing-Element
Das Bild 3.1 zeigt zwei Körper die durch ein Bushing-Element verbunden sind. Die Ortsvektoren r0i und r0j beschreiben die Lage der Massenmittelpunk-
30
3 Starre Körper mit elastischen Verbindungselementen
te S i und S j gegenüber dem Ursprung 0 des Inertialsystems. Die momentane Orientierung körperfester Koordinatensysteme gegenüber dem Koordinatensystem 0 wird durch die Drehmatrizen A 0i und A 0j festgelegt. Von den jeweiligen körperfesten Koordinatensystemen i und j aus ist die Lage der Lagermitte (Punkt P, bzw. Q) durch die Vektoren ri P,i und r jQ,j fixiert. Führen die Körper Relativbewegungen aus, dann ist der Verschiebungsvektor durch # " (3.2) w ,0 = r0i ,0 + A 0i ri P,i − r0j ,0 + A 0j r jQ,j
r0P,0 r0Q,0 und die zeitliche Ableitung liefert die Verschiebungsgeschwindigkeit # " w˙ ,0 = r˙0i ,0 + ω0i ,0 × A 0i ri P,i − r˙0j ,0 + ω0j ,0 × A 0j r jQ,j
v 0P,0 v 0Q,0
(3.3)
wobei ω0j ,0 und ω0i ,0 die Winkelgeschwindigkeiten der Körper i und j gegenüber dem Inertialsystem 0 angeben und berücksichtigt wurde, dass die Vektoren ri P,i und r jQ,j konstant sind. Mit (3.2) und (3.3) erhält man aus (3.1) die auf den Körper i wirkende Kraft (3.4) Fi ,0 = −C B,0 r0P,0 −r0Q,0 − D B,0 v 0P,0 −v 0Q,0 Dabei ist zu beachten, dass die Matrizen C B und D B hier natürlich auch im Koordinatensystem 0 angegeben werden müssen. Üblicherweise definiert man die Steifigkeits- und die Dämpfungsmatrix in einem der beiden körperfesten Koordinatensysteme, z. B. im Koordinatensystem i . Die Tensortransformationen C B,0 = A 0i C B,i A T0i
und
D B,0 = A 0i D B,i A T0i
(3.5)
liefern dann die benötigten Matrizen. Gemäß dem Prinzip „actio=reactio“ ist die Kraft auf den Körper j dann durch Fj ,0 = −Fi ,0 gegeben. Beschreibt man die Verdrehungen eines Bushings um die Achsen eines körperfesten Koordinatensystems i oder j durch die Winkel α, β und γ und fasst diese im Vektor ⎡ ⎤ α ⎢ ⎥ Φ=⎣ β ⎦ (3.6) γ zusammen, dann kann analog zu (3.1) auch die Momentenwirkung eines Bushings berücksichtigt werden ˙ M = −C¯ B Φ − D¯ B Φ
(3.7)
Die Matrizen C¯ B und D¯ B beschreiben dabei in erster Näherung die Drehsteifigkeit und die Drehdämpfung des Bushings.
3.1 Elastische Verbindungselemente
31
3.1.2 Kraftelemente Elastische Verbindungselemente, wie Seile oder Stäbe, können durch masselose Feder- und Dämpfer-Elemente nachgebildet werden. In vielen technischen Systemen, wie z. B. in Fahrzeugen, werden Federn und Dämpfer als reale Bauelemente verwendet. Ein allgemeines Kraftelement, das dann auch elektrische und hydraulische Stellglieder einschließt, ist ein masseloses Bauelement, das beidseitig gelenkig an zwei Körpern befestigt ist, Bild 3.2.
yi
zi Si Körper i
riP
P
rjQ
Kraftelement
xi
yj
zj
Q
Sj xj r0j
r0i
Körper j
z0 x0 y0
0
Bild 3.2: Zwei starre Körper mit Kraftelement
Ist das Kraftelement in P am Körper i und in Q am Körper j gelenkig gelagert, dann kann die Kraftrichtung durch den Einheitsvektor rPQ e PQ = r PQ
mit rPQ,0 = r0Q − r0P
(3.8)
angegeben werden. Im Inertialsystem dargestellt erhält man r0P,0 = r0i ,0 + A 0i ri P,i ri P,0
und r0Q,0 = r0j ,0 + A 0j r jQ,j r jQ,0
(3.9)
wobei die Ortsvektoren r0i ,0 , r0j ,0 und die Drehmatrizen A 0i , A 0j die Bewegungszustände der starren Körper i , j charakterisieren und ri P,i , r jQ,j die Lage der Anlenkpunkte in den jeweiligen körperfesten Koordinatensystemen angeben. Die Kraftwirkung hängt bei Federn von der Längenänderung des Elements ab (3.10) FF = F ( ) mit = − 0 = rPQ − 0
32
3 Starre Körper mit elastischen Verbindungselementen
wobei 0 die Länge der unbelasteten Feder angibt. Bei Dämpfern kann in erster Näherung die Kraft in Abhängigkeit von der Verschiebungsgeschwindigkeit v beschrieben werden FD = F (v )
mit
T r˙PQ,0 v = e PQ,0
(3.11)
wobei das Skalarprodukt zwischen dem Einheitsvektor e PQ und der zeitlichen Ableitung des Vektors rPQ sicherstellt, dass v nur Geschwindigkeitsanteile in Richtung des Kraftelements enthält. Unter Berücksichtigung von (3.8) und (3.9) erhält man r˙PQ,0 = r˙0j ,0 + ω0j ,0 × r jQ,0 − r˙0i ,0 + ω0i ,0 × ri P,0 (3.12) wobei ω0i ,0 , ω0j ,0 die Winkelgeschwindigkeiten der Körper i , j gegenüber dem Inertialsystem 0 angeben und die Vektoren ri P,0 , r jQ,0 in (3.9) definiert wurden. Bei aktiven Stellgliedern wird die Kraftwirkung durch ein Steuersignal u beeinflusst (3.13) FS = F (u ) Die Kraftwirkung eines allgemeinen Kraftelements auf die Körper i und j ist dann durch Fi = F ( , v, u ) e PQ
und
Fj = F ( , v, u ) eQP
(3.14)
gegeben. Wegen eQP = −e PQ ist natürlich auch hier mit Fj = −Fi das Prinzip „actio=reactio“ erfüllt. Zudem haben die Kräfte Fi und Fj , die in P und Q in die Körper i und j eingeleitet werden, die Momente M i = ri P × Fi
und
M j = riQ × Fj
(3.15)
zur Folge.
3.1.3 Kontaktelemente 3.1.3.1 Einfaches Kontaktelement Beim Kontakt zweier starrer Körper behilft man sich meist mit einseitig wirkenden Feder-Dämpfer-Elementen, Bild 3.3. Nimmt man die virtuelle Durchdringung s als Maß für die Auslenkung des Kraftelements, dann erhält man in erster Näherung die Normalkraft aus ⎧ FN =
⎨ 0 ⎩ −c s − d s˙
s ≥0 s <0
(3.16)
3.1 Elastische Verbindungselemente
33
Da die Normalkraft nur positive Werte annehmen kann, FN > 0 muss der dissipative Anteil mit d s˙ < −c s (3.17) entsprechend begrenzt werden. Teilweise werden auch nichtlineare Feder- und Dämpferkennlinien zur Beschreibung der Normalkraft verwendet. FR
s eN
S1
s P
d
c
FN
vN vG
vG
P
S2
+μFN
-μFN
FR
Bild 3.3: Einfaches Kontaktelement
Die Relativgeschwindigkeit beider Körper im Punkt P ist durch v P = v 0S 1 + ω0K 1 × rS 1 P − v 0S 2 + ω0K 2 × rS 2 P
(3.18)
gegeben, wobei v 0S 1 , ω0K 1 , v 0S 2 , ω0K 2 den Geschwindigkeitszustand von Körper 1 und 2 beschreiben und die Vektoren rS 1 P , rS 2 P die Lage des fiktiven Kontaktpunktes relativ zu den Massenmittelpunkten angeben. Mit e N als Einheitsvektor, der normal zur Kontaktebene steht, erhält man dann s˙ = e NT v P
(3.19)
vG = v P − s˙ e N
(3.20)
und die Gleitgeschwindigkeit
mit der sich die beiden Körper in der Kontaktebene relativ zueinander bewegen. Mit dem Coloumbschen Reibgesetz kann dann die Reibkraft durch FR = −μ FN
vG |vG |
(3.21)
angegeben werden, wobei μ den Reibwert angibt, Bild 3.3. Um numerische Probleme für |vG | → 0 zu vermeiden, wird die nicht stetige Funktion (3.21) häufig durch eine stetige ersetzt FR = −μ FN
vG vN
mit
|FG | ≤ μ FN
(3.22)
34
3 Starre Körper mit elastischen Verbindungselementen
Eine Möglichkeit, den Kontakt elastischer und beliebig geformter Körper zu erfassen und die Kontaktkräfte zu berechnen, ist in der Arbeit von Hippmann (Hip03) beschrieben. In seiner Dissertation behandelt R. Keppler (Kep07) aufwändige elastische Kontakt-Elemente mit Reibung, die zur Simulation des Greifvorgangs eingesetzt werden können. 3.1.3.2 Spezielle Kontaktelemente Insbesondere bei der Simulation von Fahrzeugen werden mit Rädern, Reifen und Ketten spezielle Kontakt-Elemente benötigt. Beim Rad-Schiene-Kontakt, Bild 3.4, berechnet man mit der hertzschen Theorie die Größe der Aufstandsfläche und die Druckverteilung. Die Druckverteilung liefert dann die resultierende Aufstandskraft (Normalkraft) FN und über einen von der Gleitgeschwindigkeit abhängigen Reibwert können dann die resultierenden Tangentialkräfte Ft 1 , Ft 2 sowie das Bohrmoment M B berechnet werden. SIMPACK stellt in dem Zusatz Modul SIMPACK Rail ein detailliertes Rad-Schiene-Kontakt Modell zur Verfügung, (sim10a). Rad
P
Druckverteilung
MB KontaktEllipse Schiene
Haften
Ft2 Ft1
et1
Schubspannungsverlauf
Gleiten
FN
Bild 3.4: Rad-Schiene Kontakt
RecurDyn verfügt über spezielle Modelle zur Simulation von Kettenfahrzeugen, Bild 3.5. Die meisten MKS-Anbieter ermöglichen dem Benutzer kommerzielle Reifenmodelle in die Simulation einzubinden. Mit dem Produkt FTire (fti10) steht ein komplexes und hochdynamisches Reifenmodell zur Verfügung. Die Kontakt- und Reibkräfte, die zwischen Reifen and Fahrbahn wirken, werden dabei über ein nichtlineares Strukturmodell und zahlreiche Kontakt-Elemente berechnet, Bild 3.6. Um Rechenzeit zu sparen, greift man in der Fahrdynamik sehr
3.1 Elastische Verbindungselemente
35
Bild 3.5: RecurDyn Teilmodell eines Kettenfahrzeuges aus (fun10)
Bild 3.6: Komplexes Reifenmodell M +Δy −Δy unebene Fahrbahn
en
QuerQ3 Neigung
unverformte Reifenkontur
P
unverformte Reifenkontur
F(s) Fx
unebene Fahrbahn
sS
en Q2
FS
FM
Fy
Q4
M +Δy −Δy
dF 0
P
Q1
LängsNeigung
sy
sM
s
ϕ sx
Bild 3.7: Kontaktgeometrie und Reifenkennfeld beim TMeasy Reifenmodell
oft auf deutlich einfachere, halb-empirische Reifenmodelle zurück, (HRW07). Dort wird die Aufstandsfläche durch eine Ebene approximiert und die resultierenden Kräfte und Momente werden über Kennfelder berechnet, Bild 3.7.
36
3 Starre Körper mit elastischen Verbindungselementen
3.2 Beispiele 3.2.1 Körper gegen Boden Beim Wurf eines Würfels kommt es zu Kontakten mit dem ruhenden Boden. Vernachlässigt man die Abrundungen an den Ecken, dann kann der Kontakt des Würfels mit dem ebenen Boden auf die Kontakte der 8 Eckpunkte reduziert werden. Die Matlab-Funktion aus Abschnitt 2.3.4 muss nun durch die KontaktRechnung erweitert werden. Sie lautet dann function xp = f(t,x)
% Dynamik eines Wuerfels
% Daten über globale Variable global mass theta grav0 global p0_Quader cK dK global mue v_N % Zustandsgroessen r0S0 = x( 1: 3); pE = x( 4: 7); v0S0 = x( 8:10); om0KK = x(11:13);
% % % %
Ortsvektor Euler Parameter Geschwindigkeit Winkelgeschwindigkeit
% Dreh-Matrix und kinematische Matrizen [A0K,G,L] = A0K_EP(pE); % Kontakt: Koerper / horizontaler Boden z=0; eN0 = [ 0; 0; 1] % Vorbelegung Kontakt-Kraefte und -Momente F0 = [ 0; 0; 0 ]; M0 = [ 0; 0; 0 ]; % 8 Eckpunkte for i=1:8 % Kontaktpunkt rSPK = p0_Quader(:,i); rSP0 = A0K*rSPK; r0P0 = r0S0 + rSP0; s = r0P0(3); if s < 0 % Kontaktgeschwindigkeit v0P0 = v0S0 + A0K*cross(om0KK,rSPK); sp = v0P0(3); % Normalkraft (FN>=0) FN = max([0,-(cK*s+dK*sp)]) ; % Reibkraft (regularisierte Coloumb-Reibung) FRmx = mue*FN; FRx = - FRmx * v0P0(1)/v_N; FRy = - FRmx * v0P0(2)/v_N; FR = sqrt(FRx^2+FRy^2); if FR > FRmx FRx = FRx*FRmx/FR; FRy = FRy*FRmx/FR; end % resultierende Kontaktraft FK0 = [ FRx; FRy; FN ]; % resultierende Kraefte und Momente
3.2 Beispiele
F0 end end
37
= F0 + FK0;
M0
= M0 + cross(rSP0,FK0);
% kinematische Differentialgleichungen r0S0p = v0S0; pEp = 0.5*L’*om0KK; % dynamische Differentialgleichungen v0S0p = F0/mass + grav0; om0KKp = theta \ ( A0K’*M0 - cross(om0KK,theta*om0KK) ) ; % Zustandsänderung xp = [ r0S0p; pEp; v0S0p; om0KKp ]; end
Nun wird auch die Drehmatrix A 0K benötigt, die mit der kinematischen Matrix L über die im Abschnitt 2.3.4 angegebene Matlab-Funktion A0K_EP aus den Euler-Parametern berechnet wird. Im folgenden Matlab-Skript wird der Wurf eines Würfels für die Reibwerte μ = 0.3 und μ = 0.2 zwischen Würfel und Boden simuliert. % globale Variable global mass theta grav0 global p0_Quader cK dK global mue v_N % Daten a=0.01; b=0.01; c=0.01; % Abmessungen [m] (Quader --> Wuerfel) rho = 300; % Dichte Holz [kg/m^3] mass=rho*a*b*c; % Masse [kg] % Traegheitstensor (Diagonalform) [kg m^2] theta = mass/12 * diag( [ b^2+c^2; c^2+a^2; a^2+b^2 ] ); % Vektor der Erdbeschleunigung [m/s^2] g = 9.81; grav0 = [ 0; 0; -g ]; % definiere Quader-Eckpunkte für Kontakt-Rechnung p0_Quader = 0.5*[ a -a -a a a -a -a a ; ... b b -b -b b b -b -b ; ... -c -c -c -c c c c c ]; % Kontakt-Steifigkeit (aus Eindringtiefe bei Eigengewicht) sG = min([a,b,c])/100; cK = mass*g / sG ; % Dämpfung aus Lehrschem Dämpfungsmass DL = 0.02; dK = 2*sqrt(cK*mass)*DL; % Reibwert und Grenzgeschwindigkeit v_N mue1 = 0.3; mue2 = 0.2; v_N = 0.001; % Anfangswerte r0S0 = [ 0; 0; v0S0 = [ 0.5; 0;
5*a ]; 0 ];
pE = [ 1; 0; 0; 0]; o0KK = [30; 80; 50];
% Simulationen (Vergleich verschiedener Reibwerte) mue = mue1; [t,x1] = ode23t(@wuerfel_sub,[0,1.5],[r0S0;pE;v0S0;o0KK]); mue = mue2; [t,x2] = ode23t(@wuerfel_sub,[0,1.5],[r0S0;pE;v0S0;o0KK]); % Grafik (Schwerpunktsbahn)
38
3 Starre Körper mit elastischen Verbindungselementen
plot3(x1(:,1),x1(:,2),x1(:,3),’k’,’LineWidth’,1.5); plot3(x2(:,1),x2(:,2),x2(:,3),’--r’,’LineWidth’,1.5); axis(’equal’), title(’3D-Bahnkurve’) legend([’\mu=’,num2str(mue1)],[’\mu=’,num2str(mue2)])
hold on grid on
Vernünftige Werte für die Steifigkeit und die Dämpfung eines Kontaktelements sind oft schwer zu finden. Hier wurde die Steifigkeit mit c K = m g /s G aus einer vorgegebenen Deformation s G bei der Belastung durch das Eigengewicht m g des Körpers berechnet. Passt man diese Deformation, wie hier geschehen, an die geometrischen Abmessungen des Körpers an, dann erhält man in der Re
gel realistische Werte für die Kontaktsteifigkeit. Mit d K = 2 c K m D L wurde die Dämpfung durch Vorgabe des Parameter D L , der auch als Lehrsche Dämpfung bezeichnet wird, an die Kontaktsteifigkeit c K und die Masse m des Körpers angepasst. Um die Coloumbsche Reibung möglichst gut nachzubilden, wurde mit v N = 0.001 m/s ein sehr kleiner Wert für die Grenzgeschwindigkeit gewählt, mit der gemäß (3.22) die unstetige Reibkraft durch eine stetige Funktion approximiert wird.
t=0 μ=0.2
0.05
μ=0.3
0
0.2 0.15 0.1
0
0.05 0
-0.05
-0.05 -0.1
-0.1
-0.15 -0.2
Bild 3.8: Schwerpunktsbahn eines Würfels bei unterschiedlichen Reibwerten
Die Bahnkurven des Würfelschwerpunktes sind im Bild 3.8 zusammengestellt. Das Systemverhalten ist chaotisch. Kleine Änderungen können zu stark unterschiedlichen Ergebnissen führen. Sogar die Verwendung verschiedener Integrationsverfahren erzeugt unterschiedliche Ergebnisse, Bild 3.9. Dabei basiert der Matlab-Solver ode23s auf einem impliziten Runge-Kutta-Verfahren und ode23t verwendet die implizite Trapez-Regel. Obwohl beide Verfahren den relativen Fehler auf εR ≤ 10−3 und den absoluten Fehler auf εA ≤ 10−6 kon-
3.2 Beispiele
39
t=0
0.05
0
0.2
ode23s
0.15
ode23t
0
0.1 0.05 0
-0.05
-0.05 -0.1
-0.1
-0.15 -0.2
Bild 3.9: Wurf eines Würfels simuliert mit verschiedenen Matlab-Solvern bei μ = 0.3
trollieren, weichen die Ergebnisse nach einigen Bodenkontakten doch deutlich voneinander ab.
3.2.2 Räumliches Doppelpendel Zwei homogene Quader mit den Massen m 1 und m 2 sowie den Kantenlängen a 1 , b 1 , c 1 und a 2 , b 2 , c 2 sind an einem Eckpunkt über ein Bushing (B 2 ) verbunden, Bild 3.10. Der erste Körper ist zudem am diagonal gegenüberliegenden Eckpunkt mit einem weiteren Bushing (B 1 ) an den Ursprung 0 des Inertialsystems gefesselt. Analog zu (2.132) und (2.133) mit (2.134) werden die Ortsvektoren durch jeweils drei Lagekoordinaten und die Drehmatrizen durch jeweils vier Euler-Parameter aufgebaut ⎤ x Sk ⎥ ⎢ ⎥ r0k ,0 = ⎢ ⎣ ySk ⎦ , z Sk ⎡
A 0k = A 0k p E k
k = 1, 2
(3.23)
Für jeden Teilkörper können dann die kinematischen Differentialgleichungen r˙0k ,0
=
v 0k ,0
p˙ E k
=
1 2
L Tk ω0k ,k
k = 1, 2
(3.24)
40
3 Starre Körper mit elastischen Verbindungselementen
z0 0 x0
B1 y0 a1
b1
m1 c1
x1 z1
y1
B2
c2 m2 y2 x2
z2
a2 b2
Bild 3.10: Räumliches Doppelpendel mit Bushings in B 1 und B 2
und die Bewegungsgleichungen m k v˙0k ,0
=
Fk ,0
˙ 0k ,k TSk ,k ω
=
M Sk ,k − ω0k ,k ×TSk ,k ω0k ,k
k = 1, 2
(3.25)
angeschrieben werden. Da wieder Euler-Parameter verwendet werden, sind hier 2×13 Differentialgleichungen erforderlich, um die Dynamik des aus zwei Körpern bestehenden Systems zu beschreiben. Entsprechend der Anordung der Bushings sind hier die auf die Körper eingeprägten Kräfte und Momente durch F1,0 = FG 1,0 + FB 1,0 + FB 2,0 ,
M S1,1 = A T01 r1B 1,0 ×FB 1,0 + r1B 2,0 ×FB 2,0
(3.26)
M S2,2 = A T02 −r2B 2,0 ×FB 2,0
(3.27)
und F2,0 = FG 2,0 − FB 2,0 ,
gegeben. Wobei FG 1 , FG 2 die Gewichtskräfte und FB 1 , FB 2 die Kräfte in den Bushings bezeichnen. Die Vektoren r1B 1,0 , r1B 2,0 beschreiben die Lage der Bushings gegenüber Körper 1 und r2B 2,0 legt die Lage von Bushing B 2 gegenüber dem Körper 2 fest. Die Transformation der Momente in die körperfesten Koordinatensystemen erfolgt in (3.26) und (3.27) über die Drehmatrizen A 01 und A 02 .
3.2 Beispiele
41
Die Differentialgleichungen, die die Dynamik des räumlichen Doppelpendels beschreiben, können in einer Zustandsgleichung der Form x˙ = f (t , x ) zusammengefasst werden. Die entsprechende Matlab-Funktion lautet: function xp = f(t,x) global global global
% Räumliches Doppelpendel mit Bushings
mass1 theta1 mass2 theta2 gvek r0B10 r1B11 cbush1 dbush1 r1B21 r2B22 cbush2 dbush2
% ZustandsgröSSen r010 = x( 1: 3); pE1 = x( 4: 7); v010 = x( 8: 10); om011 = x( 11: 13); r020 = x(13+ 1:13+ 3); pE2 = x(13+ 4:13+ 7); v020 = x(13+ 8:13+10); om022 = x(13+11:13+13);
% % % % % % % %
Ortsvektor Körper 1 Eulerparameter Körper 1 Geschwindigkeit Körper 1 Winkelgeschwindigkeit Körper 1 Ortsvektor Körper 2 Eulerparameter Körper 2 Geschwindigkeit Körper 2 Winkelgeschwindigkeit Körper 2
% Drehmatrizen [A01,G1,L1] = A0K_EP(pE1); [A02,G2,L2] = A0K_EP(pE2); % Aenderungen der Euler-Parameter pE1p = 0.5*L1’*om011; pE2p = 0.5*L2’*om022; % Winkelgeschwindigkeiten im Inertialsystem om010 = A01*om011; om020 = A02*om022; % Vorbelegung Kraefte und Momente F10 = mass1*gvek; M10 = [ 0; 0; 0 ]; F20 = mass2*gvek; M20 = [ 0; 0; 0 ]; % Bushing 1: % Lage rSP0 = r0P0 = v0P0 =
Koerper 1 / Umgebung
und Geschwindigkeit (Koerper 1) A01*r1B11; r010 + rSP0 ; v010 + cross(om010,rSP0);
% Verschiebungen und Verschiebungsgeschwindigkeit wB1 = r0P0 - r0B10 ; wB1p = v0P0; % Kraft ( Bushing Orientierung inertial ) FB10 = - ( cbush1*wB1 + dbush1*wB1p ); % update Kraft- und Momentenvektor (Koerper 1) F10 = F10 + FB10 ; M10 = M10 + cross(rSP0,FB10); % Bushing 2: % Lage rSP0 = r0P0 = v0P0 =
Koerper 1 / Koerper 2
und Geschwindigkeit (Koerper 1) A01*r1B21; r010 + rSP0 ; v010 + cross(om010,rSP0);
42
3 Starre Körper mit elastischen Verbindungselementen
% Lage rSQ0 = r0Q0 = v0Q0 =
und Geschwindigkeit (Koerper 2) A02*r2B22; r020 + rSQ0 ; v020 + cross(om020,rSQ0);
% Verschiebungen und Verschiebungsgeschwindigkeit im System 1 wB2 = A01’* ( r0P0 - r0Q0 ) ; wB2p = A01’* ( v0P0 - v0Q0 ) ; % Kraft im System 0 FB20 = - A01 * ( cbush2*wB2 + dbush2*wB2p ); % update Kraft- und Momentenvektor (Koerper 1) F10 = F10 + FB20 ; M10 = M10 + cross(rSP0,FB20); % update Kraft- und Momentenvektor (Koerper 2) F20 = F20 - FB20 ; M20 = M20 - cross(rSQ0,FB20); % Momente in koerperfesten Systemen mit Kreiselmomenten M1K = A01’*M10 - cross(om011,theta1*om011); M2K = A02’*M20 - cross(om022,theta2*om022); % Zustandsaenderung xp = [ v010; pE1p; mass1\F10; theta1\M1K ; ... v020; pE2p; mass2\F20; theta2\M2K ];
Zur Berechnung der Drehmatrizen und der kinematischen Matrizen wird wieder die Matlab-Funktion A0K_EP aus Abschnitt 2.3.4 herangezogen. Das folgende Matlab-Skript stellt die Daten zur Verfügung, setzt die Anfangsbedingungen, führt die numerische Integration durch und stellt die Bewegungen der Massenmittelpunkte S 1 und S 2 in der x 0 -z 0 - und y0 -z 0 -Ebene dar, Bild 3.11. % globale Variable global mass1 theta1 mass2 theta2 gvek global r0B10 r1B11 cbush1 dbush1 global r1B21 r2B22 cbush2 dbush2 % Koerper 1 und 2 (homogene Quader) % Abmessungen [m] a1 = 0.02 ; b1 = 0.03 ; c1 = 0.08 ; a2 = 0.02 ; b2 = 0.03; c2 = 0.12 ; % Massen [kg] rho = 700; % Dichte Holz [kg/m^3] mass1 = rho*a1*b1*c1; mass2 = rho*a2*b2*c2; % Traegheitstensor 1 (Diagonalform) [kgm^2] theta1 = 1/12*mass1*diag( [ b1^2+c1^2; c1^2+a1^2; % Traegheitstensor 2 (Diagonalform) [kgm^2] theta2 = 1/12*mass2*diag( [ b2^2+c2^2; c2^2+a2^2; % Erbeschleunigung [m/s^2] gvek = [ 0; 0; -9.81 ]; % Bushing 1 (Koerper 1 / Umgebung )
a1^2+b1^2 ]); a2^2+b2^2 ]);
3.2 Beispiele
% Lage r0B10 cbush1 dbush1
43
[m], Haupt-Steifigkeiten [N/m] und Haupt-Daempfungen [N/(m/s)] = [ 0 ; 0 ; 0 ]; = 1e+2*diag([ 4; 2; 6 ]); = 1e-1*diag([ 4; 2; 6 ]);
% Bushing 2 (Koerper 1 / Koerper 2) % Lage [m], Haupt-Steifigkeiten [N/m] und Haupt-Daempfungen [N/(m/s)] r0B20 = [ a1 ; b1; c1 ]; cbush2 = 1e+2*diag([ 2; 1; 3 ]); dbush2 = 1e-1*diag([ 2; 1; 3 ]); % Anfangsbedingungen % Lage Massenmittelpunkte r010 = [ a1/2; b1/2; c1/2 ]; r020 = [ a1+a2/2; b1+b2/2; c1-c2/2 ] ; % Orientierung pE1 = [ 1; 0; 0; 0]; pE2 = [ 1; 0; 0; 0]; % Geschwindigkeiten v010 = [ 0; 0; 0 ]; om011 = [ 0; 0; 0 ]; v020 = [ 0; 0; 0 ]; om022 = [ 0; 0; 0 ]; % Lage von B1 relativ zu A01 = A0K_EP(pE1); r1B11 = A01’ * ( r0B10 % Lage von B2 relativ zu A02 = A0K_EP(pE2); r1B21 = A01’ * ( r0B20 -
Koerper 1 - r010 ); Koerper 1 und 2 r010 );
r2B22 = A02’ * ( r0B20 - r020 );
% Zeitsimulation x0 = [ r010; pE1; v010; om011; r020; pE2; v020; om022 ]; [t,xout] = ode45(@MKS_elastisch_2_f,[0,1], x0 ); % Grafik: Bahn der Massenmittelpunkte in der xz- und yz-Ebene axes(’Position’,[0.15,0.35,0.275,0.30]) plot(xout(:, 1),xout(:, 3),’r’,’Linewidth’,2), hold on plot(xout(:,13+1),xout(:,13+3),’--b’,’Linewidth’,2), grid on axis equal, legend(’S_1’,’S_2’), title(’xz-Ebene’) axes(’Position’,[0.60,0.35,0.275,0.30]) plot(xout(:, 2),xout(:, 3),’r’,’Linewidth’,2), hold on plot(xout(:,13+2),xout(:,13+3),’--b’,’Linewidth’,2), grid on axis equal, legend(’S_1’,’S_2’), title(’yz-Ebene’)
Auf Grund der pendelnden Bewegungen der Körper treten die größten Auslenkungen in den Bushings B 1 und B 2 in vertikaler Richtung auf. Die entsprechenden zeitlichen Verläufe sind in Bild 3.12 dargestellt. Die im Matlab-Skript angegebenen Zahlenwerte definieren hier zwei Quader mit geometrischen Abmessungen, die im Bereich von a 1 = 0.02 m = 2 cm bis c 2 = 0.12 m = 12 cm liegen. Da die maximalen vertikalen Auslenkungen in den Bushings mit −1.25 cm und −1.71 cm fast so groß wie die Abmessungen der Körper sind, können die in den Bushings auftretenden Verformungen hier sicherlich nicht vernachlässigt werden.
44
3 Starre Körper mit elastischen Verbindungselementen
z0
t=0
x0-z0-Ebene 0 cm -5
S1
y0-z0-Ebene
B2 S1
B1
S2
-10
S2 y 0
S1
0 cm -5
t=0 S2
-10
x0 -15 -10
-5
0
5 cm 10
-15 Startkonfiguration (t = 0 s) -10
-5
0
5 cm 10
Bild 3.11: Bahn der Massenmittelpunkte
2 cm 1
B1 B2
0 -1 -2
0
−1.71 0.2
−1.25 0.4
0.6
0.8
s
1.0
Bild 3.12: Vertikale Bushing-Auslenkungen
Die Beschreibung von Mehrkörpersystemen, die aus starren Körpern und elastischen Verbindungselementen aufgebaut sind, kann sehr leicht automatisiert werden. Der Aufwand steigt dabei nur linear mit der Anzahl der Körper. Mit sehr steifen Verbindungselementen lassen sich auch starre Lagerungen nachbilden. Allerdings treten dann Probleme bei der numerischen Lösung auf.
3.3 Integrationsverfahren 3.3.1 Allgemeines Zur Lösung von gewöhnlichen Differentialgleichungen1 stehen eine Vielzahl numerischer Lösungsalgorithmen zur Verfügung. Bei der Auswahl eines geeigneten Verfahrens spielen die Genauigkeitsanforderung, der Rechenaufwand zur 1
Ordinary Differential Equations
3.3 Integrationsverfahren
45
Erstellung der Differentialgleichungen und die „Steifheit“ des Systems eine Rolle. Meist können gewöhnliche Differentialgleichungen sehr effizient mit expliziten Einschritt- oder Mehrschritt-Verfahren gelöst werden. Bei steifen Differentialgleichung2 ist es ratsam auf implizite Verfahren auszuweichen.
3.3.2 Explizite Verfahren Das einfachste explizite Einschritt-Verfahren ist das Euler-Verfahren x (t + h) = x (t ) + h f (t , x (t )) ,
t0 ≤ t ≤ tE
(3.28)
wobei der Anfangszustand x (t = t 0 ) = x 0 bekannt und die Funktion f im Intervall von t 0 bis t E definiert sein muss. Zwar ist pro Integrationsschritt t → t + h nur eine Funktionsauswertung erforderlich, aber die erreichte Genauigkeit ist auch nur proportional zur Rechenschrittweite h. Das Euler-Verfahren ist deshalb ein Verfahren 1. Ordnung. Beim Heun-Verfahren werden pro Integrationsschritt t → t + h zwei Funktionsauswertungen benötigt
x (t +h) = x (t ) +
f 1 = f (t , x (t )) , h f 1 + f 2 mit 2 f 2 = f t +h, x (t )+h f (t , x (t )) ,
t0 ≤ t ≤ tE
(3.29) Es zählt zu den Verfahren 2. Ordnung, da die erreichte Genauigkeit proportional zu h 2 ist. Mit ode23 und ode45 bietet Matlab zwei Runge-Kutta-Verfahren höherer Ordnung an. Dabei werden über „Einbettungsformeln“ gleichzeitig und fast ohne Mehraufwand Lösungen unterschiedlicher Ordnung berechnet. Bei ode23 und ode45 sind das Näherungsformeln 2./3. Ordnung bzw. 4./5. Ordnung. Aus dem Vergleich dieser verschiedenen Lösungen kann auf den lokalen Fehler geschlossen werden. Damit kann die Rechenschrittweite h automatisch an die vorgegebene Genauigkeit angepasst werden. Mit der Ordnung des Verfahrens steigen aber auch die Anforderungen an die Differenzierbarkeit der Funktion f . Bei Mehrschritt-Verfahren bezieht man im Gegensatz zu EinschrittVerfahren, bei denen der neue Funktionswert x (t +h) direkt aus dem vorhergehenden x (t ) ermittelt wird, auch zurückliegende Funktionswerte in die Be2
Ein System gewöhnlicher Differentialgleichungen ist steif, wenn explizite Verfahren aus Stabilitätsgründen extrem kleine Schrittweiten verwenden müssen, implizite Verfahren dagegen mit deutlich größeren Schrittweiten stabile Lösungen erzeugen.
46
3 Starre Körper mit elastischen Verbindungselementen
rechnung mit ein. So benötigt das Adams-Bashforth-Verfahren 2. Ordnung " # 3 1 x (t +h) = x (t )+h f (t , x (t )) − f (t − h, x (t − h)) , t 0 +h ≤ t ≤ t E (3.30) 2 2 pro Integrationsschritt t → t +h nur eine Funktionsauswertung, da ja der Funktionswert f (t − h, x (t − h)) bereits im vorausgegangenen Integrationsschritt t −h → t berechnet wurde. Im ersten Schritt t 0 → t 0 +h existiert allerdings noch kein zurückliegender Wert. Deshalb muss das Mehrschritt-Verfahren mit einem Einschritt-Verfahren gestartet werden. Mehrschrittverfahren höherer Ordnung verwenden mehrere zurückliegende Werte und benötigen somit eine entsprechend längere Anlaufphase. Mehrschrittverfahren sind allerdings nur dann von Vorteil, wenn die Funktion f zumindest über längere Zeitintervalle einen sehr glatten Verlauf aufweist. Mit ode113 stellt Matlab ein Adams-Bashforth-Moulton Mehrschrittverfahren mit Schrittweiten- und Ordnungssteuerung zur Verfügung. Die dabei angewendete Prediktor-Korrektor-Methode erfordert zwar pro Integrationsschritt t → t + h zwei Funktionsauswertungen, ermöglicht dadurch aber hohe Genauigkeiten. Zur Lösung steifer Differentialgleichungssysteme sind explizite Verfahren jedoch grundsätzlich nicht geeignet.
3.3.3 Implizite Verfahren Das Euler-Verfahren (3.28) kann auch in impliziter Form angewendet werden x (t + h) = x (t ) + h f (t +h, x (t +h)) ,
t0 ≤ t ≤ tE
(3.31)
wobei wieder der Anfangszustand x (t = t 0 ) = x 0 bekannt und die Funktion f im Intervall von t 0 bis t E definiert sein muss. Da jetzt die in der Regel nichtlineare Funktion für den neuen noch unbekannten Zustand ausgewertet werden muss, kann (3.31) nicht direkt gelöst werden. Die Bezeichnung implizites Euler-Verfahren bringt dies zum Ausdruck. Entwickelt man die Funktion f in eine Taylor-Reihe und beschränkt sich auf die beiden ersten Glieder ∂ f (x (t +h) − x (t )) + · · · (3.32) f (t +h, x (t +h)) ≈ f (t +h, x (t )) + ∂ x t +h, x (t ) dann kann (3.31) durch ∂f ∂f x (t +h) = x (t )+ h f (t +h, x (t )) , E −h E −h ∂x ∂x
t 0 ≤ t ≤ t E (3.33)
3.3 Integrationsverfahren
47
oder x (t +h) = x (t ) + h
∂f E −h ∂x
−1 f (t +h, x (t )) ,
t0 ≤ t ≤ tE
(3.34)
ersetzt werden. Neben einer Funktionsauswertung f (t +h, x (t )) müssen jetzt in jedem Integrationsschritt noch die Elemente der Jacobi-Matrix ⎡ ⎢ ⎢ ⎢ ∂f ⎢ =⎢ ⎢ ∂x ⎢ ⎣
∂ f1 ∂ x1 ∂ f2 ∂ x1 .. .
∂ f1 ∂ x2 ∂ f2 ∂ x2 .. .
⎤ ··· ⎥ ⎥ ⎥ ⎥ ··· ⎥ ⎥ ⎥ .. ⎦ .
(3.35)
berechnet und ein lineares Gleichungssystem gelöst werden. Der Verfahrensaufwand ist hier sehr hoch. Da die dabei erreichte Genauigkeit aber nur proportional zu h ist, zählt das implizite Euler-Verfahren zu den Verfahren 1. Ordnung. Mit ode23s, ode23t und ode23tb stellt Matlab verschiedene implizite Einschrittverfahren zweiter Ordnung3 mit automatischer Schrittweitensteuerung zur Verfügung. Diese Verfahren eignen sich insbesondere, wenn das Differentialgleichungssystem steif und nur geringe Genauigkeitsanforderungen gestellt werden. Mit der Vorgehensweise nach Adams-Moulton können analog zu den expliziten Mehrschrittverfahren (3.30) auch implizite Mehrschritt-Verfahren konstruiert werden. Im Intervall t 0 + h ≤ t ≤ t E lautet das entsprechende Verfahren 3. Ordnung x (t +h) = x (t )
5 8 1 + h 12 f (t +h, x (t +h)) + 12 f (t , x (t )) − 12 f (t −h, x (t −h)) ,
(3.36)
BDF-Verfahren (Backward Difference Formula) verwenden neben dem zukünftigen Funktionswert auch zeitlich zurückliegende Zustandswerte. Das implizite Mehrschritt-Verfahren 3. Ordnung nach Gear lautet zum Beispiel x (t +h) =
18 9 x (t ) − 11 x (t 11
2 −h) + 11 x (t −2h) + h
6 11
f (t +h, x (t +h))
(3.37)
Da mit x (t − 2h) sogar ein Zustandswert aus dem vorletzten Schritt benötigt wird, kann (3.37) nur im Intervall t 0 +2h ≤ t ≤ t E angewendet werden. 3
Rosenbrock Formel, Trapez-Regel, Runge-Kutta implizit
48
3 Starre Körper mit elastischen Verbindungselementen
Auch bei den impliziten Mehrschritt-Verfahren muss pro Integrationsschritt ein nichtlineares Gleichungssystem gelöst oder die Funktion f (t +h, x (t +h)) durch eine abgebrochene Taylor-Reihe ersetzt werden. In beiden Fällen wird wieder die Jacobi-Matrix (3.35) benötigt. Implizite Mehrschritt-Verfahren sind nicht selbststartend, da zum Zeitpunkt t = t 0 noch keine zurückliegenden Zustände oder Funktionswerte vorliegen. Mit ode15s stellt Matlab ein auf NDFs (Numerical Differentiation Formulas) basierendes implizites Mehrschritt-Verfahren variabler Ordnung und mit automatischer Schrittweitensteuerung zur Verfügung. Optional setzt ode15s auch das BDF-Verfahren nach Gear ein.
3.3.4 Numerische Dämpfung Das Problem der numerischen Dämpfung soll an einem ungedämpften EinMasse-Schwinger verdeutlicht werden. Bezeichnet s die Auslenkung der Masse m und c die Federkonstante, dann kann die Dynamik des Ein-MasseSchwingers durch die Differentialgleichungen s˙ = v
(3.38)
oder v˙ = −ω20 s
(3.39)
und v˙ = −
c s m
beschrieben werden, wobei ω0 die ungedämpfte Eigenfrequenz angibt. Infolge der fehlenden Dämpfung muss die Energie E =
1 1 1 m v 2 + c s 2 = m v 2 + ω20 s 2 = E 0 2 2 2
(3.40)
während der Bewegung konstant bleiben. Wendet man nun das explizite EulerVerfahren (3.28) auf die Differentialgleichung (3.38) an, dann erhält man s (t +h) = s (t ) + h v (t )
(3.41)
v (t +h) = v (t ) − h ω20 s (t )
(3.42)
und aus (3.39) ergibt sich
3.3 Integrationsverfahren
49
Eingesetzt in (3.40) bleibt " #2 + ω20 s (t ) + h v (t ) " # = 12 m v 2 (t )−2v (t )hω20 s (t )+h 2 ω40 s 2 (t ) + ω20 s 2 (t )+2s (t )hv (t )+h 2 v 2 (t ) " # # " = 12 m 1+h 2 ω20 v 2 (t ) + 1+h 2 ω20 ω20 s 2 (t ) " # # " = 1+h 2 ω20 12 m v 2 (t ) + ω20 s 2 (t ) " # = 1+h 2 ω20 E t
E t+h = 12 m
"
v (t ) − h ω20 s (t )
#2
(3.43) Das explizite Euler-Verfahren ist für ungedämpfte Schwingungen instabil. Da die Energie bei der numerischen Lösung hier bei jedem Integrationsschritt t → t +h mit dem Faktor 1+h 2 ω20 vergrößert wird, nehmen Amplitude s und Geschwindigkeit v im Laufe der Zeit exponentiell zu. Wendet man dagegen das implizite Euler-Verfahren (3.31) auf die Differentialgleichungen (3.38) und (3.39) an, dann ergibt sich zunächst s (t +h) = s (t ) + h v (t +h)
und v (t +h) = v (t ) − h ω20 s (t +h)
(3.44)
Auf Grund der Linearität des Differentialgleichungssystems kann hier die Lösung direkt angeben werden. Man erhält s (t +h) =
"
1 1+h 2 ω20
s (t )+h v (t )
# und
v (t +h) =
"
1 1+h 2 ω20
v (t )−h ω20 s (t )
#
(3.45) Die implizite Lösung unterscheidet sich nur um den Vorfaktor von der expliziten Euler-Lösung (3.41) und (3.42). Damit erhält man analog zu (3.43) für die Energie 1/(1+h 2 ω20 )
E t+h
1 = m 2
'
1 1+h 2 ω20
(2 )"
v (t ) − h ω20 s (t )
#2
+
ω20
"
s (t ) + h v (t )
' (2 " # #" 1 1 2 2 2 2 2 m 1+h v ω (t ) + ω s (t ) = 0 0 2 1+h 2 ω20 1 Et = 1+h 2 ω20
#2
*
(3.46)
50
3 Starre Körper mit elastischen Verbindungselementen
Das implizite Euler-Verfahren ist absolut stabil, aber die Energie nimmt dabei pro Integrationsschritt ab. Die numerische Lösung angewandt auf ein ungedämpftes System liefert hier abklingende Lösungen. Dies entspricht nicht dem physikalischen Modellverhalten und wird deshalb als numerische Dämpfung bezeichnet. Die meisten Integrationsverfahren erzeugen eine geringe numerische Dämpfung. Ohne numerische Dämpfung kommt z. B. die Trapezregel x (t +h) = x (t ) +
h 2
"
f (t , x (t )) + f (t +h, x (t +h))
# (3.47)
aus. Die Trapezregel ist ein implizites Einschritt-Verfahren 2. Ordnung. Auf den ungedämpften Ein-Masse-Schwinger angewendet erhält man s (t +h) = s (t ) + und
oder aufgelöst
" # h v (t ) + v (t +h) 2
" # h 2 v (t +h) = v (t ) − ω0 s (t ) + s (t +h) 2 " 2 # h v (t ) − 1 − h2 ω20 s (t ) s (t +h) = 2 1 + h2 ω20 "
und v (t +h) =
1−
# ω20 v (t ) − h ω20 s (t ) 2 1 + h2 ω20
(3.48)
(3.49)
(3.50)
h 2 2
(3.51)
Eingesetzt in (3.40) bleibt tatsächlich die Energieerhaltung E t+h = E t = E 0
(3.52)
Natürlich ist im vorliegenden Fall eine numerische Dämpfung unerwünscht, da sie zu physikalisch falschen Resultaten führt. Speziell explizite Runge-Kutta-Verfahren niederer Ordnung verfügen über eine ausgeprägte numerische Dämpfung, Bild 3.13. Bei realen Mehrkörpersystemen ist jedoch stets eine echte Dämpfung vorhanden. Meist können gar nicht alle dissipativen Bestandteile eines realen Systems in einem Mehrkörpermodell nachgebildet werden. Da ist es dann gar nicht so schlecht, wenn der Integrator etwas an numerischer Dämpfung hinzufügt und so sicherstellt, das alle Schwingungen im Laufe der Zeit abklingen. Deshalb bieten einige MKS-Anbieter Integrationsverfahren an, bei denen der Grad
3.3 Integrationsverfahren
51
bezogene Amplitude [-]
ode23: Runge-Kutta 2./3. Ordnung (explizit) 1.0
ode23t: Trapezregel (implizit)
0.5 0.0 -0.5 -1.0
0
4
8
12 16 Zeit [s]
20 0
4
8
12 16 Zeit [s]
20
Bild 3.13: Numerische Lösungen für den ungedämpften Ein-Masse-Schwinger
der numerischen Dämpfung eingestellt werden kann. Bei der modifizierten Trapezregel "
x (t +h) = x (t ) + h (1 − α) f (t , x (t )) + α f (t +h, x (t +h))
# (3.53)
bestimmt der Parameter α die numerische Dämpfung: α = 12 entspricht der ursprünglichen Formel und erzeugt somit keine numerische Dämpfung, α = 1 liefert das implizite Euler-Verfahren mit großer numerischer Dämpfung. Mit Werten 12 < α < 1 kann somit die numerische Dämpfung variiert werden. Allerdings wird bei diesem einfachen Ansatz mit zunehmender Dämpfung auch die Ordnung des Verfahrens von zwei (Trapezregel) auf eins (implizites EulerVerfahren) reduziert. Deshalb werden in der Praxis in der Regel kompliziertere Verfahren eingesetzt.
3.3.5 Konsequenzen für elastisch gekoppelte Mehrkörpersysteme Die Rechenzeiten für das im Abschnitt 4.2.5 beschriebene Doppel-Pendel und ein analoges Vierfach-Pendel sind für die Matlab-Solver ode454 und ode15s5 in der Tabelle 3.1 aufgelistet, wobei die Simulationen jeweils mit weichen und steifen Bushings (Faktor 100) durchgeführt wurden. 4 5
Runge-Kutta-Verfahren 4./5. Ordnung nach Dorman und Price Implizites Mehrschritt-Verfahren mit Numerical Differentiation Formulas (NDFs)
52
3 Starre Körper mit elastischen Verbindungselementen
Tabelle 3.1: Vergleich verschiedener Solver für unterschiedlich komplexe Modelle
weich/steif Doppel-Pendel Vierfach-Pendel ode45 Rechenzeit [s]
1.5 / 18.5
3.6 / 41.5
ode15s Rechenzeit [s]
2.3 / 9.2
4.8 / 28.8
Erst bei sehr steifen Bushings (Faktor 10 000) reduzieren sich die in den Bushings auftretenden Verschiebungen von einigen Zentimetern 10−2 m zu in der Praxis vernachlässigbaren Werten im Bereich von Tausendstel Millimeter 10−6 m, Bild 3.14. Bei weichen Bushings steigt der Rechenaufwand nahezu di10-1 10-2 m 10-3
weich
10-4
steif
10-5 sehr steif
10-6 10-7
0
0.5
1.0
1.5 s 2.0
Bild 3.14: Betrag der Auslenkungen im Aufhängungspunkt eines räumlichen VierfachPendels bei weichen, steifen und sehr steifen Bushings
rekt proportional mit der Anzahl der Körper. Bei steifen Bushings, mit denen ja starre Lager nachgebildet werden können, nimmt die Rechenzeit jedoch drastisch zu. Hier sind implizite Verfahren von Vorteil. Allerdings erhöht sich nun der Rechenaufwand überproportional mit der Anzahl der Körper. Deshalb ist es zweckmäßig, starre Lagerungen nicht über steife Verbindungselemente zu modellieren, sondern durch kinematische Bindungen zu beschreiben. Die Berücksichtigung kinematischer Bindungen kompliziert allerdings das Aufstellen der Bewegungsgleichungen. Die Vorteile bei der numerischen Lösung machen diesen Nachteil in der Regel jedoch mehr als wett.
4 Starre Körper mit kinematischen Bindungen 4.1 Beispiel: Rollende Münze 4.1.1 Modellbildung Eine Münze, die auf horizontaler Unterlage abrollt, kann in guter Näherung durch eine dünne Scheibe mit der Masse m und dem Radius R approximiert werden, wobei der Massenmittelpunkt S mit der Scheibenmitte M zusammenfällt, Bild 4.1. Die Bewegungen der Münze werden von einem Inertialsystem aus z0
zR
x0
β
zK
y0
r0S r0P
M=S
yR=yK
xR mg
γ
α
xK R
P xP
0
FN
zP yP FR
Bild 4.1: Bewegungsmöglichkeiten und Kräfte bei einer rollenden Münze
beschrieben dessen x 0 - und y 0 -Achsen die Unterlage aufspannen. Das körperfeste Koordinatensystem K und das Referenzsystem R haben ihren Ursprung im Massenmittelpunkt S. Die im Kontaktpunkt P auftretende Kraft wird zerlegt
54
4 Starre Körper mit kinematischen Bindungen
in die in Richtung der z 0 -Achse wirkende Normalkraft FN und in die in der x 0 y 0 Ebene liegende Reibkraft FR , wobei mit den Koordinatenachsen x P und y P hier noch eine weitere Unterteilung in eine Umfangs- und Querkomponente möglich ist. Der Kontakt zur Unterlage und die Rollbewegung der Münze können durch geeignete Kraftgesetze oder in idealisierter Weise auch durch kinematische Bindungen modelliert werden.
