Nr. 331
Herren der FESTUNG Der Kampf um die Zentrale der Macht von H. G. Francis
Sicherheitsvorkehrungen haben verhin...
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Nr. 331
Herren der FESTUNG Der Kampf um die Zentrale der Macht von H. G. Francis
Sicherheitsvorkehrungen haben verhindert, daß die Erde des Jahres 2648 einem Überfall aus fremder Dimension zum Opfer gefallen ist. Doch die Gefahr ist nur ein gedämmt worden, denn der Invasor hat sich auf der Erde etabliert – als ein plötzlich wiederaufgetauchtes Stück des vor Jahrtausenden versunkenen Kontinents Atlantis. Atlan und Razamon, der ehemalige Berserker, haben als einzige den »Wölbmantel« unbeschadet durchdringen können, mit dem sich die geheimnisvollen Herren der FESTUNG ihrerseits vor ungebetenen Gästen schützen. Die Männer sind auf einer Welt der Wunder und der Schrecken gelandet. Das Ziel der beiden ist, die Beherrscher von Pthor schachmatt zu setzen, auf daß der Menschheit durch die In vasion kein Schaden erwachse. Nach vielen gefahrvollen Abenteuern, die am Berg der Magier ihren Anfang nah men, haben Atlan und Razamon, denen sich inzwischen drei Gefährten angeschlos sen haben, das Zentrum der Dunklen Region erreicht und den harten Kampf um das Goldene Vlies siegreich bestanden. Anschließend machen sich unsere Helden auf den Weg in Richtung FESTUNG, um die entscheidende Konfrontation mit den mysteriösen Herren von Pthor zu su chen. Auch die Odinskinder verfolgen dasselbe Ziel – und so entbrennt der Kampf mit den HERREN DER FESTUNG …
Herren der FESTUNG
3
Die Hautpersonen des Romans:
Atlan - Der Arkonide und seine Gefährten im Zentrum der Macht.
Darsior - Ein Dello auf Atlans Seite.
Kortanak - Der Fallenmeister wird abtrünnig.
Heimdall, Balduur, Sigurd und Thalia - Die Kinder Odins in Nöten.
Phagen, Elmthor, Dorlk, Kichor und Jenthas - Die Herren der FESTUNG werden konfrontiert.
1. Durch die Stahltür hörte Atlan die Schritte der Dellos, die ihnen in das Versteck folg ten. »Zurück«, sagte Darsior. »Ich muß die Bombe zünden.« Der Arkonide zögerte. Er sah die glotzäu gigen, weißhäutigen Androiden vor sich, die auf der anderen Seite der Tür miteinander beratschlagten, wie sie den Riegel aufbre chen sollten. Die meisten von ihnen sahen aus wie Menschen. Es sind keine Menschen, stellte der Lo giksektor fest. Es sind Androiden. Biologi sche Roboter. Seelenlose Geschöpfe. Das war richtig. Dellos waren nicht mehr als biologische Maschinen, die lediglich das äußere Erscheinungsbild mit dem Menschen gemein hatten, sonst nichts. Wer ihr künst lich herbeigeführtes Leben beendete, der tö tete nicht. Er zerstörte. Einen Dello auszu schalten, bedeutete nicht mehr, als eine Waf fe zu zerbrechen oder eine Maschine kurzzu schließen. Dennoch fiel es Atlan nicht leicht, Dellos zu zerstören. So seelenlos sie auch waren, so menschlich erschienen sie ihm doch durch ihr Aussehen. »Nicht bei der Tür bleiben«, mahnte Dar sior. »Es wird gleich heiß.« Atlan war davon überzeugt, daß auf der anderen Seite der Tür wenigstens zwanzig Androiden waren. Ihr Leben war vorbei, wenn Darsior die Brandbombe zündete. »Du hast doch wohl kein Mitleid mit ih nen?« fragte Razamon, der bemerkte, was in Atlan vorging. »Das nicht«, antwortete der Arkonide. »Ich überlege nur, ob es wirklich notwendig ist, die Bombe zu zünden.«
»Es muß sein«, betonte Darsior. »Du bist selbst ein Dello«, erwiderte der Arkonide. »Doch du hast Persönlichkeit. Diese fehlt den anderen. Jedenfalls vermuten wir das. Woher aber wissen wir, daß nicht doch einer unter ihnen ist, der so ist wie du?« »Ich weiß, daß keiner dabei ist«, antwor tete Darsior mit fester Stimme. »Ich habe die anderen über eine lange Zeit hinweg beob achtet. Ständig habe ich nach jemandem ge sucht, mit dem zu reden sich lohnt. Es gibt niemanden. Es sind alles geistlose und see lenlose Geschöpfe.« An der Tür rumorte es. Eine Eisenstange schlug dröhnend dagegen, und unter der Tür platzten kleine Stücke des Bodenbelags her aus. Das waren deutliche Zeichen dafür, daß die Dellos mit aller Macht versuchten, die Tür aufzusprengen. »Es muß sein«, sagte Razamon. »Also gut«, entgegnete der Arkonide. Er entfernte sich von der Tür. Darsior hol te einen Draht aus seiner Hose hervor und schob ihn in einen seitlichen Türspalt. Dann eilte er zu Atlan, Razamon, Koy und Kol phyr. Unter dem Umhang, der seinen Ober körper notdürftig bedeckte, nahm er einen Stahlstift hervor. Diesen schleuderte er ge schickt gegen die Tür. Der Stift berührte den Draht. Im gleichen Augenblick zuckte ein Blitz vom Draht nach unten. Im Nebenraum explodierte etwas. Flammen schossen unter der Tür hervor. Das Bodenmaterial verflüs sigte sich und rann brodelnd in den Gang. Der Stahl der Tür wurde rot. »Von dort her verfolgt uns keiner mehr«, bemerkte Darsior. Er wandte sich an den Fallenmeister, der weit in den Gang vorge drungen war und nun zurückkehrte. »Ist al les in Ordnung?«
4 Kortanak strich sich mit einer Hand über die rüsselartige Nase. »Alles in Ordnung«, erwiderte er. »Niemand hält sich sonst noch in den Gän gen auf.« »Dann los«, befahl Razamon. »Wir wol len so schnell wie möglich in die FE STUNG.« »Ich werde euch führen«, versprach Dar sior. Sein Mund verzog sich zu einem zorni gen Lächeln. »Die Herren der FESTUNG können sich auf ihr Ende vorbereiten. Lange haben sie nicht mehr zu leben.« Er ging neben Atlan in den Gang hinein. Dieser war so niedrig, daß Kolphyr nicht aufrecht gehen konnte. »Wer sind die Herren?« fragte der Arko nide. »Hast du sie schon einmal gesehen? Sind es Menschen? Wie sehen sie aus? Wo in der FESTUNG sind sie?« »Das sind viele Fragen auf einmal«, ent gegnete der Androide. »Ich kann keine so beantworten, wie du es gerne hättest. Nie mand weiß, wie die Herren aussehen und wo sie sich verbergen. Es ist ihr Geheimnis.« »Ich habe nur ihre Stimme gehört«, er klärte der Fallenmeister. »Die Herren selbst haben sich mir nie gezeigt. Ich glaube, daß sie sehr groß sind.« »Warum?« fragte Atlan. »Weil die Stimme des einen, mit dem ich gesprochen habe, so klingt. Die Stimme ge hört zu einem Riesen. Davon bin ich über zeugt.« »Das kann täuschen«, gab Atlan zu be denken. »Mit einem einfachen Trick kann man Stimmen so verändern, daß sie so klin gen.« Sie näherten sich dem Ende des Ganges. Alles war ruhig. Von einer Gefahr war nichts zu erkennen. Es schien, als sei die Abwehrmauer der FESTUNG, die aus heim tückischen Fallen der verschiedensten Art bestand, nunmehr endgültig durchbrochen. Der Gang bog nach links ab und endete wenige Meter weiter an einer glatten Wand. Darsior blieb verblüfft stehen. »Das ist doch nicht möglich«, sagte er be-
H. G. Francis stürzt. »Ich war erst vor wenigen Tagen hier. Die Wand war nicht da.« Atlan ging weiter bis ans Ende des Gan ges. Er streckte die Hand aus und wollte die Wand berühren. Seine Hand ging durch sie hindurch, ohne daß er einen Widerstand spürte. »Es ist eine Projektion«, sagte er. Eine Falle! schrie es in ihm. Er fuhr herum und ließ sich zu Boden sin ken. »Aufpassen«, rief er und riß Darsior nach unten. Kolphyr, Razamon und Koy der Trommler reagierten augenblicklich. Sie kannten Atlan nun schon so gut, daß sie wußten, daß er eine derartige Warnung nicht grundlos aussprach. Kaum lagen sie auf dem Boden, als meh rere Lanzen über sie hinwegflogen. Klirrend stürzten die Waffen einige Meter weiter auf den Boden. Atlan schnellte sich hoch und warf sich durch die Projektion, die wie ein Tarnmantel für diejenigen wirkte, die sich dahinter ver steckten. Er kam in einen Raum, der etwa zehn Meter lang und vier Meter breit war. Dellos warfen sich von allen Seiten auf ihn und versuchten, ihn mit Messern zu töten. Die Klingen durchstießen den Anzug der Vernichtung jedoch nicht. Nun rasten die Freunde des Arkoniden heran und stürzten sich auf die Dellos. Nur Razamon und Kolphyr waren bewaffnet. Razamon trug ein Breitschwert, und der Berg hatte noch immer eine Lanze, die er ei nem Dello entrissen hatte. Damit drangen sie auf die Androiden ein und schlugen eine breite Bresche in ihre Front. Darsior, der Fallenmeister, und Koy bück ten sich und nahmen die Messer auf, die den sterbenden Dellos aus den Händen glitten. Und wieder zeigte sich, daß die Androiden gegen die überlegene Intelligenz ihrer Geg ner so gut wie nichts ausrichten konnten. Le diglich Kortanak, der Fallenmeister, zog sich eine Stichwunde zu. Die anderen blie ben unverletzt. »Ist es schlimm?« fragte Atlan und zeigte
Herren der FESTUNG auf die Wunde an Kortanaks Schulter. Der Fallenmeister schüttelte den Kopf. Er lachte, während er sich die Hand gegen die Wunde preßte. »Das ist das Leben«, erwiderte er. »So ge fällt es mir. Das ist allemal besser, als nur zu träumen.« »Dennoch müssen wir die Wunde versor gen«, sagte der Arkonide. Er riß einen Strei fen aus der Kleidung eines getöteten Dellos und verband die Wunde damit. Voller Be denken beobachtete er den Fallenmeister. Kortanak war gefährlich, weil er gar nicht wußte, was es bedeutete zu leben. Er hatte den größten Teil seines Lebens schlafend verbracht, wobei er von den Herren der FE STUNG mit Träumen versorgt worden war. Er war mit Hilfe Darsiors geflohen, nach dem die Herren ihm vorgeworfen hatten, versagt zu haben, und ihn töten wollten. War Kortanak wirklich Gefahren gewach sen? Zu spät, signalisierte der Logiksektor. Jetzt kannst du ihn nicht mehr zurück schicken. »Wir gehen weiter«, sagte der Arkonide, als die Wunde versorgt war. Er deutete auf die einzige Tür im Raum. »Wohin geht es dort?« »Dahinter liegt eine Maschinenhalle«, antwortete Razamon. »Ich habe kurz hinein gesehen. Es scheint niemand darin zu sein.« »Also gut«, sagte Atlan. »Jeder nimmt sich ein oder zwei Messer. Vielleicht kön nen wir uns später bessere Waffen besor gen.« Er öffnete die Tür und trat hindurch. Er kam in eine Halle, die etwa zweihundert Meter lang und fünfzig Meter breit war. Klobige Maschinen ragten höher als fünfzig Meter in die Höhe bis fast unter die mit Leuchtplatten versehene Decke. Nur wenige Maschinen arbeiteten, ohne daß für Atlan und seine Begleiter erkennbar wurde, was sie verrichteten. »Am besten zerschlagen wir alles«, sagte Razamon grimmig. »Abwarten«, erwiderte Atlan. »Wir sind
5 nicht hier, um wahllos herumzutoben, son dern um die Herren der FESTUNG zu ent machten. Vorläufig sind wir noch nicht ein mal in der FESTUNG, und wenn wir blind um uns schlagen, kommen wir vielleicht gar nicht hinein.« Razamon schüttelte mürrisch den Kopf und trat mit dem Fuß gegen eine Maschine. Die Verkleidung gab nach, und ein lautes Knacken verriet, daß dahinter etwas zerbro chen war. »Er soll uns den Weg in die FESTUNG endlich zeigen«, forderte Razamon und deu tete auf Darsior. »Worauf wartet er eigent lich?« Er blickte den Androiden herausfordernd an. Gleich schlägt er ihn zu Boden, meldete der Logiksektor. Atlan stellte sich schützend vor Darsior. »Er ist dabei, uns den Weg zu zeigen«, er klärte er. »Allerdings weiß er selbst nicht genau, wohin wir gehen müssen. Er war ja noch nicht in der FESTUNG.« »Ich habe nur einen Wunsch«, beteuerte Darsior. »Ich will die Herren töten. Ich has se sie wie nichts sonst auf der Welt.« »Das glaube ich dir«, antwortete Atlan. Er wußte von Darsior, daß dieser ein Andro idenmädchen geliebt hatte. Es war ebenso wie er selbst auch eine »Fehlschöpfung« ge wesen. Deshalb hatten die Herren der FE STUNG es umprogrammiert und dabei ihre Persönlichkeit vernichtet. Razamon wandte sich trotzig ab und ging weiter. Er zog sein Bein nach. Er hat Schmerzen, signalisierte der Extra sinn. Der Zeitklumpen quält ihn. Das macht ihn gereizt und aggressiv. Atlan gab den anderen einen Wink. Schweigend folgten sie Razamon bis zu ei ner großen Tür. Als der Atlanter sich ihr bis auf wenige Schritte genähert hatte, schob sie sich zur Seite. Razamon blieb stehen und hob sein Schwert. Aus einer Schleusenkammer trat ihm ein hochgewachsener Dello entgegen, der nur mit einer Art Lendenschurz bekleidet war.
6 Der Androide schien unbewaffnet zu sein. »Laß ihn«, rief Atlan, als er merkte, daß Razamon ihn zerstören wollte. »Warte doch erst einmal ab.« Er schloß zu dem Atlanter auf. »Verdammter Narr«, fluchte Razamon unbeherrscht. »Das ist nichts weiter als eine Falle.« Erneut hob er das Schwert, doch Atlan legte ihm die Hand auf den Arm. »Er will uns etwas sagen.« Der Dello blickte ihn mit seelenlosen Au gen an. Er legte die Hände an die Brust, drückte die Fingerspitzen ins Fleisch und zog die Haut auseinander. Ein Spalt ent stand, der sich rasch verbreiterte, und ein ovaler Bildschirm wurde sichtbar. Als er diesen freigelegt hatte, drückte der Dello ei ne Taste unter dem Schirm. Eine Metallmas ke erschien im Projektionsfeld. Hinter den Augenschlitzen funkelten dunkle Augen, und ein lippenloser Mund lag hinter einer runden Öffnung. »Fremde«, sagte der Mann mit der Maske. »Es ist genug. Ihr seid weit in den Bereich der FESTUNG vorgedrungen. Es ist euch gelungen, allen Fallen auszuweichen oder zu entkommen, die wir euch gestellt haben. Jetzt ist unsere Geduld zu Ende. Wir fordern euch auf, den Bereich der FESTUNG sofort zu verlassen.« »Und was ist, wenn wir das nicht tun?« fragte Razamon. »Dann werdet ihr sterben.« Razamon lachte höhnisch. »Ihr versucht nun schon eine ganze Wei le, uns umzubringen. Bis jetzt ist euch das nicht gelungen. Nun versucht ihr Narren es mit guten Worten. Glaubt ihr, daß wir uns davon beeindrucken lassen?« »Es ist die letzte Gelegenheit für euch, eu er Leben zu retten«, behauptete der Mann mit der Metallmaske. »Wenn ihr nicht um kehrt, ist alles zu spät.« »Wer bist du?« fragte Atlan. »Bist du ei ner der Herren der FESTUNG?« Der lippenlose Mund verzog sich zu ei nem spöttischen Lächeln.
H. G. Francis »Glaubst du wirklich, daß die Herren sich dazu herablassen würden, mit dir zu spre chen? Wer bist du schon?« Der Androide drückte die Taste. Der Bild schirm erlosch, und der Dello schob die Haut wieder über der Brust zusammen. Da nach war nicht mehr zu sehen, was sich dar unter verbarg. »Verschwinde«, rief Razamon, »oder ich vergesse mich.« Atlan beobachtete den Freund verwun dert. Razamon verhielt sich anders als sonst. Waren die Schmerzen in seinem Bein so groß geworden, daß sie ihn zu stark belaste ten? Oder war es die Umgebung, die ihn veränderte? Der Androide drehte sich um und wollte sich entfernen. Razamon sprang ihn an und hieb ihm das Schwert über den Schädel. Der Dello stürzte zu Boden und blieb funktions unfähig liegen. »Bist du jetzt zufrieden?« fragte Atlan. Razamon fuhr herum. Blitzschnell richte te er das Schwert auf den Arkoniden und drückte ihm die Spitze der Klinge gegen die Brust. »Sei vorsichtig«, ermahnte er ihn. »Ich tue, was ich für richtig halte. Wenn dir das nicht gefällt, kannst du umkehren. Dies ist mein Kampf gegen die Herren der FE STUNG, und ich führe ihn auf meine Wei se.« »Er spinnt«, bemerkte Kolphyr mit schril ler Stimme. »Komm her zu mir, Razamon. Laß dich in die Arme nehmen und trösten.« Er streckte die Arme aus und versuchte, den Atlanter an sich zu ziehen. Razamon dachte jedoch nicht daran, den Bera an sich heranzulassen. Er fuhr herum und richtete das Schwert gegen ihn. »Bleib mir vom Leib«, rief er. »Keinen Schritt näher.« »Hast du den Verstand verloren?« fragte Koy der Trommler. »Hast du vergessen, wer deine Freunde, und wer deine Feinde sind?« »Wer mich daran hindern will, die Herren der FESTUNG zu vernichten, ist nicht mein Freund«, erwiderte Razamon. Er hieb Kol
Herren der FESTUNG phyr das Schwert mit der flachen Seite der Klinge gegen die Brust. Dabei schlug er so wuchtig zu, daß der Bera zurücktaumelte. »Komm zu dir«, sagte Atlan erregt. »Es reicht jetzt.« Razamon drehte sich betont langsam zu ihm um. Er wippte auf den Fußballen und ließ das Schwert zwischen seinen Händen hin und her wandern. »Klar paßt es dir nicht, wenn es mal nicht nach deiner Nase geht«, sagte er verächtlich. »Finde dich damit ab, daß die Zeit vorbei ist, in der ich mich nach dir gerichtet habe.« Er steht unter einem fremden Einfluß, stellte der Logiksektor fest. Aufpassen. Gleich greift er dich an. Atlan blieb ruhig. Er veränderte nur die Stellung der Füße, so daß Razamon ihn nicht so leicht umwerfen konnte, wenn er sich auf ihn stürzte. Dabei beobachtete er den Freund. Die Anzeichen waren deutlich. Raz amon war nicht mehr er selbst. Ein anderer sprach aus ihm. War es der Mann mit der Metallmaske? »Also gut«, erwiderte Atlan, wobei er sich so gleichmütig wie eben möglich gab. »Geh du deinen Weg allein. Wir hindern dich nicht daran.« »Das wollte ich euch auch nicht geraten haben«, sagte Razamon drohend. Er drehte sich um und tat, als wolle er sich entfernen. Achtung! schrie es in Atlan. Razamon ließ sich in die Hocke sinken, fuhr herum und schnellte sich auf Atlan, wo bei er das Schwert auf ihn richtete und ver suchte, es ihm von unten her in den Leib zu stoßen. Der Arkonide wich ihm tänzelnd aus. Razamon flog an ihm vorbei und stürzte auf den Boden. Kolphyr bückte sich und streckte die Hän de nach ihm aus. »Zurück«, rief Atlan. Razamon rollte sich herum und richtete sich langsam auf. In seinem Gesicht zuckte es unkontrolliert. Das schwarze Haar fiel ihm tief in die Stirn. Fenrir strich an ihm vorbei und legte sich zwischen ihm und Atlan auf den Boden. Er
7 knurrte leise. »Was ist los?« fragte Razamon. »Was wollt ihr denn von mir?« »Das möchten wir gern von dir wissen«, sagte Koy der Trommler. »Wieso greifst du Atlan an?« Razamon schüttelte den Kopf. Er lachte ungläubig. »Was soll der Unsinn, Koy? Du willst doch wohl nicht ernsthaft behaupten, daß ich so etwas getan habe. Oder?« Er blickte At lan forschend an, doch der Arkonide beach tete ihn kaum noch, Atlan richtete seine gan ze Aufmerksamkeit auf die anderen. Razamon war offensichtlich frei. Wen würde der Unbekannte jetzt über nehmen? Kolphyr? Bei ihm würde er es schwer haben, ihn zu einem Angriff auf sei ne Begleiter zu bewegen. Vielleicht würde er bei dem Bera wegen dessen Fremdartig keit sogar völlig scheitern. Darsior? Das war kaum anzunehmen. Da zu waren die Mittel des Androiden zu ge ring. Ebenso war nicht zu fürchten, daß er sich des Fallenmeisters bediente. Am gefährlichsten war es, wenn er Koy überwältigte. Mit der Broinskraft des Trommlers würde er eine Waffe in die Hand bekommen, mit der er buchstäblich alles zerstören konnte. »Paß auf, Koy«, sagte Atlan. »Jemand wird versuchen, dich zu beeinflussen.« »Das schafft keiner«, behauptete Koy selbstsicher. »Aber wie sieht es mit dir aus?« »Mich schützt das Goldene Vlies«, erwi derte der Arkonide überzeugt. »Paß auf dich auf.« Er nahm sich vor, Koy besonders auf merksam zu beobachten. »Gehen wir jetzt endlich weiter?« fragte Razamon gereizt. »Allerdings«, sagte Atlan. Er stieg über die Reste des zerstörten Androiden hinweg und öffnete das hintere Schott der Schleu senkammer. Es glitt mit verblüffender Ge schwindigkeit zur Seite, und eine Flutwelle einer ätzenden Säure schoß auf Atlan und
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seine Begleiter zu. Gleichzeitig hob sich hinter ihnen eine Schwelle aus dem Boden, so daß die Säure sich nicht allzu weit aus breiten konnte.
2. Das Schott öffnete sich, und drei Dellos betraten den Raum. Sie trugen violette Um hänge, die von ihren Schultern bis an den Boden reichten. Ihre Gesichter waren nicht ganz so leer wie die der anderen Androiden. Heimdall zerrte zornig an seinen Fesseln. Sie bestanden aus Stahl und banden ihn an schimmernde Ringe aus einem unbekannten Material, die in die Wand eingelassen wa ren. Neben ihm standen Sigurd, Balduur und Thalia. Auch sie waren in gleicher Weise gefesselt. Ihre Waffen lagen mehrere Meter von ihnen entfernt – und damit unerreichbar für sie – auf dem Boden des Raumes, in dem man sie geschleppt hatte. Ihr Kampf war vergeblich gewesen. Un mittelbar vor dem Eingang der pyramiden förmigen FESTUNG hatten die Androiden sie überwältigt und gefesselt. Die drei Dellos blieben vor Thalia und den drei Söhnen Odins stehen. An der Moni torwand neben Heimdall leuchteten mehrere Bildschirme auf, ohne daß sich ein erkenn bares Bild formte. Dann aber senkte sich eine Kugel aus der Decke herab. Ein Teleskopstab führte sie. Einer der Androiden legte seine Hand dar auf, und die vordere Seite der Kugel erhellte sich. Das dreidimensionale Gesicht eines Mannes erschien im Bild, der eine Metall maske trug. »Wir haben euch über lange Jahre hinweg beobachtet«, eröffnete er den Gefangenen. »Nie hat es einen Grund für eine gewaltsa me Auseinandersetzung zwischen uns gege ben. Wir sind in der FESTUNG geblieben, ihr seid vor der Barriere gewesen und habt uns nicht gestört. Weshalb brecht ihr jetzt den Frieden? Weshalb vernichtet ihr meine wertvollsten Diener?«
»Eure Zeit ist abgelaufen«, erklärte Si gurd mit fester Stimme. »Lange genug ha ben wir stillgehalten. Vielleicht schon zu lange. Die Stunde der Götterdämmerung ist angebrochen, und ihr werdet den Sturz in das Nichts nicht verhindern können.« »Große Worte«, entgegnete der Mann mit der Metallmaske. »Ihr seid gefesselt und machtlos, habt ihr das vergessen?« »Fesseln oder nicht. Das spielt keine Rol le«, sagte Sigurd. »Wir wissen, daß es mit eurer Macht vorbei ist. Wenn ihr euch retten wollt, dann ergebt euch, ehe es zu spät ist.« »Die Herren der FESTUNG werden sich niemals ergeben. Ich bin ihr Diener und Ver trauter. Ich weiß es.« »Dann wirst du mit ihnen sterben«, rief Balduur erregt. Der Mann mit der Maske lächelte selbstsi cher. »Ich lasse euch den Vortritt«, sagte er. »Und ich werde dafür sorgen, daß euer Tod alle Vorstellungen übertrifft. Er wird lang sam und qualvoll sein.« Thalia und ihre Brüder blickten den Mann furchtlos an. Keiner von ihnen glaubte, daß tatsächlich alles vorbei war. Obwohl ihre Si tuation so gut wie aussichtslos war, glaubten sie fest daran, daß eine Wende zu ihren Gunsten eintreten werde. »Ich klage euch hiermit an, wie es die Form euch gegenüber verlangt«, sagte der Maskierte. »Ihr habt die Barriere durchsto ßen und den Frieden gebrochen. Darauf steht die Todesstrafe. Bekennt ihr euch schuldig?« »Wir können es wohl kaum leugnen«, er widerte Heimdall grimmig. Verächtlich füg te er hinzu: »Hoffentlich findet ihr jeman den, der sich nahe genug an uns herantraut.« »Ihr habt zugegeben, daß ihr schuldig seid«, bemerkte der Maskierte, als habe Heimdall nichts gesagt. »Dann bin ich be rechtigt, euch zum Tode zu verurteilen. Das Urteil wird sofort vollstreckt werden. Wir beginnen mit dir.« Er zeigte auf Thalia. Der Bildschirm erlosch. Die Kugel stieg
Herren der FESTUNG zur Decke empor und verschwand darin. Ratlos blickten Thalia und ihre Brüder sich an. Heimdall zerrte an seinen Fesseln, ohne sie sprengen zu können. »Wir benötigen Hilfe«, stellte Sigurd fest. »Wo bleiben die Fremden, von denen Odin gesprochen hat?« Die anderen antworteten nicht auf seine Frage, weil auch sie es nicht wußten. Ein Schott, das sie bis dahin nicht be merkt hatten, glitt im Boden zur Seite. Aus der Öffnung hob sich ein mit zahlreichen, blitzenden Geräten versehener Tisch empor. Thalia preßte die Lippen zusammen, als sie ihn sah. Die Instrumente waren Folter werkzeuge, mit denen sie zu Tode gequält werden sollte.
