Alexander Knuth Gründungsnetzwerke im Wissenschaftsund Hochschulbereich
GABLER EDITION WISSENSCHAFT Innovation und Te...
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Alexander Knuth Gründungsnetzwerke im Wissenschaftsund Hochschulbereich
GABLER EDITION WISSENSCHAFT Innovation und Technologie im modernen Management Herausgegeben von Prof. Dr. Guido Reger und Prof. Dr. Dieter Wagner
Innovation und Technologie sind die Schlüsselfaktoren für den Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft. Damit einhergehende neue Entwicklungen in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sollen durch diese Schriftenreihe zur Diskussion gestellt werden. Die Reihe bietet ein Forum für theoriegeleitete, anwendungsorientierte und interdisziplinär ausgerichtete wissenschaftliche Arbeiten, die der Weiterentwicklung des Wissens über Innovation und Technologie dienen. Im Mittelpunkt stehen die Identifizierung neuer Herausforderungen an das Management und das Wechselspiel mit dem wirtschaftlichen und politischen Umfeld eines Unternehmens. Die Reihe steht in engem Zusammenhang mit den Forschungsaktivitäten des Centrums für Entrepreneurship und Innovation der Universität Potsdam (CEIP), der zentralen wissenschaftlichen Einrichtung der Universität Potsdam, die mit dem Brandenburgischen Institut für Existenzgründung und Mittelstandsförderung (BIEM) verbunden ist.
Alexander Knuth
Gründungsnetzwerke im Wissenschaftsund Hochschulbereich Herausforderungen für die Wirtschaftsförderung
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Dieter Wagner
GABLER EDITION WISSENSCHAFT
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Universität Potsdam, 2008
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Frauke Schindler / Britta Göhrisch-Radmacher Gabler ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-1434-7
Geleitwort Gründungsnetzwerke werden vielfach als besonders sinnvoll dargestellt. Im Wissenschafts- und Hochschulbereich gelten sie sogar als unabdingbar, um Fördermittel zu bekommen und um als besonders professionell zu gelten. Empirische Untersuchungen zu den Gründungsnetzwerken im deutschen Wissenschafts- und Hochschulbereich sind jedoch relativ selten. Insofern ist es sehr verdienstvoll, wenn Alexander Knuth im Hinblick auf das Gründungsgeschehen an der Universität Potsdam hier eine Lücke schließt. Alexander Knuth baut auf theoretischen Vorüberlegungen zur Netzwerktheorie und zur Entrepreneurship-Theorie auf und verwendet quantitative und qualitative Erhebungsmethoden, Feldnotizen und Dokumentenanalysen, um daraus wieder Rückschlüsse auf die theoretische Modellbildung zu ziehen. Insofern handelt es sich um eine originelle Vorgehensweise mit theoretisch fundierten Ausgangsüberlegungen sowie einer vielseitigen empirischen Methodik. Die theoretischen Vorüberlegungen beziehen sich sehr gezielt auf die Netzwerktheorie und dabei wiederum auf den Netzwerkstruktur- und auf den Netzwerkmanagementansatz. Hinzu kommen Überlegungen zur Gründungsentscheidung und zum Entscheidungsprozess im Rahmen der Entrepreneurship-Theorie, die wiederum auf den Netzwerkansatz bezogen wird. Der empirische Teil beinhaltet sowohl eine quantitative als auch eine qualitative Untersuchung. Die quantitative Befragung bezieht sich auf die Gründungsneigung von Studierenden und Alumni. Dabei handelt es sich um Ergebnisse, die in dieser Form für die Universität Potsdam bislang noch nicht vorgelegen haben. Der qualitative Teil gründet auf Denküberlegungen der Grounded Theorie. Die theoretische Modellbildung baut auf dem formalen Ansatz der Graphentheorie und spieltheoretischen Netzwerktheorien auf. Dabei werden die Modelle von Bala/Goyal sowie Jackson/Wolinsky miteinander verglichen und diskutiert
VI
Geleitwort
sowie dann in ein Modell mit zentraler Agentur und in ein dynamisches Netzwerkmodell integriert. Alexander Knuth hat in theoretisch fundierter Form und mit Hilfe einer interessanten methodischen Basis Erkenntnisse über Gründungsnetzwerke im Hochschulbereich zusammengetragen, die für das Land Brandenburg und speziell für die Universität Potsdam von großem Neuigkeitswert sind, aber auch ansonsten für vergleichende Betrachtungen herangezogen werden können. Insofern ist dem Buch eine weite Verbreitung zu wünschen. Dieter Wagner
Vorwort Die Unterstützung junger Unternehmensgründungen ist zu meiner Leidenschaft geworden. Als Leiter eines Förderprogramms betreue ich gemeinsam mit meinem Kooperationsnetzwerk über 100 Existenzgründer/innen aus dem Wissenschafts- und Hochschulbereich. Im Rahmen meiner Lehrveranstaltungen durfte ich bereits mehr als 300 Businesspläne von Studentinnen und Studenten lesen. Die Erkenntnisse meiner eigenen Forschung lasse ich kontinuierlich in meine Arbeit einfließen. Die Zusammenarbeit mit meinen Kollegen, den Berater/innen des Netzwerkes und unseren weiteren Kooperationspartnern versuche ich gemäß meiner eigenen wissenschaftlichen Empfehlungen, nachzulesen in diesem Buch, zu gestalten. Es erfüllt mich dabei stets mit Begeisterung, wie die Ergebnisse meiner Arbeit als Dozent und als Gründungsberater durch die Anwendung der Forschung immer besser werden, abzulesen in der Qualität der Geschäftskonzepte und vor allem an dem Feedback der Gründer/innen. Ich danke Prof. Dr. Dieter Wagner für die Betreuung meiner Forschungsarbeiten, für viele intensive und offene Gespräche und für den Zugang zu einem großen wissenschaftlichen Netzwerk, dessen Netzwerkpartner mir viele Anregungen und Hinweise für meine Forschung gegeben haben. Ich danke der Technologiestiftung Brandenburg für die Unterstützung der Forschung durch ein Stipendium und für interessante Diskussionen zum Forschungsthema. Ich danke Prof. Dr. Guido Reger für die Betreuung meiner Forschungsarbeiten, vor allem für die Vernetzung mit Experten der internationalen Entrepreneurshipforschung, die mich im Rahmen von Workshops und Diskussionen bei meiner Forschung unterstützten. Ich danke allen Interviewpartnern für ihre Kooperation und Offenheit, durch die mir wichtige Einsichten vermittelt wurden. Alexander Knuth
Inhaltsverzeichnis 1
Einleitung ............................................................................................... 1
2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5
2.7
Forschungsgegenstand und Forschungsfragen .................................. 5 Gründungen und Netzwerke ................................................................... 5 Begriffsklärung: Entrepreneurship, Gründung, Existenzgründung ........ 6 Arten von Gründungen.......................................................................... 13 Gründungsförderung ............................................................................. 17 Förderung von Gründernetzwerken im Wissenschafts- und Hochschulbereich.................................................................................. 24 Gründungsförderungsnetzwerke im Wissenschafts- und Hochschulbereich.................................................................................. 28 Forschungsfragen .................................................................................. 30
3 3.1 3.2 3.3
Forschungsdesign ................................................................................ 33 Methodenwahl....................................................................................... 33 Vorgehensweise .................................................................................... 36 Epistemologische Überlegungen .......................................................... 38
4 4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.2.1 4.2.2.2 4.2.2.3
Theoretische Vorüberlegungen.......................................................... 47 Netzwerktheorie .................................................................................... 47 Netzwerkkonstrukt ................................................................................ 47 Netzwerkstrukturansatz......................................................................... 50 Systemtheoretischer Netzwerkansatz nach Bommes/Tacke................. 54 Netzwerkmanagementansatz................................................................. 56 Entrepreneurship-Theorie ..................................................................... 60 Der theoretische Bezugsrahmen von Scott Shane ................................ 60 Die Gründungsentscheidung ................................................................. 65 Der Gründungsprozess als Entscheidungsprozess................................ 65 Das Entscheidungsfeld.......................................................................... 69 Die Rolle der Motivation ...................................................................... 73
2.6
X 5 5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.2 5.2.1 5.2.1.1 5.2.1.2 5.2.1.3 5.2.2 5.2.3
Inhaltsverzeichnis
5.2.4.5 5.2.4.6 5.2.4.7
Empirie................................................................................................. 75 Quantitative Empirie ............................................................................. 75 Untersuchungsfragen ............................................................................ 75 Beschreibung der Grundgesamtheit...................................................... 76 Beschreibung der Stichprobe und Datenerhebung................................ 77 Operationalisierung, Ergebnisse und Diskussion ................................. 80 Qualitative Empirie ............................................................................... 87 Datenerhebung ...................................................................................... 87 Interviewerhebung ................................................................................ 87 Feldnotizen............................................................................................ 98 Dokumentenanalyse ............................................................................ 100 Auswertung der qualitativen Empirie ................................................. 101 Eine Grounded Theory zu Gründernetzwerken bei der Marktetablierung..................................................................... 112 Darstellung der Ergebnisse ................................................................. 112 Diskussion ........................................................................................... 117 Eine Grounded Theory zur Organisation der Gründungsförderung ... 121 Überblick............................................................................................. 121 Deskription des Kontextes .................................................................. 122 Ursachen des Wettbewerbes zwischen Förderträgern ........................ 126 Ursachen und Konsequenzen fehlender Kooperation zwischen den Förderträgern....................................................................................... 129 Diskussion ........................................................................................... 134 Wege aus dem Dilemma ..................................................................... 138 Beispiel................................................................................................ 142
6 6.1 6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.1.4
Theoretische Modellbildung ............................................................ 149 Basistheorien ....................................................................................... 149 Vorbemerkungen................................................................................. 149 Handlungstheorie auf Individualebene ............................................... 150 Der formale Ansatz mit der Graphentheorie....................................... 155 Spieltheoretische Netzwerktheorien ................................................... 159
5.2.3.1 5.2.3.2 5.2.4 5.2.4.1 5.2.4.2 5.2.4.3 5.2.4.4
Inhaltsverzeichnis
XI
6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4 6.2.5 6.2.6
Theoretische Modelle.......................................................................... 163 Überblick............................................................................................. 163 Das Modell von Jackson/Wolinsky .................................................... 167 Das Modell von Bala/Goyal................................................................ 173 Vergleich der Modelle und Diskussion............................................... 178 Modell mit Zentraler Agentur nach Strategie Z.................................. 181 Dynamisches Netzwerkmodell ........................................................... 194
7 7.1 7.2 7.3
Synthese.............................................................................................. 209 Strategien für die Organisation der Gründungsförderung .................. 209 Wirtschaftspolitischer Handlungsbedarf............................................. 214 Wirtschaftspolitische Gestaltungsempfehlungen................................ 216
8
Resümee und Forschungsdesiderata ............................................... 219
Literaturverzeichnis........................................................................................ 223 Anhang A: Statistische Tabellen.................................................................... 239 Anhang B: Fragebogen Quantitative Empirie ............................................. 247 Anhang C: Interviewleitfäden Qualitative Empirie .................................... 249
Tabellen- und Abbildungsverzeichnis Tabelle 1: Interviewpartner aufseiten der Gründer ............................................. 89 Tabelle 2: Interviewpartner aufseiten der Gründungsförderer............................ 90 Tabelle 3: Übersicht Interviewdurchführung ...................................................... 94 Tabelle 4: Ausschnitt aus der Kodetabelle zu Gründernetzwerken .................. 108 Tabelle 5: Ausschnitt aus der Kodetabelle zu Gründungsfördernetzwerken.... 111 Tabelle 6: Trigger des Gründungsförderprozesses ........................................... 130 Tabelle 7: Strategien als Antwort auf das Kooperationsversagen .................... 139 Tabelle 8: Überschneidung der Förderangebote am Beispiel der Universität Potsdam .............................................. 144 Tabelle 9: Gründungsförderprozess am Beispiel der Universität Potsdam ...... 146 Tabelle 10: Übersicht Stabilität und Effizienz im Modell von Bala/Goyal...... 178 Tabelle 11: Strategien zur Errichtung von One-Stop-Shops............................. 214 Tabelle 12 (Anhang): Chi-Quadrat-Test Abwanderungsrate............................ 239 Tabelle 13 (Anhang): Chi-Quadrat-Test Abwanderung Zugezogener ............. 240 Tabelle 14 (Anhang): Chi-Quadrat-Test Abwanderung Einheimischer ........... 241 Tabelle 15 (Anhang): Chi-Quadrat-Test Einfluss Juristische Fakultät............. 242 Tabelle 16 (Anhang): Chi-Quadrat-Test Einfluss Philosophische Fakultät ..... 243 Tabelle 17 (Anhang): Chi-Quadrat-Test Einfluss Humanwiss. Fakultät.......... 244 Tabelle 18 (Anhang): Chi-Quadrat-Test Einfluss WiSo-Fakultät .................... 245 Tabelle 19 (Anhang): Chi-Quadrat-Test Einfluss Math.-Nat.-Fakultät............ 246
Abb. 1: Arten von akademischen Gründungen ................................................... 15 Abb. 2: Der Gründungsprozess als Entscheidungsprozess ................................. 68 Abb. 3: Der Aktionsraum im Entscheidungsfeld ................................................ 71 Abb. 4: Grounded Theory zu Gründernetzwerken bei Marktetablierung......... 116 Abb. 5: Grounded Theory zur Organisation der Gründungsförderung............. 121 Abb. 6: Visualisierung leeres Gründungsförderungsnetzwerk ......................... 183 Abb. 7: Visualisierung Gründungsförderung mit Zentraler Agentur................ 183 Abb. 8: Netzwerkkosten bei Zentraler Agentur ................................................ 189
1 Einleitung Akademische Unternehmensgründungen im Allgemeinen und SpinoffGründungen aus dem Wissenschafts- und Hochschulbereich im Besonderen sind bedeutende Kanäle des Wissens- und Technologietransfers.1 Die Förderung von akademischen Unternehmensgründungen ist damit ein wichtiger Beitrag zur Umsetzung des im deutschen Hochschulrahmengesetz formulierten Auftrages der Hochschulen zum Technologietransfer.2 Aus regionalpolitischer Sicht sind akademische Gründungen aus der Hochschule besonders bedeutsam, denn sie schaffen neue Arbeitsplätze in der Region und verhindern die Abwanderung von hoch qualifizierten Arbeitskräften aus der Region und erhöhen damit das Potenzial von regionalen Wachstumskernen durch Bindung von Wissen in der Region. Die vorliegende Arbeit war mit dem Forschungsauftrag verbunden, konkrete Handlungsempfehlungen für die regionale Wirtschaftspolitik für die Ausgestaltung von Gründungsnetzwerken zu erarbeiten, um die Gründungen aus dem Wissenschafts- und Hochschulbereich zu fördern. Dieser Forschungsauftrag hat eine aktuelle politische Relevanz, denn viele aktuelle Gründungsförderprogramme der öffentlichen Hand definieren als Nebenziel die Erhöhung der regionalen Vernetzung der Gründer, Unternehmer, der wissenschaftlichen und anderen öffentlichen Institutionen. Die wissenschaftliche Begründung für die Ausrichtung der Förderziele ist dabei nicht immer erkennbar. Das liegt zum Teil auch daran, dass die wissenschaftliche Basis noch sehr schmal ist, die Wissenschaft insofern der praktischen Wirtschaftspolitik hinterherhinkt.3
1
2
3
Vgl. Wagner, 2004, S. 236; Hemer, 2006, S. 64; Koschatzky, 2002, S. 23; Fontes, 2005, S. 341; Egeln et al., 2002, S. 8. Vgl. § 2 (7) Hochschulrahmengesetz (HRG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Januar 1999. Vgl. Hjalmarsson/Johansson, 2003, S. 83; oder auch Lambrecht/Pirnay, 2005, S. 90; Rolfo/Calabrese, 2003, S. 253; Collinson et al., 2003, S. 205.
2
1 Einleitung
Der Forschungsauftrag ist sehr weit gefasst, adressiert eine komplexe Materie und ist mit drei Arten von besonderen Herausforderungen verbunden. Zum ersten sind die Konzepte der Förderung von Gründungen und Vernetzungen in der politischen Diskussion uneinheitlich und zum Teil nur sehr vage. Die Bandbreite der Förderziele der Gründungsförderprogramme reicht von abstrakten Zielen wie der Schaffung einer „Kultur der unternehmerischen Selbstständigkeit“ bis hin zu operationalisierten Zielen wie der „Steigerung der Anzahl innovativer Unternehmensgründungen“.4 Auch die Ziele einer Vernetzung bleiben stets nur sehr vage formuliert. Zum zweiten wird das Thema Gründungsförderung in der aktuellen Diskussion überwiegend positiv diskutiert. Die für eine ausgewogene Analyse notwendigen kritischen Argumente sind rar. Das gleiche ist für die Netzwerkforschung festzustellen, denn das alltägliche Netzwerkverständnis ist eher positiv besetzt, so dass die Gefahr besteht, dass in der politischen Diskussion die Vorteile der Vernetzung einseitig betont und die Nachteile vernachlässigt werden. Auch die Sozialkapitalforschung betont bisher verzerrt die Vorteile.5 Zum dritten ist die Forschungslandschaft selbst sehr breit aufgestellt und fragmentiert. In der Gründungs- bzw. Entrepreneurship-Forschung existieren eine Vielzahl von Definitionen über das eigentliche Phänomen, eine Vielzahl von theoretischen Bezugsrahmen sowie von methodischen Ansätzen aus verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen.6 Das gilt auch für den Forschungszweig, der sich speziell mit akademischen Gründungen auseinandersetzt.7 Das gleiche ist für die Forschung zu Netzwerken im Allgemeinen und zu Unterneh-
4
5 6 7
Vgl. Ziele des Programms „EXIST - Existenzgründungen aus Hochschulen“. http://www.exist.de/exist/index.html. Letzter Zugriff am 24.02.2006. Vgl. Johannisson, 1995, S. 215; Adler/Kwon, 2002, S. 35. Vgl. Landström, 2005, S. 21. Vgl. Mowery/Shane, 2002.
1 Einleitung
3
mensnetzwerken im Besonderen zu sagen8, da im Grunde jedes Phänomen unter der Netzwerkperspektive betrachtet werden kann.9 Um den Herausforderungen zu begegnen, muss deshalb der Untersuchungsgegenstand klar definiert und die Kausalzusammenhänge in detailreicher Tiefe erfasst und diskutiert, das heißt den Dingen wirklich auf den Grund gegangen werden. In Kapitel 2 erfolgt zunächst eine Klärung der essentiellen Begriffe und eine genaue Definition und Abgrenzung des Forschungsfeldes. Anhand des aktuellen Standes der wissenschaftlichen Diskussion werden die Forschungslücken identifiziert und daraus die Forschungsfragen abgeleitet. Das Kapitel 3 erläutert das wissenschaftliche Forschungsdesign, begründet die Wahl der empirischen Methoden und diskutiert die wissenschaftstheoretischen Hintergründe des Forschungsdesigns. Im Kapitel 4 wird das theoretische Vorwissen des Forschers dargelegt, damit die Herangehensweise an das empirische Material und die Interpretationsmuster intersubjektiv nachzuvollziehen sind. Das Kapitel 5 erläutert ausführlich die quantitative und qualitative Datenerhebung sowie den Prozess und die Ergebnisse der Datenauswertung. Im Kapitel 6 werden die Ergebnisse der empirischen Analyse abstrakter formuliert und mit Hilfe mikroökonomischer Modelle diskutiert, um zu Ergebnissen zu gelangen, die sich verallgemeinern und auf andere empirische Untersuchungsfelder übertragen lassen. Das Kapitel 7 bildet die Synthese der theoretischen Vorüberlegungen, der empirischen Ergebnisse und der Ableitungen aus den Modellanalysen. Diese Synthese resultiert in konkrete wirtschaftspolitische Gestaltungsempfehlung. Im Kapitel 8 werden der Beitrag dieser Arbeit zur wissenschaftlichen Diskussion erörtert und zukünftige Forschungsdesiderata abgeleitet.
8 9
Vgl. Varamäki/Vesalainen, 2003, S. 27. Vgl. Sydow, 1992a, S. 75.
2 Forschungsgegenstand und Forschungsfragen 2.1 Gründungen und Netzwerke Der Begriff Gründungsnetzwerk ist ein unscharfer Begriff und korrespondiert im theoretischen und praktischen Sprachgebrauch mit drei Konstrukten: A. Das Set an sozialen Beziehungen einer Gründungsperson oder eines Gründungsteams. B. Das Netzwerk zwischen Gründern als Set an Beziehungen zwischen mindestens drei Gründerpersonen. C. Das Gründungsförderungsnetzwerk als Zusammenschluss verschiedener privater und öffentlicher Akteure mit dem Ziel, die Unterstützung und Förderung der Existenzgründer zu koordinieren und zu bündeln.10 Das Verständnis des Gründungsnetzwerks nach Typ A) dominiert die bisherige Entrepreneurship-Forschung. Nach Aldrich werden dabei zwei Typen von Netzwerkkonzepten unterschieden:11
Das „personal network“ ist das persönliche Netzwerk der Gründerperson und wird meist als egozentriertes Netzwerk modelliert; das Netzwerk ist dann nur die Summe unilateraler Beziehungen.
Das „extended network“ ist das Netzwerk der miteinander verbundenen persönlichen Netzwerke und besteht aus direkten und indirekten Beziehungen zu anderen Individuen und Organisationen. „Extended networks“ werden als Kollektive analysiert.
Das Netzwerk nach der Definition B) ist ein Subnetz von A). Das Netzwerk C) stellt eine ganz andere Kategorie dar, denn Gründungsförderungsnetzwerke sind interorganisationale Netzwerke zwischen den Anbietern von Gründungsförderung. 10
11
Vgl. Koch/Kautonen, 2005, S. 128.; Koch, 2003, S. 149; eine Übersicht über alle Akteure der Gründungsförderung in Deutschland findet sich bei Ege, 2004, S. 34-35. Vgl. Landström, 2005, S. 344.
6
2 Forschungsgegenstand und Forschungsfragen
Gründernetzwerke sind dagegen Netzwerke auf der Seite der Nachfrager nach Gründungsförderung. Die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Gründungsförderung und Netzwerken adressiert also eigentlich zwei Themen: Das eine Thema ist die Förderung von Gründernetzwerken, das heißt die Unterstützung potenzieller Gründer beim Aufbau ihrer eigenen Netzwerke bzw. die Bereitstellung des Zugangs zu Netzwerken, als eine spezielle Art der Gründungsförderung. Das andere Thema ist die Förderung durch Gründungsförderungsnetzwerke, das heißt die Untersuchung der Organisationsformen der Förderung und Förderer. Beide Themen sind allerdings untrennbar miteinander verbunden, wie im Folgenden erläutert wird. 2.2 Begriffsklärung: Entrepreneurship, Gründung, Existenzgründung Der Begriff der Unternehmensgründung wird in der Gründungsforschung nicht als ein formal-juristischer oder finanzieller Akt, sondern als Prozess gesehen.12 „Die Gründung schafft als ein zeitlich ausgedehnter Prozess die konstitutiv-konzeptionellen Voraussetzungen für den Start, den Aufbau und die Entwicklung einer neuen Unternehmenseinheit.“13 Die wissenschaftlichen Konstrukte Unternehmensgründer und Unternehmensgründung korrespondieren mit den in der internationalen wissenschaftlichen Forschung verwendeten Konstrukten Entrepreneur und Entrepreneurship. Die internationale Entrepreneurship-Forschung ist allerdings durch eine Uneinheitlichkeit des Verständnisses der Konstrukte Entrepreneur bzw. Entrepreneurship mit bis zu 77 verschiedenen Definitionen charakterisiert.14 12 13 14
Szyperski/Nathusius, 1977, S. 23. Ebenda. Vgl. Landström, 2005, S. 10.
2.2 Begriffsklärung: Entrepreneurship, Gründung, Existenzgründung
7
In Bezug auf das Konstrukt Entrepreneur lag der Fokus der Forschung lange Zeit bei der Person des Entrepreneurs und speziell dessen Persönlichkeit, letztere definiert als die Gesamtheit der Persönlichkeitseigenschaften, das heißt der Merkmale, die „[...] das individuelle Verhalten auf eine konstante und zeitlich stabile Art und Weise bedingen [...]“15. Die Ergebnisse der empirischen Untersuchungen, die den Entrepreneur nur durch Faktoren der Persönlichkeit, Charaktereigenschaften und Sozialisation erklären, sind aber ambivalent.16 So empfahlen Bygrave/Hofer schon 1991: „It may be useful to shift our focus from ‘the characteristics and functions of the entrepreneur’ and the myriad definitions of what constitutes an entrepreneur, and to focus, instead, on the nature and characteristics of the ‘entrepreneurial process’“.17 Gartner sagte es noch deutlicher: ” `Who Is an Entrepreneur?` Is the Wrong Question.“ 18 Die Beschränkung auf die Analyse der Person des Entrepreneurs wird der Komplexität des Forschungsfeldes nicht gerecht, weil es keine fixe, konstante Unternehmereigenschaft gibt. Entrepreneur ist kein Status, sondern eine Rolle, die Individuen einnehmen, wenn sie ein Unternehmen aufbauen.19 In Bezug auf das Konstrukt Entrepreneurship herrscht in der internationalen Forschung ebenfalls eine Vielfalt von Definitionen. Dabei gibt es Begriffsdefinitionen von Entrepreneurship, die mit dem Begriff Unternehmensgründung deckungsgleich sind, genauso wie Konzepte, die weiter oder enger gefasst sind.
15 16 17 18 19
Jost, 2000, S. 40. Vgl. Ucbasaran et al., 2001, S. 58; Fallgatter, 2004, S. 35-36. Bygrave/Hofer, 1991, S. 14. Gartner, 1989, S. 47. Vgl. Gartner, 1989, S. 64.
8
2 Forschungsgegenstand und Forschungsfragen
„No one definition of entrepreneurship need emerge. A definition of entrepreneurship that is so simple that it fails to reflect the thing we are concerned about does not have to be created.“20 Zu diesem Schluss kommt Gartner nach einer umfangreichen empirischen Delphi-Studie, in der Akademiker, Unternehmer und Politiker in drei aufeinanderfolgenden Stufen nach ihren Definitionen und Assoziationen bezüglich des Begriffs Entrepreneurship befragt wurden. Die Ansichten über das Wesen des Entrepreneurship variierten so weit, dass eine einheitliche Definition nicht sinnvoll erschien. Daraus folgt aber auch, dass wissenschaftliche Autoren stets eindeutig klarstellen müssen, in welcher Weise sie den Entrepreneurship-Begriff verwenden.21 Im Rahmen dieser Arbeit seien folgende, von Gartner abgeleitete Charakteristika des Konstruktes Entrepreneurship forschungsleitend: Erstens gilt für Entrepreneurship das Merkmal des „ownership-management“22, oder mit den Worten von Saßmannshausen, „wenn die Aspekte wesentliches Eigentum am und leitende, selbstständige Tätigkeit im Unternehmen zusammenfallen.“23 Dieses Kriterium ist notwendig zur Definition von Entrepreneurship, denn nur mit den Rechten des Teilhabers und Geschäftsführers ausgestattet können die für die Erfolgsentwicklung des Unternehmens bedeutsamen Entscheidungen über die Koordination der knappen Ressourcen getroffen werden.24 Zweitens sollen die Dimensionen Wertschaffung und Gewinnorientierung für das Konstrukt Entrepreneurship charakterisierend sein.25 Drittens sei die Dimension der Innovation konstituierend.26
20 21 22 23 24 25 26
Gartner, 1990, S. 28. Vgl. ebenda. Vgl. ebenda, S. 25-27. Saßmannshausen, 2001, S. 127. Vgl. Westhead/Wright, 1998, S. 175. Vgl. Gartner, 1990, S. 25-27. Vgl. ebenda, S. 25-27.
2.2 Begriffsklärung: Entrepreneurship, Gründung, Existenzgründung
9
Calrand et al., stellvertretend für viele andere Autoren, gehen davon aus, dass die Funktion des Entrepreneurs die Neukombination von Produktionsmitteln ist,27 und definieren: „The critical factor proposed here to distinguish entrepreneurs from nonentrepreneurial managers and, in particular, small business owners, is innovation. The entrepreneur is characterized by a preference for creating activity, manifested by some innovative combination of resources for profit.“28 Viertens seien die Erkennung und Verfolgung unternehmerischer Chancen konstituierende Merkmale für den Begriff Entrepreneurship.29 Die Differenzierung zwischen den Begriffen Unternehmensgründung und Existenzgründung wurde im deutschsprachigen Raum 1977 von Szyperski/Nathusius eingeführt.30 Kennzeichnung einer Existenzgründung ist die berufliche Veränderung der Gründerperson von einer bisherigen abhängigen Beschäftigung in die Selbstständigkeit. Die Existenzgründung ist eine selbstständig-originäre Gründung, das heißt die Neugründung eines Unternehmens, oder eine selbstständigderivative Gründung, das heißt die Begründung einer Selbstständigkeit durch eine Unternehmensübernahme.31 Eine Freiberuflichkeit ist in dieser Terminologie nicht explizit erfasst. Saßmannshausen definiert abstrakter: „Existenzgründung lässt sich auffassen als die Schaffung eines Potenzials, auf dem sich aller Voraussicht nach mindestens eine materielle (Vollerwerbs-) Existenz begründen lässt.“32
27 28 29 30 31 32
Vgl. Carland et al., 1984, S. 354. Carland et al., 1984, S. 358. Vgl. Gartner, 1990, S. 25-27; oder auch Bygrave/Hofer, 1991, S. 14. Vgl. Fallgatter, 2004, S. 25. Vgl. Szyperski/Nathusius, 1977, S. 28-29. Saßmannshausen, 2001, S. 127.
10
2 Forschungsgegenstand und Forschungsfragen
Diese Definition schließt auch die Gründung einer freiberuflichen Selbstständigkeit ein. Für die Ableitung und Formulierung wirtschaftspolitischer Gestaltungsempfehlungen müssen die theoretischen Konstrukte gut operationalisierbar sein. Es wäre daher ideal, wenn die Träger der Wirtschaftspolitik bereits über operationalisierte Begriffsdefinitionen verfügten, auf deren Basis die Diskussion aufbauen kann. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), als einer der (ehemals) bedeutendsten Initiatoren von Fördermaßnahmen für Gründungen im Wissenschafts- und Hochschulbereich, definiert den Begriff Existenzgründung wie folgt: „Eine Existenzgründung bezeichnet ein rechtlich unabhängiges Arbeitsverhältnis, das zur Sicherung einer selbstständigen unternehmerischen und auch freiberuflichen Existenz dient.“33 Die Bestandteile der Definition des BMBF beziehen sich wiederum auf andere abstrakte Konstrukte, namentlich Arbeitsverhältnis, Selbstständigkeit, Unternehmer und Freiberuflichkeit. Diese Begriffe sind vom Gesetzgeber in Form von Gesetzesnormen operationalisiert worden. Es gibt allerdings keine über alle Gesetzesnormen einheitliche Begriffsdefinition. Laut Sozialgesetz schließen sich die Begriffe Arbeitsverhältnis und Selbstständigkeit gegenseitig aus, was im Widerspruch zu der Definition des BMBF steht: „Beschäftigung ist die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.“34 Das Einkommensteuergesetz unterscheidet streng zwischen Einkünften aus selbstständiger Tätigkeit und unternehmerischer Tätigkeit, wobei erstere mit freiberuflicher Arbeit und letztere mit gewerblicher Tätigkeit (nahezu) gleichgesetzt werden.35 33 34 35
Görisch et al., 2002, S. 13. Sozialgesetzbuch (SGB) Viertes Buch (IV), § 7 Beschäftigung (1). EStG § 18 Selbstständige Arbeit Satz (1) und § 15 Einkünfte aus Gewerbebetrieb Satz (2).
2.2 Begriffsklärung: Entrepreneurship, Gründung, Existenzgründung
11
Die Definition des Unternehmers im Umsatzsteuergesetz umfasst dagegen gewerbliche und selbstständige Tätigkeit,36 ebenso wie die Definition des Unternehmers im bürgerlichen Gesetzbuch. Darüber hinaus sieht das BGB neben natürlichen Personen auch juristische Personen als Unternehmer an.37 Die unterschiedlichen Definitionen entstehen dadurch, dass alle Einzelnormen die Begriffe abhängig von dem spezifischen Ziel, dass die jeweiligen Gesetze adressieren, definieren. Sie können also für die wissenschaftliche Diskussion nur bedingt verwendet werden. Das Europäische System der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (ESVG) definiert Selbstständige wiederum anders: „Selbständige werden definiert als Personen, die alleinige oder gemeinsame Eigentümer eines Unternehmens ohne eigene Rechtspersönlichkeit sind, in dem sie arbeiten, ausgenommen diejenigen Unternehmen ohne eigene Rechtspersönlichkeit, die als Quasi-Kapitalgesellschaften eingestuft werden.“ 38 Die Begriffe Existenzgründung und Unternehmensgründung existieren in der amtlichen Statistik überhaupt nicht.39 Für die quantitative Erfassung der Existenzgründungen in Deutschland wurde eine Sonderauswertung der amtlichen Statistik (Mikrozensus) durchgeführt. In Rahmen dieser Untersuchung wurden unter Existenzgründungen originäre und derivative Unternehmensgründungen von natürlichen Personen verstanden, wobei auch freiberufliche Tätigkeit auf eigene Rechnung als Unternehmensaktivität angesehen wird.40
36 37 38
39 40
UStG 1980 § 2 Unternehmer, Unternehmen. Vgl. BGB § 14 Unternehmer. ESVG 1995, 11.15, S. 141. Zu den Selbstständigen gehören unter anderen auch die mithelfenden Familien-angehörigen (ebenda, 11.16, S. 142). Vgl. Duschek/Piorkowsky, 2003, S. 8. Vgl. ebenda, S. 9.
12
2 Forschungsgegenstand und Forschungsfragen
„In the absence of a universally accepted scientific definition of an entrepreneur, it is the responsibility of every researcher to state clearly what is meant when the term is used.“41 Die Begriffsdefinition im Rahmen dieser Arbeit folgt weitestgehend der Auffassung des Mikrozensus, die auf der Definition von Szyperski/Nathusius aufbaut: Die Existenzgründung bezeichnet den Entrepreneurial Prozess des Aufbaus und der Entwicklung einer selbstständigen Tätigkeit als Freiberufler oder als Unternehmer, das heißt durch die Investition in ein Unternehmen bei gleichzeitiger Übernahme der Managementverantwortung für dieses Unternehmen. Der Begriff Existenzgründer bezeichnet geschlechtsneutral die Rolle der Durchführung der Existenzgründung und bezieht sich nicht auf das Geschlecht der Person, die diese Rolle einnimmt. Zur Vereinfachung wird deshalb im Folgenden auf eine sprachliche Begriffsdifferenzierung in Existenzgründer und Existenzgründerin verzichtet. Die männliche Form des Begriffs umfasst die weibliche Form immer mit. Das gilt auch für alle anderen Berufsbezeichnungen, die im Rahmen dieser Arbeit verwendet werden. Der Begriff Existenzgründung wird im Folgenden zur Vereinfachung synonym mit dem Begriff Gründung verwendet. Genauso werden die Begriffe Existenzgründer, Gründer und Entrepreneur synonym verwendet, wobei die obige Definition forschungsleitend ist. Diese phänomenologische Begriffsklärung dient zur Abgrenzung des Forschungsgegenstandes, eine exakte theoretische Definition wird an späterer Stelle innerhalb eines theoretischen Bezugsrahmens anhand der Variablen der Basistheorie erfolgen.
41
Bygrave/Hofer, 1991, S. 13.
2.3 Arten von Gründungen
13
2.3 Arten von Gründungen Die Menge der Gründer ist keine homogene, sondern eine sehr heterogene Population. In Bezug auf den Status der Gründungsvorbereitungen hat sich die Unterscheidung in Entrepreneur und Nascent Entrepreneur durchgesetzt. Nascent Entrepreneurs sind Individuen, die eine Existenzgründung in Erwägung ziehen und sich in der Vorbereitungsphase befinden.42 In Bezug auf die Erfahrungen, die Gründer (engl. founders) bereits mit Gründungen gemacht haben, unterscheidet man in Novice Founders, die zum ersten Mal eine Gründung anstreben, und Habitual Founders. Hinter den Nascent Entrepreneurs können sich also sowohl Novice als auch Habitual Entrepreneurs verbergen, je nachdem, ob das zu gründende Unternehmen das erste eigene Unternehmen ist oder schon Unternehmensgründungen in der Vergangenheit erfolgten. In der deutschsprachigen Forschung zum Thema Selbstständigkeit als Karriereoption für Studierende haben sich folgende Begriffe etabliert: Gründungsinteressierte sind Personen, die eine Selbstständigkeit direkt nach dem Studium oder bis zu 5 Jahre nach Abschluss grundsätzlich als Karriereoption in Erwägung ziehen. Potenzielle Gründer sind Gründungsinteressierte, die sich regelmäßig bzw. intensiv mit dem Thema Gründung befassen oder bereits neben dem Studium selbstständig sind.43 Die Menge der potenziellen Gründer entspricht damit der Menge der Nascent Entrepreneurs. Eine spezielle Kategorie von Gründungen stellen die Gründungen aus dem Wissenschafts- und Hochschulbereich dar. Es handelt sich hierbei um Grün42 43
Vgl. Ucbasaran et al., 2001, S. 59-60. Vgl. Görisch, 2002a, S. 77.
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2 Forschungsgegenstand und Forschungsfragen
dungen, die von Akademikern, das heißt von Studierenden, Absolventen, Professoren oder wissenschaftlichen Mitarbeitern von Hochschulen bzw. wissenschaftlichen Einrichtungen durchgeführt werden. Auch diese Kategorie von Gründungen umfasst eine heterogene Gruppe.44 Eine spezielle Form der Ausgründung ist das „Akademische Spinoff“, definiert als eine: 1. Unternehmensgründung 2. in forschungs- und wissensintensiven Branchen, 3. an der mindestens ein/e Akademiker/-in an der Gründung beteiligt ist 4. und wobei für die Gründung „[...] neue, konkrete Erkenntnisse, Methoden oder besondere Fähigkeiten, die die Gründer im Wissenschaftsbereich erworben haben, unverzichtbar [...]“ sind.45 Zu den forschungs- und wissensintensiven Branchen zählen: • Hightech-Industrien, die durch besonders intensive Forschungs- und Entwicklungstätigkeit gekennzeichnet sind, wie bspw. die Chemie-, Pharmaoder IT-Branche, • technologieorientierte Dienstleistungen wie zum Beispiel Software/EDVBeratung oder physikalisch-chemische Labors, • wissensintensive Dienstleistungen, wie zum Beispiel Unternehmensberatung, Steuerberatung, Gesundheitsdienste.46 Das entscheidende Merkmal für ein Spinoff ist der Wissens- und Technologietransfer (WTTF). Bei einem Verwertungs-Spinoff werden konkrete Forschungsergebnisse in das Produkt- oder Dienstleistungsangebot eingebracht. Eine Gründung, für die das an der Universität erworbene Wissen sowie Sozial- und Methodenkompetenzen essenziell sind, wird Kompetenz-Spinoff genannt.47 44 45 46 47
Vgl. Egeln et al., 2002, S. 8. Ebenda, S. 9. Vgl. ebenda, 2002, S. 5. Vgl. ebenda, 2002, S. 9.
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2.3 Arten von Gründungen
Der Begriff des Verwertungs-Spinoff korrespondiert mit den Begriffen der internationalen Entrepreneurship-Forschung University-Spinoff bzw. UniversitySpin-out.48 (Einige Autoren definieren University-Spinoff sogar noch enger und schließen nur Gründungen ein, die auf dem Transfer von technologischen Innovationen basieren.49) Die folgende Abbildung gibt eine Übersicht über die Arten von akademischen Gründungen. Gründungen in allen Branchen Gründungen in forschungs- und wissensintensiven Branchen
Gründungen in sonstigen Branchen
nichtakademische akademische Start-ups Gründungen WTTF ist Nebenerscheinung
akademische Gründungen akademische Spinoffs WTTF ist essenziell VerwertungsSpinoffs
KompetenzSpinoffs
Verwertung von Nutzung von Forschungs- Kompetenzen ergebnissen Abbildung 1: Arten von akademischen Gründungen50
Verwertungs-Spinoffs aus Hochschulen sind quantitativ ein sehr seltenes Phänomen. Im Land Brandenburg gab es in den Jahren 2003 bis 2006 insgesamt nur vier solcher Spinoffs aus den Hochschulen. Davon produzierte die Universität Potsdam zwei Spinoffs in den Jahren 2005 und 2006, die beiden anderen
48 49 50
Vgl. Lockett/Wright, 2005, S. 1044. Vgl. Vohora et al., 2004, S. 149. Vgl. Egeln et al., 2002, S. 10, eigene Modifikationen.
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2 Forschungsgegenstand und Forschungsfragen
kleinen Universitäten des Landes Brandenburg brachten jeweils 1 Spinoff hervor.51 In den USA gibt es bereits seit 1980 eine gesetzliche Regelung zur Meldepflicht und Verwertungsverantwortung von wissenschaftlichen Erfindungen der Hochschulen, die mit den Regelungen des Arbeitnehmererfindergesetzes von 2003 vergleichbar ist, und zwar durch den Bayh-Dole-Act. In der Zeit von 1980 bis 2000 gab es in den USA 3.376 University-Spinoffs.52 Eine Studie der Jahre 1993 bis 1998 ergab, dass die US-amerikanischen Research Universities durchschnittlich zwei Verwertungs-Spinoffs pro Jahr produzierten.53 Damit wird deutlich, dass die Zahlen der Verwertungs-Spinoffs der Universitäten des Landes Brandenburg in der gleichen einstelligen Dimension wie die der US-amerikanischen Universitäten liegen. Die Zahl aller akademischen Spinoffs ist insgesamt um ein Vielfaches höher. Eine repräsentative Befragung der Absolventen der Universität Potsdam ergab, dass es jährlich ca. 200 Existenzgründungen von ehemaligen Studierenden und wissenschaftlichen Mitarbeitern gibt.54 Auch in internationalen Studien stellen die Zahlen der UniversitySpinoffs nur einen Bruchteil aller akademischen Spinoffs dar.55 Forschungsgegenstand dieser Arbeit ist die Menge aller akademischen Gründungen, mit besonderem Fokus auf der Menge der akademischen Spinoffs.
51
52 53 54 55
Das ergab die Aussage des Geschäftsführers von Brainshell. Im Land Brandenburg ist die kommerzielle Verwertung wissenschaftlicher Ergebnisse aus Hochschulen seit der Novelle des Arbeitnehmererfindergesetzes von 2003, nach der alle Erfindungen an Hochschulen dem Dienstherrn, in diesem Falle dem Land Brandenburg, gemeldet werden müssen, bei der Verwertungsagentur Brainshell gebündelt. Vgl. auch Wagner, 2004, S. 237. Vgl. Shane, 2005, S. 1. Vgl. ebenda, S. 17. Siehe Kapitel 5.1. Vgl. Shane, 2005, S. 17.
2.4 Gründungsförderung
17
2.4 Gründungsförderung Die Gründungsförderung ist ein Set an politischen Maßnahmen mit dem Ziel der Verbesserung der Gründungskultur, letztere definiert als „[...] die Gesamtheit aller ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Faktoren, welche die Häufigkeit und Qualität von Gründungen beeinflussen.“56 Im Hinblick auf dieses Ziel definiert Koch zwei Förderansätze: Die indirekte mittelbare Gründungsförderung zielt auf den Abbau von Gründungshemmnissen, das sind im Einzelnen der Abbau von Wettbewerbsverzerrungen zugunsten etablierter Anbieter, der Abbau von staatlichen institutionellen Hemmnissen und Verfahrensineffizienzen und der Abbau von Vorurteilen, Widerständen, Ignoranz und Unwissenheit in der Bevölkerung. Die direkte unmittelbare Gründungsförderung zielt dagegen auf die Schaffung von Gründungsmotiven. Hierzu gehören monetäre Anreize wie Steuervergünstigungen, Subventionen, Darlehen, Bürgschaften, eine Verbesserung der Infrastruktur sowie Beratung, Qualifizierung und Informationsbereitstellung.57 Ein weiteres Kriterium für die Klassifizierung von wirtschaftspolitischen Maßnahmen ist die Unterscheidung in Maßnahmen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen einerseits und diskretionäre Eingriffe andererseits. Gegenstand dieser Arbeit sind direkte unmittelbare diskretionäre Gründungsfördermaßnahmen. Wie lässt sich nun die Gründungsförderpolitik begründen? Aus deduktivtheoretischer Sicht gibt es Argumente, die für die volkswirtschaftliche wohlfahrtssteigernde Wirkung von Unternehmensneugründungen in bestimmten Situationen sprechen. Es kommt faktorseitig zu Wohlfahrtswirkungen, wenn die neuen Unternehmen das investierte Kapital produktiver einsetzen als etablierte Firmen und wenn sie Arbeitsplätze schaffen. Dies gilt in besonderem Maße für
56 57
Koch, 2000, S. 9. Vgl. ebenda, S. 13.
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2 Forschungsgegenstand und Forschungsfragen
Gründungen in innovationsgetriebenen Wachstumsmärkten. Gründungen in saturierten oder schrumpfenden Branchenmärkten können dagegen auch zu einem Verdrängungswettbewerb führen. Angebotsseitig ist eine erhöhte wohlfahrtssteigernde Bedürfnisbefriedigung zu verzeichnen, wenn die Neugründungen die Produktvielfalt und/oder Qualität des Produktangebotes erhöhen. Zudem erhöhen Neugründungen aus evolutionstheoretischer Sicht die Wettbewerbseffizienz in sich entwickelnden Märkten.58 Aktuellere empirische Studien finden folgerichtig einen positiven Zusammenhang zwischen Gründungsraten und Wachstum, besonders auf regionaler Ebene.59 Wenn man sich einzelne wirtschaftspolitische Unterziele anschaut, so ergibt sich ein differenzierteres Bild: Empirische Studien zeigen eine Zielkonkurrenz zwischen dem Ziel der Erhöhung der Anzahl der Existenzgründungen und dem Ziel der Erhöhung der Anzahl von Arbeitsplätzen. In England verwendete die Wirtschaftspolitik in den 80er-Jahren ein großes Budget zur Förderung von Existenzgründungen, deren Anzahl tatsächlich stieg; deren gesamtwirtschaftlicher Effekt bezüglich der Anzahl der Arbeitsplätze aber mittelfristig insgesamt Null und in den strukturschwachen Gebieten Nordost-Englands sogar negativ war, das heißt, das Gründungsförderprogramm hat in den strukturschwachen Regionen Arbeitsplätze vernichtet. In Schottland wurde diese Politik in den 90er-Jahren wiederholt, mit dem gleichen Effekt: Einer steigenden Zahl an Existenzgründungen stand ein netto Abbau von Arbeitsplätzen gegenüber.60 In Großbritannien sind es nur einige wenige, schnell wachsende Gründungsunternehmen, die für die Arbeitsplatzschaffung des gesamten Sektors der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) verantwortlich sind; ein Drittel aller neu geschaffenen Arbeitsplätze im KMU-Sektor werden durch 4% der Neugründungen geschaffen. Es sind dabei die High-Tech-Gründungen, die von allen 58 59 60
Vgl. Koch, 2001, S. 31-32. Vgl. Audretsch, 2003. Vgl. Van Stel/Storey, 2004, S. 903.
2.4 Gründungsförderung
19
Gründungen am stärksten wachsen und am meisten zur Arbeitsplatzschaffung beitragen.61 In Deutschland kommen Audretsch/Fritsch nach einer Langzeitstudie über einen Zeitraum von 16 Jahren zu dem Ergebnis, dass die Gründungsrate vor allem langfristig positive Wirkungen auf das Arbeitsplatzwachstum hat. Sie differenzierten das Gebiet Westdeutschlands in 74 Regionen und ermittelten u.a., dass Regionen, die in den 80er-Jahren hohe Gründungsraten aufzeigten, in den 90erJahren die höchsten Arbeitsplatzwachstumsraten aufwiesen.62 Dabei waren es auch in Deutschland in den 90er-Jahren nur die kleinen und mittleren wissensbasierten und High-Tech-Unternehmen63, die insgesamt Arbeitsplätze schafften, während alle anderen Unternehmen netto Arbeitsplätze abbauten.64 Die Förderung der Gründungskultur und die Erhöhung der Anzahl an Arbeitsplätzen können also konfliktäre Ziele sein. Zwar gibt es auch eine Reihe von Studien, die den Zusammenhang zwischen Gründungsaktivität und Arbeitsplatzwachstum insgesamt optimistischer sehen65, aber Maßnahmen zur Verbesserung der Gründungskultur im Allgemeinen binden finanzielle Mittel, die der diskretionären Förderung von schnell wachsenden Gründungen nicht zur Verfügung stehen, obgleich letztere für die Arbeitsplatzschaffung wesentlich effektiver sind. Darum empfiehlt Storey, die Wirtschaftsförderpolitik nicht an der Anzahl von Neugründungen sondern an der Qualität der Gründungen zu orientieren und deshalb die Förderprogramme auf einige wenige Unternehmen zu konzentrieren.66 Damit ist wiederum die Schwierigkeit der Selektion der Förderempfänger 61 62 63 64 65 66
Vgl. Storey, 1994, S. 301. Vgl. Audretsch/Fritsch, 2002. Im Original: “small and medium sized science-based firms”. Vgl. Audretsch, 2003, S. 14-15. Für einen Überblick Vgl. Audretsch/Fritsch, 2002, S. 114. Vgl. Landström, 1998, S. 181-182.
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2 Forschungsgegenstand und Forschungsfragen
verbunden, denn es gibt keine sicheren Indikatoren und keine Garantielösung zur Schaffung von Wachstum und Arbeitsplätzen. Deshalb müssen Förderprogramme einem konstanten Monitoring unterliegen und regelmäßig adjustiert werden.67 Doch selbst wenn man von positiven gesamtwirtschaftlichen Wirkungen erhöhter Gründungsaktivität ausgeht, ein positiver Zusammenhang legitimiert noch keinen wirtschaftspolitischen Eingriff in die marktwirtschaftlichen Mechanismen. „Just because entrepreneurship is positively linked to performance does not automatically justify public policy intervention.“68 Würden die Maßnahmen der mittelbaren Gründungsförderung nur die Rahmenbedingungen für Neugründungen verbessern, so muss diese einseitige Bevorzugung zu Lasten etablierter Unternehmen begründet werden. Noch problematischer sieht es bei der unmittelbaren Förderung aus, die mit konkreten Ausgaben der öffentlichen Hand verbunden ist. Hier müssen ohnehin alle Maßnahmen begründet werden, auch wenn die Maßnahmen grundsätzlich allen Unternehmen zu Gute kommen. Die Notwendigkeit einer Begründung besteht erst recht, wenn einseitig nur die Neugründungen in den Genuss der staatlichen Leistungen und Subventionen kommen. Notwendige Bedingung für wirtschaftspolitische Eingriffe ist die Existenz von privatwirtschaftlichem Versagen in der Art, dass soziale Nutzen und Kosten von den privaten Nutzen und Kosten abweichen, also externe Effekte entstehen. Die hinreichende Bedingung ist darüber hinaus, dass mit dem Eingriff der Wirtschaftspolitik nach Abzug der Kosten des Eingriffs insgesamt ein positiver Nettowohlfahrtseffekt erreicht wird, denn um die Gründungsförderpolitik aus den öffentlichen Haushalten zu bezahlen, müssen andere Wirtschaftssubjekte benachteiligt werden. 67 68
Vgl. ebenda, S. 198. Audretsch, 2003, S. 47.
2.4 Gründungsförderung
21
Das gilt umso mehr, als dass direkte Gründungsfördermaßnahmen auch die Gefahr negativer Effekte beinhalten, vor allem die Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen, der adversen Selektion von ungeeigneten Gründungsprojekten sowie der Zweckentfremdung von Subventionen.69 Es ist zu zeigen, dass die Volkswirtschaft von Gründungsfördermaßnahmen insgesamt profitiert, und zwar sowohl makroökonomisch als auch bei individueller Betrachtung und Abwägung der Vorteile der Begünstigten gegenüber den Nachteilen der Belasteten. Aus der theoretischen und empirischen Forschung gibt es mehrere Ansätze zu einer Begründung von Gründungsfördermaßnahmen: Der erste Ansatz sieht Indizien für ein Vorliegen von Marktversagen durch die Existenz von externen Effekten in Form von Wissens-Spillover. Gründungsaktivitäten produzieren Wissen, das nicht vollständig internalisierbar ist und teilweise als öffentliches Gut zur Verfügung steht. Auch abgebrochene Gründungsaktivitäten und gescheiterte Unternehmen produzieren Wissen und Erfahrungen für die Gesellschaft, insbesondere für die Region, denn Wissens-Spillover braucht räumliche Nähe. Auch aus Scheitern kann man lernen. Die Erfahrungen aus abgebrochenen Gründungsvorhaben und gescheiterten Unternehmen wirken sich positiv auf die Leistungserstellung anderer Unternehmen aus.70 Nun können aber private Investoren den sozialen Nutzen aus den von ihnen produzierten Wissens-Spillover nicht appropriieren.71 Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht kommt es deshalb zur Unterinvestition. Dieser Effekt wirkt umso stärker, je höher die mit der Gründung verbundene Unsicherheit ist. Das ist vor allem für wissensbasierte und technologieorientierte Gründungen der Fall: Je neuer und innovativer die Produkte und Leistungen sind,
69 70 71
Vgl. Koch, 2001, S. 34. Vgl. Acs/Storey, 2004, S. 873. Vgl. Knott/Posen, 2005, S. 621 ; Audretsch, 2003, S. 47-48.
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2 Forschungsgegenstand und Forschungsfragen
desto schwieriger fällt die Prognose des Potenzials und der Entwicklung der avisierten Märkte, handelt es sich doch um Zukunftsmärkte.72 Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht kann es aber sinnvoll sein, innovative Technologien und Businessmodelle entwickeln zu lassen, auch wenn die mit der Gründung verbundene Unsicherheit für den privaten Akteur prohibitiv hoch ist. University-Spinoffs sind ein besonders effektives Instrument zur Kommerzialisierung unsicherer Technologien, denn sie verwerten vor allem Erfindungen aus Early-stage-Technologien, die von etablierten Firmen nicht lizenziert werden, weil sie aus Sicht des Entwicklungsprozesses noch zu weit von der Marktreife entfernt sind, so die empirischen Studien.73 Der zweite Ansatz zur Begründung von Gründungsfördermaßnahmen argumentiert aus der Perspektive regionaler Wirtschaftspolitik. Für die Regionalpolitik ergeben sich aus Migrationssicht Argumente für die Förderung von Gründungen durch Akademiker direkt nach Abschluss ihrer Ausbildung. Haben die Absolventen die Region zur Aufnahme einer abhängigen Beschäftigung erst einmal verlassen, besteht für sie nur eine geringe Neigung, wegen der Gründung wieder zurück in die Hochschulregion zu ziehen. „Gründungen erfolgen typischerweise in der gleichen Region, in der die Initiatoren ihren Wohnsitz haben. Je höher die Verbleibensrate von Hochschulabsolventen bei Arbeitgebern in der Region ist, desto größer sind auch die Wirkungen der regionalen Hochschulen auf das dortige Gründungsgeschehen.“74 Auch in der Studierendenbefragung „Studierende und Selbstständigkeit“75 aus dem Jahre 2002 wurde festgestellt, dass von allen befragten Studierenden nach dem Studium etwa 24,1% am Studienort bzw. in der Region tätig werden
72 73 74 75
Vgl. Eckhardt/Shane, 2003, S. 339; Storey, 1994, S. 288. Für einen Überblick Vgl. Shane, 2005, S. 25-26. Kulicke/Görisch, 2003, S. 174. Vgl. Görisch, 2002b, S. 21.
2.4 Gründungsförderung
23
möchten, in der Gruppe der potenziellen Gründer über 25 Jahre dagegen sogar 40% angeben, am Studienort resp. in der Region zu verbleiben. Erfolgt die Gründung aber erst nach einer Phase der Berufspraxis in einer unselbstständigen Tätigkeit, so findet sie in den meisten Fällen am jeweiligen Wohnort statt: 70% der Gründer gründen im Umkreis von 25 km um ihren Wohnort herum.76 Dies gilt auch für innovative Unternehmensgründungen: Der Wohnort des Gründers wurde auch hier als ein Faktor mit starkem Einfluss empirisch nachgewiesen.77 Eine Gründungsförderung, die auch regionalpolitische Ziele verfolgt, das heißt die Verhinderung der dauerhaften Abwanderung hoch qualifizierter Arbeitskräfte aus der Region (engl. brain drain), muss dieser Herausforderung begegnen, indem sie sich: • an einem Lebenszeit-Karrierewahl-Modell orientiert; • potenzielle und werdende Gründer nicht nur an die Region bindet, sondern auch aktiv wieder zurückholt.78 Für University-Spinoffs gilt laut empirischen Studien in besonderem Maße, dass sie sich vornehmlich in der räumlichen Nähe der Hochschule bzw. wissenschaftlichen Einrichtung ansiedeln.79 Das dritte Argument zur Legitimation von Gründungsförderung beruft sich auf einen positiven Ansteckungseffekt (engl. contagion effect), den die ersten Ausgründungen auf andere Gründungsprojekte der gleichen Mutterorganisation ausstrahlen: Die erste Generation von Gründern übernimmt eine Vorbildfunktion und motiviert durch ihr Vorbild potenzielle Gründer, in ihren Gründungsvorbereitungen fortzufahren. Darüber hinaus können sie die spezifischen 76 77 78 79
Vgl. ebenda, S. 20. Vgl. ebenda. Vgl. Wagner, 2006. Für einen Überblick Vgl. Shane, 2005, S. 25-26 und auch Pérez/Sánchez, 2003, S. 825.
24
2 Forschungsgegenstand und Forschungsfragen
Erfahrungen, die mit der Ausgründung aus der Mutterorganisation gemacht wurden, nachfolgenden Generationen von Gründern zur Verfügung stellen.80 Der vierte Förderansatz beruft sich auf ein Marktversagen bei der Versorgung der Gründungen mit Finanzkapital und finanziellen Bürgschaften, und zwar durch adverse Selektion aufgrund von asymmetrischer Informationsverteilung zwischen Gründern und Investoren.81 Das fünfte Argument ist ein eher schwaches Argument der Second-Best-Logik und besagt, dass die Subventionierung von Arbeitsplätzen durch die Existenzgründungsförderung in der Effizienz gegenüber den meisten anderen Maßnahmen der Subventionierung überlegen ist.82 2.5 Förderung von Gründernetzwerken im Wissenschafts- und Hochschulbereich Der Entrepreneurial Prozess wird durch Netzwerkbeziehungen der Gründer unterstützt. Über das Netzwerk erhalten sie: • Feedback und Anregungen zum Geschäftskonzept, • emotionale Unterstützung, • Zugang zu gründungsnotwendigen Informationen, • Zugang zu gründungsnotwendigem Wissen, • Zugang zu gründungsnotwendigen Ressourcen, • Zugang zu Absatzkanälen.83
80
81
82
83
Vgl. Greve, 1995, S. 3; Für einen Überblick zu empirischen Studien Vgl. Shane, 2005, S. 61-62 und S. 83-84. Vgl. Storey, 1994, S. 301-302; und auch Murray, 1998, S. 406; Koch, 2003, S. 150-151; Wagner/Knuth, 2007. So kostete bspw. jeder durch eine akademische Gründung geschaffene Arbeitsplatz im Gründungsförderungsnetz GET UP in Thüringen durchschnittlich ca. 16.500 Euro an Subventionen, was im Vergleich zu anderen Arbeitsplatzsubventionen recht wenig ist: Vgl. Lautenschläger/Haase, 2006, S. 13-15. Vgl. Greve, 1995; Greve/Salaff, 2003.