4.1.2 Orientierung und Lage Die Orientierung des körperfesten Koordinatensystems K gegenüber dem Inertialsystem 0 kann mit A 0K = A 0P A PR A R K (4.1) aus den drei Elementardrehungen zusammengesetzt werden. Die Drehung um die z 0 =z P -Achse mit dem Winkel γ ⎡
A 0P
⎤ cos γ − sin γ 0 ⎢ ⎥ = ⎣ sin γ cos γ 0 ⎦ 0 0 1
(4.2)
gibt dabei die momentane Rollrichtung der Münze an. Die Drehungen mit dem Winkel α um die x P =x R -Achse und mit dem Winkel β um die y R =y K -Achse ⎡
A PR
⎡
⎤ 1 0 0 ⎢ ⎥ = ⎣ 0 cos α − sin α ⎦ 0 sin α cos α
ARK
⎤ cos β 0 sin β ⎢ ⎥ =⎣ 0 1 0 ⎦ − sin β 0 cos β
(4.3)
beschreiben die Neigung und die Rollbewegung der Münze. Auf Grund der gewählten Drehreihenfolge tritt eine Singularität bei α → ±90◦ auf. Dort hat die Münze aber auf der ganzen Seitenfläche Kontakt mit der Unterlage. Das Modell, das einen punktförmigen Kontakt voraussetzt, gilt dann aber auch nicht mehr. Die Lage des Massenmittelpunktes gegenüber dem Inertialsystem kann zunächst rein formal durch den Ortsvektor T = r0S,0
xS
yS
zS
!
(4.4)
angegeben werden. Ein Punkt auf dem Umfang der Münze wird im körperfesten System durch den Vektor ! T rSP,K = 0 0 −R (4.5)
4.1 Beispiel: Rollende Münze
55
beschrieben. Für β = 0 erreicht er die tiefste Stelle und definiert dann über β =0
r 0P,0 = r0S,0 + A 0K rSP,K rSP,0
(4.6)
die absolute Lage des Kontaktpunktes P. Damit die Münze stets Kontakt zur horizontalen Unterlage hat, muss die z -Komponente des Vektors r 0P,0 verschwinden. Die Forderung (z ) r0P,0 = 0 (4.7) stellt eine erste lageabhängige oder holonome Bindungsgleichung dar. Mit (4.1), (4.2) und (4.3) erhält zunächst ⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎤ ⎡ cos γ − sin γ cos α sin γ sin α −R sin γ sin α 0 ⎢ ⎥⎢ ⎥ ⎥ ⎢ rSP,0 = ⎣ sin γ cos γ cos α − cos γ sin α ⎦ ⎣ 0 ⎦ = ⎣ R cos γ sin α ⎦ (4.8) 0 sin α cos α −R cos α −R
rSP,K β =0 A 0K Die absolute Lage des Kontaktpunktes ist dann durch ⎤ ⎡ ⎤ xS −R sin γ sin α ⎢ ⎥ ⎢ ⎥ r0P,0 = ⎣ yS ⎦ + ⎣ R cos γ sin α ⎦ −R cos α zS
r0S,0 rSP,0 ⎡
(4.9)
gegeben. Gemäß (4.7) hat die Münze Kontakt zur Unterlage, wenn z S − R cos α = 0
oder
z S = R cos α
(4.10)
gilt. Zur eindeutigen Lagebeschreibung sind jetzt mit x S , yS und α, β , γ nur mehr fünf verallgemeinerte Koordinaten erforderlich. Diese können im Lagevektor ⎡ ⎤ ⎢ ⎢ yT ⎢ ⎥ ⎢ y = ⎣ ··· ⎦ = ⎢ ⎢ ⎢ yR ⎣ ⎡
xS yS ··· α β γ
⎤ ⎥ ⎥ ⎥ ⎥ ⎥ ⎥ ⎦
(4.11)
zusammengefasst werden, der mit den Teilvektoren y T und yR in translatorische und rotatorische Komponenten unterteilt ist.
56
4 Starre Körper mit kinematischen Bindungen
4.1.3 Geschwindigkeiten Die Winkelgeschwindigkeit des körperfesten Koordinatensystems K gegenüber dem Inertialsystem 0 kann mit ⎧⎡ ⎤ ⎡ ⎤⎫ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ˙ ˙ − sin β cos α γ˙ α 0 cos β α 0 ⎬ ⎨⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ω0K ,K = A TR K ⎣ 0 ⎦ + A TPR ⎣ 0 ⎦ + ⎣ β˙ ⎦ = ⎣ β˙ + sin α γ˙ ⎦ (4.12) ⎩ ⎭ ˙ + cos β cos α γ˙ 0 γ˙ 0 sin β α im körperfesten System dargestellt werden. Da Rollen vorausgesetzt wird, darf im Kontaktpunkt P kein Gleiten auftreten. Die x - und y -Komponenten der Kontaktpunktsgeschwindigkeit müssen deshalb verschwinden. Dies ergibt mit (x )
v 0P,0 = 0
(y )
und v 0P,0 = 0
(4.13)
zwei weitere Bindungsgleichungen auf Geschwindigkeitsebene. Die Geschwindigkeit im Kontaktpunkt kann über die Eulersche Geschwindigkeitsgleichung (2.71) aus (4.14) v 0P,0 = v 0S,0 + A 0K ω0K ,K × rSP,0 berechnet werden. Der Vektor rSP,0 kann aus (4.9) entnommen werden. Mit v 0S,0 =
x˙S
y˙S
z˙S
!T
und (4.12) erhält man dann ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ˙ x˙S ˙ −R sin γ sin α cos γ α − sin γ cos α β ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎥ ⎢ ˙⎥ ⎢ v 0P,0 = ⎢ ⎣ y˙S ⎦ + ⎣ sin γ α˙ + cos γ cos α β ⎦ × ⎣ R cos γ sin α ⎦ −R cos α sin α β˙ + γ˙ z˙S Ausmultipliziert bleibt ⎤ ⎡ ˙ ˙ ˙ ˙ − R cos α sin γ α − R sin α cos γ γ − R cos γ β x S ⎥ ⎢ ˙⎥ v 0P,0 = ⎢ ⎣ y˙S + R cos α cos γ α˙ − R sin α sin γ γ˙ − R sin γ β ⎦ ˙ z˙S + R sin α α
(4.15)
(4.16)
(4.17)
Die Ableitung der ersten Bindungsgleichung (4.10) hat z˙S =
d (R cos α) = −R sin α α˙ dt
(4.18)
zur Folge, was unmittelbar zum Verschwinden der z -Komponente der Kontaktpunktgeschwindigkeit führt. Holonome Bindungsgleichungen schränken also
4.1 Beispiel: Rollende Münze
57
gleichzeitig den Geschwindigkeitszustand ein. Die x - und y -Komponente der Kontaktpunktgeschwindigkeit verschwinden, wenn x˙S y˙S
=
R cos α sin γ α˙ + R sin α cos γ γ˙ + R cos γ β˙
(4.19)
=
−R cos α cos γ α˙ + R sin α sin γ γ˙ + R sin γ β˙
(4.20)
gilt. Diese nichtholonomen Bindungenen schränken nur die Geschwindigkeit nicht aber die Lage ein. Der Vektor der verallgemeinerten Geschwindigkeiten kann nun mit !T z = y˙R = α (4.21) ˙ β˙ γ˙ ˙ β˙ , γ˙ gebildet werden. Entin trivialer Weise aus den drei Winkelableitungen α, sprechend (4.12) und (4.15) mit (4.18) sowie (4.19) und (4.20) ist es dann möglich, den Geschwindigkeitszustand der Münze mit ω0K ,K = ω0K ,K y R , y˙R und v 0S,0 = v 0S,0 y R , y˙R (4.22) in eindeutiger Weise durch die gemäß (4.11) im Teilvektor y R zusammengefassten drei Drehwinkel und deren Ableitungen zu beschreiben.
4.1.4 Bewegungsgleichungen Gemäß (2.113) und (2.121) lauten die Bewegungsgleichungen für die Münze m v˙0S,0
=
˙ 0K ,K + ω0K ,K × TS,K ω0K ,K TS,K ω
=
FG ,0 + FP,0 A T0K rSP,0 × FP,0
(4.23) (4.24)
Die Gewichtskraft FG und die Kontaktkraft FP sind im Inertialsystem durch !T !T y FG ,0 = 0 0 −m g und FP,0 = FRx FR FN (4.25) gegeben, wobei g die Erdbeschleunigung bezeichnet und die in der x 0 -, y 0 y Ebene liegende Reibkraft FR in die Komponenten FRx und FR aufgeteilt ist. Der Trägheitstensor der Münze, die als dünne Scheibe mit dem Radius R und der Masse m modelliert wird, ist bezüglich des körperfesten Koordinatensystems K durch TS,K = d i a g 14 m R 2 21 m R 2 14 m R 2 (4.26) gegeben. Der Ortsvektor rSP,0 vom Massenmittelpunkt S zum Kontaktpunkt P ist über (4.9) festgelegt. Die Ableitungen von (4.22) ergeben die Beschleunigungen rein formal zu ˙ 0K ,K = ω
∂ ω0K ,K ∂ ω0K ,K y¨R + y˙R ∂ y˙R ∂ yR
und v˙0S,0 =
∂ v 0S,0 ∂ v 0S,0 y¨R + y˙R (4.27) ∂ y˙R ∂ yR
58
4 Starre Körper mit kinematischen Bindungen
wobei die partiellen Ableitungen der Winkelgeschwindigkeit aus (4.12) und die des Geschwindigkeitsvektors (4.15) aus (4.19), (4.20) und (4.18) berechnet werden können. Mit dem Impuls- und dem Drallsatz hat man nun sechs Gleichungen zur Verfügung aus denen die drei Winkelbeschleunigungen und die drei Komponenten der Zwangskraft FP,0 berechnet werden können. Im vorliegenden Fall kann die Zwangskraft FP,0 sehr einfach eliminiert werden. Dazu wird der Impulssatz (4.23) nach FP,0 aufgelöst und das Ergebnis in den Drallsatz (4.24) eingesetzt. Es bleibt dann ein System von gewöhnlichen Differentialgleichungen zweiter Ordnung, das hier noch explizit angegeben werden kann. Nach einigen Umformungen und der Multiplikation mit dem Faktor 4 sowie der Division der Gleichungen durch den Trägheitsterm m R 2 bleibt ⎤⎡ ⎤ ⎡
g ˙ 5 sin α γ˙ + 6 β˙ + 4 sin α R cos α γ ¨ α 5 0 0 ⎢ ⎥⎢ ⎥ ⎢ ⎢ ¨⎥ ⎢ ⎢0 −10 cos α α˙ γ˙ 6 6 sin α ⎥ ⎣ ⎦⎣ β ⎦ = ⎣
2 ˙ 5 sin α γ˙ + β˙ γ¨ −2 cos α α 0 6 sin α 1 + 5 sin α
q M y¨ ⎡
⎤ ⎥ ⎥ (4.28) ⎦
Die Lösung dieser Differentialgleichungen liefert die drei Winkelableitungen ˙ β˙ , γ˙ und die drei Winkel α, β , γ. Die normierte Massenmatrix M wird für α, sin α = 1 singulär, d e t (M ) = 0. Für diesen Fall sind aber auch die Bewegungsgleichungen nicht mehr gültig, da die Münze flach auf dem Boden liegt und kein eindeutiger Kontaktpunkt mehr existiert. Die Position des Münzschwerpunktes S ist durch die Bindungsgleichungen festgelegt. Die vertikale Position folgt dabei mit z S = R cos α
(4.29)
direkt aus der holonomen Bindungsgleichung (4.10). Da die horizontale Position des Schwerpunktes durch die nichtholonomen Bindungsgleichungen (4.19) und (4.20) eingeschränkt wird, können die Schwerpunktskoordinaten x S und yS nur durch Lösen der kinematischen Differentialgleichungen x˙S
=
R cos α sin γ α˙ + R sin α cos γ γ˙ + R cos γ β˙
(4.30)
y˙S
=
−R cos α cos γ α˙ + R sin α sin γ γ˙ + R sin γ β˙
(4.31)
bestimmt werden. Die Dynamik der rollenden Münze wird folglich durch drei Differentialgleichungen zweiter Ordnung und zwei Differentialgleichungen ers˙ ter Ordnung beschrieben. Die dazu erforderlichen Zustandsgrößen α, β , γ, α,
4.1 Beispiel: Rollende Münze
59
β˙ , γ˙ sowie x S und yS werden auch als Minimal-Koordinaten bezeichnet. Im Bild 4.2 ist die Bahnkurve gezeichnet, die der Kontaktpunkt P einer Münze mit dem Radius R = 1 cm im Laufe der Zeit durchläuft. Die Simulation wur-
t=4s
kinematisch ohne Widerstände
Kraftgesetze mit Roll- und Bohrreibung
Bild 4.2: Münzbewegungen auf einer rauen horizontalen Unterlage
de mit den Anfangsbedingungen x S = 0, yS = 0, α0 = 1◦ , β0 = 0◦ , γ0 = 0◦ , ˙ 0 = 0◦ /s, β˙0 = 0◦ /s, γ˙ 0 = 1800◦ /s im Intervall 0 ≤ t ≤ 4 s mit dem Matlabα Solver ode113 durchgeführt. Die entsprechende Matlab-Funktion kann analog zu der im Abschnitt 2.3.4 angegebenen Vorlage aus den Differenzialgleichungen (4.28), (4.30) und (4.30) erstellt werden. Auch das zugehörige Matlab-Skript, das die Daten bereitstellt, die Anfangsbedingungen setzt, die Simulation durchführt und die Ergebnisse plottet, kann sehr leicht durch Anpassung der entsprechenden Vorlage im Abschnitt 2.3.4 generiert werden. Über den Impulssatz (4.23) können dann auch die Kontaktkräfte FN und FR sowie der erforderliche Reibwert μ = |FR |/FN berechnet werden. Die während der Bewegung auftretenden Kreiselmomente verhindern das Umkippen und zwingen die Münze auf eine Zykloiden ähnliche Bahn. Eine schlupfreie Bewegung würde im vorliegenden Fall einen Reibwert zwischen Münze und Unterlage von mindestens μ = 0.12 erfordern. Beschreibt man stattdessen die Normalkraft über elastische Deformationen der Unterlage, approximiert die Reibkraft gemäß (3.22) über ein regularisiertes Coloumbsches Reibgesetz, beschränkt den Haftreibungsbeiwert auf einen realistischen Wert von μ = 0.6 und berücksichtigt ferner noch den Rollwiderstand sowie die Bohrreibung, dann erhält man den, in der rechten Hälfte von Bild 4.2 dargestellten, sehr realistischer Bewegungsablauf. Die dazu erforderlichen steifen Kraftgesetze führen dann allerdings zu erheblich längeren Rechenzeiten.
60
4 Starre Körper mit kinematischen Bindungen
4.1.5 Konsequenzen für Mehrkörpersysteme Bei einem Mehrkörpersystem, in dem n Teilkörper mit q holonomen Bindungen verknüpft sind, genügen dann f = 6 n − q verallgemeinerte und unabhängige Koordinaten y i , i = 1(1) f um die Ortsvektoren r 0k ,0 = r0k ,0 (y ) ,
k = 1(1)n
(4.32)
A 0k = A 0k (y ) ,
k = 1(1)n
(4.33)
und die Drehmatrizen
anzugeben. Dabei werden die verallgemeinerten Koordinaten im f ×1 Lagevektor y = [y1 , y 2 · · · y f ]T zusammengefasst. Definiert man mit y˙ = K (y ) z
(4.34)
verallgemeinerte Geschwindigkeiten z , dann kann der Geschwindigkeitszustand des k -ten Körpers durch die verallgemeinerten Koordinaten y und die verallgemeinerten Geschwindigkeiten z beschrieben werden v 0k ,0 = v 0k ,0 (y , z )
und
ω0k ,K = ω0k ,K (y , z )
(4.35)
Sind zusätzlich p nichtholonome Bindungen vorhanden, dann reduziert sich die Anzahl der verallgemeinerten Geschwindigkeiten auf f = 6n − q − p . Während holonome Bindungen die Anzahl der verallgemeinerten Lage- und damit gleichzeitig auch die Anzahl der verallgemeinerten Geschwindigkeitsgrößen reduzieren, wird durch nichtholonome Bindungen lediglich die Anzahl der verallgemeinerten Geschwindigkeiten verringert. Die Dynamik des Mehrkörpersystems wird dann durch f Differentialgleichungen zweiter und p Differentialgleichungen erster Ordnung beschrieben. Die dazu erforderliche Elimination der Zwangskräfte und -momente kann grundsätzlich durch Auflösen und Einsetzen durchgeführt werden. Bei Mehrkörpersystemen mit mehreren Körpern und mehreren Bindungen wird dies allerdings sehr mühsam. Hier ist es zweckmäßig Methoden und Prinzipe anzuwenden, die die Herleitung der dynamischen Gleichungen unter der Verwendung von Minimal-Koordinaten automatisieren und dadurch wesentlich erleichtern.
4.2 Methoden und Prinzipe
61
4.2 Methoden und Prinzipe 4.2.1 Überblick Zur methodischen Aufstellung der Bewegungsgleichungen für starre Körper mit kinematischen Bindungen existieren mehrere Verfahren, die in Bezug auf spezielle Problemstellungen mit mehr oder weniger Aufwand zum gewünschten Ziel führen. Bereits Gauß1 hat mit dem Prinzip des kleinsten Zwanges ein Verfahren zur Elimination der Zwangskräfte angegeben. Ein sehr allgemeines ExtremalPrinzip wurde von Hamilton2 formuliert. Die bekanntesten Methoden gehen auf Lagrange3 und D’Alembert zurück. Kane (KL80) zeigte, dass das Jourdainsche Verfahren4 bei der Verwendung geeigneter verallgemeinerter Geschwindigkeiten große Vorteile gegenüber anderen Verfahren bietet. Bei den Lagrange-Gleichungen erster Art werden die Bewegungsgleichungen für das frei geschnittene System angeschrieben. Die Wirkung der Lager wird durch Lagrange-Multiplikatoren und die kinematischen Bindungsgleichungen erfasst. Die dabei entstehenden differential-algebraischen Gleichungen5 erfordern spezielle numerische Lösungsverfahren Sowohl bei den Lagrange-Gleichungen zweiter Art als auch bei den Prinzipien nach D’Alembert und Jourdain werden die Zwangskräfte und -momente automatisch eliminiert. Man erhält dann gewöhnliche Differentialgleichungen6 für einen minimalen Satz von verallgemeinerten Koordinaten. Die Vorgehensweise bei D’Alembert und Jourdain ist sehr ähnlich und lässt sich auch leicht automatisieren. Deshalb verwenden auch kommerzielle Mehrkörperprogramme in der Regel diese Methoden.
4.2.2 Euler-Lagrange Gleichungen 4.2.2.1 Das Extremalprinzip nach Hamilton Nach Hamilton erfolgen die durch den Lagevektor y = y (t ) beschriebenen Bewegungen eines Systems in einem beliebigen Zeitintervall t 1 ≤ t ≤ t 2 mit mini1 2
3 4 5 6
Johann Carl Friedrich Gauß, deutscher Mathematiker (30.04.1777-23.02.1855) Sir William Rowan Hamilton, irisch-englischer Mathematiker und Physiker (04.08.180502.09.1865) Joseph Louis Lagrange, italienischer Mathematiker und Astronom (25.01.1736-10.04.1813) Philip E. B. Jourdain, englischer Mathematiker (1879-1919) DAE: Differential Algebraic Equation ODE: Ordinary Differential Equation
62
4 Starre Körper mit kinematischen Bindungen
maler Wirkung
t2
(T + W ) d t → Minimum
H =
(4.36)
t1
wobei sich die Hamilton-Funktion H additiv aus der kinetischen Energie T und der Arbeit W der auf das System einwirkenden Kräfte und Momente zusammensetzt. Für virtuelle Bewegungen stellt
t2
δH = δ
t2
{T + W } d t = t1
{δT + δW } d t = 0
(4.37)
t1
eine notwendige Bedingung für einen minimalen Wert der Hamilton-Funktion dar. Da die virtuellen Bewegungen mit den kinematischen Bindungen verträglich sein müssen, wird sichergestellt, dass die virtuelle Arbeit der in den Bindungen auftretenden Lagerreaktionen stets verschwindet. Deshalb muss die virtuelle Arbeit δW hier nur die Anteile aus den eingeprägten Kräften F e und eingeprägten Momenten M e berücksichtigen. Die virtuelle Arbeit der in den Vektoren F e und M e zusammengefassten eingeprägten Kräfte und Momente errechnet sich aus δW = δu T F e + δϕ T M e
(4.38)
Die in den Vektoren u und ϕ zusammengefassten Verschiebungen und Verdrehungen hängen vom Lagevektor y ab. Deshalb gilt für ihre Variation δu =
∂ u (y ) δy ∂y
und
δϕ =
∂ ϕ(y ) δy ∂y
(4.39)
Die Variation der kinetischen Energie liefert δT (y , y˙ ) =
∂T ∂T δy + δy˙ = δy T ∂y ∂ y˙
∂T ∂y
T + δy˙ T
∂T ∂ y˙
T (4.40)
wobei die partiellen Ableitung von T nach y und y˙ hier als Zeilen- und δy sowie δy˙ als Spaltenvektoren definiert sind. Mit den Beziehungen (4.38) bis (4.40) lautet die Variation der Hamilton-Funktion t 2 .
/ δy
δH =
T
∂T ∂y
0 T 1 ∂ u (y ) T e ∂ ϕ(y ) T e ∂T T T + F + M + δy˙ dt ∂y ∂y ∂ y˙
t1
(4.41)
4.2 Methoden und Prinzipe
63
Der Term mit der Variation nach der Ableitung der Lagegrößen δy˙ kann durch partielle Integration7 umgeformt werden. Nutzt man die aus der Schwarzschen Vertauschungsregel8 folgende Beziehung δy˙ = ddt δy , dann erhält man
t2
δy˙ t1
T
∂T ∂ y˙
/
T
d t = δy
T
T 0t 2
∂T ∂ y˙
t2
− t1
δy T t1
d dt
∂T ∂ y˙
T dt
(4.42)
Die Variation δy (t ) erstreckt sich nur auf die Bewegung im Intervall t 1 ≤ t ≤ t 2 nicht aber auf die Anfangs- und End-Position. Wegen δy (t 1 ) = 0 und δy (t 2 ) = 0 entfällt dann der Ausdruck in den eckigen Klammern und (4.41) kann unter Verwendung von (4.42) in der Form
.
t2
δy T
δH = − t1
d dt
∂T ∂ y˙
T
∂T − ∂y
1
T
−Q d t
(4.43)
dargestellt werden, wobei das Minuszeichen ausgeklammert wurde und im verallgemeinerten Kraftvektor Q =
∂ u (y ) ∂y
T
∂ ϕ(y ) F + ∂y
T
e
Me
(4.44)
die eingeprägten Kräfte und Momente zusammengefasst sind. 4.2.2.2 Bewegungsgleichungen Da die Variation nach den Lagegrößen vollkommen willkürlich ist, muss gemäß (4.43) d ∂T T ∂T T − −Q = 0 (4.45) d t ∂ y˙ ∂y gelten, damit die Variation der Hamilton-Funktion verschwindet. Die daraus resultierenden Gleichungen d dt
∂ T (y , y˙ ) ∂ y˙
T
∂ T (y , y˙ ) − ∂y
T =Q
(4.46)
werden als Euler-Lagrange-Gleichungen oder als Lagrange-Gleichungen zweiter Art bezeichnet. Verfügt ein Teil der eingeprägten Kräfte und Momente über 7 8
2b 2b Partielle Integration: a u (x ) v (x ) d x = [u (x ) v (x )]ba − a u (x ) v (x ) d x Satz von Schwarz: Sind die partiellen Ableitungen k-ter Ordnung stetig, so ist die Reihenfolge der Differentiationen beliebig vertauschbar
64
4 Starre Körper mit kinematischen Bindungen
ein Potential U = U (y ), dann kann (4.46) durch d dt
∂ T (y , y˙ ) ∂ y˙
T
−
∂ T (y , y˙ ) ∂y
T
= Q nk −
∂ U (y ) ∂y
T (4.47)
ersetzt werden, wobei in Q n k die restlichen nicht-konservativen Kräfte und Momente enthalten sind. Durch Einführen der Lagrange-Funktion L = T −U kann (4.47) noch etwas kompakter angeschrieben werden.
4.2.3 Jourdain und D’ Alembert 4.2.3.1 Elimination der Zwangskräfte und Zwangsmomente Das Jourdainsche Prinzip besagt, dass die virtuelle Leistung aller Zwangskräfte und Zwangsmomente, die in einem System auftreten, verschwindet. Für ein System von n starren Körpern lautet es n 3
T z δv 0k Fkz + δωT0k ,k M Sk
=0
(4.48)
k =1 z wobei Fkz und M Sk die auf den einzelnen Körper k wirkenden Zwangskräfte und Zwangsmomente angeben. Virtuelle Geschwindigkeiten sind willkürliche, infinitesimale Geschwindigkeiten des Systems, die mit den kinematischen Bindungen verträglich sind. Für die virtuelle Geschwindigkeit des k -ten Teilkörpers gilt
δv 0k ,0 =
∂ v 0k ,0 (y , z ) δz ∂z
(4.49)
und für die virtuelle Winkelgeschwindigkeit findet man δω0i ,0 =
∂ ω0i ,0 (y , z ) δz ∂z
(4.50)
Die partiellen Ableitungen in (4.49) und (4.50) werden auch bei der Berechnung der Beschleunigungen benötigt. Die zeitlichen Ableitungen von (4.35) ergeben für den Körper k v˙0k ,0 =
∂ v 0i ,0 (y , z ) ∂ v 0i ,0 (y , z ) ∂ v 0i ,0 (y , z ) ∂ v 0i ,0 (y , z ) z˙ + y˙ = z˙ + K (y ) z (4.51) ∂z ∂y ∂z ∂y
S v˙0k (y , z ) ,0
4.2 Methoden und Prinzipe
65
und ∂ ω0k ,k (y , z ) ∂ ω0k ,k (y , z ) ∂ ω0k ,k (y , z ) ∂ ω0k ,k (y , z ) z˙ + y˙ = z˙ + K (y ) z ∂z ∂y ∂z ∂y
S ˙ 0k ,0 (y , z ) ω (4.52) wobei die Ableitung des Vektors der verallgemeinerten Koordinaten y˙ mit der kinematischen Differentialgleichung (4.34) durch den Vektor der verallgemeiS ˙S nerten Geschwindigkeiten z ersetzt wurde und v˙0k ,0 sowie ω0k ,0 die von y und z abhängigen Schein-Beschleunigungen kennzeichnen. Die durch kinematische Bindungen (Gelenke, Lager, Führungen) hervorgerufenen Zwangskräfte Fkz und Zwangsmomente M kz können aus den newtonschen und eulerschen Bewegungsgleichung bestimmt werden. Zunächst unterteilt man die auf den freigeschnittenen Körper k wirkenden Kräfte Fk und Moz mente M Sk in Zwangskräfte Fkz und Zwangsmomente M Sk sowie in die restlie e chen, eingeprägten Kräfte Fk und Momente M Sk . Dann können der Impulssatz (2.127) und der Drallsatz (2.128) nach den Zwangskräften und Zwangsmomenten aufgelöst werden (4.53) Fkz,0 = m k v˙0k ,0 − Fke,0
˙ 0k ,K = ω
z e ˙ 0k ,k + ω0k ,k × TSk ,k ω0k ,k − M Sk = TSk ,k ω M Sk ,k ,k
(4.54)
wobei die Impulssätze im Inertialsystem 0 und die Drallsätze zweckmäßigerweise in den jeweiligen körperfesten Koordinatensystemen k angeschrieben werden. Mit (4.49) bis (4.54) lautet das Jourdainsche Prinzip für ein System von n starren Körpern 4 / n T 3 ∂ v 0k ,0 k =1
+
∂z ∂ ωT0k ,k ∂z
mk
∂ v 0k ,0
/ TSk ,k
∂z
0 S e z˙ + m k v˙0k ,0 − Fk ,0
∂ ω0k ,k ∂z
05 ˙ S0k ,0 + ω0k ,k ×TSk ,k ω0k ,k z˙ + TSk ,k ω
− M ie,0
δz = 0
(4.55) wobei die virtuelle Leistung der Zwangskräfte im Inertialsystem 0 und die der Zwangsmomente im jeweiligen körperfesten Koordinatensystem k berechnet wird. 4.2.3.2 Bewegungsgleichungen Da die virtuellen Geschwindigkeiten beliebige Werte annehmen können, muss bei δz = 0 der Ausdruck innerhalb der geschweiften Klammern verschwinden.
66
4 Starre Körper mit kinematischen Bindungen
Dies führt auf Bewegungsgleichungen der Form M (y ) z˙ = q (y , z )
(4.56)
wobei der Vektor der verallgemeinerten Kräfte und Momente durch q (y , z ) =
4 n T 3 ∂ v 0k ,0 k =1
∂z
! S + Fke,0 −m k v˙0k ,0
∂ ωT0k ,k ∂z
e ˙S M Sk ,k −TSk ,k ω0k ,k −ω0k ,k ×TSk ,k ω0k ,k
5 !
und die Massenmatrix durch 4 5 n T 3 ∂ v 0k ,0 ∂ ω0k ,k ∂ v 0k ∂ ωT0k ,k ,0 M (y ) = mk + TSk ,k ∂z ∂z ∂z ∂z k =1
(4.57)
(4.58)
gegeben sind. Die kinematischen Differentialgleichungen (4.34) und die Bewegungsgleichungen (4.56) beschreiben die Dynamik eines Mehrkörpersystems vollständig. Mit der trivialen Wahl verallgemeinerter Geschwindigkeiten y˙ = z geht das Jourdainsche Prinzip in das D’Alembertsche Prinzip über. Ein Vergleich beider Methoden, durchgeführt an einem Beispiel mit drei Freiheitsgraden, ist in (Ril06) zu finden.
4.2.4 Beispiel: Dynamik eines starren Körpers 4.2.4.1 Kinetische Energie Die kinetische Energie eines starren Körpers mit der Masse m und dem auf den Massenmittelpunkt S bezogenen Trägheitstensor TS ist durch T =
1 T 1 v 0S,0 m v 0S,0 + ωT0K ,K TS,K ω0K ,K 2 2
(4.59)
gegeben, wobei v 0S,0 = v 0S,0 (y , y˙ ) die im Inertialsystem dargestellte absolute Geschwindigkeit des Massenmittelpunktes und ω0K ,K = ω0K ,K (y , y˙ ) die Winkelgeschwindigkeit eines körperfesten Koordinatensystems gegenüber dem Inertialsystem bezeichnen. Die Winkelgeschwindigkeit und der Trägheitstensor werden im körperfesten Koordinatensysten angeschrieben. Da der Trägheitstensor eines starren Körpers im körperfesten Koordinatensystem konstant ist
4.2 Methoden und Prinzipe
67
TS,K = cons t , vereinfacht sich dadurch die Berechnung der partiellen Ableitung der kinetischen Energie T nach dem Lagevektor y . Die Lage des Massenmittelpunktes S und die Orientierung eines körperfesten Koordinatensystems K werden gegenüber dem Inertialsystem 0 durch den Ortsvektor r0S und die Drehmatrix A 0K beschrieben. Verwendet man die drei Kardanwinkel α, β , γ zum Aufbau der Drehmatrix, dann ist der im körperfesten Koordinatensystem angeschriebene Vektor der Winkelgeschwindigkeiten gemäß (2.86) durch ⎡ ⎤ ⎡ ⎤⎡ ⎤ ˙ ˙ cos β cos γ α + sin γ β ˙ ⎥ cos β cos γ sin γ 0 ⎢ ⎥ ⎢ ⎥⎢ α ⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ˙ ω0K ,K = ⎢ − cos β sin γ α˙ + cos γ β ⎥ = ⎣ − cos β sin γ cos γ 0 ⎦ ⎣ β˙ ⎥ ⎦ (4.60) ⎣ ⎦ sin β 0 1 γ˙ sin β α˙ + γ˙
BK gegeben. Bezeichnen x , y und z die Komponenten des im Inertialsystem angeschriebenen Ortsvektors r0S,0 , dann liefert die Ableitung nach der Zeit t direkt die Geschwindigkeit ⎡ ⎤ x˙ ⎢ ⎥ v 0S,0 = r˙0S,0 = ⎣ y˙ ⎦ (4.61) z˙ Der Lagevektor y kann in zwei 3 × 1-Teilvektoren aufgespalten werden ⎤ ⎡ x ⎢ y ⎥ ⎡ ⎤ ⎢ z ⎥ yT ⎥ ⎢ ⎥ ⎣ ··· ⎦ y =⎢ ⎢ ··· ⎥ = yR ⎢ α ⎥ ⎣ β ⎦ γ
(4.62)
Damit gilt für die Geschwindigkeit und die Winkelgeschwindigkeit v 0S,0 = v 0S,0 (y˙T )
und
ω0K ,K = ω0K ,K (y R , y˙R )
(4.63)
Für die partiellen Ableitungen der kinetischen Energie bedeutet das ∂ ω0K ,K ∂T ∂T ∂T T = 01×3 ω0K ,K TS,K = ∂ yT ∂ y R ∂y ∂ yR und ∂T = ∂ y˙
∂T ∂ y˙T
∂T ∂ y˙R
=
T m v 0S,0
ωT0K ,K TS,K
∂ ω0K ,K ∂ y˙R
(4.64)
(4.65)
68
4 Starre Körper mit kinematischen Bindungen
Die Unterteilung des Lagevektors wirkt sich auch auf die Darstellung des Geschwindigkeitszustandes aus. Mit (4.62) folgt aus (4.61) und (4.60) v 0S,0 = y˙T
und ω0K ,K = B K (yR ) y˙R
(4.66)
wobei B K = B K (y R ) die in (4.60) definierte Kinematikmatrix bezeichnet. Damit ergibt sich sofort ∂ ω0K ,K = B K (yR ) (4.67) ∂ y˙R In (4.65) eingesetzt bleibt ∂T = ∂ y˙
y˙TT m
y˙RT B K (y R )T TS,K B K (yR )
!
(4.68)
Für die partielle Ableitung der Winkelgeschwindigkeit nach den KardanWinkeln erhält man aus (4.60) ⎡ ∂ ω0K ,K ∂ y˙R
⎢ 0 ==⎢ ⎣ 0 0
− sin β cos γ α˙ sin β sin γ α˙ cos β α˙
⎤ ˙ + cos γ β˙ ⎥ − cos β sin γ α ˙ − sin γ β˙ ⎥ − cos β cos γ α ⎦ 0
(4.69)
Mit (4.60) und (4.69) kann dann auch die partielle Ableitung der kinetischen Energie nach den Lagegrößen über (4.64) berechnet werden. 4.2.4.2 Verallgemeinerte Kräfte und Momente Nimmt man an, dass die Erdbeschleunigung g in negativer z -Richtung wirkt, dann ist das Potential der Gewichtskraft m g durch V =mgz
(4.70)
gegeben. Unter Berücksichtigung von (4.62) erhält man dann ∂V = ∂y
0
0
mg
0
0
0
!
(4.71)
Kräfte und Momente, die nicht über ein Potenzial verfügen, müssen über ihre virtuelle Arbeit in den Euler-Lagrange-Gleichungen berücksichtigt werden. Die Verschiebungen x , y und z in Richtung der Achsen des Inertialsystems und die
4.2 Methoden und Prinzipe
69
Kardanwinkel α, β und γ werden hier als verallgemeinerte Koordinaten verwendet. Dann gilt ⎡
⎤ F,0
Q nk
⎢ ⎢ ⎢ e T M S,K α,K =⎢ ⎢ T ⎢ e β ,K M S,K ⎣ T e γ,K M S,K
⎥ ⎡ ⎥ ⎥ ⎢ ⎥=⎣ ⎥ ⎥ ⎦
⎤ F,0 e α,K
e β ,K
e γ,K
!T
M S,K
⎥ ⎦
(4.72)
wobei angenommen wird, dass die Kraft F im Inertialsystem 0 und das Moment bezüglich des Massenmittelpunktes M S im körperfesten System K dargestellt werden. Die Einheitsvektoren in Richtung der Drehachsen der Kardanwinkel sind im körperfesten Koordinatensystem durch ⎤ ⎤ ⎡ ⎡ ⎡ ⎤ cos β cos γ sin γ ⎥ ⎥ ⎢ ⎢ ⎢0⎥ ⎥ , e β ,K = ⎢ cos γ ⎥ , e γ,K = ⎢ 0 ⎥ (4.73) e α,K = ⎢ − cos β sin γ ⎦ ⎦ ⎣ ⎣ ⎣ ⎦ sin β 0 1 gegeben. Wie ein Vergleich mit (4.60) zeigt, entsprechen die in einer Matrix zusammengefassten Einheitsvektoren der Kinematikmatrix B K ! = BK (4.74) e α,K e β ,K e γ,K In (4.71) eingesetzt, bleibt dann ⎡ Qnk = ⎣
F,0
e α,K e β ,K e γ,K
⎤ !T
M S,K
⎡
⎦=⎣
⎤ F0 B KT M S,K
⎦
(4.75)
4.2.4.3 Euler-Lagrange-Gleichungen Die Euler-Lagrange-Gleichungen (4.46) erfordern noch eine Zeit-Ableitung. Mit (4.68) erhält man für den entsprechenden Term zunächst rein formal ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ T ⎥ ⎢ m y¨T ⎥ m y˙T d ∂T d ⎢ ⎥=⎢ ⎥ ⎢ = ⎦ ⎣ ∗ ⎦ d t ∂ y˙ dt ⎣ T T ˙ B K (y R )TS,K B K (yR )y˙R TS,K y¨R + 2 B K (y R )TS,K B K (yR )y˙R (4.76) wobei die Symmetrie des verallgemeinerten Trägheitstensors
T ∗ ∗ TS,K = B KT (y R )TS,K B K (y R ) = TS,K
(4.77)
70
4 Starre Körper mit kinematischen Bindungen
genutzt wird. Somit lauten die Euler-Lagrange-Gleichungen für die freien Bewegungen eines starren Körpers m y¨T
=
∗ y¨R TS,K
=
F,0 + G ,0 ' (T ∂ ω0K ,K
TS,K B K y˙R − 2 B˙ KT TS,K B K y˙R + B KT M S,K
∂ yR
(4.78)
wobei G ,0 = −∂ V /∂ yT = [0 0 − m g ]T die im Inertialsystem angegebene Gewichtskraft bezeichnet und mit (4.66) die Winkelgeschwindigkeit ω0K ,K durch den Term B K y˙R ersetzt wird. Neben der Berechnung der zeitlichen Ableitung der Kinematikmatrix B˙ K müssen in (4.78) noch eine Reihe von Matrizenmultiplikationen durchgeführt werden. In der Regel werden deshalb die Euler-Lagrange-Gleichungen in der klassischen Form nur angewendet bei ebenen Mehrkörpersystemen sowie bei Mehrkörpersystemen mit einfachen Bindungsgleichungen und wenig Freiheitsgraden oder bei Drehbewegungen, die jeweils nur um eine Achse erfolgen. 4.2.4.4 Verallgemeinerter Drehimpuls Mit der Definition eines verallgemeinerten Drehimpulses d =
∂T ∂ y˙R
T = B (y R )TK TS,K B (y R )K y˙R
(4.79)
kann jedoch der Berechnungsaufwand deutlich verringert werden. Die Zeitableitung in (4.76) reduziert sich dann auf d dt
∂T ∂ y˙
T
⎤ m y¨T ⎦ =⎣ d˙ ⎡
(4.80)
und die Bewegungsgleichungen (4.78) vereinfachen sich zu y¨T
=
d˙
=
F,0 + G ,0 /m ' (T ∂ ω0K ,K TS,K B K y˙R + B KT M S,K ∂ yR
(4.81) (4.82)
Neben der Kinematikmatrix B K = B K (yR ) wird jetzt nur noch die in (4.69) angegebene partielle Ableitung des Winkelgeschwindigkeitsvektors nach dem TeilLagevektor y R benötigt.
4.2 Methoden und Prinzipe
71
Allerdings können die Differentialgleichungen (4.81) und (4.82) jetzt nur unter Berücksichtigung der algebraischen Gleichungen (4.79) gelöst werden. Kinematische Bindungen lassen sich dabei nur noch über LagrangeMultiplikatoren9 berücksichtigen, da bei dieser Vorgehensweise drei translatorische und drei rotatorische Lagekoordinaten zur Darstellung der Bewegungsgleichungen benötigt werden. 4.2.4.5 Differential-Algebraisches System vom Index 1 Das Differential-Algebraische System, das zum Index 1 Typ10 zählt, kann mit den impliziten Matlab-Solvern ode23t und ode15s gelöst werden. Dazu muss das System allerdings in die Form M x˙ = f (t , x ) gebracht werden. Mit (4.81), (4.82) und (4.79) erhält man ⎤ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎡ y˙T E 3×3 03×3 03×3 03×3 03×3 y˙T ⎥ ⎥⎢ ⎥ ⎢ ⎢ ⎥ y˙R ⎢ 03×3 E 3×3 03×3 03×3 03×3 ⎥⎢ y˙R ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥⎢ ⎥ ⎢ ⎢ ⎥ ⎢ 03×3 03×3 E 3×3 03×3 03×3 ⎥⎢ y¨T ⎥ = ⎢ F,0 + G ,0 /m ⎥ ⎥⎢ ⎥ ⎢ ∂ ω T ⎢ ⎥ ⎥ ⎥ ⎢0 ⎢ 0K ,K T ˙ TS,K B K y˙R + B K M S,K ⎥ ⎣ 3×3 03×3 03×3 E 3×3 03×3 ⎦⎣ d ⎦ ⎢ ∂ y R ⎦ ⎣ y¨R 03×3 03×3 03×3 03×3 03×3 d − B KT TS,K B K y˙R
M x˙ f (t , x ) (4.83) wobei E 3×3 eine 3×3-Einheitsmatrix und 03×3 eine 3×3-Nullmatrix bezeichnen. Obwohl die Matrix M singulär ist |M | = 0, kann das Differential-Algebraische System gelöst werden. Die dazu erforderliche Matlab-Funktion lautet function f = f(t,x) % Euler-Lagrange-Gleichungen global grav0 mass theta % Zustandsgrössen yT = x( 1: 3); % yR = x( 4: 6); % yTp= x( 7: 9); % d = x(10:12); % yRp= x(13:15); %
Lage: x, y, z Kardanwinkel: al, be, ga Lageänderung: verallgemeinerter Dreh-Impuls Winkeländerung
% äussere Kraefte und Momente F0 = mass*grav0; MK = [ 0; 0; 0 ]; % Kinematikmatrix be=yR(2); ga=yR(3); BK = [ cos(ga)*cos(be) -sin(ga)*cos(be) 9 10
vgl. Abschnitt 4.4.2 vgl. Abschnitt 4.4.4
sin(ga) cos(ga)
0 0
; ... ; ...
72
4 Starre Körper mit kinematischen Bindungen
sin(be)
0
1
];
% Ableitung Winkelgeschwindigkeit omega nach Lage yR alp=yRp(1); bep=yRp(2); dody=[0 -sin(be)*cos(ga)*alp -cos(be)*sin(ga)*alp+cos(ga)*bep;... 0 sin(be)*sin(ga)*alp -cos(be)*cos(ga)*alp-sin(ga)*bep;... 0 cos(be)*alp 0 ]; % Ableitungen der kinetischen Energie h = theta*(BK*yRp); dTdy_T = dody’ * h ; % rechte Seite der Dgl f = [ yTp ; ... yRp ; ... F0/mass ; ... dTdy_T+BK’*MK ; ... d-dTdyp_T ];
% % % % %
dTdyp_T = BK’ * h ;
Substitution Lageänderung Substitution Winkeländerung Beschleunigung = Kraft/Masse Momente Definition verallg. Dreh-Impuls
end
Das folgende Matlab-Skript verwendet die Daten aus dem Beispiel in Abschnitt 2.3.4, setzt konsistente11 Anfangsbedingungen, führt die numerische Integration durch und stellt die Ergebnisse grafisch dar. % globale Variable global grav0 mass theta % Erdbeschleunigung und Massen-Geometrie grav0 = [ 0; 0; -9.81 ]; a=0.1; b=0.05; c=0.01; mass=0.1; theta = 1/12*mass*diag( [ b^2+c^2; c^2+a^2; a^2+b^2 ]); % Anfangsbedingungen (Wurf nach oben u. Drehung um y-Achse mit Störung) yT = [0; 0; 0]; yR = [0; 0; 0]; yTp= [0; 0; 7]; yRp= [0; 25; 0]; yRp = yRp + max(yRp)/100; % konsistenter verallgemeinerter Drehimpuls d = theta*yRp ; % mit BK = E für yR = [0; 0; 0] % konstante, aber singuläre "Massenmatrix" E=eye(3,3); N=zeros(3,3); Massma = [ E N N N N ; ... N E N N N ; ... N N E N N ; ... N N N E N ; ... N N N N N ]; % Simulation t0=0; tE=1.5; x0 = [ yT; yR; yTp; d; yRp ]; options=odeset(’Mass’,Massma,’MassSingular’,’yes’ ... ,’RelTol’,1.e-5,’AbsTol’,1.e-8); [t,xout] = ode15s(@sK_DAE_f,[t0 tE],x0,options); % Winkel und Winkelgeschwindigkeiten 11
Anfangsbedingungen, die auch den algebraischen Gleichungen genügen
4.2 Methoden und Prinzipe
73
al =xout(:, 4); be =xout(:, 5); ga =xout(:, 6); alp =xout(:,13); bep=xout(:,14); gap=xout(:,15); ox = cos(ga).*cos(be).*alp + sin(ga).*bep ; oy = -sin(ga).*cos(be).*alp + cos(ga).*bep ; oz = sin(be).*alp + gap; % Grafik subplot(2,1,1) plot(t,[ox,oy,oz]), xlabel(’[s]’), ylabel(’[rad/s]’) grid on, legend(’\omega_x(t)’,’\omega_y(t)’,’\omega_z(t)’) subplot(2,1,2) semilogy(be(25:length(be))*180/pi,diff(t(24:length(t))),’or’) xlabel(’[Grad]’), ylabel(’[s]’), legend(’Schrittweite’)
30
ωy
20 [rad/s]
10
ωz
0
ωx
-10 -20 -30
0
[s]
1
0.5
1.5
Bild 4.3: Winkelgeschwindigkeiten bei instabiler Quaderdrehung
-2
10
[s] -3
10
-4
10
-5
10
-6
10 -100
-80
-60
-40
-20
0
20
40
60 [o] 80
100
Bild 4.4: Von ode15s automatisch gewählte Rechenschrittweite h = h(β )
Damit die Ergebnisse in Bild 4.3 mit denen aus Bild 2.6 übereinstimmen, mussten die Standard-Toleranzen (relativer und absoluter Fehler) des Matlab-Solvers
74
4 Starre Körper mit kinematischen Bindungen
ode15s von Re l Tol = 1.e − 3 und Ab s Tol = 1.e − 6 auf Re l Tol = 1.e − 5 und Ab s Tol = 1.e − 8 verschärft werden. Aufgrund der hier vorliegenden kleinen Trägheiten des Körpers wird der verallgemeinerte Drehimpuls d sehr klein. Bei den Standard-Toleranzen tritt deshalb ein zu großer Fehler in der Algebraischen Gleichung (4.79) auf, der dann das Gesamtergebnis verfälscht. Die Singularität der Kardanwinkel bei β → ±900 ist hier nicht direkt zu ersehen, macht sich aber in einer deutlich reduzierten Rechenschrittweite beim Durchlaufen der singulären Positionen β → ±900 bemerkbar, Bild 4.4.