* »Zurück«, rief Atlan Koy zu. Der Trommler reagierte jedoch ganz an ders als erwartet. Während Fenrir, Darsior, Kortanak und Razamon sich blitzschnell hinter die Schwelle in Sicherheit brachten, setzte Koy seine Broinskraft ein. Er war am weitesten von der Schwelle entfernt und konnte sie nicht vor der Säurewelle errei chen. Atlan und Kolphyr standen dicht bei dem Schott. Sie wurden von der Flüssigkeit voll erfaßt. Doch weder der Bera, noch At lan merkten etwas davon. Kolphyr schützte sich mit dem Velst-Schleier, den die Säure nicht durchdringen konnte, und Atlan hatte das Goldene Vlies. Dennoch zogen sich bei de zurück, um sich nicht unnötig einer Ge fahr auszusetzen. Koy schleuderte die Broinskraft auf die Säure. Die Säure verwandelte sich um ihn herum in Kristalle, die aufwirbelten und einen Wall gegen die Flut bildeten. Dadurch gewann der Trommler einige Sekunden, die ausreichten, sich ebenfalls zu retten. »Viel hat wirklich nicht gefehlt«, sagte Darsior mit gepreßter Stimme. Er riß sich die Schuhe und Strümpfe von den Füßen. Atlan sah, daß die Säure große Löcher in seine Haut gefressen hatte. Auch der Fallen
9 meister zog sich die Stiefel aus. Er war je doch nicht so stark verletzt wie der Andro ide. »Wenn ich den erwische, der dafür ver antwortlich ist, mache ich kurzen Prozeß«, sagte Razamon. Er blickte auf die Reste des Dellos, den er zerstört hatte. Der Androide löste sich unglaublich schnell in dem Säure see auf. Auch die Metall- und Glasteile in seinem Innern verschwanden in der Säure. Das Schott schloß sich wieder. »Die Säure muß abfließen«, sagte Atlan, »sonst kommen wir nicht weiter.« Er stellte fest, daß der Boden auf der einen Seite der Maschinenhalle ein leichtes Gefälle hatte, und er wies Koy darauf hin. Der Trommler konzentrierte sich kurz. Dann schlugen die kugelförmigen Enden seiner Broins zusammen. Die Schwelle zersplitter te in unzählige Einzelteile. Die Säure floß durch die entstandene Lücke ab, fraß einige Meter weiter eine Öffnung in den Boden und verschwand in einem Gitter. »Sie haben die Falle sorgfältig vorberei tet«, stellte Darsior fest. »Die Säure richtet nicht den geringsten Schaden an den Ma schinen an.« Aus bisher verborgen gebliebenen Öff nungen in der Decke sprühte Wasser herab und spülte die letzten Reste der Säure weg. Darsior hielt seine verbrannten Füße rasch in den Regen, um sie abzukühlen. Razamon stieg über die Schwelle hinweg und ging zum Schott. Es ließ sich mühelos öffnen. Als es zur Seite glitt, trat er vorsich tig zurück, doch jetzt erfolgte kein Angriff. Vor ihnen lag eine langgestreckte Halle, in der zahllose Generatoren standen. Auf den ersten Blick erkannte Atlan, daß sie eine der wichtigsten Kraftwerke von Pthor erreicht hatten. Vielleicht war es das wichtigste überhaupt. »Na also«, sagte Razamon. »Besser hätten wir es nicht treffen können.« Anerkennend nickte er Darsior zu. »Was hast du vor, Razamon?« fragte der Dello. »Wir werden alle Anlagen zerstören«, er
10 klärte der Atlanter. »Wir werden dieses Kraftwerk in einen einzigen Trümmerhaufen verwandeln.« »Werden wir das?« fragte Atlan. »Daran zweifelt doch wohl hoffentlich niemand«, erwiderte Razamon herumfah rend. »Hast du vergessen, weshalb wir hier sind?« Atlan blieb ruhig und überlegen. »Unsere Aufgabe ist es, Pthor von der Erde zu entfernen. Das ist wohl nicht gut mög lich, wenn wir die Kraftwerke zerstören, aus denen Pthor seine Energie bezieht.« Razamon ließ sein Schwert sinken. Er fuhr sich mit dem Handrücken über die schweißbedeckte Stirn. »Was ist nur mit mir los?« fragte er. »Ich sage, was ich nicht sagen will, und ich tue, was ich nicht tun will. Paßt auf mich auf. Ich glaube, ich bin die schwache Stelle, an der unsere Gegner immer wieder versuchen, un sere Gruppe aufzubrechen.« Atlan nickte ihm zu. Er ging an ihm vor bei auf einen Generator zu, doch dann blieb er plötzlich stehen und streckte vorsichtig die Hände aus. »Wir haben uns umsonst aufgeregt«, ver kündete er. »An die Generatoren kommen wir doch nicht heran. Hier ist ein Energie schirm.« Razamon schloß zu ihm auf. Er führte die Spitze des Breitschwertes gegen den Ener gieschirm. Die Waffe prallte zurück, als sei sie auf einen festen Gegenstand gestoßen. »Und jetzt?« fragte Koy. »Wie geht es weiter?« Ratlos blickte er sich um. Kolphyr, Darsi or, Kortanak und Fenrir hatten das Schott passiert. Dieses schloß sich hinter ihnen. Sie waren in einem kleinen Raum gefangen, der durch das Schott, zwei Seitenwände und den Energieschirm begrenzt wurde. In aufkom mender Panik rannte der Fallenmeister zum Schott zurück und versuchte, es zu öffnen. Es gelang ihm nicht. Kortanak begann zu zittern. Er verstand nicht, weshalb die anderen so ruhig blieben. Fürchteten sie nicht um ihr Leben?
H. G. Francis Er wollte leben. Er hatte seine Station nicht verlassen, um schon wenige Stunden später in einer solchen Falle zu enden. Er konnte sich vorstellen, was passieren würde. Aus dem Boden oder den Wänden würde et was hervorschießen, was sie alle töten wür de. Alle? Er blickte Atlan und Kolphyr forschend an. Nein. Der Dello, Razamon, Koy der Trommler und Fenrir befanden sich in einer ähnlichen Situation wie er selbst auch. Atlan und der Bera brauchten sich jedoch nicht zu fürchten. Der Arkonide trug einen golden schimmernden Anzug, der ihn offenbar vor allen nur erdenklichen Gefahren schützte. Ebenso Kolphyr. Dieser hatte den VelstSchleier, der eine ähnliche Funktion hatte. Kortanak wußte mittlerweile über seine Begleiter recht gut Bescheid, da er sie über alles befragt hatte, was ihn interessierte, wenn sich nur eine Gelegenheit dazu erge ben hatte. Er ahnte allerdings nicht, daß Kol phyr ein Wesen war, das aus Anti-Materie bestand, und daß er ohne den Velst-Schleier auf Pthor gar nicht hätte existieren können. Doch an Kolphyr wagte er sich ohnehin nicht heran. Der Bera war ihm zu groß und zu kräftig, und er konnte sich nicht vorstel len, daß es ihm gelingen würde, ihm den Velst-Schleier abzunehmen. Anders bei Atlan. Das Goldene Vlies lockte. Es war dem Fallenmeister von Anfang an als das wich tigste Gut erschienen, das zu erringen war, obwohl er zunächst noch gar nicht erkannt hatte, was der Anzug der Vernichtung leiste te. In diesen Sekunden der vermeintlich größten Gefahr beschloß der Fallenmeister, Atlan das Goldene Vlies bei der ersten sich bietenden Gelegenheit abzunehmen und sich selbst überzustreifen. »Wir müssen 'raus hier«, sagte Atlan. »So schnell wie möglich, bevor man uns wieder mit irgendeiner Teufelei überrascht.« Er wies zur Decke empor. »Versuche es,
Herren der FESTUNG Koy«, bat er. »Warum nicht nach unten?« fragte Darsi or. »Weil man das wahrscheinlich von uns erwartet«, erwiderte der Arkonide. Koy der Trommler blickte nach oben. Er konzentrierte sich auf die Deckenverscha lung. Atlan glaubte, ein rasch lauter werdendes Trommeln zu vernehmen. Er trat einige Schritte zurück. Plötzlich platzten einige Deckenplatten explosionsartig auseinander. Die Splitter regneten herab, und eine Öff nung entstand, durch die Atlan in einen an deren Raum sehen konnte. »Kolphyr«, rief er. Der Bera verstand. Er stellte sich unter dem Loch auf und beugte sich leicht nach vorn. Atlan rannte auf ihn zu, sprang ihm mit einem Fuß auf den Rücken und schnellte sich hoch. Er packte die Ränder der aufgesprengten Öffnung und zog sich darüber hinweg. Als er sich aufrichtete, stürzten sich meh rere Dellos auf ihn. Sie waren mit Messern und Lanzen bewaffnet und versuchten, ihn zu töten. Atlan wich ihnen aus und flüchtete einige Schritte zur Seite, um sie von dem Loch im Boden wegzulocken. Sie fielen auf seine Finte herein und versuchten, ihn in ei ne Ecke zu drängen. Dadurch erhielt Razamon Gelegenheit, ihm zu folgen. Als er durch die Öffnung stieg, kämpfte der Arkonide bereits mit den Dellos, die sich als weitaus gefährlicher er wiesen als alle anderen, denen sie bisher be gegnet waren. Immer wieder durchbrachen die Andro iden die Deckung des Arkoniden. Ihre Mes ser und Lanzen stießen gegen das Goldene Vlies, ohne es durchtrennen zu können. Die Dellos merkten schnell, daß sie auf diese Weise nichts erreichten. Sie konzentrierten sich daher ganz auf das freiliegende Gesicht Atlans, die einzige verwundbare Stelle. Da bei arbeiteten sie so geschickt zusammen, daß es dem Arkoniden nicht gelang, einem von ihnen eine Waffe zu entreißen. Schließ lich warfen sich vier Dellos auf seine Beine und hielten sie fest. Zwei andere packten
11 seine Arme und bogen sie nach hinten, wäh rend die letzten beiden versuchten, ihm ihre Lanzen ins Gesicht zu stoßen. Jetzt versagte auch Atlans Dagorkampf technik. Razamon stürzte sich auf die Dellos und schlug sie nieder, bevor sie Atlan töten konnten. Während Darsior und Kortanak durch die Öffnung kletterten, zerstörte Raza mon zusammen mit Atlan die übrigen Del los, die nun nichts mehr gegen sie ausrichten konnten. Danach halfen sie Koy, Fenrir und schließlich Kolphyr, nach oben zu kommen. Atlan öffnete eine Tür und blickte auf einen Gang hinaus, von dem zahlreiche an dere Türen abzweigten. »Hier geht es weiter zur FESTUNG«, sagte er. »Oder irre ich mich?« »Es ist die Richtung zur FESTUNG«, er widerte Darsior, der sich hier am besten von allen auskannte, weil er einige Male in den subpthorischen Anlagen gewesen war. Wortlos gingen sie weiter. Sie waren sich darüber einig, daß sie nirgendwo einen un nötigen Aufenthalt einlegen würden. Hin und wieder blieben sie stehen, um an den Türen zu lauschen, doch sie hörten nichts. Hinter den Türen schien sich niemand auf zuhalten, auch schienen hier keine Maschi nen vorhanden zu sein, die arbeiteten. Da Atlan glaubte, daß es ein unnötiges Risiko gewesen wäre, die Türen zu öffnen, drangen sie bis an das Ende des Ganges vor, ohne in einen der Seitenräume gesehen zu haben. Am Ende des Ganges befand sich ein ro tes Schott, das mit einer Schrift versehen war. »Kannst du das lesen?« fragte Atlan Raz amon. Dieser schüttelte den Kopf. »Ich habe nie solche Schriftzeichen gese hen«, erwiderte er. Fragend blickte der Ar konide die anderen an, doch alle gaben ihm zu verstehen, daß sie ebenso hilflos waren wie Razamon. Atlan legte seine Hand auf eine Kontakt scheibe, die sich in Schulterhöhe neben der Tür befand. Er erwartete, daß sich das Schott zur Seite schieben würde. Doch das
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war nicht der Fall. Der Fußboden gab unter ihnen nach. Er kippte auf einer Länge von fast zwanzig Metern steil nach unten, so daß keiner von ihnen sich halten konnte. Schrei end stürzten sie in die Tiefe. Sie rutschten über die Schräge in einen quadratischen Raum, der völlig leer war und von Leucht elementen an der Decke erhellt wurde. Als sie alle auf dem Boden gelandet waren, klappte der Boden wieder nach oben. Die Öffnung in der Decke schloß sich. Sie waren in einem Raum gefangen, der weder Türen noch Fenster hatte.
* Thalia bereitete sich auf die Entscheidung vor. Sie wußte, daß es jetzt um alles ging. Wenn es ihr nicht innerhalb der nächsten Minuten gelang, sich aus den Fesseln zu be freien, dann waren sie und ihre Brüder ver loren. Sie blickte Sigurd an. »Aufpassen«, raunte er ihr zu. »Sie müs sen dich auf den Tisch bringen. Das ist deine Chance.« Die drei Dellos standen noch immer untä tig herum, doch Thalia war sich darüber klar, daß sie bald aktiv werden würden. Sie würden sie von den Wandfesseln lösen und sie auf den Foltertisch spannen. Für kurze Zeit mußten sie die Fesseln also wohl oder übel abnehmen. Einer der drei Dellos griff unter seinen Umhang. Er holte einen Schlüssel hervor. Thalia erkannte den Schlüssel sofort wieder. Es war jener, mit der die Fesseln aufge schlossen werden konnten. Als der Dello sich ihr näherte, öffnete sich die Tür. Sieben weitere Androiden kamen herein. »Wartet«, rief Sigurd. »Wir müssen end lich mit den Herren der FESTUNG sprechen und den Irrtum aufklären, der euch unterlau fen ist.« Die Dellos wandten sich ihm zu. In ihren gleichförmigen Gesichtern zeichnete sich Ratlosigkeit ab. »Was glotzt ihr mich an?« fragte Sigurd
mit hallender Stimme. »Ich habe die Wahr heit gesagt. Ihr seid dabei, einen Fehler zu machen, der alles verderben wird. Wir sind schließlich nicht hier, um die Herren der FE STUNG zu bekämpfen. Uns geht es allein um die Fremden, die in den Bereich der FE STUNG eingedrungen sind. Wir müssen sie aufhalten, weil es sonst eine Katastrophe gibt, die Pthor vernichten wird.« Einer der Dellos, der einen Umhang trug, kam zu Sigurd. »Seltsame Worte«, sagte er. »Vorhin habt ihr erklärt, daß ihr gegen die Herren der FE STUNG kämpft.« »Ich habe gesagt, daß ihre Zeit abgelaufen ist«, erwiderte Sigurd. »Damit wollte ich ausdrücken, daß die Form ihrer bisherigen Herrschaft nicht mehr weiter aufrechterhal ten werden kann. Das bedeutet nicht, daß ich die Herren bekämpfe. Mir kommt es darauf an, ihnen einen schweren Fehler bewußt zu machen, den sie begangen haben.« Der Dello war verwirrt. Hilfesuchend blickte er zur Decke hoch. Tatsächlich schob sich dort eine Platte zur Seite, und die Kom munikationskugel senkte sich herab. Das Projektionsfeld erhellte sich, und das maskierte Gesicht erschien. »Sprich«, sagte der Mann mit der Metallmaske. »Was gibt es viel zu reden?« entgegnete Sigurd. »Wir sind hier, um Seite an Seite mit den. Herren der FESTUNG zu kämpfen. Da zu fühlen wir uns verpflichtet. Wir haben jahrelang nebeneinander gelebt, ohne uns zu befehden. Warum sollten wir es jetzt tun?« »Ihr seid durch die Barriere gekommen und habt von Anfang an gekämpft. Ihr habt zahlreiche Dellos vernichtet und großen Schaden angerichtet«, erklärte der Maskier te. »Angesichts des sicheren Todes willst du mir weismachen, daß alles gar nicht so ge meint war?« »Glaubst du, daß wir bereit gewesen wä ren, mit hirnlosen Androiden zu verhandeln? Deine Dellos haben uns angegriffen. Uns blieb gar nichts anderes übrig, als uns gegen sie zu wehren. Hätten wir es nicht getan, wä ren wir von ihnen getötet worden.«
Herren der FESTUNG »Das ist allerdings richtig«, gestand der Maskierte ein. »Wir haben uns nicht vorstellen können, daß niedere Kreaturen es wagen würden, uns mit dem Tode zu bedrohen. Offenbar meinst du es jedoch ernst.« Sigurd beobachtete, daß der Maskierte zu sammenzuckte, als er begriff, was er ge meint hatte. »Du bezeichnest mich als niedere Krea tur?« rief der Maskierte. »Du bist nichts anderes als ein Sklave der Herren der FESTUNG. Also stehst du weit unter uns. Das bedeutet, daß du für uns kein ernstzunehmender Verhandlungspartner bist.« »Dann habt ihr euch über mich lustig ge macht?« fragte der Mann mit der Metallmas ke bestürzt. Sigurd antwortete nicht. Er lächelte kalt. Thalia, Balduur und Heimdall taten, als sei das Gespräch für sie ohne jedes Interesse. »Es bleibt bei dem Todesurteil«, verkün dete der Maskierte mit schriller Stimme. »Bringt sie um, Dellos! Foltert sie! Tötet sie!« Der Bildschirm erlosch. Die Kugel stieg nach oben und verschwand in der Decke. Die Dellos streckten ihre Hände nach Thalia aus. Der Schlüssel glitt ins Schloß. Die Fesseln fielen. Zahllose Arme griffen zu und zerrten die Tochter Odins zum Folter tisch. Thalia kämpfte verzweifelt. Sie schlug um sich, ließ sich auf den Boden fallen und riß die Dellos von den Beinen. Durch die offene Tür kamen jedoch mehr und mehr Andro iden herein, bis Thalia unter einem ganzen Knäuel von Leibern verschwand. Irgend jemand traf sie so unglücklich am Kopf, daß sie für einige Sekunden das Be wußtsein verlor. Die Dellos hoben ihren er schlafften Körper hoch, warfen ihn auf den Foltertisch und legten ihr erneut Fesseln an. Als Thalia wieder zu sich kam, konnte sie sich nicht mehr bewegen. Einer der Dellos schaltete ein Instrument mit einer kleinen Kreissäge an der Spitze an.
13 Er führte es auf Thalias Beine zu. »Halt«, schrie Sigurd entsetzt. »Was hast du vor?« »Die Folter beginnt«, antwortete der Del lo. »Und sie endet erst, wenn der Gefangene tot ist. Dann wird der nächste Gefangene in gleicher Weise behandelt.« Er setzte die Säge an. Kreischend fraß sie sich in die Stiefel Thalias.
* Atlan begann sofort mit der Untersuchung des Raumes, während seine Begleiter noch über den Fehler diskutierten, den sie began gen hatten. »Wir haben uns vorgenommen, nicht mehr so dicht beieinander zu bleiben«, sagte Koy vorwurfsvoll. »Wären wir bei unserem Vorsatz geblieben, dann wären wir nicht alle zugleich in diese Falle gerutscht.« Atlan stellte nach kurzer Zeit fest, daß der erste Eindruck nicht getäuscht hatte. Der Raum besaß tatsächlich keinen Ausgang. »Wir müssen versuchen, durch die Decke zu gehen«, sagte er und rief Kolphyr zu sich. Er kletterte auf die Schultern des Beras, so daß er die Deckenplatten mit den Händen er reichen konnte. Als er sie berührte, vernahm er ein leises Zischen. »Sie blasen Gas hinein«, rief er und sprang von Kolphyr herunter. »Koy, du mußt es versuchen.« Der Trommler blickte nach oben und kon zentrierte sich. Bevor er seine Broinskraft jedoch einsetzen konnte, begann das Gas zu wirken. Seine Beine knickten ein, und er stürzte zu Boden. Unmittelbar darauf kipp ten Atlan, Razamon, Kolphyr, Darsior und Fenrir um. Nur der Fallenmeister Kortanak blieb stehen. Verwundert beobachtete er das Geschehen. Bei ihm erzielte das Gas keiner lei Wirkung. Er beugte sich über die anderen und un tersuchte sie. Dabei stellte er fest, daß sie nicht tot, sondern nur bewußtlos waren. Er lächelte.
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War das nicht genau die Situation, auf die er gewartet hatte? Die Fremden, denen er sich anvertraut hatte, erwiesen sich als schwach und anfäl lig. Er dagegen behauptete sich. Er mußte sein Schicksal jetzt selbst in die Hand nehmen. Alles andere wäre töricht, so meinte er. Er kniete neben Atlan nieder und öffnete den Anzug der Vernichtung. Mühelos streif te er ihn dem Arkoniden ab. Sein Herz klopfte wild in der Brust. Immer wieder re dete er sich ein, daß er dazu berechtigt war, dies zu tun, da Atlan und seine Freunde oh nehin verloren waren, während die Zu kunftsaussichten für ihn viel besser waren. Er erhob sich und stieg in den Anzug der Vernichtung. Lächelnd schloß er ihn. Dann atmete er tief durch. Ihm war, als hätten sich seine Kräfte plötzlich verzehnfacht. Was sollte ihm jetzt noch geschehen? Sollten die Herren der FE STUNG ruhig kommen. Er würde sich sei ner Haut schon zu wehren wissen. Er nahm Razamons Breitschwert an sich und klopfte nun die Wände Stück für Stück ab, bis er eine Stelle fand, an der es hohl klang. Jetzt schlug er das Schwert mehrere Male gegen die Wand, bis ein Stück der Verkleidung heraussplitterte. Er lächelte, als er sah, daß ein Hohlraum dahinter lag. Er brach weitere Brocken aus der Wand, bis ein Loch entstanden war, durch das er hinaus schlüpfen konnte.
