Barbara McMahon
Hell strahlt jetzt jeder Tag
Mit dieser Entscheidung seines Geschäftspartners ist der Bauunternehmer ...
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Barbara McMahon
Hell strahlt jetzt jeder Tag
Mit dieser Entscheidung seines Geschäftspartners ist der Bauunternehmer Jackson Witt überhaupt nicht einverstanden. Jeff hat eine schwangere junge Frau für die Baustelle in der Bergwildnis Colorados eingestellt! Wütend will er ihr sofort klar machen, dass sie am besten gleich wieder ihre Sachen packt, doch als er Mandy kennen lernt, kann er Jeff gut verstehen. Sie strahlt so viel Wärme und Fröhlichkeit aus, dass in Jackson, der sich seit dem tragischen Verlust seiner Familie von allen Menschen zurückgezogen hat, Sehnsucht erwacht, tiefe Sehnsucht, sie nie wieder gehen zu lassen…
© 2003 by Barbara McMahon
Originaltitel: „She’s Expecting“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto in der Reihe: SPECIAL EDITION
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V. Amsterdam
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCA
Band 1431 (18/2) 2004 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Cecilia Scheller Fotos: getty images
1. KAPITEL „Ich weiß, er hat gesagt, dieser Ort liegt mitten in der Wildnis, aber das hier ist wirklich völlig verrückt!“ murmelte Mandy Parkerson vor sich hin, während sie mit ihrem Auto über die Schotterstraße rumpelte. Seit sie vor knapp einer Dreiviertelstunde die Kleinstadt Julian im Staate Colorado hinter sich gelassen hatte, war ihr noch kein einziger Wagen entgegengekommen. Und überholt hätte sie auch keiner. „Wenn diese Straße nicht erheblich verbessert wird, dann kommt kein Feriengast das zweite Mal. Und die, die zum ersten Mal kommen, werden auf halbem Wege umdrehen. Vor allem im Winter.“ Mandy wurde ganz schön durchgeschüttelt. Krampfhaft hielt sie das Lenkrad fest, um den Wagen über die holprige, rutschige Fahrbahn sicher zu steuern und sich nicht von den auffliegenden kleinen Steinen, die gegen das Auto schlugen, irritieren zu lassen. Immerhin hatte man die Straße planiert und mit Schotter abgedeckt. Doch Mandy wollte lieber nicht daran denken, wie es hier bei Regen oder sogar bei einem Schneesturm sein würde. Sie war dankbar für das gute Wetter. „Hält durch, Baby, so weit kann es nicht mehr sein. Er hat gesagt, dreißig Meilen von der Stadt entfernt, und die haben wir bereits hinter uns.“ Mandy war im sechsten Monat schwanger, und sie hatte von Anfang an mit ihrem Baby gesprochen. Irgendwo hatte sie gelesen, dass Kinder die Stimme ihrer Mutter schon vor der Geburt erkennen. Also redete sie ständig. Sie wollte, dass ihr Baby sie vom ersten Moment an kannte. Dass es wusste, wie sehr es geliebt wurde, ganz gleich, was geschehen war. Und dass es eine Mutter hatte, auf die man bauen konnte. Niemals würde Mandy ihr Kind verlassen. Nicht, wie ihr Vater es getan hatte. Und ihre Mutter. Und nun auch der Vater des Babys. „Jedenfalls kann es nicht mehr weit sein“, murmelte sie und blickte angestrengt durch die Windschutzscheibe auf die unübersichtliche Strecke vor ihr. Hohe Nadelbäume säumten die Schotterstraße zu beiden Seiten und beeinträchtigten die Sicht. Doch dann verbreiterte sich die Straße am Ende der Baumgrenze leicht und führte zwischen langen Reihen von gemähtem Gras einen Hügel hinauf. Hier oben öffnete sich der blaue Himmel des klaren Herbsttages, und sie sah das Baugelände vor sich liegen. Mandy war beklommen zu Mute, als ihr bewusst wurde, wie fremd ihr der Ort war. Rasch unterdrückte sie jedoch das unangenehme Gefühl. Sie brauchte diesen Job. Er schien perfekt zu sein. Und sie hatte sich sofort beworben, als die Stellenvermittlung in Denver sie darauf hingewiesen hatte. Es handelte sich um eine auf zwei Monate befristete Stellung als Sekretärin – und eine gut bezahlte dazu. Das Gehalt war das Doppelte von dem, was Mandy in Denver verdient hatte. Die Unterkunft war frei. Hinzu kam, dass sie die fachlichen Voraussetzungen erfüllen konnte, denn mit der Bauindustrie war sie vertraut. Wie gesagt, es war der perfekte Job, auch wenn ihr Weg sie quer durch ganz Colorado führte. Das abgelegene Baugebiet würde nur noch acht Wochen in Betrieb sein, bevor der Winter hereinbrach und bis zum Frühjahr jede weitere Arbeit unmöglich machte. Der Zeitpunkt war also ebenfalls günstig, und von Denver hatte sie auch weg gewollt. Doch nun musste sie sich der neuen Situation stellen. Julian war eine dieser typischen idyllischen kleinen Bergstädte mit nur einer Hauptstraße und zwei Nebenstraßen, an denen kleine Läden und Gewerbebetriebe lagen, nicht zu vergessen das Kreiskrankenhaus. Eine solche Einrichtung war für Mandy wichtig,
auch wenn sie nicht damit rechnete, dass sie medizinische Hilfe brauchen würde. Sie hatte noch Zeit genug, um sich in Ruhe zu entscheiden, wo sie sich vor der Geburt des Babys niederlassen wollte. Sie entdeckte einen Wohnwagen, der abseits von den anderen und näher zum Baugelände stand. Darin musste das Büro sein. Mandy fuhr darauf zu. Überall schufteten Männer, um diesen Ferienort – in Luxusausstattung – mitten in der Bergwildnis von Colorado entstehen zu lassen. Ihre Schutzhelme glänzten in der Sonne. Das Brummen der Kräne, die massive Stützpfähle an ihren Platz schwangen, gab das Hintergrundgeräusch zum Jaulen der Pressluftbohrer, zum Surren der Sägen und zu dem Hämmern ab, das von allen Seiten kam. Mandy parkte neben dem Büro, nahm eilig die zwei Stufen zum Wohnwagen hoch und war nervös wie schon lange nicht. „Mandy Parkerson! Sie haben es geschafft!“ Jeff Henshaw sprang von seinem Stuhl hinter einem der drei ramponierten Schreibtische auf. Er war ein hoch gewachsener, grauhaariger Mann, und er hatte mit Mandy das Vorstellungsgespräch geführt. Den Job hatte er ihr bereits in Denver zugesagt. Mandy war dankbar für das herzliche Willkommen, und ihre Besorgnis schwand. „Sie haben mir den Weg so gut erklärt, dass ich problemlos hergefunden habe.“ „Ich habe Sie um diese Zeit noch gar nicht erwartet. Hab eigentlich mit Ihnen erst kurz vor Anbruch der Dunkelheit gerechnet.“ „Das Risiko, nach Sonnenuntergang eine unbekannte Strecke zu fahren, erschien mir zu groß. Vor allem, da die Straße nicht gepflastert ist. Und Julian scheint mir eine hübsche Stadt zu sein. Ich habe mich dort bereits mit Lebensmitteln eingedeckt, ehe ich hierher weiterfuhr.“ „Ja, Sie haben Recht, Julian ist wirklich recht hübsch, aber natürlich kann es mit Denver nicht mithalten. Kommen Sie, setzen Sie sich.“ „Nun ja, ich müsste mich zuerst ein bisschen frisch machen. Wäre das möglich?“ „Natürlich. Gehen Sie einfach diesen kurzen Korridor runter, die Tür finden Sie schon. Und nehmen Sie sich Zeit. Wenn Sie dann so weit sind, mache ich mit Ihnen einen Rundgang.“ „Danke.“ Mandy flog geradezu den Korridor hinunter, und ihr langes, fließendes Kleid flatterte ihr um die Beine. Seit sie schwanger war, fühlte sie sich in weiten, locker sitzenden Kleidern am wohlsten. Das rosa Kleid, das sie im Moment trug, war unter den Brüsten gerafft, und der weite Rock reichte bis über die Waden. Das Kleid kaschierte geschickt die Anzeichen von Schwangerschaft, obwohl Mandy fand, dass man sie eigentlich immer noch als zierlich bezeichnen konnte. Nun, das Baby hatte noch drei Monate zu wachsen. Plötzlich war sie sich allerdings nicht mehr so sicher, ob Kleider auf der Baustelle angemessen wären. In Denver hatte es damit kein Problem gegeben, aber dies hier war eindeutig nicht Denver. Während Mandy sich die Hände wusch, spürte sie, wie der Boden des Wohnwagens leicht vibrierte. Jemand musste Jeffs Büro betreten haben. War es vielleicht sein Partner? Vom Einstellungsgespräch her wusste Mandy, dass Jeff und ein Mann mit dem Namen Jackson Witt seit Jahren Geschäftspartner in dem Bauunternehmen waren. Sie hatte auch erfahren, dass dieses Bauvorhaben bis jetzt das größte Projekt für die beiden Männer war. Nur hatten sie im Augenblick Sorgen, dass die Arbeit in Verzug geraten könnte. Das Büro ersticke förmlich am Papierkram, hatte Jeff ihr gesagt. Die vorige Sekretärin hatte von heut auf morgen gekündigt und ein totales Chaos hinterlassen. Mandy hatte nicht herausgefunden, was der Grund für die
Kündigung gewesen war. Jeff hatte sich seltsam vage darüber geäußert. Sie überprüfte ihr Aussehen im Spiegel. Viel konnte sie mit ihrem wilden Wust von blonden Locken nicht anstellen. Das Haar war einfach nicht zu bändigen. Sie trug ein wenig Lippenstift auf und lächelte ihr Spiegelbild an. Perfekt. Nun kam es noch darauf an, auf Jackson Witt den gleichen guten Eindruck wie auf Jeff zu machen. Sie öffnete die Tür und ging den kurzen Korridor zurück zum Büro. Als sie Stimmen hörte, atmete sie tief durch. Die Begegnung mit dem zweiten Boss – falls er es war, der sich in Jeffs Büro aufhielt – machte sie ein wenig unsicher. „Ich habe den Wagen gesehen und wollte mir den neuen Mann mal ansehen.“ Die tiefe Stimme war laut genug, so dass Mandy sie hören konnte. „Lass die Angelegenheit lieber meine Sache sein.“ Das war Jeffs Stimme, nur klang sie merkwürdig zögerlich. Mandy wunderte sich. „Er ist früh da. Bis zum Feierabend sind es noch einige Stunden. Vielleicht kann er schon heute den Stapel Genehmigungsscheine abarbeiten. Wenn wir nicht bald aufholen, kommt unser gesamtes Projekt in den Rückstand. Und das geht einfach nicht!“ Mandy blieb in der geöffneten Tür stehen. Der Mann, der so lässig neben Jeffs Schreibtisch stand und einen Stapel Postsendungen durchsah, war groß, dunkel und schien seine Ungeduld nicht zähmen zu können. Mandy starrte ihn an. Sie war eins sechzig groß, also war sie es gewohnt, dass die meisten Männer sie überragten. Dieser Mann hier maß jedoch mindestens einen Meter fünfundachtzig und hatte auffallend breite Schultern. Von seinem T Shirt waren die Ärmel herausgerissen, und die Muskeln seiner sonnengebräunten Arme waren wirklich bemerkenswert, wie Mandy fand. Er war es gewohnt, Befehle zu erteilen, das sah man ihm an. Sogar jetzt, wo er sich nur damit beschäftigte, die Post durchzusehen. Aus den Augenwinkeln bemerkte er eine Bewegung. Er blickte hoch, musterte Mandy argwöhnisch und erkannte auf den ersten Blick, dass hier etwas nicht stimmte. Mit hochgezogener Braue drehte er sich zu Jeff um. Seine stumme Frage war klar. Jeff zuckte die Schultern. „Ich bin nicht dazu gekommen, es dir zu sagen. Wir haben eine Sekretärin, keinen Sekretär.“ „Was zum Teufel soll das heißen, du bist nicht dazu gekommen, es mir zu sagen? Du bist seit vier Tagen aus Denver zurück! Sag mal, Jeff, hast du den Verstand verloren? Das Letzte, was wir hier brauchen, ist eine Frau. Wir haben dreiundfünfzig Männer auf Hochtouren, und wir können es uns nicht leisten, dass auch nur einer sich nicht voll auf seinen Job konzentriert, weil er mit einer Blondine herumtrödelt. Wer weiß, wie lange es noch dauert, bis das Wetter umschlägt! Sieh zu, wie du sie wieder los wirst!“ Er warf die Post auf den Schreibtisch und verließ schnurstracks das Büro, ohne Mandy auch nur eines zweiten Blickes zu würdigen. Die Tür knallte so heftig zu, dass der Wohnwagen erzitterte. „Du meine Güte!“ stieß Mandy hervor und sah Jeff dabei an. „Wer war das?“ Eigentlich hatte sie keinen Zweifel, wer dieser aufgeregte Mann war. Und das bereitete Mandy Sorgen. „Mein Partner, Jackson Witt.“ Jeff lächelte spöttisch. „Bellende Hunde beißen aber bekanntlich nicht. Der beruhigt sich wieder.“ „Ich habe meinen Job sowie mein Apartment aufgegeben und fast alles, was ich besitze, in einem Lager untergestellt, um diese Arbeit hier anzutreten“, sagte Mandy. Die Sorge, die sie beschlichen hatte, wuchs sich zur Angst aus. Wie begeistert
war sie gewesen, dass sie Denver verlassen konnte. Dass sie ihr Leben von Grund auf ändern konnte. Dass sie die Brücken hinter sich abbrechen konnte. Wenn sie diese Stellung verlor, was würde sie dann bloß tun? Sie brauchte diesen Job! Jeff erhob sich. „Machen Sie sich keine Sorgen. Jackson wird seine Meinung ändern. Sie bleiben. Dieser Schreibtisch ist Ihrer.“ Er zeigte auf den Schreibtisch gleich am Fenster, auf dem sich Stöße von Schnellheftern und ungeöffneter Post sowie Rollen von Blaupausen stapelten. Nicht genug damit. Auch auf dem Stuhl häufte sich das Durcheinander von unerledigten Papieren und sogar auf der langen Fensterbank dahinter. Auf dem Boden hatte sich ebenfalls ein stattlicher Haufen angesammelt. Es war das reinste Schlachtfeld. „In einem Punkt muss ich Jackson Recht geben. Wir müssen dieses Chaos wieder in Ordnung bringen, damit wir dranbleiben. Pete hat uns im Stich gelassen, unerwartet und als wir ihn am meisten brauchten.“ Jeffs Stimme klang ein wenig scharf, als er hinzusetzte: „Ich weiß, wir haben uns über die Zeit der Anstellung abgesprochen – zwei Monate mindestens. Wir müssen jedoch sichergehen, dass Sie bleiben, bis wir für den Winter die Arbeit einstellen. Der Papierkram muss aufgearbeitet werden.“ „Ich gehe nirgendwohin“, versprach Mandy und ging zu dem Schreibtisch, um sich die diversen Stapel näher anzuschauen. Frage war nur, würde Jackson Witt sich Geltung verschaffen und sie wieder wegschicken? Oder konnte Jeff sich gegen ihn durchsetzen und ihr den Job garantieren? „Ich möchte die Lebensmittel einräumen. Das eine oder andere muss in den Kühlschrank“, sagte sie. „Danach kann ich sofort beginnen.“ „Morgen früh reicht auch“, erwiderte Jeff ruhig. „Ich denke, es ist besser, ich fange gleich heute an“, erklärte Mandy entschieden. „Und wenn ich auch nur den Kram hier sortiere.“ Und mich gleich bewähre, damit Mr. Witt seine Worte schnell wieder zurücknimmt. Jackson war wütend auf Moose Higgins. Wenn es um die Bedienung eines Krans ging, konnte man Moose nicht viel vormachen – außer wenn er abgelenkt wurde. „Das ist das vierte Mal. Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass Sie auf die Grenze der Rodung achten sollen. Fast hätten Sie diese Bäume umgehauen. Ich kann es mir nicht leisten, dass dieser Kran außer Betrieb gesetzt wird. Wir hinken sowieso schon eine ganze Woche hinterher.“ „He, Boss, ist doch nichts passiert. War dicht davor, hab es aber verhindern können.“ Jackson war nicht zu beruhigen. „Tun Sie so etwas nicht wieder!“ Moose zuckte die Schultern und setzte den schweren Kran vorsichtig wieder in Bewegung. Moose war ein großer, kräftiger Mann, und er hatte das Talent, die schwere Maschine mit der feinen Geschicklichkeit eines Chirurgen zu bedienen. Jackson wusste davon und achtete ihn auch deswegen. Die Schuld lag bei ihm selbst. Er war wütend auf Jeff und ließ es an Moose aus. Verdammt, was hatte sein Partner sich dabei gedacht? Sie waren im Rückstand im Arbeitsplan, im Rückstand in der Büroarbeit, hatten bereits mehrere tausend Dollar Verlust, und das alles dank Petes Veruntreuung. Um die Dinge auf die Spitze zu treiben, musste Jeff nun auch noch eine Frau einstellen. Und eine kleine, durch und durch weibliche Frau auch noch dazu! Er stürmte wieder zum Büro, riss die Tür auf und blieb abrupt stehen. Keiner war da, und das Telefon klingelte ununterbrochen. Wo war Jeff? Jackson nahm den Hörer ab, während er suchend aus dem Fenster schaute. „Witt“, meldete er sich kurz angebunden. Er sah das Auto der Frau neben dem
dritten Wohnwagen geparkt. Was tat sie dort? Und noch dazu beim unbewohnten Wohnwagen? Ein böser Gedanke drängte sich ihm auf. Nein! Jeff würde das nicht wagen! „Witt? Barton hier. Wir sind mit Ihrer letzten Bauholzbestellung in Schwulitäten geraten“, meldete sich die Stimme am anderen Ende der Leitung. Jackson konzentrierte sich auf das Gespräch. Er würde sich mit der Situation um die Sekretärin später befassen. Zunächst mal musste er das neueste Problem mit Miles Barton klären. „Es genügt mir völlig.“ Mandy schaute sich in dem kleinen Wohnwagen um. Er kam einem winzigen Apartment gleich. Der Wohnraum ging in eine Essecke und eine klitzekleine Küche über. Der Korridor glich dem im Büro und führte zu einem Bett sowie zum Bad. Aus einem der Seitenfenster sah sie den Wohnwagen nebenan. Aus dem hinteren Fenster hatte sie immerhin einen überwältigenden Blick auf die majestätischen Berge rundum. Und sie erhaschte sogar einen Schimmer vom See. „Ich bringe Ihnen die Sachen herein.“ Während Mandy die Lebensmittel verstaute, trug Jeff ihren Koffer und zwei Kartons in den Schlafraum, der eigentlich mehr eine Schlafnische war. „Ich packe später aus“, erklärte Mandy. „Ich möchte wirklich gleich mit der Arbeit anfangen.“ „Wollen Sie sich nach der langen Fahrt nicht ein wenig ausruhen?“ „Nicht unbedingt. Ich bin ja bloß gefahren, habe also den ganzen Weg nur gesessen.“ Sie sagte das mit dem Hintergedanken, Jeffs Partner keinen Grund zu geben, sie zu entlassen. Denn der alleinige Grund, dass sie eine Frau war, würde nicht genügen. Da hätte sie das Gesetz auf ihrer Seite. Nur wenn sie etwas arg vermasselte, könnte sie gefeuert werden. Und sie hatte nicht vor, so etwas zu tun. „Mit all den Männern hier herum sollten Sie ein wenig vorsichtig sein“, riet Jeff ihr auf dem Weg zum Büro. „Einige dieser Burschen sind Einzelgänger, sind deshalb schlecht zu beurteilen.“ „Ich halte mich zurück“, versprach Mandy. Als sie das Büro betraten, wühlte Jackson Witt gerade in den Stapeln von Papieren. In seiner lässigen Kleidung wirkte er aufreizend männlich, fand Mandy. „Kann ich Ihnen helfen?“ fragte sie gelassen. Sie kannte sich in Psychologie nicht besonders gut aus, aber so viel wusste sie, dass ihn auch nur eine Andeutung von Besorgnis auf die Palme bringen würde. Jackson drehte sich abrupt zu ihr um und musterte sie aus zusammengekniffenen Augen. Er schien gar nicht richtig wütend zu sein. Vielleicht gehörte dieser finstere Ausdruck ja einfach zu ihm. „Warum sind Sie immer noch hier? Wir zahlen Ihnen die Anreise sowie jede Unannehmlichkeit, die es Sie gekostet hat. Sie könnten noch den nächsten Ort erreichen, bevor es dunkel ist.“ „Es hat keine Unannehmlichkeit gegeben. Ich bin gekommen, um hier zu arbeiten. Und ich werde meine Arbeit erledigen.“ Mandy ging zu ihrem Schreibtisch und setzte sich, obwohl ihr dabei ganz schön mulmig zu Mute war. Jeff war in der Tür stehen geblieben. Sagte aber kein Wort. „Sie sind schwanger?“ Die Frage kam wie aus der Pistole geschossen. Jackson starrte ungläubig auf ihren eigentlich kaum auffälligen Bauch. „Fast im sechsten Monat. Machen Sie sich keine Sorgen, es ist nicht ansteckend. Und es behindert mich nicht in meinen Fähigkeiten.“ Er wirbelte zu Jeff herum. „Du hast eine schwangere Frau eingestellt und lässt sie auch noch hierher in die Einöde kommen? Ich kann’s nicht fassen! Bist du
übergeschnappt?“ „Sie hat Erfahrung in der Bauindustrie. Sie ist qualifiziert, und sie wird sich rasch einarbeiten. Das allein ist ein großes Plus. Sie wird im Büro und nicht auf dem Bau arbeiten. Sie braucht sich also nicht körperlich anzustrengen. Und tu nicht so, als ob wir genug Bewerber gehabt hätten, um wählen zu können. Oder dass die Leute im Umkreis von dreißig Meilen der Arbeit hier auf dem Baugelände entgegenfiebern. Wenn auch nur für zwei Monate.“ Das brachte Mandy völlig aus der Fassung. Sie war so sicher gewesen, dass sie Jeff mit ihrer Erfahrung beeindruckt hatte. Und sie hatte gehofft, er würde glauben, mit ihr die beste Entscheidung getroffen zu haben. Mandy fühlte sich in ihrem Stolz tief gekränkt. Sie stand auf. „Geben Sie mir eine Woche“, verlangte sie mit erhobenem Kopf. „Wenn Sie dann mit meiner Arbeit nicht zufrieden sind, gehe ich und verzichte auf den Lohn.“ Jackson machte ein finsteres Gesicht. Jeff machte ein finsteres Gesicht. „Nein.“ Jacksons glatte Absage kam ohne jedes Zögern. Einen Kompromiss von seiner Seite durfte Mandy nicht erwarten. Er warf ihr einen Blick zu, der ihr einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Dabei wollte sie gerade ihm beweisen, dass sie den Job sehr wohl bewältigen konnte. „Das wäre nicht fair Ihnen gegenüber, Mandy“, protestierte Jeff. „Ich denke, dass es fair ist. Wenn Sie mit meiner Arbeit zufrieden sind, bleibe ich, und Sie geben mir einen Bonus. Fair genug?“ Mandy ging ein Risiko ein, doch sie brauchte den Job ganz dringend. Sie blickte Jackson einen endlosen Moment lang direkt in die Augen. Er war es, den sie überzeugen musste. „Heute haben wir Dienstag. Sie haben bis Freitag Zeit. Dann gehen Sie“, entschied Jackson und schlug als Erster die Augen nieder. Er drehte sich zu Jeff um und starrte ihn wütend an. „Das nächste Mal führe ich die Einstellungsgespräche.“ „Es wird kein nächstes Mal geben“, murmelte Mandy und fing an, die endlosen Rollen Blaupausen zu sortieren. Als ihr Magen nicht aufhörte zu knurren, beschloss Mandy, für diesen Tag Schluss zu machen! Sie schaute aus dem Fenster und bemerkte erst jetzt, dass die Männer längst Feierabend gemacht hatten. Die Geräusche der schweren Maschinen waren schon lange verstummt, auch das Jaulen der Sägen und das Hämmern. Sie warf einen letzten prüfenden Blick auf den Schreibtisch. Sie war alles durchgegangen, hatte die Papiere sortiert, unzählige Anrufe beantwortet und sogar ein Problem mit einem Lieferanten gelöst. Und sie war das Ziel von neugierigen Bauarbeitern gewesen, die eine dumme Entschuldigung nach der anderen fanden, um im Laufe des Nachmittags im Büro vorbeizugucken. Alles in allem konnte sie zufrieden sein. Sie hatte gute Arbeit geleistet. Mandy verließ das Büro. Die frische Luft war angenehm, wenn auch kühl. Die Sonne war bereits hinter dem Gebirgskamm versunken, und das Tal lag in tiefem Schatten. Als sie ihren Wohnwagen erreichte, atmete sie erleichtert auf. Bis morgen früh um acht Uhr war sie sich selbst überlassen. Die Tür des ersten Wohnwagens öffnete sich, und Jackson kam heraus. Er kniff die Augen zusammen, als er Mandy sah, sagte aber nichts und ging einfach weiter den schmalen Pfad zum See hinunter, so als ob es sie nicht gäbe. Stolz hob Mandy den Kopf. Warum sollte sie sich etwas daraus machen? Von ihr aus konnte er sich außerhalb der Arbeit so ungehobelt geben, wie er wollte. Es
handelte sich ja nur um zwei Monate. Sie würde sich gleich ans Auspacken machen, dann wollte sie sich durch ein langes Bad entspannen und anschließend eine Kleinigkeit essen. Vor der Schlafenszeit wollte sie noch ein wenig lesen. Es war ein langer Tag gewesen – voller Aufregung und harter Arbeit. Jackson spazierte am See entlang. Er mochte diese einsamen Stunden. Sara, du würdest es hier mögen, dachte er zum hundertsten Mal. Der vertraute Schmerz stellte sich wieder ein. Es war in diesen Abendstunden, wenn die Dämmerung hereinbrach, dass er Sara so besonders vermisste. Sie hatten es sich zur Angewohnheit gemacht, jeden Abend vor dem Essen – nur sie zwei – einen Drink zu nehmen. Sogar nachdem Sammy geboren war, war es für sie beide der Moment gewesen, wo sie alles besprachen, was sie den Tag über erlebt hatten. Es hatte sie beide glücklich gemacht, einfach beisammen zu sein und den Rest der Welt auszuschließen. Der Schmerz würde größer werden, während die Nacht sich dahinzog. Das alles war drei Jahre her, doch es hätte genauso gut drei Minuten oder drei Jahrzehnte her sein können. Ohne seine Frau fühlte Jackson sich wie amputiert. Der beste Teil von ihm war weg. Er konnte die Augen schließen und sie vor sich sehen. Groß und schlank, mit dunklen Augen und glatten dunklen Haaren. Sie war fast so groß gewesen wie er, wenn sie hohe Absätze trug. Sie hatten einander seit der fünften Schulklasse gekannt. Ihre Neigungen waren die gleichen, ihre Gedanken gingen in die gleiche Richtung. Sogar ihre Träume stimmten überein. Es gab Tage, wo er glaubte, ohne Sara nicht weiterleben zu können. Ohne sie und ohne Sammy. Er schloss die Augen und konnte ihre süße Stimme hören… „Mr. Witt, ich habe ein Problem mit dem Wasser. Und ich kann Jeff nicht finden. Könnten Sie das in Ordnung bringen?“ Jackson öffnete die Augen und drehte sich um. Statt Saras dunkler Schönheit fand er sich der kleinen Blondine gegenüber, die Jeff eingestellt hatte. Der kleinen schwangeren Blondine, die kaum bis zu seinen Schultern reichte. Er fühlte sich irritiert. Was wollte sie hier auf seinem Abendspaziergang? Er wusste immer noch nicht, warum er ihr bis Freitag Zeit gegeben hatte. Sie hätte sich stehenden Fußes wieder auf den Weg nach Julian machen sollen.
2. KAPITEL „Was wollen Sie?“ „Ich bekomme kein heißes Wasser in meinem Wohnwagen. Ich habe an Jeffs Tür geklopft. Ich wusste von ihm, dass sein Wohnwagen neben meinem steht, aber er ist nicht da. Und ich kenne niemanden, den ich fragen könnte. Außerdem möchte ich das auch gar nicht. Sie könnten sonst womöglich auf den Gedanken kommen, ich flirte mit einem der Männer.“ Jackson musterte sie von Kopf bis Fuß. Ihr Anblick irritierte ihn mächtig. Auch die Schärfe in ihrer Stimme. Nun gut, sie hatte ja Recht. Er oder Jeff, einer von ihnen sollte sich wirklich darum kümmern. „Wahrscheinlich muss bei Ihrem Wohnwagen ein neuer Propantank angeschlossen werden.“ Sie sah ihn an und wartete. Ihre Augen waren im Dämmerlicht dunkler als sonst. Nicht so tiefbraun wie Saras Augen, sondern marineblau. Marineblaue Augen? Es musste am Licht des Sonnenuntergangs liegen, oder er litt an der Höhenkrankheit. War er noch zu retten? Sie hatte einfach blaue Augen. Punkt. Aus. Jackson musste ihr wohl oder übel helfen. Er nahm den Weg zurück am See entlang. Obwohl er sie nicht hier haben wollte, würde er den verdammten Heißwasserbehälter in Ordnung bringen. Eine schwangere Frau brauchte warmes Wasser. Er ging schneller, ohne auf Mandy Rücksicht zu nehmen. Erst als ihm bewusst wurde, dass sie fast rannte, um mit ihm Schritt zu halten, blieb er stehen. Mandy war völlig außer Atem. „Sie müssen nicht rennen“, bemerkte er abweisend. „Ich möchte dabei sein, wenn Sie den Heißwasserboiler in Ordnung bringen. Sollte ich wieder mal vor dem Problem stehen, dann möchte ich mich selbst darum kümmern können.“ „Vor Freitag wird es kein Problem mehr geben.“ Mandy begegnete seinem Blick. „Ich meinte nach Freitag. Wenn ich noch hier bin und meine Arbeit mache.“ Jackson lächelte verhalten. Sie war ganz schön hartnäckig, das musste er ihr zugestehen, wenn auch sonst nichts. Er hatte keine Zeit für Lohnempfänger, die in der Arbeit auf irgendeine Weise beeinträchtigt waren. Morgen würde er ihr klar machen, dass sie mit dem Job überfordert war. Und er würde dafür sorgen, dass sie noch vor Sonnenuntergang fort sein würde. Mandy blieb bis zum Wohnwagen dicht an seiner Seite. Er nahm den blumigen Duft wahr, der Mandy Parkerson anzuhaften schien. Der Duft war leicht und zart – wie sie. Ihm wurde plötzlich klar, wie sehr er im Laufe der letzten drei Jahre die Gegenwart einer Frau vermisst hatte. Und wie lange die Jahre sich ausdehnten, die leer und einsam vor ihm lagen. Er hatte Saras und Sammys Tod nicht verwinden können. Den einzigen Trost fand er in der Arbeit. Und je mehr Arbeit er sich aufhalste, desto besser wurde er mit dem Schmerz fertig. Er war mit Jeff eine Teilhaberschaft bei dem neu gegründeten Bauunternehmen J&J eingegangen. Und er – mehr als Jeff – hatte es zu der Größe geführt, die es inzwischen hatte. Er hatte keine Zeit für irgendwelche Beziehungen, und ganz sicher hatte er nicht vor, sich jemals wieder mit einer Frau einzulassen. In knapp fünf Minuten hatte er einen neuen Propangasbehälter zu ihrem Wohnwagen gebracht, hatte ihn am Heißwasserboiler angeschlossen und den Brenner eingestellt.