4.2.5 Beispiel: Räumliches Doppelpendel 4.2.5.1 Lage Ersetzt man bei dem Beispiel aus Abschnitt 4.2.5 die Bushings in B 1 und B 2 durch starre Lager, dann kann die Lage der Massenmittelpunkte S 1 und S 2 gegenüber dem Ursprung des Inertialsystems 0 durch Angabe der Drehmatrizen allein beschrieben werden r01,0 = A 01 r B 1S1,1
und r02,0 = r01,0 + A 01 rS1B 2,1 + A 02 r B 2S2,2
(4.84)
wobei die Vektoren r B 1S1,1 , rS1B 2,1 und r B 2S2,2 aus den geometrischen Abmessungen hervorgehen, Bild 4.5. Verwendet man Euler-Parameter zum Aufbau der Drehmatrizen und fasst diese im Vektor der verallgemeinerten Lagekoordinaten / 0 pE1 y = (4.85) pE2 zusammen, dann erhält man A 01 = A 01 (p E 1 ) = A 01 (y )
und
A 02 = A 02 (p E 2 ) = A 02 (y )
(4.86)
Demzufolge gilt dann auch r01,0 = r01,0 (y )
und
r 02,0 = r02,0 (y )
(4.87)
4.2.5.2 Geschwindigkeit Die Komponenten der Winkelgeschwindigkeitsvektoren, dargestellt in den jeweiligen körperfesten Koordinatensystemen, werden als verallgemeinerte Geschwindigkeiten 0 / ω01,1 (4.88) z = ω02,2
4.2 Methoden und Prinzipe
75
z0 0 B1 y0 x0
a1 b1
rB1S1 x1 S1 y1 c1
m1 z1 rS1B2 B2
rB2S2
m2 S2 y2
x2 z2 c2
a2 b2
Bild 4.5: Räumliches Doppelpendel mit Kugelgelenken in B 1 und B 2
verwendet. Analog zu (2.108) sind die Ableitungen der Euler-Parameter mit den entsprechenden Winkelgeschwindigkeiten über p˙ E 1 =
1 T L (p E 1 ) ω01,1 2 1
(4.89)
und
1 T L (p E 2 ) ω02,2 (4.90) 2 2 verknüpft. Die daraus resultierenden kinematischen Differentialgleichungen lauten in Matrixschreibweise ⎤⎡ ⎡ ⎤ 1 T 0 ⎥ ⎢ ω01,1 ⎥ ⎢ 2 L 1 (p E 1 ) y˙ = ⎣ (4.91) ⎦⎣ ⎦ = K (y ) z 1 T 0 L (p ) ω E 2 02,2 2 2 p˙ E 2 =
Gemäß (4.84) und (4.87) ergeben sich die zeitlichen Ableitungen der Ortsvektoren zu (4.92) v 01,0 = r˙01,0 = A 01 ω01,1 × r B 1S1,1 = v 01,0 (y , z ) und v 02,0 = r˙02,0 = v 01,0 + A 01 ω01,1 × rS1B 2,1 + A 02 ω02,2 × r B 2S2,2 = v 02,0 (y , z ) (4.93)
76
4 Starre Körper mit kinematischen Bindungen
4.2.5.3 Beschleunigung Auf Grund der geschickten Wahl verallgemeinerter Geschwindigkeiten sind die Winkelbeschleunigungen hier in trivialer Weise durch ! ! ˙ 01,1 = E 33 033 z˙ und ω ˙ 02,2 = 033 E 33 z˙ ω (4.94) ∂ ω01,1 ∂ ω02,2 ∂z ∂z bestimmt, wobei E 33 eine 3×3-Einheitsmatrix und 033 eine 3×3-Nullmatrix be˙ S01,0 = 0 und zeichnen. Schein-Winkelbeschleunigungen treten hier nicht auf, ω S ˙ 02,0 = 0. Die zeitliche Ableitung von (4.92) liefert zunächst ω ˙ 01,1 × r B 1S1,1 v˙01,0 = A 01 ω01,1 × ω01,1 × r B 1S1,1 + A 01 ω
(4.95)
Ersetzt man im zweiten Term mit ˙ 01,1 = r˜BT1S1,1 ω ˙ 01,1 ˙ 01,1 × r B 1S1,1 = −r B 1S1,1 × ω ˙ 01,1 = −r˜B 1S1,1 ω ω
(4.96)
das Kreuzprodukt durch die Multiplikation mit einem schiefsymmetrischen Tensor, dann erhält man ! v˙01,0 = A 01 r˜BT1S1,1 033 z˙ + A 01 ω01,1 × ω01,1 × r B 1S1,1 (4.97)
S v˙01,1 ∂ v 01,0 ∂z S die im körperfesten Koorwobei 033 wieder eine 3 × 3-Nullmatrix ist und v˙01,1 dinatensystem 1 dargestellte Schein-Beschleunigung bezeichnet. Die zeitliche Ableitung von (4.93) ergibt
v˙02,0
= + +
v˙01,0 ˙ 01,1 × rS1B 2,1 A 01 ω01,1 × ω01,1 × rS1B 2,1 + A 01 ω ˙ 02,2 × r B 2S2,2 A 02 ω02,2 × ω02,2 × r B 2S2,2 + A 02 ω
(4.98)
Mit (4.95), (4.96) und Umformungen analog zu (4.96) ergibt sich v˙02,0
= + +
˙ 01,1 + A 01 ω01,1 ×ω01,1 ×r B 1S1,1 A 01 r˜BT1S1,1 ω T ˙ 01,1 + A 01 ω01,1 ×ω01,1 ×rS1B 2,1 A 01 r˜S1B 2,1 ω ˙ 02,2 + A 02 ω02,2 ×ω02,2 ×r B 2S2,2 A 02 r˜BT2S2,2 ω
(4.99)
4.2 Methoden und Prinzipe
77
oder ! ∂ v 02,0 z˙ + A 02 A T02 A 01 ω01,1 ×ω01,1 ×r B 1B 2,1 + ω02,2 ×ω02,2 ×r B 2S2,2 ∂z
S v˙02,2 (4.100) ˜ ˜ ˜ wobei mit r B 1B 2,1 = r B 1S1,1 + rS1B 2,1 und r B 1B 2,1 = r B 1S1,1 + rS1B 2,1 Terme aus (4.99) S zusammengefasst werden konnten. Weiter gibt v˙02,2 die im körperfesten Koordinatensystem 2 dargestellte Schein-Beschleunigung an und die partielle Ableitung der Geschwindigkeit v 02,0 nach dem Vektor der verallgemeinerten Geschwindigkeiten z ist durch v˙02,0 =
∂ v 02,0 = ∂z
A 01 r˜BT1B 2,1
A 02 r˜BT2S2,2
!
(4.101)
gegeben. 4.2.5.4 Verallgemeinerte Kräfte und Momente Auf die beiden Teilkörper des räumlichen Doppelpendels werden lediglich die Gewichtskräfte ⎡ ⎡ ⎤ ⎤ 0 0 ⎢ ⎢ ⎥ ⎥ FG 1,0 = ⎣ (4.102) 0 0 ⎦ und FG 2,0 = ⎣ ⎦ −m 1 g −m 2 g eingeprägt. Gemäß (4.57) errechnet sich der Vektor der verallgemeinerten Kräfte und Momente aus K ⎤ M 1,1
⎢ E 33 ⎥6 7 ⎥ S ˙ F v −ω + − m A ×T ω q (y , z ) = ⎣ ⎦ G 1,0 ⎦ ⎣ 01,1 S1,1 01,1 1 01 01,1 033 033 ⎤ ⎤ ⎡ ⎡ T A ⎥ 7 ⎢ 033 ⎥6 ⎢ r˜ S +⎣ + ⎣ B 1B 2,1 01 ⎦ FG 2,0 − m 2 A 02 v˙02,2 ⎦ −ω02,2 ×TS2,2 ω02,2 T
r˜B 2S2,2 A 02 E 33 K M 2,2 (4.103) S S wobei die Schein-Beschleunigungen v˙01,1 und v˙02,2 durch (4.97) sowie (4.100) K K definiert sind und M 1,1 und M 2,2 die Kreiselmomente bezeichnen. Gemäß (4.94) treten bei diesem Beispiel keine Schein-Winkelbeschleunigungen auf. Unter
⎡
T ⎢ r˜B 1S1,1 A 01
⎤
⎡
78
4 Starre Körper mit kinematischen Bindungen
˙ S01,0 = 0 und ω ˙ S02,0 = 0 bleibt dann Beachtung von ω ⎡
⎢r˜B 1S1,1 q (y , z )= ⎢
⎣ S K − M 2,2 r˜B 2S2,2 FG 2,2 −m 2 v˙02,2 S FG 1,1 −m 1 v˙01,1
K −M 1,1 + r˜B 1B 2,1
S FG 2,1 −m 2 A T01 A 02 v˙02,2
⎤ ⎥ ⎥ ⎦
(4.104) wobei mit FG 1,1 =A T01 FG 1,0 , FG 2,1 =A T01 FG 2,0 und FG 2,2 =A T02 FG 2,0 die Gewichtskräfte vom Inertialsystem in die körperfesten Koordinatensysteme 1 und 2 transformiert wurden. 4.2.5.5 Massenmatrix Die Massenmatrix für das räumliche Doppelpendel errechnet sich gemäß (4.58) aus M (y ) = +
T ∂ v 01,0
∂z ∂
T v 02,0
∂z
m1
m2
∂ v 01,0 ∂z ∂ v 02,0 ∂z
+ +
∂ ωT01,1 ∂z ∂
ωT02,1 ∂z
TS1,1
TS2,2
∂ ω01,1 ∂z
(4.105)
∂ ω02,2 ∂z
wobei m 1 , m 2 die Massen der beiden Körper und TS1,1 , TS2,2 die im jeweiligen körperfesten Koordinatensytem dargestellten Trägheitstensoren bezogen auf die jeweiligen Massenmittelpunkte darstellen. Eingesetzt bleibt ⎡ ⎢ M (y ) = ⎣
⎤ r˜B 1S1,1 A T01 033
⎥ ⎦ m1
8
⎤ T 8 ˜ r A ⎥ ⎢ + ⎣ B 1B 2,1 01 ⎦ m 2 A 01 r˜BT1B 2,1 r˜B 2S2,2 A T02 ⎡
⎡
⎤
8 9 ⎢ E 33 ⎥ +⎣ ⎦ TS1,1 E 33 033 033 ⎤ ⎡ 9 8 9 0 ⎢ 33 ⎥ A 02 r˜BT2S2,2 + ⎣ ⎦ TS2,2 033 E 33 E 33 (4.106)
A 01 r˜BT1S1,1 033
9
oder ausmultipliziert ⎡
⎤ T T T T ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ T r r r r r r + m + m m A A 01 1 2 B 1B 2,1 2 B 1B 2,1 02 B 1B 2,1 S1,1 B 1S1,1 B 1S1,1 B 2S2,2 ⎢ ⎥ M (y ) = ⎣ ⎦ m 2 r˜B 2S2,2 A T02 A 01 r˜BT1B 2,1 TS2,2 + m 2 r˜B 2S2,2 r˜BT2S2,2 (4.107) Die 6×6 Massenmatrix ist voll besetzt. Auf den Hauptdiagonalen treten mit TB 1,1 = TS1,1 + m 1 r˜B 1S1,1 r˜BT1S1,1
und TB 2,2 = TS2,2 + m 2 r˜B 2S2,2 r˜BT2S2,2
(4.108)
4.2 Methoden und Prinzipe
79
die Trägheitstensoren der Körper bezüglich der Gelenkpunkte B 1 und B 2 auf. In die Nebendiagonalblöcke gehen die Drehmatrizen A 01 und A 02 ein. Die Massenmatrix ist somit nicht konstant, sondern von den Lagegrößen y abhängig. 4.2.5.6 Zustandsänderung Die zeitliche Änderung y˙ des Vektors der verallgemeinerten Koordinaten ist mit der kinematischen Differentialgleichung (4.91) in expliziter Form gegeben. Die Bewegungsgleichung (4.56) allerdings stellt ein lineares Gleichungssystem dar, dass erst nach den Ableitungen z˙ der verallgemeinerten Geschwindigkeiten aufgelöst werden muss. Da die Massenmatrix stets symmetrisch ist, kann eine Zerlegung nach Cholesky12 durchgeführt werden. Die Massen-Matrix wird dabei als Produkt einer unteren Dreiecksmatrix L, einer Diagonalmatrix D und der transponierten der Dreiecksmatrix dargestellt ⎡
⎢ 1 0 ··· ⎢ ⎢ L 21 1 0 T M = LD L = ⎢ ⎢L L ⎢ 31 32 1 ⎣ . .. . . .. . .
⎤⎡ 0 ⎥ ⎢ D1 .. ⎥ ⎢ ⎢ . ⎥ ⎥⎢ 0 ⎥ 0 ⎥⎢ ⎢ 0 . . ⎦ ⎣ .. . .
⎤⎡ 0 · · · 0 ⎥ ⎢ 1 L 21 . ⎥⎢ 0 1 ⎢ D 2 0 .. ⎥ ⎥⎢ . . ⎥ 0 D2 0 ⎥ ⎢ ⎢. 0 .. . . . . ⎦ ⎣ .. .. . . . . .
⎤ L 31 · · · ⎥ L 32 · · · ⎥ ⎥ .. ⎥ (4.109) .⎥ 1 ⎥ . ⎦ 0 ..
Die Bewegungsgleichung (4.56) kann dann mit L a1 = q ,
D a2 = a1
und
L T z˙ = a 2
(4.110)
in gestaffelte Gleichungssysteme überführt werden, die durch einfaches Einsetzen gelöst werden können. Obwohl das Cholesky-Verfahren sehr effizient ist, steigt der Rechenaufwand mit der dritten Potenz der Dimension des Differentialgleichungssystems, O(n 3 )-Verfahren. Bei Mehrkörpersystemen mit vielen Freiheitsgraden und kinematischen Bindungen verursacht das einen erheblichen Rechenaufwand. 4.2.5.7 Simulationsergebnisse Die kinematische Differentialgleichung (4.91) und die nach den Beschleunigungen aufgelöste Bewegungsgleichung (4.56) können in der Zustandsgleichung x˙ = f (t , x ) zusammengefasst werden. Die entsprechende Matlab-Funktion lautet: 12
André-Louis Cholesky französischer Mathematiker (15.10.1875-31.08.1918)
80
4 Starre Körper mit kinematischen Bindungen
function xp = f(t,x) global global
% Räumliches Doppelpendel mit kin. Bindungen
mass1 theta1 mass2 theta2 rB1S11 rB2S22 rB1B21
% Zustandsgrössen pE1 = x( 1: 4); om011 = x( 9:11);
gvek
pE2 = x(5:8); om022 = x(12:14);
% Drehmatrizen [A01,G1,L1] = A0K_EP(pE1); [A02,G2,L2] = A0K_EP(pE2);
A12 = A01’*A02;
% Aenderungen der Lagegrössen yp = 0.5 * [ L1’*om011; L2’*om022 ] ; % Richtungsvektoren der Rotation dom011dz = [ eye(3,3) zeros(3,3) ]; dom022dz = [ zeros(3,3) eye(3,3) ]; % Richtungsvektoren der Translation dv010dz = [ A01*vec2tilde(rB1S11)’ dv020dz = [ A01*vec2tilde(rB1B21)’
zeros(3,3) ]; A02*vec2tilde(rB2S22)’ ];
% Scheinbeschleunigungen vpS011 = cross(om011,cross(om011,rB1S11)); vpS022 = A12’*cross(om011,cross(om011,rB1B21)) ... + cross(om022,cross(om022,rB2S22)); % Massenkräfte (Gewichts und Scheinkräfte) F10 = mass1*( gvek - A01*vpS011 ) ; F20 = mass2*( gvek - A02*vpS022 ) ; % Kreiselmomente MSK11 = - cross(om011,theta1*om011) ; MSK22 = - cross(om022,theta2*om022) ; % verallgemeinerte Kräfte und Momente q = dv010dz’*F10 + dom011dz’*MSK11 ... + dv020dz’*F20 + dom022dz’*MSK22; % Massenmatrix Massma = dv010dz’*(mass1*dv010dz) + dom011dz’*theta1*dom011dz ... + dv020dz’*(mass2*dv020dz) + dom022dz’*theta2*dom022dz; % Beschleunigungen zp = Massma\q; % Zustandsänderung xp = [ yp; zp ]; end
Die schiefsymmetrischen Tensoren werden dabei über die Matlab-Funktion function tilde = vec2tilde(vec) tilde = [ 0 -vec(3) vec(2)
; ...
4.2 Methoden und Prinzipe
vec(3) -vec(2)
81
0 -vec(1) ; ... vec(1) 0 ];
end
aus den entsprechenden Vektoren erzeugt. Das Matlab-Skript % globale Variable global mass1 theta1 mass2 theta2 global rB1S11 rB2S22 rB1B21
gvek
% Koerper 1 und 2 (homogene Quader) % Abmessungen [m] a1 = 0.02 ; b1 = 0.03 ; c1 = 0.08 ; a2 = 0.02 ; b2 = 0.03; c2 = 0.12 ; % Massen [kg] rho = 700; % Dichte Holz [kg/m^3] mass1 = rho*a1*b1*c1; mass2 = rho*a2*b2*c2; % Traegheitstensor 1 (Diagonalform) [kgm^2] theta1 = 1/12*mass1*diag( [ b1^2+c1^2; c1^2+a1^2; a1^2+b1^2 ]); % Traegheitstensor 2 (Diagonalform) [kgm^2] theta2 = 1/12*mass2*diag( [ b2^2+c2^2; c2^2+a2^2; a2^2+b2^2 ]); % Erbeschleunigung [m/s^2] gvek = [ 0; 0; -9.81 ]; % Position Lager 1 und 2 r0B10 = [ 0 ; 0; 0 ]; r0B20 = [ a1 ; b1; c1 ]; % Anfangsbedingungen % Lage Massenmittelpunkte r010 = [ a1/2; b1/2; c1/2 ]; r020 = [ a1+a2/2; b1+b2/2; c1-c2/2 ] ; % Orientierung pE1 = [ 1; 0; 0; 0]; pE2 = [ 1; 0; 0; 0]; % Geschwindigkeiten v010 = [ 0; 0; 0 ]; om011 = [ 0; 0; 0 ]; v020 = [ 0; 0; 0 ]; om022 = [ 0; 0; 0 ]; % Lage von S1 relativ zu B1 A01 = A0K_EP(pE1); rB1S11 = A01’ * ( r010 - r0B10 ); % Lage von S2 relativ zu B2 A02 = A0K_EP(pE2); rS1B21 = A01’ * ( r0B20 - r010 ); rB2S22 = A02’ * ( r020 - r0B20 ); % Lager 1 --> Lager 2 rB1B21 = rB1S11 + rS1B21; % Zeitsimulation [t,xout]=ode45(@mks_kinematisch_2_f,[0,1],[pE1;pE2;om011;om022]); % Position Massenmittelpunkte errechnet aus Orientierung r1 = zeros(3,length(t)); r2 = zeros(3,length(t)); for i=1:length(t) [A01,G,L] = A0K_EP(xout(i,1:4)); r1(:,i) = A01*rB1S11; [A02,G,L] = A0K_EP(xout(i,5:8)); r2(:,i) = A01*(rB1S11+rS1B21) + A02*rB2S22;
82
4 Starre Körper mit kinematischen Bindungen
end % Grafik axes(’Position’,[0.15,0.35,0.275,0.30]) plot(r1(1,:),r1(3,:),’or’,’Linewidth’,1,’Markersize’,4), plot(r2(1,:),r2(3,:),’^b’,’Linewidth’,1,’Markersize’,4), axis equal, legend(’S_1’,’S_2’), title(’xz-Ebene’) axes(’Position’,[0.60,0.35,0.275,0.30]) plot(r1(2,:),r1(3,:),’or’,’Linewidth’,1,’Markersize’,4), plot(r2(2,:),r2(3,:),’^b’,’Linewidth’,1,’Markersize’,4), axis equal, legend(’S_1’,’S_2’), title(’yz-Ebene’)
hold on grid on
hold on grid on
stellt die Daten zur Verfügung, setzt die Anfangsbedingungen, führt die numerische Integration durch und stellt die Bewegungen der Massenmittelpunkte S 1 und S 2 im Zeitintervall 0 ≤ t ≤ 1 s in der x 0 -z 0 - und y0 -z 0 -Ebene dar, Bild 4.6. S1
t=0
z0
0 cm -5
B2 S1
B1
-10
S2
-5
-5
S1
t=0 S2
-10
x0
-15 x0-z0-Ebene -10
S2 y 0
cm 0
0
5 cm 10
-15 y0-z0-Ebene Startkonfiguration -10 -5 0 (t = 0 s)
5 cm 10
Bild 4.6: Modellvergleich: kinematischen Bindungen gegenüber steifen Bushings
Im Vergleich zum Bild 3.11, das die Ergebnisse des Modell mit elastischen Bushings zeigt, verläuft die Bewegungen von S 2 nun auf einer deutlich stärker gekrümmten Bahn. Die durchgezogenen Linien stellen die Ergebnisse einer Simulation mit steifen Bushings13 dar. Bis auf kleine Abweichungen am Ende der Simulation stimmen die Ergebnisse überein. Selbst bei der Verwendung des Matlab-Solvers ode15s, der eine effiziente Lösung steifer Differentialgleichungssysteme gewährleistet, dauert die Simulation mit steifen Bushings fast 50 mal länger als die mit dem Matlab-Solvers ode45 durchgeführte Berechnung für das kinematische Modell. Steife Bushings oder steife Feder-Elemente sollten deshalb in der Regel durch kinematische Bindungen modelliert werden. Bei vielen kinematisch verbundenen Körpern ist das klassische Verfahren nach D’Alembert oder Jourdain allerdings nicht optimal. Die Berechnung der Restbeschleunigungen wird immer 13
Die Steifigkeiten aus Abschnitt 4.2.5 wurden dabei um den Faktor 1000 und die Dämpfungen um den Faktor 100 erhöht
4.3 Rekursiver Algorithmus
83
komplexer und mit zunehmender Anzahl der Freiheitsgrade steigt der Aufwand bei der Cholesky-Zerlegung. Der im folgenden Abschnitt vorgestellte rekursive Algorithmus vermeidet diese Nachteile.
4.3 Rekursiver Algorithmus 4.3.1 Kinematik Bei rekursiven Algorithmen werden die Körper relativ zueinander beschrieben. Für einen Körper k , der in B über eine kinematische Bindung an den Körper j gekoppelt ist, bedeutet dies
und
A 0k = A 0j A j k
(4.111)
r0k ,0 = r0j ,0 + A 0j r j B,j + A j k r Bk ,k
r j k ,j
(4.112)
wobei die Drehmatrix A 0j und der Ortsvektor r 0j ,0 die Orientierung und Lage des j -ten Körpers gegenüber dem Inertialsystem angeben, Bild 4.7. Der Vektor r j B,j legt die Position der kinematischen Bindung auf dem Körper j fest.
zj
z0
Sj
y0 r0j
0 x0
xj
rBk yj
Körper j
rjB
Sk xk
B
zk yk
Körper k
Bild 4.7: Relative Lagebeschreibung
Fasst man die verallgemeinerten Koordinaten, die zur eindeutigen Lagebeschreibung von Körper k gegenüber dem Körper j erforderlich sind, im Vektor der Relativ-Koordinaten y k zusammen, dann gilt A j k = A j k (y k )
und
r j k ,j = r j ,k (y k )
(4.113)
84
4 Starre Körper mit kinematischen Bindungen
Der Geschwindigkeitszustand des k -ten Körpers ist dann durch ω0k ,0
=
ω0j ,0 + A 0j ω j k ,j
r˙0k ,0 = v 0k ,0
=
v 0j ,0 + ω0j ,0 × A 0j r j k ,j + A 0j r˙j k ,j
(4.114)
gegeben. Wegen (4.113) gilt ωj k ,j = K k (y k ) y˙k
und
r˙j k ,j =
∂ r j k ,j ∂ yk
y˙k
(4.115)
wobei K k (yk ) die Kinematikmatrix der Rotation bezeichnet. Mit der Umformung ω0j ,0 ×A 0j r j k ,j = ω0j ,0 ×r j k ,0 = −r j k ,0 ×ω0j ,0 = −r˜j k ,j ω0j ,0 = r˜jTk ,j ω0j ,0
(4.116)
kann der durch (4.114) beschriebene Geschwindigkeitszustand in Matrixform angegeben werden ⎡
⎤
⎡
⎤⎡
⎤
⎡
∂ r j k ,j
⎢ ⎢ v 0k ,0 ⎥ ⎢ E 3×3 ⎥ ⎢ v 0j ,0 ⎥ ∂ yk ⎣ ⎦=⎣ ⎦⎣ ⎦ + A 0j ⎢ ⎣ ω0k ,0 ω0j ,0 03×3 E 3×3 K k (yk )
w 0k ,0 w 0j ,0 Tk Bk r˜jTk ,j
⎤ ⎥ ⎥ y˙k ⎦
(4.117)
wobei E 3×3 eine 3×3 Einheits- und 03×3 eine 3×3 Nullmatrix angeben. Bei einem Mehrkörpersystem mit sukzessiver Anordnung der n Teilkörper kann mit j = k − 1 der Geschwindindigkeitszustand vom Körper k nun in rekursiver Form angegeben werden w 0k ,0 = Tk w 0k−1 ,0 + B k z k
(4.118)
wobei w 0k−1 ,0 den Geschwindigkeitszustand des vorhergehenden Körpers bezeichnet und z k = y˙k triviale verallgemeinerte Geschwindigkeiten definiert. Der Beschleunigungszustand des k -ten Körpers ist dann durch w˙ 0k ,0 = Tk w˙ 0k−1 ,0 + B k z˙ k + T˙k w 0k−1 ,0 + B˙ k z k
S w˙ 0k ,0
(4.119)
S festgelegt, wobei der Term w˙ 0k ,0 die Scheinbeschleunigungen am Körper k zusammenfasst.
4.3 Rekursiver Algorithmus
85
4.3.2 Bewegungsgleichung Wie in Abschnitt 2.3 gezeigt, können die Bewegungsgleichungen des starren Körpers (Impuls- und Drallsatz) im Inertialsystem 0 angeschrieben werden. Mit dem durch (4.119) gegebenen Beschleunigungszustand lassen sie sich in Matrizenform zusammenfassen M k w˙ 0k ,0 = qke ,0 + qkz ,0 wobei
/ Mk =
m k E 3×3 03×3
03×3 TSk ,0
(4.120) 0
die verallgemeinerte 6 × 6-Massenmatrix angibt. Im 6 × 1-Vektor / 0 Fke,0 e qk ,0 = M ke ,0 − ω0k ,0 × TSk ,0 ω0k ,0
(4.121)
(4.122)
werden neben den im Inertialsystem 0 dargestellten eingeprägten Kräften Fke,0 und Momenten M ke ,0 noch die Kreiselmomente ω0k ,0×TSk ,0 ω0k ,0 mit aufgenommen. Der Vektor qkz ,0 beinhaltet die durch kinematische Bindungen hervorgerufenen Zwangskräfte und -momente.
4.3.3 Elimination der Zwangskräfte Zur Elimination der Zwangskräfte und -momente wird wieder das Jourdainsche Prinzip verwendet. Mit dem virtuellen Geschwindigkeitszustand des k -ten Körpers, der entsprechend (4.118) mit δw k = Tk δw k −1 + B k δz k
(4.123)
ebenfalls in rekursiver Form angegeben werden kann, erhält man analog zu (4.55) ! ! ! T e M n−1 w˙ 0n−1 − q n−1 + δw nT M n w˙ 0n − qne = 0 δw 1T M 1 w˙ 01 − q1e + · · · + δw n−1 (4.124) wobei die Summation über alle n Körper durch das explizite Anschreiben des ersten und der beiden letzten Glieder ausgedrückt wird. Hier und im Folgenden wird auf den durch Komma abgetrennten Index 0 zur Kennzeichnung der Darstellung im Inertialsystem 0 verzichtet. Mit den rekursiven Beziehungen (4.119) und (4.123) erhält man für das letzte Glied !
! S δw nT M n w˙ 0n − q ne = (Tn δw n−1 + B n δz n )T M n Tn w˙ 0n−1 + B n z˙ n + w˙ 0n − qne (4.125)
86
4 Starre Körper mit kinematischen Bindungen
Ausmultipliziert bleibt δw nT M n w˙ 0n − qne
!
=
T S δw n−1 TnT M n Tn w˙ 0n−1 + M n B n z˙ n + M n w˙ 0n − q ne
!
! S − q ne δz nT B nT M n Tn w˙ 0n−1 + M n B n z˙ n + M n w˙ 0n (4.126) Man erkennt, dass nur noch ein Ausdruck übrig bleibt, der mit der virtuellen Geschwindigkeit δz n des letzten Körpers multipliziert wird. Da die virtuellen Geschwindigkeiten aber willkürlich sind, muss deshalb
! S B nT M n Tn w˙ 0n−1 + M n B n z˙ n − qne − M n w˙ 0n =0 (4.127) +
gelten. Die beiden letzten Terme in (4.124) reduzieren sich damit auf ! ! T e T S M n−1 w˙ 0n−1 −qn−1 + δw n−1 δw n−1 TnT M n Tn w˙ 0n−1 +M n B n z˙ n +M n w˙ 0n −qne (4.128) Die Beziehung (4.127) kann nun rein formal nach den verallgemeinerten Beschleunigungen des letzten (n-ten) Teilkörpers aufgelöst werden
−1
S (4.129) z˙ n = B nT M n B n B nT qne − M n w˙ 0n − M n Tn w˙ 0n−1 In (4.128) eingesetzt und nach Termen geordnet bleibt 8
−1 T δw n−1 B nT M n Tn w˙ 0n−1 M n−1 + TnT M n Tn − TnT M n B n B nT M n B n
−1
9 e S − qn−1 − TnT − TnT M n B n B nT M n B n B nT qne − M n w˙ 0n
(4.130)
Der Vergleich dieses nun letzten (n − 1 -ten) Gliedes mit dem anfangs letzten (n -ten) Glied in (4.124) zeigt formale Übereinstimmung, wenn mit
ˆ n−1 = M n−1 + T T − T T M n B n B T M n B n −1 B T M n Tn M (4.131) n n n n und
−1
e e S qˆn−1 = qn−1 + TnT − TnT M n B n B nT M n B n B nT qne − M n w˙ 0n
(4.132)
e ˆ n−1 und ein modifizierter Vektor qˆn−1 der eine modifizierte Massenmatrix M verallgemeinerten Kräfte und Momente eingeführt werden. Die Summation in (4.124) reduziert sich somit auf die verbleibenden n − 1 Körper und kann mit (4.131) und (4.132) in der Form
δw 1T M 1 w˙ 01,0 −q1e
!
+
···
+
T e δw n−2 M n−2 w˙ 0n−2 −qn−2
+
T δw n−1
e ˆ n−1 w˙ ˆn−1 M 0n−1 −q
! !
(4.133) =0
4.3 Rekursiver Algorithmus
87
angeschrieben werden. Mit (4.119) und (4.123) können nun im jetzt letzen (n−1ten) Glied der Beschleunigungszustand w˙ 0n−1 und die virtuelle Geschwindigkeit δw n−1 wieder in rekursiver Form angeschrieben werden. Dann kann analog zum Vorgehen in (4.124) bis (4.128) die Summation um einen weiteren Körper reduziert werden. Schritt für Schritt ergeben sich so entsprechend (4.129) die Beschleunigung der einzelnen Teilkörper k = 1(1)n aus z˙ k =
ˆ k Bk B kT M
−1
ˆ k w˙ S − M ˆ k Tk w˙ 0k −1 B kT qˆke − M 0k
(4.134)
wobei die modifizierten Massenmatrizen und die modifizierten Vektoren der verallgemeinerten Kräfte und Momente analog zu (4.133) in rekursiver Form nun durch ˆ k−1 M
=
M k−1
+
e qˆk−1
=
e qk−1
+
−1 T ˆ ˆ k Bk B T M ˆ k Bk TkT − TkT M B k k M k Tk
−1
ˆ k w˙ S ˆ k Bk B T M ˆ k Bk TkT − TkT M B kT qˆke − M k 0k (4.135)
gegeben sind. Die Rekursion wird mit ˆ n = Mn M
und qˆne = qne
(4.136)
beim letzten (k = n) Körper gestartet und dann rückwärts (k = n(−1)1) bis zum ersten Körper weitergeführt.
4.3.4 Zusammenfassung Der rekursive Algorithmus erfordert drei wesentliche Schritte: 1. In einer Vorwärtsrekursion von k = 1 bis k = n werden die Lage, die Geschwindigkeit und die Beschleunigung der einzelnen Körper berechnet. Ferner werden die auf die einzelnen Körper eingeprägten Kräfte und Momente bereitgestellt. Mit der Berechnung des Geschwindigkeitszustandes w k werden gemäß (4.118) auch die Verteilungsmatrizen TK und B K gewonnen. 2. In einer Rückwärtsrekursion von k = n bis k = 2 werden aus (4.135) ˆ k −1 und die erweiterten Vektodie verallgemeinerten Massenmatrizen M ren der verallgemeinerten Kräfte und Momente qˆke −1 , die hier auch die Scheinkräfte und -momente enthalten, ermittelt.
88
4 Starre Körper mit kinematischen Bindungen
3. Eine weitere Vorwärtsrekursion liefert dann aus (4.134) mit z˙ 1 bis z˙ n die verallgemeinerten Beschleunigungsvektoren der einzelnen Teilkörper. Bei den rekursiven Verfahren steigt der Berechnungsaufwand in etwa linear mit der Anzahl der Körper. Man spricht deshalb von einem O(n)-Verfahren. Die Vorteile dieser Verfahren gegenüber den klassischen O(n 3 )-Verfahren zahlen sich im Allgemeinen wegen zusätzlich erforderlicher Rechenschritte aber erst bei Mehrkörpersystemen mit vielen Körpern aus.
4.3.5 Beispiel: Ebenes Mehrfachpendel 4.3.5.1 Erste Vorwärtsrekursion Drei Pendel mit der Masse m und der Trägheit Θ werden zu einem ebenen Dreifach-Pendel zusammengefügt, Bild 4.8. Die Bewegungen erfolgen in der x 0 y0 -Ebene und werden durch die drei Winkel ϕ1 , ϕ2 und ϕ3 beschrieben. y0 S3 s S2 s 0
S1 a
m, Θ
a
s
ϕ3
ϕ2
G23
m, Θ ϕ1 G12
m, Θ
x0
Bild 4.8: Ebenes Dreifachpendel
Das erste Pendel ist im Ursprung des Inertialsystems 0 gelenkig gelagert. Die Lage und Orientierung wird deshalb durch ⎡ ⎡ ⎤ ⎤ s cos ϕ1 cos ϕ1 − sin ϕ1 0 ⎢ ⎢ ⎥ ⎥ (4.137) r01,0 = ⎣ s sin ϕ1 ⎦ und A 01 = ⎣ sin ϕ1 cos ϕ1 0 ⎦ 0 0 0 1 beschrieben, wobei s den Abstand des Massenmittelpunktes S 1 vom Gelenk in 0 angibt. Der Geschwindigkeitszustand ist durch ⎡ ⎡ ⎤ ⎤ −s sin ϕ1 0 ∂ r01,0 ⎢ ⎢ ⎥ ⎥ v 01,0 = ϕ˙ 1 = ⎣ s cos ϕ1 ⎦ ϕ˙ 1 und ω01,0 = ⎣ 0 ⎦ ϕ˙ 1 = K 1 ϕ˙ 1 (4.138) ∂ ϕ1 1 0
4.3 Rekursiver Algorithmus
89
gegeben, wobei auf Grund der einfachen Drehbewegung eine triviale Kinematikmatrix K 1 auftritt. Zusammengefasst bleibt / w 01,0 =
v 01,0 ω01,0
0
⎡
⎤ ∂ r01,0 ⎢ ⎥ ∂ ϕ1 ⎥ =⎢ ⎣ ⎦ ϕ˙ 1 = B 1 z 1 K1
(4.139)
wobei der Vektor der verallgemeinerten Geschwindigkeiten für den ersten Körper mit z 1 = ϕ˙ 1 nur eine triviale verallgemeinerte Geschwindigkeit enthält und B 1 eine für die rekursive Formulierung in (4.118) erforderliche Verteilungsmatrix angibt. Da der erste Körper relativ zum Inertialsystem 0 beschrieben wird, tritt hier die Verteilungsmatrix T1 nicht auf. Zur Berechnung des Beschleunigungszustandes sind entsprechend (4.119) die Ableitungen der Verteilungsmatrizen erforderlich. Beim ersten Körper reduziert sich das auf die Ableitung der Matrix B 1 , die dann gemäß (4.139) durch ⎡
d ⎢ dt B˙ 1 = ⎢ ⎣
∂ r01,0 ∂ ϕ1
K˙1
⎤ ⎥ ⎥ ⎦
mit
d dt
∂ r01,0 ∂ ϕ1
⎡
⎤ ⎡ ⎤ ˙ cos ϕ −s ϕ 0 1 1 ⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎥ ˙ = =⎢ und K ˙ ⎣0⎦ 1 ⎣ −s ϕ1 sin ϕ1 ⎦ 0 0 (4.140)
gegeben ist. Lage und Orientierung des zweiten Pendels werden nun relativ zum ersten beschrieben, wobei angenommen wurde, dass die Gelenkpunkte in 0 und G 12 und der Massenmittelpunkt des ersten Pendels S 1 auf einer Linie liegen. Bezeichnen a und s die Abstände zwischen S 1 und G 12 und G 12 und S 2 , dann erhält man ⎡ ⎤ a + s cos ϕ2 ⎢ ⎥ r02,0 = r01,0 + A 01 r12,1 mit r12,1 = ⎣ s sin ϕ2 (4.141) ⎦ 0 r 12,0
und
⎡
A 02 = A 01 A 12
cos ϕ2 ⎢ mit A 12 = ⎣ sin ϕ2 0
⎤ 0 ⎥ 0 ⎦ 1
− sin ϕ2 cos ϕ2 0
(4.142)
Für die Geschwindigkeit des zweiten Pendels erhält man v 02,0 = v 01,0 + r˙12,0
mit r˙12,0 = ω01,0 × r12,0 + A 01
∂ r12,1 ϕ˙ 2 ∂ ϕ2
(4.143)
90
4 Starre Körper mit kinematischen Bindungen
wobei die Ableitung des Ortsvektors r12,1 nach der verallgemeinerten Koordinate ϕ2 gemäß (4.141) durch ⎡
∂ r 12,1 ∂ ϕ2
⎤ −s sin ϕ 2 ⎥ ⎢ ⎥ =⎢ s cos ϕ 2 ⎦ ⎣ 0
(4.144)
gegeben ist. Die Winkelgeschwindigkeit ist durch ⎡
ω02,0 = ω01,0 + A 01 ω12,1
⎤ 0 ⎢ ⎥ mit ω12,1 = ⎣ 0 ⎦ ϕ˙ 2 = K 2 ϕ˙ 2 1
(4.145)
bestimmt, wobei auf Grund der einfachen Drehbewegung mit K 2 wieder eine triviale Kinematikmatrix auftritt. T Mit der Umformung ω01,0 × r12,0 = −r12,0 × ω01,0 = r˜12,0 ω01,0 kann der Geschwindigkeitszustand des zweiten Körpers in rekursiver Form angegeben werden ⎡ ⎤ ∂ r12,1 / 0 / 0/ 0 T ⎢ A 01 ⎥ v 02,0 E 3×3 r˜12,0 v 01,0 ∂ ϕ2 ⎥ ϕ˙ 2 = +⎢ (4.146) ⎣ ⎦ ω02,0 03×3 E 3×3 ω01,0 A 01 K 2
z2
w 02,0 w 01,0 T2 B2 wobei der Vektor der verallgemeinerten Geschwindigkeiten für den zweiten Körper mit z 2 = ϕ˙ 2 wieder nur eine triviale verallgemeinerte Geschwindigkeit enthält. Für die Ableitungen der Verteilungsmatrix T2 erhält man d T˙2 = dt
/
E 3×3 03×3
T r˜12,0 E 3×3
0
⎡ 03×3 =⎣ 03×3
⎤ T r˜˙12,0 ⎦ 03×3
(4.147)
wobei die absolute Änderung der relativen Lage r˙12,0 bereits in (4.143) berechnet wurde. Die Ableitung der Verteilungsmatrix B 2 ergibt zunächst ∂ r12,1 ∂ r12,1 d + A 01 ⎢ ω01,0 × A 01 ∂ ϕ2 dt ∂ ϕ2 B˙ 2 = ⎢ ⎣ ω01,0 × A 01 K 2 + A 01 K˙2 ⎡
⎤ ⎥ ⎥ ⎦
(4.148)
4.3 Rekursiver Algorithmus
91
Die zeitlichen Ableitungen der partiellen Ableitung des Ortsvektors r 12,1 nach der verallgemeinerten Koordinate ϕ2 und der Kinematikmatrix K 2 sind dann analog zu den entsprechenden Termen in (4.140) durch
d dt
∂ r12,1 ∂ ϕ2
⎡
⎤ ˙ −s ϕ cos ϕ 2 2 ⎢ ⎥ ⎥ =⎢ ˙ −s ϕ sin ϕ 2 2 ⎣ ⎦ 0
⎤ 0 ⎥ ⎢ ⎥ K˙2 = ⎢ 0 ⎦ ⎣ 0 ⎡
und
(4.149)
gegeben. Schließlich erhält man für das dritte Pendel ⎡
r03,0 = r02,0 + A 02 r23,2 r23,0 und
⎤ a + s cos ϕ3 ⎢ ⎥ mit r23,2 = ⎣ s sin ϕ3 ⎦ 0 ⎡
A 03 = A 02 A 23
cos ϕ3 ⎢ mit A 23 = ⎣ sin ϕ3 0
− sin ϕ3 cos ϕ3 0
⎤ 0 ⎥ 0 ⎦ 1
(4.150)
(4.151)
wobei die Gelenkpunkte in G 12 und G 23 sowie der Massenmittelpunkt des zweiten Pendels S 2 auf einer Linie liegen und a und s nun die Abstände zwischen S 2 und G 23 und G 23 und S 3 bezeichnen. Die Geschwindigkeit des dritten Pendels ist analog zu (4.143) durch v 03,0 = v 02,0 + r˙23,0
mit r˙23,0 = ω02,0 × r23,0 + A 02
∂ r23,2 ϕ˙ 3 ∂ ϕ3
(4.152)
gegeben, wobei die partielle Ableitung des Ortsvektors r23,2 nach dem Pendelwinkel ϕ3 aus ⎤ ⎡ −s sin ϕ3 ∂ r23,2 ⎢ ⎥ (4.153) = ⎣ s cos ϕ3 ⎦ ∂ ϕ3 0 folgt. Die Winkelgeschwindigkeit ist dann durch ⎡
ω03,0 = ω02,0 + A 02 ω23,2
⎤ 0 ⎢ ⎥ mit ω23,2 = ⎣ 0 ⎦ ϕ˙ 3 = K 3 ϕ˙ 3 1
(4.154)
92
4 Starre Körper mit kinematischen Bindungen
bestimmt. Analog zu (4.146) bleibt der Geschwindigkeitszustand in rekursiver Form ⎡ ⎤ / 0 / 0/ 0 ∂ r23,2 T ⎢ ⎥ A 02 v 03,0 E 3×3 r˜23,0 v 02,0 ∂ ϕ3 ⎥ ϕ˙ 3 = +⎢ (4.155) ⎣ ⎦ ω03,0 03×3 E 3×3 ω02,0 A K 02 3
z3
w 03,0 w 02,0 T3 B3 wobei der Vektor der verallgemeinerten Geschwindigkeiten für den dritten Körper mit z 3 = ϕ˙ 3 wieder nur eine triviale verallgemeinerte Geschwindigkeit enthält. Für die Ableitungen der Verteilungsmatrizen T3 und B 3 erhält man dann ⎤ / 0 ⎡ T ˜˙T d ˜ r r E 0 3×3 3×3 23,0 23,0 ⎦ T˙3 = (4.156) =⎣ dt 03×3 E 3×3 03×3 03×3 und
∂ r23,2 d ∂ r23,2 + A 02 ⎢ ω02,0 × A 02 ∂ ϕ3 dt ∂ ϕ3 B˙ 3 = ⎢ ⎣ ω02,0 × A 02 K 3 + A 02 K˙3 ⎡
⎤ ⎥ ⎥ ⎦
(4.157)
wobei die absolute Änderung der relativen Lage r˙23,0 bereits in (4.152) berechnet wurde und die zeitlichen Ableitungen der partiellen Ableitung des Ortsvektors r23,2 nach der verallgemeinerten Koordinate ϕ3 und der Kinematikmatrix K 3 durch ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ˙ −s ϕ cos ϕ 0 3 3 ⎢ ⎥ ⎢ ⎥ d ∂ r23,2 ⎥ und K˙3 = ⎢ 0 ⎥ =⎢ (4.158) ˙ −s ϕ sin ϕ 3 3 ⎣ ⎦ ⎣ ⎦ dt ∂ ϕ3 0 0 gegeben sind. Da alle drei Körper k = 1, 2, 3 nur durch ihr Eigengewicht m g belastet werden, sind die Vektoren der verallgemeinerten Kräfte und Momente, die ja gemäß (4.122) auch die Kreiselmomente beinhalten, durch / 0 m g ,0 e (4.159) qk ,0 = −ω0k ,0 × TSk ,0 ω0k ,0 gegeben, wobei g ,0 den im Inertialsystem dargestellten Vektor der Erdbeschleunigung bezeichnet. Auf Grund der Darstellung im Inertialsystem müssen die Trägheitstensoren mit (4.160) TSi ,0 = A 0i TSi ,i A T0i
4.3 Rekursiver Algorithmus
93
von den körperfesten Koordinatenystemen i = 1, 2, 3 in das Koordinatenystemen 0 transformiert werden. 4.3.5.2 Rückwärtsrekursion Neben den Vektoren der verallgemeinerten Kräfte und Momente q 1e , q2e und q3e , die durch (4.159) gegeben sind, benötigt man zunächst noch die globalen Massenmatrizen M 1 , M 2 und M 3 die sich entsprechend (4.121) aus den Massen m 1 , m 2 , m 3 und dem im Inertialsystem angeschriebenen Trägheitstensoren TS1,0 , TS2,0 , TS3,0 aufbauen. Dann können in einer Rückwärtsrekursion gemäß (4.136) ˆ k und die erweiterten Vektoren der die verallgemeinerten Massenmatrizen M verallgemeinerten Kräfte und Momente qˆke für die drei Körper k = 3, 2, 1 berechnet werden. Gemäß (4.136) startet man beim letzten Körper, hier das dritte Pendel, mit ˆ 3 = M 3 und qˆe = q e (4.161) M 3 3 Die rekursiven Beziehungen in (4.135) liefern dann für die weiteren Körper, hier das zweite und erste Pendel, die Ergebnisse ˆ2 M
=
M2
+
qˆ2e
=
q2e
+
ˆ1 M
=
M1
+
qˆ1e
=
q1e
+
ˆ 3 B3 B T M ˆ 3 B 3 −1 B T M ˆ 3 T3 T3T − T3T M 3 3
−1
ˆ 3 w˙ S ˆ 3 B 3 B 3T M ˆ 3 B3 T3T − T3T M B 3T q3e − M 03
−1 ˆ 2 B2 B T M ˆ 2 B3 ˆ 2 T2 T2T − T2T M B 2T M 2
ˆ 2 B2 B T M ˆ 2 B 2 −1 B T q e − M ˆ 2 w˙ S T2T − T2T M 2 2 2 02
(4.162)
S S und w˙ 02 über den rekursiven Bewobei die Scheinbeschleunigungsterme w˙ 03 schleunigungszustand (4.119) definiert sind.
4.3.5.3 Abschließende Vorwärtsrekursion Eine zweite Vorwärtsrekursion liefert nun die Beschleunigungen. Das erste Pendel ist über das Gelenk in 0 mit dem Inertialsystem verbunden. Die rekursive Beziehung (4.134) vereinfacht sich deshalb zu
−1 ˆ 1 B1 z˙ 1 = ϕ¨ 1 = B 1T M B 1T qˆ1e
(4.163)
Der Beschleunigungszustand des ersten Körpers errechnet sich gemäß (4.119) zu (4.164) w˙ 01 = B 1 ϕ¨ 1 + B˙ 1 ϕ˙ 1
94
4 Starre Körper mit kinematischen Bindungen
wobei wieder berücksichtigt wurde, dass das erste Pendel gegenüber dem Inertialsystem gelagert ist. Für das zweite Pendel ergibt sich dann
−1
ˆ 2 w˙ S + T2 w˙ 01 ˆ 2 B2 z˙ 2 = ϕ¨ 2 = B 2T M B 2T qˆ2e − M 02 und
S w˙ 02 = T2 w˙ 01 + B 2 ϕ¨ 2 + w˙ 02
(4.165)
(4.166)
S wobei die Scheinbeschleunigung w˙ 02 bereits in (4.162) benötigt wurde. Nun kann mit
−1
ˆ 3 w˙ S + T3 w˙ 02 ˆ 3 B3 z˙ 3 = ϕ¨ 3 = B 3T M (4.167) B 3T qˆ3e − M 03
auch die Beschleunigung des dritten Pendels angegeben werden. Die folgende Matlab-Funktion berechnet mit dem rekursiven Formalismus für ein ebenes dreifach Punktpendel die Beschleunigungen und kombiniert sie mit den kinematischen Differentialgleichungen zur Zustandsgleichung in der Form x˙ = f (t , x ) function xp=p3_rekursiv_f(t,x) global
mass s
g
% Zustandsgrössen phi1 = x(1); phi2 = x(2); phi1p = x(4); phi2p = x(5); % e r s t e
% Ebenes 3-fach Punktpendel rekursiv
phi3 = x(3); phi3p = x(6);
V o r w ä r t s r e k u r s i o n
% Kinematik, Trägheitstensoren, Massenmatrizen, Scheinbeschleunigungen % Inertialsystem A00 = eye(3,3) ; r000 = [ 0; 0; 0]; w000 = zeros(6,1); % Pendel 1 [r010,A01,w010,T1,B1,T1p,B1p]=p_rekursiv_k(phi1,phi1p,r000,A00,w000,0,s); TS11 = zeros(3,3); TS10 = A01*TS11*A01’; M1 = [ mass*eye(3,3) zeros(3,3) ; ... zeros(3,3) TS10 ]; w01pS0 = T1p*w000 + B1p*phi1p; % Pendel 2 [r020,A02,w020,T2,B2,T2p,B2p]=p_rekursiv_k(phi2,phi2p,r010,A01,w010,0,s); TS22 = zeros(3,3); TS20 = A02*TS22*A02’; M2 = [ mass*eye(3,3) zeros(3,3) ; ... zeros(3,3) TS20 ]; w02pS0 = T2p*w010 + B2p*phi2p; % Pendel 3 [r030,A03,w030,T3,B3,T3p,B3p]=p_rekursiv_k(phi3,phi3p,r020,A02,w020,0,s); TS33 = zeros(3,3); TS30 = A03*TS33*A03’; M3 = [ mass*eye(3,3) zeros(3,3) ; ... zeros(3,3) TS30 ]; w03pS0 = T3p*w020 + B3p*phi3p;
4.3 Rekursiver Algorithmus
95
% Kräfte und Momente (Erdbeschleunigung in negativer y-Richtung) % Pendel 1 om010 = w010(4:6); % Pendel 2 om020 = w020(4:6); % Pendel 3 om030 = w030(4:6);
qe1 = [ 0; -mass*g; 0; -cross(om010,TS10*om010) ] ; qe2 = [ 0; -mass*g; 0; -cross(om020,TS20*om020) ] ; qe3 = [ 0; -mass*g; 0; -cross(om030,TS30*om030) ] ;
% R ü c k w ä r t s r e k u r s i o n % Pendel 3 M3h = M3; qe3h= qe3; M3i = inv(B3’*M3h*B3); T3h = T3’ - T3’*M3h*B3*M3i*B3’ ; % Pendel 2 M2h = M2 + T3h * (M3h*T3) ; qe2h= qe2 + T3h * ( qe3h - M3h*w03pS0 ) ; M2i = inv(B2’*M2h*B2); T2h = T2’ - T2’*M2h*B2*M2i*B2’ ; % Pendel 1 M1h = M1 + T2h * (M2h*T2) ; qe1h= qe1 + T2h * ( qe2h - M2h*w02pS0 ) ; M1i = inv(B1’*M1h*B1); % z w e i t e
V o r w ä r t s r e k u r s i o n (Beschleunigungen)
% Inertialsystem w00p0 = zeros(6,1); % Pendel 1 phi1pp = M1i * B1’ * ( qe1h w01p0 = T1*w00p0 + B1*phi1pp % Pendel 2 phi2pp = M2i * B2’ * ( qe2h w02p0 = T2*w01p0 + B2*phi2pp % Pendel 3 phi3pp = M3i * B3’ * ( qe3h -
M1h*( w01pS0 + T1*w00p0 ) ) ; + w01pS0 ; M2h*( w02pS0 + T2*w01p0 ) ) ; + w02pS0 ; M3h*( w03pS0 + T3*w02p0 ) ) ;
% Änderung der Zustandsgrössen xp = [ phi1p; phi2p; phi3p; phi1pp; phi2pp; phi3pp ]; end
Da hier drei gleiche Pendel aneinander gereiht wurden, ist die rekursive Berechnung für jedes Pendel formal gleich und erfolgt hier in der Matlab-Funktion function [r0k0,A0k,w0k0,Tk,Bk,Tkp,Bkp] = ... P_rekursiv_k(phik,phikp,r0j0,A0j,w0j0,aj,sk) % Ebenes Pendel: Rekursive Kinematik Berechnung % % % % % % %
Ausgänge r0k0 A0k w0k0 Tk,Bk Tkp,Bkp
Lage (ortsvektor) Pendel k Orientierung (Drehmatrix) Pendel k Geschwindigkeitszustand Pendel k Verteilungsmatrizen Ableitung der Verteilungsmatrizen
96
% % % % % % % %
4 Starre Körper mit kinematischen Bindungen
Eingaben phik phipk r0j0 A0j w0j0 aj sk
Drehwinkel Pendel k Drehgeschwindigkeit Pendel k Lage (ortsvektor) Pendel j=k-1 Orientierung (Drehmatrix) Pendel j=k-1 Geschwindigkeitszustand Pendel j=k-1 Abstand Schwerpunkt Sj zu Gelenk Gjk Abstand Gelenk Gjk zu Schwerpunkt Sk
% relative Orientierung und Lage % Drehmatrix Ajk (Drehung um z-Achse) s_phi = sin(phik); c_phi=cos(phik); Ajk = [ c_phi -s_phi 0 ; ... s_phi c_phi 0 ; ... 0 0 1 ]; % Ortsvektor im körperfesten System j und im Inertialsystem 0 rjkj = [ aj+sk*c_phi ; sk*s_phi ; 0 ]; rjk0 = A0j*rjkj ; % absolute Orientierung und Lage A0k = A0j*Ajk ; r0k0 = r0j0 + rjk0 ; % Geschwindigkeitszustand rsT = [ 0 -rjk0(3) rjk0(2) Tk = [
rjk0(3) 0 -rjk0(1)
-rjk0(2) ; ... rjk0(1) ; ... 0 ];
eye(3,3) rsT ; ... zeros(3,3) eye(3,3) ];
K = [ 0; 0; 1 ];
K0 = A0j*K ;
drjkj = [ -sk*s_phi;
sk*c_phi;
0 ];
drjk0 = A0j*drjkj; Bk = [ drjk0
;
K0
];
w0k0 = Tk*w0j0 + Bk*phikp ; % Ableitung der Verteilungsmatrizen om0j0 = w0j0(4:6); rjkp0 = cross(om0j0,rjk0) + drjk0*phikp ; rpsT = [ 0 rjkp0(3) -rjkp0(2) ; ... -rjkp0(3) 0 rjkp0(1) ; ... rjkp0(2) -rjkp0(1) 0 ]; Tkp = [ zeros(3,3) zeros(3,3)
rpsT ; ... zeros(3,3) ];
drjkjp = [ -sk*c_phi*phikp; Kp = [ 0; 0; 0 ];
-sk*s_phi*phikp ;
0
];
4.3 Rekursiver Algorithmus
97
Bkp = [ cross(om0j0,drjk0)+A0j*drjkjp ; ... cross(om0j0,K0)+A0j*Kp ]; end
Das Matlab-Skript % Daten global mass s g mass = 1; % Masse [kg] s = 0.5; % Länge [m] g = 9.81; % Erdbeschleunigung [m/s^2] % Anfangswerte (alle Pendel horizontal in Ruhe) x0 = [ 0; 0; 0; 0; 0; 0 ]/180*pi; % Integration und grafische Darstellung [t,x]=ode45(@p3_rekursiv_f, [0,8], x0 ); plot(t,x(:,1:3)*180/pi), grid on, title(’Winkelausschläge in Grad’) legend(’\Phi_1’,’\Phi_2’,’\Phi_3’,’Location’,’NorthWest’)
stellt die Daten zur Verfügung, führt die Integration durch und stellt den zeitlichen Verlauf der drei Pendel-Drehwinkel grafisch dar.
t=0
t=0.1
t=0.2
t=0.3
t=0.4
t=0.5
t=0.6
t=0.7
t=0.8
t=0.9
t=1.0
t=1.1
t=1.2
t=1.3
t=1.4
t=1.5
Bild 4.9: Ebenes Punktpendel mit drei Elementen
Die Bilder 4.9 und 4.10 veranschaulichen die Dynamik eines ebenen Punktpendels mit drei und sechs Elementen. Beide Pendel werden stoßfrei aus der
98
4 Starre Körper mit kinematischen Bindungen
t=0
t=0.1
t=0.2
t=0.3
t=0.4
t=0.5
t=0.6
t=0.7
t=0.8
t=0.9
t=1.0
t=1.1
t=1.2
t=1.3
t=1.4
t=1.5
Bild 4.10: Ebenes Punktpendel mit sechs Elementen
waagrechten Lage losgelassen. Nach dem Durchschwingen durch die vertikale Ruhelage machen sich auch höhere Eigenformen bemerkbar. Die Bewegungsgleichungen wurden jeweils mit dem rekursiven Algorithmus berechnet. Das Hinzufügen weiterer Körper ist beim rekursiven Formalismus denkbar einfach und vergrößert den Rechenaufwand tatsächlich nur proportional zur Anzahl der Körper.