3. »Hört auf«, schrie Sigurd. Er hatte kaum damit gerechnet, daß die Dellos ihr grausames Werk tatsächlich ab brechen würden, aber sie taten es. Die Kreis säge verstummte. Eine Tür öffnete sich, und drei prächtig gekleidete Dellos traten ein. Die anderen zogen sich wie auf ein gehei mes Kommando zurück. »Das wurde Zeit«, sagte Sigurd. »Weiter hättet ihr nicht gehen dürfen.« »Warum seid ihr gekommen?« fragte ei-
ner der Dellos. Er war der größte von den dreien. »Das haben wir schon gesagt. Wir wollen mit den Herren der FESTUNG sprechen.« »Dieser Wunsch wird in Erfüllung ge hen«, erklärte der Dello mit ausdruckslosem Gesicht und tonloser Stimme. »Die Herren sind bereit, mit euch zu verhandeln.« Sigurd vermied es, seine Brüder anzuse hen. Er schlug die Augen nieder, um sich nicht anmerken zu lassen, daß er triumphier te. »Wann werden die Herren uns empfan gen?« fragte er. »Jetzt gleich«, erwiderte der Androide, »vorausgesetzt, daß ihr euer Wort gebt, daß ihr nicht mehr gegen sie kämpfen werdet. Sie verlangen absolute Sicherheit.« »Wir geben unser Wort«, erwiderte Si gurd, obwohl er gar nicht daran dachte, den Kampf gegen die Herren der FESTUNG ein zustellen. Ihm kam es nur darauf an, in die Nähe dieser geheimnisvollen Herren zu kommen. Der Dello, der die Verhandlung geführt hatte, gab den anderen beiden ein Zeichen. Die Androiden gingen zum Foltertisch und lösten die Fesseln. Danach befreiten sie auch Sigurd, Balduur und den finsteren Heimdall. »Was ist mit unseren Waffen?« fragte Si gurd. »Ihr könnt sie an euch nehmen«, erwider te der Dello. »Ihr habt versprochen, sie nicht einzusetzen.« »Wir werden unser Wort halten«, erklärte Balduur. Er nahm sein Schwert und den Schild an sich. Er wechselte einen kurzen Blick mit Sigurd und gab diesem zu verste hen, daß er ebenso dachte wie er. »Kommt«, sagte der Dello. »Wir haben die Herren der FESTUNG noch nie gesehen«, sagte Thalia, als sie den Raum verließen. »Wie sehen sie aus?« »Du wirst es erleben«, erwiderte der An droide. Thalia nahm die Vars-Kugel in beide Hände. Sigurd gab ihr ein Zeichen, vorsich tig zu sein, und sie ließ die Waffe sinken.
Herren der FESTUNG Zusammen mit ihren Brüdern folgte sie den drei Dellos durch ein Gewirr von Gängen und über mehrere Treppen bis zu einem Saal, der etwa fünfzig Meter breit und sieb zig Meter lang war. Auf einer der Schmal seiten befand sich eine Tribüne. Sie wurde von zwanzig Dellos bewacht. An den Wän den waren große Bildschirme angebracht, die jedoch nicht erhellt waren. Thalia und ihre Brüder waren sich darüber einig, daß dieser Saal Versammlungen diente. Man führte sie bis dicht vor die Tri büne und hieß sie, hier zu warten. Die drei Dellos, die sie geführt hatten, zogen sich zu rück. Etwa eine halbe Stunde verstrich, ohne daß etwas geschah. Als Sigurd sich schon ungeduldig an die Androiden wenden und sich beschweren wollte, öffnete sich über den Tribünen eine Tür, und ein Wesen, das halb Rind, halb Mensch war, stampfte schnaubend in den Saal. Über einem mächtigen Stierkörper erhob sich der überaus muskulöse Oberkörper ei nes Mannes, aus dessen Schädel zwei ausla dende Hörner ragten. Ein schwarzer, dichter Bart verdeckte die Mundpartie. Unter bu schigen Augenbrauen, die sich bis zu den Wangen herunterzogen, lagen große Augen, die die drei Männer und das Mädchen scharf musterten. Der Stiermensch schritt schwerfällig zu einer Seite der Tribüne hin und ließ sich hier schnaubend in eine mit Fellen ausgelegte Mulde fallen. »Ich bin Phagen von Korst«, verkündete er mit tiefer Stimme. Sigurd verneigte sich vor ihm. Er stellte sich, seine Brüder und Thalia vor. Als er ausgesprochen hatte, kam das nächste We sen durch die Tür herein. Es war wieder eine auffallend muskulöse Erscheinung. Es hatte den Oberkörper eines Menschen. Den Unter leib und die Beine verbarg es unter einem gelben Tuch. Darunter ragten zwei scharf kantige Hufe hervor. Der Kopf dieses Mannes war breit. Die
15 Augen lagen tief in den Höhlen, so daß ihre Farbe nicht zu erkennen war. Ein feuerroter Kinnbart reichte bis zum Bauch herab. Auch dieser Mann hatte Hörner. Sie waren jedoch wesentlich kleiner als bei dem Stierwesen und standen aufrecht über der Stirn. »Ich bin Elmthor von Morghom«, erklärte er und setzte sich in einen Sessel. Danach traten drei weitere Wesen gleich zeitig ein. Sie hatten einen gemeinsamen Unterleib. Dieser war etwa vier Meter breit und verfügte über zahllose, schlanke Beine. Sigurd schätzte, daß diese Beine noch nicht einmal so lang waren wie sein Unterarm. Der Unterleib glich dem Körper eines Tau sendfüßlers. Einzelheiten waren jedoch nicht zu erkennen, weil die Herren ihn mit bunten Tüchern verhüllten. Aus diesem Bewe gungsapparat ragten an den beiden äußersten Enden und in der Mitte die drei Oberkörper des Gemeinschaftswesens empor. Sie hatten ein absolut menschliches Aussehen. Die drei Gesichter dieses Wesens waren glatt und ebenmäßig geformt. Sie waren bartlos und wirkten jugendlich. Keines dieser drei Ein zelwesen hatte Hörner. Die Köpfe waren mit schwarzen Haaren bedeckt, die bis weit auf den Rücken herabreichten. »Ich bin Dorlk von Zamyhr«, erklärte das Wesen, das sich auf der linken Seite befand. »Ich bin Kichor von Daspen«, sagte das in der Mitte, und der andere schloß: »Jenthas von Orl.« Sigurd suchte nach Worten. Der Anblick dieses Gemeinschaftswesens hatte ihm die Sprache verschlagen. »Sprecht«, forderte Phagen von Korst. »Jetzt habt ihr Gelegenheit, das zu sagen, was ihr angeblich bisher niemandem mittei len konntet.« »Ihr seid die Herren der FESTUNG?« fragte Thalia. »Wir sind die Herren der FESTUNG«, antwortete das Stierwesen. »Das glaube ich nicht«, rief Balduur. »Beweist es uns.« »Warum sollten wir das tun?« fragte Pha gen von Korst. »Nicht wir wollten mit euch
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reden, ihr wolltet zu uns.« »Allerdings«, antwortete Sigurd und trat entschlossen vor. »Aus gutem Grund.« Er riß seine Streitaxt hoch und stürmte auf das Stierwesen zu. Auch Thalia, Heimdall und Balduur ließen ihre Waffen fallen. Sie griffen die vermeintlichen Herren der FE STUNG an.
* Atlan kam wieder zu sich, weil Fenrir ihm die Zähne in die Schultern grub und ihn über den Boden zerrte. Das Tier verletzte ihn da bei nicht, sondern versuchte nur, ihn von der Stelle zu bewegen. Der Arkonide richtete sich benommen auf und sah sich um. Der Fenriswolf hatte ihn bis an eine Öffnung an der Wand geschleppt. Aus dieser strömte fri sche Luft herein. Koy der Trommler lag be reits davor. Auch er erwachte nun allmäh lich aus seiner Ohnmacht. Darsior kauerte auf dem Boden und rieb sich mit beiden Händen das Gesicht, als könne er dadurch das Gift in seinem Körper schneller vertrei ben. Kolphyr lag in der Mitte des Raumes. Er streckte Arme und Beine weit von sich, und nichts an ihm verriet, ob er noch lebte. Auf der anderen Seite des Raumes war noch eine Öffnung. Sie war größer als jene, vor der Atlan sich befand, und es war klar zu erkennen, daß sie herausgebrochen worden war. Nicht weit davon entfernt ruhte Raza mon. Auch er löste sich aus seiner Bewußt losigkeit. Plötzlich wurde Atlan sich dessen bewußt, daß er den Anzug der Vernichtung nicht mehr trug. Der Fallenmeister, meldete der Extrasinn lakonisch. Atlan sprang auf. Er war jedoch so be nommen, daß er sich wieder auf die Knie herabsinken ließ, um nicht zu fallen. Knirschend schob sich eine Wand des Ge fängnisses zur Seite, und die bedrohliche Gestalt eines Robotsoldaten wurde sichtbar. »Koy«, sagte Atlan. »Das ist deine Sa-
che.« »Sie haben den Fallenmeister geholt«, sagte Razamon. »Sie wollen uns einzeln er ledigen.« »Irrtum«, erwiderte Atlan. »Kortanak hat uns verraten. Er hat mir den Anzug abge nommen und ist geflüchtet.« »Mein Schwert hat er auch«, stellte Raza mon erzürnt fest. »Wenn ich ihn erwische, bringe ich ihn um.« Der Robotsoldat rollte mit rasselnden Ketten zu Razamon. Dieser versuchte, ihm auszuweichen, doch die stählernen Klauen packten ihn und erstickten jeden Wider stand. »Koy«, rief der Atlanter. »Verdammt, wa rum hilfst du mir nicht?« Der Trommler bemühte sich sichtlich, die Broinskraft zu aktivieren. Keuchend saß er auf dem Boden. Er streckte beide Arme aus, als könne er seine Kräfte dadurch auf den Roboter richten. Dieser rollte unbeeindruckt zum Ausgang zurück. »Koy«, schrie Razamon, während er ver zweifelt gegen die Umklammerung kämpfte. Da endlich gelang es dem Trommler, sich ausreichend zu konzentrieren. Die prall ge füllten Broins schlugen zusammen, und ex plosionsartig zersplitterten die Linsen der Kameras. Der Robotsoldat blieb stehen. Er öffnete die Stahlklauen. Razamon fiel zu Boden und kroch eilig von ihm weg. Surrend und rasselnd drehte sich der Ro boter um sich selbst. Sein optisches System war zerstört. Völlig hilflos war er jedoch nicht, da er sich immer noch nach akusti schen Signalen richten konnte. Atlan legte den Finger an die Lippen, um Koy, Darsior und Razamon anzuzeigen, daß sie still sein sollten. Fenrir trabte um den Roboter herum. Sei ne Krallen scharrten leise über den Boden. Der Roboter drehte sich ebenfalls und streckte gleichzeitig die mit Klauen versehe nen Arme nach dem Fenriswolf aus. Dieser lief schneller. Er zwang damit den Roboter, sich ebenfalls schneller zu bewegen. Atlan begriff. Er eilte lautlos zu der Öff
Herren der FESTUNG nung, die der Fallenmeister in die Wand ge brochen hatte, und nahm einige Bruchstücke auf. Diese legte er vor die Ketten der Robot füße. Wie erwartet, verfingen sie sich darin. Der Roboter wankte. Razamon trat ihm in den Rücken und stürzte ihn damit um. Mit Armen und Beinen rudernd, versuchte die Maschine wieder hochzukommen. Während Razamon durch die Öffnung, durch die der Roboter den Raum betreten hatte, hinauseilte, beugte sich Atlan über Kolphyr. Der Bera blickte ihn grinsend an, schlang die Arme um ihn und zog ihn an sich. Atlan versuchte, sich zu befreien, doch Kolphyr hielt ihn so fest, daß er sich kaum bewegen konnte. »Ruhig«, mahnte der Bera. »Du brauchst die Erholung.« Der Arkonide tat, als gebe er seinen Wi derstand auf. Augenblicklich lockerte sich die Umklammerung. Geschmeidig schlüpfte Atlan aus Kolphyrs Armen. »Schade«, murmelte der Bera und richtete sich auf. Der Arkonide eilte inzwischen hin ter Razamon her, der einen kleineren Raum betreten hatte und gerade dabei war, eine Tür zu öffnen. Diese führte in eine Halle, in der Hunderte von doppelstöckigen Betten standen. In vielen dieser Betten schliefen Dellos. Ein unangenehmer Geruch ging von ihnen aus. Keiner der Androiden bemerkte sie. »Leise«, flüsterte Razamon. »Vielleicht kommen wir durch.« Er wartete, bis die anderen bei ihm waren. Atlan zögerte, die Halle zu betreten. Ihm wäre es lieber gewesen, wenn sie sich auf die Spur des Fallenmeisters gesetzt hätten, denn er wollte nicht auf den Anzug der Ver nichtung verzichten, der sich als so vorzügli che Waffe erwiesen hatte. Er nahm es Kortanak nicht einmal übel, daß er ihm das Goldene Vlies abgenommen hatte. Er konnte den Fallenmeister verste hen. Dieser fühlte sich schutzlos einer Wirk lichkeit ausgeliefert, der er nicht gewachsen war. Ohne die Hilfe der anderen wäre er
17 längst gescheitert. Nun aber hatten sie eine Niederlage hin nehmen müssen. Das Gas hatte sie betäubt. Atlan erinnerte sich noch gut an die letzten Eindrücke vor seinem Zusammenbruch. Kortanak hatte aufrecht gestanden, und nichts hatte darauf hingewiesen, daß er auf das Gas reagierte. Deshalb zweifelte der Ak tivatorträger auch nicht daran, daß der Fal lenmeister den Anzug der Vernichtung an sich genommen hatte und dann geflohen war. Da Atlan sich dessen sicher war, daß er Kortanak früher oder später wiederfinden würde, schloß er sich den anderen an. Sie gingen lautlos durch die Halle der schlafen den Dellos. Je weiter sie kamen, desto deutlicher ver änderte sich das Bild der Androiden. Zu nächst sahen sie nur Schlafende. Dann stie ßen sie auf Androiden, die an einen Tropf angeschlossen waren. Danach begegneten sie anderen, die zusätzlich noch eine Atem maske trugen, und als sie das Ende der Halle erreichten, öffnete sich eine Tür, und acht Betten, die mit medizinischen Versorgungs systemen versehen waren, rollten herein. At lan und seine Begleiter suchten augenblick lich hinter den doppelstöckigen Betten Deckung. Sie beobachteten, daß voll aktivierte An droiden die Betten begleiteten und die dar auf liegenden Gestalten zu einem Abschnitt der Halle brachten, an dem noch keine Bet ten standen. Hier verankerten sie die Liegen und schlossen sie mit Kabeln an Buchsen an, die in den Boden eingelassen waren. »Hier wird der Fertigungsprozeß abge schlossen«, sagte Atlan leise zu Razamon. Er deutete auf die Tür, durch die die Andro iden hereingekommen waren. »Wenn wir die Anlage dort lahmlegen, schneiden wir den Herren den Dello-Nachschub ab.« »Gute Idee«, erwiderte Razamon zustim mend. »Wir sollten nicht zulange damit war ten.« Atlan blickte zu den Androiden hinüber, die die Betten hereingebracht hatten. Sie wa
18 ren noch beschäftigt. Er gab seinen Beglei tern ein Zeichen. Dann lief er los, wobei er sich bemühte, jegliches Geräusch zu vermei den. Als er die Tür erreichte, sah er sich um. Die Androiden hatten nichts bemerkt. Atlan eilte lautlos in den Nebenraum. Hier standen zahlreiche Glasbehälter, die mit allerlei Röhren und Kabeln verbunden waren. In vielen schwammen die halbferti gen Körper der Androiden. Deutlich war zu erkennen, daß sie von Computern überwacht wurden. Computer versorgten sie offensicht lich auch mit Informationen. Um Knochen gerüste und Nervengebilde aus syntheti schem Material herum lagerte sich die biolo gische Masse an, aus denen sich die Musku latur bildete. Darsior, der neben Atlan stand, krallte sei ne Hand in den Arm des Arkoniden. »Jetzt weiß ich, warum sie uns nur be täubt und nicht gleich getötet haben«, sagte er keuchend. »Sie wollten unsere Biomasse, um sie hier irgendwo in den Wachstumspro zeß einzugliedern. Das hatten sie auch mit mir vor. Wir haben Glück gehabt, daß uns dieses Schicksal erspart geblieben ist.« »Wir hätten davon nichts mehr bemerkt«, erwiderte Razamon gelassen. »Bei mir hätten sie ihr blaues Wunder er lebt«, sagte Kolphyr und zog die Mundwin kel noch höher als sonst. Er sah aus, als wol le er sich vor Lachen ausschütten. »Wir zerstören die Computer«, beschloß der Arkonide. »Das wird zunächst genügen, den Betrieb für einige Zeit unmöglich zu machen.« Er eilte zu einem der Computer hin, des sen Verkleidung mit einfachen Klammern befestigt war. Er riß die Verkleidung herun ter. Dann nahm er ein Metallrohr, das bei ei nem der Androidenbehälter lag und stieß es zwischen die Kabel des Computers. Er löste eine Reihe von Kurzschlüssen aus, welche die empfindliche Elektronik zerstörten. Um sicherzugehen, daß der Computer nicht so schnell wieder repariert werden konnte, riß er nun auch noch einige Kabel heraus und warf sie in die Behälter.
H. G. Francis Razamon, Kolphyr und Darsior gingen in ähnlicher Weise bei den anderen Computern vor. Koy setzte seine Broinskraft ein. Er wartete jedoch damit, bis einige Computer zerstört waren. Als die von ihm angegriffe nen Computer zerbarsten, gab es einen ex plosionsartigen Lärm, die die Dellos augen blicklich aus dem Nebenraum herbeirief. Schreiend stürmten sie in die Fabrikations halle und griffen an. Auch aus anderen Abschnitten der Anlage stürmten nun Androiden heran. Doch sie ka men zu spät. Die wichtigsten Computer wa ren bereits zerstört worden. Koy begegnete der ersten Angriffswelle mit einer Broinsverteidigung, die eine breite Lücke in die Front der Androiden riß. Atlan, Darsior und Razamon gingen mit bloßen Fäusten auf die Dellos los. Sie schleuderten die Androiden in die Zuchtbehälter und ge gen die Schalttafeln und richteten damit ein heilloses Durcheinander an. Atlan rechnete damit, daß die Zahl der Androiden rasch anwachsen würde. Doch er täuschte sich. Offensichtlich hatte niemand damit gerechnet, daß sich ein derartiger Kampf in der Fabrikationshalle entwickeln würde. Die Herren der FESTUNG waren sich ihrer Sache allzu sicher gewesen. So ge lang es Atlan und seinen Freunden, die An droiden zu erledigen. Dabei erwies sich Fenrir als der erfolgreichste Dellozerstörer. Er sprang den Androiden ins Genick und zerriß mit seinen mächtigen Zähnen die künstlichen Nervenbahnen. Das genügte, die Bio-Roboter unschädlich zu machen. Als der letzte Androide zu Boden stürzte, hatte Atlan eine Tür erreicht, durch die er die Halle verlassen konnte. »Ich bin gespannt, wann die Herren mehr als die Dellos aufbieten«, sagte er. »Sie müssen doch allmählich erkannt haben, daß sie sich mit den Androiden nicht ausrei chend verteidigen können.« »Ich bin froh, daß sie uns nur die Dellos auf den Hals geschickt haben«, erwiderte Razamon. »Und ich hoffe, daß es auch dabei bleibt. Was könnten wir schon ausrichten,
Herren der FESTUNG wenn sie mit Monstern oder mit einem Ro botheer angreifen? Nichts.« »Es ist unser Vorteil, daß sie vor ihren ei genen Sklaven Angst haben«, bemerkte Dar sior verächtlich. »Sie leben ständig in der Furcht, daß sich ihre Sklaven gegen sie erhe ben. Das ist der Grund dafür, daß die Dellos so schwach sind und keine guten Waffen ha ben.« »Freuen wir uns nicht zu früh«, sagte Koy. »Ich bin sicher, daß es noch viel schwerer für uns werden wird, wenn wir noch näher an die Herren herankommen.« Atlan öffnete die Tür. Dahinter lag ein großer Raum. Eine rot markierte Bahn führte zu einer metallisch schimmernden Wand mit einem Schott. Die FESTUNG lag vor ihnen. »Das Raumschiff«, sagte der Arkonide. »Ich gehe jede Wette ein, daß hinter diesem Schott eine Luftschleuse liegt.« »Du glaubst wirklich, daß die Pyramide ein Raumschiff ist?« fragte Razamon zwei felnd. »Ich bin mir dessen sicher«, erwiderte der Aktivatorträger. »Komm. Wir öffnen das Schott. Dann werden wir ja sehen, was die FESTUNG wirklich ist.« Entschlossen ging er die rot markierte Bahn entlang auf das Schott zu. In diesen Sekunden dachte er nicht an den Anzug der Vernichtung und an den Fallenmeister, der irgendwo in der Nähe sein mußte.
* »Ich habe es gesagt, daß es so kommt«, rief der ängstliche Dorlk von Zamyhr. »Es ist Wahnsinn, die Fremden so weit kommen zu lassen. Wir hätten sie längst töten müs sen.« Die anderen Herren der FESTUNG ant worteten zunächst nicht. Schweigend hingen sie ihren Gedanken nach. »Wir haben Fehler gemacht«, gestand Phagen von Korst schließlich ein. »Wir sind nicht mit der nötigen Härte gegen die Ein dringlinge vorgegangen.«
19 »Vor allem haben wir uns auf zu schwa che Kräfte verlassen«, bemerkte Elmthor von Morghom vorwurfsvoll. »Nachdem sie die Barriere durchbrochen hatten, hätte der Fallenmeister Kortanak sie erledigen müs sen. Wir haben den Fallenmeister falsch be handelt. Von Anfang an.« »Du scheinst vergessen zu haben, daß ich von Anfang an dagegen war, ihn zu betrü gen«, erklärte Jenthas von Orl streitsüchtig. »Aber auf mich wollte ja niemand hören.« »Lassen wir das«, sagte Kichor von Das pen. »Ihr wißt, daß ich mich sonst recht gern streite, aber das ist in dieser Situation nicht angebracht. Falls ihr es noch nicht bemerkt haben solltet – wir befinden uns in akuter Gefahr.« Phagen von Korst lachte schrill. »Das ist maßlos übertrieben«, rief er. »Die Odinskinder sind auf Spezialdellos hereingefallen, weil sie glaubten, uns vor sich zu haben. Die anderen haben die Fabri kationsanlage für Sonderanfertigungen lahmgelegt. Na und? Dellos können wir nach wie vor in praktisch unbegrenzter Zahl produzieren, wenn wir wollen. Das ist kein Problem. Und bis jetzt sind die Fremden ge rade erst bis an die kritische Grenze heran gekommen.« »Sie werden in die FESTUNG eindrin gen«, schrie Dorlk von Zamyhr, der einer Panik nahe zu sein schien. »Sicher werden sie das«, gab Phagen von Korst zu. »Aber auch damit gefährden sie uns noch lange nicht direkt.« »Ich möchte wissen, was jetzt geschieht«, sagte Jenthas von Orl energisch. »Es genügt mir nicht, von euch zu hören, daß wir uns keine Sorgen zu machen brauchen. Wie wollt ihr die Fremden aufhalten?« »Wir bauen Energieschirme auf, die sie nicht durchdringen können«, erklärte Pha gen von Korst. »Und dann locken wir sie in den Fallenbereich der FESTUNG. Hier wer den sie dem Energiekommando begegnen. Dieses wird dafür sorgen, daß Schluß ist.« »Hoffentlich«, sagte Dorlk von Zamyhr seufzend. »Sonst bleibt wirklich nur noch
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H. G. Francis
die Möglichkeit, sie mit den schlafenden Fehlschöpfungen zu konfrontieren.« »Ich hatte mich eigentlich entschlossen, diese Fehlschöpfungen zu vernichten«, er öffnete Phagen von Korst den anderen. »Wir haben genügend Beispiele dafür, daß wir solchen Dellos nicht vertrauen dürfen. Des halb möchte ich sie gerade in dieser Situati on nicht einsetzen, denn es könnte sein, daß sie sich mit den Fremden gegen uns verei nen. Geschieht das, dann ist die Katastrophe da.« »Ich bin auch dafür, sie zu zerstören«, sagte Elmthor von Morghom. »Am besten gleich.« »Einverstanden«, antworteten die anderen wie aus einem Mund. Ein Hebel kippte langsam um, und ein blaues Kontrollicht leuchtete auf.