2.5 Förderung von Gründernetzwerken im Wissenschafts- und Hochschulbereich
25
Die persönlichen sozialen Netzwerke der Gründer entwickeln sich im Verlauf des Entrepreneurial Prozesses zu professionellen, geschäftlich-orientierten Netzwerken, welche die Gründer in das Gründungsunternehmen einbringen und aus denen später die strategischen Netzwerke auf Unternehmensebene entstehen.84 Eine Reihe von empirischen Studien unterstreicht den Einfluss von Netzwerken auf den Entrepreneurial Prozess.85 Zum Beispiel findet Allen Evidenz, dass die Entscheidung zur Selbstständigkeit vom sozialen persönlichen Netzwerk beeinflusst wird, und zwar wirken neben der Größe des Familiennetzwerkes vor allem die Anzahl der Bekanntschaften mit anderen, auch gescheiterten, Gründern positiv auf die Gründungsneigung.86 Shane/Cable zeigen, dass über soziale Netzwerke Informationen transferiert werden, welche die Informationsasymmetrie zwischen Gründern und Investoren überwinden kann.87 Becker/Dietz ermitteln einen positiven Effekt der Netzwerkmitgliedschaft auf die Innovationstätigkeit neugegründeter Unternehmen.88 Auf einer mehr generellen Ebene zeigen Ritter/Gemünden, dass der Unternehmenserfolg, insbesondere der von High-Tech-Unternehmen, entscheidend von deren Netzwerken abhängt.89 In Bezug auf akademische Spinoffs zeigen mehrere empirische Studien, dass die Unterstützung potenzieller Gründer beim Aufbau ihrer Netzwerke bzw. die Bereitstellung des Zugangs zu Netzwerken effektive und erfolgreiche Förderleistungen für akademische Spinoffs darstellen. Lockett et al. zeigen bspw. für Großbritannien, dass diejenigen Universitäten, die über die größten sozialen Netzwerke – vor allem zu potenziellen Investoren – verfügen, auch am erfolgreichsten bei der Produktion von Spinoffs sind.90 Am Massachusetts Institute of Technology, der Universität mit den weltweit größten Ausgründungsaktivitäten,
84 85 86 87 88 89 90
Vgl. Collinson et al., 2003, S. 192. Für einen Überblick Vgl. Hoang/Antoncic, 2003, und Witt, 2004. Vgl. Allen, 2000. Vgl. Shane/Cable, 2002. Vgl. Becker/Dietz, 2002. Vgl. Ritter/Gemünden, 1999. Vgl. Lockett et al., 2003.
26
2 Forschungsgegenstand und Forschungsfragen
spielt die Transferstelle eine entscheidende Rolle für die Unterstützung der Vernetzung zwischen Erfindern, Investoren und Managern.91 Westhead/Batstone unterstreichen die Rolle eines stark vernetzten Science-Park-Managers als Gatekeeper für den Zugang zu Informationen, Ressourcen und Märkten.92 Potenzielle Gründer aus dem Wissenschafts- und Hochschulbereich wünschen sich auch die Unterstützung beim Aufbau ihrer eigenen Netzwerke bzw. den Zugang zu Netzwerken, das heißt auch aus individueller Perspektive der potenziellen Gründer ist diese Förderleistung für die Gründungsvorbereitung bedeutsam. Zu den in Bezug auf die Ausgestaltung der Gründungsförderpolitik in Deutschland einflussreichsten Studien gehören die Studien des Fraunhofer Instituts für Systemtechnik und Innovation (ISI) im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. In der Studie „Berufswahl, Berufsperspektiven und Existenzgründungen“ wurden die befragten Studierenden gebeten, aus einem Katalog an möglichen Unterstützungsmaßnahmen für die Vorbereitung einer Gründung die relevanten auszuwählen. Als wichtigstes Kriterium wurde hier ein verbesserter Zugang zu Startkapital genannt. Als viertwichtigste von insgesamt sieben Maßnahmen nannten die Studierenden „unterstützende Netzwerke“.93 Der Begriff „unterstützende Netzwerke“ wurde allerdings als SingleItem-Frage abgefragt, ein erheblicher Nachteil für die Konstruktvalidität. An anderer Stelle der Studie, wo die Studierenden nach der Beurteilung einzelner konkreter Fördermaßnahmen befragt wurden, gaben jene an erster Stelle die „Vermittlung von Kontakten zur Wirtschaft“ an.94 Eine repräsentative Untersuchung von High-Tech-Gründungen in Deutschland analysierte die Bedeutung von einzelnen Gründungshemmnissen: 57% der befragten Unternehmen wiesen dem Gründungshemmnis „mangelnde Vertriebskanäle“ große oder mittlere Bedeutung zu; dieser Fakt stellt damit das zweitgrößte Hemmnis nach „mangelnder Finanzierung“ dar. Die Hemmnisse 91 92 93 94
Vgl. Shane, 2002. Vgl. Westhead/Batstone, 1999. Vgl. Ramm, 2001, S. 58-59. Ebenda, S. 61.
2.5 Förderung von Gründernetzwerken im Wissenschafts- und Hochschulbereich
27
„mangelnde Kooperationsmöglichkeiten mit anderen Unternehmen“ bzw. „mangelnde Kooperationsmöglichkeiten mit wissenschaftlichen Einrichtungen“ wurden von 31% bzw. 15% als bedeutsam eingestuft.95 Da die Studie in Bezug auf diese Fragestellung einer Survival-Bias unterliegt, dürfte die Bedeutung dieser Hemmnisse sogar noch unterschätzt worden sein. Diese Ergebnisse sind ein weiterer Indikator für die Bedeutung der Förderung der Vernetzung der Gründer. In einer weiteren Studie von Becker/Dietz haben die befragten Start-upUnternehmen ex post die Förderung wie folgt beurteilt: 78% der Befragten haben „[...] die Herstellung von Kontakten zu Kapitalgebern, potenziellen Kunden etc. durch ein Innovationsnetzwerk als bedeutsam eingestuft. Der Zugang zu Managementwissen (für rund 44 v. H.) und die Gründung eines gemeinsamen Unternehmens mit Netzwerkmitgliedern (ebenfalls für rund 44 v. H.) spielten ebenfalls eine wichtige Rolle.“96 In einer explorativen Studie von Pérez/Sánchez über die Förderung von University-Spinoffs durch Fördernetzwerke wurde die Kontaktvermittlung zum Aufbau von eigenen Kontakten für Geschäftsbeziehungen und die Zusammenarbeit beim Technologietransfer als viertwichtigste Unterstützungsform genannt, nach erstens der Bereitstellung von technischen Geräten und Ausrüstungen, deren Anschaffungskosten prohibitiv hoch sind, zweitens der Expertenberatung zur Nutzung moderner Technologien und drittens den Informationen zur Patentierung und Verwertung von Technologien.97 Der Förderbedarf beim Aufbau von Gründernetzen und die Effektivität dieser Förderung sind jedoch nur notwendige Kriterien zur Begründung wirtschaftspolitischer Maßnahmen. In Bezug auf das hinreichende Kriterium eines Markt-
95 96 97
Vgl. Niefert et al., 2006, S. 39. Becker/Dietz, 2003, S. 4. Vgl. Pérez/Sánchez, 2003, S. 829; im Original nicht Fördernetzwerke, sondern „formally institutionalized innovation and technology transfer networks“.
28
2 Forschungsgegenstand und Forschungsfragen
versagens speziell beim Aufbau von Gründernetzen existieren bisher keine wissenschaftlichen Argumente. Öffentlich geförderte Netzwerk-Initiativen sind zwar u. U. effektiv in Bezug auf die Unterstützung der Vernetzung der angehenden Gründer, der Einfluss auf die regionale Gründungsrate und auf die Effizienz der Netzwerkförderung im Sinne eines positiven Kosten-Nutzen-Verhältnis werden in der aktuellen wissenschaftlichen Diskussion zum Teil eher pessimistisch gesehen.98 2.6 Gründungsförderungsnetzwerke im Wissenschafts- und Hochschulbereich Gründungsförderungsnetzwerke sind eine Form der Organisation der Gründungsförderung. Es gibt eine aktuelle politische und akademische Diskussion über die Organisation der Gründungsförderung, welche die Organisation der Wirtschaftsförderung im Allgemeinen berührt. Die aktuelle wissenschaftliche Forschungslücke betrifft weniger die Effizienz einzelner Fördermaßnahmen, sondern vielmehr das interne Management der Förderung.99 Dabei geht es vor allem um die Koordination des Angebotes öffentlicher Leistungen. Das Spektrum an möglichen Koordinationsformen wird von zwei vagen Konstrukten aufgespannt, auf der einen Seite das Konstrukt des „One-StopShops“ (auch „One-Stop-Agency“), auf der anderen Seite das Konstrukt des Förderungsnetzwerkes. Die Konstrukte werden derzeit konkretisiert. Die EUDienstleistungsrichtlinie schreibt vor, dass die EU-Staaten „einheitliche Ansprechstellen“ einrichten müssen, die alle verwaltungsrechtlichen Anmelde-, Antrags- und Genehmigungsverfahren, die mit der Gründung eines Dienstleistungsunternehmens verbunden sind, bündeln und auch alle Informationen, die zur Gründung eines Dienstleistungsunternehmens notwendig sind, zentral
98 99
Vgl. Collinson et al., 2003, S. 204. Vgl. Greene/Storey, 2004, S. 146-147.
2.6 Gründungsförderungsnetzwerke im Wissenschafts- und Hochschulbereich
29
vorhalten.100 Die Richtlinie muss bis spätestens Ende 2009 europaweit umgesetzt werden; die Umsetzung wird einen Leitbildcharakter für alle Formen der Gründungs- und Wirtschaftsförderung haben. Die Diskussionen zur Entwicklung konkreter Gestaltungsempfehlungen zur praktischen Umsetzung des noch im Experimentierstadium befindlichen Konzeptes „One-Stop-Shop“ und die Diskussionen zur Konzeption konkreter verwaltungsrechtlicher und –wirtschaftlicher Vorgaben zur Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie werden sich gegenseitig beeinflussen. Das Konzept des Fördernetzwerkes wird durch die Förderpraxis etwas konkretisiert. Eine erhebliche Anzahl der Programme zur Gründungsförderung verlangt die Netzwerkbildung der Förderträger. Dabei fördern die Programme die Bildung und Etablierung von Netzwerkorganisationen zwischen den Förderträgern wie bspw. die Programme EXIST, EXIST-Transfer, Innoregio etc. Zumindest aber wird die vernetzte Zusammenarbeit als Bedingung vorausgesetzt, um die Fördermittel zu erhalten und damit die Förderprogramme durchführen zu können. Es gilt also zu klären, in welcher Organisationsform die Koordination der Gründungsförderung erfolgen kann und soll, insbesondere ob und in welchem Ausmaß die Koordination zentralisiert werden kann und soll. Diese Frage wird speziell aus der Perspektive der Förderung von Gründernetzwerken untersucht: Erfordert die Unterstützung der Gründer bei deren eigener Vernetzung auch eine Vernetzung der Förderer untereinander? Darüber hinaus wird der Blick aber noch für eine weitere Problematik sensibilisiert: Potenzielle Gründer wünschen sich ein „mehr an Informationen über Fördermaßnahmen“.101 Dieser Erkenntnis zur Seite steht die Tatsache, dass viele Förderangebote gar nicht genutzt werden. Empirische Studien zeigen, dass insbesondere die Unterstützung in Form von Informationen und Beratungen nur 100 101
Vgl. Richtlinie 2006/123/EG, Artikel 6 und 7. Ramm, 2001, S. 58-59.
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2 Forschungsgegenstand und Forschungsfragen
wenig in Anspruch genommen wird.102 Eine Untersuchung von 830 Unternehmen im Vorgründungsprozess in den USA bspw. ergab, dass nur zwei Drittel der Unternehmen von der Existenz der staatlichen Förderangebote wusste, wovon insgesamt sogar nur 20% der Unternehmen die Fördermaßnahmen in Anspruch nahm.103 Diese Problematik wird deshalb aufgegriffen, weil es offensichtlich einen Zusammenhang zwischen der Organisation der Anbieter der Gründungsförderung und der Information und Nachfrage nach Gründungsförderung gibt. Dieser Zusammenhang erweist sich auf den ersten Blick als paradox: Einerseits deuten Parallelitäten und Überschneidungen auf ein Überangebot an Beratungsleistungen hin, andererseits scheint eine Unterversorgung der Nachfrager zu existieren. Gerade für den Bereich des Förderangebotes Gründungsberatungsleistungen ist die Frage der Organisation ebenfalls von hoher politischer Aktualität. Im Dezember 2006 hat die Wirtschaftsministerkonferenz beschlossen, die Organisation des Förderangebotes bei Beratungsleistungen für Gründer neu zu strukturieren, wobei eine Zentralisierung in Form weniger Agenturen erfolgen soll, welche „regionale Anlaufstellen“ genannt werden. Ziel dieser Zentralisierung ist der Abbau von „Parallelitäten und Überschneidungen“ beim Angebot an Gründungsberatungsleistungen.104 2.7 Forschungsfragen Zusammenfassend werden folgende zentrale Forschungsfragen gestellt: 1. Welcher Förderbedarf lässt sich für akademische Existenzgründungen aus Netzwerkperspektive ermitteln und begründen? 2. Wie soll die Zusammenarbeit der verschiedenen öffentlichen Gründungsförderer organisiert sein? 102
Vgl. Landström, 1998, S. 179 oder Birley, 1985. Vgl. Dennis/Reynolds, 2004, S. 342. 104 Niederschrift, Wirtschaftsministerkonferenz, 7./8. Dezember 2006, S. 61-62. 103
2.7 Forschungsfragen
31
Die Forschungslücke besteht gegenwärtig erstens in der mangelhaften theoretischen Fundierung, und zwar in der Forschung zu interorganisationalen Netzwerken im Allgemeinen105, zu Gründernetzwerken im Besonderen106 und in Bezug auf akademische Gründungen.107 Dabei ist vor allem das Forschungsfeld der interorganisationalen Netzwerke stark fragmentiert.108 In den letzten zehn Jahren entstand zudem eine Vielzahl neuer Theorien zu sozialen Netzwerken in verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen: in der Mikroökonomik, der Soziologie, der Managementwissenschaft und sogar in der Physik109. Es bildeten sich unabhängig voneinander mehrere parallele Scientific Communities, die sich gegenseitig noch zu wenig befruchten. Zu wenige Autoren haben bisher versucht, mehrere dieser verschiedenen Theorieschulen zu integrieren.110 Dabei fehlt auch das theoretische Fundament durch Basistheorien.111 In der Forschung zu Gründungsnetzwerken mangelt es insbesondere an einem Ansatz zur Integration von Netzwerkeffekten und Netzwerkdynamik.112 Die zweite Forschungslücke besteht in der fehlenden Betrachtung von Netzwerkkosten. Die Entrepreneurship-Forschung analysierte bisher einseitig nur den möglichen Nutzen aus sozialen Beziehungen, vernachlässigte die Kostenseite und konnte daher keine ökonomischen Effizienzüberlegungen anstellen.113 Diese Forschungslücken werden im Rahmen dieser Arbeit adressiert.
105
Vgl. Salancik, 1995, S. ; Borgatti/Foster, 2003, S. 1005. Vgl. Hoang/Antoncic, 2003, S. 172. 107 Vgl. Nicolaou/Birley, 2003a, S. 1702. 108 Vgl. Oliver/Ebers, 1998. 109 Vgl. Powell et al., 2005, S. 1132-1133; Schweitzer, 2003. 110 Vgl. Varamäki/Vesalainen, 2003, S. 28. 111 Vgl. Aderhold/Wetzel, 2005, S. 19. 112 Vgl. Hoang/Antoncic, 2003, S. 181-182. 113 Vgl. Witt, 2004, S. 403. 106
3 Forschungsdesign 3.1 Methodenwahl Die Forschungsfragen sind nur zum Teil in der Gründungs- und Entrepreneurship-Forschung elaboriert worden. Wie bereits argumentiert, sind die Forschungsfragen untrennbar miteinander verbunden. Es können nicht einzelne Aspekte der Forschungsfragen separiert untersucht werden, in der isolierten Betrachtung einzelner Aspekte steckt die Gefahr des Übersehens wichtiger Interdependenzen. Die Forschungsfragen verlangen daher nach einen Mixed-Method-Design mit Triangulation. Mit einer statistischen Analyse soll der Forschungsgegenstand quantitativ deskriptiv erfasst werden. Es geht darum, die quantitative Bedeutung akademischer Gründungen zu ermitteln. Das regionalpolitische Argument zur Legitimation der Gründungsförderung, das sich auf die geringere Migrationsrate von Gründern stützt, ist bereits mehrfach empirisch untermauert worden (siehe Kapitel 2.5). Mit einer quantitativen Untersuchung soll dieses Argument noch einmal für das Land Brandenburg untersucht werden, indem die Migration von akademischen Gründern mit der von Nicht-Gründern verglichen wird. Für die Analyse des Gründungsförderbedarfes aus Netzwerkperspektive und der Netzwerkorganisation der öffentlichen Gründungsförderer empfiehlt sich eine explorative qualitative Methode. Die Entrepreneurship-Forschung im Allgemeinen und die Forschung zu Gründungsnetzwerken im Besonderen sind bisher von quantitativen Analysen dominiert. Die Analysekraft quantitativer Methoden zur Aufdeckung detaillierter theoretischer Ursache-Wirkungsbeziehungen ist begrenzt, doch das Forschungsfeld, das sich zu Teilen noch in einem explorativen Stadium befindet, benötigt mehr detaillierte Einsichten in die kausalen
34
3 Forschungsdesign
Zusammenhänge und neue theoretische Ideen, die nur mit qualitativer Forschung gewonnen werden können.114 Es gibt bisher noch kein spezifisches qualitatives Verfahren zur Netzwerkanalyse. Empirische Studien zu qualitativen Netzwerkanalysen stützen sich auf generische qualitative Verfahren.115 Für die Erfassung der Multidimensionalität sozialer Beziehungsnetzwerke ist die Grounded Theory Method sehr gut geeignet. Die Grounded Theory Method bietet den Vorteil, dass sie die Einbeziehung einer Vielzahl von empirischen Materialien und Quellen methodisch absichert.116 Vor allem aber liefert die Grounded Theory Method methodische Anleitungen zur Kombination von theoretischem Vorwissen, empirischen Daten und deduktiven Literaturanalysen. Dabei handelt es sich um einen iterativen Prozess: Die Zwischenergebnisse aus den ersten Datenauswertungen werden mit Ergebnissen der Literaturanalyse abgeglichen, wodurch eine höhere theoretische Sensibilität erlangt wird, die zur besseren Orientierung in der erneuten empirischen Datenerhebung beiträgt.117 Diese Methode eignet sich deshalb besonders für die Bearbeitung der Forschungsfragen: Das Forschungsthema ist grundsätzlich sehr weit gefasst, durch die wechselseitige Beeinflussung von Empirie und Literaturanalyse gelingt es aber, aus der Menge von wissenschaftlicher Literatur zu Netzwerken einerseits und zu Gründungen bzw. Entrepreneurship andererseits diejenigen Theorieansätze zu selektieren, welche die empirisch ermittelten Konzepte erklären helfen. Die Datenerhebung beruht dabei auf drei Säulen. Die Hauptsäule besteht aus der Datenerhebung durch qualitative Interviews, und zwar mit der Methode des
114
Vgl. Gartner/Birley, 2002, S. 387, 393; Hoang/Antoncic, 2003, S. 183. Vgl. Franke/Wald, 2006, S. 160. 116 Vgl. Baumgarten/Lahusen, 2006, S. 188. 117 Strauss/Corbin, 1996. 115
3.1 Methodenwahl
35
problemzentrierten Interviews nach Witzel.118 Diese Methode ist eine Variante des fokussierten Interviews nach Merton/Kendall.119 Das problemzentrierte Interview wurde deshalb gewählt, weil es sich an das Verfahren der Grounded Theory anlehnt. Der mit dieser Methode vorgeschlagene Forschungsprozess ist kein strenger Ablauf konsekutiver Prozessschritte wie bei der hypothetico-deduktiven Vorgehensweise. Die Methode wendet sich aber auch gegen die naiv-induktivistische Position, laut der das Vorwissen des Forschers als Tabula rasa ausgeschlossen werden soll. Stattdessen basiert der Erkenntnisgewinn auf einem induktiv-deduktiven Wechselverhältnis im Erhebungs- und im Auswertungsprozess.120 Die zweite Säule der Datenerhebung besteht aus Feldnotizen und dient der Ergänzung der aus den Interviews gewonnenen Erkenntnisse. Die dritte Säule bildet die Dokumentenanalyse und dient ebenfalls der Ergänzung der aus den Interviews gewonnenen Erkenntnisse. Das Verfahren der Triangulation wird dabei in zweifacher Hinsicht angewandt: Erstens erfolgt eine Triangulation bei der Fallauswahl der Interviewpartner. Die Ableitung des Förderbedarfes für die Gründernetzwerke wird zum einen aus Sicht der Existenzgründer selber, zum anderen aus Sicht der Gründungsförderer untersucht. Die Organisation der Gründungsförderer wiederum wird nicht nur aus Sicht der Förderer selbst, sondern aus Sicht der Existenzgründer untersucht. Darüber hinaus werden auch unterschiedliche Macht- und Entscheidungsasymmetrien bei der Wahl der Interviewpartner berücksichtigt. Das bedeutet, dass sowohl Personen interviewt werden, die eine hohe Verfügungsmacht über Fördermittel besitzen, als auch Personen, die aufseiten der öffentlichen Förderer eher an der Basis arbeiten.
118
Vgl. Witzel, 2000. Vgl. Merton/Kendall, 1946. 120 Vgl. Witzel, 2000, S. 2. 119
36
3 Forschungsdesign
Zweitens erfolgt eine Triangulation der Ergebnisse der quantitativen und der qualitativen Empirie, und zwar derart, dass einerseits die quantitative Befragung durch qualitative Interviews vorbereitet wird und andererseits Fragen, die aus der quantitativen Befragung neu entstehen, in weiteren anschließenden qualitativen Interviews nachbereitet werden. 3.2 Vorgehensweise Die Vorgehensweise orientiert sich an der von Eisenhardt vorgeschlagenen Roadmap für die Ableitung von Hypothesen und Theorien aus qualitativen Daten.121 Diese Roadmap ist in der internationalen Entrepreneurship-Forschung weithin anerkannt. Die Roadmap basiert auf der Grounded Theory Method und entwickelt sie weiter, indem Aspekte anderer einflussreicher Methodenentwicklungen mit einfließen. Die Roadmap beginnt mit der Definition der Forschungsfragen.122 „Die Fragestellung in der Grounded Theory ist eine Festlegung, die das Phänomen bestimmt, welches untersucht werden soll.“123 Die Fragestellung enthält also keine detaillierten Aussagen über Zusammenhänge zwischen Variablen, ist aber ausreichend spezifisch, um den Untersuchungsgegenstand einzugrenzen. Das wurde in dieser Arbeit bereits im Kapitel 2 geleistet. Als nächster Schritt erfolgt die Spezifizierung der wichtigsten Konstrukte, um die theoretische Sensibilität zu gewährleisten und einen zumindest strukturierten Feldzugang zu ermöglichen.124
121
Vgl. Eisenhardt, 1989. Vgl. ebenda, 1989, S. 536. 123 Strauss/Corbin, 1996, S. 23. 124 Vgl. Eisenhardt, 1989, S. 536. 122
3.2 Vorgehensweise
37
„Das unvermeidbare, und damit offenzulegende Vorwissen dient in der Erhebungsphase als heuristisch-analytischer Rahmen für Frageideen im Dialog zwischen Interviewern und Befragten.“125 Kapitel 4 wird diesen Schritt leisten. Die nächsten Schritte der Roadmap sind die Auswahl der Erhebungsmethode, die Fallauswahl, der Feldzugang und die Auswertung126, Gegenstand des Kapitels 5. Die Dokumentation der Ergebnisse der Auswertung erfolgt im Rahmen dieser Arbeit konsekutiv nach der Beschreibung der Erhebung. Das soll aber nicht zu der Annahme verleiten, der Forschungsprozess habe sich so geradlinig vollzogen; im Gegenteil erfolgte die Auswertung der Daten im iterativen Zusammenspiel mit der Datenerhebung. Als nächstes wird ein theoretischer Bezugsrahmen aufgestellt, und zwar getrennt für die Nachfrageseite (Gründer) und für die Angebotsseite (Gründungsförderer). Bei der Entwicklung eines theoretischen Bezugsrahmens werden die wichtigsten Variablengruppen identifiziert und miteinander in Beziehung gesetzt; bei der Entwicklung eines Ansatzes werden darüber hinaus auch die Verbindungen zu Theorien aufgezeigt, die das Problemfeld erklären und stärker strukturieren.127 Die Strukturierung des Problems durch den Bezugsrahmen soll die Entwicklung eines theoretischen Modells vorbereiten. Ein theoretisches Modell ist „[...] eine spezifische Theorie der vom Modellobjekt abgebildeten Sachverhalte und enthält Aussagen aus allgemeinen Theorien, die auf Modellobjektelemente und ihre realen Entsprechungen bezogen sind.“128 Für die Erstellung des Bezugsrahmens wird die Grounded Theory Method benutzt. Die Grounded Theory Method wird in dieser Arbeit also nicht in ihrer 125
Witzel, 2000, S. 2. Vgl. Eisenhardt, 1989, S. 533. 127 Vgl. Nienhüser, 1996, S. 50. 128 Ebenda, S. 53. 126
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3 Forschungsdesign
Reinform angewandt. Ziel der Reinform der Grounded Theory Method ist die Entwicklung sehr dichter, gegenstandsbezogener Theorien. In dieser Arbeit wird die Grounded Theory Method (nur) benutzt, um einen Bezugsrahmen aufzuspannen. Doch auch dafür ist die Grounded Theory Method sehr gut geeignet.129 Diesem Bezugsrahmen fehlt im Vergleich zu einer reinen Grounded Theory die konzeptionelle, das heißt theoretische Dichte. Die theoretische Dichte der kausalen Zusammenhänge wird in dieser Arbeit durch die Modellbildung erreicht. Als letzter Schritt der Roadmap steht die Einordnung der empirischen Ergebnisse in die Literatur.130 Dazu werden die gegenstandsbezogenen Bezugsrahmen von Nachfrageseite und Angebotsseite zusammengeführt und auf eine höhere Abstraktionsebene gebracht, in der dann mit anerkannten Basistheorien der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften ein abstraktes theoretisches Erklärungsmodell abgeleitet wird. 3.3 Epistemologische Überlegungen Die Grounded Theory Method ist eine Forschungsmethode zur Entwicklung von Theorien. Die Forschungsmethode zeichnet sich durch zwei Besonderheiten aus: Erstens erfolgen die Theoriebildung und die empirische Datenerhebung und -analyse im Forschungsprozess zeitlich parallel und sind wechselseitig funktional voneinander abhängig. Es gibt deshalb keine Vorschrift zu zwingend einzuhaltenden prozessualen Schrittfolgen. Stattdessen ist die Grounded Theory ein Methodenkanon an analytischen Verfahren, welche als Vorschläge verstanden werden. Grundlegend ist nur die Forderung nach einem kontinuierlichen Wechsel von Handeln und Reflexion.131
129
Vgl. Strauss/Corbin, 1996, S. 17. Vgl. Eisenhardt, 1989, S. 533. 131 Vgl. Strübing, 2004, S. 14-17. 130
3.3 Epistemologische Überlegungen
39
Zweitens ordnet sich die Grounded Theory in keine der beiden (scheinbar) gegensätzlichen paradigmatischen Ansätze ein, also weder in den erklärenden noch in den interpretativen Ansatz. Die Grounded Theory geht stattdessen von der pragmatischen Position aus, dass Problem lösende Erkenntnis immer nur durch die innere Beteiligung der Problem lösenden Subjekte zu gewinnen sei. Durch das Wechselverhältnis von Subjekt und Objekt im Forschungsarbeitsprozess muss auch die als Ergebnis generierte Theorie immer subjektiv geprägt sein.132 Die Grounded Theory Method betont den Zusammenhang von wissenschaftlicher Erkenntnis und persönlicher Einsicht.133 Dieser pragmatische Ansatz positioniert aber die Grounded Theory nicht als „Dritten Weg der Erkenntnisgewinnung“. Es ist vielmehr so, dass die Grounded Theory Method eine hervorragende Ergänzung darstellt. Die Annahmen der Erkenntnisgewinnung in der Grounded Theory weisen zudem Parallelen zur Epistemologie von Charles Peirce auf.134 Dass die Philosophie des Pragmatismus die wissenschaftstheoretische Basis der Grounded Theory Method darstellt135, kann daraus nicht abgeleitet werden, ist aber auch nicht entscheidend.136 Wichtig ist, dass die Herangehensweise von Peirce nicht im Widerspruch zu dem von Sir Karl Popper entworfenen Wissenschaftsprogramm des Kritischen Rationalismus steht. Im Gegenteil: Das von Peirce geprägte Konzept des Fallibilismus, das heißt der grundsätzlichen Fehlbarkeit menschlicher Erkenntnis, ist eines der Grundprinzipien Poppers.
132
Vgl. ebenda, S. 16. Vgl. Berg/Milmeister, 2007, S. 188. 134 Vgl. Strübing, 2004. 135 Vgl. Krotz, 2005, S. 92. 136 Vgl. Peirce, 1991. 133
40
3 Forschungsdesign
„Womit mein Denken über die menschliche Erkenntnis wirklich steht und fällt, ist der Fallibilismus […]. Alle Erkenntnis bleibt fehlbar, bleibt Vermutungswissen.“137 Dazu muss erwähnt werden, dass Peirce seine Ideen zwar bereits in der zweiten Hälfte des 19 Jahrhunderts entwarf. In dem Aufsatz von „Über Uhren und Wolken“ erwähnt Popper aber in einem anderen Zusammenhang, dass ihm die Schriften von Peirce erst nach 1950 bekannt wurden.138 Das war schon lange nach der ersten Ausgabe der „Logik der Forschung“, das heißt der Entwicklung der Grundsätze seiner Wissenschaftsphilosophie. Das würde bedeuten, dass Peirce und Popper unabhängig voneinander die gleichen Prinzipien vertraten. Uneindeutige Terminologie ist auch die Ursache für das induktivistische Selbstmissverständnis der Grounded Theory Method.139 In dem ersten Werk, das die „Grounded Theory“ begründete, das Buch „The discovery of grounded theory“ von Glaser/Strauss,140 übten die Autoren eingangs eine Grundsatzkritik und vehemente Gegenposition zum nomologisch-deduktiven Ansatz und wollten mit der Grounded Theory eine Alternative präsentieren. In der Rezeption wurde die Grounded Theory dann als eine rein induktivistische Forschungsstrategie verstanden, welche die Forschenden auffordere, vor dem Kontakt mit dem empirischen Feld sich komplett des theoretischen Vorwissens zu entledigen. Doch insbesondere der Autor Strauss fand sich missverstanden und sah die Ursache des Missverständnisses in den eigenen Formulierungen des Erstwerkes, wie er in späteren Werken ausführte.141 Tatsächlich stellt ein umfangreiches Vorwissen einen bedeutenden Erfolgsfaktor für die Anwendung der Grounded Theory Method dar.
137
Popper, 2002, S. XXXI. Vgl. Popper, 1973a, S. 239 (Anmerkung). 139 Vgl. Kelle, 1994. 140 Vgl. Glaser/Strauss, 1967. 141 Vgl. Strübing, 2004, S. 50. 138
3.3 Epistemologische Überlegungen
41
Deduktion erzeugt immer nur redundantes Wissen, denn die Konklusion steckt schon immer in den Prämissen. Neues Wissen dagegen kann nur durch Induktion gewonnen werden.142 Mit der Induktion sind gravierende Nachteile verbunden, insbesondere das Korrespondenz- und das Basissatzproblem.143 Um mit genau diesen Problemen des Induktionsschlusses – neben anderen – umzugehen, wurde das Wissenschaftsprogramm des Kritischen Rationalismus entworfen. Es kombiniert deduktive und induktive Schlüsse. So ist bspw. jeder Falsifikationsversuch, bei dem von Stichproben auf die Allgemeinheit geschlossen wird, eine Inferenz und damit ein Induktionsschluss.144 Der Kritische Rationalismus ist keine Variante des deduktiv-nomologischen Ansatzes, welchen es übrigens in den Realwissenschaften nirgendwo in Reinform gibt. Deshalb richtet sich die Kritik Glasers und Strauss’ nicht gegen den Kritischen Rationalismus. Im Gegenteil, die Grounded Theory Method stellt sogar eine Ergänzung des Programms des Kritischen Rationalismus dar. Eine Schwachstelle des Kritischen Rationalismus ist nämlich die epistemologische Fundierung der Theoriegewinnung. Nach Popper entstehen Hypothesen und Theorien durch blitzartige, intuitive Einsichten.145 Eine logische Analyse dieser Ideen ist weder möglich noch notwendig.146 Die Vertreter des Kritischen Rationalismus blenden also die Art der Theoriebildung aus und konzentrieren sich auf die Theorieüberprüfung. Da jede Theorie nur als vorläufig anerkannt gilt und eine ständige kritische Überprüfung jeder Theorie gefordert wird, ist der Prozess der Theoriebildung, dieser Logik folgend, selbst nicht ausschlaggebend, weil schlechte Theorien durch die Selektion der empirischen Überprüfung automatisch aussortiert werden. Wenn die Forscher als Subjekte neue Theorien gewinnen, so geschieht dies nicht auf Basis einer kognitiven Tabula rasa. Das Vorwissen der Forscher beeinflusst 142
Vgl. Bortz/Döring, 2003, S. 299. Vgl. ebenda, 2003, S. 23-24. 144 Vgl. ebenda, 2003, S. 300. 145 Vgl. Venker, 1993, S. 108. 146 Vgl. Popper, 1989, S. 6. 143
42
3 Forschungsdesign
die Theoriegewinnung. Das entscheidende Merkmal ist folgendes: Eine intuitive Theoriegenerierung meint einen unterbewussten, unsystematischen Prozess. Wissenschaftliches Arbeiten heißt aber systematisches, reflektiertes und intersubjektiv nachvollziehbares Arbeiten. Als notwendige Voraussetzung für Kritik und damit für eine wissenschaftliche Diskussion muss das generierte Wissen intersubjektiv nachvollziehbar sein. Als Konsequenz der Nachvollziehbarkeit verlangt wissenschaftliches Arbeiten nach einer Methode, das heißt eine planmäßige Vorgehensweise der Erkenntnisgewinnung.147 Wissenschaftliche Theoriebildung heißt also, methodengeleitete, transparente und damit kritisierbare Theoriebildung zu betreiben. Es gibt daher einige Autoren, welche für die Theoriebildung explizite Strategien und Methoden formulieren. Die Grounded Theory Method ist eine solche explizite Forschungsmethode.148 Mit der Grounded Theory wird der Prozess der Theoriebildung von dem intuitiven Bereich in den systematischen verlegt. Deshalb werden jedoch zufälliges Entdecken und die Verarbeitung intuitiver Gedanken nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Im Gegenteil, mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die innere Beteiligung des Forschungssubjektes und der dadurch subjektiv geprägten Theorie wird den intuitiven, unsystematischen kognitiven Elementen Rechnung getragen. Entscheidend ist hierbei, dass durch einen möglichst hohen Grad an systematischer Dokumentation diese Elemente identifizierbar und kritisierbar gemacht werden sollen. Deshalb ist die Dokumentation des Vorwissens des Forschers ganz entscheidend. Unter Vorwissen wird nicht nur wissenschaftliches Wissen, sondern auch Alltagswissen aus persönlicher und beruflicher
147 148
Vgl. Venker, 1993, S. 55. Vgl. Bortz/Döring, 2003, S. 357-358.
3.3 Epistemologische Überlegungen
43
Erfahrung verstanden. Dieses Vorwissen erhöht die theoretische Sensibilität für neue Erkenntnisse.149 Aus dem gleichen Grund wird auch der Wechsel von Handeln und Reflexion gefordert, damit der Forscher stets reflektiert, inwiefern seine Forschung von unterbewussten Kognitionen beeinflusst wird. Die Terminologie, dass die entwickelte Theorie subjektiv geprägt ist, heißt aber nicht automatisch, dass hier das subjektivistische Paradigma zugrunde gelegt werden muss. Der Terminus subjektive Prägung bezieht sich hierbei auf das immer vorhandene Vorwissen des Forschers, das damit auch den Forschungsprozess beeinflusst. Genau diese Position vertritt auch Popper, wenn auch mit etwas anderen Worten. Popper sagt, dass keine Erkenntnis beim Nullpunkt anfängt, sondern immer mit Hintergrundwissen, auf jeden Fall in Form von Erwartungen und Dispositionen. Nach Popper ist jede Erkenntnis theoriegetränkt. Das gesamte subjektive Wissen hängt von sprachlich formulierten Theorien ab.150 Der von der Grounded Theory vorgeschlagene Forschungsprozess entspricht dem Ansatz von Peirce, neben Deduktions- und Induktionsschlüssen auch Abduktionsschlüssen zuzulassen. In diesem Punkt geht die Methode über das Programm des Kritischen Rationalismus hinaus. Die Abduktion schließt nicht wie die Induktion von einem beobachteten Fall auf weitere ähnliche Fälle, sondern auf allgemeine Prinzipien und Erklärungen für den beobachteten Fall. Während Induktion der Schluss vom Einzelfall auf die Allgemeinheit ist, bedeutet Abduktion den Rückschluss vom Einzelfall auf die Hypothese. Die Abduktion bietet damit nur eine Art von Erklärung neben anderen möglichen und damit konkurrierenden Erklärungen.151
149
Vgl. Strübing, 2004, S. 57. Vgl. Popper, 1973b, S. 85-86. 151 Vgl. Bortz/Döring, 2003, S. 300. 150
44
3 Forschungsdesign
Die Grounded Theory Method bietet einen weiteren Vorteil. Durch die wechselseitige Abhängigkeit der Empirie und Theorie erhält die zu bildende Theorie bereits bei ihrer Entstehung eine empirische Bewährung. Somit wird schon der erste Selektionsschritt vorgenommen. Es wird methodisch ausgeschlossen, dass die Theorie vollkommen falsch ist, sie ist bereits mit der Fertigstellung bewährt. Als positiver Nebeneffekt wird zudem sichergestellt, dass die neu entwickelte Theorie eine empirische Relevanz hat.152 Bei rein deduktiver Ableitung können sachlich und logisch konsistente Theorien entstehen, die aber in der Praxis keine Relevanz haben. In der Terminologie der Grounded Theory heißt die Überprüfung der evolvierenden Theorie hinsichtlich empirischer Plausibilität und praktisch-experimenteller Funktionsfähigkeit „Verifikation“ der Theorie. Die Bedeutung des Begriffes Verifikation unterscheidet sich aber von dem Verständnis der Verifikation im Kritischen Rationalismus. Die Grounded Theory steht hier nicht im Gegensatz zum Kritischen Rationalismus; vielmehr sorgen die Autoren der Grounded Theory Method leider auch hier durch ihre Terminologie für Missverständnisse. Bezüglich des Begriffs „Verifikation“ sind sich die Autoren der Grounded Theory Method untereinander nicht einmal einig.153 Der in dieser Arbeit verfolgte Multi-Method-Ansatz bringt auch Ansätze für Kritik mit sich: Deduktion und Induktion aus Empirie beeinflussen sich gegenseitig. Das Vorwissen der Person als forschendes Subjekt beeinflusst die Wahrnehmung und den Erkenntnisprozess. Sämtliche Wahrnehmungen sind (in der Sprache der Grounded Theory) subjektiv geprägt bzw. (in der Sprache Poppers) von den Theorien durchdrungen, die sich bereits im Wissensschatz der Forschungsperson befinden. Genauso wird die Suche nach Theorien, von denen man deduzieren kann, von den Beobachtungen der Forschungsperson selektiv beeinflusst, da solche Theorien herangezogen werden, die dem Prinzip der Nützlichkeit für die Erklärung der Beobachtungen entsprechen. Diese Art der
152 153
Vgl. Strübing, 2004, S. 71. Vgl. ebenda, S. 70-72.
3.3 Epistemologische Überlegungen
45
Theorieauswahl kann kritisiert werden, soll sie sogar, denn Kritik bedingt intersubjektive Nachvollziehbarkeit und ist damit ein wichtiges Gütekriterium wissenschaftlicher Forschung.
4 Theoretische Vorüberlegungen Gemäß der in Kapitel 3 erläuterten methodischen Vorgehensweise ist die Offenlegung des theoretischen Vorwissens die Voraussetzung für einen strukturierten empirischen Feldzugang. Die Interpretation der empirischen Daten und die Generierung von Kausalbeziehungen aus den Daten erfolgt nicht auf Basis einer kognitiven Tabula rasa. Das Vorwissen des Forschers beeinflusst die entstehende Grounded Theory. Wissenschaftliches Arbeiten bedeutet, der Prozess der Erkenntnisgewinnung ist systematisch und intersubjektiv nachzuvollziehen. Die Offenlegung des Vorwissens des Forschers ist für die intersubjektive Nachvollziehbarkeit notwendig. Darüber hinaus erhöhen die theoretischen Vorüberlegungen die theoretische Sensibilität des Forschers und gestalten damit den Forschungsprozess effizienter. 4.1 Netzwerktheorie 4.1.1 Netzwerkkonstrukt Der Begriff „Netzwerk“ bezeichnet • ein Konzept gesellschaftlicher Semantik, • eine Form der Sozialstruktur, • ein methodisches Konstrukt. Auf semantischer Ebene beschreibt die Gesellschaft Ausschnitte ihrer selbst mit dem Begriff Netzwerk. Soziale Zusammenhänge benutzen den Begriff Netzwerk zur Selbstdarstellung, wenn damit beim Adressaten Ziele und Werte assoziiert werden, die in der Gesellschaft positiv besetzt sind. Wenn dagegen negative Assoziationen geweckt werden, wird in der Selbstdarstellung auf die Bezeichnung als Netzwerk verzichtet. Die Bedeutung des semantischen Netzwerkkonzeptes ist konjunktur- und systemspezifisch, wobei das Netzwerkkonzept im letzten Jahrzehnt gesellschaftlich besonders in Mode kam. Das bedeutet aber, dass nicht alle sozialen Formen, die sich selbst als Netzwerke bezeichnen, auch
48
4 Theoretische Vorüberlegungen
tatsächlich Netzwerke im sozialtheoretischen Sinne darstellen, während umgekehrt nicht alle faktischen Netzwerke sich in der Selbstdarstellung als solche identifizieren.154 „Gründungsnetzwerke“ gehören dabei zu den gesellschaftlich positiv assoziierten Netzwerken, ebenso wie „Frauennetzwerke“, „Innovationsnetzwerke“ etc. Auf theoretischer Ebene bezeichnet der Netzwerkbegriff bestimmte Formen der Sozialstruktur. Eine Reihe von Theorieansätzen und Basistheorien thematisiert Netzwerkkonzepte. Die theoretische Netzwerkdefinition erfolgt dabei im Rahmen der jeweiligen Basistheorien, das heißt mit Hilfe theoriespezifischer Variablen und Termini. Deshalb kann es keine einheitliche übergeordnete theoretische Netzwerkdefinition geben. Der methodische Netzwerkbegriff bezeichnet einen Begriffsapparat, der in vielfältigen Forschungsfragen unterschiedlichster wissenschaftlicher Disziplinen zur Problemfeldstrukturierung dient. „Eine Durchsicht der Literatur zu Netzwerken ergibt, dass nahezu jedes empirische Phänomen als Netzwerk betrachtet werden kann. Schließlich ist ein Netzwerk zunächst nichts anderes als ein methodisches Konstrukt des Forschers“.155 Das methodische Netzwerkkonzept ist also eine bestimmte Perspektive der empirischen und theoretischen Annäherung. Die Netzwerkperspektive ist eine ganz bestimmte Art der Problemfeldstrukturierung, bei welcher der Fokus der Betrachtung auf den Relationen zwischen den Wirtschaftssubjekten liegt. Dazu wird in allen Disziplinen eine formale Netzwerkdefinition benutzt, die ein Netzwerk als ein Set von Kanten und Knoten definiert. In den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften wird, daraus abgeleitet, ein soziales Netzwerk als ein Set
154 155
Vgl. Bommes/Tacke, 2006, S. 37-39. Sydow, 1992a, S. 75.
4.1 Netzwerktheorie
49
von Beziehungen (Kanten) zwischen Akteuren (Knoten) definiert. Akteure sind hierbei sowohl Personen als auch Körperschaften (engl. corporate actors). Bei der wissenschaftlichen Diskussion muss klargestellt werden, welcher Netzwerkbegriff in welchem Abstraktionsniveau benutzt wird. Dies soll exemplarisch am Beispiel der Diskussion um die Abgrenzung zwischen Markt und Netzwerk skizziert werden: Auf theoretischer Ebene gibt es einige Basistheorien, die das Netzwerk und den Markt als verschiedene Formen der Sozialstruktur voneinander abgrenzen. Auf methodischer Ebene steht die Netzwerkperspektive allerdings nicht im Kontrast zur Marktperspektive, sondern sie verfolgt andere Erklärungsziele. Der Begriff des Marktes bezieht sich in der wissenschaftlichen Diskussion auf das abstrakte theoretische Konstrukt des Marktmodells. Erkenntnisziele des Marktmodells sind kausale Aussagen über die Zusammenhänge von Mengen und Preisen. Aus der Netzwerkperspektive kann eine Transaktion oder – allgemeiner – ein Austausch zwischen Wirtschaftssubjekten nur dann stattfinden, wenn eine Beziehung zwischen ihnen existiert. Diese Beziehung stellt gewissermaßen eine infrastrukturelle Voraussetzung dar, eine „Bahn“, auf deren Basis sich die Transaktion vollziehen kann. Die soziale Struktur wird also als Variable betrachtet. Im Marktmodell wird die Existenz zur Transaktion notwendiger sozialer Struktur nicht verneint, sondern es wird davon abstrahiert. Das Marktmodell ist sogar ein spezielles Netzwerkmodell. Das lässt sich in den zwei Dimensionen Beziehungsinhalt und Netzwerkstruktur wie folgt aufzeigen: In Bezug auf die Inhalte der Beziehungen sind Marktaustauschbeziehungen eine besondere Form von Netzwerkkanten. Der Zugang zu einem Markt in einer monetarisierten Volkswirtschaft ist der Zugang zu einem Netzwerk an Akteuren, zwischen denen reziproke Beziehungen in dem Sinne existieren, dass Ressourcen, Güter und Dienstleistungen gegen Geld getauscht werden.156 156
Vgl. Adler/Kwon, 2002.
50
4 Theoretische Vorüberlegungen
In Bezug auf die Struktur ist das Marktmodell ein spezifisches Netzwerkmuster, nämlich ein vollständiges Netzwerk, bei dem jeder von n Teilnehmern mit allen anderen (n-1) Teilnehmern verbunden ist und Transaktionen vornehmen kann.157 Auf einer empirisch-phänomenologischen Ebene ist unbestritten, dass es einen Idealtyp ökonomischer Märkte – in dem jeder Marktteilnehmer in Kontakt mit allen anderen steht – nicht gibt, sondern weit weniger offene Strukturen die Prozesse von Angebot und Nachfrage einschränken.158 Umgekehrt wird man aber auch die abstrakten theoretischen Netzwerkorganisationsmodelle nicht in Reinform in der Realität antreffen. Die Realität ist geprägt von Mischformen mit marktlichen, hierarchischen und netzwerkartigen Elementen.159 Deshalb haben sowohl Markt- als auch Netzwerkperspektive je nach Erkenntnisziel ihre Berechtigung. 4.1.2 Netzwerkstrukturansatz Der Strukturansatz basiert auf der soziologischen Netzwerkanalyse. Die soziologische Netzwerkanalyse ist gleichzeitig sowohl eine Theorieperspektive als auch ein methodisches Instrument. Kern dieser Theorieperspektive ist die Annahme, dass eine zusätzliche Ebene der Handlungskoordination zwischen individuellen und korporativen Akteuren in Form der sozialen Struktur existiert. Die soziale Struktur beeinflusst einerseits direkt das Handeln der Individuen, andererseits beeinflussen die Handlungen die Struktur. Mit dieser zusätzlichen Ebene der Handlungskoordination können emergente Eigenschaften von Sozialsystemen erklärt werden. Die soziologische Netzwerkanalyse versucht, die mikro- und makrosozialen Ansätze zu integrieren. Das Problem der mikrosoziologischen Ansätze ist die Beschränkung auf die individuelle Perspektive, so dass keine systememergenten Eigenschaften erklärt werden können. Das Problem der 157
Eine ähnliche Darstellung des Marktes als Netzwerk schon 1978 bei Vgl. Leibenstein, 1978, S. 45. 158 Vgl. Collins, 2000, S. 136. 159 Vgl. Sydow/Möllering, 2004, S. 27.
4.1 Netzwerktheorie
51
makrosoziologischen Ansätze ist, dass sie Entwicklungstendenzen für ganze Gesellschaften nicht mit den Handlungsweisen einzelner Individuen verbinden können.160 Der Strukturansatz verbindet die soziologische Netzwerkanalyse mit anderen Basistheorien. Dabei gibt es zwei grundlegende Erklärungs- und Forschungsstrategien: Der derzeit vorherrschende instrumentelle Relationismus verbindet die Netzwerkperspektive mit der Rational-Choice-Theorie. Der relationale Konstruktivismus dagegen erklärt die Konstruktion und Wirkung von Identitäten und Institutionen aus sozialen Einbettungen.161 Für diese Arbeit soll nur der Ansatz des instrumentellen Relationismus verfolgt werden. Ein Netzwerk ist formal definiert ein abgegrenztes Set von sozialen Akteuren und den zwischen ihnen existierenden Beziehungen. Netzwerke werden durch einen spezifischen Relationsinhalt definiert. Deshalb können für die gleiche Menge an Knoten verschiedene Netzwerke definiert sein. Die Relationsinhalte sind dabei wie folgt klassifiziert: Transaktionen, Kommunikationen, Instrumentelle Beziehungen, Machtbeziehungen, Verwandtschaftsbeziehungen, Gefühlsbeziehungen, gegenseitige Bewertungen, grenzüberschreitende Relationen.162 Beziehungen sind dabei nicht notwendigerweise eng, symmetrisch und positiv. „Sie [die Beziehungen] können auch schwach sein, sie können antagonistisch sein, sie werden oft unfreiwillig eingegangen und sind selten völlig ausbalanciert.“ 163 In Bezug auf die Beschreibung der Variable Macht lässt sich zwischen positiv verbundenen und negativ verbundenen Netzwerken unterscheiden.
160
Vgl. hier und im Folgenden Jansen, 2006, S. 11-14. Vgl. ebenda, S. 25. 162 Vgl. ebenda, S. 58-59. 163 Ebenda, S. 163-164. 161
52
4 Theoretische Vorüberlegungen
In positiv verbundenen Netzwerken sind die Beziehungen komplementär und additiv. In negativ verbunden Netzwerken zeichnen sich die Beziehungen durch Konkurrenz aus. Zu den positiv verbundenen Netzwerken gehören Kommunikations- und Einflussnetzwerke. Macht wird in diesen Netzwerken assoziiert mit Einfluss, Prestige und Zentralität als Indikator für den Zugang zu Ressourcen. In solchen Netzwerken wachsen Status und Macht des Akteurs mit der Anzahl der Außenbeziehungen und auch mit der Macht der verbundenen Akteure. Eine hohe Anzahl von direkten und indirekten Beziehungen bedeutet einen guten Zugang zu den Netzwerkressourcen. In Einflussnetzwerken ist es für die eigene Macht vorteilhaft, sich mit mächtigen Akteuren zu verbinden.164 Zu den negativ verbundenen Netzwerken gehören Tausch- und Verhandlungsnetzwerke. Macht bedeutet in diesen Netzwerken die Verfügbarkeit über knappe Ressourcen und ein hohes Ausmaß an Verhandlungsmöglichkeiten bzw. die Abwesenheit von Zwängen und Abhängigkeiten. In diesen Netzwerken steigt die Macht des Ego, wenn er mit Akteuren verbunden ist, die über wenige Handlungsalternativen verfügen. Es ist für den Ego erstrebenswert, sich mit machtlosen Akteuren zu verbinden.165 Die Grundlage für Macht in negativ verbundenen Netzwerken ist die strukturelle Autonomie, das Gegenteil von strukturellem Zwang. Akteure in strukturell ähnlichen Positionen unterliegen strukturellen Zwängen. Die strukturelle Ähnlichkeit bezieht sich sowohl auf individuelle Merkmale als auch auf relationale Merkmale, also auf die Ähnlichkeit eingehender und ausgehender Beziehungen. Der strukturelle Zwang entsteht zum einen dadurch, dass Akteure in strukturell ähnlichen Positionen in Konkurrenzbeziehung zueinander stehen, da sie aus Sicht der anderen Akteure gegeneinander austauschbar sind. Dagegen hat ein Akteur mit struktureller Autonomie die Macht, die Konkurrenten gegeneinander auszuspielen, was ihm unternehmerische Handlungspotenziale eröffnet, weil er so Maklergewinne einstreichen kann. Wenn sich die Konkurrenten koordinieren und ihre Verhandlungen untereinander absprechen, wird der strukturelle Zwang abgebaut und gegenüber 164 165
Vgl. ebenda, S. 163-164, 178. Vgl. ebenda, S. 178.
4.1 Netzwerktheorie
53
den anderen Akteuren eine verbesserte Handlungsposition aufgebaut. Zum anderen entsteht sozialer Zwang durch sozialen Druck und soziale Kontrolle der Bezugsgruppen. Ein Akteur genießt umso mehr strukturelle Autonomie und damit umso mehr Macht und unternehmerische Handlungsmöglichkeiten, je diversifizierter die eigenen ausgehenden Beziehungen sind, je schlechter die Chancen der anderen auf Absprache und auf kollektive Aktion sind und je besser sich die eigene Bezugsgruppe koordiniert.166 In der Management-Literatur wird die strukturelle Äquivalenz in negativ verbundenen Netzwerken auch als „niche overlap“ bezeichnet. „High niche overlap indicates that two firms are substitutes for one another in markets and, therefore, that their outcomes are competitively interdependent.”167 Mit dem Strukturansatz wird die Wettbewerbsbeziehung zwischen Unternehmen unter einer Netzwerkperspektive analysiert. Das Ausmaß von niche overlap stellt eine spezifische Relation zwischen den Unternehmen dar. Diese Relation existiert, unabhängig davon, ob die Unternehmen sich intentional in einer Netzwerkorganisation zusammenschließen. Die Kooperation im Rahmen einer Netzwerkorganisation ist eine andere Form der spezifischen Relation. Die Komplementarität der Unternehmen in Bezug auf In- oder Outputs ist eine weitere spezifische Relation, die vom niche overlap als Ausmaß der negativen Verbundenheit unterschieden werden muss. Eine hoher niche overlap macht keine Aussage über die Komplementarität der Unternehmen. Das Konzept der Komplementarität bezieht sich auf positiv verbundene Netzwerke.168 Positiv und negativ verbundene Netzwerke koexistieren und müssen analytisch getrennt werden. 166
Vgl. ebenda, S. 184-187. Gimeno, 2004, S. 821. 168 Vgl. Gimeno, 2004, S. 822. 167
54
4 Theoretische Vorüberlegungen
4.1.3 Systemtheoretischer Netzwerkansatz nach Bommes/Tacke Der hier vorgestellte systemtheoretische Netzwerkansatz folgt der Darstellung von Bommes/Tacke.169 Die Akteure, dazu gehören sowohl Individuen als auch Organisationen, sind durch soziale Adressen gekennzeichnet. Eine soziale Adresse enthält den Eigennamen, Angaben über die Erreichbarkeit und ein individuelles Profil der Teilnahme an differenzierten Systemkontexten. Es gibt kategoriale und individuelle Adressbücher. Kategoriale Adressbücher enthalten nur die zur Kommunikation notwendigen Daten der medialen Erreichbarkeit. Jeder Akteur besitzt individuelle Adressbücher. Die Adressen werden dabei selektiv und kontextabhängig erinnert und aktualisiert. Individuelle Adressbücher sind Unikate, denn jede Adresse ist mit einer einzigartigen Kontaktgeschichte und einem bestimmten Kontext verknüpft. Das Profil jeder sozialen Adresse ist grundsätzlich polykontextural, das bedeutet, das Profil der sozialen Adresse ist reichhaltiger als der Kontext, der in der individuellen Kontaktgeschichte enthalten ist.170 Ausgangspunkt für die Netzwerkbildung sind die individuellen Adressbücher. Die Auslösung (engl. trigger) der Bildung einer Netzwerkbeziehung ist die Mobilisierung einer sozialen Adresse des eigenen individuellen Adressbuches in einem kontextübergreifenden Zusammenhang. Es wird um eine Leistung gebeten, die nicht im Zusammenhang mit dem Kontext der Kontaktgeschichte steht. Wird diese Leistung von der mobilisierten Adresse erbracht, so entsteht auf deren Seite eine Erwartung der Gegenleistung, die zunächst weder zeitlich noch sachlich bestimmt ist. Die eingeforderte Gegenleistung kann ebenfalls kontextübergreifend sein und das gesamte polykontexturale Profil des Beziehungspartners ansprechen.171
169
Vgl. hier und im Folgenden Bommes/Tacke, 2006. Vgl. ebenda, S. 45-46. 171 Vgl. ebenda, S. 46-47. 170
4.1 Netzwerktheorie
55
Ein Netzwerk ist dann ein System aus Akteuren, die durch reziproke Verpflichtungen verbunden sind, die zeitlich und sachlich unbestimmt sind. Ein Set an Beziehungen zwischen Akteuren, deren Reziprozitätserwartungen stets an den selben Kontext geknüpft sind, stellt demnach kein Netzwerk dar. Eine Kooperationsbeziehung ist noch keine Netzwerkbeziehung. Reine Adresszusammenhänge, die aus Verweisen von technischen, kategorialen oder individuellen Adressen bestehen, werden auch nicht als Netzwerke angesehen.172 Dazu gehören bspw. auch die im alltäglichen Sprachgebrauch sogenannten „Kontaktnetzwerke“ oder „Bekanntennetzwerke“. Kontaktnetzwerke oder Bekanntennetzwerke sind laut diesem systemtheoretischen Ansatz individuelle Adressbücher (aus Ego-Perspektive) bzw. kategoriale Adresszusammenhänge (aus Kollektivperspektive). Darin unterscheidet sich dieser systemtheoretische Ansatz vom rein methodischen Netzwerkansatz. Mit der methodischen Netzwerkperspektive können grundsätzlich alle Verweise und Zusammenhänge als Netzwerk modelliert werden. Die Reziprozität der Beziehungen ist ein notwendiges, aber kein hinreichendes Merkmal für ein Netzwerk. Die hinreichende Bedingung ist, dass die Reziprozität in Netzwerken nicht auf dem Äquivalenzprinzip basiert, sondern auf zeitlicher und sozialer Asymmetrie. Das bedeutet, dass Inhalt, Ausmaß und Zeitpunkt der Gegenleistungen unspezifiziert sind.173 Der Anreiz zur Netzwerkbildung liegt in der Herstellung unwahrscheinlicher Kombinationen von Möglichkeiten.174 Die zeitliche und vor allem sachliche Unbestimmtheit der Reziprozitätserwartung stellt eine Take-off-Schwelle für die Etablierung des Netzwerkes dar. Jedes Netzwerk unterliegt einer Expansionstendenz und damit auch der Gefahr der Hypertrophie, das heißt der Ausuferung der Reziprozitätserwartungen. Wird 172
Vgl. ebenda, S. 46. Vgl. ebenda, S. 47. 174 Vgl. ebenda, S. 52. 173
56
4 Theoretische Vorüberlegungen
diese Unbestimmtheit nicht akzeptiert, weil potenzielle Netzwerkpartner vor der Expansionsgefahr zurückschrecken, oder werden Reziprozitätserwartungen nicht erfüllt, so zerfällt das Netzwerk kurz nach dem Anlaufen und kann sich nicht etablieren.175 Das Netzwerk kann die Expansionstendenz durch eine initiale Selbststrukturierung begrenzen, indem es sich selbst eine sachliche Reichweite definiert. Durch Abgrenzung der sachlichen Reichweite wird auch die Menge der sozialen Adressen, die als potenzielle Netzwerkpartner in Frage kommen, eingeschränkt.176 Diese Selbststrukturierung wird permanent implizit kommuniziert. Die nach außen gerichtete Selbstdarstellung des Netzwerkes kann sich von der impliziten Kommunikation unterscheiden.177 Die Erweiterung des Netzwerkes ist eine Ausbalancierung von Varianz und Redundanz. Die Aufnahme neuer Mitglieder mit sehr varianten Profilen eröffnet neue Möglichkeiten der Kombination hochspezifischer Leistungen. Schließung und Begrenzung erhöhen dagegen das Vertrauen an die Bindung der Reziprozitätsverpflichtungen.178 4.1.4 Netzwerkmanagementansatz Der Netzwerkmanagementansatz betrachtet Netzwerke als eine spezielle Organisationsform der Kooperation zwischen relativ autonomen Organisationen bzw. Organisationseinheiten.179 Dabei konzentriert sich die Netzwerkmanagementforschung auf die Unternehmensnetzwerke. Der Netzwerkmanagementansatz definiert den Netzwerkbegriff also enger als der Strukturansatz.