4.3.6 Topologie von Mehrkörpersystemen Rekursive Algorithmen können allerdings ohne weitere Modifikationen nur bei Mehrkörpersystemen mit der Struktur einer offenen Kette eingesetzt werden, Bild 4.11. Eine Erweiterung auf Mehrkörpersysteme mit Baumstruktur ist relativ einfach. Geschlossene kinematische Schleifen müssen jedoch erst durch einen oder mehrere geeignete Schnitte in eine Baumstruktur umgewandelt werden. Die bei diesen Schnitten auftretenden Lagerreaktionen können mit dem rekursiven Vorgehen nicht mehr eliminiert, sondern müssen aus den kinematische Bindungsgleichungen ermittelt werden. Solche Mehrkörpersysteme werden dann durch Differenzial-Algebraische Gleichungen beschrieben.
4.4 Differential-Algebraische Gleichungen
99
Schnitt
offene Kette
Baum
geschlossene Schleife
aufgetrennte Schleife
Bild 4.11: Topologien kinematisch gebundener Mehrkörpersysteme
4.4 Differential-Algebraische Gleichungen 4.4.1 Beispiel In Abschnitt 4.2.5 wurde die Dynamik eines räumliches Doppelpendels beschrieben. Die kinematischen Differentialgleichungen (3.24) und die Bewegungsgleichungen (3.25) können in Matrixform zusammengefasst werden. Mit E 33 als 3 × 3-Einheitsmatrix und unter Berücksichtigung von (3.26) und (3.27) erhält man ⎤ ⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ 0 0 0 E r˙ v ⎥ ⎢ 01,0 ⎥ ⎢ 01,0 ⎥ ⎢ 33 1 ⎢ p˙ E 1 ⎥ ⎢ 0 L T 0 0 ⎥ ⎢ ω01,1 ⎥ ⎥ ⎢ ⎥⎢ ⎥ 2 1 ⎢ (4.168) ⎥⎢ ⎥ ⎢ r˙ ⎥ = ⎢ 0 0 E 33 0 ⎦ ⎣ v 02,0 ⎦ ⎣ 02,0 ⎦ ⎣ 0 0 0 12 L T2 p˙ E 2 ω02,2
z K y˙ und ⎡ ⎤ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ FB 1,0 − FB 2,0 ⎢M 1 0 0 0 ⎥⎢ v˙01,0 ⎥ ⎢ FG 1,0 ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ T ⎥ K ⎢ 0 TS1,1 0 0 ⎥⎢ω ˙ ⎥ ⎢−M 1,1⎥ ⎢A 01 r1B 1,0 ×FB 1,0 −r1B 2,0 ×FB 2,0 ⎥ ⎢ ⎥ (4.169) ⎥⎢ 01,1⎥ = ⎢ ⎥+⎢ ⎢ ⎥ ⎥⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ FB 2,0 ⎢ 0 0 M 2 0 ⎥⎢ v˙02,0 ⎥ ⎢ FG 2,0 ⎥ ⎢ ⎥ ⎣ ⎦ ⎦⎣ ⎦ ⎣ ⎦ ⎣ K T ˙ 02,2 0 0 0 TS2,2 ω −M 2,2 A 02 r2B 2,0 ×FB 2,0
z˙ M qz qe wobei die 3×3-Massenmatrizen M 1 , M 2 auf den Diagonalen mit den Massen K K der Teilkörper m 1 , m 2 besetzt sind und M 1,1 = ω01,1 × TS1,1 ω01,1 sowie M 2,2 = ω02,2 × TS2,2 ω02,2 die Kreiselmomente angeben. Ferner übt die Kraft FB 2,0 jetzt
100
4 Starre Körper mit kinematischen Bindungen
eine positive Wirkung auf den Körper 2 aus. Werden die Bushings durch ideal starre Lager ersetzt, dann können für die Kräfte FB 1,0 und FB 2,0 keine Kraftgesetze mehr angegeben werden. Sie sind jetzt Zwangskräfte, deren Wirkung über Bindungsgleichungen beschrieben wird. Kugelgelenke, wie sie hier in B 1 und B 2 verwendet werden, verhindern Verschiebungen in den drei Raumrichtungen. Somit gilt /
0 / 0 r01,0 + A 01 (p E 1 ) r1B 1,1 w B 1,0 = g (y ) = 0 (4.170) = w B 2,0 r02,0 + A 02 (p E 2 ) r2B 2,2 − r01,0 + A 01 (p E 1 ) r1B 2,1
wobei die Vektoren r1B 1,1 , r1B 2,1 die Positionen der Gelenke in B 1 und B 2 relativ zum Massenmittelpunkt von Körper 1 angeben und r2B 2,2 die Position von B 2 relativ zum Massenmittelpunkt von Körper 2 beschreiben. Sie sind in den jeweiligen körperfesten Systemen konstant. Das Mehrkörpersystem wird nun durch die Differentialgleichungen (4.168), (4.169) und die algebraischen Gleichungen (4.170) beschrieben. Solche Systeme werden als differential-algebraisches System vom Index 3 in Deskriptorform oder auch als Differential-Algebraic-Equations (DAEs) of Index 3 bezeichnet. Die Massenmatrix M und die Kinematik-Matrix K sind sehr dünn besetzt, sodass die Bewegungsgleichungen und die kinematischen Differentialgleichungen formal sehr leicht nach den Ableitungen der verallgemeinerten Geschwindigkeiten z˙ und den Ableitungen des Lagevektors y˙ aufgelöst werden können. Allerdings werden dazu die im Vektor q z der verallgemeinerten Zwangskräfte und -momente enthaltenen Lagerreaktionen F z benötigt. Diese können jedoch nur indirekt über die Bindungsgleichungen ermittelt werden. Die korrekte Berücksichtigung aller Lagerreaktionen sowie ihre unterschiedliche Wirkung auf die einzelnen Körper (actio=reactio) ist bei großen Mehrkörpersytemen sehr aufwändig und fehleranfällig. Mit Hilfe der LagrangeMultiplikatoren kann jedoch die Wirkung der Lagerreaktionen auf das Mehrkörpersystem direkt aus den Bindungsgleichungen abgeleitet werden.
4.4.2 Lagrange-Multiplikatoren Bei der Herleitung der Bewegungsgleichungen über das Extremal-Prinzip von Hamilton können die Zwangsbedingungen nach Lagrange über geeignete Multiplikatoren in Form von Nebenbedingungen erfasst werden. Die Zwangskräfte und -momente werden dann durch den Ansatz qz = G T λ
mit G =
∂ g (y ) K ∂y
(4.171)
4.4 Differential-Algebraische Gleichungen
101
in den Bewegungsgleichungen berücksichtigt, wobei die nach Lagrange benannten Multiplikatoren im Vektor λ zusammengefasst sind und die Kinematikmatrix K über (4.168) definiert ist. Die Jacobi-Matrix G der LagrangeMultiplikatoren kann durch Differentiation der Bindungsgleichung g (y ) = 0 ermittelt werden. Man erhält g˙ (y ) =
d ∂ g (y ) d y ∂ g (y ) ∂ g (y ) g (y ) = = y˙ = Kz =Gz dt ∂ y dt ∂y ∂y
(4.172)
wobei die Ableitung des Lagevektors y˙ mit (4.168) durch den Vektor der verallgemeinerten Geschwindigkeiten z ersetzt wurde. So liefert die Ableitung von (4.170) für das räumliche Doppelpendel / 0 v 01,0 + A 01 ω01,1 × r1B 1,1 g˙ (y ) = v 02,0 + A 02 ω02,2 × r2B 2,2 − v 01,0 + A 01 ω01,1 × r1B 2,1 ⎤ ⎡ ⎡ ⎤ v 01,0 (4.173) ⎥ ⎢ T ˜ r E A 0 0 ⎢ ω01,1 ⎥ 33 01 1B 1,1 33 33 ⎣ ⎦ = ⎥ =Gz ⎢ T T ⎣ v 02,0 ⎦ −E 33 −A 01 r˜1B 2,1 E 33 A 02 r˜2B 2,2 ω02,2 wobei gemäß ω × r = −r × ω = −r˜ ω = r˜ T ω die Kreuzprodukte vertauscht und durch die Multiplikation mit schiefsymmetrischen Tensoren ersetzt wurden. In der Bewegungsgleichung (4.169) wurde der Vektor der verallgemeinerten Zwangskräfte q z direkt aus den Lagerreaktionen FB 1,0 und FB 2,0 aufgebaut ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ F − F −E E B 1,0 B 2,0 33 33 ⎢ ⎢ ⎥⎡ ⎤ ⎥ ⎢ T ⎥ ⎢ T ⎥ T ˜ ˜ r r r F A ×F −r ×F A −A ⎢ ⎥ ⎢ ⎥ 1B 1,0 B 1,0 1B 2,0 B 2,0 01 1B 2,0 ⎣ B 1,0 ⎦ q z = ⎢ 01 ⎥ = ⎢ 01 1B 1,0 ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥ FB 2,0 FB 2,0 033 E 33 ⎣ ⎦ ⎣ ⎦ T T A 02 r2B 2,0 ×FB 2,0 033 A 02 r˜2B 2,0 (4.174) Mit den Tensortransformationen r˜1B 1,0 = A 01 r˜1B 1,1 A T01 ,
r˜2B 2,0 = A 02 r˜2B 2,2 A T02
(4.175)
und den Orthogonalitätseigenschaften der Drehmatrizen A T01 A 01 = E und A T02 A 02 = E erhält man schließlich ⎤ ⎡ E −E 33 33 ⎥⎡ ⎢ ⎤ ⎢ T T ⎥ ˜ ˜ r A − r A ⎢ 1B 1,1 01 z 1B 2,1 01 ⎥⎣ FB 1,0 ⎦ q =⎢ =GT Fz (4.176) ⎥ ⎥ FB 2,0 ⎢ 033 E 33 ⎦ ⎣ 033 r˜2B 2,2 A T02
102
4 Starre Körper mit kinematischen Bindungen
Dabei ergibt sich die Kinematikmatrix G aus dem Vergleich mit (4.173) und die Lagerreaktionen FB 1,0 , FB 2,0 können im Vektor F z zusammengefasst werden. Berücksichtigt man die Bindungen durch Lagrange-Multiplikatoren, dann liefert der Ansatz q z = G T λ gemäß (4.171) die verallgemeinerten Zwangskräfte. Da die explizite Modellierung der Lagerreaktion entsprechend (4.176) schließlich auf q z = G T F z führt, stimmen hier die Lagrange-Multiplikatoren λ direkt mit den im Vektor F z zusammengefassten Lagerreaktionen überein. Dies gilt nicht allgemein, sondern hängt von der Formulierung der Bindungsgleichungen ab.
4.4.3 Redundante Bindungen 4.4.3.1 Anzahl der Freiheitsgrade Lager (joints) oder kinematische Bindungen (constraints) reduzieren die Anzahl der Bewegungsmöglichkeiten (Freiheitsgrade) eines Mehrkörpersystems. Gibt w die Summe der Lager-Wertigkeiten an, dann kann nach Grübler (Grü17) bzw. nach Kutzbach-Grübler die verbleibende Anzahl der Bewegungsmöglichkeiten im Raum durch (4.177) f KG = 6 n − w ermittelt werden, wobei n die Anzahl der starren Körper bezeichnet. Beim Aufbau von komplexen Mehrkörpersystemen kann es vorkommen, dass Lagerreaktionen redundant modelliert werden. Dann liefert f tat = 6 n − (w − r )
(4.178)
die tatsächliche Anzahl der Freiheitsgrade, wobei r die Anzahl der redundanten Bindungen angibt. Statisch überbestimmte Lagerungen, die stets zu inneren Verspannungen führen sind durch f K G < 0 oder f K G = f tat gekennzeichnet. In der Praxis kann die Ermittlung der Anzahl der redundanten Bindungen nur numerisch und das bedeutet dann aber auch meist nur näherungsweise angegeben werden. Bei Differential-Algebraischen Gleichungen14 wird die Wirkung von Lagern durch in der Regel nichtlineare Bindungsgleichungen 0 = g (y )
(4.179)
beschrieben. Der Rangabfall der Jacobi-Matrix G , die gemäß (4.172) aus der zeitliche Ableitung der Bindungsgleichungen folgt, liefert dann die Anzahl r der redundanten Bindungen. Die numerische Bestimmung des Rangabfalls ist mit Rundungsfehlern behaftet, deshalb kann in der Praxis die Anzahl der redundanten Bindungen nur geschätzt werden. 14
vgl. Abschnitt 4.4
4.4 Differential-Algebraische Gleichungen
103
4.4.3.2 Beispiel Bei dem im Abschnitt 4.2.5 beschriebenen räumlichen Doppelpendel werden zwei Körper (n = 2) mit einem Kugelgelenk (w 1 = 3) mit dem Inertialsystem und mit einem zweiten (w 2 = 3) untereinander verbunden. Nach Kutzbach-Grübler verfügt das räumliche Doppelpendel mit zwei Kugelgelenken dann über f KBG2 = 6 ∗ 2 − (3 + 3) = 6
(4.180)
Freiheitsgrade. Beschreibt man die Wirkung der Lager über Bindungsgleichungen, dann erhält man für dieses Beispiel gemäß (4.173) die Jacobi-Matrix der Bindungsgleichungen zu ⎤ ⎡ T ˜ r E A 0 0 ⎥ ⎢ 33 01 1B 1,1 33 33 (4.181) G =⎣ ⎦ T T −E 33 −A 01 r˜1B 2,1 E 33 A 02 r˜2B 2,2 Die Vektoren r1B 1,1 , r 1B 2,1 und r 2B 2,2 beschreiben die Lage der Gelenke von den Massenmittelpunkten aus. Aus ihren Komponenten x 11 , y 11 , z 11 und x 12 , y 12 , z 12 sowie x 22 , y 22 , z 22 erhält man dann die entsprechenden schiefsymmetrischen Tensoren ⎤ ⎤ ⎡ ⎡ 0 z 11 −y 11 0 z 12 −y 12 ⎥ ⎥ ⎢ ⎢ T T (4.182) r˜1B 0 x 11 ⎦ und r˜1B 0 x 12 ⎦ 1,1 = ⎣ −z 11 2,1 = ⎣ −z 12 y11 −x 11 0 y 12 −x 12 0 sowie
⎡
⎤ 0 z 22 −y 22 ⎢ ⎥ T r˜2B 0 x 22 ⎦ 2,2 = ⎣ −z 22 y22 −x 22 0
In der Anfangskonfiguration mit A 01 = E dann zu ⎡ 1 0 0 0 z 11 −y 11 0 ⎢ 0 x 11 0 ⎢ 0 1 0 −z 11 ⎢ 0 0 ⎢ 0 0 1 y 11 −x 11 G =⎢ ⎢ 1 0 0 0 −z 12 y 12 1 ⎢ 0 −x 12 0 ⎣ 0 1 0 z 12 0 0 1 −y 12 x 12 0 0
(4.183)
und A 02 = E vereinfacht sich (4.181) 0 0 0 0 1 0
0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 z 22 −y 22 0 −z 22 0 x 22 1 y 22 −x 22 0
⎤ ⎥ ⎥ ⎥ ⎥ ⎥ ⎥ ⎥ ⎦
(4.184)
Alle Zeilen dieser Matrix sind verschieden und nicht voneinander abhängig. Die 6-zeilige Matrix hat somit den Rang 6, bzw. den Rangabfall r = 6 − 6 = 0. Damit B 2 = 6 Freiheitsgrade. liefert die Beziehung (4.178) tatsächlich auch f tat
104
4 Starre Körper mit kinematischen Bindungen
Verbindet man nun den ersten Körper mit einem weiteren Kugelgelenk der Wertigkeit w 3 = 3 mit dem Inertialsystem, dann muss (4.184) entsprechend erweitert werden. Mit ⎡ ⎤ +ζ) −(y +η) 0 (z 11 11 ⎢ ⎥ T =⎢ r˜1B (4.185) 0 (x 11 +ξ) ⎥ 3,1 ⎣ −(z 11 +ζ) ⎦ (y 11 +η) −(x 11 +ξ) 0 kann das dritte Kugelgelenk relativ zum ersten beschrieben werden, wobei ξ, η und ζ die Verschiebungen in Richtung der x 1 -, y 1 - und z 1 -Achse angeben. Die Jacobi-Matrix der Bindungsgleichungen in der Anfangskonfiguration ist nun durch ⎤ 0 0 0 0 ⎥ 0 0 0 0 ⎥ ⎥ 0 0 0 0 ⎥ ⎥ 0 0 z 22 −y 22 ⎥ ⎥ 0 −z 22 0 x 22 ⎥ ⎥ 1 y 22 −x 22 0 ⎥ ⎥ 0 0 0 0 ⎥ ⎥ 0 0 0 0 ⎦ 0 0 0 0 (4.186) gegeben. Auch wenn auf den ersten Blick alle Zeilen verschieden aussehen, hat die 9-zeilige Matrix nur den Rang 8, bzw. einen Rangabfall von r = 1. Die nach Kutzbach-Grübler ermittelten Freiheitsgrade ⎡
1 ⎢ ⎢0 ⎢ ⎢0 ⎢ ⎢1 ⎢ G ∗ =⎢ 0 ⎢ ⎢0 ⎢ ⎢1 ⎢ ⎣0 0
0 1 0 0 1 0 0 1 0
−y 11 0 0 0 z 11 0 −z 11 0 x 11 0 −x 11 0 0 1 y 11 y 12 1 0 0 −z 12 0 z 12 0 −x 12 0 1 −y 12 x 12 0 0 0 0 (z 11 +ζ) −(y 11 +η) 0 0 −(z 11 +ζ) 0 (x 11 +ξ) 0 0 0 1 (y 11 +η) −(x 11 +ξ)
0 0 0 0 1 0 0 0 0
f KBG3 = 6 ∗ 2 − (3 + 3 + 3) = 3
(4.187)
stimmen nun nicht mehr mit den tatsächlichen Bewegungsmöglichkeiten B3 f tat = 6 ∗ 2 − (3 + 3 + 3 − 1) = 4
(4.188)
überein. Das zweite Kugelgelenk zwischen Körper 1 und dem Inertialsystem 0 verfügt über eine redundante Bindung. Verschiebungen in Richtung einer Linie von dem einen zum anderen Kugelgelenk werden doppelt also redundant verhindert und haben in Bindungsgleichungen den Rangabfall r = 1 zur Folge. Im Gegenzug kann der Körper 1, obwohl mit w = 6 rechnerischen Wertigkeiten gegen Inertial gelagert, noch eine Drehbewegung mit dem Winkel α um die x 0 -Achse ausführen, Bild 4.12.
4.4 Differential-Algebraische Gleichungen
z0
z0
t=0
105
z0
t=0.1
t=0.2
1 2 y0
x0
α x0
1 2
y0
1 −> 0: zwei Kugelgelenke mit Redundanz in x0-Richtung (w = 6, r = 1)
x0
y0 1
2
2 −> 1: ein Kugelgelenk (w = 3, r = 0)
Bild 4.12: Doppelpendel mit redundanten Bindungen
Die rechnerische Ermittlung des Rangabfalls einer Matrix ist im allgemeinen sehr kompliziert und kann in der Regel nicht mehr analytisch durchgeführt werden. Im vorliegenden Fall ist dies allerdings möglich. Durch Subtraktion der ersten drei Zeilen können die letzten drei Zeilen in (4.186) umgeformt werden. Sie lauten dann Zeile 7a = (7-1): Zeile 8a = (8-2): Zeile 9a = (9-3):
0 0 0 0 ζ −η 0 0 0 0 0 0 0 0 0 −ζ 0 ξ 0 0 0 0 0 0 0 0 0 η −ξ 0 0 0 0 0 0 0
(4.189)
Multipliziert man nun Zeile 7a mit ξ, Zeile 8a mit η und Zeile 9a mit −ζ dann erhält man Zeile 7b: Zeile 8b: Zeile 9b:
0 0 0 0 ξζ −ξη 0 0 0 0 0 0 0 0 0 −ηζ 0 ηξ 0 0 0 0 0 0 0 0 0 −ζη +ζξ 0 0 0 0 0 0 0
(4.190)
Man erkennt nun, dass die ersten beiden Gleichungen addiert die dritte ergeben. Da wegen 9b = 7b +8b die dritte Gleichung keine neue Information liefert, liegt hier ein Rangabfall von r = 1 vor. Vor einer numerischen Lösung müssen alle redundanten Bindungsgleichungen entfernt werden, da sämtliche Lösungsmethoden für differential-
106
4 Starre Körper mit kinematischen Bindungen
algebraische Gleichungen nur mit einer Jacobi-Matrix, die über den vollen Rang verfügt, durchgeführt werden können.
4.4.4 Index Reduktion Ein Mehrkörpersystem mit kinematischen Bindungen kann durch ein differential-algebraisches System mit Index 3 in der Form y˙ = K z M z˙ = q e + G T λ 0 = g (y )
mit G =
∂ g (y ) K ∂y
(4.191)
beschrieben werden. Durch mehrmaliges Differenzieren der Zwangsbedingungen kann nun der Index schrittweise reduziert werden. Die erste Ableitung von g wurde bereits in (4.172) berechnet. Mit 0 = g˙ = G z an Stelle von 0 = g erhält man ein Index 2 System y˙ = K z (4.192) M z˙ = q e + G T λ 0 = Gz Eine weitere Differentiation ergibt 0 = g¨ =
d (G z ) = G z˙ + G˙ z dt
(4.193)
Mit der Bewegungsgleichung kann die Ableitung der verallgemeinerten Koordinaten z˙ aus der zweimal abgeleiteten Zwangsbedingung 0 = g¨ eliminiert werden
G z˙ + G˙ z = G M −1 q e + G T λ + G˙ z (4.194) Das differential-algebraische System hat nun den Index 1 y˙ = K z M z˙ = q e + G T λ 0 = G M −1 G T λ + G˙ z + G M −1q e
(4.195)
Bei technischen Problemstellungen haben M und G in der Regel den vollen Rang. Dann existiert die Inverse der Matrix G M −1G T und (4.195) zerfällt in eine Bestimmungsgleichung für den Vektor der Lagrange-Multiplikatoren
−1
G˙ z + G M −1 q e λ = − G M −1 G T
(4.196)
4.4 Differential-Algebraische Gleichungen
107
und in ein System gewöhnlicher Differentialgleichungen y˙ = K z M z˙ = q e + G T λ
(4.197)
das mit Standard Integrationsverfahren gelöst werden kann. Für das räumliche Doppelpendel kann die zweite Ableitung der Bindungsgleichungen noch explizit angegeben werden. Mit (4.173) erhält man zunächst ⎡ ⎤ / 0 d v + A ×r ω g¨1 01,0 01 01,1 1B 1,1 ⎣ g¨ = = ⎦ d t v 02,0 + A 02 ω02,2 ×r2B 2,2 − v 01,0 + A 01 ω01,1 ×r1B 2,1 g¨ 2 (4.198) Unterteilt in die Bindungsgleichungen für das Lager in B 1 und B 2 ergibt sich ˙ 01,1 ×r1B 1,1 g¨ 1 = v˙01,0 + A 01 ω01,1 ×ω01,1 ×r1B 1,1 + ω und
˙ 02,2 ×r2B 2,2 g¨2 = v˙02,0 + A 02 ω02,2 ×ω02,2 ×r2B 2,2 + ω ˙ 01,1 ×r1B 2,1 − v˙01,0 + A 01 ω01,1 ×ω01,1 ×r1B 2,1 + ω
(4.199)
(4.200)
Mit der in (4.173) definierten Matrix G bleibt schließlich ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ v˙01,0 ⎢ ⎥ A 01 ω01,1 ×ω01,1 ×r1B 1,1 ˙ 01,1 ⎥ ⎢ ⎢ω ⎥ g¨ = G ⎢ ⎥+⎣ ⎦ ⎣ v˙02,0 ⎦ A 02 ω02,2 ×ω02,2 ×r2B 2,2 − A 01 ω01,1 ×ω01,1 ×r1B 2,1 ˙ 02,2 ω
˙ Gz (4.201) Damit können nun auch die Lagrange-Multiplikatoren λ entsprechend (4.196) direkt angegeben werden. Die Matlab-Funktion, die das in (4.197) angegebene System gewöhnlicher Differentialgleichungen in Form der Zustandsgleichung x˙ = f (t , x ) zur Verfügung stellt, lautet function xp = mks_DAE_I1_f(t,x) % Räumliches Doppelpendel mit kimematischen Bindungen (DAE Index 1) global global
mass1 theta1 mass2 theta2 r1B11 r1B21 r2B22
% Zustandsgrössen r010 = x( 1: 3); pE1 = x( 4: 7); r020 = x( 8: 10);
gvek
% Ortsvektor Körper 1 % Eulerparameter Körper 1 % Ortsvektor Körper 2
108
pE2 v010 om011 v020 om022
4 Starre Körper mit kinematischen Bindungen
= = = = =
x( x( x( x( x(
11: 15: 18: 21: 24:
14); 17); 20); 23); 26);
% % % % %
Eulerparameter Körper 2 Geschwindigkeit Körper 1 Winkelgeschwindigkeit Körper 1 Geschwindigkeit Körper 2 Winkelgeschwindigkeit Körper 2
% Drehmatrizen [A01,G1,L1] = A0K_EP(pE1); % Gewichtskräfte FG10 = mass1*gvek;
FG20
[A02,G2,L2] = A0K_EP(pE2);
= mass2*gvek;
% Kreiselmomente in koerperfesten Systemen MS1K1=-cross(om011,theta1*om011); MS2K2=-cross(om022,theta2*om022); % inv(M)*qe Minvqe = [ FG10/mass1; theta1\MS1K1; FG20/mass2; theta2\MS2K2 ] ; % schiefsymmetrische Tensoren r1B11s = vec2tilde(r1B11); r1B21s = vec2tilde(r1B21); r2B22s = vec2tilde(r2B22); % Transponierte Bindungsmatrix GT GT = [ eye(3,3) -eye(3,3) ; r1B11s*A01’ -r1B21s*A01’ ; zeros(3,3) eye(3,3) ; zeros(3,3) r2B22s*A02’ ] % MinvGT MinvGT = [
eye(3,3)/mass1 theta1\r1B11s*A01’ zeros(3,3) zeros(3,3)
... ... ... ;
-eye(3,3)/mass1 -theta1\r1B21s*A01’ eye(3,3)/mass2 theta2\r2B22s*A02’
; ; ; ]
... ... ... ;
% Gp*z Gpz=[A01*cross(om011,cross(om011,r1B11)) ; ... A02*cross(om022,cross(om022,r2B22))-A01*cross(om011,cross(om011,r1B21))]; % Lagrange-Multiplikatoren lambda = - ( GT’*MinvGT ) \ ( Gpz + GT’*Minvqe ) ; % Differentialgleichungen yp = [ v010; 0.5*L1’*om011; v020; zp = Minvqe + MinvGT*lambda ;
0.5*L2’*om022 ] ;
% Zustandsänderung xp = [yp; zp];
Die 2× 13 = 26 Zustandsgrößen sind hier nicht nach Körpern, wie beim Beispiel in Abschnitt 3.2.2, sondern nach Lage- und Geschwindigkeiten unterteilt. Das Matlab-Skript % globale Variable global mass1 theta1 mass2 theta2 global r1B11 r1B21 r2B22 % Koerper 1 und 2 (homogene Quader)
gvek
4.4 Differential-Algebraische Gleichungen
% Abmessungen [m] a1 = 0.02 ; b1 = 0.03 ; c1 = 0.08 ; a2 = 0.02 ; b2 = 0.03; c2 = 0.12 ; % Massen [kg] rho = 700; % Dichte Holz [kg/m^3] mass1 = rho*a1*b1*c1; mass2 = rho*a2*b2*c2; % Traegheitstensoren (Diagonalform) [kgm^2] theta1 = 1/12*mass1*diag( [ b1^2+c1^2; c1^2+a1^2; theta2 = 1/12*mass2*diag( [ b2^2+c2^2; c2^2+a2^2; % Erbeschleunigung [m/s^2] gvek = [ 0; 0; -9.81 ];
109
a1^2+b1^2 ]); a2^2+b2^2 ]);
% Gelenke r0B10 = [ 0 ; 0; 0 ]; % 1 (Koerper 1 / Umgebung ) r0B20 = [ a1 ; b1; c1 ]; % 2 (Koerper 1 / Koerper 2) % Anfangsbedingungen % Lage Massenmittelpunkte r010 = [ a1/2; b1/2; c1/2 ]; r020 = [ a1+a2/2; b1+b2/2; c1-c2/2 ] ; % Orientierung pE1 = [ 1; 0; 0; 0]; pE2 = [ 1; 0; 0; 0]; % Geschwindigkeiten v010 = [ 0; 0; 0 ]; om011 = [ 0; 0; 0 ]; v020 = [ 0; 0; 0 ]; om022 = [ 0; 0; 0 ]; % Lage von B1 relativ zu A01 = A0K_EP(pE1); r1B11 = A01’ * ( r0B10 % Lage von B2 relativ zu A02 = A0K_EP(pE2); r1B21 = A01’ * ( r0B20 -
Koerper 1 - r010 ); Koerper 1 und 2 r010 );
r2B22 = A02’ * ( r0B20 - r020 );
% Zeitsimulation x0 = [ r010; pE1; r020; pE2; v010; om011; v020; om022 ]; [t,xout] = ode45(’mks_DAE_I1_f’,[0,1], x0 ); % Grafik: Bahn der Massenmittelpunkte in der xz- und yz-Ebene axes(’Position’,[0.15,0.35,0.275,0.30]) plot(xout(:, 1),xout(:, 3),’:r’,’Linewidth’,2.5), hold on plot(xout(:, 8),xout(:,10),’--b’,’Linewidth’,2.5), grid on axis equal, legend(’S_1’,’S_2’), title(’xz-Ebene’) axes(’Position’,[0.60,0.35,0.275,0.30]) plot(xout(:, 2),xout(:, 3),’:r’,’Linewidth’,2.5), hold on plot(xout(:, 9),xout(:,10),’--b’,’Linewidth’,2.5), grid on axis equal, legend(’S_1’,’S_2’), title(’yz-Ebene’)
stellt dann die Daten zur Verfügung, setzt konsistente15 Anfangsbedingungen, führt die numerische Integration durch und stellt die Bewegungen der Massenmittelpunkte S 1 und S 2 in der x 0 -z 0 - und y 0 -z 0 -Ebene dar. Zum Vergleich sind in 15
Anfangsbedingungen, die den kinematischen Bindugsgleichungen entsprechen
110
4 Starre Körper mit kinematischen Bindungen
S1 0 cm -5
z0
t=0
B2 S1
t=1
B1
S2
-10
cm 0
S1
t=0 S2
S2 y -5 0
t=1
-10 x0
-15 x0-z0-Ebene -10
-5
-15 0
Startkonfiguration (t = 0 s)
5 cm 10
y0-z0-Ebene -10
-5
0
5 cm 10
Bild 4.13: Bewegung der Massenmittelpunkte (DAE I1)
Bild 4.13 auch die Ergebnisse des kinematischen Modells aus Abschnitt 4.2.5.7 als dünne durchgezogene Linien mit eingezeichnet. Bei den Bewegungen von S 2 in der y z -Ebene erkennt man, dass die Abweichungen von der kinematischen Lösung gegen Ende der Simulation t → 1 s immer größer werden. Da die ur10-3 10-4 [m]
g2 g1
10-5 10-6 10-7 10-8 10-9
0
0.1
0.2
0.3
0.4
0.5
0.6
0.7
0.8 [s] 0.9
1
Bild 4.14: Drift in den Bindungsgleichungen g 1 und g 2
sprüngliche Zwangsbedingung 0 = g bei der Index-Reduktion durch 0 = g˙ und schließlich sogar durch 0 = g¨ ersetzt wird, können Standard Integrationsverfahren bei der numerischen Lösung des Index 1 Systems (4.197) nur das Einhalten
4.4 Differential-Algebraische Gleichungen
111
von 0 = g¨ überwachen. Ohne zusätzliche Maßnahmen, vgl. (AFF04), kommt es deshalb zu einem Drift, der im Laufe der Zeit dazu führt, dass die Bindungsgleichung 0 = g mehr und mehr verletzt wird, Bild 4.14.
4.4.5 Gear-Gupta-Leimkuhler-Stabilisierung Mit dem Integrator DASSL bzw. mit der überarbeiteten Version DDASKR steht auch ein implizites Mehrschrittverfahren zur Lösung von DAEs zur Verfügung. Das differential-algebraische System wird dabei in der Residuen-Form F (x (t ), x˙ (t ), u (t )) = 0
(4.202)
verarbeitet, wobei der erweiterte Zustandsvektor x die Lagegrößen y , die Geschwindigkeiten z sowie die Lagrange-Multiplikatoren λ beinhaltet und u (t ) Erregergrößen bezeichnet. Entsprechende Fortran-Quell-Codes werden unter (net10) kostenlos zur Verfügung gestellt. Simpack setzt standardmäßig einen modifizierten DASSL-Integrator ein. Das Index 2 System (4.192) wird dabei auf Geschwindigkeitsebene gemäß Gear-Gupta-Leimkuhler (GGL85) durch einen zusätzlichen Term stabilisiert. In Residuen-Form erhält man dann K z + G T μ − y˙ = 0 q e + G T λ − M z˙ = 0 Gz = 0
(4.203)
g = 0 wobei die Matrix G durch numerische Differentiation der Bindungsgleichungen ermittelt wird. Zur Bestimmung der neu hinzugekommenen LagrangeMultiplikatoren μ wird dann die ursprüngliche Zwangsbedingung g = 0 zum System hinzugefügt. Die Anzahl der Gleichungen hat sich zwar dadurch erhöht, aber das Einhalten von g = 0 kann nun wieder während der Integration überwacht werden.
4.4.6 Baumgarte-Stabilisierung Bei der Stabilisierung nach Baumgarte (Bau72) werden die Bindungsgleichungen der verschiedenen Index-Ebenen mit Gewichtungsfaktoren α > 0 und β > 0 zu einer neuen kombiniert g¨ + α g˙ + β g = 0
(4.204)
112
4 Starre Körper mit kinematischen Bindungen
Bei der numerischen Lösung mit dem expliziten Euler-Verfahren können die Gewichtungsfaktoren mit α = 1/h und β = 1/h 2 zumindest theoretisch optimal an die Rechenschrittweite angepasst werden. In der Praxis, vgl. (EBSB05), führt das allerdings nicht immer zum Erfolg. Ein Vergleich von (4.204) mit einem EinMasse-Schwinger g¨ + 2 ζ ω0 g˙ + ω20 g = 0
(4.205)
dessen Dynamik durch die viskose Dämpfung ζ und die ungedämpfte Eigenfrequenz ω0 charakterisiert wird, ermöglicht eine Anpassung der Gewichtungsfaktoren α = 2ζω0 und β = ω20 an die Dynamik des betrachteten Mehrkörpersystems. Die ursprüngliche Bindungsgleichung g = 0 stellt dabei die stationäre Lösung der kombinierten Bindungsgleichung (4.204) dar. Mit einer viskosen Dämpfung von ζ = 0.5 erhält man gut gedämpfte Schwingungen, die im Sinne der quadratischen Regelfläche16 ein zeitoptimales Einschwingverhalten gewährleisten. Nun muss nur noch die ungedämpfte Eigenfrequenz ω0 so groß gewählt werden, dass das: Einschwingen der kombinierten Bindungsgleichung mit der Frequenz ω = ω0 1 − ζ2 ≈ 0.87 ω0 , im Vergleich zur eigentlichen Systemdynamik sehr schnell erfolgt. Ein zu großes ω0 führt allerdings auf steife Differentialgleichungen, die wiederum Probleme bei der numerischen Lösung bereiten. 10-3 10-4 [m]
g2
10-5 10-6 g1
10-7 10-8 10-9
0
0.1
0.2
0.3
0.4
0.5
0.6
0.7
0.8 [s] 0.9
Bild 4.15: Abweichungen in g 1 und g 2 bei Baumgarte-Stabilisierung 16
vgl. Abschnitt 5.3.2
1
4.4 Differential-Algebraische Gleichungen
113
Bei dem Beispiel des räumlichen Doppelpendels wurde die Stabilisierung nach Baumgarte mit ζ = 0.5 und ω0 = 62.8319 rad/s, bzw. ω = 54.4 Hz durchgeführt. Die im Abschnitt 5.2.2 durchgeführte Eigenwertberechnung ergibt für das räumliche Doppelpendel bei kleinen Schwingungen um die stabile Gleichmax ax = 4.5741 Hz bzw. ωm gewichtslage eine maximale Eigenfrequenz von f DP DP = max 2 π f DP = 28.74rad/s. Damit verläuft das Einschwingen der Bindungsgleichungen etwa doppelt so schnell wie die Dynamik des Systems. Die Fehler in den Bindungsgleichungen bleiben mit Werten unterhalb von 10−5 dabei genügend klein, Bild 4.15.
4.4.7 Index 3 Solver Bei Einschritt-Verfahren geringer Ordnung, können in jedem Integrationsschritt auch die in Regel nichtlinearen Bindungsgleichungen mit gelöst werden. Ein Euler-Schritt mit der Schrittweite h angewandt auf die Bewegungsgleichung (4.169) liefert mit
z t +h = z t + h M −1 q e + q z (4.206) den neuen Geschwindigkeitszustand z t +h in Abhängigkeit von den zunächst noch unbekannten Vektor q z , der sich entsprechend (4.176) aus den Lagerreaktionen F z oder gemäß (4.171) aus den Lagrange-Multiplikatoren λ aufbaut. Die Elemente des Vektors q e können aus den aktuellen Lagegrößen y t und dem aktuellen Geschwindigkeitsgrößen z t berechnet werden. Ein weiterer EulerSchritt angewendet auf die kinematische Differentialgleichung (4.168) ergibt die neuen Lagegrößen
! (4.207) y t +h = yt + h K z t +h = yt + h K z t + h M −1 q e + q z wobei der neue Geschwindigkeitszustand z t +h als teil-impliziter Bestandteil zur Berechnung der neuen Lagegrößen herangezogen wurde. Unter Berücksichtigung von (4.171) bleibt
! y t +h = yt + h K z t + h M −1 q e + G T λ (4.208) Der neue Zustand yt +h = y t +h (λ) muss natürlich den Bindungsgleichungen genügen g y t +h (λ) = g (λ) = 0 (4.209) Da die Bindungsgleichungen in der Regel nichtlinear sind, kann (4.209) nur iterativ nach λ gelöst werden. Liegt mit λi ein Näherungswert für die LagrangeMultiplikatoren vor, z. B. der Wert aus dem letzten Integrationsschritt, dann
114
4 Starre Körper mit kinematischen Bindungen
erhält man nach Newton den verbesserten Wert λi +1 aus dem linearen Gleichungssystem ∂g (4.210) (λi +1 − λi ) = −g (λi ) ∂λ Für die partielle Ableitung der Bindungsgleichungen g nach den LagrangeMultiplikatoren λ gilt zunächst
Aus (4.208) folgt sofort
∂g ∂g ∂y = ∂λ ∂y ∂λ
(4.211)
∂y = h K h M −1 G T ∂λ
(4.212)
Damit lautet (4.211) ∂g ∂g ∂g = h K h M −1 G T = h 2 K M −1 G T = h 2 G M −1 G T ∂λ ∂y ∂y
(4.213)
wobei die Beziehung (4.171) bereits eingesetzt wurde. Die im Newton-Verfahren (4.210) benötigte Ableitung ∂ g /∂ λ kann somit aus bereits bekannten Größen berechnet werden. Das folgende Matlab-Skript stellt die Daten für das räumliche Doppelpendel zur Verfügung und löst das Index 3 System mit einem teilimpliziten EulerVerfahren, vgl. (RS09), und stellt die Abweichungen in den Bindungsgleichungen grafisch dar. % Koerper 1 und 2 (homogene Quader) % Abmessungen [m] a1 = 0.02 ; b1 = 0.03 ; c1 = 0.08 ; a2 = 0.02 ; b2 = 0.03; c2 = 0.12 ; % Massen [kg] rho = 700; % Dichte Holz [kg/m^3] mass1 = rho*a1*b1*c1; mass2 = rho*a2*b2*c2; % Traegheitstensoren (Diagonalform) [kgm^2] theta1 = 1/12*mass1*diag( [ b1^2+c1^2; c1^2+a1^2; theta2 = 1/12*mass2*diag( [ b2^2+c2^2; c2^2+a2^2; % Erbeschleunigung [m/s^2] gvek = [ 0; 0; -9.81 ]; % Position Lager 1 und 2 r0B10 = [ 0 ; 0; 0 ]; r0B20 = [ a1 ; b1; c1 ]; % Anfangsbedingungen % Lage Massenmittelpunkte r010 = [ a1/2; b1/2; c1/2 ]; r020 = [ a1+a2/2; b1+b2/2; c1-c2/2 ] % Orientierung
;
a1^2+b1^2 ]); a2^2+b2^2 ]);
4.4 Differential-Algebraische Gleichungen
pE1 = [ 1; 0; 0; 0]; A01 = A0K_EP(pE1); pE2 = [ 1; 0; 0; 0]; A02 = A0K_EP(pE2); % Geschwindigkeiten v010 = [ 0; 0; 0 ]; om011 = [ 0; 0; 0 ]; v020 = [ 0; 0; 0 ]; om022 = [ 0; 0; 0 ]; % Lage von B1 und B2 relativ zu S1 rS1B11 = A01’ * ( r0B10 - r010 ); rS1B21 = A01’ * ( r0B20 - r010 ); % Lage von B2 relativ zu S2 rS2B22 = A02’ * ( r0B20 - r020 ); % schiefsymmetrische Tensoren r1B11s = vec2tilde(rS1B11); r1B21s = vec2tilde(rS1B21); r2B22s = vec2tilde(rS2B22); % Gewichtskräfte FG10 = mass1*gvek;
FG20
= mass2*gvek;
% Zeitsimulation hstep = 5.d-4; t=0; tE = 1.0; nstep=round(tE/hstep); tsim=zeros(nstep,1); g1=zeros(nstep,1); g2=zeros(nstep,1); for istep = 1:nstep t= t + hstep; tsim(istep) = t; % Drehmatrizen [A01,G1,L1] = A0K_EP(pE1);
[A02,G2,L2] = A0K_EP(pE2);
% Kreiselmomente in koerperfesten Systemen MS1K1 = - cross(om011,theta1*om011); MS2K2 = - cross(om022,theta2*om022); % inv(M)*qe Minvqe = [ FG10/mass1; theta1\MS1K1; FG20/mass2; theta2\MS2K2 ] ; % GT GT = [
eye(3,3) r1B11s*A01’ zeros(3,3) zeros(3,3)
% Minv*GT MinvGT = [
-eye(3,3) -r1B21s*A01’ eye(3,3) r2B22s*A02’
eye(3,3)/mass1 theta1\r1B11s*A01’ zeros(3,3) zeros(3,3)
; ... ; ... ; ... ];
-eye(3,3)/mass1 ; ... -theta1\r1B21s*A01’ ; ... eye(3,3)/mass2 ; ... theta2\r2B22s*A02’ ];
% G*M^(-1)*GT GMinvGT = GT’*MinvGT; % Lambda aus Gleichgewicht 0 = qe + GT*lambda im ersten Schritt if istep==1, lambda = - GMinvGT \ GT’*Minvqe; end % Zwangskräfte Minvqz = MinvGT*lambda;
115
116
4 Starre Körper mit kinematischen Bindungen
% nur ein Iterationsschritt zu Lösung der Bindungsgleichungen % neue verallgemeinerte Geschwindigkeiten v010_i = v010 + hstep * ( Minvqe( 1: 3) + om011_i= om011 + hstep * ( Minvqe( 4: 6) + v020_i = v020 + hstep * ( Minvqe( 7: 9) + om022_i= om022 + hstep * ( Minvqe(10:12) +
Minvqz( 1: 3) Minvqz( 4: 6) Minvqz( 7: 9) Minvqz(10:12)
) ) ) )
; ; ; ;
% neue Lage mit Normierung der Euler-Parameter r010_i= r010 + hstep*v010_i; pE1_i = pE1 + hstep*0.5*L1’*om011_i; pE1_i=pE1_i/sqrt(pE1_i’*pE1_i); r020_i= r020 + hstep*v020_i; pE2_i = pE2 + hstep*0.5*L2’*om022_i; pE2_i=pE2_i/sqrt(pE2_i’*pE2_i); % neue Drehmatrizen [A01,G1,L1] = A0K_EP(pE1_i);
[A02,G2,L2] = A0K_EP(pE2_i);
% Bindungsgleichungen g = [ r010_i + A01*rS1B11; ... r020_i + A02*rS2B22 - ( r010_i + A01*rS1B21 ) ] ; % Newton-Schritt dlambda = -GMinvGT\g; lambda = lambda + dlambda/hstep^2 ; Minvqz = MinvGT*lambda; % neue verallgemeinerte v010 = v010 + hstep * om011 = om011 + hstep * v020 = v020 + hstep * om022 = om022 + hstep * % neue r010 = pE1 = r020 = pE2 =
Lage r010 pE1 r020 pE2
Geschwindigkeiten ( Minvqe( 1: 3) + ( Minvqe( 4: 6) + ( Minvqe( 7: 9) + ( Minvqe(10:12) +
Minvqz( 1: 3) Minvqz( 4: 6) Minvqz( 7: 9) Minvqz(10:12)
) ) ) )
; ; ; ;
mit Normierund der Euler-Parameter + hstep*v010; + hstep*0.5*L1’*om011; pE1=pE1/sqrt(pE1’*pE1); + hstep*v020; + hstep*0.5*L2’*om022; pE2=pE2/sqrt(pE2’*pE2);
% Beträge der Bindungsgleichungen (nur für Ausgabe) g1(istep)=sqrt(g(1:3)’*g(1:3)); g2(istep)=sqrt(g(4:6)’*g(4:6)); end % Grafik semilogy(tsim,g1,’--k’,’Linewidth’,2), hold on semilogy(tsim,g2,’r’,’Linewidth’,2), grid on legend(’g_1’,’g_2’,’Location’,’NorthWest’) xlabel(’[s]’), ylabel(’[m]’), axis([0,tE,1.e-9,1.e-3])
Im ersten Integrationsschritt istep=1 können die Lagrange-Multiplikatoren aus dem Kräftegleichgewicht 0 = q e + G T λ ermittelt werden. Auf Grund der relativ kleinen Integrationsschrittweite von h = 0.5 ms ändern sich die LagrangeMultiplikatoren von Rechenschritt zu Rechenschritt nur sehr wenig. Deshalb reicht hier ein einziger Iterationschritt um die Bindungsgleichungen durch Anpassung der Lagrange-Multiplikatoren bis auf Abweichungen von etwa 10−6 zu
4.5 Konsequenzen
117
erfüllen, Bild 4.16. Da das Euler-Verfahren selbst allerdings lediglich eine Genauigkeit in der Größenordnung der Schrittweite h liefert, kann dieses Verfahren 1. Ordnung O(h) nur bei geringen Genauigkeitsanforderungen eingesetzt werden. 10-3 10-4 [m] 10-5 g2
10-6 10-7
g1
10-8 10-9
0
0.1
0.2
0.3
0.4
0.5
0.6
0.7
0.8 [s] 0.9
1
Bild 4.16: Abweichungen in g 1 und g 2 bei einfachem DAE Index 3 Solver
Kommerzielle Programme zur Simulation von Mehrkörpersystemen17 stellen mit der Hilber-Hughes-Taylor (HHT) Methode (NROS05) und dem Implicit G-Alpha Solver (AB07) modifizierte Trapezregeln18 zur Verfügung, die in ähnlicher Weise, aber mit höherer Genauigkeit O(h)2 , differential-algebraische Gleichungssysteme vom Index 3 lösen. Bei anderen Verfahren, vgl. (HW96) wird das System differential-algebraischer Gleichungen durch Index-Reduktion so umgeformt, dass dann klassische Integrationstechniken eingesetzt werden können.