4. Er fror. Unsicher und verwirrt stand er mitten in einer Maschinenhalle. Die Kälte schien von innen heraus zu kommen, als ob sich ein Eisblock in ihm gebildet hätte. Kortanak bereute bereits, daß er sich von Atlan und den anderen getrennt hatte. Er hatte versucht, wieder zu ihnen zu kommen, doch er hatte sie nicht gefunden. Jetzt wußte er nicht, was er tun sollte. Ziellos schritt er durch die Halle. Die dröhnenden Maschinen interessierten ihn nicht. Er war technisch nicht sonderlich be gabt und hatte nie versucht, herauszufinden, warum irgend etwas funktionierte oder nicht. Als er das Ende der Halle erreicht hatte, suchte er nach einer Tür, durch die er sie verlassen konnte. Es schien keine zu geben. Plötzlich hörte er einen Schrei. Er fuhr herum und sah fünf Dellos, die sich ihm nä herten. Sie waren mit Lanzen und langen Messern bewaffnet. Kortanak fühlte sich ihnen nicht gewach sen. Gehetzt blickte er sich um und entdeck te eine Stahlleiter, die senkrecht an der
Wand emporführte und in einer runden Öff nung in der Decke verschwand. Eilig kletter te er sie hoch. Als er die Öffnung in der Decke erreicht hatte, stellte er fest, daß die Leiter hier mit zwei Flügelschrauben zusammengefügt war. Rasch löste er die Schrauben, erkletterte die nächste feste Stufe, und stieß den unteren Teil der Leiter um, als zwei Dellos mit dem Aufstieg begannen. Er hörte sie enttäuscht aufschreien, doch er blickte nicht nach unten, sondern stieg die Leiter weiter hinauf. In der Röhre war es so dunkel, daß er nichts erkennen konnte. Doch das störte ihn nicht. Er wußte, daß er nicht zurück konnte. Schließlich stieß er mit dem Kopf gegen ein Hindernis. Er tastete es mit einer Hand ab, fand einen Hebel, legte diesen zur Seite und konnte ein Schott öffnen. Darüber lag ein heller Raum. Er kletterte hinein und schloß den Deckel hinter sich. Dabei stellte er fest, daß er ihn von oben mit einer Klammer so absichern konnte, daß er von unten nicht mehr geöff net werden konnte. Er legte die Klammern an und hatte damit die Dellos endgültig ab geschüttelt. Der Raum enthielt einige Stahlschränke, die verschlossen waren. Er hielt sich nicht damit auf, sie aufzubrechen, sondern öffnete eine Tür, die zu einem Nebenraum führte. Ein riesiger Dello stand vor ihm. Es war eine Spezialanfertigung. Er überragte Kort anak deutlich, hatte überaus breite Schultern und muskulöse Arme, aber einen kleinen Kopf mit winzigen Augen und einem unver hältnismäßig großen Mund. Knurrend stürzte er sich auf Kortanak. Er hatte ihn jedoch kaum berührt, als er entsetzt zurückfuhr und auf seine Hände starrte, die sich plötzlich rot verfärbt hatten. Der Fallenmeister erkannte seine Chance. Er schlug hart und gezielt zu. Er traf den Dello am Kopf und fällte ihn. Rasch zerrte er ihn zu der Luke. Er entfernte die Klam mern und öffnete sie. Wilde Schreie von un ten zeigten ihm an, daß die anderen Dellos
Herren der FESTUNG die Leiter fast erklommen hatten. Bedenkenlos kippte er die Spezialanferti gung in den Schacht und schloß den Deckel wieder. Dann eilte er erneut in den Neben raum. Hier fand er eine Monitorwand vor, wie er sie aus den Räumen kannte, in denen er sein bisheriges Leben verbracht hatte. Keiner der Bildschirme war eingeschaltet. Jetzt war der Fallenmeister interessiert. Er glaubte, mit den Geräten etwas anfangen zu können. Sorgfältig sah er sich um, und seine Überzeugung, etwas entdeckt zu haben, was von entscheidender Bedeutung war, vertiefte sich. Er eilte lautlos zu einer Tür, die zu einem weiteren Raum führte, und horchte daran. Als alles still blieb, kehrte er zu den Geräten zurück und drückte einige Tasten. Wie er wartet, erhellten sich die Bildschirme. Kortanak lächelte triumphierend. Auf den Bildschirmen erschienen ver schiedene Szenen aus dem Bereich der FE STUNG, die er mittlerweile betreten hatte, ohne sich dessen bewußt zu sein. Er war durch ein Metallschott gegangen und hatte sich nichts dabei gedacht. Auf einem der Monitorschirme bemerkte er Atlan und seine Begleiter. Auf einem an deren sah er mehrere Robotsoldaten, die sich dieser Gruppe näherten. Er stellte fest, daß sie über Waffen verfügten, wie er sie bisher noch nicht sah. Bestimmt sind es die Ener giestrahler, von denen Atlan sprach, fuhr es ihm durch den Kopf. Er drehte an einem Knopf. Aus den Laut sprechern über ihm drangen allerlei Ge räusche. Doch seine Hoffnung, die Stimmen von Atlan und den anderen Freunden zu hö ren, erfüllte sich nicht. Verzweifelt überlegte er, wie er helfen konnte. Er wollte nicht zusehen, wie die Freunde, die er verlassen hatte, von den Robotern mit überlegenen Waffen getötet wurden. Er mußte etwas unternehmen. Hastig untersuchte er das Schaltpult. Er fand einige Symbole wieder, die er von der
21 Schaltstelle der Außenfallen her kannte. Ei nes der Symbole stand mit dem Raum in Verbindung, den die Roboter mittlerweile erreicht hatten. Er drückte eine Taste. Auf dem Bild schirm sah er, daß die Roboter stehenblie ben. Vor ihnen hatte sich eine flimmernde Energiewand erhoben. Sie schnitt ihnen den Weg ab. Der Fallenmeister lachte zufrieden. Jetzt fand er, daß es eine ausgezeichnete Idee ge wesen war, sich von Atlan und den anderen zu trennen. Bei diesem Gedanken preßte er fröstelnd die Arme an den Leib. Wenn ihm nur nicht so kalt gewesen wä re! Er hatte das Gefühl, daß die Beine vor Kälte erstarrt waren, so daß er sie kaum noch bewegen konnte.
* Mühelos durchbrach Sigurd die Front der Dellos. Diese warfen sich ihm zwar wild entgegen, sie waren jedoch so schwach, daß er ihre Lanzen und Messer mit wuchtigen Hieben seines Schwertes zur Seite schleu derte. Dann stand er vor dem Wesen, das halb Mensch, halb Stier war. Schnaubend blickte ihn das monströse Wesen an. Es senkte den Kopf und streckte ihm drohend die Hörner entgegen. Sigurd stutzte für einen kurzen Moment. Die Erinnerung an ein ähnliches Wesen tauchte flüchtig in ihm auf. Er verdrängte sie, um sich durch nichts ablenken zu lassen. Er hob die Garpa, die halb Lanze und halb Schwert war, und schlug mit aller Kraft zu. Das Stierwesen warf den Kopf hoch. Die Klinge traf es an der Stirn, genau zwischen den beiden Hörnern. Es gab einen dumpfen Laut. Die Klinge drang einige Millimeter ein und saß dann fest. Der Stier stürmte auf Sigurd zu, der sich ihm entgegenstemmte und sich verzweifelt bemühte, auf den Beinen zu bleiben. Seine
22 Füße rutschten über den Boden. Er hielt die Garpa fest, während der Stier den Kopf brül lend hin und her warf und versuchte, ihn auf diese Weise zu Boden zu schleudern. Als das monströse Wesen merkte, daß es auf diese Weise nicht entscheidend weiter kam, griff es mit beiden Händen nach der Garpa. Mittlerweile hatte es Sigurd quer durch den Saal bis an die gegenüberliegende Wand zurückgedrängt. Hier standen sich die beiden Kämpfer gegenüber. In dem mächtigen Stierkörper steckten gewaltige Kräfte. Doch der Sohn Odins war ebenfalls ein überdurchschnittlicher Kämp fer, der über nicht weniger Kraft verfügte. Trotz seiner gefährlichen Lage fand Si gurd Zeit, kurz zu Thalia, Heimdall und Bal duur hinüberzusehen. Alle drei waren in Kämpfe verwickelt, die noch nicht entschie den waren. Sie alle hätten, ebenso wie er, Hilfe gebrauchen können. Sigurd erkannte, daß er das Stierwesen auf diese Weise nicht besiegen konnte. Der vermeintliche Herr der FESTUNG hatte ihn gar zu sehr in die Enge gedrängt. Hinzu kam, daß einige Dellos sich von dem ersten Angriff erholt hatten und nun Anstalten machten, in den Kampf einzugreifen. Sigurd packte die Garpa fester. Er stemm te sich dagegen und drängte das Stierwesen einige Zentimeter weit zurück. Dann drückte er den Schaft der Waffe nach unten und zwang das Stierwesen auf diese Weise, den Kopf zu senken. Die Hufe seines Gegners scharrten über den Boden. Mit beiden Händen versuchte der Stier, Odins Sohn zu packen. Sigurd gab nun wieder ein wenig nach. Er ließ das Stierwesen kommen. Dann aber warf er sich kraftvoll zur Seite, riß die Garpa mit und drehte sie danach in scharfem Bo gen nach unten. Das Stierwesen schrie gellend auf. Laut krachend brachen seine Nackenwirbel. Wie vom Schlag getroffen, stürzte das Monstrum zu Boden und blieb regungslos liegen. Jetzt endlich gelang es Sigurd, die Garpa aus den Hörnern zu befreien.
H. G. Francis Gerade rechtzeitig. Denn kaum hatte er die Waffe wieder erhoben, als sich drei Del los auf ihn stürzten. »Zurück«, brüllte er sie an. Er hoffte, daß sie sich von seiner Stimme beeindrucken lassen würden, doch sie reagierten nicht dar auf. Ihm blieb keine andere Wahl, als die Bio-Roboter zu zerstören. Als sie auf dem Boden lagen, fiel sein Blick auf den Kopf des monströsen Stierwe sens. Er sah, daß aus dem Nacken einige Drähte und Glasfasern hervorragten. Er kniete nieder und untersuchte seinen besieg ten Gegner. Da er nicht genügend erkennen konnte, erhob er sich und trennte ihm den Kopf mit einem Hieb der Garpa vom Rumpf. Seine Vermutung bestätigte sich. Das Stierwesen gehörte nicht zu den Her ren der FESTUNG. Es war ein Dello. Eine Spezialanfertigung, wie sie offenbar nur hier in der FESTUNG existierten. Sigurd fuhr herum. Hatten sie sich so ge irrt? Waren sie auf einen billigen Trick der Herren der FESTUNG hereingefallen? Sie hatten geglaubt, die Herren der FE STUNG überlisten zu können, und sie waren selbst überlistet worden. Sie kämpften nicht gegen die Herren, sondern gegen deren Sklaven. Die Herren selbst dachten gar nicht daran, sich zu zeigen. Das Blut stieg Sigurd in die Wangen, als er sich dessen bewußt wurde, daß die wirk lich Mächtigen dieser FESTUNG in diesen Sekunden irgendwo saßen und das Gesche hen amüsiert beobachteten. Für sie war die ser Kampf nicht mehr als eine Unterhaltung. Auf keinen Fall stellte er eine echte Bedro hung dar. Sigurd schrie vor Zorn auf. Er hob die Garpa und stürzte sich voller Wut auf das Dreifachwesen, mit dem Thalia und Balduur kämpften. »Es sind nichts weiter als Dellos«, brüllte er. Das Dreifachwesen reagierte. Die drei Köpfe fuhren herum, und drei Augenpaare blickten ihn an.
Herren der FESTUNG »Es sind nicht die Herren, sondern die Sklaven«, verkündete Sigurd. Er gab den Dellos keine Chance, sich von ihrer Überra schung zu erholen. Während Balduur und Thalia noch zögerten, hieb er einem der drei die Garpa über die Schulter und spaltete ihn bis zu den Hüften auf. Wie erwartet, brachen aus dem geöffneten Leib die mechanischen Teile eines Androiden hervor. Balduur und Thalia überwanden ihre Ent täuschung. Während der Restkörper des Dreifachandroiden noch unter dem Schock der Verletzung litt, griffen sie erneut an. Sie beendeten den Kampf innerhalb von Sekun den. Dann lag der dreifache Androide zer stört auf dem Boden. Inzwischen hatte aber auch Heimdall sei nen gehörnten Gegner besiegt. Auch dieser erwies sich eindeutig als Dello. Atemlos standen Thalia und ihre drei Brü der zwischen den zerstörten Androidenkör pern. »Da haben wir uns zu früh gefreut«, sagte Sigurd. »Wir hätten es uns denken können, daß die Herren uns nicht so leicht in die Falle gehen«, entgegnete Balduur. Enttäuschung zeichnete sein Gesicht. »Machen wir uns keine Vorwürfe«, sagte Thalia. »Wir haben alles versucht, was uns in einer aussichtslosen Situation möglich war. Mit etwas mehr Glück wären wir viel leicht sogar erfolgreich gewesen.« »Immerhin sind wir frei«, fügte Heimdall hinzu. »Daraus können wir etwas machen.« »Allerdings«, stimmte Sigurd zu. »Wir waren gefesselt, und Dellos wollten Thalia foltern. Hätten wir den Trick nicht versucht, wäre jetzt schon alles vorbei. Seien wir also zufrieden mit dem, was wir erreicht haben.« »Wir werden nur nicht lange Grund ha ben, zufrieden zu sein, wenn wir noch länger hier herumstehen und darauf warten, daß die Herren der FESTUNG uns weitere Dello horden auf den Hals schicken«, sagte Baldu ur sarkastisch. »Du hast recht«, bemerkte Sigurd. »Wir sollten so schnell wie möglich von hier ver
23 schwinden. Ich schlage vor, daß wir durch die Tür gehen, durch die die vermeintlichen Herren gekommen sind.« »Einverstanden«, erwiderte Heimdall, »wenn wir sofort gehen.« »Wir haben keinen Grund, noch länger hier zu bleiben«, sagte Sigurd, stieg über den zerstörten Körper eines Dellos hinweg und öffnete die Tür über der Tribüne.
* Das Schott glitt zischend zur Seite. Atlan blickte in einen Raum, den er für einen Han gar hielt. Einige Gerätschaften und An schlüsse für Kabel und Rohre der verschie densten Art waren für ihn so typische Ver sorgungs- und Kontrollanlagen, daß es für ihn keinen Zweifel mehr gab. Sie hatten die Pyramide, die mit ihrem un teren Teil im Erdreich steckte, betreten. Sie waren in der FESTUNG, und diese war tat sächlich ein Raumschiff. Nun stand für den Arkoniden auch außer Zweifel, daß die klei neren Pyramiden Beiboote waren. Er blickte Razamon an. Dieser nickte ihm zu und gab ihm damit zu verstehen, daß er zu dem gleichen Schluß gekommen war. Atlan schritt suchend an den Wänden ent lang. »Warum gehen wir nicht weiter?« fragte Koy. Der Arkonide sagte ihm, was er herausge funden hatte, und fuhr dann fort: »Auf vie len Raumschiffen, die ich gesehen habe, gibt es in den Außenhangars Hinweise darüber, wie das Schiff aufgebaut ist.« »Ich verstehe«, erwiderte Koy. »Du suchst einen Lageplan dieses Schiffes, aus dem wir ablesen können, wie wir weiter vor gehen müssen.« »So ungefähr«, sagte der Aktivatorträger. »Nur sieht dieser Lageplan vielleicht so aus, daß wir ihn gar nicht als solchen erkennen. Wir dürfen nicht vergessen, daß dieses Raumschiff für ein uns völlig fremdes Volk gebaut worden ist.« »Könnte das der Plan sein?« fragte Koy.
24 Er zeigte auf ein Gewirr von Linien, die in die Kunststofflegierung der Wandverklei dung geritzt waren. Razamon, Darsior und der Bera gesellten sich zu ihnen. Fenrir lief unruhig in dem Hangar auf und ab. Hin und wieder blieb er stehen und hob den Kopf, als wolle er in ein Klagegeheul ausbrechen. Er spürte die Nähe Balduurs. »Das ist der Plan«, stellte Atlan fest. Die Pyramidenform war deutlich zu er kennen. Die Linien zeigten an, daß das Raumschiff in zwanzig Hauptdecks und eine Reihe von Zwischenstationen eingeteilt war. Der Triebwerksbereich füllte einen erhebli chen Teil im unteren Abschnitt der Pyrami de aus. »Wo ist die Hauptleitzentrale?« fragte Razamon. Atlan legte seine Hand auf einen Kreis, der sich im oberen Drittel der Pyramide be fand. »Hier«, erwiderte er. »Hier könnte sie sein.« »Und wo sind wir?« fragte Koy. Dieses Mal zeigte Razamon einen Punkt unten an der Pyramide an. »Hier ist ein Dreieck«, sagte er. »Es ist das einzige auf dem ganzen Plan. Also kön nen wir annehmen, daß es diesen Hangar be zeichnet.« »Wahrscheinlich hast du recht«, entgeg nete Atlan. Er besprach mit den anderen, wie sie von nun an vorgehen wollten. Sie waren sich darüber einig, daß sie direkt bis zur Hauptleitzentrale vordringen wollten. Dort, so meinten sie, würden sie die Herren der FESTUNG finden. »Die Zentrale ist die Schaltstelle der Macht«, sagte Atlan. »Das ist in jedem Raumer so. Warum sollte es hier anders sein?« Er fuhr mit dem Finger an einigen Linien entlang und bezeichnete so den Weg, den sie verfolgen mußten. Danach wandten sie sich einem Schott zu und öffneten es. Ein Gang lag vor ihnen. Seine Wände bestanden aus einem grauen Stahl. In der Decke befanden
H. G. Francis sich Leuchtelemente, die ein mattes Licht spendeten. Direkt neben dem Schott befand sich eine Nische, in der eine Stahlleiter nach oben führte. Atlan ging in die Nische und blickte nach oben. Der Schacht endete nach etwa dreißig Metern. »Wir steigen hier hoch«, entschied der Arkonide und wollte den Aufstieg beginnen, doch Kolphyr hielt ihn zurück. »Ich zuerst«, sagte der Bera und schob Atlan zur Seite. »Wenn uns da oben etwas entgegenkommt, kann ich es am besten auf halten.« Er hat recht, signalisierte der Logiksektor. »Also gut«, sagte Atlan und trat zur Seite. Kolphyr kletterte die Leiter hoch. Atlan folgte ihm. Danach kam Koy. Razamon kniete sich hin. Er legte sich Fenrir über die Schultern, wuchtete ihn hoch und stieg dann ebenfalls auf die Leiter. Als sie etwa zwanzig Meter hoch gestie gen waren, schob sich unter Razamon ein stählernes Schott durch den Schacht und rie gelte ihn nach unten hin ab. Über Kolphyr schob sich ein zweites Schott in den Schacht und verschloß ihn nach oben hin. »Koy, kannst du etwas machen?« fragte Atlan. »Ich hoffe«, antwortete der Trommler. Er kletterte an Razamon vorbei nach unten, konzentrierte sich kurz und zertrümmerte mit seiner Broinskraft die Seitenwand des Schachtes. »Hier ist ein ziemlich großer Maschinen raum«, berichtete er und stieg durch die Öff nung. Razamon hob Fenrir hindurch und folgte ihm. »Warum zerstören wir nicht einfach die Maschinen?« fragte Kolphyr, als er als letz ter durch die Öffnung geklettert war. »Diese Maschinen haben doch eine bestimmte Auf gabe zu erfüllen. Vielleicht versorgen sie den Schutzschirm mit Energie.« »Ich möchte nichts zerstören, wenn es nicht unbedingt nötig ist«, entgegnete Atlan. »Wer weiß. Vielleicht lösen wir eine Explo sion aus, wenn wir hier etwas zerschlagen,
Herren der FESTUNG und bringen uns dabei selbst um.« »Das wäre allerdings wenig sinnvoll«, be merkte Razamon ironisch. Atlan untersuchte einige der Maschinen, ohne feststellen zu können, welchem Zweck sie dienten. Dabei näherte er sich einem großen Schott. Es war mehrere Meter breit und etwa zwei Meter hoch. Es glitt knir schend zur Seite, als Atlan davor stand. Da hinter lag ein matt erhellter Gang. Auf diesem näherten sich drei Roboter. Sie trugen Energiewaffen in ihren Stahlklau en. Sie waren noch etwa dreißig Meter von Atlan entfernt, doch die flimmernden Ab strahlfelder zeigten auch bei dieser Distanz schon allzu deutlich an, von welcher Art die Bewaffnung war.
* Sigurd hatte sich keine rechte Vorstellung davon gemacht, wie es weitergehen würde, als er den Tribünensaal verließ. Er hatte die Pyramide von außen gesehen und war davon überzeugt, daß die Herren der FESTUNG sich irgendwo in ihrem oberen Teil verbar gen. Deshalb suchte er stets einen Weg, der nach oben führte. Je länger sie sich in hori zontaler Richtung bewegten, desto unruhiger wurde er. »Versteht ihr das?« fragte er, als sie schließlich in einem quadratischen Raum standen, der nur eine Tür hatte und völlig leer war. »Wo sind wir hier?« »Keine Ahnung«, antwortete Heimdall kopfschüttelnd. »Wir sollten umkehren«, riet Balduur. »Hier gefällt es mir nicht.« Er wollte den Raum wieder verlassen, als sich die Tür schloß. Er warf sich dagegen, konnte sie jedoch nicht halten. »Wir sind ihnen in die Falle gegangen«, konstatierte Thalia ärgerlich. »Abwarten«, sagte Sigurd. »Noch bin ich nicht davon überzeugt, daß sie uns …« Er stockte, denn plötzlich bewegte sich der Raum. Thalia und ihre Brüder fühlten sich gegen den Boden gepreßt.