Sobald er das Zischen hörte, das darauf hinwies, dass der Heißwasserboiler funktionierte, drehte er sich um – und stieß mit Mandy zusammen. Sie hatte ihm die ganze Zeit bei der Arbeit zugesehen und ihm erstaunlich intelligente Fragen gestellt. „Es dauert noch eine Weile, bis das Wasser heiß wird“, erklärte er und wollte so schnell wie möglich verschwinden. Die Beengtheit in dem Wohnwagen machte ihn nervös. Warum machte sie keinen Schritt zurück? „Ich weiß. Ich esse zuerst, dann dusche ich.“ Mandy seufzte leicht. „Ich habe so darauf gehofft, ein langes, heißes Bad zu nehmen. Doch hier gibt es nur eine Dusche.“ Sie lächelte, und endlich trat sie zur Seite und ließ ihn wieder frei atmen. Jackson wollte nichts als hier heraus, bevor er eine Dummheit beging. Er hatte eine Badewanne in seinem Wohnwagen – die einzige im Camp, wenn er sich recht erinnerte. Den Bruchteil einer Sekunde lang war er drauf und dran gewesen, ihr anzubieten, darin ihr Bad zu nehmen. Gerade rechtzeitig kam er jedoch zur Einsicht. Er wollte diese Mandy Parkerson nicht hier haben, und es fehlte ihm noch, sie mit seiner Höflichkeit zum Bleiben zu ermuntern. „Wir fangen mit der Arbeit um acht Uhr an“, sagte er schroff. „Ich werde pünktlich sein. Danke, dass Sie mir den Heißwasserboiler in Ordnung gebracht haben.“ Mandy begleitete ihn zur Tür und schloss hinter ihm ab. Wenig später stand Mandy unter der Dusche. Den Kopf im Nacken ließ sie das warme Wasser über sich strömen. Wäre nett, im See zu schwimmen, dachte sie. Doch im Spätseptember war der See im Hochland von Colorado zu kalt. Als das heiße Wasser so gut wie aufgebraucht war, schaltete sie die Dusche aus und trat aus dem winzigen Baderaum. Nachdem sie sich abgetrocknet und ihr Haar lange genug gerubbelt hatte, zog sie ihr Nachthemd aus kuscheligem Flanell über. Sie hatte es extra für die kalten Nächte in den Bergen gekauft. Während sie ihr Haar kämmte, überlegte sie, ob sie es föhnen sollte. Ihr Haar würde sich so oder so locken, also konnte sie sich die Zeit dafür schenken. Sie schlüpfte unter die Bettdecke, knipste das Licht aus, ohne zu lesen, wie sie es eigentlich vorgehabt hatte. Sie wollte einen guten Nachtschlaf haben. Sie hatte so eine Ahnung, dass sie am nächsten Tag all ihre Kräfte brauchen würde, um ihrem kritischen Arbeitgeber zu beweisen, dass sie die perfekte Sekretärin war. Es war seltsam, aber sie hielt Jackson für einen ehrlichen Mann. Für einen Mann, der zu seinem Wort stand. Und sie zweifelte nicht daran, dass, wenn sie sich als erfolgreich erwies, er sie bis zur Stilllegung des Betriebs im Winter bleiben lassen würde. Sie musste lächeln. Er hatte ihr heute Abend nicht helfen wollen, aber er hatte es dennoch getan. Er hatte ihr geduldig jede Frage beantwortet, obwohl er ihr ausdrücklich zu verstehen gegeben hatte, dass ihr Wissen um den Wasserboiler oder den Propangasbehälter unnütz sei, da sie nach dem kommenden Freitag nicht mehr da sein würde. Als Jackson am nächsten Morgen das Büro betrat, war Mandy bereits am Telefon und verhandelte mit der Bauaufsichtsbehörde des Bezirks. Sie hatte Jackson auf dem Weg zum Bürowagen hoch oben auf dem Gerüst des Hauptgebäudes gesehen, ohne von ihm gesehen zu werden. Er war in ein Gespräch mit zwei Arbeitern vertieft gewesen. Ganz offensichtlich hatte er keine Angst so hoch oben auf den Balken. Jackson war überrascht, als er Mandy bereits am Schreibtisch sitzen sah und telefonieren hörte. „Es ist kurz nach acht. Wenn er um die Mittagszeit hier sein könnte, würde das
reichen“, sagte sie der Frau am anderen Ende der Leitung. Mandy versuchte, sich auf das Gespräch zu konzentrieren und Jackson zu ignorieren, was nicht leicht war. Denn bei seinem Eintreten war ihr gewesen, als ob ein Funke von ihm auf sie übersprang. So, als ob die Luft plötzlich wie elektrisch aufgeladen wäre. Als die Frau von der Baubehörde schließlich einwilligte, lächelte Mandy triumphierend. „In Ordnung. Ich gebe den Bescheid weiter, dass er um ein Uhr rüberkommt.“ Damit legte sie auf. „Worum ging’s?“ fragte Jackson kurz angebunden und setzte sich hinter seinen Schreibtisch. Mandy spürte förmlich, wie sehr er sein Temperament zügeln musste. Einen Moment lang brachte sie das aus der Fassung. Dann lächelte sie vor Freude über die gute Nachricht, die sie ihm geben konnte. „Es war die Bauaufsichtsbehörde. Um ein Uhr wird der Inspektor hier sein.“ „Und wie haben Sie dieses Meisterstück zu Stande gebracht?“ Er wandte den Blick nicht von ihr. „Ganz einfach. Ich wusste, an wen man sich wenden muss und wie man den Behörden Druck macht.“ Jackson starrte sie eine ganze Weile an. Es verschlug Mandy den Atem. Sie konnte nicht wegschauen und fühlte sich ihm wie ausgeliefert. Dann nickte er abrupt, und als das Telefon klingelte, schnappte er sich den Hörer. Von da ab konzentrierte Mandy sich auf das, was sie zu erledigen hatte, und nicht auf ihren ungläubigen Vorgesetzten, mit dem sie den engen Raum teilen musste. Trotz der Spannung, die den ganzen Morgen über nicht nachließ, war es Mandy möglich gewesen, eine ganze Menge Arbeit zu erledigen. Doch auch während sie die Rückstände aufarbeitete, war sie sich Jackson Witts Nähe immer bewusst gewesen. Die Art und Weise, wie er sich mit den Fingern durchs Haar fuhr, war eigentlich nichts, was bemerkenswert hätte sein dürfen, und doch nahm Mandy es jedes Mal wahr, wenn er es wieder tat. Sein Haar war fast schwärz und sehr voll. Und wenn er es wieder mal unabsichtlich verwuschelte, wirkte es auf sie irgendwie… ja, eindeutig sexy. Reiß dich zusammen, Mandy, rief sie sich zur Ordnung. Doch wenn er am Telefon mit seiner tiefen Stimme sprach, überrieselte sie ein angenehmer Schauer, obwohl sie sich einzureden versuchte, dass es wohl eher von der Zugluft herrührte. Jeder, der hereinkam, vergaß nämlich grundsätzlich, die Tür zu schließen. Wenn er über etwas die Stirn runzelte, war Mandy froh, dass der Blick, der dem Stirnrunzeln folgte, nicht auf sie gerichtet war. Trotzdem beschleunigte sich ihr Herzschlag. Wie mochte er wohl aussehen, wenn er lächelte oder gar lachte? Um zehn Uhr kam Jeff ins Büro. Er war mit einem der Maurer auf der anderen Seite des Baugeländes die Baupläne durchgegangen. Mandy atmete erleichtert auf. Jetzt, wo sie zu dritt waren, würden die dummen Fantasien hoffentlich aufhören. Doch das war ein Irrtum. Mandy konnte sich nicht völlig entspannen. Die Sinnlichkeit, die von Jackson ausging, machte ihr auch weiterhin zu schaffen. Blieb er auch sonst den ganzen Tag im Büro? Wurde er denn nicht auf dem Baugelände gebraucht, um irgendwas zu beaufsichtigen? Blieb er nur heute so lange hier, um sie im Auge zu behalten? In der Hoffnung, einen Fehler zu finden und sie sogar früher als Freitag loszuwerden? Sie würde verrückt werden, wenn sie jeden Tag mit ihm auf so engem Raum acht
Stunden verbringen müsste. „Es ist zwölf. Wann wollen Sie zum Lunch gehen?“ fragte er unvermittelt. Mandy schaute von dem Stapel Rechnungen hoch, die sie sich gerade zum Bearbeiten herangezogen hatte, und warf einen Blick auf ihre Uhr. Der Morgen war im Nu vergangen. „Um zwölf ist Essenspause?“ Er nickte. Die Stille draußen bewies, dass die Männer ihre Arbeit unterbrochen hatten. Mandy stand auf, fuhr glättend über ihr dunkelblaues Kleid und nahm ihre Tasche. „Um eins bin ich zurück.“ „Wenn Sie zurück sind, erledigen Sie bitte diese Anrufe“, verlangte er und hielt einen kleinen Stapel Notizzettel mit hinterlassenen Telefonnachrichten hoch. „In Ordnung.“ Jeff lächelte, tat aber so, als ob er sich mit der auf seinem Schreibtisch ausgebreiteten Blaupause beschäftigte. Jackson warf ihm einen bösen Blick zu. „Was ist denn so komisch?“ Sein Partner schaute hoch und schüttelte den Kopf. „Ich dachte, dass du Mandy nicht hier haben wolltest. Und nun überträgst du ihr sogar Arbeit.“ „Wollte einfach mal sehen, wie sie sich beim Abwickeln von Telefonaufträgen macht.“ Mandy fühlte sich keineswegs beleidigt bei seinen Worten. Eher erheitert. Taute Jackson auf, wie Jeff es vorausgesagt hatte? Diese eine Anweisung von ihm genügte allerdings noch nicht, um das zu beurteilen. Jackson blickte vom Arbeitsplan für die kommende Woche hoch und nickte kurz, als Mandy Punkt ein Uhr vom Lunch zurückkam. Die neue Sekretärin fing an, ihn neugierig zu machen. Er war sicher gewesen, dass sie sich durch den Wust von Papieren niemals würde durcharbeiten können, dass sie mit tausend Fragen ankäme und mit jedem Kerl flirten würde, der das Büro betrat. Bis jetzt hatte diese zerbrechlich wirkende Blondine es allerdings geschafft, dass ein Inspektor noch am selben Tag zu ihnen auf den Bauplatz herauskam, hatte in null Komma nichts Ordnung in das Durcheinander auf ihrem Schreibtisch gebracht und kein einziges Mal geflirtet. Machte sie einem nur etwas vor, oder war sie tatsächlich so? Und waren diese Locken und Wellen natürlich? Musste wohl so sein. So oft, wie sie das unbändige Haar ungeduldig zurückgestrichen hatte, konnte es wohl kaum eine missglückte Dauerwelle sein. Blond hatte eine breite Skala von Schattierungen. Ihr Haar war eine Mischung von Gold, Weizengelb und Honig und fiel ihr bis auf die Schultern. Vielleicht sollte sie es so kurz schneiden lassen, wie Sara es getragen hatte – kurz und glatt. Oder würden diese Locken sich widersetzen? Fühlten sie sich so seidenweich an, wie sie aussahen? Jackson blickte weg. Was zum Teufel war in ihn gefahren? War er noch bei Trost, über das Haar einer Frau zu spekulieren? Er stand abrupt auf, verließ den Raum und warf die Bürotür hinter sich zu. Noch bevor er sich entschließen konnte, ob er eine Kleinigkeit essen oder erst herausfinden sollte, wo Jeff steckte, bemerkte er den Wagen des Bezirksamtes, der auf das Baugelände zusteuerte. Gerade zur rechten Zeit, dachte er. Nun musste er sich auf die bevorstehende Inspektion konzentrieren. Er wollte nicht mehr an Mandy Parkerson und ihre ungebändigten Locken denken. Oder an ihre blauen Augen. Oder an ihr verdammt sonniges Lächeln. Der Freitag war ihr letzter Tag hier, basta. Um fünf Uhr war Mandy froh, dass der Arbeitstag vorüber war. Er war hektisch gewesen, doch die Arbeit war prima gelaufen. In wenigen Minuten würde sie in
bequeme Kleidung schlüpfen und vor dem Abendessen noch einen kurzen Spaziergang machen. Und sie würde wieder früh zu Bett gehen. Es würde wohl noch einige Tage dauern, bis sie sich an das hektische Arbeitstempo gewöhnt hatte. Ihr Arzt hatte sie schon vorgewarnt, dass sie schneller als sonst müde werden würde. Wie Recht hatte er gehabt! Sie wünschte Jeff eine gute Nacht und machte sich auf den Weg zu ihrem Wohnwagen. Zwei Männer standen in der Nähe herum, als sie herauskam. „Gute Nacht, Ma’am“, grüßte der eine. Sie lächelte und nickte, erwiderte aber nichts. Die Männer folgten ihr. „Willkommen im zukünftigen Erholungsort“, bemerkte der andere. „Ich bin Bill Frates, und mein Kumpel hier ist Tim Harris.“ „Nett, Sie kennen zu lernen. Ich bin Mandy Parkerson.“ Sie fand, dass es wirklich nett war von den beiden, sich ihr vorzustellen. Sie hatte jedoch nicht die Absicht, irgendwelche Freundschaften zu schließen. Sie wollte ihre Arbeit tun und zu den Mitarbeitern Abstand halten. „Hätten Sie nicht Lust, heute Abend mit uns zu essen?“ lud Bill sie ein. „Es kann sehr einsam sein, wenn man alleine isst.“ Mandy schüttelte den Kopf. „Danke für die Einladung, aber ich habe schon Pläne für den Abend.“ Nur noch einige Schritte bis zu ihrem Wohnwagen… „Wie war’s mit morgen Abend?“ „Wird auch nicht möglich sein.“ Sie holte die Schlüssel aus ihrer Tasche und schloss die Tür auf. „Es war nett, Sie kennen zu lernen“, wiederholte sie höflich, trat ein, machte die Tür hinter sich zu und lehnte sich einen Moment lang dagegen. Ganz sicher hatten die beiden Männer es nur nett gemeint, als sie Mandy zum Essen einluden. Trotzdem, sie hatte nicht vor, irgendeine Beziehung mit irgendjemand einzugehen – auch keine flüchtige. Marcs rücksichtloses Verhalten und seine Treulosigkeit hatten Mandy von romantischen Vorstellungen kuriert. Es gab die Sonntagskinder, die in allen Situationen des Lebens vom Glück begünstigt waren. Sie gehörte nicht zu ihnen. Mandy hatte diese bittere Lektion lernen müssen. Sie wusste, dass sie einem Mann nichts zu bieten hatte. Ihr Vater hatte ihre Mutter verlassen, noch bevor sie geboren worden war. Marc hatte sich abgesetzt, als er erfuhr, dass sie schwanger war. Er hatte sie amüsant gefunden und war gern mit ihr ausgegangen, aber es gehörte nicht zu seinen Zukunftsplänen, eine Verpflichtung einzugehen. Und ein Kind bedeutete Verpflichtung, und eine Ehe mit ihr erst recht. Sie streichelte ihren Bauch. „Eins sollst du wissen, Kleines, ich liebe dich und werde dich immer lieben, egal, wer du auch sein wirst.“ Und Mandy spürte diese Liebe zu ihrem ungeborenen Kind. Ihr Herz wurde ganz weit dabei. Sie würde für ihr Kind sorgen und es niemals im Stich lassen, ganz gleich, wie groß die Not auch sein mochte. Nicht so, wie ihre Eltern es mit ihr getan hatten. Mandy konnte es noch immer nicht begreifen, wie es ihrer Mutter möglich gewesen war, sie, ihre Tochter, als Baby unbekannten Pflegeeltern achtlos zu überlassen. Und als Mandy fünf war, hatte ihre Mutter sie dann ganz weggegeben und den Sozialeinrichtungen überlassen, weil sie angeblich den Unterhalt für sich und ihre Tochter nicht mehr aufbringen konnte. Dann starb sie, und Mandy hatte, bis sie achtzehn wurde, in einem Fürsorgeheim aushalten müssen, wo sie keine Zuwendung und keine Liebe bekam. Bald würde sie jedoch nicht mehr alleine sein. Sie würde ein Baby haben. Und sie
beide würden eine glückliche Familie sein. Zehn Minuten später öffnete Mandy die Tür einen Spaltbreit und warf einen prüfenden Blick hinaus. Die zwei Männer hatten sich verzogen. Sie hatte sich umgezogen und trug zu losen Shorts ein Baumwolltop und ein leichtes Sweatshirt. Es war recht kühl geworden, nachdem die Sonne hinter den Bergspitzen im Westen verschwunden war. Doch als sie losmarschierte, wurde ihr bald warm. Am See lagerte eine Gruppe von Männern, die miteinander redeten und laut lachten. Nicht weit von ihrem Wohnwagen saßen zurückgelehnt vier oder fünf Männer in ihren Liegestühlen und dösten vor sich hin. Mandy winkte ihnen kurz zu, wenn man ihr etwas zurief wie „Guten Abend“ oder „Wie geht’s?“ Sie blieb jedoch nicht stehen. Sie steuerte auf den See zu, wo sie eine Weile ungestört am Ufer entlang spazieren gehen wollte. Nach einem Tag im engen Büro tat es gut, die frische Luft einzuatmen. Kräuselnde Wellen verliefen sich am sandigen Ufer. Im Frühjahr würde das Wasser bis zu der Baumgrenze steigen, vermutete Mandy. Im Spätsommer sank der Wasserspiegel jedoch so weit, dass das Ufer sich verbreitete und fest und trocken war. Mandy ging mit ausholenden Schritten und lächelte vor Zufriedenheit. Der Tag endete perfekt. Sie würde sich dies zur Gewohnheit machen. Das Wasser leckte sanft gegen den Strand. Der Wind raschelte in den Kiefern. Allmählich wurde ihr allerdings kalt. Vielleicht wären Jeans doch besser gewesen als die Shorts. Nach einer Weile hatte sie Mühe zu atmen. Sie fand, dass sie umkehren sollte. Obwohl sie sich wunderte. So außer Form konnte sie eigentlich nicht sein. In Denver hatte sie zur Arbeit jeden Tag mehr als drei Meilen zu Fuß zurückgelegt. Und dieser Ort hier lag nicht in einer solchen Höhe, dass man davon Atembeschwerden bekommen konnte. Auf dem Rückweg fühlte sie sich irgendwie nicht wohl. Ihr war übel, schwarze Punkte tanzten vor ihren Augen, und sie rang nach Luft. Ein scharfer Schmerz zuckte durch ihren Kopf. Sie wollte nichts dringender, als zurück in ihrem Wohnwagen sein und sich hinlegen. In der Nähe sah sie einen abgefallenen Ast, wollte sich darauf setzen und eine Weile ausruhen. Doch sie zwang sich weiterzugehen, denn es wurde rasch dunkel. Die Männer standen noch immer in der Nähe des Wassers, tranken ihr Bier, lachten und entspannten sich von einem harten Tag. Mandy wollte einen großen Bogen um sie machen. Doch plötzlich stolperte sie. Sie streckte gerade noch die Arme aus, um sich im Fallen abzustützen. Dann wurde ihr schwarz vor Augen.
3. KAPITEL „Hey, Boss, kommen Sie schnell. Wir haben ein Problem!“ Bill Frates kam
angerannt und rief Jackson, sobald er ihn entdeckt hatte.
Jackson blickte ihn mit gerunzelter Stirn an. Es musste etwas Ernstes sein. Die
Männer kannten die ungeschriebene Regel, ihren Vorgesetzten während der
Arbeitsruhe nicht zu stören.
„Was für ein Problem?“
„Die neue Sekretärin ist gestürzt. Sie ist bewusstlos.“
„Sie ist gestürzt? Wie konnte das passieren?“ fragte Jackson besorgt. Hoffentlich
war es nichts Ernstes. Sie waren eine gute halbe Stunde Autofahrt von Julian
entfernt. Hatte der Ort überhaupt einen Helikopter für Notfälle?
Er eilte mit Bill zum See hinunter. „Wir waren n’ ganzer Haufen da unten und
sahen sie zurückkommen. Und plötzlich fiel sie und rührte sich nicht mehr.“
„Verdammt!“ Jackson sah die Ansammlung von Arbeitern und rannte die letzten
Meter.
Die Männer ließen Jackson durch. Und da lag die neue Sekretärin auf dem Boden,
mit geschlossenen Augen, angezogenen Knien und ausgestreckten Armen. Tim
kniete neben ihr, rüttelte sie sanft an den Schultern und rief ihren Namen.
Jackson beugte sich über sie und blickte dann in die Runde. „Ist sie über etwas
gestolpert? Wer sah sie fallen?“
„Die meisten von uns, Boss“, antwortete Tom Harmon.
„Wir haben sie beobachtet und darauf gewartet, ob sie vielleicht auf dem
Rückweg mit uns reden würde oder immer noch nicht. Plötzlich schien sie zu
wanken, und dann brach sie einfach zusammen. Sie ist nicht hart gefallen, und
der Boden ist durch die Kiefernnadeln richtig gepolstert.“
Jackson schlug ihr leicht gegen die Wange. „Mandy, wachen Sie auf!“
Ihr Atem ging schnell, und sie war blass. Er hatte keine Ahnung, was mit ihr sein
könnte. Doch was immer es auch sein mochte, die Schwangerschaft
verschlimmerte die Situation.
Er schob seinen Arm unter ihre Schultern, den anderen unter ihre Kniekehlen,
richtete sich auf und hob Mandy hoch.
„Sucht nach Jeff. Er soll die Ambulanz anrufen“, ordnete Jackson an und
marschierte auf das Wohnwagencamp zu. Mandy war leicht. Zu leicht, fand er.
Ihr Kopf lag an seiner Schulter, und er konnte ihren Duft wahrnehmen. Ein
Gefühl rührte sich in ihm, das er jedoch schnell unterdrückte.
Mandy bewegte sich, öffnete die Augen und blinzelte ein paar Mal, während sie
versuchte, sich zu orientieren.
„Was ist passiert?“ Verwirrt blickte sie in Jacksons Gesicht.
„Sie sind gestürzt und bewusstlos geworden“, antwortete er.
Sie rieb sich die Stirn und versuchte, von seinen Armen herunterzukommen.
„Lassen Sie mich runter.“
„Nicht, bevor nicht die Sanitäter da sind.“
„Ich brauche keine Sanitäter. Ich fühle mich gut. Lassen Sie mich runter.“
„Jeff hat die Ambulanz angerufen. Man wird Sie nach Julian bringen.“
„Ich will nicht nach Julian. Ich fühle mich gut!“ Sie drückte die Hände gegen
seine Schultern. „Wirklich, Jackson, das ist mir peinlich. Bitte, lassen Sie mich
runter.“
Er blieb stehen. Der Trupp Männer, der ihnen folgte, blieb ebenfalls stehen.
Langsam ließ Jackson sie herunter, passte aber auf, dass sie nicht wieder
zusammenbrach.
Mandy holte tief Luft und fasste nach seinem Arm. „Ich fühle mich ein wenig
wackelig, mehr nicht. Wenn ich mich hinsetzen kann, wird es mir gleich besser gehen. Wirklich, ich brauche keine Sanitäter.“ Jackson blickte auf einen der Männer und nickte zum Büro hin. „Sag Jeff, dass er die Ambulanz zurückhält, jedenfalls für den Augenblick.“ „Für immer“, murmelte Mandy und schaute in die Runde. Ihre Wangen färbten sich leicht rot. „Du meine Güte“, stieß sie leise hervor. „Ist die gesamte Crew hier?“ „Ich weiß nicht, wer hier ist und wer nicht. Und das ist auch nicht wichtig. Wir gehen jetzt zu Ihrem Wohnwagen. Ich möchte von Ihnen einige Antworten haben.“ Mandy ließ es zu, dass Jackson den Arm um ihre Schultern legte, sonst brauchte sie keine Hilfe. Hinter ihnen zerstreuten sich die Männer allmählich. Bis sie Mandys Wohnwagen erreicht hatten, war keiner von ihnen mehr in Sicht. Mandy holte den Schlüssel aus ihrer Tasche, schloss auf und öffnete die Tür. Jackson folgte ihr, bevor sie dagegen protestieren konnte. „Mir geht es gut. Danke für die Hilfe“, sagte sie und sank auf das Sofa. Sie schloss die Augen und lehnte sich zurück. Ihre Hände hatte sie* auf den Bauch gelegt, als ob sie ihr Baby beschützen wollte. Jackson stand groß und eindrucksvoll vor ihr. Mandy konnte das mehr spüren als sehen, denn sie hielt die Augen immer noch geschlossen, um ihm zumindest ein bisschen gewachsen zu sein. Er hatte eine so überwältigende Ausstrahlung, dass er den Raum auszufüllen schien. „Was ist passiert?“ fragte er mit grimmiger Stimme. „Ich weiß es nicht. Ich habe einen Spaziergang gemacht. Und als Nächstes fand ich mich auf Ihren Armen wieder.“ Sie öffnete die Augen und sah ihn an. Er rieb sich den Nacken. „Sind Sie vielleicht über irgendetwas gestolpert?“ „Nein. Ich habe stechende Kopfschmerzen, wenn das vielleicht ein Hinweis ist. Und die Schmerzen fingen an, bevor ich bewusstlos wurde. Es kann also nicht davon kommen, dass ich mit dem Kopf auf etwas Hartes gefallen bin.“ „Könnte es Höhenkrankheit sein?“ „Glaub ich nicht.“ „Sie sind für uns hier eine Belastung, Mandy Parkerson. Wenn Sie sich nun verletzt hätten? Wie lange würde die Ambulanz brauchen, um hier zu sein? Sie riskieren Ihre eigene Sicherheit und die Ihres Babys. Sie müssen gehen. Sie bekommen den Lohn für die volle Woche.“ Mandy sprang auf die Füße und blickte ihn wütend an. „Hören Sie, Jackson Witt. Sie können mich nicht feuern, da ich nämlich außerhalb der Arbeitzeit gestürzt bin. Ich bin nicht verletzt. Danke für Ihre Besorgnis, doch ich wurde eingestellt, um für Ihr Unternehmen zu arbeiten. Und wenn Sie irgendwelche Schwindeleien als Gründe anführen, um mich hinauszuwerfen, dann verklage ich Sie.“ „Ein Preis, den ich zu zahlen bereit bin, weil ich dann wüsste, dass Sie und Ihr Baby in Sicherheit sind. Es ist hier zu gefährlich für jemanden in Ihrer Verfassung. Ich möchte nicht, dass Ihnen etwas passiert. Wenn Sie schon nicht an sich selbst denken wollen, so denken Sie wenigstens an Ihr Kind!“ Er starrte sie eine ganze Weile an, ehe er sich umdrehte und davonging. Mandy sank mit weichen Knien auf das Sofa zurück. Worum war es Jackson eigentlich gegangen? Fast hatte es sich angehört, als ob er um ihre Sicherheit besorgt wäre. Oder wollte er nur die Haftung möglichst niedrig halten? Jeff klopfte an Mandys Tür, und sie ließ ihn herein. „Hallo, Jeff.“ Sie lächelte gequält. „Ich vermute, Sie haben es mitbekommen.“ „Ja. Ich wollte sehen, wie es Ihnen geht.“ „Ich weiß wirklich nicht, wie das geschehen konnte. Plötzlich war ich einfach
weg.“ Mandy kehrte gleich wieder zum Sofa zurück und setzte sich. Sie fühlte sich immer noch nicht sicher auf den Beinen. „Ich bringe Sie gern nach Julian ins Krankenhaus“, bot Jeff sich an. „Ich setze mich mit meinem Gynäkologen in Verbindung. Ich habe schon davon gehört, dass schwangere Frauen manchmal aus geringem Anlass ohnmächtig werden, obwohl mir das bis jetzt noch nicht passiert ist. Vielleicht ist es aber auch nur eine Reaktion auf die Höhe, wie Jackson vermutet.“ „Sind Sie sicher, dass ich Sie nicht in die Stadt bringen soll, damit ein Arzt Sie gründlich untersucht?“ „Ich möchte zuerst meinen Arzt um Rat fragen. Und ich tue es jetzt gleich.“ Jeff begleitete sie zum Büro, und Mandy setzte sich hinter ihren Schreibtisch, wählte die Nummer ihres Gynäkologen und hinterließ auf dem Anrufbeantworter ihre Nummer. Nachdem sie aufgelegt hatte, schaute sie zu Jeff hoch, der vor ihrem Schreibtisch stand. „Ich warte, bis der Arzt zurückruft. Lassen Sie sich nicht aufhalten. Ich fühle mich gut, wirklich. Ich werde nicht umkippen. Sogar meine Kopfschmerzen lassen langsam nach.“ „Ich bleibe hier. Vielleicht hat Jackson ja tatsächlich Recht. Vielleicht ist diese Arbeit hier wirklich zu viel für eine schwangere Frau“, bemerkte Jeff nachdenklich. „Fangen Sie nicht damit an! Ich finde heraus, warum ich ohnmächtig geworden bin, und verhalte mich entsprechend, damit es nicht wieder geschieht. Ich brauche diesen Job, Jeff. Bitte, feuern Sie mich nicht!“ Oh, wie unangenehm es Mandy war, um ihren Job zu betteln. Dabei konnte sie verstehen, dass man unsicher geworden war, ob sie durchhalten würde. „Ich weiß nicht, Mandy, ob das klappen wird.“ „Es wird klappen.“ Hatten sich Jacksons Zweifel auf Jeff übertragen? Sie brauchte seine Unterstützung! Er setzte sich in seinen Schreibtischsessel, lehnte sich zurück, legte die Füße auf den Schreibtisch und wartete mit ihr auf den Rückruf ihres Arztes. „Werden Sie nach der Geburt Ihres Kindes nach Denver zurückkehren? Oder haben Sie eine andere Bleibe?“ „Ich habe keine Familie und keine Bindungen an Denver.“ Vor allem nicht nach Marcs endgültiger Zurückweisung. „Ich werde mich in Julian umschauen, um herauszufinden, ob ich vielleicht dort wohnen mag. Ich kann mich überall niederlassen. Und – würden Sie im Frühjahr nicht wieder eine Sekretärin brauchen?“ Jeff lächelte. „Möchten Sie denn zurückkommen, wenn wir die Arbeit wieder aufnehmen?“ „Vielleicht.“ „Und das Baby?“ Sie blickte sich um. „Ein Kinderbett würde hier neben meinem Schreibtisch Platz haben. Oder ein Laufgitter. Wie lange werden Sie brauchen, bis das Projekt fertig ist?“ „Ende nächsten Sommers sollte alles stehen, wenn wir es schaffen, den Zeitplan einzuhalten. Tut mir Leid, Mandy, aber Jackson würde es nicht zulassen, dass ein Baby mit auf die Arbeitsstelle kommt. Das ist zu gefährlich.“ „Nicht im Büro.“ „Er wird es nicht erlauben, Kind. Und bei dieser Entscheidung würde ich ihn sogar unterstützen. Ich mache mir sowieso schon Gedanken, ob ich richtig gehandelt habe, Sie hier einzustellen. Vielleicht wäre es klüger, Sie tatsächlich gehen zu
lassen.“ „Ich fühle mich gut“, beharrte Mandy gereizt. Wenn sie nur diesen verdammten Spaziergang nicht gemacht hätte! Das Telefon klingelte. Zehn Minuten später legte Mandy auf und fühlte sich enorm erleichtert. „Der Doktor sagt, dass es sich ganz nach Höhenkrankheit anhört. Ich soll mich nicht überanstrengen und eine Menge trinken. Sollte irgendwas passieren, dann müsste ich sofort einen Arzt hier vor Ort aufsuchen. Ich habe sowieso schon vorgehabt, mir einen Termin in Julian geben zu lassen. Ich tue das gleich morgen früh.“ „Sind Sie sicher?“ fragte Jeff skeptisch. „Ich möchte nicht, dass Ihnen wieder etwas passiert.“ Seine Besorgnis wärmte Mandy das Herz. „Ich fühle mich kräftig genug, um die Arbeit zu tun. Ich bin nicht krank, Jeff. Ich habe alle Brücken hinter mir abgebrochen. Wenn Sie mich rausschmeißen, wo soll ich dann hingehen?“ Sie betete, dass sie mit dieser Taktik beim weichherzigen Jeff ankommen möge. Beim unerbittlichen Jackson Witt würde sie das nicht schaffen. „Jackson hat einfach überreagiert“, setzte sie hinzu. „Was verständlich ist.“ „Wieso?“ „Seine Frau und sein Sohn wurden vor drei Jahren getötet. Wahrscheinlich geht es ihm deshalb darum, dass Ihrem Baby kein Schaden zugefügt wird. Ein Baugelände ist nicht gerade der sicherste Platz auf der Welt. Das müssen Sie zugeben.“ Mandy war wie erstarrt von dem, was sie soeben über Jacksons Familie gehört hatte. Was für eine Tragödie! Einen solch schweren Verlust zu erleiden war für sie unvorstellbar. Unwillkürlich legte sie die Hände schützend auf ihren Bauch. Die schlimmste Angst einer Mutter und eines Vaters war, ein Kind zu verlieren. Und Jackson hatte Kind und Frau verloren. „Wie ist das geschehen?“ „Ein Todesschütze in einer Grundschule. Sara war dort Lehrerin, und Sammy hatte gerade mit der ersten Klasse angefangen.“ Jeffs Stimme klang schwer vor Kummer. „Oh, wie furchtbar!“ Mandy schluckte. Kein Wunder, dass Jackson ein harter Mann geworden war. Seine Familie auf so sinnlose Weise zu verlieren war ein Schicksal, das einen bitter machen musste. Jeff schaute eine ganze Weile aus dem Fenster, ehe er sich wieder Mandy zuwandte. „Das ist der Grund, warum er sich so in die Arbeit stürzt. Um zu vergessen. Um nicht nachdenken zu müssen. Tja, um zu überleben.“ „Wo ist es geschehen?“ „In Fort Collins. Diesen Monat ist es genau drei Jahre her. Jackson war damals mein Vorarbeiter. Danach trieb er uns an, größere Bauvorhaben an entlegenen Plätzen und mit engeren Terminplänen anzunehmen. Er wurde mein Partner.“ Jeff schwieg, und auch Mandy sagte eine ganze Weile nichts. Dann drängte es sie, noch eine Sache zu klären. „Dass ich ohnmächtig wurde, tut nichts zur Sache, Jeff. Ich bin in keiner Gefahr, wenn ich nicht gerade im Baugelände herumlatsche. Bitte, reden Sie mit Jackson. Ich verspreche Ihnen, dass ich mich an Ihre Vorschriften halten werde.“ Jeff sah sie einen Moment lang prüfend an, dann nickte er. „Nun gut, wir wollen sehen, was er dazu sagen wird. Wir sind Partner, Mandy. Ich kann mich nicht einfach über seine Meinung hinwegsetzen.“ Mandy nickte. Ihre Zuversicht hatte einen Knacks bekommen. Eigentlich hatte sie
fest damit gerechnet, dass Jeff sich für sie einsetzen würde. „Ich verstehe.“ Und sie verstand wirklich. Wenn sie an seiner Stelle wäre, würde sie da eine Angestellte haben wollen, die sich als eine Belastung herausstellte? Wohl kaum. Das blassgelbe Kleid, das Mandy am nächsten Morgen anzog, war fließend geschnitten und ausgesprochen weiblich. Sie betrachtete sich im Spiegel und war plötzlich total verunsichert. Kein Wunder, dass Jackson ihre Fähigkeiten anzweifelte. Und kein Wunder, dass er sie für die Arbeit auf einem Baugelände nicht für geeignet hielt. Sie sah aus, als ob sie zu einer Teeparty oder etwas Ähnlichem ginge. Ihr Stil, sich zu kleiden, passte einfach nicht in diese durch und durch männliche Umgebung. Sie zog sich schnell um und wählte ein dunkelgrünes Kleid, das irgendwie sachlicher wirkte. Und sie band ihr Haar hinten zusammen, um so streng wie möglich auszusehen. Mehr konnte sie mit ihrem Haar nicht tun. Weder Jeff noch Jackson waren im Büro, als Mandy eintrat. Sie war dankbar dafür und machte sich sogleich an die Arbeit. Als Erstes überprüfte sie die Rechnungen mit den Kaufverträgen. Dabei fand sie eine Unstimmigkeit bei einem der Verkäufer der Werkzeugfirma Andrews. Um dem auf den Grund zu gehen, holte sie den Aktenordner für diese Firma heraus. Der Ordner war umfangreich, was auf eine jahrelange geschäftliche Beziehung schließen ließ. Mandy ließ nicht locker. Es hatte sie neugierig gemacht, denn es stellten sich noch andere Unstimmigkeiten heraus. Die Kostenüberschreitungen und extra Buchungen über eine Zeit von mehreren Monaten beliefen sich auf eine ganz beträchtliche Summe. Wussten Jeff und Jackson davon? Die Rechnungen waren oben rechts mit Initialen versehen. Offensichtlich hatte ihr Vorgänger, Pete, die Genehmigung zum Bezahlen der Rechnungen bekommen. Aber von wem? Als Jackson einige Zeit später das Büro betrat, verflogen bei Mandy jedoch im Nu alle Gedanken an unstimmige Rechnungen, und sie sah nur den Mann, der seine Familie auf eine solch tragische Weise verloren hatte. Sie wollte ihm ihr Mitgefühl ausdrücken, doch ein Blick auf sein verschlossenes Gesicht genügte, um den Mund zu halten. Als das Telefon klingelte, war Mandy fast dankbar dafür. Sie nahm ab. „Mr. Norris möchte Mr. Witt sprechen“, sagte eine weiche weibliche Stimme am anderen Ende der Leitung. Mandy stellte auf Jacksons Apparat um. „Ein Gespräch für Sie.“ Jackson nickte und schaltete sich ein. Mandy verfolgte die einseitige Unterredung nur mit halbem Ohr. Außer „ja“ und „nein“ und „das wäre gut“ bekam sie nichts zu hören. Nachdem Jackson aufgelegt hatte, drehte er sich zu ihr um. „Norris ist der Verbindungsmann zwischen unserer Firma und dem Vorstand von Windhaven. Er wird nächste Woche hier sein, um den Fortgang unserer Arbeit zu überprüfen. Bringen Sie hier im Büro alles in Ordnung?“ Es war keine Anordnung von ihm, es war eine Frage, was allein schon erstaunlich war. Mandy nickte, und eine zaghafte Hoffnung rührte sich in ihr. Es hörte sich an, als ob Jackson sie nächste Woche brauchte. Oder? Es musste so sein, warum sollte er ihr sonst eine Erklärung geben? Er hatte sich bereits wieder seinem Laptop zugewandt, um da fortzufahren, wo er vorhin aufgehört hatte. Und Mandy ging mit erneutem Eifer die Rechnungen der Firma Andrews durch. Sie machte sich Notizen, als ihr aufging, dass weniger berechnet worden war, als es hätte sein dürfen. Und als sie die angegebenen Zahlen aus den vergangenen zwei Jahren zusammenrechnete, kam sie auf eine Gesamtsumme, die einfach
unglaublich war!
Jeff traf ein, legte seinen Schutzhelm ab und ging als Erstes zum Sideboard, um
sich einen Kaffee einzugießen.
„Norris wird am Montag hier sein“, empfing Jackson ihn sogleich mit der
beunruhigenden Nachricht. Dann wies er mit dem Kinn zu Mandy hinüber. „Sie
wird bis dahin hier alles aufgeräumt haben. Einer der PRLeute sowie ein
Bilanzbuchhalter werden mit dabei sein.“
Jeff blickte seinen Partner etwas misstrauisch an und sah dann zu Mandy rüber.
Sie lächelte beruhigend.
„Oh… gut, gut, dann bleibt sie ja wohl.“ Jeff blinzelte ihr zu.
„Sie bekommt eine weitere Woche Probezeit“, erklärte Jackson kurz und bündig.
Jackson konnte Mandys Freude über die Verlängerung nicht trüben. Sie hatte sich
bewiesen. Sie war innerhalb einer Woche unentbehrlich geworden. Warte nur,
Jackson Witt, du wirst mich noch sehr brauchen, warnte sie ihn im Stillen.
Danach verging der Morgen im Nu. Kurz vor der Mittagszeit legte Mandy den Stift
ab und sah zu ihren zwei Vorgesetzten hinüber. Sie war sich der Fakten sicher,
doch sie war sich nicht sicher, wie die beiden reagieren würden.
„Ich glaube, ich bin auf ein Problem gestoßen“, erklärte sie ruhig.
Beide blickten hoch.
„Es scheint, dass einer Ihrer Verkäufer von jeder Rechnung eine Summe
abgezogen hat, die im Kaufvertrag nicht festgelegt worden war.“
„Welcher Verkäufer?“ fragte Jackson scharf und warf Jeff einen kurzen Blick zu.
„Die Werkzeugfirma Andrews.“
„Verdammt!“ stieß er hervor, sprang von seinem Schreibtischsessel auf und
stürmte zu Mandy. „Zeigen Sie her!“
„Du meine Güte“, sagte Jeff bestürzt.
Mandy wusste nicht, was los war. Der finstere Ausdruck auf Jacksons Gesicht
hieß, dass sie wahrscheinlich etwas angestellt hatte, was schrecklich sein
musste. Würde man sie nun deswegen feuern?
4. KAPITEL „Geben Sie her!“ forderte Jackson ungeduldig und streckte die Hand nach dem
Aktenordner und den Unterlagen aus.
Mandy hielt den Aktenordner fest. „Ich habe die Rechnungen aufgearbeitet und
mit den Kaufverträgen verglichen. Dieser Stoß hier ist drei Monate im Rückstand.
Ich bin zwangsläufig auf die Unstimmigkeiten in den Abrechnungen gestoßen.“
„Wir kümmern uns darum“, entgegnete Jackson knapp. Nur zögernd übergab
Mandy ihm den Ordner.
Er drehte sich abrupt zu Jeff um. „Kein Wort davon!“ warnte er.
Jeff zuckte die Schultern und widmete sich wieder den vor ihm ausgebreiteten
Plänen.
Mandy verstand absolut nichts. „Wussten Sie denn davon?“ fragte sie Jeff.
Ehe er antworten konnte, sagte Jackson: „Ich kümmere mich um die
Angelegenheit. Warum gehen Sie nicht zum Essen? Es ist fast zwölf.“
Deutlicher konnte man nicht weggeschickt werden. Mandy stand folgsam auf und
ging zur Tür, wo sie sich noch mal kurz umdrehte. Da Jackson sich gerade über
den Aktenordner auf seinem Schreibtisch beugte, konnte sie seinen
Gesichtsausdruck nicht ganz deuten. Sie konnte allerdings sehen, dass er eher
düster dreinblickte als wütend. Vielleicht sogar ein wenig betrübt.
Was um alles in der Welt sollte das nun wieder bedeuten? Weder Jeff noch
Jackson hatten die Reaktion gezeigt, die Mandy erwartet hatte.
Als Mandy nach draußen trat, empfand sie den Wind kühler als zuvor. Der Winter
kündigte sich an, und Mandy war froh, dass sie sich in den Schutz ihres
Wohnwagens flüchten konnte.