4.5 Konsequenzen Die Elimination aller Zwangskräfte und Momente, z. B. mit dem Prinzip der virtuellen Leistung, führt zwar auf ein minimales System gewöhnlicher Differentialgleichungen, aber der Rechenaufwand steigt mit der dritten Potenz der 17 18
wie z. B. ADAMS, RecurDyn und Simpack Bei den Finite Elemente Methoden auch als Newmark Formel bezeichnet.
118
4 Starre Körper mit kinematischen Bindungen
Anzahl der Bewegungsgleichungen, O(n 3 ). Werden alle Zwangsbedingungen über Lagrange-Multiplikatoren beschrieben, dann besitzt das Differentialgleichungssystem zwar eine einfache Struktur, aber es ist ein beträchtlicher Aufwand zur Lösung der nichtlinearen Bindungsgleichungen erforderlich. Bei rekursiven Algorithmen steigt der Berechnungsaufwand in etwa linear mit der Anzahl der Körper, O(n). Diese Verfahren können allerdings nur bei Systemen mit offener Ketten- oder Baumstruktur eingesetzt werden. Moderne Mehrkörperprogramme wandeln deshalb geschlossene Ketten durch geeignete Schnitte automatisch in Baumstrukturen um. Die mit rekursiven Algorithmen erstellten Bewegungsgleichungen werden dann durch Lagrange-Multiplikatoren erweitert, die über entsprechende Bindungsgleichungen die Lagerreaktionen in den notwendigen Schnitten berücksichtigen. Die verschiedenen Verfahren sind in der Tabelle 4.1 zusammengefasst. Natürlich hängt der Aufwand bei der Erstellung der Bewegungungsgleichungen und bei der numerischen Lösung stark von der Komplexität des jeweiligen Systems ab. Die Angaben O(n) oder O(n 3 ) können deshalb nur eine grobe Tendenz angeben. Tabelle 4.1: Systeme starrer Körper: Modellbildung, Methodik und Aufwand
Modellbildung Methodik „freie“ Körper mit elastischen Verbindungselementen kinematische Bindungen Jourdain/ D’Alembert kinematische Bindungen rekursiver Algorithmus Ketten- oder Baumstruktur
Aufwand zur Erstellung Aufwand bei der der Bewegungsgleichungen numerischen Lösung O (n , k )
„nicht-steif“ O (n ) „steif“ O (n 3 )
O (n ,q , k )
O ( f 3)
O (n ,q , k )
„nicht-steif“ O ( f ) „steif“ O ( f 3)
I3 O ( f , 3 ) I2 (GGL) O ( f , 2) DAE O (n ,q , k ) I1 O ( f , ) n: Anzahl der Körper, k : Anzahl der Kraftelemente q : Anzahl der eliminierten Zwangsreaktionen, f : Anzahl der verallg. Lagegrößen
: Anzahl der Lagrange-Multiplikatoren
5 Analyse von Mehrkörpersystemen 5.1 Gleichgewicht 5.1.1 Definition und Bestimmungsgleichungen Differential-algebraische Systeme in der Form y˙ = K (yG ) z M (yG ) z˙ = q e (y , z ) + G T λ
mit G =
0 = g (y )
∂ g (y ) K (y ) ∂y
(5.1)
beschreiben die Dynamik eines Mehrkörpersystems in der allgemeinsten Form. Können alle Zwangskräfte eliminiert werden, dann verschwinden die LagrangeMultiplikatoren λ = 0 und, da die Bindungsgleichung 0 = g entfällt, vereinfacht sich (5.1) zu einem System gewöhnlicher Differentialgleichungen. Die im Lagevektor y zusammengefassten verallgemeinerten Koordinaten beschreiben in eindeutiger Weise die momentane Position und Orientierung aller im System vorhandenen Körper. Das Verschwinden der Lageänderung y˙ = 0 kennzeichnet eine Gleichgewichtslage y = yG und λ = λG . In der Regel existiert die Inverse der Kinematik-Matrix K , dann hat y˙G = 0 auch das Verschwinden der verallgemeinerten Geschwindigkeiten zur Folge, z G = 0. Das differentialalgebraische System (5.1) reduziert sich dann auf zwei im Allgemeinen nichtlineare Gleichungen ' 0 = q (yG , 0) + e
(T ∂ g (y ) K (yG ) λG ∂y yG
(5.2)
0 = g (yG ) die mit dem Vektor x GT = [yGT , λGT ] als nichtlineares Gleichungssystem 0 = f (x G )
oder
f (x G ) = 0
(5.3)
angeschrieben werden können. Die nichtlinearen Gleichungssysteme (5.2) oder (5.3) können auch mehrere Lösungen (Gleichgewichtslagen) besitzen. Auch
120
5 Analyse von Mehrkörpersystemen
instabile Gleichgewichtslagen sind möglich. Im Sinne von Ljapunov1 ist die Gleichgewichtslage y = yG stabil, wenn das System mit einer Störung δ aus der Ruhelage gestartet y (t 0 = 0) = yG + δ für alle Zeiten 0 ≤ t < ∞ in einer durch ε begrenzten Umgebung bleibt |y (t )| ≤ |yG | + ε.
5.1.2 Numerische Lösung 5.1.2.1 Nichtlineare Gleichungslöser Analog zu (4.210) kann auch (5.3) mit dem Newton-Verfahren
∂ f i +1 x G − x Gi = − f (x G ) ∂x
(5.4)
iterativ gelöst werden. Die Iteration i = 1, 2, 3... wird abgebrochen, wenn der Funktionswert f oder die Änderung im Vektor der Unbekannten von x Gi zu x Gi +1 genügend klein sind. Das Newton-Verfahren setzt die Existenz und Invertierbarkeit der Funktionalmatrix ∂ f /∂ x voraus und benötigt in der Regel mit x G0 einen Startwert, der bereits in der Nähe der gesuchten Lösung liegt. Jedes nichtlineare Gleichungssystem (5.3) kann jedoch auch mit g (x ) =
1 T f f → Min. 2
(5.5)
als least-square Problem formuliert werden. Eine iterative Lösung ist dann z. B. mit dem Gradienten-Verfahren2 x Gi +1
=
x Gi
− μi
dg dx
T (5.6)
möglich. Da die gesuchte Lösung
f (x G ) = 0 auch g (x G ) = 0 zur Folge hat, kann hier aus der Forderung g x Gi +1 = 0 oder der entsprechenden Näherung
d g i +1 x G − x Gi = 0 g (x G ) + dx
oder
dg g (x G ) − μi dx
dg dx
T =0
(5.7)
eine optimale Schrittweite μi bestimmt werden. Das Gradienten-Verfahren ist zwar relativ unempfindlich gegen schlechte Startwerte, konvergiert aber in der Nähe der Lösung sehr langsam. 1 2
Aleksandr Michajlovic Ljapunov (russischer Mathematiker) 1857–1918 In der englischen Literatur auch als Cauchy step bezeichnet.
5.1 Gleichgewicht
121
Eine geschickte Kombination des Newton- und des Gradienten-Verfahrens ermöglicht sehr effiziente Lösungen. Zur vereinfachten Berechnung der erforderlichen Ableitungen d f /d x und d g /d x wird die nichtlineare Funktion g (x ) durch ein Paraboloid approximiert. Man spricht dann von Trust-Region Dogleg Verfahren. Die Matlab-Funktion fsolve aus der Optimierungs-Toolbox verwendet eine Variante dieser Methode (Pow70). z0
z0
b)
a)
y0
x0
y0
x0
Bild 5.1: a) Startkonfiguration und b) instabile Gleichgewichtslage
Bei dem Beispiel des räumlichen Doppelpendels mit kinematischen Bindungen erhält man mit den Daten und Anfangsbedingungen aus Abschnitt 4.2.5 nach 44 Iterationsschritten eine instabile Gleichgewichtslage, Bild 5.1. Die Massenmittelpunkte beider Körper liegen zwar mit ⎡
⎡
⎤ -4.7631e-016 ⎢ ⎥ G = ⎣ -1.1992e-015 ⎦ r 01,0 0.043875
und
⎤ -1.4459e-016 ⎢ ⎥ G = ⎣ -1.082e-015 ⎦ r 02,0 0.0251
(5.8)
bis auf Abweichungen in der Größe der Rechengenauigkeit3 auf der z 0 -Achse, aber diese Position entspricht einem aufrecht stehendem Pendel und ist somit instabil. Da die Eulerparameter nicht unabhängig voneinander sind, muss die Funktion f für die iterative Berechnung der Gleichgewichtslage noch mit den Bedingungen p ET 1 p E 1 − 1 = 0 und p ET 2 p E 2 − 1 = 0 erweitert werden. Um in das Einzugsgebiet der stabilen Gleichgewichtslage, bei der beide Pendel nach unten hängen, zu kommen, muss die Anfangskonfiguration entsprechend abgeändert werden. Mit den neuen Startwerten für die Euler-Parameter p E0 1 = 3
0
1
0
0
!T
,
p E0 2 =
1
0
0
0
Matlab liefert eine Genauigkeit von eps = 2(−52) = 2.22044604925031e − 016
!T
(5.9)
122
5 Analyse von Mehrkörpersystemen
erhält man nach 21 Iterationsschritten das Ergebnis ⎡ ⎡ ⎤ ⎤ −0.18881 0.63053 ⎢ ⎢ ⎥ ⎥ ⎢ 0.96897 ⎥ ⎢ −0.01495 ⎥ p GE1 = ⎢ ⎥ und p GE2 = ⎢ ⎥ ⎣ −0.13014 ⎦ ⎣ 0.14465 ⎦ −0.09225 −0.76242 Die Ortsvektoren
⎡
⎤ -9.19e-17 ⎢ ⎥ G r01,0 = ⎣ 1.61e-16 ⎦ -0.043875
(5.10)
⎡
⎤ -3.72e-16 ⎢ ⎥ G = ⎣ 6.26e-16 ⎦ und r02,0 -0.1504
(5.11)
geben dann die Lage der Massenmittelpunkte an. a)
z0
b)
B1
z0 y0
y0 x0
x0
S1 B2
S2
Bild 5.2: a) Geänderte Startkonfiguration und b) stabile Gleichgewichtslage
Die Startkonfiguration und die Gleichgewichtslage sind im Bild 5.2 dargestellt. Die explizite Berechnung aus der Geometrie mit den Kantenlängen a 1 = = 0.08 m, a 2 = 0.02 0.02 m, b 1 = 0.03 m, c 1: :m, b 2 = 0.03 m, c 2 = 0.12 m und den Raumdiagonalen d 1 = a 12 +b 12 +c 12 , d 2 = a 22 +b 22 +c 22 liefert ⎤ ⎤ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎡ ⎡ 0 0 0 0 ⎥ ⎥ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎢ ⎢ G ⎥ , r G =⎢ ⎥ ⎥=⎢ ⎥=⎢ (5.12) r01,0 =⎢ 0 0 0 0 ⎦ 02,0 ⎣ ⎦ ⎦ ⎣ ⎦ ⎣ ⎣ 1 1 −0.043875 −0.1504 − 2d 1 −d 1 − 2d 2 Die iterativ berechneten Ergebnisse stimmen hier bis auf die Rechengenauigkeit mit den direkt berechneten überein.
5.1 Gleichgewicht
123
5.1.2.2 Simulation des Einschwingverhaltens Bei gedämpften Mehrkörpersystemen erreicht das System nach einer gewissen Einschwingdauer T automatisch die Gleichgewichtslage x G = x (T ). Eine Zeitsimulation von t = 0 bis t = T mit dem Anfangszustand y (t = 0) = y 0 , z (t ) = 0 und den Lagrange-Multiplikatoren λ(t = 0) = λ0 , die natürlich konsistent zur Anfangsauslenkung y 0 sein müssen, liefert dann die gesuchte stabile Gleichgewichtslage, yG = y (T ) und λG = λG (T ).
1.2 [N]
FB1z
0.8
vertikal
FB2z
0.4 FB1x, FB1y, FB2x, FB2y
horizontal 0.0 -0.4 0
0.5
[s]
1.0
1.5
Bild 5.3: Lagerreaktionen beim Einschwingen (Index 1 DAE mit D =0.005)
Bei dem Beispiel des räumlichen Doppelpendels wurden keine dämpfenden Anteile modelliert. Zur Berechnung der Gleichgewichtslage kann jedoch mit q e (y , z ) ⇒ q e (y , z ) − D z
(5.13)
der Vektor der verallgemeinerten Kräfte und Momente q e (y , z ) durch einen fiktiven Dämpfungsterm D z erweitert werden. Bei geeigneter Wahl des Dämpfungsparameters D > 0 schwingt sich das System dann sehr schnell in die Gleichgewichtslage ein, Bild 5.3. Wie erwartet, bleiben beim Doppelpendel nach dem Einschwingen in die Gleichgewichtslage nur die aus den Gewichten resultierenden vertikalen Lagerreaktionen FB 1z = (m 1 + m 2 )g = 0.824 N und FB 2z = m 2 g = 0.494 N übrig. Da sich alle horizontalen Lagerreaktionen FB 1x bis FB 1y erwartungsgemäß auf den Wert Null einschwingen, werden die entsprechenden Kurven in Bild 5.3 nicht speziell gekennzeichnet. Nach T = 1.5 s hat
124
5 Analyse von Mehrkörpersystemen
das Doppelpendel die Werte ⎡
⎤ 0.20757 ⎢ ⎥ ⎢ −0.81395 ⎥ p GE1 = ⎢ ⎥ ⎣ 0.54259 ⎦ 1.91e-05 bzw.
⎡
⎤ −0.000129 ⎢ ⎥ G = ⎣ −0.000191 ⎦ r01,0 −0.043874
⎡
und
⎤ 0.98903 ⎢ ⎥ ⎢ −0.12288 ⎥ p GE2 = ⎢ ⎥ ⎣ 0.08195 ⎦ −0.00013
⎤ −0.0004 ⎢ ⎥ G und r 02,0 = ⎣ −0.0006 ⎦ −0.1504
(5.14)
⎡
(5.15)
erreicht. Da hier beide Lager durch ideale Kugelgelenke modelliert wurden, können die Körper in der Gleichgewichtslage noch beliebige Drehungen um die z 0 -Achse ausführen. Deshalb sind die Drehmatrizen A 01 und A 02 und damit auch die Euler-Parameter p E 1 und p E 2 in der Gleichgewichtslage nicht eindeutig zu bestimmen. Dies führt beim Einschwingvorgang zu einem anderen Satz von Euler-Parametern als bei der Lösung des nichtlinearen Gleichungssystems. G G und r02,0 stimmen allerdings auch hier recht gut mit Die Schwerpunktlagen r01,0 den direkt berechneten überein. 5.1.2.3 Minimierung der potentiellen Energie In einer stabilen Gleichgewichtslage nimmt die potentielle Energie eines mechanischen Systems ein Minimum an E pot → Min.
(5.16)
Bei konservativen Systemen kann die potentielle Energie sehr leicht angegeben werden. Dann bietet (5.16) eine gute Alternative zur Ermittlung einer stabilen Gleichgewichtslage. Bei dem räumlichen Doppelpendel zeigt die z 0 -Achse entgegen der Schwerkraft. Mit der im Koordinatensystem 0 dargestellten Erdbeschleunigung g 0 = [0 0 − g ] und den Ortsvektoren zu den Massenmittelpunkten S 1 und S 2 , die gemäß (4.84) durch r01,0 = A 01 r B 1S1,1
und
r02,0 = A 01 r B 1S1,1 + rS1B 2,1 + A 02 r B 2S2,2
(5.17)
festgelegt sind, kann die potentielle Energie über
E pot = − m 1 g 0T r01,0 + m 2 g 0T r02,0
(5.18)
5.2 Eigendynamik
125
angegeben werden. Die Erdbeschleunigung g , die Massen m 1 und m 2 sowie die Ortsvektoren r B 1S1,1 , rS1B 2,1 und r B 2S2,2 sind konstant. Die kinetische Energie hängt somit über die Drehmatrizen A 01 und A 02 von den, in den Vektoren p E 1 und p E 2 zusammengefassten Euler-Parametern ab. Da die Euler-Parameter nicht unabhängig sind, muss das Minimum der kinetischen Energie hier unter Berücksichtigung der Nebenbedingungen p ET 1 p E 1 − 1 = 0
und p ET 2 p E 2 − 1 = 0
(5.19)
errechnet werden. Da jetzt nur stabile Gleichgewichtslagen ermittelt werden, erhält man auch bei der durch die Eulerparameter p E0 1 =
1
0
0
0
!T
,
p E0 2 =
1
0
0
0
!T
(5.20)
festgelegten und in Bild 5.1 dargestellten Startkonfiguration über die MatlabFunktion fmincon nach 20 Iterationsschritten, die durch die Ortsvektoren ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ -1.2206e-006 -4.108e-005 ⎢ ⎥ ⎢ ⎥ G G = ⎣ -1.8625e-005 ⎦ und r02,0 = ⎣ -9.5216e-005 ⎦ (5.21) r01,0 -0.043875 -0.1504 gekennzeichnete stabile Gleichgewichtslage.
5.2 Eigendynamik 5.2.1 Linearisierung Um erste Informationen über die Dynamik eines Mehrkörpersystems zu erhalten, werden die nichtlinearen Differentialgleichungen häufig um die Gleichgewichtslage linearisiert. Definiert man mit x kleine Abweichungen vom Gleichgewichtszustand, dann kann die rechte Seite des Differentialgleichungssystems (2.140) in eine Taylor-Reihe entwickelt werden d f f (x G + x ) = f (x G ) + x + h.o.t. (5.22) d x x =xG wobei mit h.o.t. Terme höherer Ordnung bezeichnet werden. Die Gleichgewichtslage kennzeichnet einen stationären Betriebszustand für den x˙G = 0 gilt. Die lineare Differentialgleichung x˙ = A x
(5.23)
126
5 Analyse von Mehrkörpersystemen
mit der Systemmatrix
d f A = d x x =x G
(5.24)
beschreibt dann in guter Näherung die Dynamik kleiner Abweichungen x vom Gleichgewichtszustand x G . Die Systemmatrix entspricht hier der durch (3.35) definierten Jacobi-Matrix. Die n × n Elemente der System- oder Jacobi-Matrix können numerisch recht gut aus den zentralen Differenzen-Quotienten f (x G + εx j ) − f (x G − εx j ) ∂ fi = , ∂ xj 2ε
i , j = 1(1)n
(5.25)
berechnet werden, wobei ε genügend klein zu wählen ist. Bei einem mechanischen Mehrkörpersystem, dessen Dynamik durch die kinematischen Differentialgleichungen (4.34) und die Bewegungsgleichungen (4.56) beschrieben wird, kann die Zustandsmatrix entsprechend dem Aufbau des Zustandsvektors x T = [y T , z T ] aus Lage- und Geschwindigkeitsgrößen gemäß ⎤ ⎡ 0 E ⎦ (5.26) A =⎣ −M G−1C G −M G−1 DG der linearisierten Massenmatrix M G = M (yG ), der Steifigkeitsmatrix ∂ q (y , z ) CG = ∂ y y =yG , z =z G
(5.27)
und der Dämpfungsmatrix ∂ q (y , z ) DG = ∂ z y =yG , z =z G
(5.28)
aufgebaut werden. Dabei wird angenommen, dass zur Beschreibung der kleinen Bewegungen mit y˙ = z eine triviale Wahl verallgemeinerter Geschwindigkeiten ausreicht. Beim räumlichen Doppelpendel mit kinematischen Bindungen ergibt eine Linearisierung bezüglich der stabilen Gleichgewichtslage mit ⎡
⎤ 0.4497 −0.0353 −0.0941 0.0044 0.2615 0.0661 ⎢ −0.0353 0.4189 −0.1411 0.2557 −0.0357 0.0337 ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ −0.0941 −0.1411 0.0801 −0.0970 −0.0520 −0.0292 ⎥ ⎥ M G = 1.0e-03 ∗ ⎢ ⎢ 0.0044 0.2557 −0.0970 0.2570 −0.0076 0.0302 ⎥ ⎢ ⎥ ⎣ 0.2615 −0.0357 −0.0520 −0.0076 0.2486 0.0454 ⎦ 0.0661 0.0337 −0.0292 0.0302 0.0454 0.0218
(5.29)
5.2 Eigendynamik
127
eine vollbesetzte Massenmatrix und mit ⎡
⎤ 0.0548 −0.0045 −0.0120 0 0 0 ⎢ −0.0045 0.0511 −0.0180 0 0 0⎥ ⎢ ⎥ ⎢ −0.0120 −0.0180 0.0098 0 0 0⎥ ⎢ ⎥ CG = ⎢ 0 0 0 0.0302 −0.0012 0.0047 ⎥ ⎢ ⎥ ⎣ 0 0 0 −0.0012 0.0292 0.0071 ⎦ 0 0 0 0.0047 0.0071 0.0026
(5.30)
eine Steifigkeitsmatrix, die aufgrund der absoluten Beschreibung in zwei Blöcke zerfällt. Da keine Dämpfung modelliert wird, verschwinden hier alle Elemente der Dämpfungsmatrix, DG = 0. Bei der Linearisierung werden stets kleine Bewegungen vorausgesetzt, deshalb genügen Kardan-Winkel um die kleinen Auslenkungen von der Gleichgewichtslage aus zu beschreiben. Der Zustand des räumlichen Doppelpendels wird dann durch n = 12 Zustandsgrößen (2 × 3 = 6 unabhängige Winkel und 2 × 3 = 6 Winkelgeschwindigkeiten) vollständig beschrieben.
5.2.2 Eigenwerte und Eigenvektoren 5.2.2.1 Allgemeine Formulierung Lineare und homogene Differentialgleichungssysteme können mit dem Ansatz x = x 0 eλt
(5.31)
gelöst werden. In (5.23) eingesetzt erhält man λ x 0 eλt = A x 0 eλt
(5.32)
Weil stets eλt = 0 gilt, bleibt das gewöhnliche Eigenwertproblem (A − λE ) x 0 = 0
(5.33)
Dieses homogene Gleichungssystem hat nicht triviale Lösungen x 0 = 0, wenn d e t (A − λE ) = 0
(5.34)
erfüllt ist. Die Forderung (5.34) führt auf ein Polynom in λ, dessen Nullstellen λ1 bis λn als Eigenwerte bezeichnet werden. Zu jedem Eigenwert kann dann aus (5.32) der zugehörige Eigenvektor x 0i , i = 1(1)n berechnet werden. Die allgemeine Lösung des linearen, homogenen Differentialgleichungssystems (5.23) ergibt sich aus der Linearkombination aller Teillösungen x (t ) =
n 3 i =1
c i x 0i eλi t
(5.35)
128
5 Analyse von Mehrkörpersystemen
wobei die Konstanten c i aus dem Anfangszustand x (t = 0) = x 0 ermittelt werden können. Die wesentlichen Informationen über das Schwingungsverhalten des linearisierten Mehrkörpersystems sind jedoch bereits in den Eigewerten λi und den Eigenvektoren x 0i , i = 1(1)n enthalten. So bestimmen die Eigenwerte, die rein reell und/oder paarweise konjugiert komplex sein können, das Verhalten der Lösung, Tabelle 5.1. Die Komponenten der Eigenvektoren geben an, wie sehr die einzelnen Koordinaten des Zustandsvektors an der jeweiligen Eigenform beteiligt sind. Tabelle 5.1: Eigenwerte und Lösungsverhalten
Realteil
Imaginärteil = 0
Imaginärteil = 0
<0
stark gedämpfte Bewegung
gedämpfte Schwingung
=0
Nulleigenwert (Starrkörperfreiheitsgrad)
ungedämpfte Schwingung
>0
instabil
instabil
5.2.2.2 Beispiel räumliches Doppelpendel Bei dem räumlichen Doppelpendel ist keine Dämpfung vorhanden. Kleine Bewegungen um die Gleichgewichtslage können deshalb durch eine lineare Matrizendifferentialgleichung in der Form M y¨ + C y = 0
(5.36)
beschrieben werden. Der Lösungsansatz y (t ) = y 0 sin(ω0 t ) führt dann auf das allgemeine Eigenwertproblem
C − ω20 M y 0 = 0
(5.37)
Allgemeine Eigenwertprobleme können mit Matlab direkt gelöst werden. Setzt man die f × f -Steifigkeitsmatrix C und die f × f -Massenmatrix M in die MatlabFunktion eig ein, dann erhält man mit [EV,EW] = eig(C,M)
(5.38)
zunächst zwei f × f Matrizen als Ergebnis. Die erste Matrix enthält dabei spaltenweise die Eigenvektoren E V = [ y 01 , y 02 , . . . y 0 f ] und die Eigenwerte entnimmt
5.3 Fremderregung
129
man über d i a g (E W ) = [ ω201 , ω202 , . . . ω20 f ] aus der Hauptdiagonale der zweiten Matrix. Mit den Matrizen aus Abschnitt 5.2.1 erhält man ⎡ ⎢ ⎢ ⎢ EV = ⎢ ⎢ ⎢ ⎣
⎤ −0.2388 −0.5752 −0.2500 −0.2628 −0.5548 0.0119 −0.0653 0.6448 −0.3750 −0.0693 0.6132 0.0179 ⎥ ⎥ 0.4634 −0.4573 −1.0000 0.5048 −0.4239 0.0476 ⎥ ⎥ 0.1795 −1.0000 −0.0000 −0.1850 1.0000 −0.1667 ⎥ ⎥ 0.2276 0.7162 −0.0000 −0.2238 −0.7109 −0.2500 ⎦ 1.0000 0.0768 0.0000 −1.0000 −0.0618 1.0000
f0 =
4.5741
(5.39)
und 3.8136
0.0000
1.3302
1.3066
0.0000
!
(5.40)
wobei anstelle der Eigenwerte ω20i über f 0i = ω0i /(2π) gleich die Eigenfrequenzen in H z angegeben werden. In der Gleichgewichtslage können sich beide Körper frei um die z 0 -Achse drehen. Dies führt zu den Nulleigenwerten f 3 = 0 und f 6 = 0. Die ersten drei Komponenten der zugehörigen Eigenvektoren y 03 und y06 geben die Orientierung der z 0 -Achse im körperfesten Koordinatensystem 1 an. Da bei y 03 die letzten drei Komponenten nicht besetzt sind, ist bei diesem Nulleigenwert nur der Körper 1 beteiligt. Die letzten drei Komponenten des Eigenvektors y 06 geben die Orientierung der z 0 -Achse im körperfesten Koordinatensystem 2 an.
5.3 Fremderregung 5.3.1 Überblick Mehrkörpersysteme werden häufig durch äußere Kräfte und/oder Momente erregt. Im Vektor u zusammengefasst können die Erreger- oder Störgrößen dann rein formal durch x˙ = f (t , x , u ) (5.41) in der Zustandsgleichung berücksichtigt werden. Der zeitliche Verlauf komplexer Erregermechanismen u = u (t ) kann durch Vorgabe genügend vieler Wertepaare (t i , u i ), i = 1(1)N festgelegt werden. Während der Simulation können dann Zwischenwerte durch Interpolation berechnet werden. Kubische Splines ergeben sehr glatte und differenzierbare Verläufe. Häufig genügt eine lineare Interpolation, die bei äquidistanter Intervallunterteilung mit sehr geringen Rechenzeiten auskommt. In vielen Fällen können die Erregermechanismen durch einfache mathematische Funktion nachgebildet werden, Tabelle 5.2.
130
5 Analyse von Mehrkörpersystemen
Tabelle 5.2: Beispiele für Erregermechanismen
Signal f
f0 t0
t
f fM T2
T1
t
f (t ) =
Math. Beschreibung ; 0, t ≤ t 0 f (t ) = f 0, t > t 0 4 1 1−cos T2πt , T1
0
f (t ) = f M sin ωE t
f fM t
T
1
sonst 2π ωE = T
f f0 t
f (t ) = f 0 +
N < j =1
f j sin(ω j t + Ψ j )
f fM t
f (t ) = f M sin ωE (t )t
T(t)
f
τ
t
f (t ) ∼ (m , σ)
ωE (t ) =
2π T (t )
Bezeichnung Beispiele Sprung Testsignal Einzelhindernis Bodenwelle Windböe period. Erregung Unwuchten Waschbrettpiste Approximation stochast. Signale Gleitsinus quasi-statische Frequenzgänge
stochast. Erregung m Mittelwert Fahrbahnen σ Standardabweichung
5.3.2 Sprungantwort Auf einen Kraft- oder Momentensprung antwortet ein gedämpftes Mehrkörpersystem in der Regel mit einem Einschwingvorgang in eine neue Gleichgewichtslage. Bei dem räumlichen Doppelpendel mit Kugelgelenken in B 1 und B 2 führt ein Moment um die x 0 -Achse, das zum Zeitpunkt t = 0 auf den Körper 1 eingeprägt wird, zu dem im Bild 5.4 dargestellten Verlauf der y -Komponenten der Ortsvektoren r01,0 und r02,0 . Das abklingende Schwingungsverhalten wurde mit dem fiktiven Dämpfungsparameter D = 0.001 N/(rad/s) erreicht, der gemäß (5.13) mit Dz auf alle verallgemeinerten Geschwindigkeiten z , hier die Winkelgeschwindigkeiten ω01,1 und ω02,2 gleichzeitig wirkt. Der typische zeitliche Verlauf einer beliebigen Koordinate x des Zustandsvektors z eines gedämpften Schwingers auf eine sprungartige Erregung ist in Bild 5.5 dargestellt. Ist das System nicht zu stark gedämpft, dann kommt es zu mehreren Über- und Unterschwingern. Die maximale Überschwingweite x M −x S oder die maximale Abweichung nach unten x S −x U können zur Beurteilung des Schwingungsverhalten herangezogen werden. Das globale Verhalten
5.3 Fremderregung
131
B1
y0 Mx
y-Komponenten der Ortsvektoren
100 [mm] 80
z0
z0 B1
y0
r02,0(2)
60
x0
x0 40
B2
r01,0(2)
B2 20 t=0
t=5s
0 -20
0
1
2
3
4
[s]
5
Bild 5.4: Einschwingvorgang nach Momentensprung
x
xM
x=xS
xS=x(T) xU
x=0 t=0
t=T
Bild 5.5: Beurteilung des Einschwing-Verhaltens
kann mit der quadratischen Regelfläche 1 εG2 = T
t=T
x (t ) − x S
2
dt
(5.42)
t =0
erfasst werden, wobei der Endzeitpunkt T an den Einschwingvorgang angepasst werden muss. Die Forderung εG2 → Min., die den schnellst möglichen Einschwingvorgang charakterisiert, wird häufig als Kriterium zur Ermittlung einer optimalen Dämpfung verwendet. Gerade bei nichtlinearen Systemen können aber auch Grenzzykel auftreten, Bild 5.6. Nach dem Abklingen der Anfangsstörungen führt das System nun in der Regel eine periodische Bewegung durch. In manchen Fällen können auch chaotische oder instabile Bewegungen auftreten. Eine quantitative Beurteilung des Einschwing-Verhaltens ist jetzt sehr schwierig.
132
5 Analyse von Mehrkörpersystemen
Schwerpunktbewegungen in der yz-Ebene mit Zeitangaben für S2 von t=0.1s bis t=1.5s 150 1.5 1.2 [mm] 100 0.8 0.9 0.4 50 0.3
0
0.5
-50
S1
1.3
S2
-100
0.1 0.6
1
-150
-100
2500 [Grad/s] 2000
ω2x
1.1 1.4 0.2 0.7
0
100 [mm]
Winkelgeschwindigkeiten
1500 1000 500 0 -500 -1000
ω1x 0
1
2
3
4
[s] 5
Bild 5.6: Grenzzykel nach Momentensprung und Winkelgeschwindigkeiten
5.3.3 Periodische Erregung Wird ein dynamisches System periodisch erregt, dann kann es im Bereich der Eigenfrequenzen zu Resonanz-Erscheinungen kommen. Das Bild 5.7 zeigt über der mit der Erregerfrequenz normierten Zeit τ = t · f E das Schwingungsverhalten des räumlichen Doppelpendels bei periodischer Erregung mit dem Mo ment M x 0 = M 0 sin 2 π f E , das um die raumfeste x 0 -Achse auf den Körper 1
5.3 Fremderregung
133
eingeprägt wird. Die Eigenfrequenzen des räumlichen Doppelpendels liegen im Bereich f m i n = 1.3 Hz ≤ f ≤ f m a x = 4.6 Hz. Im unterkritischen Bereich f E << f m i n folgt der erste Körper der Erregung und der zweite ohne nennenswerten Schwingungen den Bewegungen der gelenkigen Anbindung in B 1 . Bei der Erregerfrequenz f E = 1.3 Hz, die mit der Eigenfrequenz f 5 übereinstimmt, kommt es zu starken Schwingungen beider Körper. Da hier wieder eine fiktive Dämpfung von D = 0.001 wirkt, bleiben die Amplituden beschränkt. Im überkritischen Bereich f E >> f m a x führen beide Körper nur noch leichte „Zitterbewegungen“ aus.
10 cm 0 unterkritisch: fE = 0.2 Hz
-10 10 cm 0
kritisch: -10 fE = 1.3 Hz 10 cm 0
r0S2,0(2)
r0S1,0(2)
-10 0
überkritisch: fE = 10 Hz 1
r0B1,0(2)
2
τ = t . fE
3
4
Bild 5.7: Periodische Erregung mit verschiedenen Frequenzen
Mit einer Gleitsinus-Erregung kann ein ganzer Bereich von Erregerfrequenzen erfasst werden. Im Bild 5.8 ist der Frequenzgang für die y -Komponente des Ortsvektors r02,0 im Frequenzbereich 0.2 Hz ≤ f E ≤ 10 Hz aufgetragen. Bei einer fiktiven Dämpfung von D = 0.001 kommt es im Bereich der Eigenfrequenz f 5 zu einer ausgeprägten Resonanzüberhöhung. Das Schwingungsverhalten wird dadurch nichtlinear und kann deshalb nur mehr eingeschränkt mit den Methoden aus der linearen Schwingungstheorie beurteilt werden. Mit ei-
134
5 Analyse von Mehrkörpersystemen
0.20 Amplitude [m]
D=0.001 0.15 0.10 0.05
D=0.01
0.00 100 Phasenwinkel [Grad] 80 D=0.01 60 40 D=0.001 20 0 0.2
f5 = 1.3 0.4
0.6
0.8 1.0
2.0
fE [Hz]
4.0
6.0
8.0 10
Bild 5.8: Frequenzgang der y -Auslenkung von Körper 2
ner genügend starken Dämpfung, hier D = 0.01, kann die Resonanzüberhöhung verhindert werden.
5.3.4 Stochastische Erregung Stationäre und ergodische Zufalls-Prozess x = x (t ) können durch ihre Häufigkeitsverteilung charakterisiert werden, Bild. 5.9. Gaußsche DichteFunktion
x Zufallsprozess
+σ m
Histogramm
−σ t
Bild 5.9: Zufallsprozess und Histogramm
5.4 Optimierung
135
Häufig sind die Prozesse annähernd normalverteilt, dann genügt die Angabe des Mittelwertes m und der Standardabweichung σ um den Zufallsprozess x (t ) vollständig zu charakterisieren. Nach Bestimmung des Mittelwerts 1 m = E {x (t )} = lim T →∞ T
T x (t ) d t
(5.43)
0
kann der Prozess zentriert werden, x (t ) → x (t ) − m . Dann erhält man die Standardabweichung σ oder den Effektivwert aus der Varianz 1 σ2 = E x 2 (t ) = lim T →∞ T
T x (t )2 d t
(5.44)
0
Über die Gaußsche Verteilungsdichtefunktion x2 − 2 1 p (x ) = e 2σ σ 2π
(5.45)
können dann die Wahrscheinlichkeiten P(x ) angeben werden. Für die k σ Grenzen mit k = 1, 2, 3 gilt P(±σ) = 0.683 ,
P(±2σ) = 0.955 ,
P(±3σ) = 0.997 .
(5.46)
In der Praxis werden Zufalls-Prozesse häufig durch eine Fourier-Reihe approximiert N 3 x (t ) ≈ A i sin (ωi t − Ψi ) (5.47) i =1
wobei gleichverteilte zufällige Phasenwinkel aus dem Intervall 0 ≤ Ψi ≤ 2π verwendet werden und die Amplituden A i aus der spektralen Leistungsdichte4 des Zufallsprozesses ermittelt werden (Shi71).
5.4 Optimierung 5.4.1 Allgemeines Mehrkörpersysteme werden durch eine Vielzahl von Parametern (geometrische Abmessungen, Steifigkeiten, Dämpfungen, ...) beschrieben. Funktions- oder 4
Power-Spectral-Density (PSD)
136
5 Analyse von Mehrkörpersystemen
materialbedingt sind einige dieser Parameter fest, andere können zumindest in bestimmten Bereichen verändert werden. In der Regel beeinflusst die Veränderung der Parameter das Verhalten des Mehrkörpersystems. Optimale Parameter op t
op t
op t
p 1 , p 2 , p 3 , · · · p nop t
(5.48)
können dann berechnet werden, wenn das gewünschte Systemverhalten durch das Minimum eines Gütekriteriums g (p 1 , p 2 , p 3 , ..., p n ) → Min.
(5.49)
festgelegt werden kann. Da die freien Parameter p i , i = 1(1)n in der Regel nicht beliebig verändert werden können, sind noch die Einschränkungen p im i n ≤ p i ≤ p im a x , i = 1(1)n
(5.50)
zu berücksichtigen. Manchmal wird die Suche nach einer optimalen Lösung zusätzlich noch durch Nebenbedingungen z. B. in der Form c (p i ) ≤ 0
(5.51)
eingeschränkt. Entsprechend dem Schwierigkeitsgrad bei der Lösung der Aufgabe unterscheidet man in der Optimierung zwischen folgenden Problemen • Einzelkriterium mit oder ohne Nebenbedingungen • Mehrere Kriterien mit oder ohne Nebenbedingungen < Spezielle Lösungsverfahren gibt es für Probleme, die mit g (p i ) = 12 f j2 (p i ) als „least-square“ Problem angeschrieben werden können. In einigen Fällen kann das Optimierungsproblem für die numerische Lösung vereinfacht werden, indem Nebenbedingungen über „Penalty“-Funktionen in fiktive Gütekriterien verwandelt und mehrere Kriterien mit Gewichtungsfaktoren multipliziert in einem Summenkriterium vereinigt werden.
5.4.2 Beispiel optimales Einschwingen Bei dem Doppelpendel kann das Einschwingen in die Gleichgewichtslage durch Hinzufügen eines fiktiven Dämpfungsterms D z erreicht werden. In der stabilen Gleichgewichtslage liegen die Schwerpunkte auf der negativen z 0 -Achse und G G können gemäß (5.12) mit r01,0 und r 02,0 aus den geometrischen Abmessungen
5.4 Optimierung
137
berechnet werden. Analog zu (5.42) kann nun das Einschwingverhalten durch das Gütekriterium 1 g = T
t=T
8
G r01,0 (t ) − r01,0
2
2 9 G dt + r02,0 (t ) − r02,0
(5.52)
t =0
bewertet werden. Verwendet man einen globalen Dämpfungswert D für alle Komponenten des Vektors der verallgemeinerten Geschwindigkeiten z , dann liefert die Forderung g (D) → Min. mit g l ob a l
Dop t
= 0.0042344
(5.53)
einen Dämpfungsparameter, der entsprechend (5.52) ein zeitoptimales Einschwingverhalten gewährleistet. Modelliert man die fiktiven Dämpfungsterme mit D z = diag [ D 1 , D 2 , . . . , D 6 ] z (5.54) komponentenweise, dann liefert die Forderung g (D 1 , D 2 , ..., D 6 ) → Min. mit kom p
Dop t
= [ 0.0039794, 0.0039734, 0.0022799, 0.009959, 0.010018, 0.0014455 ]
(5.55)
nun 6 Dämpfungsparameter, die wieder ein zeitoptimales Einschwingverhalten gewährleisten. Horizontale Abstände der Schwerpunkte von der z0-Achse
0.10
[m]
global
0.08
komponentenweise 0.06
Körper 2 0.04 0.02 0
Körper 1 0
0.5
1
[s]
1.5
Bild 5.10: Einschwingvorgang mit optimierter fiktiver Dämpfung
Die mehrdimensionale Optimierung benötigt hier im Vergleich zur eindimensionalen Optimierung mehr als den 10-fachen Rechenaufwand, liefert aber nur geringfügige Verbesserungen im Einschwingverhalten, Bild. 5.10.
138
5 Analyse von Mehrkörpersystemen
5.5 Inverse Kinematik 5.5.1 Aufgabenstellung Der Ortsvektor r0k ,0 und die Drehmatrix A 0k , die die Lage und die Orientierung des k -ten Körpers in einem System von n starren Körpern eindeutig beschreiben, sind Funktionen der im Vektor y zusammengefassten f verallgemeinerten Koordinaten. Bezeichnet P einen Punkt auf dem Körper k , dessen Lage im Koordinatensystem k durch den Vektor rk P,k festgelegt ist, dann wird seine momentane Position durch den Ortsvektor r0P,0 = r0k ,0 (y ) + A 0k (y ) rk P,k = r0P,0 (y )
(5.56)
festgelegt. Aufgabe der Inversen Kinematik5 ist es nun, die im Vektor y zusammengefassten f verallgemeinerten Koordinaten so zu bestimmen, dass mit vor r0P,0 (y ) = r0P,0
(5.57)
die aktuelle Position von P mit der vorgegebenen übereinstimmt.
5.5.2 Lösungsansätze Die Forderung (5.57) führt auf das nichtlineare Gleichungssystem vor =0 f (y ) = r0P,0 (y ) − r0P,0
(5.58)
Wird lediglich die Position eines Punktes vorgegeben, dann stehen auch nur n = 3 Gleichungen zur Verfügung. Mehrkörpersysteme besitzen aber in der Regel mehr als drei freie Bewegungsmöglichkeiten. Bei f = n kann das nichtlineare Gleichungssystem (5.58) nicht mehr eindeutig nach den f verallgemeinerten Koordinaten, die im Lagevektor y zusammengefasst sind aufgelöst werden. Setzt man mit y = y N einen Näherungswert für die gesuchte Lösung in (5.58) ein, dann ergibt sich mit f (y N ) = ε eine Abweichung von der gesuchten Lösung f (y ) = 0. Minimiert man mit g (y ) = εT ε = f T f → Min.
(5.59)
den quadratischen Gesamtfehler, dann erhält man auch bei f = n zumindest eine bestmögliche Lösung. 5
manchmal auch als Rückwärts-Kinematik bezeichnet
5.5 Inverse Kinematik
139
Bei vielen Anwendungen, z. B. in der Robotik, wird nicht nur eine Position sondern eine ganze Folge von Positionen bzw. eine Bahnkurve vorgegeben. Bevor vor schreiben r0P,0 (t ) und r 0P,0 (t + t ) die gewünschten Positionen von Punkt P zu zwei aufeinander folgenden Zeitpunkten, dann können die verallgemeinerten Koordinaten inkrementell berechnet werden. Mit y = y (t + t ) − y (t ) kann die zeitliche Änderung in der aktuellen Position mit ∂ r0P,0 d y ∂ r 0P,0 y ∂ r0P,0 = ≈ ∂t ∂ y dt ∂ y t
(5.60)
über den Differenzen-Quotienten des Vektors y angenähert werden. Analog zu (5.58) gilt dann für die Positionsänderungen vor r0P,0 ∂ r 0P,0 y − =0 ∂ y t t
(5.61)
wobei auch die zeitliche Änderung der vorgegebenen Position näherungsweise durch den Differenzen-Quotienten beschrieben wird. Die Jacobi-Matrix JP =
∂ r0P,0 ∂y
(5.62)
hat hier, weil nur ein Punkt betrachtet wird, n = 3 Zeilen und f Spalten. Deshalb kann das aus (5.61) folgende lineare Gleichungssystem vor J P y = r 0P,0
(5.63)
in der Regel wieder nur bestmöglich gelöst werden. Analog zu (5.59) erhält man
vor T vor J P y − r0P,0 → Min. g (y ) = J P y − r0P,0
(5.64)
Die notwendige Bedingung für ein Minimum liefert
d g (y ) vor = 2 J PT J P y − r0P,0 =0 d y
(5.65)
Ausmultipliziert bleibt vor J PT J P y = J PT r0P,0
oder
−1 vor y = J PT J P J PT r0P,0
(5.66)
−1 J PT als Pseudo-Inverse6 der n × f -Jacobi-Matrix wobei die f ×n-Matrix J PT J P J P bezeichnet wird. Da die Pseudo-Inverse nur existiert, wenn alle f Spalten der 6
manchmal auch „Moore-Penrose-Inverse“
140
5 Analyse von Mehrkörpersystemen
Jacobi-Matrix J P linear unabhängig voneinander sind, wird das Gleichungssystem in der Praxis mit dem Levenberg-Marquardt-Algorithmus gelöst. Die bestmögliche Lösung von (5.63) erfolgt dann durch
−1 vor y = J PT J P + λE J PT r 0P,0 (5.67) wobei E eine f × f Einheitsmatrix ist und der zusätzliche Parameter λ > 0 die Existenz der modifizierten Pseudo-Inversen gewährleistet.
5.5.3 Beispiel Bahnvorgabe 5.5.3.1 Absolute Berechnung der Position Bei dem räumlichen Doppelpendel aus Abschnitt 4.2.5 sind die Abmessungen der beiden quaderförmigen Körper durch die Kantenlängen a 1 , b 1 , c 1 sowie a 2 , b 2 , c 2 festgelegt. Dann beschreibt der Vektor ! 1 1 r B 2P,2 = (5.68) a b − 12 c 2 2 2 2 2 einen Eckpunkt P von Körper 2 relativ zum Gelenkpunkt B 2 , Bild 5.11.
rB2P
P
B2 z0
rB1B2 r0P
B1 x0
y0 Bild 5.11: Inverse Kinematik
Analog zu (4.84) kann die absolute Lage von Punkt P durch r0P,0 = A 01 p E 1 r B 1B 2,1 + A 02 p E 2 r B 2P,2
(5.69)
wobei die Vektoren r B 1B 2,1 und r B 2P,2 aus den geometrischen Abmessungen hervorgehen und die Drehmatrizen A 01 und A 02 über die Euler-Parameter p E 1 und p E 2 beschrieben werden. Gibt man nun z. B. mit ! vor 1 (5.70) r0P,0 = (c ) + c 0 c 1 2 2 2
5.5 Inverse Kinematik
141
die Position des Eckpunktes P vor, dann können die Euler-Parameter entsprechend (5.58) und (5.59) aus
vor T vor g p E 1 , p E 2 = r0P,0 p E 1 , p E 2 − r0P,0 r0P,0 p E 1 , p E 2 − r0P,0 → Min. (5.71) ermittelt werden. Da die Euler-Parameter nicht unabhängig voneinander sind, muss (5.71) unter Berücksichtigung der Nebenbedingungen p ET i p E i − 1 = 0, i = 1, 2 gelöst werden. Mit den Startwerten !T !T , p E0 2 = 1 0 0 0 (5.72) p E0 1 = 1 0 0 0 erhält man mit der Matlab-Funktion fmincon bereits nach 10 Iterationen das Ergebnis ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ 0.993 ⎢ ⎥ ⎢ −0.027 ⎥ pE1 = ⎢ ⎥ ⎣ −0.079 ⎦ −0.084
und
0.663 ⎢ ⎢ 0.704 pE2 = ⎢ ⎣ −0.132 0.216
⎥ ⎥ ⎥ ⎦
(5.73)
Die Abweichungen von der Soll-Position sind mit vor r0P,0 − r0P,0 =
1.1615e-005, -5.0775e-008, -1.0499e-005
!T
(5.74)
erwartungsgemäß sehr klein. 5.5.3.2 Inkrementelle Berechnung der Position Wird der Punkt P jeweils nur um ein kleines Stück weiterbewegt, dann kann die Änderung in den verallgemeinerten Lagegrößen nach dem LevenbergMarquardt-Algorithmus aus (5.67) ermittelt werden. Die dazu erforderliche Jacobi-Matrix kann hier am einfachsten durch Differentiation des Lagevektors r0P,0 berechnet werden. Unter Verwendung der kinematischen Differentialgleichung y˙ = K z gilt rein formal r˙0P,0 =
∂ r 0P,0 y˙ = J P y˙ = J P K z ∂y
Die Ableitung von (5.69) ergibt r˙0P,0 = A 01 ω01,1 × r B 1B 2,1 + A 02 ω02,2 × r B 2P,2 = A 01 r˜BT1B 2,1 ω01,1 + A 02 r˜BT2P,2 ω02,2 Mit z = ωT01,1 , ωT02,2
!T
(5.75)
(5.76)
bleibt r˙0P,0 = A 01 r˜BT1B 2,1
! A 02 r˜BT2P,2 z
(5.77)
142
5 Analyse von Mehrkörpersystemen
Der Vergleich mit (5.75) liefert die Jacobi-Matrix zu ! A 02 r˜BT2P,2 K −1
J P = A 01 r˜BT1B 2,1
(5.78)
5.5.3.3 Simulationsbeispiel Um die absolute Berechnung der Position mit der inkrementellen vergleichen zu können, wird der Punkt P durch Vorgabe diskreter Winkelstellungen beginnend bei ϕ = 0 in 72 Schritten bis ϕ = 2π gemäß vor r0P,0 =
3 (c + c 2 ) cos(ϕ) , 4 1
3 (c + c 2 ) sin(ϕ) , 4 1
c 2 (1 − 0.5 sin(2ϕ)2 )
!T
(5.79)
einmal um die z 0 -Achse sowie periodisch auf und ab bewegt, Bild 5.12.
vorgegebene Bahn
z0
P
ϕ=0o r0P(ϕ)
y0 x0 Bild 5.12: Bahnvorgabe
Bei der absoluten Berechnung ist die Abweichung zwischen der aktuellen Position von Punkt P und der Vorgabe = ε=
vor r0P,0 − r0P,0
T
vor r0P,0 − r0P,0
(5.80)
auch nach einem Umlauf (ϕ = 0 → ϕ = 360◦ ) vernachlässigbar klein, Bild 5.13. Bei der inkrementellen Berechnung jedoch, die hier mit verschiedenen Werten für den Dämpfungsparameter λ durchgeführt wurde, summieren sich bei einem Umlauf die einzelnen kleinen Positionsabweichungen zu einer deutlich sichtbaren Gesamtabweichung, Bild 5.13. Allerdings benötigt die inkrementelle Berechnung im Vergleich zur absoluten deutlich weniger Rechenaufwand.