175
Vgl. ebenda, S. 46. Vgl. ebenda, S. 49. 177 Vgl. ebenda, S. 53. 178 Vgl. ebenda, S. 51-52. 179 Vgl. Sydow, 2003a, S. 1. 176
4.1 Netzwerktheorie
57
„Interorganisationale Netzwerke können als eine intermediäre Organisationsform ökonomischer Aktivitäten zwischen Markt und Hierarchie definiert werden, die sich durch komplex-reziproke, eher kooperative denn kompetitive und relativ stabile Beziehungen zwischen rechtlich selbstständigen, wirtschaftlich jedoch zumeist abhängigen Unternehmungen auszeichnet.“180 Aufgrund der relativen Autonomie der Netzwerkpartner ist das interorganisationale Netzwerk ein polyzentrisches System, dessen Entwicklung sich als Ergebnis weitestgehend dezentral getroffener Entscheidungen darstellt. 181 Netzwerkmanagement bezeichnet im funktionalen Sinne die Praktiken, mit denen versucht wird, die Netzwerkentwicklung reflexiv zu steuern.182 Das bedeutet für das strategische Management, dass neben den Strategien, die sich auf die eigene Organisation beziehen, auch kollektive Strategien formuliert und implementiert werden müssen.183 Netzwerkmanagement kann die Evolution des Netzwerkes entscheidend beeinflussen, aber nicht gänzlich steuern, denn Netzwerke entfalten emergente Eigenschaften, die unintendiert sein können.184 Grundsätzlich geht es beim Netzwerkmanagement um die Ausbalancierung folgender Spannungsverhältnisse: Autonomie vs. Abhängigkeit, Vertrauen vs. Kontrolle, Kooperation vs. Wettbewerb, Flexibilität vs. Spezifität, Vielfalt vs. Einheit, Stabilität vs. Fragilität, Formalität vs. Informalität, ökonomisches Handeln vs. Herrschaftssicherung.185
180
Sydow, 1992b, S. 248. Vgl. ebenda. 182 Vgl. Sydow/Möllering, 2004, S. 210. 183 Vgl. Sydow, 2003b, S. 294. 184 Vgl. Sydow/Möllering, 2004, S. 210. 185 Vgl. Sydow, 2003b, S. 300. 181
58
4 Theoretische Vorüberlegungen
Dabei spielt das Verhältnis von Wettbewerb und Kooperation eine besondere Rolle. Grundsätzlich überwiegt in Netzwerken die Kooperation, es sind aber immer marktliche Wettbewerbsmomente enthalten. In vertikalen Beziehungen wird der Wettbewerb als Option immer mitgeführt, die Beziehungen werden regelmäßig einem Markttest unterworfen. Der Wettbewerb kann auch durch die Aufnahme mehrerer Netzwerkteilnehmer der gleichen horizontalen Stufe (in der englischen Notation: dual-sourcing) geschürt werden. Darüber hinaus koexistieren Wettbewerb und Koordination auf verschiedenen Ebenen, zum Beispiel in verschiedenen Geschäfts- oder Funktionsbereichen. Das Netzwerkmanagement umfasst grundsätzlich vier Funktionen:186 • Selektionsfunktion: Beim initialen Netzwerkaufbau geht es um die Festlegung der Netzwerkdomäne, das heißt des Inhaltes und Umfanges der Kooperation, und um die Selektion möglicher Netzwerkpartner. Beim kontinuierlichen Netzwerkmanagement geht es um die fortwährende Re-Selektion (Bestätigung) bewährter Netzwerkpartner und De-Selektion (Ausschluss) von Netzwerkpartnern. • Allokationsfunktion: Diese Funktion beinhaltet die initiale Allokation und kontinuierliche Re-Allokation von Aufgaben, Ressourcen, Zuständigkeiten und Verantwortungen. • Regulationsfunktion: Diese Funktion beinhaltet die initiale Entwicklung, Weiterentwicklung und Durchsetzung von Regeln für die Zusammenarbeit im Netzwerk. Dazu gehören vertragliche Vereinbarungen, Regeln zur Konflikthandhabung, die Festlegung eines interorganisationalen Informationssystems und die Regelung der Speicherung organisationsübergreifenden Wissens. Dazu gehört aber auch die Entwicklung von Anreizsystemen, „[...] die über markttypische Anreize und Sanktionen hinausgehen, den längerfristigen Einsatz für das Netzwerk, also für das Kollektiv, entlohnen sowie Kooperation und Wettbewerb, Autonomie und Abhängigkeit sowie Vertrauen und Kontrolle im Netzwerk ausbalancieren helfen.“ 186
Vgl. hier und im folgenden Sydow/Möllering, 2004, S. 211-212 und Sydow, 2003b, S. 296-298.
4.1 Netzwerktheorie
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• Evaluationsfunktion: Die Evaluation erstreckt sich sowohl auf das gesamte Netzwerk, als auch auf einzelne Beziehungen und die Leistungsbeiträge einzelner Netzwerkmitglieder. Sie beinhaltet die kontinuierliche Bewertung der Aktivitäten durch Monitoring oder formale Evaluation. Eine besondere Form von interorganisationalen Netzwerken sind Projektnetzwerke. Projektnetzwerke sind dadurch gekennzeichnet, dass die Unternehmen im Rahmen eines Projektes, das per definitionem zeitlich begrenzt ist, temporär kooperieren, die Geschäftsbeziehungen aber über das einzelne Projekt hinausreichen. Die Koordination in Projektnetzwerken ist ein rekursives Zusammenspiel projektbezogener und projektübergreifender Aktivitäten und Beziehungen. Die Projektbeziehungen bleiben nach Abschluss des Projektes latent vorhanden, bei einem neuen Projekt kann sofort wieder an diese Beziehungen angeknüpft und somit in kurzer Zeit eine funktionierende Projektorganisation aufgebaut werden. Die positiven oder negativen Erfahrungen aus der Zusammenarbeit des abgeschlossenen Projektes bilden die Erwartungen für zukünftige Projekte und die Basis für die Reproduktion der Projektstrukturen.187 Die Aufgabe des Managements besteht darin, zu erkennen, ob ein Projektnetzwerk vorliegt, und dementsprechend die Funktionen des kurzfristig orientierten Projektmanagements mit denen des langfristig orientierten Netzwerkmanagements zu kombinieren.188 Die Herausforderungen an das Management von Projektnetzwerken sind besonders relevant für den Bereich der Gründungsförderung. Schließlich sind alle Gründungsförderprogramme zeitlich befristet, so dass man jedes Förderprogramm als Projekt sehen kann. Letztlich ist aber auch die Förderung jeder einzelnen Gründung ein einzelnes Projekt. Das bedeutet, dass innerhalb eines Förderprogrammprojektes eine Vielzahl von Teilprojekten existiert.
187 188
Vgl. Sydow/Windeler, 1999, S. 220. Vgl. ebenda, S. 225-226.
60
4 Theoretische Vorüberlegungen
4.2 Entrepreneurship-Theorie 4.2.1 Der theoretische Bezugsrahmen von Scott Shane Das 2003 von Scott Shane veröffentlichte Werk „A General Theory of Entrepreneurship“189 präsentiert nicht, wie der Titel verheißt, eine wirkliche allgemeine Theorie, sondern vielmehr einen theoretischen Bezugsrahmen. Das Werk ist in der Entrepreneurship-Forschung weithin anerkannt, denn es gelingt dem Autor die Synthese eines sehr großen Teils der einflussreichsten theoretischen und empirischen Studien zu einem einheitlichen und kohärenten Bezugsrahmen.190 Dieser Bezugsrahmen stellt in der internationalen Entrepreneurship-Forschung das zur Zeit vorherrschende Paradigma dar.191 Der Bezugsrahmen von Shane wurde vor allem deshalb ausgewählt, weil er sich hauptsächlich auf volkswirtschaftliche Basistheorien stützt. Dabei gelingt es ihm, einen enormen Teil der empirischen Ergebnisse der Gründungsforschung in einen volkswirtschaftlichen Bezugsrahmen einzuordnen und mithilfe volkswirtschaftlicher Variablen und Termini zu interpretieren.192 Die Grundbausteine des Bezugsrahmens verzichten auf einen eklektischen Ansatz, sondern beziehen sich auf wenige Variablen, die einen hohen Abstraktionsgrad besitzen. Dieses ist von Vorteil für die Bearbeitung der Forschungsfrage, denn die bedeutendsten Netzwerktheorien zeichnen sich ebenfalls durch einen hohen Abstraktionsgrad aus. Die ökonomische Welt, die Shane zugrunde legt, ist geprägt von: • asymmetrischer Informationsverteilung, • individuellen Unterschieden der Akteure in Bezug auf die Wahrnehmung und Verarbeitung von Informationen, • permanenten technologischen, politischen, sozialen und demografischen Veränderungen, • unsicheren Zukunftserwartungen. 189
Vgl. hier und im Folgenden Shane, 2003. Vgl. Casson, 2005, S. 423; oder auch Fallgatter, 2004, S. 32. 191 Vgl. Grichnik, 2006, S. 1304. 192 Vgl. Casson, 2005, S. 429. 190
4.2 Entrepreneurship-Theorie
61
In dieser Welt entstehen Entrepreneurial Opportunities, definiert als Situationen, in denen eine Person glaubt, durch die Rekombination von Ressourcen einen Profit erwirtschaften zu können.193 Der Begriff Entrepreneurial Opportunity ließe sich etwa als unternehmerische Chance übersetzen. Jede Übersetzung unterliegt aber der Gefahr, wichtige Nuancen zu verwässern. Der Begriff Entrepreneurial Opportunity ist in der internationalen EntrepreneurshipForschung ein weithin anerkannter Schlüsselbegriff und soll deshalb nicht übersetzt werden. Entrepreneurship wird von Shane wie folgt definiert: „Entrepreneurship is an activity that involves the discovery, evaluation and exploitation of opportunities to introduce new goods and services, ways of organizing, markets, processes, and raw materials through organizing efforts that previously had not existed.“194 Damit definiert Shane den Begriff Entrepreneurship recht weit und konzentriert sich nicht nur auf Existenzgründungen. Die wichtigsten Annahmen des Bezugsrahmens lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1. Entrepreneurial Opportunities existieren objektiv und sind nicht nur kognitiv sozial konstruiert.195 2. Ursache für die Entdeckung und Bewertung von Entrepreneurial Opportunities sind unterschiedliche Zugänge der Individuen zu Informationen und unterschiedliche Fähigkeiten der Individuen, diese Informationen zu verarbeiten.196 Die Idee, dass Opportunities objektiv existieren, aber die Wahrnehmung der Opportunities subjektiv ist, geht bis auf Hayek zurück.197 3. Entrepreneurship beinhaltet immer eine Form von Innovation. Die Innovation kann sich auf neue Produkte und Dienstleistungen, neue Wertschöpfungsprozes193
Vgl. Shane, 2003, S. 18. Ebenda, S. 4. 195 Vgl. ebenda, S. 6. 196 Vgl. ebenda, S. 7; Vgl. Shane/Venkataraman, 2000, S. 222. 197 Vgl. Casson, 2005, S. 424. 194
62
4 Theoretische Vorüberlegungen
se, neue Organisationsprozesse, die Verwendung neuer Rohmaterialen oder die Schaffung neuer Märkte beziehen. Es geht per definitionem nicht um die perfekte Imitation dessen, was vorher schon existiert hat.198 Das Individuum kreiert eine neue subjektive Kausaltheorie über Zweck-Mittel-Beziehungen (engl. new means-ends framework), die erklären, warum eine Rekombination von Ressourcen einen Profit ermöglichen soll. Damit unterscheidet sich Entrepreneurship von der Optimierung, die innerhalb bestehender Zweck-MittelTheorien erfolgt.199 4. Entrepreneurship bedarf der Entscheidung einer Person zur Handlung. Opportunities werden nicht automatisch ausgebeutet „[...] because opportunities themselves lack agency.“200 Die Entscheidung, die Opportunity auszunutzen, ist eine Entscheidung unter Unsicherheit. Mit der Produktion neuer Güter und Dienstleistungen und mit der Rekombination von Ressourcen werden neue Märkte geschaffen bzw. bestehende Märkte aktiv gestaltet. Diese neuen Zukunftsmärkte können nicht genau prognostiziert werden, so dass sich kein objektives Risiko ermitteln lässt. Die ex-ante Profitabilität der Opportunity hat den Charakter einer subjektiven Hypothese, die beim Marktzutritt einer empirischen Prüfung unterzogen wird. Verschiedene Individuen treffen bei gleichen Zielen und Informationen unterschiedliche Entscheidungen, wenn unterschiedliches Wissen, Erfahrungen und Sozialisation der Individuen dazu führen, dass die subjektiven Theorien über die Profitabilität der Opportunity divergieren.201 Die Idee einer asymmetrischen Informationsverteilung und unterschiedlicher Verarbeitung der Information als notwendige Voraussetzung für die Erklärung von Entrepreneurship entstammt der Entrepreneurship-Theorie von Casson.202
198
Vgl. Shane, 2003, S. 8. Vgl. ebenda, S. 43. 200 Ebenda, S. 7. 201 Ebenda, S. 43. 202 Vgl. Casson, 1982. 199
4.2 Entrepreneurship-Theorie
63
„[...] the concept of choice, and hence of decision-making, is central to economic theory. A judgemental decision is one where different individuals, sharing the same objectives and acting under similar circumstances, would make different decisions. The difference arises because they have different perceptions of the situation arising from different access to information, or different interpretation of it.“203 Im Grunde lassen sich sowohl Shanes Bezugsrahmen als auch die Theorie von Casson auf die Rational-Choice-Theorie in Verbindung mit asymmetrischer Information zurückführen. Shane beruft sich nicht explizit auf die RationalChoice-Theorie, aber aus seiner Abhandlung über die Einflussfaktoren auf die Entscheidung bezüglich Opportunity Exploitation lässt sich die volkswirtschaftliche Perspektive erkennen: „Consequently, when people make a decision to exploit an entrepreneurial opportunity, they do so because they believe that the expected value of exploitation (both monetary and psychic) exceeds the opportunity costs of alternative uses of their time plus the premiums that they would like for bearing uncertainty and illiquidity. The entrepreneur is more likely to exploit an opportunity, the greater is the value that she expects to receive from exploitation.”204 Die Entscheidung, ob die identifizierte Opportunity weiterverfolgt und ausgenutzt werden soll, lässt sich also unter Anwendung der Erwartungsnutzentheorie wie folgt erklären: Ein Individuum wird sich dann für die Ausbeutung der Opportunity entscheiden, wenn die Erfolgsaussichten in Bezug auf die Erreichung der persönlichen Ziele besser als bei anderen Alternativen sind. Die Erfolgsmaße lassen sich theoretisch auf einen einzigen Wert normieren: der Barwert des erwarteten Nutzens aus der Gründung. In diesem Barwert sind auch die Zielerreichungsgrade aller nicht-pekuniären Ziele enthalten. Der Barwert 203 204
Ebenda, S. 24. Shane, 2003, S. 62. Mit dieser Kernthese bezieht sich Shane auf Venkataraman, vgl. Venkataraman, 1997.
64
4 Theoretische Vorüberlegungen
berücksichtigt ferner eine Prämie für das Ertragen von Unsicherheit und Illiquidität205 sowie die Zeitpräferenzrate des Individuums. Die Entscheidung fällt genau dann zu Gunsten der Ausbeutung der Opportunity aus, wenn der erwartete Barwert größer als bei anderen Alternativen ist. Die Erwartungsnutzentheorie ist aber wiederum der Kern der Rational-Choice-Theorie. Die Erklärung der Entscheidung zur Ausbeutung der Opportunity durch die Rational-Choice-Theorie bedeutet nicht automatisch, dass kollektive Phänomene wie beispielsweise der Einfluss der Sozialstruktur ausgeblendet werden.206 Der Entrepreneurial Prozess besteht nach Shane aus folgenden Komponenten: • Identifizierung und Bewertung einer Opportunity, • Entscheidung, diese Opportunity auszubeuten, • Akkumulation von Ressourcen, • Rekombination der Ressourcen durch die Erschaffung einer neuen Organisation oder durch andere Marktmechanismen.207 Dieser Entrepreneurial Prozess ist kein einmaliger Prozess, der nur während der Gründung vollzogen wird. Entrepreneurial Prozess und Gründungsprozess sind keine deckungsgleichen Konzepte. Würde man das Modell des Entrepreneurial Prozesses nach Shane als eindimensionalen Gründungsprozess verstehen, so fehlt dem Modell eigentlich ein wichtiger Prozessschritt, nämlich der Zugang und die Etablierung auf dem Markt. Folgt man dagegen der Argumentation Cassons, so stellen die „market-making activities“ die eigentliche Essenz der „entrepreneurial activities“ dar208, das heißt dass der Zugang zum Markt und die Etablierung auf dem Markt in dem Konstrukt der Entrepreneurial Opportunity bereits enthalten sind. Die Opportunity
205
Vgl. Shane/Venkataraman, 2000, S. 223. Vgl. Fallgatter, 2004, S. 35. 207 Vgl. Shane, 2003, S. 10. 208 Vgl. Casson, 1982. 206
4.2 Entrepreneurship-Theorie
65
ist also mehr als nur eine Produkt- oder Dienstleistungsidee, sondern vor allem eine Marktabsatzchance. Der Entrepreneurial Prozess wird demnach auch nach der Gründung immer wieder von neuem vollzogen, denn Markt und Umwelt unterliegen dem dynamischen Wandel, durch den permanent neue Opportunities entstehen und den Wert der existierenden Opportunities verändern. 4.2.2 Die Gründungsentscheidung 4.2.2.1 Der Gründungsprozess als Entscheidungsprozess Der Gründungsprozess ist vor allem ein Entscheidungsprozess. „Die Existenzgründung bedarf einer expliziten Entscheidung, der Entscheidung Unternehmer zu werden.“209 Braukmann definiert drei Stufen der Entscheidungsfindung.210 Stufe 1 des Entscheidungsprozesses nennt er die Erreichung einer Gründungssensibilisiertheit: „Eine Gründungssensibilisiertheit ist dann erreicht, wenn die Adressaten sich für eine erste systematische und nachhaltige (kognitive, affektive und sozial-kommunikative) Auseinandersetzung mit der (bzw. Erschließung für die) Existenzgründungsthematik bereit erklären.“ 211 Stufe 2 des Prozesses ist die Erreichung der Gründungsmündigkeit, „[...] wenn die Adressaten über eine Grundqualifizierung zur bewussten und begründeten Entscheidung für die Aufgabe oder Weiterverfolgung des Ziels einer weiteren Gründungsqualifizierung (bzw. des Ziels einer Realisierung einer Gründungsidee) befähigt sind.“ 212
209
Vgl. Walger/Schencking, 2003, S. 39. Vgl. hier und im Folgenden Braukmann, 2003, S. 191-192. 211 Ebenda, S. 191. 212 Ebenda, S. 192. 210
66
4 Theoretische Vorüberlegungen
Die Gründungskompetenz als 3. Stufe „[...] ist dann erreicht, wenn Adressaten ein gegebenenfalls nicht unerhebliches konkretes Risiko bewusst abwägen und übernehmen und Gründungen ökonomisch begründet konzipieren, beurteilen sowie implementieren können.“ 213 Die von Braukmann beschriebenen drei Stufen sind der Entscheidung selbst vorgelagert. Es gibt also einen Weg, der beschritten werden muss, um überhaupt zu einer Entscheidung zu gelangen. Der Entscheidungsprozess setzt nicht erst mit der Ziel- und Handlungsfelddefinition ein, sondern beginnt schon vorher bei der Erlangung einer Entscheidungskompetenz. Es gibt also diskontinuierliche Phasenübergänge zwischen verschiedenen Entscheidungsstadien, so dass der Prozess nicht umkehrbar ist. Ein für die Gründungsthematik sensibilisiertes Individuum wird nie wieder in den Zustand des Ignorierens zurückversetzt und unwiderrufbar bis zum Ende des Arbeitslebens die Gründung stets als mögliche Alternative des Erwerbs betrachten. Die Probleme bei der Definition des Gründungsvorhabens sind aber „[...] zumeist schlecht strukturierte, komplexe Probleme, gekennzeichnet durch Informationsdezentralisation und -asymmetrie, polypersonelle Macht- und Interessenverteilung, inkonsistente, inkohärente und fallible Informationen sowie dynamische und offene Umweltentwicklungen.“214 Die Entscheidung ist also mit hohen Kosten verbunden. Kosten entstehen auf jeden Fall im Sinne von Mühe, das heißt aufgewandter Zeit; gegebenenfalls entstehen auch Kosten, die mit Ausgaben verbunden sind. Die Mühen für die Akkumulation von Ressourcen nach getroffener Entscheidung sollten in der Entscheidung als Parameter des Entscheidungsfeldes antizipiert sein, die Mühen vor der Entscheidung sind dagegen notwendig, um überhaupt eine Entscheidung treffen zu können.
213 214
Ebenda, S. 192. Zacharias, 2001, S. 45.
4.2 Entrepreneurship-Theorie
67
Dabei ist die Entscheidung ein iterativer, unendlicher Prozess. Eine negative Entscheidung, das heißt zu Ungunsten der Gründung, lässt das Individuum in der Entscheidungsphase verweilen. Das ergibt sich aus dem Modell der diskontinuierlichen Stufen, der verschiedenen Stadien, die das Individuum durchläuft. Sobald eine bewusste Zielsetzung und Auseinandersetzung mit der Alternative „Selbstständigkeit“ erfolgt ist, bleibt man in einem Stadium, in dem diese Alternative stets präsent bleibt. Erst wenn man sich gründet, verlässt man diesen Kreislauf. Man kann aber nicht mehr in das Vorstadium zurücktreten, indem die Gründungssensibilisiertheit noch nicht erfolgt war. Dieser andauernde Entscheidungsprozess mit der ständigen Neubewertung der Alternativen ist die eigentliche Voraussetzung für die Beeinflussbarkeit der Entscheidung, denn eine zunächst negativ getroffene Entscheidung kann ständig revidiert werden, wenn sich das Entscheidungsfeld verändert. Im Rahmen des Entscheidungsprozesses existiert die Umsetzungsphase nur virtuell, denn alle Einflussfaktoren der Umsetzungsphase werden bereits in der Entscheidungsphase antizipiert. Die reale Umsetzungsphase gehört nicht mehr zum Entscheidungsprozess. Allein relevant ist, was vor der Entscheidung antizipiert wird und damit das Entscheidungsergebnis determiniert. Die Determinanten der Entscheidung sind die Erfolgsfaktoren des zu gründenden Unternehmens. Die Gründungswahrscheinlichkeit ist also eine Funktion des erwarteten Erfolges. Der erwartete Erfolg im Sinne des persönlichen Zielerreichungsgrades ist hierbei identisch mit dem erwarteten Erfolg des geplanten Unternehmens, wenn man neben den objektiven Erfolgsindikatoren (Gewinn, Umsatz etc.) auch subjektive Erfolgsfaktoren betrachtet (Arbeitszeiten, Zufriedenheit etc.). Erfolgsfaktoren ergeben sich aus der Quantität und Qualität der Ressourcen und den Umweltbedingungen. Die Umwelt tritt zum einen in Form von Restriktionen auf, und zwar sowohl als invariante als auch als gestaltbare Restriktionen des Handlungsspielraumes215, zum anderen tritt die Umwelt in Form von invarianten und gestaltbaren Kausalbeziehungen zwischen Handlung 215
Vgl. Saßmannshausen, 2001, S. 127.
68
4 Theoretische Vorüberlegungen
und Ergebnis auf. Die folgende Abbildung veranschaulicht diesen Zusammenhang.
Entscheidung
Antizipation
Ressourcen Handlung Restriktionen
Konsequenzen
Erfolgsfaktoren
Umfeld
Abbildung 2: Der Gründungsprozess als Entscheidungsprozess
Daraus lassen sich bereits an dieser Stelle Ableitungen für die Gründungsförderung anstellen. Gründungsförderung ist in diesem Zusammenhang definiert als die ex ante positive Beeinflussung der Alternative Existenzgründung. Für die Definition konstituierend ist nicht das Stadium, in dem die Fördermaßnahmen greifen, denn die Gründungsförderung unterstützt – ex post betrachtet – oftmals erst die bereits entschlossenen Gründer oder sogar schon die tatsächlich gegründeten selbstständigen Existenzen. Wichtig ist nur, dass die in Aussicht gestellten Fördermaßnahmen das Ex-ante-Entscheidungskalkül beeinflussen. Eine Förderung, die dem Individuum erst nach der Entscheidungsfindung bekannt gemacht wird, hat in diesem Zusammenhang keinen Einfluss auf die Gründungsneigung und produziert allenfalls Mitnahmeeffekte. Die Effektivität der Gründerfördermaßnahmen hängt also davon ab, dass sie in Quantität und Qualität den potenziellen Gründern vor deren Entscheidungsfindung bekannt ist.
4.2 Entrepreneurship-Theorie
69
4.2.2.2 Das Entscheidungsfeld Die Entscheidung setzt sich aus mehreren Einzelentscheidungen zusammen. Schulz bspw. weist darauf hin, dass die Gründungsentscheidung simultane Entscheidungen über die Beschäftigungsarten und die Verwendung von Vermögen beinhaltet.216 Doch man muss das Entscheidungsproblem noch weiter aufschlüsseln. Die Entscheidung besteht eigentlich aus fünf Teilentscheidungen: 1. der Entscheidung über die Investition in ein Unternehmen als eine Form der Verwendung von Vermögen: a. Investition tätigen, das heißt Unternehmensteilhabe (engl. business ownership) anstreben oder b. keine Unternehmensteilhabe (engl. business ownership) anstreben 2. der Entscheidung über die Art der Beschäftigung: a. selbstständig oder b. unselbstständig 3. der Entscheidung über die Art von Unternehmen, in der man arbeiten möchte a. neugegründetes Unternehmen (engl. start-up) b. etabliertes Unternehmen 4. der Entscheidung über den Standort, an dem man arbeiten und leben möchte 5. der Entscheidung über den Zeitpunkt im Lebenszeit-Karriereplan Zu 1.-3.): Die empirischen Belege sprechen dafür, dass Absolventen eine Präferenz für unselbstständige Beschäftigung in großen Unternehmen haben, die sie mit Sicherheit, Trainingsmöglichkeiten und Karriereentwicklungsmöglichkeiten assoziieren.217 Es ergibt sich aber bspw. trotz der Entscheidung für eine unselbstständige Beschäftigung auch die Alternative, dieser Arbeit in einem Start-up nachzu216 217
Vgl. Schulz, 1995. Vgl. Westhead et al., 2001, S. 179.
70
4 Theoretische Vorüberlegungen
kommen, wenn das Individuum die dortigen Arbeitsbedingungen bevorzugt. Ebenso können abhängig Beschäftigte in andere Unternehmen als Teilhaber investieren. Wenn dieses investierte Geld für Unternehmensneugründungen verwendet wird und die Kapitalgeber nicht nur unternehmerisches Risiko tragen, sondern im Rahmen ihrer Rechte und Pflichten auch unternehmerische Entscheidungen treffen, so wären diese Personen zwar nicht in der obigen Definition der Existenzgründer einbezogen, aber nahe am Kontext. Man könnte unternehmerische Anteilseigner an Gründungen als Existenzgründer im erweiterten Sinne bezeichnen. Das trifft besonders auf sog. informelle Investitionen zu, bei denen Privatpersonen in nicht börsengelistete Gesellschaften investieren. Als Ergebnis einer empirischen Untersuchung zum Entscheidungsverhalten solcher informeller Investoren plädiert Landström dafür, diese Investoren nicht nur als reine Financiers sonders ebenfalls als Entrepreneure oder zumindest als CoEntrepreneure zu betrachten.218 Davon abgesehen gibt es noch die Alternative der Nebenerwerbsselbstständigkeit. Laut KfW-Gründungsmonitor waren 2003 die Hälfte aller Gründer Nebenerwerbsgründer, von denen aber ein Drittel plante, die Selbstständigkeit zur Vollerwerbstätigkeit auszubauen.219 Diese Diskussion soll veranschaulichen, dass abhängige Beschäftigung und Existenzgründung keine isolierten Alternativen sind, sondern in der Realität Mischformen existieren, in denen Individuen zum Teil in den Gründungsprozess und die Managementverantwortung eingebunden sind, ohne selbst als Gründer aufzutreten.220 Eine Entscheidung für die originäre Existenzgründung ist also eine Entscheidung für eine selbstständige Tätigkeit in einem Start-up-Unternehmen, an dem man selbst beteiligt ist (1a+2a+3a).
218
Vgl. Landström, 1998, S. 328-330. Vgl. Denzin/Lincoln, 1994. 220 Zum gleichen Schluss, aber durch eine andere Systematik kommen auch Nicolaou/Birley, 2003b, S. 1703-1704. 219
71
4.2 Entrepreneurship-Theorie
Die nächste Abbildung veranschaulicht die Entscheidungsanalyse anhand eines Entscheidungsbaumes:
keine business ownership
abhängig beschäftigt in einer Neugründung abhängig beschäftigt in einem etablierten Unternehmen
mit einer Neugründung
Entscheidung selbstständig
mit einem etablierten Unternehmen (Nachfolge, MBI, MBO)
business ownership abhängig beschäftigt in einer Neugründung
abhängig beschäftigt in einem etablierten Unternehmen
Abbildung 3: Der Aktionsraum im Entscheidungsfeld
Zu 4. und 5.): In zeitlicher Dimension ist die Entscheidung eines Studierenden oder Wissenschaftlers, sich mit einer Gründung selbstständig zu machen, ein Bestandteil der übergeordneten Entscheidung über einen einzuschlagenden Karriereweg.221 Auch Schulz fordert, „[...] die Selbstständigkeitsentscheidung in ein Lebenszyklusmodell einzubetten“.222 221 222
Vgl. Wagner, 2006. Schulz, 1995, S. 107.
72
4 Theoretische Vorüberlegungen
Walger/Schencking konstatieren: „Damit ist der Existenzgründer in der Gründungsentscheidung vor eine Entscheidung gestellt, die sein ganzes Leben betrifft und verändert. In diesem Sinne ist die Entscheidung sich selbstständig zu machen existenziell.“223 Typischerweise erfolgt der Schritt in die Selbstständigkeit nicht direkt im Anschluss an das Studium, sondern erst nach einer Phase der Berufspraxis. Die Zeitspanne zwischen Hochschulabschluss und dem Eintritt in die Selbstständigkeit durch eine Existenzgründung beträgt dabei im Schnitt 10 Jahre. Hauptgründe für den zeitlichen Abstand zur Hochschulausbildung sind die Aneignung von gründungsnotwendigem Praxiswissen und die Akkumulation der notwendigen Eigenkapitalausstattung.224 Auch bei akademischen Spinoffs liegt in drei Vierteln der Fälle eine Zeitspanne zwischen Ausscheiden aus dem Wissenschaftsbetrieb und der Gründung eines Unternehmens. Bei 30% der Verwertungs-Spinoffs und bei 50% der Kompetenz-Spinoffs beträgt diese Zeitspanne sogar mehr als fünf Jahre.225 Analog ermittelt der Global Entrepreneurship Monitor auch in der Grundgesamtheit der Bevölkerung die höchste Gründungsaktivität in der Alterskohorte 35–44 Jahre.226 In räumlicher Dimension ist die Lage ambivalent. Die Gründung wird eher am Hochschulstandort erfolgen, wenn sie direkt nach dem Hochschulabschluss bzw. als Ausgründung aus der Tätigkeit im Wissenschafts- und Hochschulbereich erfolgt.227
223
Walger/Schencking, 2003, S. 47. Vgl. Kulicke/Görisch, 2003, S. 171. 225 Vgl. Egeln et al., 2002, S. 27. 226 Vgl. Sternberg et al., 2003, S. 15. 227 Siehe Kapitel 2.4. 224
4.2 Entrepreneurship-Theorie
73
4.2.2.3 Die Rolle der Motivation “Consequently, we are left with theories of entrepreneurship that do not consider variation in the motivations of different people.”228 Die Motivation, definiert als das Anstreben von Zielzuständen229, wirkt sich wie folgt auf das Entscheidungsmodell aus: In der dem eigentlichen und bewussten Entscheidungsprozess vorgelagerten prädezisionalen Phase werden die Motive und Ziele des Individuums gebildet. Erst nach der Transformierung von Motiven in konkrete Zielvorstellungen beginnt die bewusste Auseinandersetzung mit der Alternative der selbstständigen Unternehmensgründung. Das Ende der prädezisionalen Phase entspricht der Erreichung der Gründungssensibilisiertheit des Braukmann-Schemas und ist damit der Startpunkt des Entscheidungsmodells. Shane/Locke eröffnen darüber hinaus eine neue Perspektive: “We suggest that some or all of the motivations influence the transition of individuals from one stage of the entrepreneurial process to another.”230 Führt man diesen Gedanken weiter, so kann man die Motivation als die notwendige Energiemenge ansehen, die den langwierigen Entrepreneurial Prozess am Laufen hält. Die Motivation wird durch Anreize ausgelöst. Anreize sind „ [...] Elemente einer Situation, die dazu geeignet sind, die Motive einer Person zu aktivieren. Anreize sind notwendig für die Verhaltenswirksamkeit von Motiven. Sie aktivieren die Motive einer Person, indem sie die Realisierung ihrer persönlichen Ziele in Aussicht stellen. Anreize wirken somit verhaltensauslösend: Sie fordern zum Handel auf und geben ihm eine Richtung.“ 231
228
Shane et al., 2003, S. 258. Vgl. Heckhausen, 1980, S. 172-173. 230 Shane et al., 2003, S. 275. 231 Jost, 2000, S. 79. 229
74
4 Theoretische Vorüberlegungen
Die Gruppe derjenigen, die grundsätzlich an einer Selbstständigkeit interessiert und dem Unternehmertum gegenüber positiv eingestellt sind, ist dabei relativ groß. Bei Studierenden sind insgesamt 40% gründungsinteressiert, würden sich also direkt nach dem Studium oder nach fünf Jahren Berufspraxis gerne selbstständig machen.232 Nun stellen sich in Bezug auf die motivationalen Aufgaben im Hochschulkontext zwei Herausforderungen: Erstens nimmt der Anteil der Gründungsinteressierten im Verlauf des Studiums konstant ab, und zweitens investieren nur etwa 9% der Gründungsinteressierten regelmäßig oder intensiv Zeit in das Gründungsthema.233 Dieses Ergebnis überrascht nicht, denn laut Theorie müssen die nur kurzfristig wirkenden Motivationsmaßnahmen immer wieder wiederholt, das heißt Anreize gegeben bzw. verstärkt werden, damit der langfristige Entrepreneurial Prozess dauerhaft Nahrung erhält.
232 233
Vgl. Görisch, 2002a, S. 76. Vgl. ebenda, S. 77.
5 Empirie Wie in Kapitel 3 erörtert, verlangen die Forschungsfragen dieser Arbeit nach einem Mixed-Method-Design. Zunächst wird der Forschungsgegenstand quantitativ-deskriptiv erfasst, um eine quantitative Einschätzung der Relevanz der Forschungsfragen im spezifischen empirischen Kontext zu ermöglichen. Das regionalpolitische Argument zur Legitimation der Gründungsförderung basiert auf der Hypothese, dass akademische Gründer seltener die Hochschulregion verlassen als Absolventen, die eine abhängige Beschäftigung anstreben. Diese Hypothese hat sich bereits mehrfach empirisch bewährt, wurde aber noch nie für die Region Land Brandenburg untersucht. Mit einer statistischen Befragung soll die Relevanz dieses Arguments noch einmal für das Land Brandenburg überprüft werden. Für die Untersuchung des Gründungsförderbedarfes aus Netzwerkperspektive und der Organisation der öffentlichen Gründungsförderung werden qualitative Daten erhoben und ausgewertet. Als Ergebnis entsteht eine Grounded Theory, die im Rahmen dieser Arbeit den theoretischen Bezugsrahmen liefert, auf dem die Entwicklung allgemeiner theoretischer Modelle in Kapitel 6 basiert. 5.1 Quantitative Empirie 5.1.1 Untersuchungsfragen Folgende Forschungsfragen liegen der quantitativen empirischen Untersuchung zu Grunde. 1. Wie hoch ist der Anteil der Alumni, die sich als Unternehmer oder Freiberufler selbstständig gemacht haben? Ziel dieser Frage ist eine quantifizierende Beschreibung des Forschungsgegenstandes. 2. Besteht ein Zusammenhang zwischen der Entscheidung zur Wohnortwahl und der Entscheidung eines Alumnus’, sich als Unternehmer oder Freiberufler selbstständig zu machen? Wenn dieser Zusammenhang besteht, ergibt sich die
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5 Empirie
Relevanz des Forschungsgegenstandes für die Ziele der Regionalpolitik und regionalen Wirtschaftspolitik. Somit würde ein Argument zur Begründung wirtschaftspolitischer Maßnahmen geliefert. 3. Besteht ein Zusammenhang zwischen der Fachrichtung des Studiums/ Promotion/Habilitation und der Entscheidung, sich als Unternehmer oder Freiberufler selbstständig zu machen? Die Frage 3 entspringt einem explorativen, strukturerkennenden Erkenntnisinteresse. 5.1.2 Beschreibung der Grundgesamtheit Die Grundgesamtheit ist (hier) wie folgt definiert: Alumni sind alle Personen, die seit der Gründung der Universität Potsdam im Jahre 1991 (1) mindestens vier Semester an der Universität Potsdam studiert haben, (2) während ihres Studiums, ihrer Promotion oder ihrer Habilitation im Land Brandenburg oder in Berlin gewohnt haben, (3) ihr Studium, ihre Promotion oder ihre Habilitation an der Universität Potsdam abgeschlossen haben, (4) die Universität nach dem Abschluss verlassen haben. Zur Grundgesamtheit gehören gemäß (1) damit keine Gast-Studenten aus dem Ausland, die im Rahmen eines Austauschsemesters oder -jahres an der Universität Potsdam studiert haben. Ebenso fallen gemäß (2) externe Doktoranden und Habilitanden, die eine Fernbetreuung erhielten und deshalb nicht in der Region der Universität Potsdam wohnten, aus der Grundgesamtheit. Die Entscheidung zu dieser Abgrenzung der Grundgesamtheit liegt darin begründet, dass nur die Personen untersucht werden sollen, die mind. zwei Jahre in der Region gewohnt und dadurch einen Bezug zur Region entwickelt haben. Gemäß (3) fallen aus der Grundgesamtheit die Personen, die ein Studium oder eine Promotion/Habilitation abgebrochen haben. Die Studienabbrecher gehören nicht zur Grundgesamtheit akademischer Gründer, also nicht zum Forschungsfeld. Gemäß (3) fallen ebenfalls Personen aus der Grundgesamtheit, die ihr
5.1 Quantitative Empirie
77
Studium an der Universität Potsdam begonnen, ihr Studium aber an einer anderen Universität beendet haben. Diese Entscheidung kann kritisiert werden, schließlich ist es vorstellbar, dass Personen als Alumni mehrerer Hochschulen auch zu mehreren Regionen eine Bindung aufbauen. Die Abgrenzung (4) hat den pragmatischen Hintergrund, dass Personen, die nach dem Studium eine wissenschaftliche Laufbahn an der Universität Potsdam absolviert haben, nicht doppelt als Studienabsolvent und als Promovend gezählt werden. Damit fallen aber gemäß (4) auch alle Gründungen von Professoren der Universität Potsdam aus der Grundgesamtheit heraus. Das liegt daran, dass Professoren, wenn sie die Universität nicht verlassen, mit der Unternehmensgründung keine selbstständige Existenz aufbauen, sie sind stattdessen CoEntrepreneure (siehe Kapitel 4.2.2.2). 5.1.3 Beschreibung der Stichprobe und Datenerhebung Als Datengrundlage für die Stichprobe wurde die Datenbank der zentralen Alumni-Organisation der Universitätsverwaltung gewählt. Die Daten der Alumni-Datenbank setzen sich wie folgt zusammen: • Alle Personen, die mindestens vier Semester an der Universität Potsdam studiert, promoviert oder habilitiert haben und exmatrikuliert wurden, weil sie entweder ihren Abschluss an der Universität gemacht oder ihr Studium abgebrochen haben, erhalten ein Anschreiben mit der Bitte zur Registrierung in der Alumni-Datenbank. Das sind etwa 3.000 Personen pro Jahr. Ca. 10% dieser Personen lassen sich in der Alumni-Datenbank registrieren. • Alle Personen, die mindestens vier Semester an der Universität Potsdam studiert, promoviert oder habilitiert haben, können sich selbst per Internet in der Alumni-Datenbank registrieren. Diese Datenbank existiert seit 1998; erst seitdem werden deshalb die Ehemaligen mit der Bitte um Registrierung angeschrieben. Alle Absolventen, die vor 1998 ihr Studium beendet haben, sind deutlich unterrepräsentiert, weil sie nicht aktiv aufgefordert werden, sondern sich selbst im Internet registrieren müssen.
78
5 Empirie
Zudem gibt es eine Reihe von Registrierten, die gar nicht an der Universität Potsdam studiert haben, sondern an der pädagogischen Hochschule zu DDRZeiten. Letztere war nach der Wende in die neugegründete Universität eingegliedert worden. Die Datenbasis stimmt also nicht mit der Grundgesamtheit überein. In der Befragung muss also auch die Zugehörigkeit zur Grundgesamtheit geklärt werden. Die Alumni-Datenbank enthält 1.600 Datensätze. Alle 1.600 Personen wurden im September 2006 per E-Mail angeschrieben und gebeten, an einer OnlineBefragung teilzunehmen. Die Teilnahme an der Befragung war mit einem kleinen Gewinnspiel verbunden. Die möglichen Gewinnpreise bewegten sich aber in einem geringen Wertsegment (durchschnittlich 10 Euro), so dass ausgeschlossen werden kann, dass es Teilnehmer gab, die aus materiellem Interesse an der Befragung teilnahmen. Es wurden 519 Fragebögen ausgefüllt zurückgesandt, das entspricht einer Rücklaufquote von einem Drittel. Zunächst fand eine Überprüfung der Konsistenz der Daten wie folgt statt: Die wichtigsten Angaben der rückgesandten Fragebögen waren die zur Überprüfung der Zugehörigkeit zur Grundgesamtheit: Angaben zum zeitlichen Verlauf des Studiums, Wohnort während des Studiums, Fakultät(en), an der/denen das Studium absolviert wurde, Angaben zum Status selbstständig (ja/nein). Wenn zu allen diesen Punkten die Angaben fehlten, wurde der Datensatz gelöscht, weil die Seriosität der Teilnahme an der Umfrage angezweifelt wurde. Sinn der Teilnahme war eine Unterstützung der Wissenschaft. Wenn zu viele elementare Angaben fehlten, wurde die Ernsthaftigkeit des Unterstützungsangebotes bezweifelt. Das betraf insgesamt nur sieben Fälle. Die Teilnehmer konnten freiwillig eine E-Mail-Adresse oder Telefonnummer für Rückfragen hinterlassen. Wenn die elementaren Angaben nur teilweise fehlten, aber Kontaktdaten angegeben waren, wurde eine Ernsthaftigkeit der Teilnahme unterstellt und die fehlenden Angaben auf technische Fehler oder Verständnisfehler zurückgeführt. Diese Personen wurden per E-Mail oder Telefon kontaktiert, um die Angaben zu ergänzen. Elf Einträge konnten so nachträglich ergänzt werden. Da diese Angaben nicht vorsätzlich ausgelassen wurden, konnten alle Auslassungen
5.1 Quantitative Empirie
79
ergänzt werden. Zehn Teilnehmer reagierten nicht. Da bei diesen die Zugehörigkeit zur Grundgesamtheit nicht festgestellt werden konnte, wurden diese Fälle aus der Stichprobe herausgenommen. Aufgrund der Fragen konnten nun die Personen identifiziert werden, die zur Grundgesamtheit gehören. Die zurückgesandten Fragebögen wurden nun um die Fälle bereinigt, die nicht in die Grundgesamtheit passten. Bei der Durchsicht der erhaltenen Fragebögen bestätigte sich die Vermutung einer Verzerrung der Alumni-Datenbank bezüglich des Abschlusszeitpunktes. Die Kohorte der Personen, die genau im Jahre 1998 ihren Abschluss gemacht hatten, war leicht unterrepräsentiert. Diese Kohorte wurde dennoch in die Stichprobe miteinbezogen; die leichte Verzerrung wird an späterer Stelle zu diskutieren sein. Die Kohorten, die ihren Abschluss vor 1998 gemacht haben, waren deutlich unterrepräsentiert. Diese Kohorten wurden deshalb aus pragmatischen Gesichtspunkten aus der Stichprobe ausgeschlossen, um eine möglichst unverzerrte Stichprobe zu erhalten. Es ergab sich also folgende Stichprobe: Alumni aus der Stichprobe sind alle Personen, die (1) mindestens vier Semester an der Universität Potsdam studiert haben, (2) während ihres Studiums, ihrer Promotion oder ihrer Habitilation im Land Brandenburg oder in Berlin gewohnt haben, (3) ihr Studium, ihre Promotion oder ihre Habilitation an der Universität Potsdam innerhalb der Jahre 1998 bis einschließlich dem Jahre 2005 abgeschlossen haben, (4) die Universität nach dem Abschluss verlassen haben. Die erhaltene Stichprobe hat einen Umfang von 421 Personen. Die Stichprobe ist damit groß genug, um für Anteilsschätzungen, deren Anteil p zwischen 3% und 97% liegt, die Verteilung mit der Normalverteilung zu approximieren. Das bedeutet mit anderen Worten, dass die in der Stichprobe ermittelten Anteilswerte, die größer 3% oder kleiner 97% sind, statistisch robuste Schätzer für die Anteile in der Grundgesamtheit sind, so dass die Ergebnisse der Umfrage auf die Grundgesamtheit hochgerechnet werden können.
80
5 Empirie
Es gab an der Universität Potsdam 10.927 Absolventen/Promovenden/ Habilitanden im Zeitraum von 1998 bis einschließlich 2005. Die Stichprobe entspricht also 3,9% der Grundgesamtheit. 5.1.4 Operationalisierung, Ergebnisse und Diskussion Frage 1: Wie hoch ist der Anteil der Alumni, die sich als Unternehmer oder Freiberufler selbstständig machen? Es wurde eine Variable „Aktueller Selbstständigkeitsstatus” definiert. Die Frage dazu lautete: “Sind Sie zur Zeit selbstständige/r Unternehmer/in oder selbstständige/r Freiberufler/in?“ Die Variable ist nominal dichotom, das heißt, sie kann entweder den Wert „ja“ oder „nein“ annehmen. Als Ergänzung wurde die Variable „Zeitpunkt der Aufnahme einer hauptberuflichen oder nebenberuflichen Selbstständigkeit” wie folgt abgefragt: „Seit wann sind Sie nebenberuflich bzw. hauptberuflich selbstständig? – Nebenberuflich seit:“ (offene Frage); „Seit wann sind Sie nebenberuflich bzw. hauptberuflich selbstständig? – Hauptberuflich seit:“ (offene Frage). Als weitere Ergänzung wurde folgende Variable eingeführt: „Wenn Sie zur Zeit nicht selbstständig sind: Welche der folgenden Aussagen trifft am ehesten auf Sie zu?“ Diese Variable ist nominal und hat folgende Ausprägungen: a. „Selbstständigkeit ist keine Alternative für mich.“ b. „Selbstständigkeit ist grundsätzlich eine Alternative für mich.“ c. „Ich war bereits schon eine Zeit selbstständig beschäftigt.“
5.1 Quantitative Empirie
81
d. „Ich hatte bereits eine selbstständige Existenzgründung vorbereitet und dann die Vorbereitung abgebrochen.“ e. „Ich plane eine Selbstständigkeit in den nächsten 2 Jahren.“ Bei der Auswahl der Antwort konnten die Befragten zu jeder Ausprägung einen Kommentar einfügen (offene Frage). Alle Datensätze wurden auf Konsistenz geprüft. Es ergaben sich bei einigen Befragten folgende, nicht schwer wiegende, Inkonsistenzen: Bei der Variable „Aktueller Selbstständigkeitsstatus“ wurde zwar ein „nein“ angegeben, bei der Variable „Zeitpunkt der Aufnahme einer hauptberuflichen oder nebenberuflichen Selbstständigkeit“ wurde dagegen eine Angabe gemacht, und zwar immer genau dann, wenn gleichzeitig das Merkmal „Ich war bereits schon eine Zeit selbstständig beschäftigt.“ ausgewählt wurde. Die Fragestellung des Fragebogens hätte, retrospektiv betrachtet, dahingehend etwas präziser sein können, alle Fälle konnten aber logisch nachvollzogen werden. Ergebnisse • 10% der Alumni waren im Befragungszeitpunkt hauptberuflich selbstständig. • 4,5% der Alumni waren nebenberuflich selbstständig. • 4% der Alumni waren zwar zum Befragungszeitpunkt aktuell nicht selbstständig, dafür aber zwischen Abschluss und aktueller Tätigkeit. Die Konfidenzintervalle auf einem Signifikanzniveau von 5% betragen für den Anteil der hauptberuflich Selbstständigen ± 3%-Punkte und für die Anteile der nebenberuflich Selbstständigen und der ehemalig Selbstständigen jeweils ± 2%-Punkte. Die Größe der Konfidenzintervalle bedeutet eine recht hohe statistische Genauigkeit. Die Stichprobe stellt in Bezug auf die untersuchten Merkmale eine reine Zufallsstichprobe dar. Es gibt keine Anhaltspunkte für eine Verzerrung der Daten in Bezug auf die untersuchten Merkmale, mit einer Ausnahme: die Kohorte der Alumni, die 1998 ihren Abschluss gemacht haben, ist leicht unterrepräsentiert. Der Anteil der Selbstständigen betrug hier 29% (hauptberuflich selbstständig)
82
5 Empirie
bzw. 8% (nebenberuflich selbstständig). Die Kohorte selbst umfasste aber nur 24 Personen, so dass eine isolierte statistische Aussage für diese Kohorte nicht robust ist. Für eine isolierte Betrachtung ist der Stichprobenumfang zu gering. Es ist nur die qualitative Aussage ableitbar, dass die Gefahr besteht, die leicht verzerrte Stichprobe unterschätze die Selbstständigenquote geringfügig. Darüber hinaus ergeben sich keine Anhaltspunkte, dass die Daten in Bezug auf die untersuchten Fragestellungen verzerrt sind. Da es sich um eine Zufallsstichprobe handelt, sind die Aussagen repräsentativ. Die Hochrechung ergibt demnach, dass von den Alumni der Abschlussjahrgänge 1998 bis 2005 aktuell rund 1.100 Personen eine hauptberufliche und rund 480 Personen eine nebenberufliche selbstständige Tätigkeit als Freiberufler oder Unternehmer haben. Das sind etwa 200 Gründungen pro Jahr durch Alumni der Universität Potsdam. Die Quote der hauptberuflich Selbstständigen entspricht exakt dem Bundesdurchschnitt, der in einer Sonderauswertung des Mikrozensus für 2001 ermittelt wurde, und liegt um einen Prozentpunkt höher als der Durchschnitt für die neuen Bundesländer.234 Die Quote der nebenberuflich Selbstständigen und der ehemaligen Selbstständigen liegen über dem Bundesdurchschnitt, der 2001 jeweils nur ca. 1% betrug.235 Frage 2: Besteht ein Zusammenhang zwischen der Entscheidung zur Wohnortwahl/Standortwahl und der Entscheidung eines Alumnus, sich als Unternehmer oder Freiberufler selbstständig zu machen? Das Merkmal Standortwahl wurde wie folgt operational approximiert: Es wurde gefragt, in welchem Bundesland bzw. Land die Befragten vor Beginn des Aufenthaltes an der Universität Potsdam und in welchem Bundesland die Befragten während des Aufenthaltes an der Universität Potsdam wohnten. Befragte, die während des Aufenthaltes an der Universität weder in Berlin noch 234 235
Vgl. Duschek/Piorkowsky, 2003, S. 35 u. 43 (Projektbericht), S. 30 (Materialband 1). Vgl. ebenda, S. 30-32 (Materialband 1), S. 170 (Materialband 4).
5.1 Quantitative Empirie
83
im Land Brandenburg wohnten, wurden wie oben beschrieben aus dem Sample ausgeschlossen, weil sie nicht zur Grundgesamtheit gehören. Weiterhin wurde gefragt, in welchem Bundesland bzw. Land die Befragten zum Zeitpunkt der Erhebung wohnen. Eine weitere Frage ermittelte bei den Selbstständigen, in welchem Bundesland der Sitz des Unternehmens ist. Bei nur drei Befragten unterschied sich das Bundesland, in dem der Sitz des eigenen Unternehmens ist, von dem Bundesland, in dem der Wohnort des Selbstständigen liegt. Somit kann gerechtfertigt werden, dass hier der Wohnort als Approximation für den Standort des Unternehmens gewählt wird. Aufgrund eines technischen Fehlers beim Online-Fragebogen wurde die Angabe zum aktuellen Wohnort bei den ersten Befragungsteilnehmern nicht gestellt. Der Stichprobenumfang ist daher für diese Auswertung etwas geringer und beträgt nur 314 Fälle. Die Zufallsauswahl wird dadurch nicht beeinflusst, damit auch nicht die Repräsentativität der Aussagen. Die offenen Fragen zu den Bundesländern wurden wie folgt umkodiert: Es wurde ein dichotomes Merkmal „Zuzug für das Studium“ eingeführt, das genau dann den Wert „Ja“ erhielt, wenn der Befragte vor Beginn des Studiums weder im Land Brandenburg noch im Land Berlin lebte. Es wurde ferner ein dichotomes Merkmal „Abwanderung nach dem Studium“ eingeführt, das genau dann den Wert „Ja“ erhielt, wenn der Befragte zum Zeitpunkt der Erhebung weder im Land Brandenburg noch im Land Berlin lebte. Der Zusammenhang zwischen der dichotomen Variablen „Aktueller Selbstständigkeitsstatus“ und der dichotomen Variablen „Abwanderung nach dem Studium“ wurde mit dem ChiQuadrat-Unabhängigkeitstest getestet. Die Nullhypothese lautet also wie folgt: Es besteht kein Zusammenhang zwischen dem Status der haupt- oder nebenberuflichen Selbstständigkeit und dem Merkmal, ob die Region Berlin/Brandenburg nach dem Studium verlassen
84
5 Empirie
wurde. Diese Form der Nullhypothese wurde auf dem 5-%-Signifikanzniveau abgelehnt (siehe Anhang A). Dieses Ergebnis lässt sich durch leichte Umformungen der Daten noch besser interpretieren: Die Summe aller Fälle, die bei der Variable „Abwanderung nach dem Studium“ die Merkmalsausprägung „Ja“ ausgewählt haben, ins Verhältnis gesetzt zum Stichprobenumfang, gibt die Abwanderungsrate an, also den Anteil der Alumni, der die Region Berlin/Brandenburg nach dem Studium verlässt. Man kann nun prüfen, ob sich die Abwanderungsraten der Selbstständigen und der Nicht-Selbstständigen unterscheiden. Die Hypothese heißt, dass die Abwanderungsraten der Selbstständigen geringer ist als die der anderen Alumni (siehe Kapitel 2.4). Das Hypothesenpaar lautet wie folgt: H0 = Die Abwanderungsrate der haupt- oder nebenberuflich Selbstständigen ist größer oder gleich der Abwanderungsrate der Nicht-Selbstständigen. H1 = Die Abwanderungsrate der haupt- oder nebenberuflich Selbstständigen ist kleiner als die Abwanderungsrate der Nicht-Selbstständigen. Ergebnisse Die Nullhypothese H0 kann zwar nicht auf einem Signifikanzniveau von 5%, dafür aber auf einem Signifikanzniveau von 10% abgelehnt werden, was angesichts des kleinen Stichprobenumfanges ein recht guter Wert ist. Die Hypothese H1 kann damit angenommen werden (siehe Anhang A). Die Abwanderungsrate als Anteilsschätzung kann approximiert mit der Normalverteilung geschätzt werden, der Stichprobenumfang ist gerade noch ausreichend hoch für diese Approximation. Differenziert man den Effekt weitergehend, so ergibt sich folgendes Bild: • Bei den Alumni, die schon vor dem Studium in der Region Berlin/ Brandenburg wohnten, ist die Abwanderungsrate der Selbstständigen deutlich geringer als die Abwanderungsrate der Nicht-Selbstständigen. • Bei den Zugezogenen ist die Abwanderungsrate von Selbstständigen und Nicht-Selbstständigen gleich groß.
