Nr. 172
Henker der Varganen Die letzten Varganen sollen sterben - die Herren der Eisigen Sphäre befehlen es von Clark ...
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Nr. 172
Henker der Varganen Die letzten Varganen sollen sterben - die Herren der Eisigen Sphäre befehlen es von Clark Darlton
Im Großen Imperium der Arkoniden schreibt man eine Zeit, die auf Terra dem 9. Jahrtausend v. Chr. entspricht. Imperator des Reiches ist Orbanaschol III, ein bruta ler und listiger Mann, der seinen Bruder Gonozal VII töten ließ, um selbst die Nach folge antreten zu können. Auch wenn Orbanaschol seine Herrschaft inzwischen längst gefestigt hat – einen Gegner hat der Imperator von Arkon besonders zu fürchten: Atlan, den rechtmäßigen Thronerben und Kristallprinzen des Reiches, der nach der Aktivierung seines Extra hirns den Kampf gegen die Macht Orbanaschols aufgenommen hat und – zusammen mit einer stetig wachsenden Zahl von treuen Helfern – den Sturz des Usurpators an strebt. Im Zuge der gegen den Usurpator gerichteten Unternehmungen vermochten Atlan und seine Freunde erst jüngst einen wichtigen Teilerfolg zu verbuchen, indem sie den Blinden Sofgart, den »Bluthund« des Imperators und einen von Gonozals Mör dern, zur Strecke brachten. Die weitere Spur zum »Stein der Weisen«, dem Kleinod kosmischer Macht, ist ge genwärtig verwischt und nicht weiter zu verfolgen. Doch in diesem Augenblick, als al le weiteren Nachforschungen sinnlos erscheinen, empfängt Atlan einen posthypnoti schen Ruf Ischtars, der Varganin. Der Kristallprinz zögert nicht, diesem dringenden Ruf Folge zu leisten. Zusammen mit seinen engsten Freunden fliegt er nach Margon, einer der versunkenen Welten. Dort aber wartet der HENKER DER VARGANEN …
Henker der Varganen
3
Die Hautpersonen des Romans:
Atlan - Der Kristallprinz empfängt eine posthypnotische Botschaft.
Fartuloon und Ra - Atlans Gefährten beim Besuch einer versunkenen Welt.
Morvoner Sprangk - Der Arkonide »vergißt« eine Landung.
Meschanort - Ein Vargane erwacht – und kämpft.
Magantilliken - Henker der Varganen.
1. Fartuloon hatte durchaus recht, wenn er unseren geheimen Stützpunkt, den Planeten Kraumon, ein Krebsgeschwür im Gefüge des Arkonidischen Imperiums nannte. Nicht nur daß er ständig wuchs und mächtiger wurde – eines Tages würde er für Imperator Orbanaschol III. eine tödliche Bedrohung sein. Unsere anfänglich nur unbedeutende Streitmacht betrug heute bereits dreitausend Intelligenzwesen, zum größten Teil Arkoni den, denen Orbanaschol, der Brudermörder, genauso verhaßt war wie mir, dem rechtmä ßigen Nachfolger meines Vaters Gonozal. Sie alle hatten mir die Treue geschworen und waren bereit, für das große Ziel ihr Le ben einzusetzen – und das war mehr als nur einmal notwendig gewesen. Unsere Kaperkommandos hatten für die Vergrößerung unserer Flotte gesorgt. Wir besaßen nun schon drei Kugelraumer mit ei nem Durchmesser von zweihundert Metern, sechsundzwanzig Beiboote und vierzehn Gleiter. Unter der Oberfläche von Kraumon ent standen unterirdische Hangars und Energieanlagen, bombensichere Unterkünfte und positronisch gesteuerte Abwehrforts. Sollte man uns eines Tages entdecken, würden wir dem Gegner empfindliche Verluste zufügen, ehe wir der Übermacht wichen und zu einem neuen Versteck flohen. An diesem Tag, da alles begann, hatte ich die denkbar schlechteste Laune. Farnathia, meine geliebte Freundin, war tot. Darüber konnte mich auch die Tatsache nicht hin wegtrösten, daß mein bisher gefährlichster Feind, der blinde Sofgart, nicht mehr unter
den Lebenden weilte. Ich hatte Farnathia wirklich geliebt, und ich konnte mir nicht vorstellen, daß Ischtar mich jemals zu über zeugen vermochte, sie sei ein vollwertiger Ersatz für die Tote. Ischtar, die Goldene Göttin Ras, eine Varganin! Auch sie hatte ich lieben müssen, aber es war nicht aus freien Stücken geschehen. Sie hatte mich dazu gezwungen, weil sie einen Sohn haben wollte, und obwohl ich wie un ter hypnotischem Zwang gehandelt hatte, war die bittersüße Erinnerung geblieben. Sie war eine faszinierende Frau, und ich konnte Ra verstehen, der sich unsterblich in sie ver liebt hatte. Es war zu Differenzen zwischen ihm und mir gekommen, aber wenn mich nicht alles täuschte, hatte er mir verziehen. Das Ziel, nach dem wir alle strebten, war größer und wichtiger als Eifersucht. Wir suchten den Stein der Weisen. Die heiße Spur, der wir unter unvorstellbaren Gefahren gefolgt waren, gab es nicht mehr. Mit dem Tod des blinden Sofgart war auch sie verschwunden, als hätte es sie niemals gegeben. Aber ich wußte, daß es sie gab und daß wir sie wiederfinden mußten, denn der Stein der Weisen sollte ein Machtmittel sein, das jeden Gegner vernichtete. Ihn würden wir brauchen, wollten wir Orbanaschol für den Mord an meinem Vater bestrafen. Die heutige Besprechung hatte ich gestern selbst angeregt, und ich konnte sie schlecht absagen, obwohl ich keine Lust verspürte, an ihr teilzunehmen. Es würde doch wieder nichts dabei herauskommen, denn wenn es eine neue Spur gab, dann fanden wir sie nicht auf Kraumon. Wenigstens glaubte ich das in diesen Au genblicken. Ich irrte mich gewaltig. Fartuloon nickte mir ziemlich griesgrämig
4 zu, als ich den Raum betrat. Er saß neben dem leeren Sessel, der für mich bestimmt war, hatte die Hände auf seinem dicken Bauch gefaltet und machte den Eindruck, als habe er gerade ein ordentliches Frühstück hinter sich und gedenke, es in aller Ruhe zu verdauen. Auch der alte arkonidische Haudegen Morvoner Sprangk kam mir satt und zufrie den vor. Wenn er noch lange so untätig auf Kraumon herumhockte, würde er dick und faul werden, was unserer Sache kaum die nen konnte. Er haßte Orbanaschol aus gan zem Herzen, aber auch den Methanatmern, den Maahks, mit denen das Imperium Krieg führte, war er nicht gerade wohlgesinnt. Neben ihm saß Ra, der Barbar von einer fremden, namenlosen Welt. Ischtar war ihm dort vor langer Zeit begegnet und hatte ihm ihre Zuneigung geschenkt, ehe sie wieder spurlos verschwand. Eine zweite Expedition hatte ihn aufgegriffen und entführt, um ihn auf einem der Sklavenmärkte zu verkaufen. Wir hatten ihn befreit, und nun gehörte er zu uns. Ich grüßte zurück und nahm Platz. Die anderen Gesichter kannte ich eben falls, aber nicht alle Namen. Es waren Tech niker, Raumschiffkommandanten, geflohene Offiziere der arkonidischen Flotte – alles Männer, die den Imperator lieber tot als le bendig sahen. Aber bis dahin war noch ein weiter Weg. Fartuloon eröffnete die Konferenz, indem er heftig auf den Tisch klopfte. »Meine Herren, ich heiße Sie willkom men«, sagte Fartuloon ohne Enthusiasmus. »Die übliche Besprechung, wie Sie wissen. Hat jemand eine Mitteilung von Bedeutung zu machen?« Niemand meldete sich. Das ging nun schon seit Tagen und Wochen so. Wir saßen regelrecht fest in unserem Stützpunkt und warteten auf irgend etwas, das nicht passier te. Die Spur war verloren. Wir hätten einen Spürhund gebraucht, aber wo gibt es schon Spürhunde, die den Stein der Weisen rie chen können?
Clark Darlton »Einer der Gleiter fiel aus«, teilte ein bär beißig wirkender Offizier mit, den ich auf den ersten Blick für einen Piraten gehalten hätte. »Er wurde inzwischen repariert.« Fartuloon nickte ihm anerkennend zu. »Großartig, Kommandant. Das ist eine wichtige Mitteilung, die wir speichern müs sen. Sonst noch was?« Er machte sich einen Spaß, das war mir klar. Aber sollte ich ihm das übelnehmen? Ohne eine gewisse Portion Humor wurde je de Besprechung zu einer langweiligen Rou tineangelegenheit. »Die Kühlanlage im Sektor Drei hat einen Riß«, meldete sich ein anderer. »Ich habe ei ne entsprechende Anweisung erlassen, damit …« Das hat alles nichts mit dem zu tun, was wir eigentlich besprechen wollten, kam es mir in den Sinn, aber ich war plötzlich zu träge, eine entsprechende Bemerkung zu machen. Ich saß am Tisch und hatte das Ge fühl, alles nur zu träumen. Es war mir völlig egal, was die anderen sagten. Mir schien, als ginge mich das alles nichts mehr an Ischtar! Warum mußte ich ausgerechnet jetzt an sie denken? Ich hatte allen Grund, sie zu hassen, denn sie hatte Farnathias Tod verur sacht – aber ich haßte sie nicht. Ganz im Ge genteil: ich begann sie zu bewundern. Oder begann ich bereits, sie zu lieben? Fartuloon stieß mich an. »Was hast du denn, Atlan? Du bist ganz blaß geworden. Ist dir nicht gut?« Ich hörte seine Worte wie durch Watte, und sie drangen kaum bis zu meinem Be wußtsein vor. Ich begriff ihren Sinn, aber der war mir völlig egal. Überhaupt war mir auf einmal alles egal, was hier gesprochen und beraten wurde. Wie unwichtig das alles war, wie nebensächlich und ohne jede Be deutung. Wichtig war nur noch Ischtar, die Golde ne Göttin, in ihrer betörenden Schönheit, die nun auch mich verzaubert hatte. »Alles in Ordnung, Fartuloon«, flüsterte ich zurück, während die Meldung des Kühl technikers an meinem Ohr vorbeirauschte.
Henker der Varganen »Macht ruhig weiter, ich komme gleich wie der …« Fartuloon nickte, aber er glaubte mir nicht. Als ich mich ein wenig schwankend erhob, stand auch er auf, um mich zu beglei ten. Er machte den anderen ein Zeichen, in der Besprechung fortzufahren, winkte Mor voner Sprangk und Ra zu, ihm zu folgen – und geleitete mich aus dem Raum. Ich wußte, daß meine drei Freunde bei mir waren, aber ich beachtete sie nicht. Was nun geschah, erfuhr ich erst später aus ihrem Bericht. Ich muß es rekonstruieren, was mir jedoch nicht besonders schwerfällt, denn ei ne Spur von Erinnerung ist noch vorhanden. Hinzu kommt die genaue Schilderung der Einzelheiten durch meine drei Freunde. »Es ist Ischtar«, murmelte ich immer wie der. »Sie hat mir etwas mitzuteilen. Bringt mich in die Positronik, ich muß die Daten speichern.« Fartuloon sah Ra an, dann Morvoner Sprangk. »Eine Art Posthypnose vielleicht«, ver mutete der alte Haudegen. »Gibt es ja, und sie kommt erst heute zur Wirkung. Ischtar hat ihm damals etwas mitgeteilt, es versank in Atlans Unterbewußtsein und taucht nun plötzlich wieder auf. Vielleicht ein Stich wort, das während der Besprechung fiel, oder einfach der Zeitfaktor. Jedenfalls müs sen wir tun, was er uns sagt. Es könnte wichtig für uns sein.« So kam es, daß sie mich tatsächlich in das Kommandozentrum der Positronik führten, wo ich – wie sie später bestätigten – sofort mit einer geheimnisvollen Tätigkeit begann. Es war, als sei ich eine Puppe, die von un sichtbaren Fäden gelenkt würde. Ich fütterte Daten in die Berechnungsspeicher und mur melte unverständliche Worte vor mich hin, deren Sinn unklar blieb. Aber Fartuloon be hauptete später, daß ich immer wieder das Wort »Margon« gesagt hätte, und dann wäre mehrmals der Begriff »Versunkene Welten« gefallen. Ich jedenfalls konnte mich vorerst an nichts erinnern. Ich tat nur das, was Ischtar
5 mir befahl, und ich tat es unbewußt, jedoch ohne mich gegen die Beeinflussung zu weh ren. Sie mußte mir die Daten bei unserer in timen Begegnung ins Unterbewußtsein ein gepflanzt haben, und ein bestimmtes Ereig nis oder ein Stichwort ließ sie dann wirksam werden – die Daten und damit den posthyp notischen Befehl. Als ich von dem Schaltpult zurücktrat, kehrte ich auch gleichzeitig in die Wirklich keit zurück. Ich wußte plötzlich wieder, wo ich war und was geschehen war. Fartuloon schilderte mir kurz die Einzelheiten meiner Verwandlung, dann konnte ich ergänzen: »Schon gut, alter Freund, ich erinnere mich wieder. Dort in der Positronik sind die Daten eines Planeten verankert, den wir auf suchen müssen, wenn wir die Spur zum Stein der Weisen wiederfinden wollen. Sie schlummerten in meinem Unterbewußtsein, und ich könnte sie euch jetzt nicht nennen. Aber ich weiß, daß ich die Koordinaten die ser versunkenen Welt gespeichert habe. Was seht ihr mich so an? Ich bin nicht verrückt, meine Freunde. Posthypnose – das ist die Erklärung! Vielleicht war ein Stichwort der auslösende Faktor, vielleicht mußte auch einfach nur eine gewisse Frist verstreichen. Ich weiß es nicht. Jedenfalls hat uns Ischtar die Daten einer Welt gegeben, und das be stimmt nicht umsonst, Fartuloon! Wir wer den sobald wie möglich starten!« Der ehemalige Leibarzt meines Vaters hob abwehrend beide Hände. »Atlan, du bist doch nicht verrückt? Willst du wirklich in eine Falle tappen, die dir von dieser Person gestellt wird? Sie hat dich verführt, um dich für ihre Zwecke ein zuspannen, und nun fällst du schon wieder auf sie herein. Ich weiß nicht, was sie wirk lich bezweckt, aber es kann nichts Gutes sein, Atlan.« Er schielte in Richtung des Re sultat-Computers. »Na ja, wir können uns ja immerhin mal anhören, was er gespeichert hat …« Das war auch meine Meinung. »Margon soll der Planet heißen, auf dem wir uns einfinden sollen. Er gehört zu den
6 sogenannten Versunkenen Welten, was im mer das auch sein mag. Eine Welt jeden falls, die einst von den Varganen bewohnt wurde und zu ihrem verschollenen Imperi um gehörte. Sie haben Margon aus unbe kannten Gründen verlassen, wie andere Wel ten auch. Die Natur hat den Planeten zurück erobert. Die Zivilisation, die einst auf ihm herrschte, liegt vielleicht Dutzende von Me tern unter seiner Oberfläche, für alle Zeiten dem flüchtigen Beobachter verborgen – und Margon wäre nicht der erste Planet, auf dem solches geschah.« »Margon?« Fartuloon schüttelte den Kopf. »Noch nie gehört.« »Wahrscheinlich hat noch niemand diesen Namen gehört, denn die Varganen gelten schon lange als verschollen, so wie ihre Kul tur und Zivilisation auch. Aber Ischtar gab mir den Namen und die Koordinaten. Das bedeutet, daß wir auch hinfliegen werden. Es handelt sich um eine gelbe Normalsonne mit vier Planeten, und Margon ist der zwei te. Auf ihm, so hoffe ich, werden wir den Beginn einer neuen Spur entdecken.« »Du bist verrückt!« stellte Fartuloon aber mals fest, und diesmal klang es noch über zeugter als zuvor. »Nur weil du in Trance ein paar Daten von dir gegeben hast, willst du dich auf ein so ungewisses Abenteuer einlassen …?« »Eine geringe Chance ist besser, als gar keine«, erwiderte ich entschlossen und wuß te, daß mich nichts mehr von meinem Vor haben abbringen konnte. »Sollen wir auf Kraumon warten, bis wir alt und grau wer den? Ischtar will uns helfen, ganz sicher. Sie wird schon ihre Gründe haben, wenn sie mir die Daten nicht schon damals mitteilte. Gute Gründe, nehme ich an.« Endlich kam mir auch Morvoner Sprangk zu Hilfe. Er meinte: »Atlan hat recht, Fartuloon. Warum sollte die Goldene Göttin Atlan in eine Falle locken wollen? Dazu hätte sie schon hun dertmal Gelegenheit gehabt, und sie tat es nicht. Ra, was sagst du?« Der ehemalige Barbar wirkte nicht gerade
Clark Darlton begeistert. »Vielleicht hast du recht, Morvoner. Zu mindest sollten wir uns diesen Planeten an sehen. Zur Umkehr ist es dann noch immer früh genug.« »Du willst ja bloß deine Goldene Göttin wiedersehen«, knurrte Fartuloon ungehalten. »Und dann prügelst du dich wieder mit At lan.« Ich winkte ab. »Keine Sorge, Fartuloon. Wir werden uns nie mehr um sie streiten. Es geht um viel mehr.« »Richtig!« bestätigte Ra kurz angebun den. Wir schienen den Dicken überzeugt zu haben, denn er verzichtete auf weitere Ein wände. Er sagte: »Also schön, einer der Kugelraumer ist überholt worden und einsatzbereit. Wir könnten schon morgen starten. Soll ich mich um die Koordinaten kümmern, Atlan?« Ich nickte dankbar. »Laß sie dir geben und speichere sie im Navigationscomputer des Kugelraumers. Welcher ist es?« »Na, einer von den dreien, die wir kaper ten.« »Also die FARNATHIA!« Er starrte mich verständnislos an. »Die … was?« »Ich habe den Raumer soeben FARNA THIA getauft. Einwände?« Ra und Morvoner hatten keine, aber Far tuloon meinte: »Nicht gerade ein glücklicher Einfall, wenn du mich fragst. Wir fliegen zu einem Planeten der Goldenen Göttin, und du taufst das Schiff auf den Namen ihrer alten Riva lin. Ob sie darüber besonders erfreut sein wird?« »Sie muß sich damit abfinden«, entgegne te ich. Er zuckte die Achseln. »Also gut, wie du willst. Ich kümmere mich um die Daten und die Startvorbereitun gen. Das Schiff hat siebzig Mann Besatzung. Soll das so bleiben?«
Henker der Varganen Ich war einverstanden. Während Fartu loon davon eilte, um die notwendigen Arbei ten zu erledigen, begleiteten mich Ra und Morvoner zurück in den Wohnblock. Sie sprachen kein Wort, aber ich ahnte, daß bei de mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt waren. Ich konnte sicher sein, daß diese Ge danken sehr unterschiedlicher Natur waren. Ich selbst dachte an Ischtar.
* In dieser Nacht schlief ich unruhig und wurde von grauenhaften Träumen geplagt. Immer wieder erlebte ich Farnathias Tod, aber dann wich ihr liebliches Gesicht mehr und mehr jenem Ischtars, bis die Varganin mein Bewußtsein voll und ganz ausfüllte. Ich konnte an nichts anderes mehr denken – und auch nicht träumen. Ich stand sehr früh und übernächtigt auf, machte Toilette und kleidete mich an. Die Wachtposten grüßten mich erstaunt, als ich mich in den Hangar begab. Ich wollte mich davon überzeugen, daß die Startvorbereitun gen während der Nacht nicht unterbrochen worden waren. Die FARNATHIA stand auf ihren Tele skopstützen, und aus den offenen Luken drang Licht. Ein Techniker hatte mich be merkt und kam mir entgegen. Er sah mich fragend an. »Wie lange dauert es noch?« erkundigte ich mich. »Das Schiff ist einsatzfähig. Eine letzte Routinedurchsicht ist in wenigen Stunden beendet.« Trotz der beruhigenden Auskunft ließ ich es mir nicht nehmen, mich selbst zu über zeugen. Im großen Hangar standen die Glei ter und Beiboote, die Kampfanzüge hingen fein säuberlich numeriert in der Vorkammer der Luftschleuse, die Betten in den Kabinen waren frisch überzogen, und im Kontroll raum zeigten die Instrumente einen vollge speicherten Navigationscomputer an. Ich rief die Daten ab, stellte den entspre chenden galaktischen Sektor unseres Ziels
7 fest, schob die betreffende Sternkarte in die Tasche und kehrte in den Wohnblock zu rück. In aller Ruhe wollte ich feststellen, in welchen Teil unserer Galaxis es uns diesmal verschlagen sollte. Dank der exakten Koordinaten, die ich posthypnotisch von Ischtar erhalten hatte, fiel es mir nicht schwer, die Position des Planeten Margon zu finden. Er umkreiste als zweiter Himmelskörper eine gelbe Normal sonne, die insgesamt vier Planeten besaß. Die gelbe Sonne stand in der Nähe des ga laktischen Zentrums in einer dichten Zone, was bedeutete, daß die Sterne dort oft nur Lichtstunden oder höchstens Lichttage von einander entfernt waren. Es würden mehr Transitionen als gewöhnlich vorgenommen werden müssen, um eine Kollision zu ver meiden. Zum gemeinsamen Frühstück brachte ich die Karte mit. Fartuloon und Morvoner Sprangk studier ten sie aufmerksam und gaben ihre Kom mentare dazu. Viel Begeisterung sprach nicht aus ihren Worten. Sie waren davon überzeugt, daß wir die Spur zum Stein der Weisen endgültig verloren hatten und auf Margon bestimmt auch nicht wiederent decken würden. Ra blieb schweigsam. Ich konnte mir vor stellen, welche Gefühle ihn bewegten, und in welcher Richtung seine Gedanken den Er eignissen vorauseilten. Und ich konnte ihn gut verstehen, denn mir erging es ähnlich. Fartuloon schob mir die Karte zu. »Zum Glück ein wenig abseits des haupt sächlichen Aktionsgebiets der Flotte. Zwölf bis dreizehn Transitionen, über den Daumen gepeilt. Trotzdem die reinste Zeit- und Ener gieverschwendung, wenn du mich fragst.« »Die FARNATHIA ist noch heute start bereit«, gab ich zurück und lächelte ihn freundlich an. »Wir werden also keine Zeit versäumen.« »Fangt nicht schon wieder damit an!« bat Morvoner Sprangk mit gequältem Gesicht. »Wenn wir hier untätig auf Kraumon herum sitzen und warten, wird noch viel mehr Zeit
8 verschwendet. Außerdem wird man steif und unbeweglich.« Ich ließ die Karte wieder in der Tasche verschwinden. »In zehn Stunden also, Freunde. Und über den Wert oder Unwert des Fluges nach Mar gon unterhalten wir uns dann, wenn wir ihn absolviert haben. Einverstanden.« »Von mir aus«, knurrte Fartuloon und stopfte sich den Mund voll. Die zehn Stunden vergingen schnell, denn ich hatte genug zu tun: zwei Konferenzen mit den Wissenschaftlern, eine mit den mili tärischen Leitern des Stützpunktes und eine letzte Besprechung mit dem Einsatzstab un serer kleinen Flotte. In einem versiegelten Speichercomputer übergab ich ihnen die Po sition Margons. Nach einer gewissen Frist konnten die Daten abgerufen werden. Wenn wir also festsaßen, würde nach einiger Zeit Hilfe eintreffen. Die Gewißheit des Rückhalts beruhigte mich ungemein, wenn ich auch nicht an nahm, daß Ischtar uns in eine Falle locken wollte. Aber ich kannte den Sektor der Gala xis noch nicht, in den wir vordringen wür den. Niemand wußte, was uns dort erwarte te. Eine Stunde vor dem Start war ich bereits an Bord der FARNATHIA und sah zu, wie der Kommandant die Speicherdaten noch einmal überprüfte und endgültig bestätigte. Fartuloons Laune schien sich inzwischen gebessert zu haben. Er sah nicht mehr so mürrisch aus, als er sich schwer in seinen Kontursessel fallen ließ und zufrieden fest stellte, daß er sich seiner Leibesfülle anpaß te. Auch Morvoner Sprangk nahm Platz. »Wo ist Ra?« fragte ich ihn. »Der ist gleich in seine Kabine gegangen, Atlan. Der Start wird ihn nicht so sehr inter essieren wie unser Ziel.« Da erging es ihm nicht viel anders als mir, aber er wurde auch nicht in der Kommando zentrale benötigt. Wahrscheinlich hätte ich mich an seiner Stelle auch in die Kabine zu rückgezogen. Die Minuten verstrichen mit den letzten
Clark Darlton Vorbereitungen, dann öffnete sich über dem Schiff die gewaltige Ausflugschleuse, und dann stieg die FARNATHIA zur Oberfläche empor, um sofort mit hoher Beschleunigung zu starten. Der Countdown für die erste Transition lief bereits.