Während sie aß, hatte sie die Füße bequem auf den Couchtisch gelegt. Sie
genoss diese kurze Mittagspause während eines arbeitsreichen Tages. Doch dann
klopfte jemand an ihre Tür, und Mandy war gar nicht glücklich über die Störung.
Mit Besuch hatte sie nicht gerechnet. Sie ging öffnen.
Jackson stand vor dem kurzen Treppenaufgang. „Ich möchte mit Ihnen reden.
Privat“, sagte er.
Würde er ihr jetzt kündigen?
„Bitte kommen Sie herein.“ Sie trat zur Seite und ließ ihn mit klopfendem Herzen
herein.
Jackson sah den Sessel, der vor den Couchtisch gezogen war, bemerkte den zur
Seite geschobenen Teller mit dem halb aufgegessenen Sandwich. „Störe ich?“
„Nein, nein. Ich habe nur die Beine hochgelegt, um mich ein wenig auszuruhen.
Soll das nur ein kurzer Besuch sein, oder möchten Sie sich setzen?“
Ihre Frage schien ihn zu belustigen. Sie konnte es an seinen Augen sehen. Mandy
war ganz verdutzt.
„Sie faszinieren mich, Mandy Parkerson“, gestand er. „Die meisten in Ihrer Lage
würden mich umschmeicheln und alles tun, um sich lieb Kind zu machen, damit
ich sie bleiben lasse. Sie hingegen nehmen mich nicht gerade mit großer
Gastfreundschaft auf.“
„Wenn meine Arbeit nicht für sich spricht, würde Schmeichelei auch nicht helfen“,
entgegnete Mandy abweisend. Sein eindringlicher Blick machte sie noch
nervöser, als sie bereits war.
„Mein Besuch wird nicht lange dauern, aber, bitte, setzen Sie sich. Ich möchte
Ihre Ruhepause nicht unterbrechen.“
Mandy nahm wieder Platz, und Jackson holte sich einen Stuhl aus der Essecke. Er
setzte sich rittlings darauf und stützte die Arme auf die Lehne.
„Nachdem Sie vorhin gegangen sind“, begann er, „haben Jeff und ich eine
erregte Diskussion gehabt.“ „Worüber?“ Die Frage war eigentlich überflüssig. Natürlich ging es um sie, ob sie bleiben oder gehen sollte. Worüber sonst? „Über die Unstimmigkeiten, die Sie festgestellt haben, und über die grundsätzliche Frage, wie viel Einblick ein Angestellter in die eine oder andere Sache, die den Job betrifft, haben sollte.“ „Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden. Ich dachte, Sie sind gekommen, um mich zu feuern.“ „Die nächste Woche ist noch nicht rum. Und ich werde niemanden entlassen, der gute Arbeit leistet. Jeff hat mich überzeugt, dass Sie erfahren sollten, was los ist, statt zuzulassen, dass Sie sich weiter in die krummen Geschäfte vertiefen, die uns nicht verborgen geblieben sind.“ Mandy konnte nur hoffen, dass ihre totale Verwirrung ihr nicht anzumerken war. „Was genau soll ich erfahren?“ „Wir haben Ihren Vorgänger, Pete, rausgeschmissen, kurz bevor er wegen Veruntreuung festgenommen wurde. Er hat Rechnungen manipuliert und sich die Fehlbeträge mit habgierigen Büroangestellten der verschiedenen Verkaufsfirmen geteilt.“ „Sitzt er in Untersuchungshaft?“ Jackson nickte. „Wir haben es für uns behalten, um potenzielle Investoren nicht abzuschrecken und um es der Polizei nicht auch noch zu ermöglichen, sich mit den Verkaufsfirmen zu befassen, die wegen der Untreue ihrer Angestellten in der Sache mit drinhängen.“ „Sind es wirklich nur die Angestellten, die sich schuldig gemacht haben, oder hat die Leitung der Firma Andrews da auch mitgemacht?“ Cleveres Kind, dachte Jackson. „Ja, Sie haben Recht.“ Er überlegte kurz. Dann blickte er Mandy prüfend an, bevor er hinzusetzte: „Marshai Andrews ist mein Schwager.“ „Oje“, murmelte Mandy. Jackson lachte freudlos auf. „ Ein Oje beschreibt nicht mal, wie schlimm es wirklich ist. Ich möchte die Sache selbst erledigen. Jeff ist anderer Meinung, doch er hat mir zumindest zugestanden, dass er die Angelegenheit bis Montag aufschieben will.“ „Ich werde schweigen“, versprach Mandy ruhig. „So diskret wie tüchtig“, murmelte Jackson. Er zögerte, ehe er hinzufügte: „Sie könnten mich jetzt erpressen.“ „Erpressen?“ „Ja, um den Job zu behalten. Ihr Schweigen gegen ein unkündbares Arbeitsverhältnis.“ Das brachte Mandy auf die Palme. Dieser Jackson Witt hatte wirklich Nerven! In ihrem ganzen Leben war sie nicht so oft wütend gewesen wie in der letzten Woche. Sie sprang auf die Füße. „Das ist wirklich gehässig. Mehr als gehässig. Niemals würde ich so etwas tun! Wie können Sie es wagen, so etwas von mir auch nur zu denken?“ Jackson starrte sie fasziniert an. Ihre Wangen hatten sich gerötet, und ihre Augen sprühten vor Zorn. Sogar ihr zum Pferdeschwanz gebundenes Haar wippte vor Entrüstung. Sie kniff die sonst so vollen Lippen zusammen. Und der Gedanke durchzuckte ihn, wie diese Lippen sich wohl anfühlen mochten, wenn er Mandy küsste. Warm und nachgiebig und Süß vielleicht? Sein Gesicht verfinsterte sich. Abrupt stand er auf und ging zur Tür. Er musste Abstand zu Mandy Parkerson halten. Wie konnte er bloß auf so absurde
Gedanken kommen, sie zu küssen! Ihm war, als ob er Verrat an der Liebe für seine Frau begangen hätte. Doch es waren drei Jahre her, und sein Körper reagierte ganz spontan auf diese kleine Wildkatze. „Ich habe nicht gesagt, dass Sie mich erpressen würden, sondern nur, dass Sie es könnten.“ Mandy erwiderte nichts darauf, funkelte ihn aber wütend an. „Lassen Sie sich Zeit, und essen Sie in Ruhe Ihr Sandwich“, sagte er von der Tür her. „Ich bin um ein Uhr wieder da“, entgegnete sie bissig. „Gut, gut.“ Jackson öffnete die Tür, trat hinaus und zog sie rasch hinter sich zu. Rückzug war dringend geboten. Er musste weg von diesen blitzenden Augen, diesen verführerischen Locken. Mandy könnte ihn dazu bringen, so manchen seiner Grundsätze zu vergessen. Am Samstagmorgen schlief Mandy bis neun Uhr. Sie genoss das Gefühl, zwei ganze Tage völlig für sich allein zu haben. Nicht, dass sie etwas Besonderes für das Wochenende geplant hätte. Nur Ruhe und Entspannung. Das Büro war makellos sauber für die Konferenz am Montag. Es war ein tüchtiges Stück Arbeit gewesen, das sie ohne Störung hatte erledigen können, weil Jackson seit der Mittagspause am Donnerstag weggeblieben war. Nach einem gemütlichen Frühstück machte sie sich auf den Weg nach Julian. Sie wollte sich nach passender Kleidung für die Arbeit umsehen und auch einige Lebensmittel kaufen. Und sie wollte die Stadt erkunden, um herauszufinden, wie es sich hier wohl lebte. Sie trug das leuchtend gelbe Kleid, das sie vor zwei Tagen wieder ausgezogen hatte, weil es ihr für das Baugelände unpassend erschienen war. Doch sie fühlte sich darin einfach wohler als in Jeans und TShirts. Nach dem Einkauf hatte Mandy vor, in einem der Restaurants zu Mittag zu essen. Zwei Stunden später verstaute sie die Plastiktüten mit den Jeans, den TShirts, den Hemdblusen aus warmem Flanell sowie den bequemen Stiefeln im Kofferraum ihres Wagens. Sie hatte Glück gehabt, ein Geschäft mit Umstandskleidung zu finden, das auch Jeans für werdende Mütter führte. Anschließend bummelte sie die Hauptstraße hinunter, blieb vor jedem Schaufenster stehen, um sich die diversen Auslagen zu betrachten, bis sie schließlich zu einem Restaurant kam. Sie warf einen prüfenden Blick durchs Fenster und überlegte, ob sie da hineingehen sollte. Es schien recht voll besetzt zu sein, vornehmlich von Männern. Zwei Frauen saßen an einem Tisch. Eine Frau allein sah sie nirgendwo sitzen. Ihr Kleid machte sie plötzlich befangen. Sie hätte doch lieber gleich im Laden das neue Paar Jeans anziehen sollen. „Wollen Sie reingehen, oder sind Sie gerade herausgekommen?“ fragte eine vertraute Stimme hinter ihr. Mandy fuhr herum. Jackson Witt stand vor ihr. Allein. Ohne Jeff. Sie versuchte, ihr plötzliches Herzklopfen nicht zu beachten. „Eigentlich wollte ich hineingehen, um etwas zu essen. Es scheint nur ziemlich voll besetzt zu sein“, antwortete sie. „Da sind noch zwei Tische frei“, stellte er fest, während er über ihren Kopf hinweg in das Lokal spähte. „Oh.“ Sie drehte sich wieder zum Fenster um und suchte krampfhaft nach einer Ausflucht. Was hatte er überhaupt hier zu suchen? Er sollte lieber verschwinden, damit sie sich ein anderes Lokal suchen konnte, wo sie in Ruhe essen und nicht so entsetzlich auffallen würde.
„Sind Sie hier, um einzukaufen?“ fragte sie und wandte sich ihm wieder zu.
„Ich bin hier, um im Eisenwarengeschäft einige Sachen abzuholen und fehlendes
Material zu bestellen. Im Augenblick jedoch möchte ich zu Mittag essen.“
„Oh.“
Er lächelte verhalten. Amüsierte er sich etwa über ihre Unsicherheit?
„Würden Sie mir dabei Gesellschaft leisten?“ bot er an.
Mit Jackson Witt zusammen essen? Ihm am Tisch gegenübersitzen und sich mit
ihm eine Stunde lang unterhalten? Ihr Herzschlag ging immer schneller. Würde
sie in seiner Nähe auch nur einen Bissen herunter bekommen?
Er sah sie an, den Kopf leicht schräg gelegt, und wartete auf ihre Antwort. Sie
musste sich entschließen. Schließlich holte sie tief Luft und nickte.
„Gern“, antwortete sie höflich.
Im Lokal blickten die Gäste in der Nähe der Tür zwar hoch, doch keiner von ihnen
schien sie groß zu beachten. Sie schlängelten sich durch die dicht stehenden
Tische zu einem unbesetzten Tisch ziemlich weit hinten. Nachdem sie Platz
genommen hatten, blickte Mandy sich interessiert um.
Der Fußbodenbelag aus Linoleum und die Tisch und Stuhlkanten aus Chrom
gaben dem Raum die Atmosphäre der fünfziger Jahre. Die Küchendüfte machten
Mandy den Mund wässrig. Die Kellnerin brachte die Menükarte sowie zwei Gläser
Wasser, die sie vor Mandy und Jackson auf den Tisch stellte.
„Ich bin sofort wieder da“, versprach sie und verschwand.
Marc hätte niemals in einem Lokal wie diesem gegessen, dachte Mandy und
nahm die Karte auf. Er musste aus allem eine Show machen. Er wollte stets
gesehen werden. Dieses Lokal dagegen wirkte, als ob es gutes, herzhaftes Essen
anbot, und das zu einem akzeptablen Preis. Keine Tischdecken aus Leinen, keine
Stoffservietten. Mandy mochte das Lokal. Es hatte einen ganz eigenen Charme.
Während sie tat, als ob sie sich in die Karte vertiefte, suchte sie verzweifelt nach
einem unverfänglichen Thema, über das sie mit Jackson plaudern konnte. Sie
beide hatten nichts gemeinsam. Und er zeigte sich ihr gegenüber
voreingenommen, ja manchmal sogar feindselig.
„Können wir bestellen?“ fragte er schließlich.
Mandy warf ihm über die Karte einen Blick zu und sah ihm geradewegs in die
dunklen Augen. Sie schluckte schwer und konnte nur hoffen, dass er nicht auf
den Gedanken kam, dass sie seinetwegen nervös war.
Sie nickte, und Jackson gab der Kellnerin ein Zeichen. Augenblicklich kam sie
herbeigeeilt.
Marc würde Jackson um seine autoritäre Art beneiden. Niemals hätte er die
Aufmerksamkeit so prompt auf sich gezogen. Und irgendwie war das für Mandy
eine Genugtuung. Der Schmerz bohrte immer noch, obwohl Mandy sich immer
wieder vorhielt, dass Marc ihr nichts mehr bedeute.
Nachdem sie bestellt hatten, atmete Mandy tief durch, um sich Mut zu machen.
Einer von ihnen musste ja mit der Unterhaltung anfangen, also wollte sie es tun.
Doch es war Jackson, der das Wort ergriff. Und er überrumpelte Mandy mit einer
Frage, die sie ziemlich grob fand.
„Wo ist der Vater des Babys?“
Zuerst starrte sie ihn verständnislos an. „In Denver“, antwortete sie dann knapp.
„Und?“
„Und was?“
„Warum ist er dort, und Sie sind hier? Hat es Streit gegeben?“
„Das kann man wohl behaupten. Er will nicht Vater sein.“
Jackson wandte den Blick ab, doch nicht schnell genug. Mandy bekam mit, wie
sehr ihn die Antwort schmerzte. Es musste mit dem Tod seines eigenen Kindes
zusammenhängen. Er war ein Vater, der sein Kind gewollt hatte, im Gegensatz zu Marc, der nicht Vater für sein Kind sein wollte. „Nicht alle Männer freuen sich auf ein Kind, nehme ich an“, fügte sie zurückhaltend hinzu. „Dann ist er ein Narr, der nicht weiß, was er versäumt.“ „Es tut mir sehr Leid, dass Sie Ihre Frau und Ihren Sohn verloren haben.“ Da, sie hatte es tatsächlich gesagt. Eigentlich hatte sie es gleich tun wollen, nachdem sie es von Jeff erfahren hatte. Jackson sah sie wieder an. „Hat Jeff Ihnen davon erzählt?“ Mandy nickte. „Das muss schrecklich gewesen sein“, flüsterte sie voller Mitgefühl. „Ist es immer noch“, erwiderte er kurz angebunden. „Ich möchte nicht darüber reden. Und es war nicht korrekt von Jeff, hinter meinem Rücken darüber zu klatschen.“ „Es war kein Klatsch. Er wollte wohl, dass ich es erfuhr, um Ihre Reaktion, als ich ohnmächtig wurde, besser zu verstehen.“ „Hat der Vater Ihres Kindes von Ihnen verlangt, dass Sie es abgeben?“ „Nein. Eigentlich hat er gewollt, dass ich abtreibe. Ich habe es abgelehnt, und das war das Ende unserer Beziehung. Ein Kind passte nicht in sein Leben. Und ich passte dann auch nicht mehr da hinein.“ „Haben Sie überlegt, ob es nicht besser wäre, das Baby zur Adoption freizugeben?“ „Nein! Das würde ich niemals tun.“ Mandy sah ihm fest in die Augen. „Ich liebe mein Kind. Ich werde alles tun, um es bei mir zu behalten.“ „Adoption ist nicht gerade etwas Böses.“ „Nein, das ist es nicht. Aber ich kann es mir leisten, auf das Kind aufzupassen. Und genau das werde ich tun, egal, was auf mich zukommen sollte. Gute Sekretärinnen werden immer gebraucht, und ich bin sehr gut in meiner Arbeit.“ „Wie bescheiden.“ Mandy lächelte. „Bescheidenheit hat mit Charakterstärke zu tun, oder?“ Darauf müsste auch er lächeln. „Haben Sie vor, nach Denver zurückzukehren?“ Mandy dachte darüber eine Weile nach. „Wahrscheinlich nicht. Mich bindet nichts an die Stadt. Ich kann wirklich überall hinziehen. Vielleicht schaue ich mich hier in Julian nach einem Apartment um oder nach einem kleinen Haus, das ich mieten kann.“ Sie sah ihn erwartungsvoll an. „Ich könnte im Frühjahr ja gleich wieder anfangen, wenn es wieder losgeht mit der Arbeit.“ Jackson starrte sie völlig perplex an. Diese kleine Person ging ganz schön ran. „Sie haben noch nicht mal die nächste Woche durch und planen bereits, im nächsten Frühjahr wieder zurück zu sein? Ist das nicht ein wenig voreilig? Ich würde Ihnen raten, schlagen Sie sich das besser aus dem Kopf.“ Mandy zuckte die Schultern. „Wir wollen sehen“, erwiderte sie gleichmütig. „Vielleicht finde ich ja einen Job hier in der Stadt. Mir gefällt es hier. In einer Kleinstadt ein Kind aufzuziehen, das ist sicher leichter als in einer Großstadt. Sie werden mir doch eine Empfehlung schreiben, wenn Sie mit meiner Arbeit auch weiterhin zufrieden sind, nicht wahr?“ Jackson nickte. Seltsam. Plötzlich war ihm die Vorstellung, dass Mandy wegging, unerträglich. In nur wenigen Tagen hatte er sich an ihr sonniges Lächeln, an ihren unerschütterlichen Optimismus und an ihre Energie gewöhnt. Ihr Wesen war ein so erfrischender Gegensatz zur lahmen Einstellung seines Partners Jeff oder zu der drohenden Belastung, die die Prüfer von Windhaven ihnen noch aufbürden könnten. Um sich besonders von dieser Sorge ein wenig abzulenken, lehnte Jackson sich im Sessel zurück und sah sie herausfordernd an. „Kein Wunder, dass Sie bis
hierher gekommen sind, um auf dem Bau zu arbeiten, wo jede Menge Männer zur Auswahl steht. Einer wird sich schon finden, der sich gern um Sie und Ihr Baby kümmert.“ Ihre Reaktion hätte er eigentlich voraussehen können. Um ehrlich zu sein, er hatte sogar damit gerechnet. Das Blut stieg Mandy in die Wangen, und ihre Augen sprühten vor Zorn. Eins musste er Mandy lassen. Sie machte ihm zwar keine Szene, kippte kein Eiswasser auf seinen Schoß oder stürmte aus dem Lokal. Aber sie lehnte sich zu ihm vor und fauchte ihn an. „Das ist das Idiotischste, was ich seit langer Zeit gehört habe. Sie sind ein dummköpfiger Chauvinist, wenn Sie glauben, dass eine Frau einen Mann in ihrem Leben braucht, der sich um sie und ihr Kind kümmert. Wir leben im 21. Jahrhundert, und ich kann sehr wohl selbst für mich und mein Kind sorgen!“ „Also wollen Sie keinen Mann haben…“ „Nein!“ Mandy schien die Wahrheit zu sagen. Doch eine Frau alleine mit einem Kind? Er und Sara hatten mit Sammy alle Hände voll zu tun gehabt. „Hoffen Sie denn, dass der Vater Ihres Babys sich doch noch zurückmeldet?“ Mandy setzte sich kerzengerade auf und blickte Jackson böse an. „Nicht, dass es Sie etwas angeht, doch die Antwort ist ein klares Nein. Sobald er sein wahres Gesicht gezeigt hat, war mir klar, dass er nicht der Mann für mich ist. Er ist es nie gewesen. Ich bin nur auf ihn hereingefallen, weil er sich für mich zu interessieren schien und mir Gefühle vorgaukelte, die nicht da waren. Ich fand das alles aufregend, weil ich es bis dahin nicht gekannt habe.“ „Was haben Sie nicht gekannt?“ Mandy blickte zur Seite, schaute dann in ihr Glas und murmelte: „Liebe.“ „War er ihr erster Freund?“ Jackson fand das wenig glaubhaft. Mit diesen blonden Locken, diesen strahlenden Augen und ihrem Lächeln hatte sie wahrscheinlich keine Probleme, die Männer für sich zu gewinnen. „Das ist alles sehr peinlich, und Sie bekommen keine Antwort darauf.“ Jackson gab jedoch nicht auf. Es interessierte ihn einfach zu sehr, auch wenn er es sich nicht eingestehen wollte. „Nun gut, wenn Sie Erfahrung gehabt hätten, wären Sie nicht so leicht auf diesen Mann hereingefallen. Hat Ihre Mutter Sie denn nicht vor Männern gewarnt, die sich keine Chance entgehen lassen?“ „Meine Mutter hat mich verlassen, als ich fünf war. Ich habe sie nie wieder gesehen. Und mein Vater hat sich abgesetzt, bevor ich geboren war.“ Jackson starrte sie sprachlos an. Sie wurde als Kind ausgesetzt? Wie konnten eine Mutter oder ein Vater das eigene Kind aussetzen? „Und Ihre Mutter hat niemals wieder mit Ihnen Kontakt aufgenommen?“ Mandy schüttelte den Kopf. „Ich wurde in Pflege gegeben.“ Jackson schwieg. Er versuchte, sich in Mandys Lage hineinzuversetzen. Wenn er von seinen Eltern verlassen worden wäre, würde er dann ein solch sonniges Wesen haben? Dabei war er von liebevollen Eltern aufgezogen worden und war trotzdem kein sonniger Mensch. Die Kellnerin setzte ihre Teller vor sie, erkundigte sich, ob ihren Gästen auch nichts fehle, und war im Nu verschwunden. „Kommen Sie des Öfteren her?“ fragte Mandy gewollt munter, um von dem unangenehmen Thema abzulenken. Jackson wollte das Thema nicht wechseln. Er wollte mehr erfahren. Doch er ließ es erst mal bleiben. „Nicht sehr oft, nein. Ab und zu, wenn ich nach Durango fahre oder hier in Julian etwas zu besorgen habe. Das Essen in diesem Lokal ist ganz in Ordnung.“
„Es schmeckt köstlich.“ Von da ab schwiegen sie. Das sanfte Gemurmel der anderen Tischgäste und das gedämpfte Geklapper des Geschirrs gaben ein angenehmes Hintergrundgeräusch ab. Nachdem sie mit dem Essen fertig waren, holte Mandy aus ihrem Portemonnaie einige Dollarscheine heraus und legte zwei auf ihren Platz, den Rest hielt sie Jackson hin. „Getrennte Kasse, und kein Widerspruch“, erklärte sie entschieden. „Ich zahle für uns beide. Ihren Teil können wir abschreiben“, entgegnete er. Er sagte das humorvoll, damit Mandy ihr Gesicht wahren konnte. Ganz sicher würde jeder ersparte Dollar ihrem Baby zugute kommen. „Ich bezahle meinen Teil“, beharrte Mandy. Und sie hörte sich so energisch an, dass Jackson wusste, jedes weitere Wort würde auf taube Ohren stoßen. Also bezahlten sie getrennt. Das Lokal leerte sich allmählich, und auch sie beide gingen. Mandy hob ihr Gesicht der Sonne entgegen. „Wie warm es noch ist“, murmelte sie. Jackson konnte den Blick nicht von ihr wenden. Er wollte sie am liebsten küssen, wollte herausfinden, ob ihre Lippen so aufregend und warm schmeckten, wie sie aussahen. „Oh!“ Sie öffnete die Augen und legte die Hand auf ihren Bauch. „Du liebe Güte, was für ein Tritt. Sollte das ein Purzelbaum sein?“ Sie warf Jackson einen scheuen Blick zu. „Würden Sie es gerne fühlen?“ fragte sie zögernd. Nein! Die Erinnerung an Sammy war zu quälend. Wie oft waren Sara und er über das kleine Wesen erstaunt gewesen, als es im Bauch seiner Mutter heranwuchs! Mandy wartete Jacksons Antwort nicht ab. Sie nahm seine Hand und legte sie auf ihren Bauch. Die Tritte waren tatsächlich ganz schön kräftig. Jackson konnte es fühlen. „Ich habe niemals die Gelegenheit gehabt, es mit jemandem zu teilen. Ist es nicht wunderbar?“ Jackson zog die Hand zurück. Ja, es war wirklich ein Wunder. Vielleicht das größte Wunder im menschlichen Leben überhaupt, dachte er. Zeit und Ort verschwammen. Er blickte Mandy an und sah Sara. Doch es war nicht das klare Bild, das er sonst von Sara gehabt hatte. Es schien immer undeutlicher zu werden. Und so als ob eine Linse scharf eingestellt wurde, rückte Mandy in den Mittelpunkt. Er schob ihr eine der weichen Locken aus der Stirn. „Bewahren Sie sich Ihre Liebe für das Baby, Mandy. Halten Sie jeden kostbaren Moment fest.“ Ohne ein weiteres Wort ging Jackson davon. Der Schmerz über seinen Verlust drohte ihn zu überwältigen.
5. KAPITEL Mandy starrte Jackson Witt hinterher. Sie war immer noch fassungslos über seine sanfte Berührung. Sie legte die Fingerspitzen an die Stirn, an genau die Stelle, wo er ihre Locken zurückgeschoben hatte. Und noch immer konnte sie seine Hand auf ihrem Bauch spüren, wo ihr Baby mit seinen Turnübungen weitermachte. Jackson war ein rätselhafter Mann. Hart und abrupt, rechthaberisch und entschieden einerseits, andererseits aber ganz offensichtlich auch sanft und einfühlsam. Bewahren Sie sich Ihre Liebe für das Baby, Mandy. Halten Sie jeden kostbaren Moment fest. Sie hatte ihm für diese Worte nicht mal danken können, so schnell war er verschwunden. Mandy konnte seine Trauer nachempfinden. Es musste fast unmöglich sein, einen solch tragischen Verlust zu verkraften. Jackson schien ein fürsorglicher Mann zu sein. Nicht so wie Marc, der in den Tag hinein lebte und sich selbst genug war. Wie hatte sie das nur übersehen können? Nun war sie auf der Hut. Sie wusste jetzt, dass sie ihrem eigenen Urteil nicht trauen durfte. Und deshalb hatte sie sich geschworen, es zu keiner engen Beziehung zu einem Mann kommen zu lassen, ganz gleich wie verlockend die Vorstellung auch sein mochte. Was hatte sie sich alles mit Marc zusammenfantasiert… Dass er sie über alles liebte, dass er für sie sorgen würde, dass er mit ihr sein Leben teilen wollte. Sie hatte ihr Baby, und das war mehr, als sie sich wünschen konnte. Mit diesem tröstlichen Gedanken machte sie sich daran, Julian zu erkunden. Am späten Nachmittag war sie müde geworden vom vielen Umherlaufen durch das idyllische Bergstädtchen. Sie wollte noch einige Lebensmittel kaufen und zu ihrem Wohnwagen zurückkehren, bevor es dunkel wurde. Etwa eine Stunde später fuhr Mandy ihr Auto in die Parklücke gleich neben ihrem einstweiligen Heim. Jeff steckte den Kopf aus dem Fenster seines Wohnwagens, als sie ausstieg. „Warten Sie. Ich bin gleich da. Ich helfe Ihnen beim Hereintragen“, rief er ihr zu. „Ich schaffe das allein“, rief sie zurück. Jeff schien sie jedoch nicht gehört zu haben. Zwei Minuten später öffnete er ihre Tür, jeweils eine große Tüte voller Lebensmittel in jedem Arm. „Sie sollten nichts Schweres tragen. Sagen Sie dem Jungen an der Kasse, er solle nicht so viel in einen Beutel eintüten. Dann ist es leichter zu tragen. Falls ich mal nicht hier sein sollte, um Ihnen zu helfen.“ Mandy musste lächeln. Die Tüten waren gar nicht so schwer. Sie kannte ihre Grenzen und würde sich nicht überstrapazieren. „Hätten Sie später Lust auf einen kleinen Spaziergang?“ fragte Jeff, als die Einkäufe alle weggeräumt waren. „Ich glaube, ich bin heute genug gelaufen. Ich habe mir Julian angesehen.“ „Wie wär’s dann mit morgen?“ Er ließ nicht locker. „Vielleicht am Nachmittag. Ich möchte dem Büro noch den letzten Schliff geben für die Sitzung am Montag. Was halten Sie von einem Picknick? Wir könnten eine Weile am See entlang spazieren, bis wir einen sonnigen Platz zum Essen gefunden haben.“ Die unberührte Schönheit des Sees wirkte beruhigend auf Mandy, wann immer sie die Zeit fand, sich ans Ufer zu setzen und auf das Wasser zu schauen. „Das klingt gut, Mandy. Ich komme Sie um zwölf abholen. Was kann ich zum Picknick mitbringen?“
„Nichts. Ich packe ein paar Sandwichs ein und etwas zu trinken. Im Schrank ist
eine große Decke. Sie dürfen alles tragen.“
„In Ordnung. Bis morgen dann.“ Damit ging Jeff.
Mandy mochte ihn, weil er herzlich war und weil er sie nicht so durcheinander
brachte wie Jackson. Wahrscheinlich fühlte er sich einsam, so weit von seinem
Zuhause entfernt. Und wahrscheinlich würde es noch eine ganze Weile dauern,
bis er wieder nach Fort Collins zurückkehren konnte.
Gleich früh am Sonntagmorgen machte Mandy sich auf den Weg ins Büro, um
alles für das Treffen am Montag vorzubereiten. Sie staubte die Schreibtische,
Stühle und Bücherregale ab, brachte Ordnung in die Stapel von Schriftstücken
und Berichten auf Jeffs und Jacksons Schreibtisch. Zum Schluss warf sie einen
prüfenden Blick in die Runde und lächelte stolz. Es herrschte eine geradezu
perfekte Ordnung im Büro. Wie anders hatte es bei ihrem Eintreffen ausgesehen!
Und dann war es Zeit, sich für das Picknick umzuziehen. Sie zog lose sitzende
Shorts aus Jeansstoff und feste Schuhe an. Das rosa Baumwolltop war weit
genug, um ihren leichten Bauchansatz zu kaschieren. Noch brauchte sie keine,
Umstandskleidung. Sie musste nur darauf achten, dass alles ein bis zwei
Nummern größer war, als sie gewöhnlich getragen hatte.
Sie legte sich ein Sweatshirt um und verknotete die Ärmel locker vor dem Hals.
Ganz sicher würden sie zurück sein, bevor die nachmittäglichen Schatten die Luft
abkühlten. Doch Mandy wollte auf alle Eventualitäten vorbereitet sein.
Sie kontrollierte noch mal, ob sie alles für das Picknick in der großen
Einkaufstasche hatte, und wartete ungeduldig auf Jeff. Zehn Minuten nach zwölf
fing sie an zu überlegen, ob sie die Zeit womöglich falsch verstanden hatte. Oder
hatte Jeff die Verabredung vergessen? War etwas dazwischengekommen?
Sie wollte gerade zu ihm hinübergehen, als es an ihrer Tür klopfte. Also hatte Jeff
sich nur verspätet.
Mandy riss die Tür auf. „Ich dachte schon…“ rief sie fröhlich. Weiter kam sie
nicht. Jackson stand auf der obersten Treppenstufe.
Er blickte sie mit gerunzelter Stirn an. „Jeff bat mich, Ihnen beim Tragen zu
helfen.“
„Wo ist Jeff denn?“
„Er musste nach Grand Junction. Paul Norris und seine Leute haben entschieden,
bereits heute anzureisen. Sie wollen die Nacht über in Julian bleiben und statt
morgen Mittag gleich ganz früh hier eintreffen.“
„Wie gut, dass ich das Büro fertig habe. Danke für die Nachricht.“ Mandy war
enttäuscht, das konnte sie nicht leugnen. Sie hatte sich so sehr auf das Picknick
gefreut.
„Was soll ich Ihnen denn tragen helfen?“
„Wie bitte? Oh, das.“ Mandy zuckte die Schultern. „Jeff und ich hatten vor, ein
Picknick zu machen. Ich habe ihm gesagt, dass ich für das Essen sorgen würde.
Dafür sollte er die Decke und die Picknicktasche tragen.“
„Ein Picknick?“ Jackson klang, als ob ihm das Wort fremd wäre.
„Sie wissen doch, was ein Picknick ist, nicht? Im Freien essen…“
„Ich weiß, was ein Picknick ist. Nur ist so etwas hier in der Gegend nicht üblich.“
„Egal, ich bleibe bei dem Plan.“ Nur weil Jeff nicht kommen konnte, würde sie ihr
Vorhaben nicht aufgeben. Außerdem, die Tasche mit den Sandwichs und den
zwei Flaschen dazu die Decke, das war gar nicht so schwer.
„Ich komme mit Ihnen“, erklärte Jackson.
Mandy sah ihn verständnislos an. „Wie bitte?“ Das hätte sie nun wirklich am
allerwenigsten erwartet.
„Ich trage die Sachen. Es sei denn, Sie möchten mich nicht dabei haben.“
Jackson wollte mit ihr picknicken? Nur sie zwei allein? Wie würde sie ein Picknick mit diesem Mann überstehen, wo ihr Herzschlag sich bereits bei dem Gedanken daran mindestens verdoppelt hatte? „Haben Sie denn die Zeit dafür übrig?“ fragte sie ungläubig. „Niemand arbeitet hier am Sonntag, es sei denn, dass wir sehr im Rückstand sind. Und bis jetzt haben wir unseren Arbeitsplan erfüllen können. Außerdem würde es mir gut tun, mal von hier wegzukommen. Wo ist der Korb?“ Mandy wies auf die Picknicktasche, die mit der Decke auf dem Stuhl neben dem Esstisch stand. „Ganz schön schwer“, bemerkte er, klemmte sich die Decke unter den Arm und nahm die Tasche mit dem Essen. „Weil ich nicht recht wusste, was Jeff gerne isst, habe ich von allem mehrere Sorten eingepackt. Drei verschiedene Sorten Sandwichs, zwei Sorten Chips, Früchte, Schokoladenkekse, je eine Flasche Cola und Apfelsaft. Wenn Sie etwas davon nicht mögen, können wir es gleich aus der Tasche herausnehmen.“ „Ich mag alles.“ „Oh!“ „Sagten Sie auch Schokoladenkekse? Selbst gebacken?“ „Natürlich. Mögen Sie die?“ „Und ob ich sie mag. Ich habe sie seit…“ Er unterbrach sich und ging schnell zur Tür. „… seit langer Zeit nicht gegessen.“ „Welchen Weg entlang am See nehmen wir?“ Mandys Hände zitterten ein wenig, als sie die Tür abschloss. Sie konnte es nicht fassen, dass sie an zwei Tagen hintereinander mit Jackson Witt zu Mittag essen würde! „Wir halten uns rechts“, entschied er und passte sich ihrem Schritt an. Keiner von ihnen sagte etwas. Mandy nahm sich vor, nicht als Erste das Schweigen zu brechen. Sie hatte Jackson nicht darum gebeten, sie zu begleiten. Er hatte es freiwillig getan. Dann sollte er auch mit der Unterhaltung anfangen. Außerdem hatte sie keine Ahnung, worüber sie reden sollte. Sie warf Jackson einen verstohlenen Seitenblick zu. Er hatte die Augen wegen des grellen Sonnenlichts zusammengekniffen und machte einen ziemlich abwesenden Eindruck. Bemerkte er überhaupt, wo sie gingen? Nach weiteren zehn Minuten hatte Mandy es satt, so stur zu schweigen. Sie blieb abrupt stehen und streckte die Hand aus. „Geben Sie mir die Tasche und die Decke. Sie können wieder zurückgehen.“ „Wie bitte?“ Jackson sah sie verdutzt an. „Wollten wir nicht ein Picknick machen?“ „Sie sehen aus, als ob Sie zu einer Hinrichtung gingen. So ein Ausflug soll Spaß bringen. Mir macht es wirklich nichts aus, allein zu picknicken. Sie müssen sich keine Mühe geben, mich zu begleiten.“ „Ich gebe mir keine Mühe. Außerdem habe ich noch kein Mittag gehabt. Wir essen zusammen“, entgegnete er nachdrücklich. Mandy zögerte. „Ich erwarte nicht gerade ein Lächeln von Ihnen“, erwiderte sie dann. „Aber gucken Sie zumindest nicht mehr so grimmig drein.“ Sein Gesichtsausdruck entspannte sich ein wenig. „Ich verderbe Ihnen wohl die Stimmung, was?“ „Ja“, bestätigte Mandy. „Das Wetter heute ist fantastisch, die Natur um uns herum könnte nicht schöner sein. Tun Sie zumindest so, als ob Ihnen das alles Freude macht.“ Jackson blickte um sich, sah die Bäume, den See… Und dann blickte er Mandy an. „Es bringt mir wirklich Freude.“ Es klang, als ob ihn die eigenen Worte überraschten.