5.1 Quantitative Empirie
85
Der Gesamteffekt geht also alleine auf die aus der Region Stammenden zurück. Dieser Effekt besitzt statistisch hohe Signifikanz (siehe Anhang A). Zur Diskussion der Ergebnisse ist zu sagen, dass Personen, die multiple Wohnund Standortwechsel vornahmen, nicht berücksichtigt wurden. Es gab eine Reihe von weiteren Fragen, die ebenfalls den Zusammenhang zwischen Migration und Beschäftigungsart überprüfen sollte. Unter anderem sollte untersucht werden, ob Personen, die eine Selbstständigkeit in den nächsten zwei Jahren planen, immobiler sind als Personen, die keine Selbstständigkeit planen. Für die Auswertung dieser Zusatzfragen reichte aber der Stichprobenumfang nicht aus, da die Anzahl der Fälle von Personen, die eine Selbstständigkeit planen, absolut gesehen zu gering für eine Schätzung mit der Normal- oder Student-Verteilung ist. Die Anwendung nicht-parametrischer Schätzung wurde auch erwogen, aber wieder verworfen, da die Fragestellung hierfür nicht genügend Präzision besaß. Unter der Perspektive einer kleinen Stichprobe wären präzisere und vor allem Multi-Item-Fragen besser geeignet. Frage 3: Besteht ein Zusammenhang zwischen der Fachrichtung des Studiums bzw. der Promotion/Habilitation und der Entscheidung, sich als Unternehmer oder Freiberufler selbstständig zu machen? Die Fachrichtung wurde nicht detailliert operationalisiert. Stattdessen wurde nur gefragt: „An welcher Fakultät wurde das Studium, die Promotion/Habilitation abgeschlossen?“ An der Universität Potsdam gibt es fünf Fakultäten: Juristische Fakultät, Philosophische Fakultät, Humanwissenschaftliche Fakultät, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät. Diese Fakultäten konnten angekreuzt werden, eine Mehrfachauswahl war möglich. Die Ergebnisse der Frage wurden kodiert zu fünf dichotomen Variablen. Der Zusammenhang zwischen der dichotomen Variablen „Aktueller Selbstständigkeitsstatus“ und den dichotomen Variablen „Juristische Fakultät (j/n)“ etc. wurde jeweils mit dem Chi-Quadrat-Unabhängigkeitstest getestet. Die Nullhypothese H0 lautete also wie folgt: Es besteht jeweils kein Zusammenhang
86
5 Empirie
zwischen der Fakultät, an der das Studium bzw. die Promotion/Habilitation absolviert wurde, und der Selbstständigenquote. Ergebnis Diese Nullhypothese konnte auf einem Signifikanzniveau von 5% nur für die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät abgelehnt werden (siehe Anhang A). Das bedeutet, der Unterschied zwischen den Selbstständigenquoten der Alumni der einzelnen Fakultäten ist statistisch nicht signifikant, mit Ausnahme der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, bei welcher die Selbstständigenquote deutlich geringer ist. Es wurde überprüft, ob das Ergebnis nicht durch Mehrfachnennungen von Fakultäten systematisch verzerrt wurde. Die quantitativ-deskriptive Analyse hat gezeigt, dass akademische Gründungen ein quantitativ relevantes Phänomen darstellen. Die Quote der selbstständigen Alumni der Universität entspricht der gesamtwirtschaftlichen Selbstständigenquote. Das lässt die Schlussfolgerung zu, dass die Potsdamer Akademiker/innen weder über- noch unterdurchschnittlich gründungsaffin sind. Die Untersuchung macht keine Aussagen über die Qualität der Gründungen im Vergleich zum Bundesdurchschnitt. Zu dieser Untersuchung wäre eine Langzeitstudie angebracht, um die mittel- bis langfristige Entwicklung der Wertschöpfung akademischer Gründungen beurteilen zu können. Die vorliegende Untersuchung könnte aber den Startpunkt für eine Langzeitstudie bilden. Die folgenden qualitativen Untersuchen analysieren das Gründungsgeschehen in der Tiefe.
5.2 Qualitative Empirie
87
5.2 Qualitative Empirie 5.2.1 Datenerhebung 5.2.1.1 Interviewerhebung 5.2.1.1.1 Fallauswahl Das Untersuchungsfeld unterteilt sich in zwei Bereiche: zum einen die Anbieter öffentlicher Gründungsförderung, also die Gründungsförderer, zum anderen die Nachfrager nach öffentlicher Gründungsförderung, sprich die Gründer selbst. Aufseiten der Nachfrager wurden 15 Interviewpartner ausgewählt. Die Fallauswahl folgte den Prinzipien des Theoretical Samplings. Das bedeutet nicht, dass die Selektionskriterien aus der Theorie deduktiv abgeleitet wurden. Theoretical Sampling im Sinne der Grounded Theory Method meint vielmehr eine Fallauswahl auf der Basis von Konzepten, die eine theoretische Relevanz für das Untersuchungsphänomen haben.236 Um die Konstrukte aus möglichst vielen Blickwinkeln zu beleuchten, wurden im ersten Schritt die Fälle anhand der Merkmale Ausbildungsstand, Gründungsart, Technologieorientierung und Gründungsstand möglichst breit gestreut. Diese Sampling-Technik heißt offenes Sampling, denn das Sampling ist offen für alle Fälle, die die Chance bieten, relevante Daten zu liefern.237 Im zweiten Schritt erfolgte ein axiales Sampling mit dem Ziel, möglichst viele Unterschiede zu finden.238 Die Fälle wurden so ausgewählt, dass die Ausprägungen als relevant erachteter Selektionskriterien variierten. Es wurde zum Beispiel gezielt nach Fällen gesucht, die eine öffentliche Gründungsförderung erhalten hatten und solchen, die keine Gründungsförderung erhalten hatten. Die breite Streuung der Fälle war also nicht vorab geplant, sondern Ergebnis des iterativen Forschungsprozesses. 236
Vgl. hier und im Folgenden Strauss/Corbin, 1996, S. 148. Vgl. ebenda, S. 153. 238 Vgl. ebenda, S. 157. 237
88
5 Empirie
Im dritten Schritt wurde die Technik des diskriminierenden Samplings angewandt, bei der gezielt nach Fällen gesucht wird, welche die Chance zur Untermauerung der sich entwickelnden theoretischen Konzepte boten.239 Dabei wurden viele Interviewpartner selektiert, die den Gründungsprozess bereits beendet hatten und sich gerade in einer Phase der Marktetablierung befanden. Diese Personen wurden retrospektiv zu ihren Erfahrungen und Problemen während des Gründungsprozesses befragt. Die Gefahr einer Recall-Bias kann als gering eingeschätzt werden, weil der Zeitpunkt der Gründung nicht länger als ein Jahr, in den meisten Fällen sogar nur wenige Monate zurücklag. Die Konzentration der Selektion auf kurz zurückliegende Gründungen geschah deshalb, weil diese Personen wertvolle Informationen über den gesamten Gründungsprozess beisteuern konnten. Darüber hinaus ergab sich aber während des Forschungsprozesses ein weiterer interessanter Aspekt: Diese Personen konnten über ihre Schwierigkeiten in der Startphase berichten. Das Sampling erfolgte dabei so lange, bis eine theoretische Sättigung erreicht wurde, das heißt so lange, bis keine neuen oder bedeutsamen Daten in Bezug auf die Kategorien mehr auftauchten.240 Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Interviewpartner aufseiten der Gründer anhand ausgewählter Merkmale. Seitens der Gründungsförderer wurden die Interviewpartner ebenfalls so selektiert, dass möglichst viele unterschiedliche Einsichten gewonnen werden konnten. Auch hier ergaben sich die Selektionskriterien durch das Theoretical Sampling im iterativen Forschungsprozess. Dabei wurde vor allem darauf geachtet, dass unterschiedliche Machtasymmetrien berücksichtigt wurden und dass auch Gesprächspartner konsultiert wurden, die eine externe Sichtweise einbringen, weil sie in keinerlei Weise mit den anderen vernetzt sind. Tabelle 2 gibt einen Überblick über die Interviewpartner aufseiten der Gründungsförderer anhand ausgewählter Merkmale. 239 240
Vgl. ebenda, S. 158. Vgl. ebenda, S. 159.
89
5.2 Qualitative Empirie Ausprägung der Selektionsmerkmale pro Interviewpartner
Beschreibung der Selektionsmerkmale
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
Nach Ausbildungsstand Student
3
wissenschaftlicher Mitarbeiter
2
Absolvent
10
X
X
X
X
X X
X X X X
X X X
X X
Nach Fakultät Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät
5
Philosophische Fakultät
4
Juristische Fakultät
2
X
X
X
X X
Humanwissenschaftliche Fakultät
1
Wirtschafts- u. Sozialwissenschaftliche Fakultät
3
X
Opportunity Identification/Entscheidung
5
X X X
Ressourcenakkumulation/Organisationsaufbau
2
Marktetablierung max. ein Jahr nach Gründung
7
etabliertes Unternehmen
1
X
X X X
X
X X X
X
Nach Art der Phase im Gründungsprozess X
X X X
X X X X X
X
X X
Nach Gründungsart Verwertungs-Spinoff
1
Kompetenz-Spinoff
7
akademisches Start-up
1
etabliertes Unternehmen
1
noch unentschlossen
5
X X X X X
X
X
X
X X X X X
X
X
Nach Technologieorientierung technologieorientiert
3
wissensintensiv
12 X X X X X X X X X X
X
X X X
X
Gründungsförderung erhalten ja
9
nein
6
Tabelle 1: Interviewpartner aufseiten der Gründer
X X X X X X X X
X X X
X X X
X
90
5 Empirie
Beschreibung der Selektionsmerkmale
Ausprägung der Selektionsmerkmale pro Interviewpartner
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
Nach Rolle im Netzwerk Fördergeber
2
Förderträger
5
Promotor/Unterstützer
5
externer Stakeholder
2
X X X
X X X
X X
X
X X
X
X
X
Nach Verfügungsmacht über Fördermittel hohe Verfügungsmacht
3
geringe Verfügungsmacht
4
keine öffentlichen Mittel zur Gründungsförderung
7
X X X X
X X X
X
X
X X X
X X
Nach Zugehörigkeit zum untersuchten Gründungsförderungsnetzwerk Partner des Gründungsförderungsnetzwerkes
11
Kein Partner des Gründungsförderungsnetzwerkes
3
X X X X X X X X X
X X X X
X
Tabelle 2: Interviewpartner aufseiten der Gründungsförderer
Der Umfang der Fallauswahl war dabei ausreichend zur Erfassung des Phänomens und zur Ableitung von Konzepten. Das lag daran, dass der Forscher schon vor Beginn des Forschungsprozesses über eine recht ausgeprägte theoretische Sensibilität verfügte. Theoretische Sensibilität meint hierbei das Bewusstsein des Forschers für die Feinheiten in der Bedeutung der Daten.241 Die Quelle dieser Sensibilität entsprang der beruflichen Erfahrung, da der Forscher im empirischen Feld selbst arbeitete, und zwar als Berater für Gründungen aus dem Wissenschafts- und Hochschulbereich. Er war sowohl in die Betreuung von Gründungsprojekten als auch in die Konzeption von neuen Gründungsförderprogrammen eingebunden. Dieses Wissen über die Praxis im Feld wurde implizit in die Forschungssituation eingebracht, so dass die Deutung der erhobenen Daten wesentlich schneller vonstatten gehen konnte. 242 241 242
Vgl. ebenda, S. 25. Vgl. ebenda, S. 26.
5.2 Qualitative Empirie
91
5.2.1.1.2 Feldzugang Der Zugang zum ersten Untersuchungsfeldbereich der Gründungsförderung gestaltete sich recht unproblematisch. Durch die Arbeit des Forschenden im Bereich der Gründungsförderung bestand ein persönlicher Kontakt zu den Gesprächspartnern. Durch seine Arbeit hatte der Forscher einen guten Überblick über die Akteure der Gründungsförderung in der Region und über die Zusammenhänge zwischen den Akteuren. Dadurch wurde das Sampling sehr erleichtert, weil wichtige Wissensträger einerseits und Entscheidungsträger andererseits gut identifiziert werden konnten. Die Gesprächsbereitschaft der ausgewählten Interviewpartner war stets gegeben. Mit dem Zugang zu Interviewpartnern des eigenen Arbeitsumfeldes ergaben sich aber auch methodische Probleme, die später bei der methodischen Reflexion beschrieben werden. Der Zugang zu Interviewpartnern aus dem Feld der Gründer war unproblematisch, wenn es sich um Personen handelte, die bereits eine Förderung aus der eigenen Institution erhalten haben. Die Kontaktdaten waren vorhanden, eine Gesprächsbereitschaft war ebenfalls stets gegeben. Um eine ausgewogene Darstellung zu erhalten, sollten aber auch Gründerpersonen interviewt werden, die keine Förderung der eigenen Institution erhalten hatten. Die Generierung der Kontaktdaten war in diesem Fall mit erheblicheren Problemen verbunden. Als erfolgreich erwies sich die Durchführung eines Preisausschreibens „Gründer gesucht“. Im Rahmen des Preisausschreibens wurden Gründer aufgefordert, ihre Kontaktdaten für wissenschaftliche Untersuchungen zur Verfügung zu stellen und konnten im Gegenzug kleinere Sachpreise gewinnen. Anhand der Kontaktdaten konnten Interviewpartner selektiert werden, die dann ausführlich interviewt wurden.
92
5 Empirie
5.2.1.1.3 Interviewdurchführung Insgesamt wurden 18 persönliche Interviews und elf telefonische Interviews durchgeführt. Von den persönlichen Interviews waren 15 sehr ausführlich, mit einer Länge von durchschnittlich 90 Minuten, mindestens aber 45 Minuten. Dazu kamen drei kürzere persönliche Interviews, die im Durchschnitt 20 Minuten dauerten. Von den telefonischen Interviews waren sechs sehr ausführlich, mit einer Länge von durchschnittlich 90 Minuten, mindestens aber 45 Minuten. Hinzu kamen fünf kürzere persönliche Interviews, die im Durchschnitt 20 Minuten dauerten. Die persönlichen Interviews waren allesamt durch einen angenehmen organisatorischen Rahmen gekennzeichnet, der eine ungestörte Gesprächsatmosphäre ermöglichte. Es wurde Wert darauf gelegt, dass die Interviewpartner ausreichend Zeit und Motivation mitbrachten. Die Interviews begannen mit einem kurzen allgemeinen Begrüßungsgespräch. Dann wurden die Arbeit des Forschenden und die Bedeutung des jeweiligen Interviews im Rahmen der Forschungsarbeit kurz skizziert. Es wurde die Bedeutung der Aufzeichnung auf dem Diktiergerät erklärt und die vertrauliche Behandlung der Daten zugesichert. Die Interviewpartner unterzeichneten eine formale Vertraulichkeitserklärung. Die Gesprächsführung orientierte sich an einem vorbereiteten Leitfaden. Der Leitfaden diente dabei erstens zur Orientierung an den definierten Forschungsfragen und Konstrukten, um die Auswertung zu erleichtern, indem ein „Orientierungsrahmen zur Sicherung der Vergleichbarkeit der Interviews“ geschaffen wurde.243 Der Leitfaden verhinderte zweitens auch, dass das Gespräch zu stark abschweifte. Drittens hatte der Interviewer immer eine Frage parat für den Fall, dass der Interviewpartner sich bei einem Thema unbehaglich fühlt oder ausweicht, damit keine peinlichen Gesprächslücken entstanden, welche die Gesprächsatmosphäre insgesamt belastet hätten. Die Punkte des Leitfadens wurden 243
Vgl. Witzel, 2000, S. 4.
5.2 Qualitative Empirie
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dabei aber nicht schematisch abgearbeitet. Wenn der Gesprächsverlauf es ergab, wurden einzelne Aspekte ausführlicher hinterfragt als im Leitfaden geplant und dafür andere Aspekte außer Acht gelassen. Die Fragen waren überwiegend offen gestaltet, um den Interviewpartner möglichst in einen Erzählfluss zu versetzen. Dabei wurde insbesondere die erste Frage so gestellt, dass eine möglichst lange, ununterbrochene Erzählung zustande kam. Erzählungen sind eine ursprüngliche Form der Reflexion und bauen die Künstlichkeit der Forschungssituation ab. Die entstehende vertrauensvolle Gesprächsatmosphäre förderte das Erinnerungsvermögen und motivierte die Interviewpartner darüber hinaus, ungeschützt in die Kooperation mit dem Interviewer zu verfallen und im Laufe des Gespräches von selbst immer wieder neue Aspekte einzubringen und eigene Aussagen während des Gesprächs zu reflektieren.244 Im weiteren Verlauf des Interviews entwickelte sich das Erzähl-ZuhörVerhältnis in Richtung eines diskursiven Dialoges, so dass der Interviewer die Aspekte semantisch von mehreren Seiten beleuchten konnte, als Vorlage für die spätere Spezifizierung der Konstrukte. Bei einigen Interviewpartnern zeichnete sich ab, dass sie teilweise polemisch argumentierten, ihre Antworten wirkten vorbereitet oder diplomatisch. In diesen Fällen wurden nach etwa drei Viertel der Interviewzeit gezielte Nachfragen gestellt, zum Teil auch leicht provozierend, um noch mehr Facetten und Nuancen herauszufiltern. Die Gesprächsatmosphäre wurde dadurch manchmal etwas angespannt, die Gesprächssituation war aber stets kontrolliert. Jedes Gespräch endete mit offenen Fragen, die den Interviewpartner wieder in eine behagliche Gesprächssituation zurückführten. Die erste Abschlussfrage war stets die Frage nach Wünschen, zum Beispiel „Wenn sie einen Wunsch an die Gründungsförderung hätten und es wäre egal, was es kosten würde, was würden Sie sich wünschen?“ Zum Abschluss wurde gefragt, ob der Interviewte aus eigener Sicht etwas ergänzen möchte. Sofort im Anschluss an das Interview
244
Vgl. ebenda, S. 4.
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5 Empirie
wurde ein Postscript angefertigt, um Besonderheiten der Gesprächssituation oder der nonverbalen Kommunikation zu dokumentieren. Von den 18 persönlichen Interviews wurden 13 mit Hilfe eines Tonbandgerätes aufgenommen. Die ersten neun der aufgenommenen Interviews wurden komplett transkribiert, die letzten vier nur teilweise, weil für die theoretische Sättigung nur noch einige Ausschnitte des Interviews benötigt wurden. Diese Vorgehensweise steht im Einklang mit der Grounded Theory Method.245 „Die allgemeine Faustregel lautet, nur so viel wie nötig zu transkribieren.“ 246 Die anderen fünf persönlichen Interviews wurden stichpunktartig während des Gespräches ad-hoc transkribiert, wobei wichtige Aussagen wortwörtlich zitiert wurden. Die telefonischen Interviews waren ebenfalls durch eine sehr offene Gesprächsatmosphäre gekennzeichnet. Sie wurden nicht mitgeschnitten, die Transkription erfolgte während des Gespräches durch Stichpunkte und wortwörtliche Niederschrift ausgewählter Zitate. Gründer
Gründungsförderer
persönlich
5
13
telefonisch
10
1
länger als 45 Minuten
10
11
kürzer als 45Minuten
5
3
3
6
Mitschnitt
1
3
stichpunktartige Transkription
11
4
Nach Interviewart
Nach Interviewlänge
Nach Art der Dokumentation Mitschnitt plus Transkription
Tabelle 3: Übersicht Interviewdurchführung 245 246
Vgl. Strauss/Corbin, 1996, S. 14-15. Ebenda, S. 14.
5.2 Qualitative Empirie
95
5.2.1.1.4 Reflexion der Güte der Datenerhebung Die Ad-hoc-Transkription während des Gespräches ist deutlich ungenauer, denn sie beinhaltet die Gefahr selektiver Wahrnehmung. Es werden stets nur die Ergebnisse notiert, die der Interviewer im Augenblick des Gespräches für wichtig erachtet. Während des Gespräches beginnt damit auch schon die Interpretation. Auf der anderen Seite ist die Ad-hoc-Transkription sehr effizient, weil sie wenige Ressourcen beansprucht. Dem methodischen Problem wurde wie folgt begegnet: Die Ad-hoc-Transkription wurde erst zu einer sehr späten Phase des Forschungsprozesses angewandt, als schon eine hohe theoretische Sensibilität seitens des Forschers existierte. Da die ersten Interviews vollständig transkribiert und die Texte mehrfach ausgewertet wurden, waren schon viele Konzepte und Theoriefragmente vorhanden. Mit hoher theoretischer Sensibilität sinkt die Gefahr, wichtige Aussagen aufgrund von selektiver Wahrnehmung zu übersehen. Die Interpretation während der Niederschrift des Gespräches ist methodisch vertretbar. Die Methode des telefonischen Interviews bringt darüber hinaus noch folgende Probleme mit sich: 1. Durch das Medium Telefon besteht die Gefahr, dass die Interviewten sich nicht voll auf das Gespräch einlassen und konzentrieren, weil die räumliche Nähe, die eine persönliche Atmosphäre schafft, fehlt. 2. Durch das Medium Telefon kann die nonverbale Kommunikation nicht erfasst werden. Die Methode des telefonischen Interviews wurde dennoch angewandt, da sie sehr effizient ist und vor allem für die Interviewpartner weniger Ressourcen beansprucht. Den Nachteilen der Methoden wurde wie folgt begegnet: Zu 1): Durch Telefonate im Vorfeld oder E-Mail-Verkehr wurde ein telefonischer Interviewtermin vereinbart. Es erfolgte kein Anruf „aus dem Kalten“. So wurde sichergestellt, dass sich der Interviewpartner ausreichend Zeit für das
96
5 Empirie
Gespräch nahm. Das Gesprächsziel wurde bei dieser Terminvereinbarung schon genannt. Dadurch konnten sich die Interviewpartner mental auf das Gespräch einstellen. Zu 2): Bei den telefonischen Interviews wurden die Interviewpartner nicht mit kritischen Fragen konfrontiert, die Gesprächslenkung war unproblematisch, eine besondere Sensibilität für nonverbale Kommunikation damit überflüssig. Aus diesem Grunde wurde das Medium Telefon hauptsächlich für die Interviews mit Gründern angewandt. Die Interviews mit Vertretern der Gründerförderung erfolgten dagegen bis auf eine Ausnahme persönlich, da hier die nonverbale Kommunikation genau beobachtet werden musste, um herauszufinden, auf welche Fragen der Interviewpartner mit Unbehagen reagiert, und um das Gespräch dementsprechend lenken zu können. Die telefonischen Interviews waren durch eine hohe Gesprächsbereitschaft der Interviewpartner geprägt, die sich in langen Interviewdauern bis maximal 60 Minuten widerspiegelt. Es gelang teilweise, eine sehr vertraute Gesprächsatmosphäre zu schaffen, so dass auch sehr persönliche Aussagen getroffen wurden. Mit dem Zugang zu Interviewpartnern des eigenen Arbeitsumfeldes ergaben sich einige methodische Probleme. Gefahr der Bias der übertrieben positiven Darstellung Diese Gefahr bestand vor allem deshalb, weil die Gesprächspartner in anderen Zusammenhängen gemeinsam mit der eigenen Institution zusammenarbeiteten. Die Vertraulichkeitserklärung, die den Interviewpartnern die vertrauliche Behandlung der Interviewdaten zusicherte, beinhaltete die Miteinbeziehung der betreuenden Professoren in den Kreis der Personen, die Zugang zu den Interviewinhalten haben. Die betreuenden Professoren haben aber ebenfalls durch ihre Arbeit in der Gründungsförderung direkte Berührungspunkte mit der Arbeit der Interviewpartner. Daraus ergab sich die Gefahr der strategischen Antwort, das heißt, die Interviewpartner stellen ihre eigene Kompetenz und Kooperationsbereitschaft einseitig positiv dar, weil sie an Kooperation mit der Institution des Forschers stark interessiert sind. Die Interviewpartner verfolgen daher
5.2 Qualitative Empirie
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persönliche Ziele über das Gesprächsziel hinaus. Diesem Problem wurde dadurch begegnet, dass die Daten aus den Interviews verglichen wurden mit den Daten aus den Interviews mit Personen, mit denen eine hohe persönliche Vertrauensbasis zwischen Interviewpartner und Forscher durch gemeinsame Projektarbeit auf Peerlevel bestand. Angst der Interviewpartner vor persönlichen Nachteilen Dieses Phänomen hat seine Ursache in den Machtasymmetrien zwischen den Akteuren des untersuchten Feldes. Es trat vor allem bei den Interviewpartnern auf, die innerhalb der Institutionen auf unteren Hierarchieebenen arbeiteten. Trotz Vertraulichkeitserklärung existierte eine gewisse Angst, dass die Interviewdaten in irgendeiner Form persönliche Nachteile mit sich bringen könnten. Diese Angst führte zu einer Abneigung, über Konflikte zwischen den Gründungsförderern zu sprechen. Diesem Problem wurde begegnet, indem das Tonband bei kritischen Situationen ausgeschaltet wurde, also immer dann, wenn durch verbale oder nonverbale Kommunikation erkennbar war, dass der Interviewpartner bei einem Thema besondere Hemmungen hatte. Aus ethischen Gründen können die Aussagen der Interviewpartner, die nach Ausschalten des Tonbandes gemacht wurden, leider nicht verwendet werden. Sie halfen aber, die theoretische Sensibilität des Forschers zu verbessern und den Blick für Details zu schärfen. Gefahr der inhaltlichen Beeinflussung des Interviewpartners durch den Forscher Da der Forscher selbst Wissensträger des Feldes Gründungsförderung ist, bestand auch die Gefahr, dass der Forscher selbst die Antworten der Interviewpartner beeinflusst. Diese Gefahr wird als sehr gering eingestuft, denn das Verhalten im Interview und die Fragestellungen wurden besonders sorgfältig ausgesucht und stets intensiv reflektiert. Die Interaktion zwischen Forscher und Interviewpartner sollte eine entspannte, offene Gesprächsatmosphäre schaffen. Inhaltlich sollte die Interaktion minimal sein, um die Daten nicht durch das Vorwissen des Forschers zu beeinflussen.
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5 Empirie
5.2.1.2 Feldnotizen Die Auswahl der Feldnotizen und Dokumente erfolgte zum Teil ad-hoc. Wann immer sich eine Möglichkeit bot, Daten durch teilnehmende Beobachtung zu erheben oder Dokumente zu sichten, wurde diese Gelegenheit wahrgenommen, um den Erkenntnisprozess zu beschleunigen. Diese Flexibilität ist laut Grounded Theory Method erlaubt („All is data“247), billigt allerdings auch kein unsystematisches Vorgehen. Diese Flexibilität ist vielmehr ein kontrollierter Opportunismus des Forschers, um alle Chancen auf Gewinnung von Erkenntnissen zu nutzen.248 Wichtig ist dabei die dokumentierte Reflexion der Vorgehensweise. Die Feldnotizen beziehen sich auf insgesamt vier Workshops zum Thema Gründungsförderung mit anerkannten Gründungsexperten. Als eine besonders wertvolle Datenquelle erwies sich die Teilnahme an einem bundesweiten eintägigen Workshop mit Vertretern von 12 öffentlich geförderten Gründungsinitiativen aus dem gesamten Bundesgebiet. Der Workshop wurde von einer der Gründungsinitiativen organisiert, der Forscher war dazu als Teilnehmer eingeladen. Die Teilnahme erfolgte also nicht primär aus Forschungssicht, der hohe Wert der Feldnotizen wurde erst während der Datenerhebung und Auswertung ersichtlich. Die Auswahl der Gründungsinitiativen erfolgte durch den Veranstalter. Es wurden diejenigen Gründungsinitiativen eingeladen, die aus Sicht des Veranstalters deutschlandweit am erfolgreichsten in der Förderung technologieorientierter Gründungen aktiv sind. Die Vertreter der Gründungsinitiativen waren allesamt in leitender Stellung in der jeweiligen Gründungsinitiative tätig. Der Akzent der Diskussion war sehr praxisbezogen. Dieser Workshop war deshalb so wertvoll, weil die Teilnehmer vor Beginn des Workshops hohe Erwartungen an den Workshop definierten. Die Teilnehmer des Workshops kannten sich bereits alle von einem Treffen, das in identischer Zusammensetzung drei Monate zuvor stattgefunden hatte. Es wurde übereinstimmend folgendes konstatiert: Das letzte Treffen hatte den Charakter eines 247 248
Vgl. Glaser, 2001, S. 145. Vgl. Eisenhardt, 1989, S. 539.
5.2 Qualitative Empirie
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„Schaulaufens“ gehabt, das heißt, alle Gründungsförderinitiativen hatten sich selbst in möglichst positivem Licht dargestellt und die Ansprache von Problemen vermieden. Alle Teilnehmer waren sich nun einig, dass ein erneutes „Schaulaufen“ vermieden werden sollte. Es wurde übereinstimmend folgendes Ziel des Workshops festgelegt: Der Workshop sollte einen problemorientierten Erfahrungsaustausch ermöglichen in dem Sinne, dass eine Sammlung von möglichen Issues angestrebt wurde, um zu vergleichen, ob die eigenen Issues mit denen anderer Gründungsförderprogramme übereinstimmen und wie die anderen Gründungsförderträger mit diesen Issues umgehen. Die Gesprächsatmosphäre war dadurch sehr offen. Die der Diskussion zugrunde gelegten Leitfragen behandelten die Vernetzung von Gründern und die Kooperation innerhalb der Gründungsförderer. Die Ergebnisse wurden ad-hoc protokolliert. Bei der Adhoc-Transkription entstehen die schon erörterten methodischen Probleme. Auf der anderen Seite bot sich die Möglichkeit, komprimiert die Meinungen von vielen verschiedenen Experten aufzunehmen. Diese Methode ist nicht nur sehr ressourcenschonend; durch die konstruktive Diskussion der Workshopteilnehmer untereinander sind die Ergebnisse des Workshops auch sehr reflektiert. Es wurden Feldnotizen von drei weiteren Workshops mit Gründungsexperten verwendet, die sich ebenfalls durch eine hohe Offenheit der Gesprächsatmosphäre auszeichneten. Darunter befand sich auch ein Workshop mit internationalen Gründungsprofessoren. Bei der Verwendung der Feldnotizen ist die Frage der Ethik etwas problematisch, da die Gesprächspartner nicht informiert werden, dass die Gespräche ausgewertet und für die Forschung verwendet werden. Dieser Frage kann wie folgt entgegnet werden: Die Gesprächspartner der Feldnotizen haben zwar kein explizites Einverständnis zu einem wissenschaftlichen Interview gegeben, sie gaben aber Ihr Einverständnis zur Protokollierung der Gespräche. Die Daten enthalten keinerlei personenbezogene sensible Informationen, die in irgendeiner Weise persönlichkeitsverletzend sein könnten. Die Daten wurden zudem anonymisiert, das heißt, es ist unmöglich, die Aussagen einzelner Personen in den Auswertungen wiederzuerkennen.
100
5 Empirie
5.2.1.3 Dokumentenanalyse In Bezug auf das empirische Feld der Gründer erhielt der Forscher Zugang zu einem wertvollen Archiv an Dokumenten: Eines der öffentlichen Förderprogramme bietet Assessment-Center für Studierende und wissenschaftliche Mitarbeiter an, die bereits über ein wohldefiniertes Gründungsvorhaben verfügen und eine Einschätzung ihrer Gründungsvorbereitungen wünschen sowie Hilfe bei der Umsetzung des Gründungsvorhabens in Anspruch nehmen möchten. In der theoretischen Terminologie ausgedrückt handelt es sich um Nascent Entrepreneurs, welche die Phase der Opportunity Identification abgeschlossen haben und sich nun in der Entscheidungsphase befinden oder teilweise noch weiter fortgeschritten sind. Die Assessment-Center werden von professionellen Psychologen und Gründungsberatern durchgeführt, wobei die Qualität der Assessment-Center laufend überwacht wird. Die Assessment-Center dauern im Schnitt vier Tage. Im Ergebnis entsteht für jede beteiligte Person eine individuelle Einschätzung des Standes der Gründung, der Defizite bei der Gründungsförderung und des Förderbedarfes. Es liegen 106 solcher Einschätzungen vor, als Ergebnis von zwölf Assessment-Centern innerhalb von zwei Jahren. Jedes Dokument umfasst durchschnittlich zwei Seiten. Die Verwendung dieser Dokumente bringt methodische Fragen mit sich. Erstens stellt sich eine ethische Frage, weil die Gesprächspartner nicht informiert wurden, dass die Gespräche ausgewertet und für die Forschung verwendet werden. Diese Frage kann als unproblematisch angesehen werden: Die Gesprächspartner der Feldnotizen haben zwar kein explizites Einverständnis zu einer wissenschaftlichen Auswertung gegeben, sie gaben aber ihr Einverständnis zur Protokollierung, Speicherung und Verarbeitung der Daten. Die Protokollierung der Daten erfolgt dazu auf einer sehr abstrakten Ebene. Die Daten enthalten keinerlei personenbezogene sensible Informationen, die in irgendeiner Weise persönlichkeitsverletzend sein könnten. Durch die Anonymisierung ist es unmöglich, die Aussagen einzelner Personen in den Auswertungen wiederzuerkennen.
5.2 Qualitative Empirie
101
Zweitens entsteht das Problem jeder Sekundäranalyse, dass Kommunikationsziele und -adressaten der Dokumente nicht mit dem Forschungsziel kongruent sind. Die Darstellung in den Dokumenten erreicht bei Weitem nicht die inhaltliche Tiefe der selbst durchgeführten und selbst protokollierten Interviews. Zudem fokussiert das Assessment-Center nicht auf die Gründernetzwerke, die Dokumente enthalten deshalb kaum Aussagen zu den persönlichen Beziehungsnetzwerken der Gründer. Betrachtet man die Dokumente allerdings zur Ergänzung der Interviewdaten und als Instrument der Triangulation der eigenen Beobachtungen, so stellen sie eine wertvolle Unterstützung der empirischen Forschung dar. In Bezug auf das empirische Feld der Gründungsförderer erhielt der Forscher Zugang zu verschiedenen Dokumenten, die im Zusammenhang mit der Ausschreibung, Beantragung, Genehmigung und administrativen Abwicklung von Förderprogrammen stehen. Insbesondere handelte es sich um die Förderrichtlinien von fünf Programmen zur Förderung von Gründungen im Wissenschaftsund Hochschulbereich, davon zwei bundesweite Förderprogramme, zwei Förderprogramme vom Land Brandenburg und eines der Stadt Potsdam, sowie um insgesamt acht verschiedene Förderanträge. 5.2.2 Auswertung der qualitativen Empirie „Alle Verfahren der Grounded Theory zielen auf das Identifizieren, Entwickeln und Inbeziehungsetzen von Konzepten ab.“249 Konzepte sind dabei Bezeichnungen oder Etiketten für einzelne Phänomene der Daten.250 Die ersten Interviewpartner waren Experten aus der Gründungsförderung, die sehr offen und zu sehr vielen Themen befragt wurden, um möglichst viele Daten
249 250
Strauss/Corbin, 1996, S. 149. Vgl. ebenda, S. 43.
102
5 Empirie
zu sammeln, die sich konzeptualisieren lassen. Die Anlage C liefert ein Beispiel für einen solchen Interviewleitfaden. Die Transkripte der ersten Interviews wurden dann mit dem Verfahren des offenen Kodierens aufgebrochen und konzeptualisiert. Der Text wurde Zeile für Zeile analysiert und es wurden Kodes vergeben, als Bezeichnungen für Wörter und Textpassagen. Kodes sind die Konzepte des untersten Abstraktionsniveaus. Dabei wurden vor allem In-vivo-Kodes generiert, das bedeutet, dass Wörter aus dem Sprachgebrauch der Interviewten als Kode „unübersetzt“ übernommen wurden. Eine Art der Generierung von In-vivo-Kodes war die sprachliche Analyse, vor allem die Suche nach Wörtern, die der Interviewte als aus seiner Sicht bedeutsame Schlüsselwörter einbaute. Das kann man besonders gut erkennen, wenn in einem eher umgangssprachlichen Plauderton plötzlich ein Fachbegriff auftaucht. Beispiele für solche In-vivo-Kodes sind „Konkurrenz“, „Mentor“, „Coach“, „Promotor“ etc. Eine andere Art der Generierung von In-vivo-Kodes war die Identifizierung von Begriffen, die ein hohes Abstraktionsniveau haben und deshalb auf Konstrukte der subjektiven Theorien oder auf kognitive Schemata des Interviewten hindeuteten. Beispiele für solche In-vivo-Kodes sind „Türöffner“, „Lippenbekenntnis“, „Beratungsfalle“ etc. Wenn interessante Passagen in den Texten auftauchten, die sich nicht durch Schlüsselwörter des Sprachgebrauches des Interviewten beschreiben ließen, so wurden sie mit Begriffen kodiert, die den Inhalt der Textpassage möglichst gut zusammenfassend beschreiben, zum Beispiel „Zusammensetzung AssessmentCenter“. Die Generierung der Kodes wurde mit der Software „Atlas-Ti“ unterstützt. Dieses Tool ist die international am meisten verbreitete und eine anerkannte Software für die EDV-Unterstützung von qualitativen Text- und Dokumentenanalysen.
5.2 Qualitative Empirie
103
Als Ergebnis des offenen Kodierens entstand zunächst eine sehr lange Liste an Kodes. Diese Kodeliste wurde nun reduziert, indem zum einen ähnliche Begriffe einheitlich benannt wurden („Feedback“ und „Rückmeldung“ zu „Feedback“), zum anderen wurden Kodes, die gleichartige Phänomene beschrieben, auch gleich benannt (Beispiel: Aus „Kontaktherstellung“, „Kontaktknüpfung“ und „Kontaktanbahnung“ wurde „Prozess Kontaktaufbau“.). Die konsolidierte KodeListe war aber immer noch sehr lang. Als nächstes wurden die Kodes zu Kategorien zusammengefasst und damit auf ein höheres Abstraktionsniveau gebracht. Während Kodes einer Rezeption des Datentextes entsprechen, sind Kategorien die Versuche des „eigenen konzeptionellen Sprechens“.251 Einige der Kodes konnten direkt als Kategorie übernommen werden, weil sie ohnehin schon sehr abstrakte Konstrukte beschrieben, dazu gehörten vor allem einige der In-vivo-Kodes, wie bspw. „Türöffner“. Die Liste der Kategorien war aber immer noch lang. Um eine Ordnung in diese lange Liste von Kategorien zu bringen, wurden erst einmal grundsätzlich drei Klassen von Ober-Kategorien gebildet. • Netzwerkakteure sind gekennzeichnet durch attributive Eigenschaften. • Netzwerkbeziehungen beschreiben die Relationen zwischen Personen und Organisationen auf Beziehungsebene. • Prozesse beschreiben, wie die Beziehungen entstehen und sich entwickeln. Um noch mehr Systematik in die Liste der Kategorien zu bringen, wurden einige Konstrukte der quantitativen Netzwerkanalyse entlehnt. Demnach wird die Kategorie Netzwerkbeziehung zum Beispiel beschrieben durch die Subkategorien Beziehungsinhalt, Intensität etc. Es wurde jeweils gefragt, wer unterhält mit wem eine Beziehung mit welchem Ziel, Inhalt, Häufigkeit etc.
251
Vgl. Berg/Milmeister, 2007, S. 187.
104
5 Empirie
Das Kategoriensystem ergibt sich dann wie folgt: A. Netzwerkakteure, gekennzeichnet durch a. Ziele b. Macht c. Möglichkeiten B. Netzwerkbeziehungen, gekennzeichnet durch a. Inhalt b. Intensität c. Prozess des Beziehungsaufbaus C. Beziehungsnetzwerk. gekennzeichnet durch a. Ego-Netzwerkakteur b. Alteri-Netzwerkakteure gekennzeichnet jeweils durch i. Anzahl ii. Beziehung Dieses Kategoriensystem wurde nun verwandt, um einen Interviewleitfaden zu entwickeln, der sehr viel spezifischer war. Mit diesem Interviewleitfaden wurden die nächsten Interviews, insbesondere die von Gründern, durchgeführt. Entsprechend der Forschungsfragen sollte dabei eine Konzentration auf die Probleme der Gründer erfolgen. Probleme stellen beschreibende Eigenschaften der oben definierten Kategorien dar, das heißt, es wurde nach Zielkonflikten, Problemen beim Finden von Netzwerkpartnern (=Alteri), Prozess der Vernetzung etc. gefragt. Anlage D liefert ein Beispiel für einen solchen Interviewleitfaden. Würde man diese Analyse detailliert zu Ende führen, so ergäbe sich aber zunächst nur eine deskriptive Bestandsaufnahme der verschiedenen Beziehungsnetzwerke.
5.2 Qualitative Empirie
105
Ziel der Grounded Theory Method ist aber nicht die Beschreibung empirischer Phänomene in ihrer Einzigartigkeit, sondern die Konzeptionalisierung.252 Als nächster Schritt stünde entsprechend der Grounded Theory Method das axiale Kodieren an, das die Kategorien in Ursache-Wirkungs-Beziehungen setzt. Um mit der riesigen Datenmenge des immer noch sehr weit definierten Forschungsfeldes klar zu kommen, wurde die Phase des axialen Kodierens während der Interviews vorbereitet. Das geschah zum einen, indem die Kausalzusammenhänge direkt abgefragt wurden, vor allem durch „Wie“ und „Warum“-Fragen. Zum anderen wurden die Kausalzusammenhänge diskursiv-dialogisch herausgearbeitet. Die Interviews wurden erneut kodiert und die Kodes in das Kategoriensystem eingeordnet. Danach begann das axiale Kodieren, dessen Hauptfunktion darin besteht, über das empirische Material hinauszukommen.253 Es wurden die ersten Theoriememos verfasst, das heißt, Kausalzusammenhänge zwischen Kategorien wurden zu Theoriefragmenten zusammengefasst und schriftlich fixiert. Die Datenmenge war aber immer noch zu groß. Um diese Datenmenge zu bewältigen, wurde nun folgender Behelf angewandt: Aus der quantitativen Datenanalyse wurde das Verfahren der Blockmodellanalyse entlehnt. Die Blockmodellanalyse fasst Netzwerkakteure, die sich durch ähnliche Beziehungsmuster eingehender und ausgehender Beziehungen auszeichnen, zu Blöcken zusammen.254 Die Blockmodellanalyse reduzierte die lange Liste der Netzwerkakteure auf wenige Akteurskategorien. Nun wurden die Kernprozesse definiert. Seitens der Gründungsförderer ist der Kernprozess der Gründungsförderprozess. Alle anderen Prozesse lassen sich logisch als begleitende oder unterstützende Prozesse des Kernprozesses einordnen.
252
Vgl. ebenda, S. 184. Vgl. ebenda, S. 201. 254 Vgl. Jansen, 2006, S. 212 253
106
5 Empirie
Aufseiten der Gründer lässt sich die Identifizierung der Kernprozesse nicht logisch herleiten, sondern stellt eine interpretative Wahlentscheidung dar. Die Kernprozesse der Gründer, der sich aus den vorliegenden Daten ergibt, ist der Marktzugangsprozess. Die Identifizierung der Kernprozesse bildete die Konzepte für das diskriminierende Sampling und selektive Kodieren. Die ersten Datenauswertungen und Theoriememos hatten interessante Fäden geknüpft, von denen in diesem Stadium des Forschungsprozesses nun viele fallengelassen, das heißt nicht weiterverfolgt wurden, damit die Forschungsressourcen auf die Knüpfung einer konzeptionell dichten Theorie um die Kernprozesse konzentriert werden können. Zu diesem Zeitpunkt des Forschungsprozesses wurde also eine Wahlentscheidung getroffen. Diese Wahlentscheidung bildet einen Angriffspunkt für Kritik, denn in der Wahlentscheidung spiegelt sich auch die Subjektivität der Forscherperson wider, der Forscher ist als Subjekt in den Forschungsprozess eingebunden. Die Angreifbarkeit der Wahlentscheidung stellt aber kein Manko, sondern im Gegenteil ein Gütekriterium dar. Wahlentscheidungen sind unüberwindbare Begleiterscheinungen jedes Forschungsprozesses. Wichtig ist nur, dass sie interpersonell nachzuvollziehen und damit kritikfähig sind. Die folgenden Tabellen zeigen Ausschnitte aus der Systematik der Kategorien und Kodes, die während der Datenauswertung entwickelt wurde. Die folgenden Kategorien und Kodes wurden beispielhaft ausgewählt, weil sie sich sehr anschaulich mit wörtlichen Zitaten aus den Daten direkt ableiten lassen. Insofern dienen sie gut zur Illustration des Datenauswertungsprozesses. Nicht alle Kodes korrespondieren aber mit wörtlichen Zitaten. Die Aufgabe des Konzeptualisierens besteht hauptsächlich darin, zwischen den Zeilen zu lesen und sich anschließend von den Daten zu lösen und auf ein höheres Abstraktionsniveau zu gelangen.
107
5.2 Qualitative Empirie Kategorie
Kode
Beispielzitat
Bekanntmachung als Marktpartner
Notwendigkeit
„Also wenn wir im Markt nicht bekannt sind, da fragt doch keiner bei uns nach.“ „Also erhalte ich Aufträge. Allein dadurch, dass wir bekannt sind, dass wir irgendwo mal ausgeliefert haben, uns mal dargestellt haben.“
Probleme
„Viele potenzielle Kunden haben Scheuklappen, blocken gleich ab; wenn man allerdings erst mal ins Gespräch kommt, sind die Kunden viel offener.”
Strategie
„Da bin ich immer bestrebt so was persönlich aufzubauen, dass derjenige immer weiß, mit wem er es zu tun hat. Dass es nicht anonym ist.“ “Spielchen spielen [...] Ich bin jetzt aus Australien zurück”
Förderbedarf
Exploration der „Ich wünsche mir eine Rundreise, landesweit oder am besten sozialen bundesweit, um Unternehmen kennen zu lernen, in dem Marktfeld, Marktstruktur das mich interessiert, um Leute kennen zu lernen und mit Ihnen zu sprechen.“ Förderbedarf aus Sicht der Förderer
„Das zweite, was allgemein auch feststellbar ist, ist eine weitest gehende Unkenntnis der detaillierten Marktsituation und ihrer Entwicklung.“ „Matching Gründer - Finanziers: kein Problem; Matching Gründer - Kunden aus Industrie: großes Problem!“
Förderbedarf aus Sicht der Gründer
„An wen wende ich mich?“, „Wie baue ich Kontakte auf?“, „Publikmachung des eigenen Angebotes“, „Kontakte herstellen“ „Verhalten im Markt, Geschäftsgebaren“ „Auftreten als Unternehmerin. Preisverhandlungen führen“
Liability-ofNewness
Referenzen
„Das heißt im Endeffekt muss man sich ein paar Referenzen erst mal besorgen. Und die kriegt man meistens darüber, dass man sagt, hey schau mal, wir kennen uns doch, können wir mal für dich eine Kleinigkeit machen? Zum Freundschaftspreis.“
Vorteile Beziehungshistorie
„Weil diese ganze Abwicklung der Aufträge bei uns einfach - Wir haben Routine drin. Wir können uns in den Kunden hinein versetzen, was der haben will. Wir haben es inzwischen gelernt, die Verträge richtig zu lesen.“
Lock-In-Effekt Lock-In-Effekt Scale
Interviewer: „Wie sind Sie denn an die Firmenkontakte herangekommen?“ Interviewte: „Das ist immer, ja, über irgendwelche Bekannten [aus dem beruflichen wissenschaftlichem Umfeld, Anm. d. Verf.].“
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5 Empirie Lock-In-Effekt Scope
„Wenn also bspw. die Gründer aus einem technischen beruflichen Umfeld kommen, so wenden sie sich an den Techniker in der Technikabteilung des potenziellen Kunden, weil der zu dem erweiterten sozialen Netzwerk gehört. Um ein Produkt zu verkaufen, müssen aber nicht nur der Technical Buyer, sondern auch der Economic Buyer und der User Buyer überzeugt werden.“ Interviewer: „Und wie kommen Sie denn zu der Überzeugung? Haben Sie schon einmal mit einem Venture-Kapitalgeber geredet?“ Interviewte: „Nein, aber so hat es immer den Anschein, und so hört man es eigentlich immer.“
Türöffner
Vorbeugung
„Und haben halt dementsprechend hier auch super viele Kontakte und alles. Und für die war klar, wenn wir das machen, machen wir es in Berlin.“
Akteur
„Häufig solche, die recht erfolgreich sind, in ihrer Karriere jetzt nicht mehr unbedingt so viel noch selber vorhaben. Und die haben einfach mal Interesse daran, zu sagen, das sind nette Jungs, die haben- die machen was. Find ich gut, hab ich Respekt vor. Auf geht's. Denen helf ich jetzt einfach mal.“ „Über die Professoren zum Beispiel. Die sagen, ist kein Problem, wir fungieren da als Türöffner und übernehmen so eine Art Patenschaft dann letztendlich für den Gründer.“
Prozess
„Aber ich glaube, dass der uns einfach mal mit auf eine Networking-Veranstaltung nehmen könnte, und da sagt, Guten Tag, das ist übrigens der Herr .... Guter Mann, unterhalten Sie sich mal mit dem.“
Tabelle 4: Ausschnitt aus der Kodetabelle zu Gründernetzwerken
Kategorie
Kode
Anreizsystem Credits
Beispielzitat „Das ist ja ne ähm ne Strategie, die ich mit Gründerzahlen zum Beispiel führe. Weil ich mich rechtfertigen muss, meine finanzielle Mittel rechtfertigen muss. Und vielleicht auch sehen muss, dass ich im Anschluss noch oder noch mehr Geld bekomme. Und das ist natürlich eine Strategie, die ich verfolge. Und dann geht’s weniger um Inhalte, sondern da geht’s darum, was wie kann ich mich am Besten positionieren.“
Vorschriften
„Der [Name des Förderprogramms] ist ein Förderprogramm von uns, dem [Name des Fördergebers]. Wir legen die Richtlinien fest. Jeder [Förderträger, Anm. d. Verf.] kann selbst entscheiden, ob er an dem Programm teilnehmen möchte.“
ZielKompatibilität
„Es existiert ein Spannungsverhältnis zwischen den Zielen der Lehre und den kurzfristigen Erwartungen der Politik, die Hochschule wird von Politkern als „Gründungsautomat“ gesehen.“
109
5.2 Qualitative Empirie Beratungsbedarfsdiagnose
Schwierigkeit
„Und dieses sozusagen dieses Ohr erst mal zu öffnen, diesen Konversationsweg zu öffnen, das ist so oft das, womit ich eigentlich die erste Stunde immer verbringe.“
Aufwand
„Naja also ich glaube, was oft auch so ist, dass man natürlich auch viele so Pseudogründer hat, die immer nur die Kanäle verstopfen [...]Und das ist einfach verlorene Zeit.“ „Das kann ich jetzt nicht unbedingt in Stunden ausdrücken. Aber eine Erstberatung dauert, wenn sie gut vorbereitet werden kann, in der Regel zwei Stunden, mindestens zwei, drei Stunden.“
Evaluation der Feedback nach Kooperation Weiterleitung
„Jetzt lautet die Devise: wenn kein Feedback kommt heißt es, gut gelaufen“ „Hol- oder Bringschuld?“
Hemmnisse
„Es gibt natürlich, denk ich mal bei jedem, und die hatte ich auch, Vorbehalte an einen Dritten bestimmte Dinge zu kommunizieren, die meine eigene Arbeit betreffen. Das ist einfach so. Und das macht jeder andere auch. Jeder versucht sich einfach zu schützen. Jeder hat Stärken und jeder hat auch Schwächen. Und die Schwächen will man natürlich nicht unbedingt kommunizieren.“ „Weil jeder ist sehr zurückhaltend mit Information, die natürlich sicher auch immer teilweise dem Interesse des jeweiligen Gründers dienen.“
Kosten
„Aber eben jetzt vielleicht, dass das Umsetzen einer Gründungsidee, eine Gründung ständig zu begleiten und dann auch Feedback darüber zu bekommen, wie bestimmte Beratungen, Unterstützungsmöglichkeiten funktioniert haben oder nicht, das denk ich mal, ist hoch kompliziert [...] Aber das zu organisieren würde irgendwo dann auch Kräfte und Geld binden, was wir einfach nicht haben.“
Qualität des Partners
“O-Ton der Beratungsfirma: wir schreiben auf blauen Dunst Konzepte, weil die Gründer das in der Regel selber nicht können” „Qualitätsmonitoring eher in Form von mündlichem Austausch durch Kommunikationsfeedback“
Informations- Defekte bei asymmetrie Selbstdiagnose
„Und das Beratungsgespräch oder die Beratung führt in der Regel dort hin, dahin dass im Ergebnis wesentlich mehr Erkenntnisse für den Gründer oder auch Antworten auf Fragen, die er vorher noch nicht gestellt hatte, sein Mehrwert sind.“
fehlende Selbstdiagnose
“Selbstständigkeit war ursprünglich Notlösung”
Informationsdefizit
“hab gedacht, ich bin zu lange weg von der Uni für Förderangebote” „Bürokratie schreckt ab“
110
5 Empirie Informationskomplexität
„Es dauert ewig, bis man durch sich durch die Webseiten bei [Name des Förderträgers] durchgeklickt hat und alles verstanden hat.“
Konkurrenz Hofierung der zwischen Gründer Förderträgern
„Und als dann die erste [Name des Förderprogramms] -Beratung war, war mir auch klar, warum also wir irgendwie so ein bisschen hofiert worden sind [...] Weil da haben wir die anderen Projekte kennen gelernt. [...]Und wir sind im Grunde in dem Vergleich High-tech; und das hatten sie noch nicht.“ „[Name des Gründers] wurde sehr hofiert von [Name des Förderträgers], ist aber immer noch nicht mit dem Studium fertig.“
Konkurrenz um „Und jeder weiß natürlich auch, dass das nicht - dass die Gründer Zielgruppe nicht auf’m Baum wachsen [...] Und das ist natürlich dann - Da Gründer kämpft dann jeder um jeden Kunden.“ „[...] da kommen sozusagen diese Fritzen andauernd an und gucken, ob wir etwas zu patentieren haben.“ Konkurrenzdruck
Kooperation Kooperationszwischen vorteile für Förderträgern Gründer
Natürlicher Facilitator
Kooperations- fehlende defekte Netzwerkpartner
„Also wer hat die meisten Gründer? Welche Kurse sind besonders gefüllt? Und wer hat wie viel Teilnehmer? Dann ist es natürlich so, dass man dadurch, dass es ähm dass es auch einen Druck erzeugt, oder dass Konkurrenzdruck erzeugt wird, von wem auch immer.“ „Und das ist doch schon ein Vorteil für einen Gründer, weil das, was es im [Name des Förderprogramms] gab, gab’s nicht unbedingt bei [Name des Förderprogramms] und umgekehrt. Und die Projekte ähm die beiden Programme haben sich wunderbar ergänzt. Und da war das ein klassisches Beispiel, wie so ein Netzwerk gut funktioniert.“ „Also wenn ich einfach sage, ich hab hier einen Gründer, der macht das und das, wir suchen das und das an der Stelle. Dann guckt einfach mein Ansprechpartner mal durch, welche Kunden er in seinem Geschäftskundenbereich hat, die in dem Bereich irgendwie tätig sind.“ „Also sprich, wir bräuchten mehr branchenspezifische Partner, die sehr marktorientierte Anregungen geben können, unseren Gründern.“ „Und natürlich auch wenn die Gründungsideen nicht mehr im nationalen Rahmen, sondern im internationalen Rahmen stattfinden, dann wird es auch schwieriger. Weil da sind einfach die - Da fehlen mir auch Netzwerkpartner, die in dem Rahmen einfach das Wissen mitbringen und die Erfahrung mitbringen.“
111
5.2 Qualitative Empirie Defekte bei Weiterleitung
„Und da greifen die [Name des Förderträgers] -angebote nicht. Aber das Verständnis ist an der Stelle nicht da. Also die [Name des Förderträgers] sehen das, was wir machen eher als so zusätzliche Institution, die künstlich aufgeblasen wird, sag ich es mal so.“ “Selbstständige sind für die [Name des Förderträgers] das Allerletzte. [...] Als würde man in die Hölle absteigen”
Künstliches Netzwerk
Kooperationskosten
„Also wenn man sich überlegt, was es allein schon an Koordinationsaufwand gibt, um die ganzen [Name des Förderträgers]-Leute zusammenzubringen. Und dann noch die ähm die die internen und externen Partner.“
Pflichtpartner
„Wir sind jetzt über den [Name des Förderprogramms] natürlich verpflichtet, miteinander zu arbeiten, weil unsere Gründer in dem Rahmen eine Pflichtberatung bei [Name des Förderträgers] in Anspruch nehmen müssen [...]Und da haben wir so eine Pflichtpartnerschaft, [...] die aber nicht inhaltlich wirklich zur ehrlichen Partnerschaft, sondern eher sehr einseitig.“
Pro-formaPartner
„Sie gehören zu unseren Partnern, auch über [Name des Förderträgers], keine Frage, aber in der eigentlichen Arbeit [...] funktioniert das nicht.“
Show-Netzwerk „[Name des Förderprogramms], insbesondere Projekt [Name des Förderprogramms], wurde mit viel Tamtam begonnen um viel Aufmerksamkeit bei Hochschulleitung und Politik zu erregen, aber konkrete Zusammenarbeit des [Name des Förderprogramms] ist de facto sehr schnell eingebrochen.“ „ [...] wo wir zusammen tätig werden wollten, das immer mehr beim Lippenbekenntnis blieb.“ „Und was war dieser Letter-of-Intent damals? [...] Da kann ich Ihnen überhaupt nichts zu sagen, weil ich da keine Erinnerung mehr habe. Ich weiß nicht mal, dass ich da irgendwas wie unterschrieben habe [...] Und die Tatsache, dass ich mich an nichts mehr erinnere, zeigt, dass da nichts weiter passiert ist.“ One-StopShop / One Stop Agency
Konzept
„Eine One-Stop-Agency ist eigentlich das, was ich vorhin schon versucht habe, zu erläutern. Also wenn ich das jetzt nur auf Gründungen beziehe, dass es einen Ansprechpartner gibt, der durch seine Vernetzung mit allen anderen relevanten Akteuren, den Gründer wirklich den Weg weisen kann.“
Praktikabilität
„Beim Thema Gründungen sieht das nach meine Ansicht schon ein bisschen anders aus. Also wir verstehen uns da nicht als der Knotenpunkt, der dann auch wirklich die Fäden in der Hand behält. Das würde nicht funktionieren. Das würde uns auch überfordern und würde das ganze Vorhaben dann auch letztendlich uneffektiv machen, wenn wir sagen, alles muss durch uns in irgendeiner Art und Weise dann auch gesteuert und kontrolliert werden.“
Tabelle 5: Ausschnitt aus der Kodetabelle zu Gründungsfördernetzwerken
112
5 Empirie
5.2.3 Eine Grounded Theory zu Gründernetzwerken bei der Marktetablierung 5.2.3.1 Darstellung der Ergebnisse Der Entrepreneurial Prozess ist vor allem ein Explorationsprozess. Der Gründer entdeckt schrittweise die sozialen Strukturen des Marktes, einer für ihn zunächst unbekannten sozialen Umwelt. Die Aussage betrifft vor allem den Geschäftskundenmarkt. Die sozialen Strukturen des Marktes beinhalten die Marktteilnehmer und die Geschäftsbeziehungen zwischen den Marktteilnehmern, das heißt neben den attributiven Eigenschaften der Marktteilnehmer auch deren relationale Eigenschaften in Bezug auf die Position im marktlichen Geschäftsbeziehungsnetzwerk. Die Exploration bezieht sich auch auf die Marktprozesse, vor allem im Geschäftskundenmarkt. Die Abgrenzung des Entrepreneurial Prozesses entspricht dem Anfang und Ende des Explorationsprozesses. Der Explorationsprozess beginnt bei der Opportunity Identification und endet nicht in der Organisation Creation Phase, sondern wird in der Phase des Marktzugangs und der -etablierung weitergeführt werden. Aufgabe der Marktetablierungsphase ist die Besetzung einer Position in der sozialen Struktur des Marktes. Die soziale Position ermöglicht den Zugang zu Informationen über Absatzchancen. Eine Absatzchance ist dabei kein abstraktes Marktpotenzial, sondern die Chance auf einen Geschäftsabschluss. Die notwendige Voraussetzung für die Anbahnung eines Geschäftsabschlusses ist die Kenntnis eines potenziellen Geschäftspartners mit seinen spezifischen attributionalen und relationalen Eigenschaften in Bezug auf seine Position im marktlichen Geschäftsbeziehungsnetzwerk und die Bekanntheit des Gründers beim potenziellen Geschäftspartner. Erst wenn der Gründer beim Geschäftspartner bekannt ist, wird er bei dessen Suche nach Geschäftsgelegenheiten berücksichtigt. Erst wenn Gründer und Geschäftspartner sich gegenseitig kennen, können sie in Kommunikation treten. Das Kontaktnetzwerk des Gründers ist dabei eine kognitive Map von einem Ausschnitt der sozialen Realität.