* Es waren in der Tat dreizehn Transitio nen, ehe wir endgültig in den Normalraum zurückkehrten und mit knapper Lichtge schwindigkeit dem vor uns aufgetauchten System entgegenflogen. Die Fernorter mel deten vier Planeten, von denen der zweite – unser Ziel – rechts von der gelben Sonne stand. Die Massetaster begannen mit ihrer Ar beit, und aus der Analytischen Abteilung trafen die ersten Ergebnisse der Untersu chungen ein, noch bevor Einzelheiten der Planetenoberfläche auf dem Bildschirm zu erkennen waren. Es gab schwache Energieabstrahlungen an verschiedenen Orten, deren Quelle stets un ter der Oberfläche lag. Die Instrumente zeig ten eine üppige Vegetation an und keine An zeichen einer funktionierenden Zivilisation mit ihren üblichen Begleiterscheinungen. Städte jedenfalls gab es nicht, auch keinen Funkverkehr. Ich hatte es nicht anders vermutet, aber mich störten die gemessenen Energiestrah lungen. Gab es unter der Oberfläche von Margon noch arbeitende Maschinen oder Anlagen? Dann mußte es auch noch intelli gente Lebewesen geben, die sich um sie kümmerten, es sei denn, man hatte lediglich Wartungsroboter zurückgelassen. »Möchte wissen, was wir hier sollen«, knurrte Fartuloon enttäuscht, obwohl wir ähnliches hatten erwarten müssen. »Eine der Versunkenen Welten – na schön. Aber was soll das?« »Wir sind noch nicht gelandet«, machte ich ihn aufmerksam. »Und wir werden auch nicht mit der FARNATHIA landen. Sie soll in einer Umlaufbahn bleiben, während wir
Henker der Varganen ein Beiboot nehmen. Hast du Lust, dich an einem Erkundungsflug zu beteiligen?« Und ob er Lust hatte! Ich sah es ihm an, aber er sagte nur: »Wenn du unbedingt meinst, kann ich ja mitkommen. Wer sonst noch? Sprangk und Ra?« Ich lächelte. »Kannst du dir vorstellen, daß Ra zurück bleiben würde? Ich jedenfalls nicht.« Nach einer Stunde passierten wir die gel be Sonne in großer Entfernung und näherten uns dem zweiten Planeten. Auf dem Panora maschirm waren nun auch die Einzelheiten der Oberfläche zu erkennen. Drei größere Kontinente zählte ich, dazu zahlreiche In seln. Die Energiestrahlung stammte von der größten der Landmassen, also würden wir auch dort landen müssen. Soweit ich fest stellen konnte, war der gesamte Kontinent von dichten Urwäldern und weiten Savan nen bedeckt, dazwischen erhoben sich riesi ge Gebirge, meist kahl und ohne Vegetation. Die Meere selbst waren tief und – wie die Instrumente verrieten – voller Leben. Die Tiere, die in ihnen lebten, schienen keine na türlichen Feinde zu besitzen und hatten sich entsprechend vermehrt. Doch auch in den Wäldern und Steppen gab es Leben in viel facher Form. Wir besuchten demnach keinen toten Planeten, wenn auch die ehemalig vor handene Zivilisation von seiner Oberfläche verschwunden war. Es war mir ein Rätsel, warum Ischtar mich ausgerechnet hierher bestellt hatte, es sei denn, die Versunkene Welt barg ein Ge heimnis, das es noch zu lüften galt. Und wenn es dieses Geheimnis wirklich gab, so würde ich es lüften. Dazu war ich fest ent schlossen. Dreimal umrundeten wir Margon, dann sagte ich zu dem Kommandanten der FAR NATHIA, der von nun an für das Schiff voll verantwortlich war: »Fartuloon, Sprangk, Ra und ich werden mit einem Beiboot landen. Die FARNA THIA bleibt vorerst in einer Umlaufbahn, bis ein gegenteiliger Befehl erfolgt. Für alle
9 Fälle habe ich im Logbuch Anordnungen ge speichert. Sie richten sich nach ihnen, wenn wir nicht zurückkehren. Übernehmen Sie, Kommandant.« Damit erhob ich mich und nickte den bei den Freunden zu. Ra war unterrichtet und wartete bereits im Hangar auf uns. Er wirkte äußerst ruhig und gefaßt. Wir bestiegen das Beiboot, Morvoner übernahm den Platz des Piloten. Wenige Mi nuten später schossen wir aus der Schleusen luke und entfernten uns schnell von der FARNATHIA, die unverändert ihren Kurs beibehielt. Unter uns lag der unbekannte Planet. Er sah aus wie tausend andere Urwelten auch, nur wußte ich diesmal, daß auf dieser Welt einst eine technisierte Zivilisation existiert hatte, die aus unbekannten Gründen erlo schen war. Die Energiestrahlungen jedoch bewiesen, daß noch Reste vorhanden sein mußten, und sie galt es zu finden. Ich war davon überzeugt, daß Ischtar genau das von mir erwartete. Wir beschlossen, vor der endgültigen Landung an einem noch zu suchenden Platz, eine weitere Umrundung Margons vorzu nehmen. Da wir nur in geringer Höhe flo gen, bestand die berechtigte Aussicht, Dinge zu entdecken, die wir vorher nicht hatten se hen können. Die Ortergeräte waren in Tätig keit und durchdrangen die Vegetationsdecke, ohne allerdings Geheimnisse zu ent hüllen. Unter dem Dach des Urwalds mußten noch Gebäudereste existieren, das ergaben die ersten Messungen, aber ihre Unregelmä ßigkeit ließ darauf schließen, daß sie längst zerstört waren. Eine Energiestrahlung konn te hier nicht festgestellt werden. Wir überquerten einen Ozean, überflogen ein Gebirge und glitten dann dicht über end lose Savannen hin. Wir sahen gewaltige Herden von grasenden Vierbeinern, die bei unserem Anblick in wilder Flucht davonsto ben. In den ruhig dahinfließenden Strömen tummelten sich Tiere aller Arten, und ihre Zahl ließ darauf schließen, daß sie sich seit
10 vielen Jahrhunderten ungestört hatten ent wickeln können. Wie lange schon war Margon eine der Versunkenen Welten? Abermals näherten wir uns dem größten Kontinent, auf dem wir zu landen gedachten. Ich schlug eine der etwas höher gelegenen Ebenen vor, da dort das Klima am erträg lichsten sein mußte. In diesem Augenblick sagte Morvoner von den Kontrollen her: »Du scheinst einen sechsten Sinn zu ha ben, Atlan. Vor uns liegt eine solche Hoche bene, zwischen dem Gebirge und der Strom niederung, die mit dichtem Wald bedeckt ist. Selbst ohne Orter kann ich die Gebäude er kennen, die von Schutt und Pflanzen freige halten wurden. Es sieht alles nicht mehr neu aus, aber ohne jeden Zweifel gibt es da un ten jemand, der für Ordnung sorgt. Sollen wir landen?« Ich ging vor zu ihm und sah nach unten. Das Beiboot flog nur noch mit geringer Ge schwindigkeit und sehr tief. Ich sah die ver fallenen Gebäude sofort, aber ich mußte auch zugeben, daß Morvoner recht hatte. Der nicht sehr dichte Wald war ringsum ge rodet, an den Mauern der Gebäude war gear beitet worden. Unsere Massetaster und Orter registrierten Energiestrahlung, deren Quelle dicht unter der Oberfläche lag. »Eine technische Oase«, prägte Fartuloon eine treffende Bezeichnung. »Möchte wis sen, wer da am Werk ist, den toten Planeten wieder mit Maschinen zu beleben.« Das mit dem toten Planeten stimmte nicht ganz, aber ich ging nicht darauf ein. Ich wußte schon, wie er es meinte. Ischtar? Sollte sie dort unten einen geheimen Stützpunkt errichtet haben? Hatte sie mich deshalb gerufen? Was wollte sie mir mittei len? »Landen!« sagte ich nur. Unweit des restaurierten Gebäudetrakts setzte das Boot auf. Der Antrieb verstumm te. Morvoner griff nach seinem Handstrahler im Gürtel und meinte: »Sehen wir uns das mal an. Bis jetzt habe
Clark Darlton ich noch niemanden bemerken können, aber das kann sich sehr schnell ändern.« Ra eilte voraus und war als erster an der Schleuse. Obwohl die Atmosphäre atembar war, trugen wir die leichten Kampfanzüge. Ich öffnete die Außenluke. Laue und wohl riechende Luft schlug uns entgegen, ein we nig mit dem Geruch faulenden Laubes und blühender Blumen vermischt. Ra ließ mich vorbei, so daß ich als erster die kurze Leiter hinabklettern und den Bo den Margons betreten konnte. Es war nicht die erste fremde Welt, die ich betrat, aber es war immer wieder das gleiche, erwartungs volle Gefühl – und diesmal mußte es beson ders stark sein, denn ich zweifelte keinen Augenblick daran, daß Ischtar diesen gehei men Stützpunkt ausgebaut hatte. Aus wel chen Gründen auch immer sie das getan ha ben mochte, sie hatte mich hierher bestellt und wollte mit mir reden. So wenigstens dachte ich. Fartuloon kam zu mir und meinte: »Eine Frau allein kann das nicht geschaf fen haben, Atlan. Sie hat eine Hilfstruppe zur Verfügung oder Arbeitsroboter. Aber ich sehe nichts. Zumindest hätte ich doch ein Empfangskomitee erwartet.« Morvoner Sprangk knurrte: »Was ihr so alles verlangt! Seid froh, daß man uns nicht gleich abgeschossen hat, son dern in aller Ruhe landen ließ. Ich habe nämlich ein merkwürdiges Gefühl, wißt ihr …? Warum sollte sich eine Varganin wie Ischtar auf einer vergessenen Welt einen Stützpunkt einrichten? Es gäbe keine zwin genden Gründe dafür. Ich nehme also an, wir werden von etwas ganz anderem erwar tet als von ihr. Jedenfalls rate ich zur Vor sicht.« In Grenzen teilte ich seine Ansicht, wenn ich auch noch immer davon überzeugt war, daß Ischtar hier war. Vielleicht konnte sie nicht frei handeln oder war sogar in der Ge walt von Erpressern. Das würde Morvoners und meine Ahnungen bestätigen und beiden recht geben. Ra sagte:
Henker der Varganen »Warum stehen wir herum? Gehen wir doch!« Fartuloon rückte sein Skarg, das geheim nisvolle und äußerst vielseitige Schwert, zu recht. Sein Gesicht zeigte einen grimmigen Ausdruck. Er schien entschlossen zu sein, das Rätsel zu lösen, das uns hierher gelockt hatte. »Es kann schon Monate her sein, daß je mand hier war«, vermutete ich. »Aber eine Antwort auf alle unsere Fragen werden wir nur dann erhalten, wenn wir uns die Gebäu de von innen ansehen. Jedenfalls wächst das Gras hoch, und Spuren kann ich auch keine entdecken.« Mit gezogenen Impulsstrahlern setzten wir uns in Marsch, nachdem wir die Luke des Beiboots positronisch gesichert hatten. Ich ging voran und bahnte den Pfad durch das dichte Gras. Die anderen folgten mir dicht auf den Fersen. In der warmen Luft das Summen von Insekten, und jeden Au genblick rechnete ich damit, daß seitlich aus dem Grünzeug eine Schlange geschnellt kam, um uns anzugreifen. Aber nichts dergleichen geschah. Erst aus der Nähe war zu erkennen, daß die Reparaturarbeiten an den Mauern not dürftig und laienhaft ausgeführt waren. Es hatte den Anschein, als sei der ganze Kom plex aus der Erde gegraben und flüchtig re noviert worden, ohne daß man Wert auf Dauerhaftigkeit legte. Ich hatte den Ein druck, daß es nur darum gegangen war, die Mauern am Zusammensturz zu hindern. Aber unter den Mauern hatten wir Ener gieabstrahlung gemessen! Es mußte also unter der Oberfläche noch etwas geben, das arbeitete und funktionierte – etwas, das mit Technik und Zivilisation zu tun hatte. Die reformierten Ruinen waren nichts anderes als Tarnung – war mein erster Gedanke. Aber dann verwarf ich ihn wieder. Wozu eine Tarnung auf einer von Intelligen zwesen bewohnten Welt? Eine Falle vielleicht …? Eine Falle – für wen? Doch nicht für mich! Warum sollte mich Ischtar in eine
11 Falle locken wollen? Und dazu noch in eine so kompliziert angelegte? Das hätte sie si cherlich einfacher und leichter haben kön nen. Was also wurde auf Margon wirklich ge spielt? Der Stützpunkt wirkte leer und verlassen. Aber es war deutlich zu erkennen, daß ihn jemand renoviert hatte, der etwas von varga nischer Technik und Bauweise verstand. Die Frage blieb: warum? »Hier riecht es nach Geistern«, sagte Far tuloon, sein Skarg in den Händen. »Gefällt mir überhaupt nicht, denn ich habe etwas ge gen Geister.« »Quatsch, es gibt keine Geister«, knurrte Morvoner. Dabei war er lange genug Kom mandant einer Geisterarmee gewesen, als ihn ein Experiment der Maahks in die vierte Dimension schleuderte. »Hier waren Wesen aus Fleisch und Blut am Werk.« »Ischtar!« Das war Ra. Ich warf ihm nur einen kurz en Blick zu, gab aber keinen Kommentar. Wozu auch? Es gab mehrere Eingänge, die durch die Mauer in das Innere des Gebäudetrakts führ ten. Wir hielten unsere Waffen schußbereit und wagten uns weiter vor. Niemand begeg nete uns. Wir gelangten in einen weiten In nenhof, den wir schon von der Luft her ge sehen hatten. Von ihm aus gelangte man durch ein halbes Dutzend offener Türen, die weder eine Füllung noch Schlösser besaßen, in das Innere des Hauptgebäudes. »Wir müssen auf jeden Fall zusammen bleiben«, sagte ich, als ich die zweifelnden Gesichter meiner Freunde bemerkte. »Auf keinen Fall dürfen wir uns trennen. Ich habe ein merkwürdiges Gefühl …« Das schienen sie alle zu haben, denn sie stimmten mir wortlos zu. Wir standen in dem Innenhof, in dem das Gras so hoch wuchs, daß es uns bis zum Gürtel reichte. Einige Erdhügel bestätigten unsere Vermu tung, daß alles einmal unter der Oberfläche gelegen hatte und freigelegt worden war. »Nehmen wir den da«, riet Fartuloon und
12 deutete mit dem Skarg auf einen der Eingän ge. »Es spielt keine Rolle …« Der Gang erwies sich als Sackgasse. Wir kamen nur wenige Meter weit, dann war er zu Ende. Eine glatte Steinmauer verhinderte das weitere Vordringen. Wir kehrten um und betraten den zweiten. Auch diesmal kamen wir nicht weit, denn ein Trümmerhaufen versperrte ihn dermaßen, daß wir die Hoff nung sofort aufgaben, an dieser Stelle wei terzukommen. Es begann bereits zu dämmern, als wir den siebten Eingang untersuchten, der nach den bisherigen Erfahrungen den besterhalte nen Eindruck machte. Die Wände waren ge glättet und von Unrat befreit worden, Ver witterungslöcher hatte man mit einer unbe kannten Masse gefüllt und planiert, ebenso den Boden. Wir mußten die Helmlampen einschalten, um sehen zu können. Diesmal versperrte uns kein Hindernis den Weg. Der Gang führte leicht abwärts, und mei ner Schätzung nach waren wir zweihundert Meter gegangen und befanden uns etwa zwanzig Meter unter der Oberfläche, als wir plötzlich vor einer metallenen Tür standen, die fabrikneu wirkte. Es konnte kein Zweifel daran bestehen, daß sie erst kürzlich hier an gebracht worden war. Fartuloon deutete auf den runden Knopf in einem Meter Höhe. »Daß mir niemand das Ding auch nur be rührt!« warnte er eindringlich. »Ist mir zu einladend, um keine Falle zu sein.« Morvoner meinte spöttisch: »Du glaubst doch wohl selbst nicht, daß wir jetzt kehrtmachen? Da ist eine Tür, und da ist eine Vorrichtung, mit der sie sich öff nen läßt. Und da willst du umkehren?« »Von Umkehr habe ich kein Sterbenswort gesagt …« »Wenn wir die Tür nicht öffnen, müssen wir umkehren!« schloß Morvoner die Debat te ab. Ich hatte mir inzwischen den Drehknopf angesehen. Als ich Ischtars »Gefangener« gewesen war, hatte ich einen ähnlichen Knopf bemerkt. Er mußte demnach vargani
Clark Darlton scher Herkunft sein. Fartuloon hinderte mich nicht daran, nä her an die Tür heranzugehen und die Hand auszustrecken. Vorsichtig berührte ich den Knopf und drehte ihn. Sofort ertönte ein summendes Geräusch, und dann glitt die Tür zur Seite und gab den Eingang frei. Dahinter erkannten wir im Licht unserer Lampen einen größeren Raum, der mit In strumenten aller Art angefüllt war. Schalt pulte und Anzeigetafeln ließen vermuten, daß es sich um eine Art Laboratorium oder sogar Kontrollstelle handelte. Ich konnte nichts entdecken, das sich bewegt hätte. Ei ne zweite Tür gab es nicht. Aber es gab drei Nischen zwischen den Instrumententafeln, in die Dutzende von Stromleitungen hineinführten – wenigstens nahm ich an, daß es welche waren. »Zumindest wissen wir jetzt, woher die Energiestrahlung stammt, die wir angemes sen haben«, erklärte Morvoner mit gepreßter Stimme. »Es scheint alles automatisch zu sein. Oder ferngesteuert.« »Was ist das hier überhaupt?« ließ Ra sich endlich auch einmal vernehmen. »Ein technisches Labor?« Fartuloon sagte gar nichts. Er sah sich nur aufmerksam um, das Skarg in der Hand und den Daumen der linken Hand gehakt. Sein Interesse galt in erster Linie den drei Ni schen, in die wir von unserem Standort aus nicht hineinblicken konnten. »Wir werden es gleich wissen«, sagte ich und ging weiter. »Aber wenn mich nicht al les täuscht, haben wir es mit einer Art Über lebensanlage zu tun. Die Technik der Varga nen unterscheidet sich nicht so sehr von je ner der Arkoniden.« Die Nische, die ich als erster erreichte, bestätigte meine Vermutung. In ihrer Mitte stand eine mehr als zwei Meter lange Wan ne, die durch die Leitungen mit der Kon trollstation in direkter Verbindung stand. Im Hintergrund bewegten sich fast unmerklich die Zeiger der Instrumente auf einer Tafel. Über eine graphische Skala lief ein Leucht punkt, der in regelmäßigen Zeitabständen
Henker der Varganen steil nach oben stieg und dann wieder zur ur sprünglichen Ebene abfiel. In der Wanne aber lag ein Mann. Hinter mir hörte ich Fartuloons leisen Ausruf und dann sein heftiger werdendes Atmen. Morvoners Schritte verstummten, als auch er sah, was ich entdeckt hatte. Ra blieb stumm im Hintergrund stehen. Der Mann in der Wanne war nackt, außer gewöhnlich groß und sehr schlank. Die rot blonden langen Haare lagen in der Mitte ge scheitelt rechts und links seines Kopfes, so als hätte er sich seit Fertigstellung der Frisur keinen Millimeter mehr von der Stelle ge rührt. Seine Haut besaß einen bronze-gol denen Schimmer, der ihn ohne jeden Zwei fel als einen Varganen identifizierte. Fartuloon war neben mich getreten. »Ein Vargane«, flüsterte er. »Ist er tot?« Ich schüttelte den Kopf. »Ganz bestimmt nicht, Fartuloon. Das Le benserhaltungssystem scheint einwandfrei zu funktionieren. Du siehst es an den Instru menten. Ich frage mich nur, wer die Anlage wartet. Jemand muß es tun, sonst sähe es hier anders aus.« Morvoner war zu den anderen Nischen gegangen und kehrte zurück. »Sie sind leer«, sagte er verblüfft. »Die Wannen sind leer, und bei den Instrumenten rührt sich nichts. Das hier ist also der einzi ge, den es gibt.« Ich gab keine Antwort. In aller Ruhe stu dierte ich das System der Anlage, bis ich mir sicher war, sie zu kennen. Es würde mir nun nicht mehr schwerfallen, den Schlafenden zu wecken, wenn es sich als erforderlich erwei sen sollte. Vielleicht hatte Ischtar mich aus diesem Grund auch hierher bestellt. Sie wollte, daß ich den Varganen aus seinem Tiefschlaf holte. Aber warum? Hatte sie niemanden, der das für sie tun konnte? Dann tauchte eine andere Überlegung auf: der Schläfer war ein Vargane, und sicherlich stand er Ischtar näher als ich oder Ra. Wa rum also sollte ich ihn wecken?
13 »Was tun wir jetzt?« unterbrach mich Far tuloons sachliche Frage. Wenn ich das nur selbst gewußt hätte! In meiner Brust fochten die Neugier und die aufkeimende Eifersucht einen heftigen Kampf, der vorerst unentschieden blieb. »Ich weiß es noch nicht«, gab ich zu. »Vielleicht sollten wir die Anlage in Gang setzen, damit der Vargane erwacht, aber oh ne einen bestimmten Hinweis, daß Ischtar es will, werden wir es besser nicht tun. Ich bin dafür, daß wir warten. Wo immer sie sich auch aufhalten mag, sie muß wissen, daß wir hier sind. Sie wird sich melden.« »Optimist!« knurrte Morvoner ungedul dig. »Ich hätte dem Goldenen ein paar Fra gen zu stellen. Auf jeden Fall möchte ich wissen, wie lange er hier schon schläft. Viel leicht hat man ihn erst später zur Ruhe ge legt, als man das Labor freilegte. Aber es kann auch sein, daß er schon lebte, als Mar gon noch kein versunkener Planet war.« Der Gedanke war faszinierend, mußte ich zugeben. Wenn Morvoners kühne Vermu tung stimmte, lag vor uns der lebendige Zeu ge einer Zivilisation, die längst als verschol len galt. »Ich stimme dir zu, Morvoner«, erwiderte ich. »Trotzdem schlage ich vor, daß wir noch warten. Wir müssen die Anlage gründ licher kennenlernen, ehe wir sie auch nur an rühren. Der geringste Fehler kann den end gültigen Tod des Schläfers verursachen, und das käme einer Katastrophe gleich, die wir nicht verantworten können. Gehen wir wie der nach oben. Wir bleiben die Nacht über hier.« Dagegen hatte niemand etwas einzuwen den, und so verschlossen wir die Tür und kehrten zur Oberfläche zurück. Es war in zwischen völlig dunkel geworden, aber die Luft hatte sich kaum abgekühlt. Die Klima daten, die wir noch in der FARNATHIA er halten hatten, ließen eine warme und nieder schlagsfreie Nacht erwarten. Fartuloon, der meine Gedanken erriet, schlug vor: »Warum übernachten wir nicht gleich hier im Innenhof? Das Gras ist weich und
14 trocken, es ist warm, und wir können mal wieder unter einem richtigen Sternenhimmel schlafen. Haltet mich nicht für romantisch, aber ich finde das einfach schön.« Wir waren einverstanden. Nur ging ich noch einmal ins Beiboot und nahm über den leistungsstarken Sender Kontakt mit dem Kommandanten der FARNATHIA auf, um ihm einen kurzen Bericht zu geben. Von dem Varganen, den wir gefunden hatten, sagte ich nichts. Das hatte noch Zeit bis spä ter. Im Schiff sei alles in Ordnung, erhielt ich zur Antwort, und die Orterschirme seien bis her leer geblieben. Allem Anschein nach gab es im ganzen System der namenlosen gelben Sonne außer der FARNATHIA kein anderes Raumschiff. Befriedigt kehrte ich zu den anderen zu rück und setzte mich so ins Gras, daß ich mit dem Rücken gegen die Mauer lehnte. Licht brauchten wir nicht, als wir unsere Konzen trate verzehrten, denn über uns standen die Sterne dicht bei dicht. Wir tauschten noch Vermutungen aus, und die Meinungen gingen weit auseinander. Daran, daß Ischtar hinter allem steckte, glaubte außer mir und Ra keiner mehr. Aber weder Fartuloon noch Morvoner wußten ei ne logische Erklärung dafür, warum sie uns hierher gelockt hatte. »Vielleicht hat auch sie unter Zwang ge handelt«, vermutete Fartuloon, der mich nicht enttäuschen wollte. »Wir sollten die Station hier finden, aus welchem Grund auch immer.« »Und den Schläfer wecken?« erkundigte ich mich. Er nickte. »Wahrscheinlich. Und dann, wenn er wirklich erwacht, werden wir mehr erfahren. Das Ganze könnte eine Art Nachrichten übermittlung sein. Der Vargane kann nie mandem außer uns mitteilen, was er weiß. Und vielleicht ist er es, der dir Ischtars Bot schaft übergibt.« Das klang vernünftig. Ich erhob keinen Widerspruch, und auch Ra sagte nichts dazu.
Clark Darlton Er war überhaupt sehr schweigsam, fiel mir auf. Aber auch dafür gab es ja eine sehr ein leuchtende Erklärung. Einer nach dem anderen schliefen wir endlich ein. Wir hatten keine Wachen einge teilt, denn wir begannen uns auf Margon ab solut sicher zu fühlen. Außer uns schien es niemand auf dieser Welt zu geben. Höch stens die Tiere und Pflanzen, und vor denen empfanden wir keine Furcht. Bevor ich endgültig die Augen schloß, sah ich noch einmal hinauf in das Gewim mel der Sterne, und da entdeckte ich einen besonders großen, der langsam zwischen den anderen hindurchwanderte. Vielleicht ist es die FARNATHIA, dachte ich noch, dann schlief ich ein.
2. Es war nicht die Sonne, die mich weckte, sondern Fartuloon, der vor mir stand und mich mit dem Fuß nicht gerade sanft an stieß. »Einen Schlaf hast du, um den man dich beneiden könnte. Steh auf, Atlan! Die FAR NATHIA meldet sich nicht mehr. Ich habe es zuerst mit dem Telekom versucht, dann mit dem Sender des Beiboots. Der Kom mandant gibt keine Antwort, obwohl das Schiff direkt über uns sein müßte.« Ich war sofort hellwach. Ra und Morvo ner saßen an der Mauer und frühstückten. Daß sich die FARNATHIA nicht meldete, schien sie nicht sonderlich aufzuregen. Mir aber war sofort klar, daß es kein Zufall sein konnte, wenn der Kommandant weder auf die Anfragen des Telekoms noch des Bord senders reagierte. Und daß die Funkgeräte in der FARNATHIA ausgefallen waren, schien noch unwahrscheinlicher. Fartuloon half mir auf die Beine. »Jedenfalls eine merkwürdige Geschich te«, fügte er hinzu. Die Geschichte war mehr als merkwürdig, fand ich. Ohne fremden Einfluß konnte sie überhaupt nicht stattfinden. »Wann warst du im Beiboot?« fragte ich.