25 »Der Raum steigt nach oben«, sagte Bal duur erschreckt. Erneut stemmte er sich ge gen die Tür, ohne sie jedoch bewegen zu können. »Ruhe«, rief Sigurd energisch. »Wir war ten ab. Irgendwann ist die Fahrt zu Ende. Wir steigen mit dem Raum nach oben. Ge nau dorthin wollten wir. Wozu regen wir uns also auf?« »Du hast recht«, sagte Heimdall zustim mend. »Gleich wird sich die Tür wieder öffnen«, erklärte Sigurd. »Und dann geht's los.« »Wer sagt denn, daß sich diese Tür öff net?« bemerkte Thalia. »Vielleicht ver schiebt sich eine der anderen Wände, und wir haben die Horden im Nacken, während wir noch glauben, daß sie uns von dort her angreifen.« Sie wies auf die Tür. »Wir stellen uns im Kreis auf«, entschied Sigurd. »Rücken an Rücken. Dann ist es egal, woher sie kommen. Wir werden uns zu wehren wissen.« Plötzlich hatten sie das Gefühl, angeho ben zu werden. Mit einem Ruck blieb der Raum stehen. Und jetzt zeigte sich, daß Tha lia recht hatte. Die Wand, die der Tür gegen über lag, glitt lautlos zur Seite. Monströse Wesen, die kaum noch an menschliche Ge stalten erinnerten, griffen Thalia und die Söhne Odins an. Es waren Androiden, die ausschließlich für den Kampf gezüchtet worden waren. Sie hatten Arme, die bis auf den Boden herabreichten. Sie waren jedoch nicht intelligent genug, ihre Vorteile wirk lich zu nutzen. Thalia und ihre Brüder stürzten sich auf die Dellos und bildeten eine blitzende Front aus Schwertern und Schildern, an der die Waffen der Androiden kläglich scheiterten. »Die Herren haben ihnen keine Gelegen heit gegeben, den Kampf zu üben«, sagte Balduur, während er einen Dello zu Boden streckte. »Es wäre alles viel schwerer für uns, wenn diese Ungeheuer gelernt hätten, mit ihren Waffen umzugehen.« Sigurd preßte die Lippen zornig zusam
26 men. Ihm wurde bewußt, daß sie das Gefühl für den Umfang der Gefahr mehr und mehr verloren, weil ihnen noch kein Gegner be gegnet war, der ihnen wirklich überlegen war. Die Dellos waren nur dadurch gefähr lich, daß sie in Massen auftraten, nicht aber durch ihre Kampftechnik. Doch schon bald konnten sie sich Andro iden gegenübersehen, die weitaus besser kämpften. Und dann war es zu spät, sich umzustellen. Sie hatten sich über einen etwa zehn Me ter langen Gang in einen Maschinenraum vorgekämpft, in dem dunkelhäutige Andro iden arbeiteten. Sigurd fiel auf, daß diese Dellos sich überhaupt nicht um das Kampf geschehen kümmerten, sondern die Maschi nen versorgten, als sei nichts geschehen. Plötzlich wichen die Dellos, mit denen er gekämpft hatte, ihm aus. Sie flüchteten eini ge Meter weit, drehten sich um und erwarte ten ihn mit erhobenen Waffen. Sigurd setzte ihnen nach und griff an. Im gleichen Mo ment ertönte über ihm ein Schrei. Er blickte nach oben. Er stand unter einem Schacht, der einen Durchmesser von ungefähr zehn Metern hat te und senkrecht in die Höhe führte. Kahl köpfige Dellos ließen sich von oben herab. Sie hatten Drüsen auf den Schultern. Aus ih nen sonderten sie eine silbrige Masse aus, die sich zu langen Fäden zogen. Sie glichen Spinnen, die sich an ihren Spinnenfäden her absinken ließen. Für einen kurzen Moment ließ Sigurd sich ablenken. Das Bild, das sich ihm bot, war so entsetzlich, daß er seine Abwehr vernachläs sigte. Die Dellos vor ihm warfen sich auf ihn und entrissen ihm den Schild. »Aufpassen«, schrie Sigurd. »Sie kom men von oben!« Die Dellos stießen ihn zu Boden und ver suchten, ihm ihre Messer in den Leib zu sto ßen. Heimdall kam ihm zur Hilfe. Er packte die Dellos und riß sie zurück. Dann aber regneten von oben Dutzende von Dellos herab. Sie stürzten sich auf Tha lia und ihre drei Brüder, hielten ihre Arme
H. G. Francis und Beine fest und entwaffneten sie. Dabei gingen sie so geschickt und entschlossen vor, daß sie den Kampf innerhalb weniger Sekunden für sich entschieden. Sigurd tobte vor Wut und Enttäuschung. Eben noch hatte er daran gedacht, wie ge fährlich ihr Leichtsinn war, und jetzt schon unterlagen sie Kämpfern, die besser geschult waren als die anderen Dellos. Aus dem Schacht schwebten weitere An droiden herab. Sie brachten Stahlfesseln mit. Noch einmal bäumten sich Thalia und ihre Brüder auf, aber es war zu spät. Sie konnten nichts gegen die erdrückende Übermacht ausrichten. Die Fesseln schlossen sich um ihre Arme und Beine, und dann löste sich das Knäuel der Dellos auf, das sie umgeben hatte. Sigurd sah, daß sie sich aus dem Maschi nenraum zurückzogen. Die dunkelhäutigen Dellos arbeiteten so ruhig und gelassen wei ter, als hätten sie gar nicht bemerkt, daß in ihrer unmittelbaren Nähe wild kämpft wor den war. Eine Gruppe von grün gekleideten Dellos kam mit einem Karren herein. Sie lasen die zerstörten Körper der besiegten Bio-Roboter auf, warfen sie auf den Karren und fuhren sie hinaus. »Man glaubt, uns so sicher zu haben, daß man sich nicht mehr um uns kümmern muß«, sagte Balduur. »Das ist auch völlig richtig«, erwiderte Heimdall. »Sie haben uns erwischt, und die ses Mal werden sie uns keine Gelegenheit geben, das Blatt noch einmal zu wenden.«
5. Die Kampfroboter rückten in beängstigendem Tempo näher. »Zurück«, rief Atlan, obwohl er sich dar über klar war, daß auch ein Rückzug keine entscheidende Wende mehr bringen würde. »Die übernehme ich«, sagte Kolphyr. Doch der Bera brauchte gar nicht einzu greifen. Plötzlich baute sich vor den Robo tern ein flimmernder Energieschirm auf. Die
Herren der FESTUNG Kampfmaschinen blieben stehen. Eine feu erte den Energiestrahler ab. Ein blaßrotes Strahlenbündel schoß aus dem Projektor der Waffe. Es schlug in den Energieschirm und verfärbte ihn, durchbrach ihn jedoch nicht. Atlan und seine Begleiter wichen zurück. »Da hat uns doch jemand geholfen«, sagte Razamon verwundert. »Wer sollte uns hier helfen?« fragte Koy. »Keine Ahnung«, erwiderte Razamon. »Die Herren haben den Energieschirm aber bestimmt nicht aufgebaut.« Die Roboter richteten ihre Waffen nun seitlich gegen den Gang und feuerten sie gleichzeitig ab. Die Strahlenbündel fraßen sich in Sekundenbruchteilen durch die Ver schalung. Das Material verflüssigte sich und spritzte explosionsartig auseinander. Dann erreichten die Strahlen einen in der Wand verborgenen Schirmprojektor und lösten ei ne Explosion aus. Plötzlich breitete sich ein Feuerball im Gang aus. Glühend heiße Luft schoß fauchend in den Maschinenraum und trieb Atlan und seine Begleiter weit zurück. »Das überstehen sie nicht«, sagte Raza mon. »Sie haben sich selbst vernichtet.« Sie konnten keine Einzelheiten erkennen. Der Gang brannte. Feuer und Rauch bildeten eine undurchdringlich erscheinende Wand. Aus dieser rollten rasselnd drei Robotsolda ten hervor. »Koy«, rief Atlan. »Schnell!« Der Trommler hatte sich längst auf den Angriff vorbereitet. Er schleuderte seine Broinskraft auf einen der Roboter und ver nichtete ihn. Doch die beiden anderen konn te er nicht zurückhalten. Sie rasten so schnell auf ihn zu, daß ihm keine Zeit blieb, sie anzugreifen. Koy wandte sich zur Flucht. Er setzte über einen Maschinenblock hinweg und bemerkte, während er über die Schulter zurückblickte, daß einer der Roboter auf ihn zielte. Er sah es blaßrot aufblitzen und ließ sich gedankenschnell fallen. Das Strahlenbündel schoß fauchend über ihn hinweg und schlug in eine Schaltanlage. Eine krachende Explosion im Hintergrund der Maschinenhalle war die Folge. Eine
27 Feuerwand stieg bis zur Decke auf, und me tallene Bruchstücke wirbelten durch die Luft. Koy raffte sich auf und rannte geduckt weiter. Er warf sich zur Seite, als er die nächste Maschine erreicht hatte, und flüchte te in den Deckungsschutz eines Werkzeug kastens. Er hörte, wie die Ketten der Robo ter rasselten und bedrohlich näherkamen. Es wurde dunkler in der Halle. Die Leuchtelemente an der Decke erloschen teil weise. Koy sah einen Schatten hinter einer Ma schine aufwachsen. Er wollte ihn gerade an greifen, als er Atlan erkannte. Unmittelbar neben dem Arkoniden erschien einer der beiden Roboter. Atlan schlug mit einer Ei senstange auf ihn ein. Glas splitterte. Der Roboter erstarrte. Atlan ließ sich fallen. Koy hörte, wie er sich entfernte. Ein Strahlenbün del schoß quer durch den Raum und schlug dort ein, wo der Arkonide eben noch gewe sen war. Er traf eine Maschine und zerfetzte sie. Rotflüssige Glut spritzte davon und tauchte die Umgebung für Sekunden in ein geisterhaftes Licht. Koy sah, daß der Roboter von Atlan aus geschaltet worden war. Das optische System war ausgefallen. Die Linsen waren zertrüm mert. Doch das akustische Wahrnehmungs system arbeitete noch. Der Robotsoldat drehte sich ruckartig. Die Stahlarme hoben sich, und der Energiestrahler richtete sich auf jemanden, den Koy nicht sehen konnte. Der Trommler konzentrierte sich auf den Roboter. Die kugelförmigen Enden seiner Broins schlugen zusammen, und für Sekun den schien es, als erfüllte das Dröhnen von Trommeln die Halle. Die Waffe in der Hand der Maschine zersplitterte in zahllose Bruch stücke. Eine glühende Masse spritzte daraus hervor und ergoß sich über den Stahlkörper des Roboters, der sich nun nicht mehr be wegte. »Koy«, wisperte es hinter ihm. Der Trommler fuhr herum. Er erkannte Atlan, der sich ihm zusammen mit Fenrir nä herte.
28 »Wir müssen den anderen Roboter auch noch ausschalten«, sagte der Arkonide. »Und wir müssen versuchen, die Waffe zu bekommen.« »Verdammt«, erwiderte Koy. »Wie konn te ich nur so einen Fehler machen. Ich hätte den Strahler nicht zerstören dürfen.« »Mache dir keine Vorwürfe«, bat Atlan. »Wichtig ist nur, daß der Roboter zerstört ist.« Wieder blitzte es auf. Der blaßrote Ener giestrahl zuckte durch den Raum. Für einen kurzen Moment konnte Atlan Kolphyr se hen, der hoch über ihnen auf einer Maschine stand und sich auf den Roboter stürzen woll te. Der Energiestrahl strich dicht an ihm vor bei, so daß der Arkonide bereits glaubte, Kolphyr sei getroffen worden. Der Bera er kannte offenbar, daß er den Robotsoldaten auf diese Weise nicht besiegen konnte. Er flüchtete auf der Seite von der Maschine, die dem Roboter abgewandt war. Auf diese Weise entging er dem zweiten Angriff. Der Energiestrahl, der ihm gegolten hatte, fuhr in die Maschine und löste eine verheerende Ex plosion aus. Kolphyr wirbelte durch die Luft und stürzte wenige Meter von Atlan entfernt zu Boden. Der Roboter stand inmitten einer Flammenhölle. Der Boden brach unter sei nen Füßen auf, und ein sonnenhelles Strah lenbündel schoß mitten in ihn hinein. Für ei nige Sekunden schien es so, als werde er selbst diese Belastung unbeschädigt überste hen, doch dann explodierte er. Trümmerstücke wirbelten durch den Raum. Ein kopfgroßes Stahlstück prallte nur wenige Zentimeter neben Atlans Kopf auf den Boden. Danach wurde es ruhiger. Nur noch das Knistern der Flammen und das Fauchen ent weichenden Gases durchbrach die Stille. Atlan kroch zu Kolphyr hinüber, der aus gestreckt auf dem Boden lag und sich nicht bewegte. Er beugte sich über ihn. »Kolphyr«, sagte er besorgt. »Bist du in Ordnung?« Der Bera blickte ihn grinsend an und ver-
H. G. Francis suchte, ihn in seine Arme zu ziehen. Atlan konnte ihm gerade noch ausweichen. »Ich sehe, daß du keine Hilfe brauchst«, sagte der Arkonide. Er richtete sich auf und rief Razamon und Darsior. Die beiden mel deten sich augenblicklich und kamen aus der Deckung einer Maschine hervor. »Wir brauchen Waffen«, sagte Razamon. »So geht es nicht weiter.« »Ich wäre froh, wenn ich eine Waffe hät te«, erwiderte Atlan. »Leider habe ich kei ne.« »Wir müssen uns einen Dello schnappen, der sich hier auskennt. Er muß uns verraten, wo wir Waffen finden«, sagte Razamon. »Wenn ich wenigstens mein Schwert hätte!« Atlan blickte sich in der Halle um. Zahl reiche Maschinen waren ausgefallen. Er hu stete. Der Rauch biß ihm in die Augen. »Wir verschwinden«, entschied er, wobei er auf den Gang deutete, durch den die Ro boter gekommen waren. »Versuchen wir es dort.« Während sie sich aus dem Maschinen raum zurückzogen, sagte Razamon: »Ich würde verdammt gerne wissen, welche Fol gen das hat. Irgend etwas muß doch ausge fallen sein. Aber was?« »Das werden wir wahrscheinlich bald er fahren«, erwiderte Atlan.
* Kortanak schrie entsetzt auf, als er auf den Bildschirmen beobachtete, wie die Ro boter die Energieschirmprojektoren zerstör ten und gegen Atlan und seine Freunde vor gingen. Für einige Sekunden vergaß er die Kälte. Er versuchte, andere Energieschirme einzu schalten, um den Durchbruch der Roboter doch noch zu verhindern, aber es gelang ihm nicht. Hilflos beobachtete er den Kampf in der Halle. Er sah die Maschinen explodieren und die Alarmlichter an der Monitorwand aufleuchten. Irgendwo heulte eine Alarmsi rene auf. Kommandos, die er nicht verstand,
Herren der FESTUNG hallten aus verborgenen Lautsprechern. Kortanak drückte einige Tasten und schal tete damit auf andere Beobachtungskameras um. Die Gärten vor der FESTUNG erschienen auf den Bildschirmen. Sie wurden von zahl reichen Scheinwerfern erhellt. Die Luft war klar, und die Sicht schien unbegrenzt zu sein. Der Fallenmeister stutzte. So hatte er die Gärten niemals zuvor gese hen. Irgend etwas war völlig anders als sonst. Er erkannte jedoch zunächst nicht, was so anders war. Er fror so stark, daß sei ne Zähne klappernd gegeneinander schlu gen. Er hatte nur einen Wunsch: in einen ge heizten Raum zu kommen und sich aufzu wärmen. Er rieb sich die Oberschenkel, die Brust und die Arme, weil er hoffte, die Kälte auf diese Weise zumindest vorübergehend ver treiben zu können, aber ihm wurde nur noch kälter dabei. Es schien, als ginge die Kälte von seinen Händen aus, und als triebe er sie mit seinen Händen durch den Anzug der Vernichtung in sich selbst hinein. Der Fallenmeister stutzte. Oder war es der Anzug der Vernichtung, der ihn so frieren ließ? Was stimmte nicht an ihm? Atlan hatte sich in ihm doch offen sichtlich wohl gefühlt. Warum er nicht? Kortanak fuhr mit den Händen über das Goldene Vlies. Es fühlte sich nicht mehr weich und geschmeidig an, sondern hart und spröde. Die Handschuhe schienen über sei nen Händen erstarrt zu sein. Er zerrte sie herunter und sah, daß seine Hände sich blau verfärbt hatten. Es gelang ihm nur unter großen Mühen, die Finger zu krümmen. Stöhnend streifte er den silbern schimmernder Helm ab. Er fühlte sich wie befreit. Ächzend knöpfte er den Anzug auf und schob ihn unter großen Mühen über die Schultern herab. Warme Luft umschmei chelte ihn, und belebendes Blut strömte in seine Hände. Seine Haut prickelte so heftig, daß er vor Schmerzen fast geschrien hätte.
29 Und doch war er froh darüber, denn er wuß te, daß nun das Leben irr die Hände zurück kehrte. Er riß sich den Anzug nun ganz herunter und ging danach einige Male im Kontroll raum auf und ab. Dabei wurde ihm allmäh lich bewußt, in welcher Gefahr er schwebte. Den Herren der FESTUNG würde nicht ver borgen bleiben, daß er eingegriffen und einen Energieschirm aufgebaut hatte, um At lan und seinen Freunden zu helfen. Sie wür den zurückschlagen. Er bückte sich und nahm das Breitschwert Razamons auf. Er stellte sich vor, daß ein Gegner auf ihn eindrang, und er versuchte, diesen Angriff mit dem Schwert zu parieren. Dabei stellte er sich so ungeschickt an, daß er über seine eigenen Beine stolperte und zu Boden stürzte. Er konnte gerade noch ver hindern, daß sich das Schwert ihm in die Brust bohrte. Erschrocken blieb er auf dem Boden lie gen. Er wurde sich dessen bewußt, daß er sich weit überschätzt hatte. Im Schutz der Grup pe hatte er eine gewisse Chance gehabt, sich zu retten. Auf sich allein gestellt, würde er den ersten Kampf mit einem Dello nicht überstehen. Er rappelte sich auf und lehnte sich gegen das Kontrollbord. Wieder fielen seine Blicke auf die Bildschirme. Er schrie vor Überraschung auf. In den Gängen der Gärten flüchteten zahl lose Dellos von der FESTUNG. Sie rannten, als sei der leibhaftige Tod hinter ihnen her. Und jetzt sah der Fallenmeister auch, was er vorher nicht bemerkt hatte. Die Barriere existierte nicht mehr! Die Gärten lagen nicht nur im Licht der Scheinwerfer, sondern auch in dem des Mondes. Die Androiden flüchteten, weil sie den Bereich der FESTUNG verlassen konnten. Unwillkürlich fragte Kortanak sich, was sie in dem unbekannten Land da draußen er wartete. Gab es dort wirklich die Sicherheit, die auch er suchte?
30 Er vergaß, daß er zu Atlan und den ande ren zurückkehren wollte. Er wollte den Del los folgen. Sie würden schon wissen, so meinte er, weshalb sie flüchteten. Viele von ihnen waren ja von draußen gekommen. Nur ein verschwindend geringer Teil war, wie die Herren ihn hatten wissen lassen, in der FESTUNG produziert worden. Er nahm das Goldene Vlies und das Schwert auf und eilte aus dem Kontroll raum. Er wollte frei sein. Kortanak war noch keine fünfzig Meter weit gekommen, als er einen nach oben füh renden Schacht erreichte. Verzweifelt sah er sich um. Er wollte nicht nach oben, sondern nach unten. In der Nähe befand sich eine Tür. Er wollte sie öffnen, als sie von selbst zur Seite glitt. Zwei mit Messern und Lan zen bewaffnete Dellos kamen auf ihn zu. Sie rissen die Messer hoch und ließen keinen Zweifel daran, daß sie ihn töten wollten. Kortanak versuchte gar nicht erst, gegen sie zu kämpfen. Er fuhr herum und wollte in den Kontrollraum zurücklaufen. Doch von dort kam ihm ein Roboter entgegen. So blieb nur ein Ausweg. Er mußte in den Schacht klettern. Voller Angst sprang er in die Höhe und raste die Sprossen der eisernen Leiter hoch. Die Dellos brüllten ihm etwas zu, aber er verstand sie in seinem Schrecken nicht. Er wagte nicht, nach unten zu blicken, weil er fürchtete, daß die Verfolger ihm allzu dicht auf den Fersen waren. Erst nach etwa dreißig Metern Aufstieg, als er eine Nische erreichte, legte er eine Pause ein und drehte sich um. Die beiden Androiden waren weit unter ihm. Sie blick ten hilflos zu ihm hoch und konnten sich of fensichtlich nicht dazu entschließen, ihn an zugreifen. »Verschwindet lieber aus der FE STUNG«, brüllte er ihnen zu. »Die Barriere existiert nicht mehr. Ihr könnt fliehen, ohne daß euch jemand aufhält. Verschwindet!« Sie ließen nicht erkennen, ob sie ihn ver standen hatten. Sie kletterten wieder nach
H. G. Francis unten, drängten sich an dem Roboter vorbei und eilten davon. Der Roboter blieb am Grunde des Schachtes und machte keine An stalten, ihm zu folgen. Der Fallenmeister bemerkte eine kleine Tür zu einem Fach in der Wand. Neugierig öffnete er sie und fand einige Werkzeuge darin. Lächelnd nahm er sie heraus und warf sie dem Roboter auf den Kopf. Er begleitete jeden Treffer mit einem Triumphschrei. Der Robotsoldat ruderte mit den Armen in der Luft herum und rollte rasselnd aus dem Schacht heraus. Befriedigt über seinen Erfolg kletterte Kortanak weiter. Er hatte das Gefühl, eine große Tat vollbracht zu haben.
* Der Sieg über den Roboter, oder was Kortanak in seiner Naivität für einen Sieg hielt, stärkte sein Selbstbewußtsein. Hatte er nicht bewiesen, daß er in der Lage war, einen weit überlegenen Gegner zurückzu schlagen? Der Fallenmeister verwarf den Plan wie der, zu Atlan zu gehen. Er befürchtete, daß der Arkonide sich dafür rächen könnte, daß er ihm das Goldene Vlies abgenommen hat te. Razamon aber, dessen Schwert er hatte, machte ihm noch weitaus größere Sorgen. Das düstere Wesen dieses Mannes blieb un durchschaubar für ihn, und ihm traute der Fallenmeister ohne weiteres zu, daß er sich mit einem Schwertstreich für den Verrat rä chen würde. Kortanak kletterte noch ein Stückchen weiter hoch, bis er eine Tür erreichte. Er öff nete sie und sah, daß dahinter ein Raum lag, der allerlei Gerümpel enthielt. Er warf das Goldene Vlies und das Breitschwert hinein. Danach fühlte er sich so erleichtert, als sei es ihm gelungen, alle Gefahren von sich zu wenden und sich endgültig in Sicherheit zu bringen. Nun kletterte er eilig die Leiter hinunter, überzeugte sich davon, daß sich weder Ro boter noch Dellos in seiner Nähe aufhielten
Herren der FESTUNG und lief den Weg zurück, den er gekommen war. Es gelang ihm, ungesehen bis zu dem Raum zurückzukehren, in dem Atlan und die anderen vom Gas betäubt worden waren, das aufgrund seines andersartigen Metabolismus bei ihm keine Wirkung gezeigt hatte. Kortanak stieg nicht durch die Öffnung, die er in die Wand gebrochen hatte, sondern entdeckte einen Weg, der ihn um die Falle herum führte. Danach fiel es ihm nicht schwer, bis an das Außenschott der FE STUNG zu kommen. Auch hier begegnete ihm niemand. Die FESTUNG und die sie umgebenden Anla gen waren wie ausgestorben. Kortanak fand ein paar Messer und Lan zen, die auf dem Boden lagen. Er nahm ein Messer und eine Lanze an sich und setzte, so ausgerüstet, seine Flucht fort. Kurz darauf stieß er auf ein offenes Schott, durch das er in die Gärten gelangte. Auch hier war niemand zu sehen. Schreie aus der Ferne zeigten ihm an, daß die Dellos weit von ihm entfernt waren. Kortanak dachte nicht daran, nun blind lings in die Nacht hinauszulaufen. Er blickte zum Mond hinauf, den er niemals zuvor ge sehen hatte, und sagte sich, daß er in dem hellen Licht allzu leicht eingefangen werden konnte. Daher begann er in unmittelbarer Umgebung der FESTUNG zu suchen. Und seine geheimen Hoffnungen erfüllten sich. Er spürte eine Flugschale auf, wie er sie einige Male auf den Monitorschirmen in seiner Höhle beobachtet hatte. Auch hatten die Herren der FESTUNG ihm Träume übermittelt, in denen solche Geräte vorka men. Daher wußte er, wie er sie bedienen mußte. Es gelang ihm, die Maschine zu star ten und bis auf eine Höhe von knapp zwei Metern zu bringen. Dann beschleunigte er und jagte mit hoher Fahrt durch die Gärten. Er flog direkt nach Süden auf den Grenzbe reich der Gärten zu. Die Freiheit lockte.
*
31 Die Tür öffnete sich. Acht riesige Dellos traten ein. Sie überragten Thalia und ihre Brüder deutlich und waren mit überlegenen Energiestrahlwaffen ausgerüstet. Ihre Augen ließen jedoch erkennen, daß sie ebenso see lenlos waren wie alle anderen Dellos. »Aufstehen«, befahl einer von ihnen. Er trug einen roten Umhang, der auf den Schul tern mit Metallspangen zusammengehalten wurde. Sigurd erhob sich als erster vom Boden. Er wechselte einen flüchtigen Blick mit Heimdall, und er erriet, daß dieser das glei che dachte wie er. Dies sollte die Hinrichtung sein, die man ihnen angekündigt hatte. Er trat den Dellos entgegen, wobei es ihm allerdings nicht gelang, die angestrebte, würdevolle Haltung anzunehmen, da die Fesseln ihn allzu sehr behinderten. »Aufstehen«, befahl der Dello den ande ren noch einmal. »Schnell. Wir haben keine Zeit.« Thalia, Balduur und Heimdall gehorchten. Sie halfen sich gegenseitig. »Was habt ihr vor?« fragte Sigurd. »Wir werden euch zu den Herren der FE STUNG bringen«, antwortete der Androide. »Nimm uns die Fesseln ab«, forderte Si gurd, doch der Dello beachtete ihn gar nicht. Eine Flugschale glitt in den Raum. Die Dellos umringten die Gefangenen und war fen sie in die Schale, ohne daß sie sich dage gen wehren konnten. Die Maschine trug sie aus dem Raum. Eine Folie schob sich über die Oberseite und nahm ihnen die Sicht. »Gibt es denn wirklich keine Möglichkeit, aus den Fesseln herauszukommen?« fragte Thalia und zerrte verzweifelt an den Stahl bändern. »Wir müssen versuchen, uns ge genseitig zu helfen.« Sigurd, Heimdall und Balduur begannen sofort damit, die Fesseln zu untersuchen. Sie mühten sich ab und versuchten, sie zu lösen, doch sie konnten sie keinen Millimeter weit auseinanderziehen. Bevor sich der geringste Erfolg abzeichnete, hielt die Flugschale an, und die Folie glitt wieder zur Seite. Die Del
32 los beugten sich über die Gefangenen und rissen sie brutal heraus. Sigurd blickte sich um. Sie befanden sich in einem Raum, der ganz in Blau gehalten war. Kristalline Gebil de zogen sich vom Boden bis zur Decke hin auf. Sie waren von einem geheimnisvollen Leben erfüllt. Sigurd zeigte mit dem Kopf auf die Gebil de. »Sind das die Herren?« fragte er. Die Dellos antworteten nicht. Zwei von ihnen nahmen ihn zwischen sich und schleif ten ihn aus dem Raum in einen Saal, dessen Dimensionen Sigurd nicht erkennen konnte, weil wallende Nebelfelder ihn zum Teil er füllten. Es waren farbige Nebel, die kontu renlos ineinander übergingen, sich gegenein ander verschoben, miteinander verflossen und neue, leuchtende Farbfelder bildeten. Hoch über den Gefangenen wölbte sich eine grüne Kuppel. Aus bizarren Öffnungen fuhren die Nebel herab, verteilten sich im Raum und strebten dann wieder zueinander, als seien sie lebende Wesen. Sigurd versuchte verwirrt, ein System in den Bewegungen zu erkennen. Das gelang ihm nicht, er merkte jedoch bald, daß Farben und Bewegungen in einer vollendeten Har monie zueinander standen. Diese rief in ihm jedoch keine angenehmen Gefühle hervor, sondern verursachte ein Gefühl der Kälte. Er fühlte sich abgestoßen, ohne erklären zu können, warum. Erst Thalia machte es ihm bewußt. »Es hat die Ausstrahlung des Bösen«, sagte sie mit stockender Stimme. Heimdall machte einige kleine Schritte in den Nebel hinein. Er drehte sich langsam um sich selbst. Ratlos blickte er Sigurd an. »Wo sind sie?« fragte er. »Was soll dieser Nebel?« Einige Dellos hasteten an ihnen vorbei. Sie waren so weit von ihnen entfernt, daß sie sie gerade noch sehen konnten. Der Nebel verschluckte alle Geräusche, so daß es schi en, als schwebten die Dellos über den Bo den.