5.6 Inverse Dynamik
143
10−1 ε [m]
λ = 10−5
inkrementell
10−2
λ = 10−3
10−3 absolut
10−4 10−5 10−6 10−7
0
90
180
270 ϕ [Grad] 360
Bild 5.13: Abweichung von der Soll-Position
5.6 Inverse Dynamik 5.6.1 Lage, Geschwindigkeit und Beschleunigung Bei einem Mehrkörpersystem wird die aktuelle Position und Orientierung der einzelnen Körper eindeutig durch die im Vektor y zusammengefassten verallgemeinerten Lagegrößen beschrieben. Die Inverse Kinematik erlaubt es, die verallgemeinerten Lagegrößen so zu bestimmen, dass das Mehrkörpersystem eine vorgegebene Position einnimmt oder zumindest bestmöglich erreicht. Sollen nun nacheinander verschiedene Positionen angefahren werden, dann erhält man im Zeitintervall 0 ≤ t ≤ T eine ganze Folge verallgemeinerter Lagevektoren y ivor = y vor (t i )
mit
t = 0 (t ) T
(5.81)
Interpoliert man nun die Folge durch kubische Spline-Funktionen, dann liegt der Lagevektor y vor = y vor (t ) als zweimal differenzierbare Funktion vor. Dies ermöglicht dann auch den Vektor der verallgemeinerten Geschwindigkeiten y˙ vor = y˙ vor (t ) als Zeitfunktion anzugeben. Damit kann über die kinematische Differentialgleichung (5.82) y˙ vor (t ) = K y vor (t ) z vor (t )
144
5 Analyse von Mehrkörpersystemen
auch der Vektor der verallgemeinerten Geschwindigkeiten z vor = z vor (t ) berechnet werden. Dessen Ableitung z˙ vor (t ) liefert dann auch die Beschleunigungen.
5.6.2 Stellkräfte und -momente Bewegungen eines Mehrkörpersystems werden durch Kräfte und Momente hervorgerufen. Um vorgegebene Positionen der Reihe nach anfahren zu können, müssen entsprechende Stellkräfte und/oder -momente auf die Teilkörper eingeprägt werden. Mit den im Vektor q S zusammengefassten Stellkräften und momenten, lautet die Bewegungsgleichung für ein Mehrkörpersystem M y (t ) z˙ (t ) = q e y (t ), z (t ) + q S (5.83) wobei der Vektor q e die restlichen auf die Körper wirkenden Kräfte und Momente enthält. Bei vorgegebener Lage y = y vor (t ) und Geschwindigkeit z = z vor (t ) können die Elemente der Massenmatrix M (y vor ) und der Vektor der eingepräg ten Kräfte und Momente q e y vor (t ), z vor (t ) berechnet werden. Ist auch noch der Beschleunigungsvektor z˙ vor (t ) bekannt, dann kann (5.83) nach den verallgemeinerten Stellkräften und -momenten aufgelöst werden (5.84) q S (t ) = M y vor z˙ vor (t ) − q e y vor (t ), z vor (t ) In die Bewegungsgleichung (5.83) eingesetzt bleibt M y (t ) z˙ (t ) − M y vor z˙ vor (t ) = q e y (t ), z (t ) − q e y vor (t ), z vor (t ) (5.85) Auf Grund von Rechenungenauigkeiten werden die aus der Vorgabe berechne te Massenmatrix M y vor und der Term q e y vor (t ), z vor (t ) nicht exakt mit den entsprechenden aktuellen Termen M y (t ) und q e y (t ), z (t ) übereinstimmen. Ohne zusätzliche Korrekturen (Regelung) kommt es deshalb bei der Inversen Dynamik im Laufe der Zeit zu immer größeren Abweichungen zwischen der Vorgabe und der aktuellen Bewegung.
5.6.3 Beispiel Bahnsteuerung Durch geeignete Stellmomente M 01 = M 01 (t ) und M 12 = M 12 (t ) in den Kugelgelenken B 1 und B 2 kann der Punkt P längs einer vorgegebenen Bahnkurve bewegt werden, Bild 5.14. Beim räumlichen Pendel besteht der Vektor der verallgemeinerten Geschwindigkeiten z gemäß (4.88) aus den Komponenten der beiden Winkelgeschwindigkeiten ω01 und ω02 . Der Vektor q e der verallgemeinerten eingeprägten Kräfte
5.6 Inverse Dynamik
145
P(t+Δt) B2 P(t) M12 z0 B1
Bahnkurve
M01
x0
y0
Bild 5.14: Stellmomente in den Kugelgelenken
und Momente enthält somit in den ersten drei Komponenten die auf den Körper 1 wirkenden Momente und in den letzten drei die auf den Körper 2 wirkenden Momente. Gibt man das zwischen dem Inertialsystem 0 und dem Körper 1 wirkende Stellmoment M 01 und das von dem Körper 1 auf den Körper 2 wirkende Stellmoment M 12 im körperfesten Koordinatensystem 1 an, dann ist der Vektor der verallgemeinerten Stellkräfte und -momente durch ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ S ⎢ q ⎥ ⎢ M 01,1 − M 12,1 ⎥ qS = ⎣ 1 ⎦ = ⎣ (5.86) ⎦ q2S A T12 M 12,1 gegeben, wobei nach dem Prinzip „actio=reactio“ das vom Körper 1 auf den Körper 2 ausgeübte Moment mit umgekehrtem Vorzeichen auf den Körper 1 wirkt und die Multiplikation mit A T12 das Moment M 12,1 in das körperfeste Koordinatensystem 2 transformiert. Gemäß (5.84) kann der Vektor der verallgemeinerten Stellkräfte und -momente q S aus der Vorgabe des Lage-, Geschwindigkeits- und Beschleunigungsvektors berechnet werden. Aus (5.86) erhält man dann M 12,1 = A 12 q2S
und
M 01,1 = q1S + M 12,1
(5.87)
Bei einer dynamischen Berechnung mit diesen Stellmomenten folgen die Körper zunächst auch der vorgegebenen Bewegung. Auf Grund von Diskretisierungs- (Die Vorgabe wurde hier nur alle 5◦ berechnet) und Rechenfehlern kommt es hier aber bereits nach einer Viertelumdrehung zu deutlichen Abweichungen, Bild 5.15. Da die Gewichts- und Trägheitskräfte zumindest näherungsweise durch die Stellmomente kompensiert werden, würden kleine, der Steuerung überlagerte, Regeleingriffe genügen, um eine nahezu perfekte Bahnfolge zu realisieren.
146
5 Analyse von Mehrkörpersystemen
x-Koordinate
0.15
y-Koordinate
0.2
0.1
0.15
0.05 0.1 0 0.05
-0.05
dynamisch berechnet vorgegeben
-0.1
0
20
40
60
80
ϕ
100
0
0
20
40
60
ϕ
80
z-Koordinate
0.12
z0
0.11 0.1
ϕ = 95o
ϕ = 5o
0.09 0.08 0.07 0.06
100
0
20
40
60
80
ϕ
x0 100
Bild 5.15: Bahnabweichungen bei inverser Dynamik
y0
6 Elastische Körper 6.1 Einleitung 6.1.1 Anwendungsgebiete Auf Grund der extremen Leichtbauweise, die gerade in der Luft- und Raumfahrt gefordert ist, wird die Dynamik technischer Systeme auch wesentlich von den elastischen Verformungen der Körper beeinflusst, Bild 6.1. Die Aufteilung der
Bild 6.1: Mehrkörpermodell eines Hubschraubers mit elastischen Rotorblättern1
numerischen Lösung in dynamische Simulationen mit starren Körpern (klassische MKS) und in statische Berechnungen, bei denen mit der Finite-ElementMethode (FEM) elastische Deformationen berücksichtigt werden, ist in diesen Fällen nicht mehr möglich. Mit zunehmenden Anforderungen an die Präzision von Maschinen müssen auch bei terrestrischen Anwendungen, wie z. B. bei Robotern, in schnell-laufenden Getrieben, bei Druckmaschinen, u. dgl., die elastischen Bauteilverformungen bei dynamischen Simulationen mit einbezogen werden. Kommerzielle MKS-Programme, wie z. B. ADAMS, RecurDyn und Simpack bieten deshalb auch die Möglichkeit elastische Körper im Modellaufbau zu berücksichtigen. 1
entnommen aus (SW99)
148
6 Elastische Körper
6.1.2 Modellvorstellungen Um weiterhin das Modell starrer Körper verwenden zu können, zerlegt man einfach elastische Bauteile in mehrere durch Gelenke und/oder Feder-DämpferElemente miteinander verbundene starre Teilkörper. Solche als lumped mass systems bezeichnete Modelle bieten eine gute Möglichkeit, die Auswirkung elastischer Bauteilverformungen grundsätzlich, bzw. in mehr oder weniger guter Näherung zu untersuchen. Bei einfachen Bauteilen (dünne Stäbe oder Balken) können die Gleichungen aus der Kontinuumsmechanik in Sonderfällen noch explizit gelöst werden. Sind die Verformungen der Körper im Vergleich zu den Bewegungen des als erstarrt gedachten Körpers klein, dann kann die Methode des bewegten Bezugssystems angewendet werden. Die kinematischen und kinetischen Bewegungsgleichungen eines elastischen Körpers werden dabei unter Verwendung der Methoden aus der Kontinuumsmechanik formuliert. Das zu den Verformungen gehörende Verschiebungsfeld wird durch geeignete Ansatzfunktionen approximiert. Die Allgemeinheit dieser Vorgehensweise erlaubt es, FEM-Programme als Pre-Prozessoren für Mehrkörperprogramme zu verwenden. Durch modale Ansatzfunktionen (Relative Nodal Coordinate Formulation) kann die Effizienz solcher Verfahren noch gesteigert werden. Die Modellierung, die mathematische Beschreibung und die numerische Berechnung nichtlinearer Körperbewegungen mit großen elastischen Deformationen erfordert einen enormen Aufwand. Alle Berechnungen aus der Kontinuumsmechanik müssen hier während der Mehrkörpersimulation (Absolute Nodal Coordinate Formulation) für die jeweils aktuelle Position und den Verformungszustand durchgeführt werden.
6.2 Beispiel Hubschrauber-Rotorblatt 6.2.1 Bewegtes Bezugssystem Die elastischen Deformationen eines Hubschrauberrotorblattes können am besten von einem mitbewegten Koordinatensystem aus beobachtet werden, Bild 6.2. Das Koordinatensystem B erfasst dabei alle Bewegungen des Hubschraubers sowie die Drehung des Rotors mit dem Winkel γ um die hubschrauberfeste z B -Achse. Fasst man die verallgemeinerten Koordinaten, die die Bewegungen des Hubschraubers einschließlich der Rotordrehung γ beschreiben, im Vektor y H zusammen, dann kann die Lage und die Orientierung des Koordina-
6.2 Beispiel Hubschrauber-Rotorblatt
y0
0 z0
149
x0 r0B
yB rBP
γ
P
xB
zB Bild 6.2: Mitbewegtes Koordinatensystem zur Beschreibung eines Rotorblattes
tensystems B gegenüber dem Inertialsystem 0 durch den Ortsvektor
und die Drehmatrix
r 0B,0 = r0B,0 y H
(6.1)
A 0B = A 0B y H
(6.2)
beschrieben werden. Die absolute Geschwindigkeit v 0B,0 = r˙0B,0 und der über ˜ 0B,0 = A˙0B A T0B definierte Vektor der Winkelden schiefsymmetrischen Tensor ω geschwindigkeiten ω0B,0 können auch im Koordinatensystem B angeschrieben werden v 0B,B = v 0B,B y H , y˙H und ω0B,B = ω0B,B y H , y˙H (6.3) Durch die Wahl nicht-trivialer verallgemeinerter Geschwindigkeiten z H , die über die kinematische Differentialgleichung y˙H = K H y H z H
(6.4)
definiert werden, kann dabei oft die Darstellung der Geschwindigkeitsvektoren vereinfacht werden v 0B,B y H , y˙H −→ v 0B,B y H , z H
und ω0B,B y H , y˙H −→ ω0B,B y H , z H (6.5) Zur Berechnung der Absolut-Beschleunigung muss die AbsolutGeschwindigkeit zunächst wieder im System 0 dargestellt werden v 0B,0 = A 0B v 0B,B
und ω0B,0 = A 0B ω0B,B
(6.6)
150
6 Elastische Körper
Die Ableitung des Geschwindigkeitsvektors liefert dann a 0B,0 = v˙0B,0 = A˙0B v 0B,B + A 0B v˙0B,B
(6.7)
Ins System B zurücktransformiert erhält man a 0B,B = A T0B A˙0B v 0B,B + v˙0B,B = ω0B,B × v 0B,B + v˙0B,B ˜ 0B,B ω
(6.8)
Analog zu (6.8) erhält man für die Winkelbeschleunigung ˙ 0B,B = ω ˙ 0B,B α0B,B = ω0B,B × ω0B,B + ω
(6.9)
Wegen ω0B,B × ω0B,B = 0 erhält man hier die im bewegten Koordinatensystem B dargestellte absolute Winkelbeschleunigung direkt aus der Relativ-Ableitung der Winkelgeschwindigkeit. Bei stehendem Hubschrauber führt das Bezugssystem B nur mehr eine Drehung um die dann raumfeste z B =z 0 -Achse durch. Dann beschreiben ⎡ ⎡ ⎤ ⎤ 0 0 ⎢ ⎢ ⎥ ⎥ v 0B,B = ⎣ 0 ⎦ und ω0B,B = ⎣ 0 ⎦ (6.10) 0 γ˙ die Geschwindigkeit und die Winkelgeschwindigkeit des bewegten Bezugssystems. Die Beschleunigung und Winkelbeschleunigung sind dann durch ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ 0 0 ⎢ ⎥ ⎢ ⎥ (6.11) a 0B,B = ⎣ 0 ⎦ und α0B,B = ⎣ 0 ⎦ 0 γ¨ gegeben.
6.2.2 Relative Punkt-Kinematik Die Lage eines Punktes P auf dem Rotorblatt eines Hubschraubers relativ zu dem im Bild 6.2 definierten Bezugssystem B wird durch den Ortsvektor r B P beschrieben. Auf Grund der elastischen Deformationen des Rotorblattes ist der im Bezugssystem B dargestellte Vektor nicht konstant r B P,B = r B P,B (t )
(6.12)
Die absolute Lage von P wird dann durch die Vektorkette r0P,0 = r0B,0 + A 0B r B P,B
(6.13)
6.2 Beispiel Hubschrauber-Rotorblatt
151
festgelegt. Die Ableitung des im Inertialsystem 0 dargestellten Ortsvektors liefert die absolute Geschwindigkeit r˙0P,0 = v 0P,0 = r˙0B,0 + A˙0B r B P,B + A 0B r˙B P,B
(6.14)
˜ 0B,B = A T0B A˙0B Mit dem schiefsymmetrischen Winkelgeschwindigkeitstensor ω bleibt im bewegten Bezugssystem B dargestellt
˜ 0B,B r B 1,B + r˙B P,B (6.15) v 0P,B = A T0B r˙0B,0 + A˙0B r B P,B + A 0B r˙B P,B = A T0B v 0B,0 + ω oder v 0P,B = v 0B,B + ω0B,B × r B P,B + r˙B P,B
(6.16)
Analog zu (6.8) erhält man für die absolute Beschleunigung a 0P,B
= = +
ω0B,B × v 0P,B + v˙0P,B ω0B,B × v 0B,B + ω0B,B × r B P,B + r˙B P,B ˙ 0B,B × r B P,B + ω0B,B × r˙B P,B + r¨B P,B v˙0B,B + ω
(6.17)
Ausmultipliziert und geordnet erkennt man die aus der Relativ-Kinematik bekannten Beschleunigungsterme ˙ 0B,B × r B P,B + ω0B,B × ω0B,B × r B P,B + 2 ω0B,B × r˙B P,B + r¨B P,B a 0P,B = a 0B,B + ω
Führung
Coriolis
Relativ
(6.18) wobei gemäß (6.8) die Ausdrücke ω0B,B ×v 0B,B +v˙0B,B die im Koordinatensystem B dargestellte Absolut-Beschleunigung a 0B,B des Ursprungs B ergeben.
6.2.3 Einfaches Balkenmodell 6.2.3.1 Modell-Vorstellung Ein Rotorblatt, Bild 6.3, entspricht auf Grund der geometrischen Form, B L und H L einem langen schlanken Balken. Die Verschiebungen eines Punktes von der Ausgangsposition P0 in die aktuelle Position P werden in Richtungen der Koordinatenachsen x B , y B und z B durch u = u (P0 , t ), v = v (P0 , t ) und w = w (P0 , t ) beschrieben2 . Die Lage von P gegenüber dem bewegten Bezugssystem wird somit durch den Vektor ⎡ ⎤ u (r B P0 ,B , t ) ⎢ ⎥ r B P,B = r B P0 ,B + ⎣ v (r B P0 ,B , t ) ⎦ (6.19) w (r B P0 ,B , t ) 2
In der Literatur auch als Lagrange Koordinaten bezeichnet
152
6 Elastische Körper
M yB
0 y0
γ zB
x0
z0
L
q(x,t) u
P0
H v w
dx
P
B
xB
Bild 6.3: Kontinuumsmechanisches Modell eines Hubschrauberrotorblattes
festgelegt, wobei r B P0 ,B =const. gilt. Unter der Voraussetzung, dass bei allen auftretenden Deformationen die Kontinuitätsaxiome der Unzerstörbarkeit (Kurvenstücke aus Punkten bleiben zusammenhängend), der Erhaltung (alle Punkte bleiben erhalten und es kommen auch keine neuen hinzu) und der Undurchdringbarkeit (der von einem Punkt besetzte Ort kann nicht gleichzeitig von einem anderen eingenommen werden) erfüllt sind, können die Gleichungen und Prinzipe aus der Kontinuumsmechanik angewendet werden. 6.2.3.2 Euler-Bernoulli-Hypothese Die Modellierung von Balken nach der Euler-Bernoulli-Hypothese3 setzt folgende Annahmen voraus • • • •
kleine Verformungen (lineare Theorie) keine wesentlichen Schubdeformation (lange schlanke Balken) ebene Querschnitte linear-elastisches Materialgesetz (Hooke4 )
Im normalen Betrieb treten am Rotorblatt keine sehr großen Verformungen auf. Beschränkt man sich zudem auf die Verformungen in der x B -z B -Ebene (v = 0) und vernachlässigt die Verformung in Balken-Längsrichtung (u = 0), dann kann das Rotorblatt durch einen einfachen Biegebalken modelliert werden. Die kontinuumsmechanischen Bewegungsgleichungen des Balkens kön3
4
Jacob Bernoulli, schweizer Mathematiker, 1654-1705 und Daniel Bernoulli, Mathematiker, Physiker, Philosoph, Niederlande/Schweiz, 1700-1782 Sir Robert Hooke, englischer Physiker und Mathematiker, 1635-1703
6.2 Beispiel Hubschrauber-Rotorblatt
153
nen hier am einfachsten an einem differentiellen Balkenelement hergeleitet werden, Bild 6.4. Die aktuelle Position des Balken-Elementes der Länge d x rexB
q(x,t)
M(x,t)
M(x+dx,t)
N(x,t)
w(x,t)
N(x+dx,t) ρ, A
Q(x,t) x
dx
Q(x+dx,t)
Bild 6.4: Differentielles Balkenelement
lativ zum bewegten Bezugssystem B wird entsprechend (6.19) nun durch ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ x 0 ⎢ ⎥ ⎢ ⎥ 0 r B P,B = ⎣ 0 ⎦ + ⎣ (6.20) ⎦ 0 w (x , t ) beschrieben. Mit
⎡
⎢ r˙B P,B = ⎢ ⎣
⎡
⎤ 0 0 ∂ w (x ,t ) ∂t
⎥ ⎥ ⎦
und
⎢ r¨B P,B = ⎢ ⎣
⎤ 0 0 ∂ 2 w (x ,t ) ∂t2
⎥ ⎥ ⎦
(6.21)
erhält man bei stehendem Hubschrauber aus (6.18) die absolute Beschleunigung zu ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ 0 0 x 0 0 x 0 0 0 ⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥ a 0P,B = ⎣ 0 ⎦ + ⎣ 0 ⎦ × ⎣ 0 ⎦ + ⎣ 0 ⎦ × ⎣ 0 ⎦ × ⎣ 0 ⎦ + 2 ⎣ 0 ⎦ × ⎣ 0 ⎦ + ⎣ 0 ⎦ 0 γ¨ w γ˙ γ˙ w γ˙ w˙ w¨
a 0B,B
˙ 0B,B ×r B P,B ω
ω0B,B ×ω0B,B ×r B P,B
2 ω0B,B ×r˙B P,B
r¨B P,B
(6.22) Zusammengefasst bleibt
⎡
a 0P,B
⎤ −x γ˙ 2 ⎢ ⎥ = ⎣ x γ¨ ⎦ w¨
(6.23)
wobei w˙ und w¨ die erste und zweite partielle Ableitung der Funktion w = w (x , t ) nach der Zeit t bezeichnen. Dreht der Rotor zudem mit konstanter Drehgeschwindigkeit, dann verschwindet wegen γ¨ = 0 die Beschleunigungskomponente in Umfangsrichtung (y B -Achse).
154
6 Elastische Körper
Der Impulssatz für das Massenelement d m = A d x in radialer und vertikaler Richtung liefert A d x −x γ˙ 2 ∂ 2 w (x , t ) Adx ∂t2
=
N (x + d x , t ) − N (x , t )
=
Q(x + d x , t ) −Q(x , t ) + q (x , t ) d x
(6.24)
wobei die Materialdichte und A die Querschnittsfläche des Rotorblattes bezeichnet. Das Eigengewicht und die Belastung aus den Auftriebskräften sind in der Streckenlast q (x , t ) zusammengefasst. Mit den linearen Näherungen aus der Taylor-Reihe N (x + d x , t ) ≈ N (x , t ) +
∂N dx ∂x
und Q(x + d x , t ) ≈ Q(x , t ) +
∂Q d x (6.25) ∂x
bleibt
∂N dx A d x −x γ˙ 2 = ∂x
und
Adx
∂ 2 w (x , t ) ∂ Q d x +q (x , t ) d x (6.26) = ∂t2 ∂x
Die Gleichung in radialer Richtung kann sofort durch Integration gelöst werden x N (x , t ) = N (0, t ) +
A −x γ˙ 2 d x
(6.27)
0
Setzt man eine konstante Materialdichte =const. und eine konstante Querschnittsfläche A=const. voraus, dann erhält man N (x , t ) = N (0, t ) −
1 A x 2 γ˙ 2 2
(6.28)
Am freien Ende bei x = L muss die Normalkraft verschwinden. Aus N (L, t ) = 0 folgt dann die Integrationskonstante zu N (0, t ) = 12 A x 2 γ˙ 2 . In (6.28) eingesetzt bleibt " #2 x L 2 (6.29) N (x , t ) = m γ˙ 1 − 2 L wobei m = A L die Masse des Rotorblattes bezeichnet. Die aus der Fliehkraft resultierende Normalkraft nimmt somit quadratisch von innen nach außen ab. Vernachlässigt man die Drehträgheit der Balkenquerschnitte, dann entartet der Drallsatz um die y B -Achse zum Momentengleichgewicht 0 = M (x + d x , t ) − M (x , t ) −
Q(x + d x , t ) +Q(x , t )
dx 2
(6.30)
6.2 Beispiel Hubschrauber-Rotorblatt
155
Mit (6.25) und der analogen Näherung für das Biegemoment M (x + d x , t ) ≈ M (x , t ) +
∂M dx ∂x
(6.31)
liefert (6.30) in erster Näherung ∂M d x = Q(x , t ) d x ∂x
oder
∂M = Q(x , t ) ∂x
(6.32)
Bei konstanter Biegesteifigkeit des Balkens, E I =const., liefert die EulerBernoulli-Hypothese den Zusammenhang EI
∂ 2 w (x , t ) = −M y (x , t ) ∂ x2
(6.33)
Nach x abgeleitet und mit (6.32) kombiniert bleibt EI
∂M ∂ 3 w (x , t ) =− = Q(x , t ) 3 ∂x ∂x
(6.34)
Nochmals nach x abgeleitet kann (6.34) in die zweite Gleichung von (6.26) eingesetzt werden. Man erhält dann Adx
∂ 4 w (x , t ) ∂ 2 w (x , t ) + E I d x = q (x , t ) d x ∂t2 ∂ x4
(6.35)
Diese partielle Differentialgleichung für w (x , t ) ist linear. Die vollständige Lösung kann deshalb aus der homogenen und der partikulären Lösung zusammen gesetzt werden. 6.2.3.3 Eigenschwingungen Die aus (6.35) folgende homogene Differentialgleichung A
∂ 2 w (x , t ) ∂ 4 w (x , t ) + E I =0 ∂t2 ∂ x4
(6.36)
kann noch analytisch gelöst werden. Mit dem Ansatz, hier z. B. mit w (x , t ) = ϕ(x ) τ0 sin ωt
(6.37)
wird die gesuchte Lösung in das Produkt einer reinen Zeit- mit einer reinen Ortsfunktion zerlegt. In (6.36) eingesetzt, erhält man dann
d 4 ϕ(x ) A −ϕ(x )ω2 τ0 sin ωt +E I τ0 sin ωt =0 dx4
(6.38)
156
6 Elastische Körper
oder
d 4 ϕ(x ) 2 EI −ω Aϕ(x ) τ0 sin ωt =0 dx4
(6.39)
Damit diese Gleichung für beliebige Zeiten erfüllt ist, muss EI
d 4 ϕ(x ) − ω2 A ϕ(x ) = 0 dx4
bzw.
d 4 ϕ(x ) A ϕ(x ) = 0 − ω2 4 dx EI
(6.40)
gelten. Diese nunmehr gewöhnliche Differentialgleichung kann mit dem Ansatz ϕ(x ) = C 1 sin β x + C 2 cos β x + C 3 sinh β x + C 4 cosh β x
(6.41)
gelöst werden, wobei β und C 1 bis C 4 noch zu bestimmende Konstante sind. In (6.40) eingesetzt, erhält man E I β 4 C 1 sin β x +C 2 cos β x +C 3 sinh β x +C 4 cosh β x ω2 A C 1 sin β x +C 2 cos β x +C 3 sinh β x +C 4 cosh β x Daraus folgt sofort β 4 = ω2
− =
(6.42) 0
A EI
(6.43)
Die restlichen Konstanten müssen aus den Randbedingungen bestimmt werden. Nimmt man an, dass das Rotorblatt bei x = 0 fest eingespannt ist, dann muss dort d ϕ(x ) ϕ(0) = 0 und =0 (6.44) d x 0 gelten. Am freien Ende bei x = L verschwinden die Querkraft und das Biegemoment. Gemäß (6.33) und (6.34) ist das gleichbedeutend mit d 2 ϕ(x ) d 3 ϕ(x ) = 0 und =0 (6.45) d x 2 L d x 3 L Die geometrischen Randbedingungen (6.44) führen auf C2 + C4 = 0
und C 1 + C 3 = 0
(6.46)
und die dynamischen Randbedingungen (6.45) haben − C 1 sin β L − C 2 cos β L + C 3 sinh β L + C 4 cosh β L
=
0
(6.47)
−C 1 cos β L + C 2 sin β L + C 3 cosh β L + C 4 sinh β L
=
0
(6.48)
6.2 Beispiel Hubschrauber-Rotorblatt
157
zur Folge. Unter Berücksichtigung von (6.46) erhält man sinh β L + sin β L C 3 + cosh β L + cos β L C 4 cosh β L + cos β L C 3 + sinh β L − sin β L C 4
= =
0 0
(6.49)
Dieses homogene Gleichungssystem hat nur dann nicht triviale Lösungen, wenn die Koeffizienten-Determinante verschwindet
2 sinh β L − sin β L − cosh β L + cos β L = 0
(6.50)
sinh2 β L − sin2 β L − cosh2 β L − 2 cosh β L cos β L − cos2 β L = 0
(6.51)
sinh β L + sin β L
Ausmultipliziert bleibt
Mit den Beziehungen sin2 β L + cos2 β L = 1 und cosh2 β L − sinh2 β L = 1 erhält man schließlich − 2 − 2 cosh β L cos β L = 0
oder
1 + cosh β L cos β L = 0
(6.52)
Diese transzendente Gleichung hat unendlich viele Lösungen. Die ersten drei sind durch β1 = 1.8751/L,
β2 = 4.6941/L,
β3 = 7.8548/L
(6.53)
gegeben5 . Zu jedem Wert von β erhält man dann aus (6.43) die zugehörige Eigenfrequenz EI 4 β ω2i = (6.54) A i mit der das Rotorblatt gemäß der im Produktansatz (6.37) verwendeten Zeitfunktion τ(t ) = τ0 sin ωt ungedämpfte Schwingungen durchführt. 6.2.3.4 Näherungslösungen Nur bei sehr einfachen Modellen aus Kontinuumsmechanik können die resultierenden partiellen Diffrentialgleichungen so wie hier noch analytisch gelöst werden. In den meisten Fällen ist man auf geeignete Näherungslösungen angewiesen. In der Kontinuumsmechanik haben sich die Verfahren nach Ritz6 und Galerkin7 bestens bewährt. Wieder verwendet man einen Produkt-Ansatz, der 5 6 7
1. Lösung in Matlab z. B. durch x = fzero(@(x) 1+cos(x)*cosh(x), 1) Walter Ritz, Schweizer Mathematiker und Physiker, 1878-1909 Boris Grigorjewitsch Galerkin, sowjetischer Ingenieur und Mathematiker, 1871-1945
158
6 Elastische Körper
jetzt aber aus einer endlichen Anzahl von Ortsfunktionen zusammengesetzt wird N 3 ϕi (x ) τi (t ) (6.55) w (x , t ) = i =1
Dieser Ansatz wird dann in die zu lösende Differentialgleichung, z. B. in (6.35) eingesetzt Adx
N 3 i =1
ϕi (x )
N 3 d 4 ϕi d 2 τi + E I τi d x = q (x , t ) d x 2 dt dx4 i =1
(6.56)
Nun wird gemäß Galerkin eine gewichtete Mittelung im Ortsbereich durchgeführt. Dazu wird (6.56) mit den Orts-Ansatzfunktionen ϕ j (x ) = 1(1)N multipliziert und dann über den Körper, hier über die Balkenlänge L, integriert L A ϕi (x )
d 2 τi d 4 ϕi (x ) + E I τ − q (x , t ) ϕ j (x ) d x = 0 i dt2 dx4
0
i , j = 1(1)N (6.57)
Mit den Abkürzungen L Mi j =
L A ϕi (x ) ϕ j (x ) d x , C i j =
0
0
d 4 ϕi (x ) EI ϕ j (x ) d x , Q i = dx4
L q (x , t ) ϕi (x ) d x 0
(6.58) für die Elemente der Massen- und Steifigkeitsmatrix sowie für den verallgemeinerten Kraftvektor bleibt dann mit ! ! M i j τ¨ + C i j τ = [Q i (t )] (6.59) ein gewöhnliches Differentialgleichungssystem für die Zeit-Ansatzfunktion τ = [τi ], das die Dynamik des elastischen Bauteils näherungsweise beschreibt und das problemlos in MKS-Simulationen integriert werden kann. Für praktische Anwendungen wird (6.59) in der Regel mit fiktiven Dämpfungstermen erweitert, mit denen die Materialdämpfung nachgebildet werden soll. Die Güte der Näherungslösungen hängt natürlich von der Qualität der gewählten OrtsAnsatzfunktionen ab. Meist verwendet man Ansatzfunktionen aus vereinfachten analytisch lösbaren Modellen. Beim Galerkin-Verfahren müssen die OrtsAnsatzfunktionen in der Form (6.57) allerdings alle Randbedingungen erfüllen. Beim verwandten Ritz-Verfahren dagegen genügt es, wenn nur die geome-
6.2 Beispiel Hubschrauber-Rotorblatt
159
trischen Randbedingungen erfüllt werden. Bei vielen technischen Anwendungen reicht es, wenn lediglich die erste Eigenform eines elastischen Körpers dynamisch erfasst wird. Diese Eigenform wird in der Regel sehr gut angenähert durch die statische Deformation des Körpers, resultierend aus dem Eigengewicht oder aus einer bestimmten Belastung. Beim Rotorblatt kann die erste Eigenform durch die Biegelinie eines einseitig eingespannten und mit einer konstanten Streckenlast q0 beaufschlagten Balkens approximiert werden. Aus der „Hütte – Die Grundlagen der Ingenieurwissenschaften“ entnimmt man für diesen Fall die Gleichung der Biegelinie zu w (x ) =
q0 L 4 24E I
" #2 " #3 " #4 x x x 6 −4 + L L L
(6.60)
In normierter Form, z. B. w (L) = 1 erhält man daraus eine Orts-Ansatzfunktion " #2 " #3 " #4 1 x x x ϕ(x ) = (6.61) 6 −4 + 3 L L L die selbstverständlich alle Randbedingungen erfüllt. Das erste Integral in (6.58) lautet dann L M = M 11 =
2 " # 2 " #3 " #4 2 1 x x x A −4 + dx 6 3 L L L
(6.62)
0
Ausmultipliziert und unter der Annahme einer konstanten Dichte und einer konstanten Querschnittsfläche bleibt 1 M 11 = M = A 9
L
" #5 " #6 " #7 " #8 " #4 x x x x x − 48 + 28 −8 + 36 dx L L L L L
0
(6.63)
Nach der Integration erhält man mit m = AL M = 19 m Mit ϕ I V =
24 3L 4
=
36 − 48 + 28 − 88 + 19 5 6 7 8 L4
!
= 19 m
36 −8+4−1+ 19 5
!
=
104 405
m
(6.64)
und E I =const. lautet das zweite Integral in (6.58) L
C 11 = C = E I 0
" #2 " #3 " #4 x x x 8 1 −4 + 6 dx 4 L 3 L L L
(6.65)
160
6 Elastische Körper
Nach der Integration bleibt C=
8E I 3L 4
L
6 3
− 44 + 15
! EI
8 6 L3 3 5
=
16 E I 5 L3
(6.66)
Das ergibt für das Quadrat der Eigenfrequenz den Wert C 16 E I 405 1 = M 5 L 3 104 m
(6.67)
162 E I EI = 12.4615 4 13 ρA L ρAL 4
(6.68)
ω2 = Mit m = ρA L bleibt ω2 =
Die exakte Lösung mit β1 = 1.8751/L führt gemäß (6.54) auf ω2 =
EI A
1.8751 L
4 = 12.3623
EI ρAL 4
(6.69)
Die Galerkin-Näherung liefert hier bei einem Fehler, der kleiner als 1% ist, ein hervorragendes Ergebnis. Mit einer über die Balkenlänge konstanten Streckenlast q (x , t ) = q0 (t )) liefert das dritte Integral die gemittelte Belastung zu L Q 1 = Q = q 0 (t )
" #2 " #3 " #4 1 x x x 2 6 −4 + d x = q0 (t ) L 3 L L L 5
(6.70)
0
Die „dynamische“ Masse M = 104 m und die „dynamische“ Belastung Q = 405 2 q (t )L sind also deutlich kleiner als die entsprechenden „statischen“ Werte m 5 0 und q0 (t )L. Die durch (6.68) und (6.69) ermittelten Eigenfrequenzen stimmen zwar sehr gut überein, hängen aber nicht von der Drehgeschwingigkeit γ˙ des Rotors ab. Dies widerspricht der praktischen Erfahrung. Die aus der Zentrifugalkraft resultierenden Normalkräfte führen zu einer Versteifung des Rotorblattes. Dieser Effekt kann mit den hier durchgeführten linearen Ansätzen nicht nachgebildet werden. In kommerziellen Mehrkörperprogrammen gibt es deshalb die Möglichkeit elastische Strukturen mit Ansätzen zweiter Ordnung zu beschreiben. Dies ist allerdings mit einem erheblichen zusätzlichen Berechnungsaufwand verbunden.
6.2 Beispiel Hubschrauber-Rotorblatt
161
q(x,t)
M(x,t)
M(x+dx,t)
N(x,t)
w(x+dx,t)
Q(x,t) x
xB
w(x,t)
ρ, A
N(x+dx,t) Q(x+dx,t)
dx
Bild 6.5: Differentielles Balkenelement im verformten Zustand
6.2.3.5 Gleichgewicht am verformten Balkenelement Der Einfluss der Normalkraft auf die Balkenbiegung kann erfasst werden, wenn das differentielle Balkenelement im verformten Zustand betrachtet wird. Das Bild 6.5 macht deutlich, dass nun auch die Normalkräfte N (x , t ) und N (x + d x , t ) über den Hebelarm w (x + d x , t ) − w (x , t ) ein Moment um die y -Achse erzeugen. Erweitert man das Momentengleichgewicht (6.30) um die entsprechenden Terme, dann erhält man 0
= +
" # dx M (x + d x , t ) − M (x , t ) − Q(x + d x , t ) +Q(x , t ) 2
N (x + d x , t ) + N (x , t ) w (x + d x , t ) − w (x , t )
(6.71)
Mit den Näherungen (6.25), (6.31) und w (x + d x , t ) ≈ w (x , t ) +
∂w dx ∂x
(6.72)
bleibt unter der Vernachlässigung von Termen höherer Ordnung 0=
∂M ∂w d x − Q(x , t ) d x + N (x , t ) dx ∂x ∂x
(6.73)
wobei das Produkt aus der Normalkraft N und der Neigung der Biegelinie ∂ w /∂ x nun nicht mehr als vernachlässigbar klein angesehen wird. Durch nochmaliges Ableiten nach der Ortskoordinate x kann (6.73) mit der EulerBernoulli-Hypothese (6.33) und dem Impulssatz in vertikaler Richtung (6.26) kombiniert werden. In Erweiterung zu (6.35) ergibt sich ∂ 4 w (x , t ) ∂ ∂ 2 w (x , t ) ∂ w (x , t ) = q (x , t ) d x + E I d x − Adx N (x , t ) ∂t2 ∂ x4 ∂x ∂x (6.74)
162
6 Elastische Körper
Analytische Lösungen dieser partiellen Differentialgleichung sind nur mehr für Sonderfälle, z. B. bei konstanter Normalkraft, möglich. Der Produkt-Ansatz (6.55) ermöglicht jedoch auch hier Näherungslösungen nach Ritz und Galerkin. Die gewichtete Mittelung über die Balkenlänge führt wieder auf eine gewöhnliche Matrizendifferentialgleichung in der Form (6.59). Die in (6.58) definierten Elemente der Massenmatrix M i j und des Vektors der verallgemeinerten Kräfte Q i (t ) bleiben unverändert. Der Einfluss der Normalkraft macht sich jedoch bei den Elementen der Steifigkeitsmatrix bemerkbar L ; Ci j =
d d 4 ϕi (x ) − EI 4 dx dx
d ϕi (x ) N dx
> ϕ j (x ) d x
(6.75)
0
Der zweite Term kann durch partielle Integration8 umgeformt werden. Es bleibt dann L Ci j =
d 4 ϕi (x ) EI ϕ j (x ) d x + dx4
0
L N
L d ϕi (x ) d ϕi (x ) d ϕ j (x ) dx − N ϕ j (x ) dx dx dx 0
0
(6.76) Beim Rotorblatt verschwindet der letzte Term. Denn am Ende des Rotorblatts kann gemäß (6.29) keine Normalkraft auftreten, N (x = L, t ) = 0 und die Ortsansatzfunktionen müssen mit ϕ(x = 0, t ) = 0 den geometrischen Randbedingungen an der Einspannstelle genügen. Mit der Ansatzfunktion (6.61) wurde das erste Integral in (6.75) bereits im vorigen Abschnitt berechnet. Setzt man für i = 1 und j = 1 die Ableitung der Ansatzfunktion " #2 " #3 x 1 d ϕ(x ) 4 x x + = 3 −3 dx 3 L L L L
(6.77)
und die Normalkraft (6.29) in das zweite Integral ein, dann erhält man
L I 2 = m γ˙ 2 2
L 1−
" #2 " #2 " #3 2 x x 4 1 x x + dx 3 −3 L 3 L L L L
0
8
Partielle Integration: vgl. Fußnote auf Seite 62
(6.78)
6.2 Beispiel Hubschrauber-Rotorblatt
163
wobei die nicht vom Ort x abhängigen Terme vor das Integral gestellt wurden. Mit L
? x 4 32 x 5 112 x 6 16 x 7 8 x 8 @ 3 122 2 dx = 8 xL −16 xL + 16 + 3 L − 9 L + 3 L −9 L 3 L 405
0
(6.79)
erhält man schließlich
122 m γ˙ 2 405 In Erweiterung zu (6.66) ist damit die Steifigkeit des Rotorblattes durch C =
I2 =
(6.80)
122 16 E I m γ˙ 2 + 3 5 L 405
(6.81)
gegeben. Der statische Anteil, der durch die Biegesteifigkeit E I bestimmt ist, wird nun ergänzt durch einen dynamischen Anteil, der, wie erwartet, mit steigender Drehzahl γ˙ zunimmt. Die erste Eigenfrequenz des Rotorblattes ist nun auch von der Drehzahl abhängig. Analog zu (6.67) erhält man nun für das Quadrat der Eigenfrequenz den Wert ω2 =
405 1 16 E I 405 1 122 162 E I C 61 2 = + m γ˙ 2 = γ˙ + 3 3 M 5 L 104 m 405 104 m 13 m L 52
(6.82)
6.2.4 Lumped Mass Modell 6.2.4.1 Modellvorstellung Das „Lumped Mass“ Modell des Rotorblattes besteht hier nur aus zwei starren Körpern, die stark vereinfacht die Bewegungen in der x B -z B -Ebene nachbilden, Bild 6.6. Das Rotorblatt der Länge L wird dabei in fünf gleich lange Segmente unterteilt. Der erste Abschnitt ist fest mit dem Rotorkopf verbunden und die jeweils nächsten beiden Abschnitte bilden einen starren Teilkörper. Die Teilkörper der Länge 25 L sind in den Punkten P und Q durch Scharniergelenke mit Torsionsfedern der Steifigkeit c und der Dämpfung d verbunden. Die Drehwinkel δ und ϕ beschreiben die Auf- und Abbewegung des Rotorblattes. Die auf das Rotorblatt wirkenden Widerstands- und Auftriebskräfte werden hier vereinfacht über die Kräfte F1 und F2 berücksichtigt. Das Antriebsmoment M versetzt den Rotor in Drehung. Bei stehendem Hubschrauber verfügt das System über drei Bewegungsmöglichkeiten, die in den Vektoren ! δ und y R = (6.83) yH = γ ϕ
164
6 Elastische Körper
M yB
L/5 c,d
γ zB
S1
P
δ y1
0
L/5 x1
z1
Q
z0
L/5 c,d
F1
y0
L/5
ϕ y2
S2
F2 z2
x0
L/5 x2 xB
Bild 6.6: Lumped Mass Model eines Hubschrauberrotorblattes
zusammengefasst sind. Als verallgemeinerte Geschwindigkeiten werden mit / 0 ! δ˙ und z R = (6.84) z H = γ˙ ϕ˙ in trivialer Weise die Ableitungen der Lagegrößen definiert. Die KinematikMatrizen K H und K R , die bei der Verwendung nicht trivialer verallgemeinerter Geschwindigkeiten auftreten, werden hier durch Einheitsmatrizen passender Dimension ersetzt, K H = E 11 und K R = E 22 . 6.2.4.2 Bewegungsgleichungen im bewegten Referenzsystem In Abschnitt 4.2.3.1 werden die Zwangskräfte im Inertialsystem 0 und die Zwangsmomente im jeweiligen körperfesten Koordinatensystem k angeschrieben. Transformiert in ein beliebig bewegtes Bezugssystem B erhält man an Stelle von (4.53) Fkz,B = A T0B Fkz,0 = m k A T0B v˙0k ,0 − A T0B Fke,0 (6.85) Mit der Absolut-Beschleunigung des k -ten Teilkörpers, die mit a 0B,B = A T0B v˙0k ,0 im Bezugssystem B dargestellt wird, bleibt dann einfach Fkz,B = m k a 0k ,B − Fke,B
(6.86)
Eine entsprechende Transformation auf (4.54) angewandt, liefert die im bewegten Bezugssystem B dargestellten Zwangsmomente z z e ˙ M Sk ,B = A Bk M Sk ,k = A Bk TSk ,k ω0k ,k + A Bk ω0k ,k × TSk ,k ω0k ,k − A Bk M Sk ,k (6.87)
6.2 Beispiel Hubschrauber-Rotorblatt
165
Der Trägheitsterm kann wie folgt umgeformt werden ˙ 0k ,k = A Bk TSk ,k A TBk A Bk ω ˙ 0k ,k = TSk ,B A Bk ω ˙ 0k ,k A Bk TSk ,k ω
TSk ,B
(6.88)
wobei TSk ,B den im bewegten Bezugssystem B dargestellten Trägheitstensor des k -ten Körpers angibt. Die Änderung der Winkelgeschwindigkeit des k -ten Teilkörpers gegenüber dem körperfesten System k kann über
d T ˙ 0k ,0 = A˙T0k A 0k A T0k ω0k ,0 + A T0k ω ˙ A 0k ω0k ,0 = A˙ T0k ω0k ,0 + A T0k ω dt 0k ,0 ω0k ,k α0k ,k ˜ 0k ,k ω (6.89) auf die im körperfesten Koordinatensystem k dargestellte absolute Winkelbe˜ 0k ,k ω0k ,k = ω0k ,k × ω0k ,k schleunigung α0k ,k zurückgeführt werden. Wegen ω und ω0k ,k × ω0k ,k = 0 bleibt ˙ 0k ,k = ω
˙ 0k ,k = α0k ,k ω
(6.90)
Mit (6.88) und (6.90) folgen dann aus (6.87) die Zwangsmomente im Bezugssystem B zu z e M Sk ,B = TSk ,B α0k ,B + ω0k ,B × TSk ,B ω0k ,B − M Sk ,B
(6.91)
Mit der Darstellung der absoluten Beschleunigung und der absoluten Winkelbeschleunigung eines Teilkörpers in einem beliebig bewegten Bezugssystem kann die Elimination der Zwangskräfte und Zwangsmomente gemäß dem Jourdainschen Prinzip auch in beliebig bewegten Koordinatensystemen durchgeführt werden. Die Ergebnisse der relativen Punkt-Kinematik aus Abschnitt 6.2.2 können hier direkt zur Beschreibung der Lage, der Geschwindigkeit und der Beschleunigung der Teilkörperschwerpunkte S 1 und S 2 verwendet werden. Für die Aufstellung der Bewegungsgleichungen nach Jourdain müssen allerdings die Beschleunigung in „echte“ Beschleunigungsterme und Scheinbeschleunigun gen unterteilt werden. Mit v 0B,B = v 0B,B y H , z H , ω0B,B y H , z H und der kinematischen Differentialgleichung y˙H = K H z H können die Beschleunigung und die Winkelbeschleunigung des Bezugssystems B in der Form v˙0B,B
∂ v 0B,B y H , z H ∂ v 0B,B y H , z H = z˙ H + KH z H ∂ zH ∂ yH
(6.92)
˙ 0B,B ω
∂ ω0B,B y H , z H ∂ ω0B,B y H , z H = z˙ H + KH z H ∂ zH ∂ yH
(6.93)
166
6 Elastische Körper
dargestellt werden. Die im Vektor y R zusammengefassten verallgemeinerten Koordinaten beschreiben die Lage der Teilkörperschwerpunkte S k , k = 1, 2 gegenüber dem Bezugssystem B . Für die entsprechenden Ortsvektoren gilt somit r Bk ,B = r Bk ,B y R Die Lage-Änderung gegenüber dem Bezugssystem ist dann durch ∂ r Bk ,B y R r˙Bk ,B = y˙R ∂ yR
(6.94)
(6.95)
gegeben. Unter Berücksichtigung von nicht trivialen Geschwindigkeiten, die dann über eine kinematische Differentialgleichung y˙R = K R (y R ) z R definiert sind, bleibt ∂ r Bk ,B y R r˙Bk ,B = r˙Bk ,B y R , z R = K R (y R ) z R (6.96) ∂ yR Für die Relativ-Beschleunigung eines Teilkörpers k erhält man nun ∂ r˙Bk ,B y R , z R ∂ r˙Bk ,B z˙ R + K R (yR ) z R r¨Bk ,B = ∂ z˙ R ∂ yR
(6.97)
Die Absolut-Beschleunigung des k -ten Teilkörperschwerpunktes kann dann basierend auf den Berechnungen in Abschnitt 6.2.2 in der Form a 0k ,B =
∂ v 0B,B ∂ ω0B,B ∂ r˙Bk ,B z˙ H + z˙ H × r Bk ,B + z˙ R + a S0k ,B ∂ zH ∂ zH ∂ zR
(6.98)
angeschrieben werden, wobei die Scheinbeschleunigungsterme durch a S0k ,B
=
∂ v 0B,B ∂ ω0B,B ∂ r˙Bk ,B KH z H + K H z H × r Bk ,B + KR z R ∂ yH ∂ yH ∂ yR
+
ω0B,B × v 0k ,B + ω0B,B × r˙Bk ,B
(6.99)
gegeben sind. Vertauscht man das Kreuzprodukt in (6.98) und ersetzt es durch die Multiplikation mit den entsprechenden schiefsymmetrischen Matrizen, dann können die Absolut-Beschleunigungen der Teilkörperschwerpunkte k = 1, 2 in der Form ⎤⎡ ⎤ ⎡ z˙ H .. ∂ r˙Bk ,B ∂ v 0B,B ∂ ω 0B,B T ⎦⎣ ··· ⎦ + aS .. + r˜Bk (6.100) a 0k ,B = ⎣ ,B 0k ,B ∂ zH ∂ zH .. ∂ z R z˙ R
∂ v 0k ,B ∂ v 0k ,B ∂ zH ∂ zR
6.2 Beispiel Hubschrauber-Rotorblatt
167
angeschrieben werden. Die partielle Ableitung der Geschwindigkeitsvektoren v 0k ,B nach den verallgemeinerten Geschwindigkeiten z zerfällt entsprechend der Aufteilung in Anteile z H , die aus den Bewegungen des Hubschraubers resultieren und in Anteile z R die dem Rotorblatt zugeordnet sind. Die Orientierung der körperfesten Koordinatensysteme, k = 1, 2, wird über die Drehmatrizen (6.101) A Bk = A Bk y R ebenfalls relativ zum Bezugssystem B beschrieben. Die absolute Winkelgeschwindigkeit des k -ten Teilkörpers ist dann durch ω0k ,B = ω0B,B y H , z H + ω Bk ,B y R , z R
(6.102)
gegeben, wobei die Komponenten der im Bezugssystem B dargestellten relativen Winkelgeschwindigkeitsvektoren über schiefsymmetrische Tensoren ˜ 0k ,B = A˙ Bk A TBk ω
(6.103)
definiert sind. Analog zu (6.9) erhält man für die absolute Winkelbeschleunigung des k -ten Teilkörpers ˙ 0k ,B α0k ,B = ω0B,B × ω0k ,B + ω
(6.104)
Mit (6.102) findet man nach Termen geordnet in der Schreibweise von (6.100) ∂ ω0k ,B ∂z
⎡ ⎤ ⎤ ⎡ z˙ H . ∂ ω ∂ ω 0B,B Bk ,B ⎦ ⎣ .. ··· ⎦ α0k ,B = ⎣ .. ˙ ∂ zH ∂ y z ˙R R . ∂ ω0B,B y H , z H ∂ ω Bk ,B y R , z R + KH z H + K R z R + ω0B,B × ω0k ,B ∂ yH ∂ yR
S α0k ,B (6.105) Auch die partielle Ableitung der Winkelgeschwindigkeitsvektoren ω0k ,B nach den verallgemeinerten Geschwindigkeiten z besteht aus zwei Anteilen, die aus den Bewegungen des Hubschraubers z H und des Rotorblattes z R resultieren. Das Jourdainsche Prinzip führt dann wieder auf Bewegungsgleichungen der Form M (y ) z˙ = q (y , z ) (6.106)
168
6 Elastische Körper
Entsprechend der Modellstruktur kann die Massenmatrix gemäß ⎤ M H R (yH , y R ) ⎥ ⎦ M RR (y R )
⎡ ⎢ M H H (y H , yR ) M (y ) = ⎣ T MH R (y H , y R )
(6.107)
aus Teil-Matritzen aufgebaut werden, die durch M H H (y H , y R ) =
n 3
4
∂ zH
i =k
M H R (y H , y R ) =
4 n T 3 ∂ v 0k ,B ∂ zH
i =k
M RR (yR ) =
T ∂ v 0k ,B
4 n T 3 ∂ v 0k ,B i =k
∂ zR
mk
mk
mk
∂ v 0k ,B ∂ zH ∂ v 0k ,B ∂ zR
∂ v 0k ,B ∂ zR
+
+
+
∂ ωT0k ,B ∂ zH ∂ ωT0k ,B ∂ zH
∂ ωT0k ,B ∂ zR
TSk ,B
TSk ,B
TSk ,B
∂ ω0k ,B
5 (6.108)
∂ zH ∂ ω0k ,B
5 (6.109)
∂ zR
∂ ω0k ,B
5 (6.110)
∂ zR
gegeben sind. Der Vektor der verallgemeinerten Kräfte und Momente folgt aus q (y , z )
=
4 n T 3 ∂ v 0k ,B ∂z
k =1
+
∂ ωT0k ,B ∂z
Fke,B −m k a S0k ,B
!
e S M Sk ,B −TSk ,B α0k ,B −ω0k ,B × TSk ,B ω0k ,B
!