Henker der Varganen »Vor zehn Minuten. Ich kehrte hierher zu rück und versuchte es noch einmal mit dem Helmsender. Nichts.« Ich entsann mich meiner Beobachtung vor dem Einschlafen. Der wandernde Stern konnte nur ein Raumschiff oder eine Station gewesen sein. Da die Fernorter der FARNATHIA kein an deres Objekt im System registriert hatten, blieb nur sie selbst. Ich berichtete Fartuloon von dem dahin ziehenden Lichtpunkt. Er runzelte die Stirn und sah unwillkürlich hinauf in den wolken losen Himmel. Dann meinte er: »Da treibt sich noch jemand hier herum, der sich auf technische Spielereien versteht. Es würde mich nicht wundern, wenn er bald bei uns aufkreuzt. Treffen wir besser unsere Vorbereitungen. Vielleicht wäre es ange bracht, wenn wir so schnell wie möglich die FARNATHIA aufsuchen, um festzustellen, was passiert ist.« »Ich kann ja hier bleiben«, erbot sich Ra schnell. »Na gut«, war ich einverstanden, »aber betrete nicht die unterirdische Anlage. Du kennst dich noch zu wenig damit aus, und ein falscher Handgriff könnte alles verder ben.« »Ich warte hier im Innenhof«, versprach Ra feierlich. Morvoner erhob sich nun ebenfalls. Er sah besorgt aus. Fartuloon ging voran, und kaum passierte er das offene Tor, das ins Freie führte, da blieb er mit einem Ruck ste hen und breitete die Arme aus, um uns am Weitergehen zu hindern. Ohne sich umzu drehen, sagte er heiser: »Da haben wir den Salat! Sie waren schneller als wir!« Wer, zum Teufel, dachte ich und drängte mich an ihm vorbei, um besser sehen zu können. Immerhin war ich vorsichtig genug, in Deckung zu bleiben. Auch Morvoner schob den Kopf weiter vor. Was wir entdeckten, war nicht gerade er freulich. Schräg aus dem Himmel herab stiegen ein
15 Dutzend schalenförmige Gleiter und lande ten rings um unser Beiboot. Sie schlossen es regelrecht ein und ließen keine Lücke, die nicht unter Feuer genommen werden konnte. Dann erst quollen die Mitglieder der Besat zungen aus den Gleitern und nahmen Auf stellung. Ich stellte auf den ersten Blick fest, daß es sich nicht um Arkoniden, Varganen oder sonstige Intelligenzen handelte, die ich kannte. Sie waren oval, nicht, sehr groß, be saßen zahlreiche Laufglieder, Arme und einen kaum erkennbaren Kopf. Roboter konnten es nicht sein, dazu waren ihre Be wegungen nicht gleichmäßig genug, aber ich schloß sofort auf Lebewesen, die künstlich erschaffen worden waren. Das erleichterte meinen Entschluß. »Androiden!« teilte ich den anderen mit. »Wir müssen sie vertreiben, ehe sie sich am Beiboot zu schaffen machen. Wenn sie es zerstören und die FARNATHIA sich nicht meldet, sitzen wir hier fest.« »Denen werden wir es schon zeigen«, murmelte Fartuloon und zog sein Skarg. »Die sollen mich kennenlernen, diese Kä fer!« Ra war ebenfalls herbeigekommen und betrachtete die Androiden mit einer gewis sen Abscheu. Ich entsicherte den Strahler und trat vor. Noch ehe ich den Invasoren eine Warnung zurufen konnte, eröffneten sie das Feuer auf uns. Das war das Zeichen für Morvoner, den Angriff nach altem Flottenreglement zu er öffnen. Er rannte einige Meter auf die Grup pe der Fremden zu und warf sich dann in die erstbeste Mulde, wo er gegen weitere Strahl schüsse gut gedeckt liegenblieb. Von hier aus eröffnete er das Gegenfeuer, das drei der Androiden das »Leben« kostete. Nun wurde es auch Zeit für uns, aktiv zu werden. Fartuloon ließ sein Schwert kreisen, und mit Erstaunen sah ich die blauen Flam menblitze, die aus seiner Schneide drangen, einen Halbkreis beschreiben und in die Rei hen der Gegner fahren, die gleich zu Dut
16 zenden umfielen, ohne jedoch zerstört zu werden. Auch Ra und ich beteiligten uns nun an dem Gefecht, das immer hitziger wurde. Die Androiden schienen keine gute Ausbildung genossen zu haben, denn sie schossen wie wild drauflos, ohne zu zielen. Das erleichter te unseren Gegenangriff, und bald waren wir nur noch fünfzig Meter von unserem Bei boot entfernt. Da geschah etwas, das unseren siegrei chen Vormarsch jäh stoppte. Es war ein reiner Zufall, daß ich nach oben sah. Vielleicht wollte ich nur feststel len, ob weitere Gleiter im Anflug waren, um noch mehr Androiden abzuladen. Jedenfalls entdeckte ich einen Punkt, der langsam nä her kam, aber es war kein Gleiter. Es war überhaupt kein Fahrzeug, sondern ein wallender Mantel von tiefblauer Fär bung, der aus dem Himmel zu uns herabge schwebt kam. Der Anblick war so verblüf fend, daß ich keinen Ton hervorbrachte, um die anderen auf meine erstaunliche Ent deckung aufmerksam zu machen. Der tiefblaue Mantel glich eigentlich mehr einem Umhang, der den Körper eines Mannes umflatterte und diesem die Fähig keit des Fliegens oder zumindest Gleitens verlieh. Als er näherkam, konnte ich Einzel heiten feststellen. Der Mann war ein Vargane, das verriet schon allein seine goldbronzene Hautfarbe. Er war so groß wie der Schläfer im Labor, aber ein wenig kräftiger gebaut. Er hatte übermäßig lange Arme und Beine und wal lendes rotblondes Haar. Der Umhang reichte ihm bis zu den Knien, oben am Hals war er mit einer silbernen Kette geschlossen. Als er sich einmal zur Seite wandte, sah ich auf dem Rücken des Umhangs einen gelben Mö biusstreifen innerhalb eines schwarzen Krei ses. Er landete zwischen den Androiden und uns. Ich hatte meinen drei Begleitern rechtzei tig eine Warnung zurufen können, und sie reagierten sofort. Sie stellten das Feuer ein,
Clark Darlton denn der geheimnisvolle Fremde gab den Androiden einige Befehle, worauf diese so fort zurückwichen und nicht mehr angriffen. Jetzt erst wandte sich der Vargane uns zu, und ich sah, daß er goldene Augen besaß. Er wirkte ehrfurchtgebietend und so, als sei er das Befehlen von Jugend an gewohnt. In sauberem Arkonidisch sagte er: »Man nennt mich Magantilliken, und es ist mein Auftrag, die letzten noch lebenden Varganen zu finden, um sie heimzuführen. Ich frage nicht, wer ihr seid, denn ihr werdet es mir von selbst sagen, wenn die Zeit ge kommen ist. Jedenfalls habt ihr nichts mehr von meinen Dienern zu befürchten, auch wenn ihr einige von ihnen getötet habt.« Fartuloon hatte sein Schwert in die Schei de geschoben, um seinen Friedenswillen zu bekunden. Er betrachtete den Varganen mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Verwun derung, sagte aber nichts. Das überließ er mal wieder mir, und erst später sollte sich herausstellen, daß er damit einen großen Fehler beging. »Wir sind Arkoniden und damit Ihrem Volk verwandt«, beantwortete ich Magantil likens Frage. »Es ist Zufall, daß wir diese Welt entdeckten und auf ihr landeten. Kei neswegs ist es unsere Absicht, Sie in Ihrer Arbeit zu stören. Im Gegenteil, vielleicht können wir Ihnen behilflich sein. Leider sind wir jedoch im Augenblick selbst ein wenig beschränkt, da wir die Verbindung zu unserem Raumschiff verloren haben, das diesen Planeten umkreist.« Magantilliken lächelte. »Keine Sorge, ich mußte es nur neutrali sieren. Es kann keine Funkverbindungen mehr unterhalten und auch die Umlaufbahn nicht verlassen. Es gehört euch, und wenn ihr zu ihm zurückkehren wollt, so wird euch niemand daran hindern. Ich werde dann die Neutralisation sofort aufheben.« »Darf ich eine Frage stellen?« Ich sah wie fasziniert in die goldenen Augen, die mich so sehr an jene Ischtars erinnerten. »Sie sa gen, daß Sie die letzten lebenden Varganen suchen, um sie heimzuführen. Heimführen –
Henker der Varganen wohin?« »Unsere Welten sind versunken, als sie der Natur zurückgegeben wurden und die Zivilisation erlosch. Die letzten Varganen leben in der Eisigen Sphäre, und ich handele in ihrem Auftrag. Aber weitere Angehörige unseres Volkes existieren noch, auf ver schiedenen Welten und im Universum ver streut. Sie alle will ich heimführen zu den anderen, die in der Eisigen Sphäre auf sie warten. Wie wollt ihr mir da helfen?« Ehe Fartuloon mich daran hindern konnte, erwiderte ich: »Unter uns in einem Laborgewölbe ruht ein Vargane in der Lebenserhaltungsanlage. Wir haben ihn gestern gesehen. Ist es einer von denen, die Sie suchen?« Zu meiner Überraschung nickte Magantil liken, ohne das leiseste Erstaunen zu verra ten. »Ja, er gehört zu jenen, die ich suche. Es ist Meschanort, den ihr gesehen habt. Er schläft noch, und vorläufig werde ich ihn auch in diesem Zustand belassen. Es ist möglich, daß es noch mehr Schläfer auf die ser Welt gibt. In erster Linie aber suche ich Ischtar.« Es war, als durchzucke mich ein elektri scher Schlag, als er den Namen der Golde nen Göttin nannte. Ra wurde blaß und rührte sich nicht von der Stelle. Fartuloon warf mir einen warnenden Blick zu, mich nicht zu verraten, und ich sah Morvoner an, daß er mir am liebsten auf die Füße getreten wäre. Ich achtete auf keins der warnenden Zei chen und sagte hastig: »Ischtar? Ich kenne sie, wir kennen sie al le. Ihr haben wir es zu verdanken, daß wir hier sind.« Wenn mir mein Extrasinn zur Vorsicht riet, so vernahm ich es nicht. Die Nennung von Ischtars Namen mußte eine Art von Kurzschluß verursacht haben, deren Folgen wir noch zu spüren bekommen sollten. Jedenfalls verriet Magantillikens Gesicht zum erstenmal so etwas wie gelindes Erstau nen. Er sah mich aufmerksam an, ehe er das förmliche Sie benutzte und sagte:
17 »Sie kennen Ischtars Namen? Und Sie be haupten außerdem, daß Sie es ihr zu verdan ken haben, wenn Sie hier sind? Das ist selt sam, wirklich äußerst seltsam. Sie müssen mir mehr darüber berichten, denn damit hel fen Sie mir wirklich, sie zu finden und heim zuführen.« Nun hielt Fartuloon es nicht mehr länger aus. Ehe ich antworten konnte rief er: »Heimführen – wohin? In diese Eisige Sphäre? Das hört sich nicht sehr vertrauens erweckend an. Sie müssen uns schon mehr darüber erzählen, ehe wir Ihnen helfen.« Magantilliken betrachtete ihn aus engen, goldenen Augen. »Sie werden alles noch früh genug erfah ren, aber noch ist die Zeit dazu nicht reif. Sie müssen mir vertrauen, oder Sie werden Ihr großes Kugelschiff nie mehr wiederse hen. Sie sind keine Varganen, es ist also bes ser, wenn Sie sich nicht zu sehr um unsere Angelegenheiten kümmern. Wir kümmern uns auch nicht um die Ihren, obwohl wir das könnten.« Er sah nun wieder mich an. »Erklären Sie mir, wieso Sie es Ischtar zu verdanken haben, wenn Sie jetzt hier sind.« Diesmal zögerte ich, denn ich wußte, daß ich mich auf Fartuloon und seine Ahnungen verlassen konnte. Seinen Warnungen hatte ich schon mehr als einmal mein Leben zu verdanken. Aber auf der anderen Seite würde ich kein Wort mehr über Ischtar und ihren Aufenthaltsort erfahren, wenn ich das Vertrauen des Varga nen nicht errang. Außerdem: was konnte es schon schaden, wenn ich ihm ein wenig von der Wahrheit mitteilte? »Ich war mit ihr zusammen, und bei der Gelegenheit muß sie mir einen posthypnoti schen Befehl erteilt haben. Sie gab mir auch die Koordinaten dieses Planeten, den sie Margon nannte. Und sie versprach mir, sich hier einzufinden. Das ist alles.« Es war genug, das sah ich ihm an. Aber es reichte auch Fartuloon, der sich mir wütend zuwandte: »Du bist nichts als ein leichtsinniger Schwätzer, Atlan! Du hörst den Namen ei
18 ner Frau, und schon verlierst du den Ver stand. Ich hätte dich für klüger gehalten. Was wissen wir schon von diesem Mann, der sich Magantilliken nennt? Gar nichts!« Magantilliken hörte dem Wutausbruch mit unbewegtem Gesicht zu, dann lächelte er plötzlich voller Nachsicht. »Ich verstehe Ihre Erregung und nehme sie Ihnen nicht übel. Es wird gut sein, wenn Sie den Rest des Tages der Erholung wid men und die Nacht in tiefem Schlaf verbrin gen. Morgen reden wir dann weiter, und Sie werden sehen, daß die Vernunft die Ober hand gewinnt. Allerdings kann ich Ihnen den Funkkontakt zu Ihrem Schiff vorerst noch nicht gestatten, aber ab morgen werden Sie frei sein und jederzeit zum Schiff zu rückkehren können, wobei es keine Rolle spielt, wie Sie sich entscheiden. Aber ich möchte, daß Sie bis dahin den Rest des Ta ges und die Nacht verstreichen lassen. Jede Übereilung wäre fatal für Sie.« Wenn seine Worte eine Warnung darstel len sollten, so hatte er sie geschickt und fast höflich formuliert. Natürlich mußte er uns gegenüber vorsichtig sein, das konnte ich durchaus verstehen. Aber wichtig für mich war, daß er Ischtar suchte und wahrschein lich mehr über sie wußte als wir alle zusam men. Wenn ich sein Vertrauen erwarb, wür de er mir viel über sie berichten können. Fartuloon erriet auch diesmal meine Ge danken und Motive – und er hatte Verständ nis für sie. Er sagte zu dem Varganen: »Also gut, wir sind einverstanden. Mor gen teilen wir Ihnen unsere Entscheidung mit. Sind Sie übrigens allein hier?« »Sehen Sie noch jemanden?« »Die Androiden!« »Oh, die können Sie vergessen. Sie sind meine Diener. Und wie Sie selbst erlebten, bedeuten sie keine allzu große Gefahr. Aber vergessen Sie nicht, daß es unter der Ober fläche von Margon gewaltige technische Anlagen gibt, die mich zu einem mächtigen Gegner machen könnten. Eine dieser Anla gen neutralisiert übrigens Ihr Kugelschiff. Es wird also besser für Sie sein, wenn Sie
Clark Darlton sich morgen zu einer Zusammenarbeit bereit erklären. Die letzten Varganen werden Ihnen die Hilfe niemals vergessen.« Fartuloon, der sich leise mit Morvoner Sprangk unterhalten hatte, machte einen überraschenden Vorschlag: »Ich will versuchen, Magantilliken, mein Mißtrauen gegen Sie zu unterdrücken. Es würde sogar beachtlich schwinden, wenn Sie unserem Freund Sprangk die Gelegenheit böten, in den Kugelraumer zurückzukehren. Wir fühlen uns wohler, wenn wir ihn als Rückendeckung wissen. Ich hoffe, Sie ver stehen …« »Natürlich verstehe ich das. Ich selbst werde ihn in Ihr Schiff bringen. Noch am heutigen Tag.« »Kann er nicht mit dem Beiboot …?« »Nein, ich bringe ihn selbst. Und wenn er mit der Besatzung zusammentrifft, wird er sich an nichts erinnern. Es wird so sein, als habe er das Schiff überhaupt nicht verlassen. Seine Erinnerung wird in dem Augenblick einsetzen, in dem Sie den Kugelraumer mit dem Beiboot verließen, um auf Margon zu landen. Den übrigen wird es ebenso ergehen. Sie werden später berichten, daß Sprangk den Kugelraumer niemals verlassen hat. Das ist meine Gegenbedingung.« Morvoner erklärte sich nach einigem Überlegen einverstanden. Er war fest davon überzeugt, die Landung nicht zu vergessen, wenn er das nicht wollte. Aber natürlich ge lang ihm das nicht. Es war später so, als wä re er niemals mit uns auf Margon gewesen. Fartuloons Vorsichtsmaßnahme erwies sich somit als überflüssig. Wenigstens in dieser Hinsicht. Später begleitete Morvoner den Varganen zu einem der Gleiter, der sofort startete und im klaren Himmel verschwand. So klein die Fahrzeuge auch sein mochten, sie waren raumtüchtig, wenigstens innerhalb eines Sonnensystems. Jedenfalls kehrte Magantil liken eine halbe Stunde später ohne Morvo ner zurück und berichtete, ihn wohlbehalten abgeliefert zu haben. Als Beweis übergab er mir eine schriftliche Botschaft des Kom
Henker der Varganen mandanten, aus der ich entnahm, daß Fartu loon, Ra und ich »soeben« mit dem Beiboot gestartet und auf Margon gelandet waren. Dann meinte Magantilliken: »Ich werde Sie nun allein lassen und mich morgen wieder melden. Verbringen Sie eine ruhige Nacht und denken Sie gut nach. Jede Drohung ist mir zuwider, aber ich würde sie notfalls doch aussprechen, denn ich benötige Ihre Mitarbeit, um meine Aufgabe erledigen zu können. Sie würden im umgekehrten Fall nicht anders handeln.« Ohne eine Antwort abzuwarten, schritt er davon. Der Umhang wehte hinter ihm her, und der gelbe Möbiusstreifen wirkte auf mich wie eine geheimnisvolle Offenbarung. Er deutete darauf hin, daß die Varganen das Geheimnis der vierten und fünften Dimensi on kannten. Wir zogen uns wieder in den Innenhof des halb verfallenen Gebäudes zurück. Fartu loon streckte sich sofort im Gras aus und tat so, als gäbe es Ra und mich nicht mehr. Er schien tatsächlich so etwas wie beleidigt zu sein. Das war mir aber nicht recht. Ich muß te versuchen, ihn wieder mit mir zu versöh nen. »Hör zu, Fartuloon, ich konnte nicht an ders handeln. Wenn ich den Mund gehalten hätte, wären wir keinen Schritt weiterge kommen.« »Sind wir das denn?« fragte er, ohne die Augen zu öffnen. »Was wissen wir denn schon von diesem Kerl, der sich als Magan tilliken ausgibt und behauptet, den letzten Willen der Varganen zu erfüllen? Gut, er hat Morvoner ins Schiff zurückbefördert, aber das ist auch alles. Und warum löscht er sein Gedächtnis und das der ganzen Besatzung?« »Es ist doch keine Löschung, nur der Hypnobefehl einer Zeitverschiebung. Geän dert hat sich dadurch nichts. Es ist so, als wären wir drei allein hierhergekommen. Das ist alles.« »Auf keinen Fall hättest du diesem Ma gantilliken verraten dürfen, daß Ischtar dir einen posthypnotischen Befehl gab. Er wird vermuten, daß du noch mehr weißt. Wir
19 kennen nun seine Möglichkeiten, und du kannst Gift darauf nehmen, daß er sie auch bei dir anwendet, um die Wahrheit heraus zufinden.« »Was soll er schon erfahren? Ich weiß nicht mehr, als ich ihm schon sagte.« »Er könnte aber andere Dinge erfahren«, brüllte Fartuloon mich an. Das stimmte allerdings. Betroffen schwieg ich. Ich legte mich ebenfalls ins Gras und blickte hinauf in den klaren Him mel. Irgendwo dort oben kreiste die FAR NATHIA.
* Magantilliken kehrte an diesem Tag nicht mehr zurück. Wir waren uns selbst überlas sen, und das brachte wahrscheinlich auch Fartuloon auf einen phantastischen Gedan ken. Er hatte am Nachmittag geschlafen und zeigte sich bei Anbruch der Dämmerung et was versöhnlicher. Jedenfalls erwähnte er den Vorfall nicht mehr, der unsere Gemüter so erhitzt hatte. Er aß, machte ein paar ne bensächliche Bemerkungen, ehe er endlich mit dem herausrückte, was ihn offensichtlich schon längere Zeit bedrückte. »Ich hätte da eine Idee«, sagte er wie ne benbei. Ra warf mir einen kurzen Blick zu und lehnte sich wieder gegen die Mauer zurück. Ich selbst sah Fartuloon erwartungsvoll an, mehr nicht. Sollte er nur von sich aus mit der Sprache herausrücken. Und das tat er dann auch. »Da unten im Keller liegt doch der schla fende Vargane – wie hieß er noch?« »Meschanort.« »Richtig, dieser Meschanort. Wie wäre es, wenn wir ihn weckten?« Nun war ich doch überrascht und verbarg es auch nicht. »Bist du verrückt? Magantilliken wird schon seine Gründe haben, ihn vorerst noch schlafen zu lassen. Wir können ihm doch nicht ins Handwerk pfuschen!«
20 »Vielleicht doch! Die beiden scheinen sich zu kennen. Wir würden also von Me schanort erfahren, was mit diesem Magantil liken wirklich los ist.« »Magantilliken sucht Ischtar hier, er woll te sie vielleicht sogar hier treffen. Ich möch te ihn nicht zum Feind haben.« »Verdammte Weibergeschichten!« fauch te er mich wütend an. »Was hat das denn da mit zu tun? Ich will wissen, woran ich bin, und darum bin ich dafür, den Schläfer zu wecken. Wenn er sich als Niete entpuppt, schläfern wir ihn einfach wieder ein.« »Magantilliken sprach von Technik und Möglichkeiten. Wo immer er auch jetzt sein mag, er beobachtet uns. Er würde sofort er fahren, wenn wir die Anlage im Labor in Tätigkeit setzen.« »Na, soll er doch! Aber ich glaube, daß er etwas anderes zu tun hat, als ständig auf uns aufzupassen. Wir warten, bis es dunkel ge worden ist, dann gehen wir ins Labor. Ra soll hier oben auf die Androiden aufpassen. Sie haben sich bisher noch nicht von der Stelle gerührt, sind also desaktiviert.« Ra war ohne Widerrede einverstanden. Er setzte sich neben den Hofeingang und schwieg. Fartuloon und ich standen auf und betra ten den Gang, den wir schon kannten. Erst als wir ein Stück in ihn eingedrungen waren und die Hand nicht mehr vor den Augen sa hen, schalteten wir unsere Lampen ein. Wir kannten den Weg und erreichten den Laborraum nach wenigen Minuten. Der Vargane lag unverändert in seiner Wanne und schlief. Allein wäre es mir wahrscheinlich nicht gelungen, die Anlage in Betrieb zu setzen, aber Fartuloon mußte sich den ganzen Tag schon in Gedanken damit beschäftigt haben. Jedenfalls hantierte er an den Kontrollen, als hätte er sein ganzes Leben nichts anderes getan, als schlafende Varganen aufzu wecken. »Die Energie kehrt zurück«, stellte er nach einem Blick auf die Meßinstrumente fest. »Es dauert noch ein Weilchen, dann ha
Clark Darlton ben wir es geschafft. Dein Magantilliken wird sich freuen, wenn wir ihm die Arbeit abgenommen haben.« »Ich habe das dumpfe Gefühl«, gab ich zurück, »daß er durchaus nicht erfreut sein wird. Sieh nur, das rechte Auge bewegt sich bereits …« Fartuloon ging nicht mehr auf das heikle Thema ein. Gemeinsam beobachteten wir den komplizierten Erweckungsprozeß und verfolgten ihn an den Instrumenten und Ska len. Es existierten mehrere derartige Techni ken. Diese hier war mir unbekannt, aber die Funktionsweise war leicht zu erraten. Sie war weniger kompliziert als ich anfangs be fürchtet hatte. Fartuloon jedenfalls kannte sich besser aus als ich, und seine Seitenblicke verrieten, wie zufrieden er mit sich selbst war. Immer mehr Lebensfunktionen traten in Tätigkeit, während mir immer mulmiger wurde. Wenn uns Magantilliken hier über raschte, konnte eine Menge passieren, des sen war ich mir sicher. Auf der anderen Sei te hatte er nur zu deutlich durchblicken las sen, daß er unsere Hilfe benötigte oder zu mindest gern sähe. »Noch dreißig Minuten«, sagte Fartuloon in mein Schweigen hinein. Er mußte es ja wissen. Meine Tätigkeit beschränkte sich in erster Linie darauf, den langsam erwachenden Varganen zu beob achten, dessen Gesichtsausdruck mir all mählich sympathischer erschien als jener unseres Freundes Magantilliken. Ihm fehlte das Befehlsgewohnte und Herrschsüchtige. Vielleicht lag das aber daran, daß er noch schlief. Als ich immer noch keine Antwort gab, fuhr Fartuloon fort: »Sieh mal zu, was Ra macht. Wir können ungestörter arbeiten, wenn wir wissen, daß alles in Ordnung ist. Den Telekom möchte ich nicht benutzen.« Da hatte er allerdings recht. Also kehrte ich zur Oberfläche zurück und überzeugte mich davon, daß Ra unverändert auf seinem Posten saß und die Gleiter beobachtete, ne
Henker der Varganen ben denen unbeweglich die Androiden ver harrten. »Alles bestens«, teilte ich Fartuloon mit und sah, daß der Vargane nun endgültig zu erwachen begann. »Wie lange noch?« »Fünf Minuten, nicht mehr. Bin gespannt, wie er reagiert.« Ehrlich zugegeben, das war ich allerdings auch. Wir wußten nicht, wie lange er geschlafen hatte und was sich inzwischen ereignet hat te. Selbst wenn er uns fragte, wir hätten ihm keine Auskunft geben können, denn wir wußten so gut wie nichts über die Varganen und ihr Schicksal. Ob er Ischtar kannte? Ich kam nicht mehr dazu, diese Vermu tung und ihre Konsequenzen weiter auszu spinnen, denn Fartuloon sagte: »Es ist soweit. Halte ihn fest, wenn er ver sucht, sich zu erheben. Es dauert noch eine Weile, bis er seine Kräfte voll zurückge winnt.« Seine Hautfarbe war noch goldener ge worden, als sie es ohnehin schon war. Die Augen waren weit geöffnet, aber allem An schein nach sahen sie noch nichts. Die Hän de bewegten sich, auch seine Beine. Er be gann zu atmen, immer schneller und tiefer. Und dann traf mich sein Blick voll und le bendig. Seine Lippen öffneten sich, als wollte er etwas sagen, aber ich hörte keinen Ton. Hof fentlich sprach er ebensogut Arkonidisch wie Magantilliken, denn wir hatten keinen Translator bei uns. Der war im Beiboot ge blieben. Fartuloon war noch mit den Instrumenten und Kontrollen beschäftigt. Er schaltete eine Anlage nach der anderen aus. Dabei ging er so systematisch vor, daß ich mein Erstaunen nur schwer verbergen konnte. Er war ein technisches Genie, oder er kannte die Anla ge. Der Vargane richtete sich langsam auf, und ich hinderte ihn nicht daran. Fartuloon protestierte auch nicht, als ich dem Erwa chenden half, bis er aufrecht in der Wanne