H. G. Francis »Wo seid ihr?« brüllte Balduur. »Zeigt euch, oder habt ihr Angst vor uns?« Zunächst veränderte sich nichts. Thalia und ihre Brüder stellten sich unwillkürlich im Kreis auf, so daß einer den Rücken des anderen deckte. Sie warteten. Jedesmal wenn sich die Nebel etwas lich teten, glaubten sie, daß nun die Herren der FESTUNG erscheinen würden. Sie sahen Dellos, die sich ihnen näherten, dann aber in plötzlich dichter werdenden Nebelfeldern verschwanden, als würden sie vom Boden verschluckt. »Ihr Narren«, brüllte Balduur. »Glaubt ihr wirklich, daß ihr uns damit beeindrucken könnt?« Mit seinen Worten erzielte er ebenso we nig eine Wirkung wie zuvor. Die Herren der FESTUNG zeigten sich nicht. Balduur spür te jedoch deutlich, daß sie in unmittelbarer Nähe waren. Als er sich an Thalia, Sigurd und Heimdall wandte, um es ihnen zu sagen, bestätigten sie es ihm. »Ich fühle es«, wisperte Thalia. »Sie sind direkt vor uns.« »Ich wünschte, ich könnte die Fesseln ab streifen«, sagte Sigurd. »Ich würde die Her ren vernichten.« »Obwohl du gar nicht weißt, wer und wo sie sind?« fragte Heimdall spöttisch. »Wir haben uns einmal blamiert. Das reicht.« »Du hast recht«, gab Sigurd zerknirscht zu. »Wir sollten Haltung bewahren und ab warten.« »Sie warten nur darauf, daß wir nervös werden«, stellte Thalia fest. »Sie wollen sich an unserer Angst wei den«, bemerkte Balduur. »Wir werden ihnen aber dieses Schauspiel nicht gönnen.« »Dennoch möchte ich gern wissen, wer sie wirklich sind«, sagte Thalia. »Ich möchte viel lieber wissen, wo die Fremden sind, von denen Odin gesprochen hat«, entgegnete Sigurd. »Sie müssen hier ir gendwo in der Nähe sein, denn Odin hat ver kündet, daß sie die Herren der FESTUNG entmachten werden.« »Die Fremden werden euch nicht mehr
Herren der FESTUNG helfen«, flüsterte eine körperlose Stimme, die aus allen Richtungen zugleich zu kom men schien. »Ihr seid verloren. Euer Weg ist zu Ende.« »Wo bist du?« brüllte Sigurd. »Zeige dich endlich.« »Die Fremden sind ebenso gefangen wie ihr auch«, behauptete die Stimme. Ein belu stigter Unterton schwang in ihr mit. »Sie ha ben versucht, die FESTUNG zu erstürmen, doch sie sind gescheitert, so wie ihr auch.« »Zeige dich«, forderte Balduur. »Ich will wissen, mit wem ich rede.« »So ungeduldig?« wisperte es zurück. »Der Tod ist nahe, da spielt Zeit keine Rolle mehr.« »Du lügst«, sagte Heimdall kalt. »Wir haben uns gut amüsiert!« Die Stim me wurde etwas lauter. Nun schien es, als komme sie direkt von oben. Als Sigurd je doch in die Höhe blickte, hatte er das Ge fühl, daß die Stimme um ihn herumglitt, sich links von ihm entfernte und sich ihm im Rücken wieder näherte. »Wir haben euch und die Fremden beobachtet. Wir haben uns erlaubt, euch Gegner zu schicken, die nicht allzu kampfstark sind. Schließlich wollten wir nicht, daß ihr gar zu früh besiegt werdet. Wir wollten unseren Spaß haben.« »Hoffentlich habt ihr den gehabt«, rief Balduur erzürnt. Ein hohles Kichern kam aus den Nebelfel dern. »Wir sind zufrieden.« »Wer bist du?« fragte Thalia. »Phagen von Korst«, beantwortete der Unbekannte die Frage. »Das habe ich schon mal gehört«, sagte Sigurd. »Natürlich«, erwiderte Phagen von Korst. »Du warst so töricht, auf ein im Labor ent standenes Geschöpf hereinzufallen, nur weil dieses etwas ungewöhnlich aussah.« »Dann sind die anderen auch hier?« fragte Sigurd. »Elmthor von Morghom, Dorlk von Zamyhr, Kichor von Daspen und … und …« »Und Jenthas von Orl«, ergänzte Phagen von Korst. »Ganz richtig. Sie sind hier, und
33 sie beobachten euch. Sie sind allerdings ein wenig enttäuscht. Sie haben weitaus mehr von euch erwartet. Hieß es nicht gar, ihr seid Göttersöhne? Welche Vermessenheit!« »Wir haben uns niemals als Göttersöhne bezeichnet«, antwortete Heimdall grimmig. »Machen wir dem traurigen Schauspiel ein Ende«, sagte Phagen von Korst. »Der amüsante Teil des Spiels ist vorbei. Was jetzt kommt, ist langweilig. Deshalb wollen wir es schnell hinter uns bringen.« »Wovon sprichst du?« fragte Sigurd vol ler Unbehagen. »Von eurem Tod«, antwortete Phagen von Korst mit eisiger Stimme. Die Nebelschwaden versanken schlagartig im Boden. Thalia schrie auf.
6. Fenrir sprang so heftig auf, daß Koy un willkürlich hinter einer Maschine Deckung suchte. Razamon lachte. »Hast du immer noch nicht begriffen, daß er dir nichts tut?« fragte er. Zögernd kam der Trommler aus seiner Deckung heraus, während der Fenriswolf zu einem offenen Schott eilte, hier verharrte und sich winselnd nach Atlan umsah. »Was ist denn los?« fragte der Arkonide und ging zu ihm. Bevor er ihn erreicht hatte, trabte Fenrir schon weiter. Atlan gab seinen Begleitern einen auffordernden Wink. Sie folgten ihm und dem Wolf, der durch einen düsteren Gang bis zu einem Schott eilte, das sich an seinem Ende Befand. Hier sprang er hoch und kratzte mit seinen Pfoten am Schott. Atlan legte seine Hand auf eine Kon taktscheibe an der Wand und öffnete es. Das Goldene Vlies und das Schwert Raza mons lagen vor ihm. »He, was ist das?« rief Razamon. »Unser Freund Kortanak scheint kalte Füße bekom men zu haben.« Er bückte sich und nahm sein Schwert auf. Er prüfte es und stellte befriedigt fest, daß es unbeschädigt war.
34 Atlan nahm das Goldene Vlies nachdenk lich auf. »Vielleicht ist ihm wirklich kalt darin ge worden«, entgegnete er. »Wer will das sa gen? Auf jeden Fall haben sich seine Erwar tungen nicht erfüllt. Nicht jeder kann das Goldene Vlies tragen. Das steht für mich fest.« Atlan streifte sich den Anzug der Ver nichtung über. Augenblicklich fühlte er sich gestärkt und wesentlich frischer als zuvor. Der Effekt trat bedeutend schneller ein, als es beim Zellaktivator der Fall war. Dieser gab belebende Impulse ab und regenerierte die Kräfte ebenfalls, jedoch nicht so verblüf fend schnell. Atlan sah sich im Raum um, der allerlei Gerümpel enthielt. Er entdeckte nichts, was er verwenden konnte. »Was ist das?« fragte Razamon und trat einige Schritte zur Seite. Aus einem Schacht, der in die Tiefe führte, drangen Kampfgeräusche. »Wir müssen nach oben«, sagte Atlan. »Es hat keinen Sinn, sich nach unten zu ori entieren.« »Schön und gut«, sagte der Atlanter, »dann zeige mir, wo es weiter nach oben geht.« Der Arkonide antwortete nicht. Er wandte sich um und suchte nach einem Schacht oder einem Fahrstuhl, doch er fand keinen. Als er zu Razamon und den anderen zurückkehrte, standen diese immer noch an der gleichen Stelle. »Wir haben uns getäuscht«, verkündete Razamon und zeigte nach unten. »Da wird nicht gekämpft.« »Es hört sich aber so an«, sagte Atlan. »Da unten laufen Beobachtungsgeräte. Wir sollten nachsehen.« »Einverstanden.« Atlan wartete nicht län ger, sondern begann mit dem Abstieg. Nur Razamon begleitete ihn. Darsior, Kolphyr, Koy und Fenrir blieben zurück. Sie bemüh ten sich, den Weg nach oben zu finden. Als Atlan etwa zehn Minuten später zu ih nen zurückkehrte, hatten sie einen Schacht
H. G. Francis entdeckt, in dem sich ein nach oben offener Fahrstuhlkorb befand. Atlan berichtete ih nen, daß er eine Monitorwand gefunden hat te. »Unsere Lage hat sich erheblich verbes sert«, erklärte er. »Die Energiebarriere exi stiert nicht mehr. Die Dellos fliehen in Mas sen. Auch unser Freund Kortanak dürfte sein Heil außerhalb der Gärten suchen. Jetzt ist mir auch klar, weshalb die Angriffe auf uns nachgelassen haben. Die Herren der FE STUNG sind weitgehend auf sich allein ge stellt.« »Wenn ich einen Energiestrahler hätte, würde ich noch mehr Maschinen zerstören«, ergänzte Razamon. »Dadurch könnten wir vermutlich fast alle Anlagen der FESTUNG ausschalten.« »Wir haben keinen Energiestrahler«, sag te Atlan. »Ich könnte es übernehmen«, schlug Koy vor. Er zeigte auf den Bera. »Und Kolphyr könnte sich ebenfalls nützlich machen.« »Würdest du auf einige Moleküle deines Körpers verzichten?« fragte Atlan scherz haft. Er war sich dessen ganz sicher, daß Kolphyr einverstanden war. »Klar«, antwortete der Bera. Er wandte sich der Maschinenhalle zu, in der sie von den Robotern überfallen worden waren. Im gleichen Augenblick ertönte ein eigenartiges Summen aus dem Schacht. Atlan beugte sich nach vorn und blickte nach unten. Er fuhr erschreckt zurück. »Roboter«, sagte er. »Sie kommen hoch.« Razamon genügte diese Auskunft nicht. Er wollte selbst etwas sehen und beugte sich über den Schachtrand. Er schrie auf und warf sich zurück. Ein sonnenheller Energie strahl schoß aus der Tiefe herauf. Er war so dick wie ein Arm und verfehlte den Atlanter nur knapp. Geblendet brach Razamon zu sammen. Er preßte beide Hände gegen das Gesicht. »Hilf ihm«, rief Atlan Kolphyr zu. Dieser riß Razamon hoch und warf ihn sich kurzer hand über die Schultern. Darsior schrie warnend auf.
Herren der FESTUNG »Von dort kommen auch Roboter!« Er zeigte in Richtung Maschinenhalle. »In den Fahrstuhl«, befahl Atlan. Einige Meter von ihnen entfernt baute sich ein Energieschirm auf. Er versperrte ihnen den Weg, so daß nur noch der Fahrstuhl blieb. Obwohl Atlan das Gefühl hatte, in eine Falle zu gehen, sprang er in den Korb und trieb die anderen zur Eile an. Die Sicherheitstür fiel krachend zu. Atlan hieb mit der Faust gegen eine Taste an der Wand, und der Korb stieg mit rasch wachsender Geschwindigkeit nach oben. Razamon erholte sich allmählich. Seine Augen tränten. Sie lagen so tief in den Höh len, daß Atlan sie nicht sehen konnte. Er sah nur die Tränen, die dem Freund über die Wangen flossen. »Das war knapp«, sagte er. »Du solltest mir lieber glauben, wenn ich sage, daß Ro boter kommen.« »Das nächste Mal verzichte ich darauf, mich selbst davon zu überzeugen«, erwider te Razamon.
* Fallenmeister Kortanak riß den Fahrthebel der Flugschale entsetzt zurück, als er sah, was für Ungeheuer sich vor ihm über den Weg wälzten. Es waren Giganten mit tenta kelähnlichen Armen und haarigen Spinnen beinen, wie er sie noch nie zuvor gesehen hatte. Sie kamen aus dem Gebiet jenseits der ehemaligen Barriere, in dem er Sicherheit zu finden hoffte. Gierig machten sie sich über einige Dellos her, die unter den Bäumen Schutz gesucht hatten. Kortanak hörte, wie die Bestien die An droiden töteten und verschlangen. Er fühlte sich in der Flugschale nicht mehr sicher, da es ihm trotz aller Mühen nicht gelang, sie höher als etwa zwei Meter zu ziehen. Die monströsen Wesen aber wa ren weitaus größer. Einige von ihnen konn ten mit ihren tentakelähnlichen Armen si cherlich bis in eine zehnfache Höhe hinauf reichen.
35 Kortanak tippte vorsichtig gegen den Fahrthebel. Die Flugschale flog rückwärts. Genau das hatte er erreichen wollen. Ein tri umphierendes Lächeln spielte um seinen Mund. Lautlos zog der Fallenmeister sich von den Bestien zurück, ohne daß diese ihn bemerkten. Die Schwierigkeiten der Herren der FE STUNG wuchsen. Kortanak erreichte wenig später jenes Ge biet, über dem sich die Energiebarriere erho ben hatte. Es war deutlich zu erkennen, denn der Boden war an dieser Stelle völlig glatt und frei von allen Pflanzen. Dahinter lag ausgedehntes, zumeist flaches Land, das vom Mondlicht nur mäßig erhellt wurde. Der Fallenmeister hielt die Flugschale an. Er fragte sich, ob er es wirklich wagen soll te, in das unbekannte Land hinauszufliegen. Er brauchte Hilfe. Allein auf sich gestellt, würde er nicht weit kommen. Darüber war er sich klar. Wo aber konnte er Hilfe finden? Er versuchte, sich an das zu erinnern, was Atlan und dessen Begleiter ihm während der kurzen Zeit, die sie zusammen waren, er zählt hatten. Sie hatten vom Wachen Auge, von der Dunklen Region, von der Eisküste, der Sen ke der verlorenen Seelen, von der Feste Grool, von Moondrag, von der Straße der Mächtigen und von anderen Örtlichkeiten gesprochen. Kortanak hatte aus ihren Wor ten herausgehört, daß sie überall Abenteuer zu bestehen gehabt hatten. Dennoch glaubte er auch erkannt zu haben, daß es nirgends so gefährlich gewesen war wie in den Gärten der FESTUNG oder wie in der FESTUNG selbst. Er kannte als Fallenmeister die zahl losen Tücken der Gärten zur Genüge. Des halb wollte er dort auf keinen Fall leben. Wohin aber sollte er sich wenden? Er erschauerte, als er im Mondlicht dunkle Gestalten beobachtete, die sich vor ihm in der Ebene bewegten. Einige von ih nen kämpften miteinander. Viele strebten auf die FESTUNG zu. Wollten sie sich für das rächen, was ihnen in ihrem Leben wider fahren war? Wollten sie die Herren ent
36 machten? Weit vor ihm glühte etwas in der Dunkel heit. Es war so weit entfernt, daß er es nicht erkennen konnte. Es sah aus wie ein dünnes Band, das sich im Westen aus dem Landes innern bis weit in den Osten zog. War es möglich, daß es die Straße der Mächtigen war, die dort glühte? Der Fallen meister erinnerte sich daran, daß Atlan ihm gesagt hatte, daß sie von Donkmoon bis nach Aghmonth an die Küste reichte. Aber der Arkonide hatte nichts davon gesagt, daß die Straße der Mächtigen aus sich heraus leuchtete. Kortanak richtete sich unwillkürlich auf, als er sah, wie ein weißglühender Ball auf der Straße der Mächtigen von Westen nach Osten lief. Er war nicht groß. Eigentlich war es mehr ein hell strahlender Punkt. Der Fal lenmeister fühlte sich an einen Stern erin nert, der den Horizont berührte. Doch ein Stern hätte sich nicht so schnell bewegt, und er hätte keine Glutspur hinterlassen. Die Straße der Mächtigen erbebte. Der glühende Ball schien sie extrem zu belasten. Sie bäumte sich in Teilbereichen wie ein Schlangenkörper auf, als versuche sie, sich loszureißen und in die Luft zu entweichen. Kortanak hörte ein bedrohliches Rumpeln und Dröhnen, wie er es nie zuvor vernom men hatte. Er fühlte, wie ihm die Kehle eng wurde. Sollte er wirklich in dieses unbekannte Land hinausfliegen, in dem so geheimnis volle und ominöse Dinge geschahen? Er blickte sich um. Die Scheinwerfer in den Gärten waren erloschen. Dunkel lagen die Gärten vor ihm. In ihnen verbargen sich unzählige monströse Wesen, die aus der Ebene hierher geflüchtet waren. Streckte nicht schon dort eines dieser Wesen seine Tentakel nach ihm aus? Unwillkürlich griff Kortanak nach dem Fahrthebel und flog wei ter. Erst Minuten später hielt er die Flug schale wieder an. Sie schwebte nun über Wüstensand. Im Umkreis von mehreren hundert Metern war niemand zu sehen, der ihn bedrohte.
H. G. Francis Die Straße der Mächtigen leuchtete noch heller als zuvor. Ein Blitz zuckte aus dem Himmel herab, obwohl Kortanak keine Wol ken sehen konnte. Für einige Sekunden bruchteile erhellte er die Nacht, hundertfach heller, als es der Mond bis dahin getan hatte. Kortanak schrie auf. Etwa hundert Meter von ihm entfernt be fanden sich ganze Horden Bestien. Sie kro chen über den Boden und bewegten sich in breiter Front auf ihn zu. Die meisten von ih nen waren hellhäutige oder mit hellen Fellen versehene Monstren. Ihr Anblick war so schrecklich, daß Kortanak wie gelähmt war. Er wollte fliehen, aber er konnte es nicht. Dutzende der monströsen Wesen spran gen auf. Brüllend rannten sie auf die Flug schale zu. In diesem Augenblick erschütterte ein ge waltiger Donnerschlag die Umgebung. Kort anak glaubte bereits, daß Pthor sich von der Welt lösen werde, auf der es sich befand. Doch dann sah er zu seinem Entsetzen, daß sich die Straße der Mächtigen wie eine riesi ge Schlange aufbäumte. Sie stieg höher und höher auf, bis ihre Spitze bis in die Unend lichkeit zu reichen schien. Sie leuchtete nun so hell, daß Kortanak glaubte, der lichte Tag sei angebrochen. Die Bestien vor ihm erstarrten. Sie blickten von Angst gepeitscht zu dem glühenden Band hinauf, das sich wild hin und her bewegte, als werde es von einem Sturm geschüttelt. Und dann senkte sich die Straße der Mächtigen wie eine Peitsche. Sie prallte mit kaum vorstellbarer Wucht auf den Boden, wobei sie Hunderte von Bestien unter sich zerschmetterte, weite Teile der Gärten zer trümmerte und bis an die FESTUNG heran reichte. Die Flugschale wurde vom Luftdruck in die Höhe geschleudert. Kortanak klammerte sich an seinen Sitz. Aus geweiteten Augen blickte er auf das Land hinunter. Deutlich sah er, laß die glühende Straße der Mächti gen die Pyramide erreichte. Überall blitzte es. Explosionen zerrissen die Gebäude in der Nähe der Pyramide, und diese selbst
Herren der FESTUNG schwankte so stark, daß der Fallenmeister meinte, sie müsse umstürzen. Kurz darauf gab es weitere Explosionen. Zahlreiche unter den Gärten angelegte Sta tionen vergingen. Feuersäulen stiegen über all im Bereich der Gärten auf. Im Lichtschein sah Kortanak Tausende von Dellos und Bestien, die ihr Heil in der Flucht suchten. Er beobachtete, wie die Kör per von Androiden und von monströsen We sen in die Luft geschleudert wurden und wie Brände entstanden, die weite Bereiche der Gärten vernichteten. Die glühende Straße der Mächtigen prall te von der Pyramide ab und schoß wieder in die Höhe. Sie stieg weiter und weiter auf, bis Kortanak dachte, sie werde in der Unend lichkeit verschwinden. Doch dann stürzte sie wieder herab. Sie kam noch schneller als zu vor und mit noch größerer Wucht. Der Fallenmeister sah sie auf sich zukom men. Er riß am Fahrthebel. Verzweifelt ver suchte er, der Vernichtung zu entkommen. Doch in den Luftwirbeln reagierte die Flug schale völlig unberechenbar. Kortanak lenkte das Fluggerät nicht unter der Straße der Mächtigen hervor, sondern brachte es direkt in die Sturzbahn. Er streck te schreiend die Arme nach oben, als könne er das gewaltige Gebilde damit zurückhal ten. Dann traf ihn das glühende Etwas und schleuderte ihn mit der Flugschale zu Bo den. Kortanak sah Feuer. Er fühlte eine un erträgliche Hitze. Eine letzte Frage quälte ihn, bevor er starb. Wäre es nicht doch besser gewesen, den Rest seines Lebens in Träumen zu verbrin gen?
* Kreischend rutschten die Außenseiten des Fahrstuhlkorbs an den Führungsschienen entlang. Der Boden unter Atlan und seinen Begleitern schwankte so stark, daß sie zu Boden stürzten. Die Schachtwände platzten
37 donnernd auf, und Metallteile stürzten aus der Höhe herab. Kolphyr, der als erster wieder auf den Beinen war, fing die Bruchstücke ab, indem er sich schützend über Atlan, Darsior, Raza mon, Koy und Fenrir beugte. Ein nahezu un erträglicher Lärm erfüllte das Raumschiff. Razamon schrie Atlan etwas zu, aber dieser verstand ihn nicht. Der Fahrstuhl verkeilte sich so in den Führungsschienen, daß er sich nicht mehr von der Stelle bewegte. An seiner Unterseite explodierte ein Motor. Dadurch rückte der Korb noch einige Zentimeter höher, dann aber saß er endgültig fest. Ratlos blickten sich die Freunde an, als es ruhiger wurde. »Weiß der Teufel, was passiert ist«, sagte Atlan atemlos. »Auf jeden Fall müssen wir 'raus aus diesem Ding.« »Wohin?« fragte Darsior ängstlich. Atlan blickte sich um. Meterbreite Risse zogen sich durch die Wände. Durch einige von ihnen schimmerte Licht. »Wir versuchen es dort«, sagte er und zeigte auf einen Riß, der sich nur knapp zwei Meter über dem Korb befand. Er klet terte auf den Rand des Stahlkorbs und blick te durch die Öffnung. »Hier ist ein Raum. Wir haben Glück.« Er zog sich hoch und stieg durch die Bruchstelle. Er gelangte in einen kleinen Raum, in dem allerlei Werkzeug und Ersatz teile in Containern herumstanden. »Wartet«, rief er, nahm eine Brechstange und erweiterte den Riß. Dann reichte er zwei nur zum Teil gefüllte Container hinunter. Die Behälter dienten besonders Fenrir als Hilfe, während die anderen auch ohne sie den Korb verlassen konnten. Kaum waren alle in dem Lagerraum, als das Raumschiff erneut erbebte und erzitterte. Wiederum stürzten sie zu Boden. In der Decke explodierten einige Leuchtelemente, und es wurde so dunkel, daß sie kaum noch etwas sehen konnten. Atlan kroch über den schwankenden Bo den zu einem Schott hinüber und öffnete es.