5
(6.111) Entsprechend der Unterteilung der Zustandsgrößen kann auch er in zwei Anteile zerlegt werden ⎤ ⎡ ⎢ qH (y H , y R ) ⎥ (6.112) q (y , z ) = ⎣ ⎦ qR (yH , y R ) 6.2.4.3 Dynamik eines Rotorblattes Die beiden Teilkörper des Rotorblattes führen hier relativ zum rotorfesten Bezugssystem B nur Drehbewegungen um die y B -Achse mit den Winkeln δ und ϕ durch. Die entsprechenden Drehmatrizen sind dann durch ⎡
A B1
cos δ ⎢ =⎣ 0 − sin δ
0 1 0
⎤ sin δ ⎥ 0 ⎦ cos δ
⎡
und
A B2
cos ϕ ⎢ =⎣ 0 − sin ϕ
0 1 0
⎤ sin ϕ ⎥ 0 ⎦ (6.113) cos ϕ
6.2 Beispiel Hubschrauber-Rotorblatt
169
gegeben. Die Lage der Teilkörperschwerpunkte S 1 und S 2 relativ zum rotorfesten Bezugssystem B ist somit durch ⎤ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎡ 1 1 1 1 L L L + L cos δ 5 ⎥ ⎢5 ⎥ ⎢5 ⎥ ⎢5 ⎥ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ (6.114) r B 1,B = ⎢ 0 ⎦ ⎣ 0 ⎦ + A B1 ⎣ 0 ⎦ = ⎣ 1 0 0 − 5 L sin δ r B P,B rP1,1 ⎡1 ⎤ ⎤ ⎡2 ⎤ ⎡1 ⎤ ⎡1 L + 25 L cos δ + 15 L cos ϕ L L L 5 5 5 5 ⎢ ⎥ ⎥ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎢ r B 2,B = ⎣ 0 ⎦ + A B 1 ⎣ 0 ⎦ + A B 2 ⎣ 0 ⎦ = ⎣ 0 ⎦ − 25 L sin δ − 15 L sin ϕ 0 0 0 r B P,B r PQ,1 rQ2,2 (6.115) festgelegt. Für den stehenden Hubschrauber können damit alle zur Aufstellung der Bewegungsgleichungen erforderlichen Größen berechnet werden. Gemäß (6.107) kann die Massenmatrix in Teil-Matrizen unterteilt werden. Da hier in yH und z H nur die Rotordrehung γ berücksichtigt wird, liefert die Auswertung von (6.108) nur einen skalaren Wert, der durch
1 M H H = 375 m L 2 13 + 36 cos δ + 32 cos2 δ + 12 cos ϕ + 24 cos δ cos ϕ + 8 cos2 ϕ (6.116) 1 m 2L 2 wird dabei das Trägheitsmoment des ersten gegeben ist. Mit Θ0 = 3 5 5 Fünftels des Rotorblattes mit erfasst. Die Trägheit des Rotorkopfes bleibt hier allerdings unberücksichtigt. In gestreckter Lage, bei δ = 0 und ϕ = 0, ergibt m L 2 , bzw. M H H = 13 m L 2 , der übereinstimmt mit (6.116) den Wert M H H = 125 375 dem Trägheitsmoment eines dünnen Stabes der Länge L und der Masse m bezogen auf das Stabende. Die durch (6.109) definierten Elemente der Koppelmatrix verschwinden ! M HR = 0 0 (6.117) weil sich hier die Teilkörper nur senkrecht zur Rotordrehung bewegen. Aus (6.110) folgt schließlich die Teil-Matrix für die Teilkörperbewegungen zu / 0 8 4 cos(ϕ−δ) 2 3 (6.118) M RR = mL 2 125 cos(ϕ−δ) 3 Der Vektor der verallgemeinerten Kräfte und Momente q , besteht gemäß (6.112) aus zwei Anteilen, die hier durch qH = M
4 + 375 m L 2 γ˙ (3+6 cos δ+4 cos ϕ) sin ϕ ϕ˙ + (9+16 cos δ+6 cos ϕ) sin δ δ˙ (6.119)
170
6 Elastische Körper
und ⎡ qR = ⎣
1 L cos δ(F1 + 2F2 − 65 m g ) − 2c δ + c ϕ − 2d δ˙ + d ϕ˙ 5 1 L cos ϕ(F2 − 25 m g ) + c δ − c ϕ + d δ˙ − d ϕ˙ 5
+ +
⎤ qδS ⎦ (6.120) qϕS
gegeben sind, wobei die aus den Scheinbeschleunigungen und aus den Kreiselmomenten resultierenden Terme durch
2 m L 2 (9+16 cos δ+6 cos ϕ) sin δ γ˙ 2 −6 sin(ϕ−δ) ϕ˙ 2 (6.121) qδS = − 375
2 qϕS = − 375 (6.122) m L 2 (3+6 cos δ+4 cos ϕ) sin ϕ γ˙ 2 +6 sin(ϕ−δ) δ˙ 2 bestimmt sind. Der Luftwiderstand des Rotorblattes bleibt hier unberücksichtigt. Die Auftriebskräfte an den Teilkörpern werden durch F1 und F2 erfasst, M bezeichnet das auf den Rotor eingeprägte Antriebsmoment. Mit der Drehsteifigkeit c und der Drehdämpfung d werden die elastischen und dissipativen Eigenschaften des Rotorblattes nachgebildet. Nun erhält man ein realistisches Bewegungsverhalten des Rotorblattes. Das Bild 6.7 zeigt die Ergebnisse einer Si0.6 m
Vertikalverschiebung der Teilkörperschwerpunkte
0.4 0.2
S1
0 -0.2
S2
-0.4 2.5
kN
2.0
Auftriebskräfte
F2
1.5 1.0
F1
0.5 0 0
50
100
150
200
250
300
350 400
450
Umdrehungen/Min
Bild 6.7: Simulationsergebnisse mit dem Lumped Mass Model
mulation, bei denen das Rotorblatt von einer waagrechten Position durch ein konstantes Antriebsmoment M in Drehung versetzt wird. Die Auftriebskräfte F1 und F2 werden proportional zu den jeweiligen Umfangsgeschwindigkeiten der
6.2 Beispiel Hubschrauber-Rotorblatt
171
Teilschwerpunkte angesetzt. Im unteren Drehzahlbereich führt das Rotorblatt gedämpfte Schwingungen um die Gleichgewichtslage aus. Die mit steigender Drehzahl zunehmenden Zentrifugalkräfte führen zu einer Versteifung des Rotorblattes. Deshalb bleibt die Durchbiegung (hier verdeutlicht durch die Vertikalverschiebungen der Teilkörperschwerpunkte) trotz quadratisch anwachsender Auftriebskräfte begrenzt. Setzt man kleine Relativbewegungen des Rotorblattes gegenüber dem Bezugssystem B voraus, berücksichtigt aber große Drehgeschwindigkeiten des Rotors, dann kann die nichtlineare Bewegungsgleichung 1 M z˙ = q bei Vernachlässigung der Dämpfung mit m ∗ = 375 m L 2 in der quasilinearisierten Form ⎤ ⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ ⎤⎡ ⎤ ⎡ 0 0 0 M γ¨ 125 0 0 γ ⎥ ⎢ ⎥⎢ ⎥ ⎢ L ⎥⎢ ⎥ ⎢ γ˙ 6 m ∗ ⎣ 0 32 12 ⎦ ⎣ δ¨ ⎦ + ⎣ 0 2c +c δ −c ⎦ ⎣ δ ⎦ = ⎣ 5 (F1 +2F2 − 5 m g ) ⎦ L 2 γ˙ (F − m g ) 0 12 8 ϕ¨ ϕ 0 −c c +c ϕ 5 2 5
y ql i n M y¨ C (6.123) angeschrieben werden, wobei die aus den Fliehkräften resultierenden dynamischen Steifigkeiten durch γ˙
cδ =
62 m L 2 γ˙ 2 375
und
c ϕγ˙ =
26 m L 2 γ˙ 2 375
(6.124)
gegeben sind. Bei stehendem Rotor verschwinden die Auftriebskräfte F1 = 0, F2 = 0 sowie die aus den Scheinbeschleunigungen und aus den Kreiselmomenten resultierenden verallgemeinerten Kräfte q δS = 0, qϕS = 0. Bei kleinen Auslenkungen ist die Gleichgewichtslage des Rotorblattes durch die Beziehungen 6 mgL 2c δG − c ϕG = − 25
und
2 − c δG + c ϕG = − 25 mgL mgL
(6.125) mgL
8 und ϕG = − 10 . In die bestimmt. Als Lösungen erhält man δG = − 25 c 25 c Vertikalverschiebung der Teilkörperschwerpunkte umgerechnet ergibt das
z G1 =
8 mgL L 125 c
und z G2 =
26 m g L L 125 c
(6.126) mg
Die Durchbiegung eines Balkens, der durch sein Eigengewicht q0 = L belastet wird, liefert gemäß (6.60) am Teilkörperschwerpunkt S 2 den Wert ' 2 ( 4 4 m g L 3 172 m g L3 4 2 4 6−4 + = w2 = w x2 = L = (6.127) 5 24E I 5 5 5 E I 1875 Das Gleichsetzen mit der Vertikalverschiebung w 2 = z G2 führt mit 26 m g L m g L 3 172 = L E I 1875 125 c
(6.128)
172
6 Elastische Körper
auf eine Bestimmungsgleichung für die Drehfederkonstante c =
26 1875 E I 195 E I = 125 172 L 86 L
(6.129)
Die daraus resultierenden Eigenfrequenzen des ungedämpften quasi-linearen Systems M y¨ + C y = 0 sind im Bild 6.8 dargestellt. Die Winkelgeschwindig20 Hz 15
m = 12 L = 3 EI = 300
f2
kg m N/m^2
10 5 3.54 0.53 0 0
f1 f1N f0 200
100
300 U/Min 400
Bild 6.8: Drehzahlabhängige Eigenfrequenzen des Lumped Mass Models π keit des Rotorblattes wurde dabei mit γ˙ = 30 U in Umdrehungen pro Minute umgerechnet. Die freie Drehung des Rotors um die z 0 -Achse hat einen NullEigenwert f 0 = 0 zur Folge. Die Eigenfrequenzen des Rotorblattes sind bei geringer Drehzahl durch die Werte f 1 = 0.53 H z und f 2 = 3.54 H z gegeben. Die Eigenfrequenzen eines einfachen Balkenmodells würden sich gemäß (6.53) und (6.54) zu f 1B = 0.54H z und f 2B = 3.37H z ergeben. Die nach (6.129) durchgeführte statische Anpassung der Drehfedersteifigkeit c an die Biegesteifigkeit E I des Balkens liefert somit auch eine gute Nachbildung der dynamischen Eigenschaften. Die aus den Fliehkräften resultierende Versteifung des Rotorblattes lässt die Eigenfrequenzen bei höheren Drehzahlen linear anwachsen. Dies deckt sich mit dem Ergebnis der Ritz-Galerkin Näherung für das erweiterte Balkenmodell. Das aus (6.82) folgende Ergebnis
f 1N
ω 1 = = 2π 2π
A
61 162 E I + 3 13 m L 52
"
π U 30
#2 (6.130)
weicht nur geringfügig von der Eigenfrequenz f 1 des linearisierten Lumped Mass Models ab, Bild 6.8.
6.3 Einbindung Finiter Elemente
173
6.3 Einbindung Finiter Elemente Unter der Voraussetzung, dass die elastischen Verformungen eines Körpers als klein betrachtet werden können, kann die Methode des bewegten Bezugsystems angewandt werden. Die Bewegungen eines materiellen Punktes P können dann aus den Starrkörperbewegungen (Bewegungen eines körperfestens Referenzsystems) und den elastischen Deformationen zusammengesetzt werden. Wie im Bild 6.9 dargestellt, gibt der Vektor R die Position eines materiellen Punktes P in der Ausgangs- oder Referenz-Konfiguration relativ zum körperfesten Bezugssystem B an. Für die aktuelle Lage gilt dann r0P,0 (R, t )
=
r0B,0 (t ) + A 0B (t ) R
absolute Position
+
A 0B (t ) u (R, t )
(6.131)
relative Deformation
Starrkörper-Bewegung
Damit können Geschwindigkeit und Beschleunigung unter Verwendung der in Abschnitt 6.2.2 bereitgestellten Gleichungen aus der Relativ-Kinematik berechnet werden. Entsprechend dem Vorgehen in Abschnitt 6.2.3.4 werden nun die Referenz-Konfiguration yB
P0
zB0
R yB0
B0
z0 0
aktuelle Konfiguration
B
R
r0B
P0
xB y0
xB0
zB
x0
u
r0P P
Bild 6.9: Lagebeschreibung flexibler Körper bei kleinen Deformationen
von der Zeit t und vom Ort R abhängigen elastischen Koordinaten durch den Produkt-Ansatz N 3 Φi (R) τi (t ) (6.132) u (R, t ) = i =1
aufgespalten in reine Ortsfunktionen Φi (R) und reine Zeit-Funktionen τi (t ). Mit dem Vorgehen nach Ritz und Galerkin können dann die partiellen Differentialgleichungen, die die Deformationen eines elastischen Körpers beschreiben, durch Mittelung über die räumliche Ausdehnung des Körpers näherungsweise in gewöhnliche Zeit-Differentialgleichungen umgewandelt werden. Größere elastische Strukturen werden dabei zweckmäßigerweise in Finite Elemente unterteilt. Nach dem Vorgehen in Abschnitt 6.2.4 können der Lagevektor y und der
174
6 Elastische Körper
Vektor der verallgemeinerten Geschwindigkeiten z gemäß ⎡ ⎡ ⎤ ⎤ y B (t ) z B (t ) ⎢ τ (t ) ⎥ ⎢ τ˙ (t ) ⎥ ⎢ 1 ⎢ 1 ⎥ ⎥ y B (t ) z B (t ) y =⎢ und z = ⎢ .. .. ⎥ = y (t ) ⎥ = z (t ) E E ⎣ ⎣ ⎦ ⎦ . . τN (t ) τ˙ N (t )
(6.133)
unterteilt werden in Anteile (y B , z B ), die die Bewegung des Bezugssystems beschreiben und in Anteile (y E , z E ), die den elastischen Deformationen zugeordnet sind. Analog zu Abschnitt 6.2.4.2 erhält man dann Bewegungsgleichungen in der Form ⎤⎡ ⎤ ⎡ (y , y ) M (y , y ) (t ) z ˙ M ⎥ ⎢ BB B E B E H R ⎥⎢ B e S ⎦⎣ ⎦ = q (y B , y E , z E , z B ) + q (y B , y E , z E , z B ) ⎣ T M B E (y B , y E ) M E E (y E ) z˙ E (t ) (6.134) wobei der Vektor der verallgemeinerten Kräfte und Momente mit q e und q S in Anteile aufgespalten ist, die eingeprägte Kräfte und Momente sowie Scheinkräfte, Scheinmomente und Kreiselmomente beinhalten. Aufgrund der als klein vorausgesetzten Deformation kann der Vektor q e , der die verallgemeinerten eingeprägten Kräfte und Momente enthält, analog zu (6.123) noch weiter unterteilt werden 0 0 0 0 e e q (y B , y E , z E , z B ) = q¯ (y B , y E , z E , z B ) − − (6.135) 0 C E E yE 0 D E E y˙E wobei C E E die Steifigkeits-, D E E die Dämpfungs-Matrix des elastischen Körpers bezeichnet und q¯ e die restlichen (z. B. durch Kraftelemente erzeugte) Kräfte und Momente beinhaltet. Die Teil-Matrizen M E E , C und D können über relativ einfache Transformationsbeziehungen direkt aus Finite-Elemente Berechnungen übernommen werden. Die Teil-Matrizen M B B und M B E sowie der Vektor q S müssen entsprechend der Ritz-Galerkin Näherung durch Integration über den Körper neu berechnet werden. Die Modellgüte hängt von der Anzahl und von der Qualität der Ansatzfunktionen ab. Da mit steigender Anzahl von Ansatzfunktionen der Berechnungsaufwand erheblich zunimmt, versucht man in der Praxis möglichst gute Ansatzfunktionen zu bekommen. So können z. B. Eigenformen des freien elastischen Körpers M E E y¨E + C E E y E = 0 mit Transformationsmatrizen an das statische Gleichgewicht des zu untersuchenden Systems angepasst werden. Dann genügen in der Regel bereits wenige ausgewählte Ansatzfunktionen um die Auswirkung elastischer Deformationen in der Mehrkörpersimulation genügend genau nachzubilden.
7 Anwendungsbeispiel aus der Fahrzeugtechnik 7.1 Motivation Im Automobilbau werden zunehmend elektronische Bauelemente eingesetzt. Systeme wie ASR (Antriebs-Schlupf-Regelung), ABS (Anti-Blockier-System) und ESP (Elektronisches Stabilitäts-Programm) steigern die Traktion und verbessern die aktive Sicherheit eines Fahrzeugs. Aktive Federelemente und schaltbare Dämpfer erhöhen nicht nur den Komfort, sondern verbessern auch die Fahrsicherheit. Mit elektrischen Lenkungen greift man direkt in das Zusammenspiel zwischen Fahrer und Fahrzeug ein (WHH04). Veränderungen im Fahrwerk oder der Lenkung beeinflussen stets die gesamte Dynamik eines Fahrzeugs. Neben der Entwicklung neuer Systeme muss auch die Kombination verschiedener mechatronischer Komponenten im Fahrzeug getestet werden. Off-Line und On-Line Computersimulationen bieten dabei eine gefahrlose und kostengünstige Alternative oder Ergänzung zu Prüfstandsversuchen und zu Fahrversuchen. Eine komplette Simulationsumgebung für Fahrdynamik-Simulationen beinhaltet neben dem Fahrzeugmodell noch Modelle für die Fahrbahn und den Fahrer. Bei der Modellierung des Fahrzeugs hat sich die Methode der Mehrkörperdynamik bewährt (BH04). Dabei wird der Aufbau in die Teilkörper Karosserie, Motor, Passagiere und Ladung zerlegt. Das Fahrwerk besteht aus den Komponenten Achsaufhängung, Lenksystem, Antriebsstrang, Reifen und Räder. Klassische Mehrkörperprogramme wie MSC.ADAMS, RecurDyn oder Simpack ermöglichen dem Benutzer, komplexe Fahrdynamikmodelle selbst zu entwickeln, stellen numerische Lösungsverfahren für die Simulation zur Verfügung und bieten komfortable Möglichkeiten zur graphischen Veranschaulichung der Ergebnisse. Auf Grund der Allgemeingültigkeit der Formalismen sind die Rechenzeiten für komplexe Fahrdynamikmodelle in der Regel sehr hoch. Elektronische Komponenten zur Verbesserung der Fahrsicherheit werden häufig in Hardwarein-the-Loop Prüfständen entwickelt und getestet. Das Fahrzeugmodell muss hier auf einem Prüfstandsrechner in Echtzeit simuliert werden. Bei neu zu ent-
176
7 Anwendungsbeispiel aus der Fahrzeugtechnik
wickelnden Fahrzeugen sind allerdings viele Parameter noch nicht festgelegt. Hier ist es von Vorteil, wenn Teilsysteme, wie z. B. Achsmodelle, in verschiedenen Modellierungstiefen vorliegen. Mit einem einfachen Modell, das nur wenige Parameter zur Beschreibung benötigt, können bereits in der frühen Entwicklungsphase Konzeptuntersuchungen durchgeführt werden. Präzise Simulationen mit einem Gesamtmodell erfordern dann aber meist komplexere Modelle, deren Vielzahl an Parametern über Messungen verifiziert werden muss. Das typische Vorgehen bei der Modellierung wird im Folgenden am Beispiel einer McPherson-Achse erläutert.
7.2 Aufbau einer McPherson-Achse 7.2.1 Gesamte Achse Die nach ihrem Erfinder Earl S. McPherson benannte Radaufhängung wurde bereits 1949 patentiert. Auf Grund ihrer platzsparenden Bauweise wird sie bis heute insbesondere bei Fahrzeugen mit Frontantrieb eingesetzt, Bild 7.1.
4 3
5 6
1 7 2
Bild 7.1: McPherson-Achse Ford Focus Modelljahr 2005 (Quelle: Ford Werke GmbH)
7.2 Aufbau einer McPherson-Achse
177
Die Führung der Radkörper (1) erfolgt dabei über die Dämpferstangen (3), die in den Dämpferrohren (4) auf und ab gleiten und durch die Dreiecklenker (2), die über Gummi-Elemente an den Hilfsrahmen (7) angebunden sind. Drehungen am Lenkrad werden in der Servo-Einheit verstärkt, über die Lenksäule an das Lenkgetriebe weiter geleitet und dort auf eine Verschiebung der Zahnstange (6) übersetzt. Die Spurstangen (5) übertragen diese Bewegung auf die Radkörper und bewirken so den Lenkeinschlag der Räder. Die Dämpferrohre und der Hilfsrahmen sind über Gummi-Elemente mit dem Aufbau verbunden. Nicht dargestellt sind hier die zwei Halbwellen mit integriertem Längenausgleich, die das im Motor erzeugte Moment über Getriebe, Differential und Kardangelenke an die Räder weiter leiten.
7.2.2 Teilmodell Radaufhängung Beschränkt man sich auf die Beschreibung einer McPherson-Radaufhängung, dann verbleiben mit dem Radkörper, dem Dreiecklenker, dem Dämpferrohr, der Dämpferstange, der Spurstange, der Zahnstange und dem Lenkgetriebe zunächst noch sieben Modellkörper, Bild 7.2. Dabei wird das Rad, bestehend aus Reifen und Felge, sowie die Halbwelle, über die das Rad angetrieben wird, bei diesem Teilmodell einer Achse nicht berücksichtigt. Die Modellkörper werden zF
T zR
xF
yF
4
F
3 xR
yR
1
5
Q M C
zH 7
2 B A
Radkörper Dreiecklenker Dämpferstange Dämpferrohr Spurstange Zahnstange Lenkgetriebe
6 P
U
1 2 3 4 5 6 7
xH
yH H
Bild 7.2: Modellkörper einer McPherson-Radaufhängung
von den Koordinatensystemen x F , y F , z F mit dem Ursprung F und x H , y H , z H mit dem Ursprung H, die fest mit dem Fahrzeug F bzw. mit dem Hilfsrahmen H
178
7 Anwendungsbeispiel aus der Fahrzeugtechnik
verbunden sind, beschrieben. Der Ursprung M des radkörperfesten Koordinatensytems x R , y R , z R gibt die Radmitte an. In der Anfangslage1 sind die Koordinatensysteme achsenparallel, wobei die x -Achsen in Fahrtrichtung nach vorne, die y -Achsen nach links und die z -Achsen nach oben zeigen. Der Dreiecklenker (2) stützt sich in den Punkten A und B über GummiElemente (Bushings) am Hilfsrahmen ab. Ein Kugelgelenk im Punkt C stellt die Verbindung zum Radkörper (1) her. Die Dämpferstange (3) ist im Punkt U fest am Radkörper gelagert und kann im Dämpferrohr (4) auf und ab gleiten. Dämpferstange und Dämpferrohr stellen somit ein Schiebegelenk dar. Das Dämpferrohr ist im Punkt T über ein Gummi-Element am Fahrzeug F befestigt. Die Spurstange (5) ist in den Punkten P und Q gelenkig mit der Zahnstange bzw. dem Radkörper verbunden. Bei Lenkbewegungen führt die Zahnstange (6) Querbewegungen relativ zum Lenkgetriebe (7) aus. Das Lenkgetriebe ist in der Regel starr mit dem Fahrzeug F verbunden.
7.3 Analytische Beschreibung 7.3.1 Bewegungen, Bindungen und Freiheitsgrade Für die Analyse der kinematischen Eigenschaften einer Radaufhängung werden die Bewegungen des Fahrzeugs und die des Hilfsrahmens „eingefroren“. Die mit diesen Körpern verbundenen Koordinatensyteme F und H führen somit keinerlei Bewegung aus und können mit identischen Achsen x 0 =x F =x H , y 0 =y F =y H sowie z 0 =z F =z H in einem gemeinsamen Ursprung 0=F =H angeordnet werden, Bild 7.3. Die Gummi-Elemente in A und B erlauben eine nahezu widerstandsfreie Drehung des Dreiecklenkers um die Achse A-B . Da im normalen Fahrbetrieb die restlichen Verformungen klein bleiben, können die Bushings in A und B in guter Näherung durch ein Scharniergelenk (I) ersetzt werden. Das einfache Nachbilden der Bushings durch jeweils zwei Kugelgelenke wäre hier nicht zweckmäßig, da damit die Verschiebungen in Richtung A-B redundant verhindert würden. Der Dreiecklenker hat somit relativ zum Hilfsrahmen H eine freie Bewegungsmöglichkeit, die durch den Drehwinkel ϕ beschrieben wird. Im Punkt C ist ein echtes Kugelgelenk verbaut. Der Radkörper (1) hat dann gegenüber dem Dreiecklenker (2) noch drei Drehfreiheitsgrade, die z. B. durch die Kardanwinkel α, β und γ abgebildet werden können. Die Dämpferstange (3) ist an der Stelle U über eine feste Einspannung (III) mit dem Radkörper verbunden und kann somit relativ zum Radkörper keine Bewegung ausführen. 1
In der Fahrzeugtechnik häufig als Konfigurationslage oder kurz KO-Lage bezeichnet
7.3 Analytische Beschreibung
179
T zR
I II III IV V
(4)
λ
IV
Scharniergelenk Kugelgelenk Einspannung Schiebegelenk konstante Länge
(3)
yR
Q
xR
(5)
u
P V M U (6) C α III (2) (1) β B γ II I A ϕ
z0=zF=zH (7)
y0=yF=yH
x0=xF=xH 0=F=H
Bild 7.3: Kinematisches Modell einer McPherson-Radaufhängung
Das Lenkgetriebe (7) ist fest am Fahrzeug gelagert. Die Zahnstange (6) verfügt dann mit der Querbewegung u gegenüber dem System H nur noch über eine freie Bewegungsmöglichkeit. Die Lage des Gelenkpunktes P, der die Zahnstange mit der Spurstange (5) verbindet, kann dann im Koordinatensystem 0 durch den Ortsvektor (7.1) r 0P,0 = r0P,K + u e y0 ,0 beschrieben werden, wobei der Ortsvektor r0P,K die Lage von P in der Anfangslage (u = 0) angibt und e y0 ,0 den Einheitsvektor in Richtung der y 0 -Achse angibt. Die Spurstange (5) ist im Punkt Q gelenkig mit dem Radkörper (1) verbunden. Beschreibt man die Orientierung des radkörperfesten Systems R gegenüber dem Referenzsystem 0 mit A 0R = A α A β A γ
(7.2)
durch drei Kardanwinkel α, β und γ, dann kann die momentane Lage von Q durch den Ortsvektor r0Q,0 = r0A,K + A ϕ rAC ,K + A 0R rCQ,K
(7.3)
angegeben werden, wobei die Ortsvektoren r0A,K , r AC ,K , rCQ,K die Gelenkpunkte A, C und Q in der Anfangslage festlegen und die Matrix A ϕ die Drehungen des Dreiecklenkers mit dem Winkel ϕ um die Achse A-B beschreibt. Da bei der rein
180
7 Anwendungsbeispiel aus der Fahrzeugtechnik
kinematischen Modellierung keine elastischen Deformationen berücksichtigt werden, muss die Länge der Spurstange (V) konstant bleiben
PQ = PQ = konst. Mit (7.1) und (7.3) erhält man B T r0Q,0 − r0P,0 r0Q,0 − r0P,0
PQ =
(7.4)
(7.5)
Die Ortsvektoren r0P,0 , r0Q,0 und damit auch die Länge der Spurstange hängen von den verallgemeinerten Koordinaten u , ϕ, α, β und γ ab. Die Bindungsgleichung (7.4) verknüpft somit die bisher erforderlichen fünf Koordinaten mit einander. Die momentane Lage von Punkt T kann analog zu (7.3) durch den Ortsvektor r0T,0 = r0A,K + A ϕ rAC ,K + A 0R rC T,R
(7.6)
beschrieben werden, wobei der Vektor von C nach T im radkörperfesten System R durch rC T,R = rCU ,K + λrU T,K (7.7) gegeben ist. Die zusätzliche Koordinate λ berücksichtigt dabei die im Schiebegelenk (IV) stattfindende Längenänderung und die Ortsvektoren rCU ,K und rU T,K legen in der Anfangslage (λ = 1) die relative Position von U zu C und T zu U fest. Die Verformungen im Gummi-Lager bei T bleiben im normalen Fahrbetrieb klein und werden bei der kinematischen Modellierung ganz vernachlässigt. Bezeichnet r 0T,K die Lage von T in der Anfangslage, dann liefert die Vektorgleichung (7.8) r 0T,0 = r0T,K drei weitere skalare Bindungsgleichungen für die nunmehr sechs Koordinaten, die zur Lagebeschreibung der McPherson-Radaufhängung erforderlich sind. Bei dieser Beschreibung wurden die Spurstange und das Dämpferrohr nicht durch starre Körper mit Masse und Trägheit sondern als masselose kinematische Bindungselemente modelliert. Diese Näherungen sind im Rahmen der rein kinematischen Betrachtungsweise gerechtfertigt, da dabei ja auch die Verformungen in den Bushings bei A, B und T vernachlässigt wurden. Wählt man nun die Querverschiebung der Zahnstange u und den Drehwinkel des Dreiecklenkers ϕ als verallgemeinerte Koordinaten, dann können aus den Bindungsgleichungen (7.4) und (7.8) die restlichen vier Koordinaten α, β , γ und λ in Abhängigkeit von u und ϕ dargestellt werden. In der vorliegenden Form können die nichtlinearen Bindungsgleichungen nur noch numerisch gelöst werden. Eine problemangepasste Vorgehensweise ermöglicht hier jedoch noch eine analytische Lösung.
7.3 Analytische Beschreibung
181
7.3.2 Analytische Lösung 7.3.2.1 Lage Die analytische Lösung konzentriert sich hier auf die Beschreibung der Radkörperbewegungen. Zur weiteren Vereinfachung wird zudem angenommen, dass der Massenmittelpunkt des Radkörpers mit der Radmitte M zusammenfällt. Bei dem kinematischen Modell können dann die Bewegungen des Radkörpers eindeutig durch den Drehwinkel ϕ des Dreiecklenkers und der Querverschiebung u der Zahnstange beschrieben werden. Die momentane Position der Radmitte M kann durch die Vektorkette r 0M ,0 = r0C ,0 + A 0R rC M ,K
(7.9)
festgelegt werden, wobei rC M ,K die Anfangslage der Radmitte M gegenüber dem Gelenkpunkt C angibt und r 0C ,0 = r0A,K + A 0D rAC ,K
(7.10)
die momentane Position des Gelenkpunktes C beschreibt. Der Vektor r0A,K legt dabei in der Anfangslage die Position des Gelenkpunktes A gegenüber dem Referenzsystem 0 fest und rAC ,K gibt die Lage von C relativ zu A an. Die Drehmatrizen A 0R und A 0D beschreiben die Orientierung des Radkörpers und des Dreiecklenkers gegenüber dem Referenzsystem 0. Die Drehung des Dreiecklenkers um die Achse A-B mit dem Winkel ϕ wird analog zu (2.41) durch die Drehmatrix
(7.11) A 0D = e A B,K e AT B,K + E −e A B,K e AT B,K cos ϕ + e˜A B,K sin ϕ erfasst, wobei der Einheitsvektor in Richtung der Drehachse durch r0B,K − r0A,K e A B,K = r0B,K − r0A,K
(7.12)
festgelegt ist und die Vektoren r0A,K und r0B,K die Anfangslage der Gelenkpunkte A und B gegenüber dem System 0 angeben. Vom allgemeinen Ansatz in (7.2) abweichend wird die Orientierung des radkörperfesten Systems R gegenüber dem Referenzsystem 0 durch die Drehmatrix A 0R = A α A β A δ
(7.13)
beschrieben. Die dritte Teildrehung erfolgt jetzt nicht mit dem Kardanwinkel γ sondern problemangepasst mit dem Lenkwinkel δ um die durch die Gelenkpunkte C und T definierte Spreizachse. Die Drehmatrix ist dann gemäß (2.41)
182
7 Anwendungsbeispiel aus der Fahrzeugtechnik
durch
A δ = e C T,R e CT T,S + E −e C T,R e CT T,R cos δ + e˜C T,R sin δ
(7.14)
bestimmt, wobei die Normierung des in (7.7) angegebenen Ortsvektors mit rC T,R e C T,R = rC T,R
(7.15)
den Einheitsvektor liefert, der die Lage der Spreizachse im radkörperfesten System R angibt. Die Vektorkette r0T,0 = r0C ,0 + A α A β A δ rC T,R
(7.16)
legt dann die momentane Position des Gelenkpunktes T fest, wobei r0C ,0 gemäß (7.10) die Lage des Gelenkpunktes C beschreibt und vom Drehwinkel des Dreiecklenkers abhängt. Die Bindungsgleichung (7.8) lautet damit r0C ,0 + A α A β A δ rC T,R = r0T,K
(7.17)
Die durch A δ beschriebene Drehung erfolgt gemäß (7.14) um die Spreizachse C -T , die im radkörperfesten Koordinatensystem durch den Vektor rC T,R bzw. durch den daraus abgeleiteten Einheitsvektor e C T,R festgelegt ist. Da eine Drehung um die Spreizachse ihre Richtung nicht verändert, gilt A δ rC T,R = rC T,R
(7.18)
Dann kann die Bindungsgleichung (7.17) durch A β rC T,R = A Tα r0T,K − r0C ,0
(7.19)
ersetzt werden, wobei der Ortsvektor r0C ,0 auf die rechte Seite gestellt und die Gleichung mit der transponierten Drehmatrix A Tα multipliziert wurde. Die Drehmatrizen A α und A β beschreiben Elementardrehungen um die x - und y -Achse, wie sie auch im Abschnitt 2.1.5 zum Aufbau der Kardandrehungen verwendet wurden. Unter Berücksichtigung von (2.18) und (2.17) kann (7.19) in der Form ⎡ ⎢ ⎢ ⎣
cβ 0 −s β
0 1 0
Aβ
⎤ ⎡ (1) s β ⎥ ⎢ rC T,R ⎢ (2) 0 ⎥ ⎦ ⎣ rC T,R (3) cβ r T,R C
rC T,R
⎤
⎡ ⎥ ⎢ 1 ⎥=⎢ 0 ⎦ ⎣ 0
0 cα −s α
A Tα
⎤ 0 ⎥ sα ⎥ ⎦ cα
⎡
⎤ (1) r ⎢ C(2)T,0 ⎥ ⎢ r ⎥ ⎣ C T,0 ⎦ (3) rC T,0 r0T,K − r0C ,0
(7.20)
7.3 Analytische Beschreibung
183
dargestellt werden, wobei s α , s β sowie c α , c β die entsprechenden Sinus- und Kosinusfunktionen bezeichnen, die Abkürzung rC T,0 = r0T,K − r0C ,0 verwendet wurde und die hoch gestellten Ziffern (1), (2) und (3) die Komponenten der Vektoren rC T,R und rC T,0 angeben. Ausmultipliziert und unter Verwendung von (7.7) bleibt (1) (1) (3) (3) (1) c β rCU ,K + λrU T,K + s β rCU ,K + λrU T,K = rC T,0 (7.21) (2)
(1)
(1)
−s β rCU ,K + λrU T,K + c β
(2)
(2)
(3)
rCU ,K + λrU T,K = c α rC T,0 + s α rC T,0 (7.22) (3) (3) (2) (3) rCU ,K + λrU T,K = −s α rC T,0 + c α rC T,0 (7.23)
Damit stehen drei Gleichungen zur Bestimmung der drei Unbekannten α, β und λ zur Verfügung, die hier sogar noch über elementare Funktionen gelöst werden können. Quadriert man die Gleichungen, addiert sie und fasst die Komponenten wieder in den entsprechenden Vektoren zusammen, dann bleibt mit T T T rUT T,K rU T,K λ2 + 2 rCU ,K rU T,K λ + rCU ,K rCU ,K − rC T,0 rC T,0 = 0
a c b
(7.24)
eine quadratische Gleichung für die Dämpferverschiebung λ. Mit den in (7.24) definierten Abkürzungen erhält man die Lösungen C λ1,2
b =− ± a
2 c b − a a
(7.25)
Im normalen Fahrbetrieb schwankt der Skalierungsfaktor λ um den Wert 1, bleibt aber stets positiv. Die Abkürzung a ist konstant und stets positiv, a > 0. Für realistische System-Parameter kann darüber hinaus c < 0 vorausgesetzt werden. Dann liefert λ = λ1 die hier zugelassene positive Lösung. Die trigonometrischen Gleichungen (7.21) und (7.22) können dann nach den Winkeln β und α aufgelöst werden. Beide Gleichungen sind vom Typ A cos ψ + B sin ψ = C
(7.26)
und haben die Lösung ψ = arcsin :
C A2 + B 2
− arctan
A B
(7.27)
184
7 Anwendungsbeispiel aus der Fahrzeugtechnik
Mit den Winkeln können dann auch die Elementardrehungen ⎡ ⎢ 1 Aα = ⎢ ⎣ 0 0
0 cα sα
⎤ 0 ⎥ −s α ⎥ ⎦, cα
⎡ Aβ
⎢ cβ =⎢ 0 ⎣ −s β
0 1 0
⎤ sβ ⎥ 0 ⎥ ⎦ cβ
(7.28)
angegeben werden. Die Drehung um die Spreizachse C -T mit dem Winkel δ muss nun so erfolgen, dass die Länge der Spurstange P-Q konstant bleibt. Erfolgt die Verschiebung u der Zahnstange, wie bereits in (7.1) angenommen, nur in y -Richtung, dann gibt der Ortsvektor ⎡
r0P,0 = r0P,K
⎤ 0 +⎣ u ⎦ 0
(7.29)
die momentane Position des Gelenkpunktes P an, der die Zahnstange mit der Spurstange verbindet. Die Vektorkette r0Q,0 = r0C ,0 + A α A β A δ rCQ,K
(7.30)
beschreibt die momentane Position des Gelenkes Q zwischen der Spurstange und dem Radkörper, wobei der Vektor rCQ,K die Anfangslage von Q gegenüber dem Gelenkpunkt C angibt und die Drehmatrix A δ in (7.14) definiert ist. Schließlich sind der Ortsvektor r0C ,0 und die Teildrehungen A α , A β durch (7.10) und (7.28) bestimmt. Setzt man (7.30) in die Bindungsgleichung (7.5) ein, dann erhält man
r0C ,0 + A α A β A δ rCQ,K − r0P,0
T
r0C ,0 + A α A β A δ rCQ,K − r0P,0 = 2PQ
(7.31)
Die Differenz der Ortsvektoren von 0 nach P und von 0 nach Q kann im Lagevektor rC P,0 = r0P,0 − r0C ,0 (7.32) zusammengefasst werden. Nach dem Ausmultiplizieren bleibt dann T rCQ,K rCQ,K − 2 rCTP,0 A α A β A δ rCQ,K + rCTP,0 rC P,0 = 2PQ
(7.33)
Mit der Drehmatrix (7.14) und der Abkürzung T rCQ,K + rCTP,0 rC P,0 − 2PQ H = rCQ,K
(7.34)
7.3 Analytische Beschreibung
185
bleibt
rCTP,0 A α A β e C T,0 e CT T,0 + E −e C T,0 e CT T,0 cos δ + e˜C T,0 sin δ rCQ,K =
Mit den Termen
(7.35)
A
=
rCTP,0 A α A β
B
=
C
=
rCTP,0 A α A β e˜C T,0 rCQ,K 1 H − rCTP,0 A α A β e C T,0 e CT T,0 rCQ,K 2
E −e C T,0 e CT T,0
1 H 2
rCQ,K (7.36)
kann (7.35) wieder in der Form A cos δ + B sin δ = C
(7.37)
dargestellt und analog zu (7.27) nach δ aufgelöst werden. Über (7.13) kann dann auch die Drehmatrix A 0R angegeben werden, die die Orientierung des radkörperfesten Systems R gegenüber dem Referenzsystem 0 beschreibt. Während die ersten beiden Drehungen nur von dem Drehwinkel ϕ des Dreiecklenkers abhängen A α = A α (ϕ) und A β = A β (ϕ) wird die dritte Drehung nicht nur von ϕ sondern auch von der Verschiebung u der Zahnstange beeinflusst, A δ = A δ (ϕ, u ). 7.3.2.2 Geschwindigkeit und Beschleunigung Gemäß den Beziehungen der Relativkinematik aus dem Abschnitt 2.2.1 liefert die zeitliche Ableitung von (7.9) mit v 0M ,0 = r˙0M ,0 = r˙0C ,0 + ω0R,0 × A 0R rc M ,K
(7.38)
die Geschwindigkeit der Radmitte. Da der Dreiecklenker lediglich eine Drehung um die Achse A-B ausführt, ist seine Winkelgeschwindigkeit durch ω0D,0 = e A B,0 ϕ˙
(7.39)
gegeben und die Geschwindigkeit des Gelenkpunktes C ist dann durch r˙0C ,0 = ω0D,0 × A 0D rAC ,K
(7.40)
bestimmt. Aus dem Ansatz (7.13) für die Drehmatrix A 0R ergibt sich analog zu dem Vorgehen in Abschnitt 2.2.3.2 die Winkelgeschwindigkeit des Radkörpers zu ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ 0 1 ⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎥ α˙ + A α ⎢ 1 ⎥ β˙ + A α A β e C T,R δ˙ ω0R,0 = ⎢ (7.41) 0 ⎣ ⎦ ⎣ ⎦ 0 0
186
7 Anwendungsbeispiel aus der Fahrzeugtechnik
Die zeitlichen Ableitungen der Bindungsgleichungen (7.21) bis (7.23) liefert ne˙ auch noch die Verschiebungsgeben den Winkelableitungen α˙ und β˙ mit λ schwindigkeit im Dämpfer. Damit kann auch die Winkelgeschwindigkeit um die Spreizachse δ˙ aus der zeitlichen Ableitung der Bindungsgleichung (7.31) ermittelt werden. Das nochmalige Ableiten der Bindungsgleichungen führt dann auf die zwei¨ die zur Berechnung der Winkelbeschleunigung ¨ β¨ und δ, ten Ableitungen α, ˙ 0R,0 und der Beschleunigung der Radmitte v˙0M ,0 erforderlich sind. Beim Diffeω renzieren der Beziehungen (7.38) und (7.41) ergeben sich dann die Richtungsvektoren der Translation ∂ v 0M ,0 /∂ ϕ, ∂ v 0M ,0 /∂ u und der Rotation ∂ ω0R,0 /∂ ϕ, S ˙ S0R,0 , die über das Jour∂ ω0R,0 /∂ u , sowie die Restbeschleunigungen, v˙0M ,0 und ω dainsche Prinzip (4.55) das Aufstellen der Bewegungsgleichungen erlauben. Dabei werden dann auch noch die Kräfte in der Schraubenfeder und im Dämpfer sowie die Kräfte und Momente im Reifenkontaktpunkt benötigt. Die analytische Lösung erfordert viele manuelle Rechenschritte, ermöglicht aber eine auf das Problem zugeschnittene Lösung, die mit minimalem Rechenaufwand ausgewertet werden kann und so Echtzeit-Anwendungen auch für komplexe Modelle erlaubt, vgl. (Ril97). Im Folgenden wird die analytische Lösung lediglich für die kinematische Analyse verwendet. Dazu werden weder die Geschwindigkeiten und die Beschleunigungen noch die eingeprägten Kräfte und Momente benötigt. Ein MKS-Modell der McPherson-Radaufhängung ermöglicht per se auch dynamische Untersuchungen. Ferner kann es mit geringem Aufwand modifiziert, erweitert oder in ein Gesamt-Fahrzeug Modell eingebunden werden.
7.3.3 Kinematische Analyse 7.3.4 Felgenmittelebene, Radmitte und Kontaktpunkt Die Raddrehachse, die gleichzeitig als Normalenvektor zur Felgenmittelebene die Stellung des Rades beim Ein- und Ausfedern sowie bei Lenkbewegungen angibt, wird durch den Einheitsvektor e Ω,0 = A 0R e Ω,R
(7.42)
beschrieben, Bild 7.4. Der Einheitsvektor e Ω,R kennzeichnet dabei die Stellung des Rades gegenüber dem radkörperfesten Koordinatensystem R. Bei der kinematischen Analyse einer Radaufhängung ist auch die Bewegung des Radaufstandspunktes oder Kontaktpunktes K von Bedeutung. Beschreibt rS
7.3 Analytische Beschreibung
187
zR
eR
eΩ
xR z0
yR M en
x0
rS
Rad
y0 0
eU lokale Fahrbahnebene
K
Bild 7.4: McPherson-Radaufhängung mit Kontakt zur Fahrbahn
den statischen Reifenradius, dann gibt der Vektor r0K ,0 = r0M ,0 − rS e R,0
(7.43)
die momentane Lage des Radaufstandspunktes K an. Der Einheitsvektor e R,0 steht mit e R,0 = e U ,0 × e Ω,0
(7.44)
senkrecht zur Richtung der Raddrehachse e Ω,0 und auch senkrecht zu dem Einheitsvektor e U ,0 , der über e Ω,0 × e N ,0 e U ,0 = (7.45) e Ω,0 × e N ,0 aus der Raddrehachse e Ω,0 und dem Einheitsvektor e N ,0 berechnet wird, der als Normalenvektor die lokale Fahrbahnebene beschreibt. Für horizontale Fahrbahnen ist der Normalenvektor durch e N ,0 =
0 0 1
!T
(7.46)
festgelegt. Bei unebenen Fahrbahnen kann das in (HRW07) beschriebene Verfahren zur Berechnung der lokalen Fahrbahnebene und des Kontaktpunktes angewendet werden.