21 saß und sich forschend umblickte. Dann fiel sein Blick abermals auf mich, dann auf Fartuloon. Er betrachtete uns nach denklich, als müsse er in seiner Erinnerung nach einem Anhaltspunkt suchen. Wieder öffneten sich seine Lippen, aber ich konnte die Worte nicht verstehen. Sie waren in einer mir fremden Sprache. Ich sagte: »Ganz ruhig bleiben, Meschanort, wir werden Ihnen alles erklären. Sie sind noch zu schwach. Wir helfen Ihnen.« Eine Weile erfolgte keine Reaktion, aber dann sagte Meschanort in gebrochenem Ar konidisch und mit leiser Stimme, in der je doch keine Furcht mitschwang: »Ist es schon soweit? Wo ist der Henker …?«
3. Bin sicher, daß Fartuloon und ich für viele Sekunden die Luft anhielten und uns um keinen Millimeter von der Stelle rührten. Da holten wir einen Varganen aus dem Tief schlaf, und seine erste Frage galt dem Hen ker. Vielleicht, dachte ich in diesen Augen blicken, ist er ein zum Tode Verurteilter, den man lediglich zu Versuchszwecken ein schläferte und der nun glaubte, seine letzte Stunde sei gekommen. Mein erster Impuls war, ihn sofort zu informieren, aber diesmal kam Fartuloon mir zuvor, indem er sagte: »Meschanort, beruhigen Sie sich, bitte. Es gibt keinen Henker, und wir sind Arkoniden, die Ihnen helfen wollen. Wir fanden diese Anlage, entdeckten Sie und weckten Sie auf. Fühlen Sie sich stark genug, die Wanne zu verlassen, oder sind Sie noch zu schwach?« Meschanort hob prüfend das rechte Bein und setzte es dann entschlossen über den Rand der Wanne auf den Boden. Er schwankte noch ein wenig, und wir mußten ihn stützen, aber dann stand er aufrecht und fest vor uns. »Dies ist Fartuloon, mein Freund, und ich heiße Atlan. Wir sind Arkoniden.«
22 Durch die Ereignisse des vergangenen Ta ges gewarnt, sagte ich nicht mehr. Der Vargane sah uns aufmerksamer als bisher an. Nun begann auch sein Denkappa rat besser zu arbeiten. »Sie nannten meinen Namen, als ich er wachte. Woher kennen Sie ihn?« Fartuloon übernahm die Antwort: »Wir hatten gestern ein Zusammentreffen mit einem anderen Varganen, der alles über Sie zu wissen schien. Er behauptete, Sie wecken und zur Heimstätte der letzten le benden Varganen bringen zu wollen. Das sei seine Aufgabe, behauptete er weiter. Von ihm erfuhren wir Ihren Namen.« Meschanort stützte sich mit den Händen an der Wand ab. Ich bemerkte, daß seine Knie zitterten. »Wie hieß dieser Vargane? Trug er einen tiefblauen Umhang und auf dessen Rücksei te das Zeichen der Dimensionen?« Fartuloon nickte verblüfft, und ich erwi derte: »Ja, er trug einen solchen Umhang mit dem Zeichen. Er nannte sich Magantilli ken.« Meschanort bekam einen regelrechten Schwächeanfall. Er setzte sich auf den Rand der Wanne, in der er gelegen hatte. Fas sungslos und voller Entsetzen starrte er uns an. Dann stammelte er endlich: »Magantilliken – der varganische Henker! Also doch!« Allmählich nur begriffen Fartuloon und ich, daß zwischen seiner ersten Bemerkung, als er erwachte, und dem jetzt Gesagten ein enger Zusammenhang bestand. Wir wußten plötzlich, daß es noch viele Fragen zu stellen gab und daß Magantilliken eine ganz andere Rolle spielte, als er vorgab. Ein Blick in Me schanorts Augen verriet, daß er nicht log. »Magantilliken – der Henker der Varga nen? Wie meinen Sie das?« erkundigte sich Fartuloon schließlich. »Er behauptet, eine genau entgegengesetzte Aufgabe zu erfüllen, nämlich die noch lebenden Varganen heim zuführen in die Eisige Sphäre.« »Ja, die Eisige Sphäre! Sie ist es, die uns
Clark Darlton den Tod bringt! Sie wurde der Zufluchtsort für viele Varganen, das ist zwar richtig, aber es scheint Gründe dafür zu geben, daß jene, die noch außerhalb dieser Sphäre herumirren und ihr Volk suchen, sterben müssen. Sie zu suchen und zu töten, das ist Magantillikens Aufgabe, nicht die Heimführung.« Ich war geneigt, Meschanort mehr Glau ben zu schenken als Magantilliken, wenn letzterer auch zugleich der mächtigere Var gane war. Doch bevor ich mich entschied, wollte ich noch eine weitere Frage stellen. »Haben Sie je den Namen Ischtar ge hört?« Meschanort warf mir einen merkwürdigen Blick zu, dann nickte er. »Wer kennt den Namen dieser göttlichen Varganin nicht? Sie muß aus logischen Be weggründen das Hauptziel Magantillikens sein, und wo immer er sie findet, wird er sie sofort töten. Das muß unter allen Umständen verhindert werden!« »Da sind wir Ihrer Meinung«, stimmte Fartuloon zu. »Aber ich verstehe noch im mer nicht, in wessen Auftrag der Henker handelt? Im Auftrag der Eisigen Sphäre?« »Das ist wahrscheinlich. Die in ihr leben den Varganen wollen und müssen die Rück kehr der noch außerhalb der Sphäre leben den Varganen verhindern – aber ich kann keinen einzigen Grund für diese grausame Maßnahme nennen. Magantilliken jedenfalls wird ihn uns kaum verraten.« Meschanort erhob sich plötzlich und legte seine rechte Hand auf meine Schulter. »Atlan, fast hätte ich die wichtigste Frage vergessen: wo ist Magantilliken jetzt?« Wir erklärten ihm, was gestern geschehen war und daß der Henker mit einem Gleiter davongeflogen sei, um erst am anderen Tag – also in wenigen Stunden von jetzt an ge rechnet – zurückzukehren. Es war schon lan ge nach Mitternacht. Meschanort wurde sehr aufgeregt, als er das hörte. »Er kommt, um mich zu töten, und wenn er meine Schlafkammer leer findet, wird sei ne Rache sich euch zuwenden. Nehmt euch
Henker der Varganen vor ihm in acht, er ist gefährlich. Ihm steht die versunkene Technik dieser Welt zur Ver fügung, und er weiß auch mit ihr umzuge hen. Flieht, wenn euch euer Leben lieb ist!« Ich schüttelte den Kopf, und Fartuloon tat es ebenfalls. »Wir lassen Sie nicht allein, Meschanort. Wir haben Sie geweckt und ins Leben zu rückgerufen. Damit tragen wir eine Verant wortung. Gemeinsam werden wir Magantil liken stellen und Aufklärung fordern.« »Laßt den Unsinn! Flieht, solange es nicht zu spät ist. Früher oder später wird der Hen ker seinen Auftrag ausführen und mich tö ten, aber warum solltet auch ihr sterben? Eu er Tod wäre sinnlos.« »Haben Sie Ischtar vergessen, Meschan ort? Wir können sie nicht Magantilliken überlassen, ohne den Versuch zu unterneh men, sie zu warnen. Wir glaubten, sie auf Margon zu treffen, aber bisher fanden wir sie nicht. Vielleicht war das ihr Glück.« Meschanort deutete zur Tür. »Wir müssen diese Station verlassen, so schnell wie möglich und noch vor Morgen grauen. Nicht weit von hier gibt es eine an dere Station. Wenn wir sie erreichen, sind wir vorerst in Sicherheit. Ich weiß, daß dort Waffen verborgen sind, dazu technische An lagen, mit denen wir dem Henker das Leben schwer machen können. Verlieren wir keine Zeit mehr.« Wenn ich in meinem Entschluß noch schwankend gewesen wäre, hätte Fartuloons schnelle Reaktion mich überzeugt. Er nahm Meschanorts Arm und führte ihn aus der Station heraus. Ich folgte den beiden. Draußen begann es bereits zu dämmern. Ra, der durch mich schon erfahren hatte, was wir in der Station erreicht hatten, be grüßte den Varganen freundlich. Er berichte te, daß sich beim Boot nichts geändert hatte. »Es ist unmöglich, an Ihr Schiff oder die Gleiter heranzukommen«, versicherte Me schanort auf meine Frage hin. »Die Diener des Henkers sind so programmiert, daß sie sofort in Aktion treten, wenn jemand in ihre Nähe gerät. Außerdem lösen sie dann zu
23 gleich einen Alarm aus, der Magantilliken warnen würde. Wir nehmen die andere Richtung und marschieren. Es ist nicht sehr weit. Noch vor Tagesanbruch erreichen wir die andere Station. Ich habe einen der Zu gänge nur leicht getarnt, und wir können den Eingang in kürzester Zeit freilegen.« Ich mußte die Energie des Varganen be wundern, dessen Entschlossenheit uns förm lich mitriß. Wir packten unsere paar Sachen zusammen und folgten ihm. Das Gelände war in der aufsteigenden Dämmerung gut zu übersehen. Nach einiger Zeit wurde auch das Gras spärlicher und machte schließlich nacktem Fels Platz. Von nun an würde es für einen Fährtensucher schwer sein, unsere Spur zu finden. Als wir die Hügel überquert hatten, war das vom Schutt befreite Gebäude endgültig unseren Blicken entschwunden. Aber es wurde heller, und von der Luft aus waren wir leicht zu entdecken. Hinzu kam, daß Magantilliken über technische Mittel verfüg te, mit denen er uns bald aufspüren konnte. Ich begann daran zu zweifeln, ob wir rich tig gehandelt hatten. Immerhin war der Var gane, den Meschanort den Henker nannte, relativ höflich zu uns gewesen. Zwar war mir klar, daß er uns brauchte, aber er konnte vielleicht unsere Hilfe für überflüssig erach ten, wenn wir gegen seine Anordnungen handelten. Einen Augenblick später schämte ich mich meiner Unentschlossenheit. Fartuloon und ich hatten schon in aussichtsloseren Si tuationen gesteckt und waren nicht vom Glück verlassen worden. Meschanort war auf unserer Seite, und er wirkte nicht wie ein Feigling. Und was Ra anfing, so würde er bedenkenlos sein Leben opfern, um Ischtar zu retten. Wir erreichten einen runden Talkessel, der von nicht sehr hohen Felswänden umge ben war. Der Boden war ziemlich eben, nur in der Mitte fielen mir einige Unregelmäßig keiten auf. Darunter mußte die Station lie gen, von der Meschanort gesprochen hatte. Inzwischen war die Sonne höher gestie
24 gen, aber bisher hatten wir noch nichts von einer Verfolgung bemerkt. Ich hoffte, das Magantilliken noch mit anderen Dingen be schäftigt war und keine Zeit gefunden hatte, sich um uns zu kümmern. Meschanort deutete auf einen kleineren Schutthügel. »Dort ist es, ein Nebeneingang. Wir brau chen nur die Steine beiseite zu räumen. Eine Arbeit von wenigen Minuten. Es ist durch aus möglich, daß wir dann, wenn wir erst einmal in der Station sind, Verbindung zu Magantilliken aufnehmen können.« »Glauben Sie, er verhandelt mit Ihnen? Kann er seinem Auftrag zuwiderhandeln?« »Nein, das kann er nicht«, erwiderte der Vargane und begann damit, den Eingang freizulegen. Wir halfen ihm dabei. »Aber er wird versuchen, Zeit zu gewinnen. Mein Tod bedeutet ihm nichts, aber Ihr Leben be deutet ihm eine ganze Menge, denn Sie kön nen ihn zu Ischtar führen. Darum wird er mit uns verhandeln.« Das klang logisch und gab uns eine ge wisse Sicherheit. Wir nützten dem Henker nur dann, wenn wir lebten. Tot waren wir wertlos. Meschanort leider nicht. Sein Tod gehörte zum Auftrag des Henkers. Der Eingang entpuppte sich als zerkratzte Metallplatte, die einen uralten Eindruck machte. Trotzdem ließ sie sich leicht öffnen, und bald stiegen wir über halb verfallene Stufen in die Tiefe, nachdem wir den Ein gang wieder verschlossen hatten. Zur Tar nung fehlte uns allerdings die Möglichkeit. Als ich Meschanort darauf aufmerksam machte, winkte er nur ab. »Der Henker weiß längst, wo wir uns be finden. Das Signalsystem, das alle unterirdi schen Stationen verbindet, wurde beim Ein dringen in diese Station automatisch ausge löst. Das kann niemand verhindern, denn es wurde geheim angebracht. Magantilliken wird sich melden, wenn er es für richtig hält. Bis dahin aber haben wir Zeit, unsere Be waffnung zu vervollkommnen.« Ich machte mir Sorgen um die FARNA
Clark Darlton THIA. Magantilliken konnte sie gut als Druckmittel gegen uns einsetzen, denn sie befand sich praktisch in seiner Gewalt. Und da Morvoner Sprangk seines Wissens nach das Schiff nie verlassen hatte, wußte er auch nicht, was auf Margon vor sich gegangen war. Wir brauchten unsere Lampen nicht, denn überall flammte automatisch das Licht auf. Meschanort führte uns in tadellos erhaltene Lagerräume, in denen alles vorhanden war, was eine moderne Technik im Kampf gegen den Feind einsetzen konnte. Nur ließ sich im Augenblick nicht viel damit anfangen. Im merhin schien es den Varganen zu beruhi gen, daß er sich mit Handwaffen ausrüsten konnte. In einer riesigen Kontrollzentrale deutete er auf einige Ruhelager, die an einer instru mentenfreien Wand standen. »Setzt euch, denn mehr ist im Augenblick nicht zu tun. Ich muß die Anlage studieren, um sie bedienen zu können. Vielleicht kann ich feststellen, ob sich auf Margon noch Schläfer befinden, die von dem Henker nicht entdeckt und getötet wurden. Und wenn wir Glück haben, ist auch Ischtar dabei.« Das allerdings glaubte ich nicht, denn wa rum sollte die Goldene Göttin jetzt schlafen? Die versunkenen Welten waren uralt, und ich hatte Ischtar noch vor kurzer Zeit quick lebendig gesehen. Aber ich gab keinen Kommentar, warf Fartuloon und Ra nur einen bezeichnenden Blick zu und setzte mich. Wir waren alle müde und erschöpft, denn in der vergangenen Nacht hatte keiner von uns ein Auge zugemacht. Meschanort wanderte von Schaltpult zu Schaltpult, hantierte ohne sichtbaren Erfolg an den Kontrollen und gelangte schließlich zu den Bildschirmen, die mir schon beim Betreten der Halle aufgefallen waren. Einige von ihnen leuchteten plötzlich auf und zeig ten das Innere anderer Stationen und über wucherte Oberflächenlandschaften. Einer der großen Schirme leuchtete zwar auf, zeigte aber kein Bild. Meschanort deutete auf ihn und sagte:
Henker der Varganen »Er ist auf Empfang, damit erleichtere ich dem Henker die Kontaktaufnahme. Er wird sich melden. Bleibt hier, ich kümmere mich um unsere künftige Armee.« »Um – was?« vergewisserte sich Fartu loon, der wahrscheinlich annahm, sich ver hört zu haben. Meschanort lächelte grimmig. »Auch der Henker hat seine Armee und seine Diener, warum sollten wir keine besit zen? Sie warten in den Lagerräumen auf ih ren Einsatz. Ich werde sie aktivieren und neu programmieren. Es handelt sich ausschließ lich um Roboter, nicht um Androiden, da durch können wir sie gut von den Dienern des Henkers unterscheiden. Ich bin bald zu rück.« Er verschwand in einem der Gänge. Fartuloon sah mich lange an, ehe er sagte: »Wir stehen zwar auf der Seite des Rechts, aber ich fürchte, wir stehen auf der Seite des Verlierers. Wenn sich Magantilli ken also meldet, müssen wir sehr diploma tisch vorgehen. Sei bitte nicht wieder so un vorsichtig wie gestern, Atlan. Aber ich gebe zu, Ischtar ist ein guter Trumpf in unserer Karte. Wir kennen die Motive des sogenann ten Henkers und seiner Auftraggeber nicht, und bevor das nicht der Fall ist, dürfen wir uns kein Urteil über ihn erlauben.« »Aber er will auch Ischtar töten«, warf Ra ungehalten ein. »Solange er das will, ist er mein Feind.« »Seid trotzdem zurückhaltend mit eueren Bemerkungen, um Meschanort nicht zu schaden. Noch stehen wir zwischen den bei den Fronten.« Ein plötzliches Flackern, das ich aus den Augenwinkeln heraus wahrnahm, lenkte meine Aufmerksamkeit von der Unterhal tung ab. Der große Bildschirm, der bisher leer geblieben war, zeigte klar und deutlich Magantillikens Gesicht. Eine Sekunde später kam seine Stimme aus einem verborgenen Lautsprecher über den Schirmen. »Sie sind mir zuvorgekommen, als Sie Meschanort weckten. Das wäre eigentlich meine Aufgabe gewesen, aber ich verzeihe
25 Ihre Neugier. Allerdings haben Sie sich selbst damit in eine unangenehme Lage ge bracht, denn Meschanort ist wahnsinnig. Er glaubt, ich sei dazu berufen, ihn zu töten, was natürlich unsinnig ist. Doch ich kann ihn nicht vom Gegenteil überzeugen, und wahrscheinlich wird sich seine Befürchtung bewahrheiten, wenn er den Kampf gegen mich beginnt. Verhalten Sie sich neutral. Ich verlange nicht von Ihnen, ihn in Ihre Gewalt zu bringen, aber ich bitte Sie, nicht am Kampf teilzunehmen, es sei denn, meine Diener greifen Sie an. Bei ihrer Program mierung lassen sich nur grobe Unterschiede speichern. Sie werden Sie wahrscheinlich für meine Gegner halten und angreifen.« Fartuloon stand auf und näherte sich dem Bildschirm. »Magantilliken«, sagte er ruhig, »wir konnten nicht anders handeln, ohne unsere Natur zu verleugnen. Haben Sie alles gehört, was wir sprachen? Brauchen wir Ihnen keine Erklärungen zu geben?« »Sie wären überflüssig. Ich weiß, was auf dieser Welt geschieht, und nichts kann mir verborgen bleiben. Meschanort aktiviert die Roboter, um sie gegen mich in den Kampf zu schicken. Er ist davon überzeugt, daß ich ein Henker bin, und wenn er schon sterben soll, dann will er auch als Held sterben. Ich kann ihn nicht daran hindern. Aber ich war ne Sie, Arkoniden! Kämpfen Sie nur dann, wenn Sie dazu gezwungen sind. Das ist al les, was ich von Ihnen verlange.« Das klang fair, mußte ich zugeben. Aber Fartuloon blieb mißtrauisch. »Was ist mit unserem Schiff, dem Kugel raumer? Gestatten Sie uns wenigstens die Funkverbindung.« »Das läßt sich machen, allerdings erst im Verlauf des Tages. Versuchen Sie es in re gelmäßigen Abständen. Ich werde dafür sor gen, daß die Neutralisation zeitweise aufge hoben wird. Auf der anderen Seite werden Sie verstehen, daß ich mich gegen jeden Verrat schützen muß. Übrigens wird Me schanort in wenigen Minuten zurückkehren. Er hat seine Roboter in Marsch gesetzt, und
26 ich muß mich darum kümmern. Denken Sie an meine Ratschläge.« Ich sah Fartuloon an, der zu uns zurück kehrte und sich setzte. »Sehr diplomatisch«, lobte ich. »Aber er weiß es, denn er hört jedes Wort, das wir wechseln, auch jetzt. Doch welche Rolle spielt das schon? Er sucht Ischtar, wir su chen den Stein der Weisen. Ich beginne zu glauben, daß wir uns gegenseitig von Nut zen sein können.« »Du willst Ischtar gegen den Stein der Weisen eintauschen?« meldete sich Ra zor nig. »Das lasse ich nicht zu!« Ich warf ihm einen warnenden Blick zu und erwiderte: »Von einem Tausch kann nicht die Rede sein, denn wir wissen nicht einmal, wo Isch tar sich aufhält. Und noch viel weniger wis sen wir, ob Magantilliken je vom Stein der Weisen gehört hat. Aber wenn das der Fall sein sollte, was ich annehme, werden wir ihn danach fragen.« Ra schwieg verbissen. Auch Fartuloon sagte nichts, denn soeben kehrte Meschanort in die Kontrollhalle zurück und näherte sich uns mit zufriedenem Gesicht. Ich versuchte, an ihm Spuren des Wahnsinns zu entdecken, jedoch ohne Erfolg. Er wirkte genauso sym pathisch und vertrauenerweckend wie im Augenblick des Erwachens. »Die Roboter sind aktiviert und in Marsch gesetzt, Freunde. Sie werden dem Henker ei ne Menge Ärger verursachen und ihn daran hindern, sein Amt ungestört auszuüben. Da mit rette ich vielen Varganen das Leben – oder ich schiebe zumindest ihren Tod hin aus. Mehr kann ich nicht tun.« Fartuloon ergriff vor mir das Wort: »Magantilliken hat sich gemeldet und zu uns gesprochen«, sagte er trocken. »Er hat erklärt, daß Ihr Verstand verwirrt ist. Er selbst sei kein Henker, eine solche Beschul digung sei unsinnig. Weiter bat er uns, in dem bevorstehenden Kampf zwischen Ihnen und ihm neutral zu bleiben, soweit das mög lich ist. Sie werden zugeben müssen, Me schanort, daß wir vor einer schweren Ent
Clark Darlton scheidung stehen, denn Magantilliken ist Ih nen gegenüber im Vorteil, auf der anderen Seite haben wir Sie geweckt, und Sie sind uns sympathisch. Wozu raten Sie uns?« Diese Frage hielt ich für absolut überflüs sig, denn wir würden darauf niemals eine objektive Antwort erhalten können. Aber ich sollte mich irren. Es schien eine Eigenschaft des varganischen Charakters zu sein, jede subjektive Beurteilung auszuschalten. »Sie haben mehr Vorteile, wenn Sie den Rat des Henkers befolgen, meine Freunde. Ich weiß, daß ich auf verlorenem Posten kämpfe, aber das ist besser, als aufgeweckt und sofort sterben zu müssen; wehrlos und von der Hand des Henkers. Darum bin ich Ihnen dankbar. Auch dann, wenn Sie nun neutral bleiben und mir nicht helfen. Ich werde meinen Kampf ausfechten, wenn auch das Ergebnis schon jetzt feststeht. Und wenn Sie jemals Ischtar begegnen sollten, dann warnen Sie sie vor Magantilliken, mehr ver lange ich nicht.« Seine Reaktion war für mich eine unge meine Erleichterung. Meine Gewissensbisse schwanden. Aber meine Sympathie für ihn stieg. »Gibt es nichts, das wir für Sie tun kön nen?« fragte ich ihn. »Ich sagte es bereits: warnen Sie Ischtar. Das ist alles.« Auf einem der Bildschirme erschienen nun humanoid konstruierte Kampfroboter, die auf dem Weg gingen, den wir zuvor ge kommen waren. Sie trugen Energiewaffen und andere Waffen und schienen darauf pro grammiert zu sein, die Station anzugreifen, in der Meschanort geschlafen hatte. Ich war davon überzeugt, daß es sich dabei nicht um die Hauptkontrollstation Magantillikens handelte. Ein anderer Bildschirm zeigte Gleiter, die vom Himmel herabstürzten, glatt landeten und zahlreiche Androiden ausspuckten, die sofort die Roboter angriffen. Diese wieder um waren besser bewaffnet und vernichteten mehr als die Hälfte ihrer Angreifer. Die überlebenden Androiden wichen in das un
Henker der Varganen übersichtliche Gelände aus, da ihre Gleiter von den Robotern zerstört oder umstellt worden waren, und setzten ihren Vormarsch auf unsere Station fort. Dann erschien über der Szene ein flaches Flugboot und eröffnete ein verheerendes Feuer auf die Roboter, die von dem plötzli chen Angriff so überrascht waren, daß es ei ne Minute dauerte, bis die entsprechende Programmierung wirksam wurde. Sie wehr ten sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, erlitten jedoch empfindliche Verlu ste, ehe es ihnen endlich gelang, den Kampf gleiter zu zerstören. Meschanort hatte sich während der Kämpfe jeden Kommentars enthalten, nun aber meinte er: »Ich muß noch mehr Roboter aktivieren. Und Ihnen würde ich raten, sich auf die Ver teidigung vorzubereiten. Die Androiden werden eindringen, und ihr Auftrag lautet: Tod allem, was lebendig ist!« Er ging, ohne eine Erwiderung abzuwar ten. Ra, der inzwischen mit seinem Telekom versucht hatte, den Kommandanten der FARNATHIA zu erreichen, rief aufgeregt: »Kontakt, Atlan! Es ist Morvoner! Er meldet sich!« Also hatte Magantilliken sein Wort gehal ten. Ich übernahm und antwortete. Es war wirklich Morvoner: »Hier Sprangk, FARNATHIA! Die Funk verbindung war unterbrochen. Was ist ge schehen, nachdem ihr gelandet seid?« Er schien tatsächlich nichts mehr zu wis sen. Ohne auf seinen künstlich hervorgerufe nen Gedächtnisschwund einzugehen, schil derte ich in aller Kürze, was bisher vorgefal len war. Dann fügte ich hinzu: »Ihr bleibt in der Umlaufbahn, was immer auch geschieht. Wir befinden uns nicht in unmittelbarer Lebensgefahr, und viele Dinge sind noch ungeklärt. Haltet Funkkontakt, so lange es möglich ist. Vielleicht wird Magan tilliken euch wieder neutralisieren. Keine
27 Folgerungen daraus ziehen und nicht un überlegt handeln! Wir melden uns wieder.« Aber Morvoner, der alte Krieger, war da mit nicht zufrieden. »Sollen wir nicht versuchen, in die Kämp fe einzugreifen? Wir könnten einige unserer Kampfroboter absetzen und …« »Nein!« unterbrach ich ihn entschlossen. »Auf keinen Fall! Wir bleiben neutral, vor erst wenigstens. Im Augenblick ist Magan tilliken mächtiger als wir. Vergiß das nicht!« »Na schön«, knurrte Morvoner. »Du bist der Boß! Ich bleibe auf Empfang. Sagt Be scheid, wenn es zu brenzlig wird.« Fartuloon drängte: »Wir sollten den Standort wechseln, At lan. Entweder stellen wir die Androiden auf der Oberfläche, oder wir versuchen, weiter in die Station einzudringen. Meschanort be hauptet, sie habe Verbindung zu anderen Stationen, in denen wir sicher sind. Kommt, wir haben nicht viel Zeit zu verlieren.« »Und Meschanort? Sollen wir ihn wirk lich …?« »Siehst du eine andere Möglichkeit? Es geht jetzt nur noch um uns und unser Leben. Wir können nichts anderes tun, als das Er gebnis des Kampfes zwischen den beiden Varganen abzuwarten. Magantilliken wird sich schon wieder melden. Er ist überall.« Ra und ich sahen ein, daß wir keine ande re Wahl hatten, als Fartuloons Rat zu befol gen. Die Verbindung zur FARNATHIA war wieder unterbrochen. Magantilliken schien uns nur gelegentlich Gespräche erlauben zu wollen, um uns zu beweisen, daß dem Schiff nichts geschehen war und die Besatzung noch lebte. Ein raffiniertes Katz- und Mausspiel, das uns seinen Wünschen gefügig machte. Wir durchquerten mehrere Maschinenund Kontrollräume, ohne jemanden zu be gegnen. Lifte brachten uns in die Tiefe, wo weitere Anlagen und endlose Korridore in alle Richtungen führten. Es war kein Wun der, daß wir allmählich die Orientierung ver loren und bald nicht mehr wußten, wo wir uns befanden.