„Gut. Also dann, gehen wir weiter.“ Mandy lächelte und marschierte los. Sie war fast so überrascht wie er. Nach einigen Schritten warf sie einen Blick über die Schulter und fand Jackson immer noch da stehen. Was sie aber am meisten überraschte, war… Er starrte auf ihre Beine! – Als ihm klar wurde, dass Mandy auf ihn wartete, war er mit drei Schritten bei ihr. „Wie weit sollen wir denn noch wandern, bevor wir uns zum Festmahl niederlassen können?“ wollte er einige Minuten später wissen. „Ich habe an keine feste Zeit gedacht. Eigentlich mehr an einen geeigneten Platz.“ „Das kann nur eine Frau sagen, die keinen Hunger hat.“ Mandy lachte. „Sie sind also hungrig, ja?“ „Und wie! Ich freue mich schon auf die Schokoladenkekse!“ „Wie war’s dann mit dem Platz dort drüben?“ Sie wies auf einen Hang, der sanft zum See hinunterführte und einen weiten Blick über das Wasser bot. Die Kiefernnadeln polsterten den Boden und machten ihn zum Sitzen zusätzlich weich und warm. Die Bäume gleich hinter ihnen spendeten zudem genug Schatten, um es in der Mittagssonne nicht allzu heiß werden zu lassen. Jackson breitete die Decke aus und stellte die Tasche in die Mitte. Während er sich setzte, kniete Mandy sich ihm gegenüber hin, um das Essen aus der Tasche zu holen. Dann öffnete sie die Flasche mit dem Apfelsaft und füllte zwei Becher voll. Sie hielt Jackson den Becher hin. „Also, auf einen guten Appetit!“ sagte sie fröhlich. Er nickte, nahm den Becher entgegen und stieß mit ihrem Becher an. Dann trank er ihn in einem Zug leer. Sie aßen schweigend. Die Stimmung zwischen ihnen war fast vertraut. Jackson saß mit angezogenen Beinen da, hatte den einen Arm auf das Knie gestützt und biss gerade in das Sandwich hinein, das er in der anderen Hand hielt. Dabei blickte er mit einem leicht getrübten Ausdruck in den Augen auf den See hinaus. Mandy fühlte sich entspannt, und es machte sie froh, hier zu sein. Das sanfte Schlagen der leichten Wellen gegen das Ufer und die Geräusche der Natur um sie herum wirkten unglaublich beruhigend auf sie. Irgendwo ganz in der Nähe hörte sie ein Rascheln im Unterholz. Ein Habicht kreiste träge am Himmel. Sogar der schweigsame Mann neben ihr erfüllte sie mit tiefer Zufriedenheit. Sein offensichtlicher Mangel an Freude berührte sie nicht. Sie fand den Tag perfekt. Jackson nahm sich das zweite Sandwich. „Es ist nett hier, und es schmeckt großartig, Mandy“, sagte er, als er bemerkte, dass sie ihn prüfend ansah. „Danke.“ „Ich danke Ihnen, dass Sie sich abgeschleppt haben.“ „Hab ich gern getan“, erwiderte er einsilbig. Bald darauf griff er nach einem Schokoladenkeks. Und mit einem kurzen Blick auf Mandy, nahm er sich gleich darauf noch einen zweiten. Dann starrte er wieder auf den See hinaus und grübelte vor sich hin. „Stimmt was nicht?“ fragte Mandy schließlich. Jackson sah sie an und schüttelte den Kopf. „Nein.“ Mandy musterte ihn eine Weile. „Probleme bei der Arbeit?“ „Nein.“ „Sorgen wegen der Inspektion morgen?“ „Nein. Nun reicht’s, Mandy.“ Doch Mandy konnte es nicht lassen. „Wie steht es um die Werkzeugfirma Andrews?“ „Was wollen Sie darüber wissen? Die haben Gewinne abgeschöpft. Das haben wir
ja gewusst.“
„Also, werden Sie die Firma anzeigen?“
„Hab ich bereits, gestern.“
„Das tut mir Leid.“
Jackson zuckte die Schultern, dann schwieg er wieder. „Unfassbar daran ist, dass
Marshai geglaubt hat, ich würde ihn ungeschoren davonkommen lassen.“
„Wegen der Familienbande?“
„Ja. Weil ich mit seiner Schwester verheiratet gewesen bin, glaubte er, ich würde
seine Veruntreuungen decken.“
„Er kennt Sie offensichtlich nicht gut.“
„Wie bitte?“ Jackson sah sie fragend an.
„Unehrlichkeit ist nicht Ihr Stil.“
Jackson starrte sie an. Dann erwiderte er: „Nun, wie auch immer. Jedenfalls
drohte er, mich mit hineinzuziehen. Und er hat vor, vor Gericht auszusagen, dass
ich von Anfang an mitgemacht habe.“
„Als ob jemand ihm eine solche Aussage abnehmen würde. Nach der kurzen Zeit,
die ich hier bin, und durch die Gespräche, die ich mit Lieferanten und den Leuten
von den Behörden geführt habe, weiß ich, dass Ihr Ruf Gold wert ist. Ein Mann in
einer verzweifelten Lage – vor allem, wenn er Unrecht getan hat – will den Stier
bei den Hörnern packen und findet sich stattdessen plötzlich auf die Hörner
genommen. Sie sind kein Mann, der eine solche Eselei begeht.“
Jackson lachte herzlich.
Mandy war verblüfft. Sein ganzes Verhalten veränderte sich mit diesem Lachen.
Er war absolut hinreißend.
„Sie sind köstlich, Mandy Parkerson. Süß und hübsch wie ein Sommertag, und
dazu eine solche Sprache! Passt gar nicht zu Ihnen.“
Süß und hübsch? Jackson fand, sie sei hübsch?
„Wenn ich will, kann ich auch Klartext reden“, entgegnete sie.
Jackson verkniff sich ein belustigtes Lächeln und sagte lieber nichts dazu.
Nachdem Mandy die Reste des Essens weggepackt hatte, streckte Jackson sich
auf der Decke aus und schloss die Augen. Mandy blickte träumerisch auf den See
hinaus. Es war so friedlich hier. Vielleicht würde sie eines Tages mit ihrem Baby
einen Ausflug hierher machen.
Jackson schien zu schlafen. Mandy überlegte, ob sie sich auch hinlegen sollte,
entschloss sich dann aber, einen kurzen Spaziergang am See entlang zu machen.
Die Sonne stand direkt über ihnen, und die Bäume gaben keinen Schatten mehr.
Sie hatte ihr Sweatshirt noch vor dem Essen abgelegt, und ihr wurde sogar im T
Shirt zu warm.
Der See lockte.
Mandy stand auf und schlenderte den kurzen Hang zum Wasser hinunter. Am
Ufer war der See flach, und Mandy gab ihrem spontanen Wunsch nach, zog die
Schuhe aus und die Socken von den Füßen. Vorsichtig machte sie einen Schritt
ins Wasser, das überraschend warm war. Die Kiefernnadeln, die den Grund des
Sees überzogen, lösten sich voneinander und trieben wie winziges Konfetti um
ihre Füße.
Langsam watete sie im Wasser nahe am Ufer entlang, passte auf, wohin sie trat,
achtete auf Steine oder scharfe Teile.
Sie wagte sich noch ein wenig weiter in den See hinein und spürte, wie das
Wasser mit jedem Schritt kühler wurde. Bald reichte es ihr bis zu den Knien. Mit
den Füßen rührte sie den Schlamm auf, und das Wasser um sie herum wurde
trübe. Vor ihr war es immer noch kristallklar, und sie beobachtete einen
Schwarm winziger Fische, die sich blitzschnell bewegten.
Dabei trat sie auf einen mit Schlamm bedeckten Stein, und ihr Fuß rutschte ab. Sie versuchte noch, ihr Gleichgewicht zu halten, aber fiel auf die Hände und die Knie. Das Wasser spritzte auf und durchnässte die Vorderseite ihres TShirts und der Shorts. „Was zum Teufel tun Sie da?“ schrie Jackson vom Ufer her. Mandy versuchte, auf die Füße zu kommen. Ihre Hände und Knie brannten. Sie musste sie sich am Stein aufgeschürft haben. Der Untergrund war jedoch schlüpfrig, und sie fand keinen Halt. Sie hörte ein Platschen hinter sich, und im nächsten Moment griffen starke Hände unter ihre Achseln und zogen Mandy behutsam wieder auf die Füße. Jackson drehte sie zu sich um, legte die Arme um ihre Taille und hielt sie fest an sich gepresst. Die Wärme fühlte sich gut an. Sie blickte hoch und sah direkt in seine zornigen Augen. „Sie müssen den Verstand verloren haben!“ „Ich ahnte nicht, dass es so glitschig werden könnte.“ Sie hielt sich an Jackson fest, zitterte noch von dem Schreck und war dankbar, dass er sich nicht von ihr zurückzog. „Ich denke, ich schaffe es jetzt allein zum Ufer“, sagte sie schließlich, machte einen Schritt zurück und glitt beinahe wieder aus. Mit einem leisen Fluch hob Jackson sie auf seine Arme und war mit wenigen Schritten am Ufer, wo er Mandy absetzte. Das Wasser strömte aus seinen Schuhen und den Hosenbeinen. „Sie brauchen einen ständigen Aufpasser. So weit ins Wasser hineinzuwaten! Also wirklich! Kein Wunder, dass ihr Freund Sie verlassen hat. Sie bringen einem nur Ärger, weil Sie zu viel wagen. Denken Sie nie an Ihr Baby? Kommen meilenweit her, um auf einem Baugelände zu arbeiten, das völlig ungeeignet ist für eine Frau. Und schon ganz und gar ungeeignet für eine Schwangere. Und wenn Sie nun in ein Senkloch gefallen wären oder sich den Kopf an dem Stein gestoßen hätten? Sie hätten ertrinken können!“ Mandy begegnete unerschrocken seinem Blick. Jackson hatte Recht. Jedenfalls ziemlich Recht. Aber er übertrieb, und das passte ihr nicht. Seine Bemerkung über Marc tat weh. Marc hatte sie nicht verlassen wegen etwas, was sie getan hatte, sondern nur, weil sie schwanger war. „Es ist ja nichts passiert“, entgegnete sie steif. Keiner hatte Jackson gebeten, sie zu retten. „Das mit Ihnen wird nicht gelingen. Ich kann mir nicht Sorgen machen um die Baustelle, um die polizeilichen Ermittlungen bezüglich Petes Veruntreuung und gleichzeitig auch noch Sie überwachen!“ „Ich habe niemanden gebeten, mich zu überwachen. Machen Sie sich meinetwegen keine Sorgen. Ich habe es bis hierher allein geschafft, und ich werde es den Rest meiner Tage auch weiterhin allein schaffen.“ „Sie müssen von hier weg, Mandy, bevor etwas passiert.“ „Fangen Sie nicht wieder damit an, Jackson Witt. Ich gehe nirgendwo hin! Sie sind nicht mein Kindermädchen. Ich brauche niemanden, der sich zum Schutzengel aufspielt.“ Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und marschierte davon. Mandy sah ihm nach, bis er hinter der Biegung verschwand. Ihr fiel ein, was Jeff ihr gesagt hatte. Jackson fühle sich für den Tod von Sammy und seiner Frau verantwortlich. Seiner Meinung nach hätte er sich um die Sicherheit seiner Frau und seines Kindes mehr sorgen sollen. Sie nahm die Schuhe und Socken auf, trug sie zur Decke, setzte sich und zog sie
an. Es war kühl geworden, und sie war froh, dass sie das Sweatshirt überziehen
konnte.
Der Nachmittag war schön gewesen – jedenfalls bis jetzt. Sie faltete die Decke
zusammen, nahm sie unter den Arm und griff nach der so gut wie leeren Tasche.
Damit marschierte sie los.
Gleich hinter der Biegung sah sie Jackson auf sich zukommen. Wortlos nahm er
ihr die Tasche und die Decke ab. Dabei blickte er sie nicht mal an.
„Es tut mir Leid, dass wir Streit hatten“, begann sie. „Ich werde in Zukunft nicht
mehr ins Wasser waten, zumindest nicht, bis das Baby da ist. Ich werde auf mich
aufpassen. Ich werde nichts tun, was meinem Kind schaden könnte.“
Jackson nickte nur und ging in Richtung Camp.
„Darf ich bleiben?“ fragte Mandy und bemühte sich, mit ihm Schritt zu halten.
Diesen Punkt musste sie klären.
„Bis zum Winteranfang, wenn wir die Arbeit einstellen“, antwortete er einsilbig.
Das Schweigen zwischen ihnen war bedrückend, zumindest empfand Mandy es
so. Sie fühlte sich enttäuscht, entmutigt und niedergeschlagen.
Vor ihrem Wohnwagen reichte Jackson ihr die Decke und die Tasche. „Ziehen Sie
sich etwas Trockenes über.“
Mandy nickte mutlos.
„Machen Sie uns in Zukunft keinen Ärger. Ich nehme Sie beim Wort, dass Sie auf
sich selbst aufpassen können.“
Jackson hinterließ sie in einer arg gedrückten Stimmung. Wie war es nur
gekommen, dass ihr leichtsinniges Verhalten einen ganzen Tag ruinierte?
6. KAPITEL Am Montagmorgen entschied Mandy sich für die neue Jeans und die Stiefel. Unter dem Flanellhemd zog sie ein loses TShirt an, falls es für das Hemd zu warm werden sollte. Sie tat ihr Bestes, um das Haar zu zähmen, was ihr mit einem Kopfband halbwegs gelang. Dann betrachtete sie sich prüfend im Spiegel. Sie hoffte, dass sie passend aussah. Um acht saß sie an ihrem Schreibtisch. Jackson zeigte sich erst, als die Leute von Windhaven eintrafen. Er war seit dem frühen Morgen auf dem Baugelände gewesen und hatte dort wohl keinen Zentimeter ausgelassen, den er nicht überprüft hätte. Er wollte sicher sein, dass alles in Ordnung war, falls Norris auf einer Besichtigungstour bestand. Jeff betrat als Erster das Büro und hielt den Gästen die Tür auf. Ein großer, dünner Mann mit grauen Haaren trat nach ihm ein. Sein dunkler Anzug wirkte fehl am Platze, fand Mandy, nachdem sie eine Woche lang nur Jeans und Schutzhelme gewöhnt war. Sein Hemd war blütenweiß, seine Krawatte dunkelrot. Ihm folgte ein jüngerer Mann. In der einen Hand hatte er eine Aktenmappe, in der anderen die Laptoptasche. Auch er trug eine Krawatte zum dunklen Anzug. Das dritte Mitglied der Gruppe war eine hoch gewachsene, schlanke Frau mit kurzem, dunklem Haar. In dem dunkelgrauen Kostüm, dessen Rock kaum bis zum Knie reichte und fantastisch lange Beine freigab – die durch die hohen Absätze noch länger und beeindruckender wirkten –, war sie einwandfrei der Typ Frau, der Karriere machen wollte. Oder die darauf aus ist, sich den richtigen Mann zu angeln, dachte Mandy mit einer Spur Gehässigkeit. Jackson sollte sich vor ihr lieber in Acht nehmen. Ganz sicher beherrschte sie die Kunst, Männer zu bezirzen. Ihr Makeup war makellos, ihre Haltung selbstbewusst. Dieser Frau entging nichts, so wie sie den Blick überallhin wandern ließ. Als sie Mandy bemerkte, zog sie die Augenbrauen hoch. Jeff betrat als Letzter das Büro und schloss die Tür. Er übernahm die Vorstellung. Deirdre Evans vertrat Windhavens PRAbteilung. Als sie Mandy die Hand reichte, lächelte sie ein kurzes und unechtes Lächeln. Paul Norris wusste bereits, dass Mandy die Sekretärin war. Jeff musste ihn auf der Fahrt von Grand Junction her informiert haben. George Peters, der Finanzberater, nahm sie kaum wahr. Er war zu beschäftigt, sein Laptop anzuschließen. „Hatten Sie nicht einen Sekretär?“ fragte Deirdre etwas erstaunt, als sie sich an den langen, provisorischen Konferenztisch setzte, den Mandy für dieses Treffen vorbereitet hatte. Deirdre zog ihren Stuhl ein wenig näher an Jackson heran. „Gibt es mit einer Frau hier auf dem Bau keine Komplikationen?“ Mandy blieb an ihrem Schreibtisch. Sie wurde bei dieser Sitzung zwar nicht gebraucht, konnte aber auch nicht einfach verschwinden. Sie hatte viel zu tun. Und sie wollte bereit sein, um – wenn nötig – noch mehr Kaffee zu machen oder Bleistifte zu spitzen. „Sie ist noch nicht lange hier“, antwortete Jackson einsilbig. Kurz vor der Mittagszeit verkündete Paul Norris, dass er nach Julian zurückkehren wolle, um dort zu essen. Weder Jeff noch Jackson hatten dagegen etwas einzuwenden, was Mandy erstaunte. Waren beide froh über die Unterbrechung? Oder war die Sitzung zu Ende? „Ich schließe mich Jackson an“, erklärte Deirdre und lächelte ihn aufreizend an. „Er kann mir einiges über die Landschaft und die Baupläne erzählen. Ich brauche
noch mehr Informationen, um ausreichend Material für unsere Marketingstrategie zu haben.“ Mandy hatte so ihre eigenen Gedanken, was Deirdre wollte. Und Jacksons Gesichtsausdruck nach zu schließen war er überhaupt nicht davon angetan, mit dieser Frau eine längere Zeit allein zu sein. „Oh, es tut mir Leid, Jackson. Haben Sie den Anruf vergessen, der gegen halb eins kommen soll? Er ist… von Jasper und wirklich wichtig“, warf Mandy ein. Jackson konnte nach der Rettungsleine greifen oder auch nicht. Jedenfalls hatte sie ihr Bestes getan, um ihn davor zu bewahren, vereinnahmt zu werden. Jackson blickte sie zuerst verblüfft an, dann nickte er und schlug sich gegen die Stirn. „Das habe ich doch tatsächlich ganz vergessen. Tja, dann muss ich leider das Essen ausfallen lassen.“ Dann sagte er, an Norris gewandt: „Wenn Sie zurückkommen, können wir einen Rundgang über das Baugelände machen. Sie können den Fortschritt selbst in Augenschein nehmen, und wenn dann noch Fragen aufkommen, beantworte ich Sie Ihnen gern.“ „Wir werden wohl so gegen drei wieder zurück sein“, informierte Paul ihn. „Ein kurzer Rundgang wird genügen. Wie gut Sie vorangekommen sind, haben wir auf der Herfahrt bereits feststellen können. Jeff hat uns eingeführt.“ Nachdem Jeff und die Leute von Windhaven sich auf den Weg gemacht hatten, lehnte Jackson sich mit der Hüfte gegen den Schreibtisch, verschränkte die Arme und betrachtete Mandy belustigt. „Das war Spitze. Wie sind Sie nur daraufgekommen?“ „Keine Lust auf Lunch mit Deirdre, was?“ „Oder die Autofahrt mit ihr nach Julian? Nein, keine Lust. Geschmeidig wie eine Katze. Es wäre vermutlich nicht leicht, wieder aus ihren Klauen herauszukommen. Wer zum Teufel ist Jasper?“ Mandy zuckte die Schultern. „Keine Ahnung. Der Name fiel mir einfach ein. Eine
gute Sekretärin muss manchmal den rettenden Engel für ihren Boss spielen.“
„Hm. Muss ich mir merken. Ach, übrigens, Sie sehen heute anders aus.“
„Ich habe mein Haar zusammengebunden, und ich trage Jeans.“
„Warum?“
Mandy warf ihm einen erstaunten Blick zu. War sie nicht fest davon überzeugt
gewesen, dass er sich an ihrer Aufmachung gestört hätte und dass er sie schon
allein aus dem Grunde für die Arbeit auf dem Bau nicht geeignet hielt? „Um mich
anzupassen“, antwortete sie. „Damit Sie nicht mal merken, dass ich hier bin.“
Er schüttelte den Kopf. „Das wird wohl nicht passieren.“ Er stieß sich vom
Schreibtisch ab und ging auf die Tür zu. „Vergessen Sie nicht, etwas zu essen!
Ich sehe noch mal nach, ob für die große Inspektion alles bereit ist.“
Mandy nahm ihre Tasche und eilte ihrem Wohnwagen zu, wo sie die Beine
hochlegen und eine Kleinigkeit essen wollte.
Mit der Besichtigung war alles nach Plan gelaufen. Jeff erklärte sich bereit, Paul,
Deirdre und George zum zweiten Mal an diesem Tag nach Julian zu bringen, wo
er mit den dreien über Nacht im Hotel bleiben wollte, um sie am nächsten
Morgen zum Flughafen zu begleiten. Mandy stand mit Jackson am Fenster, bis sie
abgefahren waren.
„Ist das Ergebnis befriedigend?“ fragte sie.
„Denke, schon“, erwiderte Jackson und seufzte. „Ich fühle mich total erschlagen.
Sich mit diesen Leuten abzugeben ist schlimmer, als im strömenden Regen
draußen zu arbeiten. Ich geh jetzt los. Ich brauche ein wenig Ruhe.“
Mandy räumte noch ihren Schreibtisch auf und verließ dann das Büro. Bill und
Moose winkten, und Tommy rief ihr einen Gruß zu. Sie kannte die Männer
mittlerweile besser, wahrte aber konsequent Distanz zu ihnen. Jackson wollte
nicht, dass sie mit irgendjemand auf dem Bau Freundschaft schloss.
Als sie an Jacksons Wohnwagen vorbeikam, fiel ihr ein, dass sie von dem Ausflug
am Samstag noch einige übrig gebliebene Schokoladenkekse hatte. Jackson
würde sie mögen. In ihrer Küche füllte sie einen kleinen Kuchenteller mit Keksen.
Dann zögerte sie. Jackson würde es doch wohl nicht falsch auffassen, oder?
Um die Zweifel gar nicht erst aufkommen zu lassen, nahm sie den Teller und ging
los.
Jackson öffnete auf ihr zaghaftes Klopfen hin die Tür.
„Ich dachte, dass Sie nach diesem langen Tag etwas Besonderes für den Magen
gebrauchen könnten. Und nichts muntert einen mehr auf als Schokolade“,
erklärte Mandy und hielt ihm den Kuchenteller hin.
Er blickte auf die Kekse, dann auf Mandy. Es dauerte noch einen Moment, ehe er
zur Seite trat und die Tür weit öffnete. „Kommen Sie herein.“
Sein Wohnwagen war neuer, größer und besser eingerichtet als ihrer, wie Mandy
gleich beim Eintreten bemerkte.
Jackson nahm ihr die Kekse ab und bat sie in den Wohnraum. Als Erstes erblickte
sie das Foto – Jackson mit einer Frau und einem Kind. Zweifellos seine Familie.
Mandy nahm das Foto auf. Sara hatte kurze schwarze Haare und dunkle Augen,
die sie direkt anzulächeln schienen. Sam musste ein niedlicher kleiner Junge
gewesen sein mit dem kecken Haarwirbel und den Sommersprossen auf seinem
Naschen.
„Das Bild wurde zwei Wochen, bevor sie getötet wurden, aufgenommen“, sagte
Jackson mit angespannter Stimme.
Langsam stellte Mandy das Bild wieder zurück. „Tut mir sehr Leid“, flüsterte sie.
„Ja, ich weiß. Es tut jedem Leid. Nur bringt es mir die beiden nicht zurück.“ Das
klang bitter.
Mandy wünschte sich, dass sie ihm etwas Tröstliches sagen könnte. Doch bei
einem solchen Schmerz gab es nichts, was trösten konnte.
„Ich sollte gehen“, murmelte sie und drehte sich um.
„Möchten Sie zum Abendessen bleiben?“ bot Jackson unvermittelt an.
Mandy wandte sich ihm wieder zu und sah ihn überrascht an. Jackson lud sie zum
Essen ein?
„Nichts Großartiges. Nur Spaghetti und Sauce aus dem Glas. Und
Knoblauchbrot.“ Er wirkte verunsichert und sehr einsam.
Es berührte Mandy auf eine Weise, wie sie noch nie empfunden hatte. Sie würde
bleiben, und sie würde sehr gern bleiben. „Hört sich wunderbar an. Kann ich
Ihnen helfen?“
Was hatte er sich da nur wieder eingebrockt? „Ich habe alles im Griff. Spaghetti
sind bereits im Topf und die Sauce in der Pfanne. Es sei denn, Sie möchten einen
Salat. Den habe ich noch nicht vorbereitet.“
„Gut, den mache ich.“ Mandy folgte ihm in die Küche.
Während Jackson das Weißbrot durchschnitt, es dann beidseitig mit
Knoblauchbutter beschmierte und in Aluminiumfolie wickelte, holte Mandy aus
dem Kühlschrank den Salatkopf mit einem Bund Radieschen. Im oberen
Küchenschrank fand sie eine Flasche Salatdressing, und so machte sie sich an die
Arbeit. Keiner von ihnen sagte ein Wort, während sie mit den Vorbereitungen
beschäftigt waren.
Die Einladung zum Essen sollte einfach ein Dank sein für Mandys Einsatz – und
für die Kekse, redete Jackson sich ein. Es gab keinerlei persönliche Gründe.
Doch warum ließ Mandy sein Herz höher schlagen, wenn sie lachte oder ihn mit
strahlenden Augen ansah?
Mandy war ganz anders als Sara.
Er konnte Sara nicht vergessen. Sie waren die längste Zeit ihres Lebens zusammen gewesen. Und ihm war, als ob er sie verraten würde, wenn er nur an eine andere Frau dachte. „Ich denke, wir essen am Tresen“, schlug er vor. „Fein. Wo ist das Besteck?“ „Dort links im Schubfach.“ Nachdem Mandy sich gesetzt hatte, brachte Jackson die Teller, auf die er die Spaghetti mit Sauce gehäuft hatte. „Ich habe zwar einen Appetit für zwei, doch diese Portion reicht für eine ganze Woche“, protestierte sie, als Jackson den Teller vor sie hinstellte. „Sie müssen nicht alles aufessen.“ Es war zwischen ihnen schon zur Gewohnheit geworden, beim Essen zu schweigen. Doch auch wenn Mandy kein Wort sagte, so war Jackson sich ihrer Nähe nur allzu sehr bewusst. Er atmete ihren leichten, süßen Duft ein. Ihre Locken wippten, wenn sie ihren Kopf bewegte. Ihre Haut war eher blass. Sie hatte noch immer die Jeans an und die Flanellbluse, was an ihr absolut nicht zweckmäßig, sondern ausgesprochen sexy aussah. Mandy streckte die Hand aus, um sich ein Knoblauchbrot aus dem Brotkörbchen zu holen – im selben Moment wie Jackson. Ihre Finger berührten seine, und Mandy zuckte zurück, als ob sie sich verbrannt hätte. Jackson reichte ihr das Körbchen und spürte immer noch die flüchtige Berührung mit ihren Fingern. Er warf einen Blick auf ihre Hände. Sie waren schmal, die Fingernägel waren kurz und mit farblosem Lack lackiert. Es wäre schön, von Mandy berührt zu werden… Verdammt, wie war er nur auf den Gedanken gekommen, von Mandy berührt werden zu wollen? Niemals hätte er sie zum Essen einladen sollen. „… im Winter tun?“ Jackson blickte sie verständnislos an. Worüber redete sie? Hatte er tatsächlich nicht mitbekommen, dass sie gesprochen hatte? „Wie bitte?“ „Was werden Sie nach der Stilliegung im Winter tun? Haben Sie schon etwas beschlossen?“ „Jeff und ich haben vor, den Winter über in Julian zu bleiben. Sobald der Schnee da ist, sind die Straßen bis zum Frühjahr unpassierbar. Wir haben zwei Satellitenprojekte, mit denen wir uns beschäftigen werden. Die Wintermonate gehen schnell vorbei, und wir brauchen uns im Frühjahr nicht erst auf den langen Weg hierher zu machen.“ „Wo ich bleiben werde, weiß ich noch nicht. Ich habe fast mein ganzes Leben lang in Denver verbracht. Doch dahin zurück möchte ich nicht. Ich wollte immer irgendwo auf dem Lande leben.“ „Sind Sie tatsächlich mutterseelenallein? Ohne Familie, ohne Freunde?“ „Ja. Keine Großeltern, keine Tanten, keine Onkel. Es ist niemand da.“ „Und wenn Ihnen etwas passiert?“ „Das ist mein schlimmster Albtraum. Dass mir etwas passiert und das Baby ganz allein auf der Welt wäre“, antwortete Mandy nachdenklich. „Ich wette, Sie werden neunzig oder älter.“ „Hoffentlich haben Sie Recht.“ Jackson dachte an seine Familie. Er hatte seine Eltern schon längere Zeit nicht gesehen, aber sie telefonierten mindestens ein Mal im Monat miteinander. Sein Bruder war in Alaska, aber auch mit ihm hatte er noch immer Kontakt. Außerdem hatte er Onkel und Tanten, Cousinen und Cousins, die über ganz Colorado
verstreut lebten. Und wenn er seine Familie brauchte, dann waren alle für ihn da.
Wie während der Zeit, nachdem Sara und Sammy getötet worden waren.
Mandy dagegen hatte niemanden.
Jackson überkam der Wunsch, sie zu beschützen. Er wollte ihr versichern, dass
sie in allen Lagen ihres Lebens mit ihm rechnen könne.
Dann starrte er jedoch auf seinen leeren Teller. Er war wie erschlagen, dass er so
weit gehen wollte, wenn auch nur in Gedanken. Wollte er Mandy tatsächlich Hilfe
anbieten, falls sie in Schwierigkeiten geriet?
Auf keinen Fall!
„Schmeckte wunderbar, doch ich bekomme keinen Bissen mehr runter“, sagte sie
seufzend und legte die Gabel auf den Teller. „Danke für die Einladung.“
Jackson stand auf und fing an, den Tisch abzuräumen.
„Ich kann das Geschirr abwaschen“, bot Mandy an und stellte sich neben ihn vor
die Spüle. Er konnte die Wärme ihres Körpers spüren.
Er wollte sie küssen. Wollte den weichen Körper dicht an sich gepresst fühlen. Er
wollte Mandy Parkerson wirklich, wirklich haben. Er wollte die Vergangenheit
vergessen, ebenso die Zukunft und einfach nur Mandy umarmen.
Der Gedanke erschreckte ihn zu Tode.
Jackson nahm Mandy bei den Schultern und drängte sie aus der Küche. Sogar
durch den Stoff ihres Hemdes konnte er ihre weiche Haut fühlen.
War er verrückt geworden? Er fühlte Flanell, das war alles. Keine seidenweiche
Haut.
„Nein, ich mache das alles selbst. Sie müssen schlafen gehen. Sie sehen müde
aus. Der Tag war hektisch. Morgen müssen wir aufarbeiten, was heute liegen
geblieben ist.“
Wie deutlich er es zeigte, dass er Mandy loswerden wollte, konnte er an ihrem
Blick ablesen. Er hatte ihr wehgetan, hatte ihren Stolz verletzt. Fast hätte er sie
gebeten, doch noch zu bleiben. Fast, nicht ganz. Er durfte es nicht.
„Gute Nacht. Und danke für das Essen.“
Ihre Stimme zitterte ein wenig.
„Ich danke Ihnen für die Kekse.“ Jackson öffnete ungeduldig die Tür. Er wollte,
dass Mandy endlich ging. Wollte, dass sie verschwand, bevor er sich selbst
vergaß und sie in die Arme zog.
7. KAPITEL Auf dem Weg zurück zu ihrem Wohnwagen war Mandy total durcheinander. Was war gerade passiert? Hatten sie nicht in aller Harmonie zusammen zu Abend gegessen? Doch sobald sie vom Tisch aufstanden, hatte Jackson sich nicht schnell genug verabschieden können. Unterhielten Freunde sich denn nicht so, wie sie es getan hatten? Oder glaubte er etwa, dass sie mehr von ihm wollte als die eindeutige Beziehung zwischen Boss und Sekretärin? Vielleicht sollte sie zurückgehen und die Sache klären? Einen Moment lang zögerte Mandy. Dann entschied sie sich dagegen und nahm sich vor, Jackson Witt einfach aus ihren Gedanken zu streichen. Er war ihr ein Rätsel. Noch etwa sieben Wochen blieben ihr hier, bevor sie ihre Habe zusammenpacken und sich nach etwas anderem umsehen musste. Also keine zwei Monate mehr. Kein Grund zur Aufregung. Und kein Grund, sich darüber zu grämen, dass Jackson in seinem Verhalten so wechselhaft war. Sie war die einzige Person, auf die sie sich verlassen konnte. Marc hatte ihr das eindeutig zu verstehen gegeben. Der nächste Morgen verging sehr schnell. Mandy hatte eine Menge zu tun, nur war sie dank einer schlaflosen Nacht nicht gerade in Hochform. Sie war froh über die Mittagspause und eilte zu ihrem Wohnwagen. Hastig machte sie sich ein Sandwich und sank auf das Sofa. Es tat so gut, sich zurückzulehnen und die Augen zu schließen. Nur ein wenig Entspannung, dann würde sie essen. Sie war zwar gleich zu Bett gegangen, nachdem sie von Jackson zurückgekehrt war, aber sie hatte sich die ganze Nacht über hin und hergewälzt. Das Baby war wieder aktiv gewesen, wenn auch nicht so aktiv, dass es ihr den Schlaf geraubt hätte. Die ganze Sache mit Jackson hatte sie aufgewühlt, das war der Grund ihrer inneren Rastlosigkeit. Mandy hatte noch nie zuvor so gefühlt und wusste nicht, wie sie damit fertig werden sollte. Es tat so gut, sich einfach einen kurzen Augenblick lang zu entspannen… Um Viertel nach eins warf Jackson zum dritten Mal einen Blick auf seine Uhr. Mandy war nicht an ihrem Schreibtisch. Bisher war sie immer pünktlich gewesen. Was nahm sie so in Anspruch, dass sie ihre Mittagspause verlängerte? Er setzte seinen Schutzhelm auf und marschierte zur Tür. Der Tag war warm, die Sonne schien an einem wolkenlosen Himmel. Jackson blieb vor dem Büro einen Moment stehen und blickte suchend über das Baugelände. Männer gingen ihrer Arbeit nach. Der Kran hatte am Vortag den letzten Stützpfahl gesetzt, und Moose gab bei den Besuchern wieder mal mächtig mit seinem Können an. Wo war Mandy? Kurz entschlossen ging Jackson zu ihrem Wohnwagen. Hatte sie einfach die Zeit vergessen? Oder war ihr etwas passiert? Hoffentlich nicht schon wieder! Er klopfte und wartete. Nichts. Er klopfte wieder, rief ihren Namen. Immer noch keine Antwort. Er drehte den Knauf und fand die Tür unverschlossen. Also öffnete er sie und trat ein. Mandy schlief tief und fest auf dem Sofa. Ihre Füße hatte sie auf den Sessel gelegt, den sie vor das Sofa gezogen hatte. Neben ihr auf dem Kissen stand ein Teller mit einem Sandwich. Sie hatte noch keinen Bissen gegessen. „Mandy?“ rief er leise. Sie reagierte nicht. Er erinnerte sich, wie Sara darüber geklagt hatte, dass sie ständig müde sei, als
sie mit Sammy schwanger war.
Jackson nahm den Teller vom Sofa und brachte ihn in die Küche. Dann ging er
zum Schlafraum und blieb in der Tür stehen. Der winzige Raum war sauber und
ordentlich. Das Bett hatte Mandy wohl noch vor der Arbeit gemacht. Kein
Schnickschnack wies darauf hin, dass es der Raum einer jungen Frau war. Im
eingebauten Schrank hingen die pastellfarbenen Kleider, die sie anfangs getragen
hatte. Sonst lag nur ihr Duft in der Luft.
Er zog die Decke vom Bett, kehrte in den Wohnraum zurück und deckte Mandy
zu.
Ihre Wangen waren leicht rosig, ihre Wimpern hoben sich wie zwei zarte, dunkle
Halbkreise von ihrer blassen Haut ab. Sie schien jünger zu sein ohne die wilde
Entschlossenheit, die sie ihm gegenüber sonst immer an den Tag legte.
Zögernd berührte Jackson die schimmernden blonden Locken.
Was tat er hier? War er noch zu retten? Sie war eine Angestellte. Und zwar eine,
die ihm vom Tag ihrer Ankunft mehr Scherereien bereitet hatte als all die
anderen zusammen.
Rasch verließ er den Raum, schloss leise die Tür zum Wohnwagen und
marschierte zurück zum Büro. Er schrieb eine kurze Notiz und hinterließ sie auf
Mandys Schreibtisch. Dann ging er. Er hatte reichlich Arbeit zu tun.
Mandy wachte langsam auf. Gern hätte sie sich noch mal umgedreht und
weitergeschlafen. Leider war heute nicht Sonntag.
Heute war Dienstag. Ruckartig setzte sie sich auf. Dienstagnachmittag!
„Oh, nein!“ entfuhr es ihr. Sie schlug die Bettdecke zurück und sprang auf.
Abrupt hielt sie inne und blickte auf die Decke. Hatte sie die Decke hierher
gebracht? Sie konnte sich nicht erinnern.
Sie schaute sich prüfend um und bemerkte das Sandwich auf dem Küchentresen.
Sie wusste, dass sie es zum Sofa gebracht hatte. Sie hatte das merkwürdige
Gefühl, dass jemand in ihrem Wohnwagen gewesen war.
Dann sah sie auf die Uhr. Fast drei Uhr! In Panik hetzte sie aus ihrem
Wohnwagen und rannte zum Büro. Wenn Jackson eine Entschuldigung brauchte,
um sie zu feuern, würde ihm das zupass kommen. Wie konnte sie nur während
der Mittagspause einschlafen? Sie wusste ja, dass sie um ein Uhr wieder zurück
sein musste.
Mit der Entschuldigung auf den Lippen stieß sie die Tür zum Büro auf. Weder Jeff
noch Jackson waren da.
Sie ging zu ihrem Schreibtisch und fand die Notiz.
Mandy – richten Sie sich darauf ein, dass es heute spät wird. Es wird nach sechs werden. Machen Sie Ihre Mittagspause ruhig länger. Machen Sie Ihre Mittagspause länger?