38 »Das ist das Ende«, schrie Darsior. »Die FESTUNG bricht auseinander.« Unmittelbar darauf steigerte sich der Lärm derart, daß Atlan sich die Hände gegen die Ohren preßte. Das Goldene Vlies schütz te ihn. Schlimmer noch als für ihn wurde das Getöse für seine Begleiter. Darsior erwies sich als besonders lärmempfindlich. Sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz. Er brach zusammen und preßte die Stirn auf den Bo den, während er beide Arme um den Kopf schlang. »Zurück«, brüllte Kolphyr mit schriller Stimme. »Wir müssen die FESTUNG ver lassen.« »Auf keinen Fall«, schrie Atlan. »Wir sind in der Nähe der Herren. Das spüre ich. Sie sind in Not, vielleicht sogar noch mehr als wir. Und gerade deshalb haben wir eine Chance, sie auszuschalten.« Er riß Darsior hoch und zerrte ihn mit sich auf einen Gang, der etwa fünfzig Meter lang und zwei Meter breit war. Leuchtelemente in der Decke erhellten ihn. Atlan sah, daß der Gang sich in sich verdrehte. Risse bilde ten sich in den Wänden, und einige Leucht elemente platzten aus der Decke heraus und stürzten auf den Boden, wo sie zersplitter ten. Er drehte sich um. Kolphyr schleppte Koy mit sich, der von einem herabfallenden Teil am Kopf getrof fen worden war. Razamon trieb Fenrir vor sich her, der in dem chaotischen Durchein ander nicht zu wissen schien, wohin er sich wenden sollte. Eine Seitentür sprang auf. Schreiend stürzte ein Dello daraus hervor. Er flüchtete den Gang entlang, ohne auf Atlan zu achten, den er fast umgerannt hätte. Der Arkonide blickte durch die offene Tür in einen Raum, dessen eine Wand von Mo nitorschirmen eingenommen wurde. Er be trat den Raum, nachdem er sich davon über zeugt hatte, daß sich nun niemand mehr dar in aufhielt. »Seht euch das an«, sagte er und deutete auf die Bildschirme. Sie zeigten Ausschnitte
H. G. Francis aus den Gärten vor der FESTUNG. Überall stiegen Explosionsblitze auf. Weite Teile der Anlagen standen in Flammen. »Die Straße der Mächtigen«, rief Koy der Trommler, der sich mittlerweile wieder er holt hatte. Auf einem Bildschirm war die Pyramide zu sehen. Die weißglühende Straße der Mächtigen schlug peitschend auf sie herab. Gleichzeitig erzitterte der Boden unter den Füßen Atlans. Er und seine Begleiter wur den durch den Raum geschleudert. In der Pyramide krachte es. Der Stahl ächzte und kreischte, als werde er von Titanenkräften auseinandergerissen. Einige Bildschirme im plodierten. Bevor Atlan und seine Freunde wieder auf die Beine gekommen waren, raste ein dich ter Pulk von Robotern in den Raum und stürzte sich auf sie. Atlan versuchte, den Stahlklauen zu entkommen, aber die Robo ter warfen so schnell Fesseln über ihn, daß ihm keine Abwehrmöglichkeit mehr blieb. Auch Razamon, Darsior, Kolphyr, Koy und Fenrir wurden überrumpelt. Keiner von ih nen entging den Stahlfesseln, die sich wie lebende Wesen um ihre Arme und Beine schlängelten. Atlan schaffte es noch, die Muskeln so anzuspannen, daß die Stahlbän der nicht allzu fest saßen. Dann rissen ihn die Roboter hoch und schleiften ihn aus dem Raum. Narr! rief sein Extrasinn. Du hast den Dello vergessen. Du hast geglaubt, daß er dich nicht gesehen hat. Das war ein Irrtum. Dafür mußt du bezahlen. Er blickte zu Koy hinüber, der dicht hinter ihm war. Einer der Roboter hatte ihn am Kragen seines hellblauen Pullovers gepackt und schleifte ihn über den Boden. Atlan sah, daß die Broins aufgerichtet waren. »Nicht«, rief er ihm zu. »Warte ab. Jetzt ist es zu früh.« Koy antwortete nicht, aber Atlan sah ihm an, daß er ihn verstanden hatte. Es wäre sinnlos gewesen, jetzt einen oder mehrere Roboter mit Broinskraft zu zerstören. Da durch wären sie auch nicht frei geworden.
Herren der FESTUNG Die Roboter transportierten sie über eine Reihe von Gängen, schleppten sie einige Leitern hoch und brachten sie dann in einen weiten Saal, in dessen Mitte vier Gefangene standen. Atlan erkannte Heimdall und Thalia. Er zweifelte nicht daran, daß die beiden ande ren Sigurd und Balduur waren.
7. Atlan und seinen Begleitern blieb nicht viel Zeit, Thalia und die Söhne Odins zu be grüßen. Eine mächtige Stimme hallte von der Decke herab. Atlan drehte sich um, als Thalia zu ihm sagte: »Sieh sie dir an, die Herren der FE STUNG.« Erst bei diesen Worten wurde ihm be wußt, daß er die Hauptleitzentrale des Pyra midenschiffs erreicht hatte. Der Atem stockte ihm, als er die Herren der FESTUNG sah. »Das darf doch nicht wahr sein«, sagte Razamon stammelnd. Die Herren der FESTUNG lebten in trans parenten Hülsen, die etwa 10 Meter hoch und drei Meter dick waren. Die fünf Herren der FESTUNG waren embryoähnliche Gestalten, die total vergreist wirkten: Sie waren weißhäutig, haarlos und nackt. Aus schwarzen Augen blickten sie die Gefangenen forschend und sich ihres Sieges bewußt an. Sie bewegten sich in einer gel ben Nährflüssigkeit. Koy der Trommler schnaufte zornig. Er blickte zur Decke hinauf, wo der große Lautsprecher hing, aus dem die Stimme ge kommen war. Bevor Atlan es verhindern konnte, schlugen die Broins zusammen, und der Lautsprecher zersplitterte in Tausende von Teilchen, die von der Decke auf die Ge fangenen herabregneten. Doch damit hatte Koy die Herren nicht stumm gemacht. Die Kommunikationsanla ge schaltete auf die Lautsprecher um, die an den Lebenserhaltungshülsen angebracht wa ren. Aus ihnen ertönten empörte Schreie.
39 Jetzt aber gaben die Lautsprecher keine elektronisch veränderten Stimmen mehr wieder, sondern die natürlichen Stimmen der Herren. Es waren Kinderstimmen! »Dafür wirst du mit dem Leben bezah len«, schrie einer der Herren und fuchtelte zornig mit den Armen. Der kleine Körper stieg von unsichtbarer Kraft getragen in der Nährflüssigkeit nach oben. Die Pyramide erzitterte. Atlan spürte, wie der Boden unter seinen Füßen schwankte. »Warum bekämpfen wir uns eigentlich?« rief er. »Pthor ist in Gefahr. Da draußen herrschen apokalyptische Zustände. Die Barriere besteht nicht mehr. Die Horden fal len in die FESTUNG ein. Wir sollten uns gegenseitig helfen.« »Die Enkel des Großen Oheims brauchen deine Hilfe nicht«, antwortete einer der Her ren. »Ich, Phagen von Korst, will euch ster ben sehen. Je früher, desto besser.« Atlan erschauerte. Die Herren der FE STUNG erschienen ihm wie die Inkarnation des Bösen. Sie mußten unsterblich sein. Da für sorgte wahrscheinlich ihr Lebenserhal tungssystem, zu denen auch Kontrollsyste me gehörten. Mit diesen beherrschten die Herren die FESTUNG. Atlan sah, daß sich in den Hülsen, teils verborgen von der Nähr flüssigkeit, einige Hebel und Tasten befan den. Er vermutete, daß sie mit Steuerleitsy stemen verbunden waren, die sich hinter den Hülsen befanden. Die Instrumente, die Atlan sah, bestärkten ihn in der Überzeugung, daß die Pyramide ein Raumschiff war und daß er sich in der Hauptleitzentrale befand. »Der Große Oheim?« fragte der Arkoni de. »Wer ist der Große Oheim?« »Du hast keine Fragen zu stellen«, erklär te einer der Herren. »Wir werden starten«, rief Phagen von Korst. »Habt ihr etwas dagegen einzuwen den?« »Wir starten«, erwiderten die anderen vier Herren wie aus einem Munde. »Pthor wird die Erde verlassen?« fragte
40 der Aktivatorträger hoffnungsvoll. »Nicht Pthor«, antwortete Phagen von Korst. »Die Pyramide wird starten. Sie wird Pthor verlassen und später zurückkehren, wenn sich alles beruhigt hat.« »Das ist unmöglich«, rief Atlan er schrocken. »Die Pyramide kann nicht mehr fliegen. Ihr würdet Selbstmord begehen, wenn ihr sie in den Weltraum führt. Überall sind Risse. Die Luft würde sofort entwei chen, wenn wir den Weltraum erreicht ha ben. Das würde den Tod für alle an Bord be deuten. Auch für euch.« »Nicht für uns«, antwortete der Herr, der sich in der Hülse neben Phagen von Korst befand. »Wir sind ausreichend geschützt. Glaube mir, wir werden es genießen, wenn wir sehen, wie ihr versucht, euer erbärmli ches Leben zu retten, und wie ihr langsam erstickt.« »Eine Frage noch«, bat Atlan. »Sagt mir, ob ihr aus der Schwarzen Galaxis kommt.« »Was weißt du von der Schwarzen Gala xis?« fragte Phagen von Korst. »So gut wie nichts«, gab der Aktivatorträ ger zu. »Ist Pthor nicht von dort gekommen? Wer hat Pthor auf die Reise durch die Dimensionen geschickt? War es der Große Oheim? Und wenn er es war, warum hat er es getan? Es muß doch einen Grund geben. Laßt es mich wissen. Wenn ich schon ster ben muß, dann möchte ich wenigstens diese Fragen beantwortet haben.« Die Herren der FESTUNG lachten schrill. Atlan sah, daß einer von ihnen einen He bel betätigte. Unmittelbar darauf erzitterte die Pyramide. Am Steuerleitpult leuchteten zahlreiche Lichter auf. Bildschirme erhellten sich. Sie zeigten die verschiedenen Bereiche des Pyramidenschiffs. »Sie wollen tatsächlich mit diesem Bruch stück starten«, sagte Razamon stöhnend. »Wir müssen es verhindern.« »Auf alle Fälle«, antwortete Atlan. Mit er hobener Stimme rief er: »Bleibt, wo ihr seid. Ich warne euch. Wenn die Pyramide Pthor verläßt, werden die Streitkräfte der Erde an greifen und das Schiff augenblicklich ver-
H. G. Francis nichten.« Die Herren der FESTUNG kreischten vor Vergnügen. »Die Waffen, mit denen man dieses Raumschiff vernichten kann, sind noch nicht erfunden. Wir können, wenn wir wollen, den ganzen Planeten zerstören, auf dem Pthor gelandet ist.« Atlan wußte nicht, ob sie blufften oder die Wahrheit sagten. Er traute den Herren der FESTUNG ohne weiteres zu, daß sie tat sächlich über Waffen verfügten, die denen der Terraner überlegen waren. Er durfte nicht zulassen, daß die Pyramide startete und Pthor verließ. »Warum beantwortet ihr meine Fragen nicht?« rief Atlan. »Habt ihr vergessen, wes halb Pthor ursprünglich einmal auf die Reise durch die Dimensionen ging?« Die fünf Herren der FESTUNG blickten ihn an. Atlan erschauerte abermals. Niemals zuvor waren ihm derart bösartige Wesen be gegnet. »Sie verraten nichts«, erklärte Sigurd. »Sie schweigen sich aus, wenn es um solche Dinge geht. Wahrscheinlich haben sie in ih rer Bösartigkeit und bei ihrem Machthunger vergessen, welchen Plan sie ursprünglich verfolgt haben.« »Wer ist der Große Oheim?« fragte Atlan die Söhne Odins. »Wißt ihr es?« Sigurd schüttelte den Kopf. Das Vibrieren des Schiffes wurde stärker. Einige Signale am Hauptleitpult zeigten an, daß die wichtigsten Systeme angelaufen wa ren. Der Start der Pyramide stand unmittel bar bevor. Ein ständig lauter werdendes Dröhnen er füllte die Luft. Mehrere Schotte öffneten sich. Robotsoldaten rollten auf ihren Ketten herein. Sie stellten sich vor den Hülsen der Herren und vor dem Hauptleitsystem auf. Atlan zerrte an seinen Fesseln. Er sah, daß auch Razamon und Kolphyr versuchten, sich zu befreien. Ihnen gelang es jedoch nicht. Bei ihm dagegen lösten sich die Stahlfesseln auf. Atlan zweifelte nicht daran, daß ihm das Goldene Vlies entscheidende Hilfe leistete.
Herren der FESTUNG Er blickte auf seine Füße hinab und stellte fest, daß die Stahlbänder überall dort dünner wurden, wo sie das Goldene Vlies berührten. Er spannte seine Muskeln an und trat gleich zeitig ein wenig zur Seite, so daß Kolphyr und Razamon ihn gegen die Herren deckten. Die Fesseln fielen. Atlan hatte Arme und Beine frei. »Soll ich die Hülsen zersprengen?« flü sterte Koy. »Auf keinen Fall«, entgegnete der Arko nide eilig. »Das würde unseren sofortigen Tod bedeuten. Außerdem haben sich die Herren bestimmt geschützt. Vergiß die Del los nicht, die Schutzschirme hatten.« »Wir müssen doch etwas tun«, sagte Raz amon erbittert. »Es hilft nur eines. Wir müssen das Le benserhaltungssystem abschalten«, erklärte der Arkonide. »Nur damit bringen wir sie in Verlegenheit.« »Aber wie sollen wir das machen?« fragte Darsior. »Das wird sich zeigen.« Atlan sah, daß ei nige Roboter Energiestrahler hatten. Vom nächsten offenen Schott trennten ihn etwa zwanzig Schritte. Er atmete einige Male tief durch. Dann sagte er: »Ich verschwinde jetzt. Seid vorsichtig.« Kolphyr lachte laut auf. »He, ihr Herren«, brüllte er. »Ich habe et was für euch.« Die nackten Wesen in den Hülsen ließen sich für einen kurzen Moment ablenken. At lan rannte los. Die Herren der FESTUNG schrien erschreckt auf. Keiner von ihnen hatte damit gerechnet, daß sich einer der Ge fangenen von seinen Fesseln befreien könn te. »Schießt«, befahl Phagen von Korst mit schriller Stimme. »Schießt doch endlich.« Atlan rannte an den Robotern vorbei. Ein Energiestrahler blitzte auf, doch der sonnen helle Strahl strich wirkungslos an ihm vor bei. Er stürzte sich durch das offene Schott, hieb die Faust gegen den Kontaktknopf und eilte weiter. Das Schott schloß sich hinter ihm und hielt die Roboter einige entschei
41 dende Sekunden lang auf. Sie mußten war ten, bis es sich ganz geschlossen hatte. Erst dann konnten sie das Schott wieder auffah ren. Atlan hatte nur ein Ziel. Er wollte den Start der Pyramide verhindern. Dafür gab es nur zwei Möglichkeiten. Entweder galt es, die Triebwerke lahmzulegen, oder die elek tronischen Einrichtungen der Hauptleitzen trale mußten ausgeschaltet werden. Ihm blieb nur diese zweite Möglichkeit, da er nicht wußte, wo die Triebwerke waren, wie sie bewacht wurden, und wie er sie hätte be triebsunfähig machen können. Daher machte Atlan in dem Augenblick kehrt, als sich das Schott schloß, und die Ro boter ihn nicht mehr sehen konnten. Er rann te einige Meter weit zurück und flüchtete dann durch eine seitlich abzweigende Tür in einen Raum, der direkt hinter dem Kontroll pult der Hauptleitzentrale lag. Er lehnte sich mit dem Rücken an die Tür und horchte. Die Roboter eilten an ihm vor bei. Sie hatten nicht gemerkt, wohin er ge flüchtet war. Im Raum war es dunkel. Atlan tastete den Rahmen der Tür ab und berührte dabei die Lichtscheibe. Die Elemente an der Decke er hellten sich. Sie beleuchteten einen kleinen Raum, dessen Wände von flachen Stahl schränken eingenommen wurden. Er sah fast so aus wie jene Räume, die auf terranischen Raumschiffen die gleiche Funktion hatten. Die Stahlschränke stellten die Rückseite der Kontrollwand in der Hauptleitzentrale dar. In ihnen verbarg sich die umfangreiche Elektronik des Schiffes, soweit sie nicht in der Zentrale untergebracht werden konnte. Atlan sah, daß die Schränke mit Spezial schlössern gesichert waren. Doch das war kein Problem. Er nahm schweres Werkzeug aus den Halterungen an der Wand und brach damit einen der Schränke auf. Er holte aus und schlug auf die Elektronik ein. Augen blicklich heulte eine Sirene auf. Zwischen den zahllosen Kabeln blitzte es auf. Flam men krochen an den Kabelsträngen hoch. Atlan eilte zum nächsten Schrank, öffnete
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ihn und setzte hier sein Zerstörungswerk fort, indem er die Kabelverbindungen zer fetzte und somit serienweise elektronische Geräte in der Hauptleitzentrale wertlos machte. Als er den vierten Schrank geöffnet und die Schaltungen zerstört hatte, flog die Tür auf. Zwei Roboter rollten herein und stürz ten sich auf ihn. Sie packten ihn mit ihren stählernen Klauen und warfen ihn zu Boden. Atlan schrie vor Schmerz, weil sie so hart zupackten. Zugleich aber merkte er, daß der Boden unter ihm völlig ruhig war. Die Triebwerke arbeiteten nicht mehr. Er hatte sein Ziel erreicht. Die Pyramide konnte nicht starten.
* Die Gesichter der Herren der FESTUNG waren vor Haß verzerrt. Sie sahen alle gleich aus. Atlan hatte den Eindruck, ein einziges Wesen vor sich zu haben, das in fünf Einzel körper aufgeteilt war, aber von einem Geist gelenkt wurde. »Dafür wirst du sterben«, schrie es aus ei nem der Lautsprecher. Die Stimme klang hysterisch und war so haßerfüllt, daß der Ar konide erschauerte, obwohl die Enkel des Großen Oheims ihre zuvor ausgesprochene Drohung lediglich wiederholten. Er war sich längst darüber klar, daß er das denkbar größ te Risiko eingegangen war, doch er hatte keine andere Möglichkeit gehabt. Er schüttelte die Roboter ab und richtete sich auf. Die Roboter blieben hautnah bei ihm, faßten ihn jedoch nicht wieder an. Sie waren sich dessen sicher, daß er ihnen nicht mehr entkommen konnte. »Ihr wollt mich töten, weil ich euch das Leben gerettet habe?« rief der Arkonide. »Wenn ich den Start des Raumschiffes nicht verhindert hätte, dann wäret ihr jetzt schon tot.« »Lüge«, schrie einer der Herren. »Es ist die Wahrheit«, antwortete Atlan ruhig. »Das Raumschiff kann nicht starten, bevor es überholt worden ist. Außerdem
muß die Basis freigemacht werden, sonst findet unter dem Raumschiff eine Explosion statt, die das Schiff selbst zerreißt. Bedenkt, daß die Pyramide seit undenkbaren Zeiten nicht mehr gestartet ist.« Die Herren schwiegen. Sie waren nach denklich geworden. Razamon trat vor. »Es ist die Wahrheit«, erklärte er. »Glaubt mir. Ich bin Raumfahrtspezialist, und ich be haupte, daß sich niemand auf Pthor befindet, der sich mit diesen Problemen besser aus kennt als ich. Es ist absolut sicher, daß die Pyramide explodiert wäre, wenn sie gestartet wäre. Der Weißhaarige hat das einzig Rich tige getan. Er hat den Start verhindert und damit euch Enkeln des Großen Oheims das Leben gerettet.« Die Pyramide erzitterte plötzlich, dann dröhnte sie auf wie eine mächtige Glocke. Einige Monitorschirme hinter den Hülsen der Herren leuchteten auf. Atlan beobachte te, daß die Straße der Mächtigen mitten in die Gärten schlug. Deutlich konnte er erken nen, daß dabei zahllose Monstren der Hor den der Nacht getötet wurden. Viele aber drangen in Spalten und Risse ein, die sich in der Pyramide gebildet hatten. »Seht euch die Bildschirme an«, rief der Arkonide. »Mit einem solchen Schiff wolltet ihr starten?« Die Straße der Mächtigen blieb als breites Band in den Gärten liegen. Sie war zunächst weißglühend, kühlte sich dann aber schnell ab, wurde rot und nach einigen Minuten dunkel. Die Herren der FESTUNG schwiegen. Atlan hörte, daß etwas in seiner Nähe zer splitterte. Es war ein nicht besonders auffäl liges Geräusch, das ihn aufmerksam machte, das jedoch von den Robotern nicht regi striert wurde, da es von vielen anderen Ge räuschen übertönt wurde. Obwohl die Straße der Mächtigen zur Ruhe gekommen war, gab es immer wieder Explosionen in der Py ramide, Räume stürzten ein, und Teile des riesigen Gebildes verschoben sich, wo die Spannungen zu groß geworden waren.
Herren der FESTUNG Der Arkonide blickte auf die Hände Dar siors, die die Roboter ihm auf den Rücken gebunden hatten. Von den Fesseln splitterten an einer Stelle ständig kleine Stückchen ab. Atlans Blick wanderte zu Koy. Die Broins schlugen in regelmäßigen Abständen leicht gegeneinander. Warum hatte Koy sich gerade Darsior ausgesucht? Weil die Herren ihn als harmlos ansehen! antwortete der Extrasinn. Er ist ein Andro ide, also in ihren Augen nichts wert. Des halb ist er für uns besonders wertvoll. Darsiors Füße waren bereits frei. Jetzt fie len die Fesseln von seinen Handgelenken. Er fing sie geschickt mit den Fingern auf und hielt sie fest, um die Roboter nicht aufmerk sam zu machen. Atlan blickte zu den Herren der FE STUNG hinüber. Die embryoähnlichen We sen bewegten sich in ihren Hülsen auf und ab. Er sah, daß sie die Lippen bewegten. Daraus schloß er, daß sie sich untereinander verständigen konnten, ohne die Außenlaut sprecher einzuschalten. Was hatten sie vor? Das Hauptschott der Zentrale öffnete sich. Vier Dellos stürzten herein. Sie waren fast nackt. Nur ein paar Fetzen hingen an ihren Hüften. Brüllend jagte ein monströses Wesen hin ter ihnen her. Es hatte den Körper eines Mammuts und auch den Rüssel. Aus diesem und aus dem Rücken ragten jedoch meter lange Stacheln empor, die offenbar eine äu ßerst gefährliche Waffe darstellten. Fleisch fetzen hingen daran als allzu deutliche Spu ren eines Kampfes. Das Monstrum bewegte sich auf Füßen, die an menschliche Hände erinnerten und ungemein beweglich waren. »Tötet es!« schrien die Herren der FE STUNG in panikartiger Angst. Darsior rannte auf eine der Hülsen zu, warf sich davor auf den Boden und rutschte bis an das Kontrollbord. Hier blieb er wie tot liegen. Atlan, Razamon, Koy, Kolphyr, Fenrir und die Kinder Odins flüchteten auf
43 die entgegengesetzte Seite der Zentrale, während die Roboter aus Energiestrahlwaf fen auf das Ungeheuer schossen. Sie trafen es am Kopf. Brüllend stürzte es zu Boden. Es schlug mit dem Rüssel um sich und schmetterte einen der Roboter zur Seite. Die anderen Roboter feuerten noch einmal und töteten es endgültig. Dann fuhren sie herum und richteten ihre Energiestrahler auf die Gefangenen. Die Abstrahlfelder flimmerten bedrohlich. Atlan blickte zu den Herren der FE STUNG hinüber. Er fürchtete, daß von ih nen der Schießbefehl kommen würde. Doch die Enkel des Großen Oheims schienen die Gefangenen vergessen zu haben. Sie beweg ten sich hektisch in der Nährflüssigkeit und bedienten Hebel und Stellräder, die aus dem Boden der Hülsen aufstiegen. »Wir starten«, schrie es aus den Lautspre chern. »Pthor verläßt diese Welt. Roboter, sorgt für Ordnung.« »Kolphyr«, rief Atlan. Der Bera begriff. Er hatte sich längst auf den entscheidenden Kampf vorbereitet. Er spuckte etwas aus. »Vorsicht«, brüllte der Arkonide. »Deckung.« Die anderen reagierten wie erwartet. Le diglich Thalia und die Söhne Odins zöger ten, da sie nicht wußten, was Kolphyr tat. Als das ausgespuckte Stückchen Antimaterie gegen einen Roboter prallte, explodierte die ser. Eine Feuersäule stieg bis zur Decke der Halle auf. Rotglühende Bruchstücke wirbel ten durch den Raum und zerstörten die Ro botsoldaten, die in der Nähe standen. Diese waren es auch, die mit ihren Körpern die Gefangenen unbeabsichtigt vor den Splittern schützten. Atlan spürte, daß ein Bruchstück gegen den Helm seines Anzugs schlug und davon abprallte, ohne Schaden anzurichten. Er sah, daß Teile des zerstörten Roboters gegen eine unsichtbare Energiewand prallten, die sich vor den Hülsen der Herren erhoben hatte. Kolphyr rannte auf drei noch funktionie rende Roboter zu und spie ein weiteres
44 Stückchen Antimaterie gegen sie. Es war so klein, daß Atlan es nicht sehen konnte, aber es löste eine Explosion aus, die die Roboter vernichtete. Kolphyr wurde von einigen Bruchstücken getroffen. Er taumelte mit ausgebreiteten Armen zurück, wurde aber nicht verletzt. Der Velst-Schleier schützte ihn. Die brennenden Reste der Roboter blie ben auf dem Boden liegen. Rauch füllte die Hauptleitzentrale. Er biß den Gefangenen in die Augen und nahm ihnen die Sicht. Atlan eilte auf die Hülsen der Herren zu. Er kam bis zu der unsichtbaren Energie wand. Er wollte etwas sagen, als eine Er schütterung durch das Schiff lief, so daß er Mühe hatte, sich auf den Beinen zu halten. Ein eigenartiges Gefühl erfaßte ihn. Ihm war, als würde er von einem Sog im Inner sten erfaßt, der ihn in die Unendlichkeit rei ßen wollte. Es schien, als würde er schwere los. Gleichzeitig vernahm er ein alles umfas sendes Rauschen, das er sich nicht erklären konnte. Er stemmte die Hände gegen das un sichtbare Hindernis. Die Herren der FESTUNG blickten ihn höhnisch an. »Wir starten«, kreischte es aus den Laut sprechern. »Wir verlassen diesen Planeten. Du wirst deine Welt nie wiedersehen.« Atlan stand an dem Prallschirm und glaubte, sich verhört zu haben. Er hatte sein Ziel erreicht, und die Herren der FESTUNG glaubten auch noch, sich damit an ihm rä chen zu können. Er lachte. »Ich danke euch«, rief er zurück. »Einen größeren Gefallen hättet ihr mir nicht tun können. Ich bin einzig und allein durch den Wölbmantel gekommen, weil ich Pthor von der Erde entfernen wollte. Jetzt habe ich es erreicht.« Das Lachen erstarb den Herren auf den Lippen. Sie blickten Atlan an, als habe er den Verstand verloren. Doch allmählich dämmerte ihnen, daß er die Wahrheit gesagt hatte. Ihre Gesichter verzerrten sich in ohn mächtigem Zorn.