28 Fartuloon hetzte uns weiter, bis wir einen kleineren Raum entdeckten, in dem es kei nerlei technische Einrichtungen gab. Er setz te sich einfach auf den glatten Metallboden. »Pause!« schlug er vor. »Nehmt Platz. Ich glaube, daß wir hier sprechen können, ohne daß dieser Satan Magantilliken uns hört. Wir brauchen nun keine Rücksicht mehr zu neh men. Ra, schalte den Telekom aus! Also, At lan … was meinst du?« »Hast du deine Meinung geändert?« frag te ich. »Ich bin noch immer dafür, neutral zu bleiben.« »Nein, wir werden nur so tun! Ich bin si cher, daß Meschanort nicht gelogen hat. Ma gantilliken ist der Henker jener Varganen, die in der Eisigen Sphäre leben und wollen, daß alle anderen getötet werden. Obwohl es mir widerstrebt, müssen wir Meschanort op fern. Sein Kampf ist ein anderer als der un sere. Er führt den Krieg gegen den Henker mit Waffen, wir müssen ihn mit List aus fechten. Unser Gegner ist stärker als wir. Versuchen wir wenigstens, auf die Dauer klüger und intelligenter zu sein. Nur so er reichen wir unser Ziel!« »Und wenn er unsere wahren Absichten erfährt?« »Das müssen wir verhindern. Sobald wir diesen Raum verlassen, sprechen wir nicht mehr darüber, und wenn wir schon reden, dann im Sinn Magantillikens. Vergeßt das nicht.« Ich war nicht sonderlich davon überzeugt, daß wir mit dieser List durchkamen. Immer hin aber wußte ich nun, daß auch Fartuloon Verdacht gegen Magantilliken hegte und Meschanort mehr glaubte. Um so be drückender war die Aussicht, letzterem nicht helfen zu dürfen. Wir gingen weiter, und zum Glück arbei teten die Meßinstrumente unserer Kampfan züge tadellos. Wenigstens konnten wir fest stellen, wie tief wir uns unter der Oberfläche befanden und in welche Richtung wir uns bewegten. Auch die Gruppe der in die Stati on eingedrungenen Androiden bemerkten wir rechtzeitig.
Clark Darlton »Es ist, als könnten sie uns wittern«, stell te Ra fest. »Sie folgen uns unbeirrt, nehmen sogar Abkürzungen, die wir nicht einmal re gistriert haben. Früher oder später holen sie uns ein.« »Sie haben uns bereits den Weg abge schnitten.« Fartuloon beschäftigte sich mit seinem Skarg, dem wunderbaren Schwert. »Sollen sie kommen, wir haben die Erlaub nis, uns zur Wehr zu setzen, und das werden wir auch tun. Kommt weiter, hier ist nicht der rechte Ort, einen Kampf auszufechten.« Die Energieabstrahlung der Androiden war stark genug, um von den Geräten regi striert zu werden. Je näher wir ihnen kamen, desto intensiver wurde diese Strahlung. Wenn wir einen anderen Weg einschlugen, folgten sie uns sofort. Also besaßen auch die Androiden die Möglichkeit, uns aufzuspü ren, oder aber Magantilliken leitete sie. Endlich erreichten wir einen fünfzig Me ter unter der Oberfläche gelegenen Maschi nensaal mit riesigen Anlagen, deren Bedeu tung uns nicht sofort klar wurde. Jedenfalls gab es Dutzende von Gängen durch die Me tallblöcke, die eine ausgezeichnete Deckung boten. »Ich denke, hier bleiben wir«, schlug Far tuloon vor. Wenn wir von den Androiden zum Kampf gefordert wurden, so war dies ohne Frage der günstigste Ort für uns. Wir konnten uns verteilen und die Verfolger in die Zange nehmen, ohne uns eine Blöße geben zu müs sen. Die Instrumente zeigten an, daß die Gegner im Nebenraum waren und weiter in unsere Richtung vorrückten. Wir bezogen unsere Stellungen und war teten. Ich war gespannt, auf welche Art Fartu loon diesmal sein Skarg einsetzen würde. Obwohl seine geheimnisvolle Waffe wie ein ganz normales Schwert aussah, besaß sie die unglaublichsten Eigenschaften. Im Griff mußte ein leistungsstarker Generator verbor gen sein, der alle notwendigen Energien lie ferte. Ich hatte das Skarg schon Stahlwände durchschneiden sehen.
Henker der Varganen Ra lag schräg neben mir hinter einem Ge neratorblock, den Strahler entsichert vor sich liegen. Er starrte unentwegt auf den Eingang uns gegenüber, durch den die Androiden kommen mußten. Auch ich hatte meine Waffe entsichert und auf Intensivstrahlung geschaltet. Ich hatte nicht die Absicht, das »Leben« der halborganischen Wesen zu schonen. Und dann kamen sie. Sie quollen förmlich in den Raum und überschwemmten die Saal gänge, ehe wir daran dachten, das Feuer zu eröffnen. Wir hielten uns an unseren alten Grundsatz: niemals zuerst schießen, sondern nur in Notwehr handeln! Dann aber richtig! Fartuloon erhob sich halb, so daß sie ihn sehen konnten. »Kehrt um!« rief er ihnen entgegen. »Wir haben nichts mit dem Privatkrieg zwischen Magantilliken und Meschanort zu tun und sind neutral! Aber wir werden euch vernich ten, wenn ihr angreift!« Zu meinem Erstaunen gab es bei den An droiden tatsächlich so etwas wie eine Schrecksekunde, obwohl sie uns hier in die sem Saal vermutet haben mußten. Es dauerte fast eine halbe Minute, ehe sie seitlich in Deckung glitten und dann mit sämtlichen zur Verfügung stehenden Waffen das Feuer auf Fartuloon eröffneten, der längst wieder in Deckung lag und langsam sein Schwert vorschob. Die erste Salve zerstörte einen Teil der Einrichtung, richtete aber sonst keinen Scha den an. Als ich die eintretende Feuerpause zu einem Gegenangriff nutzen wollte, kam mir Fartuloon zuvor. Er sprang auf, streckte sein Schwert aus und drückte auf einen ver borgenen Knopf im Griff. Ich werde nie in meinem Leben das Bild vergessen, das sich meinen und Ras' ver blüfften Augen bot: Von überall her, selbst aus den nicht ein zusehenden Verstecken, kamen die Andro iden – schwerelos geflogen, und zwar mit vehementer Geschwindigkeit. Sie stiegen mit unglaublicher Beschleunigung senkrecht
29 in die Höhe, bis sie mit voller Wucht gegen die zehn Meter hohe Felsendecke prallten. Sie unterlagen nach dem Aufprall sofort wieder der Schwerkraft und stürzten in die Tiefe, wo sie zum zweitenmal Bekanntschaft mit dem Gesetz des abrupten Andrucks machten. Das Geräusch sich verbiegenden Metalls und zersplitternder Plastikteile ging mir so auf die Nerven, daß ich mir am lieb sten die Ohren zugehalten hätte, aber Fartu loons Anblick faszinierte mich mehr. Er stand noch immer da, das Skarg vorge streckt, und wirkte trotz seiner beachtlichen Leibesfülle wie ein Recke der Urzeit. Ein Grinsen überzog sein Gesicht, als die kleine Armee der Androiden von der hohen Decke herabregnete. Er drehte sich um und ließ das Schwert sinken. »Das erspart uns eine Menge Arbeit«, stellte er trocken fest. »Ihr könnt euch erhe ben, Freunde. Der nächste Trupp ist noch weit entfernt.« Wir kamen aus der Deckung. Keines der künstlich erschaffenen Wesen regte sich mehr. Fartuloon hatte sie alle für immer au ßer Gefecht gesetzt. Allerdings waren auch einige Maschinenanlagen zerstört worden, aber das war kaum unsere Schuld. Von oben her, aus einem verborgenen Lautsprecher, kam Magantillikens Stimme: »Gut gemacht, Arkoniden! Ich weiß, ihr verfügt über ausgezeichnete Waffen, die ich mir näher ansehen muß. Aber nun geht nicht mehr weiter, oder ihr geratet in die Maschi nerie des Todes. Ihr habt die Grenzen mei nes Reiches erreicht, das ihr betreten dürft. Bleibt dort, wo ihr jetzt seid, oder kehrt zur Oberfläche zurück.« Wir stellten eine Frage, erhielten aber kei ne Antwort mehr. Fartuloon, der sein Skarg wieder in die Scheide gesteckt hatte, meinte: »Er muß ungemein mit Meschanort be schäftigt sein und hat keine Zeit mehr für uns. Eine gute Gelegenheit, weiterzugehen.« »Aber er hat uns gewarnt«, gab Ra zu be denken. »Eben, deshalb müssen wir ja weiterge
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Clark Darlton
hen. Die Maschinerie des Todes kann nichts anderes als die Kontrollstation für Roboter und andere Kampfmittel sein. Das sehen wir uns an!« Fartuloon sprach mir aus dem Herzen, wenn ich auch einige Bedenken hatte. Aber Bedenken hin, Bedenken her, wir konnten nicht ewig hier warten oder gar an die Ober fläche zurückkehren, solange der Kampf zwischen den beiden Varganen nicht ent schieden war. Wir folgten Fartuloon.
4. Wir fanden später ein Laufband, das aller dings nicht funktionierte. Unsere Meßinstru mente besagten jedoch, daß es genau in die Richtung führte, aus der die stärkste Ener giestrahlung kam. »Worauf warten wir?« erkundigte sich Fartuloon, den ich selten so marschierfreu dig gesehen hatte. »Dringen wir in die Höhle des Löwen ein.« »Mit Neutralität hat das aber nicht mehr viel zu tun«, machte ich ihn aufmerksam. Auch Ra machte ein bedenkliches Gesicht. »Wenn Magantilliken uns das übelnimmt, war die Verweigerung der Hilfe für Me schanort vergeblich.« »Der Henker hat jetzt keine Zeit für uns«, versicherte Fartuloon. »Ich glaube, daß wir nun lange genug die Braven gespielt haben. Um es geradeheraus zu sagen: ich bin es leid, Figur in einem undurchsichtigen Spiel zu sein!« Ich war das schon lange leid, aber gerade Fartuloon war es doch gewesen, der mich und Ra immer wieder zur Vorsicht gemahnt hatte. Ich fragte mich, was ihn zur Änderung seiner Taktik bewogen hatte, aber natürlich wagte ich es nicht, diese Frage laut zu stel len. Er würde schon wissen, was und warum er es tat. Das Laufband hatte eine unendlich er scheinende Länge, aber endlich erreichten wir nach fast zwei Stunden eine Verteilersta tion, von der aus mehrere Gänge in alle
Richtungen führten. Wieder halfen uns die Instrumente. »Der mittlere!« stellte ich fest. »Größte Intensität!« Also folgten wir ihm. Obwohl ich eine Warnung des Henkers erwartete, erfolgte keine. Fartuloon schien mit seiner Vermutung, daß er genug mit Me schanort zu tun hatte, recht zu behalten. Je denfalls erreichten wir nach einiger Zeit eine Metalltür, die wir mühelos öffnen konnten. Dahinter lag eine Kontrollstation, deren Zweck uns allerdings im ersten Augenblick nicht klar wurde. Erst nach eingehender Un tersuchung faßte Fartuloon zusammen, in dem er seine und meine Erkenntnisse kom binierte: »Die Zentralkontrollstelle der Abwehr Margons! Ich wundere mich nur, daß Ma gantilliken seine Schlacht nicht von hier aus schlägt. Wir sind jetzt in der Lage, wenn wir es wollten, Meschanort entscheidend beizu stehen. Wir könnten sogar Magantilliken er heblichen Schaden zufügen, obwohl uns nicht alle Kontrollen vertraut sind. Zum Glück jedoch ähnelt das Prinzip unserer ei genen Technik. Meine Frage an euch muß also lauten: Wie entscheiden wir uns? Blei ben wir neutral, oder ergreifen wir endlich die Initiative? Ich bin es jedenfalls leid, nach der Pfeife des Henkers zu tanzen. Von mir aus soll er das wissen!« »Und die FARNATHIA?« fragte ich be sorgt. Fartuloon winkte ab. »Die kann sich im Notfall wehren. Außer dem haben wir mit dieser Kontrollstation einen Trumpf in den Händen, den wir bald ausspielen sollten. Vielleicht wird das Neu tralisationsfeld, das unser Schiff isoliert, so gar von hier aus erzeugt.« »Das müßten wir genau wissen«, meinte ich unentschlossen, obwohl ich ihm inner lich absolut zustimmte. Ra blieb erstaunlich sachlich und prak tisch. Er meinte: »Dort sind Bildschirme. Wie wäre es, Far tuloon, wenn man sie aktivierte und ver
Henker der Varganen suchte, den Ereignissen zu folgen? Wir wis sen nicht, was geschieht. Vielleicht hat Me schanort die Schlacht bereits gewonnen …« »Kaum«, gab Fartuloon zurück. »Aber wenn wir ihm helfen, wäre das vielleicht möglich. Ich bin zuversichtlicher als noch vor wenigen Stunden.« Ich war es allerdings nicht, aber zum Glück – oder Unglück – wurde ich einer Antwort enthoben. Magantilliken meldete sich über den Lautsprecher: »Ihr begeht einen großen Fehler, Arkoni den! Verlaßt die Kontrollzentrale, in der ihr euch aufhaltet. Sie hat keinen Wert für euch. Nehmt den noch intakten Lift, der euch zur Oberfläche bringt. Bleibt dort, bis ich Me schanort erledigt habe. Es kann nicht mehr lange dauern.« »Hör zu, Magantilliken!« rief ich schnell, ehe er wieder abschalten konnte. »Du kannst unsere weitere Neutralität nur dadurch errei chen, daß du uns sofort zu unserem Schiff in der Umlaufbahn zurückkehren läßt. Wir sind bereit, dich dann an Bord zu empfangen und mit dir zu verhandeln. Es gibt keinen ande ren Kompromiß.« »Abgelehnt! Ihr tut, was ich euch sage, oder ihr werdet diesen Planeten nicht mehr lebend verlassen. Euer Schiff wird zerstört werden. Also – entscheidet euch, aber schnell!« »Und Ischtar?« fragte ich wütend. »Du willst sie doch finden, oder? Nur wir können dir dabei helfen.« »Das werdet ihr auch«, erwiderte er und verstummte dann. Fartuloon meinte wenig später, als wir noch unentschlossen herumstanden: »Du hast die Kontrolle über dich verloren, Atlan, denn du hast die Höflichkeit verges sen, die wir vereinbarten. Er wird es sich merken.« »Soll er doch!« rief ich, immer noch auf gebracht. »Los, kümmern wir uns eingehen der als bisher um diese Station. Der Henker legt Wert darauf, daß wir sie verlassen, also ist sie wichtig, vielleicht sogar entscheidend: Schade nur, daß wir keine Verbindung zu
31 Meschanort haben. Er könnte uns helfen.« »Wir haben ihm auch nicht geholfen«, warf Ra ein. Das stimmte. Unser Entschluß, die Partei des geweckten Schläfers zu ergreifen, kam zu spät. Wir verloren keine überflüssigen Worte mehr. Fartuloon gelang es nach kurzer Zeit, einige der Beobachtungsschirme zu aktivie ren, so daß wir die Oberfläche wieder sehen konnten. Es gab Kämpfe zwischen Robotern und Androiden, sogar Flugpanzer griffen in die Auseinandersetzungen ein, aber kein ein ziges wirklich lebendes Wesen. Eine Materi alschlacht im wahrsten Sinne des Wortes. Von Meschanort entdeckten wir nicht die geringste Spur. »Wir müssen Magantillikens Armee des aktivieren«, murmelte Fartuloon. »Dann ist er erledigt.« Das war leichter gesagt als getan. Zwar konnten wir nach einiger Zeit die Gescheh nisse auf der Oberfläche und in einigen Sta tionen optisch verfolgen, aber keinen Ein fluß auf ihren Verlauf nehmen. Es gab uns jedoch zu denken, daß Magantilliken so großen Wert darauf legte, daß wir uns aus der Kontrollstation entfernten. Es mußte also in ihr noch etwas geben, das äußerst wichtig war. Aber was? Es war Ra, der aus reinem Zufall die Ant wort fand. Während Fartuloon und ich syste matisch eine zweite Durchprüfung der Ge samtanlage vornahmen, lehnte er lässig an einer Schalttafel, über der zwölf Bildschirme angebracht waren. Auf ihnen tobten die Kämpfe zwischen den Robotern und den Androiden. Ra bewegte den Arm und drückte dabei versehentlich einen Hebel nach unten. Als er es bemerkte, wollte er ihn schnell wieder nach oben in die Ausgangsstellung zurück schieben, als sein Blick auf die Bildschirme fiel. Die Androiden waren mitten im Gefecht zur Bewegungslosigkeit erstarrt und ließen sich widerstandslos von den angreifenden
32 Robotern Meschanorts vernichten. Ra hatte sie alle desaktiviert. Er rief uns die Neuigkeit freudestrahlend zu und deutete auf den Hebel. Fartuloon überzeugte sich von der Richtigkeit der Funktion, indem er die Androiden noch ein mal für wenige Sekunden zu Leben erwa chen ließ, dann klopfte er Ra anerkennend auf die Schultern. »Gut gemacht, Exbarbar! Der Zufall ist manchmal wichtiger als jede Systematik und alles Spezialistentum. Jetzt haben wir den Henker an der Kandare.« Leider war unsere Freude nur von kurzer Dauer. Magantilliken meldete sich über die Nachrichtenanlage: »Ich sehe, daß ihr die Station noch nicht verlassen habt. In genau zwei Minuten eurer Zeit könnt ihr Verbindung zu dem Kugelrau mer aufnehmen. Danach entscheidet euch endgültig, auf welcher Seite ihr zu stehen gedenkt. Ich melde mich wieder.« Das war alles, aber es genügte, unsere Stimmung erheblich zu dämpfen. Wir schal teten die Telekome ein und warteten, bis die zwei Minuten vergangen waren. Dann rief ich die FARNATHIA. Morvoner Sprangk meldete sich sofort, und ehe ich eine Frage stellen konnte, spru delte es aus ihm heraus: »Atlan, dieser Magantilliken hat Kontakt mit uns aufgenommen und mit sofortiger Vernichtung gedroht, wenn ihr nicht auf sei ne Forderungen eingeht. Zum Beweis seiner Absichten hat er eine Energiewolke ange kündigt, die auch prompt angemessen wer den konnte. Sie nähert sich der FARNA THIA, die nicht mehr manövrierfähig ist. Wir sind verloren, wenn sie nicht ver schwindet. Es gibt kein Gegenmittel, denn unsere Schutzschirme sind zu schwach. Wir haben exakte Messungen vorliegen …« »Manövrierunfähig? Was heißt das? Ener giereserven?« »Keine vorhanden, alle neutralisiert, At lan! Ihr müßt etwas unternehmen, sonst dau ert es keine fünf Minuten mehr. Die Klima
Clark Darlton anlage des Schiffes ist ebenfalls ausgefallen. Wir sitzen in der perfektesten Falle, die es je gegeben hat.« »Die Beiboote im Hangar …« »Sind ebenfalls ohne Energie.« Ich sah Fartuloon an, dessen Gesicht nicht mehr so zuversichtlich aussah wie zuvor. Er zuckte die Achsein, ratlos und resignierend. Der Henker hatte uns in der Hand. Ich entschloß mich zum Nachgeben. »Gut, Morvoner, wir werden tun, was Magantilliken von uns verlangt, es bleibt uns nichts anderes übrig. Aber du versuchst, mit uns unter allen Umständen in Verbin dung zu bleiben.« »Wenn es möglich ist – natürlich.« Wir hatten keine Zeit mehr, über unsere Lage zu diskutieren, denn Magantilliken hielt sich an die fünf Minuten und meldete sich: »Euer Entschluß ist weise, und ihr werdet sehen, daß ich mein Wort halte. Ihr könnt dort bleiben, wo ihr jetzt seid, wenn ihr kei ne Kontrollen mehr berührt. Der Kampf mit Meschanort ist noch nicht zu Ende, wenn er auch bereits entschieden ist. Schiebt den He bel, den der Mann namens Ra verstellte, wieder in seine Ausgangsstellung zurück.« Fartuloon tat es für mich und fragte: »Wohin sollten wir gehen?« »Ihr bleibt, wie ich schon sagte, wenn ihr kein anderes Ziel habt. Ich werde zur Sicher heit die Ausgänge blockieren. Verfolgt den Kampf über die Bildschirme. Ihr werdet se hen, daß die Varganen noch immer über eine ausgezeichnete Technik verfügen.« Stille. Er meldete sich nicht mehr. Ringsum schlossen sich die Ausgänge. Wir waren gefangen. Es gab noch einmal Kontakt mit der FAR NATHIA. Morvoner Sprangk bestätigte, daß sich die Energiewolke zurückgezogen habe und dem Schiff in großem Abstand folge. Die Le benserhaltungssysteme an Bord arbeiteten wieder einwandfrei. Im Augenblick bestand keine Gefahr mehr für die Besatzung. Dann wurde die Funkverbindung endgül
Henker der Varganen tig unterbrochen. »In so einer dicken Tinte habe ich noch nie gesessen«, gab Fartuloon zu und hockte sich auf einen niedrigen Generatorblock. »Und Hunger habe ich auch. Ein Glück, daß wir Konzentrate mitgenommen haben.« Er begann zu essen, aber ich verspürte keinen Appetit. Mir war die Lust zu allem vergangen, und auch das Geschehen auf den Bildschirmen konnte mich nicht von unserer hoffnungslosen Lage ablenken. Dabei waren wir nicht in unmittelbarer Lebensgefahr, aber die Aussicht, in der Hand eines skrupel losen Erpressers zu sein, war alles andere als ermutigend. Was inzwischen geschah, erfuhren wir teils über die Bildschirme und teils aus Ma gantillikens späterem Bericht. Etwa so spielte es sich ab …
5. Meschanort unterdrückte seine Enttäu schung über das Verhalten seiner drei neuen Freunde, die unter dem Druck der Ereignisse zur Gegenseite überwechselten. Er hatte es ihnen selbst geraten, also wollte er ihnen auch keinen Vorwurf machen. Aber nun mußte er seine ganze Konzen tration einsetzen, um den Anschlägen des Henkers zu entgehen. Meschanort hatte nicht die geringste Ah nung, warum er und die anderen überleben den Varganen sterben mußten und nicht in die Eisige Sphäre gelangen durften, in der die restlichen Angehörigen seines Volkes lebten. Er wußte nur, daß Magantilliken der Henker war. Ein Henker, der über unvorstellbare Voll machten und Machtmittel verfügte. Die Androiden griffen erneut an und dezi mierten seine Armee der Roboter. Aber zum Glück gab es noch mehr Kampfmittel, und er kannte sie. Da fast alle Transportmittel der unterirdi schen Anlagen nicht von ihm in Betrieb ge nommen werden konnten, mußte er oft wei tere Strecken zu Fuß zurücklegen und verlor
33 viel Zeit, in der sein Verfolger Gelegenheit hatte, den Angriff neu zu formieren. Mehr als einmal mußte er blockierte Eingänge mit dem Strahler aufschweißen und sich dann gegen eine Horde von Androiden verteidi gen, die jedoch ohne klare Konzeption an griffen und daher leicht erledigt werden konnten. Es war sein Ziel, bis in die Hauptzentrale vorzudringen, in der sich der Henker aufhal ten mußte. Wenn er ihn dort stellte, hatte er eine geringe Chance zum Überleben. Zur Oberfläche konnte er nicht mehr, da alle Ausgänge geschlossen waren, und die dicken Stahltüren ließen sich nicht so leicht aufschmelzen wie die Zugänge im Innern der einzelnen Stationen, die alle miteinander in Verbindung standen. Er konnte nur von einer zur anderen hetzen und dabei hoffen, einmal die richtige zu finden. Als er durch reinen Zufall in die Kontroll station der automatischen Kampfgleiter ge riet, schöpfte er neue Zuversicht. Mit ihr konnte er die Oberfläche beherrschen, ohne sie betreten zu müssen. Allerdings würde sie ihm nicht helfen, den Kampf in den Statio nen fortzusetzen. Aber auch ein Krieg der Maschinen zögerte das wahrscheinlich un vermeidliche Ende hinaus, und für Meschan ort war jede Sekunde Leben wertvoller als alle Reichtümer. Die Flotte der Kampfgleiter ließ sich akti vieren, ehe der Henker seine Absicht be merkte. Die Ausflugluken der unterirdischen Hangars öffneten sich, und mehr als drei Dutzend der kampfstarken Gleiter schossen mit großer Beschleunigung in den Himmel Margons. Sie wurden ausnahmslos automatisch ge steuert und konnten durch Fernsteuerung Kurskorrekturen durchführen. Sie schossen mit allen Energiegeschützen auf jeden Ge genstand, der sich bewegte, sofern es nicht einer der Roboter war, die auf Meschanorts Seite standen. Aber es würde nicht mehr lan ge dauern, bis auch der Henker eine entspre chende Roboterarmee in den Kampf schick te.