5.2 Qualitative Empirie
113
Zur Entdeckung von Absatzchancen tritt der Gründer in Kommunikation mit den Akteuren seiner kognitiven Map. Die Aufgabe des Explorationsprozesses besteht darin, die kognitive Map so zu erweitern, dass der Gründer mit ausreichend vielen Akteuren in Kommunikation treten kann, die ihm Zugang zu möglichst vielen Informationen über Absatzchancen bieten. Fehlende Kenntnis der sozialen Marktstrukturen ist – aus Sicht der Gründer – ein Problem bei der Gründung. Die fehlende Kenntnis der sozialen Marktstrukturen wurden von allen interviewten Gründern als wichtigstes Problem genannt. „An wen wende ich mich?“, „Wie baue ich Kontakte auf?“, „Publikmachung des eigenen Angebotes“, „Kontakte herstellen“ Hilfestellung bei der Entdeckung der Marktstrukturen ist eines der wichtigsten und am häufigsten genannten Wünsche der interviewten Gründer. Fehlende Kenntnis der sozialen Marktstrukturen wirkt sich wie folgt aus: Bei der Exploration der Marktstrukturen besteht die Gefahr eines negativen Lock-in-Effekts. Ein negativer Lock-in-Effekt bedeutet ein Eingeschlossensein in den Netzwerkstrukturen des eigenen Beziehungsnetzwerkes. Der Lock-inEffekt entsteht, wenn die Erweiterung der kognitiven Map nicht vorangetrieben wird und die Kommunikation nur mit einem begrenzten Set an Akteuren geführt wird. Der Lock-in-Effekt bewirkt, dass man nicht genügend Informationen über Geschäftsgelegenheiten erhält. Ein Scale-Lock-in liegt vor, wenn zu wenige potenzielle Geschäftspartner im eigenen sozialen Kommunikationsnetzwerk enthalten sind. Ein Scope-Lock-in liegt vor, wenn das Netzwerk einseitig verzerrt (engl. biased) ist und die falschen Ansprechpartner beinhaltet. Ein Scope-Lock-in-Effekt entsteht vor allem dadurch, dass die sozialen Netzwerke, die während des Studiums oder während der Arbeit als wissenschaft-
114
5 Empirie
licher Mitarbeiter aufgebaut werden, nicht automatisch auch adäquat für den Zugang zu Informationen über Absatzchancen sind. Die Gefahr besteht, dass die Gründer nur mit Partnern kommunizieren, die zu ihrem erweiterten sozialen Netzwerk gehören, mit Netzwerkpartnern gleicher Ausbildung, gleichen beruflichen Hintergrunds und die die gleiche Terminologie benutzen. Wenn die Netzwerke im Laufe des Entrepreneurial Prozesses nicht entsprechend erweitert werden, wird der Gründer nicht ausreichend mit Informationen versorgt. Wenn die erste Hürde genommen wurde und der Gründer Zugang zu Informationen über Absatzchancen hat und auch die Ansprechpartner kennt – also die attributiven und relationalen Eigenschaften der potenziellen Geschäftspartner –, so ist die notwendige Bedingung für das Eintreten in die Kommunikation und Verhandlungen mit den potenziellen Geschäftspartnern erfüllt. Die hinreichende Bedingung besteht nun in der Bereitschaft des potenziellen Geschäftspartners, in Verhandlungen einzutreten. Hier entsteht eine zweite Hürde für den Gründer, er unterliegt einer Liability-ofNewness. Die Liability-of-Newness entsteht durch geringe Vertrauenswürdigkeit. Vertrauen bezieht sich hierbei auf das Vertrauen in den Willen und in die Fähigkeit des Gründers, die vereinbarten Leistungen zu erbringen. Fehlende Vertrauenswürdigkeit erzeugt hier also ein prohibitiv hohes Risiko. Die fehlende Historie zwischen Gründer und potenziellem Geschäftspartner senkt die Vertrauenswürdigkeit. Die Liability-of-Newness bewirkt eine Benachteilung gegenüber etablierten Unternehmen. Es gibt zwei Mechanismen, die diese Form der Liability-of-Newness überwinden können: das Referenzprojekt und der Türöffner. Das Referenzprojekt ist ein Vertrauenssurrogat, das an Stelle einer Geschäftshistorie eingebracht wird. Erfolgreiche Referenzprojekte erhöhen die Vertrauenswürdigkeit und senken damit das Risiko beim potenziellen Geschäftspartner. Der Türöffner ist ein Akteur, der sowohl mit dem Gründer als auch mit dem potenziellen Geschäftspartner über persönliche Beziehungen direkt verbunden
5.2 Qualitative Empirie
115
ist. Der Türöffner setzt nun sein eigenes Sozialkapital für den Gründer so ein, dass der potenzielle Geschäftspartner zu einem Gespräch bereit ist (er öffnet dem Gründer die Tür in das Zimmer des potenziellen Geschäftspartners). Die Kontaktanbahnung über einen Türöffner ist eine sehr effiziente Form der Kontaktanbahnung, und zwar aus folgendem Grund: Der Türöffner begibt sich in die Gefahr, seine persönlichen Beziehungen zu beiden Akteuren zu belasten. Diese Gefahr hat eine Filterfunktion, da der Türöffner nur dann vermittelt, wenn er überzeugt ist, dass durch die Vermittlung eine Win-Win-Situation für beide – die Gründerperson und den potenziellen Geschäftspartner – geschaffen werden kann. Da die vermittelte Gründerperson um die Gefahr der Belastung der direkten Beziehung seines Netzwerkpartners weiß, entsteht nun seinerseits ein erhöhter moralischer Druck, die Geschäftsanbahnung mit einem Höchstmaß an Professionalität und Leistungsbereitschaft voranzutreiben. Dieser moralische Druck verbunden mit der Filterfunktion machen Geschäftsanbahnungen über Türöffner für den potenziellen Geschäftspartner sehr wertvoll. Der Zugang zu Möglichkeiten für Referenzprojekte und die Bereitstellung von Türöffnerfunktionen sind also ebenfalls Fördermöglichkeiten, die einen vorhandenen Förderbedarf decken. Die folgende Abbildung fasst die Kernaussagen der kleinen Grounded Theory zusammen, und zwar in Form des Kodierparadigmas der Grounded Theory Method.255
255
Vgl. Mey/Mruck, 2007, S. 29.
116
5 Empirie
Kontext • Anbahnung von Geschäften erfolgt über das Kommunikationsnetz zwischen den Marktakteuren • Liability-of-Newness wegen fehlender Geschäftshistorie
Ursachen • Netzwerk der potenziellen akademischen Gründer ist zu klein • Netzwerk der potenziellen akademischen Gründer enthält zu wenig Marktakteure
Konsequenzen kein Netzwerk Lock-in-Effekt
• Gründer erhalten Informationen über Absatzchancen • Gründer überwinden Liability-of-Newness
Handlungsstrategien der Gründer • Exploration der sozialen Marktstruktur • Vergrößerung und Erweiterung des professionellen Netzwerkes • Unterstützung durch Türöffner und Referenzen
Kontext • Anbahnung von Geschäften erfolgt über das Kommunikationsnetz zwischen den Marktakteuren • Liability-of-Newness wegen fehlender Geschäftshistorie
Ursachen • Netzwerk der potenziellen akademischen Gründer ist zu klein • Netzwerk der potenziellen akademischen Gründer enthält zu wenig Marktakteure
Netzwerk Lock-in-Effekt
Konsequenzen • Gründer erhalten zu wenig Informationen über Absatzchancen • Gründungshemmnis • Wachstumshemmnis
Handlungsstrategien der Gründer • ungenügende Exploration der sozialen Marktstruktur • Netzwerk wird nicht vergrößert • Netzwerk wird nicht um Marktakteure erweitert
Abbildung 4: Grounded Theory zu Gründernetzwerken bei Marktetablierung
5.2 Qualitative Empirie
117
5.2.3.2 Diskussion Es gibt bisher nur wenige qualitative Studien zu Gründungsnetzwerken. Das liegt daran, dass das Forschungsfeld von quantitativ-deskriptiven Netzwerkstrukturanalysen mit geringer theoretischer Tiefe dominiert ist.256 Birley beschrieb schon 1985 zwei empirisch verankerte Gefahren von zu kleinen Gründernetzwerken: Die informellen Kontakte des persönlichen Beziehungsnetzwerkes sind geprägt von der bisherigen Lebens- und Arbeitssituation der angehenden Gründerperson. Die informellen Kontakte liefern zwar emotionale Unterstützung und Motivation, sie sind aber nicht unbedingt qualifiziert, um unverzerrte Einschätzungen und Ratschläge zu erteilen. Wenn darüber hinaus für die Akkumulation der Ressourcen ausschließlich die bestehenden beruflichen Kontakte des persönlichen Beziehungsnetzwerkes genutzt werden, besteht die Gefahr einer Rekreation der bisherigen Beschäftigung, auch wenn die Gründung in ganz anderen Märkten erfolgt.257 Diese Ergebnisse lassen sich als negativer Netzwerk-Lock-in-Effect einordnen. Jack/Anderson führten eine qualitative Untersuchung der Netzwerke von sieben bereits gegründeten Unternehmen über einen Beobachtungszeitraum von drei Jahren durch. Sie kommen zu der Erkenntnis, dass die Etablierung von Gründernetzwerken vor allem dazu dient, die soziale Struktur zu verstehen und Teil der Struktur zu werden. Netzwerke liefern vor allem Opportunities, und zwar umso mehr Opportunities, je größer das Netzwerk ist. Dabei liefert das Netzwerk nicht nur die Informationen über Opportunities, sondern die Opportunities liegen innerhalb der sozialen Struktur. Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit der eigenen Analyse, obgleich das Konzept der Opportunity in der Studie von Jack/Anderson sehr unscharf bleibt.258
256
Vgl. Hoang/Antoncic, 2003. Vgl. Birley, 1985. 258 Vgl. Jack/Anderson, 2002, 483-485. 257
118
5 Empirie
Die hier vorgestellte Grounded Theory konnte darüber hinaus zeigen, dass die Opportunities deshalb innerhalb der sozialen (Markt-)Struktur liegen, weil die Marktteilnehmer bei der Suche nach Geschäftspartnern nur innerhalb der Marktstruktur suchen, so dass nur diejenigen von Absatzmöglichkeiten erfahren, die an dieser Struktur teilhaben. Das gilt vor allem für den Geschäftskundenmarkt. Lechner/Dowling ermittelten in einer breiten qualitativ-empirischen Studie das empirisch verankerte Konzept des „Reputational Network“: „By developing a reputational network, two effects are possible. The rm gains access to the other network (network structure effect and reputational effect) and the company gains new relations through the reputational effect.“259 „Reputational networks therefore help to overcome liability of newness.“260 Der Netzwerkstruktureffekt nach Lechner/Dowling entspricht dem Konzept der Besetzung einer Position in der sozialen Struktur des Marktes. Der Reputationseffekt durch Netzwerke nach Lechner/Dowling entspricht dem Konzept des Türöffners. Vor allem aber unterstützt die Untersuchung das Konzept des Lockin-Effektes: „Lack of reputational networks constitutes a growth barrier.“261 Hemer führte eine qualitative Fallstudienanalyse von 20 akademischen Gründungen durch, wobei der Einfluss der Gründernetzwerke auf den Gründungserfolg nur einer von vielen Aspekten war. „Nur eine Minderheit der befragten Unternehmer setzten ein mehr oder weniger dichtes persönliches Kontaktnetz außerhalb ihres Kollegenkreises für ihre Unternehmensgründung bzw. für ihre spätere Geschäftsführungstätigkeit ein. [...] Wenn auch dieser Aspekt in der Analyse nicht 259
Vgl. Lechner/Dowling, 2003, S. 12. Ebenda. 261 Ebenda. 260
5.2 Qualitative Empirie
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vertieft werden konnte, verbleibt aus der Sicht des Untersuchungsteams der Eindruck, dass die Gründer sich zumindest zum Beginn eher in einem engen Aktionsraum bewegten.“262 Zusätzlich stellt Hemer einen allgemeinen Mangel bei der Markteinschätzung fest. Diese beiden Beobachtungen lassen sich als negative Auswirkungen eines Netzwerk-Lock-in-Effekts einordnen.263 Hemer definiert folgerichtig den Ausbau und die Nutzung des persönlichen Netzwerkes der Gründer als kritischen Erfolgsfaktor für den Erfolg des Gründungsunternehmens.264 Die Ergebnisse der in dieser Arbeit entwickelten Grounded Theory decken sich also mit den Beobachtungen der anderen qualitativen Studien zu Gründernetzwerken. Das Konzept des Türöffners wurde bereits als Konzept der Empfehlung und als Konzept des Vertrauensintermediärs in Zusammenhang mit Gründernetzwerken diskutiert.265 Das Konzept der Liability-of-Newness geht auf Stinchcombe266 zurück und ist in der theoretischen und empirischen Entrepreneurship-Forschung bereits etabliert.267 Zu diesen beiden Konzepten bietet die vorliegende Arbeit keine neuen Einsichten, sondern nur empirische Unterstützung. Der neuartige Beitrag dieser kleinen Grounded Theory ist ein detaillierteres Verständnis der Bedeutung des Netzwerkes für die Marktetablierung. Die hier vorgestellte Grounded Theory schafft es im Gegensatz zu anderen Studien über Gründernetzwerke, über die phänomenologisch-deskriptive Ebene hinaus auf eine theoretische, explanatorische Ebene zu gelangen, denn die Bedeutung des Netzwerkes für die Marktetablierung lässt sich nahtlos in die basale Netzwerkstrukturtheorie einordnen. 262
Vgl. Hemer, 2006, S. 41. Vgl. ebenda, S. 39. 264 Vgl. ebenda, S. 174. 265 Vgl. Shane/Cable, 2002, S. 157; Nicolaou/Birley, 2003b, S. 1705. 266 Vgl. Stinchcombe, 1965. 267 Vgl. Tamásy, 2005, S. 36. 263
120
5 Empirie
Ein wirtschaftspolitischer Handlungsbedarf im Sinne eines Marktversagens lässt sich daraus zwar nicht ableiten. Die Ergebnisse können aber als Anregung für die didaktische Konzeption in der Entrepreneurship-Lehre dienen, denn die Sozialstruktur der Märkte ist lehr- und lernbar. Markt- und Branchenwissen bestehen eben nicht nur aus tacitem Wissen, das nur durch Teilnahme am Markt erworben kann. Dabei ist vor allem die Funktionsweise des Geschäftskundenmarktes für Spinoffs im höchsten Maße relevant. Spinoffs aus dem Wissenschafts- und Hochschulbereich agieren in forschungs- und wissensintensiven Branchen, die von tiefen und komplexen Wertschöpfungsketten geprägt sind. Akademische Spinoffs produzieren selten Endprodukte für die Konsumenten, sondern Produkte und Dienstleistungen innerhalb der tiefen Wertschöpfungsketten. Beim Studium von Marktstrukturen im Rahmen der Gründungsvorbereitung geht es im Sinne der Netzwerktheorie nach Bommes/Takke um die Generierung von sozialen Adressbüchern, die die Voraussetzungen für die Etablierung individueller Netzwerke bilden und der Gefahr des Netzwerk-Lock-in-Effekts vorbeugen helfen. Die sozialen Adressbücher sind besonders für den Geschäftskundenmarkt relevant. In der hier verwandten Terminologie geht es um die Unterstützung beim kognitiven Mapping der anvisierten Märkte. Die sozialen Adressbücher sind besonders für den Geschäftskundenmarkt relevant. Folgende Lehrinhalte werden deshalb als Ergänzung der Entrepreneurship-Lehre zur Prophylaxe des Lock-in-Effektes vorgeschlagen: branchentypische Wertschöpfungsketten und -prozesse, Branchenstrukturen inkl. der Namen der Unternehmen auf den jeweiligen Stufen der Wertschöpfungskette, branchentypische interne Organisation der Unternehmen, Beschaffungsprozesse und -zyklen, branchentypische Strukturen der Verbände/Kammern, branchentypische Kommunikationsplattformen wie Messen, Publikationen etc.
121
5.2 Qualitative Empirie
5.2.4 Eine Grounded Theory zur Organisation der Gründungsförderung 5.2.4.1 Überblick Die folgende Abbildung fasst die Kernaussagen der folgenden Grounded Theory überblicksartig zusammen, und zwar in Form des Kodierparadigmas der Grounded Theory Method.268
Kontext • Vielzahl von Förderträgern • Kooperation zwischen Förderträgern verursacht Kosten • Informationsasymmetrie bezüglich Förderangebot zum Nachteil der Gründer
Ursachen • Überschneidungen der Förderprogramme • Knappheit der Fördermittel • inadäquates Anreizsystem, das nur einzeln zurechenbare Ergebnisse honoriert
Konsequenzen Kooperationsdefekte
• Unterversorgung der Gründer mit Förderleistungen • Ineffizienz der Gründungsförderung
Handlungsstrategien der Förderträger • nutzenmaximierendes Verhalten • Konzentration der Ressourcen auf direkt zurechenbare Ergebnisse • Gründungsförderprozess wird nicht vollständig ausgeführt
Abbildung 5: Grounded Theory zur Organisation der Gründungsförderung
268
Vgl. Mey/Mruck, 2007, S. 29.
122
5 Empirie
5.2.4.2 Deskription des Kontextes In der öffentlichen Gründungsförderung gibt es vier Akteure: • Fördergeber, • Förderintermediäre, • Förderträger, • Zielgruppe. Die Fördergeber sind die staatlichen politischen Entscheidungsträger, welche die Verfügungsmacht über die Fördermittel besitzen, also über die Finanzmittel der öffentlichen Haushalte, mit denen die Gründungsförderung finanziert wird. Die Förderträger sind die Träger der Gründungsförderung. Sie führen die Förderung operativ durch und erhalten dafür die Fördermittel vom Fördergeber. Förderintermediäre sind institutionelle Zwischenstationen zwischen Fördergebern und Förderträgern. Die Zielgruppe ist die Menge an Personen oder Institutionen, die letztlich gefördert werden soll. Zwischen Fördergeber und Förderträger wird ein Vertrag geschlossen. Dieser Vertrag heißt Gründungsförderprogramm. Ein Gründungsförderprogramm sei definiert als eine wirtschaftspolitische Maßnahme, die ein kostenloses oder subventioniertes Angebot an Förderleistungen bereitstellen soll und dazu einen Förderträger mit der operativen Durchführung der Förderung beauftragt, wobei dieser Auftrag aus folgenden Dimensionen besteht: 1. Definition der Zielgruppe; 2. Definition des Inhaltes der Förderung, sprich der Fördergegenstand; 3. Definition der Dauer der Fördermaßnahme; 4. Definition der Finanzierung der Förderung und Budgetzuweisung; 5. Definition der Erfolgskriterien.
5.2 Qualitative Empirie
123
Der Förderträger muss sich um die Auftragsvergabe bewerben. Er muss also das Förderprogramm akquirieren: Der Förderträger muss die Fördermittel „einwerben“. Das Förderprogramm kann auch aus mehreren Unterauftragsverhältnissen bestehen. Dann werden Verträge zwischen Fördergeber und Förderintermediär(en) einerseits und zwischen Förderintermediär(en) und Förderträger andererseits geschlossen. Bei der Begriffsbildung gilt es zu beachten, dass in der realen politisch-bürokratischen Terminologie der Förderträger im Verhältnis zum Fördergeber selbst als „Förderempfänger“ bezeichnet wird. Deshalb wird der Begriff „Förderempfänger“ in dieser Arbeit nicht verwendet. Die Menge der letztlich anvisierten Empfänger der Förderleistung heißt hier Zielgruppe. Es existiert eine Vielzahl von Gründungsförderprogrammen der öffentlichen Hand. Die Gründungsförderprogramme ergänzen sich zum Teil, zum Teil überschneiden sie sich. Die Ergänzung oder die Überschneidung erfolgen in allen fünf Dimensionen, also in Bezug auf 1. Zielgruppe, 2. Fördergegenstand, 3. Dauer der Förderung, 4. Finanzierung, 5. Erfolgskriterien. Ursache der Überschneidung von Förderprogrammen sind unterschiedliche Anlässe zur Auflegung der Förderprogramme. Mit den Förderzielen der Gründungsförderprogramme sollen übergeordnete politische Ziele verfolgt werden. Es gibt grundsätzlich (mindestens) drei Träger der Politik, die gründungspolitische Ziele verfolgen: 1. Die Wirtschaftspolitik im Allgemeinen und die regionale Wirtschaftspolitik im Besonderen sehen in Gründungen eine Stärkung des Wirtschaftsstandor-
124
5 Empirie
tes, als Ergänzung oder Alternative zum Wachstum von bestehenden Unternehmen und zur Ansiedlung von Unternehmen aus anderen Regionen. 2. Die Wissenschafts- und Bildungspolitik sieht Gründungen aus dem Wissenschafts- und Hochschulbereich als einen bedeutenden Kanal des Wissensund Technologietransfers. 3. Die Arbeitsmarktpolitik sieht Gründungen als eine Alternative zur Arbeitslosigkeit an. Bei den Trägern der Politik erfolgt die politische Willensbildung und politische Zieldefinition. Die politischen Entscheidungsträger entscheiden über die Verwendung der Fördermittel, definieren die Förderprogramme und entscheiden über die Zuweisung der Fördermittel an die Förderträger. Die drei Träger der Politik existieren aufgrund des föderalen politischen Systems in der Bundesrepublik und des föderalen europäischen politischen Systems auf (mindestens) fünf Ebenen: • EU, • Bund, • Länder, • Hochschul-Ebene, • Kommunale Ebene. Gemäß dem Subsidiaritätsprinzip werden die Förderprogramme top-down präzisiert und konkretisiert. Auf EU-Ebene stellen vor allem die Fördermittel aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und dem Europäischen Sozialfonds (ESF) in Verbindung mit den dazugehörigen Förderrichtlinien das oberste Förderprogramm dar. Diese Programme sind in Bezug auf die Dimensionen sehr abstrakt und bedürfen einer Konkretisierung, bevor sie operational umgesetzt werden können. Diese Konkretisierung erfolgt auf Bundes- oder Landesebene.
5.2 Qualitative Empirie
125
Fördergeber auf Bundesebene sind hinsichtlich der Gründungsförderung die Bundesministerien, denn die Bundesministerien legen selbst Förderprogramme aus eigenen Haushaltsmitteln auf. Die Bundesministerien sind zugleich Förderintermediäre der EU-Förderprogramme, wenn sie diese EU-Förderprogramme konkretisieren und gemäß dem Subsidiaritätsprinzip top-down delegieren. Vielfach werden zur Finanzierung der Förderprogramme EU-Mittel und Haushaltsmittel kombiniert. Dabei beauftragen die Bundesministerien zum Teil selbst Förderintermediäre, im Fachjargon „Projektträger“ genannt. Auf Landesebene agieren äquivalent die Landesministerien als Förderintermediäre der EU-Programme zum einen und als Fördergeber zum anderen, da sie selbst Förderprogramme aus eigenen Haushaltsmitteln auflegen bzw. die Förderprogramme mit eigenen Haushaltsmitteln kofinanzieren. Auch die Landesministerien schalten zum Teil Projektträger als weitere Förderintermediäre ein. Das Gleiche wiederholt sich auf Hochschulebene und auch auf kommunaler Ebene. Die Bundes- und Landesministerien können gleichzeitig Fördergeber und Förderintermediär sein. Die Projektträger können gleichzeitig Förderintermediäre und Förderträger sein. Die Hochschule und die Kommune können gleichzeitig Förderintermediär, Fördergeber und Förderträger sein. Wenn sich nun die Fördergeber bei der Konzeption der Förderprogramme bzw. die Förderintermediäre bei der Konkretisierung der Förderprogramme nicht oder wenig koordinieren, entstehen vor dem Hintergrund unterschiedlicher übergeordneter politischer Ziele und unterschiedlicher Ebenen der Politik unterschiedliche Gründungsförderprogramme, die sich in den Dimensionen überschneiden. Die Überschneidungen können aber auch bewusst konzipiert sein. Die Feststellung der Tatsache der Überschneidung enthält an sich noch keine Wertung.
126
5 Empirie
5.2.4.3 Ursachen des Wettbewerbes zwischen Förderträgern Die erste notwendige Voraussetzung für die Entstehung einer Wettbewerbssituation ist die Überschneidung der Förderprogramme in Bezug auf die Dimensionen • Zielgruppe, • Fördergegenstand, • Dauer der Maßnahme. Das bedeutet, dass verschiedene Träger der Gründungsförderung die gleichen Zielgruppen mit gleichen Förderinhalten zur gleichen Zeit anvisieren. Die zweite notwendige Voraussetzung für die Entstehung einer Wettbewerbssituation ist die Knappheit der Mittel zur Finanzierung der Förderung. Die hinreichende Bedingung für die Entstehung einer Wettbewerbssituation liegt in den Erfolgskriterien der Förderprogramme begründet. Diese Erfolgskriterien bilden nämlich ein Anreizsystem. Dieses Anreizsystem besteht aus drei Komponenten: 1. pekuniäre Credits, 2. nicht-pekuniäre Credits, 3. Vorschriften. Die pekuniären Credits sind erfolgsabhängige Zahlungen an die Träger der Förderpolitik in der Art, dass die Zuweisung der Fördermittel an die Erreichung von Erfolgskriterien gebunden ist. Nicht-pekuniäre Credits beinhalten die Steigerung der Reputation des Förderträgers. Die Reputation verfolgt einerseits einen Selbstzweck im Sinne von Anerkennung, Ehre und Ruhm; sie hat aber andererseits auch realwirtschaftliche Folgen für den Förderträger: Eine hohe Reputation bei der Akquisition bzw. der Verlängerung von Förderaufträgen wirkt sich positiv auf die Selektionsentscheidung des Fördergebers aus. Weiterhin hat eine hohe Reputation auch
5.2 Qualitative Empirie
127
eine Signalwirkung auf die Zielgruppe, so dass Wettbewerbsvorteile im Wettbewerb um die Zielgruppe erstehen. Typische nicht-pekuniäre Credits für die Gründungsförderung im Wissenschafts- und Hochschulbereich sind das Ranking des Handelsblattes und der Preis „Talentschmiede des Landes Brandenburg“ als Wettbewerb der Hochschulen des Landes Brandenburg untereinander innerhalb des Businessplan-Wettbewerbes Berlin-Brandenburg. Vorschriften binden die Zuweisung der Fördermittel an die Einhaltung von Regeln, die der Fördergeber definiert hat. Der Status-quo der Gründungsförderprogramme stellt sich wie folgt dar: Als pekuniäre und nicht-pekuniäre Credits werden ausschließlich den Förderträgern einzeln zurechenbare Leistungen vergütet. Die Anzahl von tatsächlich erfolgten Gründungen während des Förderzeitraumes ist dabei das dominierende Leistungsmerkmal. Weitere bedeutende Leistungsmerkmale sind die Anzahl der betreuten Gründungsprojekte bzw. Gründerpersonen, die Anzahl der Seminarteilnehmer etc. Die Koordination und Kooperation der Förderträger untereinander wird durch Vorschriften forciert. Die Vorschriften zur Koordination und Kooperation der Förderträger existieren in zweifacher Form: A. Kooperation mehrerer Förderträger als Voraussetzung zur Beantragung der Fördermittel. B. Kooperation mehrerer Förderträger als Regelwerk für die Maßnahmendurchführung. Der Vorschriftentyp A stellt einen Anreiz dar, Kooperationsnetzwerke zwischen den (potenziellen) Förderträgern zu bilden. Das so entstandene Gründungsförderungsnetzwerk ist zunächst nur eine Interessengemeinschaft von mehreren Institutionen mit dem gemeinsamen Ziel, Förderaufträge und damit Fördermittel zu akquirieren. Der Vorschriftentyp B stellt eine Handlungsrestriktion dar.
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5 Empirie
Typischerweise werden beide Vorschriftentypen A und B bei der Konzeption der Förderprogramme kombiniert, so dass bei der Antragstellung zur Trägerschaft des Programms das Vorhandensein eines Gründungsförderungsnetzwerkes begründet und nach erfolgter Akquisition der Projektträgerschaft im Verlaufe der Fördermaßnahme über die Kooperation innerhalb des Gründungsförderungsnetzwerkes Rechenschaft abgelegt werden muss. Der Vorschriftentyp A spielt aber nur im Vorfeld der Beantragung von Fördermitteln eine Rolle, nicht während der Durchführung der Gründungsfördermaßnahme. Bei der operativen Durchführung des Förderprogramms stellt die Kooperationsvorschrift nur eine Handlungsrestriktion, aber keinen Handlungsanreiz dar. Die Handlungsanreize werden nur durch einzeln zurechenbare Erfolgsmaße gesetzt. Durch das Anreizsystem wird ein eigennutzmaximierendes Verhalten der Förderträger provoziert. Die Fördermittel für die Förderträger sind knapp, Kooperation wird zwar gefordert, aber nicht vergütet. Deswegen gebietet die ökonomische Logik, so wenig wie möglich und nur so viel wie nötig der knappen Ressourcen für die Kooperation mit anderen Förderträgern einzusetzen. Nur wenn aus der Kooperation ein Nutzen entsteht, der die Kosten der Kooperation übersteigt, ist Kooperation ökonomisch sinnvoll. Ansonsten wird nur das Mindestmaß an Kooperation ausgeführt, dass in den Vorschriften verlangt wird. Es entsteht eine Wettbewerbssituation. Durch Alleinstellungsmerkmale grenzen sich die Förderträger von ihrer Konkurrenz ab. In dem entstehenden dynamischen Wettbewerb beschränken sich die Handlungen der Wettbewerbsteilnehmer zudem nicht nur auf Reaktionen. Stattdessen gestalten die Wettbewerbsteilnehmer die Wettbewerbsumwelt aktiv: Im Wettbewerb um die Fördermittel geht die Initiative zur Konzeption von Förderprogrammen zunehmend von den Förderträgern selbst aus. Durch innovative Förderkonzepte soll ein Wettbewerbsvorsprung gegenüber konkurrierenden Förderträgern erreicht werden. Der Begriff „Modellprojekt“ ist in diesem Zusammenhang ein oft verwendeter Begriff im empirischen Feld. Die Tatsache einer Wettbewerbsituation zwischen den Förderträgern stellt – für sich allein betrachtet – kein Problempotenzial dar.
5.2 Qualitative Empirie
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5.2.4.4 Ursachen und Konsequenzen fehlender Kooperation zwischen den Förderträgern Ein Problempotenzial entsteht erst im Zusammenhang mit einer anderen invarianten Umfeldbedingung: Informationsasymmetrien zwischen Förderträgern und Zielgruppe bezüglich des Förderangebotes. Die Zielgruppe ist aufgrund der Informationsasymmetrie nicht in der Lage, selbst ein adäquates Förderprogramm zu selektieren. Die Informationsasymmetrie verlangt daher eine kooperative Zusammenarbeit der verschiedenen Förderträger, um die Gründer optimal zu fördern. Diese These wird anhand der Analyse des Gründungsförderprozesses untermauert. Der Begriff Gründungsförderprozess unterscheidet sich vom Begriff Gründungsprozessförderung. Der Gründungsprozess ist für jedes Gründungsvorhaben individuell spezifisch, komplex und langwierig. Die Gründungsprozessförderung ist der Fördergegenstand der Förderprogramme. Der Gründungsförderprozess bezeichnet dagegen die prozessuale Darstellung der Aufgaben der Förderung. Die Gründungsprozessförderung bezeichnet das „Was“ der Gründungsförderung, der Gründungsförderprozess bezeichnet das „Wie“. Der Gründungsförderprozess besteht aus fünf konsekutiven Prozessaufgaben: 1. Identifizierung potenzieller Gründerpersonen bzw. Gründungsprojekte, 2. Diagnose des individuellen Gründungsförderbedarfes, 3. Matching existierender Förderangebote mit dem individuellen Förderbedarf, 4. Weiterleitung der Gründerperson an den zuständigen bzw. kompetenten Förderträger, 5. Durchführung der Fördermaßnahme. Prozessaufgabe 4 entfällt selbstverständlich, wenn der Förderträger die Fördermaßnahme selbst anbietet und durchführen kann.
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5 Empirie
Die Gründungsförderung ist kein singuläres Ereignis. Im Anschluss an die Durchführung der Fördermaßnahme müsste bereits eine Diagnose des Folgebedarfes an Förderung erfolgen. Der Förderprozess geht dann gegebenenfalls an Punkt 2 zurück. Wenn im Moment der Diagnose kein Folgebedarf festgestellt werden kann, so bedeutet dies keinen Ausstieg aus dem Förderprozess. Der Gründungsprozess selbst zieht sich über einen Zeitraum hin, gegebenenfalls entsteht zu einem späteren Zeitpunkt ein erneuter Förderbedarf. Nun wird dieser Förderprozess grundsätzlich sowohl vom Förderträger als auch vom Gründer getriggert, wie die folgende Abbildung detailliert erklärt.
Prozessaufgabe
Trigger durch Förderträger
Trigger durch Gründerperson
1. Identifizierung
Gründerperson wird durch Förderträger identifiziert, bspw. durch Befragungen, Wettbewerbe, Lehrveranstaltungen, Marketing, Sensibilisierung etc.
Gründerperson gibt sich selbst als potenzieller Förderempfänger zu erkennen und geht aktiv auf den Förderträger zu
2. Diagnose
Förderbedarf der Gründerperson wird vom Förderträger diagnostiziert
Gründerperson führt Selbstdiagnose durch und erklärt ihren individuellen Förderbedarf
3. Matching
Gründerperson erhält individuellen Fördermix zusammengestellt und vorgeschlagen
Gründerperson selektiert selbst die zutreffenden Förderprogramme
4. Weiterleitung
Gründerperson erhält Kontaktdaten des zuständigen/kompetenten Förderträgers, idealerweise werden Gründerperson und Förderträger beide gebrieft und gegenseitig vorgestellt
Gründerperson ermittelt selbst den zuständigen/kompetenten Förderträger
5. Durchführung der Fördermaßnahme danach zurück zu 2. Diagnose
Tabelle 6: Trigger des Gründungsförderprozesses
5.2 Qualitative Empirie
131
Eine fehlende Kooperation zwischen den Förderträgern verlagert die Verantwortung für die Selektion der Förderung einseitig auf die Zielgruppe. Die Zielgruppe kann diese Verantwortung nicht effektiv ausfüllen, weshalb es zu einer Unterversorgung mit Förderleistung kommt. Diese Unterversorgung entsteht aufgrund der folgenden Probleme, die empirisch ermittelt wurden: Zu 1. Identifizierung): Die Gründung einer selbstständigen Existenz entspringt oft nur einer sehr kurzfristige Entscheidung ohne strategische Vorbereitung. Das ist immer dann der Fall, wenn die Existenzgründung als Second-BestAlternative gewählt wurde, weil die First-Best-Alternative – ein Arbeitsverhältnis – nicht erreichbar ist. Im Falle der Second-Best-Wahl erfolgt die Auseinandersetzung mit der Gründungsthematik seitens der Gründungsperson nicht mittel- bis langfristig strategisch vorausschauend, sondern kurzfristig situativ bezogen. Eine im Vorfeld aktive Selbstidentifizierung als potenzieller Gründer geschieht nicht. In diesem Fall wissen die potenziellen Gründer nicht, dass es die Möglichkeit einer Förderbedarfsanalyse gibt bzw. an wen sie sich wenden können. Bei kurzfristig Entschlossenen fehlt schlicht die Information über die Förderinfrastruktur. Zu 2. Diagnose): Alle Förderträger stimmen einhellig darin überein, dass die Selbstdiagnose des Förderbedarfes durch die Gründer ineffizient ist. Das liegt zum einen an den Erwartungen der Gründer, die sich hauptsächlich auf die finanzielle Unterstützung fokussieren. Zum anderen erfordert eine treffgenaue Diagnose des Förderbedarfes einer Ausbildung des Diagnostizierenden oder zumindest Erfahrungen, denn die Effektivität der Diagnose verbessert sich durch Lerneffekte aus Erfahrungen mit bereits betreuten Gründungsprojekten. Zu 3. Matching): Ein effektives Matching erfordert die genaue Kenntnis der verfügbaren Förderprogramme. Hinsichtlich des Förderangebotes herrscht aber eine Informationsasymmetrie zuungunsten der Gründer. Das liegt daran, dass die Förderprogramme so komplex sind, dass sie in Analogie zur marktwirtschaftlichen Terminologie als erklärungsbedürftige Produkte bezeichnet werden müssen. Zudem erfolgt die Formulierung der Förderprogramme in der
132
5 Empirie
Terminologie der Fördergeber – Institutionen der öffentlichen Hand – in bürokratisch-juristischer Lesart. Das Verständnis von vermittelten Informationen ist immer an Vorwissen gebunden, das heißt, um die einzelnen Förderprogramme verstehen zu können, muss man die bürokratisch-juristische Lesart beherrschen. „Übersetzungsversuche“ für die Zielgruppe reduzieren die Komplexität.269 Zu 4. Weiterleitung): Um den kompetenten Förderträger zu identifizieren, benötigt der Gründer einen genauen Überblick über alle Förderträger. Hinsichtlich der Infrastruktur der Förderträger herrscht aber ebenfalls eine Informationsasymmetrie zuungunsten der Gründer. Die Ursachen sind dabei die gleichen wie oben beschrieben. Vor allem bedarf die Förderbedarfsdiagnose und das Matching mit Förderprogrammen eines Dialoges zwischen Förderträger und Gründer. Nur durch einen Dialog kann der Förderbedarf effektiv eruiert werden; man benötigt beide Trigger – Förderer und Geförderte müssen im gemeinsamen Gespräch die Diagnose erstellen. Der Diagnosedialog kann sich dabei bei komplexen Gründungsprojekten über lange Zeiträume hinziehen. Das Ziel einer effektiven Betreuung verlangt also die Kooperation zwischen den Förderträgern, dass bedeutet vor allem die Weiterleitung an den kompetenten Ansprechpartner entsprechend des individuellen Förderbedarfes. Gemäß des oben beschriebenen Anreizsystems erhält der Förderträger die Credits aber nur für die Prozessaufgabe 5. Dieses Anreizsystem, das nur die dem Förderträger einzeln zurechenbare Förderleistung gemäß Prozessaufgabe 5 vergütet bzw. anerkennt, provoziert gemäß dem ökonomischen Prinzip ein Verhalten der Förderträger derart, dass die Ressourcen auf die Prozessaufgabe 5 konzentriert werden. Die anderen
269
Es gab in den letzten Jahren viele Versuche, durch Internet-Informationsportale einen umfassenden Überblick über das Förderangebot für die Zielgruppe bereitzustellen, die alle daran scheiterten, dass die Komplexität der Förderprogramme nicht auf Webseiten zielgruppengerecht dargestellt werden kann.
5.2 Qualitative Empirie
133
Prozessaufgaben werden nur soweit durchgeführt, wie es für eine hohe ZielMittel-Effizienz in Bezug auf die Unterstützung der Prozessaufgabe 5 notwendig ist. Die Auswirkungen dieses kontraproduktiven Anreizsystems sind in der Praxis unterschiedlich ausgeprägt. Im Extremfall, der empirisch nachweisbar ist, sieht der vom Förderträger reduzierte Förderprozess wie folgt aus: 1. Identifizierung potenzieller Gründerpersonen bzw. Gründungsprojekte 1a) Selektion derjenigen Gründerpersonen/-projekte, die den Förderkriterien des eigenen Förderprogramms entsprechen 2. keine vollständige Diagnose des individuellen Gründungsförderbedarfes, sondern 2b) Selektion derjenigen Gründerpersonen/-projekte, deren Förderbedarf sich mit dem eigenen Förderangebot deckt 3. nur Angebot des eigenen Förderprogramms 4. entfällt 5. Durchführung der Fördermaßnahme, keine Folgebedarfsdiagnose Gründer, die vom Förderträger nicht selbst bedient werden können, werden im Extremfall nicht an andere Förderträger weitergeleitet. Wenn die Aufgabenerfüllung seitens des Förderträgers reduziert ist, liegt die Verantwortung für das Triggern des Förderprozesses bei der Zielgruppe. Da diese Verantwortung nicht vollständig von der Zielgruppe wahrgenommen werden kann, kommt es zu einer Unterversorgung. Die fehlende Kooperation zwischen den Förderträgern kann in eine DilemmaSituation führen, die ein scheinbares Paradoxon entstehen lässt: Obgleich das Angebot an Förderleistungen durch die Überschneidungen scheinbar übergroß ist, „streiten“ sich die Förderträger um einige wenige Förderempfänger, während eine große Dunkelziffer potenzieller Gründer nicht versorgt wird. Wenn bei Podiumsdiskussionen zum Thema Gründungsförderung geförderte Gründerpersonen eingeladen werden, wenn zur Imagewerbung der Förderträger geför-
134
5 Empirie
derte Gründerpersonen als Testimonials eingebunden werden, wenn in den lokalen oder überregionalen Medien geförderte Gründerpersonen interviewt werden – es erscheinen immer „die üblichen Verdächtigen“, wie es in der Gründungsförderszene hinter vorgehaltener Hand heißt. Durch Kooperation würden sich alle Beteiligten besser stellen. Aus Sicht der Gründer bedeutet die Kooperation zwischen den Förderträgern eine effektivere Betreuung, aus Sicht der Gründungsförderer bedeutet eine Kooperation eine bessere Erschließung der Zielgruppe und damit eine Erhöhung der Effizienz der Förderung. Die Kooperationsvorteile bieten einen natürlichen positiven Anreiz zur Kooperation zwischen den Förderträgern, die Kosten der Kooperation bilden einen negativen Anreiz, wobei letztere vom inadäquaten Anreizsystem der Fördergeber verstärkt werden. 5.2.4.5 Diskussion Es gibt bisher nur wenige qualitative Studien zu politisch initiierten Fördernetzwerken im Wissenschafts- und Hochschulbereich. Das liegt an dem frühen Stadium des Forschungsfeldes. Eine empirische Analyse des politisch initiierten Gründungsförderungsnetzwerkes „bizeps“ („Bergisch-Märkische Initiative zur Förderung von Existenzgründungen, Projekten und Strukturen“) im Wissenschafts- und Hochschulbereich der Region Wuppertal ergab eine Reihe von empirischen Beobachtungen, die sich in die Aussagen der in dieser Arbeit entwickelten Grounded Theory einordnen lassen. Auch bei „bizeps“ wurde die Konkurrenzsituation zwischen den Gründungsförderern als sehr bedeutsam eingestuft. Ursache der Konkurrenz sind nach dieser Untersuchung die „Funktionsredundanzen“270 der Netzwerkteilnehmer. Verstärkt wurde die Konkurrenz durch das inadäquate Anreizsystem.
270
Vgl. Koch, 2003, S. 162.
5.2 Qualitative Empirie
135
„Vom politischen Initiator eingerichtete externe Evaluationsstrukturen verstärkten zum Teil zielinkompatible Konkurrenzstrukturen. Die Abfrage der Gründungszahlen etwa erhöhte den Anreiz, vor allem dort zu fördern, wo rasche und messbare Erfolge winkten.“271 Zudem wird die Gefahr der „Überfischung“ 272 diagnostiziert, ein Argument, dass mit dem oben skizzierten Paradoxon des „Streits“ um Gründer korrespondiert. Zusätzlich betont die Studie die Bedeutung hoher Kommunikationskosten und langer Abstimmungsprozesse als Hindernisse für den ergebniswirksamen Kooperationsanteil.273 Manger untersuchte ein politisch initiiertes, regionales Innovationsnetzwerk, bestehend aus vier Fachhochschulen, Fachverbänden und regionalen Unternehmen. Auch sie diagnostizierte eine Konkurrenzsituation, Ursache waren die aufseiten der Netzwerkteilnehmer als äquivalent wahrgenommenen Kompetenzen. Verstärker der Konkurrenz war das Anreizsystem, nämlich die Konkurrenz bei der Einwerbung von knappen Forschungsmitteln und Einnahmen durch Fortund Weiterbildung. Diese Konkurrenz führte in der Anfangsphase der Netzwerkbildung zu einer Blockade der Kooperation und hätte die Netzwerkbildung fast scheitern lassen.274 Durch externe Mediation auf Personenebene zwischen den Vertretern der Netzwerkpartner konnten das Konkurrenzverhalten überwunden und komplementäre Potenziale aufgedeckt werden.275 Die Beobachtungen beider Studien korrespondieren mit der in dieser Arbeit entwickelten Grounded Theory. Ursache des Wettbewerbes sind Überschnei271
Ebenda. Vgl. ebenda. 273 Vgl. ebenda. 274 Vgl. Manger, 2006, S. 235. 275 Vgl. ebenda, S. 237-239. 272
136
5 Empirie
dungen im Angebot, „Funktionsredundanz“ bzw. „Kompetenzäquivalenz“. Zum Problem wird die Wettbewerbssituation aber immer erst durch das inkompatible Anreizsystem, was durch die Art der Verteilung der Fördermittel gesetzt wird. Lambrecht/Pirnay kommen nach der Evaluation der öffentlichen Fördermaßnahmen für KMU in Belgien ebenfalls zu einigen Ergebnissen und Schlussfolgerungen, die sich in die beschriebene Grounded Theory einordnen lassen. Auch sie entdecken eine Vielfalt von Förderprogrammen allein im Bereich Beratung, wobei die Vielfalt für die Zielgruppe nicht überschaubar ist. Ergebnis der fehlenden Integration der Förderprogramme ist hier ebenfalls eine Unterversorgung der Zielgruppe.276 Sie kommen zu dem Schluss, dass die Organisation der Förderung für die Effektivität der Förderung entscheidend ist. Auch hier spielt die Förderbedarfsdiagnose eine Schlüsselrolle. Dabei plädieren sie für eine differenzierte Arbeitsteilung zwischen den Förderträgern: Eine Gruppe von Förderträgern spezialisiert sich auf das Stellen der Diagnose und die andere Gruppe spezialisiert sich auf die Lieferung spezifischer Förderleistungen.277 Huggins kommt nach der qualitativen Fallstudienanalyse mehrerer politisch initiierter Unternehmensnetzwerke zu der politischen Gestaltungsempfehlung, eine Atmosphäre des „‚low pressure’ expectancy environment“ zu schaffen. Statt also formale Netzwerkstrukturen politisch zu forcieren, sollen die Akteure zunächst informelle, vertrauensbasierte, persönliche Netzwerke aufbauen, die dann als Katalysator für die Herausbildung formalisierter und nachhaltiger Interorganisationsnetzwerke dienen.278 Übersetzt in die obige Diskussion heißt die Empfehlung, Kooperationsvorschriften durch positive Kooperationsanreize zu ersetzen. Die deutschlandweite Studie über das Gründungsgeschehen im Wissenschaftsund Hochschulbereich, die von der Firma Kienbaum im Auftrag des Bundes-
276
Vgl. Lambrecht/Pirnay, 2005, S. 104. Vgl. ebenda, S. 106. 278 Vgl. Huggins, 2000, S. 132. 277
5.2 Qualitative Empirie
137
ministeriums für Bildung und Forschung durchgeführt wurde, liefert zum Teil nahezu deckungsgleiche Beobachtungen wie die Grounded Theory der vorliegenden Arbeit. „Als Hemmnis für die Nutzung der Angebote werden von den Gründerinnen und Gründern regelmäßig die unübersichtliche Darstellung und die Vielfalt der Angebote angeführt. [...] Des Weiteren fühlen sich die Gründerinnen und Gründer oftmals nicht in der Lage selbst zu analysieren, welche konkreten Beratungs- und Unterstützungsleistungen sie für die erfolgreiche Realisierung ihres Gründungsvorhabens benötigen. Als hilfreich wird von Gründerinnen und Gründern regelmäßig ein individueller Betreuer eingestuft, der hilft zu identifizieren, welche Beratungsund Unterstützungsbedarfe bestehen und wer diese Bedarfe bestmöglich befriedigen kann.“279 Die aus dieser und anderen Beobachtungen abgeleitete Empfehlung lautet deshalb, die Angebote und Strukturen zu verzahnen, und zwar „[...] mit dem Grundsatz, Komplementär- statt Konkurrenzangebote zu schaffen.“280 Trotz der übereinstimmenden Beobachtung ist die Unterstützung dieser Studie für die eigene Argumentation eingeschränkt, weil die Methodik der Datenerhebung und -auswertung im Vergleich zu den anderen, wissenschaftlichen Veröffentlichungen deutlich weniger transparent ist. Ege konstatiert: „Auf dem Markt für Unterstützungsleistungen für forschungsnahe Unternehmensgründungen besteht ein Spannungsfeld zwischen den Wettbewerbstrukturen der Anbieter von Unterstützungsleistungen und der Forderung von Gründern wie Anbietern nach effizient organisierten Unterstützungsprozessen.“281 279
Meka et al., 2005, S. 52. Meka et al., 2005, S. 8. 281 Ege, 2004, S. 217. 280
138
5 Empirie
Diese Aussage deckt sich mit den Beobachtungen dieser Arbeit. Leider ist überhaupt nicht erkennbar, wie Ege zu dieser Schlussfolgerung gelangt, denn die Arbeit enthält keinerlei Angaben zur empirischen Methodik, deshalb ist auch diese Arbeit, wissenschaftlich gesehen, nur eine schwache Stütze der eigenen Argumentation. 5.2.4.6 Wege aus dem Dilemma Bereits 1985 schlug Sue Birley in ihrem bahnbrechenden Artikel zwei Modelle für die Konzeption von Netzwerken zwischen Gründungsförderern vor: Der erste Ansatz lässt sich mit der Formel „komplettes Netzwerk der Förderer“ zusammenfassen. Egal an welcher Stelle ein Gründer das Netzwerk kontaktiert, erhält er alle Informationen über das gesamte verfügbare Förderangebot und kann an die jeweils kompetente Organisation innerhalb des Netzwerkes weitergeleitet werden. Die Gründerperson wird dann nach dem Erstkontakt sofort an die richtige Stelle verwiesen, ihre Wege sind daher minimiert. Das bedeutet, dass alle Netzwerkknoten – Gründungsförderer – das gesamte Förderangebot kennen müssen und zu jedem einzelnen Förderangebot wissen, von welchem Netzwerkpartner es angeboten wird. In diesem Ansatz müssen sich die Organisationen regelmäßig gegenseitig über die eigenen Förderangebote informieren. Dies ist mit Kosten verbunden. 282 Der zweite Ansatz lässt sich als Modell mit „Zentraler Agentur“ auffassen. Wenn ein Gründer an irgendeinem Knoten das Netzwerk kontaktiert, wird er sofort an eine zentrale Agentur weitergeleitet. Diese zentrale Agentur nimmt die Erst-Diagnose vor und leitet die Gründer je nach Förderbedarf an den jeweils kompetenten Netzwerkpartner weiter. Es müssen daher nicht alle Netzwerkknoten – Gründungsförderer – das gesamte Förderangebot kennen und zu jedem einzelnen Förderangebot wissen, von welchem Netzwerkpartner es angeboten wird. Der Informationsaustausch wird auf ein Minimum reduziert. 283 282 283
Vgl. Birley, 1985, S. 109. Vgl. ebenda, S. 110.
139
5.2 Qualitative Empirie
Birley schlussfolgert, dass das Kooperationsmodell mit zentraler Agentur effizienter ist und empfiehlt dieses Modell.284 Anhand der empirisch verankerten Grounded-Theory-Analyse der Organisation der Gründungsförderung kann dieses Schema neu bewertet und erweitert werden. Das Dilemma der Gründungsförderung besteht darin, dass eine umfassende Betreuung und Förderung der Gründungspersonen und -projekte eine vernetzte Zusammenarbeit der Förderträger erfordert, die Kooperation aber Kosten verursacht und das Anreizsystem nicht für die Kooperationskosten entschädigt, stattdessen aber den Wettbewerb zwischen den Förderträgern verstärkt. Es gibt grundsätzlich zwei Lösungsansätze zur Überwindung des Dilemmas: erstens eine Reduzierung des Wettbewerbes zwischen den Förderträgern und zweitens eine Förderung der Kooperation zwischen den Förderträgern. Es gibt dabei jeweils zwei Strategien zur Umsetzung der jeweiligen Lösungsansätze. Die erste Strategie forciert die Anpassung der Organisationskonfiguration durch staatlich-hoheitliche Vorschriften. Die zweite Strategie beruht auf der Selbstkoordination der Förderträger und auf der Evolution eines interorganisationalen Netzwerkes zwischen den Förderträgern. Die folgende Abbildung systematisiert die Lösungsansätze und Umsetzungsstrategien. Lösungsansatz Wettbewerbsreduzierung
Kooperation begünstigen
Umsetzung durch politische Vorschrift
R
Z
Umsetzung durch Selbstkoordination der Förderträger
S,K
N
Umsetzungsstrategie
Tabelle 7: Strategien als Antwort auf das Kooperationsversagen 284
Vgl. ebenda, S. 110.
140
5 Empirie
Strategie R: Die Strategie R ist die Wettbewerbesreduzierung unter den Förderträgern durch politische Rekonfiguration der Organisation der Gründungsförderung. Die erste Möglichkeit zur Wettbewerbesreduzierung besteht darin, die Überschneidung der Förderprogramme vollständig aufzuheben, das heißt alle Förderprogramme aufeinander abzustimmen. Die zweite Möglichkeit der Wettbewerbesreduzierung besteht in der Reduzierung der Förderträger, so dass jeder Zielgruppe ein Förderträger zugeordnet ist. Förderträger können zwar mehrere Zielgruppen betreuen, aber aus Sicht der Zielgruppe haben alle Gründerpersonen nur einen einzigen Ansprechpartner. Es reicht aber nicht, in dem so entstehenden „One-Stop-Shop“ einfach nur alle für die Zielgruppe relevanten Förderprogramme unter einem Dach zu vereinen, sie müssen auch konzeptionell integriert werden.285 Für jedes Gründungsprojekt können dann diejenigen Förderleistungen selektiert und kombiniert werden, die dem individuellen Gründungsförderbedarf entsprechen. Die Zielgruppe müsste dazu gegebenenfalls segmentiert werden. Mögliche Zielgruppensegmentierungsansätze wären: • soziodemografische Merkmale, bspw. – Studierende – Alumni – Professoren und wissenschaftliche Mitarbeiter/-innen • Gründungsinhalt-bezogene Merkmale, bspw. – wissensbasierte Gründungen – technologieorientierte Gründungen • institutionelle/regionale Merkmale, bspw. – Gründungsprojekte der Universität – Gründungsprojekte der Fachhochschule – Gründungsprojekte des außeruniversitären Wissenschaftsbereiches • Gründungsphasen-bezogene Merkmale etc.
285
Vgl. Lambrecht/Pirnay, 2005, S. 93.
5.2 Qualitative Empirie
141
Eine vollständige Aufhebung der Überschneidung der Förderprogramme bei gleichzeitig vollständiger Aufhebung des Wettbewerbes um die Zielgruppe und um die Fördermittel würde die Schaffung einer „Förderbehörde“ bedeuten. Die Förderbehörde ist aber nur ein theoretischer Rein-Typus, dessen praktische Umsetzbarkeit empirisch nicht nachweisbar und auch für die Zukunft unrealistisch ist, denn das dynamische Wettbewerbsfeld lässt ständig neue Initiativen zu Förderprogrammen entstehen, neue Förderträger tauchen als neue Wettbewerber auf, andere ziehen sich aus der Gründungsförderung zurück. Die Integration von Förderprogrammen und Förderträgern hinkt den veränderten Wettbewerbsbedingungen immer hinterher. Strategie Z: Der zweite Lösungsansatz ist eine stärker differenziertere Arbeitsteilung. Konsequenz des Wettbewerbes ist ja die unvollständige Ausführung des Gründungsförderprozesses. Deswegen wird ein neuer Akteur eingeführt, die „Zentrale Agentur“. Sie wird mit der Durchführung der ersten Aufgaben der Gründungsförderung betraut: 1. Identifizierung potenzieller Gründerpersonen bzw. Gründungsprojekte 2. Diagnose des individuellen Gründungsförderbedarfes 3. Matching existierender Förderangebote mit dem individuellen Förderbedarf 4. Weiterleitung der Gründerperson an den zuständigen bzw. kompetenten Förderträger Strategie S: Die Strategie S bedeutet, dass die Förderträger durch individuelle Eigeninitiative dem Wettbewerb ausweichen, zum Beispiel durch die Generierung neuartiger Modellprojekte, Erschließung neuer Zielgruppen etc. Strategie K: Die Strategie K ist eine Kollusion der Förderträger zur Reduzierung des Wettbewerbes. Das ist eine Zusammenarbeit mit dem Ziel, eine stärkere Verhandlungsposition gegenüber den Fördergebern einzunehmen, im Extremfall führt diese Strategie zu einer Absprache bei der Einwerbung der knappen Fördermittel.