H. G. Francis »Du wirst sterben«, schrien sie. »Du wirst einen schrecklichen Tod sterben.« »Ihr Narren«, antwortete er. »Wie oft habt ihr mir das schon gesagt? Dabei werde nicht ich sterben, sondern ihr. Seht doch, wer bei euch ist.« Sie fuhren in ihren Behältern herum und ruderten mit ihren dünnen Ärmchen durch die Flüssigkeit. Sie preßten ihre Gesichter gegen die transparenten Wandungen ihrer Hülsen. Darsior, der Androide, stand am Schalt pult. Seine Hände lagen auf zwei Hebeln. »Nicht«, ertönte es kreischend aus den Lautsprechern. »Das darfst du nicht tun. Nein!« »Warum sollte ich es nicht tun?« brüllte Darsior triumphierend zurück. »Wie oft habt ihr versucht, mich zu töten? Ich kann es schon gar nicht mehr zählen. Und ihr habt das vernichtet, das ich geliebt habe. Dafür werdet ihr bezahlen.« »Wir geben dir alles, was du von uns ver langst«, riefen die Herren. »Pthor soll dir ge hören. Du wirst der mächtigste Herrscher des Universums sein, wenn du uns leben läßt.« »Ich wäre der größte Narr, der je unter den Sternen gelebt hat, wenn ich euch glau ben würde«, erwiderte Darsior. »Seht her, was ich tue.« Die Herren der FESTUNG trommelten verzweifelt mit ihren winzigen Fäusten an die Wandungen ihrer Lebenshülsen. Sie schrien vor Angst, doch Darsior hatte kein Mitleid mit ihnen. Sie hatten den millionen fachen Tod über unzählige Welten des Uni versums gebracht, und sie hatten ihn erbar mungslos gejagt. Er wollte sie töten. »Worauf wartest du?« schrie Razamon. »Töte sie endlich.« Der Androide begann zu zittern. Schweiß trat ihm auf die Stirn. Er zögerte. »Was ist mit dir los?« fragte Koy. »Kannst du es nicht?« »Du darfst es nicht tun«, schrie es aus den Lautsprechern. »Wir verbieten es dir!«
Herren der FESTUNG
8. Abermals öffnete sich das Schott. Ein vierbeiniges Wesen mit zwei Löwenköpfen stürmte in die Hauptleitzentrale. Brüllend griff es die Herren der FESTUNG an, schei terte jedoch an dem unsichtbaren Prall schirm. Atlan sah, daß Robotsoldaten der Bestie folgten. Er schätzte, daß es wenigstens hun dert waren. »Weg hier«, rief er. »Schnell, sonst erle digen sie uns.« Er riß Thalia mit sich. Zusammen mit ihr floh er zu einem kleineren Schott. Er öffnete es und schob sie hindurch. Als er sich um drehen wollte, um nach den anderen zu se hen, stieß ihn Heimdall weiter. Die Energie strahler der Robotsoldaten zischten. Glühende Hitze verbreitete sich. Atlan rannte weiter in einen Gang hinein. Die Söhne Odins, Fenrir, der sich nicht mehr von Balduur trennte, Koy, Kolphyr und Razamon folgten. Atlan hörte das wütende Gebrüll der Bestie. Es erstarb, als sich das Schott hinter der Gruppe schloß. »Verdammt«, sagte Razamon fluchend. »So dicht vor dem Ziel, und dann sind wir doch gescheitert. Warum haben wir die Her ren nicht getötet? Warum nicht? Alles wäre in Ordnung gewesen.« »Wir müssen 'raus aus dieser Hölle«, sag te Atlan. »Wir kehren später zurück, wenn sich alles beruhigt hat. Die Herren erwi schen wir auch später. Da bin ich ganz si cher.« Die Gruppe flüchtete den Gang entlang. Als sie etwa dreißig Meter weit gekommen waren, blieb Koy der Trommler stehen und drehte sich um, während die anderen weiter flüchteten. Koy hatte den richtigen Moment erahnt. Ihm blieb Zeit, sich zu konzentrieren. Als das Schott sich öffnete, brauchte er nur noch Sekundenbruchteile, seine Broinskraft ein zusetzen. Ein Robotsoldat erschien in der of fenen Tür. Er zielte mit einem Energiestrah
45 ler auf die Flüchtenden. Die beiden Broins schlugen zusammen, und der Energiestrahler explodierte in den Stahlklauen, als Koy die Energiekammer zersplittern ließ. Ein Feuerball wuchs in der Tür auf und verwandelte das Metall in eine glutflüssige Masse. Koy eilte vor der Hitze welle davon, die in den Gang schlug, wäh rend sich der Durchgang unter der Einwir kung der Glut verformte. Die Gruppe erreichte ein weiteres Schott. Atlan öffnete es und wartete, bis alle hin durchgegangen waren. Dann schloß er es hinter sich. »Zuerst müssen wir die Fesseln loswer den«, sagte er. »Koy, kannst du das überneh men?« »Kein Problem«, antwortete der Tromm ler. »Es könnte jedoch sein, daß ich euch da bei verletze.« »Solange du mir nicht einen Arm abreißt, will ich mich nicht beklagen«, erwiderte Razamon, drehte sich um und hielt Koy die gefesselten Arme hin. Während der Tromm ler sich auf die Stahlbänder konzentrierte, die durch ein Schloß zusammengehalten wurden, suchte Atlan nach Werkzeugen. Er fand nach einiger Zeit in einer Kammer eine geeignete Zange. Als er damit zurückkehrte, waren Razamon und Heimdall bereits von ihren Fesseln befreit. Sie bluteten an den Handgelenken und an den Beinen, weil ih nen Splitterstücke ins Fleisch gedrungen wa ren. Atlan setzte die Zange ein. Damit konnte er die Fesseln durchtrennen, ohne jemanden zu verletzen. Kaum war der letzte befreit, als Sigurd, der am Schott stand, aufschrie. »Robotsoldaten«, rief er. »Schnell weg.« Sie stürmten den Gang entlang bis zu ei nem senkrecht nach unten führenden Schacht, der mit einer Leiter versehen war. Koy und das Antimaterie-Wesen deckten den Rückzug. Sie griffen die Roboter an, als diese das Schott öffneten.
*
46 Darsior beobachtete entsetzt, daß die Freunde aus der Hauptleitzentrale flüchte ten. Er wollte sie zurückhalten, brachte aber keinen Laut über die Lippen. Als sie die Zentrale verlassen hatten, fühl te er, daß er sie für alle Zeiten verloren hat te. Fast interesselos und ohne Furcht sah er das Monstrum auf sich zukommen und an der aufgebauten Prallwand scheitern. Er ver folgte, wie es mit den Robotern kämpfte und von diesen zerstrahlt wurde. Dann erst erinnerte er sich an die Herren der FESTUNG, die er töten wollte. Er blick te auf. Die Herren der FESTUNG schwebten in der Nährflüssigkeit. Sie preßten ihre kleinen Hände gegen die Wandungen der Hülsen. Ihre Augen waren weit geöffnet, und deut lich war zu sehen, wie das Blut in den Adern ihrer Schädel pulsierte. Sie hatten Angst, namenlose Angst, und sie litten, so wie er gelitten hatte. Darsior stellte es fast teilnahmslos fest. Der Verlust der Freunde bedeutete ihm mehr als die Macht, die er in diesen Minuten hatte, und er war versucht, davonzulaufen und die Freun de zu suchen. Doch dann wurde er sich des sen bewußt, daß er in einer Falle saß, aus der es keinen Ausweg gab. Das Prallfeld war unüberwindlich für ihn, aber es schützte ihn auch vor den Robotern. Vor diesen fürchteten sich die Herren der FESTUNG offenbar ebenso wie vor ihm. Für sie wäre es einfach gewesen, den Ener gieschirm zu beseitigen und die Robotsolda ten auf ihn zu hetzen. Sie wußten jedoch of fenbar nicht, ob sie dann nicht selbst auch angegriffen wurden. Darsior lachte schrill auf, als er sich des sen bewußt wurde, daß sich die Herren der FESTUNG in einer geradezu grotesken La ge befanden. Bis vor wenigen Minuten waren sie über aus mächtig gewesen, doch sie hatten nie je manden gehabt, auf den sie sich wirklich verlassen konnten. Sie hatten in ständiger Furcht vor einem Verrat gelebt, und sie hat-
H. G. Francis ten es nie geschafft, jemanden als Freund zu gewinnen. Vielleicht waren sie gar nicht fä hig, sich vorzustellen, daß jemand freund schaftliche Gefühle für sie entwickeln konn te. »Bitte«, tönte es wimmernd aus den Laut sprechern. »Bitte, töte uns nicht. Wir geben dir alles, was du willst.« Darsior blickte von einem Herren zum an deren. Er sah die Angst in ihren Gesichtern, aber er sah auch das hinterhältige Funkeln in ihren Augen. Er begriff. Wenn er sie leben ließ, würden sie die er ste sich bietende Gelegenheit nutzen, ihn zu töten. Sie würden sich dafür rächen, daß sie sich vor ihm gefürchtet hatten. »Ihr Narren«, rief er. »Glaubt ihr wirk lich, ich verzichte darauf, euch zu vernich ten? Niemals.« Sie kreischten vor Angst und Entsetzen auf und trommelten mit ihren Fäusten an die Wandungen ihrer Hülsen, als Darsior die beiden Hebel umlegte. Er beobachtete, wie sich ihre Gesichter veränderten, wie sich ih re Augen weiteten, und wie sich ihre kleinen Körper wie in Krämpfen schüttelten. Die Nährflüssigkeit verfärbte sich. Sie wurde zunächst braun und undurchsichtig, so daß er die Körper der Herren kaum noch sehen konnte. Dann wurde sie schwarz, und die Körper der Herren verschwanden darin. Die Herren der FESTUNG waren tot, doch Darsior empfand nichts. Kein Gefühl des Triumphs kam in ihm auf, obwohl er die mächtigsten Wesen von Pthor besiegt hatte. Er wandte sich von den Hülsen ab und be obachtete, wie die Robotsoldaten durch das unter der Hitze verformte Schott verschwan den. Er wußte, daß sie Atlan und die anderen Freunde verfolgten, und er war sich darüber klar, daß er keine Möglichkeit mehr hatte, zu ihnen zu stoßen. Er ging bis zu der unsichtbaren Prallwand vor und drückte die Hände dagegen. War er in einem Energiefeld gefangen? Gab es überhaupt keinen Ausweg mehr für
Herren der FESTUNG ihn? Darsior wollte nicht glauben, daß er sich zusammen mit den toten Herren der FE STUNG in einer Art Grabkammer befand. Er tastete sich an der Energiewand ent lang, fand jedoch keine Öffnung. Ratlos blieb er schließlich stehen. Er blickte auf die Monitorwand hinter den Hülsen, und plötz lich kam ihm ein Gedanke. Er eilte zu der Wand hin und riß die Verkleidung der Schaltpulte ab. In mühsamer Kleinarbeit ent fernte er danach einen Teil der elektroni schen Anlagen, bis er in eines der Pulte krie chen konnte. Er arbeitete sich bis zur Rück wand vor und hämmerte solange mit den Fü ßen dagegen, bis sie herausbrach. Darsior schlüpfte durch die Öffnung und gelangte in einen kleinen Raum. Überrascht stellte er fest, daß hier jemand ebenfalls un ter den elektronischen Geräten gewütet hat te. Während er sich aufrichtete, erinnerte er sich an Atlans Aktion, mit der er den Start des Raumschiffs verhindert hatte. Darsior lachte laut auf. Erst jetzt überkam ihn das Gefühl, frei zu sein. Triumphierend blickte er sich um. Er hatte die Herren der FESTUNG be siegt. Er hatte Pthor von seinem größten Übel befreit.
* Sie stürzten die Leiter mehr hinunter, als daß sie kletterten. Jeder von ihnen war sich dessen bewußt, daß bereits eine kurze Ver zögerung das Ende bedeuten konnte. Vorläufige Sicherheit bot sich ihnen erst, als sie das nächst tiefere Deck erreicht und den Schacht verlassen hatten. Erst jetzt fiel Atlan auf, daß Thalia und ihre drei Brüder ihre Waffen bei der überstürzten Flucht auf genommen und mitgeführt hatten. Auch Razamon hatte an sein Breitschwert gedacht. Atlan bedauerte, daß es ihm nicht gelungen war, einem der Robotsoldaten einen Ener giestrahler abzunehmen. »Wollen wir uns wirklich zurückziehen?« fragte Heimdall. Sie standen in einem ova
47 len Raum, dessen Wände mit Sternbildern aus funkelnden Edelsteinen verziert waren. Ein riesiger Spiegel bildete die Decke. Der Fußboden war aus den Gesteinen exotischer Welten zusammengesetzt. »Wir müssen«, antwortete Atlan. »Auch ich wäre lieber dort oben geblieben, aber es hatte keinen Sinn mehr. Wir konnten die Herren der FESTUNG nicht töten.« »Der Energieschirm hat sie geschützt«, fügte Koy hinzu. »Ich habe versucht, ihn zu durchbrechen. Es ging nicht.« Er blickte Heimdall an, als wolle er sich bei ihm für sein Versagen entschuldigen. »Wir kehren später zurück«, sagte Atlan. »Die Herren der FESTUNG leben!« rief Sigurd. »Haben wir alles gewagt, um dann ergebnislos abzuziehen?« »Wir haben keine andere Wahl«, sagte Thalia, die neben Atlan stand und nur ihn zu sehen schien. »Hier zu bleiben, wäre Selbst mord.« »Sie hat recht«, bemerkte Balduur, der er schöpft aussah. »Wir haben erreicht, was wir erreichen wollten«, sagte Atlan. »Pthor hat die Erde verlassen. Die FESTUNG hat ihre Macht stellung verloren. Selbst wenn die Herren dies alles überleben sollten, können sie doch nicht mehr in der alten Weise wirken. Sie haben ihr Machtinstrument verloren.« »Pthor hat die Erde verlassen«, stimmte Razamon zu. »Meine Anerkennung, Lordad miral. Das Ziel ist erreicht. Verschwinden wir also vorläufig von hier. Wir können spä ter wiederkommen, wenn unsere Aussichten besser sind.« Widerstrebend folgten ihm die drei Söhne Odins, als Atlan zu einer Tür ging, während Thalia sich ihm sofort anschloß. Knurrend wich Fenrir Koy aus, der sich bemühte, in der Nähe des Arkoniden zu bleiben. Atlan öffnete die Tür und gab den ande ren mit einem Nicken zu verstehen, daß der Weg frei war. Sie hörten das Brüllen von Monstren, die im Schiff herumirrten. Immer wieder erschütterten Explosionen die Pyra mide, und in den verschiedenen Bereichen
48 des Raumers heulten Sirenen auf. Noch kam die FESTUNG nicht zur Ruhe. Atlan dachte an die Erde zurück. Atlantis war von dort verschwunden. Er war sich mittlerweile darüber klar, daß auf Pthor eine andere Zeit galt als auf der Erde. Wieviel Zeit aber war inzwischen auf Terra verstri chen? Atlan war sich dessen sicher, daß wei taus weniger Zeit auf der Erde vergangen war als auf Pthor. Er vermutete, daß es nicht mehr als zwei oder drei Tage waren, wäh rend er mittlerweile Monate auf Pthor ver bracht hatte. Wäre es anders gewesen, dann hätte er Hilfe von außen erhalten. Jetzt fragte er sich, ob er jemals wieder zur Erde zurückkehren würde. Er flog mit dem geheimnisvollen Gebilde Pthor durch die Dimensionen, einem ungewissen Schick sal entgegen. Niemand konnte sagen, wohin sich Atlantis bewegte. Das wußten vermut lich nicht einmal die Herren der FESTUNG, denn diese hatten in ihrer Panik keine Pro grammierung vorgenommen, sondern Pthor blind auf die Reise geschickt. Atlan wußte, daß er nach einiger Zeit wie der in die FESTUNG kommen würde. Er war entschlossen, das unheilvolle Treiben der Herren zu beenden. Sie mußten sterben, damit Pthor seine seit Jahrtausenden wäh rende Rolle als Bote des Bösen endlich be endete. Vor einem offenen Fahrstuhlkorb blieb der Arkonide stehen. »Was meinst du?« fragte er Razamon. »Riskieren wir es, das Ding zu benutzen?« »Da wir uns nun schon mal entschlossen haben, die FESTUNG zu verlassen«, ent gegnete der Pthorer, »sollten wir es auf dem schnellsten Wege tun.« Mit diesen Worten stieg er in den Korb. Die anderen folgten ihm zögernd. Unwill kürlich suchten sie nach einem anderen Aus weg, aber es gab keinen. Atlan betätigte einen Hebel, und der Korb senkte sich ab. Voller Anspannung horchten der Arkoni de und sein Begleiter. Kein Laut verriet, ob sich irgendwo ein Gegner aufhielt und dar auf wartete, sie zu überfallen. Hin und wie-
H. G. Francis der blickte Atlan nach oben. Er fürchtete, daß Verfolger irgend etwas in den Schacht werfen würden, doch glücklicherweise zeig te sich niemand über ihnen. Es schien, als habe niemand ein Interesse daran, sie aufzu halten. Tiefer und tiefer sank der Korb. »Hundert Meter sind es schon«, bemerkte Razamon mit einem Blick nach oben. »Ich bin gespannt, wie weit es noch geht.« Die Schachtwände waren bisher von ei nem düsteren Grau gewesen. Jetzt erschie nen plötzlich rote Striche an den Wänden, in denen in regelmäßigen Abständen Leucht elemente eingelassen waren. Der Fahrstuhl korb bewegte sich langsamer. »Es ist soweit«, sagte Sigurd. Er hob sei ne Garpa. Der Korb hielt, ohne daß Atlan etwas da zu tun mußte. Ein Schott glitt knirschend zur Seite und gab den Blick in einen kleinen Raum frei, von dem mehrere Türen ab zweigten. Der Raum war leer bis auf einen dreibeinigen Hocker, der auf dem Boden lag. Atlan sprang aus dem Korb und ging zu der größten der Türen. Er öffnete sie und fuhr erschrocken zurück. Vor ihm stand ein riesiger Dello. Er trug eine Metallmaske vor dem Gesicht. In den Händen hielt er eine Streitaxt, die mit zahl reichen Stahldornen versehen war. Der Ar konide war über drei Meter groß. Er war mit einem Lendenschurz bekleidet. Der von un zähligen Narben bedeckte Oberkörper ließ erkennen, daß er viele blutige Kämpfe über standen hatte. Doch nicht er allein hatte den Arkoniden erschreckt. Hinter dem Dello lauerten etwa hundert androide Ungeheuer verschiedener Gestalt. Atlan sah löwenköpfige Männer ne ben Wesen stehen, die wie haarlose Gorillas aussahen. Geschöpfe waren dabei, die halb Mensch, halb Krake waren oder schrecken erregende Merkmale von Insekten hatten. »Ihr sitzt in der Falle«, sagte der Mann mit der Metallmaske. »Hier kommt ihr nicht mehr heraus.«
Herren der FESTUNG »Wir schlagen uns durch«, sagte Sigurd leise zu Atlan. »Es gibt keine andere Mög lichkeit.« »Wir bleiben dicht beieinander und geben uns gegenseitig Deckung«, fügte Heimdall hinzu. Die anderen gaben leise ihre Zustimmung. Alle waren entschlossen, den fast aussichts los erscheinenden Kampf zu wagen. »Sie werden sich gegenseitig behindern«, sagte Atlan zu Sigurd. »Worauf warten wir noch?« rief Kolphyr mit schriller Stimme. Er drängte sich nach vorn. Atlan ging auf den maskierten Riesen zu, der etwa fünf Meter von ihm entfernt war. Die Androiden wichen einige Meter weit zu rück. Sie wollten alle durch die Tür in den Raum lassen, weil sie glaubten, daß sie ih nen hier nicht mehr entwischen konnten. Atlan war überzeugt davon, daß sie den Kampf gegen diese monströse Versammlung gewinnen würden. Wichtig war die psycho logische Situation, die für ihn und seine Be gleiter wesentlich günstiger war als für die Horden der Herren der FESTUNG. »Koy«, rief der Arkonide. »Übernimm die Maske.« »Ich bin schon dabei«, antwortete der Trommler. Der Riese wich zurück. Er hob die Arme und preßte die Hände an den Kopf. Er tau melte. Dann endlich begriff er, von wem der Angriff kam, dem er sich ausgesetzt sah. Brüllend stürzte er sich auf Koy, doch dieser schlug endgültig zu, bevor er ihn erreichte. Der Kopf des Riesen zersprang, und der An droide stürzte zu Boden. Das war das Angriffssignal für die ande ren. Schreiend liefen sie auf Atlan und seine Begleiter zu. Messer und Schwerter blitzten auf. Lanzen flogen durch die Luft. Balduur und Sigurd stürmten an Atlan vorbei. Thalia und Heimdall folgten ihnen. Sie hieben erbarmungslos auf die monströ sen Wesen ein und schlugen eine Bresche in die Front. Kolphyr brach aus der Gruppe aus und
49 eilte mitten unter die Angreifer. Dies glaub ten, einen leichten Gegner zu haben und griffen ihn an. Kolphyr lachte laut auf, als er feststellte, daß er Atlan und die anderen entlastet und eine Reihe von Androiden auf sich gezogen hatte. Er öffnete den Velst-Schleier an ei nem Finger und spaltete ein Stückchen sei ner Haut ab. Das Antimaterie-Stückchen fiel auf den Boden und explodierte, als es Kon takt mit der Materie bekam. Eine Feuersäule stieg auf. Plötzlich schien der ganze Saal zu brennen. Androiden flo gen durch die Luft, und selbst Kolphyr hatte Schwierigkeiten. Humpelnd rettete er sich aus dem Chaos. Die anderen Dellos wurden von der Ex plosion ebenso überrascht. Schreiend rann ten sie davon. »Ich habe mich ein wenig geirrt«, sagte der Bera grinsend. »Ich habe ein bißchen zu viel Materie abgegeben.« Atlan blickte zu der Stelle hinüber, an der die Explosion stattgefunden hatte. Im Boden gähnte ein Trichter, der fast einen Meter tief war. Die Androiden waren mehrere Meter weit weggeschleudert worden. Einer von ih nen, der schwerverletzt war, kroch stöhnend auf eine Tür zu. Er blickte sich immer wie der ängstlich um, doch niemand dachte dar an, ihn anzugreifen. »Schnell weiter«, sagte Atlan, »bevor sie auf den Gedanken kommen, sich uns aber mals zu stellen.« Sie eilten auf eine Tür zu, die sich auf der gegenüberliegenden Seite des Saales befand, und durch die die meisten Dellos geflüchtet waren. Fenrir eilte ihnen voran. Er blieb in der offenen Tür stehen, blickte sich sichernd um. Dann lief er weiter. Sein Verhalten zeigte den anderen an, daß der Weg frei war. Als Atlan durch die Tür schritt, sah er, daß die Metallwand wenige Meter weiter aufgerissen war. Ein meterbreiter Spalt war entstanden. Durch ihn hindurch waren die Androiden in die Gärten vor der FESTUNG geflohen.
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»Wir haben es geschafft«, sagte Razamon erleichtert. »Da geht es 'raus.« Ein stetes Rauschen, das Atlan schon seit geraumer Zeit gehört hatte, erfüllte die Luft. Es war hier wesentlich deutlicher zu hören als im Schiff. Der Himmel über Pthor sah grau und verwaschen aus. Einige Scheinwer fer spendeten ein wenig Licht. Es reichte aus, sich in den Gärten zu orientieren. »Was jetzt?« fragte Sigurd. »Wohin ge hen wir?« Atlan zeigte nach Norden. »Ich habe kein bestimmtes Ziel«, antwor tete er. »Ich will erst einmal aus der Nähe
der FESTUNG verschwinden und abwarten. In den nächsten Stunden zeigt sich wahr scheinlich schon, wie sich alles entwickeln wird.« Er blickte Sigurd an.
»Bleiben wir zusammen?«
Der Sohn Odins nickte.
»Vorerst – ja.«
E N D E
ENDE