34 Die Androiden vernichteten sie, wo im mer sie diese fanden. Magantilliken schickte mehrere hundert Robottanks auf das oberirdische Schlacht feld, und zwischen ihnen und den Kampf gleitern entbrannte eine gigantische Materi alschlacht mit erheblichen Verlusten auf bei den Seiten. Echtes Leben kam nicht zu Schaden, wenn man von den Tieren und Pflanzen absah, die sich zufällig zwischen den Fronten befanden. Meschanort war vollauf damit beschäftigt, seine automatischen Hilfskräfte zu dirigieren und möglichst erfolgversprechend einzuset zen. Er fügte dem Henker erhebliche Verlu ste zu, dessen Reserven jedoch unerschöpf lich schienen. Immer wieder warf er neue Automaten in den Kampf. »Vielleicht schaffe ich es doch noch, den Henker zu besiegen«, sagte er einmal laut vor sich hin, und er wußte, daß zumindest der Henker ihn hören konnte. Aber vielleicht wollte es der technische Zufall, daß auch die beiden Arkoniden und ihr dunkelhäutiger Begleiter ihn hörten. »Und dann seid gewiß, daß ich euch euer erzwungenes Verhalten nicht nachtragen werde. Ihr seid mir als Freunde willkommen, und gemeinsam wer den wir nach Ischtar suchen, die für viele Varganen das Sinnbild der Erlösung bedeu ten mag. Wünscht mir Glück, ich kann es gebrauchen …« Das Ergebnis war ein neuer und heftiger Angriff des Henkers mit ferngelenkten Flugpanzern auf die Station, in der er sich gerade aufhielt. Eine Armee von Robotern drang in sie ein, und er mußte fliehen, wenn er nicht auf der Stelle getötet werden wollte. Damit ver lor er einen wichtigen strategischen Stütz punkt und wurde abermals zu einem Gehetz ten, der um sein nacktes Leben rennen muß te. Doch er gab den Kampf noch nicht verlo ren. Noch einmal schien sich das Blatt zu sei nen Gunsten wenden zu wollen, als er nach langer Wanderung durch die Korridore tief
Clark Darlton unter der Oberfläche von Margon eine Stati on erreichte, die ohne Zweifel die Kontroll zentrale einer Klimaanlage darstellte. Von hier aus, so erkannte er blitzschnell, ließen sich Luftzusammensetzung und Temperatu ren der einzelnen Stationen regeln. Ein an der Wand angebrachter Plan vermittelte ihm zudem einen genauen Überblick auf die La ge sämtlicher unterirdischer Stützpunkte. Er benötigte nur wenige Sekunden, um seinen eigenen Standort festzustellen und herauszu finden, wo sich das Hauptquartier des Hen kers befand. Ein raffinierter Schaltplan, un mittelbar daneben angebracht, ermöglichte ohne besondere Vorkenntnisse die Inbetrieb nahme der Anlage und genaue Zieleinschal tung. Meschanort handelte schnell, überlegt und eiskalt. Der Henker war im Hauptquartier, daran konnte kein Zweifel bestehen. Er mußte in der zentralen Kontrollstation sein, wenn er alle zur Verfügung stehenden Kampfeinhei ten einsetzen wollte. Jede Station war von der anderen isoliert, wenn die Zugänge her metisch abgeriegelt wurden. Das war der Fall. Die zentrale Kontrollanlage war etwa fünfzig Kilometer von Meschanorts Standort entfernt. Da es mit Sicherheit noch intakte Transportmöglichkeiten gab, bedeutete das nichts. Meschanort war sich nicht sicher, ob sein jetziger Angriff erfolgreich sein würde, aber er mußte es versuchen. Zuerst stoppte er die Zufuhr der Frischluft für die zentrale Kontrollanlage, um dann so fort eine drastische Temperatursenkung vor zunehmen. Gleichzeitig ließ er die Pumpen anlaufen, die normalerweise die Aufgabe hatten, verbrauchte Luft aus den unterirdi schen Räumen abzusaugen. Da jedoch keine neue mehr nachdringen konnte, mußte die Kontrollanlage in wenigen Minuten in ein Vakuum verwandelt werden, falls alle Aus gänge hermetisch verschlossen waren. Das Ergebnis seiner Aktion konnte er an den Meßinstrumenten ablesen. Das waren der Luftdruck und die Temperatur. Auf ei
Henker der Varganen nem dritten Instrument las er die Tourenzahl der Pumpen ab. Die Veränderung auf der Plankarte beruhigte ihn vollends: Der Teil, der das Hauptquartier des Henkers bezeich nete, färbte sich allmählich rot. Doch Meschanorts Freude war nur von kurzer Dauer. Hinter ihm war plötzlich die Stimme des Henkers, und als er herumfuhr, sah er das Gesicht des Verhaßten auf einem Bild schirm. »So also wolltest du mich besiegen, Me schanort. Fein ausgedacht, aber umsonst. Ich habe den Druckabfall und die sinkende Temperatur sofort bemerkt, noch bevor bei des richtig begann. Ich brauchte nur in einen Nebenraum zu gehen und die Tür zu ver schließen, das war alles. Die Gegenschal tung ist bereits in Aktion getreten, und deine Anlage wird desaktiviert. Gib auf, dir kann nichts mehr helfen.« »Du bist der Satan!« keuchte Meschanort in verzweifelter Wut. »Ich bin der Henker«, korrigierte Magan tilliken. »Das ist ein Unterschied. Was hät test du übrigens mit mir gemacht, wenn ich auf deinen Trick hereingefallen wäre? Mich im letzten Moment gerettet?« »Ich hätte deine vereiste Leiche in eine Umlaufbahn gebracht, damit du für alle Zei ten als abschreckende Mahnung Margon umkreist hättest!« Magantillikens Gesicht verzog sich zu ei ner Grimasse. »Besten Dank für die Anregung. Viel leicht hast du mir jetzt eben dein eigenes Schicksal geschildert. Ich muß also dafür sorgen, daß meine Kampfmaschinen dich nicht zerstören, denn ich brauche deinen Körper unversehrt. Sei also vorsichtig, wenn du stirbst …« Der Bildschirm erlosch. Meschanort hockte vor den Kontrollen und versuchte, seine Fassung zurückzuge winnen. Er hatte eine entscheidende Nieder lage erlitten, daran konnte es keinen Zweifel geben, aber damit war die Schlacht noch nicht endgültig verloren. Wenn der Henker
35 die gesamte Gegenschaltung aktiviert hatte, nützte ihm diese Station hier nichts mehr. Er mußte weiter – aber wohin? Der Henker fand ihn überall. Aber er wollte ihn heil und in einem Stück, das schränkte seine Mittel ein. Vor allen Dingen durfte Meschanort sich von nun ab nicht mehr zu lange in derselben Sta tion aufhalten, denn Magantilliken kontrol lierte jetzt die Klimaanlage. Selbst schlafen durfte er nicht, denn er war keine Sekunde vor dem Anschlag sicher, und wenn er nicht wachte, konnte er um so leichter ersticken oder erfrieren. Er nahm seine Waffe und hastete weiter. Einmal fand er sogar einen noch funktionie renden Lift, der ihn weiter in die Tiefe brachte. Auf einem Rollband legte er mehr als zwanzig Kilometer zurück, und wenn er sich nicht in der Richtung irrte, war er dem Hauptquartier des Henkers ein gutes Stück nähergekommen. Einmal wurde er von Androiden angegrif fen, die er jedoch leicht abwehren konnte. Er wußte selbst nicht, wohin er wollte und was er damit erreichte, ihm ging es nur darum, immer wieder seinen Aufenthaltsort zu wechseln, damit dem Henker keine Zeit blieb, einen Teil der unterirdischen Anlage unter Gas zu setzen oder luftleer zu pumpen. Das Labyrinth unter der Oberfläche von Margon war ein gigantisches Höhlensystem, mit Hilfe einer schier unglaublichen Technik geschaffen und mit Anlagen gespickt, die unmöglich nur dem einen Zweck dienen konnten, den Planeten allein zu kontrollie ren. Meschanort vermutete, daß auch später, als Margon bereits zu den versunkenen Wei ten zählte, noch weiter an den Stationen ge baut worden war. Vielleicht war es der Hen ker selbst gewesen, der sich unter der verlas senen Welt einen uneinnehmbaren Stütz punkt einrichtete, der ihm später sehr gut auch einmal als Schlupfwinkel dienen konn te. Wenn die Befehlsgeber in der Eisigen Sphäre jemals ihre Meinung über ihn änder ten, war er darauf vorbereitet.
36 Meschanort erreichte einen Teil der Anla ge, der Wohnzwecken gedient hatte. Hier hatte nicht mehr die Technik den Vorrang, sondern die Bequemlichkeit der verschwun denen Besatzung. Es gab gut eingerichtete Aufenthaltsräume mit sanitären Anlagen, so gar ein großes Schwimmbad war vorhanden, und eine ganze Reihe von fast luxuriös an mutenden Appartements. Er machte sich daran, nach verborgenen Kameras zu suchen, entdeckte aber keine. Dann setzte er sich auf eins der Betten und stützte den Kopf in die Hände. Er spürte die Müdigkeit, die ihn zu übermannen drohte, jetzt mehr denn je zuvor. Das Bett war zu verlockend. Aber er bekämpfte den Drang, sich eben falls hinzulegen und zu schlafen. Zwar glaubte er daran, daß der Henker ihn im Au genblick aus den positronischen Augen ver loren hatte, aber er konnte nicht absolut si cher sein. Auf der anderen Seite würde Ma gantilliken, wenn er der Jagd müde wurde, einfach die Ausgänge hermetisch abriegeln. Meschanort raffte sich noch einmal auf und erhob sich, um jetzt nicht einzuschlafen. Ein Bad würde ihn erfrischen. Er zog sich aus und suchte die Schwimmhalle auf, die er zuvor entdeckt hatte. Das Becken war halb gefüllt, das Wasser nicht zu kalt. Instinktiv stieg er vorsichtig hinein, um keinen Lärm zu verursachen, so unsinnig das auch sein mochte. Die frische Kühle be lebte ungemein, und mit kräftigen Stößen durchquerte er mehrmals das Becken. Er spürte, wie seine Kräfte zurückkehrten – und damit auch seine Zuversicht, doch noch einen Ausweg zu finden. Er wurde grausam enttäuscht. Als er über die kurze Leiter aus dem Becken stieg und sich an dessen Rand nie derließ, um zu trocknen, hörte er Magantilli kens Stimme. Sie schien aus allen Richtun gen zu kommen und wurde von den kahlen Wänden der Schwimmhalle mehrfach zu rückgeworfen. »Du bist ein guter Schwimmer, Meschan ort, und wenn es die alten Zeiten noch gäbe
Clark Darlton und unsere Tradition lebendig geblieben wä re, hätte ich dich für den Wettbewerb vorge schlagen. Doch nun ist es dazu viel zu spät. Es war dein letztes Bad, Meschanort.« Meschanort blieb ganz ruhig sitzen und unterdrückte den Impuls aufzuspringen und davonzurennen. Die Tür hinter ihm war of fen. Sie schloß sich auch nicht, als er prü fend hinter sich blickte. »Ein Bad würde auch dir nicht schaden, Henker«, sagte er ruhig. »Komm her, dann tragen wir unseren Kampf im Wasser aus.« Das Lachen wurde zu einem teuflischen Inferno und verhallte in dem langen Gang, der zu den Aufenthaltsräumen und den Ap partements führte. »Eine ausgezeichnete Idee, aber leider kommt sie zu spät. Nie und nimmer würde ich in das Wasser steigen, das dir so gut ge fiel. Es enthält nämlich einige Zutaten, die dem Körper eines Varganen nicht sonderlich zuträglich sind. Das beste daran ist ein Kon servierungsmittel.« Meschanort blieb regungslos sitzen. »Du willst mich nur erschrecken«, sagte er dann tonlos. Wieder das grauenhafte Gelächter des Henkers, dann: »O nein, mein sterbender Freund, ich will dich nicht bluffen oder erschrecken. Ich möchte dir den guten Rat geben, dich nun endlich zum Schlaf niederzulegen, aus dem du dann allerdings nicht mehr erwachen wirst. Doch das ist besser, als wach auf den sicheren Tod zu warten, der bereits in dir ist. Spürst du noch nicht die seltsame Kälte, die langsam von den Füßen nach oben kriecht? Wenn sie dein Gehirn erreicht, stirbst du. Aber wie ich dir schon sagte: erwarte den Tod im Schlaf, dann kommt er leichter und ohne Angst.« Meschanort sah hinab auf seine Füße, die auf dem Rand des Schwimmbeckens stan den. Sie verloren allmählich ihre gesunde goldene Farbe und wurden gelblich. Er fror plötzlich. »Warum soll ich schlafend sterben, nur weil der Tod dann leichter für mich ist? Ich
Henker der Varganen glaube nicht an dein Wohlwollen, Henker.« »Dann irrst du dich. Ich bin nicht unnötig grausam, Meschanort, denn ich fürchte den Tod genauso wie du. Man hat mich zum Henker bestimmt, und ich erfülle meine Aufgabe, so gut ich es kann. Aber ich quäle niemanden, auch wenn er es verdient hätte. Du hättest einen schlimmeren Tod verdient, denn du hast mir eine Menge Schwierigkei ten bereitet und sogar versucht, mich umzu bringen. Meine einzige Rache besteht nur darin, dir genau das Schicksal zu bereiten, das du mir zudachtest. Du bist es, der für al le Ewigkeiten den Planeten Margon umkrei sen wird.« »Darum also das Konservierungsmittel, obwohl es überflüssig gewesen wäre …«, murmelte Meschanort. »Wenn du gestorben bist, weiß ich nicht, wann ich Zeit haben werde, dich in den Weltraum zu schaffen – deshalb. So, und nun genug der Worte. Die Kälte dürfte be reits deine Knie erreicht haben. Begib dich zu Bett, ehe die Beine dir den Dienst versa gen und du dort in der Schwimmhalle stir bst. In einem Fach über den Kopfkissen fin dest du ein Schlafmittel …« Meschanort legte die Hand auf seine Knie und spürte die eisige Kälte, die sie ausström ten. Der Tod kroch immer höher. Er hatte das Duell gegen den Henker verloren, des sen einzige Rache darin bestand, ihn, wenn auch nicht qualvoll, so doch langsam und bewußt sterben zu lassen. Etwas mühsam erhob er sich und schwankte zur Tür. Er mußte sich mit den Händen an der Wand abstützen, so schwach fühlte er sich plötzlich. Die Beine drohten nachzugeben, aber er wollte unter allen Um ständen noch das Bett erreichen, das ihm vorher so verlockend erschienen war. Er verfluchte die Tatsache, daß er sich nicht gleich hingelegt und geschlafen hatte, aber dann wäre dem Henker sicherlich etwas an deres eingefallen. Er taumelte in das Appartement und sank in die weichen Polster. Die Kälte hatte in zwischen die Oberschenkel erreicht. Und sie
37 kroch unaufhaltsam weiter. Er streckte sich lang aus und schloß die Augen. Ob der Henker ihn mit Hilfe einer versteckten Kamera, die unauffindbar gewe sen war, jetzt beobachtete und sich an sei nem Sterben erfreute? Vielleicht blieb ihm aber auch keine Zeit dazu, wie er angedeutet hatte. Die drei Fremden beschäftigten ihn. Vielleicht hätte er noch die Kraft gehabt, jetzt seinen Strahler zu erwischen und sich selbst zu töten, und zwar so, daß selbst der Henker ihn nicht mehr wiedererkannt hätte. Damit hätte er seinen letzten Plan vereitelt, aber dann verwarf er den verrückten Plan wieder. Wozu das? Nein, das war sinnlos und überflüssig. Der Tod war leichter, wenn er im Schlaf kam. Und er war schon so müde und konnte sich kaum noch rühren. Noch einmal öffnete er die Augen, um das von der Welt sehen zu können, was für ihn übriggeblieben war – ein wohnlicher Raum mit Tisch und Sesseln, eingebaute Schränke, ein Bett – und die kah le Decke darüber. Langsam dämmerte er hinüber, und seine letzten Gedanken enthielten keine Bitterkeit mehr, denn sie galten den drei Fremden, de nen keine andere Wahl geblieben war, als ihn im Stich zu lassen. So schlief er ein – und starb.
6. Ich hatte Stunden geschlafen und fühlte mich ein wenig erfrischt. Ein richtiges Bett wäre mir lieber gewesen, aber das stand uns leider nicht zur Verfügung. Fartuloon schnarchte noch friedlich, aber Ra war bereits erwacht. Er musterte mich mit finsteren Blicken, ehe er sagte: »Magantilliken hat sich gemeldet, aber er wollte deine Ruhe nicht stören. Ich traue sei ner Freundlichkeit nicht, Atlan. Er ist falsch und hinterhältig, denn er will Ischtar töten.« »Das ist noch nicht bewiesen«, hielt ich ihm entgegen, denn ich wußte bald selbst nicht mehr, was ich glauben sollte und was nicht.
38 »Aber er hat Meschanort auch getötet.« »Wie kommst du darauf? Noch kämpfen die beiden, und …« »Nein, Meschanort ist tot! Magantilliken hat mir seine Leiche gezeigt. Du wirst sie auch noch sehen. Der Kampf ist beendet, und der Henker hat seine Arbeit getan.« Ich gab keine Antwort und richtete mich auf. Wir befanden uns noch immer in der Schaltzentrale, von der aus wir die Andro iden lahmgelegt hatten. Ich stieß Fartuloon mit dem Fuß an, bis er mit einem unwilligen Grunzen endlich erwachte. Er hatte einen Schlaf, um den man ihn beneiden konnte. »Was ist denn? Kann man nicht einmal in Ruhe … o ha!« Er richtete sich ebenfalls auf. »Und ich hatte so schön geträumt …« »Keine Zeit zum Träumen«, klärte ich ihn auf. »Ra behauptet, daß Meschanort erledigt ist. Er hat seine Leiche gesehen, denn Ma gantilliken zeigte sie ihm. Ich nehme an, der Henker wird sich bald melden.« Fartuloon nickte mehrmals. »Ja, das wird er wohl, denn nun hat er Zeit für uns. Ich bin gespannt, was er sich ausgedacht hat. Jedenfalls sind wir in seiner Hand. An seinen Handlungen werden wir ihn erkennen.« »Weise Worte«, warf Ra ihm unverblümt vor. »Dieser Vargane hat die ganze Zeit ge handelt, ohne daß wir seinen Charakter oder seine wahren Absichten bisher erkennen konnten. Wir werden uns damit zufrieden geben müssen, weiterhin Rätsel zu raten.« »Streitet euch doch nicht!« protestierte ich. »Wir wissen, was Magantilliken von uns will, und er wird hoffentlich wissen, was wir als Preis für unsere Mitarbeit verlan gen.« Ra warf mir einen wütenden Blick zu. »Ja, Ischtar!« Ich schüttelte den Kopf. »Du solltest keine voreiligen Schlüsse ziehen, Ra. Ischtar lockte uns hier in eine Falle und ich sehe nicht ein, daß wir ihr da für dankbar sein sollen.« Ich versuchte, ihm möglichst unauffällig zuzublinzeln, damit eine versteckte Kamera es nicht erfassen
Clark Darlton konnte, war mir aber nicht sicher, ob er es bemerkte. »Wenn uns also Magantilliken hilft, den Stein der Weisen zu finden, werde ich ihm meine Unterstützung auch nicht ver sagen. Du mußt das endlich begreifen, Ra. Unser Leben hängt davon ab, wie wir uns verhalten. Du hast Meschanorts Leiche gese hen. Ich möchte nicht auch deine bewundern müssen.« Fartuloon bekam ein ausdrucksloses Ge sicht, das mir nur zu gut verriet, daß er mich verstanden hatte. Es war ihm klar, daß der Henker uns belauschte und sogar optisch be obachtete. Wir mußten sein Vertrauen ge winnen, um überhaupt etwas für uns zu er reichen. Ein mieses Verfahren, aber es gab kein besseres in unserem Fall. Das schien nun zum Glück auch Ra end lich zu begreifen. Er blickte mich kurz an, ehe er sagte: »Also gut, ich richte mich nach euch. Ma chen können wir so und so nichts gegen die sen Magantilliken. Aber ich bin strikt dage gen, daß wir auch Ischtar in eine Falle locken. Wenn es ihr so ergeht wie Meschan ort …!« »Was dann?« »Dann bringe ich Magantilliken eigenhän dig um!« Ich lächelte extrem kalt, damit der Henker es auch deutlich sah. »Hat Meschanort das nicht auch ver sucht?« Endlich schwieg Ra. Mir wurde das Ge spräch ohnehin schon peinlich, denn wenn wir uns noch weiter in diese konträre Rolle hineinspielten, konnte leicht Ernst aus dem Spiel werden. Außerdem wurde ich das Ge fühl nicht los, daß der Henker uns durch schaute. Ihm war bewußt, daß wir seine Überwachungstätigkeit zumindest ahnten. Da er uns zweifellos für intelligent hielt, würde er sich nicht vorstellen können, daß wir so dumm waren, unsere wahren Gedan ken und Gefühle so offen preiszugeben. Er mußte wissen, daß wir Theater spielten. Fartuloon knurrte unwillig: »Jetzt treiben wir uns lange genug in die
Henker der Varganen sem unterirdischen Labyrinth herum, ohne etwas erreicht zu haben. Wie wäre es denn, wenn Magantilliken sich endlich meldete und uns einen annehmbaren Vorschlag un terbreitete?« Er sah hinauf zur Decke, wo er wahrscheinlich Kamera und Mikrophon ver mutete. »He, Magantilliken! Melden Sie sich! Wenn Sie Meschanort wirklich erledigt haben, werden Sie wohl endlich Zeit für uns haben. Wir machen Ihnen einen Vorschlag.« Obwohl ich nicht damit gerechnet hatte, erfolgte sofort eine Antwort: »Sie haben mir einen Vorschlag zu ma chen? Sehr interessant. Ihr Freund Ra wird Ihnen berichtet haben, daß Meschanort tot ist. Um nun meinen Vorschlag zu hören, un terbreiten Sie mir einen. Das ist eine völlig neue Verhandlungsführung. Aber gut, ich stimme zu. Verlassen Sie die Station, in der Sie sich jetzt aufhalten. Folgen Sie nur den Gängen, in denen automatisch das Licht auf flammt, dann gelangen Sie zu einem Lift, der Sie an die Oberfläche bringt. Dort werde ich Sie erwarten. Aber ich möchte Sie war nen. Die unterirdische Anlage steht ständig unter meiner Kontrolle, auch jener Teil, der Ihren Kugelraumer festhält. Sollte mir etwas zustoßen, wird automatisch die Vernich tungsvorrichtung ausgelöst. Ich erwarte also von Ihnen ein faires Verhalten.« »Wir werden die Station in fünf Minuten verlassen«, versprach Fartuloon. Dann sah er Ra und mich an. »Bringt eure müden Knochen in Schwung, Kameraden, es geht an Licht und Sonne. Ehrlich gestanden, ich bin diese Höhlen endgültig satt. Hinauf an die frische Luft!« Es war mit Hilfe des Henkers einfach, den richtigen Weg zu finden. Noch bevor wir einen der vielen Gänge betreten konnten, flammte in einem das Licht auf. Auch die Laufbänder funktionierten nun wieder, und so erreichten wir in kürzester Zeit einen Lift, der uns nach oben brachte. Draußen war Vormittag. Die Sonne stand noch nicht im Zenit. Es war warm und wol kenlos. Aber in der Zwischenzeit mußte es geregnet haben, denn das Gras war noch
39 feucht. Wir standen auf einem Felsplateau über einer Ebene, die mir unbekannt war. Wir hatten keine Ahnung, wohin wir uns wenden sollten. Da deutete Fartuloon nach oben in den Himmel. »Ein Gleiter, dort oben! Entweder kommt er, um uns das Lebenslicht auszublasen, was ich für unwahrscheinlich halte, oder er will uns an unseren Bestimmungsort bringen. Besonders lieb wäre mir natürlich der Lan deplatz unseres Beiboots, weil ich darin noch einige besonders appetitliche Vorräte vermute.« Von irgendwoher kam noch einmal Ma gantillikens Stimme: »Der Gleiter wird euch dorthin bringen. Steigt ein!« Er landete dicht vor uns. Der Einstieg öff nete sich automatisch. Ich zuckte die Schul tern und ging voran. Es gab keinen Piloten, und es war auch keiner notwendig. Der Glei ter wurde ferngelenkt. Als sich die Luke schloß, meinte Fartu loon: »Magantilliken hat so ziemlich alles zur Verfügung, was man sich nur vorstellen kann. Die Technik eines ganzen Planeten gehört ihm. Und sie gehorcht ihm auch. Er muß ein sehr mächtiger Vargane sein.« Es war mir klar, daß er das nur für die Ohren des Henkers sagte. Er wollte sein Vertrauen gewinnen. Das war alles. Der Gleiter startete und landete knapp zehn Minuten später an dem uns bekannten Platz. Unser Beiboot stand unverändert im Schatten der niedrigen Bäume, aber die An droiden waren verschwunden. Kaum waren wir ausgestiegen, da schloß sich die Luke, der Gleiter startete wieder und verschwand. Fartuloon machte sofort die Probe aufs Exempel und kletterte in unser Beiboot. We nig später kehrte er mit einem Paket zurück. »Die Notverpflegung«, sagte er grinsend und begann, den Verschluß zu lösen. »Ich erinnere mich meiner Anordnungen auf Kraumon. Ich habe befohlen, daß die Not
40 verpflegung aus psychologischen Gründen besonders schmackhaft sein soll. Nicht nur Konzentrate, sondern auch konservierte Genüsse der arkonidischen Welten. Ich lade euch zu einem Festmahl ein, Freunde. Manchmal ist es das letzte …« Ich fand seinen Humor makaber, aber ge gen eine gute Mahlzeit hatte ich nichts ein zuwenden. Mein Versuch, Funkverbindung zur FARNATHIA aufzunehmen, war fehl geschlagen. Aber das hatte nichts zu bedeu ten. Der Henker konnte sich nicht gleichzei tig um alles kümmern. Ra sammelte Holz und entfachte im In nenhof des Gebäudes ein Lagerfeuer. Das war eine Angewohnheit, die ihm noch von früher im Blut steckte, und niemand hinderte ihn daran. Fartuloon lehnte sich schließlich ins Gras zurück. Er strich sich zufrieden über den Bauch. »Das tat gut. Nun kann Magantilliken er scheinen. Satt läßt es sich besser verhandeln. Was meinst du, Atlan?« »Je früher, desto besser«, stimmte ich zu. »Ich bin diese Ungewißheit leid. Außerdem muß ich wissen, was aus Morvoner und der Besatzung geworden ist. Ehe ich das nicht erfahre, mache ich den Mund nicht auf – falls Magantilliken wirklich erscheint.« »Er wird!« betonte Fartuloon überzeugt. »Und nun werde ich ein wenig die Augen schließen und dösen. Das erneuert das Denkvermögen.« Auch Ra streckte sich lang aus und schloß die Augen. Mir konnte das nur recht sein, denn ich brauchte Ruhe, um nachdenken zu können, und das schien mir jetzt dringend notwendig zu sein. So unsympathisch mir Magantilli ken, der Henker, auch sein mochte, wir alle waren auf seine Hilfe und Zusammenarbeit jetzt angewiesen. Mir war klar, daß er uns nicht ohne triftige Gründe verschont hatte, aber das spielte bei der Beurteilung unserer Lage keine Rolle. Zum erstenmal kamen mir wieder Zwei fel, ob nicht Meschanort der Lügner gewe
Clark Darlton sen war. Vielleicht war er wirklich wahnsin nig geworden und hatte die Kontrolle über sich verloren, nachdem wir ihn geweckt hat ten. Vielleicht handelte Magantilliken legal und im Interesse der Varganen, auch wenn er gezwungen worden war, Meschanort zu töten. Ohne eine Antwort auf meine Fragen zu finden, schlief ich schließlich ein, obwohl die Sonne direkt über mir stand. Als ich erwachte, dämmerte der Abend, und das Feuer war fast niedergebrannt.