Er wusste es! Es musste also Jackson gewesen sein, der sie zugedeckt hatte.
Nein, das war nicht möglich. Es musste Jeff gewesen sein.
Im Moment war ihr das gleichgültig. Ihren Job hatte sie nicht verloren. Nur durfte
ihr so etwas nicht wieder passieren.
Sie machte sich an die Arbeit und hoffte, dass sie alles unter Kontrolle haben
würde, bevor Jeff oder Jackson wieder zurückkam.
Es war später Nachmittag, als Jeff das Büro betrat und einen ganzen Haufen von
Blaupausen auf seinen Schreibtisch fallen ließ.
„Es ist brütend heiß um die Mittagszeit, und dann fällt das Thermometer so
rapide, dass man eine warme Jacke braucht“, murrte er vor sich hin.
„Bis jetzt haben wir nur gutes Wetter gehabt“, erwiderte Mandy und suchte nach
einem Einstieg in das Thema, das sie am meisten beschäftigte.
„Ja, stimmt, nur soll sich ein Sturm fürs Wochenende zusammenbrauen.“
„Hoffentlich nicht am Freitag. Ich habe einen Termin bei dem Gynäkologen in
Julian.“ Der Gedanke, durch ein Meer von Schlamm zu fahren, behagte ihr
überhaupt nicht.
„Warum machen Sie eigentlich nicht Schluss? Es ist doch längst Feierabend“,
wunderte Jeff sich.
„Jackson hat mir eine Notiz hinterlassen. Ich soll länger bleiben. Er braucht mich
wohl für irgendeine Arbeit.“
„Kommen Sie inzwischen gut miteinander aus?“ erkundigte Jeff sich.
Mandy nickte, obwohl sie nicht ganz sicher war. Immerhin hatte Jackson sie nicht
entlassen, obwohl sie mitten am Tag eingeschlafen war und die Arbeit versäumt
hatte.
Jeff lächelte. „Ich wusste, dass er seine Meinung ändern würde. Dieser Junge ist
nicht dumm.“
Dieser Junge ist ganz sicher kein Junge mehr, dachte Mandy belustigt.
„Sonny hat gestern ‘ne Menge Fisch gefangen. Die Burschen wollen heute Abend
‘ne Party schmeißen mit Bratfisch und allem, was dazugehört. Machen Sie mit?“
„Nein, danke.“ Sie hatte nicht den Wunsch, sich unter die Männer vom Bau zu
mischen. Außerdem wollte sie früh zu Bett gehen. Trotz des Mittagsschlafs.
„Vielleicht ein anderes Mal“, murmelte Jeff und ging zur Tür.
Als Jackson wenig später das Büro betrat, fiel Mandy auf, wie müde er aussah.
Hatte er ebenfalls die Nacht wach gelegen?
„Mir ist es peinlich, dass ich heute Mittag durchgeschlafen habe“, platzte sie
heraus.
Jackson zuckte nur die Schultern, nahm den Schutzhelm ab und fuhr sich mit den
Fingern durchs Haar. „Schwangere Frauen sind ständig müde.“
Natürlich, er musste es wissen. Seine Frau war ja schwanger gewesen.
„Ich weiß es zu schätzen, dass Sie mir heute Abend die Zeit geben, um das
aufzuholen.“
„Es gibt viel zu tun, was aber nicht bedeutet, dass alles zwischen acht und fünf
getan werden muss.“ Er setzte sich an seinen Schreibtisch, kippte mit dem
Sessel weit zurück und starrte an die Wand.
Mandy war sich nicht sicher, ob sie ihn fragen sollte, welche Arbeit er für sie
vorgesehen habe, oder ob sie abwarten sollte, bis er selbst damit kam. Eigentlich
hatte sie von ihm eine bissige Bemerkung erwartet über Angestellte, die während
der Arbeitszeit vom Schlaf übermannt werden. Die Bemerkung blieb allerdings
aus.
Es dauerte eine ganze Zeit, bis er den Sessel wieder auf alle vier Beine
zurückbrachte und den Stapel Post auf seinem Schreibtisch durchsah.
„Erledigen Sie das bitte gleich morgen. Ich mache für heute Schluss.“ Damit
erhob Jackson sich und ging zur Tür.
„Warum wollten Sie, dass ich auf Sie warte?“ rief Mandy ihm hinterher.
Er wich ihrem Blick aus. „Ich dachte, dass Sie Ihre Arbeitsstunden selbst
festsetzen können, wenn Sie mögen. Machen Sie eine längere Mittagspause, und
legen Sie sich hin. Der kurze Schlaf wird Ihnen gut tun.“ Ohne ihre Antwort
abzuwarten, öffnete er die Tür und trat in die Dämmerung hinaus.
Mandy war verblüfft. Tagelang meckerte er herum, dass dies nicht der richtige
Platz für sie sei. Und dann, als sie ihm einen echten Grund gegeben hatte, sie zu
feuern, zeigte er sich entgegenkommend.
Niemals würde sie diesen Mann verstehen.
Die folgenden zwei Tage vergingen ohne ein besonderes Ereignis. Mandy nahm
sich zwei Stunden für die Mittagspause und legte sich tatsächlich für einen
kurzen Schlaf hin. Doch so tief und lange wie am Dienstag schlief sie nicht mehr.
Als sich die Gelegenheit bot, wollte sie Jackson für seine Rücksichtnahme danken. Er ließ sie jedoch abblitzen. Am Freitag wollte Mandy durcharbeiten. Sie wollte die Zeit einholen, die sie am Nachmittag an ihrem Schreibtisch versäumen würde. Es war halb eins, als Jackson das Büro betrat. „Was tun Sie hier? Ist jetzt nicht Lunchzeit?“ Mandy fuhr ruhig in ihrer Arbeit fort. „Heute mache ich durch. Ich habe am Nachmittag einen Termin beim Arzt. Jeff hat es bewilligt.“ „Sind Sie krank?“ „Nein. Nur eine Routineuntersuchung.“ Er ging zu seinem Schreibtisch. Beide arbeiteten vor sich hin, obwohl Mandy ihn heimlich beobachtete und sehr darauf bedacht war, dass er sie nicht dabei erwischte. Sein Haar war zerzaust, weil er sich mit den Fingern dauernd durchs Haar fuhr. Jackson konnte sich auf seine Arbeit so intensiv konzentrieren, wie sie es eigentlich bei niemandem je vorher gesehen hatte. „Ich könnte Sie hinbringen“, bot Jackson in die Stille hinein an. „Wie bitte?“ Mandy blickte hoch. Worüber redete er? „Ich könnte Sie heute Nachmittag nach Julian fahren. Ich muss sowieso in die Stadt, um im Eisenwarengeschäft einige Bestellungen abzuholen. Es sei denn, Sie haben etwas gegen einen Truck einzuwenden.“ „Gegen einen Truck habe ich nichts. Ich möchte nur nicht, dass Sie sich meinetwegen Umstände machen.“ Jackson hatte ihr angeboten, sie nach Julian zu fahren? Ihr Herz machte einen Satz. Mandy erinnerte sich, wie befangen sie beim Lunch und beim Picknick gewesen war. Mit Jackson die ganze Fahrt über in einem Truck eingeschlossen zu sein, das würde sie verrückt machen. Dennoch war der Gedanke auch verlockend. Vielleicht könnten sie ja die gelockerte Stimmung wieder aufleben lassen, die das letzte Mal zwischen ihnen bestanden hatte. Vielleicht würde es aber auch in Streit ausarten, so wie es gewöhnlich der Fall war. „Sie werden müde sein, und bis Sie mit den Untersuchungen fertig sind, ist es dunkel. Ich habe ein besseres Gefühl, wenn ich fahre. Außerdem gibt es keinen Grund, warum wir mit zwei Wagen dieselbe Strecke fahren sollen. Wir verschwenden nur unnütz Benzin.“ Was Jackson sagte, machte Sinn. Und es war ganz sicher besser, wenn jemand sie in der Dunkelheit zurückfuhr. „Okay. Dann… danke.“ „Wann ist der Termin?“ „Halb fünf.“ Jackson stand auf. „Wir brechen um Viertel vor vier auf“, sagte er auf dem Wege zur Tür. „Und nehmen Sie sich Ihre Mittagspause. Arztbesuche sind gedeckt.“ An der Tür blieb er kurz stehen und sah Mandy an. „Warum ziehen Sie nicht das rosa Kleid an? Vielleicht essen wir heute Abend irgendwo in der Stadt eine Kleinigkeit, bevor wir zurückfahren.“ Damit ging er. Mandy starrte völlig perplex auf die geschlossene Tür. Hatte er sie tatsächlich zum Essen eingeladen?
8. KAPITEL Um Punkt Viertel vor vier verließ Mandy ihren Wohnwagen und ging hinüber zum
Büro. Den ganzen Nachmittag hatte sie hin und her überlegt, ob sie die Jeans
oder doch das Kleid anziehen sollte. Sie hatte sich für das Kleid entschieden und
war damit Jacksons Bitte gefolgt. Immerhin hatte er ihr angeboten, sie nach
Julian zu fahren.
Er war nicht im Büro, als sie hereinschaute.
„Jackson sagte, dass er gleich wieder da sein würde“, erklärte Jeff. „Er müsse
etwas überprüfen. Der Sturm kommt schneller auf, als erwartet. Ich wette, dass
es regnen wird, ehe Sie zurück sind.“
„Wie gut, dass Jackson fährt. Ich hätte es nicht so gern, auf dieser Holperstraße
bei Dunkelheit im Regen zu fahren.“
„Sein Truck kommt durch alles hindurch.“
Mandy hörte das Rumpeln von Jacksons Lieferwagen und verabschiedete sich
schnell von Jeff. Noch bevor sie die wenigen Stufen unten war, war Jackson
vorgefahren und aus dem Fahrerhaus des Trucks geklettert.
Sie hoffte, dass er nicht mitbekam, wie nervös sie war. Er sah unverschämt
attraktiv aus in seiner Jeans und dem Hemd, das sich über seinen breiten
Schultern spannte. Kein Wunder, dass ihr Herz wie verrückt klopfte.
Seine Augen waren hinter den Sonnengläsern verborgen. Vielleicht war es besser
so, fand Mandy und kletterte auf den Beifahrersitz.
Nachdem sie sich gesetzt hatte, schloss Jackson die Beifahrertür und ging um
den Truck herum zur Fahrerseite. Sekunden später startete er den Motor.
„Haben Sie eine Menge Sachen abzuholen?“ fragte Mandy, nur um etwas zu
sagen. Die Fahrt würde knapp vierzig Minuten dauern. Vierzig Minuten
Schweigen! Wie sollten ihre Nerven das aushalten?
„Wenn alles geliefert wurde, wird die Pritsche voll“, antwortete er.
Sie wartete, doch Jackson sagte nichts mehr. Keine Bemerkung über ihr Kleid,
über die Warenbestellung beim Eisenwarenhändler oder über irgendetwas
anderes. Nichts.
Die Minuten vergingen.
Er räusperte sich. „Wollen Sie, dass ich in der Praxis auf Sie warte, bis Sie mit
der Untersuchung fertig sind?“
„Um Himmels willen, nein. Sobald ich fertig bin, komme ich zum Laden, und wir
treffen uns da.“
Und wieder mal bedauerte Mandy es, keine Familie zu haben. Es wäre schön,
vom Arzt zu kommen und erwartet zu werden. Es wäre herrlich, wenn jemand da
wäre, der mit ihr das Wunder des Werdens und der Geburt des Kindes teilte.
„Ich warte dann vor der Praxis im Truck“, sagte er.
„Nein, nein. Ich weiß nicht, wie lange die Untersuchung dauert. Julian ist keine so
große Stadt, dass ich das Eisenwarengeschäft nicht finden könnte.“
„In Ordnung.“
Die nächsten zwölf Meilen vergingen wieder im Schweigen. Mandy versuchte,
sich an der Landschaft zu freuen, aber es gab nur große dicke Bäume. Es war, als
ob sie durch einen grünen Tunnel fuhren. Mandy wurde schläfrig. Sie schloss die
Augen.
„Mandy?“
Jackson lehnte sich über sie und schüttelte sie sanft an den Schultern. „Wachen
Sie auf. Wir sind da.“
Sie blinzelte und war sofort hellwach.
„Oh, tut mir Leid. Ich wollte nicht einschlafen.“
Er verzog ein wenig das Gesicht. „Ist schon gut. Ich kann wohl kaum behaupten, dass meine anregende Unterhaltung Sie wach gehalten hat.“ „Unterhaltung? Sie sind doch der schweigsame Typ.“ Jackson lächelte belustigt. „Meinen Sie?“ Er brauchte ihr nun wirklich nicht so nahe zu sein. Sie war ja wach. Er könnte sich wieder auf seinen Sitz zurücklehnen und ihr ein wenig Raum zum Atmen lassen. Mandy fasste nach dem Türgriff und blickte Jackson an. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt. Sie konnte seinen Atem auf ihrer Wange fühlen. Und plötzlich war ihr, als ob sie schwebte. Sie konnte nicht wegschauen. Wie würde es sein, wenn sie sich ein wenig vorlehnte und ihre Lippen über seine Lippen streichen ließ? Wenn er sie in seine starken Arme ziehen und sie küssen würde, als ob es kein Morgen gäbe? Du meine Güte! Jetzt war sie völlig durchgedreht. Sie zu küssen, das wäre vermutlich das Letzte, was Jackson Witt im Sinn hatte. Mandy hatte Mühe, den Sicherheitsgurt zu öffnen. „Ich komme dann zum Eisenwarengeschäft“, sagte sie, stieß die Tür auf und wäre fast aus dem Truck gepurzelt. „Einverstanden?“ Sie blickte zu ihm hoch. Er nickte und wirkte etwas verwirrt. Sie warf die Tür zu und ging forsch den Gehweg hinunter, der zu dem niedrigen Backsteingebäude führte, in dem sich die Arztpraxen befanden. Idiot! schalt sie sich. Jackson musste denken, dass sie total übergeschnappt war. Er hatte nichts weiter getan, als sie aufgeweckt. Und sie? Mandy verließ die Arztpraxis und fühlte sich glücklich wie schon lange nicht. Der Befund war ausgezeichnet, bis auf eine Kleinigkeit. Sie hatte mehr zugenommen, als für den entsprechenden Zeitpunkt der Schwangerschaft vorgesehen war. Doch das war nichts, worüber sie sich Sorgen zu machen brauchte. Der Arzt hatte mit ihr bereits über die Geburt gesprochen. Sie musste sich bald entscheiden, ob sie in Julian bleiben oder doch lieber nach Denver zurückkehren wollte. Es war nicht mehr lange hin, bis sie ihre kleine Tochter oder ihren kleinen Sohn in den Armen halten würde. Erst nach einer ganzen Weile wurde ihr bewusst, was um sie herum vor sich ging. Ungewöhnlich viele Menschen waren auf der Straße. Mandy hatte nicht damit gerechnet, dass Julian so viele Einwohner hatte. „Entschuldigen Sie bitte“, sagte sie zu einer Frau, die an ihr vorübereilte. „Ich wollte zum Eisenwarengeschäft. Ist es noch weit?“ „Oh, zu Jesses Laden? Noch zwei Straßenecken weiter, und dann nach rechts in die Summer Street.“ „Danke. Ist heute etwas los in der Stadt?“ Die Frau sah sie überrascht an. „Football, was sonst? Die Band der High School und das Team marschieren um sechs durch die Stadt. Das machen sie immer, wenn wir ein Heimspiel gegen eine super Gegenmannschaft haben. Dann ist die ganze Stadt unterwegs zum Footballplatz, um dabei zu sein, wenn unser Team den Gegner vernichtend schlägt.“ Mandy bedankte sich und ging in die von der Frau angegebene Richtung. Die Stadt war tatsächlich in heller Aufregung. Und die Farben Blau und Gold überwogen. Waren es die Schulfarben? Keine Autos waren mehr auf der Straße geparkt. Der Wagen des Sheriffs fuhr langsam die Straße entlang, und der Sheriff rief aus dem offenen Seitenfenster den Leuten Grüße zu. Kinder rannten herum, und die Senioren der Stadt standen in Gruppen, unterhielten sich und lachten.
Wenn sie nach Julian ziehen würde, würden sie und ihr Kind ein Teil dieser Stadt
werden. Vielleicht würde sie einen Sohn haben, der Football spielen wollte.
Vielleicht würde sie eines Tages mit den anderen auf dem Gehweg stehen,
während er stolz vorbeimarschierte zum Spiel gegen die gegnerische High
SchoolMannschaft.
Als Mandy in die Nebenstraße einbog, merkte sie sofort den Unterschied. Hier
war alles wie ausgestorben. Sie fand das Eisenwarengeschäft problemlos, denn
Jacksons Truck stand davor. Die Ladefläche war bis obenhin voll und mit einer
Plane abgedeckt.
„Startklar?“ rief sie Jackson munter zu.
Er wies mit dem Kinn zum Truck hin. „Die Ware ist komplett aufgeladen. Es ist
noch ein wenig zu früh, um zu essen. Möchten Sie vorher noch etwas erledigen?“
„Wir könnten uns den Umzug anschauen“, schlug sie vor.
„Welchen Umzug?“ fragte Jackson.
Mandy erklärte es ihm, und er zuckte die Schultern. „Wenn Sie mögen. Wir
lassen den Truck hier und kommen dann zurück.“
Mandy und Jackson fanden einen Platz zwischen zwei Häusern an der
Hauptstraße, von dem aus sie die perfekte Sicht haben würden. Auf beiden
Straßenseiten standen die Menschen dicht beieinander. Die Stimmung war
festlich.
Um Punkt sechs Uhr hörten sie den Auftakt eines Marschliedes. Mandy lehnte
sich vor, um die HighSchoolBand zu sehen, die hier vorbeikommen sollte.
Ein kalter Windstoß fegte die Straße hinunter, und Mandy erschauerte.
„Sie hätten einen warmen Mantel mitnehmen sollen“, bemerkte Jackson.
„Ich halte es schon durch. Nachher im Truck wird es schnell warm.“
Jackson stellte sich vor Mandy, so dass er den Wind abfing. Als er aber bemerkte,
wie sie vor Kälte zitterte, öffnete er sein Jackett, zog Mandy mit dem Rücken an
sich und legte die beiden Vorderseiten des Jacketts, soweit es ging, um sie.
Mandy fühlte sich so dicht an Jacksons Körper sofort wunderbar warm und
geborgen. Sie sah über die Schulter zu ihm hoch. „Danke“, flüsterte sie.
„Nicht dass Sie sich hier zu Tode frieren! Vielleicht sollten wir doch lieber gehen.“
In diesem Moment kam die Band in Sicht. An die zwanzig Teenager marschierten
trotz Wind und Kälte stolz in ihrer marineblauen mit Weiß und Gold abgesetzten
Uniform und den keck sitzenden Schirmmützen.
Die Zuschauer begrüßten sie mit Bravorufen und Klatschen, und Mandy tat es
ihnen gleich.
„Kennen Sie jemanden von diesen Kids?“
Mandy schüttelte den Kopf. „Nein, aber es macht Spaß. Vielleicht habe ich eines
Tages einen Teenager, der in der Band mitmarschiert. Oder der Football spielt.“
Jackson verkrampfte sich, und Mandy bedauerte, was sie da gesagt hatte. Er
dachte jetzt wohl an seinen Sohn.
„Wenn Sie möchten, können wir gehen“, bot sie an.
Überrascht sah er auf sie herunter. „Warum sollte ich gehen wollen? Der Umzug
ist noch nicht vorbei.“
„Ich dachte, dass Sie sich dabei an Ihren Sohn erinnern und dass es Sie traurig
macht.“
„Ja, das tut es. Doch das Leben geht weiter, Mandy. Ich kann Sammy nicht
wieder zurückhaben. Er wird niemals die High School besuchen, Football spielen
oder eine Verabredung mit einem Mädchen haben. Das ist alles nicht sehr einfach
hinzunehmen. Sammys Leben war zwar kurz, aber es war schön, ihn gehabt zu
haben. Die Welt kann nicht stehen bleiben, weil mein Sohn nicht mehr in der
Welt ist.“
Mandy hob den Kopf, stellte sich auf die Zehenspitzen, um alles mitzubekommen,
und freute sich wie ein Kind an dem simplen Umzug. Sie umarmte das Leben mit
all ihrer Begeisterung.
Jackson bekam ernsthafte Probleme. Er hielt eine quicklebendige, blühend
gesunde junge Frau umschlungen. Und sein lange ausgehungerter Körper
reagierte darauf. Zum ersten Mal seit Sara gestorben war, begehrte er eine Frau.
Nicht irgendeine Frau. Mandy.
Als dieser Gedanke ihn durchzuckte, kamen ihm sofort ungezählte Gründe in den
Sinn, warum er seinen Gefühlen nicht nachgeben sollte. Mandy arbeitete für ihn.
Er wollte mit keiner Angestellten verwickelt werden. Und er vermutete, dass
Mandy zu tiefen Gefühlen fähig war und sich sowieso nicht so leicht in eine
Liebesbeziehung hineinziehen lassen würde. Ihr wurde wehgetan, und mit einer
oberflächlichen Affäre würde sie sich nicht abgeben.
Das Footballteam kam in Sicht mit den hübschen Cheerleadern an der Spitze. Die
Jungs sahen alle gleich aus mit ihren gepolsterten Jacken, den Helmen und dem
Gesichtsschutz. Die Leute aus der Stadt kannten jedoch ihre Jungs und wussten,
wer sich hinter dem Gesichtsschutz verbarg, und der Jubel wurde lauter und
lauter.
Ein Kabrio folgte, auf dem die Trainer saßen und der Menge zuwinkten.
Dann war es vorbei. Die Menschenmenge zerstreute sich. Die meisten gingen in
Richtung High School. Kurz darauf waren Mandy und Jackson zurück bei seinem
Truck.
„Das hat wirklich Spaß gemacht“, meinte sie strahlend, setzte sich auf ihren Sitz
und schloss den Sicherheitsgurt. „Jeder schien so begeistert zu sein. Ich hoffe,
dass die Mannschaft gewinnt.“
„So etwas findet man fast in jeder Kleinstadt. Jeder kennt jeden. Und es ist
aufregender, wenn sie auf ihrem eigenen Feld gewinnen.“
„Denver ist mir zu unpersönlich. Ich glaube, ich bleibe hier. Vielleicht bekomme
ich ja einen Job in diesem neuen Erholungsort, wenn er eröffnet wird.“
„Warten Sie erst mal den Winter ab. Sie könnten sich dann anders besinnen“,
warnte Jackson. „Wie wär’s, wenn wir jetzt irgendwo etwas essen würden?“
„Sehr gern.“
„Ich dachte an ein Lokal an der Stadtgrenze. Es ist ein altes Farmhaus, das man
in ein Restaurant umgebaut hat.“ Jackson war noch nie dort gewesen, aber es
würde zu dem Kleid passen, das Mandy trug.
9. KAPITEL Das ehemalige Farmhaus, das man zu einem Restaurant umgebaut hatte, gefiel
Mandy sehr. Es hatte Charme. Das Restaurant nahm das ganze Erdgeschoss des
alten Gebäudes ein. Um den Kamin, in dem ein Feuer brannte, das den großen
Raum wärmte, standen in angenehmem Abstand voneinander kleine Tische mit
zwei oder drei Stühlen.
Die Empfangsdame führte Mandy und Jackson zu einem Tisch nahe am Kamin,
doch weit genug entfernt, dass es ihnen nicht zu heiß wurde.
„Wie hübsch“, stellte Mandy erstaunt fest. Sie hatte in Julian kein so elegantes
Lokal erwartet.
Nachdem sie bei der Kellnerin bestellt hatten, lächelte Mandy scheu. „Danke,
dass Sie mich hierher gebracht haben. Ich weiß es wirklich zu schätzen.“
„Wir wollen doch nur einen Happen essen“, wehrte Jackson ab.
Es war schon seltsam, wie er sich in Schweigen hüllte, sobald sie irgendwo am
Tisch saßen und eine Mahlzeit einnahmen. Mandy versuchte, sich nicht
entmutigen zu lassen und einfach draufloszureden.
„Ich bin froh, dass ich heute nicht zu kochen brauche.“
„Ich dachte, das tun Sie gern.“
„Das tue ich auch, aber nicht für mich selbst. Wird es Ihnen nicht auch über, nur
für sich allein zu kochen?“
„Jeff kommt oft genug zu mir rüber.“
„Erzählen Sie mir, wie Sie und Jeff so weit von zu Hause weg zu diesem Projekt
gekommen sind.“
„Weit weg von zu Hause?“
„Sind sie doch beide aus Fort Collins, oder? Das liegt am anderen Ende von
Colorado.“
„Wir sind zwar aus Fort Collins, doch mein Zuhause ist es nicht. Mein Zuhause ist
da, wo ich gerade bin.“
Nun gut, dachte Mandy, dann lassen wir es eben. Sie gab die Unterhaltung auf,
als sie merkte, dass Jackson nicht reden wollte. Jedenfalls wirkte er so.
Nachdem ihr Essen gekommen war, aßen sie schweigend. Mandy schmeckte es,
und sie langte mit großem Appetit zu.
Ihr war schleierhaft, warum Jackson sie zum Essen eingeladen hatte. Sie würde
ihn jedenfalls nicht danach fragen. Jackson faszinierte sie, sie konnte es nicht
leugnen, aber begreifen würde sie ihn wohl nie. Nur selten verriet er, was in ihm
vor sich ging, und praktisch nie sprach er über sich selbst. Und doch hatte er sich
vorher beim Umzug von einer fürsorglichen und liebevollen Seite gezeigt.
Es regnete in Strömen, als sie das Restaurant verließen.
„Warten Sie hier!“ rief Jackson. „Ich bringe den Truck vor die Tür. Und bleiben
Sie stehen, bis ich Sie hole. Ich möchte nicht, dass Sie auf dem nassen Asphalt
ausrutschen.“
Und wieder wärmte seine Herzlichkeit. Dass jemand sich um sie Sorgen machte,
tat Mandy unendlich gut.
Die Rückfahrt auf der Schotterstraße war nicht ungefährlich. Die Schlaglöcher
waren bereits mit Wasser gefüllt. Der Regen peitschte gegen die
Windschutzscheibe, und die Scheibenwischer kamen gegen die Wasserflut kaum
an. Die Bäume auf beiden Seiten der Straße bogen sich im Sturm, so dass es
schien, als ob sie jeden Augenblick auf den Truck krachen würden.
Mandy konnte Jackson in der spärlichen Beleuchtung vom Armaturenbrett kaum
erkennen. Sonst herrschte tiefe Dunkelheit, nur das Licht der Scheinwerfer
durchschnitt mit schmalen Kegeln die Regenwand.
Mandy versuchte, sich zu entspannen. Wenn Jackson sich keine Sorgen machte, so würde sie sich auch keine machen. Sie vertraute ihm. Jackson fuhr den Truck bis vor die Treppe ihres Wohnwagens. „Ich hoffe, das Wetter beruhigt sich bald. Der Voraussage nach soll es damit am Sonntagabend vorbei sein.“ „Also wird es kein Problem mit der Arbeit am Montag geben.“ „Nein. Warten Sie, ich komme rum und helfe Ihnen aus dem Truck.“ Mandy holte die Schlüssel aus ihrer Tasche, dann öffnete sie die Beifahrertür. Der Wind war schneidend. Sie streckte Jackson die Hand hin, doch er umfasste kurz entschlossen ihre Taille und hob sie aus dem Truck. Er hielt sie bei der Hand, als sie die kurze Treppe hinaufliefen. „Kommen Sie auf eine Tasse Kaffee mit rein?“ fragte sie Jackson, nur um höflich zu sein. Sie erwartete nicht, dass er ihre Einladung annehmen würde. Er zögerte einen Moment, dann nickte er und trat ein. Das verwirrte Mandy so, dass sie einen Moment lang nicht recht wusste, was sie als Nächstes tun sollte. Jackson wartete nicht, dass sie ihn zum Sitzen aufforderte. Er nahm auf dem Sofa Platz, und sie ging in die winzige Küche, um den Kaffee vorzubereiten. Sie hatte keine selbst gebackenen Kekse mehr. Nur noch ein paar gekaufte Plätzchen. Vielleicht sollte sie ihm das Gebäck gar nicht hinstellen. Wahrscheinlich würde Jackson nur den heißen Kaffee hinunterstürzen und sich gleich wieder verabschieden. Mandy ließ sich Zeit, wollte sich erst beruhigen und mit ihren Gefühlen ins Reine kommen. Sie konnte es nicht mehr leugnen, dass Jackson sie mittlerweile auf eine Weise anzog, die sie für ausgesprochen gefährlich hielt. Als sie den Kaffee in den Wohnraum brachte, wirkte Jackson entspannt, so als ob er sich wohl fühlte. Er erhob sich, nahm ihr den Becher mit dem Kaffee und den Teller mit dem Gebäck ab und stellte beides auf den Tisch. „Jeff hat morgen Geburtstag. Wussten Sie das?“ fragte er. „Nein, das habe ich nicht gewusst. Schade, dass Sie es mir nicht schon früher gesagt haben. Ich hätte ihm in Julian ein Geschenk kaufen können.“ „Er will keine Geschenke. Die Männer und ich haben eine trockene Party geplant.“ „Eine trockene Party?“ „Ja, eine Party ohne Alkohol. Wir haben einen Teil des Hauptgebäudes überdeckt, und wenn es nicht hereinregnet, halten wir da die Party. Wollen Sie nicht kommen? Sie sind herzlich eingeladen. Einige der Jungs bringen ihre Freundinnen mit. Und einige der Ehefrauen, die in regelmäßigen Abständen ihre Männer hier besuchen, werden auch dabei sein. Also werden Sie nicht das einzige weibliche Wesen sein.“ „Ich komme gerne. Um welche Zeit?“ „So gegen sieben.“ Jackson nahm eine Hand voll Plätzchen und aß eins nach dem anderen. Mandy war zufrieden, ihn zu beobachten und an dem Kräutertee zu nippen, den sie für sich aufgebrüht hatte. Es war gemütlich und warm im Wohnwagen. Man hörte den Regen auf das metallene Dach trommeln. Der Wind brauste hin und wieder auf und rüttelte leicht an den Wänden. Doch Mandy war nicht beunruhigt. Sie war angenehm müde nach dem langen Tag. Sogar ihre überreizten Nerven hatten sich beruhigt. „Haben Sie schon einen Namen für Ihr Baby?“ fragte Jackson unvermittelt. „Noch nicht. Obwohl mir eine ganze Reihe eingefallen war. Waren Sara und Sie sich sofort einig, dass Ihr Sohn Sammy heißen sollte?“
„Er bekam den Namen von unseren Vätern. Mein Vater heißt Samuel Witt und
Saras Vater George Samuel Andrews.“
Mandy trank ihren Tee in kleinen Schlucken und dachte nach. Es wäre schön,
einem Baby den Namen eines Familienmitglieds zu geben und so die Tradition
Generationen hindurch fortzusetzen. Nur gab es bei ihr keine Tradition, die sie
weitergeben konnte. Ihre Eltern hatten sie ja verlassen.
„Es ist spät geworden. Ich sollte gehen“, murmelte Jackson schließlich, setzte
seinen leeren Becher ab und erhob sich.
„Danke für das Essen in dem schönen Restaurant. Und danke auch, dass Sie
mich nach Julian mitgenommen haben. Ich hätte des Wetters wegen
wahrscheinlich in Julian übernachten müssen“, sagte Mandy und stand ebenfalls
auf. „Es war für mich ein sehr schöner Tag“, fügte sie leise hinzu.
Es war deutlich, dass Jackson etwas sagen wollte. Doch er sah sie nur kurz und
prüfend an, nahm sie in die Arme und küsste sie unvermittelt.
Mandy war so verblüfft, dass sie sich ganz steif machte, wenn auch nur für den
Bruchteil einer Sekunde. Dann vergaß sie alles und gab sich den Empfindungen
hin, die sie durchströmten. Jackson hielt sie so fest an sich gepresst, dass Mandy
kaum atmen konnte. Sie schlang die Arme um seinen Hals und küsste ihn mit
einer solchen Leidenschaft zurück, dass es sie bei klarem Verstand selbst
schockiert hätte.
Plötzlich zog Jackson sich zurück.
Nur zögernd löste Mandy die Umarmung und blickte ihn fragend an.
„Ich hätte das nicht tun dürfen“, flüsterte er und fuhr mit dem Daumen über ihre
Lippen.
Fast hätte Mandy geweint, als er sie so zärtlich berührte.
„Sag nicht, dass es dir Leid tut“, bat sie.
Jackson schüttelte den Kopf. „Ich hätte das nicht tun dürfen“, wiederholte er.
Mandy stellte sich auf die Zehenspitzen und fuhr zart mit den Lippen über seine
Lippen.
Jackson stöhnte unterdrückt, drehte sich abrupt um und ging davon. Der
Wohnwagen schwankte, so heftig schlug er die Tür zu.
Mandy schlang die Arme um sich. Ihr war plötzlich eiskalt, und sie fühlte sich wie
ausgestoßen nach seinem abrupten Verschwinden.
Sara ist nicht mehr.
Jackson öffnete die Tür seines Trucks und glitt auf den Fahrersitz.
Das Leben ging weiter.
Er ballte die Fäuste und schlug auf das Lenkrad. Er hatte ein zurückgezogenes
Leben geführt. Nur die Arbeit zählte. Den Tag hindurch verbannte er Sara und
Sammy aus seinen Gedanken.
Doch nachts waren sie wieder da. Allerdings nicht greifbar.
Er startete den Truck. Er musste nach Hause.
Zurück in seinem Wohnwagen schaltete er das Licht an. Der Raum war kalt.
Steril. Außer dem Bild von Sara und Sammy gab es nichts Persönliches hier.
Wie anders war es bei Mandy. Ihr Wohnwagen strahlte Wärme aus. Er konnte
sich an keine persönlichen Dinge erinnern – Fotos oder andere Sachen. Aber es
war dennoch anheimelnd.
Das Leben geht weiter.
Er nahm das eingerahmte Foto in die Hand und strich mit der Fingerspitze über
Saras Wangen. Kaltes Glas unter seiner Berührung. Er tippte auf Sammys
Naschen. Nur kaltes Glas. Mit einem tiefen Seufzer brachte er das Foto in sein
Schlafzimmer und stellte es auf seinen Nachttisch. Es wurde Zeit, nach vorn zu
schauen.
Mandy genoss die Sonntage, wenn sie in ihr Bett gekuschelt so lange schlafen konnte, wie sie wollte. Warum war sie dann aber bereits vor sieben Uhr hellwach? Wegen Jackson Witt natürlich. Sie musste eine Methode finden, die es möglich machte, ihn zu vergessen. Den Kuss zu vergessen. Doch wie sollte das gehen? Niemals vorher war sie so geküsst worden. Und niemals vorher hatte sie jemand wie Jackson gekannt. Bleib weg von ihm, ermahnte sie sich. So gut wie alle, die auf dem Bau arbeiteten, waren da. Dazu kamen das Dutzend Ehefrauen und die Freundinnen der Männer. Mandy entdeckte Jeff im Gewühl. „Mandy, wie nett, dass Sie gekommen sind!“ Er begrüßte sie mit einem breiten Lächeln. „Alles Gute zum Geburtstag, Jeff!“ „Ist das für mich?“ fragte er mit einem Blick auf den mit Folie umschlossenen Plastikteller, den sie in der Hand hielt. „Sie sagten mal, dass Sie Haferflockenplätzchen besonders mögen. Also habe ich Ihnen gleich heute Morgen einen ganzen Berg gebacken.“ „O ja, das sind meine liebsten Kekse. Danke, danke!“ Er küsste sie auf die Wange. „Dort drüben auf den Tischen steht eine Menge zu essen. Und die Getränke finden Sie bei der provisorischen Bar.“ Ein junges Paar kam, um Jeff zu gratulieren, und Mandy zog sich zurück. Sie bemerkte, dass die Fensteröffnungen abgedeckt waren, um die Kälte abzuhalten. An der hohen Decke zogen sich die Rohrleitungen und Kabelkanäle hin, die wohl noch vor der Arbeitsunterbrechung zum Winter eingefasst werden würden. Mandy schlenderte umher, lächelte den Männern zu, die ihr einen Gruß zuriefen. Zwei blieben vor ihr stehen, um sie mit ihren Frauen bekannt zu machen. Die Musik war schnell und wild. Paare tanzten, Männer klatschten die Frauen ab und wechselten die Partnerin. Jeder schien sich zu amüsieren. Mandy blieb stehen, um ein wenig wehmütig den tanzenden Paaren zuzusehen. Ihre sorglosen Tage waren vorbei. In gut zwei Monaten würde sie Mutter sein. Sie würde ein Kind haben, das sie voll beanspruchen würde – und das auf Jahre hinaus. Mandy schaute sich nach Jackson um. War er nicht gekommen? Dann erblickte sie ihn. Er stand auf der anderen Seite des Raumes mit einer Gruppe Männer zusammen. Er sah zur Seite… und entdeckte Mandy. Sie fühlte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg, und schaute schnell weg. Sie wollte nicht, dass er womöglich auf den Gedanken kam, sie halte Ausschau nach ihm. Vielleicht sollte sie sich etwas zu essen holen und danach gleich die Party verlassen. Entschlossen ging sie zum Büffet und suchte sich einige Häppchen aus. Während sie aß, schlenderte sie zu der provisorischen Bar mit den alkoholfreien Getränken. Einer der Männer, der den Barkeeper spielte, machte so viel Unsinn dabei, dass Mandy herzlich lachen musste. Sie bat ihn um einen Drink, und er mixte ihr mit viel Getue ein Getränk. Dann reichte er ihr feierlich das Glas mit der Erklärung, es sei eine Spezialität des Hauses und die Zutaten seien ein streng gehütetes Geheimnis. Nach dem ersten Schluck fand Mandy, dass die streng geheim gehaltenen Zutaten verschiedene Limonaden waren, und es schmeckte scheußlich. Sie kehrte wieder zu der Stelle nahe an der Tanzfläche zurück, als Jackson plötzlich vor ihr stand. „Darf ich um den Tanz bitten?“ Ihr Herz machte einen Satz, so überrascht war sie. „Lieber nicht. Es wäre mir zu schnell.“
Wie auf Bestellung wechselte die Musik. Und der schnelle, zündende Rhythmus
wurde von einer langsamen, träumerischen Melodie abgelöst.