188
7 Anwendungsbeispiel aus der Fahrzeugtechnik
7.3.5 Zahlenbeispiel Die in der Tabelle 7.1 angegebenen Zahlenwerte beschreiben die Topologie des kinematischen Modells einer McPherson-Radaufhängung, wobei die x -, y -, z Koordinaten die Lage der Punkte in der KO-Lage (Anfangslage) angeben. Die Tabelle 7.1: Zahlenwerte für eine typische McPherson-Radaufhängung
Angaben in [m ] bzw. in [◦ ]
Bezeichnung statischer Reifenradius Vorspurwinkel (DIN 70000) Sturzwinkel (DIN 70000)
rS = 0.291 γV = −0.10172 αS = −0.94637
Radmitte
T r0M ,K = [ 0.00000 0.76222
Lenker/Hilfsrahmen (hinten)
T r0A,K T r 0B,K T r0C ,K T r0U ,K T r0T,K T r0P,K T r0Q,K
Lenker/Hilfsrahmen (vorne) Lenker/Radkörper Radkörper/Dämpferstange Dämpfergehäuse/Fahrzeug Zahnstange/Spurstange Spurstange/Radkörper
0.00000 ]
= [ -0.27943 0.38334 -0.12027 ] = [ -0.00887 0.38334 -0.12514 ] = [ 0.00998 0.73752 -0.13278 ] = [ -0.00730 0.62840
0.09852 ]
= [ -0.03174 0.57325
0.50593 ]
= [ -0.18239 0.37000 -0.05752 ] = [ -0.13540 0.71034 -0.05126 ]
Räder einer Achse sind in der Regel spiegelbildlich zur Mitte des Fahrzeugs angeordnet. Deshalb werden nach ISO 612/DIN 70000 auch die Vorzeichen des Sturzwinkels αS und des (Vor-)Spurwinkels γV unter Berücksichtigung einer symmetrischen Stellung der Räder definiert. Mit den hier gewählten Koordinatenrichtungen definiert der Einheitsvektor ⎡ ⎤ tan γ V ⎢ ⎥ 1 ⎢ ⎥ e Ω,R = : (7.47) 1 ⎣ ⎦ tan2 γV + 1 + tan2 αS − tan αS dann die Richtung der Raddrehachse gegenüber dem radkörperfesten Koordinatensystem R für das hier betrachtete linke Rad. Mit den entsprechenden Werten aus der Tabelle 7.1 erhält man e Ω,R = [
−0.0018
0.9999
0.0165 ]T
(7.48)
In der KO-Lage ist also die Raddrehachse am linken Rad geringfügig nach hinten gedreht (negativer Vorspurwinkel γV = −0.1017◦ ) und leicht nach oben geneigt (negativer Sturzwinkel αS = −0.9464◦ ).
7.3 Analytische Beschreibung
189
Führt man die Berechnungen aus dem Abschnitt 7.3.2 durch und variiert den Drehwinkel des Dreiecklenkers im Bereich −15◦ ≤ ϕ ≤ +15◦ sowie die Verschiebung der Zahnstange im Bereich -0.07 m ≤ u ≤ +0.07 m, dann erhält man die im Bild 7.5 dargestellten Ergebnisse. Die KO-Lage ist dabei durch ϕ = 0 und u = 0 längs [mm]
x0-Achse [o] 40
100 0
0
-100 -50
-40 -50
0 u [mm]
50
10
-10 0 ϕ [o]
0 u [mm]
100
40
0
0
-100 -50 50
10
-10 0 ϕ [o]
-40 -50 0 u [mm]
vertikal [mm]
z0-Achse [o]
100
40
0
0
-100 -50 0 u [mm]
10
y0-Achse [o]
quer [mm]
0 u [mm]
50
-10 0 ϕ [o]
50
10
-10 0 ϕ [o]
50
10
-40 -50 0 u [mm]
50
10
-10 0 ϕ [o]
-10 0 ϕ [o]
Bild 7.5: Verschiebungen der Radmitte und Drehungen des Radkörpers
gekennzeichnet. Die aktuelle Position der Radmitte M ist durch den Ortsvektor r0M ,0 festgelegt. Die Verschiebungen in Längs-, Quer- und Vertikal-Richtung geben die Abweichung der aus (7.9) folgenden aktuellen Lage r0M ,0 von der KOLage r0M ,K an. Die in (7.13) angegebene Drehmatrix A 0R beschreibt die momentane Orientierung des radkörperfesten Systems R gegenüber dem Koordinatensystem 0. Gemäß (2.21) geben die Spalten der Drehmatrix A 0R die im Koordinatensystem 0 dargestellten Einheitsvektoren in Richtung der x R - y R - und z R -
190
7 Anwendungsbeispiel aus der Fahrzeugtechnik
Achse an. Die Drehungen des Radkörpers um die x 0 -, y 0 -, und z 0 -Achse werden dann durch die Winkel (3,2)
α0 = arctan
A 0R
, (2,2)
A 0R
(1,3)
β0 = arctan
A 0R
, (3,3)
A 0R
(2,1)
γ0 = arctan
A 0R
(1,1)
A 0R
(7.49)
beschrieben, wobei der hochgestellte Index die Zeilen- und Spalten-Position der Matrix-Elemente angibt. Der Drehwinkel ϕ des Dreiecklenkers bestimmt im Wesentlichen die vertikale Verschiebung der Radmitte. Die Verschiebung u der Zahnstange hat dagegen einen dominierenden Einfluss auf die Drehung des Radkörpers um die vertikale z 0 -Achse. Die restlichen Bewegungen, insbesondere die Quer-Verschiebung der Radmitte und die Drehung des Radkörpers um die Längsachse x 0 , werden sowohl von ϕ als auch von u beeinflusst. Für die Fahrdynamik von Bedeutung sind die Bewegungen des Kontaktpunktes beim Ein- und Ausfedern des Rades (vertikale Verschiebung der Radmitte, die im Folgenden mit z bezeichnet wird) sowie die Neigungsänderungen der Raddrehachse. Der durch (7.44) definierte Einheitsvektor e Ω,0 beschreibt die momentane Stellung der Raddrehachse. Ihre Neigung (Drehung um x 0 - und z 0 Achse) wird dann analog zu (7.49) durch die Winkel (3)
α0 = arctan
e Ω,0 (2)
e Ω,0
(1)
,
γ0 = arctan
−e Ω,0 (2)
e Ω,0
(7.50)
definiert. Der Kontaktpunkt K ist durch den in (7.43) definierten Ortsvektor r0K ,0 bestimmt. Das Bild 7.6 zeigt bei festgehaltener Zahnstange (u = 0) die Bewegungen des Kontaktpunktes K in der x z - und y z -Ebene sowie die Drehungen der Raddrehachse um die x 0 - und z 0 -Achse. Wie für Vorderachsen typisch, bewegt sich der Kontaktpunkt beim Einfedern nach vorne. Dadurch kann das Brems-Nicken verringert werden. Aufgrund der leicht nach oben geneigten Raddrehachse liegt der Kontaktpunkt in der KOLage, die im Bild 7.6 jeweils mit einem Kreis markiert ist, nicht direkt unterhalb der Radmitte sondern mit y (z = 0) = 0.48 cm etwas nach außen versetzt. Beim Einfedern, also unter zunehmender Radlast, führt der Kontaktpunkt nur sehr geringe Querbewegungen durch. Lediglich bei dem mit Entlastung verbundenen Ausfedern treten etwas größere Querverschiebungen auf. Dadurch tritt bei der Geradeausfahrt auf unebenen Fahrbahnen kaum Reifenverschleiß auf. In der KO-Lage (z =0) ist die Raddrehachse gemäß (7.48) leicht nach oben geneigt. Dies entspricht einer Drehung mit α0 (z = 0) = 0.9464◦ um die x 0 -Achse. Bei schneller Kurvenfahrt kommt es an den kurvenäußeren Rädern zum Ein- und an den kurveninneren zum Ausfedern. Die damit einhergehende Neigung des
7.4 ADAMS-Modell
191
Kontaktpunktsverschiebungen
Neigung der Raddrehachse
10
10
z [cm]
z [cm]
5
5 Einfedern
Einfedern
0
0 Ausfedern
Ausfedern
-5
-5 0.48
-10
-2 0 2 x [cm]
-2 0 2 y [cm]
0.9464
-10 -2
0 2 α0 [o]
0.1017
-2
0 2 γ0 [o]
Bild 7.6: Kontaktpunktbewegungen und Neigungsänderung der Raddrehachse
Aufbaus (Wankbewegung) stellt dann die Räder mit entsprechender seitlichen Neigung (Sturz) zur Fahrbahn. Diese seitliche Neigung kann ganz oder teilweise kompensiert werden, wenn die Räder kinematisch bedingt beim Ein- und Ausfedern eine geeignete Drehung um die x 0 -Achse ausführen. Mit der im Bereich der KO-Lage vorhandenen positiven Änderung des Drehwinkels d α0 /d z |z=0 wird diese Sturzkompensation hier zumindest teilweise realisiert. Die durch das Ein- und Ausfedern erzeugten Drehungen γ0 = γ0 (z ) des Rades um die z 0 -Achse erzeugen im vorliegenden Fall mit d γ0 /d z ≈ konst. ein definiertes Eigenlenkverhalten. Dadurch wird bei schneller Kurvenfahrt das Untersteuern und damit auch die Stabilität des Fahrzeugs erhöht.
7.4 ADAMS-Modell 7.4.1 Vorbereitende Schritte Bei der MKS-Software ADAMS wird die Erdbeschleunigung standardmäßig in Richtung der negativen y -Achse angesetzt. Auch werden geometrische Abmessungen in mm erwartet. Für einen einfachen Vergleich mit der analytischen Lösung wird deshalb die Richtung der Erdbeschleunigung auf die negative z Richtung abgeändert und die Dateneingabe auf die SI-Einheiten umgestellt.
192
7 Anwendungsbeispiel aus der Fahrzeugtechnik
Das Referenzsystem liegt dann wieder in der Achsmitte, die x -Achse zeigt in Fahrtrichtung nach vorne, die y -Achse nach links und die z -Achse nach oben. Über einen „Table Editor“ werden nun die für die McPhersonRadaufhängung relevanten Punkte (Points) eingeben, Tabelle 7.2. Die mit Tabelle 7.2: Geometrie Punkte (Points)
r0mk bis r0qk bezeichneten Punkte legen die x y z -Koordinaten der Punkte M bis Q fest. Sie stimmen mit den in der Tabelle 7.1 angegebenen Ortsvektoren r0M ,K bis r0Q,K überein. Die Punkte r0fk und r0gk definieren die Anlenkpunkte der Schraubenfeder, wobei der untere, wie auch aus Bild 7.7 ersichtlich, nicht auf der Achse des Dämpferbeins liegt und der obere mit dem als Topmount bezeichneten Dämpferlager T übereinstimmt, r0gk = r0tk. Die über r0kk und r0dk festgelegten Punkte definieren den Kontaktpunkt K und mit D einen Punkt auf der Raddrehachse, der häufig auch als „Wheel Alignment Point„ bezeichnet wird. Der Einheitsvektor in Richtung der Raddrehachse ist dann durch e Ω,R =
r0mk − r0dk = [ −0.0018 | r0mk − r0dk |
0.9999
0.0165 ]T
(7.51)
gegeben und stimmt erwartungsgemäß mit dem aus dem Vorspur- und Sturzwinkel errechneten Ergebnis in (7.48) überein.
7.4 ADAMS-Modell
193
G
T TH
F
UH
U M C
z0
D
y0
Q
B
y0 gravity
P
K A
PH
Bild 7.7: Punkte (Points) und Teilkörper im ADAMS-Modell
Für die KO-Lage wird eine horizontale Fahrbahn vorausgesetzt. Der Einheitsvektor (7.52) e N ,0 = [ 0 0 1 ]T gibt dann die Richtung der Fahrbahnnormalen an. Mit dem in (7.51) definierten Einheitsvektor in Richtung der Raddrehachse kann dann über (7.45) der Einheitsvektor eU ,0 in Umfangsrichtung bestimmt werden. Zudem ergibt sich aus (7.44) der Einheitsvektor e R,0 in radialer Richtung. Die Beziehung (7.43) kann dann nach dem statischen Reifenradius aufgelöst werden. Man erhält
T rS = e R,0 r0M ,0 − r0K ,0 (7.53) wobei die Ortsvektoren r0M ,0 und r 0K ,0 den mit r0mk und r0kk bezeichneten Punkte entsprechen. Im vorliegenden Fall erhält man mit rS = 0.291 den Zahlenwert für den statischen Reifenradius, der bereits in der Tabelle 7.1 angegeben wurde.
7.4.2 Modell-Körper Mit Hilfe der Punkte A bis Q, die in der Tabelle 7.2 mit r0ak bis r0qk bezeichnet sind, können nun die Teilkörper der McPherson-Radaufhängung über vordefinierte „ADAMS-Primitives“ modelliert werden, Bild 7.7.
194
7 Anwendungsbeispiel aus der Fahrzeugtechnik
Der Dreiecklenker A B C kann aus drei Zylindern aufgebaut werden, die zwischen den Punkten A-B , A-C und B -C aufgespannt werden. Die drei Zylinder werden automatisch zu einem starren Körper zusammengefasst. Über die Materialdichte, die mit = 7801kg/m3 auf Stahl voreingestellt ist, werden dann die Lage des Massenmittelpunktes, die Masse und die Trägheitsmomente bezüglich des körperfesten Hauptachsensystems errechnet. Eine dem Bauteil angemessene Masse von m ≈ 5 kg ergibt sich bei einem Zylinderradius von R = 0.014 m. Liegen genaue Informationen über die Massengeometrie des Bauteils vor, kann die auf „Primitives“ beruhende Berechnung von ADAMS durch die realen Werte überschrieben werden. Der Radkörper wird hier ebenfalls durch einen Zylinder modelliert. Damit sein Massenmittelpunkt mit der Radmitte M zusammenfällt, wird der Zylinder zwischen zwei Punkten aufgebaut, die gegenüber der Radmitte M um ±0.05 m in y -Richtung versetzt sind. Ein Radius von R = 0.2 m, der in etwa dem Radius einer Pkw Felge entspricht, ergibt dann eine Masse von knapp 100 kg. Realistische Werte für die Masse von Rad und Radkörper liegen aber bei Pkw zwischen 40 und 50kg. Wählt man für diesen Teilkörper eine entsprechend reduzierte Materialdichte, dann passt ADAMS auch die Trägheitsmomente an. In der Regel haben aber Radkörper keine symmetrische Massenverteilung. Der Massenmittelpunkt fällt dann nicht mehr mit der Radmitte zusammen und in einem körperfesten System, das in der KO-Lage achsenparallel zum Referenzsystem 0 ist, treten auch Deviationsmomente auf. Die Punkte M , D und K werden nun dem Radkörper zugeordnet. Damit kann bei einer kinematischen Analyse die Bewegung des Kontaktpuntes K beobachtet werden und bei der Vervollständigung des Modells die Drehachse des Modellkörpers Rad an der nun Radkörper festen Drehachse D-M ausgerichtet werden. Zur Modellierung des Dämpferbeins, bestehend aus Dämpferstange und Dämpferrohr, werden zunächst durch geeignete Kombination der Punkte U und T die Hilfspunkte UH und TH erzeugt. Dabei wird UH mittig zu U und T und TH mittig zu UH und T platziert. Ein Zylinder definiert durch die Endpunkte U und TH und ein Zylinderrohr zwischen UH und T modellieren dann die Dämpferstange und das Dämpferrohr. Die Zahnstange und die Spurstange werden ebenfalls durch zylindrische Körper modelliert. Anders, wie in der Prinzipskizze von Bild 7.2 dargestellt, liegt das Lenkgestänge hier nicht vor sondern hinter der Achsmitte. Diese Anordnung ist typisch für Fahrzeuge mit Frontantrieb, da hier der Motor soweit wie möglich vor die Achse platziert wird und so genügend Bauraum für das Lenkgestänge hinter der Achsmitte entsteht. Die Spurstange ist durch die Punkte P und Q de-
7.4 ADAMS-Modell
195
finiert. Zur Festlegung der Zahnstange, bei dem Modell der Radaufhängung nur mit der Hälfte berücksichtigt, wird ein weiterer Hilfspunkt PH erzeugt, der aus der Querverschiebung des Punktes P in die Fahrzeugmitte entsteht. Das ADAMS-Modell der Radaufhängung besteht mit dem Dreiecklenker, dem Radkörper, der Dämpferstange, dem Dämpferrohr, der Spurstange und der Zahnstange aus n = 6 Teilkörpern, die, da noch ungebunden, über f = 6 n = 36 freie Bewegungsmöglichkeiten verfügen.
7.4.3 Bindungen Die beim ADAMS-Modell der McPherson-Radaufhängung erforderlichen kinematischen Bindungen zwischen den Teilkörpern vom Modelltyp „two bodies one location“ sind in der Tabelle 7.3 zusammengestellt. Tabelle 7.3: Bindungen im ADAMS-Modell der McPherson-Radaufhängung
Bezeichnung Scharniergelenk Drehachse A-B Kugelgelenk feste Einspannung Schiebegelenk Richtung U -T Kugelgelenk Schiebegelenk y 0 -Richtung Kardangelenk Kugelgelenk
Punkt (Point)
Körper i / Körper j
Wertigkeit
A
Ground/Dreiecklenker
5
C
Dreiecklenker/Radkörper
3
U
Radkörper/Dämpferstange
6
UH
Dämpferstange/-Rohr
5
T
Dämpferrohr/Ground
3
PH
Ground/Zahnstange
5
P
Zahnstange/Spurstange
4
Q
Spurstange/Radkörper
3 Σ 34
Mit Ground wird dabei das Inertialsystem 0 bezeichnet. Ähnlich wie bei der analytischen Lösung bleiben auch hier die Bewegungen des Hilfsrahmens und des Aufbaus zunächst unberücksichtigt. Die aus den kinematischen Bindungen resultierenden w = 34 algebraischen Gleichungen reduzieren die freien Bewegungsmöglichkeiten im Modell der McPherson-Radaufhängung gemäß (4.177) auf f K G = 36−34 = 2 freie Bewegungen, die der Verschiebung der Zahnstange und der Drehung des Dreiecklenkers um die Achse A-B zugeordnet werden.
196
7 Anwendungsbeispiel aus der Fahrzeugtechnik
Ein Mehrkörpersystem mit kinematischen Bindungen wird gemäß (4.191) durch ein differential-algebraisches System vom Index 3 beschrieben. Gibt man die Orientierung der n K = 6 Teilkörper durch Kardan- oder Eulerwinkel an, dann haben der Lagevektor y und der Geschwindigkeitsvektor z hier jeweils die Dimension n y = n z = 6 n K = 36. Die Dynamik des Mehrkörpersystems McPherson-Radaufhängung wird dann durch n y = 36 kinematische und n z = 36 dynamische Differentialgleichungen 1. Ordnung sowie durch n w = 34 algebraische Gleichungen beschrieben.
7.4.4 Kinematische Analyse
-20
-20
-25
-25
-30 -35
zK [cm]
zK [cm]
Für eine erste kinematische Analyse wird die Bewegung der Zahnstange blockiert und der Dreiecklenker wird durch Vorgabe eines periodisch veränderlichen Drehwinkels zwangsbewegt. Die dabei entstehenden Bahnbewegungen des Kontaktpunktes K in der x z - und y z -Ebene sind im Bild 7.8 als einzelne Punkte (kleine Kreise) dargestellt. Zum Vergleich sind auch die Ergebnisse der
-30 -35
-4 -2 0 2 4 xK [cm]
-4 -2 0 2 4 yK [cm]
Bild 7.8: Bewegungen des Kontaktpunktes (◦ ADAMS — analytische Lösung
analytischen Lösung als durchgezogene Linie eingetragen. Wie erwartet sind keine Unterschiede zwischen den beiden Lösungen erkennbar.
7.4.5 Vervollständigung des Modells 7.4.5.1 Schraubenfeder Die Schraubenfeder ist zwischen dem radkörperfesten Punkt F und dem aufbaufesten Punkt G angeordnet. In der KO-Lage ist sie mit der Kraft F0 vorge-
7.4 ADAMS-Modell
197
spannt. Ihre Kraftwirkung kann in guter Näherung durch eine lineare Kennlinie der Form FF = F0 + c u (7.54) beschrieben werden, wobei c die Steifigkeit der Schraubenfeder angibt und u die Auslenkung bezeichnet, die durch die Längenänderung der Schraubenfeder bestimmt ist. Lineare Kraftelemente, die aus einer Feder und einem parallel geschalteten Dämpfer bestehen, können in der Main Toolbox von ADAMS über das Symbol einer Schraubenfeder aktiviert werden. Der untere Anlenkpunkt F ist mit dem Radkörper verbunden. Der beim Eingeben der Punkte angelegte Marker ground.r0fk ist allerdings mit dem „ground“ verbunden und muss deshalb erst dem Radkörper RK zugeordnet werden. Der neue Marker RK.r0fk gibt dann den ersten Anlenkpunkt des Kraftelements an. Der obere Anlenkpunkt G ist am Aufbau befestigt, der hier stets mit dem „ground“ verbunden bleibt. Der beim Eingeben der Punkte angelegte Marker ground.r0gk definiert somit den zweiten Anlenkpunkt. Über das Menü „Modify a Spring-Damper Force“ können die Eigenschaften des Kraftelements an die speziellen Gegebenheiten angepasst werden. Die wesentlichen Eingaben können der Tabelle 7.4 entnommen werden. Die Auswahl Tabelle 7.4: Wesentliche Angaben zur Beschreibung der Schraubenfeder Stiffness and Damping: Stiffness Coefficient
(25000 (newton/meter))
Damping Coefficient
(0.0 (newton-sec/meter))
Length and Preload: Preload Default Length
(3420 (newton)) (Derived From Design Position)
„Default Length“ bewirkt, dass die Länge der Feder in der KO-Lage (Design Position) aus den Koordinaten der Punkte F und G ermittelt wird. 7.4.5.2 Dämpfer Durch die Bewegungen der Dämpferstange relativ zum Dämpferrohr wird Öl von einer Arbeitskammer des Dämpfers in die andere verdrängt. Die dabei entstehenden Strömungsverluste führen in erster Näherung zu eine Kraft FD , die als Funktion der Geschwindigkeit v dargestellt werden kann. Die momentane
198
7 Anwendungsbeispiel aus der Fahrzeugtechnik
Lage des Dämpfers im Raum ist durch den radkörperfesten Punkt U und den aufbaufesten Punkt T bestimmt. Die Relativbewegung zwischen U und P liefert die Dämpferauslenkung und die Dämpfergeschwindigkeit v . In der Fahrzeugtechnik werden in der Regel Dämpfer mit degressiv nichtlinearer Kennung eingesetzt, die häufig durch eine Wertetabelle (lookup table) beschrieben wird, Bild 7.9. Um den Fahrkomfort beim Überfahren von Hindernissen zu gewährleisten, ist meist die Dämpferwirkung in der Druckstufe (Einfedern) deutlich schwächer als in der Zugstufe (Ausfedern).
2000
FD
Druck
1000 0 -1000
Wertepaare lineare Interpolation Spline Interpolation
Zug
-2000 -1
0
v
1
v [m/s]
FD [N]
-1.570 -1.050 -.524 -.393 -.262 -.131 -.052 .000 .052 .131 .262 .393 .524 1.050 1.570
-2050 -1490 -1040 -910 -750 -420 -125 0 168 356 460 550 640 1010 1420
Bild 7.9: Nichtlineare Dämpferkennlinie FD = FD (v ) mit Wertetabelle
Bei genügend feiner Unterteilung der Stützpunkte ist meist eine abschnittsweise lineare Interpolation ausreichend. Glatte und zweimal differenzierbare Kurvenverläufe können durch kubische Splines erreicht werden. Allerdings muss dabei kontrolliert werden, dass dabei nicht unerwünschte und unrealistische „Überschwinger“ auftreten. Die Sforce-Umgebung in ADAMS, die in (BH04) ausführlich erläutert ist, erlaubt beliebige nichtlineare Kraftelemente zu beschreiben. Zunächst müssen der untere und der obere Anlenkpunkt des Dämpfers angegeben werden. Dabei legt ADAMS intern zwei neue Marker an, die hier die Nummern 41 und 42 tragen. Der untere Anlenkpunkt (MARKER_41) ist in der KO-Lage durch den Hilfspunkt UH , der in Abschnitt 7.4.2 mittig zu U und T platziert wurde, festgelegt. Er wird der Dämpferstange (DS) zugeordnet. Im Punkt T ist das Dämpferrohr und damit auch der Dämpfer gelenkig am Aufbau bzw. „ground“ gelagert. Der obere, dem Dämpferrohr (DR) zugeordnete, Anlenkpunkt (MARKER_42) bleibt hier ortsfest.
7.4 ADAMS-Modell
199
Das mit SFORCE_Damper bezeichnete Kraftelement kann im Menü „Modify Force“ entsprechend angepasst werden, Tabelle 7.5. Tabelle 7.5: Wesentliche Angaben zur Beschreibung des nichtlinearen Dämpfers Name
SFORCE_Damper
Direction
Between Two Bodies In Line-Of-Sight
Action Body
DS
Reaction Body DR Define Using
Function
Function
-CUBSPL((VR(MARKER_41,MARKER_42)),0,SPLINE_1,0)
...
Die aus einer Datei importierte Wertetabelle wird hier mit SPLINE_1 bezeichnet. Die Funktionszeile -CUBSPL((VR(MARKER_41,MARKER_42)),0,SPLINE_1,0)
(7.55)
definiert dann über das Minuszeichen eine rückstellende Dämpferkraft, die über eine kubische Spline-Interpolation (CUBSPL) aus der Relativgeschwindigkeit (VR) zwischen den Markern 41 (unterer Anlenkpunkt) und 42 (oberer Anlenkpunkt) errechnet wird. 7.4.5.3 Reifen und Felge Die Beschreibung der Reifenkräfte und -momente kann, wie in Abschnitt 3.1.3.2 angedeutet, durch spezielle Kontakt-Elemente erfolgen. Bei einfachen Handling-Modellen werden Reifen und Felge zu dem starren Körper Rad zusammengefasst, der hier wieder über das „Primitive“ Hohlzylinder modelliert wird. Komplexe Reifenmodelle beschreiben auch die Dynamik des deformierten Reifens. Dann muss lediglich die Felge als starrer Körper im Mehrkörpersystem berücksichtigt werden. Aus den Reifendeformationen und den Gleitbewegungen in der Kontaktfläche werden dann durch halbempirische Ansätze oder durch komplexe dynamische Berechnungen die Reifenkräfte und -momente errechnet. Die Raddrehachse ist hier durch die radkörperfesten Punkte M und dem „Wheel Alignment Point“ D definiert. Mit dem aus Felge und Reifen zusammengesetzten Körper Rad, erhöht sich die Anzahl der Teilkörper um eins. Gleichzeitig kommen mit dem Scharniergelenk, definiert durch die Achse D-M , weitere fünf Bindungsgleichungen hinzu. Die Anzahl der freien Bewegungsmöglichkeiten steigt damit auf f K G = 3 an. Die
200
7 Anwendungsbeispiel aus der Fahrzeugtechnik
freien Bewegungen können der Drehung des Dreiecklenkers, der Verschiebung der Zahnstange und der Raddrehung zugeordnet werden.
Feder 4
1 2 3 4 5 6
Dämpfer 3
Felge und Reifen
1
Radkörper Dreiecklenker Dämpferstange Dämpferrohr Spurstange Zahnstange
5 6 2
Bild 7.10: ADAMS-Modell einer McPherson-Radaufhängung
Das nun vollständige ADAMS-Modell einer McPherson Radaufhängung ist in Bild 7.10 dargestellt. Im Dämpfer integrierte Zug- und Druckanschläge sowie die Wirkung des Stabilisators, der die Vertikalbewegungen der Räder einer Achse koppelt, bleiben hier noch unberücksichtigt. Neben den bereits in Bild 7.2 angegebenen Teilkörpern Radkörper (1) bis Zahnstange (6) sind noch der Modellkörper Rad sowie die Kraftelemente Feder, Dämpfer und Reifen dargestellt.
7.5 SIMPACK-Modell 7.5.1 Vorbemerkung Das Mehrkörperprogramm SIMPACK erstellt die Bewegungsgleichungen mit einem rekursiven Algorithmus. Die Körper werden relativ zu einander beschrieben und bei Systemen mit offener Ketten- oder Baumstruktur können die in den Bindungen auftretenden Zwangskräfte und -momente vollständig eliminiert werden. Die Dynamik des Systems wird dann durch einen minimalen Satz verallgemeinerter Koordinaten (Minimal Koordinaten) vollständig charakterisiert.
7.5 SIMPACK-Modell
201
Kinematische Schleifen müssen allerdings vom Benutzer2 aufgetrennt werden. Dort werden die kinematischen Bindungen (Constraints) dann durch algebraische Gleichungen erfasst. Damit entsteht dann ebenfalls ein System differential algebraischer Gleichungen. In Vergleich zur absoluten Beschreibung, die beim Mehrkörperprogramm ADAMS praktiziert wird, aber mit in der Regel deutlich weniger Zustandsgrößen und auch weniger Bindungsgleichungen.
7.5.2 Topologie Betrachtet man auch hier nur eine Radaufhängung und lässt die Bewegungen des Hilfsrahmens relativ zum Aufbau außer Acht, dann ergeben sich im Mehrkörpermodell der McPherson-Radaufhängung zwei geschlossene kinematische Schleifen, Bild 7.11. Ausgangspunkt sind der Aufbau und der Hilfsrahmen, die Schiebegelenk Dämpferstange feste Einspannung
Rad
Scharniergelenk Radkörper
Dämpferrohr kinematische Schleife
Aufbau
SchiebeKugelKardangelenk Spur- gelenk Zahn- gelenk stange getrennt stange kinematische Schleife getrennt
Kugelgelenk Reifen
Kugelgelenk
Hilfsrahmen
Dreiecklenker Scharniergelenk
Inertialsystem
Bild 7.11: Topologie der McPherson-Radaufhängung mit kinematischen Schleifen
hier fest miteinander und mit dem Inertialsystem verbunden sind. Die verbleibenden sechs Teilkörper Dreiecklenker, Radkörper, Dämpferstange, Dämpferrohr, Zahnstange und Spurstange sind mit unterschiedlichen kinematischen Bindungen aneinander bzw. an den Aufbau oder Hilfsrahmen geknüpft und bilden dabei zwei geschlossene kinematische Schleifen. 2
Das Mehrkörperprogramm RecurDyn dagegen, das ebenfalls mit einem rekursiven Algorithmus arbeitet, führt die erforderlichen Schnitte automatisch an geeigneter Stelle durch.
202
7 Anwendungsbeispiel aus der Fahrzeugtechnik
7.5.3 Relative Beschreibung Die Schleifen können zum Beispiel, wie in Bild 7.11 angedeutet, an den Kugelgelenken zwischen Dreiecklenker und Radkörper (Punkt C) sowie Spurstange und Radkörper (Punkt Q) getrennt werden. Dadurch entstehen drei Äste, die unabhängig von einander durchlaufen werden können. Ausgehend vom Aufbau führt ein Ast über das Dämpferrohr und die Dämpferstange zum Radkörper. Entsprechend den kinematischen Bindungen treten dabei im Kugelgelenk zwischen Aufbau und Dämpferrohr drei Bewegungsmöglichkeiten f ADR = 3, im Schiebegelenk zwischen Dämpferrohr und DämpferDS stange eine Bewegungsmöglichkeit f DR = 1 und in der festen Verbindung (feste Einspannung) zwischen Dämpferstange und Radkörper keine BewegungsmögRK = 0 auf. Der zweite Ast läuft vom Aufbau oder je nach Bauart vom lichkeit f DS Hilfsrahmen zur Zahnstange und weiter zur Spurstange. Dabei tritt im Schiebegelenk zwischen Aufbau bzw. Hilfsrahmen und der Zahnstange eine BeweZS = 1 auf. Mit dem Kardangelenk zwischen Zahnstange gungsmöglichkeit f AH SP und Spurstange kommen zwei weitere Bewegungsmöglichkeiten f ZS = 2 hinzu. Schließlich ist beim dritten Ast der Dreiecklenker über ein Scharniergelenk am Hilfsrahmen angebunden. Dies führt mit f HDRL = 1 zu einer weiteren Bewegungsmöglichkeit. Insgesamt reichen dann Ast 1 Ast 2 Ast 3
n y = 1 + 0 + 2 + 1 = 3 + 1 + DS RK ZS SP f HDRL f DS f ADR f DR f ZS f AH
8
(7.56)
verallgemeinerte Koordinaten zur vollständigen Beschreibung der McPhersonRadaufhängung aus. Nun muss noch die Wirkung der aufgetrennten Bindungen durch algebraische Gleichungen erfasst werden. Ein Kugelgelenk lässt in keiner der drei Raumrichtungen Verschiebungen zu. Die daraus resultierenden n w = 2 · 3 = 6 Bindungsgleichungen sind dann durch DL RK − r0C =0 ΔrC = r0C ,0 ,0
und
SP RK ΔrQ = r0Q,0 − r0Q,0 =0
(7.57)
gegeben, wobei die hochgestellten Indizes den jeweiligen Punkt auf dem Dreiecklenker D L , der Spurstange SP und dem Radkörper R K bezeichnen. Wie erwartet, verbleiben auch beim Simpack-Modell f = n y − n w = 8 − 6 = 2 freie Bewegungsmöglichkeiten, die wieder der Verschiebung der Zahnstange und der Drehung des Dreiecklenkers um die Achse A-B zugeordnet werden können.
7.6 Modellerweiterungen
203
Die erforderlichen Schritte beim Aufbau eines SIMPACK-Modells für eine McPherson-Radaufhängung können der Anleitung (sim10b) entnommen werden. Dabei bleibt allerdings die Schrägstellung der zwischen den Punkten G und F angeordneten Schraubenfeder unberücksichtigt, stattdessen werden die Schraubenfeder und der Dämpfer vereinfachend als parallel geschaltetes Kraftelement modelliert. Im Vergleich zum ADAMS-Modell können durch den erhöhten Aufwand beim Aufbau des Modells im Gegenzug deutlich kompaktere differential-algebraische Gleichungen erzielt werden. Je nach Anwendungsfall kann sich dies auch vorteilhaft in der Dauer von Simulationsberechnungen auswirken.
7.6 Modellerweiterungen Bei realen Fahrzeugen ist der Dreiecklenker nicht kinematisch sondern über Elastomerlager in A und B elastisch mit dem Hilfsrahmen verbunden. Die dort auftretenden Verformungen sind zwar klein, können aber bei sorgfältiger Abstimmung einen positiven Effekt auf die Fahrdynamik haben. Bushings mit linearer Kraftwirkung werden durch Steifigkeits- und Dämpfungswerte in bushingsfesten Hauptrichtungen beschrieben. Bei Bedarf können noch entsprechende Drehsteifigkeiten und -dämpfungen spezifiziert werden. Die axiale Richtung der Bushings wird durch die Linie vom hinteren Lager A zum vorderen Lager B festgelegt. Die Normale zur Dreiecklenkerebene, die durch die Punkte A, B und C definiert ist, gibt die vertikale Richtung an. Senkrecht zu diesen beiden erhält man dann die Querrichtung der Bushings. Entfernt man in ADAMS die aus dem Scharniergelenk in Richtung A-B resultierenden fünf Bindungsgleichungen zwischen dem Dreiecklenker und dem Hilfsrahmen, dann steigt die Anzahl der freien Bewegungsmöglichkeiten von f K G = 3 auf f K G = 8 an. Diese Bewegungen können nun nicht mehr eindeutig einzelnen Teilkörpern zugeordnet werden. Modelliert man die Bushings in A und B , dann kann in einem ersten Schritt die quasistatische Elastokinematik untersucht werden. Dazu wird z. B. die Vertikalbewegung der Radmitte gesperrt und das Rad in der Mitte periodisch mit einer niedrigen Frequenz von f = 0.2Hz durch eine Kraft in Längsrichtung mit der Amplitude Fx = 8 kN belastet. Die dabei auftretende Längsverschiebung der Radmitte und die Spurwinkeländerung (Drehung des Rades um die vertikale Achse) sind in Bild 7.12 aufgetragen. Dabei wurden die Steifigkeiten der Bushings in A und B in axialer und vertikaler Richtung jeweils mit c aA = c aB = 2.5 kN/mm und c vA = c vB = 1.0 kN/mm vorgegeben. In Querrichtung wurde mit c qA = 3.0 kN/mm, c qB = 5.0 kN/mm bei
7 Anwendungsbeispiel aus der Fahrzeugtechnik
10
1
A weicher B weicher
Spuränderung [Grad]
Längsverschiebung [mm]
204
5 0 0.9 mm kN -5
-10 -10
0
Fx [kN]
10
A weicher B weicher
0.5 0 0.06 Grad kN -0.5 -1 -10
0
Fx [kN]
10
Bild 7.12: Elastokinematische Achsbewegungen infolge einer Längskraft Fx
A ein weicheres und mit c qA = 5.0 kN/mm, c qB = 3.0 kN/mm bei B ein weicheres Bushing verbaut. Die beiden Varianten haben unterschiedliche Einflüsse auf die Längsverschiebung und die Spurwinkeländerung. Die Längsnachgiebigkeit einer Radaufhängung wirkt sich beim Überfahren von Hindernissen positiv auf den Fahrkomfort aus. Spurwinkeländerungen, hervorgerufen durch Längskräfte, können beim Bremsen in der Kurve das Eindrehen des Fahrzeugs reduzieren oder verhindern. Die elastokinematischen Kennwerte für McPherson Vorderachsen werden in (Neu02) bei einer Belastung durch eine Längskraft (Bremskraft) für die Längsnachgiebigkeit mit 2 . . . 8 mm/kN und für die Spurwinkeländerung mit −0.2 . . . 0.2 Grad/kN angegeben. Da dabei nicht nur eine Radaufhängung sondern ein komplette Achse betrachtet wurde, sind Nachgiebigkeiten im Dämpferlager (Topmount) und in den elastischen Lagern zwischen Hilfsrahmen und Aufbau sowie Bauteilverformungen im Dreiecklenker und der Dämpferstange mit enthalten. Vernachlässigt man in einem ersten Schritt alle Bauteilverformungen, dann kann das Mehrkörpermodell einer Radaufhängung gespiegelt und mit dem elastisch an den Aufbau angebundenen Hilfsrahmen als zusätzlichen Starrkörper zu einem Achsmodell zusammmengefügt werden. Mit einem entsprechenden MKS-Modell für die Hinterachse und dem Aufbau erhält man dann ein vollständiges Fahrzeugmodell. Bei Bedarf kann das Fahrzeugmodell dann auch noch mit elastischen Strukturen erweitert werden. Komplexe Mehrkörpermodelle führen allerdings nicht automatisch zu guten Simulationsergebnissen. Erst wenn alle Daten sorgfältig ermittelt und auf Plausibilität überprüft werden, sind realitätsnahe Ergebnisse möglich, (HPRS09).
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Abbildungsverzeichnis 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7
Koordinatensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lagebeschreibung eines starren Körpers . . . . . . . . . . . Kardan-Winkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Drehung um beliebige Achse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quader im homogenen Schwerefeld . . . . . . . . . . . . . . Instabile Drehung um die mittlere Hauptträgheitsachse Drift in der Zwangsbedingung für die Euler-Parameter .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
3 4 6 9 26 28 28
3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8 3.9 3.10 3.11 3.12 3.13 3.14
Zwei starre Körper mit Bushing-Element . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwei starre Körper mit Kraftelement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einfaches Kontaktelement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rad-Schiene Kontakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . RecurDyn Teilmodell eines Kettenfahrzeuges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Komplexes Reifenmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kontaktgeometrie und Reifenkennfeld beim TMeasy Reifenmodell . . . . . . Schwerpunktsbahn eines Würfels bei unterschiedlichen Reibwerten . . . . . Wurf eines Würfels simuliert mit verschiedenen Matlab-Solvern bei μ = 0.3 Räumliches Doppelpendel mit Bushings in B 1 und B 2 . . . . . . . . . . . . . . . Bahn der Massenmittelpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertikale Bushing-Auslenkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Numerische Lösungen für den ungedämpften Ein-Masse-Schwinger . . . . Auslenkungen bei weichen, steifen und sehr steifen Bushings . . . . . . . . . .
29 31 33 34 35 35 35 38 39 40 44 44 51 52
4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7 4.8 4.9 4.10 4.11 4.12 4.13
Bewegungsmöglichkeiten und Kräfte bei einer rollenden Münze . . . . . . . Münzbewegungen auf einer rauen horizontalen Unterlage . . . . . . . . . . . Winkelgeschwindigkeiten bei instabiler Quaderdrehung . . . . . . . . . . . . . Von ode15s automatisch gewählte Rechenschrittweite h = h(β ) . . . . . . . Räumliches Doppelpendel mit Kugelgelenken in B 1 und B 2 . . . . . . . . . . Modellvergleich: kinematischen Bindungen gegenüber steifen Bushings . Relative Lagebeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ebenes Dreifachpendel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ebenes Punktpendel mit drei Elementen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ebenes Punktpendel mit sechs Elementen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Topologien kinematisch gebundener Mehrkörpersysteme . . . . . . . . . . . Doppelpendel mit redundanten Bindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewegung der Massenmittelpunkte (DAE I1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. 53 . 59 . 73 . 73 . 75 . 82 . 83 . 88 . 97 . 98 . 99 . 105 . 110
210
Abbildungsverzeichnis
4.14 Drift in den Bindungsgleichungen g 1 und g 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 4.15 Abweichungen in g 1 und g 2 bei Baumgarte-Stabilisierung . . . . . . . . . . . . 112 4.16 Abweichungen in g 1 und g 2 bei einfachem DAE Index 3 Solver . . . . . . . . . 117 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 5.7 5.8 5.9 5.10 5.11 5.12 5.13 5.14 5.15
Startkonfiguration und instabile Gleichgewichtslage . . . . . . . . . . Geänderte Startkonfiguration und stabile Gleichgewichtslage . . . . Lagerreaktionen beim Einschwingen (Index 1 DAE mit D =0.005) . Einschwingvorgang nach Momentensprung . . . . . . . . . . . . . . . . Beurteilung des Einschwing-Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grenzzykel nach Momentensprung und Winkelgeschwindigkeiten Periodische Erregung mit verschiedenen Frequenzen . . . . . . . . . . Frequenzgang der y -Auslenkung von Körper 2 . . . . . . . . . . . . . . . Zufallsprozess und Histogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einschwingvorgang mit optimierter fiktiver Dämpfung . . . . . . . . Inverse Kinematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bahnvorgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abweichung von der Soll-Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellmomente in den Kugelgelenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bahnabweichungen bei inverser Dynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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121 122 123 131 131 132 133 134 134 137 140 142 143 145 146
6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 6.8 6.9
Mehrkörpermodell eines Hubschraubers mit elastischen Rotorblättern . Mitbewegtes Koordinatensystem zur Beschreibung eines Rotorblattes . Kontinuumsmechanisches Modell eines Hubschrauberrotorblattes . . . Differentielles Balkenelement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Differentielles Balkenelement im verformten Zustand . . . . . . . . . . . . . Lumped Mass Model eines Hubschrauberrotorblattes . . . . . . . . . . . . . Simulationsergebnisse mit dem Lumped Mass Model . . . . . . . . . . . . . . Drehzahlabhängige Eigenfrequenzen des Lumped Mass Models . . . . . . Lagebeschreibung flexibler Körper bei kleinen Deformationen . . . . . . .
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147 149 152 153 161 164 170 172 173
7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6 7.7 7.8 7.9 7.10 7.11 7.12
McPherson-Achse Ford Focus Modelljahr 2005 (Quelle: Ford Werke GmbH) Modellkörper einer McPherson-Radaufhängung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kinematisches Modell einer McPherson-Radaufhängung . . . . . . . . . . . . . McPherson-Radaufhängung mit Kontakt zur Fahrbahn . . . . . . . . . . . . . . Verschiebungen der Radmitte und Drehungen des Radkörpers . . . . . . . . . Kontaktpunktbewegungen und Neigungsänderung der Raddrehachse . . . Punkte (Points) und Teilkörper im ADAMS-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewegungen des Kontaktpunktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nichtlineare Dämpferkennlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ADAMS-Modell einer McPherson-Radaufhängung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Topologie der McPherson-Radaufhängung mit kinematischen Schleifen . . Elastokinematische Achsbewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
176 177 179 187 189 191 193 196 198 200 201 204
Tabellenverzeichnis 3.1 Vergleich verschiedener Solver für unterschiedlich komplexe Modelle . . . .
52
4.1 Systeme starrer Körper: Modellbildung, Methodik und Aufwand . . . . . . . . 118 5.1 Eigenwerte und Lösungsverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 5.2 Beispiele für Erregermechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5
Zahlenwerte für eine typische McPherson-Radaufhängung . . . . . . . . Geometrie Punkte (Points) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bindungen im ADAMS-Modell der McPherson-Radaufhängung . . . . Wesentliche Angaben zur Beschreibung der Schraubenfeder . . . . . . Wesentliche Angaben zur Beschreibung des nichtlinearen Dämpfers
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188 192 195 197 199
Sachwortverzeichnis ADAMS 191 algebraische Gleichung 202 algebraische Gleichungen 195 Arbeit 62 Baumgarte-Stabilisierung 111 Beispiel Doppelpendel Eigendynamik 128 Doppelpendel Einschwingen 123 Doppelpendel Gleichgewicht 121 Doppelpendel linearisiert 126 Doppelpendel mit Bushings 39 Doppelpendel Sprungantwort 130 ebenes Dreifachpendel 97 ebenes Sechsfachpendel 97 Inverse Dynamik 144 Inverse Kinematik 140 Körper gegen Boden 36 optimales Einschwingen 136 periodische Erregung 132 rollende Münze 53 Stabilität von Drehbewegungen 26 Vierfachpendel 51 Bewegungsmöglichkeit 202 Bindungsgleichung 119, 180 holonom 55 nichtholonom 57 Bushing-Element 29 Dämpfer 31, 197f. Dämpfung 29 Dämpfungsmatrix 30, 126 DASSL 111 DDASKR 111 Differenzen-Quotient 126
Drehmatrix 13, 60 Drehung um beliebige Achse 8 Dynamik eines Mehrkörpersystems 119 Effektivwert 135 Eigenvektor 127 Eigenwerte 127 Eigenwertproblem allgemein 128 gewöhnlich 127 Einheitsvektor 3 Einschritt-Verfahren 45 Einschwingverhalten 123 Elementardrehungen 5, 184 Euler-Lagrange-Gleichungen 63 Euler-Parameter 11 Euler-Winkel 8 Extremal-Prinzip 61 Feder 31, 196f. feste Einspannung 178, 195, 202 fiktive Dämpfung 123 Fourier-Reihe 135 Fremderregung 129 Funktionalmatrix 120 Gütekriterium 136f. Allgemein 136 Geschwindigkeit 14 Geschwindigkeitszustand 15 Gleichgewichtslage 119 instabil 121 stabil 121 Gleitsinus 133 Gradienten-Verfahren 120
214
Grenzzykel 131
Sachwortverzeichnis
Kreuzprodukt 14 Kugelgelenk 178, 195, 202
Hamilton-Funktion 62 Integrationsverfahren Adams-Bashforth 46 Adams-Bashforth-Moulton 46 Adams-Moulton implizit 47 Euler explizit 45 Euler implizit 46 Gear 47 Heun 45 numerische Dämpfung 50 Rechenschrittweite 45 Runge-Kutta 45 Trapezregel 50 Interpolation 198 Inverse Dynamik 144 Inverse Kinematik 138 Jacobi-Matrix 47, 126 Kardangelenk 195, 202 Kardanwinkel 5 Kinematik-Matrix 119 kinematische Bindung 202 kinematische Bindungen 195 kinematischen Differentialgleichungen 17 kinetische Energie 62, 66 KO-Lage 178, 189 Kontakt Dämpfung 38 einfaches Kontaktelement 32 Rad-Schiene 34 Reifenmodell 34 Steifigkeit 38 Kontaktpunkt 55 Koordinatensystem 3, 177 Kraftelement 31 Kraftelemente linear 197 nicht linear 198
Lagebeschreibung 3 Lagevektor 119 Lagrange-Funktion 64 Lagrange-Gleichungen zweiter Art 63 Lagrange-Multiplikatoren 119 least-square Problem 120 Levenberg-Marquardt-Algorithmus 140 lineare Differentialgleichung 125 Linearisierung 125 Ljapunov-Stabilität 120 Massenmatrix 66, 126 Matlab-Beispiel DAE Index 1 107 DAE Index 3 114 Doppelpendel mit Bushings 41 ebenes Dreifachpendel 94 kinematische Bindungen 79 Kontaktelemente 36 Quader im Schwerefeld 25 rekursiver Algorithmus 94 singuläre Massenmatrix 71 Matlab-Funktion eig 128 fmincon 125, 141 fsolve 121 ode113 46, 59 ode15s 48, 51, 71, 74 82 ode23 45 ode23s 38, 47 ode23t 38, 47, 71 ode23tb 47 ode45 45, 51, 82 Mehrschritt-Verfahren 45 Minimal-Koordinaten 59 Mittelwert 135 Modellkörper 177 Nebenbedingungen 136 Newton-Verfahren 120
215
nichtlineares Gleichungssystem 119, 138 Optimierung 136 Orthogonalitätsbedingung 13 Ortsvektor 4, 13, 60 partielle Integration 63 periodische Erregung 132 Potential 64 potentielle Energie 124 Pseudo-Inverse 139 quadratische Regelfläche 130 Rückwärtsrekursion 92 Rangabfall 103 Rechenschrittweite 45 redundante Bindungen 102 Reibwert 59 Rekursion 87 Relativbewegung 14 Residuen-Form 111 Resonanzüberhöhung 133 Scharniergelenk 178, 195, 202 Schiebegelenk 178, 180, 195 202 schiefsymmetrischer Tensor 10, 14, 21 Schraubenfeder 196 Schrittweite 45 SIMPACK 200 singuläre Massenmatrix 71
Singularität 54 spektrale Leistungsdichte 135 Spreizachse 181 Sprungantwort 130 Standardabweichung 135 Starrkörperbedingungen 4 Startwert 120 Steifigkeit 29 Steifigkeitsmatrix 30, 126 Systemmatrix 126 Taylor-Reihe 125 Tensortransformation 15, 30 Transponiertzeichen 3 Trust-Region Dogleg Verfahren 121 Umkehrtransformation 13 Varianz 135 verallgemeinerte Geschwindigkeiten 60 verallgemeinerte Koordinaten 60, 180 virtuelle Arbeit 62 virtuelle Bewegungen 62 virtuelle Geschwindigkeit 64 virtuelle Leistung 64 Vorwärtsrekursion 88, 93 Wertetabelle 198 Winkelgeschwindigkeit 14f. Zufallsprozess 135