* Magantilliken kam mit einem flachgebau ten Fluggleiter und landete dicht neben un serem Beiboot. Als er ausstieg, flatterte sein blauer Umhang im lauen Abendwind. So weit ich beobachten konnte, trug er keine Waffe bei sich. Aber ich war fest davon überzeugt, daß er sich anders abgesichert hatte. »Es ist gut«, sagte er nach der knappen Begrüßung, »daß Sie nicht versucht haben, mit Ihrem Boot zu starten. Es wäre in tau send Metern Höhe ganz von selbst deto niert.« Trotz Fartuloons finsterem Gesicht hielt ich das für eine ganz vernünftige und logi sche Vorsichtsmaßnahme Magantillikens. An seiner Stelle hätte ich sicherlich ähnlich gehandelt. Als wir keine Antwort gaben, fuhr er fort: »Ich versichere Ihnen noch einmal, daß ich Meschanort aus Selbstverteidigung töten mußte, außerdem hatte ich den Befehl dazu. Er war wahnsinnig, daran kann kein Zweifel bestehen. Er war schon wahnsinnig, bevor er in Tiefschlaf versenkt wurde. Auf Ihre Fra ge, warum er nicht schon früher unschädlich gemacht wurde, kann ich Ihnen keine Ant wort geben, denn ich kenne sie selbst nicht.« »Wirklich nicht?« erkundigte sich Fartu loon spöttisch. Ich jedenfalls beschloß, nun wieder höfli cher als kurze Zeit zuvor zu sein und diplo matischer vorzugehen. Es hatte in unserer
Henker der Varganen Situation wenig Sinn, den Unmut des soge nannten Henkers hervorzurufen. »Ich werde versuchen, Ihnen Glauben zu schenken, aber Sie werden einsehen, daß Ih re Handlungsweise eine Menge Vermutun gen entstehen läßt. Meschanort nannte Sie einen Henker, und Sie haben ihn hingerich tet. Nun suchen Sie Ischtar, und wenn Me schanort die Wahrheit sprach, werden Sie auch sie töten wollen. In diesem Fall sind wir nicht gewillt, Ihnen bei der Suche nach ihr behilflich zu sein.« Magantilliken hob den Umhang und setz te sich auf einen Stein, der neben unserem Lagerfeuer lag. Ra rückte ein wenig zur Sei te, als habe er Angst, der Stoff des Umhangs könne ihn berühren. Fartuloon blieb im Gras liegen, die Hände unter dem Kopf ver schränkt. Selbst auf mich wirkte er in die sem Augenblick mehr als nur unhöflich. »Natürlich werden Sie mir helfen, soweit Sie dazu überhaupt in der Lage sind. Sie wissen selbst nicht, wo sie sich aufhält. Gut, Ischtar hat Sie hierherbestellt. Aber ist sie vielleicht hier? Haben Sie eine Spur von ihr entdecken können? Ich jedenfalls nicht.« »Was wollen Sie von ihr?« fragte ich nüchtern. Er lächelte maliziös. »Wieder stellen Sie eine Frage, die ich nicht beantworten kann. Ich will mit ihr sprechen – mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Und ich war ebenfalls mit ihr auf Margon verabredet. Nun überlegen Sie doch einmal selbst, warum Ischtar Ihnen posthypnotisch die Daten dieses Planeten gab. Damit Sie mir, dem Henker, in die Hände fielen?« Sein Lächeln verschwand. »Auf so eine Freundin würde ich verzichten.« Der Hieb saß. Auch Ra machte ein betrof fenes Gesicht. Lediglich Fartuloon drehte sich auf die andere Seite und wandte uns sei nen breiten Rücken zu. Ihn schien das Ge spräch nicht mehr zu interessieren. Magantilliken hatte recht. Wenn er wirk lich der Henker war, als den Meschanort ihn bezeichnet hatte, waren wir von Ischtar be wußt in eine Falle gelockt worden, falls es
41 wirklich stimmte, daß sie auch mit ihm hier verabredet war. Ich begann allmählich, an meinem eige nen Urteilsvermögen zu zweifeln. Alles schien so unlogisch und widersinnig. Natür lich hätte alles eine einfache Erklärung ge funden, wenn Magantilliken nicht der Hen ker der Varganen wäre, aber eben das wußte ich nicht. Immerhin hatte er Meschanort ge tötet. In meine Zweifel hinein sagte Magantilli ken: »Ihr sucht den Stein der Weisen, wie ich vernahm. Um ehrlich zu sein, ich weiß nicht, wo er zu finden ist, aber sicherlich wäre es mir möglich, euch diese oder jene Spur zu zeigen. Es gibt sie überall, auf fast allen Pla neten des Universums, man muß nur verste hen, sie zu finden. Man muß vage Hinweise deuten und ihnen folgen. Nur wer nicht zu früh aufgibt, hat eine Aussicht auf Erfolg.« »Sie erzählen uns nichts Neues«, machte ich ihn aufmerksam. »Was wir brauchen, sind handfeste Hinweise, eben eine deutliche Spur. Mit vagen Andeutungen ist uns nicht gedient, Magantilliken.« »Sie können nicht verlangen, daß ich euch gleich jetzt zum Stein der Weisen bringe, Atlan. Immer der Reihe nach.« Fartuloon drehte sich wieder um und sag te: »Na schön, immer der Reihe nach, damit bin auch ich einverstanden. Sind wir nun Gefangene oder Ihre Partner? Ich meine, ei ne Hand wäscht die andere. Fangen wir also mit der Wäsche an.« »Wie meinen Sie das?« fragte Magantilli ken. »Ist doch ganz einfach: Sie geben uns die volle Bewegungsfreiheit zurück und löschen auch das Neutralisationsfeld, das die FAR NATHIA bindet. Mit anderen Worten: be handeln Sie uns wie Verbündete, nicht wie Gefangene. Dann reden wir weiter.« »Das ist leider noch unmöglich. Ich gehe niemals ein Risiko ein, auch wenn ich begin ne, Ihnen zu vertrauen.« »Dann eben nicht!« Fartuloon rollte sich
42 wieder zur Seite. »Ich bin müde und möchte schlafen.« »Daran würde Sie niemand hindern. Ich verhandele weiter mit Atlan, er scheint mehr Verstand zu besitzen als Sie.« Er wandte sich mir wieder zu. »Ich hoffe, Sie haben Verständnis für meine Vorsicht. Ich bin da zu verpflichtet worden, und von ihr hing schon mehrmals mein Leben ab. Ich suche Ischtar, Sie suchen den Stein der Weisen. Sie haben Informationen über Ischtar, ich über den Stein der Weisen. Die Vernunft ge bietet uns, zusammenzuarbeiten, damit wir beide unser Ziel erreichen. Ich verstehe nicht, was es da noch zu überlegen gibt.« Von seinem Standpunkt aus gesehen, hat te er natürlich recht, aber was überhaupt war sein Standpunkt? Doch was immer er auch von Ischtar wollte, wirklich helfen konnte ich ihm auch nicht, denn weder ich noch Fartuloon oder Ra wußten, wo sie sich auf hielt. Sollte ich Magantilliken gegenüber ehrlich sein? Vielleicht war es besser, denn früher oder später erfuhr er doch die Wahr heit. »Die Frage ist nur«, sagte ich schließlich, »wer wem mehr helfen kann. Wir Ihnen – oder Sie uns. Ich fürchte, allzuviel können wir Ihnen nicht verraten. Ich bekam, die Da ten von Ischtar, und das noch posthypno tisch. An sonst etwas kann ich mich nicht mehr erinnern. Wenn noch ein Wissen vor handen ist, dann schlummert es in meinem Unterbewußtsein und müßte erst wieder her vorgeholt werden.« Fartuloon drehte sich sehr schnell wieder um und warf mir einen warnenden Blick zu, den natürlich auch Magantilliken bemerkte. »Du redest zuviel, Atlan!« knurrte er zor nig. Ich konnte ihm nicht erklären, warum ich diese Situation bewußt herbeigeführt hatte. Wenn in meinem Unterbewußtsein wirklich noch weitere Daten und Kenntnisse vorhan den waren, so war ich an ihnen mindestens genauso interessiert wie Magantilliken. Wahrscheinlich verfügte er über die techni schen Mittel, mein Unterbewußtsein zu er
Clark Darlton forschen, und wenn er die Daten erfuhr, dann auch ich. Zumindest hoffte ich das. »Wenn ich wollte«, sagte Magantilliken, zu Fartuloon gewandt, »würdet ihr alle noch viel mehr reden, aber ich möchte, daß ihr freiwillig meine Verbündeten werdet. Ich hasse Gewaltanwendung, wenn sie sich ver meiden läßt. Das Bloßlegen des Unterbe wußtseins ist ein einfacher technischer Vor gang, der mit keinen Unannehmlichkeiten verbunden ist. Auch posthypnotisch veran kertes Wissen tritt zu Tage und bleibt kein Geheimnis mehr. Außerdem erfahre ich so, ob Sie die Wahrheit gesprochen haben, At lan, und das kann für uns alle nur von Vor teil sein, besonders aber für Sie und die Be satzung Ihres Schiffes. Ich meine, da gibt es nichts mehr zu überlegen.« »Und was ist mit dem Stein der Weisen?« »Eins nach dem anderen, Atlan. Ich bin in der besseren Position, also verlange ich auch die erste Anzahlung. Meine Leistung richtet sich nach dem, was Sie mir anzubieten ha ben.« Er erhob sich und deutete zum Bei boot. »Mein Gleiter wird mich in wenigen Minuten abholen. Sie begleiten mich, Atlan. Ich bringe Sie so schnell wie möglich wie der hierher zurück. Sie, Fartuloon und Ra, werden die Freundlichkeit haben, hier zu warten. Es wird eine laue Nacht, und wie ich weiß, lieben Sie beide den Schlaf unter frei em Himmel.« Er gab mir einen Wink, ihm zu folgen. Fartuloon hielt mich am Ärmel fest. »Ich fürchte, du hast einen großen Fehler gemacht, Atlan. Nun wird er alles erfahren, was wir nicht einmal selbst wissen.« »Du verrätst Ischtar!« hielt Ra mir vor. Ich schüttelte den Kopf. »Warten wir es ab, meine Freunde. Der Weg, den ich jetzt gehe, scheint mir der ein zige zu sein, der uns dem Ziel ein kleines Stück näher bringt. Wenn ihr eine bessere Lösung gewußt hättet, wäre sie euch sicher lich rechtzeitig eingefallen. Aber ihr habt geschwiegen. Wartet also mit eurer Kritik, bis wir alles hinter uns haben. Morgen früh
Henker der Varganen kehre ich zurück.« Ich folgte Magantilliken, der in die andere Richtung blickte, bis der Gleiter auftauchte und sanft landete. Fast hatte ich das Gefühl, der Vargane könne ihn mit den bloßen Ge danken lenken und den Kurs bestimmen. Er wurde mir immer unheimlicher. Wir stiegen ein, und bald war das Lager feuer, an dem meine beiden Freunde die Nacht verbrachten, nur noch ein winziger Lichtpunkt in der schnell heraufziehenden Dämmerung. Vor mir lag das Unbekannte.
* Magantilliken hatte mich in eine fast hun dert Kilometer vom Landeplatz des Beiboots entfernte Station gebracht. Sie lag tief unter der Oberfläche und wirkte fast neu. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß sie noch aus der alten Zeit stammte. »Legen Sie sich hin und ruhen Sie«, hatte er zu mir gesagt und war verschwunden. Ich nahm an, daß er noch einige Vorberei tungen treffen mußte und befolgte seinen Rat. Im Augenblick fühlte ich mich sicher. Zwar konnte ich nicht einschlafen, aber ich schloß die Augen und dachte nach. Beging ich wirklich einen Fehler, wie Fartuloon behauptete? Ich war mir nicht mehr so sicher, richtig und klug zu handeln, aber auf der anderen Seite hatte es wenig Sinn, Magantilliken zur Gewaltanwendung zu zwingen. Er würde auf jeden Fall erfah ren, was er wissen wollte, und so sicher war es auch nicht, daß in meinem Unterbewußt sein spezielle Kenntnisse schlummerten. Eine weitere Überlegung kam hinzu: Wenn Magantilliken wirklich der Henker der Varganen war, mußte Ischtar das wissen, und sie würde mir dann niemals Kenntnisse übermittelt haben, die ihr schaden konnten, falls Magantilliken sie erfuhr. Denn sie selbst hatte mich ja nach Margon bestellt, und sie mußte wissen, daß Magantilliken sie ebenfalls hier erwartete. Doch was nützen alle Vermutungen, wenn
43 die Erkenntnis ausbleibt? Ich mußte doch ein wenig eingeschlafen sein, denn ich schrak hoch, als Magantilli ken sagte: »Es wird Zeit, Atlan. Alles ist vorbereitet. Sie können liegenbleiben, das Bett bringt Sie ins Labor.« Es schien zu schweben, denn ich spürte nicht die geringste Erschütterung, als es an dem Henker vorbeiglitt und durch den Korridor in einen hellerleuchteten Saal gelangte. »Wie Sie sehen, ist die Einrichtung vollkommen, Sie werden dort unter der Me tallglocke liegen. Das Wissen Ihres Unterbe wußtseins wird in ihr gesammelt und kon zentriert weitergeleitet, verstärkt und so in klares Bewußtseinswissen verwandelt. Ein besonderes Gerät nimmt noch nicht abgeru fene posthypnotische Informationen auf, auch wenn das Stichwort fehlt oder der ver einbarte Zeitpunkt weit in der Zukunft liegt. Sie sehen, ich bin offen zu Ihnen. Ich bin Ih nen für Ihren Willen zur Kooperation dank bar.« Ich nickte stumm. Die schimmernde Metallkugel schwebte nun dicht über mir. Sie wirkte relativ harm los. Es gab auch keine Leitungen, die mit meinem Körper verbunden wurden, wie ich das von unserer Hypnoschulung her kannte. Ich konnte lediglich bemerken, daß der Hohlspiegel matt zu flimmern begann und ein eigenartiges Kribbeln meinen ganzen Körper erfaßte, um sich allmählich nur noch auf meinen Kopf zu konzentrieren. Magantilliken stand abseits an einer Kon trolltafel, ganz mit ihr beschäftigt. Ein Bild schirm, den er halb mit seinem Körper ver deckte, leuchtete auf. Es erschienen Zahlen und Formeln auf ihm, dann Daten und un verständliche Informationen. Ich gab es schließlich auf, sinnlos erschei nende Symbole entziffern zu wollen und schloß die Augen. Ganz ruhig lag ich da und glaubte zu fühlen, wie mein Gehirn leerge saugt wurde. Aber ich wußte nicht, was der glockenförmige Hohlspiegel aus ihm heraus holte und welche Informationen Magantilli ken erhielt. Ich wollte ihn fragen, ihn rufen,
44 doch ich brachte keinen Ton über die Lip pen. Es war, als sei ich plötzlich stumm ge worden, aber ich konnte noch immer klar denken. Schließlich gab ich es auf. Ganz ruhig blieb ich liegen und wartete auf das Ende der Prozedur, abermals im Zweifel, ob ich richtig gehandelt hatte. Aber nun war es für jede Korrektur zu spät. Ich befand mich end gültig in der Gewalt des Henkers der Varga nen, und vielleicht rettete mich nur die Tat sache, daß ich kein Vargane sondern ein Ar konide war, vor der Vollstreckung des Ur teils. Dann erlosch das matte Flimmern über mir. Magantilliken stand noch vor seinem Bildschirm, und ich hörte ihn ein Wort mur meln, das ich noch nie zuvor gehört hatte. »Tabraczon …« Nein, ich kannte das Wort nicht, bestimmt nicht. Hatte er es von mir? War es der Name eines Planeten oder eines Varganen? Aber eine innere Stimme warnte mich, ihn jetzt danach zu fragen. Ich spürte instinktiv, daß ich mich damit in größte Gefahr gebracht hätte. Also schwieg ich, als das Bett aus dem Labor schwebte und an seinen Ausgangs punkt zurückkehrte. Erst als Magantilliken kam, um nach mir zu sehen, fragte ich: »Habe ich Ihnen helfen können, oder war alles umsonst?« Er lächelte müde. »Nein, es war nicht alles umsonst, wenn ich auch keine direkten Informationen er hielt. Es war wenigstens nichts dabei, was für Sie von informatorischem Wert sein könnte. Trotzdem danke ich Ihnen.« »Und was ist mit der Gegenleistung, Ma gantilliken?« »Das werden Sie und Ihre Freunde noch früh genug erfahren. Jedenfalls halte ich mein Wort, glauben Sie mir das. Ich werde Sie baldmöglichst zum Beiboot zurückbrin gen.« »Und dann?« »Meine weitere Handlungsweise liegt
Clark Darlton nicht allein in meinem eigenen Ermessen, sie wird mir vorgeschrieben. Ich muß gewis se Entscheidungen abwarten. Haben Sie Ge duld. Sie sind in Sicherheit.« »Und die FARNATHIA?« »Ich werde Ihnen morgen einen kurzen Kontakt ermöglichen, damit Sie sich vom, Wohlergehen der Besatzung überzeugen können. Damit Sie sicher sind, es nicht mit Datenspeicherung zu tun zu haben, können Sie mit dem Kommandanten die Uhrzeit vergleichen und auch sonst Stichproben vor nehmen. Das soll Sie überzeugen, wirklich mit Ihren Leuten zu sprechen.« Er ließ mich in meiner Ungewißheit al lein. Was hatte er in Erfahrung gebracht? Sehr zufrieden schien er nicht zu sein, aber das konnte auch ein Täuschungsmanöver sein. Tabraczon …! Das Wort ging mir nicht aus dem Sinn. Ich überlegte, ob ich es nicht doch schon einmal irgendwo gehört hatte, aber ich konnte mich beim besten Willen nicht erin nern.
* Die Laboruntersuchung hatte mich so er schöpft, daß ich eingeschlafen war, noch ehe Magantilliken zu mir zurückkehren konnte. Aber wahrscheinlich hatte auch er den Rest der Nacht schlafend verbracht, denn als er wieder bei mir erschien, wirkte er frisch und munter. »Es ist wieder Tag, Atlan, und ich werde Sie durch einen Gleiter zu Ihren Freunden zurückbringen lassen. Der Funkkontakt mit Ihrem Schiff ist mittags möglich. Ich selbst werde kommen, sobald die erwähnten Ent scheidungen gefallen sind. Bis dahin müssen Sie sich gedulden.« Ich stand auf und ging in den nebenan lie genden Waschraum, um mich zu säubern. Ich hatte Hunger, aber eine Stunde konnte ich es wohl noch aushalten. Magantilliken brachte mich zur Oberfläche hinauf, wo uns ein flacher Gleiter erwartete. Zu meinem Er
Henker der Varganen staunen war er nicht ferngesteuert, denn vorn bei den Kontrollen bemerkte ich einen der Androiden, die mich an überdimensiona le Käfer erinnerten. »Er hat seine Anordnungen und wird Sie sicher ans Ziel bringen«, sagte Magantilli ken, als er meinen fragenden Blick auffing. »Sie sind zuverlässig, meine Diener.« Ich stellte keine weiteren Fragen mehr, denn ich würde doch keine Antwort erhal ten. Magantilliken nickte mir abschiedneh mend zu, als ich in den Gleiter stieg, der sich sofort erhob und in geringer Höhe nach Süden flog. Es war schon hell, die Sonne war längst aufgegangen. Immer wieder versuchte ich, unter mir Anzeichen anderer Stationen zu entdecken, aber ich sah nur Wald, Steppe und kleinere Hügel. Wenn darunter solche Stationen lagen, so sah ich sie nicht. Meine Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf meinen seltsamen Piloten. Er war unbe waffnet, wie ich mit einem Blick feststellen konnte. Ob er mich verstehen würde? »Kleiner Freund«, sagte ich auf Arkoni disch, »kennst du unser Flugziel?« Wenn er mich auch nicht verstand, so war er doch in der Lage, meine Worte zu hören, denn er machte eine halbe Wendung in sei nem Sitz und sah mich aufmerksam an. Sei ne Augen wirkten klug, und sie wirkten vor allen Dingen lebendig. Er war kein echter Roboter, aber er war auch kein wirklich le bendes Wesen. Er war eben ein Androide, ein künstliches und halborganisches Retor tending. Jede Unterhaltung mit ihm war sinnlos. Er drehte sich wieder um und widmete sich den Kontrollen. Natürlich konnte ich mich täuschen, aber mir war, als hätte ich in seinen Augen für eine Sekunde etwas auf leuchten sehen, so etwas wie Sympathie oder Mitleid, jedenfalls hatte das Leuchten ein Gefühl zum Ausdruck gebracht, und ich begann mich zu fragen, ob diese Androiden die Fähigkeit der Emotion besaßen. Unser Ziel kam in Sicht und ich vergaß den Androiden.
45 Unser Beiboot stand unverändert an sei nem Platz, und neben dem Gebäudetrakt er kannte ich Fartuloon und Ra, die dabei wa ren, Holz zu sammeln. Was hätten sie wohl auch sonst tun sollen …? Sanft landete der Gleiter neben unserem Beiboot. Ich stieg aus, ging nach vorn und klopfte dem Androiden leicht auf die Schul ter. »Danke«, sagte ich, auch wenn er mich nicht verstand. Wieder war das Leuchten in seinen Au gen, und diesmal war ich sicher, daß es Dankbarkeit und Freude ausdrücken sollte. Dann startete der Gleiter und verschwand in nördlicher Richtung. Fartuloon und Ra brachten das eingesam melte Holz in den Innenhof, ehe sie mir ent gegengingen. Wenn sie neugierig waren, so wollten sie es mir nicht zeigen – das war mir klar. Ich gönnte ihnen die kleine Show und machte mit, was sie allerdings ärgerte, weil sie nun noch länger auf meine Schilderun gen warten mußten. »Du scheinst ja mit den Androiden auch schon Freundschaft geschlossen zu haben«, sagte Fartuloon, als gäbe es keine anderen Probleme. »Hübsche Verabschiedung, muß ich zugeben. Zu mir waren diese Käfer nicht so freundlich.« Ich grinste überlegen und setzte mich ne ben dem Eingang zum Innenhof ins Gras, den Rücken zur Mauer. »War ein netter Bursche, mein Pilot. Ich soll euch von Magantilliken grüßen. Er wird sich sehen lassen, sobald er Zeit dazu hat.« »Und wie lange spielen wir hier noch die Nomaden?« erkundigte sich Ra. »Wenn wir das genau wüßten, könnte ich auf die Jagd gehen und Fleisch besorgen. Ich verhungere bald.« »Geh nur«, riet ich ihm gelassen. »Heute jedenfalls bleiben wir noch hier. Vielleicht sogar noch ein paar Tage. Übrigens nehmen wir gegen Mittag Kontakt mit Morvoner auf. Mal sehen, wie es ihm und der Besatzung geht.« Fartuloon ließ sich neben mir nieder.
46 »Also, nun berichte schon!« sagte er und gestand damit ein, daß seine Geduld er schöpft war. Ich winkte Ra zu. »Komm her! Ich habe keine Lust, diesel be Geschichte zweimal zu erzählen.« Er kam so schnell gelaufen, daß er das Holz fallen ließ und selbst beinahe gestol pert wäre. Als er saß, berichtete ich und schloß: »Damit haben wir eine Pause erreicht, mehr vorerst nicht. Jedenfalls sind wir in Si cherheit und brauchen uns auch keine Sor gen um die FARNATHIA zu machen. Was weiter geschieht, weiß ich so wenig wie ihr. Es scheint jedenfalls nicht mehr allein im Ermessen Magantillikens zu liegen.« »Ob das günstig für uns ist?« murmelte Fartuloon voller Zweifel. Ich zuckte die Schultern. »Das wird die Zukunft zeigen. Jedenfalls glaube ich, daß wir Ra beruhigt losschicken können. Wie ich ihn kenne, bringt er uns einen saftigen Braten …« Ra stand auf, rückte sein Messer zurecht und verschwand zwischen den Büschen, die den Beginn des Waldes anzeigten. Fartuloon sah mich nachdenklich an und meinte: »Er scheint dir vergeben zu haben, Atlan. Er nimmt nun nicht mehr an, daß du Ischtar verraten wolltest. Ich habe mit ihm darüber gesprochen.« »Ich glaube nicht, daß Magantilliken viel erfahren hat, Fartuloon.« Jetzt fiel es mir wieder ein. »Sag, hast du jemals das Wort ›Tabraczon‹ in deinem Leben gehört? Ma gantilliken sprach es aus, als er glaubte, ich könne ihn nicht hören.« Fartuloon sah an mir vorbei, als er erwi derte: »Nein, das habe ich noch nie gehört. Du vielleicht?« Ich schüttelte den Kopf und schwieg. Gegen Mittag erhielten wir Kontakt mit der FARNATHIA. Morvoner behauptete zwar, sie alle stürben fast vor Langeweile, aber das klang nicht sehr überzeugend.
Clark Darlton Wir unterhielten uns fünf Minuten mit ihm, dann wurde die Verbindung wieder un terbrochen. Fartuloon hatte sich im Gras ausgestreckt. »Weißt du, Atlan, wenn das so weiter geht, werde ich unseren Aufenthalt hier als Urlaub deklarieren. Ich schlafe jetzt ein we nig, aber wecke mich, wenn Ra zurückkehrt … oder besser, laß mich schlafen. Wenn ich frisches Fleisch rieche, möchte ich davon geweckt werden. Du kannst das Holz schon mal schichten …« Eine Minute später schnarchte er bereits. Ich lag noch lange in der warmen Sonne, bis ich endlich Schritte hörte. Ra kehrte zurück, und auf dem Rücken schleppte er ein erlegtes Stück Wild. Fartuloons Nasenflügel begannen leicht zu vibrieren, dann verstummte sein Schnar chen mit einem Gurgeln – und er war wach. Wie ein ausgehungertes Raubtier stürzte er sich auf Ras Beute und begann sie zu zer teilen, während ich das Feuer anfachte.