Jackson blickte sie fragend an. „Das werde ich bewältigen können“, sagte sie
jetzt. Er nahm ihr das Glas aus der Hand und stellte es ab.
Mandy versuchte, das sehnsüchtige Verlangen in ihrem Inneren nicht zu
beachten, als Jackson sie an sich zog. Sie wollte sich nicht an den Kuss erinnern.
Dieser Tanz war ein Pflichttanz – ein ruhiger, gelassener Tanz vor der gesamten
Mannschaft.
„Macht Ihnen die Party Spaß?“ erkundigte Jackson sich.
Mandy nickte. Den Blick hielt sie fest auf seine linke Schulter gerichtet.
„Haben Sie mit Jeff gesprochen?“
Sie nickte, noch immer mit abgewandtem Blick.
„Wollen Sie nicht mit mir sprechen?“
Sie sah zu Jackson hoch und geradewegs in seine Augen, die belustigt
aufblitzten.
„Doch, doch. Ich weiß nur nicht, worüber.“
„Laden Sie mich auf eine Tasse Kaffee ein, wenn das Fest hier vorbei ist. Dann
versuchen wir herauszufinden, worüber wir reden können.“
„Reden?“
„Ja, Miss Mandy Parkerson, reden. Was sollten wir sonst tun?“
Sie biss sich auf die Unterlippe. „Ich könnte Schokoladenkekse backen. Ich weiß,
wie sehr Sie Schokoladenkekse mögen.“
„Das Dessert gestern Abend mochte ich auch“, sagte er und zog sie noch enger
an sich, während sie sich zur Musik bewegten.
Sie schienen perfekt aufeinander eingestimmt zu sein, glitten federleicht über
den Tanzboden, völlig im Einklang mit der Musik und miteinander.
Es war nur ein Tanz. Mandy musste sich daran erinnern. Denn sie konnte nicht
anders, als sich zu wünschen, dass sich zwischen ihnen etwas Wunderbares
entwickeln würde…
Es würde ein Wunsch bleiben. Ihr Vertrauen war zu tief erschüttert worden. Doch
wie würde es sein, völlig ohne Angst durchs Leben zu gehen?
„Wollen wir jetzt etwas trinken?“ fragte Jackson.
„Nicht wieder die Spezialität des Hauses. Es war ein grässliches Gepansche.“
„Ich sehe zu, dass Sie eine schlichte Cola bekommen, wenn Sie das möchten.“
„Wir könnten auch bei mir einen Kaffee trinken“, schlug Mandy spontan vor und
fühlte sich unendlich verwegen.
10. KAPITEL Am liebsten wäre Mandy im Erdboden versunken. Jackson hatte zwar den Vorschlag gemacht, zu ihr auf eine Tasse Kaffee zu kommen, aber hatte er es auch so gemeint? Würde er jetzt womöglich glauben, sie wolle ihn verführen? Sie biss sich auf die Lippen, um nicht in Lachen auszubrechen. Es war wirklich lachhaft. Sie war schwanger mit dem Baby von einem anderen Mann. Würde irgendjemand, der seine fünf Sinne beisammen hatte, auch nur auf den Gedanken kommen, sie könnte einen Mann verführen? Vor allem einen Mann wie Jackson Witt? „Ich sollte ein wenig länger bleiben. Es ist Jeffs Geburtstag, und ich möchte mich nicht einfach so davonmachen“, gab Jackson zu bedenken. „Ich verstehe.“ Mandy versuchte, beiläufig und gleichgültig zu klingen, obwohl ihr die Situation schrecklich peinlich war. Sie spürte den heftigen Drang, sich schnell wegzustehlen und sich in ihrem Wohnwagen zu verkriechen. „Ich denke, ich hole mir die Cola selbst.“ Sie setzte ein strahlendes Lächeln auf und ging auf die provisorische Bar zu. Nur weg von dieser beschämenden Situation! Sobald es sich machen ließ, würde sie von hier verschwinden und bis Montagmorgen in ihrem Wohnwagen bleiben. „Ich hole Ihnen die Cola. Warten Sie hier.“ Jackson bahnte sich den Weg durch die Menge, die um die Bar herumstand. Wie sehr wünschte Mandy, sie hätte ihn nicht so spontan in ihren Wohnwagen eingeladen! Wahrscheinlich hatte er mit ihr nur locker geplaudert. In Zukunft würde sie Distanz zu ihm halten. Jackson war ihr Boss, nichts weiter. Sie sah ihn mit dem Getränk wieder zurückkommen, und im gleichen Augenblick trat Bill Frates auf sie zu. Bill hatte sie bereits mehrere Male zum Essen eingeladen. Obwohl sie es immer abgelehnt hatte, war er ihr deswegen nicht böse gewesen. Und ausgerechnet jetzt, wo Jackson sie erreicht hatte, fragte er: „Würden Sie mit mir tanzen?“ Noch bevor Mandy ihm höflich absagen konnte, hielt Jackson ihr das Glas mit Cola hin und antwortete für sie: „Diesen lässt sie aus.“ „Oh, sicher, Boss. Vielleicht später.“ Bill blickte verdutzt von einem zum anderen. Dass er hintersinnige Gedanken hatte, konnte man ihm förmlich an der Nasenspitze ansehen, bevor er davonging. Mandy nippte an ihrer Cola und versuchte, ihre Überraschung zu verbergen. Wenn Jackson so weitermachte, würde er den Leuten Anlass zu wilden Vermutungen geben. Es hatte sich angehört, als ob er auf sie einen Besitzanspruch hätte. „Es ist nett hier“, bemerkte sie, nur um etwas zu sagen. „Wie geschaffen für Partys.“ „Zum Ende der Saison haben wir eine große Party vor. Nicht alle Männer werden im kommenden Frühjahr wieder zurück sein. Einige finden während der Winterzeit Arbeit und bleiben dann da.“ Jeff kam auf sie zugeschlendert, und die drei plauderten und sahen zu, wie die Angestellten sich vergnügten. Doch sobald Mandy glaubte, dass die Höflichkeit es erlaubte, entschuldigte sie sich und tat, als ob sie zur Damentoilette ginge. Stattdessen holte sie ihren Mantel, und mit einem sehnsüchtigen Blick zurück auf die ausgelassene Stimmung trat sie hinaus in die kalte Nacht. Auf dem Weg zum Wohnwagen musste sie vorsichtig sein. Der Schlamm war stellenweise gefroren, und es war gefährlich glatt.
In ihrem Wohnwagen war es warm und gemütlich – und still. Zu still. Sie konnte
die Musik von der Party hören.
Sie streifte die Schuhe ab und machte sich einen Kräutertee. Sie wollte noch eine
Weile lesen und dann ins Bett gehen. Morgen konnte sie ausschlafen.
Das Baby muss die Party gemocht haben, dachte sie, als sie es sich auf dem Sofa
mit einem Buch bequem machte. Ihr Kind bewegte sich lebhaft. Mandy
überlegte, ob es die Musik hören konnte und vielleicht danach tanzte.
Ein Klopfen an ihrer Tür schreckte sie auf. Sie warf einen Blick durch den Spion
und sah Jackson davor stehen. Mandy öffnete.
„Sie haben mich auf eine Tasse Kaffee eingeladen. Hier bin ich“, verkündete er.
Mandys Herz klopfte wie verrückt, obwohl sie nach außen hin gelassen wirkte.
Oder es zumindest versuchte.
„Setzen Sie sich“, forderte sie ihn auf und machte eine einladende Bewegung
zum Wohnraum hin. „Ich mache den Kaffee. Ich dachte, Sie wollten länger auf
der Party bleiben.“
„Ja, das wollte ich. Aber ich wollte auch, dass Sie länger bleiben. Warum haben
Sie sich davongestohlen? Jeff und ich haben auf Sie gewartet.“
„Oh.“ Mandy wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. „Für mich war es
einfach Zeit zu gehen.“
Er streifte sein Jackett ab und warf es über die Sessellehne. „Sagten Sie,
Kaffee?“ hakte er nach, als sie wie versteinert auf der Stelle stehen blieb.
„Oh. Ja.“ Sie nickte und drehte sich der Küche zu. Doch Jackson hielt sie zurück.
Er fasste sie bei den Schultern und drehte Mandy langsam zu sich herum.
Fragend sah sie zu ihm hoch.
„Mandy“, flüsterte er, beugte den Kopf und küsste sie federleicht auf den Mund.
Ihr war nicht mal bewusst, dass sie die Arme hob, um sie ihm um den Hals zu
legen, und dass sie sich an ihn schmiegte, um den Kuss zu vertiefen. Seine
Lippen waren kühl von der Nachtluft. Er schmeckte nach Cola – und nach
Jackson.
Jackson war so stark, so überwältigend männlich, und Mandy fühlte sich frei,
fühlte sich lebendig und voller leidenschaftlichen Verlangens.
Die Wirklichkeit versank. Es gab nur noch Jackson und sie und den unendlichen
Drang, ihren Hunger nach Liebe und Zärtlichkeit zu stillen.
Mandy dicht an sich gepresst, machte Jackson einen Schritt auf die Tür zu und
knipste die Deckenbeleuchtung aus. Lediglich von der Lampe beim Sofa ging ein
gedämpftes Licht aus. Die Musik, die aus der Entfernung erklang, verlieh der
Nacht eine romantische Stimmung, die zur Zärtlichkeit anregte. Es gab nur sie
zwei auf der Welt.
Mandy gab sich ganz ihren Empfindungen hin. Empfindungen, die sie noch nie
zuvor gehabt hatte. Sie fühlte sich wunderbar sinnlich, wild, anschmiegsam,
zärtlich. Und das alles zugleich. Sie wünschte sich, die Nacht würde niemals
enden.
Jackson setzte sich mit ihr auf die Couch. Er hielt Mandy immer noch fest an sich
gedrückt.
Eigentlich sollte sie sich von ihm lösen, sollte dafür sorgen, dass sie sich wieder
normal verhielten. Und sie sollte sich an all die Verletzungen der Vergangenheit
erinnern. Doch Jacksons Küsse hatten Mandy süchtig gemacht nach mehr. Seine
Berührung hatte in ihr eine Sehnsucht entfacht, die drohte außer Kontrolle zu
geraten. Jackson hatte all die bösen Erinnerungen vertrieben.
Mandy wollte mehr. Sie wollte ihn!
Das Klopfen an der Tür blieb sekundenlang unbeachtet.
Dann hatte die Wirklichkeit sie wieder.
„Was zum…?“ Jackson warf einen wütenden Blick zur Tür hin. Das Klopfen war in ein heftiges Hämmern übergegangen. Mandy sprang auf die Füße und fuhr glättend über ihr Kleid. „Soll ich nachschauen, wer es ist?“ flüsterte sie. „Nein, das tu ich.“ Auf dem Weg zur Tür fuhr Jackson sich schnell mit den Fingern durchs Haar. Als ob das etwas helfen würde, ging es Mandy durch den Kopf. Zu viele Merkmale verrieten, wobei er gerade unterbrochen worden war. Jackson riss die Tür auf. Einer der Arbeiter stand da, mit erhobener Faust, und wollte gerade wieder klopfen. „Boss, es gibt Probleme. Jeff versucht, damit fertig zu werden, aber er hat mich zu Ihnen geschickt. Es ist Moose. Er prügelt sich mit Bob, und es sieht nicht aus, als ob die beiden damit aufhören würden.“ Jackson nickte und holte rasch sein Jackett. „Ich komme gleich mit.“ Mandy stand noch immer neben der Couch und war ziemlich durcheinander. „Ich muss gehen“, erklärte Jackson. Sie nickte. „Ich komme zurück.“ Mandy schwieg. Sie war sich unangenehm bewusst, dass der Mann sie beide beobachtete. Jackson strich ihr zärtlich über die Wange. Dann stürmte er davon. Langsam legte Mandy den Türriegel vor. Sie atmete immer noch schwer von den Küssen und fühlte sich von Kopf bis in die Zehenspitzen erhitzt. Wie weit wären sie gegangen, wenn man sie nicht unterbrochen hätte? Allmählich kehrte die Vernunft zurück. Wo war ihr Vorsatz geblieben, nie mehr eine Beziehung zu einem Mann einzugehen? Sie musste sich eingestehen, dass sie bereits mehr für Jackson empfand, als gut für sie war. Und es musste ausgerechnet ein Mann sein, der immer noch seiner verstorbenen Frau nachtrauerte! ‘ Mandy knipste das Licht aus und wollte gleich zu Bett gehen. Sie hoffte, dass Jackson nicht zurückkommen würde. Sollte er es dennoch tun, dann würde sie ihm nicht öffnen. Sie wollte nicht erneut der Versuchung erliegen. Obwohl am Sonntag die Sonne schien, blieb es kalt. Mandy machte einen kurzen Spaziergang am See entlang, war aber froh, wieder zurückzukehren. Jackson ging ihr nicht aus dem Kopf. War er letzte Nacht noch vorbeigekommen? Sie hatte das Licht früh ausgeknipst. Möglich, dass er dann gleich umgekehrt war. Sie fühlte sich rastlos. Gleich nach dem Mittag fing sie an zu backen. Warum sollten es keine Schokoladenkekse sein, wo sie die nun mal besonders gern machte? Vielleicht würde Jeff sie ja auch mögen. Als ob ihre Gedanken ihn herbeigezaubert hätten, klopfte Jeff an ihre Tür. „Kommen Sie herein“, rief Mandy und verbarg ihre Enttäuschung, dass es nicht sein jüngerer Partner war. „Sie kommen gerade im richtigen Augenblick. Ich habe Schokoladenkekse gebacken.“ „Duftet wirklich gut. Ich wollte sehen, wie es Ihnen geht. Ich habe Sie heute Ihren Spaziergang nicht machen sehen.“ „Ich bin schon sehr früh losgegangen und war nur kurz unterwegs. Es ist zu kalt.“ „Tja, dieser Sturm hat eine Menge Regen mit sich gebracht. Immerhin war er der Kaltfront voraus, sonst hätte es geschneit. Gegen Ende der Woche soll es einen weiteren Sturm geben. Ich glaube, unsere Tage hier sind gezählt.“ „Haben Sie Ihre Geburtstagsparty genossen?“ fragte Mandy und machte ihm einen Kaffee und für sich selbst einen Kräutertee. „Bis Moose und die Jungs anfingen, sich zu kloppen, ja. Ich habe die Gelegenheit verpasst, mit der hübschesten Frau auf der Party zu tanzen. Jackson war mir zuvorgekommen.“ Jeff lächelte und blinzelte ihr zu. „Wohl kaum die Hübscheste.“ Trotzdem, Mandy fühlte sich geschmeichelt. Sie
räusperte sich und versuchte, gleichgültig zu klingen, als sie fragte: „Wo ist Jackson denn heute? Er arbeitet doch hoffentlich nicht.“ „Er ist heute Morgen nach Pueblo gefahren. Er wird erst gegen Ende der Woche zurück sein.“ „Pueblo?“ „Wir haben einen Vertragspartner dort, und er wollte etwas überprüfen, was meiner Meinung nach nicht überprüft werden braucht. Aber so ist er nun mal. Hatten Sie Spaß auf der Party?“ Sie redeten noch eine Weile über den Abend. Die ganze Zeit über beschäftigte Mandy die Frage, warum Jackson so überraschend für fast eine Woche verreist war. Am Dienstag rief Jackson an. Mandy nahm das Telefonat entgegen. „Ist Jeff da?“ fragte er. Kein Hallo für sie. „Er ist auf dem Bau. Soll ich versuchen, ihn zu finden?“ „Er hat offensichtlich sein Handy ausgeschaltet. Er soll mich anrufen, sobald er wieder im Büro ist.“ „In Ordnung.“ „Gut.“ Das war alles. Langsam legte Mandy den Hörer auf. Was hatte sie erwartet? Ganz offensichtlich mehr als diesen knappen Anruf. Sie schrieb eine Notiz für Jeff, legte sie ihm auf den Schreibtisch und versuchte, sich nicht verletzt zu fühlen. Am Freitag redete man im Camp nur von dem bevorstehenden Sturm. Die Temperaturen waren die Woche hindurch gestiegen. Es würde also keinen Schnee geben. Doch schwere Niederschläge und heftige Winde waren vorausgesagt. „Wie gut, dass es uns wieder am Wochenende trifft“, meinte Mandy zu Jeff am Freitagnachmittag. Die Bäume bogen sich bereits im Wind. Am Himmel zogen dunkle Wolken entlang. „Am Montag wird der Sturm sich wieder gelegt haben, und wir können alle wieder zur Arbeit zurückkehren.“ „Ich bin mir da nicht sicher. Er könnte einige Tage dauern. Es ist ein langsam auf uns zutreibender Sturm, der in Wyoming und dem nördlichen Teil der Staaten schon Überschwemmungen verursacht hat.“ „Wird es auch hier Hochwasser geben?“ fragte Mandy besorgt. „Wohl kaum. Der Wind macht mir größere Sorgen. Wir haben vorgebeugt. Haben alles befestigt, was weggeweht werden kann, doch es würde mich nicht überraschen, wenn wir dieses Mal einigen Schaden davontragen.“ Der Sturm setzte noch vor dem Regen ein. Mandy musste auf dem Weg zu ihrem Wohnwagen richtig gegen den Wind ankämpfen. Sie war froh, dass Feierabend war und dass das Wochenende vor ihr lag. Sie hatte ihre Suppe noch nicht ganz aufgegessen, als dicke Tropfen herunterzuprasseln begannen. Zuerst glaubte sie, es wäre Hagel, der auf das Metalldach schlüge. Der Wohnwagen schwankte, als eine heftige Bö ihn ergriff. Mandy ging spät zu Bett, konnte aber des Sturms wegen nicht einschlafen. Von Zeit zu Zeit hörte sie ein Krachen, so als ob ein dicker Ast vom Baum brach. Sie ging zum Fenster und starrte in die Dunkelheit hinaus. Außer einigen unscharfen Lichtern von den anderen Wohnwagen lag alles im Dunkel. Der heftige Regen nahm ihr die Sicht. Sie ging in den Wohnraum hinüber. Genau in diesem Augenblick krachte es so heftig, als ob das Unwetter direkt über ihr wäre. Und dieses Mal schwankte der Wohnwagen deutlich. Dann spürte Mandy den kalten Luftzug… Sie rannte in den Schlafraum zurück und blieb entsetzt in der Tür stehen. Ein
Baum war quer über den hinteren Teil des Wohnwagens gestürzt und hatte das Dach und die eine Seite der Wand aufgeschlitzt. Der Wind wirbelte mit Kälte und Nässe herein. Ihr Bett war bedeckt von Ästen und Kiefernnadeln. So viel konnte sie in dem schwachen Licht, das vom Gang hereinfiel, sehen: Der hintere Teil des Wohnwagens war völlig zusammengedrückt. Durch den schweren Hieb waren die Fenster zerborsten. Mandy überlegte kurz. Hier bleiben konnte sie nicht. Das war zu gefährlich. Vorsichtig machte sie zwei Schritte in den Schlafraum und holte hastig eine frische Jeans, zwei Blusen, ihre warme Jacke und ihre Stiefel aus dem Schrank. Rasch zog sie sich im Wohnraum um. Sie wünschte, sie hätte ein Handy. Bislang hatte sie so etwas für sich selbst nie für nötig befunden. Sie öffnete die Tür und blieb einen Moment lang stehen. Es war eindeutig gefährlicher, sich nach draußen in den Sturm zu begeben, als in ihrem böse zugerichteten Wohnwagen zu bleiben, aber sie brauchte Hilfe. Sie rannte durch den Schlamm und Regen zu Jeffs Wohnwagen und klopfte gegen die Tür. Er machte die Tür sofort auf, und als er sie erkannte, zog er sie rasch hinein. „Mandy, was ist passiert? Meldet sich das Baby?“ Mandy schüttelte den Kopf. „Nein. Ein Baum ist genau über meinem Schlafraum durchs Dach geschlagen. Die Decke und die eine Wand sind aufgerissen, und es regnet rein. Ich kann da nicht bleiben. Es ist eiskalt im Wohnwagen.“ „Sie sind doch nicht verletzt?“ „Nein, nein. Ich bin gerade im Wohnraum gewesen, als es passierte. Dem Himmel sei Dank! Zwei dicke Äste fielen aufs Bett, wo ich nur wenige Minuten zuvor lag.“ Sie zitterte, als ihr zum ersten Mal bewusst wurde, wie knapp sie davor gewesen war, verletzt zu werden. Oder noch schlimmer… „Sie bleiben hier. Ich ziehe mir etwas über und schau nach. Sehen Sie zu, dass Sie aus der nassen Jacke rauskommen. Ich bringe Ihnen ein Sweatshirt und ein Handtuch fürs Haar.“ Mandy nickte. Sie war dankbar für seine Besorgnis und für die Wärme in seiner Behausung. Bevor Jeff losging, kreuzten Tommy und Bob auf. Es hatte den beiden jungen Männern keine Ruhe gelassen. Sie wollten nachsehen, ob der Sturm etwas verwüstet haben könnte. Jeff bot Mandy sein Bett an. Er sagte ihr, dass er auf der Couch schlafen würde. Dann holte er ihr noch frisches Bettzeug und verließ mit den jungen Männern den Wohnwagen. Mandy bezog das Bett frisch und kroch dankbar unter die Decke. Sie hatte nur die Schuhe ausgezogen, sonst alles angelassen. Ihr war immer noch kalt, trotz des warmen Sweatshirts. Sekunden später schlief sie ein. Es war kein tiefer Schlaf, weil sie jedes Mal wach wurde, wenn eine Böe am Wohnwagen rüttelte oder wenn ein Ast brach. Immerhin hatte sie bis zum Morgengrauen geschlummert. Auf dem Weg zum Badezimmer durchquerte sie den Wohnraum. Jeff lag auf dem Sofa und schlief fest. Der Regen trommelte immer noch auf das Dach. Der Sturm wütete. Das Unwetter war noch nicht vorüber. Danach kroch sie wieder ins Bett. Ein zwitschernder Laut weckte sie zwei Stunden später. Sie blickte um sich, wusste allerdings nicht, was es sein könnte. Dann bemerkte sie Jeffs Handy auf der Kommode. Sie holte es und meldete sich. Schweigen war am anderen Ende. „Hallo!“ rief sie leise. „Mandy?“ Es war Jackson, und er klang fassungslos.
„Ja.“ Sie kroch ins Bett zurück und zog die Decke über ihre Beine. Ihr war kalt.
„Wo ist Jeff?“
„Er schläft noch. Soll ich ihn wecken, oder kann er später zurückrufen?“
„Hol Jeff!“ Seine Stimme klang plötzlich eisig.
Mandy zog die Brauen zusammen. „Okay.“ Es hörte sich nach einer dringenden
Angelegenheit an, wenn er wollte, dass sie Jeff weckte. Es war Samstag. Nahm
Jackson sich eigentlich nie einen freien Tag?
„Jeff?“ Sie rüttelte ihn behutsam an der Schulter. „Jeff, Jackson möchte Sie
sprechen.“ Er stöhnte, rollte sich auf den Rücken und sah sie verschlafen an.
„Sagen Sie ihm, dass ich noch schlafe.“
„Das habe ich bereits.“ Sie gab ihm das Handy und ging in die Küche. Sie war ein
wenig größer als ihre und auch besser eingerichtet. Mandy fand den Kaffee, fand
aber keinen Tee. Eine Tasse Kaffee wird schon nicht schaden, dachte sie.
Aus dem Wohnraum hörte sie Jeffs Murmeln und sein gelegentliches „Ja, ja“.
Nichts Aufschlussreiches also. Im nächsten Moment setzte er sich kerzengerade
auf und schrie fast ins Telefon: „Wovon zum Teufel redest du da eigentlich?“
War in Pueblo irgendwas passiert? Mandy wollte nicht indiskret sein, neugierig
war sie aber doch. Sie hörte, wie Jeff eine schnelle Zusammenfassung der
Ereignisse von letzter Nacht gab und die Schäden an ihrem Wohnwagen in den
Bericht mit einschloss. Und auch, dass sie aus dem Grunde in seinem
Wohnwagen geschlafen habe.
Er wartete einen Moment, dann wurde sein Tonfall sanfter. „Das stimmt. Wann
kommst du zurück? Wir können hier jede Hilfe brauchen… weiß ich nicht. Einer
der Männer will versuchen, nach Julian durchzukommen. Hier herrscht ein
einziges Durcheinander.“ Damit legte er auf und blickte Mandy an, die in der Tür
stand.
„Duftet da Kaffee?“ fragte er.
„Ja, er ist gleich fertig. Ist in Pueblo etwas geschehen?“ fragte sie.
„Nein. Der Sturm hat sie dort nicht erreicht.“
„Gut.“
Als sie Jeff wenig später eine Tasse Kaffee reichte, setzte sie sich auf den Stuhl
neben der Couch. „Werde ich noch heute in meinen Wohnwagen zurückkehren
können?“
„Das müssen wir erst sehen.“
„Ich möchte Sie hier nicht aus Ihrem Bett verdrängen. Ich kann in meinem
Wohnraum schlafen.“
Jeff sah sie neugierig an. „Eigentlich hat Jackson vorgeschlagen, dass Sie zu ihm
ziehen“, sagte er dann zögernd.
11. KAPITEL „Was?“ Ganz sicher hatte Mandy sich verhört. „Er hat ein Gästezimmer. Wäre vielleicht ganz vernünftig, bei Jackson unterzuschlüpfen, bis wir Ihren Wohnwagen repariert oder ersetzt haben. Denken Sie zumindest darüber nach.“ Mandy öffnete den Mund, um den Vorschlag abzulehnen: Ihr kam aber plötzlich in den Sinn, dass sie Jeff in der Enge seines Wohnwagens ganz schön zur Last fallen würde. So murmelte sie eine Entschuldigung und zog sich in den Schlafraum zurück. Vielleicht würde ihr ja eine andere Möglichkeit für eine Unterkunft einfallen. Konnte sie das Angebot annehmen und in Jacksons Wohnwagen – wenn auch nur vorübergehend – einziehen? Nein, das wäre nicht gut. Wenn es um Jackson ging, konnte sie ihre Fantasien nicht zügeln. Wie sollte sie mit der Situation fertig werden, mit ihm unter einem Dach zu leben? Sie würden gemeinsam essen, würden den Wohnraum miteinander teilen. Und jede Nacht würde sie wissen, dass sie praktisch Wand an Wand schliefen. Sie würde dabei verrückt werden! Mandy blickte aus dem Fenster hinaus auf ihren Wohnwagen und sah die wuchtige Kiefer in einem spitzen Winkel über dem Dach liegen. Der Baumwipfel schwebte über Jeffs Wohnwagen. Er hatte Glück. Ihr Wohnwagen hatte den Aufprall aufgefangen. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um mehr sehen zu können. Äste übersäten den Boden. Regen goss noch immer vom Himmel, und die Pfützen waren riesig. Die Bäume bogen sich weiterhin im Wind. Jeff kam aus dem Badezimmer, frisch rasiert und angezogen. „Wie schlimm sieht es da draußen aus?“ wollte Mandy wissen. „Niemand wurde verletzt. Doch es gibt ‘ne Menge Bruch. Hauptsächlich von den herumfliegenden Ästen. Ein paar Bäume sind entwurzelt. Sobald wir den Baum über Ihrem Wohnwagen entfernt haben, können wir den Schaden einschätzen. Über Joe Porters Wohnwagen kam auch ein Baum herunter.“ „Wenn das Dach und die Wand zum Schlafraum abgedichtet sind und die Wärme nicht nach außen dringt, dann könnte ich einziehen. Ich kann ja auf der Couch im Wohnraum schlafen. Es wäre nur noch für knapp einen Monat. Es ist also nicht nötig, dass ich zu Jackson ziehe.“ „Wir müssen erst sehen, wie schlimm der Schaden ist. Jackson hat Platz genug. Er hat zwei Schlafräume.“ „Und ich soll mit ihm in seinem Wohnwagen zusammen sein?“ Jeff nickte. „Und das wird keine Probleme geben?“ „Ich weiß nicht, welche Probleme Sie im Sinn haben.“ „Wie Sie sich erinnern können, hat Jackson nicht gewollt, dass ich hier arbeite, weil meine Anwesenheit sich angeblich störend auf die Männer auswirken könnte. Dass ich mit ihm zusammen wohne, würde sich nicht als störend erweisen?“ Jeff lachte. „Nur für Jackson, vermute ich. Und es würde ihm ganz recht geschehen. Ich muss gestehen, ich freue mich, dass er ein Interesse für etwas zeigt, was außerhalb seiner Arbeit liegt. Rechnen Sie damit, dass Sie ein oder zwei Tage bei ihm wohnen. Dann sehen wir weiter.“ Eigentlich hätte Jackson Witt es verdient, wenn sie sich für sein Gefühlsleben als mindestens so störend erweisen würde wie er für ihres. Nun gut, sie würde der perfekte Gast sein. Zumindest war das Mandys Absicht. Bis sie anfing, die wenigen feuchten Sachen, die sie brauchen würde, in seinen Wohnwagen zu bringen. Als Erstes ging sie ins Bad, um ihre feuchten Kleider aufzuhängen, und
blieb abrupt in der Tür stehen. Das Bad hatte eine Wanne!
Allein bei dem Gedanken an ein Vollbad wurde ihr bereits ganz wohlig warm.
Diesen Vorteil würde sie schamlos ausnutzen. Natürlich nur dann, wenn Jackson
nicht da war.
Gleich in der Mittagspause füllte sie die Wanne und konnte sich nur mit Mühe
davon abhalten, nicht den ganzen Tag im heißen Wasser liegen zu bleiben. Alles
hatte seine Grenzen! Also kehrte sie zur Arbeit zurück.
Abends war Jackson immer noch nicht da. Wahrscheinlich wartete er bis zum
nächsten Morgen, wenn es heller wurde. Das Auto in der Dunkelheit über die
matschige Zufahrtsstraße zu lenken war ganz sicher nicht ungefährlich.
Mandy hatte ihr Bett im Gästeraum gemacht und ihre mittlerweile trockenen
Kleider aufgehängt. Das Bad lockte. Sie konnte nicht widerstehen. Sie verschloss
die Tür, für den Fall dass Jackson doch heimkehren sollte, und glitt in das
dampfende Wasser.
Reinste Wonne!
Danach fühlte sie sich wunderbar entspannt. Sie schlüpfte in ihr langes
Flanellnachthemd und zog den dazu passenden Morgenmantel über, trocknete ihr
Haar und säuberte das Badezimmer. Bis auf den Dampf und den Duft ihres
Schaumbads sah alles genau so aus, wie sie es vorgefunden hatte.
Sie öffnete die Tür und wusste sofort, dass Jackson zurückgekehrt war. Sie hatte
ihn nicht gehört, doch sie spürte seine Anwesenheit.
„Mandy?“
Damit war also ihre Hoffnung hin, schnell in ihren Raum zu gehen und so zu tun,
als ob sie es nicht mitbekommen hätte, dass er da war. Ihm in der Frühe völlig
angezogen gegenüberzutreten wäre klüger gewesen als am Abend in Nachthemd
und Morgenmantel.
„Sie sind zurück“, stellte sie aufgesetzt munter fest und ging den kurzen Gang
zum Wohnraum hin. Sie siezte ihn weiterhin. Sie wollte Abstand halten.
Doch als Mandy ihm gegenüberstand, wusste sie, wie sehr sie ihn vermisst hatte.
Und noch etwas wurde ihr in diesem Moment klar. Was würde sie tun, wenn ihre
Arbeitszeit vorbei war und sie ihn niemals wieder sehen würde? Würde sie ihn für
den Rest ihres Lebens vermissen?
Der bloße Gedanke jagte Mandy Angst ein. Jackson durfte ihr nicht so wichtig
werden!
Er sah müde aus.
„Wie ist es in Pueblo gegangen?“ fragte Mandy freundlich und lächelte.
„Alles läuft nach Plan. Wie geht es dir?“ Jackson hatte also keine Bedenken mit
dem Du.
„Fein.“ Sie lächelte wieder.
Er durchquerte den Raum, bis er ihr so nahe war, dass er ihr die Luft zum Atmen
nahm.
„Ich habe mir deinen Wohnwagen angeschaut. Wir sollten dankbar sein, dass du
nicht im Bett warst, als der Baum das Dach zerschlagen hat.“
Mandy nickte. Sie war nicht fähig, auch nur ein Wort zu sagen. Ihre Sinne waren
ganz bei seinem zärtlichen Zupfen an einer ihrer Locken. Und sie hatte nur Augen
für seinen Gesichtsausdruck, seine Augen.
Sie wollte etwas sagen, musste sich aber räuspern, ehe sie etwas herausbrachte:
„Kann das Dach repariert werden?“
„Das weiß ich nicht. Genügt dir der Gästeraum?“
Mandy nickte und machte einen Schritt rückwärts, um seinen Finger aus ihrer
Locke zu befreien. Langsam zog er die Hand zurück.
„Jeff meinte, dass ich hier bleiben sollte. Und ich tu es, weil ich keine andere
Wahl habe. So viel sollte klar sein, wir teilen uns den Wohnwagen, weiter nichts“, sagte sie entschlossen. Sie musste das klären, damit es keine Missverständnisse gab, weder von ihrer noch von seiner Seite. Jackson zögerte, dann nickte er kurz und trat zurück. „Natürlich. Hast du alles, was du brauchst?“ „Ja. Ich gehe jetzt zu Bett.“ „Dann Gute Nacht.“ Damit drehte er sich um und ging in die Küche. Mandy war zutiefst getroffen, dass Jackson nicht von Sehnsucht übermannt ihre Worte abgetan und sie leidenschaftlich an sich gezogen hatte. Mandy wachte am Sonntagmorgen früh auf. Sie brauchte einen Moment, um sich bewusst zu werden, wo sie war. Sie stieg aus dem Bett und öffnete leise die Tür. Schlief Jackson noch? Die Tür zu seinem Raum war geschlossen. Sie schlüpfte ins Badezimmer, machte sich zurecht und zog sich an. In der Küche war der Kaffee in der Kanne noch immer heiß. Also musste Jackson kurz vor ihr aufgestanden sein. War er bereits unterwegs? Oder hatte er sich wieder ins Bett gelegt? Während Mandy sich ihren Tee aufbrühte, überlegte sie, ob sie auch für Jackson das Frühstück machen sollte. Sie ließ jedoch den Gedanken fallen, weil sie nicht wusste, was er gern mochte oder wann er gewöhnlich frühstückte. Gegen zehn hielt es sie nicht mehr im Wohnwagen. Die stürmischen Winde hatten sich beruhigt, und der sintflutartige Regen war in ein Nieseln übergegangen. Doch allein der graue Himmel legte sich ihr aufs Gemüt. Sie zog den Mantel über und ging hinüber zum Büro. Mehrere Männer waren hier versammelt und sahen sie überrascht an, als sie hereinkam. Jackson saß hinter seinem Schreibtisch. Jeff stand mit der Hüfte gegen seinen Schreibtisch gelehnt und sprach mit der Gruppe von Männern. „Ist etwas nicht in Ordnung?“ fragte Jackson sie. „Nein, nein. Ich wollte nur sehen, ob ich irgendwie helfen kann.“ „Es hat aufgehört zu stürmen. Den Baum kriegen wir bis heute Abend vom Dach“, teilte Jeff ihr mit. „Nehmen Sie sich einen Stuhl, und setzen Sie sich. Wir sind dabei, noch einmal durchzusprechen, was der Sturm alles angerichtet hat. Und wir wollen uns gründlich überlegen, wie wir wieder in den Zeitplan kommen.“ Mandy hängte ihren Mantel auf und setzte sich auf den Stuhl, den einer der Männer für sie frei gemacht hatte. Sie bedankte sich mit einem Lächeln und warf Jackson einen verstohlenen Blick zu. Es gelang ihr nur mühsam, sich auf die Diskussion zu konzentrieren. Nachdem die Besprechung beendet worden war und auch Mandy ihre Anweisungen für den nächsten Morgen bekommen hatte, wusste sie nicht, was sie als Nächstes tun sollte. Vor ihr lagen der Nachmittag und der Abend. Nachdem alle Männer gegangen waren, drehte sie sich zu Jackson um. „Ich gehe jetzt, um mir etwas zu essen zu machen. Möchtest du mitessen?“ Sein Blick hielt ihren gefangen. Dann nickte er kurz. „Das wäre nett.“ Mandy wurde fast schwindelig von seinem Blick und der Aussicht, mit ihm zusammen zu essen. Sie war froh, dass Jeff noch da war, obwohl er wahrscheinlich die ganze Szene mitbekommen hatte. Schnell holte sie ihren Mantel und eilte aus dem Büro. Die feuchte Luft kühlte ihre erhitzten Wangen. Eine ganze Weile später kam Jackson in den Wohnwagen. Mandy war gerade mit den Vorbereitungen fertig. Auf einem Teller türmten sich mit Schinken und Käse dick belegte Sandwichs, auf einem anderen lagen Äpfel, mundgerecht geschnittene Mohrrüben und anderes Gemüse. Mandy hatte natürlich auch einen
Kuchenteller mit Schokoladenkeksen auf den Tisch gestellt.