142
5 Empirie
Strategie N: Die Strategie N beinhaltet eine verbesserte Koordination und differenzierte Arbeitsteilung aufseiten der Förderträger durch Selbstkoordination im Netzwerk. Dabei sind die Strategien Z und N disjunkt, das heißt, nur eine der beiden Strategien kann umgesetzt werden. Ebenso sind die Strategien R einerseits und K oder S andererseits disjunkte Strategien. Um alle Strategien miteinander vergleichen zu können, reichen die empirischen Daten nicht aus. Die Strategien Z und N können empirisch nicht ermittelt werden, weil die Realformen der Organisation der Gründungsförderung Mischformen darstellen. Für den Vergleich des Modells mit zentraler Agentur (Z) vs. selbstkoordiniertes Netzwerk (N) werden deshalb die theoretischen Betrachtungen auf ein höheres theoretisches Abstraktionsniveau verlagert. Dabei gilt es vor allem zu klären, welche Kooperationsform effektiver bzw. effizienter ist. Bevor jedoch die theoretische Modellbildung erfolgt, wird die entwickelte Grounded Theory anhand eines empirischen Beispieles illustriert. 5.2.4.7 Beispiel Zur Illustration soll das Angebot an Assessment, Beratung, Coaching und Qualifizierungsseminaren für gründungsinteressierte Studierende und wissenschaftliche Mitarbeiter der Universität Potsdam dienen. Das Beispiel wurde gewählt, weil es gut demonstriert, wie aus unterschiedlichen politischen Anlässen Förderprogramme entstehen, die sich in Bezug auf die Zielgruppe vollständig und in Bezug auf Inhalt und zeitlichen Ablauf stark überschneiden. Das Brandenburgische Institut für Existenzgründungen und Mittelstandsförderung e.V. ist das hochschulübergreifende Institut aller Brandenburger Hochschulen. An der Universität Potsdam ist die Gründungsförderung im Institut BIEMCEIP, dem Centrum für Entrepreneurship und Innovation der Universität Potsdam gebündelt. Das BIEM-CEIP bietet (neben vielen anderen Angeboten) Qualifizierungsseminare, Assessment, Beratung und Coaching für gründungsinteressierte Studierende und wissenschaftliche Mitarbeiter der Universität Pots-
5.2 Qualitative Empirie
143
dam an.286 Dieses Angebot entsteht aus der Kombination einer Reihe verschiedener Förderprogramme; Fördergeber sind unter anderem das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, die Landesministerien Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie und Ministerium für Wirtschaft, jeweils kofinanziert durch EU-Mittel aus dem EFRE und dem ESF, sowie zu einem sehr kleinen Teil auch aus Mitteln der Universität Potsdam selbst. Die Arbeitsagentur der Stadt Potsdam bietet ebenfalls Qualifizierungsseminare für gründungsinteressierte Studierende und wissenschaftliche Mitarbeiter an. Die Arbeitsagentur der Stadt Potsdam agiert auf kommunaler Ebene im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS). Das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie des Landes Brandenburg (MASGF) legt selbst die Gründungsförderprogramme „Lotsendienst“ und „Innovationen brauchen Mut“ auf. Diese beiden Programme bieten Assessment, Coaching und Beratung für gründungsinteressierte Studierende und wissenschaftliche Mitarbeiter an. Das MASGF beauftragt als Förderintermediär den Projektträger „Landesagentur für Struktur und Arbeit Brandenburg GmbH“ (LASA) mit der Projektabwicklung, wobei die LASA wiederum an Unterauftragnehmer delegiert, in diesem Falle das BIEM e.V. Diese Förderprogramme des MASGF sind zum Teil finanziert durch das MASGF selbst, zum Teil durch EU-Mittel aus dem ESF, dem Finanzierungsfonds der europäischen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Die LASA selbst bietet mit dem Gründungsförderprogramm „Innovationen brauchen Mut“ auch Beratung und Coaching für die gleiche Zielgruppe an, ohne wie beim Programm „Lotsendienst“ die operative Durchführung an den BIEM e.V. zu delegieren. Bei diesem Programm „Innovationen brauchen Mut“ arbeitet sie mit der ZukunftsAgentur Brandenburg GmbH zusammen, der landesweite Projektträger des Landesministeriums für Wirtschaft (MW).
286
Für eine ausführliche Gesamtdarstellung der Gründungsförderung an der Universität Potsdam Vgl. Wagner/Knuth, 2007; und auch Wagner, 2004; Wagner/Böhne, 2005.
144
5 Empirie
Qualifizierungsseminare und Coaching werden auch vom BusinessplanWettbewerb Berlin-Brandenburg angeboten, einer Initiative der Investitionsbanken der Länder Berlin und Brandenburg, die durch regionale Kammern, Verbände, Sparkassen und private Sponsoren kofinanziert ist. Die folgende Tabelle 8 gibt eine Übersicht des Förderangebotes anhand der oben definierten Dimensionen. Die Darstellung reduziert die Komplexität des Förderangebotes auf die elementaren Fakten, da sie nur als Illustration dienen soll. Insbesondere die finanziellen Zusammenhänge sind deutlich komplexer.
Förderträger
BIEM-CEIP/ BIEM e.V.
Zielgruppe
akademische Gründungsvorhaben an der Universität Potsdam (Studierende, wissenschaftliche Mitarbeiter und Alumni)
Förderangebot
Assessment Beratung
Arbeitsagentur
Qual.seminare
LASA
ZAB
Beratung
Beratung
Coaching
Coaching
Coaching
Qual.-seminare EU-Ebene
EFRE, ESF
Bundesebene BMWi Landesebene MW und MASGF Hochschulebene
Universität Potsdam
weitere
Kofinanzierung durch die regionale Sparkasse und private Sponsoren
Qual.seminare Assessment
Coaching
Fördergeber
BPW
ESF
ESF
MASGF
MW
BMAS Investitionsund Landesbank
Kofinanzierung durch regionale Kammern, Verbände, Sparkassen und private Sponsoren
Tabelle 8: Überschneidung der Förderangebote am Beispiel der Universität Potsdam
5.2 Qualitative Empirie
145
Das Beispiel illustriert dabei nur das Angebot an Assessment, Coaching, Beratung und Qualifizierungsseminaren, das sich direkt an die Zielgruppe an der Universität Potsdam richtet. Darüber hinaus gibt es eine breite Palette an öffentlichen Gründungsförderprogrammen mit gleichen Förderinhalten, die sich nicht primär an die Zielgruppe der gründungsinteressierten Studierenden und wissenschaftlichen Mitarbeiter an der Universität Potsdam richten, dieser Zielgruppe aber offen stehen. Dazu zählen beispielsweise einige der zahlreichen „Innopunkt“-Förderprogramme. Zudem gibt es eine große Anzahl weiterer Gründungsförderangebote mit anderen Förderinhalten, zum Beispiel in Form von Finanzierungshilfen, subventionierter Infrastruktur etc. Wie aus der Darstellung abgeleitet werden kann, sind die Angebote von BIEMCEIP und BIEM e.V. vollständig konzeptionell integriert. Schon die Namensgleichheit deutet auf die Integration der Förderangebote auch in der Außen- und Selbstdarstellung hin. Dennoch handelt es sich um zwei rechtlich und wirtschaftlich unabhängige Körperschaften, die aber im Rahmen einer dauerhaften Kooperation eng verbunden sind. BIEM e.V. ist zur Zeit Förderträger des Förderprogramms „Lotsendienst“, das Assessment, Beratung und Coaching für eine ganz bestimmte Teilgruppe der akademischen Gründungen anbietet. Im Angebot des BIEM-CEIP sind bereits eine ganze Reihe von Förderprogrammen unterschiedlichster Fördergeber konzeptionell integriert: Standortmanager, Senior Coaching Service, Übungsfirma, EXIST-Gründerstipendium, MBA BioMedTech, GO:INcubator, Entrepreneurial Post-Graduate Education. Eine Konkurrenzsituation der verschiedenen internen Förderprojekte soll ausgeschlossen werden. Wenn programmatische Überschneidungen auftauchen, so werden sie gegebenenfalls zu einem individuellen Fördermix kombiniert. Das BIEM-CEIP integriert in sein Leistungsangebot auch die Angebote der anderen externen Förderträger. Dabei orientiert sich das BIEM-CEIP vornehmlich an den Bedürfnissen der Gründungsvorhaben. Deshalb werden die Gründungsvorhaben auch an externe Förderträger weitergeleitet, wenn der
146
5 Empirie
Förderbedarf entsprechendes erfordert, unabhängig davon, ob die externen Förderträger eine Konkurrenz um die knappen Fördermittel darstellen. Für die konzeptionelle Integration der Angebote der externen Förderträger und die Weiterleitung der Gründungsvorhaben an externe Förderträger enthält das BIEM-CEIP keinen finanziellen Ausgleich. Die differenzierte Arbeitsteilung im BIEM-CEIP/BIEM e.V. lässt sich anhand des Modells des Gründungsförderprozesse wie folgt darstellen:
Prozessaufgabe
Trigger durch Förderträger
Trigger durch Gründerperson
1. Identifizierung
Hauptarbeit bei der Identifizierung leisten die Standortmanager
Gründerperson geht aktiv auf die Standortmanager zu
die Mitarbeiter aller Projekte leiten von ihnen identifizierte Gründungsvorhaben an die Standortmanager weiter 2. Diagnose
Förderbedarf der Gründerperson wird vom Standortmanager diagnostiziert
Selbstdiagnose nicht effizient, aber Vorinformation durch umfangreiches Webseitenangebot möglich
3. Matching
Gründerperson erhält vom Standortmanager individuellen Fördermix zusammengestellt und vorgeschlagen
Selbstmatching nicht effizient, aber Vorinformation durch umfangreiches Webseitenangebot möglich
4. Weiterleitung
Gründerperson wird an die Projektmitarbeiter der entsprechenden internen Förderprogramme oder an externe Förderträger weitergeleitet
5. Durchführung der Fördermaßnahme danach zurück zu 2. Diagnose
x
Lotsendienst
x
Senior Coaching Service
x
Übungsfirma
x
MBA BioMedTech
x
GO:INcubator
x
Entrepreneurial Post-Graduate Education
x
EXIST-Gründerstipendium
Tabelle 9: Gründungsförderprozess am Beispiel der Universität Potsdam
5.2 Qualitative Empirie
147
Wie ist die Organisation der Gründungsförderung für Assessment, Beratung, Coaching und Qualifizierungsseminare an der Universität Potsdam vor dem Hintergrund der oben skizzierten theoretischen Ausführungen einzuordnen? Deskriptiv gesehen verfolgen das BIEM-CEIP und der BIEM e.V. sowohl bei der internen Koordination als auch beim Umgang mit externen Förderträgern grundsätzlich eine Strategie N. Durch die Trägerschaft vieler Förderprogramme, die konzeptionell integriert sind, wächst das BIEM-CEIP auf natürlichem Wege zu einem One-Stop-Shop, ohne dabei aus dem dynamischen Wettbewerb der Förderträger auszuscheiden. Durch die hohe Vernetzung des BIEM-CEIP/BIEM e.V. werden Netzwerkexternalitäten bereitgestellt. Die Ausgestaltung der Kooperationsbeziehung des BIEM e.V. zielt auf die Nutzung von Skalenvorteilen. Das zeigt sich besonders am Beispiel der Trägerschaft des Förderprogramms Lotsendienst für Hochschulen. Ursprünglich war das Förderprogramm mit jeweils einem Träger pro Hochschule regional stark zersplittert. Dabei beträgt das Lotsendienst-Budget der größten Hochschule mehr als das 20fache des Lotsendienst-Budgets der kleinsten Hochschule. Durch enorme Overhead-Kosten und die Skalenvorteile durch Lerneffekte verlaufen die Kostenkurven für die Förderträger stark degressiv. Deshalb wurde mit dem Fördergeber vereinbart, dass das BIEM e.V. die Trägerschaft für fünf Hochschulen zusammenführt, um die Skalenvorteile auszunutzen (also eine Strategie N). Es ist wichtig, dass diese Reorganisation nicht im Nachhinein durch nachträgliche Zusatzanforderungen, wie bspw. die Einrichtung eines getrennten Rechenwesens für jede Hochschule, konterkariert und die Skalenvorteile dadurch teilweise wieder zunichte gemacht werden. Eine normative Gestaltungsempfehlung kann an dieser Stelle noch nicht erfolgen, sondern erst, nachdem die theoretischen Grundlagen durch die Modellbildung im nächsten Kapitel weiter elaboriert worden sind.
6 Theoretische Modellbildung Die qualitative empirische Untersuchung ergab, dass die Organisation der Gründungsförderung von Kooperationsdefekten gekennzeichnet ist, welche sich negativ auf die Effektivität und Effizienz der Gründungsförderung auswirken. Diese Erkenntnis deckt sich mit den Ergebnissen anderer qualitativer wissenschaftlicher Studien. Im Folgenden wird nun untersucht, ob diese Kooperationsdefekte auch theoretisch verallgemeinert werden können. Dazu werden die Ergebnisse der Grounded Theory auf ein höheres Abstraktionsniveau transferiert und mit anerkannten ökonomischen Basistheorien auf allgemeine theoretische Kausalzusammenhänge untersucht. Aus dem mit der Grounded Theory Method entwickelten theoretischen Bezugsrahmen wurden ferner fünf Handlungsstrategien für die Verbesserung der Organisation der Gründungsförderung abgeleitet. Zwei dieser Strategien zielen auf eine Überwindung der Kooperationsdefekte. Mit Hilfe von theoretischen ökonomischen Modellen soll nun untersucht werden, ob sich diese Handlungsstrategien generell deduktiv ableiten lassen. Im Folgenden sollen also die Kooperationsbeziehungen und nicht die Wettbewerbsbedingungen untersucht werden, denn der Wettbewerb zwischen den Förderträgern wird als exogenes Datum des politischen Umfeldes, die Kooperation als endogen beeinflussbar angesehen. 6.1 Basistheorien 6.1.1 Vorbemerkungen Einer Basistheorie zur Erklärung der Entstehung und Evolution von Gründungsnetzwerken muss es gelingen, verschiedene Forschungstraditionen zu integrieren, denn die beiden Themengebiete Netzwerke und Entrepreneurship sind Kernforschungsfelder in drei Disziplinen: in der Soziologie, der Betriebswirtschaftslehre und der Volkswirtschaftslehre. Es existieren zwei Analyseebenen. Das Netzwerk soll als ein soziales System verstanden werden und stellt die Systemebene dar. Die Handlungen der Netz-
150
6 Theoretische Modellbildung
werkakteure werden auf der darunter liegenden Ebene, der Individualebene, analysiert. „Das Hauptproblem bei Erklärungen von Systemverhalten, die auf Handlungen und Einstellungen auf der Ebene unterhalb der Systemebene basieren, ist der Übergang von der unteren Ebene zur Systemebene. Dies wird das Mikro-Makro-Problem genannt [...]“.287 Das Netzwerk als System wirkt nämlich nicht nur als Einfluss auf die Verhalten der Individuen, sondern die Individuen beeinflussen auch das System Netzwerk. Die bisherige Forschung zu Gründungsnetzwerken lässt diese komplexe, gegenseitige Beeinflussung nahezu unberücksichtigt und konzentriert sich stattdessen nur auf eine Seite, vornehmlich auf den Einfluss von Netzwerken auf das Individuum. Eine umfassendere Theorie benötigt aber drei Komponenten: • eine Handlungstheorie auf Individualebene, • eine Kontexthypothese über den Einfluss der Makroebene „Netzwerk“ auf die individuellen Handlungen auf der Mikroebene, • eine Aggregationstheorie für den Mikro-Makro-Übergang, welche die individuellen Handlungen in die Evolution von Netzwerken transformiert. 6.1.2 Handlungstheorie auf Individualebene Auf der Individualebene soll eine Handlungstheorie gefunden oder entworfen werden, welche die verschiedenen Forschungsstränge zu integrieren vermag. Schon seit mehr als zwei Jahrzehnten fordern einige Wissenschaftler, dass – statt die Unterschiede der Menschenbilder der verschiedenen Disziplinen zu betonen und mit Etiketten wie „homo oeconomicus“, „homo sociologicus“ oder „homo politicus“ zu versehen – vielmehr ein integrierendes, allgemeines, theoretisches Erklärungsprinzip gesucht werden sollte.288
287 288
Coleman, 1995, S. 7. Vgl. Schanz, 1979, S. 130, für gegensätzliche Meinungen vgl. z.B. Schneider, 2001, zit. nach Rieter, 2004, S. 64-65.
6.1 Basistheorien
151
Dabei sind sparsame Modelle zu bevorzugen, die mit wenigen Annahmen auskommen und damit weit reichende Erklärungen erlauben.289 Für die Erklärung der Individualebene sollen deshalb aus den Theorieansätzen der verschiedenen Forschungstraditionen nur diejenigen Aussagen herangezogen werden, die eine möglichst hohe allgemeine und ausreichend spezifische Erklärungskraft für das Verhalten von Akteuren in Netzwerken im Kontext Entrepreneurship haben, um somit gleichzeitig unnötige Einschränkungen des Geltungsbereiches der theoretischen Aussagen zu vermeiden. Die Theorie soll dabei ferner berücksichtigen, dass die Akteure auf Individualebene nicht nur natürliche Personen, sondern auch Institutionen und Organisationen sein können. Diese Anforderungen leistet die Rational-Choice-Theorie (RC-Theorie), die jedes Verhalten als Ergebnis von Entscheidungen zwischen Alternativen – rationalen Wahlakten – betrachtet. Basis der Rational-Choice-Theorie ist die Annahme der Zielgerichtetheit von Handlungen. „Die meisten Sozialtheoretiker und die meisten Psychologen des common sense stützen sich auf diese Handlungstheorie, um eigene und fremde Handlungen zu interpretieren.“290 Heckhausen beschreibt das Prinzip der Zielgerichtetheit, das in der Psychologie vor allem in den Motivationstheorien das bestimmende Basisprinzip darstellt, sehr prägnant als die Eigenschaft von Individuen, vorausschauen zu können und das Verhalten von vorweggenommenen Zielzuständen des Verhaltens leiten zu lassen.291
289
Vgl. Diekmann/Voss, 2004, S. 16. Coleman, 1995, S. 17. 291 Vgl. Heckhausen, 1980. 290
152
6 Theoretische Modellbildung
Handeln ist in der Rational-Choice-Theorie definiert als die intentionale Veränderung des physikalischen, illokutionären oder kognitiven Zustandes der Welt. Kognitiv bezieht sich auf die epistemischen Zustände der Akteure, auf die Annahmen, welche die Akteure über die Gegenwart, die Vergangenheit und die Zukunft haben. Der epistemische Zustand ist deshalb bedeutsam, weil das Wissen über vergangene Handlungen anderer Akteure die Erwartungen und damit das Verhalten in der Gegenwart beeinflussen.292 Dabei ist das Prinzip der Zielgerichtetheit durchaus mit Problemen behaftet. „Der Begriff der Zielgerichtetheit ist explizit teleologisch. Er erklärt bestehende Zustände im Hinblick auf (erwünschte oder beabsichtigte) zukünftige Zustände statt im Hinblick auf frühere. Es begünstigt Erklärungen, die sich auf finale Ursachen und nicht auf vorangehende Ursachen stützen. Er ist den in der Wissenschaft üblichen kausalen Erklärungen entgegengesetzt.“293 Die Annahme der These der Zielgerichtetheit darf deshalb nicht als ein tautologisches Handlungsmodell verstanden werden, bei dem alle Handlungen a posteriori so interpretiert werden, dass eine A-priori-Zielgerichtetheit konstruiert werden kann, mit anderen Worten die Handlungen „[...] so umgedeutet werden können, dass ihnen Zielgerichtetheit oder Rationalität untergeschoben werden kann.“294 Das Gegenteil von intentionalem Handeln ist nicht-intentionales Tun. Das sind impulsive, expressive Handlungen, das heißt unkontrollierte, emotionsgesteuerte Reaktionen oder unbewusste Handlungen.295 Die epistemologische Existenzberechtigung von Theorien zu nicht-intentionalem Handeln, die ohne Rückgriff auf das Konstrukt der Zielgerichtetheit auskommen, wird hier grundsätzlich nicht verneint, nur führt die Annahme eines Verhaltens, das Handlungen nicht 292
Vgl. Keck, 1995, S. 7-8. Coleman, 1995, S. 19. 294 Ebenda, S. 19. 295 Vgl. Keck, 1995, S. 8; Coleman, 1995, S. 21. 293
6.1 Basistheorien
153
mit Zielen oder Absichten begründet, im Kontext der Existenzgründung zu einem unlösbaren Paradoxon. „Das Paradoxon entsteht, weil solche Theorien implizieren, dass die Theorie selbst [...] keinerlei Effekt auf eine zukünftige Handlung haben kann. Jeder Versuch, die Theorie zielgerichtet anzuwenden, muss – der Theorie entsprechend – demzufolge fehlschlagen.“296 Demnach wäre eine technologische Theorie als Gestaltungsempfehlung an die Wirtschaftspolitik nicht möglich. Eine Gründungsförderung wäre dann nicht nur wirkungslos, sondern auch nicht einmal argumentierbar, weil Förderung selbst ein zielgerichtetes Verhalten von (politischen) Akteuren ist. Von nicht-intentionalem Tun sind nicht-intendierte Folgen intentionalen Handels zu unterscheiden. Letztere sind nämlich ein wichtiger Theorie-Bestandteil. Die nicht-intendierten Handlungsfolgen sind ja einer der Schlüssel zur Beschreibung, wie sich individuelle Handlungen auf der Systemebene aggregieren. Die Rational-Choice-Theorie besagt zunächst einmal nur, dass Akteure über begrenzte Ressourcen verfügen, Präferenzen haben und mittels einer Entscheidungsregel zwischen mindestens zwei Alternativen auswählen. Erst durch die Wahl einer speziellen Entscheidungsregel gelangt man bei der Theoriebildung zu einer spezifischen Entscheidungstheorie, wie der SEU-Theorie, NeumannMorgenstern-Theorie etc. 297 Dabei gilt für die Arbeit mit der RC-Theorie als heuristische Handlungsanleitung für den Wissenschaftler die Regel, Änderung des Verhaltens mit Änderungen der Restriktionen und nicht mit Änderungen der Präferenzen zu erklären, denn „[...] Erklärungen durch Präferenzänderungen sind häufig tautologische Scheinerklärungen.“ „Jede Verhaltensänderung [...] kann im Nachhinein durch eine Änderung des Nutzens der Aktivität „erklärt“ werden.“ 298 296
Coleman, 1995, S. 21. Vgl. Diekmann/Voss, 2004, S. 16. 298 Ebenda. 297
154
6 Theoretische Modellbildung
Dieses Argument geht in die gleiche Richtung wie die schon oben erwähnte Gefahr der A-posteriori-Umdeutung von Handlungen. In Bezug auf die Präferenz-Annahmen unterscheidet man eine „harte“ und eine „weiche“ Variante der RC-Theorie. Die harte Variante setzt ein egoistisches Wertesystem voraus und entspricht dem Bild des homo oeconomicus. Die moderne RC-Theorie geht aber über das eingeschränkte Homo-oeconomicus-Modell hinaus, indem auch nichtmaterielle Interessen und der Einfluss sozialer Strukturen (Institutionen, sozialer Kontext, Netzwerke, Sozialkapital) auf die Handlungsbedingungen und die häufig nicht-intendierten, aggregierten Handlungsfolgen den Gegenstand der Theorie bilden.299 Die Rational-Choice-Theorie definiert Handlungen dann als rational, wenn sie die Ziele des Akteurs am besten verwirklichen, ganz gleich, ob es sich um egoistische oder andere Ziele handelt.300 Dabei lassen sich sogar soziale Präferenzen in die Theorie mit einbeziehen. Soziale Präferenzen entstehen dann, wenn der Nutzen anderer für die Handlungen eines Akteurs eine Rolle spielen, obwohl sich deren Nutzen nicht für die Maximierung des materiellen Eigennutzens instrumentalisieren lässt. Zu den sozialen Präferenzen gehören Altruismus, Neid, Ungleichheitsaversion und Reziprozität.301 Ein Egoist würde seinen eigenen Status unabhängig von dem Status anderer bewerten und zu maximieren versuchen. Ein reflexiv-negatives Verhalten wie Neid oder reflexiv-positives wie Altruismus wären mit der Egoismus-Annahme gar nicht erklärbar. Fragen der Moral und Ethik müssen grundsätzlich auch diskutiert werden. Das soll die Handlungstheorie aber nicht leisten, denn sie konstruiert nur Kausalbeziehungen zwischen Zielen bzw. Absichten und der Handlung. Will man
299
Vgl. ebenda, S. 13-19. Vgl. Keck, 1995, S. 31. 301 Vgl. Kirst/Ehrmann, 2005, S. 141-142. 300
6.1 Basistheorien
155
moralische Aussagen treffen, so muss man die Ziele selbst analysieren. Das rationale Handlungsmodell ist aber nicht per se unethisch, weil es unmoralische Absichten von Individuen nicht explizit ausschließt. Ganz im Gegenteil ermöglicht diese theoretische Offenheit erst die Analyse von sozialen Systemen, in denen auch unmoralische Akteure agieren, und hilft so, Gestaltungsempfehlungen abzuleiten, die – in der Realität angewandt – die Beschädigung der Gesellschaft durch unmoralisches Verhalten einzelner verhindern helfen können. 6.1.3 Der formale Ansatz mit der Graphentheorie Die formale Beschreibung des Netzwerkes geschieht in dieser Arbeit mit der Terminologie der Graphentheorie. Die Analyse von Netzwerken mit graphentheoretischen Modellen ist eine in der Netzwerkforschung sehr verbreitete Methodik.302 Die Graphentheorie ist eine mathematische Disziplin, deren Ursprung in den Arbeiten von Euler liegt. Ein Graph g ist ein Paar disjunkter Mengen A und B, wobei die Elemente der Menge B 2-elementige Teilmengen von A sind. Die Elemente von A nennt man Knoten oder Ecken, die Elemente der Menge B nennt man Kanten oder Verbindungen. Bildlich kann man einen Graphen darstellen, indem man die Knoten als Punkte zeichnet und die Kanten als Verbindungslinien zwischen den Knoten.303 Dabei sei |A| die Anzahl der Akteure und |B| die Anzahl der Verbindungen. In der Netzwerktheorie repräsentieren die Knoten des Netzwerkes die Akteure, die Verbindungen der Knoten stellen die Beziehungen zwischen den Akteuren dar. Die folgende Darstellung entstammt, sofern nicht anders gekennzeichnet, den Artikeln von Jackson und Goyal.304 302
Vgl. Jansen, 2006, S. 40. Vgl. Diestel, 2006, S. 2. 304 Vgl. Jackson, 2005 und Goyal, 2005. Die Darstellung wurde nahezu komplett übernommen, weil die formale Terminologie in diesen Artikeln sehr gut zusammengefasst wurde. 303
156
6 Theoretische Modellbildung
Gegeben sei die endliche Menge von Akteuren A = {1,...,i ,j ,...,N}, mit N als Symbol für die Anzahl der Akteure, so dass |A| =N. Eine Beziehung zwischen den zwei Akteuren j und i sei mit ij bezeichnet. Ein Netzwerk g ist der Graph und damit eine Menge an Beziehungen zur Menge der Akteure A. Eine einzige Beziehung ist also eine Teilmenge von A der Größe 2. Der komplette Graph gN ist das Set aller möglichen Beziehungen aller Teilmengen von A mit der Größe 2, mit anderen Worten, jeder Akteur ist mit allen anderen Akteuren durch eine direkte Beziehung verbunden. Die Notation ijg bedeutet, dass die Akteure i und j in dem Graphen g direkt verbunden sind. Dagegen bedeutet die Notation ijg, dass zwischen den Akteuren keine direkte Beziehung existiert, was aber nicht grundsätzlich ausschließt, dass sie indirekt über Dritte verbunden sind. Die Notation g+ij bezeichnet den Graphen, der durch die Hinzufügung der Beziehung ij entsteht. In Mengenschreibweise: g+ij = g ^ij`. Die Notation gij bezeichnet den Graphen, der durch die Entfernung der Beziehung ij entsteht. In Mengenschreibweise: g+ij = g \^ij`. Eine indirekte Verbindung ist eine Verbindung zwischen zwei Akteuren, die über andere, dritte Akteure führt. Der Weg zwischen zwei Akteuren wird als Pfad bezeichnet. Der Pfad zwischen den Akteuren i1 und in in g ist also eine Menge an Akteuren {i1,i2,..,in}. Ein Graph heißt verbunden, wenn es für jedes Paar an Akteuren mindestens einen Pfad gibt, der sie (direkt oder indirekt) miteinander verbindet.
Es handelt sich bei dieser folgenden Darstellung nicht um theoretische Ideen der Autoren, sondern (nur) um die Basisterminologie. Deshalb sind die folgenden Ausführungen nicht einzeln als Zitate gekennzeichnet.
6.1 Basistheorien
157
Die geodesische Distanz von Akteur j zu Akteur i in g ist die Anzahl der Verbindungen von j zu i auf dem kürzesten Pfad; sie wird mit di,j(g) bezeichnet. di,j(g) = f bedeutet, dass kein Pfad zwischen den Akteuren i und j existiert. Ein Teilgraph g’ heißt Komponente von g, wenn zwischen allen Akteuren in g’, die nicht direkt verbunden sind, ein Pfad existiert, der sie zumindest indirekt verbindet, und wenn jede direkte Verbindung zwischen zwei Akteuren bedeutet, dass beide Akteure zu der Komponente gehören. Eine Komponente ist also eine Teilmenge an Akteuren und Beziehungen. Ein Netzwerk g heißt minimal, wenn die Löschung irgendeiner beliebigen Beziehung die Anzahl der Komponenten erhöht. Ein Netzwerk g heißt dementsprechend verbunden, wenn es aus nur einer einzigen Komponente besteht, sonst heißt es unverbunden. Wenn die einzige Komponente des Netzwerkes minimal ist, dann heißt das Netzwerk minimal verbunden. Beispiel: Der Graph g= {12, 23, 13, 45, 56, 57} besteht aus zwei Komponenten und ist damit unverbunden. Die eine Komponente besteht aus den Akteuren 1 bis 3 und deren Beziehungen, die andere Komponente analog aus den Akteuren 4 bis 7 und deren Beziehungen. Die Komponente {12, 23, 13} des Graphen g ist nicht minimal verbunden, weil die Löschung irgendeiner der Beziehungen die Akteure immer noch indirekt verbunden lässt. Die Komponente {45, 56, 57} ist dagegen minimal verbunden, denn die Beendigung einer der Beziehungen lässt das Netzwerk in weitere, kleinere Komponenten zerfallen. So führt die Beendigung der direkten Beziehung zwischen den Akteuren 5 und 6 dazu, dass die Netzwerke {45} und {67} voneinander isoliert werden. Zwei Netzwerke g und g’ heißen äquivalent oder auch isomorph, wenn sie durch Umbenennung der Nummern der Akteure auseinander hervorgehen. Die Klassen von äquivalenten Netzwerken werden als Architekturen bezeichnet. Es gibt vier wichtige Architekturen.
158
6 Theoretische Modellbildung
1. Im kompletten Netzwerk ist jeder Akteur mit jedem direkt verbunden. 2. Das Sternnetzwerk ist ein Netzwerk, das einen zentralen Akteur hat, der mit allen anderen Akteuren verbunden ist, wobei es keine anderen Beziehungen zwischen den anderen Akteuren gibt, bspw. {12, 13, 14}. 3. Das Rad-Netzwerk bezeichnet ein Netzwerk, in welchem die Akteure genau zwei direkte Beziehungen mit ihren jeweiligen Nachbarn pflegen, bspw. {12, 23, 34, 14}. Grafisch sieht das Netzwerk dann wie ein Rad aus. 4. Schließlich wird dasjenige Netzwerk, in dem niemand verbunden ist, als triviales Netzwerk bezeichnet. Im folgenden werden nur ungerichtete Graphen untersucht, das heißt, die Beziehung ist immer beidseitig ausgerichtet. In gerichteten Graphen sind auch einseitige Beziehungen möglich, dann sagt die Beziehung ij nichts über die Beziehung ji aus (Begründung für den Fokus auf ungerichtete Beziehungen siehe 6.2.1). Die letzte im weiteren Kontext benötigte Definition bezieht sich auf den Begriff Nachbarschaft. Die Nachbarschaft N d (i;g) ist die Menge an Akteuren in g, mit denen Akteur i eine direkte Beziehung unterhält. Dagegen bezeichnet N(i;g) die Menge an Akteuren, mit denen Akteur i eine direkte oder indirekte Beziehung unterhält. Die Anzahl der Akteure, die direkt oder indirekt mit Akteur i verbunden sind, heißt P(i,g) = |N(i;g)|. Die Anzahl der Nachbarn heißt Grad und wird mit k(i, g) bezeichnet. Beispiel: Im Graphen {12, 13, 14} hat Akteur 1 drei direkte Nachbarn, nämlich die Akteure 2, 3 und 4, so dass N d (1;g) = {2,3,4} und k(1,g) = 3. Dagegen gilt N d (2;g) = {1} und k(2,g) = 1. Wenn alle Akteure die gleiche Anzahl an Nachbarn haben, dann heißt das Netzwerk reguläres oder k-reguläres Netzwerk, und k=constant ist dann gleichzeitig der Grad des Netzwerkes.
6.1 Basistheorien
159
6.1.4 Spieltheoretische Netzwerktheorien Aus spieltheoretischer Sicht hängt die Evolution eines Netzwerkes von den Entscheidungen individueller Akteure ab. Die Akteure entscheiden, ob sie am Netzwerk teilnehmen oder nicht. Genau genommen entscheiden die Akteure nur darüber, ob sie eine Beziehung zu einem anderen bestimmten Akteur aufbauen wollen oder nicht. Erst die Summe aller Entscheidungen aller Akteure bestimmt darüber, wie das Netzwerk konkret aussehen wird. Ein Netzwerk ist definiert als ein Set von Beziehungen zwischen mindestens drei Akteuren.305 Die Akteure heißen in der Terminologie der Spieltheorie Spieler. Basis aller spieltheoretischen Netzwerkmodelle ist die kooperative Spieltheorie. Die kooperative Spieltheorie untersucht, wie bestimmte Koalitionen zwischen Spielern die Schaffung und Aufteilung von Werten beeinflussen. Die Struktur der Koalitionen zwischen den Spielern bestimmt erstens den Gesamtwert, der durch die Gesamtmenge der Spieler geschaffen wird, und zweitens die Werte, die für die einzelnen Spieler geschaffen werden. Die kooperative Spieltheorie untersucht dabei aber nicht die individuellen Handlungen der Spieler, die zur Koalitionsbildung führen, sondern sie untersucht nur die jeweiligen Auszahlungen der Ergebnis-Koalitionsstruktur. Damit grenzt sich die kooperative Spieltheorie von der nichtkooperativen Spieltheorie ab, welche die individuellen Strategien der Spieler zum Gegenstand hat. Der Begriff nichtkooperative Spieltheorie bedeutet keineswegs, dass die Spieler nicht zu kooperativer Zusammenarbeit fähig sind. Im Gegenteil: Die Heraushebung der Bedeutung der Kooperation und Koordination bei interdependenten Strategien ist eine der Hauptverdienste der Spieltheorie. Die Terminologie hat allein historische Ursachen. Die nichtkooperative Spieltheorie behandelt individuelle Strategien, während die kooperative Spieltheorie die Wertschaffung von Koalitionen behandelt.306
305 306
Vgl. Wiese, 2005, S. 357-358. Vgl. ebenda, S. 5-13.
160
6 Theoretische Modellbildung
Ein durch die Koalition geschaffener Wert heißt Auszahlung307 (in der englischen Notation: Payoff308). Die Koalitionsfunktion gibt an, welchen Wert alternative Koalitionen schaffen können. Das Lösungskonzept dagegen bestimmt, wie der durch die Koalition geschaffene Wert auf die einzelnen Spieler aufgeteilt wird, das heißt welche jeweiligen Auszahlungen die einzelnen Spieler erhalten. Es geht aber hier keineswegs nur um monetäre Werte, wie der Begriff vermuten lässt. Im Gegenteil, die Spieltheorie baut nahtlos auf der RC-Theorie auf, so dass alle Arten von Nutzen modelliert werden können.309 Ein Netzwerk im Sinne der kooperativen Spieltheorie ist nun eine Koalitionsstruktur. Durch Beziehungen verbundene Spieler bilden eine Koalition.310 Die Koalitionsfunktion (in der englischen Notation value function) gibt also an, welcher Wert (engl. value) vom Graphen geschaffen wird. Die Funktion ordnet dem Graphen eine reelle Zahl zu. Mit der Terminologie der formalen Graphentheorie ausgedrückt heißt die Koalitionsfunktion: v: {g | g gN } o . Die Menge aller Koalitionsfunktionen v heißt V. Im einfachsten Fall ist der Wert eines Netzwerkes die Summe der Nutzen aller Akteure: v(g) = ¦ui(g) wobei ui der Nutzen des Akteurs i aus dem Netzwerk ist, das heißt: ui: {g | g gN } o
307
Vgl. ebenda, S. 5-6. Vgl. Jackson, 1996. 309 Vgl. für die Terminologie hier und im Folgenden Wiese, 2005, S. 5-6. 310 Vgl. ebenda, S. 357-358. 308
6.1 Basistheorien
161
Ein Lösungskonzept (in der englischen Notation allocation rule) beschreibt, wie der durch das Netzwerk geschaffene Wert auf die einzelnen Akteure aufgeteilt wird. Formal ausgedrückt Y: {g | g gN } uV o N , wobei Yi(g,v) den Payoff des Akteurs i vom Netzwerk g unter der Koalitionsfunktion v darstellt. Für eine Theorie zur Evolution von Netzwerken reicht es aber nicht, von einer fertigen Koalitionsstruktur auszugehen. Die Koalitionsstrukturen und Graphen müssen endogenisiert werden. Das bedeutet, es muss aus dem Modell heraus erklärt werden, welche Koalitionsstruktur sich letztlich bildet. Dazu muss man von den individuellen Zielen und Handlungen der Spieler ausgehen und untersuchen, welche Koalitionen und damit welche individuellen und gesamten Auszahlungen entstehen. Die Annahme ist hierbei, dass die Spieler die Auszahlungen, die sich aufgrund der sich bildenden Koalitionsstruktur bzw. Netzwerkes ergeben werden, (zum Teil) voraussehen und in ihrer Handlungsentscheidung berücksichtigen.311 Hier existiert die Verbindung zur Rational-Choice-Theorie. Das Besondere an den individuellen Entscheidungen der Koalitionsspieler ist, dass sie interdependent sind. Die Entscheidung zum Aufbau einer Beziehung hängt von den Beziehungen der anderen Akteure ab. Die Handlungen bei interdependenten Entscheidungen wiederum sind der Gegenstand der nichtkooperativen Spieltheorie. Die Modelle zur Evolution von Netzwerken verbinden deshalb beide Stränge der Spieltheorie, die individuelle strategieorientierte (nichtkooperative) mit der auszahlungsorientierten (kooperativen) Theorie. Durch die Modellierung der Interdependenz der individuellen Entscheidungen auf Akteursebene, verknüpft mit der Modellierung der aggregierten Effekte durch die kooperative
311
Vgl. ebenda, S. 393.
162
6 Theoretische Modellbildung
Spieltheorie gelingt es, Hypothesen über den Mikro-Makro-Übergang zu formulieren. Die ökonomische Spieltheorie der Netzwerkbildung geht grundsätzlich davon aus, dass jeder Akteur eine Quelle von Nutzen ist, die man durch die Herstellung einer Verbindung anzapfen kann. Diese so betrachteten Nutzen unterliegen nicht der Rivalität. Die Klasse von non-rivalen Nutzenquellen beinhaltet Informationen, Wissen und Sozialkapital.312 Aufbau und Pflege von Beziehungen sind mit ökonomischen Kosten wie zum Beispiel Arbeitsmühe verbunden. Entsprechend der Rational-Choice-Theorie geht die Theorie ferner davon aus, dass die Akteure eine Entscheidung treffen, ob sie eine Beziehung aufbauen möchten oder nicht, indem sie die Kosten für den Aufbau und die Pflege der Beziehung gegen den Nutzen, der aus der Beziehung entsteht, abwägen und sich nur dann für die Aufnahme einer Beziehung entscheiden, wenn der Nettonutzen positiv ist.313 Im Rahmen dieser Arbeit wird eine Klasse von Modellen betrachtet, die durch eine weitere Annahme entsteht: Den Akteuren entsteht auch Nutzen durch indirekte Verbindungen. Indirekte Verbindungen erlauben Zugang zu Informationen, Ressourcen und sind zudem Teil des Sozialkapitals. Dabei entstehen die Kosten aber nur für Beziehungen zu den direkten Nachbarn. Eine direkte Beziehung des Akteurs i zu Akteur j verschafft Akteur i einen Nutzen auch aus den Beziehungen, die j mit anderen Akteuren unterhält. Kosten trägt i aber nur für die direkte Verbindung zu j. Indem j also zusätzliche Beziehungen unterhält, generiert er Externalitäten für i.314 Der Nettonutzen wird entsprechend der Terminologie der kooperativen Spieltheorie Payoff Yi genannt. Der Payoff ist definiert als die Differenz zwischen Nutzensumme aus den direkten und indirekten Beziehungen und den Bezie-
312
Vgl. Bala/Goyal, 2000, S. 1181. Vgl. Goyal, 2005, S. 149. 314 Vgl. Bala/Goyal, 2000, S. 1182. 313
163
6.2 Theoretische Modelle
hungskosten für direkte Beziehungen. Die hier betrachten Modelle haben alle eine Payoff-Funktion, die streng monoton mit der Anzahl der direkt und indirekt verbundenen Netzwerkpartner wächst und streng monoton mit der Anzahl der direkten Beziehungen sinkt:315 Yi = f (μ(i;g),k(i,g))
mit
dY i /dμ > 0 und dY i /dk < 0
Die ökonomische Spieltheorie der Netzwerk-Evolution geht zudem davon aus, dass die Akteure über die Optimalität ihrer Beziehungen lernen und ihre Entscheidungen entsprechend revidieren. Durch die Lerneffekte lässt sich die Veränderung – die Evolution – von Netzwerken erklären. 316 6.2 Theoretische Modelle 6.2.1 Überblick Wie in der Grounded Theory festgestellt, entstehen durch die Kooperation der Förderträger positive Nutzen sowohl für die Förderträger als auch für die Gründer. In der Terminologie des Netzwerkstrukturansatzes sind die Förderträger in Bezug auf die Zusammenarbeit beim Gründungsförderprozess positiv miteinander verbunden, weil ihre Beziehungen additiv sind. Wie ebenfalls in der Grounded Theory festgestellt, existieren zusätzlich noch Wettbewerbsbeziehungen zwischen den Förderträgern, und zwar nicht in Bezug auf den Gründungsförderprozess, sondern in Bezug auf die Einwerbung knapper Fördermittel. In der Terminologie des Netzwerkstrukturansatzes sind die Förderträger in Bezug auf die Einwerbung der Fördermittel negativ miteinander verbunden. Die beiden Relationsbeziehungen Kooperation und Wettbewerb existieren unabhängig voneinander und immer gleichzeitig.
315 316
Vgl. ebenda, S. 1182. Vgl. Goyal, 2005, S. 149.
164
6 Theoretische Modellbildung
Mit den folgenden Modellen sollen die Kooperationsbeziehungen und nicht die Wettbewerbsbeziehungen untersucht werden. Der Wettbewerb wird als exogenes Datum des politischen Umfeldes, die Kooperation als endogen erklärbar angesehen. Von den aus der Grounded Theory abgeleiteten Handlungsstrategien zur Erhöhung der Effizienz der Gründungsförderung (siehe Tabelle 7) werden im Folgenden diejenigen Strategien untersucht, die auf eine Verbesserung der Kooperation zielen, also die Strategien Z „Zentrale Agentur“ und N „Selbstkoordination der Förderträger“. Dabei geht es im Folgenden erstens um die Frage der Kooperationshemmnisse und zweitens um die Frage, ob die Verfolgung der Strategie Z oder der Strategie N für die Organisation der Gründungsförderung aus Sicht der Kooperationsverbesserung vorzuziehen ist. Ein wichtiger Aspekt bei der Modellierung von Netzwerken besteht in der Frage, ob die Beziehungen gerichtet oder ungerichtet sind. Genauer gesagt geht es um die Richtung des empfangenen Nutzens. In ungerichteten Netzwerken fließt beiden Beziehungspartnern ein Nutzen aus der Beziehung zu; deshalb heißen diese Netzwerke auch Two-way-flow-Netzwerke. Beziehungen in gerichteten Netzwerken können sowohl One-way-flow- als auch Two-way-flowBeziehungen sein.317 Es werden im Folgenden nur ungerichtete Netzwerke betrachtet, da die Kooperationsbeziehungen additiv sind, das heißt jeweils beiden Beziehungspartnern entsteht ein Nutzen aus der Kooperation. Ferner wird das Prinzip der Reziprozität unterstellt, das heißt, die Nutzen beider Beziehungspartner sind kongruent. Für die Modellierung der Netzwerke sind noch zwei weitere Aspekte von Bedeutung. Erstens entsteht die Frage, welcher der Beziehungspartner die Kosten für Aufbau und Pflege der Beziehung trägt. Zweitens ergibt sich die Frage, ob die Netzwerke mit oder ohne Friktionen modelliert werden. In friktionslosen Netzwerken ist der Nutzen aus den Bezie317
Vgl. Bala/Goyal, 2000.
6.2 Theoretische Modelle
165
hungen zu Partnern unabhängig von der (geodesischen) Distanz – der Pfadlänge – oder der Anzahl der Intermediäre.318 In Netzwerken mit Friktionen gibt es dagegen Sickerverluste von Nutzen, die über indirekte Pfade fließen. Das im nächsten Kapitel vorgestellte Basis-Modell von Jackson/Wolinsky basiert auf der Annahme, dass die Kosten für Aufbau und Pflege der Beziehung immer bei beiden Beziehungspartnern gleichermaßen entstehen. Zudem modelliert es Friktionen, das heißt einen abnehmenden Nutzen, wenn die Beziehungspartner nur indirekt verbundenen sind. Der Fluss von Informationen, Wissen oder Ressourcen unterliegt also Sickerverlusten, wenn er über indirekte Pfade zum Empfänger gelangt. Diese Sickerverlust wird im folgenden Decay genannt. Das im darauffolgenden Kapitel vorgestellte Modell von Bala/Goyal modelliert auch Friktionen, unterscheidet aber, ob die Beziehungskosten von beiden Beziehungspartnern oder einseitig getragen werden. Die Kernergebnisse der beiden Basis-Modelle von Jackson/Wolinsky und von Bala/Goyal sind die theoretischen Nachweise der Existenz eines Marktversagens wegen positiver Netzwerk-Externalitäten bei der Kooperation. Die externen Effekte führen dazu, dass ein Kooperationsnetzwerk nur bei sehr geringen Kooperationskosten durch Selbstkoordination entsteht und stabil ist. Bei sehr hohen Kooperationskosten kann kein effizientes Netzwerk entstehen. Bei mittleren Kooperationskosten wäre ein Sternnetzwerk mit einem zentralen Akteur zwar effizient, das heißt, die Summe der Kooperationsnutzen ist höher als die Summe der Kooperationskosten; das Sternnetzwerk ist aber instabil und bricht bei Selbstkoordination zusammen, da der zentrale Akteur die Hauptlast der Kooperationskosten tragen muss. Die Ergebnisse der Modelle bedeuten – übertragen auf die Organisation der Gründungsförderung –, dass die Kooperation zwischen den Förderträgern entweder durch die Senkung der Kooperationskosten bzw. finanzielle Entschädi-
318
Vgl. ebenda, S. 1182.
166
6 Theoretische Modellbildung
gung für die Kooperationskosten oder durch die Einrichtung einer staatlich subventionierten Zentralen Agentur ermöglicht werden kann. Das nächste, selbst entworfene Modell untersucht den Fall mittelhoher Kooperationskosten, wo ein Sternnetzwerk die effiziente aber instabile Netzwerkstruktur ist. Das Modell vergleicht auf einer einfachen theoretischen Ebene die Alternativen a) Kooperation zwischen den Förderträgern durch eine staatlich subventionierte Zentrale Agentur und b) keinerlei Kooperation zwischen den Förderträgern aus gesamtwirtschaftlicher Sicht, indem die Netzwerkkosten der Gründer und die Kosten für die Beratungsbedarfsdiagnose einbezogen werden. Das Modell kommt zu dem Ergebnis, dass mit Betrachtung der Subventionszahlungen das leere Netzwerk ohne Kooperation der Förderträger unter Umständen aus gesamtwirtschaftlicher Sicht sogar effizienter ist. Das bedeutet, ein Sternnetzwerk wäre zwar aus Sicht der Netzwerkteilnehmer effizient, es kann allerdings nicht aus eigener Kraft entstehen bzw. bricht sofort zusammen. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht ist aber unter Umständen ein zusammengebrochenes Netzwerk sogar noch effizienter als ein durch Subventionen künstlich am Leben gehaltenes Netzwerk. Die Praktikabilität des Modells in der Realität wird ebenfalls diskutiert werden. Das letzte Modell beschäftigt sich mit dem Fall, dass die Kooperationskosten so gering sind, dass ein Netzwerk zwischen den Förderträgern durch Selbstkoordination entstehen kann. Zusätzlich wird eine Dynamik modelliert und Netzwerkeintritte und -austritte betrachtet, um zu sehen, welche Struktur durch natürliche Evolution theoretisch entstehen wird. Das Modell greift dabei die Theorie skalenfreier Netzwerke auf. Die Konsequenzen für die Organisation der Gründungsförderung werden auch hier diskutiert.
6.2 Theoretische Modelle
167
6.2.2 Das Modell von Jackson/Wolinsky Das Modell von Jackson/Wolinsky adressiert das Spannungsverhältnis zwischen der Effizienz eines Netzwerkes und seiner Stabilität. Das Modell wurde ausgewählt, weil es eine hervorragende Relevanz bei der Modellierung sozialer Kommunikations- und Informationsnetzwerke besitzt und weil es in der mikroökonomischen Netzwerktheorie weithin anerkannt ist. Das Modell beschreibt nicht explizit den Prozess der Netzwerkbildung, sondern untersucht (nur), welche Netzwerke effizient und welche stabil sind.319 Ein Netzwerk gilt als effizient, wenn der durch das Netzwerk geschaffene Wert maximiert wird. Formal: Ein Netzwerk g ist effizient in Bezug zu v, wenn für alle g’ G gilt v(g) t v(g’). Der Wert v ist die Summe der individuellen Payoff: v = ¦Yi . Der individuelle Payoff ist die Differenz aus empfangenem Nutzen und den Kosten. Die Kosten entstehen nur aus den direkten Beziehungen. Die Kosten einer direkten Beziehung seien c. Der Nutzen aus einer Beziehung sei u. In diesem Modell ist der Nutzen aus den indirekten Beziehungen zu Netzwerkpartnern geringer als der Nutzen zu Partnern, mit denen eine direkte Beziehung besteht. Der Nutzen aus indirekten Beziehungen nimmt umso mehr ab, je länger der Pfad zu diesen Netzwerkpartnern ist. Die Abnahme wird mit dem Parameter G modelliert, wobei 0
Die folgende Darstellung des Modells ist bis zum Absatz „Diskussion“ vollständig dem Artikel von Jackson/Wolinsky, 1996 entnommen.
168
6 Theoretische Modellbildung
Yi
¦ Gijd (i, j) u k (i, g) c jz i
mit u
= Nutzen einer Beziehung
G
= Decay-Faktor, 0
k(i) c
= Anzahl der direkten Nachbarn von Akteur i in g = Kosten einer direkten Beziehung
Ohne Beschränkung der Allgemeinheit sei der Nutzen auf 1 normiert. Somit ergibt sich der Payoff wie folgt:
Yi
¦ Gijd (i, j) k (i, g) c jz i
mit 0
169
6.2 Theoretische Modelle
Fall 3: G+((N-2)/2) G2 < c Es existiert weder ein effizientes noch ein stabiles Netzwerk (das einzige effiziente Netzwerk ist das triviale leere Netzwerk). Es kommen keinerlei Beziehungen zustande. Der Beweis für Fall 1 ist recht einfach. In dem Falle, dass 2G2 < 2G-2c gilt, verbessern sich beide Akteure, die bisher nur indirekt verbunden waren, wenn sie eine direkte Verbindung aufbauen, da der Payoff einer Beziehung G-c größer ist als der Nutzen einer indirekten Beziehung, der maximal G2 sein kann. Der Beweis für Fall 2 basiert darauf, dass das Sternnetzwerk die Summe der Payoff maximiert. Der hier dargelegte Beweis weicht etwas von der Originalnotation ab. In einem verbundenen Netzwerk mit N Akteuren sei die Anzahl der direkten Beziehungen |B| = ".
§ N· |B| kann minimal den Wert (N-1) und maximal den Wert ¨¨ ¸¸ annehmen. ©2¹ Die Anzahl aller (direkten und indirekten) Beziehungen beträgt in einem verbundenen Netzwerk stets
N( N 1) . 2
Somit beträgt die Anzahl der indirekten Beziehungen
N( N 1) ". 2
Der Nutzen aus jeder direkten Beziehung beträgt 2G (da der Nutzen stets auf beiden Seiten der Beziehungen entsteht). Der Nutzen aus einer indirekten Beziehung kann maximal G2 sein.
170
6 Theoretische Modellbildung
Es ergibt sich folgende Koalitionsfunktion:
v (g )
§ N( N 1) · v"g 2"G 2¨ " ¸ G 2 2" c 2 © ¹
oder vereinfacht:
v"
2G 2G
2
2c " N( N 1)G 2
Der Anstieg dieser streng monotonen linearen Funktion ist dv d"
2G 2G
2
2c .
Der Anstieg ist negativ wegen der Fall-Bedingung G-G2 < c. Deshalb erreicht diese Funktion ihr Maximum, wenn "minimal ist. Ein minimales "ist aber genau "= (N-1) im Sternnetzwerk mit einem zentralen Akteur. Der Beweis für Fall 3 wird in der Originalnotation nicht geliefert, ist aber auch recht einfach: In einem Sternnetzwerk mit N Akteuren gibt es (N-1) direkte Beziehungen. Ein Netzwerk ist dann nicht mehr effizient, wenn der Wert v(g) negativ wird, also wenn die Nutzensumme kleiner als die kumulierten Kosten ist. In einem Sternnetzwerk mit N Akteuren gibt es (N-1) direkte Beziehungen, eingesetzt in die obige Gleichung ergibt sich die Bedingung. v(g) = 2(N-1)G + (N-1)(N-2) G2 - 2(N-1)c < 0 Nach einigen Umformungen erhält man:
G+((N-2)/2)G2 < c , q.e.d.
Der Definition für die Stabilität eines Netzwerkes liegt folgende Überlegung zugrunde: Es bedarf des gemeinsamen Konsens beider Akteure, um die Beziehung zwischen ihnen aufzubauen und aufrecht zu erhalten. Um eine Beziehung zu beenden genügt dagegen die Aktion eines Beziehungspartners. Dieses Konzept der Stabilität heißt „pairwise stable“.
6.2 Theoretische Modelle
171
Anders ausgedrückt ist ein Netzwerk stabil, (1) wenn niemand eine Beziehung beenden möchte, und (2) es finden sich nicht zwei Akteure, die eine neue Beziehung aufbauen möchten. Formal heißt das wie folgt: Ein Netzwerk g sei pairwise stable in Bezug auf v und Y, wenn gilt: (1) für alle ijg, Y i (g,v)t Y i (gij,v) und Y j (g,v)t Y j (gij,v) und (2) für alle ijg, wenn Y i (g,v) < Y i (g+ij,v) dann Y j (g,v) > Y j (g+ij,v) Je nach Kosten-Nutzen-Verhältnis ergeben sich folgende Fälle: Fall 1: 0 < c < G-G2
Der komplette Graph ist das einzige effiziente Netzwerk. Dieses Netzwerk ist stabil im Sinne von „pairwise stable“. Fall 2a: G-G2 < c <
Ein Sternnetzwerk mit einem zentralen Akteur ist das einzige effiziente Netzwerk. Dieses Netzwerk ist stabil im Sinne von „pairwise stabile“. Fall 2b: G < c < G+((N-2)/2)G2
Ein Sternnetzwerk mit einem zentralen Akteur ist das einzige effiziente Netzwerk. Dieses Netzwerk ist aber nicht stabil im Sinne von „pairwise stable“. Fall 3: G+((N-2)/2) G2 < c
Es existiert weder ein effizientes noch ein stabiles Netzwerk. Es kommen keinerlei Beziehungen zustande. Den mathematischen Beweis liefern Jackson/Wolinsky. Das Ergebnis ist aber auch plausibel nachvollziehbar. Im Fall 2a erhält der zentrale Akteur aus allen von ihm gepflegten direkten Beziehungen einen positiven Payoff für sich selbst, da c
172
6 Theoretische Modellbildung
liche Beziehungen aufzubauen, da sie sich sonst schlechter stellen in Bezug auf ihren Payoff. Im Fall 2b sind die Kosten der direkten Beziehungen so hoch, dass der zentrale Akteur insgesamt einen negativen Payoff erhält, während alle anderen Akteure keinen Anreiz haben, zusätzliche Beziehungen aufzubauen. Das Sternnetzwerk insgesamt ist zwar sehr effizient, aber der zentrale Akteur wird sich weigern, Externalitäten bereitzustellen, ohne dafür kompensiert zu werden. Das Netzwerk würde zerfallen bzw. gar nicht erst entstehen. Diskussion Es gibt also Situationen in sozialen Netzwerken, in denen die Architektur mit einem zentralen Akteur für das gesamte Netzwerk den größten Nutzen stiften würde, aber aufgrund der einzelnen Entscheidungen der Individuen nicht von alleine zustande kommt bzw. instabil ist.