7. In der Nacht, als alle schon schliefen, glaubte ich plötzlich ein Geräusch vom Bei boot her zu hören. Es war ein feines Sum men gewesen, dann ein Schleifen, dann Stil le. Doch dann, als ich weiterlauschte, ver nahm ich deutlich Schritte. Sie kamen näher. Vorsichtig rollte ich mich seitlich von der noch glimmenden Glut des Lagerfeuers weg und stand vorsichtig auf, um Fartuloon und Ra nicht aufzuwecken. Dann entsicherte ich den Strahler und schlich mich bis zum Aus gang des Innenhofs, um zu sehen, wer uns da einen nächtlichen Besuch abzustatten ge dachte. Das Licht der Sterne ließ die Umrisse des Beiboots erkennen. Dicht daneben bemerkte ich den Schatten eines Androiden, der sich mir näherte. Ich trat ins Freie und richtete die Waffe auf den Androiden. »Halt!« befahl ich leise aber eindringlich. »Keinen Schritt weiter! Was willst du? Hat
Henker der Varganen Magantilliken dich geschickt?« Er blieb sofort stehen, gab aber keine Ant wort. Vielleicht konnten sie nicht sprechen. Jedenfalls aber hatte er mich gehört. Im Innenhof hörte ich Fartuloon sagen: »He, Atlan, was ist? Führst du Selbstge spräche?« Nun, da er aufgewacht war, brauchte ich keine Rücksicht mehr zu nehmen. »Komm her und bring die Lampe mit. Wir haben Besuch.« Als das Licht des kleinen Scheinwerfers auf den Androiden fiel, hatte ich sofort das Gefühl, es mit meinem Piloten zu tun zu ha ben. Ich versuchte, ihn an seinen lebendigen Augen wiederzuerkennen, an seinen Reak tionen, die er mit ihnen ausdrückte. »Was will er denn?« fragte Ra, der eben falls wach geworden war. Der Androide machte einige Armbewe gungen, deren Deutung nicht allzu schwer wurde. »Er will, daß ihn jemand begleitet«, sagte Fartuloon. »Und ich bin mir sicher, daß er dich meint, Atlan. Aber diesmal werde ich zur Vorsicht mitkommen.« »Es wird besser sein, du läßt mich allein gehen«, widersprach ich. »Es besteht keine Gefahr, Fartuloon. Noch wissen wir nicht, ob der Bursche im Auftrag Magantillikens handelt oder nicht. Ich werde es herausfin den.« »Du bist leichtsinnig!« »Bin ich nicht! Was ist schon dabei, wenn ich ihn begleite? Vielleicht will er mir etwas zeigen.« Der Androide wiederholte die Zeichen immer wieder, bis ich sagte: »Ich soll dir folgen, ist das richtig?« In seinen Augen war wieder das bekannte Leuchten, das Dank oder Zustimmung be deutete. Er hatte mich verstanden. Fartuloon schärfte ich ein: »Laß den Telekom auf Empfang. Wenn möglich, werde ich mich melden. Ich kom me zurück, sobald es mir möglich ist.« »Sei vorsichtig!« riet Fartuloon. Der Androide führte mich zu dem warten
47 den Gleiter und stieg ein. Er setzte sich hin ter die Kontrollen und wartete, bis auch ich Platz genommen hatte, dann startete er. Abermals versank das Glühen des Lagerfeu ers unter mir im Dunkel der Nacht, und da ich die Sternkonstellationen Margons nicht genügend kannte, wußte ich auch nicht, in welche Richtung der Gleiter flog. Ich glaub te aber, wieder nach Norden. Es hatte wenig Sinn, mit dem Androiden zu sprechen, denn, wenn er mich auch viel leicht verstand, wenigstens zum Teil, so konnte er mir nicht antworten. Entweder be folgte er nur die Befehle Magantillikens, dann konnte ich ihn ohnehin nicht beeinflus sen, oder er handelte selbständig. Dann wür de ich bald erfahren, was er von mir wollte. Ich mußte mich auf mein Gefühl verlas sen, das mir sagte, er wollte mir etwas zei gen, das für mich wichtig war. Sie hatten Emotionen, diese Diener des Henkers, und unzweifelhaft empfand mein Pilot so etwas wie Sympathie für mich. Vielleicht hatte während seiner Existenz noch niemals je mand zu ihm »Danke« gesagt. Ob das der auslösende Faktor gewesen war? Ich wußte es nicht, aber ich begann es zu ahnen. Ich hatte ihn wie ein richtiges Lebe wesen behandelt, war freundlich zu ihm ge wesen und hatte ihm gedankt. Das schien seine ganze Programmierung durcheinander gebracht zu haben. So und nicht anders mußte es sein. Wir flogen in nur geringer Höhe, aber das half mir auch nicht weiter. Das Gelände war mir absolut unbekannt, aber immerhin konn te ich doch feststellen, daß wir eine Strecke von etwa hundertfünfzig Kilometer zurück legten, ehe der Gleiter landete. Ich war gespannt, was nun folgen würde. Durch Zeichen gab mir der Pilot zu ver stehen, daß wir beide nun das Fahrzeug ver lassen sollten. Ich folgte ihm über das un wegsame Gelände, bis wir nach einigen Dut zend Metern den Eingang zu einem Korridor erreichten, der schräg in die Tiefe führte. Es gab kein Licht, und er protestierte nicht, als
48 ich meine Lampe einschaltete, um besser se hen zu können. Er ging vor mir her, ein Androide, der wie ein Käfer aussah und wie ein Freund handel te. Wenigstens hoffte ich es. Der Gang war endlos, und es dauerte un gefähr eine halbe Stunde, ehe mein Führer seitlich eine Tür öffnete und mir durch ein Zeichen zu verstehen gab, daß ich das Licht löschen sollte. Ich tat es sofort, denn vor mir schimmerte ein anderes Licht durch die Fu gen einer halbgeschlossenen Tür. Die Spannung in mir stieg. Das Verhalten des Androiden bewies mir nun einwandfrei, daß er etwas Verbotenes tat, sonst wäre er nicht so vorsichtig gewesen. Er wollte mir demnach helfen, wie ich es von Anfang an vermutet hatte. Mein Gefühl hatte mich nicht getrogen. Behutsam stieß er die Tür auf, bis der Spalt so groß wurde, daß wir beide den Raum dahinter betreten konnten. Unmittel bar neben dem Eingang stand ein Maschi nenblock, weiß vor Frost und brusthoch, hinter den mich mein neuer Verbündeter ha stig zog. Ich mußte mich ducken, um in Deckung zu bleiben, denn was ich sah, ver schlug mir den Atem, soweit es die schreck liche Kälte noch nicht getan hatte, die hier herrschte. Mitten in dem riesigen Raum hing unter der gewölbten, hohen Decke eine mit vielen dreidimensionalen Bildern gefüllte Energie kugel, die gerade genug Helligkeit verbreite te, die gesamte Umgebung erkennen zu las sen. Unter der Energiekugel aber stand Ma gantilliken, beide Arme ihr wie betend ent gegengestreckt und in fast demütiger Hal tung. Zu meiner Verblüffung war Magantilliken halb transparent. Ich konnte seine Organe erkennen und sah das Blut durch seine Adern fließen. Sein Herzschlag war unge wöhnlich schnell, ein sicheres Zeichen, daß er ungemein erregt sein mußte. Aber dann vergaß ich ihn, denn die Ener giekugel über ihm, eingeteilt in mehrere
Clark Darlton Dutzend Sektorenbilder, faszinierte mich mehr. Besonders deshalb, weil ich in einem dieser dreidimensionalen Bilder Ischtar er kannte. Sie bewegte sich, sie atmete – sie lebte! Das war keine Aufzeichnung, keine ge speicherte Projektion! Das war jetzt! Ischtar lebte, war mein erster befreiender Gedanke. Und Magantilliken kann sie sehen – aber er weiß nicht, wo sie ist. Darum also braucht er meine Hilfe. Dann erst begann ich mir zu überlegen, wie dieses optische Wunder der Energieku gel möglich war. In manchen Dingen war uns die Technik der verschollenen Varganen überlegen, daran konnte kein Zweifel beste hen. Sie waren in der Lage, jeden beliebigen Ort der Galaxis in den Kugelbildschirmen zu projizieren, zumindest jede gewünschte Per son, aber sie schienen nicht feststellen zu können, um welche Koordinaten es sich da bei handelte. Das System war demnach nicht vollkommen. Wäre es das gewesen, hätte Magantilliken nicht meine Hilfe in Anspruch genommen. Das war ein Trumpf, der in meinen Händen geblieben war. Ihn auszuspielen – selbst wenn ich es gekonnt hätte – wäre ein Fehler gewesen. Und wahrscheinlich auch mein Tod. Doch dann, noch während ich da stand, erhielt ich die restlichen Beweise dafür, daß Meschanort die Wahrheit gesagt hatte, als er Magantilliken den »Henker der Varganen« nannte. Ein Brausen erfüllte die Luft, es wurde noch kälter, und weißer Reif schlug sich nie der. Die plötzliche Kälte ließ mich schau dern, aber der Androide schien sie nicht zu spüren. Unbeweglich stand er neben mir und rührte sich nicht von der Stelle. Er hatte mich hierher gebracht, und ich war über zeugt, daß er mich auch wieder zum Lager feuer zurückbringen würde, wo meine Freunde auf mich warteten. Allmählich gewann ich einen Überblick. Ich begann, die einzelnen Bilder in der Ener
Henker der Varganen giekugel zu unterscheiden. Ischtar war mir sofort aufgefallen. Ihr Bild leuchtete, wie viele andere auch, in einem klaren Weiß. Es gab welche in Rot, aber nur wenige. Ein Arm meines Androiden deutete nach vorn, in eine ganz bestimmte Richtung. Ich folgte ihr – und entdeckte Meschanort. Sein Bild war nicht mehr in reinem Weiß. Es färbte sich langsam Rosa, bis es nach ge raumer Zeit blutigrot wurde. Rot wie manche andere. Das konnte nur eines bedeuten: Die Farbe der Bilder in der Energiekugel zeigte Ma gantilliken, welche Varganen er erfolgreich hingerichtet hatte. Sie waren die Bestätigung seines Auftrags. Meschanort hatte nicht gelogen. Magantilliken war der Henker. Und sein nächstes Opfer sollte Ischtar sein.
* Ich weiß nicht mehr, wie lange ich hinter dem schützenden Maschinenblock hockte und den verfluchten Henker beobachtete, ich wußte nur, daß ich nichts, absolut nichts, ge gen ihn unternehmen konnte. Wir alle waren in seiner Gewalt, und vielleicht erhielt er bald den Befehl, auch uns zu liquidieren. Warum aber, so fragte ich mich zum wie derholten Mal, hatte mich der Androide hierhergeführt, um mir die Wahrheit zu zei gen? War es Sympathie, echte Emotion? Oder handelte er im Auftrag des Henkers? Ich fragte vergeblich, denn es gab noch keine Antwort. Er drehte sich mir zu und gab mir ein Zei chen, das ich sofort verstand. Ich sollte ihm folgen. Ich warf einen letzten Blick auf die ge spenstige Szene, dann kroch ich auf allen vieren hinter ihm her, bis ich den Ausgang erreichte und im Gang war. Dann erst erhob ich mich. »Danke!« flüsterte ich, aber ich konnte das Aufleuchten in seinen Augen nicht se hen, denn noch wagte ich es nicht, meine
49 Lampe einzuschalten. »Ich danke dir, mein Freund. Bringe mich bitte wieder zu meinen Gefährten zurück.« Diesmal nahm ich seine Hand und ließ mich führen, bis wir weit genug von der Halle mit der Energiekugel entfernt waren. Dann erst schaltete ich meine Lampe ein, und mein Androide protestierte nicht. Es dauerte nicht lange, bis wir die Oberfläche erreichten und den Gleiter an der alten Stelle vorfanden. Hastig kletterten wir hinein, und ich atme te auf, als wir starteten und den Rückflug antraten. Er dauerte nicht lange, und bald schon sah ich im Dunkeln das Lagerfeuer aufleuchten. Wir hielten genau darauf zu, und endlich landete der Gleiter an der alten Stelle neben dem Beiboot. Fartuloon näherte sich vorsichtig, das Skarg in der Hand. Ich rief ihm ein paar beruhigende Worte zu und stieg aus dem Gleiter. Gerade wollte ich mich umdrehen, um den Androiden zu danken, als auch dieser herauskletterte und sich neben mich stellte. Mit den Armen machte er merkwürdige Bewegungen, die ich nicht sofort zu deuten wußte. Er zeigte immer wieder auf Fartuloons Schwert und dann auf sich. »Schon gut«, sagte ich zu ihm. »Ich danke dir für deine Hilfe, aber nun mußt du zu rückkehren, wenn du keinen Verdacht erre gen willst. Warum du mir geholfen hast, weiß ich nicht, aber ich danke dir nochmals. Kehr um und starte!« Aber er gehorchte mir nicht. Er setzte sei ne seltsamen Armbewegungen fort, bis Far tuloon mit gedämpfter Stimme sagte: »Begreifst du wirklich nicht, Atlan, was er von dir will?« Ich schüttelte stumm den Kopf, obwohl ich begriff. »Er will, daß du ihn tötest, Atlan. Du sollst mein Schwert nehmen und ihn töten. Ich nehme an, sein Verrat an Magantilliken kostet ihn ohnehin das Leben, aber er will es durch dich, nicht durch ihn verlieren. Was
50 sollen wir tun?« So sinnlos es auch war, ich versuchte, dem Androiden klarzumachen, daß ich ihn niemals für etwas töten konnte, das er für mich getan hatte. Ich würde ihn beschützen, sagte ich ihm, und Magantilliken würde ihm verzeihen, versicherte ich ihm. Er gab mir keine akustische Antwort, aber seine Zei chensprache war eindeutig. Fartuloon hielt mir sein Schwert entge gen. »Warum tust du es nicht, Atlan? Er will es, und du kannst ihm seine Bitte nicht ab schlagen. Du hast selbst gesagt, daß er dir geholfen hat, und nun versagst du ihm deine Hilfe. Ich halte das nicht gerade für einen Akt der Dankbarkeit.« Ich nahm das Schwert nicht. »Wie kann ich jemanden oder etwas tö ten, dem ich zu Dank verpflichtet bin?« »Manchmal ist der Tod eine Gnade, ver giß das nicht. Ich glaube, ich werde es dir erklären können – später. Doch tue jetzt dei ne Pflicht.« »Pflicht?« »Ja, Pflicht, aus Dankbarkeit! Vernichte den Androiden, er bittet dich darum.« Ich sah den Androiden undeutlich vor mir im Dämmerschein des grauenden Morgens. Immer wieder deutete er auf das Skarg, dann auf mich und dann auf sich selbst. Es konnte keinen Zweifel mehr geben. Er wollte durch mich getötet werden. Aber ich vermochte es nicht. Fartuloon faßte einen blitzschnellen Ent schluß. Ehe ich überhaupt begriff, was er vorhatte, holte er aus und schlug zu. Der An droide wurde in der Mitte glatt durchge schnitten und fiel in zwei Teilen zu Boden. Er war schneller tot, als es durch das Ener giebündel einer Strahlwaffe möglich gewe sen wäre. Fartuloon schob das Schwert in die Schei de zurück. »Er hat es hinter sich«, sagte er nur und ging zum Innenhof zurück. Ich sah Ra neben dem Eingang stehen. Er hatte alles mitver folgt. »Komm jetzt und berichte, was er dir
Clark Darlton gezeigt hat.« Ich folgte ihm nur langsam. Das plötzli che Ende des Androiden hatte mich erschüt tert, obwohl ich wußte, daß er nur ein künst lich erschaffenes Wesen war, das mich ohne Zögern angegriffen hätte, wenn es entspre chend programmiert gewesen wäre. Aber es hatte Emotionen verraten. Emotionen, die in Verbindung mit seiner ursprünglichen Pro grammierung die Vernichtung verlangten. Ra hatte Holz nachgeschoben, und das Feuer loderte hell auf, als ich in den Innen hof trat. Fartuloon saß wieder auf seinem al ten Platz und sah mir gespannt entgegen. Sein Gesicht war ohne jede Regung. Er schi en den Vorfall bereits wieder vergessen zu haben. »Nun?« fragte er und streckte die Beine weit von sich. Ich setzte mich. War er nun so gefühllos, oder tat er nur so? Genau wußte ich es nicht, und ich stellte auch keine diesbezüglichen Fragen. »Magantilliken ist wirklich der Henker der Varganen«, begann ich mit der Schluß folgerung meiner Beobachtungen und schil derte den nächtlichen Vorfall. Als ich be merkte, daß ihre Gesichter im Schein des neu angefachten Lagerfeuers immer besorg ter wurden, fügte ich abschließend noch hin zu: »Im Grunde genommen ist alles die Sa che der Varganen, und wir kennen ihre Be weggründe nicht. Aber die Umstände haben uns in aktiv handelnde Personen verwandelt, so daß wir nun unmittelbar beteiligt sind. Die Energiekugel ist so etwas wie der Be fehlsgeber Magantillikens. Durch sie steht er offensichtlich direkt mit der Eisigen Sphäre in Verbindung und nimmt die Befehle entge gen.« Ra legte Holz nach und sagte nichts. Als ob ihn das alles nichts anginge, wickelte er ein Stück Fleisch aus den Blättern, in die er es eingerollt hatte, schob es auf einen Ast und legte es so neben die Glut, daß der appe titanregende Bratenduft in unsere Nasen stieg. Diesmal ließ sich Fartuloon nicht ablen
Henker der Varganen ken. »Wärst du mit der Gehirnkontrolle einver standen gewesen, wenn du das vorher ge wußt hättest?« wollte er von mir wissen. Ich zuckte die Schultern. »Einverstanden oder nicht, er hätte sie oh nehin früher oder später vorgenommen. Jetzt kann er allerdings nicht mehr behaupten, wir wären nicht zur Zusammenarbeit bereit. Sor ge macht mir nur der von dir zerstörte Die ner und der Gleiter, der neben dem Beiboot steht. Wenn Magantilliken erscheint, wird er sofort ahnen, was geschehen ist.« »Deshalb mach dir nur keine Sorgen, At lan. Entweder weiß er es bereits, und wenn er wirklich keine Ahnung haben sollte, kön nen wir ihm noch immer vorflunkern, der Diener sei gelandet und habe uns angegrif fen. Verteidigung hat der Henker uns ja er laubt.« Das schien mir eine gute Lösung zu sein, und ich war beruhigt. Schweigend sahen wir zu, wie Ra ge schickt den Spieß drehte und das Fleisch all mählich von allen Seiten braun wurde. Im Osten begann der Morgen zu grauen, und ich fragte mich, wie es nun weitergehen soll te. »Wenn Magantilliken gestern etwas aus dir herausgeholt hat«, meinte Fartuloon nachdenklich, »und wenn er heute Kontakt mit seinen Auftraggebern hatte, so steht das in engem Zusammenhang. Er wird neue In struktionen erhalten haben, deren Auswir kungen wir bald zu spüren bekommen – fürchte ich.« »Das glaube ich nicht. Er wird sein Wort halten, und ich denke schon, daß er genü gend Vollmachten besitzt, über unser Schicksal allein entscheiden zu können. Trotz unserer – nun ja, nennen wir es einmal Kapitulation – hat er uns die Waffen gelas sen. Wir können uns relativ frei hier bewe gen und erhalten fast täglich Funkverbin dung mit der FARNATHIA. Wir sind dem nach weder Verbündete noch Gefangene, sondern etwas dazwischen.« Und wieder stellte sich heraus, daß unser
51 Barbar, wie wir ihn oft gern noch nannten, den praktischsten Verstand von uns besaß. Er hob den Spieß und meinte: »Etwas dazwischen – ein gutes Stichwort. Wie wäre es denn, wenn wir zwischendurch etwas essen würden? Fartuloon weiß im Bei boot am besten Bescheid, er könnte einen Krug Wasser holen. Atlan, würdest du die Güte haben, den Braten aufzuteilen …?« Fartuloon seufzte und stand auf. »Immer ich! Immer schickt er mich ins Boot, statt mal selbst zu gehen. Als ob ich der einzige wäre, der den Wassertank finden kann!« Ich nahm das Messer und schnitt das Stück Fleisch auseinander. Ganz innen war es noch roh, aber das würde niemanden stö ren. Ein Stück Frischfleisch war im Großen Imperium fast so wertvoll wie ein entspre chendes Gewicht aus Edelmetall. Nur noch auf fremden und unbewohnten Planeten gab es genügend freilebende Tiere, die Fleisch lieferten. Die Zivilisation hatte die Natur verdrängt. Auch Ra, der von einem uns allen unbe kannten und weit entfernten Urplaneten stammte, hatte seine Enttäuschung überwin den müssen, als er zu uns stieß. Er genoß die Vorteile der technischen Zivilisation, aber er war es auch, der uns immer wieder auf ihre Nachteile aufmerksam machte. Und sei es wie diesmal, als er voller Genuß den Spieß mit dem Bratfleisch vor unseren Augen über dem Feuer drehte. Fartuloon brachte einen Plastikbehälter mit Wasser und setzte ihn schnaufend ab. »Der Krug!« gab er bekannt. »War leider kein anderer da.« Er setzte sich und begann sofort zu essen, und zwar mit seinem üblichen Heißhunger, der mich immer wieder in Erstaunen ver setzte. »Da ist eben übrigens ein Gleiter gelan det«, sagte er, als er Luft holte und sein hal bes Stück bereits verzehrt hatte. »Zwei An droiden waren in ihm. Einer stieg aus, be achtete mich nicht, kletterte in den verlasse nen Gleiter deines toten Freundes – und
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Clark Darlton
dann flogen beide davon. Was sagst du da zu?« Ich hatte aufgehört zu essen. »Was soll ich dazu sagen? Magantilliken weiß, was geschehen ist, das ist alles. Es än dert nichts.« »Da bin ich nicht so überzeugt, aber ich lasse mir den Appetit nicht verderben.« Und mit vollem Mund fügte er noch hinzu: »Es kann nun nicht mehr lange dauern, bis unser Henker auftaucht. Er wird dich fragen, was passiert ist.« Wortlos schob ich den Rest meines Flei sches den beiden zu, die gleichzeitig danach griffen. Mir war jeder Hunger vergangen, wenn ich daran dachte, Magantilliken Rede und Antwort stehen zu müssen. Mein Opti mismus war plötzlich geschwunden. Ich legte mich zurück und starrte in die kleiner werdenden Flammen. Es wurde schnell heller, und dann färbte sich im Osten der Himmel rot. Bald ging die Sonne auf.
* Magantilliken kam gegen Mittag. Er landete mit einem größeren Gleiter, dessen geschlossene Kabine auch einen Flug in den Weltraum ermöglichte. Ein Dutzend seiner Diener stiegen aus und warteten auf seine Anordnungen. Fartuloon, Ra und ich blieben neben dem Gebäudetrakt stehen, der uns schon fast zur Heimat geworden war. Wir sahen zu, wie auch Magantilliken den Gleiter verließ, eini ge Worte zu den Androiden sprach und dann zu uns kam. Wenige Meter vor mir blieb er stehen. »Sie unternahmen einen nächtlichen Aus flug, wie ich erfahren habe … nein, keine Entschuldigungen, Atlan, ich weiß alles. Ich weiß auch, daß Sie von einem meiner Diener abgeholt wurden und so nicht aus eigener Initiative handelten. Nur verstehe ich nicht, warum sie meinen Diener zerstörten, nach dem er Sie zurückgebracht hatte.« Ich überlegte, ob ich ihm die Wahrheit sa
gen sollte. Ehe ich mich entscheiden konnte, kam Fartuloon mir zuvor und sagte: »Er wollte es und bat uns darum. Aber das werden Sie sicherlich nicht verstehen, oder befaßten Sie sich schon einmal mit der Psyche Ihrer Androiden?« »Sie werden programmiert und besitzen keine Psyche«, behauptete Magantilliken. »Es kann sich nur um einen technischen Fehler handeln.« »Er handelte gegen die Programmierung und mußte als logische Konsequenz seine Zerstörung verlangen.« Fartuloon nickte zu stimmend. »Wenn Sie das als einen techni schen Defekt bezeichnen, muß ich Ihnen recht geben!« Magantilliken beendete die Diskussionen um seinen ungetreuen Diener mit einer weg werfenden Handbewegung und sagte: »Ich muß Sie bitten, mich jetzt zu beglei ten. Wir unternehmen einen Ausflug.« »Ausflug?« Ich sah ihn verdutzt an. »Steht dieser Ausflug in irgendeinem Zu sammenhang mit dem Vorkommnis der letz ten Nacht?« Er lächelte dünn. »Nein, er war geplant, noch bevor Sie mich zu belauschen versuchten. Das hat also nichts damit zu tun. Folgen Sie mir bitte in den Gleiter.« »Und die Androiden?« »Sie bleiben zurück bei Ihrem Beiboot.« »Und warum nehmen wir nicht gleich das Beiboot? Es ist größer und schneller als Ihr Gleiter.« »Das Beiboot bleibt hier, Atlan. Fragen Sie mich nicht abermals nach den Beweg gründen meines Handelns, ich kann ihnen keine Auskünfte erteilen – und ich darf es auch nicht, wie Sie inzwischen wohl begrif fen haben dürften.« »Wir sollen alle drei mitkommen?« ver gewisserte sich Ra, dem es zwischen den Ruinen offenbar recht gut gefiel. Als der Henker nickte, fügte er schnell hinzu: »Dann wartet noch einen Augenblick, ich gehe nur den Rest unserer Vorräte holen …« Ehe Magantilliken protestieren konnte,
Henker der Varganen
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verschwand er im Innenhof und kehrte mit einem Blätterpaket zurück. Fartuloon grinste und meinte entschuldigend: »Unser Fleisch, Magantilliken. Sie müs sen es ja doch einmal erfahren: wir sind nämlich Barbaren.« Der Henker reagierte nicht. Er verstand wohl keinen Spaß. »Kommt endlich, wir haben nicht mehr viel Zeit zu verlieren.« Er ließ uns den Vortritt, was jedoch keiner von uns als einen Akt der Höflichkeit aus legte. Ich stieg als erster ein und nahm in der zweiten Reihe hinter den Kontrollen Platz. Fartuloon und Ra folgten. Als letzter stieg der Henker ein und setzte sich unmittelbar hinter die Kontrollen. Der Gleiter wurde diesmal nicht fernge steuert. Die Luke schloß sich, aber das Dach war transparent, so daß wir Margons Oberfläche sehen konnten. Ich mußte an Morvoner den ken und hoffte, bald wieder Kontakt mit ihm aufnehmen zu können. Man würde sich in der FARNATHIA Sorgen um uns machen, wenn wir künftig schwiegen. Und wie ich Morvoner kannte, würde der nicht lange mit seinen Entscheidungen war ten – und dabei vielleicht eine Dummheit begehen, die ihm und der ganzen Besatzung das Leben kosten konnte. Ich teilte Magantilliken meine Bedenken mit, als der Gleiter startete. Er antwortete: »Sie werden zur gegebenen Zeit wieder Verbindung aufnehmen können, jetzt aber haben wir wichtigere Dinge zu tun. Machen Sie sich keine überflüssigen Sorgen.« Damit mußten wir uns vorerst zufrieden
geben. Da hockten wir nun im Gleiter, jeder von uns ausreichend bewaffnet, den Henker der Varganen in Sekundenbruchteilen unschäd lich zu machen und das kleine Schiff zu übernehmen, und doch waren wir so hilflos wie nie in unserem Leben. Er war mächtiger als wir und saß am län geren Hebel. Unter uns versanken die Ruinen und unser Beiboot. Die Androiden wurden zu winzigen Pünktchen und entschwanden unseren Blicken. Wir flogen zuerst nach Norden, dann nach Westen. Dabei stiegen wir immer höher, bis der Himmel dunkelblau und dann violett wurde. Ich lehnte mich in die Polster zurück und schloß die Augen. Die Müdigkeit übermannte mich trotz der Ungewißheit, in die uns Magantilliken hin einflog. Eines jedoch wußte ich ganz sicher, und das Wissen darum beruhigte mich: Unser Leben war nicht unmittelbar be droht, wenn auch der Henker am Steuer des Gleiters saß. Aber das, so ahnte ich zugleich, konnte sich mit einem einzigen Gegenbefehl aus der Eisigen Sphäre ändern. Mit diesen nicht gerade erfreulichen Ge danken dämmerte ich hinüber in einen traumlosen Schlaf …
E N D E
ENDE