„Danke. Das sieht großartig aus“, sagte Jackson und setzte sich mit ihr an den
Tisch.
„Sieh es als eine Art Entschädigung an, dass ich hier bleiben kann.“
Er nahm einen Bissen von einem Sandwich und kaute nachdenklich, ehe er
antwortete: „Dein Job schließt die Unterkunft ein. Bis dein Wohnwagen repariert
ist, ist dies hier deine Unterkunft. Eine Entschädigung ist also nicht nötig.“
Nach dem Essen trug Jackson die Teller in die Küche und spülte sie ab.
„Darum kümmre ich mich“, protestierte Mandy, die ihm mit den Gläsern gefolgt
war. Sie stellte sie in die Spüle und stieß mit Jackson zusammen.
Jackson schien zu erstarren, dann drehte er sich langsam zu ihr um. Das Wasser
lief weiter aus dem Hahn. Er ließ es laufen, legte seine nassen Hände auf Mandys
Schultern und beugte den Kopf, bis seine Lippen ihre Lippen fanden.
Mandy gab sich diesem Kuss hin, als ob sie darauf gewartet hätte, von Jackson
geküsst zu werden. Sein Mund war warm und verführerisch, und Mandy fühlte
sich so jung und lebendig wie noch nie zuvor.
„Mandy“, flüsterte er weich und zog sie an sich. Trotz des Babys zwischen ihnen
war ihr, als ob sie genau dahin gehörte, wo sie jetzt war, nämlich in Jacksons
Arme.
Mandy erwiderte den Kuss und genoss das Prickeln, das Jackson in ihr weckte.
Als er eine ihrer Brüste umschloss und die Knospe sanft rieb, spürte Mandy die
Erregung im ganzen Körper. Wärme stieg in ihr auf. Sehnsucht und tiefes
Verlangen erfüllten sie. Sie wollte mehr. Sie wollte Jackson. Wollte ihn
schmecken, wollte seinen Duft einatmen. Wollte, dass er sie noch fester in die
Arme schloss, wollte in ihm aufgehen.
Sie legte die Arme um seinen Hals.
„Ich will dich“, murmelte Jackson.
„Ich will dich auch“, flüsterte Mandy.
Er legte die Hand auf ihren Bauch und strich zärtlich darüber. „Das wird kein
Problem sein, oder?“
Sie schüttelte den Kopf. Er küsste sie wieder, strich ihr das Haar aus dem Gesicht
und fuhr mit den Fingern durch ihre Locken. Seine Küsse wurden länger, heftiger,
heißer und ließen Mandy alles vergessen, bis auf das eine…
Dass sie in Jacksons Armen war.
Irgendwann drehte er den noch laufenden Wasserhahn ab, nahm Mandy auf
seine Arme und trug sie in seinen Schlafraum, wo er sie auf das breite Bett legte,
ohne sich von ihr zu lösen.
Während er Mandy küsste, knöpfte er ihre Flanellbluse auf, streifte sie von ihren
Schultern und zog Mandy gleich wieder eng an sich, als ob er es nicht ertragen
könnte, von ihr getrennt zu sein.
Die Zeit stand still. Die Welt um sie herum versank. Es gab nur sie beide und
eine Sinnlichkeit, in der eine Frau und ein Mann einander liebkosten, einander
auf eine ganz intime Weise kennen lernten.
Als Jackson schließlich in Mandy eindrang, war es ein so überwältigend köstliches
Gefühl, wie sie es noch nie empfunden hatte. Sie bewegten sich zusammen,
atmeten schwer und drängten gemeinsam dem Höhepunkt entgegen, der Mandy
fast schwerelos zurückließ. Ihr war, als ob sie im siebten Himmel schwebte.
Allmählich stellte sich die Wirklichkeit wieder ein. Die Kühle im Raum ließ ihre
erhitzten Körper leicht zittern. Jackson zog die Decke über sie beide und legte
den Arm um Mandy, die dicht an ihn geschmiegt an seiner Seite lag.
Das Leben kann herrlich sei, dachte Mandy und schloss die Augen.
Zärtlich küsste Jackson sie auf den Kopf. „Sara“, murmelte er.
Mandy erstarrte. Sie riss die Augen auf und zog sich abrupt von ihm zurück.
„Sara?“ Sie rutschte zur Bettkante.
„Was?“ Jackson stützte sich auf den Ellbogen. „Wovon redest du da?“
„Du hast gerade ,Sara’ gesagt. Ich bin nicht Sara. Ich bin Mandy!“ Sie fiel fast
aus dem Bett und zitterte am ganzen Körper vor Scham und Demütigung.
„Das habe ich nicht gesagt“, protestierte Jackson.
Mandy suchte fieberhaft nach ihrer Kleidung, zog hastig ihre Bluse über, um ihre
Blöße vor Jackson zu verbergen, schnappte sich die Jeans und die Socken und
ging rückwärts zur Tür. Der Schmerz über die Enttäuschung war unerträglich.
„Das ist unmöglich“, behauptete Jackson und stand auf. Ihm schien es egal zu
sein, dass er noch nackt war.
„Bleib weg von mir! Ich bin nur ein Ersatz für deine Frau gewesen.“ Mandy
wirbelte herum und lief ins Bad, warf die Tür hinter sich zu und verschloss sie.
Sie brach in Tränen aus und weinte bitterlich.
Wie konnte sie nur so dumm, so einfältig gewesen sein? Wie konnte sie nur
wieder so leichtgläubig auf einen Mann hereinfallen? Hatte sie denn nichts aus
ihrem Leben gelernt?
„Mandy, lass mich rein!“ Jackson klopfte an die Tür und rüttelte am Knauf.
„Geh weg“, rief sie und hoffte, dass die Tränen in ihrer Stimme nicht zu hören
wären.
Sie musste weg von hier! Nicht nur aus diesem Wohnwagen, sondern weg von
der Baustelle, weg von Julian – vielleicht sogar weg aus Colorado. Sie konnte
nicht bleiben, nicht nach dem, was geschehen war.
Die Tür schwang auf.
„Verschwinde!“ Wie hatte er es fertig gebracht, die Tür aufzubekommen?
„Nicht, bevor wir die Sache nicht geklärt haben.“
„Da gibt es nichts zu klären. Ich bin nicht Sara!“
„Mandy, es gab nur dich und mich im Bett. Nur du und ich haben einander
liebkost, geküsst und uns geliebt. Wenn ich ,Sara’ gesagt habe, bevor ich
einschlief, dann tut es mir Leid. Ich habe nicht an sie gedacht. Mir war in jeder
Sekunde bewusst, dass ich dich in meinen Armen hielt.“
Mandy wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen. Jackson
hatte sie überzeugt. Doch ihr war im Leben zu viel Schreckliches zugefügt
worden, als dass sie ihm trauen wollte.
„Lass mich allein!“
„Mandy, bitte, weine nicht. Du bist kein Ersatz für Sara gewesen.“
„Verschwinde“, flüsterte sie, obwohl die Sehnsucht groß war, sich einfach zurück
in seine Arme zu flüchten. Wie sehr wünschte sie dieses unwahrscheinliche
Glücksgefühl zurück, das sie vor wenigen Minuten gespürt hatte.
Und wieder mal hatte sie den Riesenfehler begangen, zu schnell zu vertrauen und
zu glauben, dass es Liebe im Leben gab. Sie konnte nur hoffen, dass sie diesen
unerträglichen Schmerz irgendwann überwinden würde.
„Ich lasse dich nicht allein, Mandy. Nicht, bevor ich nicht sicher bin, dass du
wieder in Ordnung bist“, sagte er rau.
„Ich bin okay.“ Ihre Tränen waren immer noch nicht versiegt. Sie wollte nur,
dass Jackson endlich verschwand, ehe sie vor Beschämung und Demütigung
zusammenbrach.
Endlich verließ Jackson das Bad, und Mandy hastete in ihren Schlafraum,
verschloss die Tür und warf sich aufs Bett. Er hatte ihr das Herz gebrochen, und
sie weinte bitterlich.
12. KAPITEL Jackson kehrte in seinen Schlafraum zurück und zog sich an. Er ging noch mal
jeden Moment durch, den er an diesem Nachmittag mit Mandy zusammen
gewesen war, und konnte es nicht glauben, dass er „Sara“ gesagt haben sollte.
Nicht, nachdem er und Mandy sich geliebt hatten!
Mandy war für ihn so bereit gewesen. Sie hatte auf seine Liebkosungen so
leidenschaftlich reagiert, dass er ganz hingerissen war von ihr. Und auch er war
absolut bereit gewesen für sie. Hatte er tatsächlich laut „Sara“ gesagt?
Wenn ja, dann wäre es unverzeihlich.
Besonders bei jemand wie Mandy, deren Selbstvertrauen ohnehin allzu oft
verletzt worden war.
Er hatte ihr nichts versprochen. Sie wusste, dass er nicht vorhatte, sich für
immer an eine Frau zu binden. Doch abgesehen davon würde es jedem wehtun,
nur ein Ersatz für jemand anderen zu sein.
Mandy war ganz anders als Sara. Vielleicht sollte er ihr das sagen. Vielleicht
könnte er sie damit überzeugen, dass er sie beide unmöglich verwechselt haben
konnte.
Er nahm das Foto von der Kommode. Saras Lächeln hatte ihn stets bezaubert. Es
wärmte ihm immer noch das Herz, wenn er sie und Sammy anschaute. Sie waren
jedoch nicht mehr da. Sie waren gestorben, und er lebte. Das Leben ging weiter.
Und manchmal begann etwas Neues, wenn eine alte Geschichte zu Ende ging.
Mit einem letzten Blick auf das Bild zog er die Schublade auf und legte es hinein.
Er würde seine Frau und sein Kind nie vergessen. Sie waren ein wichtiger Teil
seines Lebens gewesen und würden es immer bleiben.
Doch da war eine Frau, zu der er sich hingezogen fühlte und die er zutiefst
verletzt hatte. Er musste das wieder gutmachen.
Mandy wurde wach, als das Baby sich auf die Olympiade vorzubereiten schien,
derart strampelte es. Sie suchte sich frische Sachen zum Anziehen heraus und
öffnete die Tür einen Spaltbreit. Sie lauschte, hörte aber nichts. Schnell ging sie
ins Bad und schloss hinter sich ab.
Nach der Dusche zog sie sich an und warf einen Blick in den Spiegel. Ihre
geschwollenen Augenlider und die Flecken auf ihren Wangen entsetzten sie.
Verflixt, wie konnte sie Jeff gegenübertreten und ihn darum bitten, ihren
Wohnwagen so schnell wie möglich zu reparieren, wenn sie so aussah? Jeder, der
sie ansah, würde sofort seine Schlüsse ziehen. Es würde nur Gerede
verursachen. Und genau das hatte Jackson von Anfang an befürchtet.
„Geschieht ihm recht“, murmelte sie.
Doch sie wollte keinen Schaden anrichten. Es war ihre Schuld. Sie hatte die
Dinge nicht realistisch genug eingeschätzt.
Mandy betrat den Wohnraum und war überrascht, Jackson dort vorzufinden. Er
saß im Sessel und starrte aus dem Fenster.
Er wandte sich ihr zu, als er sie hörte.
„Wird mein Wohnwagen bald repariert sein?“ erkundigte sie sich.
„Wir müssen zuerst einen Schadenssachverständigen von der Versicherung
haben, der sich den Wohnwagen ansieht. Ich bin allerdings ziemlich sicher, dass
wir es nicht schaffen, den Wagen noch in diesem Jahr repariert zu bekommen.
Der Schaden ist größer, als wir anfangs angenommen haben.“
Mandy holte tief Luft. „Ich brauche den Wohnwagen.“
„Der Wettervorhersage zufolge bleiben uns allenfalls noch zwei Wochen, in denen
wir ungehindert arbeiten können. Man erwartet einen weiteren Sturm in der
nächsten Woche und gleich darauf wieder einen. Die Stürme bringen arktische
Kälte mit sich und damit auch Schnee. Wir werden auf Hochtouren arbeiten, um so viel wie möglich fertig zu stellen, ehe wir die Bauarbeiten aussetzen. Wir haben einfach keine Zeit, um den Wohnwagen zu reparieren, Mandy.“ „Ich kann hier nicht bleiben“, flüsterte sie. „Du bist hier sicher, Mandy. Ich werde dich nicht wieder berühren.“ Sie schluckte und blickte aus dem Fenster. „Wenn es dir angenehmer ist, könnte ich bei Jeff unterkommen“, schlug Jackson ihr vor. Mandy sah ihn überrascht an. „Vielleicht sollte ich schon jetzt meine Arbeit hier aufgeben“, schlug sie nach kurzem Nachdenken vor. „Es sind doch höchstens noch zwei Wochen, Mandy.“ Sie nickte, drehte sich um und ging in die Küche. Vielleicht würde eine Tasse Tee helfen. Sie fühlte sich elend – verlegen, gedemütigt, unendlich verletzt, total verwirrt. Und traurig. Doch das Schlimmste dabei war, dass Jackson sie noch immer sinnlich erregte. Er folgte ihr in die Küche. „Möchtest du dich aussprechen?“ Mandy schüttelte den Kopf. Worüber sollte sie sich aussprechen? Da gab es nichts. „Ich muss jetzt gehen.“ Er zögerte einen Moment. „Bleib hier, bis wir für den Winter schließen. Ich werde dir nicht wieder nahe kommen. Wir teilen uns den Wohnwagen, sonst nichts.“ Sie nickte stumm und blickte starr auf den Teekessel. Jackson wartete noch einen Moment, dann verschwand er. Mandy hörte, wie er die Tür öffnete und hinter sich schloss. Er war weg, und sie war allein. Eigentlich war sie immer allein gewesen – von dem Moment an, als ihre Mutter sie bei der Sozialfürsorge abgegeben hatte. Und doch hatte sie dieses Mal gehofft, dass es von nun an Liebe und Geborgenheit geben würde. Lernte sie denn nie? Am Montagmorgen war nur Jeff im Büro, als Mandy hereinkam. Sie hatte Jackson den ganzen Sonntagnachmittag nicht gesehen, und wahrscheinlich hatte er die Nacht woanders verbracht. Jedenfalls hatte es am Morgen keine Anzeichen gegeben, dass er im Wohnwagen gewesen war. „Tut mir Leid wegen des Wohnwagens, Mandy“, sagte Jeff. „Jackson hat Ihnen wohl mitgeteilt, dass eine Reparatur vor dem Winter nicht mehr möglich ist.“ Er setzte seinen Schutzhelm auf. „Können Sie Ihre Sachen heute noch herausholen? Der Versicherungsmann kommt morgen, um den Schaden abzuschätzen. Und dann wollen wir den Trailer in die Reparaturwerkstatt abschleppen lassen. Wir lassen ihn bis zum Frühjahr in Julian.“ Nachdem Jeff gegangen war, setzte Mandy sich hinter ihren Schreibtisch. Zwei Wochen… In zwei Wochen würden sie alle hier ihre eigenen Wege gehen. Würde sie Jackson Witt danach jemals wieder sehen? Mandy blieb in ihrem Schlafraum, wenn Jackson im Wohnwagen war. Dann fühlte sie sich einsamer als je zuvor. Am Freitag war die Routineuntersuchung bei ihrem Arzt wieder fällig. Gleich nach dem Mittagessen machte sie sich auf den Weg nach Julian. Sie fuhr vorsichtig auf der Schotterstraße. An einer Stelle war ein riesiger Baum quer über die Straße gestürzt. Man hatte ihn mittendurch gesägt, so dass die Straße für die Autos passierbar war. Es lagen jedoch noch immer genügend Äste herum, die eine Fahrt gefährlich machten. Nach der Untersuchung ging sie zum einzigen großen Kaufhaus in der Stadt. Sie hatte noch nichts für ihr Baby gekauft und wollte gucken, was es so alles gab und
wie teuer die Sachen waren. In der Babyabteilung schaute sie sich alles genau an und war entzückt über die winzigen Babysachen. In Rosa für Mädchen, in Hellblau für die Jungen. Was würde ihr Kind sein? Mädchen oder Junge? Die Preise machten ihr etwas Sorgen. Ein Gitterbett war nicht billig, aber notwendig. Einige der Strampelhosen und Jäckchen waren preisgünstig, doch ihr war klar, wie schnell Babys aus ihren Sachen herauswuchsen. Trotzdem konnte sie einem weichen, schlappen, kuscheligen Teddybären nicht widerstehen. Dabei schien es so verschwenderisch, ein Spielzeug zu kaufen, wenn das Baby erst mal praktische Sachen haben musste. Sie kaufte den Teddy trotzdem. Im Leben ging es nicht nur um praktische Dinge. Nach dem Kaufhausbesuch überlegte sie, ob sie gleich zurückfahren oder irgendwo etwas essen sollte. Mandy zuckte richtig zusammen, als sie Jackson mit verschränkten Armen gegen ihren Wagen gelehnt sah. „Hallo“, grüßte sie ihn, als sie ihn erreichte. „Wie konntest du nur so unvernünftig sein, alleine herzufahren?“ Mandy sah ihn böse an. „Ich bin absolut in der Lage, alleine nach Julian zu fahren. Außerdem geht es dich nichts an.“ „Ich hätte dich herbringen können. Zurück fahre ich vor dir her.“ „Ich brauche keinen Wächter, Jackson“, entgegnete sie schroff, obwohl es sie rührte, dass er sich um sie sorgte. „Wie ich sehe, brauchst du eben doch einen.“ Er trat zur Seite, um sie einsteigen zu lassen. „Ich fahre noch nicht zurück. Ich werde hier in der Stadt essen.“ „Ich werde warten.“ Sie starrte Jackson an. Sein unerbittlicher Gesichtsausdruck zeigte ihr, dass er genau das tun würde. Er konnte wirklich dickköpfig sein! Genau wie sie. „Eigentlich wollte ich nur eine Pizza essen“, sagte sie abweisend. „Ich schließe mich dir an.“ Jackson wartete ihre Reaktion gar nicht erst ab, sondern blickte die Straße hinunter. „Wie war’s damit?“ Er zeigte auf eine Pizzeria nur wenige Schritte entfernt. „Es gibt nur diese“, erwiderte Mandy und klang versöhnlicher. In der Pizzeria waren an einer Wand entlang Nischen und in der Mitte Picknicktische mit Bänken zum Sitzen. Jackson ging sogleich zur Theke, hinter der die Pizzas frisch aus dem Ofen kamen. Er bestellte für Mandy und sich und kam mit zwei Flaschen Cola zurück zum Tisch. „Ich sehe, du hast etwas eingekauft“, stellte er fest und wies mit dem Kinn auf die Plastiktüte. Mandy sah ihn fast verlegen an, und sie lächelte, als sie einen kuscheligen Teddy herauszog und auf den Tisch setzte. „Ein Teddybär für das Baby. Ist er nicht goldig?“ Sie blickte so liebevoll auf den Bären, dass Jackson es sich vorstellen konnte, wie sie später ihr Baby mit dem gleichen Ausdruck ansehen würde. Ihm war, als ob jemand ihm einen Tritt versetzt hätte. Mandy war die hinreißendste Frau, der er jemals begegnet war. Er hatte sie geküsst, hatte ihre Süße gekostet, hatte jeden Zentimeter ihres unglaublich weichen, fraulichen Körpers liebkost. Sie zu lieben war einmalig gewesen, und es würde ihm unvergesslich bleiben. Und er wollte Mandy wieder. Wie hatte er sie so verletzen können? Wie könnte er es wieder gutmachen? Er sehnte sich so sehr danach, sie zu berühren, dass es schmerzte. Er sehnte sich nach ihrem Lächeln, sehnte sich danach, dass sie ihn berührte.
Ihre Verletzlichkeit traf ihn bis ins Innerste. Sie war allein, ohne Familie, ohne
nahe Freunde. Und doch freute sie sich auf das Baby und wollte ihm ein Zuhause
geben.
Mandy steckte den Teddybären wieder in die Tüte zurück.
Jackson zögerte lange, dann sagte er nachdenklich: „Sammys Gitterbett ist bei
meiner Familie untergestellt. Du kannst es gern haben, wenn du möchtest.“
Verblüfft starrte sie ihn an. Er selbst war verblüfft. Wie konnte er nur einer
Fremden das Kinderbett seines Sohnes anbieten?
Nein, Mandy war keine Fremde.
Er nickte. „Wir könnten an diesem Wochenende hinfahren und es abholen.“ Wie
war er nur auf diese Idee gekommen? Er hatte seine Familie seit drei Jahren
nicht besucht. Seit er sein Haus verkauft und Aufträge in abgelegenen Gegenden
angenommen hatte. Er hatte nicht vorgehabt, jemals wieder nach Fort Collins
zurückzukehren.
Mandy blickte ihn misstrauisch an. „Fort Collins liegt am anderen Ende des
Staates, fast in Wyoming.“
„Ich weiß, wo es liegt“, erwiderte Jackson ruhig. So gelassen war ihm allerdings
nicht zu Mute. Würde er Fort Collins mit all seinen Erinnerungen ertragen
können?
„Wir würden für die Hin und Rückfahrt je einen ganzen Tag brauchen“, gab
Mandy zu bedenken.
Bot sie ihm nicht einen Grund zur Ausflucht? Er sollte ihn annehmen. Doch
Jackson tat es nicht. „Das stimmt. Wir fahren morgen los, bleiben Sonntag da
und kehren am Montag zurück.“
Mandy nickte. „In Ordnung.“
„Ich rufe meine Familie an und sage, dass wir sie besuchen. Du wirst willkommen
sein.“
Es war noch dunkel, als Jackson am nächsten Morgen an ihre Tür klopfte. Mandy
war sofort hellwach, schlüpfte aus ihrem Bett und ging ins Badezimmer. Jackson
war bereits angezogen und hatte das Frühstück gemacht.
Nach knapp einer Stunde waren sie unterwegs.
„Wir halten irgendwo um die Mittagszeit an und essen eine Kleinigkeit“, schlug er
vor.
Mandy war damit einverstanden.
„Ich habe gleich gestern Abend versucht, meine Familie anzurufen. Sie waren
nicht da. Von der Nachbarin erfuhr ich, dass sie übers Wochenende weggefahren
sind“, teilte Jackson ihr beiläufig mit „Oh.“
Er warf ihr einen Seitenblick zu, sagte aber nichts.
Es war dunkel, als sie den Highway verließen und in Richtung Fort Collins fuhren.
Jackson schwieg, bis er den Wagen in die Auffahrt zum Haus seiner Eltern
steuerte und den Motor ausschaltete.
„Wir sind da“, sagte er.
„Hier bist du aufgewachsen?“
Jackson nickte. „Ich bin hier geboren und aufgewachsen.“ Er schaute sich um,
und langsam löste sich die Anspannung in seinem Gesicht.
„Wir bringen die Sachen rein, machen uns ein wenig frisch und gehen essen.“
Mandy nickte. Es war ganz sicher nicht einfach für Jackson, wieder hier zu sein.
Das Haus war gemütlich eingerichtet. Das Zimmer, das er ihr zeigte, war
vermutlich das Gästezimmer – unpersönlich und doch mit allem ausgestattet,
was ein Besucher brauchen könnte.
„Das Badezimmer ist auf der anderen Seite des Korridors. Mein Zimmer liegt
neben diesem. Dieses Zimmer gehörte Randy, meinem älteren Bruder. Er ist in
Alaska. Mom hat beide Räume als Gästezimmer neu eingerichtet, nachdem wir
ausgezogen sind.“
„Also keine Souvenirs aus der Teenagerzeit?“
„Die Garage ist voll gepackt damit. Mom hat noch ihre Puppen aus der Kinderzeit
in Kisten verstaut und irgendwelches alte Spielzeug von Dad, das Grandma ihm
gekauft hatte. Und dann kommt auch noch das ganze Zeugs von Randy und mir
dazu. Mom wirft nie etwas weg.“
Mandy lächelte wehmütig. Sie hatte nichts aus der Zeit, als sie noch klein war,
nicht mal eine klare Erinnerung an ihre Mutter. Wusste Jackson eigentlich, wie
glücklich er dran war?
13. KAPITEL „Ich brauche nur wenige Minuten“, versicherte Mandy, als sie das hübsch eingerichtete Zimmer betrat und energisch die wehmütige Sehnsucht unterdrückte, die in ihr aufstieg. „Lass dir Zeit. Wenn du fertig bist, findest du mich im Wohnzimmer.“ Sie stellte ihre Reisetasche auf den Stuhl neben dem Fenster. Dann hängte sie ihre Bluse auf und stellte ihre Kosmetiksachen auf den Toilettentisch. Während sie ihr Haar bürstete, ging sie langsam zum Fenster und schaute hinaus. Der Hinterhof musste für Kinder ein Paradies gewesen sein. Riesige alte Bäume umstanden den Hof. Zwischen den dicken Ästen einer Eiche sah sie das inzwischen ein wenig verwitterte Baumhaus, und an einem anderen Baum hing an einem stämmigen Ast eine Schaukel. Mandy wünschte sich, sie hätte ihrem Baby mehr zu bieten. Zum Beispiel die Geschichte von einer liebenden Familie, die über Generationen zurückging. Plätze, die eine Bedeutung hatten und die sie mit ihrem Kind besuchen könnte. „Mach dir keine Sorgen, Kleines“, flüsterte sie und rieb sanft ihren Bauch. „Wir bilden unsere eigene Tradition und schaffen Erinnerungen, die ein Leben überdauern.“ Als sie ins Wohnzimmer kam, stand Jackson vor dem großen Fenster und starrte hinaus. „Geht es dir nicht gut?“ fragte sie leise. Er drehte sich zu ihr um. „Ich habe nur nachgedacht.“ Er überlegt einen Moment. „Ich zeige dir Fort Collins. Vielleicht magst du die Stadt. Vielleicht würdest du dich sogar hier niederlassen wollen statt in Julian. Es ist zwar auch eine Kleinstadt, aber es hat mehr zu bieten als Julian. Und es liegt Denver viel näher.“ Mandy lächelte und zuckte nur die Schultern. „Komm, lass uns ein Lokal finden, wo wir nett essen können“, schlug er vor. Er führte sie in ein Familienrestaurant, das nur ein paar Straßen von seinem Elternhaus entfernt lag. Und während sie auf ihre Bestellung warteten, fing Jackson zögernd an, von seiner Kindheit zu erzählen. Von dem freien Leben, das er und sein Bruder geführt hatten. Wie sie auf ihren Rädern die ganze Umgebung durchstreiften, wie Randy mit sechzehn seinen Führerschein bekam und Jackson im Auto überallhin mitnahm. Und als er dann selbst den Führerschein machte, lieh Randy ihm sein Auto – bis Jackson sein eigenes hatte. Mandy lachte, weil Jackson den ständigen Kampf mit diesen alten Karren so plastisch schilderte, und auch die beiden Male, wo er sich einen Strafzettel einhandelte und wie sein Vater ihn deswegen rankriegte. Jackson erzählte vom Fischen und Skifahren und von Familienausflügen. Hingerissen hörte Mandy ihm zu. Was er da schilderte, war eine Kindheit, die froh und unbeschwert gewesen sein musste. Es war genau die Kindheit, die sie für ihr Baby erträumte. Sie wünschte sich, dass ihr Kind genau so fühlen würde, wenn es später mal zurückschaute. „Denver muss anders gewesen sein. Ein Kind, das in einer Großstadt aufwächst, hat immer andere Erinnerungen“, bemerkte Jackson irgendwann. Mandy nickte. „Und wenn man keine Familie gehabt hat, in der man aufwachsen konnte, dann sehen die Dinge nicht so rosig aus.“ Er umschloss ihre Hand. Seine Geste überraschte Mandy, und sie versteifte sich unwillkürlich. Die Geste hat nichts zu bedeuten, ermahnte sie sich. Doch sie war idiotisch genug, jeden Moment, den sie mit ihm verbrachte, zu genießen. Jede Berührung von ihm machte sie glücklich. Sie begegnete seinem
Blick, und es verschlug ihr fast den Atem, als sie den Ausdruck in seinen Augen sah. „Keiner von uns kann seine Vergangenheit ungeschehen machen oder ändern. Wir müssen einfach weitermachen. Du wirst eine wunderbare Mutter für dein Baby sein, und du hast die Gabe, ihm eine glückliche Kindheit zu schenken.“ Ihr Herz zerfloss. „Danke.“ Mandy ließ ihre Hand in seiner. Und als er sie kurz drückte und dann losließ, fröstelte sie. Doch was in ihr vor sich ging, das zeigte sie nicht. Meine Gefühle für ihn gehen ihn nichts an, hielt sie sich tapfer vor. Zurück im Haus wollte sie wissen, wann sie am nächsten Morgen aufbrechen würden. „Du willst schon ins Bett gehen?“ fragte Jackson enttäuscht. „Es ist noch keine zehn.“ „Ich bin müde. Morgen bin ich aber wieder fit.“ Sie wünschte ihm eine gute Nacht und ging den Korridor hinunter in das Gästezimmer. Am nächsten Morgen war Jackson früh auf. Er fuhr mit dem Truck zur Einkaufsstraße, an der eine Bäckerei lag und auch ein Videoladen, eine Reinigung sowie ein Blumengeschäft. Die Floristin stellte gerade Eimer mit frischen Blumen nach draußen, als Jackson auf den Parkplatz fuhr. Er kaufte warme Croissants und Brötchen beim Bäcker, und auf dem Weg zurück zu seinem Truck blieb er stehen und schaute noch mal zurück zu den frisch geschnittenen Blumen. Zehn Minuten später bog Jackson in die Auffahrt zum Friedhof ein. Der Friedhof war wie ausgestorben an diesem frühen Sonntagmorgen. Das Gras und die kahlen Bäume wirkten wie erstarrt durch den Frost. Alles sah verlassen und recht trostlos aus. Jackson stieg aus dem Truck und ging auf das Grab zu, wo seine Frau und sein Sohn begraben lagen. In einer Plastikvase vor dem Grabstein steckten halb erfrorene Blumen. Jemand musste erst kürzlich hier gewesen sein. Er fühlte sich plötzlich schuldig. Drei Jahre lang hatte er es vermieden, hierher zu kommen, während andere das Grab aufgesucht hatten. „Hallo, Sara“, begann er verlegen, zog die alten Blumen aus der Vase und stellte den Strauß roter Rosen hinein. Dann stand er ein wenig hilflos da. Was sollte er sonst noch sagen? Sara war nicht hier. Er hörte noch immer ihr fröhliches Lachen, und ihr Lächeln wärmte ihm immer noch das Herz. Doch der heftige Schmerz, den er erwartet hatte, stellte sich nicht ein. Schöne Erinnerungen wurden wach. Sara und er hatten eine glückliche Zeit miteinander verlebt. Doch all das war ein Rückblick. Es war nicht mehr die Gegenwart. Gleich neben Sara lag Sammy. Über das kleine Lamm auf seinem Gedenkstein würde der Kleine sich gefreut haben. Jackson steckte den Strauß mit Gänseblümchen in die Vase auf Sammys Grab. Kinder mochten Gänseblümchen, nahm er an, und fuhr mit dem Finger zärtlich über das Lamm. Jackson schluckte schwer, und seine Augen füllten sich mit Tränen. Er vermisste sie. Er liebte sie. Doch das Leben geht weiter. Er blinzelte und atmete tief ein. Es war an der Zeit, nach vorn zu schauen. Weder Sara noch Sammy würden wollen, dass er sein ganzes Leben lang um sie trauerte. Und er hatte nach vorn geschaut. Er hatte einen guten Job, einige Freunde. Was brauchte er noch mehr?
Und die Liebe und das Lachen? Der Wind schien die Worte zu wispern. Jackson legte die Hand auf Saras Grabstein und berührte noch mal das Lamm, dann wandte er sich zum Gehen. An diesen Ort zu kommen war nicht so schlimm gewesen, wie er angenommen hatte. Niemals wieder würde er Angst haben, die Gräber aufzusuchen. Der erste große Schmerz war abgeklungen, genau so wie seine Mutter es ihm vorausgesagt hatte. Nur der dumpfe Schmerz war verblieben, an den er sich schon fast gewöhnt hatte. Als Jackson die Küche betrat, saß Mandy am Tisch und nippte an ihrem Kräutertee. „Ich habe uns Brötchen und Croissants mitgebracht“, sagte er. „Und ich bin auf dem Friedhof gewesen“, setzte er gedämpft hinzu. „Oh, Jackson.“ Mandy stand auf, trat zu ihm und ergriff seine Hand. „Das muss schwer gewesen sein.“ Tiefes Mitgefühl lag in ihrem Blick. „Es war nicht so schlimm, wie ich gefürchtet habe.“ Langsam entzog er ihr die Hand. „Hast du Hunger?“ „Ja, großen sogar. Ich habe den Kaffee schon gemacht.“ Mandy hatte nicht nur den Kaffee gemacht, sondern auch den Tisch gedeckt. Während des Frühstücks sagte Jackson nicht besonders viel. Mandy hatte sich bereits an seine Schweigsamkeit gewöhnt. Sie gehörte irgendwie zu ihm. „Hast du jemals versucht, deine Eltern zu finden?“ fragte er unvermittelt, kurz bevor sie das Frühstück beendeten. Mandy schüttelte den Kopf. „Daran gedacht habe ich schon. Als Teenager habe ich mir vorgestellt, wie sie nach mir suchten und dass sie es getan haben, seit ich klein war.“ Sie sah ihm in die Augen. „Ich habe mir vorgemacht, dass sie ihren Fehler eingesehen hätten.“ Sie zuckte die Schultern. „Aber das war die Fantasie eines Kindes. Sie wussten, was sie getan haben. Und wenn sie mich nicht wollten, so wollte ich auch sie nicht. Also habe ich niemals nachgeforscht.“ „Ihnen ist vieles entgangen“, bemerkte er. Mandy strahlte ihn an. „Jackson, das ist das Netteste, was mir jemals gesagt worden ist!“ „Aber es ist wahr.“ Er stand hastig vom Tisch auf, als ob Mandys Ausruf ihn verlegen gemacht hätte. „Bist du bereit, die Garage in Angriff zu nehmen?“ „Yes, Sir!“ Sie sprang auf und salutierte übermütig. Verlangen rührte sich in Jackson, als er ihr lachendes Gesicht betrachtete. Sie war so hübsch. Wusste sie das eigentlich? Wahrscheinlich hatte sie nicht mal eine Ahnung davon. Jackson rückte und schob Kartons zur Seite, stapelte einige draußen vor der Garage auf, bis er schließlich das zusammengelegte Kinderbett fand. Es war in ein Betttuch gehüllt, und Jackson entfernte das Laken. Die polierte Eiche war wie neu. Jacksohn lehnte das Bettchen gegen einen Stapel Kisten, um weiter zu kramen. Einen Moment darauf brachte er die passende, in Plastik gehüllte Matratze hervor. Ein Auto fuhr von der Straße in die Einfahrt und kam kurz vor dem Stapel Kisten zum Stehen. Jackson sah hoch und hatte plötzlich einen irritierten Ausdruck. „Besuch?“ fragte Mandy. „Saras Vater.“ Der Mann stieg aus der Limousine und – den Blick fest auf Mandy gerichtet – näherte sich ihnen. „Es ist eine Weile her, Sohn“, sagte er dann zu Jackson. Jackson nickte, machte aber keine Anstalten, seinen Schwiegervater zu begrüßen. Die Veruntreuung, die sein Sohn begangen hatte, stand zwischen
ihnen.
Der Mann warf einen fragenden Blick auf Mandy. Dann wandte er sich wieder
Jackson zu. „Deine Mutter hat mir nichts davon erzählt, dass du wieder
geheiratet hast.“
Jackson runzelte die Stirn. „Ich habe nicht wieder geheiratet. Das ist Mandy
Parkerson. Sie ist… eine Freundin von mir.“
Mandy lächelte höflich.
Der Mann nickte. „Ich muss mit dir reden, Sohn.“
Jackson wusste, was auf ihn zukam. Er wollte nichts damit zu tun haben. „Über
Marshai?“
Der Mann nickte. „Vielleicht sollten wir ins Haus gehen und die Sache dort
besprechen.“ Er warf Mandy wieder einen kurzen Blick zu.
„Mandy weiß davon. Sie ist meine Sekretärin auf dem Baugelände.“ Jackson
fügte nicht hinzu, dass sie es gewesen war, die über die Unstimmigkeit gestolpert
war.
„Wir müssen über die Sache reden. Die Familie sollte in harten Zeiten
zusammenhalten. Sara würde es so wollen.“
„Sara würde Diebstahl nicht hingenommen haben.“
Der Mann zuckte zusammen, zögerte, nickte dann aber. „Du hast Recht, aber sie
würde ihrem Bruder geholfen haben.“
„Das ist schon möglich. Das Bauunternehmen J&J und die Firma Windhaven sind
jedoch die eigentlichen Opfer, und die verlangen eine gerichtliche Untersuchung.“
„Ich habe Besseres von dir erwartet.“
„Es tut mir Leid. Wenn es ums Recht geht, kann ich keine Kompromisse
machen“, entgegnete Jackson.