Es bedarf im Fall mittlerer Beziehungskosten eines Facilitators, der sich gezielt als zentraler Akteur positioniert. Im Fall 2b müsste dieser Facilitator kompensiert werden, da die bereitgestellten Externalitäten größer als die erhaltene Nutzensumme sind. Im Fall 2a könnte das Netzwerk ohne Subventionen auskommen, wenn einer der Akteure sich freiwillig als Facilitator zur Verfügung stellt. Ungeklärt bleibt in diesem Modell, wie ein Netzwerk sich dynamisch bei einer solchen Situation entwickelt. Goyal320 schlägt folgende einfache Erweiterung des Modells zur Dynamisierung vor: In jeder Periode entscheidet jeweils ein Paar an Netzwerkteilnehmern über ihren Beziehungszusammenhang, das heißt wenn zwischen beiden Akteuren eine Beziehung besteht, dann entscheiden die beiden Akteure, ob sie die Beziehung aufrecht erhalten; besteht keine Beziehung, so können sie entscheiden, eine Beziehung zu formen oder unverbunden zu bleiben. Dem dynamischen Prozess liegt die Annahme der kurzsichtigen Payoff-Maximierung zu Grunde, das heißt, die Akteure maximieren nur ihren unmittelbaren Nutzen und können nicht die Wirkung ihrer Entscheidung auf die langfristige Gesamtkonstellation des gesamten Netzwerkes voraussehen, die 320
Vgl. Goyal, 2005, S. 154-155.
6.2 Theoretische Modelle
173
indirekt den eigenen langfristigen Nutzen beeinflusst. Diese Annahme ist plausibel, wenn das Netzwerk sehr groß und komplex ist, so dass die langfristige Interdependenz der individuellen Entscheidungen vom einzelnen Akteur kognitiv nicht erfasst werden kann. Aus der Dynamisierung ergeben sich folgende interessante Ergebnisse: Im Fall 1 entwickelt sich, unabhängig von der initialen Ausgangskonstellation, das komplette Netzwerk in endlicher Zeit mit der Wahrscheinlichkeit 1. Im Fall 2a ergibt sich eine positive Wahrscheinlichkeit, dass das effiziente und stabile Sternnetzwerk auch dynamisch tatsächlich entsteht, allerdings ist diese Wahrscheinlichkeit kleiner als 1 und nimmt mit der steigenden Anzahl der Akteure ab und konvergiert gegen Null bei großer Anzahl von Akteuren. In den Fällen 2b und 3 wird in einem dynamischen Modell überhaupt keine Beziehung entstehen. Das zwar effiziente, aber instabile Sternnetzwerk kann in diesem dynamischen Modell bei vielen Netzwerkakteuren niemals von alleine entstehen. 6.2.3 Das Modell von Bala/Goyal Das Modell von Bala/Goyal321 weist gegenüber dem Modell von Jackson/Wolinsky einen bedeutenden Unterschied auf: Um eine Beziehung aufzubauen, bedarf es nicht der Zustimmung beider Netzwerkpartner. Es ist möglich, eine Beziehung einseitig zu initiieren. Die Beziehungskosten entstehen dann auch nur einseitig bei einem der Beziehungspartner. Deshalb ist dieses Modell asymmetrisch im Gegensatz zum symmetrischen Modell von Jackson/Wolinsky. Der durch das Netzwerk geschaffene Wert v ist wieder die Summe der individuellen Payoffs: v = ¦Yi .322
321 322
Vgl. Bala/Goyal, 2000. Die folgende Darstellung des Modells ist bis zum Absatz „Diskussion“ vollständig dem Artikel von Bala/Goyal, 2000 entnommen.
174
6 Theoretische Modellbildung
Die Effizienzdefinition ist identisch mit der des Modells von Jackson/Wolinsky: Ein Netzwerk g ist effizient in Bezug zu v, wenn für alle g’ G gilt v(g) t v(g’). Es gebe zunächst keine Friktionen, so dass der Nutzen aus direkten und indirekten Beziehungen identisch ist. Ohne Beschränkung der Allgemeinheit sei dieser Nutzen pro Beziehung auf 1 normiert. Die Nutzensumme eines Individuums ist damit gleich der Anzahl direkt oder indirekt verbundener Akteure μ(i,g). Kosten entstehen nur für direkte Beziehungen, diese seien ebenfalls bei allen Netzwerkpartnern identisch und betragen c. Die so entstehende Payoff-Funktion ist linear: Yi = μ(i,g)-kc Es ergeben sich folgende Strategien aus Sicht des Akteurs i: Fall I: 0
Es wird nun ein simpler dynamischer Prozess wie folgt modelliert: In jeder Periode wählt jeder Akteur eine Strategie. Eine Strategie ist die Menge der Beziehungen, die ein Akteur wünscht. Mit einer positiven Wahrscheinlichkeit kleiner 1 unterliegt der Akteur einer gewissen Trägheit in Bezug auf die Strategieanpassung und ändert seine Strategie für die aktuelle Periode überhaupt nicht. Mit der Gegenwahrscheinlichkeit orientiert sich jeder Akteur bei der Strategie-
6.2 Theoretische Modelle
175
wahl an seinem Payoff aus der Vorperiode. Er wählt seine Strategie als beste Antwort auf alle Strategien der Akteure aus der Vorperiode. Diese Strategie ist kurzsichtig, weil der Akteur nicht die langfristigen Auswirkungen seiner Strategie auf die Netzwerk-Evolution bedenkt. Wie bereits zuvor schon diskutiert, ist diese Annahme plausibel, wenn das Netzwerk sehr groß und komplex ist, so dass die langfristige Interdependenz der individuellen Entscheidungen vom einzelnen Akteur kognitiv nicht erfasst werden kann. Wenn es mehrere Strategien der besten Antwort gibt, so wählt der Akteur eine von diesen zufällig. Eine Strategie gi ist eine Beste-Antwort-Strategie von Akteur i in Bezug auf das Netzwerk gi, wenn für alle gi’ giN gilt: Yi(gi gi) t Yi(gi’ gi) wobei gi = Menge aller Beziehungen von Akteur i gi
= das Netzwerk g, wenn man alle Beziehungen von Akteur i entfernt
Das bedeutet, dass die Entscheidung des Akteurs, welche Beziehungen er zum Netzwerk beiträgt, von seinem persönlichen Payoff abhängt. Die Beste-AntwortStrategie ist diejenige, die seinen Payoff im Vergleich zur vergangenen Periode erhöht. In der Spieltheorie heißt ein Gleichgewicht, das sich daraus ergibt, dass alle Spieler eine Beste-Antwort-Strategie wählen, Nash-Gleichgewicht. In Analogie dazu heißt das Netzwerk, in dem alle Akteure eine Beste-AntwortNetzwerkstrategie verfolgen, Nash-Netzwerk. In einem strengen Nash-Netzwerk verfolgt jeder Spieler eine Strategie der persönlichen Payoff-Maximierung, das heißt, er wählt nicht nur die Strategie, die seine Position verbessert, sondern wählt diejenige Strategie, die allen anderen in Bezug auf den Payoff überlegen ist. Yi(gig-i) > Yi(gi’g-i)
176
6 Theoretische Modellbildung
Es ergibt sich im Falle ohne Decay folgendes Ergebnis: Fall I: 0
Der Decay wird identisch modelliert wie bei Jackson/Wolinsky. Im Falle mit Decay ergeben sich folgende Ergebnisse: Fall 1: 0 < c < G-G2
Der komplette Graph ist das einzige strenge Nash-Netzwerk. Dieses Netzwerk ist auch effizient. Fall 2a: G-G2 < c < G
Sternnetzwerke mit einem zentralen Akteur sind die einzigen strengen NashNetzwerke. Das gilt sowohl für center-sponsored stars als auch für pheripherysponsored stars (wo der zentrale Akteur überhaupt keine Beziehungskosten tragen muss) bzw. Mischungen aus beiden Varianten.
6.2 Theoretische Modelle
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Fall 2b: G < c < G+(N-2)G2
Das einzige strenge Nash-Netzwerk ist der pheriphery-sponsored star. Fall 3: G+(N-2)G2 < c
Es existiert kein strenges Nash-Netzwerk (das einzige strenge Nash-Netzwerk ist das triviale leere Netzwerk). Es kommen keinerlei Beziehungen zustande. Die Konvergenzraten waren in der Simulation sehr hoch, auch wenn die Trägheitswahrscheinlichkeit sehr hoch gewählt wurde. In Netzwerken mit Decay gibt es höhere Anreize für die Akteure, sich indirekt zu verlinken, so dass sich die entsprechenden Netzwerke schneller herausbilden als in friktionslosen Netzwerken. In Bezug auf die Effizienz ergeben sich folgende Fälle: Fall A: 0 < c < 2(G-G2)
Das komplette Netzwerk ist effizient. Fall B: 2(G-G2) < c < 2G+(N-2)G2
Das Sternnetzwerk ist effizient. Fall C: 2G+(N-2)G2 < c
Nur das leere Netzwerk ist effizient. Der Beweis für Fall A erfolgt analog zu dem Beweis im Modell von Jackson/Wolinsky. Dort galt, dass sich bei 2G2 < 2G-2c beide Akteure – die bisher nur
indirekt verbunden waren – verbessern, wenn sie eine direkte Verbindung aufbauen. Da im Modell von Bala/Goyal die Kosten nur von einem der Partner getragen werden, muss hier gelten, dass sich bei 2G2 < 2G-c beide Akteure beim Aufbau einer direkten Verbindung besser stellen. Die Beweise für Fall B und Fall C folgen ebenfalls analog zum Beweis im Modell Jackson/Wolinsky.
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6 Theoretische Modellbildung
Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht über die verschiedenen Situationen: Bedingung
Nash-Architektur
Effiziente Architektur
0 < c < G- G 2
Komplettes Netzwerk
Komplettes Netzwerk
G- G 2 < c < 2 ( G- G 2 )
Sternnetzwerk
Komplettes Netzwerk
2( G- G 2 ) < c < G
Sternnetzwerk
Sternnetzwerk
G < c < G+(N-2)G2
pheriphery-sponsored Sternnetzwerk
Sternnetzwerk
G+ ( N - 2 ) G 2 < c < 2G+ ( N - 2 ) G 2
leeres Netzwerk
Sternnetzwerk
2G+ ( N - 2 ) G 2 < c
leeres Netzwerk
leeres Netzwerk
(für G > 0 , 5 )
Tabelle 10: Übersicht Stabilität und Effizienz im Modell von Bala/Goyal
6.2.4 Vergleich der Modelle und Diskussion In beiden Modellen gibt es Situationen, in denen eine bestimmte Netzwerkstruktur zwar effizient ist, sich aber nicht dynamisch bildet. Im Modell von Bala/ Goyal bildet sich die effiziente Netzwerkstruktur in bestimmten Situationen nicht, weil die Netzwerkarchitektur kein Nash-Netzwerk darstellt, das heißt, sie kann nicht aus der Aggregation der individuellen Strategien abgeleitet werden. Der Begriff des Nash-Netzwerkes ähnelt dem Konstrukt des „pairwise stable“ aus dem Modell von Jackson/Wolinsky, denn auch die Stabilitätskriterien sind aus der Aggregation der individuellen Strategien abgeleitet. Während aber das Konstrukt der „pairwise stability“ ein proprietäres Konstrukt jener Autoren ist, basiert das Konzept des Nash-Netzwerks auf den Basisprinzipien der weit verbreiteten und anerkannten Spieltheorie.
6.2 Theoretische Modelle
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Beide Modelle zeigen, dass die Probleme der Netzwerkbildung bei mittleren Kosten entstehen. Man könnte also von einem Marktversagen sprechen, denn die individuellen Kosten-Nutzen-Kalküle führen nicht zu der aus aggregierter Sicht optimalen Netzwerkstruktur. Ursache für dieses Marktversagen ist die Existenz externer Effekte. Das bedeutet für Netzwerke zwischen Gründungsförderern Folgendes: Wenn die Kosten für die Pflege der Beziehungen gering sind, wird ein sehr dichtes Netzwerk entstehen, in dem jeder mit jedem direkt verbunden ist. Bei mittleren Kosten ist das Netzwerk auf einen zentralen Facilitator angewiesen. In Bezug auf die Ausgestaltung der Förderpolitik ergeben sich nun folgende Ansätze: Die Existenz von Marktversagen ist ein Argument zur Begründung von wirtschaftspolitischen Eingriffen. Setzt man sich als politisches Ziel, die Netzwerkbildung zwischen den Gründungsförderern zu begünstigen, so gilt es, die Kosten der Beziehungspflege möglichst gering zu halten oder finanziell zu kompensieren. Wenn die Beziehungskosten in Bezug auf den erwarteten Nutzen zu hoch sind, um selbst organisierte effiziente und stabile Netzwerke entstehen zu lassen, so ist das Netzwerk auf einen Facilitator angewiesen. Dieser Facilitator muss bei Jackson/Wolinsky im Fall 2b subventioniert werden, da er Externalitäten für alle anderen Netzwerkteilnehmer bereitstellt. Im Modell von Bala/Goyal muss der Facilitator ebenfalls subventioniert werden, wenn es keine Friktionen gibt, sonst kann der Facilitator auch durch Zahlungen der anderen Teilnehmer kompensiert werden, denn bei Existenz von Friktionen ist der pheriphery-sponsored star unter Umständen das effizienteste Netzwerk. Ein zweiter denkbarer Ansatz wäre, die Beziehungen durch einen natürlichen Facilitator pflegen zu lassen und dann die multiplexe Natur sozialer Beziehungen dahingehend auszunutzen, dass diese Beziehungen auch für die Kooperation beim Gründungsprozess (mit)genutzt werden. Ein natürlicher Facilitator wäre ein Akteur, der aufgrund seiner Tätigkeit die Akteure indirekt miteinander verbindet.
180
6 Theoretische Modellbildung
Beide Modelle haben aber eine große Schwäche: Sie unterscheiden nicht zwischen aktiven und latenten Beziehungen. Eine Beziehung, die in einer oder mehreren Perioden aktiv ist, wird in diesen Modellen abgebrochen, wenn Nutzen und Kosten der Beziehung nicht mehr im günstigen Verhältnis stehen. In der Realität bleibt aber diese Beziehung noch latent vorhanden, auch wenn keine konkrete aktive Nutzung stattfindet. In späteren Perioden können die Beziehungspartner ihre Beziehung wieder aufgreifen. Und genau dieser Aspekt ist empirisch relevant. Powell/White/Koput/Owen-Smith untersuchten die Netzwerkbeziehungen zwischen Gründern, Universitäten, KMU und Großindustrie in der Biotechnologiebranche und kamen zu dem Schluss, dass diese Netzwerke von einer hohen Rate von Beziehungsformationen und Beziehungsauflösungen charakterisiert sind. Die Beziehungen werden zur Verfolgung eines bestimmten gemeinsamen Zieles aufgebaut und nach der Erreichung des Zieles wieder aufgelöst.323
Die Existenz einer Beziehungsgeschichte hat auch Einfluss auf die Kosten der Reaktivierung und auch der Beziehungspflege. Die latenten Beziehungen stellen Sozialkapital dar. Latente Beziehungen beinhalten potenziellen Nutzen, der in den Modellen nicht darstellbar ist. Dieses Sozialkapital erfährt auch eine Abschreibung, wenn die Beziehungen über lange Zeiträume nicht gepflegt werden. Darüber hinaus kann die Beziehung durch negative Erfahrungen in der Zusammenarbeit dauerhaft zerstört werden, so dass auch bei veränderten KostenNutzen-Verhältnissen eben kein Beziehungsaufbau zustande kommt. Die dargestellten Modelle können den Einfluss der Beziehungsgeschichte auf das Beziehungsverhalten nicht modellieren. Somit können dynamisch wachsende Netzwerke nicht wirklich erfasst werden. Zwar sind die Aussagen der Modelle unabhängig von der Anzahl der Teilnehmer, denn die Netzwerkarchitektur hängt nur vom Kosten-Nutzen-Verhältnis ab, aber Netzwerkeintritte und -austritte können nicht modelliert werden. Um Netzwerkeintritte und -austritte zu modellieren, muss man berücksichtigen, dass die Newcomer die Netzwerk323
Vgl. Powell et al., 2005, S. 1138.
6.2 Theoretische Modelle
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geschichte (zumindest ansatzweise) kennen und in die Wahl ihrer Eintrittsstrategie einbeziehen. In den Modellen von Jackson/Wolinsky und Bala/Goyal verhalten sich alle Netzwerkteilnehmer stets gleich, egal in welcher Periode sie in das Netzwerk eintreten. Mit der Periodendynamisierung kann damit auch keine Pfadabhängigkeit von Entwicklungen modelliert werden. Es ergibt sich eine weitere Limitation der Gleichgewichtsmodelle: Es werden keine Lerneffekte modelliert. Die Akteure weisen nur adaptive Lerneffekte auf, weil sie sich stets an der Vorperiode orientieren. Wenn aber aktive Netzwerkbeziehungen über mehrere Perioden bestehen, so würde man erwarten, dass Lerneffekte zu einer Senkung der Beziehungskosten oder einer Erhöhung des Nutzens aus der Beziehung führen. Solche Economies-of-Scale werden aber nicht berücksichtigt. Trotz dieser vielfältigen Limitationen liefern die Modelle einen wichtigen Beitrag zu Gestaltungsempfehlungen für die Konzeption von Netzwerken zwischen Gründungsförderern. Sind die Kooperationskosten niedrig, werden die Förderer von alleine ein komplettes Netzwerk aufbauen; sind die Kosten in einem mittleren Bereich, so wird eine Kooperationsform mit zentralem Akteur am effizientesten. Letzteres Netzwerk kann aber in bestimmten Situationen nicht von alleine durch Selbstkoordination entstehen, wobei das Modell von Jackson/Wolinsky in dieser Hinsicht noch pessimistischer ist. In diesen Situationen würde nur eine staatlich eingesetzte und subventionierte Zentrale Agentur zu einer effizienten Kooperationsform führen. 6.2.5 Modell mit Zentraler Agentur nach Strategie Z Das nächste Modell betrachtet nun die Kooperation zwischen den Förderträgern im Zusammenhang mit dem gesamten Gründungsnetzwerk zwischen Gründern und Förderträgern. Das Modell berücksichtigt die Netzwerkkosten sowohl der Gründungsförderer als auch die Netzwerkkosten der Gründer und bezieht ferner die Gründungsförderbedarfsdiagnose, die sich in der Grounded Theory als sehr relevanter Faktor herausgestellt hat, mit ein.
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6 Theoretische Modellbildung
Das Modell geht grundsätzlich von dem Fall aus, dass die Netzwerkkosten im mittleren Bereich liegen. Kooperation ist in diesem Falle zwar effizient, aber es entsteht ein Netzwerk-Marktversagen und es kommt kein natürliches Netzwerk durch Selbstkoordination zu Stande, weder zwischen den Gründungsförderern noch zwischen den Gründern. Das Gründungsförderungsnetzwerk ist bei Selbstkoordination demnach leer. Die effiziente und stabile Lösung ist in diesem Fall das Sternnetzwerk (siehe 6.2.3 und 6.2.4); die beste Handlungsstrategie zur Umsetzung des Sternnetzwerkes ist die Einsetzung einer staatlich-subventionierten Zentralen Agentur. Die Zentrale Agentur (ZA) verbindet alle Gründungsförderer miteinander und übernimmt die ersten Aufgaben des Gründungsförderprozesses, nämlich: 1. Identifizierung potenzieller Gründerpersonen bzw. Gründungsprojekte, 2. Diagnose des individuellen Gründungsförderbedarfes, 3. Matching existierender Förderangebote mit dem individuellen Förderbedarf, 4. Weiterleitung der Gründerperson an den zuständigen bzw. kompetenten Förderträger. Für die Durchführung der Fördermaßnahme muss immer eine Beziehung zwischen Gründungsförderer und Gründer aufgebaut werden. Auch für die Durchführung der Diagnose muss eine Beziehung zwischen ZA und Gründer aufgebaut werden. Der Beziehungsaufbau ist mit Kosten verbunden. Die Kosten des Beziehungsaufbaus entstehen immer auf beiden Seiten der Beziehungspartner (wie Kapitel 6.2.3), mit einer Ausnahme: Wenn eine Beziehung zwischen Gründer und Gründungsförderer durch Vermittlung der ZA aufgebaut wird, entstehen annahmegemäß die Kosten des Beziehungsaufbaus nur einmal und nur auf Seiten der ZA. Eine Förderung über indirekte Beziehungen ist annahmegemäß nicht möglich; es gibt deshalb keine Pfadlängen größer als 1 und damit auch keine Friktionen im Sinne von Nutzenabnahme. Folgende alternative Konstellationen für die Organisation des gesamten Beziehungsgeflechtes können bestehen:
183
6.2 Theoretische Modelle
1. Alternative: leeres Gründungsförderungsnetzwerk (GFN)
Alle Gründer bauen eigene, multi-dyadische, egozentrierte Netzwerke auf, indem sie sich individuell mit den Förderern verbinden, um Förderangebote wahrzunehmen. Förderträger
Gründer
Abbildung 6: Visualisierung leeres Gründungsförderungsnetzwerk
2. Alternative: Zentrale Agentur (ZA)
Die Förderträger sind durch eine Zentrale Agentur verbunden. Förderträger
Zentrale Agentur
ZA
Gründer
Abbildung 7: Visualisierung Gründungsförderung mit Zentraler Agentur
184
6 Theoretische Modellbildung
Für die weiteren Ausführungen wird folgende Terminologie verwendet. Große Buchstaben signalisieren, dass es sich um Summen/Aggregate handelt, kleine Buchstaben stehen für individuelle Größen. Symbol E e (tiefgestellt) F f (tiefgestellt)
Bedeutung Anzahl der Gründer (Entrepreneure) Index für einen einzelnen Gründer Anzahl der Gründungsförderer Index für einen einzelnen Gründungsförderer
Der Netzwerkwert ist die Summe der einzelnen Payoffs. Die individuelle Payoff-Funktion ergibt sich aus der Differenz zwischen Nutzen und Kosten der Netzwerkverbindungen. Das individuelle Gründungsnetzwerk entsteht, wenn das Folgende gilt: Der Gesamtnutzen des eigenen Gründernetzwerkes übertrifft die Kosten des eigenen Netzwerks: ye = be – ce > 0 mit
ye be ce
= = =
Payoff des Gründers Nutzen (benefit) des Gründers aus dem Netzwerk Kosten (costs) des Gründers durch das Netzwerk
Der Nutzen für die Gründer ergibt sich ganz einfach aus der Summe der empfangenen Förderangebote. Die Kosten des einzelnen Gründers sind die fixen Kosten für den Aufbau und die Pflege der Netzwerkverbindungen. Diese Kosten beinhalten Suchkosten, Kosten der Anbahnung und Kosten für den Aufwand zur Herstellung einer gemeinsamen Kommunikationsbasis. ce = aF mit
a = Kosten für den Aufbau und die Pflege einer Beziehung F = Anzahl der zu unterhaltenden Links, entspricht Anzahl der Förderer
185
6.2 Theoretische Modelle
Der Nutzen des Gründers ist unabhängig von der Größe seines Beziehungsnetzwerkes (der Anzahl der Förderer, mit denen er verbunden ist) und der Struktur des gesamten Beziehungsgeflechtes. Für den Nutzen der Förderung ist es egal, wie viele verschiedene Stellen dazu kontaktiert werden müssen. Deshalb kann der Nutzen auf 1 normiert werden. Es wird angenommen, dass der Gründer alle Förderer kontaktiert um sicherzugehen, dass er für sich selbst das maximale Förderpaket akquiriert. Das setzt natürlich voraus, dass der Gründer sämtliche Anbieter von Gründungsförderungen kennt; diese Annahme entspricht zwar nicht den Ergebnissen der qualitativen Erhebung, muss hier aber trotzdem getroffen werden, um das Modell praktikabel zu gestalten. Das ökonomische Prinzip wird nun so angewendet, dass ein gegebenes Ziel, nämlich die Übertragung der Förderung von dem Förderträger auf die Gründer, bei geringstmöglichen Kosten c erreicht werden soll. Mathematisch bedeutet das: Die Maximierung des Payoffs entspricht der Minimierung der Kosten. max. ye min. ce Die individuellen Kosten sind demnach:
ce = aF
Dann ist die Summe der Kosten aller Gründer:
CE = ¦ce = aFE
Die Förderträger sollen annahmegemäß einen Payoff von Null haben. Der Nutzen soll immer den Kosten entsprechen. Das lässt sich inhaltlich begründen, wenn die Förderer öffentlich-staatlich oder quasi-öffentlich-staatlich subventioniert sind, denn dann erhalten sie Mittelzuweisungen, die genau ihre Kosten decken und keinen Gewinn erlauben.324 Für Kooperationen erhalten sie keine Vergütung, deshalb stellt der Aufbau von Netzwerkbeziehungen zu anderen Förderträgern eine zusätzliche Belastung dar.
324
Oder auch wenn man ein altruistisches Motiv annimmt, wie z.B. bei ehrenamtlichen Senior Coaches.
186
6 Theoretische Modellbildung
Wenn alle Gründer jeweils eine Beziehung zu jedem Förderer unterhalten, bedeutet das im Umkehrschluss, dass jeder Förderer jeweils einen Link zu allen Gründern unterhalten muss, da die Kosten immer auf beiden Seiten identisch entstehen. Die Beziehungskosten auf Seiten der Förderträger entstehen durch Werbung, Sensibilisierungsmaßnahmen, Beratungen etc. Eine ausführliche Gründungsbedarfsdiagnose findet in dieser Modellkonstellation nicht statt, denn jeder Förderträger ermittelt nur, ob der Gründer in sein eigenes Förderprogramm passt. Die Kostensumme aller Förderer ergibt sich wie folgt: CF = aFE Die Gesamtkosten des Netzwerkes CN betragen: CN = CE + CF CN = 2aEF
In der Alternative 2 mit Zentraler Agentur müssen die Gründer lediglich die Verbindung zur Agentur unterhalten, da die Agentur die Verbindung zum Förderträger herstellt. Es steht außer Frage, dass die Durchführung der Fördermaßnahme einer direkten Zusammenarbeit zwischen Förderträger und Gründer bedarf. Annahmegemäß entstehen für den Aufbau einer solchen Direktverbindung in dieser Alternative jedoch weder für den Gründer noch für den Förderträger Kosten, da die Herstellung einer Kommunikationsbasis von der Agentur übernommen wird. Die Kosten der Gründer reduzieren sich auf ce = a, so dass gilt:
CE = aE
Die Kosten der Förderer sinken ebenfalls, weil die Förderer jeweils nur eine Beziehung mit der Zentralen Agentur aufbauen müssen: CF = aF Neu sind dagegen die Kosten für die Zentrale Agentur CZA. Die ZA muss jeweils eine Beziehung zu jedem Förderer und zu jedem Gründer unterhalten, sie muss ferner pro Gründer eine ausführliche Förderbedarfsdiagnose und das
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6.2 Theoretische Modelle
Matching mit den entsprechenden Förderprogrammen durchführen, sie muss zusätzlich auch jede Direktverbindung zwischen Förderer und Gründer etablieren, indem sie die Gründer an die entsprechenden Förderer weiterleitet. Die Kosten der Weiterleitung sind abhängig davon, auf wie viele der Förderprogramme die Gründer Anspruch haben bzw. wie viele der Förderträger für den Gründer zuständig sind. Die Maximalkosten der ZA betragen: CZA = aF + aE + xE + aEF mit
x = Kosten einer Beratungsbedarfsdiagnose
Die maximalen Gesamtkosten des Netzwerkes mit Zentraler Agentur berechnen sich wie folgt: CN = CE + CF + CZA CN = aE + aF + aF + aE + xE + aEF CN = 2aE + 2aF + xE + aEF
Ein Agenturmodell ist aus Kostensicht gegenüber einem Modell ohne Gründungsförderungsnetzwerk zu bevorzugen, wenn die Gesamtkosten CN1 aller individuellen Ego-Beziehungsnetze, die zusammen das komplette Beziehungsgeflecht bilden, die Kosten eines fokalen Agentur-Netzes CN2 übersteigen. Agenturmodell vorteilhaft, genau dann wenn: 2aEF > 2aE + 2aF + xE + aEF Aus dieser Ungleichung wird ersichtlich, dass die Vorteilhaftigkeit des Agenturmodells vor allem von der Anzahl der zu fördernden Gründer abhängt. Agenturmodell vorteilhaft genau dann wenn: CN1(E) > CN2(E) Notwendige Voraussetzung zur Erfüllung dieser Bedingung ist, dass die Kostenkurve des ZA-Modells die Kostenkurve der Alternative 1 schneiden muss, da die ZA-Kurve einen positiven Schnittpunkt mit der Ordinate hat (2aF). Sie wird die
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6 Theoretische Modellbildung
Kostenkurve für das komplette Netzwerk schneiden, wenn ihr Anstieg geringer ist, also gilt: dCN1 dCN2 ! dE dE
Diese Bedingung ist genau dann erfüllt, wenn gilt: F > 2 + x/a Die Alternative mit Zentraler Agentur ist also ab einer bestimmten Anzahl von betreuten Gründern die effizientere Organisationsform. Nur wenn die Diagnosekosten im Vergleich zu den Kosten für den Aufbau einer einzelnen Beziehung sehr hoch sind und wenn die Anzahl der Fördernetzwerkpartner sehr gering ist, dann wird die Alternative mit Zentraler Agentur niemals effizienter sein als die Alternative mit einem leeren Netzwerk ohne Kooperation. Wegen des positiven Ordinatenabschnittes wird die ZA aber, wenn überhaupt, nur bei hohen Gründerzahlen vorteilhafter. Bevor die Implikationen etwas ausführlicher diskutiert werden können, muss das Modell noch um eine wichtige Eigenschaft erweitert werden. Das Hauptargument für die Nutzung von Intermediären besteht ja in der Existenz von Skaleneffekten. Aus den empirischen Untersuchungen ging hervor, dass es beim Erstkontakt zwischen Gründern und Gründungsförderern eine große Diskrepanz gibt zwischen den Erwartungen, welche die Gründer bezüglich des Förderbedarfes haben, bevor sie in das Diagnosegespräch gehen, und dem nach der Diagnose ermittelten Förderbedarf. Das bedeutet, dass die Diagnose mit großer Sorgfalt geführt werden muss und besonderer Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen bedarf. Daraus folgt, dass der Aufbau einer Diagnosekompetenz mit hohem Aufwand im Sinne von Kosten oder Arbeitsmühe verbunden ist. Wenn diese Diagnosekompetenz aufgebaut wurde, ist dagegen mit sinkenden Kosten pro Diagnose zu rechnen, so dass Skaleneffekte durch Lerneffekte entstehen. Die Skaleneffekte bedeuten in diesem Zusammenhang eine Kostendegression mit zunehmender Anzahl von betreuten Gründern. Aufgrund der Degressivität
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6.2 Theoretische Modelle
dieser Kostenfunktion wird die ZA bei sehr hohen Gründerzahlen auf jeden Fall immer vorteilhafter sein als die Alternative des leeren Gründungsförderungsnetzwerkes. Die Höhe der Lernrate der ZA ist hierbei entscheidend zur Bestimmung, ab welcher Gründerzahl die ZA effizient wird.
C
Gesamtkosten bei leerem GFN
Subventionskosten bei leerem GFN Gesamtkosten ZA-Alternative
E* ab hier ZA aus Gesamtsicht effizienter
E** ab hier ZA aus Subventionssicht effizienter
E
Abbildung 8: Netzwerkkosten bei Zentraler Agentur
Bezüglich der Kostenallokation findet mit Einführung der ZA eine Umverteilung statt. Zum einen wird ein Teil der Aufbau- und Pflegekosten von den Förderträgern auf die ZA übergewälzt. Wenn es sich bei beiden Fällen um staatlich subventionierte Institutionen handelt, ist diese Umverteilung aufwandsneutral.
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6 Theoretische Modellbildung
Zum anderen wird aber auch ein Teil der privaten Netzfixkosten von den Gründern auf die ZA übertragen, mit anderen Worten, den Gründern werden die Suchkosten und ein großer Teil der Anbahnungskosten abgenommen. Man müsste nun empirisch abschätzen, wie hoch das Verhältnis zwischen Diagnose und Beziehungsaufbau und wie hoch die Lernrate der Vermittler in der Realität sind, um zu ermitteln, ab welcher Anzahl von Gründern E* eine ZA sinnvoll ist. Es gibt außerdem eine Anzahl von zu fördernden Gründern, bei der die ZA hypereffizient ist, weil die Kosten von ZA und Förderträgern zusammengenommen geringer sind als die Kosten aller Förderträger in einem leeren Netzwerk ohne ZA (E** bis v). In dem Zwischenbereich (E* bis E**) ist die Einrichtung einer ZA diskussionswürdig, wenn man bedenkt, dass die Kosten der ZA öffentliche Kosten – Subventionen – darstellen. Ein weiterer Aspekt muss berücksichtigt werden: Beim Modell mit Zentraler Agentur sind die Informationen über das gesamte Förderangebot zentralisiert, die Netzwerkpartner kennen nur ihr eigenes Angebot. Die Zentrale Agentur hat deshalb eine Holschuld zur Aktualisierung der Informationen zum Förderangebot. Wird diese Holschuld nicht eingelöst, sinkt die Effektivität der Förderung. Jedes arbeitsteilige Netzwerk von Förderern, in dem die Gründer nach dem Erstkontakt weitergeleitet werden, benötigt zudem ein Monitoring zur Qualität und Effektivität, um zu erfahren, ob die Weiterleitung richtig war und um die zukünftige Weiterleitungspolitik dementsprechend anzupassen. In einem kompletten Netzwerk, bei dem jeder Förderträger mit jedem anderen in ständigem Kommunikationsaustausch steht, so das Ergebnis der Interviews, erfolgt das Monitoring zum Teil automatisch durch die regelmäßige Kommunikation. In der Kooperationsform mit Zentraler Agentur muss das Monitoring dagegen systematisch betrieben werden, denn die Informationen sind zentralisiert. Für die
6.2 Theoretische Modelle
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Zentrale Agentur entstehen also zusätzliche Kosten in Form der Monitoringkosten. Die bisherigen Ausführungen haben nur gezeigt, dass die Zentrale Agentur in bestimmten Situationen Effizienzvorteile in Bezug auf die Netzwerkkosten aus Gesamtsicht hat. Das Agenturmodell ist umso vorteilhafter, • je höher die Anzahl der Förderträger ist, • je höher die Anzahl der zu fördernden Gründer ist, • je geringer die Kosten der Förderbedarfsdiagnose und des Matchings sind, • je höher die Kosten des Beziehungsaufbaus sind. Aber lässt sich das Modell als Reintypus im Einklang mit den Erfordernissen des Gründungsförderprozesses implementieren? Dazu wird wieder anhand des Gründungsprozesses diskutiert. Der Gründungsförderprozess besteht, wie gesagt, aus fünf konsekutiven Schritten: 1. Identifizierung potenzieller Gründerpersonen bzw. Gründungsprojekte, 2. Diagnose des individuellen Gründungsförderbedarfes, 3. Matching existierender Förderangebote mit dem individuellen Förderbedarf, 4. Weiterleitung der Gründerperson an den zuständigen bzw. kompetenten Förderträger, 5. Durchführung der Fördermaßnahme. Die Gründungsförderung ist aber kein singuläres Ereignis. Im Anschluss an die Durchführung der Fördermaßnahme müsste bereits eine Diagnose des Folgebedarfes erfolgen. Mit einer vollständigen Zentralisierung, in der die ZA der alleinige Ansprechpartner für die Gründer ist, sieht der Prozess wie folgt aus: 1. Identifizierung durch ZA 2. Diagnose durch ZA 3. Matching Förderangebot und Förderbedarf durch ZA
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6 Theoretische Modellbildung
4. Weiterleitung der Gründerperson von ZA an den zuständigen bzw. kompetenten Förderträger 5. Durchführung der Fördermaßnahme durch Förderträger 6. Rücküberweisung von Förderträger an ZA 7. Folgebedarfsdiagnose durch ZA: Folgebedarf vorhanden? Ja -> zurück zu 3. Nein -> vorläufiges Ende des Gründungsförderprozesses Wenn im Moment der Diagnose kein Folgebedarf festgestellt werden kann, so bedeutet dies aber keinen grundsätzlichen Ausstieg aus dem Förderprozess. Der Gründungsprozess selbst zieht sich über einen Zeitraum, gegebenenfalls entsteht in späteren Phasen ein erneuter Förderbedarf. Wenn der Trigger nun vom Gründer selbst kommt, dann sieht der Förderprozess wie folgt aus. 1. Gründer wendet sich direkt an ZA-> weiter mit 2 Gründer wendet sich zuerst an anderen Förderträger -> Rücküberweisung von Förderträger an ZA 2. Diagnose durch ZA 3. Matching Förderangebot und Förderbedarf durch ZA 4. Weiterleitung der Gründerperson von ZA an den zuständigen bzw. kompetenten Förderträger 5. Durchführung der Fördermaßnahme durch Förderträger 6. Rücküberweisung von Förderträger an ZA 7. Folgebedarfsdiagnose durch ZA: Folgebedarf vorhanden? Ja -> zurück zu 3. Nein -> vorläufiger EXIT Nach Abschluss jeder singulären Fördermaßnahme wird der Gründer wieder an die ZA zurücküberwiesen. Das Gleiche gilt, wenn der Gründer von sich aus aktiv tätig wird und sich direkt an den Förderträger wendet: Er wird erst einmal
6.2 Theoretische Modelle
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an die ZA zurücküberwiesen. Ad absurdum wird das System geführt, wenn der Gründer eine Selbstdiagnose und/oder das Matching selbst vornimmt. Er tritt dann an den Förderträger, weil er sich ganz sicher ist, dass er genau jene Fördermaßnahme erhalten möchte. Der Förderträger muss dann zunächst ablehnen und an die ZA verweisen. Die ZA kann dann u. U. feststellen, dass die Selbstdiagnose und das Matching richtig waren und an eben jenen erstkontaktierten Förderträger zurück überweisen – insgesamt sehr unpraktikabel. Die Organisation der Gründungsförderung mit einer Zentralen Agentur entspricht nicht dem Charakter des Entrepreneurial Prozesses im Allgemeinen: Der Prozess hat viele Start- und Endpunkte und ist durch Diskontinuität geprägt.325 Vor allem im Bereich akademischer Gründungen besteht kein geradliniger Zusammenhang zwischen Gründungsabsicht und Gründungsvorbereitungen.326 Zwischen Gründungssensibilisiertheit, -mündigkeit und -vorbereitung entstehen Pausen und Verzögerungen, die spezifisch für die Gründerpersonen bzw. die Komplexität des Gründungsvorhabens sind. Bei einigen Gründungsvorhaben verläuft der Gründungsprozess wellenartig: Gründungsvorbereitungen werden begonnen, abgebrochen und Jahre später fortgesetzt. Bei anderen Gründungsvorhaben werden die Phasen der Gründungssensibilisiertheit und -mündigkeit übersprungen und der Gründer beginnt gleich mit den Vorbereitungen. Die Organisation der Gründungsförderung mit einer Zentralen Agentur wird dieser Vielfalt des Entrepreneurial Prozess nicht gerecht. Die Zentrale Agentur ist nur für Förderung von geradlinigen, unkomplexen Prozessen geeignet. Das Modell mit Zentraler Agentur bei geradlinigen Prozessen, wird auch – in Abgrenzung zum „One-Stop-Shop“ – „First-Stop-Shop“ genannt.327
325
Vgl. Greene/Storey, 2004, S. 149. Vgl. ebenda. 327 Vgl. Bennett/Robson, 1999, S. 163. 326
194
6 Theoretische Modellbildung
Ein Anwendungsfeld für die Zentrale Agentur stellt der rein formal-juristische Vollzug der Gründung dar, das heißt, die Gründungsvorbereitungen sind abgeschlossen und die zur Gründung notwendigen behördlichen Formalitäten sollen koordiniert und der Gründerperson erklärt werden. Dieser Teil des Entrepreneurial Prozesses ist geradlinig, kurz und kontinuierlich. Genau dafür sind die „einheitlichen Ansprechstellen“ gemäß EU-Dienstleistungsrichtlinie gedacht: Alle verwaltungsrechtlichen Anmelde-, Antrags- und Genehmigungsverfahren, die mit der Gründung eines Dienstleistungsunternehmens verbunden sind, werden gebündelt und auch alle Informationen, die zur Gründung eines Dienstleistungsunternehmens notwendig sind, zentral vorgehalten.328 Eine Erweiterung der „einheitlichen Ansprechstelle“ zu einer Zentralen Agentur für alle Gründungsförderträger ist unpraktikabel. 6.2.6 Dynamisches Netzwerkmodell Auch das nächste Modell betrachtet die Kooperation zwischen den Förderträgern im Zusammenhang mit dem gesamten Gründungsnetzwerk zwischen Gründern und Förderträgern. Das Modell stellt die Beziehungen innerhalb der Menge der Gründer, innerhalb der Menge der Förderer sowie auch die Menge der Beziehungen zwischen Gründern und Förderern in einem gemeinsamen Modell dar. Dieses Modell geht aber grundsätzlich von dem Fall aus, dass die Netzwerkkosten im niedrigen Bereich liegen. Kooperation ist in diesem Falle effizient und es entsteht kein Netzwerk-Marktversagen, das heißt, es kommt ein natürliches Netzwerk durch Selbstkoordination zu Stande. Die Kooperation findet sowohl zwischen den Gründungsförderern als auch zwischen den Gründern statt. Die effiziente und stabile Lösung ist in diesem Fall das komplette vollständig verbundene Netzwerk (siehe 6.2.2 und 6.2.3).
328
Vgl. Richtlinie 2006/123/EG, Artikel 6 und 7.
6.2 Theoretische Modelle
195
Eine Kooperation zwischen den Förderträgern bedeutet hier, dass die Förderträger mit jedem Gründer, der sie kontaktiert bzw. den sie kontaktieren, eine Beratungsbedarfsdiagnose durchführen und ihn gegebenenfalls an einen anderen Förderträger weiterleiten. Alle Förderträger führen den gesamten Gründungsförderprozess vollständig durch. Das Modell berücksichtigt ferner explizit die Pfadabhängigkeit der Netzwerkevolution. Das Modell simuliert einen Wachstumsprozess, bei dem das initiale Netzwerk durch Netzwerkeintritte beständig wächst. Die Pfadabhängigkeit wird dadurch modelliert, dass die Netzwerkgeschichte die Kooperationsentscheidungen der neu eintretenden Akteure beeinflusst. Gegeben sei ein Netzwerk g(A,B) mit A = Menge der Akteure B = Menge der Beziehungen A besteht aus der Menge der Gründer Œ und der Menge der Gründungsförderer ), mit E = | Œ | = Anzahl der Gründer (Entrepreneure) und Œ = {1,..., ei, ei+1,..., E} sowie F = |)| = Anzahl der Förderer und ) = {1,...,fi ,fi+1 ,..., F}. Um die natürliche Evolution eines Netzwerkes zu modellieren, startet man zunächst mit einer festen Anzahl Förderträger F, die zu einem kompletten Netzwerk verbunden sind, das heißt, jeder Förderer unterhält mit jedem anderen eine direkte Beziehung. Die Gründer suchen nach Förderunterstützung und treffen die Entscheidung, welchen Förderträger sie kontaktieren. Nun gibt es zwei sehr unrealistische Extremannahmen für die Selektionsentscheidung der Gründer. Die erste Annahme wäre, dass die Gründer über vollständige Informationen bezüglich des Netzwerkes verfügen und vor der Kontaktaufnahme genau analysieren, welcher
196
6 Theoretische Modellbildung
Förderer das passende Angebot bereithält (Selbstdiagnose und Selbstmatching sind nach der Grounded Theory ineffektiv). Das zweite Extrem wäre, dass die Gründer per Zufall auf irgendeinen der Partner des Fördernetzwerkes treffen. Beide Situationen sind unrealistisch. Eine realistische Annahme ist hingegen, dass die Gründer über beschränkte Informationen bezüglich des Förderangebotes verfügen und vor der Kontaktaufnahme eine begrenzte Analyse durchführen, um zu entscheiden, welchen Förderträger sie kontaktieren wollen. Die Informationsakkumulation entsteht zum Beispiel durch die Werbung und Öffentlichkeitsarbeit der Förderer, aber auch durch Gespräche und Erfahrungsaustausche mit anderen Gründern, die bereits ein Förderangebot wahrgenommen haben. Ein Gründer, der Unterstützung sucht, trifft also auf einen Partner des Fördernetzwerkes. Mit einer Wahrscheinlichkeit p wird das genau jener Förderträger sein, der exakt das Förderangebot bereithält, das der Gründer benötigt. Mit Wahrscheinlichkeit p-1 wird der Förderer aber nach einer Diagnose des Förderbedarfes den Gründer an einen anderen, kompetenteren Netzwerkpartner weiterleiten. Da die Menge der Gründer sehr heterogen und damit der Förderbedarf ebenfalls sehr heterogen ist, wird es bei einigen Gründern sogar der Fall sein, dass sie an einen dritten, vierten oder sogar an alle Partner des Fördernetzwerkes weitergeleitet werden. Betrachtet sei zunächst die Gruppe der Gründer, die genau einmal zu einem Partner des Fördernetzwerkes weitergeleitet werden. Der erste Gründer e1, der Unterstützung sucht, trifft mit der Wahrscheinlichkeit von 1/F auf irgendeinen der Förderer fi. Dieser Förderer führt ein Diagnosegespräch, um den Förderbedarf zu ermitteln, und leitet den Gründer dementsprechend an einen Partner fj des Fördernetzwerkes weiter. Das Netzwerk hat sich wie folgt verändert: Der Gründer e1 ist Teil des Netzwerkes geworden, denn er hat eine Beziehung zu fi und zu fj aufgebaut. Durch das Diagnosegespräch und die Förderleistung ist eine Beziehung zustande gekommen, die mit tatsächlichen Arbeitsinhalten ausgefüllt wurde. Diese Beziehung mag nur temporär aktiv sein, aber sie bleibt latent bestehen. Diese Beziehungen
6.2 Theoretische Modelle
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von e1 zu fi und fj haben eine andere Qualität als die Beziehungen der Förderer untereinander, aber sie sind Teil des gesamten Netzwerkes. Der zweite Gründer e2 findet nun folgende Netzwerksituation vor: Es gibt 2 Förderer, die tatsächlich schon einmal einen Gründer beraten haben, (F-2) Förderer, die noch nicht inhaltlich aktiv waren, und einen Gründer, der bereits ein Förderangebot erhalten hat. Es besteht daher eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass Gründer e2 als erstes nicht auf irgendeinen Förderer, sondern auf den Gründer e1 trifft. Sollte dieser Fall eintreten, wird e1 wie folgt beraten: Falls e2 den exakt gleichen Förderbedarf hat wie e1 vor seiner Förderung, wird e1 dem e2 empfehlen, sich direkt an fj zu wenden; anderenfalls wird e1 dem e2 empfehlen, sich an fi zu wenden, da er dort eine ausführliche Diagnose des Förderbedarfes und den richtigen Ansprechpartner genannt bekommt. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Förderer fi oder fj von e2 ausgewählt werden, ist also wegen der Empfehlung von e1 höher als die Wahrscheinlichkeit, dass ein anderer Förderträger von e2 ausgewählt wird. Für den nächsten Gründer e3 besteht nun eine Wahrscheinlichkeit, dass er als erstes nicht auf irgendeinen Förderträger trifft, sondern auf einen der Gründer e1 oder e2. In diesen beiden Fällen wird e3 einen der Förderträger kontaktieren, die schon e1 bzw. e2 beraten oder gefördert haben. Zusammenfassend ist zu sagen: Förderträger, die bereits aktive Förderarbeit geleistet haben, werden mit einer höheren Wahrscheinlichkeit von Gründern ausgewählt. Das folgt aus der Tatsache, dass Gründer im Rahmen ihrer begrenzten Selektionsanalyse die Erfahrungen der anderen Gründer in ihre Entscheidung einbeziehen (umgangssprachlich formuliert „Mund-Werbung“). Betrachtet seien nun Neuzugänge an Gründungsförderern. Neue Netzwerkpartner werden entweder aktiv ins Netzwerk integriert, wenn der Arbeitskontext es erfordert, weil ein spezieller Gründer eine besondere Leistung benötigt, die das Netzwerk der Förderträger bisher nicht abdeckt, oder passiv, wenn der neue Förderträger sich um die Aufnahme ins Netzwerk bemüht.
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6 Theoretische Modellbildung
Die Beziehung zwischen neuem Gründungsförderer und angestammten Förderträger kann durchaus temporärer Natur sein und wird nicht die gleiche Qualität haben wie die Beziehung zu den anderen Netzwerkpartnern des NukleusNetzwerkes; sie ist dennoch vorhanden und mit Inhalten gefüllt, da ja an dem konkreten Förderfall zusammen gearbeitet wird. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, seien die neuen Partner als externe Partner bezeichnet, um sie so von den internen Netzwerkpartnern des Nukleus-Netzwerkes zu unterscheiden. Im ersten aktiven Fall wird der neue externe Partner sofort in eine Beziehung mit einem Gründer gesetzt und gleichzeitig in eine Beziehung mit einem internen Förderträger. Im zweiten passiven (aus Sicht des bestehenden Netzwerkes passiven) Fall wird der externe Förderträger über begrenzte Informationen verfügen und eine Selektionsentscheidung treffen, welchen der Förderträger er kontaktiert. Die spezifische Wahrscheinlichkeit, mit welcher ein angestammter Förderträger kontaktiert wird, steigt mit der Anzahl der bereits von ihm betreuten Gründer sowie mit der Anzahl der Beziehungen des angestammten Förderträgers zu anderen externen Partnern. Das folgt aus den gleichen Gründen wie oben beschrieben; sowohl die Gründer als auch die externen Partner betreiben Mund-zu-Mund-Werbung. Dies bedeutet nicht, dass bestimmte Vorzüge hervorgehoben werden; es bedeutet lediglich, dass die begrenzte Information der neuen Kontaktsuchenden durch Erfahrungsberichte erweitert wird, aber asymmetrisch nur um die Informationen, welche die anderen auch kennen. Die neuen externen Fördernetzwerkmitglieder werden also mit höherer Wahrscheinlichkeit ihre ersten Beziehungen zu Netzwerkpartnern aufbauen, die bereits schon viele Netzwerkbeziehungen besitzen. Wie bei den Gründern steigt die Chance der Partner des Nukleus-Fördernetzwerkes, selektiert zu werden, mit der Anzahl ihrer bereits bestehenden Beziehungen. In der Netzwerktheorie heißt diese Art der Netzwerkpartnerselektion Preferential Attachment. Preferential Attachment beschreibt eine Eigenschaft von Netzwerken, bei denen die Wahrscheinlichkeit von Knoten des Netzwerkes, als
6.2 Theoretische Modelle
199
Anlaufpunkte von neuen Netzwerkpartnern ausgewählt zu werden, mit der Anzahl ihrer bereits bestehenden Verbindungen steigt.329 Netzwerke, die stetig durch Hinzufügung weiterer Knoten wachsen und deren Zuwächse durch Preferential Attachment gekennzeichnet sind, weisen sehr interessante Eigenschaften auf, wie Barabási/Albert in ihrem bahnbrechenden Artikel von 1999 darstellten.330 Barabási/Albert schlagen ein einfaches Modell vor, um Preferential Attachment zu modellieren: Sie modellieren einen linearen Zusammenhang zwischen der Anzahl bestehender Beziehungen und der Wahrscheinlichkeit, von neuen kontaktsuchenden Knoten ausgewählt zu werden. Die Anzahl bestehender Beziehungen eines Knotens i ist gleich dem Grad des Knoten ki. Die Wahrscheinlichkeit des Knotens als Anlaufpunkt für Kontaktsuchende ausgewählt zu
werden, sei als 3 bezeichnet. Dann ist: ( k i )
ki N
.331
¦k j j 1
Beispiel: Gegeben sei ein Startnetzwerk mit 3 Gründungsförderern, die einen kompletten Graphen bilden, so dass der Grad jedes Förderträgers gleich 2 ist. Der erste Gründer e1 wählt den Förderträger fi mit der Wahrscheinlichkeit 2/6. Diese Wahrscheinlichkeit ist für alle Förderträger gleich. Nachdem der Gründer einen Förderträger kontaktiert hat, eine Beratungsbedarfsdiagnose erhalten hat und an Förderträger fj weitergeleitet wurde, hat sich der Grad von fi und fj
jeweils auf 3 erhöht. Die Summe aller k beträgt nun 10 (6k=3+3+2+2). Der zweite Gründer kontaktiert nun als ersten Anlaufpunkt den Förderträger fi mit der Wahrscheinlichkeit 3/10, mit der gleichen Wahrscheinlichkeit den Förder-
329
Vgl. hier und im Folgenden Barabási/Albert, 1999, S. 3. Vgl. ebenda. 331 Vgl. ebenda, S. 511. 330
200
6 Theoretische Modellbildung
träger fj und den verbliebenen Förderträger mit der Wahrscheinlichkeit von nur 2/10 sowie mit einer Wahrscheinlichkeit von 2/10 den Gründer e1. Führt man den Wachstumsprozess dieses Netzwerkes weiter, so entsteht nach einiger Zeit ein skalenfreies Netzwerk (engl. scale-free network). In einem skalenfreien Netzwerk folgt die Anzahl der Beziehungen pro Knoten einer diskreten Wahrscheinlichkeitsfunktion, die einer Potenzfunktion ähnelt. Würde die Selektion der Gründungsförderer seitens der Gründer einem reinen Zufallsprozess folgen, so entstünde ein sogenanntes Random Network. In einem Random Network ähnelt die Wahrscheinlichkeitsfunktion der Beziehungen pro Knoten, das heißt die Wahrscheinlichkeit P(k), dass ein zufällig gewählter Knoten den Grad k hat, einer Normalverteilung. Das bedeutet, die Mehrzahl der Netzwerkteilnehmer hat eine durchschnittliche Anzahl von Beziehungen und es gibt einige wenige Knoten mit überdurchschnittlich vielen bzw. wenigen Beziehungen. In einem skalenfreien Netzwerk dagegen ist die Wahrscheinlichkeit P(k), dass ein zufällig gewählter Knoten den Grad k hat, das heißt genau k direkte Beziehungen unterhält, P(k)= k-J.332 Ein solches skalenfreies Netzwerk hat folgende Eigenschaften: • Die meisten Netzwerkknoten haben nur einen geringen Grad, sie sind durch wenige Beziehungen an das Netzwerk gebunden. • Es gibt einige Netzwerkknoten, die überproportional viele direkte Beziehungen besitzen. Diese Knoten nennt man Hubs. Das bisherige Modell war davon ausgegangen, dass die Gründer genau einmal weitergeleitet werden. Die Gruppe der Gründer ist aber sehr heterogen und es gibt Gründer, die das Förderangebot mehrerer oder aller Fördernetzwerkpartner in Anspruch nehmen und deshalb mehrmals weitergeleitet werden. Wenn man das gleiche Modell für mehrere Weiterleitungen anpasst, so kommt man zum gleichen Ergebnis: Es entsteht ein skalenfreies Netzwerk. Das bedeutet, wenn 332
Vgl. ebenda.
6.2 Theoretische Modelle
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man mit m0 Knoten startet und dann nacheinander jeweils einen Knoten zum Netzwerk ergänzt, indem man diesen neuen Knoten mit m Beziehungen zu m verschiedenen alten Knoten verbindet, wobei m0tm ist, so entsteht unter der Bedingung des Preferential Attachment ein skalenfreies Netzwerk.333 Das bedeutet nun für Gründungsnetzwerke Folgendes: Wenn ein (nahezu) kooperationskostenfreies Netzwerk natürlich wächst und sich natürlich entwickelt, entsteht laut diesem Modell ein skalenfreies Netzwerk, in dem die Initiatoren überproportional viele Beziehungen auf sich vereinen. Das sind die ersten Förderträger und auch die ersten Gründer, vorausgesetzt, es scheidet niemand aus dem Netzwerk aus. Die Initiatoren des Netzwerkes entwickeln sich zu Kernakteuren, die neu in das Netzwerk eingetretenen Akteure bleiben zunächst periphere Akteure. Je weiter das Netzwerk wächst, das heißt je mehr neue Netzwerkeintritte stattfinden, desto mehr Beziehungen häufen die Kernakteure an und werden zu Hubs, das heißt zu Netzwerkknoten mit überproportional vielen Verbindungen. Die peripheren Akteure wachsen gleichzeitig auch und werden mit der Zeit ebenfalls zu Hubs. Konkrete Hubs in einem Gründungsförderungsnetz sind also Förderträger, die überproportional stark vernetzt sind mit anderen Förderträgern, mit externen Partnern und vor allem mit vielen geförderten Gründern. Diese Förderträger stellen Netzwerkexternalitäten zur Verfügung. Betrachtet man das erweiterte Gründungsnetzwerk, so wird die Rolle der Hubs auch von anderen, stark vernetzten externen Partnern ausgefüllt, bspw. von Business Angels, von externen Beratern mit einem großen professionellen Netzwerk, von Promotoren oder Senior Coaches mit großem Netzwerk etc. Die Förderträger sollten deshalb bei der Wahl ihrer Kooperationspartner darauf achten, dass jene selbst ein eigenes großes professionelles Netzwerk in die Kooperation mit einbringen. Der Förderträger stellt dann Netzwerkexternalitäten für die Gründer bereit, wenn er den Gründer indirekt mit dem Netzwerk des
333
Vgl. ebenda.
202
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Kooperationspartners verbindet. Dieser Mechanismus funktioniert aber nur, wenn sich die externen Kooperationspartner, die selber Hubs sind, konsequenterweise nur mit den Kernakteuren aufseiten der Förderträger verbinden. Wenn die Hubs mit peripheren Akteuren kooperieren, verlängert sich im Netzwerk die durchschnittliche Pfadlänge, damit sinkt der Netzwerknutzen und das Netzwerk wird instabil (siehe dazu auch Kapitel 6.2.2 und 6.2.3). Diskussion
Eine Untersuchung von Bennett et al. über das „Business-Link“-Förderprogramm für KMU in Großbritannien lieferte als Nebenprodukt ein für die Autoren selbst erstaunliches Ergebnis, dass im Kontext des hier vorgestellten Netzwerkmodells im neuen Licht erscheint: In Großbritannien ist die Förderung von KMU im „Business-Link“-Programm zusammengefasst, ein Netzwerk aus anfangs 89, jetzt 45 Hubs, die regional abgegrenzt sind. Die Business-LinkHubs verstehen sich als „One-Stop-Shops“, die sich die konzeptionelle Integration aller öffentlichen Förderprogramme für KMU zum Ziel gesetzt haben.334 Bennett et al. untersuchten unter anderem die Faktoren, welche die Nutzung der Business-Link-Hubs durch KMU erklären. Erstaunlicherweise spielte der regionale und geografische Kontext der jeweiligen Hubs überhaupt keine Rolle für den Nutzungsgrad (trotz mehrfacher statistischer Modellvariationen), das organisationale Alter des Hubs war dagegen entscheidend, und zwar je älter die Institution war, desto höher war der Nutzungsgrad. Die Hubs, die beim Aufbau des Business-Link-Netzwerkes als erstes entstanden, waren also die meistgenutzten.335 Diese Erkenntnis spricht für die Anwendbarkeit der Theorie des Preferential Attachments. Powell et al. haben in ihrer bahnbrechenden Arbeit eine Längsschnitt-Analyse der Evolution eines weltweiten Netzwerkes in der Biotech-Branche durchgeführt. Über 12 Jahre analysierten sie ein Netzwerk von anfangs 253 Biotech334 335
Vgl. Bennett et al., 2001, S. 872-873. Vgl. ebenda, S. 877.
6.2 Theoretische Modelle
203
Unternehmen und hinzukommenden 229 Biotech-Unternehmensgründungen im Zusammenhang mit 2.300 potenziellen Partnern, zu welchen neben öffentlichen Forschungseinrichtungen, Universitäten, Kapitalgebern und anderen auch „Government Agencies“ gehören. Für die Verlinkung zwischen Biotech-Unternehmen und „Government Agencies“ konnte eine Grad-Verteilung festgestellt werden, die exakt den Vorhersagen der Theorie des Preferential Attachment entspricht.336 Eine wichtige Evidenz, die nur dadurch an Unterstützungskraft einbüßt, dass nicht erklärt wird, was „Government Agencies“ genau sind. Was sind nun die Vor- und Nachteile von skalenfreien Netzwerken in Bezug auf die Gründungsförderung? 1. Skalenfreie Netzwerke werden von den Hubs getragen. Diese hoch vernetzten zentralen Akteure bieten enorme positive Externalitäten für alle anderen Akteure. Die Pfade zwischen den Netzwerkpartnern werden durch Hubs drastisch reduziert. Ein neuer Netzwerkakteur braucht nur wenige direkte Beziehungen zu den zentralen Hubs aufzubauen und ist damit automatisch indirekt über kurze Pfade mit Hunderten oder gar Tausenden Akteuren verbunden. Neue Gründer, die sich mit einem skalenfreien Fördernetzwerk verbinden, haben einen Zugang zu einer großen Gemeinschaft, ohne selbst viel in den Aufbau ihres Netzwerkes investieren zu müssen. Neue Förderträger und externe Partner, die sich mit einem bestehenden skalenfreien Fördernetzwerk verbinden, erhalten Zugriff auf einen großen Markt, wenn man die Zielgruppe „Gründer“ als Kunden für die Anbieter von Förderungen auffasst. 2. Durch diese Eigenschaft können Hubs auch für eine schnelle Diffusion von Wissen und Informationen sorgen, denn die Wege, die von den Informationen zurückgelegt werden müssen, sind gegenüber „normalen“ Netzwerken (Random Networks) drastisch reduziert.337 Wenn im erweiterten Gründungsnetzwerk auch Marktakteure integriert sind, erhalten die Gründer sofort Zugang zu einem Kommunikationsnetzwerk, das Informationen über Absatzchancen liefert. 336 337
Vgl. Powell et al., 2005, S. 1153. Vgl. Barabási/Bonabeau, 2003.
204
6 Theoretische Modellbildung
3. Stellt man sich die Akteure als lernende Individuen und Organisationen vor, so entstehen durch die Lerneffekte Economies-of-Scale bei den Hubs. Wenn viele Gründer mit ähnlichen Fragen beraten oder weitergeleitet werden, so lernen die Förderträger von diesen Fällen und werden effizienter, sei es, weil sie die Probleme der Gründer besser oder schneller lösen können oder gar nicht mehr weiterleiten müssen, oder sei es, weil die Anbahnung und Pflege der Kontakte effizienter wird. Die Hubs inkarnieren die Vorteile einer Zentralen Agentur. Wenn die Hubs zudem selbst Förderträger vieler Förderprogramme sind, die alle konzeptionell integriert sind, so entwickeln sich die Hubs gleichzeitig zu One-Stop-Shops, die aber auf natürliche Weise gewachsen sind, das heißt durch die Netzwerkevolution hervorgebracht worden sind. 4. Skalenfreie Netzwerke sind relativ unempfindlich gegen zufälliges Ausscheiden von Mitgliedern. „Normale“ Random Networks zerfallen schnell in unverbundene Komponenten, wenn einige wenige Akteure das Netzwerk verlassen. Bei skalenfreien Netzwerken bleibt der Vernetzungsgrad dagegen nahezu unverändert hoch, selbst wenn sehr viele Akteure das Netzwerk verlassen.338 Skalenfreie Netzwerke unterliegen auch einem schwerwiegenden Nachteil: Da die Netzwerke von den Hubs getragen werden, sind sie sehr empfindlich gegen das Ausscheiden dieser zentralen Netzwerkakteure. Es reicht bereits, dass einige wenige zentrale Hubs ausscheiden, und das Netzwerk zerfällt in viele kleine Komponenten.339 Das wiegt umso schwerer, als dass mit dem Ausscheiden der erfahrenen Akteure auch Wissen verloren geht und damit die Economies-of-Scale sinken und das Netzwerk an Effizienz verliert. Diese zentralen Akteure sind aber in einem natürlichen Wachstumsmodell gerade die Initiatoren des Nukleus-Netzwerkes. Vor diesem Hintergrund betrachtet ist es kontraproduktiv, die Förderprogramme kurzfristig befristet auszuschreiben. Wenn der Förderzeitraum beendet ist, die Förderträger keine Anschlussförderung erhalten und sie ihre Tätigkeit ohne 338 339
Vgl. Albert et al., 2000. Vgl. ebenda.
6.2 Theoretische Modelle
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Subventionen auch nicht selbst weiterführen können, scheiden sie als zentrale Akteure aus und das Netzwerk droht zu zerbrechen. Die Idee, ein Netzwerk durch Fördermittel zu initiieren und kurzzeitig befristet zu subventionieren, damit es sich nach einiger Zeit selber trägt, funktioniert in diesem Modell nicht, und zwar umso weniger, je mehr Friktionen in das Modell eingebaut werden. In der Realität entstehen Kosten für den Aufbau und die Pflege von Beziehungen, was die Gefahr des Ausscheidens von zentralen Akteuren erhöht, da sie für die Bereitstellung von Externalitäten nicht-überwälzbare Kosten tragen müssen. Um ein nachhaltiges Netzwerk entstehen zu lassen, müssen flankierende Maßnahmen durchgeführt werden. Als erstes gilt es, die Gründer in dem Netzwerk zu halten. Wie sich aus dem Modell ergibt, entwickeln sich nicht nur die Gründungsförderer des Nukleus-Fördernetzwerkes zu Hubs, sondern auch die ersten betreuten Gründer. Wenn diese Gründer aus dem Netzwerk ausscheiden, fehlen wichtige Stützpfeiler des Netzwerkes, denn auch diese Gründer bieten Externalitäten durch ihre Multikonnektivität. Das Netzwerkmanagement muss also Anreize entwickeln, alle betreuten Gründer, besonders die Ersten, im Netzwerk zu halten. Doch mit welchen Mechanismen sollen diese Anreize entstehen? Wenn die Anreize darauf hinauslaufen, dass die Hubs für ihre Externalitäten kompensiert werden, so werden diese Gründer quasi selbst zu Förderträgern. Es gibt zwei Varianten für die Kompensation der Bereitstellung der Externalitäten. Die erste besteht bekanntermaßen in Subventionen durch den Staat. Als zweites können aber auch die Netzwerkteilnehmer selbst die zentralen Hubs durch Zahlungen kompensieren (das korrespondiert zur Idee des pheripherysponsored Sternnetzwerk, siehe Kapitel 6.2.3). Die später in das Netzwerk eintretenden Gründer zahlen für den Netzwerkzugang. Wenn sie für die Leistungen bezahlen, führen sie vorher eine (im Rahmen ihrer begrenzten Information) sorgfältige Selektion der Förderträger durch und wählen dann diejenigen Förderträger als Kontaktanlaufstelle, die die meisten Externalitäten bereitstellen, die also am meisten verbunden sind. Das würde das Preferential Attachment noch verstärken: Die am stärksten Verbundenen werden eher ausgewählt und dadurch noch stärker verbunden.
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6 Theoretische Modellbildung
Die neuen Förderträger zahlen konsequenterweise ebenfalls dafür, dass sie Zugriff auf einen großen Kreis an Kunden erhalten. Sie zahlen eine Kompensation an die Netzwerkinitiatoren des Nukleus dafür, dass letztere das Netzwerk aufgebaut haben. Dabei aber stellt sich die Frage, wie man altruistische Gründungsförderer behandelt. Diese haben keine professionellen Interessen und werden nicht bereit sein, für den Netzwerkeintritt zu zahlen. Will man altruistische Förderträger von der Bezahlung des Netzwerkzugangs ausnehmen, entsteht das Problem der Abgrenzung zwischen Altruisten und professionellen Gründern, das in der Praxis nicht zu lösen ist. Es gibt in der Gründungsförderung einige Akteure, die zwar Subventionen als Entschädigung für ihre Fördertätigkeit erhalten, die aber zudem noch hoch intrinsisch motiviert sind, denn die Gründungsförderung ist kein profitables Geschäftsmodell. Durch die Belegung des Netzwerkzugangs mit Gebühren werden Förderträger mit gemischter extrinsischer und intrinsischer Motivation abgeschreckt. Problematisch ist in diesem Zusammenhang auch die Bestimmung des Zeitpunktes für die Gebührenerhebung. In einem wachsenden Netzwerk stellen alle bestehenden Netzwerkteilnehmer Externalitäten für Netzwerkneulinge bereit. Doch wo ist die Grenze zwischen Initiatoren und Netzwerkneulingen in einem wachsenden Netzwerk? Wenn das Netzwerk beständig wächst, werden auch Netzwerkneulinge nach einer gewissen Zeit zu Hubs und damit zu Stützpfeilern des Netzwerkes. Die Einrichtung von Kompensationen für die zentralen Akteure soll dafür sorgen, die Hubs möglichst lange im Netzwerk zu halten. Auf der anderen Seite kann man aber auch Maßnahmen ergreifen, um die Abhängigkeit von den Hubs zu reduzieren. Ein Netzwerkneuling ist genau dann abhängig, wenn er durch den Hub nur indirekt mit allen anderen Akteuren verbunden ist. Bricht der Kontakt zu diesem Hub ab, ist er sofort isoliert. Die Abhängigkeit des Netzwerkneulings wird dadurch reduziert, dass dieser, nachdem er über einen Hub Zugang zum Netzwerk erhalten hat, schnell eigene direkte Verbindungen aufbaut. Insgesamt bedeutet das für das Netzwerk, dass die Dichte des Netzwerkes steigen wird und der skalenfreie Charakter konterkariert wird.
6.2 Theoretische Modelle
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Was bedeuten die Aussagen des Modells für die Förderpolitik? Wenn die Förderpolitik restriktiv in die Netzwerk-Evolution eingreift und einzelne Zielgruppen zu Trägern der Förderung per Vorschrift zuweist, weil sie zum Beispiel eine regionale Gleichverteilung der Fördergelder auf Förderträger anstrebt, dann kann kein großes skalenfreies Netzwerk mit mehreren Hubs entstehen. Es bilden sich dann viele kleine Netzwerke mit jeweils geringen Vernetzungsgraden und geringer Vernetzung der Netze untereinander. Der Vernetzungsgrad wird recht homogen verteilt sein, aber es können keine Hubs entstehen. Ohne Hubs gibt es aber auch nur eine geringe Bereitstellung von Externalitäten und ohne diese wiederum keine Zahlungsbereitschaft der Netzwerkteilnehmer. Um nicht missverstanden zu werden: Für einzelne Dienstleistungen wie Beratung, Qualifizierung etc. mag eine Zahlungsbereitschaft existieren, aber nicht für die Teilnahme an einem Netzwerk, das keine oder kaum externe Effekte bietet. Wenn man aber die Entwicklung nachhaltiger Netzwerke zum Ziel hat, die sich irgendwann selbst durch Transferleistungen der Mitglieder tragen, so muss man auf organisch gewachsene skalenfreie Netzwerke setzen. Auf der anderen Seite akzeptiert man dann die Entwicklung von Ungleichheiten. Man würde im Wissenschafts- und Hochschulbereich einräumen müssen, dass sich einige wenige Förderträger als Super-Hubs herausbilden und Gründer aller Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen diese Förderträger bevorzugt auswählen. Konsequenterweise müssten dann die Subventionszahlungen so konzipiert sein, dass sie die Entwicklung von Hubs unterstützen. Man muss dann von der Inputorientierten Subvention zur einer gemischten Input-/Output-orientierten Subvention übergehen. Das bedeutet aber, dass sehr schnell Ungleichheiten in der Fördermittelverteilung entstehen, in der Netzwerktheorie als „the rich get richer“340-Phänomen bezeichnet. Förderträger mit hohen Gründungszahlen 340
Vgl. Barabási, 2003, S. 88.
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6 Theoretische Modellbildung
erhalten mehr Förderung und dadurch noch mehr Gründungen und dadurch noch mehr Förderung usw. Das bedeutet aber nicht, dass die anderen Förderträger benachteiligt werden. Die kleineren Förderträger wachsen im Netzwerk mit den Hubs. Absolut gesehen profitieren alle, denn durch ein solches Netzwerk entstehen positive Skalenvorteile durch Netzwerk-Externalitäten und Lernkurveneffekte. Es wird jedoch vermehrt relative Unterschiede geben. Die Differenzierung von Kern- und Peripherieakteuren wird in der Netzwerkmanagementforschung als Besitzdilemma bezeichnet, weil die Akzeptanz dieser Differenzierung sozial anstrengend ist, vor allem in regionalen Netzwerken.341 Als Vorzeigebeispiel für die effektive Förderung von Ausgründungen aus dem Wissenschafts- und Hochschulbereich wird oft das Massachusetts Institute of Technology (M.I.T.) in den USA zitiert. Dem M.I.T. gelang der Aufbau eines nachhaltigen, zum Teil selbsttragenden Gründungsförderungsnetzwerkes. Dieses Netzwerk ist genau ein solcher nationaler bzw. sogar internationaler Super-Hub. Dieser Super-Hub stellt nicht nur enorme Netzwerk-Externalitäten bereit, sondern hat auch eine enorme weltweite Ausstrahlungs- und Anziehungskraft auf gründungsinteressierte Akademiker. Gründungsinteressierte Studienanfänger oder Wissenschaftler wählen das M.I.T. als Studien- oder Forschungsstandort, weil sie dort die besten Ausgründungsbedingungen vorfinden. Dadurch wächst der Hub immer weiter, „the rich get richer“. Es besteht also eine Zielkonkurrenz zwischen dem Ziel der Entwicklung nachhaltiger, effizienter Netzwerke und dem Ziel regionaler Gleichverteilung. Die Entscheidung ist normativer Natur und muss von den politischen Entscheidungsträgern beantwortet werden.
341
Vgl. Aderhold/Wetzel, 2005, S. 19-20.
7 Synthese Dieses Kapitel entwickelt eine Synthese aus den Ergebnissen der Empirie, der Modellbildung und der Literaturanalyse. 7.1 Strategien für die Organisation der Gründungsförderung
Wendet man den Netzwerkbegriff des Strukturansatzes an, so sind die Akteure der öffentlichen Gründungsförderung in zwei Netzwerken miteinander verbunden. Die Förderträger sind in Bezug auf die Aufgaben der Gründungsförderung positiv miteinander verbunden. Die Beziehungen zwischen den Förderträgern sind additiv und komplementär, denn der Gründungsförderprozess erfordert die Zusammenarbeit der Förderträger. Alle Fördergeber und Förderträger sind Teil eines negativ verbundenen Verhandlungsnetzwerkes, in dem die Verteilung der knappen Fördermittel verhandelt wird. In diesem Netzwerk haben die Förderträger strukturell äquivalente Positionen und stehen deshalb in Konkurrenzbeziehungen. Der Netzwerkbegriff des Strukturansatzes beschreibt dabei die Sozialstruktur aus relationaler Perspektive und macht zunächst keine Aussage darüber, ob die Akteure der öffentlichen Gründungsförderung tatsächlich kooperieren. Die strukturelle Verbundenheit und die Kooperation sind unterschiedliche relationale Beziehungen. Wenn die Förderträger in Bezug auf den Gründungsförderprozess kooperieren, entsteht ein positiver Nutzen sowohl aufseiten der Förderträger als auch aufseiten der Gründer. Die Kooperation verursacht Kosten, das System der Fördergeldverteilung bietet aber keine spezifischen positiven Anreize zur Kooperation. Wie in den theoretischen Modellen gezeigt, führen Nutzen-Kosten-Verhältnisse, die zu gering sind, zu einem Marktversagen, das seine Ursache in positiven
210
7 Synthese
Netzwerk-Externalitäten hat. Das Marktversagen bewirkt, dass keine Kooperation durch Selbstkoordination der Förderträger zu Stande kommt, auch wenn sich alle Förderträger durch eine Kooperation besser stellen würden, das heißt wenn die Nutzen-Kosten-Verhältnisse aus individueller Sicht größer als eins sind. Die Befreiung aus der Situation des Kooperationsversagens kann nur durch politische Maßnahmen erfolgen. Dafür gibt es grundsätzlich zwei Strategien. Die Strategie Z beinhaltet eine Reorganisation der Gründungsförderung durch politische Vorschriften. Die Strategie Z verbindet eine spezialisierte Arbeitsteilung im Gründungsförderprozess mit der Bereitstellung von positiven NetzwerkExternalitäten. Es wird eine Zentrale Agentur eingerichtet. Die Zentrale Agentur ist erster Anlaufpunkt für alle Gründer, führt die Förderbedarfsanalyse durch, stellt ein individuelles Förderkonzept aus den einzelnen Förderprogrammen zusammen und leitet die Gründer an die entsprechenden Förderträger weiter, die dann die Fördermaßnahme durchführen. Da die Zentrale Agentur positive externe Effekte für alle anderen Kooperationspartner anbietet, müsste sie aus zusätzlichen öffentlichen Mitteln oder einer Umlage der Budgets der anderen öffentlichen Förderträger finanziert werden, denn die theoretischen Modelle haben gezeigt, dass die Förderträger wegen des Marktversagens keine Zentrale Agentur durch Selbstkoordination einrichten werden. Wie in einem spezifischen Modell diskutiert wurde, ist die Strategie Z aus gesamtwirtschaftlicher Sicht theoretisch nur effizient, wenn • die Anzahl der Förderträger sehr hoch ist, • die Anzahl der zu fördernden Gründer sehr hoch ist, • die Kosten der Förderbedarfsdiagnose und des Förderprogramm-Matchings eher gering sind, • die Kosten des Beziehungsaufbaus zwischen Gründern und Förderträgern eher hoch sind, • die Gründungsprozesse wenig komplex und sehr geradlinig sind. Die Strategie Z ist also nicht adäquat für die Gründungsförderung im Wissenschafts- und Hochschulbereich, denn die Gründungsprozesse von akademischen
7.1 Strategien für die Organisation der Gründungsförderung
211
Gründungen, insbesondere von akademischen Spinoffs, sind sehr komplex, langjährig und erfordern viel Aufwand bei der Förderbedarfsdiagnose. Die zweite Strategie N zur Überwindung des Kooperationsversagens setzt auf die Selbstkoordinationskräfte. Als Voraussetzung für die effiziente Selbstkoordination muss die Politik Maßnahmen zum Abbau der Kooperationskosten bzw. zur Erhöhung der finanziellen Kooperationsanreize ergreifen. Bei erhöhtem Nutzen-Kosten-Verhältnis der Kooperation entsteht ein Kooperationsnetzwerk durch Selbstkoordination. In einem spezifischen theoretischen Modell wurde nun untersucht, wie sich ein solches Netzwerk dynamisch entwickelt. Das gesamte Gründungsnetzwerk, bestehend aus dem Gründungsförderungsnetzwerk und dem erweiterten Gründernetzwerk entwickelt sich in Richtung eines skalenfreien Netzwerkes. Im Gründungsförderungsnetzwerk stellt eine spezialisierte Arbeitsteilung, die aus der Selbstkoordination erwächst, die Quelle von positiven Skaleneffekten durch Lerneffekte und Spezialisierungsvorteile dar. In einem solchen Netzwerk wachsen erfolgreiche Förderträger überdimensional. Verfolgt man diese Strategie konsequent, so unterstützt man die Bildung weniger hochvernetzter Kernakteure mit vielen Peripherieakteuren. Wenn die Kernakteure selbst Träger vieler Förderprogramme sind und die Förderprogramme konzeptionell voll integrieren, vereinen diese Kernakteure die Vorteile einer Zentralen Agentur mit denen eines One-Stop-Shops. Bei Verfolgung dieser Strategie muss man sich konsequenterweise von der Praxis der Aufsplittung der Förderprogramme auf viele regionale Förderträger verabschieden, denn eine gleichmäßige Vernetzung mit geringen durchschnittlichen Vernetzungsgraden bietet zu wenig externe Netzwerkeffekte. Wichtig ist dabei, dass sich die politischen Entscheidungsträger für eine dieser beiden Strategien entscheiden und diese konsequent durchführen.
212
7 Synthese
Die beiden Strategien Z und N beziehen sich auf die Überwindung des Marktversagens und auf die Herstellung der Kooperation im positiv verbundenen Netzwerk der Förderträger. In Bezug auf die negative strukturelle Relation gibt es Strategien zur Überwindung des Wettbewerbsdrucks. Diese Strategien zielen nicht auf die Verbesserung der Kooperation im Gründungsförderprozess, sondern auf den Abbau der Konkurrenz um die knappen Fördermittel. Die Nachteile, die aus strukturellen Zwängen in negativen strukturellen Relationen entstehen, werden durch die Erhöhung struktureller Autonomie abgebaut. Die Strategie K ist eine kollektive Strategie zur Erhöhung der strukturellen Autonomie, nämlich die Kollusion zwischen den Förderträgern, um mehr Verhandlungsmacht gegenüber den Fördergebern zu erhalten. Die Netzwerke, die durch Strategie K entstehen, sind keine arbeitsteiligen Kooperationen, sondern kollektive Absprachen zur Begrenzung des Wettbewerbes. Förderträger, welche die Strategie K verfolgen, würden zum Beispiel vehement für eine „Marktaufteilung“ plädieren. Sie würden für sich beanspruchen, in einer Region oder in Bezug auf eine bestimmte Zielgruppe alleinige Förderträger zu sein. Damit scheiden sie aus dem dynamischen Wettbewerb der Förderträger aus. Die Strategie S erhöht die strukturelle Autonomie eines einzelnen Förderträgers durch eine Spezialisierung und Differenzierung von den anderen Förderträgern, bspw. durch neuartige Förderkonzepte, „Modellprojekte“, „Leuchtturmprojekte“ etc. Die Förderträger, die eine Strategie S verfolgen, werden aktiv Förderprojekte initiieren, mit denen sie sich von den anderen Förderträgern differenzieren. Ein interessanter Punkt ist, dass allen Strategien, außer Strategie S, eine Zentralisierungstendenz innewohnt. Was bedeutet das nun für die Organisation der Gründungsförderung aus politischer Perspektive und wie passt das moderne Schlagwort One-Stop-Shop in diese Betrachtung?
7.1 Strategien für die Organisation der Gründungsförderung
213
Wenn der One-Stop-Shop eine Zentrale Agentur gemäß der Strategie Z ist, so ist das Modell für die Gründungsförderung im Wissenschafts- und Hochschulbereich ungeeignet. Für einfache, geradlinige Gründungsprozesse kann dieses Modell, wie diskutiert, unter bestimmten Umständen effizient sein, dann sollte es aber entsprechend seines Charakters als First-Stop-Shop bezeichnet werden. Wenn die One-Stop-Shops durch Selbstkoordination der Förderträger als Ergebnis der Strategie K entstehen, so handelt es sich um Gebietsmonopolisten. Der dynamische Wettbewerb um neue Konzepte, Ideen und Instrumente in der Gründungsförderung würde ersticken und gleichzeitig würden die Förderträger mehr Verhandlungsmacht auf sich vereinen. Wenn ein One-Stop-Shop auf Ebene der Förderträger von der Politik per Vorschrift eingerichtet wird, so sei diese Strategie R genannt. Eine solche Zentrale wäre im Grunde nichts anderes als ein staatlich garantiertes Monopol. Würde man diesen Zentralisierungsweg weitergehen und einen zentralen Förderträger mit einem zentralen Fördergeber verschmelzen, so entstünde im Grunde eine Förderbehörde. Ein One-Stop-Shop nach Strategie N ist dagegen ein Förderträger, der in einem natürlich gewachsenen Netzwerk eine zentrale Position einnimmt, die auf komparativen Skalenvorteilen basiert, die er sich durch eigene Leistungen erworben hat. Ein solcher zentraler Akteur scheidet nicht aus dem dynamischen Wettbewerb aus, sondern behauptet sich permanent neu. Der dynamische Wettbewerb wird in einem solchen natürlich gewachsenen Netzwerk als Option immer mitgeführt, Vorteile der strukturellen Position sind immer nur temporär. Anhand der theoretischen Modelle möchte ich folgende Prognose aufstellen: Wenn die Förderträger der Gründungsförderung im Wissenschafts- und Hochschulbereich des Landes Brandenburg den Weg der selbstorganisierten Kooperation gehen und akzeptieren, dass dabei einige wenige Förderträger in diesem Netzwerk zentrale Rollen einnehmen, und wenn die damit verbundene Ungleichheit bei der Verteilung der Fördermittel akzeptiert wird, dann wird mindestens einer dieser Förderträger sehr schnell zu einer überregionalen, bundes-
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7 Synthese
weiten und sogar internationalen Bedeutung heran wachsen, und alle anderen Förderträger des Landes Brandenburg würden davon profitieren. Die folgende Tabelle visualisiert die verschiedenen Strategien.
Lösungsansatz Wettbewerbsreduzierung
Kooperation begünstigen
Umsetzungsstrategie Umsetzung durch politische Vorschrift
Umsetzung durch Selbstkoordination der Förderträger
Z= R= staatlich subventionierter One-Stop-Shop als staatlich First-Stop-Shop für einfache garantiertes Monopol Gründungsprozesse K= One-Stop-Shops als Gebietsmonopolisten durch Marktaufteilung
N= Netzwerk mitwenigen zentralen One-Stop-Shops und vielen peripheren Partnern
Tabelle 11: Strategien zur Errichtung von One-Stop-Shops
7.2 Wirtschaftspolitischer Handlungsbedarf
Die aus wirtschaftspolitischer Sicht übergeordnete Frage lautet allerdings, ob man akademische Gründungen überhaupt fördern soll. Zu dieser Diskussion kann die vorliegende Forschungsarbeit einige Aspekte einbringen. Wie die Arbeit zeigt, sind Existenzgründungen durch die fehlende Kenntnis der sozialen Marktstruktur benachteiligt. Die Neuheit wirkt sich zudem als Bürde, als Liability-of-Newness, aus. Der Aufbau eines professionellen Netzwerkes ist eine wichtige Aufgabe des Entrepreneurial Prozesses und die damit verbundenen Schwierigkeiten stellen ein bedeutendes Gründungs- bzw. Wachstumshemmnis dar. Ein Marktversagen, das die Notwendigkeit eines wirtschaftspolitischen Eingriffs begründen könnte, lässt sich aus diesem Aspekt, isoliert betracht, nicht direkt ableiten. Es gibt aber bereits viele theoretische und empirisch untermauer-
7.2 Wirtschaftspolitischer Handlungsbedarf
215
te Argumente für die Legitimation der Gründungsförderung im Wissenschaftsund Hochschulbereich, von denen besonders die langfristigen positiven externen Effekte für die Region hervorzuheben sind (siehe 2.4). Die vorliegende Arbeit kann aus Sicht der Regionalpolitik ein weiteres Mal empirisch das Argument stützen, dass eine Förderung von akademischen Gründungen die Abwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte zu verhindern hilft. Wenn man sich aus normativer Sicht für eine Gründungsförderung entscheidet, welche Organisation der Gründungsförderung ist dann vor dem Hintergrund der ermittelten Marktzugangsprobleme zu empfehlen? Die Antwort lautet: Strategie N. In einem natürlich gewachsenen Netzwerk mit zentralen, stark vernetzten Akteuren erhalten die Gründer mit ihrerseits wenig Ressourceneinsatz einen kommunikativen Zugang zu vielen anderen Akteuren. Ein regional zersplittertes Netzwerk mit vielen kleinen Netzwerkpartnern nutzt dem Gründer bei Aufbau seines eigenen Netzwerkes wenig, er braucht stattdessen wenige stark vernetzte Akteure, vor allem hochvernetzte Marktakteure, die ihm Zugang zum Kommunikationsnetzwerk des Marktes und damit Zugang zu Informationen über Absatzchancen ermöglichen. Es liegt dann an dem Gründer, sich schnell von den zentralen hochvernetzten Kernakteuren unabhängig zu machen und sich eine eigene, strukturell autonome Position aufzubauen. Die Empfehlung zur Ausgestaltung der Gründungsnetzwerke im Wissenschaftsund Hochschulbereich lautet daher nach den Ergebnissen der empirischen und theoretischen Analyse, eine Strategie N zu verfolgen und die langfristige Entwicklung eines natürlich gewachsenen Netzwerkes durch Selbstkoordination zu fördern.
216
7 Synthese
7.3 Wirtschaftspolitische Gestaltungsempfehlungen
Die Evolution eines solchen Netzwerkes lässt sich von der Politik nur eingeschränkt steuern. Die Aufgabe der Politik ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, um das Fundament für ein effektives, dezentrales Netzwerkmanagement der Netzwerkteilnehmer zu legen. Gemäß dem vorgestellten Netzwerkmanagementansatz ist das Gründungsförderungsnetzwerk als ein Projektnetzwerk zu betrachten. Die Förderung eines einzelnen Gründungsvorhabens stellt ein Projekt dar. Je nach spezifischem Förderbedarf des jeweiligen Gründungsprojektes arbeiten die Förderträger projektbezogen zusammen. Aus den Analysen dieser Arbeit lassen sich zusammenfassend folgende konkrete politische Gestaltungsempfehlungen für die Unterstützung des dezentralen Netzwerkmanagements ableiten. Dabei wird die Systematik der vier Funktionen des Netzwerkmanagements nach Sydow342 aufgegriffen. Unterstützung der Selektionsfunktion A. Der Politik wird empfohlen, die Selektion von hochvernetzten Gründungsförderern als Kooperationspartner zu unterstützen. Durch die Einbindung solcher Partner in das Gründungsnetzwerk werden zusätzliche Externalitäten für die Region bereitgestellt. Dazu gehören auch international erfolgreiche, hochvernetzte Gründungsförderer, die Externalitäten für diejenigen akademischen Spinoffs bereitstellen, die von der Gründung an auf internationale Märkte zielen. Aufgrund der positiven externen Effekte soll die Anbahnung von Kooperation mit solchen hochvernetzten Gründungsförderern durch spezifische Budgets gefördert werden.
B. Der Politik wird empfohlen, die Selektion von hochvernetzten Marktakteuren zu unterstützen, um den Gründern den schnellen Zugang zum Kommunikationsnetzwerk des Marktes zu ermöglichen, damit die Gründer dem Lock-inEffekt vorbeugen und über dieses Netzwerk Absatzchancen identifizieren können. Dazu gehört auch die stärkere Einbindung von Alumni-Netzwerken. 342
Vgl. Sydow/Möllering, 2004, S. 211-212 und Sydow, 2003b, S. 296-298.
7.3 Wirtschaftspolitische Gestaltungsempfehlungen
217
Aufgrund der positiven externen Effekte soll die Anbahnung von Kooperationen mit solchen hochvernetzten Marktakteuren durch spezifische Budgets gefördert werden. C. Der Politik wird empfohlen, ein aktives Bindungsmanagement zu den bereits geförderten Gründern zu unterstützen. Wenn die Gründer auch nach der Förderung im Netzwerk bleiben, werden positive Externalitäten für nachfolgende Generationen von Gründern bereitgestellt; deshalb soll die Politik dafür spezifische Budgets zur Verfügung stellen. D. Die Selektion von gering vernetzten Akteuren, die keine Externalitäten bereitstellen, sollte überhaupt nicht mehr durch öffentliche Fördergelder unterstützt werden. Diese peripheren Akteure haben aus individueller Sicht genügend Kooperationsanreize, weil durch die Kooperation mit hoch vernetzten Akteuren Kooperationsvorteile für sie entstehen. Unterstützung der Allokationsfunktion E. Der Politik wird empfohlen, Maßnahmen zur Senkung der Kooperationskosten zu ergreifen. Zu den Kooperationskosten gehören vor allem die Kosten der Förderbedarfsdiagnose und der Weiterleitung. Die Kosten der Förderbedarfsdiagnose können zum Beispiel durch systematische Diagnosetools oder verbesserte Gründer-Assessment-Center gesenkt werden. Die Weiterleitungskosten können zum Beispiel durch elektronische Gründerakten gesenkt werden. Unterstützung der Regulationsfunktion F. Der Politik wird empfohlen, ein effizienteres Anreizsystem durch eine aufwandsneutrale Fördermittelumverteilung einzuführen. Die Anreize für projektbezogene Kooperation sollten output-bezogen und die Anreize für projektübergreifende Kooperation sollten input-bezogen sein. Die projektbezogene Kooperation innerhalb des Gründungsförderprozesses wird dadurch gefördert, dass alle an einem Gründungsförderprozess beteiligten Förderträger einen Anteil an den Fördermitteln erhalten. Eine elektronische Gründerakte kann die informationstechnische Basis für ein differenziertes
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7 Synthese
Fördermittelabrechnungssystem bilden. Für ein solches Anreizsystem gibt es ausreichend Best-Practice-Vorbilder in der gewerblichen Wirtschaft. Es gibt ähnliche Situationen, in denen Leistungsersteller bei der Betreuung von Kunden projektbezogen zusammenarbeiten und dafür Anreize in Form spezieller variabler Vergütungssysteme erhalten. Um nur ein Best-Practice-Beispiel zu bemühen, seien die Vertriebsnetzwerke in der Versicherungsbranche genannt. Die für jeden Kunden individuell zu erstellende Beratung und Zusammenstellung eines Versicherungsportfolios erfordern je nach Kunde die Zusammenarbeit von Generalisten und Spezialisten. Als Anreiz für effiziente Kooperationen werden dafür die Provisionen zwischen allen Versicherungsberatern aufgeteilt, und zwar nicht im Sinne jährlicher Globalbudgets, sondern in Bezug auf die einzelne Kooperationseinheit, also den konkreten Vertragsabschluss. Andere Beispiele für Anreize zur einzelfallbezogenen Kooperationsförderung finden sich im Multi-Channel-Vertrieb, beim Vertrieb von Bundling-Produkten usw. G. Der Politik wird empfohlen, die Wettbewerbsmomente zwischen den Förderträgern sparsam zu dosieren. Der Wettbewerb existiert, bedingt durch das politische System. Deshalb lautet die Empfehlung, auf zusätzliche Konkurrenz verstärkende Maßnahmen zu verzichten. Unterstützung der Evaluationsfunktion H. Der Politik wird empfohlen, ein systematisches Netzwerkmonitoring einzuführen. Das Netzwerkmonitoring bildet die Basis für die Evaluation der Qualität und Effektivität der projektbezogenen Kooperation der Förderträger. Um nicht missverstanden zu werden: Die Förderprogramme an sich werden evaluiert. Es geht um die Evaluation der Kooperationsbeziehungen, bezogen auf die Beiträge der einzelnen Akteure zur Wertschöpfung des Netzwerkes. Ein systematisches Monitoring senkt die mit der Kooperation verbundene Unsicherheit und damit die Kosten der Kooperation. Das Gründungsmonitoring und die elektronische Gründerakte können in einem gemeinsamen EDVSystem informationstechnisch abgebildet werden.
8 Resümee und Forschungsdesiderata Die vorliegende Arbeit liefert als Ergebnis einen Beitrag zum theoretischen Forschungsstand. Die Arbeit zeigt zunächst, dass die Kooperation zwischen den Trägern der Gründungsförderung suboptimal ist. Diese Erkenntnis deckt sich mit den Beobachtungen anderer Studien. Die Erklärung der suboptimalen Kooperation beschränkte sich nach bisherigem Stand der Forschung jedoch auf die Nennung singulärer Ursachen, ein konsistenter theoretischer Bezugsrahmen zur Einordnung dieser Ursachen fehlte. Die vorliegende Arbeit erklärt die suboptimale Kooperation durch ein konsistentes theoretisches Gebäude. Positive externe Effekte der Netzwerkkooperationen in Verbindung mit hohen Kosten der Kooperation führen zu einem Marktversagen, so dass die Netzwerkkooperationen zwischen den Förderträgern instabil sind oder zusammenbrechen. Die Folgen suboptimaler Kooperation zwischen den Förderträgern können aufgrund der Komplexität des Gründungsförderungsprozesses nicht durch die Gründer kompensiert werden, so dass daraus eine Unterversorgung der Gründer mit Förderleistungen resultiert, was einer mangelhaften Effizienz der Gründungsförderung gleichkommt. Die theoretische Erklärung ist Ergebnis der Entwicklung gegenstandsbezogener Theoriefragmente aus qualitativen Daten und die Integration verschiedener Netzwerktheorien der Mikroökonomie, der Soziologie, der Managementwissenschaft und der Physik in einen gemeinsamen konsistenten theoretischen Bezugsrahmen. Dabei wurden die beiden wichtigsten Forschungslücken, das Theoriedefizit in der Forschung zu Gründungsnetzwerken sowie die bisher fehlende Einbeziehung der Netzwerkkosten, adressiert. Die Arbeit gibt darüber hinaus Gestaltungsempfehlungen für die Organisation der Gründungsförderung. Wichtigste Basis ist hierbei die Erkenntnis, dass der Wettbewerb zwischen den Förderträgern und die mangelnde Kooperation voneinander unabhängige Ursachen haben: Der Wettbewerb ist bedingt durch das politische System, die mangelnde Kooperation resultiert aus Marktversagen aufgrund inadäquater Anreizstrukturen. Die Politik kann die Effizienz der
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8 Resümee und Forschungsdesiderata
Gründungsförderung erhöhen, in dem sie die Selbstkoordinationskräfte unterstützt, und zwar vor allem durch eine sparsame Dosierung der Wettbewerbsmomente und eine kostenneutrale Umverteilung der Fördermittel, die sich am Gründungsförderprozess orientiert und die Einbindung hochvernetzter Akteure spezifisch fördert. Die theoretischen Modell-Analysen betrachten die Akteure der Gründungsförderung gemäß Rational-Choice-Theorie als rational handelnde Akteure, die alle das gleiche Ziel verfolgen, nämlich die Förderung von akademischen Gründungen unter der Nebenbedingung knapper Fördermittel. Die Analysen unterscheiden dabei nicht zwischen Individuen und Organisationen. Die vorliegende Arbeit untersucht nicht, welche Ziele die Organisationen außerdem verfolgen und wie sich die Zielbeziehungen auf die interorganisationale Kooperation auswirken. Die Arbeit untersucht auch nicht die Auswirkungen persönlicher Ziele, wie bspw. Drittmittelbudgetmaximierung, Machterhöhung, Karriere etc., und persönlicher Eigenschaften der Organisationsmitglieder auf die Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der korporativen Akteure. Die sehr restriktive Prämisse stellt zugleich eine Limitation und eine Stärke der Arbeit dar. Die Schwäche äußert sich darin, dass viele Nuancen zur Erklärung des Kooperationsverhaltens außer Acht bleiben. Eine Anwendung der Public-Choice-Theorie als Spezialform der Rational-Choice-Theorie hat das Potenzial, sowohl auf Organisations- als auch auf Individualebene noch mehr interessante Einsichten zur Diskussion beizutragen, woraus sich ein wichtiges Forschungsdesiderat ergibt. Die Stärke dieser Arbeit besteht darin, dass sie die Hemmnisse der Kooperation ohne Rückgriff auf Zielkonflikte, opportunistisches Verhalten und heterogene persönliche Kompetenzen erklären kann. Eine weitere Limitation der Ergebnisse dieser Arbeit besteht in der fehlenden empirischen Bestätigung derjenigen Schlussfolgerungen, die aus dem Modell des skalenfreien Gründungsnetzwerkes gezogen wurden. Ein Forschungsdesiderat ist die empirische Analyse natürlich gewachsener Gründungsnetzwerke zur Überprüfung der Vorhersagen des Modells. Die schwierigste Aufgabe besteht dabei darin, solche natürlich gewachsenen Gründungsnetzwerke, die sich ohne
8 Resümee und Forschungsdesiderata
221
dominante politische Einmischung in das dezentrale Netzwerkmanagement entwickeln konnten, zu identifizieren. Eine weitere Limitation bringt der Fokus der qualitativen Untersuchung auf die Situation der Gründungsförderung im Wissenschafts- und Hochschulbereich im Land Brandenburg mit sich. Zwar wurden auch externe Experten interviewt, um einer Verzerrung vorzubeugen, dennoch stellt sich das Problem der Übertragbarkeit auf andere Regionen. Andere Studien zur Gründungsförderung an anderen Hochschulregionen kommen zwar zu ähnlichen Ergebnissen, es konnte aber nicht auf die Äquifinalität unterschiedlicher Erklärungsursachen geprüft werden, weil die anderen Studien keine konsistenten Kausalmodelle anbieten. Als Forschungsdesiderat wird deshalb die Frage gestellt, ob sich das Erklärungsmodell auf andere Regionen übertragen lässt. Eine nächste Limitation der Arbeit besteht in der Beschränkung auf diskretionäre Maßnahmen der Gründungsförderung. Es wurde nicht untersucht, welchen Beitrag veränderte politische und wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen zur Förderung der Netzwerke von akademischen Existenzgründungen liefern können. Als Forschungsdesiderat bleibt deshalb die Frage, welche Auswirkungen das gesellschaftliche Sozialkapital auf die Fähigkeit zur Vernetzung von akademischen Gründern hat. Hier spielen Faktoren wie das Ansehen des Unternehmertums in der öffentlichen medialen Diskussion, das Selbstbild der Wissenschaft, das Selbstverständnis der universitären Verwaltung und der politischen Verwaltung etc. eine Rolle. Zu einer solchen Betrachtung gehört auch die Diskussion der negativen Aspekte von Vernetzung und Sozialkapital. Die Ergebnisse der Arbeit beziehen sich auf die Gründungsförderpolitik, weil die qualitative Untersuchung eine gegenstandsorientierte Grounded Theory hervorgebracht hat. Die aus den theoretischen Modellen abgeleiteten Schlussfolgerungen sind aber nicht spezifisch für die Gründungsförderpolitik, sondern lassen sich theoretisch auf andere Politikfelder, die ebenfalls durch eine Vielzahl an Förderträgern gekennzeichnet sind, übertragen. Ein wichtiges Forschungs-
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8 Resümee und Forschungsdesiderata
desiderat ist deshalb die Frage, ob sich die empirischen Beobachtungen in anderen Politikfeldern mit denen dieser Arbeit decken. Wichtigstes Forschungsdesiderat bleibt aber weiterhin die Aufgabe, die Argumente zur Legitimation der öffentlichen Förderung von akademischen Gründungen regelmäßig zu überprüfen und um neue Einsichten zu erweitern.
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Anhang A: Statistische Tabellen Kreuztabelle: Sind Sie zur Zeit selbstständige/r Unternehmer/in oder selbstständige/r Freiberufler/in? * Abwanderung aus der Region nach dem Studium? Abwanderung nach Studium? Nein
Ja
34
12
46
73,9%
26,1%
100,0%
154
114
268
57,5%
42,5%
100,0%
188
126
314
59,9%
40,1%
100,0%
Anzahl Sind Sie zur Zeit selbstständige/r Unternehmer/in oder selbstständige/r Freiberufler/in?
Gesamt
Ja in Prozent Anzahl Nein in Prozent Anzahl
Gesamt in Prozent
Chi-Quadrat-Test
Chi-Quadrat nach Pearson Anzahl der gültigen Fälle
Wert
df
Asymptotische Signifikanz (2-seitig)
4,422
1
0,035
314
Tabelle 12 (Anhang): Chi-Quadrat-Test Abwanderungsrate
240
Anhang A: Statistische Tabellen
Kreuztabelle: Sind Sie zur Zeit selbstständige/r Unternehmer/in oder selbstständige/r Freiberufler/in? * Abwanderung nach Studium? (Zu Beginn des Studiums in die Region zugezogen)
Abwanderung nach Studium? Nein
Ja
8
10
18
44,4%
55,6%
100,0%
52
64
116
44,8%
55,2%
100,0%
60
74
134
44,8%
55,2%
100,0%
Anzahl Sind Sie zur Zeit selbstständige/r Unternehmer/in oder selbstständige/r Freiberufler/in?
Gesamt
Ja in Prozent Anzahl Nein in Prozent Anzahl
Gesamt in Prozent
Chi-Quadrat-Test
Chi-Quadrat nach Pearson Anzahl der gültigen Fälle
Wert
df
Asymptotische Signifikanz (2-seitig)
0,001
1
0,976
134
Tabelle 13 (Anhang): Chi-Quadrat-Test Abwanderung Zugezogener
241
Anhang A: Statistische Tabellen Kreuztabelle:
Sind Sie zur Zeit selbstständige/r Unternehmer/in oder selbstständige/r Freiberufler/in? * Abwanderung nach Studium? (Vor Beginn des Studiums in der Region gewohnt)
Abwanderung nach Studium? Nein
Ja
26
2
28
92,9%
7,1%
100,0%
102
50
152
67,1%
32,9%
100,0%
128
52
180
71,1%
28,9%
100,0%
Anzahl Sind Sie zur Zeit selbstständige/r Unternehmer/in oder selbstständige/r Freiberufler/in?
Gesamt
Ja in Prozent Anzahl Nein in Prozent Anzahl
Gesamt in Prozent
Chi-Quadrat-Test
Chi-Quadrat nach Pearson Anzahl der gültigen Fälle
Wert
df
Asymptotische Signifikanz (2-seitig)
7,633
1
0,006
180
Tabelle 14 (Anhang): Chi-Quadrat-Test Abwanderung Einheimischer
242
Anhang A: Statistische Tabellen
Kreuztabelle: Studium an Juristischer Fakultät * Sind Sie zur Zeit selbstständige/r Unternehmer/in oder selbstständige/r Freiberufler/in?
Sind Sie zur Zeit selbstständige/r Unternehmer/in oder selbstständige/r Freiberufler/in?
Gesamt
Ja
Nein
9
56
65
13,8%
86,2%
100,0%
52
304
356
14,6%
85,4%
100,0%
61
360
421
14,5%
85,5%
100,0%
Anzahl Ja in Prozent
Studierten Sie an der Juristischen Fakultät?
Anzahl Nein in Prozent Anzahl Gesamt in Prozent
Chi-Quadrat-Test
Chi-Quadrat nach Pearson Anzahl der gültigen Fälle
Wert
df
Asymptotische Signifikanz (2-seitig)
0,026
1
0,873
421
Tabelle 15 (Anhang): Chi-Quadrat-Test Einfluss Juristische Fakultät
243
Anhang A: Statistische Tabellen Kreuztabelle: Studium an Philosophischer Fakultät * Sind Sie zur Zeit selbstständige/r Unternehmer/in oder selbstständige/r Freiberufler/in?
Sind Sie zur Zeit selbstständige/r Unternehmer/in oder selbstständige/r Freiberufler/in?
Gesamt
Ja
Nein
16
68
84
19,0%
81,0%
100,0%
45
292
337
13,4%
86,6%
100,0%
61
360
421
14,5%
85,5%
100,0%
Anzahl Ja Studierten Sie an der Philosophischen Fakultät?
in Prozent Anzahl Nein in Prozent Anzahl
Gesamt in Prozent
Chi-Quadrat-Test
Chi-Quadrat nach Pearson Anzahl der gültigen Fälle
Wert
df
Asymptotische Signifikanz (2-seitig)
1,760
1
0,185
421
Tabelle 16 (Anhang): Chi-Quadrat-Test Einfluss Philosophische Fakultät
244
Anhang A: Statistische Tabellen
Kreuztabelle: Studium an Humanwissenschaftlicher Fakultät * Sind Sie zur Zeit selbstständige/r Unternehmer/in oder selbstständige/r Freiberufler/in?
Sind Sie zur Zeit selbstständige/r Unternehmer/in oder selbstständige/r Freiberufler/in?
Gesamt
Ja
Nein
11
54
65
16,9%
83,1%
100,0%
50
306
356
14,0%
86,0%
100,0%
61
360
421
14,5%
85,5%
100,0%
Anzahl Ja Studierten Sie an der Humanwissenschaftlichen Fakultät?
in Prozent Anzahl Nein in Prozent Anzahl
Gesamt in Prozent
Chi-Quadrat-Tests
Chi-Quadrat nach Pearson Anzahl der gültigen Fälle
Wert
df
Asymptotische Signifikanz (2-seitig)
0,367
1
0,544
421
Tabelle 17 (Anhang): Chi-Quadrat-Test Einfluss Humanwiss. Fakultät
245
Anhang A: Statistische Tabellen Kreuztabelle: Studium an Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlicher Fakultät * Sind Sie zur Zeit selbstständige/r Unternehmer/in oder selbstständige/r Freiberufler/in?
Sind Sie zur Zeit selbstständige/r Unternehmer/in oder selbstständige/r Freiberufler/in? Ja
Nein
23
98
121
19,0%
81,0%
100,0%
38
262
300
12,7%
87,3%
100,0%
61
360
421
14,5%
85,5%
100,0%
Anzahl Studierten Sie an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät?
Gesamt
Ja in Prozent Anzahl Nein in Prozent Anzahl
Gesamt in Prozent
Chi-Quadrat-Tests
Chi-Quadrat nach Pearson Anzahl der gültigen Fälle
Wert
df
Asymptotische Signifikanz (2-seitig)
2,799
1
0,094
421
Tabelle 18 (Anhang): Chi-Quadrat-Test Einfluss WiSo-Fakultät
246
Anhang A: Statistische Tabellen
Kreuztabelle: Studium an Mathematisch-Naturwissenschaflicher Fakultät * Sind Sie zur Zeit selbstständige/r Unternehmer/in oder selbstständige/r Freiberufler/in?
Sind Sie zur Zeit selbstständige/r Unternehmer/in oder selbstständige/r Freiberufler/in? Ja
Nein
4
110
114
3,5%
96,5%
100,0%
57
250
307
18,6%
81,4%
100,0%
61
360
421
14,5%
85,5%
100,0%
Anzahl Studierten Sie an der MathematischNaturwissenschaftlichen Fakultät?
Gesamt
Ja in Prozent Anzahl Nein in Prozent Anzahl
Gesamt in Prozent
Chi-Quadrat-Tests
Chi-Quadrat nach Pearson Anzahl der gültigen Fälle
Wert
df
Asymptotische Signifikanz (2-seitig)
15,213
1
0,000
421
Tabelle 19 (Anhang): Chi-Quadrat-Test Einfluss Math.-Nat.-Fakultät
Anhang B: Fragebogen Quantitative Empirie 1
Bitte geben Sie Ihr Geschlecht an:
2
Bitte geben Sie Ihre Emailadresse zur Gewinnbenachrichtigung an:
3
Hatten Sie vor Beginn des Studiums an der Universität Potsdam bereits eine Berufsausbildung absolviert?
o Ja in der Branche……………… o Nein
4
Waren Sie vor Beginn des Studiums an der Universität Potsdam länger als 11 Monate mit einer Vollzeitbeschäftigung berufstätig?
o Ja, in der Branche……………… o Nein
5
Angaben zum Verlauf Ihres Studiums: Beginn des Studiums an der Uni Potsdam Abschluss des Studiums an der Uni Potsdam Abschluss Promotion (wenn vorhanden)
6
An welcher Fakultät wurde das Studium/Promotion abgeschlossen (Mehrfachnennung möglich)?
7
Weitere Abschlüsse (MBA/Aufbaustudium etc.)
8
9
In welchem Bundesland/Land wohnten Sie, bevor Sie das Studium an der Uni Potsdam begonnen haben?
o männlich o weiblich ………………………………… ………..
WS/SS ……. WS/SS ……. WS/SS ……. o o o o
Juristische Fakultät Philosophische Fakultät Humanwissenschaftliche Fakultät MathematischNaturwissenschaftliche Fakultät o Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät …………………….. …………………………………
Wohnten Sie während des Studiums an der Uni o Berlin Potsdam in Berlin oder im Land Brandenburg? o Land Brandenburg o weder noch, sondern in: ………………………..
9a In welchem Bundesland/Land wohnen Sie zurzeit? 10 Mit wie vielen ihrer ehemaligen Kommilitonen telefonieren, schreiben oder treffen Sie sich ca. 1 mal pro Woche: ca. 1 mal pro Monat: ca. 1 mal pro Jahr: 11 Wie würden Sie Ihre Menge an Kontakte zu ehemaligen Kommilitonen einschätzen?
…………………………………
..... ..... ..... o Ich hätte gerne mehr Kontakte. o Ich bin zufrieden mit der Menge an Kontakten, die ich pflege.
248
Anhang B: Fragebogen Quantitative Empirie
12 Welche der folgenden Angebote für Alumni würden Sie gerne wahrnehmen?
o Ehemaligentreffen o Karriereabende mit Studierenden und Ehemaligen zum Erfahrungso austausch o Förderangebote für Existenzgründungen Weitere:…………………………
13 Sind Sie zur Zeit selbstständige/r Unternehmer/in oder selbstständige/r Freiberufler/in?
o Ja o Nein (Weiter mit Frage 17 )
14 Seit wann sind sie nebenberuflich bzw. hauptberuflich selbstständig? Nebenberuflich seit: Hauptberuflich seit:
………………. ……………….
15 In welcher Branche arbeitet Ihr Unternehmen?
.....................................
16 In welchem Bundesland/Land ist der Sitz ihres Unternehmens?
.....................................
17 Wenn Sie zur Zeit nicht selbstständig sind: Welche der folgenden Aussagen trifft am ehesten auf Sie zu?
o Selbstständigkeit ist keine Alternative für mich, denn................................................ .................... o Selbstständigkeit ist grundsätzlich eine Alternative für mich, aber ich habe noch keine konkreten Schritte unternommen, um eine selbstständige Existenzgründung vorzubereiten. o Ich war bereits schon eine Zeit selbstständig beschäftigt. o Ich hatte bereits eine selbstständige Existenzgründung vorbereitet, die Vorbereitungen aber abgebrochen, weil.......................................... o Ich plane eine Selbstständigkeit in den nächsten 2 Jahren, in der Branche...................................
19 Wenn Sie eine Selbstständigkeit planen: In welchem Bundesland/Land wird Ihr Unternehmenssitz voraussichtlich sein?
…………………………………
20 Wenn Sie keine Selbstständigkeit planen: Planen Sie einen Arbeitsplatzwechsel in ein anderes Bundesland/Land in den nächsten 2 Jahren?
o Ja, nach……………………………… o Nein
Anhang C: Interviewleitfäden Qualitative Empirie Interviewleitfaden Gründer
Der folgende Leitfaden wurde im Laufe des Forschungsprozesses entwickelt und mehrfach leicht abgeändert, entsprechend den methodischen Prinzipien der Grounded Theory Method. Kurzfragebogen
Interviewart: Datum: Dauer: Persönliche Angaben: Name, Vorname, Studienbeginn, Studienabschluss: An welcher Fakultät haben Sie studiert? In welchem Status befindet sich Ihre Gründung? Gründungsdatum (gegebenenfalls Vollzeit vs. Teilzeit)? Seit ... Teilzeit Seit ... Vollzeit o
selbständige/r Freiberufler/in
o
geschäftsführende/r Gesellschafter/in einer Personengesellschaft
o
Gesellschafter/in einer Personengesellschaft, aber nicht Geschäftsführer/in
o
geschäftsführende/r Gesellschafter/in einer Kapitalgesellschaft
o
Gesellschafter/in einer Kapitalgesellschaft, aber nicht Geschäftsführer/in
Team (Ja/Nein)? Kontaktdaten Ihres Unternehmens/Gründungsprojektes:
250
Anhang C: Interviewleitfäden Qualitative Empirie
Leitfaden
Geschäftsmodell? Motivation? Team (Ja/Nein, gegebenenfalls nähere Ausführungen=? Vorerfahrung produktbezogen/Branche (gegebenenfalls während Studium vs. vor dem Studium)? Probleme bei Gründungsvorbereitung? Unterstützung bei Gründungsvorbereitung (wer und wie genau)? 1. Person/Institution 2. Person/Institution etc. Je nach Gesprächsverlauf folgende Nachfragen: Unterstützung bei Gründungsvorbereitung öffentliche Förderung? Kennen Sie Unterstützungsangebot von Einrichtungen an der Uni Potsdam? Wenn ja, welche? Von welchen Einrichtungen an der Uni Potsdam erhielten Sie Unterstützung auf Ihrem Weg zur Selbstständigkeit? Wie Anbahnung der Kontakte zu Förderern? Netzwerk Freundes/Bekanntenkreis?
Anzahl Selbstständige im Freundes/Bekanntenkreis: Mit wie vielen der Selbstständigen über eigene Gründung unterhalten: Wie oft: Themen / Inhalte der Gespräche? Welche Unterstützung erfahren Sie? Mit wie vielen der Nicht-Selbständigen über eigene Gründung unterhalten:
Anhang C: Interviewleitfäden Qualitative Empirie
251
Wie oft: Themen / Inhalte der Gespräche? Welche Unterstützung erfahren Sie?
Netzwerk Familie?
Anzahl Selbstständige in der Familie: Mit wie vielen der Selbstständigen über eigene Gründung unterhalten: Wie oft: Themen / Inhalte der Gespräche? Welche Unterstützung erfahren Sie? Mit wie vielen der Nicht-Selbständigen über eigene Gründung unterhalten: Wie oft: Themen / Inhalte der Gespräche? Welche Unterstützung erfahren Sie?
Geschäftliches Netzwerk -> Wer und wie genau hilft es?
Marktzugang: wie funktionierte die Anbahnung der ersten Geschäftsabschlüsse?
Wünsche in Bezug auf die Unterstützung, insbesondere auch Wünsche für Unterstützung von öffentlichen Förderern?
Ergänzendes:
252
Anhang C: Interviewleitfäden Qualitative Empirie
Interviewleitfaden Gründungsförderer
Der folgende Leitfaden wurde im Laufe des Forschungsprozesses entwickelt und mehrfach stark abgeändert, entsprechend den methodischen Prinzipien der Grounded Theory Method. • Beschreibung der Rolle in der Gründungsförderung f. konkrete Aufgaben? g. Typische / häufige Probleme der Gründungen? –
aus Ihrer Sicht
–
aus Sicht der Gründung / unterschiedliche Sichtweisen?
h. Nutzwert der Förderung für Gründungen? • Ausgründungen aus dem Wissenschafts- und Hochschulbereich: spezielle Probleme?andere Förderungen? • persönliche Beziehungsnetzwerke der Gründer • Netzwerke der Gründer untereinander i. Situation der Vernetzung der Gründer untereinander? j. Vorteile/Nachteile von Netzwerken zwischen Gründern? k. Probleme, die die Vernetzung der Gründer untereinander verhindern? • Beschreibung der Rolle im Netzwerk der Gründungsförderer l. wichtigste Netzwerkpartner? m. Aufgabe im Netzwerk? Position innerhalb des Netzwerkes? n. Unterstützung von welchen Netzwerkpartnern bzw. für welche Netzwerkpartner? o. Defizite / fehlende Netzwerkpartner • Probleme bei der Kooperation • Vorschläge für die zukünftige Ausgestaltung der Förderung?