Der Mann blickte missbilligend drein, drehte sich abrupt um und ging ohne ein
weiteres Wort zu seiner Limousine.
Nachdem er abgefahren war, sah Mandy Jackson an. Er wirkte völlig verlassen.
„Sara wäre stolz auf dich, weil du das Recht nicht missachtet, sondern dich dafür
eingesetzt hast.“
„Meinst du?“
„Ja, das meine ich.“
„Du bist Sara nie begegnet.“
„Das spielt keine Rolle. Ich kenne dich, also kann ich mir vorstellen, wie deine
Frau gewesen ist.“
„Sara hatte Ungerechtigkeit immer bekämpft. Und jemanden mit einer
kriminellen Tat davonkommen zu lassen, das wäre eine große Ungerechtigkeit.“
Mandy wünschte sich, Saras Vater wäre nicht aufgetaucht. Der Morgen war so
harmonisch verlaufen, und nun schien Jackson wieder verschlossen.
Er lud das Kinderbett in seinen Truck, ging in die Garage zurück und kam mit
einem großen Pappkarton heraus. Er setzte den Karton auf eine Kiste und riss
das Klebeband ab. Nachdem er ihn geöffnet hatte, winkte er Mandy herbei. Sie
warf einen Blick hinein.
Ordentlich gefaltete Babykleidung.
„Oh, sind die nicht süß?“ Sie holte ein winziges Strampelhöschen heraus, faltete
es auseinander und hielt es lächelnd hoch. „Man kann sich gar nicht vorstellen,
dass es einem Baby passen könnte.“
Jackson nickte nur.
Sie faltete es wieder zusammen und legte es zurück.
„Du kannst die Sachen benutzen, wenn du sie haben willst.“
„Oh, das könnte ich nicht.“
„Warum nicht?“
„Möchtest du sie nicht behalten?“
„Ich brauche keine Babykleidung. So etwas betrachte ich nicht als Andenken. Im
Gegensatz zu meiner Mutter sammle ich nicht alles.“
„Du könntest die Sachen eines Tages haben wollen“, gab sie zu bedenken.
Er sah sie prüfend an, dann schüttelte er den Kopf. „Das werde ich nicht.“
„Dann danke ich dir“, sagte sie.
Er trug die aufgestapelten Kisten wieder zurück in die Garage und ließ Mandy
allein mit dem Karton. Sie holte ein Stück nach dem anderen heraus –
Strampelhöschen und Hemdchen, Jäckchen und warme Babydecken sowie Laken
für das Babybett. Zärtlich fuhr sie mit den Fingern über jedes einzelne Stück.
Bald würde ihr Baby all dieses hier tragen.
Jetzt musste sie nur noch einen Ort finden, wo sie sich niederlassen und sich für
die Geburt ihres Kindes vorbereiten wollte.
Nach dem Lunch schlug Jackson vor, eine Rundfahrt durch Fort Collins zu
machen. Er wollte Mandy die Stadt zeigen.
Es war eine hübsche Stadt, und es würde im Sommer, wenn die Bäume wieder
voller Laub waren und Blumen in den Vorgärten blühten, noch reizvoller sein. Es
wäre eine Überlegung wert, ob sie nicht hierher ziehen sollte.
„Ich weiß, dass es nicht leicht für dich ist, all die Plätze hier wieder zu sehen“,
bemerkte Mandy irgendwann auf ihrer Fahrt.
„Es ist meine Heimatstadt“, erwiderte er schlicht.
„Du bist seit drei Jahren nicht hier gewesen.“
„Das stimmt. Ich habe ein wenig Angst davor gehabt, in die Stadt
zurückzukommen. Doch die guten Erinnerungen haben überwogen.“
Gleich darauf bog Jackson in eine Seitenstraße. Er hielt vor einer der typischen
Grundschulen aus rotem Ziegelstein.
„Hier hat ein Verrückter fünf Menschen getötet.“ Er starrte lange auf das
Gebäude. „Es muss für die Kinder, die bei der Schießerei dabei waren, schlimm
gewesen sein, wieder zur Schule zurückzukehren. Auch für die Lehrer, die den
Unterricht wieder aufnehmen mussten.“ Er schwieg eine ganze Weile. „Es ist nur
ein Gebäude, kein vom Bösen beschmutzter Flecken. Eine furchtbare Tragödie
hat sich hier abgespielt, die innerhalb von Sekunden vorbei war.“
Mandy nahm seine Hand, und es rührte sie, als er sie fest ergriff.
„Lass uns irgendwo einen Happen essen. Ich bin hungrig“, bat sie.
Sie wollte weg von hier. Und sie wollte, dass Jackson diese schrecklichen
Erinnerungen hinter sich ließ.
„Musst du jetzt gleich ins Bett?“ fragte Jackson, als sie wieder zurückkamen.
Die Frage erstaunte Mandy. „Nun ja, ich bin ein wenig müde.“
„Wie wär’s, wenn ich dir einen Kräutertee aufbrühe?“ bot er an, knöpfte ihre
Jacke auf und streifte sie ihr von den Schultern.
Mandy konnte sich nicht rühren. Sie war Jackson wie ausgeliefert, war plötzlich
so von Erwartung erfüllt, dass sie nicht mehr klar denken konnte.
„Das wäre nett“, antwortete sie leise.
Er zog seine Jacke aus und ließ beide achtlos auf den Boden fallen.
Langsam beugte er den Kopf, bis seine Lippen ihre Lippen berührten. Mit einem
Seufzer lehnte Mandy sich an ihn, wollte den Kuss vertiefen, obwohl sie wusste,
dass sie es nicht tun sollte.
Jackson schloss sie in die Arme, zog sie eng an sich heran, und sie schlang
sehnsüchtig ihre Arme um seinen Hals.
Er küsste sie auf die Stirn, auf die Wange, und als er ihre Lippen erneut berührte,
wurde der Kuss so heiß, dass Mandy vor Verlangen fast verging. Sie vergaß alles,
vergaß die Verletzung beim letzten Mal, ließ sich einfach von den Empfindungen
leiten, die sie erfüllten. Sie begehrte Jackson und wollte mit ihm schlafen. Er blickte ihr fest in die Augen. „Ich will dich, Mandy. Ich will nur dich. Nur dich.“
14. KAPITEL Mandys Herz pochte so stark, dass sie glaubte, es müsse zerspringen. Noch nie hatte sie ein solch tiefes Glück empfunden. Jackson wollte nur sie. Sie allein! „Heute Nacht gibt es nur uns, nur uns beide, dich und mich, sonst niemanden. Niemals wieder wird jemand zwischen uns sein“, versicherte er ihr und küsste sie. Dann hob er sie auf seine Arme und trug sie zum Bett in seinem Schlafzimmer, wo er sie sanft hinlegte. Er beugte sich über sie, fuhr mit den Fingern durch, ihr Haar und sah ihr tief in die Augen. „Sag, dass du es möchtest, Mandy. Sag, dass du mich genauso willst wie ich dich.“ „Ich will dich.“ Die Vergangenheit und die Zukunft hatten keine Bedeutung in diesem Moment. Das Einzige, was zählte, waren Jackson und sie – sie beide zusammen. Er zog sie langsam aus. Wie schön Mandy war und so voller Hingabe. Er betrachtete sie fast ehrfurchtsvoll. Dass ihre Schwangerschaft schon fortgeschritten war, machte sie in seinen Augen nur noch weiblicher, noch aufregender, noch begehrenswerter. Ohne Mandy aus den Augen zu lassen, streifte er seine eigenen Sachen ab. Als nichts mehr sie trennte, küsste er sie auf das Kinn, auf den Hals bis hinunter zu ihren Brüsten. „Du bist so schön, Mandy“, flüsterte er, während er sie zärtlich betrachtete. Und Mandy fühlte sich schön, weil Jackson ihr das sagte. Er ließ sich Zeit mit den Liebkosungen, streichelte sie, küsste sie, mal sanft, mal fordernd, bis Mandy sich ganz in ihrem Verlangen verlor. Schließlich drang Jackson in sie ein, und es war so unglaublich schön, so unglaublich erregend, dass Mandy sich an ihn presste und immer noch nach mehr verlangte. Die Welt um sie herum versank, bis es nur die Lust gab… und dann den Höhepunkt. Noch lange danach blieben sie aneinander geschmiegt liegen. Mandy war heiß, ihr Atem ging schwer, und doch wollte sie kein Stück von ihm abrücken. Jackson bedeutete ihr so viel. Ihn zu berühren, ihn zu lieben, das war einfach wunderbar. Bald – nur allzu bald – kehrten sie in die Realität zurück. Mandy konnte wieder klarer denken. Jackson durfte ihrem Herzen nicht so nahe kommen. Er wollte keine Verpflichtung eingehen, das hatte er ihr gesagt. Niemand war jemals bei ihr geblieben, und Mandy war sicher, dass es auch dieses Mal nicht anders sein würde. Doch sie fürchtete, dass es zu spät war, sich zurückzuziehen. Sie liebte Jackson Witt. Es war keine romantische Liebe, nicht das, was sie für Marc empfunden hatte. Für Jackson hatte sie ein tiefes Gefühl der Zuneigung. Sie war immer glücklich, mit ihm zusammen zu sein, ob er nun schlechter Laune war oder in guter Stimmung. Sie mochte seinen trockenen Humor. Sie respektierte ihn, weil er für seine Arbeit am Bauprojekt all seine Kräfte einsetzte. Sie achtete ihn, weil er anständig war. Vor allem aber liebte sie es, wenn er sie liebte. Sie wusste, dass Jackson nicht das für sie empfand, was sie für ihn empfand. Doch sie konnte ihre Gefühle nicht einfach per Knopfdruck abstellen. Ihr blieben noch zwei Wochen. Mandy wollte sie auskosten. Und wenn sie sich trennten, dann würde ihr für den Rest des Lebens die Erinnerung bleiben an etwas, was einmalig gewesen war. Die Liebe für Jackson würde fortdauern, daran zweifelte Mandy nicht. Außerdem würde sie immer mit Zärtlichkeit an ihn denken und ihm nur das Beste wünschen.
Jackson rollte sich zur Seite und zog Mandy an sich. „Wir hätten ein breiteres
Bett brauchen können“, murmelte er.
Mandy kicherte. „Das enge Bett ist mir gerade recht.“
„Ich bin froh, dass meine Eltern nicht zu Hause sind“, flüsterte er nach einer
Weile.
„Hm.“ Mandy wollte an nichts Störendes denken, wollte sich einfach ihren
Empfindungen hingeben. Sie fühlte sich wunderbar befriedigt und erfüllt. Und das
war mehr, als sie sich jemals erhofft hatte.
„Ich habe vorher noch nie jemanden mit nach Hause gebracht“, erzählte er.
„Nie?“
„Nicht über Nacht.“
Mandy nickte, schloss die Augen und wünschte sich, er hätte es nicht erwähnt.
Natürlich, Sara hätte in Fort Collins gewohnt. Sie hatte keinen Grund gehabt, mit
ihm hier die Nacht zu verbringen. Würde er jemals über seine Frau
hinwegkommen?
„Es tut mir Leid“, sagte er und streichelte ihren Rücken, langsam rauf und runter,
und das immer wieder.
„Was tut dir Leid?“
„Dass ich das gesagt habe. Ich weiß, was du jetzt denkst. Doch Sara hat nichts
mit dir und mir zu tun.“
Mandy seufzte leise. Der Schlaf überkam sie. Sie schmiegte sich an Jacksons
Brust und schlief ein.
Als Mandy am nächsten Morgen wach wurde, lag sie allein im Bett. Sie suchte
ihre Kleidung zusammen, zog die Hemdbluse an und ging ins Gästezimmer
hinüber. Aus ihrer Reisetasche holte sie das Nötige, um es ins Bad mitzunehmen.
Nachdem sie sich geduscht und angezogen hatte, packte sie alles in ihre Tasche
zurück und stellte sie in den Hauseingang.
Sie würden sich bald auf den Weg machen müssen.
Jackson war in der Küche. Der Kaffee und der Kräutertee waren bereits fertig,
und ein Teller mit weichen Brötchen sowie Butter und Marmelade mitsamt dem
Frühstücksgeschirr standen bereits auf dem Tisch.
Mandy blieb zögernd in der Tür stehen. „Guten Morgen“, grüßte sie schließlich
scheu.
Jackson wandte sich zu ihr um, nahm sie in die Arme und küsste sie. Einen
Moment lang waren all ihre Bedenken weg.
„Wir müssen bald los“, erklärte er und gab sie frei.
„Ich habe mich schon gefragt, warum du mich nicht bereits um halb fünf geweckt
hast.“
„Lieber hätte ich einen anderen Weg gewählt, um dich zu wecken, aber ich
dachte, du solltest so lange schlafen, bis du von selbst wach wirst. Wir haben
eine ziemliche Fahrt vor uns.“
„Danke für deine Rücksicht.“
Mandy wollte keine Bemerkung über die vergangene Nacht machen oder über
ihre Beziehung. Hatten sie überhaupt eine? Die letzte Nacht war für sie etwas
ganz Besonderes gewesen. Einfach überwältigend. Doch kein Wort war über die
Zukunft gefallen. Noch zwei Wochen, und sie würden getrennte Wege gehen.
Mandy würden immer die Erinnerungen bleiben, auch wenn sie bittersüß waren.
Doch bittersüße Erinnerungen waren immer noch besser als keine. Vielleicht
würde sie eines Tages ihrem Baby erzählen, woher das Bettchen kam.
Sie ging noch mal kurz ins Badezimmer, bevor sie abfuhren. Als sie zu ihm trat,
legte Jackson den Telefonhörer gerade auf.
„Das war Jeff“, erklärte er. „Er wollte mir noch schnell einiges berichten.“
„Ist etwas passiert?“ „Nein. Dein Wohnwagen wurde heute Morgen abgeschleppt. Der Bauinspektor erschien um acht – ein kleines Wunder. Und die Straße ist so gut wie trocken. Es gibt Hoffnung, dass der Sturm noch eine Weile auf sich warten lässt. Bist du fertig? Können wir losfahren?“ Mandy nickte und lächelte. Wie gut, dass Jackson nicht wusste, wie viel sie das Lächeln gekostet hatte. Die Dinge würden sich ändern, sobald sie wieder zurück auf der Baustelle waren. Er würde sich auf seine Arbeit konzentrieren. Und sie würde sich neben ihrer Arbeit den Kopf zerbrechen, wohin sie nach dem Job auf der Baustelle ziehen sollte. Die graue Welt des Alltags würde sie wieder gefangen nehmen. Es war bereits dunkel, als sie die Baustelle erreichten. Mandy hatte seit dem letzten Halt geschlafen. Sie hatten zu Abend gegessen, und Mandy hatte darüber geklagt, dass sie müde sei. Wie kann sie bei diesem Dahinrumpeln auf der Schotterstraße nur durchschlafen, wunderte sich Jackson. Offensichtlich war sie erschöpft. Er hielt vor seinem Wohnwagen und schaltete den Motor aus. Er war ebenfalls müde. Den ganzen Tag zu fahren, das schaffte einen mehr als eine 12Stunden Schicht. Liebevoll betrachtete er die schlafende Mandy. Wie war es möglich, dass sie ihm in so kurzer Zeit so viel bedeuten konnte? Er hatte seine Frau geliebt. Der Schmerz, einen geliebten Menschen zu verlieren, konnte an manchen Tagen unerträglich sein. Und doch fühlte er sich zu Mandy hingezogen. Er fing an, sie wirklich gern zu haben – als Frau und als Mensch. Nur passte das nicht in seine Pläne. Nach Saras Tod hatte er sich an keine Frau mehr binden wollen. Und er war noch immer nicht zu einer festen Beziehung bereit. Vielleicht würde er das niemals wieder sein. „Mandy, wir sind zu Hause!“ Er schüttelte sanft ihre Schultern. Als sie blinzelnd die Augen öffnete, erschrak Jackson über das Gefühl der Wärme, das allein ein Blick von ihr in ihm weckte. Er wollte so nicht fühlen. „Kommst du klar?“ fragte er abrupt. Seelische Betäubung hatte seinen Preis. Immerhin konnte er den Schmerz auf diese Weise unter Kontrolle halten. „Ja, danke. Du lieber Himmel, habe ich tatsächlich die ganze Fahrt über geschlafen?“ Sie öffnete die Beifahrertür und kletterte aus dem Wagen. Jackson holte die Reisetaschen aus dem Truck und trug sie in den Wohnwagen. Er erinnerte sich, wie sehr er Mandy in der vergangenen Nacht begehrt hatte. Wie sehr auch sie sich nach ihm gesehnt hatte, war ihm klar geworden, als sie sich ihm ohne Zögern hingegeben hatte. Wieder spürte er dieses heftige Verlangen nach ihr. Doch er verdrängte es. Er würde sich nicht auf eine langfristige Beziehung mit Mandy Parkerson einlassen! „Ich geh noch schnell ins Büro rüber, um zu sehen, ob eine Nachricht hinterlassen worden ist. Wir sehen uns morgen.“ Und weg war er. Dass er sich damit reichlich unhöflich benahm, war ihm klar. Doch er musste Distanzen schaffen. Die folgenden zwei Tage liefen nicht viel anders ab als die zwei Wochen vor ihrer Fahrt nach Fort Collins. Jackson war weg, noch bevor Mandy am Morgen aufwachte. Er zeigte sich fast den ganzen Tag lang nicht im Büro. Und am Dienstagabend blieb er bei Jeff zum Essen. Am Mittwoch schlang er das, was Mandy ihm zum Lunch vorbereitet hatte, schnell herunter und verließ den Wohnwagen, noch bevor er den letzten Bissen hinuntergeschluckt hatte. Sie waren wieder da angelangt, wo sie angefangen hatten. Wenn die Arbeit nicht
bald endete, würde Jackson sie zweifellos feuern und jemand anders einstellen. Jedenfalls hatte Mandy diesen Eindruck. Am Donnerstagmorgen wachte Mandy auf und fühlte sich nicht wohl. Sie zog sich langsam an und wusste nicht recht, was sie zum Frühstück essen sollte. Sie hatte keinen Appetit und begnügte sich mit einer Banane und etwas Kräutertee. Auf dem Weg zum Büro hinüber spürte sie einen so rasenden Schmerz in ihrem Bauch, dass sie sich krümmte und fast nach vorn auf den staubigen Boden gestürzt wäre. Sie versuchte gleichmäßig zu atmen. Das waren doch nicht etwa schon die Wehen! Es wäre viel zu früh. Doch der heftige Schmerz breitete sich vom Rücken her zum Unterleib aus. Sie stöhnte, sank auf die Knie und hielt den Atem an, um nicht zu schreien. „Mandy?“ Jeff kam aus dem Büro gelaufen. „Mandy, was ist?“ Sie sah hoch. „Ich habe schreckliche Schmerzen. Es können nicht die Wehen sein. Es ist noch nicht so weit! Es wird doch nicht irgendwas Schlimmes mit dem Baby sein! Oh…“ Erneut wurde sie von einer Welle Schmerzen gepackt. Panik kam in Mandy auf. Sie durfte das Baby nicht verlieren! Jeff hob sie hoch, trug sie in den Wohnwagen und legte sie auf das Sofa. Zwei der Männer hatten alles mitbekommen und kamen angerannt, um zu sehen, ob sie helfen konnten. Jeff bat sie, Jackson zu holen. Dann rief er das Krankenhaus an. Während er auf die Verbindung wartete, redete er auf Mandy ein. „Halt aus, Mandy. Du wirst es durchstehen. Wir verlieren das Baby nicht!“ Die zuständige Krankenschwester sagte, die Ambulanz sei bereits so gut wie auf dem Wege. „Nein“, widersprach Jeff sofort. „Das würde nur doppelt Zeit kosten. Wir bringen sie hin.“ Damit legte er auf. In diesem Moment kam Jackson. „Was ist passiert?“ „Mandy hat Schmerzen. Zu früh für Wehen“, berichtete Jeff knapp. Jackson ging schnell zum Sofa und kniete sich neben Mandy. „Alles wird gut werden“, flüsterte er. Mandy klammerte sich an ihn. „Lass nicht zu, dass ich mein Baby verliere!“ „Bleib ruhig, es wird alles gut.“ Er nahm sie auf die Arme. „Dein Kombiwagen wird besser sein als der Truck“, sagte er zu Jeff. „Lass uns gehen.“ Jeff fuhr, während Jackson hinten saß und Mandy hielt. Wenn die Schmerzen kamen, dann fuhr er mit der Hand sanft über ihren Bauch und flüsterte ihr irgendwas zu, nur um sie zu beruhigen. Er war sicher, dass dieser Anfall alles andere als normal für eine Schwangerschaft war, nur wollte er Mandy nicht noch mehr ängstigen. Sie war bereits verstört genug. Und er war es ebenfalls. „Nichts wird deinem Baby geschehen. Halt durch, hörst du?“ Mandy nickte tapfer. Doch jedes Mal, wenn die Wehen wieder einsetzten, sah er die Angst in ihren aufgerissenen Augen. Und auch er hatte Angst. Als sie das Krankenhaus in Julian erreichten, fuhr Jeff geradewegs auf die Unfallstation zu. Jackson trug Mandy hinein, wo eine Krankenschwester ihn in eine Kabine führte. Ein Arzt erschien sofort. In Sekunden hatte er einen Monitor an die Untersuchungsliege herangerollt und eine Injektion mit Medikamenten vorbereitet, die die Wehen aufhalten sollten. Jackson wich nicht von Mandys Seite. Er hielt ihre Hand, während sie sich an seine klammerte, als ob sie ihn nie wieder loslassen wollte. Die Wehen überfielen sie nicht mehr mit einer solchen Wucht und verlangsamten sich allmählich, bis sie schließlich aufhörten.
Mandy schloss erschöpft die Augen. Bald schien sie vom Schlaf übermannt zu
werden. Doch als Jackson seine Hand behutsam zurückziehen wollte, umfasste
Mandy sie nur noch fester.
„Bitte, geh nicht.“
„Ich bleibe“, versprach er.
Der Arzt räusperte sich. „Ich… ich möchte Sie auf die Intensivstation verlegen,
bis wir sicher sein können, dass alles wieder normal verläuft“, erklärte er Mandy,
und an Jackson gewandt sagte er: „Sie können währenddessen in der Aufnahme
warten.“
Jackson nickte, beugte sich über Mandy und strich ihr das Haar aus der Stirn.
„Ich warte“, versicherte er ihr.
Sie nickte. Jackson litt jedoch mit ihr, als er die Panik in ihren Augen sah. Sie
lächelte mit zitternden Lippen. Er küsste sie zärtlich, drückte ihre Hand noch ein
letztes Mal und wurde dann von der Krankenschwester aus der Kabine
hinausgedrängt.
Völlig unvermittelt packte ihn die Wut. Am liebsten hätte er irgendwas gepackt
und gegen die Wand geworfen. Mandy hatte das nicht verdient!
In diesem Augenblick fühlte er sich genauso hilflos dem Schicksal ausgeliefert,
wie er sich gefühlt hatte, als er von der schrecklichen Tat und wenig später von
Saras und Sammys Tod erfahren hatte.
Im Warteraum saß Jeff mit gebeugtem Kopf, die Ellbogen auf die Knie gestützt.
Als er Jackson hörte, blickte er hoch.
„Wie geht es ihr?“ erkundigte er sich.
„Auf alle Fälle besser. Man hat sie zur Beobachtung auf die Intensivstation
gebracht. Ich habe ihr immer wieder versichert, dass sie das Baby nicht verlieren
wird, doch ich bin mir nicht sicher. Wenn sie es nun verliert, Jeff? Das würde
Mandy umbringen. Sie will das Baby so sehr.“
„Es ist zwar ein kleines Krankenhaus, aber es ist auf dem neuesten
medizinischen Stand. Insofern ist Mandy hier gut aufgehoben“, erwiderte Jeff
beruhigend und erhob sich vom Stuhl.
„Und wenn man es doch nicht verhindern kann?“
„Das liegt nicht in unserer Hand.“
„Mandy verlangt nur so wenig. Sie hatte nur so wenig in ihrem Leben. Sie
braucht das Baby.“
Jeff sah ihn prüfend an, ehe er leise sagte: „Vielleicht brauchst du sie.“
„Wie kommst du denn darauf?“ fragte Jackson überrascht.
„Die Liebe stellt sich auf verschiedene Weisen ein. Dich und Sara, euch verband
die erste junge Liebe, ihr seid zusammen aufgewachsen. Das ist nun
Vergangenheit. Du hast dich lange genug verschlossen.“
„Ich lasse mich nicht wieder auf eine Beziehung ein!“
Jackson kannte die Worte. Es war die alte Litanei. „Das hast du bereits getan.“
„Du siehst Dinge, die nicht da sind.“
„Nun ja, wenn es so ist, dann lass uns jetzt gleich zu unserer Arbeit
zurückkehren. Wir können ja später zurückkommen oder uns telefonisch
erkundigen, wie es Mandy geht.“
Jackson war so empört, dass er dabei das wissende Lächeln, das um Jeffs Lippen
spielte, gar nicht bemerkte. „Verdammt, du weißt genau, dass ich nicht gehe.“
„Weil Mandy dir mehr bedeutet, als du wahrhaben willst. Leugne es vor der
ganzen Welt, nur leugne es nicht vor dir selbst.“
Jackson fing an, im engen Warteraum wie ein wütender Löwe auf und ab zu
gehen.
Die Minuten verstrichen. Hatte man nicht Zeit genug gehabt, Mandy auf die
Station zu bringen? Jackson wollte sie sehen. Er wollte sicher sein, dass alles in Ordnung war. Wollte sich überzeugen, dass Mandy das Baby nicht verlor. Er ging zur Anmeldung. „Mandy Parkerson?“ fragte er brüsk. Die Frau sah im Computer nach. „Sie ist auf der Intensivstation. Sind Sie mit ihr verwandt?“ Jackson schüttelte den Kopf. „Ich habe sie hergebracht. Ich wollte mich nur versichern, dass es ihr gut geht.“ „Gehören Sie zur Familie?“ Als er wieder den Kopf schüttelte, erklärte sie: „Es tut mir Leid. Nur Familienangehörigen ist es erlaubt, die Intensivstation zu betreten. Sobald Ms. Parkerson auf die offene Station umgelegt wird, kann jeder sie besuchen. Wenn Sie uns Ihre Telefonnummer hinterlassen, geben wir Ihnen sofort Bescheid, sobald man Ms. Parkerson aus der Intensivstation verlegt.“ „Ich will sie jetzt sehen. Nicht in ein oder zwei Tagen!“ Jackson wollte sich nicht abwimmeln lassen wegen irgendwelcher Formsachen. „Es tut mir Leid, Sir.“ Jeff trat hinzu. „Probleme?“ Jackson stand kurz davor, heftig aufzubrausen. „Nur die Familie darf auf die Intensivstation.“ Jeff zog die Stirn in Falten, als ob er scharf nachdachte. Dann erkundigte er sich bei der Frau: „Zählt ein Verlobter zur Familie?“ „Ja. Sind Sie denn mit Ms. Parkerson verlobt?“ fragte sie Jackson. Er zögerte mit der Antwort. Wo war seine Entschlossenheit geblieben? War er nicht ein Mann der raschen Entschlüsse? Er könnte sich davonmachen. Er könnte es vermeiden, sich in etwas hineinziehen zu lassen, was nur Schmerz, Enttäuschung und Traurigkeit brachte. Das Leben war leider so. Würde er dann aber nicht auch auf Glück, auf Freude und Liebe verzichten? Wem machte er da was vor? „Ich bin ihr Verlobter.“ Seine Stimme schwankte nicht mal bei der Lüge. Jackson blieb in der Tür zur Intensivstation stehen. Mandy lag auf der Seite, mit dem Rücken zur Tür und an den Tropf angeschlossen. Schlief sie? Sie wirkte so klein und verletzlich in dem Krankenhausbett. Er konnte allerdings erkennen, dass es nicht so schlimm um Mandy stand, wie er befürchtet hatte. Also konnte er mit Jeff ruhig zur Arbeit zurückkehren. Er könnte ihr später einen Besuch abstatten, um sich zu erkundigen, wie es ihr ging. Es war völlig idiotisch gewesen, der Frau bei der Aufnahme zu erzählen, er sei der Verlobte. Doch irgendwie sagte ihm der Gedanke zu. Auf alle Fälle musste er sicher sein, dass Mandy außer Gefahr war. Außerdem wollte er dafür sorgen, dass sie auch… nun, dass sie glücklich war. Er atmete tief durch. Ja! Ja, er wollte die Tage und die Nächte mit ihr teilen. Wollte dabei sein, wenn ihr Baby zur Welt kam. Wollte das Kind heranwachsen sehen und Mandy dabei beobachten, wie sie mit Freude dem Kind all das beibrachte, was eine Mutter ihrem Kind beibringen konnte, um es für das Leben vorzubereiten. Einen Moment lang verspürte er Schmerz, als er sich an ein anderes Baby erinnerte. An seinen kleinen Sohn, dem er so vieles hatte beibringen wollen. Sammys Tage waren gezählt gewesen. Mandys Kind hatte ein ganzes Leben vor sich. Und es würde einen Vater brauchen. Wenn es nun auch jung sterben würde? Jackson fuhr sich durchs Haar. Kinder waren so zart, so kostbar. „Aber warum sollte dem Kind etwas zustoßen?“ murmelte er. Mandy hörte ihn und drehte sich auf den Rücken. Sie sah ihn an, und ihr Lächeln befreite Jackson von dem Rest der Bedenken, die er noch gehabt hatte. Er liebte Mandy.
„Hallo“, sagte er und war im Nu an ihrem Bett.
„Hallo. Ich dachte, du und Jeff, ihr wärt bereits gegangen.“
„Nein. Jeff wartet, um von mir zu hören, wie es dir geht. Dann kehrt er zur Arbeit
zurück. Ich bleibe.“
„Oh, Jackson, das ist nicht nötig. Mir geht es gut. Der Arzt sagte, dass er mich
noch zwei Tage zur Beobachtung hier behalten möchte. Zur Arbeit zurückkehren
werde ich wohl nicht mehr können.“
Jackson zog den Stuhl dicht an ihr Bett und legte die Hand auf ihren Bauch.
„Dieser kleine ungeduldige Schlingel wollte also früher kommen. Wegen der
Arbeit mach dir mal keine Sorgen, Mandy.“
Sie legte ihre Hand auf seine. „Du musst nicht bleiben. Geh mit Jeff. Ich weiß,
dass du eine Menge zu tun hast, und die Zeit wird kurz.“
„Ich habe die besten Männer angeheuert. Sie können es auch ohne mich
schaffen.“
Mandy lächelte. „Diesen Eindruck habe ich nicht von dir gehabt.“
„Nun gut, ich fühle mich gern wichtig.“
„Du bist wichtig“, erwiderte sie weich. „Danke, dass du mich begleitet hast. Ich
bin froh, dass ich auf der Herfahrt nicht so allein gewesen bin.“
„Du wirst nie wieder alleine sein“, erwiderte er.
„Das werde ich nicht, wenn das Baby da ist.“
„Ich habe eigentlich mehr in die Richtung Erwachsene gedacht, nicht nur an dein
Baby. Vielleicht solltest du heiraten.“
„O ja, als ob das jemals passieren würde“, spottete sie. „Außerdem habe ich
Männern abgeschworen, hast du das vergessen?“
„Jedem Mann?“
Mandy sah ihn etwas verwirrt an. Er nahm ihre Hand, führte sie an seine Lippen
und küsste sie zart.
„Heirate mich, Mandy. Lass mich dein Ehemann, dein Liebhaber, der Vater deines
Kindes sein. Und Vater aller Kinder, die noch folgen.“
Mandy schüttelte wie benommen den Kopf. „Ich glaube, ich träume. Das müssen
wohl die Medikamente sein.“
Jackson drückte ihre Hand. Trotzdem blieb ihr Blick wachsam, ja fast
misstrauisch. „Ich dachte, du liebst Sara“, flüsterte sie.
„Ich habe Sara vom fünften Schuljahr an geliebt. Sara ist jedoch nicht mehr da.
Ich will dich nicht belügen und behaupten, ich könne Sara vergessen. Das werde
ich nie tun. Doch sie wird nicht zwischen uns stehen, das kann ich dir
versprechen.“
Mandy wollte ihm die Hand entziehen. „Ich dachte, du wolltest keine Beziehung
und dass wir uns nach dem Winter nie wieder sehen würden.“
Jackson nickte. „So habe ich auch gedacht. Aber der kurze Aufenthalt in Fort
Collins hat mich aus dem Gefängnis befreit, das ich mir selbst gebaut habe. Fort
Collins ist eine hübsche Stadt, wo Schreckliches geschah, aber ich wurde von den
schrecklichen Erinnerungen nicht übermannt. Im Gegenteil, ich habe dir meine
Heimatstadt gern gezeigt. Ich habe mir gewünscht, dass du sie so mögen
würdest, wie ich sie mag, um dort leben zu können. Damit ich dich auch sehen
kann, wenn ich irgendwann mal heimkehre.“
„Wie bitte?“
„Der heutige Tag hat mit dieser Vorstellung aufgeräumt. Ich kann nicht auf
gelegentliche Besuche warten. Ich wollte jeder engen Beziehung aus dem Wege
gehen. Ich wollte einfach nie wieder einen solchen Schmerz verspüren müssen,
wie bei Saras und Sammys Tod. Der heutige Tag war wie ein neuer Anfang. Du
bist in der Gefahr gewesen, das Baby zu verlieren, und ich fühlte mich so hilflos.
Mir wurde klar, dass ich bereits eine Beziehung zu dir habe und dass ich zu tief
verwickelt bin, um mich herauswinden zu können. Für Sara und Sammy hätte ich
mein Leben geopfert. Diese Wahl wurde mir nicht gegeben. Jetzt stehe ich vor
einer anderen Wahl. Wenn ich mich vor dem Leben nicht vergraben will, muss ich
mich ihm stellen, mit allem was dazugehört. Den Ängsten, Sorgen und
Schmerzen, die das Leben bringen kann.“
Jackson küsste wieder ihre Hand. „Mit dem Leben kommt auch die Freude“,
flüsterte er. „Und du bringst sie mir reichlich, Mandy.“
Tränen traten ihr in die Augen. „Und das Baby? Kannst du es wirklich als deins
annehmen?“
„Ja, Mandy. Ich will der beste Vater für dein Kind werden. Unser Kind. Heirate
mich, Liebes.“
Sie berührte seine Wange, und Jackson konnte all die Liebe in ihren Augen
sehen, die sie für ihn hatte.
„Ich liebe dich, Mandy Parkerson. Ich will mein Leben mit dir teilen. Ich werde
mich nicht einfach davonmachen, wenn es hart wird. Ich werde dich oder dein
Kind niemals verlassen. Gib mir die Gelegenheit, dich für immer zu lieben.“
Er sah ihr fest in die Augen. Mandy musste Ja sagen. Sie musste es einfach!
„Oh, Jackson, ich liebe dich so sehr!“
Er nahm sie vorsichtig in die Arme. Mandy war so weich und so aufregend, und
sie gehörte ihm. Er liebte Mandy. Und Mandy liebte ihn.
Der Monitor fing an zu piepen. Eine Krankenschwester stürzte herein und blieb
abrupt stehen, als sie sah, wie das Paar sich mit schlechtem Gewissen trennte.
„Die Herzfrequenz stieg drastisch an“, bemerkte sie trocken und fasste nach
Mandys Puls. „Doch ich glaube nicht, dass uns das beunruhigen sollte.“
„Wir werden heiraten“, teilte Mandy ihr glücklich mit.
Die Krankenschwester zog die Augenbraue hoch und warf einen Blick auf den
Bauch der Patientin. „Keinen Moment zu früh“, murmelte sie.
Mandy lachte in sich hinein und tauschte mit Jackson einen liebevollen Blick.
„Da stimme ich mit Ihnen absolut überein“, erwiderte Jackson mit einem
Augenzwinkern zur Krankenschwester.
EPILOG
Jackson strich mit dem Finger über Mandys Wange. „Wir haben eine Tochter“,
sagte er. „Und sie ist so schön wie ihre Mutter.“
„Hättest du lieber einen Sohn gehabt?“ fragte Mandy.
„Vielleicht das nächste Mal.“ Jackson küsste sie zärtlich. „Hallo, Mom.“
Das nächste Mal vielleicht ein Junge. Oder das übernächste Mal. Mandy war das
egal. Sie wollte, dass ihr Heim mit Kinderlachen erfüllt wäre. Und mit der Liebe,
die Jackson so freigebig in ihr Leben brachte. Dieser kleine Schatz war nur der
Erstgeborene in einer Kinderschar. Darüber waren er und Mandy sich einig.
„Ich liebe dich“, sagte sie, und Tränen liefen ihr über die Wangen. Wie konnte
eine Frau so viel Glück ertragen? „Ich liebe dich, Mandy Witt! Dich und Melanie
Sara.“ Mandy lächelte und tippte mit der Fingerspitze auf das winzige Naschen
des Babys. Sie hatten sich beide bereits entschieden gehabt, falls es ein Mädchen
wäre, ihm den Namen Sara zu geben. Und Mandy brauchte nicht zu befürchten,
dass Jackson sich womöglich immer noch nach seiner ersten Frau sehnte. Er
hatte auf jede erdenkliche Weise bewiesen, dass er sie, Mandy, liebte und dass
er sein Leben, seine Zukunft mit ihr teilen wollte.
ENDE